Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um den Zusatzpunkt: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Feuerschutzsteuergesetzes - Drucksachen 10/556, 10/714 - erweitert werden. Ist der Bundestag damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Dezember 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Sasbach und Marckoldsheim
- Drucksache 10/252 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({0})
- Drucksache 10/688 Berichterstatter:
Abgeordneter Bühler ({1})
({2})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zweiten Protokoll vom 17. Februar 1983 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 22. April 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern
- Drucksache 10/461 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
- Drucksache 10/694 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
({4})
Wird zur Berichterstattung das Wort gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Feuerschutzsteuergesetzes
- Drucksache 10/556 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5})
- Drucksache 10/714 Berichterstatter: Abgeordneter Jung ({6})
({7})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Präsident Dr. Barzel
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Bevor wir mit der Beratung des Haushalts 1984 beginnen, habe ich folgende Mitteilung zu machen:
Der Bundeskanzler und der Bundesminister des Auswärtigen sind aus dringenden Gründen in Athen auf der Konferenz der Europäischen Gemeinschaft. Ich wurde gebeten, Ihnen dies zu sagen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, dies zu berücksichtigen. Wir haben entgegen den Plänen der Regierung heute begonnen, weil wir mehr Zeit brauchen. Sie werden morgen hier im Hause anwesend sein.
Wir kommen nunmehr zur Beratung der Tagesordnungspunkte III a und III b
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 ({8})
- Drucksachen 10/280, 10/534 -Beschlußempfehlungen und Bericht des
Haushaltsausschusses ({9})
b) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe ({10})
- Drucksachen 10/335, 10/347 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({11})
- Drucksachen 10/690, 10/691 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({12}) Hoppe
Wieczorek ({13})
Kleinert ({14})
({15})
Die einzelnen Artikel des Haushaltsbegleitgesetzentwurfs werden bei den jeweiligen Einzelplänen aufgerufen.
Wir beginnen jetzt mit der Beratung der Einzelpläne.
Ich rufe auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 10/631, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Zander Roth ({16})
Verheyen ({17}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das st nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzellan 01 - Bundespräsident und Bundespräsidialamt - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich fitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Einzelplan 01 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02 Deutscher Bundestag
- Drucksachen 10/632, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({18}) Frau Seiler-Albring
Zander
Kleinert ({19})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Ich ?rteile dem Abgeordneten Conradi das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zweieinhalb Jahren haben wir hier Beim Haushalt 1981 die große Planung für den Bundestagsneubau beerdigt und beschlossen, daß der Plenarsaal und das Bundeshaus erhalten werden und Erweiterungsbauten nur im notwendigen Umfang gebaut werden sollen.
Inzwischen hat die Baukommission zusammen mit den Architekten und der Bundesbauverwaltung ein neues Konzept vorgelegt: einmal für einen Erweiterungsbau entlang der Schumacherstraße neben dem Sportplatz, und zum anderen für eine gründliche Sanierung des Bundeshauses.
In diesem Haushalt sind die Mittel für den Umbau des Wasserwerks enthalten, das wir als Interimsplenarsaal benutzen, während der Plenarsaal umgebaut wird. Für alles andere aber, für den Umbau des alten Gebäudes wie für den Erweiterungsbau, gibt es noch keine Beschlüsse. Seit September ruht die Planung. Der Versuch einer gemeinsamen Entschließung aller Fraktionen zu diesem Thema ist erfolglos geblieben.
Nun sind ja die Parlamentsbauten nicht zwischen Opposition und Koalition strittig. In jeder Fraktion gibt es Befürworter und Gegner. Deswegen möchte ich hier ein paar Sätze sagen und Sie bitten, daß wir in der Sache endlich vorankommen.
Einmal geht es darum mit dem Erweiterungsbau die Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeiter, die Arbeitsbedingungen in der Bibliothek und im wissenschaftlichen Dienst zu verbessern. Viele von uns sind in angemieteten Räumen untergebracht und haben lange Wege hierher. Im Langen Eugen sind die Büros so klein, daß wir inzwischen die Aktenschränke auf den Flur stellen.
({0})
Ich bin sicher, wenn unsere Geschäftsführer, das Präsidium, unsere Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden unter solchen räumlichen Bedingungen arbeiten müßten, hätten wir längst diesen notwendigen Neubau.
({1})
- Lieber Herr Schäuble, der Erweiterungsbau braucht drei Jahre Planungszeit, und er braucht drei Jahre Bauzeit. Das heißt, wenn wir in diesem Winter beschließen, dann werden wir frühestens 1990 diesen Bau haben.
Mit der Sanierung ist es ähnlich. Die Baukommission hat vorgeschlagen, in dieser Legislaturperiode, d. h. bis 1987, den Altbau gründlich zu sanieren. Dazu gehört nicht nur der Plenarsaal, sondern auch die Frage, wie man in den Plenarsaal kommt. Ich muß Ihnen sagen: Ich schäme mich jedesmal, wenn ich einen Gast hierher führen muß, vom Eingang IV durch diese düsteren Kasemattengänge, vorbei an schmutzigen Kaffeetassen und vollen Aschenbechern. Der Herr Kollege Daniels hat recht: Wir behandeln unsere Gäste hier so, als wenn man sie durch den Lieferanteneingang hereinläßt.
Nun hat die Baukommission einen Eingangsbau vorgeschlagen, nicht so üppig wie bei den Landtagen, etwa in Nordrhein-Westfalen oder im Freistaat Bayern, und keinesfalls so üppig wie beim Westdeutschen Rundfunk oder bei der Deutschen Bank. Die haben alle offenbar mehr Selbstachtung als der Bundestag.
({2})
Warum sage ich das? Ich sage das, weil wir jetzt nach mehr als zehn Jahren Planungszeit und vielen Millionen D-Mark für die Planung endlich etwas tun müssen.
Das Präsidium, der Ältestenrat und die Fraktionsvorsitzenden sind etwas zurückhaltend. Von den Fraktionen hat nur meine Fraktion dazu einen Beschluß gefaßt. Man kann aber doch nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine Planung ablehnen, die man gar nicht kennt. Ich habe der FDP angeboten, da sie keinen Architekten mehr in der Fraktion hat, die Pläne zu erklären. Die Union wird Ihnen das nicht als Seitensprung vorhalten. Nur bitte ich Sie jetzt herzlich, sich in allen Fraktionen mit den Plänen und Modellen zu befassen und Beschlüsse zu fassen, damit wir bauen können.
Wir, die Baukommission unter unserem Vorsitzenden Herrn Vizepräsidenten Stücklen, haben unsere Hausaufgaben gemacht. Jetzt sind Sie dran.
Zum Schluß: Was jeder Gemeinderat in dieser Republik kann, was jeder Kreistag kann, was jeder Landtag in dieser Republik fertigbringt, nämlich sich als Volksvertretung das angemessene bauliche Gesicht zu geben, dies sollte auch der Deutsche Bundestag fertigbekommen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten ja an diesem Platz schon vor einiger Zeit, lieber Herr Kollege Conradi, eine Debatte über die Notwendigkeit von Neubauten und darüber, wie das aussehen soll. Wir haben uns damals sehr deutlich dazu geäußert. Wir haben gesagt: Den großen, voluminösen, sehr ausgedehnten Neubau wollen wir nicht; wir wollen dieses alte Gebäude beibehalten. Wir wollen aber das tun, was notwendig ist, damit wir hier weiter arbeiten und uns auch wohlfühlen können. Auch haben wir damals gesagt: Wir wollen diese „grüne imperiale Mitte" nicht, und wir wollen nicht diese großartigen Vorstellungen, die sich darum herumranken: eine Prachtsituation in Bonn zu schaffen, die auch unserer Arbeit, dem, was wir hier tun, nicht angemessen ist.
({0})
Ich möchte nun eines vermeiden. Egal, ob wir nun Architekten in unserer Fraktion haben oder nicht,
({1})
sind wir durch unsere kommunalpolitische Tätigkeit - der eine oder andere macht das immerhin schon lange Zeit -, oder auch durch gesunden Menschenverstand, den man hier ja anwenden sollte, in der Lage, Herr Kollege Conradi, so etwas kompetent zu beurteilen. Wir wollen nicht, daß durch die Hintertür einer Sanierung dieses Gebäudes und dieses Raumes - die ist unbestritten; Sie kennen ja die Baugutachten dazu - nun genau die alte Planung - oder eine ähnliche - wieder aufgenommen wird, die wir damals, 1981, abgelehnt haben.
({2})
Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß dieser Raum hier einer gründlichen Sanierung bedarf, und zwar sowohl was die Sicherheit als auch was das Gestühl anlangt, auf dem wir uns auch jetzt wieder eine Woche lang plazieren müssen oder auch plazieren dürfen. Das ist unstrittig. Aber schon da geht es um die Frage, ob wir allein aus der Umgestaltung dieses Raumes eine Verbesserung ableiten können, die dazu führt, daß unsere Debatten ein größeres Interesse finden. Das müssen wir an Hand der Bauplanung betrachten, aber auch unsere eigenen Überlegungen dazu anstellen. Ich glaube nicht, daß allein eine verbesserte Gestaltung dieses Raumes, etwa eine Rundung nach dem Wiener Modell, zu einem größeren Interesse an unseren Debatten führen würde.
Die Pläne für das Wasserwerk sind in Ordnung. Wir haben das so gewollt, und wir wollen das Wasserwerk auch nach dem Umbau, nach der Zwischennutzung, weiterhin nutzen. In dem Wasserwerk, das als besonderes Gebäude erhalten bleiben soll, sollen auch später Sitzungen stattfinden können.
Der Erweiterungsbau für Mitarbeiter ist notwendig. Die Sorgfalt der Prüfung hat uns nun dahin gebracht, daß wir zehn Jahre lang geplant haben.
Wir sollten die Sache jetzt nicht unbedingt in einem Monat über die Bühne ziehen wollen.
Sehr umstritten ist bei uns die Position des Präsidialbaus. Auch da wollen wir nicht, daß durch die Hintertür Neubaupläne verwirklicht werden. Wir haben uns gestern - übrigens entgegen Ihrer Meinung, Herr Conradi - damit vertraut gemacht. Diese Bauverbesserung hat wirklich starke Züge eines Neubaus. Das wollen wir nicht, auch nicht durch die Hintertür.
({3})
Wir wollen auch nicht, daß dieses Gebäude hier bis zur Unkenntlichkeit, wie Burkhard Hirsch soeben eingeworfen hat, „neusaniert" wird. Es soll schon grundsätzlich so bleiben, wie es ist. Wenn Sie sich schämen, Herr Conradi, wenn Sie hier Gäste durchführen, kann ich nur sagen: Vielleicht ist es ganz nützlich, wenn die Besucher sehen, daß wir hier mit den Geldern sparsam umgehen.
({4})
Und die Besucher von ganz weit, lieber Herr Kollege Conradi, können ruhig zu der Vorstellung kommen: Laß alle Hoffnung fahren, hier gibt es kein Geld.
({5})
Im übrigen möchte ich die Anmerkung machen: Dieser alte PH-Bau, den wir damals übernommen haben, hat einen gewissen Stil. Wir sollten ihn nicht dadurch verändern, daß wir ihm pompöse Auffahrten und Zugänge aufpfropfen - nach dem alten arabischen Sprichwort: „Aus einem Esel kann man kein Pferd machen." Wir müssen das sehr behutsam behandeln.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich schon etwas eigenartig, daß wir die wichtige Beratung des Haushaltsentwurfs 1984 ausgerechnet mit dem Thema der Neubauten beginnen, Herr Kollege Conradi.
({0})
Auf der anderen Seite beraten wir jetzt aber den Einzelplan 02. Deswegen will ich für unsere Fraktion, zumal manches, was Sie vorgetragen haben, in der Sache durchaus berechtigt ist, folgendes sagen: Wir leben in einer Zeit leerer Kassen. Es gibt im Augenblick dringendere Probleme. Wir haben in der Fraktion beschlossen, das zu tun, was unter baupolizeilichen und baurechtlichen Aspekten unbedingt erforderlich ist, nämlich die Renovierung und die Reparaturarbeiten am Plenarsaal. Wir werden auch das tun, was in der Baukommission und im Ältestenrat vorgeschlagen und von der Fraktion abgesegnet worden ist, nämlich das Umzugsquartier Wasserwerk in Angriff nehmen.
Über alles andere werden wir in Ruhe miteinander sprechen. Mitte Januar tagt die Baukommission mit den Fraktionsvorsitzenden. Dann werden wir über die anderen Fragen beraten. Aber wir wollen uns in dieser Frage nicht in eine ungebührliche Hektik hineindrängen lassen. Deswegen, glaube ich, sind auch Vorwürfe an die Adresse der Koalitionsfraktionen nicht gerechtfertigt. Wir machen das, was dringend notwendig ist, und wollen uns jetzt im übrigen den dringenden Fragen des Haushalts 1984 widmen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Einzelplan 02 - Deutscher Bundestag
- in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Einzelplan 02 ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um einen Augenblick Gehör für eine Anmerkung des Präsidenten: Ich halte es für dringend geboten, daß der Deutsche Bundestag auch öffentlich, auch hier im Deutschen Bundestag, über eigene Probleme, die nicht nur solche des Bauens sind, sich unterhält und diskutiert. Ich habe die Absicht, anläßlich der ersten Lesung des kommenden Haushalts diese Debatte, so Gott will, selber zu eröffnen.
({0})
- Ich danke Ihnen herzlich. Ich rufe auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 10/633, 10/659 - Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert
Zander
Verheyen ({1})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 03 - Bundesrat - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 03 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
- Drucksachen 10/636, 10/659 - Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster ({2})
Dr. Riedl ({3})
Kleinert ({4})
dazu:
Präsident Dr. Barzel
Zweite Beratung der Art. 23, 24, 24a, 25 und 25 a des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984
- Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690 und 10/691 Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
- Drucksachen 10/656, 10/659 - Berichterstatter: Abgeordnete Borchert Kühbacher
Kleinert ({5})
Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksache 10/654 - Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert Kühbacher
Verheyen ({6})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die verbundene Aussprache drei Stunden vereinbart worden. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir eine Freude, die eigentliche Haushaltsdebatte hier heute morgen anstoßen zu können. - Für Eingeweihte flechte ich ein: Ich hoffe, daß es heute morgen kein Eigentor in die Bayernliga gibt. - Wir sind aufgerufen, eine Bestandsaufnahme nach einem Jahr Regierungstätigkeit einer konservativen Regierung vorzunehmen. Wir haben zu prüfen, ob sie dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes gerecht geworden ist. Wir haben insbesondere beim Innenminister zu fragen, ob er in der Tradition seiner sozialliberalen Vorgänger geblieben ist oder ob er einen Staat mit law and order, einen Nachtwächterstaat, bevorzugt. - Ich werde mich mit dem Teil Sozialstaatsgebot auseinandersetzen, die Kollegen Schmude und Schäfer nachher mit den anderen Teilen.
Zum Sozialstaatsgebot: Herr Innenminister, wenn man das Haushaltsbegleitgesetz und Ihren Etat zusammen sieht, stellt man fest, daß sich diese Bundesregierung dadurch auszeichnet, daß sie in dieser viertägigen Debatte Spargesetze gegen die kleinen Leute beschließen lassen, Steuergeschenke für die Großverdiener in diesem Lande durchsetzen lassen will - und dies alles unter der Überschrift Haushaltsplanung, Finanzplanung bis 1987.
({0})
Es geht um eine Bundesregierung, die im Innern auf zwei tragenden Säulen ruht, nämlich auf dem CSU-Minister Zimmermann und dem Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff. Oder schärfer ausgedrückt: Es geht um eine Bundesregierung, die von den Wirtschaftsflügeln der FDP und der Union getragen wird und die Politik im Interesse von Arbeitgebervereinigungen betreibt.
({1})
- Herr Kollege Glos, eine Bundesregierung, die sich von Zeitschriften bescheinigen lassen muß, daß sie im Ruch von Korruption steht,
({2})
diese Bundesregierung läßt in ihrer Finanzplanung bis 1987 ganz klar erkennen, wohin die Reise gehen soll.
({3})
Diese Finanzplanung bis 1987 beruht auf der Annahme einer konstanten Zahl von über 2 Millionen Arbeitslosen, ohne ein Beschäftigungsangebot, ohne eine Alternative zu bieten.
({4})
Die Bundesregierung hat ihre einzige Hoffnung darin gesetzt, daß durch eine Steuerentlastung bei den Großverdienern diese vielleicht investieren werden. Tatsächlich werden sie aber rationalisieren.
Diese Bundesregierung weist in ihrer Finanzplanung eine Steigerung der Rüstungsausgaben in Milliardenhöhe aus.
({5})
Der Rüstungsetat soll nach dem Willen der Bundesregierung bis 1987 in Relation zum Gesamthaushalt überproportional steigen. Dafür werden die kleinen Leute zur Kasse gebeten. Das ist diese Bundesregierung!
({6})
Herr Innenminister, was haben denn die kleinen Einkommensbezieher, die Beamten des einfachen und mittleren Dienstes, die Sozialhilfeempfänger, die Rentner, die Pensionäre von Ihnen zu erwarten, wenn Sie ihnen selbst das kärgliche Zubrot von 1 DM Essensgeldzuschuß streichen?
({7})
Was haben sie, Herr Stoltenberg, von einer Bundesregierung zu erwarten, die gleichzeitig 3,5 Milliarden DM durch die Senkung der Vermögensteuer an die Konzerne verteilt?
Was soll aus unserem Land werden, frage ich hier den Verteidigungsminister, wenn Sie mit dem Motto „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" werben, gleichzeitig aber in die Finanzplanung enorme Milliardenbeträge für mehr Rüstungsausgaben einsetzen? Der NATO-Gipfel in Brüssel wird - davon bin ich leider überzeugt - eine weitere Überraschung für dieses Parlament bringen.
Herr Innenminister, wie sollen die jungen Staatsbürger Vertrauen in diesen Staat gewinnen, wenn die mittelfristigen Ziele eindeutig und nachweisbar einen Einkommensstopp für alle Einkommensbezieher, aber mehr Geld für die Rüstung und höhere Gewinne für die Unternehmer ausweisen? Was sollen die jungen Leute von dieser Bundesregierung
denken, und wie sollen sie Vertrauen in diesen Staat gewinnen?
({8})
Soweit meine politischen Vorbemerkungen. Nun zum Komplex öffentlicher Dienst.
({9})
- Herr Kollege Riedl, ich hoffe, daß Ihnen diese Rede nicht paßt; denn Sie haben diese Politik ja mit zu verantworten. Sie sind ja offensichtlich auch gewillt, in diesem und im nächsten Jahr den Beamten, Angestellten, Arbeitern und Versorgungsempfängern des öffentlichen Dienstes eine Null-Runde zuzumuten, eine Null-Runde, die für die Beamten bedeutet, daß sie an den Einkommenssteigerungen des nächsten Jahres nicht teilhaben sollen. So werden Sie es nachher in einer Entschließung verabschieden. Diese Null-Runde von 1984 auf 1985 bedeutet, daß Sie sich ganz klar dem Alimentationsprinzip und der Fürsorgepflicht der öffentlich-rechtlichen Dienstherren verweigern.
({10})
- Herr Kollege Friedmann, Sie haben im Haushaltsbegleitgesetz gleichzeitig festgelegt, daß die öffentlichen Tarifpartner Gemeinden und Länder aufgefordert werden, auch für die Angestellten und auch für die Arbeiter auf Null zu verhandeln. Sie haben keine Reserven im Haushalt, was im Klartext bedeutet:
({11})
Sie wollen zuerst die Beamten als Prellbock gegenüber den Angestellten und den Arbeitern benutzen, anschließend den gesamten öffentlichen Dienst als Rammbock gegenüber den Gewerkschaften in Handel und Wirtschaft. Das ist Ihre Politik
({12})
Ich weiß nicht, wie Sie mit den Kollegen von der ÖTV umgehen, die hierzu ein Protesttelegramm geschickt haben. Sie haben im Haushaltsausschuß diese Null-Runde eingeleitet. Zur Wiederbesetzungssperre komme ich gleich noch. Ich frage mich, wie Sie sich gegenüber dem öffentlichen Dienst ausdrücken wollen.
Herr Minister, einige Gewerkschaftsvertreter - sicherlich die engagierten - werfen Ihnen inzwischen eine verdächtige Nähe zur Brüningschen Sparpolitik vor. Ich frage Sie: Wollen Sie im Ernst dabei bleiben, daß es für die Beamten von 1984 auf 1985 eine Null-Runde gibt? Wollen Sie, wenn es bei Null bleibt, gleichzeitig diese Null-Runde auch für Angestellte und Arbeiter bei den Kommunen und bei den Ländern und damit beim Bund durchsetzen?
Nun eine Frage an die Bundesregierung - das betrifft Ihr eigenes Selbstverständnis -: Eine gewiß kleine Summe - 29 Millionen DM - soll beim Bund eingespart werden, wenn es ab 1. Januar 1984 für viele Bezieher kleiner Einkommen keinen Essensgeldzuschuß mehr gibt. Das ist eine Politik, die wir nicht teilen können.
({13})
Ich frage Sie nur, die Herren auf der Ministerbank: Haben Sie denn gleichzeitig Ihre Aufwandsentschädigungen gekürzt, die monatlich 600 DM betragen? Sind Sie mit irgendeinem Federstrich darangegangen? Haben Sie die Ministerialzulage in Ihren Häusern angetastet? Haben Sie bei Ihren Ministerialzuarbeitern die Nebentätigkeiten gekürzt? Ich habe eine Aufstellung, Herr Innenminister, aus der hervorgeht, daß Beschäftigte aus Ihrem Haus und aus Nachbarhäusern innerhalb eines Monats 8 900 DM en passant hinzuverdient haben. Finden Sie, daß das in Ordnung ist? Dort passiert nichts.
Wenn man das addiert, kann man die Politik, Herr Innenminister, wie folgt umschreiben: Armut in die Hütten oder in die Wohnungen von Polizisten, Postboten und Lokomotivführern, Sicherung des Wohlstands in den Ministerialetagen. Das ist etwas abgewandelt, aber das ist Ihre Politik.
({14})
Was nun, Herr Innenminister, den Komfort dieser Bundesregierung angeht - die Kollegen im Haushaltsausschuß werden es bestätigen -: Diese Bundesregierung hat im letzten Jahr zur Beförderung von Ministern mehr Hubschrauberflüge durchgeführt als je eine Bundesregierung zuvor.
({15})
Nun haben Sie auch einen Nachholbedarf; das sehe ich ja ein. Aber diese Bundesregierung wollte auch noch leise, still und heimlich zwei lärmgekapselte Hubschrauber beschaffen, zwei Super-Pumas, damit man von CSU-Parteitagen schneller nach Bonn und zurück fliegen kann. Das haben wir, sogar einmütig in den Haushaltsberatungen verhindern können.
({16})
Ich hoffe nur - das sage ich in Richtung Bundesregierung -, daß Sie nun nicht auf die Idee kommen, sich dieses Transportmittels über den Verteidigungsetat zu bedienen.
({17})
Herr Minister, Sorgen mache ich mir allerdings - nun versuche ich es mit Ironie; ich schicke das voraus -, ob Sie denn genug Geld für Ihre Auslandsreisen haben. Wenn Sie z. B. als Verfassungsminister in den anderen westlichen Demokratien Anschauungsunterricht nehmen, wie z. B. in der Türkei
({18})
- ja, darauf komme ich jetzt -, oder wenn Sie Ihre Mitarbeiter auf Inseln schicken, um dort gemeinsam mit anderen Geheimdiensten Kommunistenjagd zu betreiben, frage ich mich, ob Sie denn die nötigen Erkenntnisse für unseren Staat gewinnen. Ich frage Herrn Spranger, welche Erkenntnisse er auf Grenada gewonnen hat. Soll denn künftig der
internationale Terrorismus durch die GSG 9 vielleicht auf Malta bekämpft werden? Was hat dieser Innenminister, was hat Herr Spranger im Ausland zu suchen?
({19})
- Ja, so soll es auch sein. - Dieser Verfassungsminister sollte sich lieber im Inland um die alten und jungen NS-Kameraden kümmern. Der Verfassungsschutzbericht weist insoweit erhebliche Lükken auf.
({20})
Herr Minister, ein Pamphlet, in dem Sie unterstellten, die Friedensbewegung werde von der KPdSU gesteuert, hat Ihnen der Haushaltsausschuß ja aus der Hand genommen. Die Mittel sind Ihnen insoweit für das nächste Jahr gestrichen bzw. gesperrt worden. Das ist eine vernünftige Leistung des Haushaltsausschusses.
({21})
Aber es gibt einen noch viel kleineren Ansatz, über den zu sprechen sich lohnt, nämlich den Ansatz „Untersuchung und Aufklärung über Grundsatzfragen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung". Dort schreibt der Innenminister in überraschender Offenheit, er möchte eine Untersuchung durchführen, mit der durch eine Analyse der Wähler und Anhängerschaft der neuen politischen Bewegung Aufschluß über deren demokratische Zusammensetzung, Einstellung, Wertvorstellungen und Erwartungen an den Staat gewonnen werden sollen.
({22})
Also Ausforschung der GRÜNEN. Nun könnte man ja meinen, das sei ganz richtig. Herr Minister, ich bitte Sie, mit einem gleichen Ansatz, mit einem gleichen Betrag eine Untersuchung der Bundesregierung anzustellen über den Verlust von Regierungsautorität durch Anklage von Ministern wegen Bestechlichkeit und durch Stillhalten der übrigen Regierungsmitglieder. Sie sollten einmal nachforschen, was die jungen Leute davon halten.
({23})
Herr Kollege Friedmann, der Bundesinnenminister hat noch im November - das sage ich nun zum Thema Glaubwürdigkeit - auf dem Beamtentag in Karlsruhe ausgeführt - ich zitiere ihn -:
Der öffentliche Dienst kann nicht die Reservekasse der Nation sein. Ich erkläre hier und heute, daß für mich diese Grenze erreicht ist und daß ich mich auf keine weiteren Vorschläge einlassen werde, die zusätzliche Opfer der Beamtenschaft zum Gegenstand haben. Die Öffentlichkeit überschätzt den Einkommensstandard des öffentlichen Dienstes. Sie übersieht
die Kumulationswirkung der restriktiven Einzelmaßnahmen ebenso wie den Zusammenhang mit der allgemeinen steuerlichen und sonstigen Belastung für jedermann.
Herr Minister, das sind eigentlich richtige Worte gewesen, die ich nicht besser hätte wählen können. Nur, Ihre Taten sind diesen Worten diametral entgegengesetzt.
({24})
Seit den Worten dort in Karlsruhe machen Sie folgendes: Essensgeldzuschuß ab 1. Januar 1984 weg, Stellenwiederbesetzungssperre soll diese Woche beschlossen werden, Null-Runde 1984/85, Beihilferechtsänderung, Kürzungen des Versorgungsanpassungszuschlags.
({25})
Ihre Taten in dieser Woche sind dem völlig entgegengesetzt, was Sie den Beamten noch vor eineinhalb Monaten erklärt haben.
({26})
Die Beamten und der öffentliche Dienst werden die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung selber zu bewerten haben. Das überlassen wir den Kollegen draußen.
({27})
- Herr Kollege Riedl, Sie sind für den Bundesgrenzschutz zuständig. Auch dort hat der Bundesinnenminister gesagt, an der Polizeistruktur solle nichts verändert werden. Das sind die Aussagen dieses Bundesinnenministers. Was passiert denn tatsächlich? Den Personalräten wird im Innenverhältnis nachgestellt. Ich will Ihnen nur ein kleines Beispiel sagen, wie diese neue Bundesregierung es mit der Mitbestimmung von Personalräten beim Bundesgrenzschutz hält. In einer mittleren Ebene erhält ein Polizeihauptmeister, freigestelltes Personalratsmitglied, Informationen darüber, daß Aufstiegslehrgänge für seine Klientel vorgesehen seien. Er unterrichtet in der Dienststelle seine Kollegen darüber, allerdings einen Monat bevor der offizielle ministerielle Erlaß - das dauert in Bonn immer etwas länger - auf den Tisch kommt. Was passiert mit dem Beamten? Er wird wegen Verlautbarung von Dienstgeheimnissen disziplinarisch herangezogen, obwohl er nichts anderes getan hat, als seinen Personalratspflichten nachzukommen. Das heißt, vor den Gewerkschaftsgremien, Herr Innenminister, reden Sie über die guten Wirkungen von Personalräten, im Innenverhältnis lassen Sie zutreten. Das ist Ihre Auffassung von der Polizei von morgen.
Herr Minister, ich vertrete hier vielleicht die überpointierte Auffassung, daß Sie eine Remilitarisierung des Bundesgrenzschutzes anstreben.
({28})
Äußerer Beweis: Für 60 Millionen DM zusätzlich werden gepanzerte Transportfahrzeuge beschafft, beim Munitionstitel beschafft der Bundesinnenminister chemisches Gas, das von acht der zehn Länderpolizeien abgelehnt wird,
({29})
bei den Polizeiforschungsmitteln wollen Sie Distanzwaffen erproben lassen, und Ihr neuer Mitarbeiter, Parteifreund W., im BGS schreibt ganz offiziell vom mitdenkenden Gehorsam in gekaderten Verbänden. Herr Minister, wollen Sie die Polizei in dieser Richtung zurückentwickeln? Ich hoffe, nicht.
Was den Umweltschutzbereich angeht, Herr Minister: Außer einer Reihe von großen Ankündigungssprüchen haben Sie tatsächlich außer der Planung noch nichts zustande gebracht.
({30})
- Was ist denn mit der Benzin-Blei-Ankündigung? Sie sagen hier, daß das 1986 beginnen soll, und in Brüssel wird das mit den übrigen Ministern auf 1990 vertagt. Das ist der Fakt.
({31})
Jetzt kommt der nächste Punkt. Wir haben im Bundeshaushalt ein Luftreinhaltungsprogramm, Herr Kollege Miltner. Der sozialliberale Umweltminister Baum hat ein Programm gemacht - er hat Taten gezeigt -, das jährlich mit 94 bzw. 95 Millionen DM ausgestattet ist.
({32})
Was macht der neue Innenminister? Er fährt diese Investitionssummen in diesem Jahr für 1984 auf 55 Millionen DM herunter, und in der Finanzplanung für 1985 stehen nur noch 35 Millionen DM. Warum setzen Sie, Herr Innenminister, dieses Luftreinhaltungsprogramm von Herrn Baum nicht fort.
({33})
- Dies ist doch der Punkt, Herr Kollege Laufs, diese beim Umweltschutz notwendigen Mittel dort wegzunehmen, um gepanzerte Fahrzeuge zu kaufen. Das ist die Wahrheit, die sich aus dem Haushalt ablesen läßt.
({34})
Sie können Herrn Zimmermann verteidigen, wie Sie wollen. Nach einem Jahr bleibt für mich festzustellen: Der Umweltspruchminister Zimmermann im Kabinett ersetzt die Axt beim Waldsterben.
Nun komme ich zum Schluß zur Wiederbesetzungssperre, was ich Ihnen angekündigt hatte. Herr Minister, die Bundesregierung, die sie tragenden Koalitionsparteien werden durchsetzen, daß zum 1. Januar 1984 alle freiwerdenden Stellen beim Bund und bei den angeschlossenen Behörden nicht wieder besetzt werden. Dieses, Herr Minister Stoltenberg, ist im übertragenen Sinn die größte Massenentlassung, die wir je gehabt haben. Dies ist
Arbeitsplatzvernichtung auf Zeit und nichts anderes. Wo Arbeit vorhanden ist, wo der öffentliche Dienst einstellen könnte, sagen Sie: Die Kollegen im öffentlichen Dienst sollen diese Arbeit mit übernehmen, die 20 000 Arbeitslosen, die dafür Arbeit finden könnten, bleiben draußen auf der Straße, und dies alles geschieht unter Überschrift: Die Bundesregierung saniert den Bundeshaushalt.
({35})
- Natürlich tut sie das an dieser Ecke. Die Frage ist nur, Herr Kollege Strube: Ist es gerechtfertigt, Arbeit, die vorhanden ist, für die Geld im Haushalt steht, nicht auf Arbeitslose zu verteilen, dafür Arbeitslosengeld und die übrigen Beträge zu zahlen und zu sagen: Ihr Kollegen Postboten, nun schleppt mal die Post für euren ausgeschiedenen Kollegen mit! Du, Kollege Polizeibeamter, mach deine Streifengänge für den ausgeschiedenen Kollegen mit! Du, Kollege Lokomotivführer, fahr mal eine Sonderschicht!
({36})
- Natürlich gibt es Ausnahmen. Herr Kollege Friedmann, das tut ja auch weh. Sie fordern die Wirtschaft auf, sie möge alle Anstrengungen unternehmen, um Arbeitslose einzustellen. Aber was tun Sie selber?
({37})
Sie machen ein Arbeitslosigkeitsprogramm für sechs Monate im gesamten öffentlichen Dienst. Das ist ein Skandal dieser Bundesregierung.
({38})
- Herr Kollege Friedmann, im Haushaltsbegleitgesetz haben Sie bei Post und Bahn sämtliche Beamtenposten zur Wiederbesetzung für sechs Monate gestrichen!
({39})
Herr Kollege Friedmann, Sie kultivieren mit Ihrer Bundesregierung Arbeitslosigkeit, um Sozialabbau durchsetzen zu können. Das ist Ihre Politik.
({40})
Herr Innenminister, wer solche Etats vorlegt, wer durch Ihre Person solche Etats vertritt, dem können wir sie nicht durchgehen lassen. Wir lehnen sie geschlossen ab.
({41})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gerster ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Haushaltsrecht gehört zu den vornehmsten Rechtsetzungsakten des Parlaments. Aus diesem Grunde war die Haushaltsdebatte auch in der Vergangenheit eine der größten und wichtigsten Debatten in
Gerster ({0})
diesem Hause. Ich glaube nicht, daß die Rede des Kollegen Kühbacher den bisherigen Ansprüchen dieser Debatte über mehr als 30 Jahre entsprochen hat.
({1})
Herr Kollege Kühbacher, vielleicht ist es ein Stück Vergangenheitsbewältigung, was Sie hier betreiben.
({2})
Sie haben ja vor gut einem Jahr, vor der Bundestagswahl, den Herrn Innenminister Zimmermann in einer sehr ehrlichen und offenen Weise gelobt. Ich habe Sie damals wegen der Prügel, die Sie in Ihrer Fraktion bekommen haben, bedauert. Ich muß sagen, Sie sind heute den Ansprüchen Ihrer Fraktion voll gerecht geworden, was nicht heißt, daß Ihre Ausführungen wichtiger zu nehmen wären.
Mich hindert Ihre Rede nicht, allen Kollegen im Haushaltsausschuß, auch den Kollegen der Opposition, heute ein Wort des Dankes zu sagen. Wir haben im Haushaltsausschuß von September bis heute sehr intensiv, durchaus auch streitig, aber doch, wie ich glaube, insgesamt auch sehr konstruktiv zusammengearbeitet. Wir haben unter einem harten Zeitdruck gestanden. Ich möchte insbesondere dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, dem Kollegen Rudi Walther - im Kopf ist mir immer auch noch der Kollege Haase -, und allen anderen Kollegen sehr herzlich danken, den Kollegen Esters, Wieczorek, und wie sie alle heißen. Wir wissen zu schätzen, daß sie sehr kooperativ mitgearbeitet haben. Dafür ein herzliches Wort des Dankes!
({3})
Ich meine, ich sollte diesen Dank auch an die Beamten des Haushaltsausschusses und die Beamten der Ministerien weitergeben. Auch von ihnen wurde ein Übermaß an Leistung gefordert. Sie sind dieser Anforderung gerecht geworden. Ich glaube, daß dafür auch die Kollegen der Opposition einmal Beifall klatschen können; denn wir alle haben von der Mitarbeit dieser Beamten profitiert.
({4})
Ich komme nun zu einigen Vorbemerkungen. ,
Erstens. Herr Kollege Kühbacher, Sie haben in Ihrer Rede hier gegenüber der ganzen Bundesregierung - schon das spricht nicht für eine besondere Differenzierungsgabe - den Vorwurf der Korruption erhoben.
({5})
Speziell haben Sie den Wirtschaftsminister gemeint.
Ich möchte Sie herzlich bitten, folgendes zu überdenken. Nach unserer Rechtsordnung gilt ein Beschuldigter und auch ein Angeklagter aus gutem Grund als schuldlos, und zwar bis zum Zeitpunkt seiner rechtskräftigen Verurteilung. Ich bitte Sie, einen Moment nachzudenken - dazu gab es vor Jahren einmal einen sehr interessanten amerikanischen Film -, was gerade im politischen Geschäft durch Unterstellungen zum Zwecke der politischen Schwächung und Vernichtung - etwa über bestimmte Zeitungen - geschehen kann. Wer weiß, daß hier durch unsachgemäße Vorwürfe Politik gemacht wird, muß, wenn er politisch verantwortlich handeln will, sämtlichen Vorverurteilungen einen Riegel vorschieben.
({6})
Unser parlamentarisches System funktioniert nur, wenn einzelne Abgeordnete nicht durch einseitige, unberechtigte Akte außer Funktion gesetzt werden können. Deswegen gibt es das Prinzip der Immunität und der Indemnität. Wenn es dieses Prinzip gibt, dürfen wir es nicht durch öffentliche Propaganda unterlaufen. Und wenn das alles richtig ist, was ich sage, bitte ich, zu bedenken, ob es nicht angemessen ist, daß Sie heute hier hertreten und klarmachen, daß Sie nicht in den Chor derjenigen einstimmen wollen, die eine unrechtmäßige Vorverurteilung durchführen wollen.
({7})
Ich meine, Sie sollten die Dinge hier durch eine Erklärung, Herr Kühbacher - nicht durch eine Zwischenfrage; da machen Sie es sich zu einfach -, in Ordnung bringen.
Herr Abgeordneter Gerster, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Bitte schön.
Herr Kollege Gerster, ich habe mir das, was ich dazu gesagt habe - wir werden es im Protokoll nachlesen -, sehr wohl überlegt. Ich habe gefragt, ob sich die Bundesregierung wohlfühlt, wenn Zeitschriften von ihr ungescholten behaupten können, ihr hafte der Ruch von Korruption an.
({0})
Herr Kollege Kühbacher, wenn Sie das vorbedacht gesagt haben, ist es noch schlimmer.
({0})
Ich hatte gehofft, daß Sie sich lediglich hätten hinreißen lassen. Ich bleibe dabei: Sie sollten das hier in Ordnung bringen.
Zweite Vorbemerkung, Herr Kollege Kühbacher: Ich meine, Sie sollten auch einmal darüber nachdenken, ob Ihr Einsatz für die Beamten, für den öffentlichen Dienst so sehr glaubwürdig ist. Vielleicht darf ich Sie einmal daran erinnern, daß im Innenausschuß bei der Abstimmung über § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes, womit wir ein Gesetz aus Ihrer Regierungszeit, das einen enteignungsgleichen Eingriff gegenüber Versorgungsempfängern enthält, teilweise rückgängig machen wollten,
Gerster ({1})
ausgerechnet Sie als einziger dagegengestimmt haben.
({2})
Hier fallen Worte und Taten auseinander.
({3})
Im übrigen hat die SPD ohnehin keinen Anlaß, sich in der Besoldungspolitik aufs hohe Roß zu setzen. Denn die seinerzeit von Ihnen geführte Regierung hat 1982 damit begonnen, die bis dahin gleichzeitig vorgenommene Besoldungsanpassung bei Arbeitern, Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst aufzugeben und die Besoldungserhöhung für Beamte erst drei Monate später durchzuführen, was wir zum Teil auch rückgängig gemacht haben, Sie haben mit der Ungleichbehandlung im öffentlichen Dienst begonnen. Wer damit begonnen hat. sitzt im Glashaus und sollte nicht mit Steinen werfen.
({4})
Wenn Sie sich heute zum Fürsprecher der Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst machen: Haben Sie denn wirklich vergessen, daß Sie die Arbeitsmarktabgabe einführen, daß Sie damit speziell auch den öffentlichen Dienst treffen wollten?
({5})
- Ich weiß, daß Sie das sehr nervös macht. - Haben Sie vergessen, wer - Arm in Arm mit der ÖTV, nämlich die SPD - jahrelang Hexenjagd gegen den öffentlichen Dienst betrieben hat?
({6})
- Natürlich! Ich darf in diesem Zusammenhang den früheren Bundesarbeitsminister Ehrenberg zitieren, so zu lesen am 24. Juli 1977 in der „Wilhelmshavener Zeitung". Ich habe dieses Zitat hier schon einmal gebracht. Herr Ehrenberg hat dem bis heute nicht widersprochen, obwohl es im Protokoll des Deutschen Bundestages steht.
({7})
Er sagte damals: „Die Väter des Grundgesetzes müssen bei der Einführung des Berufsbeamtentums geistig umnachtet gewesen sein."
({8})
Meine Damen, meine Herren, das ist die Beamtenfreundlichkeit der SPD, eines früheren Arbeitsministers, den diese Partei gestellt hat.
Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung zu den Ausführungen des Kollegen Kühbacher machen Wir haben, Herr Kollege Kühbacher, bei insgesamt 183 Titeln des Etats des Bundesinnenministers, so wie er im Regierungsentwurf vorgelegt worden ist Änderungen besprochen und gemeinsam beschlossen. Nur an acht Stellen, nur bei acht Titeln gab es zwischen dem Berichterstatter der Koalition - das war ich - und dem Berichterstatter der SPD - das sind Sie - überhaupt Abweichungen - bei acht
Titeln von 183 beratenen bei etwa 500 oder 600 Titeln insgesamt des Innenressorts. In der Schlußabrechnung weicht - bei einem Etat von mehr als 3,5 Milliarden DM - Ihr Mitberichterstattervorschlag von dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen um ganze 10 000 DM ab. Dann kommen Sie hierher und glauben der Regierung und den Koalitionsfraktionen vorwerfen zu können, sie wollten politisch - finanzpolitisch und damit sachpolitisch - eine ganz andere Welt. Herr Kollege Kühbacher, Sie haben hier ein bißchen zu weit Anlauf genommen und sind weiß Gott zu kurz gesprungen.
({9})
Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: Muß die weitgehende Übereinstimmung in finanziellen Fragen beim Etat des Innenministers denn nicht Beleg dafür sein, daß wir auch weitgehend in sachpolitischen Fragen einig sind? Da bin ich bei der Rede des innenpolitischen Sprechers der SPD vor etwas mehr als einem Jahr, am 14. Oktober 1982. Er kündigte damals in Richtung Innenminister Zimmermann an: Erstens, er habe Zweifel an der verfassungsrechtlichen Durchsetzbarkeit der versprochenen vorgezogenen Neuwahl; zweitens, das Ende jedweder Innenpolitik unter Zimmermann werde kommen, es würde nichts geschehen, und drittens, das Ende der inneren Liberalität unseres Staates drohe wegen Zimmermann.
({10})
Von diesen drei Anwürfen hat sich nichts bestätigt, ist nichts übriggeblieben. - Meine Damen, meine Herren, wenn ich Beifall von den GRÜNEN und Roten sehe: Ich rate Ihnen dringend, über die innere Liberalität nachzudenken. Gerade die GRÜNEN haben keinerlei Veranlassung, aufzumucken. Wer - wie Sie - das imperative Mandat praktiziert, wer Abgeordnete, die frei gewählt sind, unmittelbar nach einer Wahl zwingt, das Mandat niederzulegen,
({11})
der sollte besser nicht von innerer Liberalität reden.
({12})
Meine Damen, meine Herren, erinnern Sie sich - ({13})
- Ich verstehe Ihren Zwischenruf leider nicht.
({14})
- Nein, nein, ich gehe gerne darauf ein. Herr Schily, Sie sollten nicht von innerer Liberalität reden. Sie sind eine Fraktion, die frei gewählte Abgeordnete - ich sage es noch einmal - zwingt, ihr Mandat niederzulegen, wohl unter dem Stichwort „Basisdemokratie". Leute an irgendwelchen Stellen beschließen, was Sie hier abzustimmen haben.
({15})
Gerster ({16})
Sie sind doch die Hampelmänner Ihrer Basis. Sie sind doch nicht freie Abgeordnete. Sie sind Vollzugsorgane.
({17})
- Lesen Sie das Protokoll vom 20. November nach.
({18})
- Ich nehme den Ausdruck nicht zurück. Lesen Sie in Ihrem Fraktions-Protokoll vom 20. November nach, wie Sie miteinander umgehen, wie Sie hier im Hause umgehen wollen, wie Sie eine doppelte Strategie führen, wie wir es in diesem Jahrhundert leider Gottes schon einmal bei einer Partei in Deutschland hatten,
({19})
wo man versuchte, den Kampf im Parlament als Fraktion zu führen und dieselben Leute glaubten, bei Mehrheitsentscheidungen des Parlaments über die Straße Druck ausüben zu können. Sie sprechen von innerer Liberalität gegenüber einem Parlament, das nur unter Polizeischutz frei beraten konnte. Sie wollten vor einer Woche die Beratungen dieses Bundestags unter Druck setzen. Ich muß Ihnen sagen: Ich schäme mich, weil ich aus den 30 Jahren der Geschichte der Republik keinen Fall kenne, wo die frei gewählten Abgeordneten des Bundestages nur durch Kontrollen in den Bundestag hineinkonnten und dem Druck der Straße ausgesetzt werden sollten. Sie sollten das erst einmal seinlassen und danach über Liberalität in diesem Lande reden, meine Damen, meine Herren von den GRÜNEN.
({20})
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich, nachdem ich das in aller Deutlichkeit gesagt habe, zu dem Thema der Beratungen dieser vier Tage kommen. Ihre Nervosität ist doch darauf zurückzuführen
({21})
- Herr Kollege Kühbacher, aufgeregter als Sie hier konnte man kaum reden -,
({22})
daß die Menschen in diesem Lande zunehmend spüren, daß die Talfahrt dieses Landes beendet ist, daß es wieder aufwärts geht.
({23})
Von der Bundesbank über die fünf Weisen bis hin zu sämtlichen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten belegen uns alle - was wir auch an Zahlen erkennen können -, daß sämtliche Rahmendaten der Wirtschafts- und Finanzpolitik nach oben weisen. Lassen Sie mich hier vier Beispiele nennen.
Erstens. Der Schrumpfungsprozeß unserer Wirtschaft ist gestoppt. Wir haben in diesem Jahr wieder Wirtschaftswachstum und werden im nächsten Jahr ein noch stärkeres Wirtschaftswachstum haben.
Zweitens. Vor einem Jahr betrug die Preissteigerungsrate noch 5,6 %. Wir haben sie heute mehr als halbiert. Wir liegen bei 2,5 %. Dies bedeutet, daß die Mark heute stabiler ist als die letzten fünf Jahre.
({24})
Drittens. Bis in dieses Frühjahr rasten wir in eine immer höhere Massenarbeitslosigkeit hinein. Heute bestätigen uns alle Sachverständigen bis hin zur Bundesanstalt für Arbeit, daß wir eine Trendwende feststellen können, daß zwar in diesem Winter aus saisonalen Gründen die Arbeitslosigkeit noch einmal zunimmt, daß aber auf Grund konjunktureller Daten mit einer Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen im nächsten Jahr zu rechnen ist.
Ein vierter Punkt. Unter einer SPD-Regierung, so sie heute noch bestehen würde, hätte nach den realistischen Zahlen des Jahres 1982 die Neuverschuldung in diesem Jahr 56 Milliarden DM betragen,
({25})
und im nächsten Jahr wären es weit über 60 Milliarden DM gewesen.
({26})
Sehen Sie, meine Damen, meine Herren, in nur einem Jahr wurde unter dieser Bundesregierung mit Hilfe der Beschlüsse in den Haushaltsberatungen des Parlaments das Jahresdefizit im nächsten Jahr auf 33,6 Milliarden DM reduziert. Das ist weniger als die Hälfte der Neuverschuldung, die wir im nächsten Jahr zu verspüren hätten, wenn Sie noch an der Regierung wären.
({27})
Meine Damen, meine Herren, auch das sollten Sie sehen: wir werden im nächsten Jahr
({28})
- da können Sie so laut schreien, wie Sie wollen - erstmals seit Jahren wieder das Verfassungsgebot des Art. 115 des Grundgesetzes beachten können, daß nicht mehr Schulden gemacht werden,
({29})
als der Bund selbst oder durch nachgeordnete Behörden investieren kann.
({30})
Hier möchte ich dem Bundesfinanzminister und seinen Beamten ausdrücklich danken. Ihre Angriffe, meine Damen, meine Herren, Ihre Angriffe auf Herrn Stoltenberg beruhen j a nicht auf mangelnder Leistung, sondern darauf, daß er Ihrer Meinung nach zu gut ist. Wir sollten ihm heute für seine
Gerster ({31})
großartige Leistung im letzten Jahr ein herzliches Dankeschön sagen.
({32})
Herr Abgeordneter Gerster, erlauben Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Wieczorek ({0})?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege, sind Sie bereit zuzugeben, daß der Ansatz nach Art. 115 durch den Bundesfinanzminister nur unterschritten wurde, weil er die BAföG-Ansätze als Investitionen gerechnet hat?
({0})
Nein. ({0})
Meine Damen, meine Herren, die Menschen in diesem Lande schöpfen wieder Hoffnung.
({1})
Täuschen Sie sich nicht, wir müssen zwar vielen Deutschen in vielen Bereichen Opfer abverlangen.
({2})
Aber je mehr dieser Beitrag zur Stabilisierung unserer Wirtschaft erkennbar wird, um so mehr werden die Menschen mit neuer Hoffnung auch den Kurs dieser Regierung unterstützen. Hoffnungslos können die Kollegen der SPD und der GRÜNEN sein, weil sie ihre Felle davonschwimmen sehen.
({3})
Der Bundesinnenminister leistet einen erheblichen Beitrag zur Sanierung der öffentlichen Finanzen, auch im nächsten Jahr.
({4})
Ich darf hier einmal die Zahlen festhalten. Der Gesamtetat wächst nur um 1,6 %. Der Etat des Innenministers wächst nach den Ergebnissen der Beratungen des Haushaltsausschusses nur um 0,1%.
({5})
Wenn man wichtige Kostensteigerungen in Teilbereichen beachtet, bedeutet dies sogar einen Rückgang des Finanzvolumens des Innenministeriums.
({6})
- Herr Kollege Kühbacher, Sie sollten, wenn Sie den Umweltschutz nennen, sehr vorsichtig sein, weil Sie ja Kenner der Materie sind.
Lassen Sie mich sagen, daß bei einem sehr geringen Finanzvolumen dennoch klare politische Prioritäten gesetzt wurden. Hier kommen Sie auch mit Ihren Vorurteilen, mit Ihren Vorbehalten, mit Ihren Unterstellungen gegen diesen Innenminister mit dem Motto „Polizeiminister und sonst nichts" nicht weiter. Die Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache. So steigen bei einer Zunahme um 0,1 % des Innenetats die Bundesmittel für den Sport um 9,9 %,
({7})
in der Kulturpolitik - ich werde die Begründung nachliefern - um 6,1 %,
({8})
beim Umweltschutz um 5,4 %, und der Ansatz für die Vertriebenen und Flüchtlinge steigt um 4,6%.
Ich gestehe Ihnen zu: Natürlich steigen die Förderungsmittel für den Sport im nächsten Jahr wegen der Olympischen Spiele.
({9})
Aber es ist keine Selbstverständlichkeit, daß in Zeiten, in denen wir weite Bereiche zum Sparen und Kürzen anhalten müssen, für den Sport immerhin rund plus 10 % zur Verfügung stehen. Ich halte das für ein hervorragendes Ergebnis dieser Haushaltsberatungen.
({10})
Wir erhöhen auch die Mittel für die Kulturpolitik, und zwar aus dem Gedanken heraus, daß unsere Kultur - hier meine ich Sprache, Dichtung, Musik, bildende Kunst, Theater und Film - einen entscheidenden Faktor für das geistige Leben unseres Volkes darstellt.
({11})
Sehr oft haben gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kulturelle Blütezeiten festgestellt werden können.
({12})
Die Qualität eines Volkes, einer Gesellschaft mißt sich eben nicht nur an wirtschaftlichen oder gar militärischen Leistungen, sondern auch nach ihrem Beitrag zur menschlichen Kulturentwicklung.
({13})
Deswegen haben wir den Innenminister sehr bewußt dabei unterstützt, gerade auch in Zeiten knappen Geldes die Mittel für die Kulturförderung zu erhöhen.
Lassen Sie mich zum Umweltschutz kommen. Die Ausgaben für den Umweltschutz steigen mehr als dreimal so stark wie der Gesamthaushalt, ganz zu schweigen von den dargestellten Nichtsteigerungsraten des Innenministeriums. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist für unsere Fraktion eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart und auf lange Sicht auch der Zukunft.
({14})
Dies ist eben nicht nur ein programmatisches Bekenntnis. Vielmehr hat dieser Innenminister, auch wenn das Ihren Vorurteilen wiederum nicht entspricht, durch Taten und Leistungen in der ganz praktischen Regierungsarbeit gezeigt, wie ernst
Gerster ({15})
dieser Bundesregierung der Schutz der Umwelt ist. Ich möchte Herrn Bundesinnenminister Zimmermann ausdrücklich danken, daß er etwa bei der Novelle der TA Luft, bei der GroßfeuerungsanlagenVerordnung, in der Frage der Absenkung der KfzEmissionen nicht nur geredet, sondern gehandelt hat.
({16})
Es mag sein, daß das in der einen oder anderen Frage auf Dauer noch nicht genug ist und man noch einiges tun muß. Aber ich habe 1978 von diesem Podium aus - lesen Sie es nach - die frühere Regierung aufgefordert, endlich etwas in Sachen Luftreinhaltung zu tun. Der Unterschied der früheren Regierung zur heutigen Regierung ist, daß Sie zur fernen Zukunft große Sprüche gemacht haben, während wir mit konkreten Schritten anfangen, wirklich zu handeln.
({17})
Lassen Sie mich - ich gehe davon aus, daß der Innenminister selbst zu den weiteren Planungen Stellung nimmt;
({18})
ich will mir das im einzelnen ersparen - ganz klar sagen: Meine Fraktion wird die notwendigen Mittel zur Erhaltung unserer Umwelt auch bereitstellen. Aber auch hier gilt, daß wir nicht blind Mittel bewirtschaften. Auch beim Umweltschutz gelten die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung der Steuermittel. Wenn die GRÜNEN hier den Antrag stellen, 260 Millionen DM mehr für den Umweltschutz auszugeben, dann muß ich an dieser Stelle schon sagen: Wir könnten da mitmachen
({19})
- j a, Herr Schily, man muß sich erst etwas sachkundig machen, bevor man klatscht -, wenn nicht diese Mittel etwa für den Bereich der Forschung aufgewendet werden sollten, wo die Mittel mangels Personal gar nicht ausgegeben werden können, oder sie für Altanlagen ausgegeben werden sollten, wo sie mangels Industrieinvestitionen überhaupt nicht abfließen können. Wir sollten es halten mit Monika Zimmermann, die gerade am Wochenende in der FAZ geschrieben hat:
Für einen nachhaltig wirksamen Umweltschutz und eine Umweltpolitik, die sieht- und meßbare Ergebnisse zeitigt, ist mit aufgeregter Eile und hektischer Beseitigung größter Versäumnisse nichts gewonnen. Dazu braucht es Besonnenheit und einen langen Atem. Bleibt also zu hoffen, daß uns die Luft nicht ausgeht.
Uns wird die Luft nicht ausgehen.
({20})
Wir haben für das nächste Jahr eingestellt, was abfließen kann. Wir werden auch für die Folgejahre einstellen, was abfließen kann, halten aber nichts von populistischen, von populär klingenden Luftnummern, wie sie von den GRÜNEN veranstaltet wurden, die ohne jede reale Basis und von Sachkenntnis nicht gerade getrübt waren. Herr Kollege Duve, der Sie so aufgeregt umherschreien, auch Ihnen empfehle ich: Kommen Sie doch einmal in den Haushaltsausschuß, damit Sie ein bißchen über das lernen, was wir heute hier beraten.
Lassen Sie mich zum vierten Punkt kommen: zu den Ausgaben für Vertriebene und Flüchtlinge in diesem Haushalt. Die Erhöhung der Haushaltsmittel im Vertriebenenbereich soll vor allen Dingen die Möglichkeit offenhalten, daß Deutsche aus Mittel-und Osteuropa, insbesondere aus Rumänien, zu uns übersiedeln können. Damit wird einem Gebot der Humanität und Menschlichkeit Rechnung getragen. Wir dürfen und können unsere Grenzen nicht dichtmachen, sondern halten die Tore offen, damit Deutsche aus dem Osten kommen können und ihnen hier wirklich geholfen werden kann.
Ein zweiter Schwerpunkt dieser Ausgaben dient dem Minderheitenschutz in unserem Lande. Wie Sie wissen, haben wir eine Reihe von Volksgruppen in der Bundesrepublik Deutschland; ich nenne beispielshalber die Ungarn, die Letten, die Litauer. Es war für uns eine Selbstverständlichkeit, daß der Minderheitenschutz, ausgewiesen auch durch die entsprechenden Finanzmittel, in unserem Land eine ganz besondere Priorität genießen muß. Aus diesem Grund sind die Mittel für Vertriebene und Flüchtlinge in diesem hohen Maße zu steigern gewesen.
Sport, Kultur, Umweltschutz, humanitäre Maßnahmen sind die haushaltsmäßigen Schwerpunkte des Innenressorts für 1984. Dafür stehen entsprechende Erhöhungen der Haushaltsmittel. Und diese Mittel stehen für die Schwerpunkte dieser Regierung in der Innenpolitik. Sie erkennen an diesen Zahlen, daß die billige Kurzformel, Zimmermann stehe für mehr Sicherheit, für mehr Polizei, für mehr Sicherheitskräfte, aber z. B. gegen Umweltschutz, durch Taten, sprich Zahlen, widerlegt ist. Sie sollten endlich aufhören, hier mit Vorurteilen zu arbeiten, sondern sollten sich mit diesen Daten offen auseinandersetzen.
({21})
Weitere Schwerpunkte der Innenpolitik der nächsten Jahre werden im Bereich des öffentlichen Dienstes, in der Ausländerpolitik und in der inneren Sicherheit liegen. Ich gehe davon aus, daß auch diese Punkte nach einer Arbeitsteilung, die wir miteinander getroffen haben, im einzelnen in dieser Debatte noch angesprochen werden. Ich kann mich deswegen mit diesem allgemeinen Hinweis begnügen.
Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten den Etat des Bundesinnenministers sehr gründlich und sehr aufmerksam durchforstet. Wir haben dort gespart, wo zu sparen war. Wir haben aber da die Mittel bereitgestellt, wo bestimmte Prioritäten zu setzen waren. Ich danke auch in diesem Zusammenhang den Kollegen von der SPD, die in den Beratungen des Haushaltsausschusses eine ganz andere Rolle als ihr Sprecher heute in der Haushaltsdebatte gespielt haben.
Gerster ({22})
Lassen Sie mich mit einem Zitat schließen, das Mahnung für uns alle für die Haushaltsberatungen und den Haushaltsvollzug der nächsten Jahre sein sollte, das aber mit Sicherheit nicht in jeder Einzelfrage den Beifall aller finden mag. Ich möchte es Ihnen, ohne mich mit der letzten Einzelformulierung zu identifizieren, als eigenen Maßstab, als eigene Richtschnur vortragen. Das Zitat lautet:
Der Staatshaushalt muß ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert, die Arroganz der Behörden muß gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen reduziert werden, wenn der Staat nicht bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben.
Dieses Zitat stammt von Marcus Tullius Cicero, 55 v. Chr.
Es birgt eine Menge Wahrheit in sich, die wir beherzigen sollten - auch hinein in die 80er und 90er Jahre.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke ({0}).
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Friedrich Zimmermann, dessen Etat hier und heute zur Beratung ansteht, hat sich über die politischen Vorhaben, die ihn bewegen, verschiedentlich überdeutlich geäußert. Das dabei durchgängig zum Ausdruck kommende Autoritätsdenken dürfte kaum geeignet sein, der Verpflichtung Rechnung zu tragen, die ihm als Hüter der Verfassung obliegt.
Man muß sich einmal in aller Deutlichkeit vor Augen halten, was es eigentlich heißt, wenn er verkündet, daß sich die gefährlichsten Verfassungsgegner als die nachdrücklichsten Verfechter des demokratischen Prinzips ausgeben. Dies bedeutet doch
wohl nichts anderes, denen den Stempel der Verfassungsfeindlichkeit aufzudrücken, die sich mit keinem geringeren Recht als der Innenminister Gedanken über die Art und Weise menschlichen Zusammenlebens machen, die mit Vorschlägen an die Öffentlichkeit treten, wie Freiheitsrechte verwirklicht und bewahrt werden können.
Als Verfassungsminister, so erklärten Sie in einer Rede zur Amtseinführung des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, sei es Ihre Pflicht, Freiheits- und Demokratieverständnis zu fördern.
({0})
Was Sie da zu fördern suchen, paßt wohl eher in die Zeit der Karlsbader Beschlüsse, als in eine Zeit, in der die Verfassung, der Sie sich verpflichtet glauben, den Bürger mit starken Aktivrechten und insbesondere mit starken Abwehrrechten gegen staatliches Handeln und staatliche Bevormundung ausgestattet hat. Sie versuchen, die erweiterte Strafbarkeit des Landfriedensbruchs wieder auf die Justizbühnen zu bringen. Die beabsichtigte Novellierung, von den Freien Demokraten mitgetragen, wird zahlreiche Bürger zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradieren, wird einen wesentlichen Reformansatz der 70er Jahre zurückschrauben.
({1})
Wenn der Innenminister im Innenausschuß behauptet, daß ein Vermummungsverbot zum Zwecke des Schutzes der Demonstrationsfreiheit unentbehrlich sei, dann kann man nur ahnen, daß hier die Logik wütet, die aus der Anklage gegen den Wirtschaftsminister einen mordkomplottähnlichen Anschlag konstruiert. Das schlimme Wort, daß derjenige kein normaler Bürger sei, der sich auf Aufforderung eines polizeilichen Einsatzleiters nicht entfernt, korrespondiert bruchlos mit den Bestrebungen, die Polizei und den Bundesgrenzschutz aufzurüsten. Mit Gas und Gummigeschossen soll offensichtlich dem letzten anomalen Bürger der Weg nach Hause gezeigt werden.
Die zunehmenden Fälle des präventiven polizeilichen Notwehrschusses weisen deutlich darauf hin, daß unter anderem durch solche Überlegungen Feindbilder aufgebaut und entsprechend Hemmschwellen vermindert werden. Die innere Sicherheit ist auch in den Fällen nachhaltig beeinträchtigt, wenn Exekutivorgane in so gravierender Weise handeln. Dies ist das Problem nicht nur der Länder oder der Gerichte, sondern auch der Innenpolitik, die sich an der Expansion der Exekutivrechte derzeit maßgeblich beteiligt. Es ist nicht einzusehen, warum das Leben eines 16jährigen Schülers oder Lehrlings so ungleich weniger gelten soll als das eines Politikers oder Bankiers.
Die Ursache allen Übels hat der Innenminister herausgefunden: Bei den Deutschen sei eine allgemeine Trübung des Rechtsbewußtseins eingetreten.
({2})
Dieser Eindruck drängt sich dieser Tage in der Tat für viele Bundesbürger auf, wenn scheibchenweise das unglaubliche Finanzgeschiebe um Flick und Konsorten aufgedeckt wird und nicht nur ein Hauch, sondern ein ganzer Mief von Korruption die Bundesregierung umweht.
({3})
Verstärkt wird dieser miese Eindruck noch durch die Art und Weise, wie hier die Parteienfinanzierung durchgezogen wurde. Aber da wird dann von gefestigter Rechtsordnung geredet, von innerer Stabilität und die Fragestellung über mögliche rechtsstaatliche Defizite mit der Schuldzuweisung beantwortet, daß derjenige, der von Überwachungsstaat und Gesinnungsschnüffelei redet, dem Lande Schaden zufüge.
({4})
Es ist schon eine bestürzende Logik, wenn die Einführung des maschinenlesbaren Personalausweises mit beschleunigter Abfertigung im Rahmen
Dr. Ehmke ({5})
polizeilicher Kontrollen begründet wird. Der sich selbst über den neuen Ausweis wartungsfrei kontrollierende Bürger mag zwar für die Verwaltung etwas Erstrebenswertes sein; wir jedenfalls werden alles tun, um dieses Überwachungsinstrument zu verhindern.
({6})
Wir stehen zwar gegen die traurige Tradition in diesem Land, daß bisher für die verbesserten Möglichkeiten der Fahndungskontrolle immer Mehrheiten gefunden werden konnten, daß der Sicherheitsgewinn immer höher zu Buche schlug als Bürgerrechte. Aber die Bewegung um den Volkszählungsboykott zeigt, daß dies nicht unabänderlich sein muß.
Hervorzuheben ist auch die Vertreibungspolitik, die Sie den ausländischen Mitbürgern angedeihen lassen. Es ist politisch und für Sie wohl auch moralisch kein Problem, Tausende von Menschen, die für den Wohlstand dieses Landes gearbeitet haben, wie Dreck vor die Türe zu kehren. Die Verläßlichkeit der Politik, die auf der Regierungsbank so oft beschworen wird, hat auch für diejenigen zu gelten, die in das Land geholt wurden, um hier zu leben und zu arbeiten.
({7})
Der Umstand, daß sie keine politische Stimme, kein Gewicht haben, macht sie noch lange nicht zu willkürlich verschiebbaren modernen Wandersklaven.
Ich möchte nicht versäumen, an dieser Stelle nochmals daran zu erinnern, welch trübe Rolle Sie in dem Fall Kemal Altun gespielt haben. Die zielgerichtete Kälte, die Sie mit Ihrer Intervention an den Tag gelegt haben, ist symptomatisch für die derzeitige Innenpolitik.
Meine Damen und Herren, in den vergangenen Monaten haben wir uns mit dem Finanzhaushalt 1984 beschäftigt. Es droht bei den Zahlenschlachten in den dicken Haushaltswälzern in Vergessenheit zu geraten, daß es daneben noch einen anderen Haushalt gibt, von dem unsere Existenz auf dieser Erde und auch unser Wohlergehen sehr viel stärker abhängen, grundlegender abhängen als von finanziellen Dingen. Ich meine damit den Haushalt der Natur. Das Wort „Ökologie" bedeutet j a Lehre vom Naturhaushalt. Der Mensch braucht nun mal vor allem saubere Luft zum Atmen, sauberes Wasser zum Trinken, saubere und genügend Nahrung sowie eine ihm zusagende Umgebung und Landschaft beim Wohnen, Arbeiten und Erholen. Darüber hinaus hat er eine ethische Verantwortung gegenüber seinen Mitlebewesen, den Pflanzen und Tieren
({8})
und gegenüber nachkommenden Menschengenerationen in bezug auf die Nutzung der Naturgüter und Rohstoffe, die die Grundlage unserer Wirtschaft bilden. Daraus ergibt sich nun im Rahmen unserer Haushaltsdebatte die zentrale Frage, ob der uns vorgelegte Entwurf eines Haushaltsplans für 1984 und die in ihm erkennbaren Grundzüge der Regierungspolitik den Abhängigkeiten zwischen Finanzhaushalt und Naturhaushalt im Sinne einer umfassenden Umweltvorsorge gerecht werden. Wie umweltverträglich ist also der Haushalt 1984?
Wenn man sich zunächst die Zahlen vornimmt und die Entwürfe aufmerksam durchsieht, müssen einem Ökologen gravierende Mängel auffallen. Allein das vorgesehene Gesamtvolumen für sogenannte Maßnahmen mit umweltverbessernder Wirkung - die in Wirklichkeit zum Teil gar keine umweltverbessernde Wirkung haben - und dessen zeitliche Entwicklung sprechen Bände über den wahren Stellenwert, den die Bundesregierung dem Umweltschutz zubilligt.
Ich kann auch nicht ganz dem Zahlenspiel des Kollegen Gerster folgen, der von einem Zuwachs bei den Umweltinvestitionen um 5 % gesprochen hat. Wenn man die einzelnen Kapitel des Einzelplans 06 durchsieht, kommt man auf eine Summe von 300 Millionen DM weniger im Jahr 1984 als 1983.
({9})
- Wir können uns gerne noch einmal darüber unterhalten. Wir sind dazu gekommen, daß nur klägliche 0,6 % der Gesamtausgaben des Bundeshaushalts, also 1,64 Milliarden DM, für den Umweltbereich ausgegeben werden, 300 Millionen DM weniger als 1983. Für die Atomforschung und Atomenergie wollen Sie mehr als 3,6 Milliarden DM ausgeben, also mehr als das Doppelte wie für Umweltschutz.
({10})
Bezogen auf die bisherigen Bundeshaushalte, ist das nicht einmal ein Weiterwurschteln im alten Rahmen. Man darf also mit vollem Recht für den Umweltbereich behaupten, daß Sie schon rein zahlenmäßig Ihre Versprechungen in der Regierungserklärung vom 4. Mai nicht gehalten haben.
({11})
In diesem Zusammenhang war es auch sehr aufschlußreich, wie die Haushaltsberatungen im Innenausschuß abliefen und wie sich die etablierten Parteien dort verhalten haben, wenn es darum ging, nicht nur vom Umweltschutz zu reden, sondern ihn über den Haushalt auch in handfeste Politik umzusetzen. Dafür nur ein Beispiel: Wir hatten gefordert, daß bei sämtlichen Neu- und Ersatzbeschaffungen von Kraftfahrzeugen im Einzelplan 06 zusätzliche Mittel für die technische Umstellung auf bleifreies Benzin oder Autogas vorgesehen würden. Ich glaube, die grundsätzliche Notwendigkeit dieser Maßnahme ist auch hier unumstritten, gerade auch im Hinblick auf die Vorreiterrolle des Staates.
Was passierte nun im Innenausschuß mit unseren Anträgen? Trotz unserer fundierten Argumente wurden sie wegen angeblicher technischer Probleme an den Motoren und wegen angeblicher Lieferschwierigkeiten für bleifreies Benzin abgelehnt. Ich frage mich: Soll bei bundeseigenen Fahrzeugen
Dr. Ehmke ({12})
unmöglich sein, was bei landeseigenen oder kommunalen Fahrzeugen an manchen Stellen schon Wirklichkeit geworden ist? Denken Sie etwa an die Initiative der Landesregierung von Baden-Württemberg, wo bereits mit der Umrüstung der Kraftfahrzeuge begonnen wurde. Sie werden doch nicht Ihren Parteifreund Lothar Späth als grünen Spinner bezeichnen wollen.
Herr Kollege Schäfer, ich muß mich jetzt einmal kurz an Sie wenden: Die SPD-Landtagsfraktion in Stuttgart will sogar noch weitergehen und hat ein scharfes Umrüstungsprogramm für Kraftfahrzeuge ab 1984 gefordert. Die SPD-Regierung in Hessen hat bereits in Friedberg, Frankfurt und Darmstadt Tankstellen mit bleifreiem Benzin einrichten lassen. Solche in Wiesbaden, Gießen und Kassel werden in Kürze folgen.
Die bisherigen Erfahrungen mit landeseigenen Fahrzeugen sind, entgegen Ihren Behauptungen im Innenausschuß, durchweg positiv. Ich frage mich - und mit mir fragen sich zahlreiche Mitbürgerinnen und Mitbürger -, warum die etablierten Parteien in den Ländern hü schreien und im Bundestag unsere fundierten Anträge niederbügeln. Aber wir haben es schon ein paarmal erlebt: Nicht der Antrag ist falsch, sondern der Antragsteller.
({13})
Wahrscheinlich wird jemand von Ihnen in einem Vierteljahr den gleichen Antrag noch einmal stellen und sich damit an die Spitze der Umweltbewegung setzen wollen. - Meine Damen und Herren, ich könnte Ihnen noch weitere Erlebnisse ähnlicher Art aus dem Innenausschuß auftischen
({14})
- zum Beispiel das, was der Kollege Gerster mit dieser Persiflage auf die „Luftnummer" hier zitiert hat. Das hat im Innenausschuß doch ganz anders ausgesehen. Ich muß mir das aber jetzt aus zeitlichen Gründen versagen.
Jedoch scheint mir eine Erkenntnis aus den Haushaltsberatungen so wichtig zu sein, daß ich sie hier noch einmal allen Umweltbewegten in unserem Lande deutlich vor Augen führen möchte. Unsere fundierten Vorschläge für wirksamere Umweltmaßnahmen scheitern nicht etwa daran, daß sie technisch oder finanzpolitisch nicht durchführbar wären, sondern einfach daran, daß bei den etablierten Parteien der politische Wille zur Durchsetzung wirksamer Maßnahmen viel zu schwach entwickelt ist.
({15})
- Der Wald stirbt offensichtlich immer noch nicht schnell genug, Herr Kollege Friedmann.
Die Umweltpolitik der Bundesregierung wird uns auch im Jahre 1984 tiefer in die Umweltmisere führen. Diese Struktur der umweltrelevanten Ausgaben mit den Schwerpunkten Kläranlagen, Müllbeseitigung, Flurbereinigung, Lärmschutz und Luftreinhaltung zeigt uns, daß Sie Umweltschutz immer noch als „Reparaturbetrieb" oder „Pannenhilfe" für die nun mal leider unvermeidlichen Folgen eines möglichst großen Wirtschaftswachstums mißverstehen. Ich habe diese unzulässige Einschränkung schon anläßlich der Debatte über die Regierungserklärung am 4. Mai kritisiert.
Da hilft auch nicht der Entschließungsantrag der Koalition zu unserer Verantwortung für die Umwelt, der wohl hauptsächlich deshalb im Innenausschuß durchgepowert wurde, um bei dieser Haushaltsdebatte einen guten Umweltschein zu erwekken. Sie hatten es mit Ihrem Antrag so eilig, daß Sie nicht einmal die Auswertung wichtiger Gespräche und Anhörungen abwarten wollten. Ich frage mich, wozu wir eine zweitägige Anhörung zum Thema Waldsterben mit zahlreichen Fachleuten durchgeführt haben, wenn Sie deren Ergebnisse nicht in Ihren Antrag übernehmen. Wahrscheinlich paßten die Ergebnisse nicht in Ihre Ideologie des betriebswirtschaftlichen Vorrangs. Ich frage mich, warum Sie nicht die Ergebnisse der Japan-Reise des Innenausschusses abwarten wollen.
({16})
Sie verdrängen doch nur die Erkenntnis, daß die angeblich utopischen Forderungen der GRÜNEN in anderen Industrienationen schon längst verwirklicht sind, ohne daß die Wirtschaft dort am Hungertuch nagt.
Das häufigste Wort in Ihrem Antrag ist „prüfen". Sie bitten die Bundesregierung, dies zu prüfen und jenes zu prüfen, bevor etwas geschehen soll. Sie wollen nicht einsehen, daß der Stand von Wissenschaft und Technik wesentlich konkretere Aufträge an die Bundesregierung erlauben würde als bloßes Prüfen. Wir werden uns mit Ihrem Umwelt-Antrag hoffentlich noch beschäftigen. Eines ist aber jetzt schon klar: Mit allgemeinen Prüfaufträgen werden wir der zunehmenden Umweltmisere nicht Herr.
Unsere Anträge zur Bekämpfung der Luftverschmutzung werden angesichts der galoppierenden Schwindsucht in unseren Wäldern immer aktueller. Nur mit sofort wirkenden Notmaßnahmen wie der Stillegung einiger besonders dreckiger Kraftwerke und einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Straßen haben wir eine gewisse kleine Chance, den Wald zu entlasten, bis andere, mittelfristige Maßnahmen greifen. Deshalb nicht immer nur prüfen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag,
({17})
sondern nach dem heutigen Wissensstand handeln. Das hätte die Devise Ihres Antrages sein müssen.
In diesen Zusammenhang, meine Damen und Herren, muß ich noch ein weiteres Problem einbringen: Viele Umweltschäden wie das Waldsterben oder die Bodenvergiftung tauchen im Finanzhaushalt entweder gar nicht oder nur allmählich oder indirekt auf, z. B. durch Ertragsausfälle bei der Land- und Forstwirtschaft, durch höhere Kosten bei Trinkwasseraufbereitung und Erosionsverhütung. Dagegen sind die Kosten, die den öffentlichen Händen bzw. der Privatwirtschaft durch Umweltschutzauflagen entstehen, relativ leicht quantifizierbar.
Dr. Ehmke ({18})
Dies führt zu der einäugigen Betrachtungsweise, der sich auch die Regierung oft befleißigt, daß ein konsequenter Umweltschutz die Wirtschaft zu sehr belaste, ihre Konkurrenzkraft schwäche, dadurch Arbeitsplätze gefährde usw. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Die Wirtschaftsforschung der vergangenen Jahre zeigt, daß durch Umweltauflagen hervorgerufene Investitionen einen hohen Beschäftigungseffekt hatten. Umfragen in allen Wirtschaftsbranchen zeigten, daß Umweltauflagen nur in wenigen Fällen Anlaß für Konkurse oder Betriebsverlagerungen ins Ausland gaben. Man kann deshalb mit Fug und Recht behaupten, daß eine auflagenorientierte Umweltpolitik auch zur Konsolidierung der Staatsfinanzen erheblich beiträgt.
Ich kann also im Sinne der vorhin gestellten Frage zusammenfassen, daß sowohl die Umweltpolitik der Regierung als auch der uns vorliegende Haushaltsplanentwurf die Erfordernisse einer umfassenden Umweltvorsorge nur ungenügend widerspiegeln. Das Problem Ihrer Haushaltspolitik ist, auf einen groben Nenner gebracht, daß der Haushalt nicht konsolidiert werden kann, aber Unsummen für Sozialabbau und Umweltzerstörung enthält, die seine Konsolidierungsfähigkeit dann noch drastischer verringern.
Meine Damen und Herren, wie kommt man aus diesem Teufelskreis heraus? Es geht kein Weg daran vorbei: Wir müssen das Tabu brechen. Wir brauchen eine neue Politik, die sowohl haushaltsals auch umweltstabilisierend wirkt und den Sozialabbau, insbesondere die Arbeitslosigkeit, vermindert.
({19})
Aus diesem Grunde fordern wir ein soziales und ökologisches Sofortprogramm in Höhe von 28 Milliarden DM.
({20})
- Sie haben Anträge vorliegen, zu denen wir Ihre Zustimmung erbitten. Ich bitte Sie, sich das einmal aufmerksam durchzulesen. Es soll im Teil für Sofortmaßnahmen gegen das Waldsterben und andere ökologische Notstände u. a. enthalten: Zuschüsse für Pilotanlagen zur Entschwefelung und Entstikkung bei Altanlagen, Zuschüsse für die Isolierung von Altbauten, für den Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen in den Verdichtungsräumen, Errichtung eines Bodenschutzkatasters, Ausbau der Gewässerüberwachung und anderes mehr.
Andererseits müssen wir in einem solchen Programm Haushaltsmittel für die mittelfristige Umpolung in Richtung auf eine ökologisch orientierte Wirtschafts- und Umweltvorsorgepolitik vorsehen wie z. B. Forschungsförderung und Anwendung regenerativer Energiequellen, besonders zur Stromerzeugung aus Sonnenzellen, Biogas und anderen Energiequellen,
({21})
Zuschüsse für Grundwasserstützungsmaßnahmen, für Demonstrationsvorhaben zur Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung, über die wir uns ja schon vor ein paar Tagen unterhalten haben, und der Landschaftsplanung.
Wie gesagt: Es liegen Ihnen Änderungsanträge vor, über die ja nachher wohl abgestimmt wird.
Dieses Zukunftsprogramm gegen Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung beweist, daß umweltschonendes qualitatives Wachstum und eine wirksame Arbeitsbeschaffung sich gegenseitig fördern und damit zur Konsolidierung der Staatsfinanzen beitragen würden. Das wird nicht allein von den GRÜNEN so gesehen, sondern findet seine Bestätigung in vielen Untersuchungen u. a. auch etablierter Institute.
Meine Damen und Herren, der Haushaltsplan ist mehr als eine Ansammlung trockener Zahlen.
({22})
Vielleicht haben Sie erkannt, daß er nicht nur tief in das Schicksal vieler Millionen Menschen, vor allem der sozial Schwachen, eingreift, sondern auch Pflanzen und Tiere auslöschen kann, unser Wasser und unsere Luft verschmutzt und unsere Naturgüter verschwendet.
({23})
- Genau.
({24})
Dieser Finanzhaushalt hat die Rechnung ohne den Wirt, nämlich den Naturhaushalt, gemacht. Der Wirt legt jetzt die ersten Rechnungen vor. Aber das grundsätzliche Umdenken, die gemeinsame Verantwortung für unsere Umwelt, ist in Ihrem Haushaltsentwurf nicht zu spüren. Ihnen sind die ökologischen Folgen Ihres Handelns noch gar nicht bewußt, wie Ihr Antrag zeigt.
({25})
Dauerhafter Wohlstand, sozialer Friede und eine funktionierende Wirtschaft setzen eine dauerhaft intakte Umwelt voraus. Dafür müssen wir jetzt sofort alle Weichen stellen, bevor es zu spät ist.
Danke schön.
({26})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die uns vorgelegten Zahlen zeigen keine nervenzerfetzenden Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf. Ich bin dem Kollegen Gerster dankbar, daß er etwas geradegerückt hat, was Herr Kühbacher dargestellt hatte: überproportionale Steigerungsraten im Bereich von Sport, Umwelt und Kultur; bescheiden, aber jedenfalls über dem Durchschnitt.
Herr Kollege Gerster, zu dem Zitat von Seneca muß man übrigens sagen
({0})
- von Cicero; auch gut -: Das Zitat ist über 2 000 Jahre alt. Wenn es so lange Zeit nichts gefruchtet hat, muß man natürlich auch einmal die Qualität solcher Ratschläge überprüfen.
({1})
- Wir werden genausoviel lernen wie die Menschen in den letzten 2 000 Jahren vor uns. Das ist mein Eindruck.
Die ersten grundsätzlichen Bemerkungen möchte ich zu den Entscheidungen machen, die sich im Haushaltsbegleitgesetz auf den öffentlichen Dienst beziehen. Wir bedauern natürlich, daß selbst die zurückhaltenden Wünsche, die wir dazu im Innenausschuß geäußert haben, keine Deckung gefunden haben. Wir haben die massiven Forderungen der Opposition in diesem Bereich, die Sie hier wiederholen, deswegen abgelehnt, weil wir für sie erst recht keine Deckungsmöglichkeit gesehen haben. Man darf nichts fordern, von dem man selbst weiß, daß es nicht erfüllbar ist.
({2})
Die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, auf deren Loyalität wir angewiesen sind, wissen, daß auch in diesem Haushalt die strukturellen Korrekturen zur Lösung unserer wirtschaftlichen Probleme den absoluten Vorrang haben müssen. Aber wir müssen unseren Mitarbeitern auch die Gewißheit geben, daß sie nicht einseitig belastet werden und daß sie angemessen an der Wirtschaftsentwicklung teilnehmen können. Wir haben eine Verwaltung, mit der wir im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nicht nur zufrieden, sondern auf die wir stolz sein können.
({3})
Das sage ich auch mit Blick auf die Justiz.
Diese Verwaltung ist dem Staat und seiner Verfassung verpflichtet. Sie weiß sich an Gesetz und Recht gebunden. Und selbst dann, wenn man mit einzelnen Entscheidungen inhaltlich und dem Verfahren nach überhaupt nicht einverstanden ist, stellt es eine unglaubliche und durch nichts zu entschuldigende Entgleisung dar, einzelne Beamte mit terroristischen Mördern gleichzusetzen.
({4})
Wir wollen und werden an den Grundsätzen des Berufsbeamtentums festhalten. Wir wollen keine Aushöhlung des Berufsbeamtentums vom Status oder der Motivation her. Wir werden eine solche Entwicklung auch nicht akzeptieren. Wir wollen auch weiterhin qualifizierten Nachwuchs für den öffentlichen Dienst gewinnen können.
Wir sehen mit Sorge, daß der Berufsbeamte, häufig mit großer Fröhlichkeit, zum Opfer der allgemeinen Bürokratiediskussion gemacht wird. Wir halten die schlichte Gegenüberstellung tüchtiger, leistungsstarker, innovationsfreudiger Lichtgestalten - sämtlich natürlich in der gewerblichen Wirtschaft tätig - hier und schlappe, risikoscheue privilegiengesättigte Bürokraten auf der anderen Seite für einen Unsinn, den man selbst an Stammtischen nicht akzeptieren sollte.
Wir wollen unsere Politik in Fragen des Besoldungsrechtes an folgenden Grundsätzen unverändert orientieren.
Erstens. Der öffentliche Dienst hat einen Anspruch darauf, von der allgemeinen Einkommensentwicklung nicht grundsätzlich und nicht langfristig abgekoppelt zu werden.
Zweitens. Die Beamten haben einen Anspruch darauf, insgesamt nicht schlechter gestellt zu werden als Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst.
({5})
Wir erwarten zwar, daß gerade der Beamte in Notzeiten ein besonderes Verständnis auch für ihn belastende Entscheidungen aufbringt. Aber wir können ihm keine strukturellen und auf Dauer gegenüber dem tariffähigen Bereich benachteiligende Lösungen zumuten. Darum gehen wir davon aus, daß die kommenden Tarifverhandlungen im Interesse des Haushaltes mit der notwendigen Entschlossenheit und der notwendigen Solidarität von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam geführt werden.
({6})
Drittens. Der Gesetzgeber muß auch gegenüber seinen Mitarbeitern den Vertrauensschutz wahren. Insbesondere sollte kein Gesetz in Tatbestände eingreifen, auf die unsere Mitarbeiter ihre Alters- und Krankensicherungen aufgebaut haben und denen sie nicht mehr ausweichen können. Darum werden wir uns weiter darum bemühen, Neuregelungen z. B. zu § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes in ihren Wirkungen für die Betroffenen zu mildern.
Jenseits dieser haushaltsmäßigen Betrachtung besteht Anlaß zu einigen grundsätzlichen Bernerkungen. Niemals innerhalb der letzten 20 Jahre sind die Grenzen der Verfassung so offen und so unmittelbar in Frage gestellt worden wie in diesem Jahr. Es ist ohne Beispiel, daß dieses Parlament eines freien Staates unter massivem Polizeischutz tagen mußte,
({7})
um sicher sein zu können, daß seine Mitglieder dieses Parlament erreichen und hier ordnungsgemäß beraten können.
({8})
In keinem Jahr ist so wie in diesem so leichtfertig mit der anarchischen Drohung der Unregierbarkeit
({9})
in militarisierenden Vokabeln von „Belagern" und „Blockieren" und mit den Begriffen des „zivilen Ungehorsams" und „Widerstandes" hantiert worden, obwohl wir in einem Staat leben, dessen rechtsstaatliche Qualität vollkommen unangetastet ist, auch wenn es in wesentlichen politischen Fragen tiefe Gegensätze gibt.
({10})
- Ich habe genau gelesen, was Herr Biedenkopf gesagt hat, und ich gehe davon aus, daß er jedes Wort von dem, was ich hier gesagt habe, unterschreiben würde.
({11})
Die Überzeugung, daß politische Gegensätze mit demokratischen Mitteln ausgetragen werden müssen, ist tiefer verwurzelt, als es manche Anhänger von Bewegungen wahrhaben wollen.
({12})
Es gilt unverändert: Niemand muß sich in unserem Staat zum Helden emporstilisieren, wenn er für etwas eintritt, was die verfassungsmäßige Demokratie nicht nur nicht verbietet, sondern ausdrücklich gewährleistet und schützt: Oppositions- und Meinungsfreiheit innerhalb und außerhalb dieses Hauses.
({13})
Man muß in einer Demokratie akzeptieren, daß die politische Mehrheit nicht schon deswegen verfassungswidrig ist, weil sie sich nicht der Überzeugung der Minderheit anschließt.
({14})
Aber es ist ebenso falsch zu glauben, daß alle legalen Beschlüsse auch legitim seien. Legitimität ist mehr; sie bezieht sich auf gemeinsame politische Grundüberzeugungen, und ohne diesen Bezug werden die Mehrheitsentscheidungen zur Unterwerfung der Minderheit und zu ihrer dauernden Ausgrenzung führen. Die Aufforderung zum Widerstand auf der einen Seite ist darum ebenso töricht wie die Versuche, die Überzeugungen derjenigen Mitbürger, die sich selbst den Namen Friedensbewegung gegeben haben, als schlechthin in verfassungsfeindlicher Absicht ferngesteuert zu diskreditieren, als „Fünfte Kolonne". Wir brauchen keine geistigen Barrikaden, die unser Volk in Gute und Böse, in Rechtgläubige und Ketzer aufteilen und die aus einer demokratischen Auseinandersetzung den Kampf feindlicher Gruppen um die Macht werden lassen.
({15})
Unsere Demokratie ist nicht gefährdet. Die Einflüsse der Extremisten sind minimal. Das muß nicht so bleiben. Demokratisches Bewußtsein ist keine Selbstverständlichkeit. Das repräsentative System wird auf Dauer nur erhalten bleiben, wenn sich die Bürger selbst in ihm repräsentiert sehen. Zur Selbstzufriedenheit besteht wahrlich kein Anlaß. Es ist sehr wohl eine berechtigte Frage, warum erst die ökologische Katastrophe des Waldsterbens mit erheblichen ökonomischen Folgen eintreten mußte, ehe Widerstände in allen Fraktionen gegen weitergehende Umweltschutzentscheidungen allmählich überwunden werden konnten. Gerhart Baum wird dazu noch näher ausführen, welche Entscheidungen wir im Bereich des Umweltschutzes anstreben und daß Umweltschutz für uns Verfassungsrang hat.
Es ist sehr wohl notwendig, daß dieses Parlament und daß die Parteien langfristiger, grundsätzlicher und rechtzeitiger die politischen Fragen behandeln müssen, die die Menschen gegen Ende unseres Jahrhunderts in zunehmendem Maße beunruhigen und beschäftigen, nämlich die Erhaltung des Friedens mit Waffen, die unsere Vernichtung bewirken können, die Versöhnung mit der Umwelt, die Beherrschung und Akzeptanz der modernen Technologien und der neuen Medien in Wirtschaft, Arbeitsleben und im privaten Bereich, die Verantwortung der Wissenschaft für die politischen Folgen ihrer Erkenntnisse und schließlich die ernsthafte Beschäftigung mit den Folgen, die sich aus dem dramatischen Auseinanderfallen des Lebensstandards in den verschiedenen Teilen dieser Welt für uns selbst ergeben. Dabei sollten wir keineswegs vergessen, unseren Mitbürgern zu sagen, daß wir es sind, die trotz unserer wirtschaftlichen Probleme im Vergleich zu anderen Ländern geradezu auf einer Insel des Wohlstands leben.
({16})
Die Bewährung in diesen Fragen ist ein besserer Schutz unserer Verfassung als die schlichte Frage, ob die Ausrüstung und die Ausbildung der Polizei ausreichen, um die äußeren Folgen sozialer und politischer Spannungen zu beherrschen. Es darf aber auch kein Zweifel daran bestehen, daß sie ausreichen müssen. Der Staat kann, darf und wird sich nicht aufgeben. Aber die Ursachen politischer Spannungen können mit der Polizei und ihren Mitteln nicht behoben werden.
({17})
Das sage ich unabhängig davon, daß wir der Polizei des Bundes und der Länder unseren Dank für ihre aufopferungsvolle Arbeit in schwieriger Lage aussprechen.
({18})
Ich möchte auf ein paar Einzelpunkte eingehen, die in den nächsten Monaten für Entscheidungen erkennbar wichtig sein können.
Erstens. Hier ist von der beabsichtigten Novellierung des Tatbestands des Landfriedensbruchs gesprochen worden. Dazu gibt es, wie jeder weiß, eine Koalitionsvereinbarung. Wir werden uns an diese Koalitionsvereinbarung halten.
({19})
Aber wir werden gemeinsam den Inhalt dieser Vereinbarung auf den Prüfstand einer öffentlichen Anhörung stellen, in der die Praktiker, die Polizei, die
Organe der Rechtspflege, die Anwaltschaft, auch die Gewerkschaften, ihre Stellungnahme zur Praktikabilität dieser Vorstellungen darlegen können. Wir werden sehr sorgsam prüfen, welche Auswirkungen sich aus den neuen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Landgerichts Krefeld in einschlägigen Verfahren mit, wie mir scheint, neuen Rechtsgrundsätzen für diese Novellierungsabsicht ergeben.
Zweitens. Die Privatsphäre des Bürgers muß auch in dem berühmten Orwellschen Jahr 1984 gewahrt bleiben. Darum kommt es uns bei der Novellierung des Datenschutzgesetzes nicht nur darauf an, daß das Gesetz der schnellen technischen Entwicklung Rechnung trägt, sondern vor allem müssen der individuelle Rechtsschutz - auch im Sicherheitsbereich - und die Kontrollmöglichkeiten des Datenschutzbeauftragten verbessert werden.
({20})
Der Datenschutz ist auch heute noch keine Selbstverständlichkeit. Es hat in Bund und Ländern in den letzten Jahren sowohl ermutigende Fortschritte als auch wesentliche Fehlleistungen gegeben, die sich nicht wiederholen oder fortsetzen sollten.
Die Einführung der neuen Personalausweise - Herr Kollege Ehmke, ich muß dazu sagen, aus Ihren Bemerkungen hatte ich den Eindruck, daß Ihnen nicht bekannt ist, daß dieses Gesetz verabschiedet ist - wird aber, worin wir übereinstimmen, viele Fragen auslösen. Der Bundestag hatte 1980 einmütig beschlossen - ich nehme an, mit allen Stimmen der Mitglieder dieses Hauses -, daß die Einführung dieser Ausweise besondere Datenschutzregeln im Sicherheitsbereich voraussetzt. Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern haben das aufgegriffen und die Forderung dieses Hauses sehr eindrucksvoll präzisiert. Auch wir teilen unverändert diese gemeinsame Überzeugung und sind beunruhigt darüber, daß die notwendigen bereichsspezifischen Regeln im Sicherheitsbereich bisher keine für uns erkennbar greifbaren Formen angenommen haben. Wir erinnern darum erneut an die Vorlage des Amtshilfeberichts, der der Ausgangspunkt vieler Überlegungen in diesem Bereich sein muß.
In wenigen Tagen wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz veröffentlicht werden. Wir erwarten uns von dieser Entscheidung grundsätzliche Ausführungen des Senats über den Datenschutz im Rahmen der verfassungsmäßigen Grundrechte. Aber unabhängig davon wird sich die politische Frage stellen, wie es mit der Volkszählung weitergehen soll. Wir halten sie grundsätzlich für erforderlich. Aber sie wird und kann inhaltlich beschränkt werden, und sie muß vor allem den Schutz der Anonymität auch im Verwaltungsvollzug wahren. Wir werden dazu den Gesetzentwurf, den wir Anfang dieses Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt haben, erneut präsentieren.
({21})
Die unerwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat - das muß man rückblickend sagen - ebenso wie die Arbeit der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder dem Grundgedanken des Datenschutzes geholfen, dem Grundgedanken nämlich, daß die Privatsphäre des einzelnen Vorrang vor der Verwaltungsrationalität des Staates haben und behalten muß.
({22})
Drittens. Der Schutz der Minderheiten ist unverzichtbar; das gilt in vielen Bereichen. Die klassischen Minderheiten unter uns sind die Ausländer. Ich brauche unsere Grundsätze zur Ausländerpolitik hier nicht zu wiederholen; sie sind bekannt und haben sich nicht geändert. Gerade unsere Erfahrungen in der Türkei haben uns darin bestärkt, daß die Bundesrepublik keine Maßnahmen treffen sollte, die auch in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft nicht einmal erwogen werden und tief in Entscheidungen eingreifen würden, die sich auf den engsten Kreis der Familie beziehen und die wir gegenüber unseren eigenen Landsleuten keinesfalls dem Staat überlassen würden.
({23})
Wir sind uns allerdings der Tatsache bewußt, daß es ein Defizit an Integration auch langjährig bei uns lebender ausländischer Arbeitnehmer gibt, insbesondere im Bereich Schule und Wohnen, und diese Integration ist kein einseitiger Prozeß. Die Beauftragte der Bundesregierung für die Integration ausländischer Arbeitnehmer - so heißt ihre zutreffende Bezeichnung - leistet hier eine Arbeit, die im wohlverstandenen Interesse der Bundesrepublik liegt, bei der sie jede Förderung und Unterstützung verdient
({24})
und hinsichtlich der sie - wie ich sicher weiß - das volle Vertrauen der Mehrheit dieses Hauses genießt.
({25})
Dem Gespräch mit dem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Poul Hartling, sehen wir mit besonderem Interesse entgegen. Wir wollen eine über diesen Besuch hinausreichende offene Zusammenarbeit im Interesse der Menschen, die ihre Heimat aus politischen Gründen verlassen mußten.
Es ist ganz unbestreitbar, daß die hohe Zahl ausländischer Asylbewerber in den letzten Jahren deswegen negative Folgen gehabt hat, weil der massenweise Mißbrauch des Asylrechts offenkundig war.
({26})
Allerdings sind diese Menschen, die wir Wirtschaftsflüchtlinge nennen, ja eigentlich Armutsflüchtlinge. Sie sind die Folge unseres eigenen Unvermögens, die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge so zu regeln, daß alle Menschen auf dieser
Erde Platz, Raum und Möglichkeit zum Leben in ihren eigenen Ländern haben; das ist der Punkt.
({27})
Inzwischen ist die Zahl der Asylbewerber dramatisch zurückgegangen. Ich wünschte, daß die Zahl der Staaten, die ihre Bürger politisch verfolgen, ebenso drastisch zurückgegangen wäre. Es war darum verdienstvoll, daß der Flüchtlingskommissar unsere Aufmerksamkeit auf die Sammelunterkünfte gelenkt hat, in der Asylbewerber wohnen müssen. Er hat die Kernpunkte seiner Kritik aufrechterhalten und stimmt darin mit manchen Organisationen der Wohlfahrtspflege überein, so in der verheerenden Wirkung der langfristigen Verweigerung der Arbeitserlaubnis oder der engen räumlichen Beschränkung der Aufenthaltsgestattung, um nur wenige Punkte zu nennen, die wir im Innenausschuß im einzelnen erörtert haben. Unsere Besuche in den Sammelunterkünften, die wir fortsetzen werden, waren teilweise außerordentlich unerfreulich, weil die Behandlung der Asylbewerber - bei sehr bescheidenen Ansprüchen - in der Tat häufig zu wünschen übrigließ.
Wir werden unsere Entscheidungen bei einer Novellierung des Asylrechts an der sachgerechten Lösung dieser erheblichen sozialen Probleme ausrichten. Und: Wir wollen die gesetzgeberisch noch ungelöste Kollision von Asyl- und Auslieferungsrecht in der bisherigen Form nicht verlängern. Alle drei Bereiche gehören in eine einheitliche und nach unserer Meinung auch sehr schnell zu bewirkende Novellierung des Asylrechts hinein.
Viertens. Innenpolitik ist für uns nicht in erster Linie ein Instrument der Ausübung staatlicher Macht. Es ist ein Mittel, den inneren Frieden zu fördern, dem Bürger Freiräume zu schaffen, seine Privatsphäre zu schützen, ihn durch Entbürokratisierung vor überflüssiger Gängelei zu bewahren, das vielfältige kulturelle Leben zu fördern, ohne es durch staatliche Vorgaben in genehme und unge-nehme Kunst aufzuteilen. Es ist ein Mittel, die Mitarbeit und die Mitverantwortung des Bürgers in freiwilligen Organisationen zu stärken.
Für all diese Bereiche zeigt der Haushalt positive Ansätze. Der Innenminister kann sicher sein, daß wir ihn in diesen Bereichen uneingeschränkt unterstützen werden. Die Liberalen werden sich als verläßliche Koalitionspartner erweisen, wo wir uns auf gemeinsame Ziele verständigt haben. Wir werden den Innenminister im Rahmen der Koalitionsvereinbarung unterstützen, und wir sind den Kollegen Miltner, Dr. Laufs und anderen sehr dankbar, daß sie sich so tatkräftig um die Ausfüllung dieser Vereinbarung bemühen.
Niemand aber braucht zu fürchten - auch nicht in der Opposition -, daß die eigene Handschrift der Liberalen verlorengeht. Sie wird unübersehbar bleiben.
({28})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstmals seit der Aussprache über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Mai dieses Jahres bietet diese Debatte die Gelegenheit, die politische Arbeit und das politische Handeln des Bundesinnenministers umfassend zu würdigen. Das Bild, das wir da sehen, hat sich leider nicht zum besseren gewendet. Besondere Leistungen sind nicht zu vermelden. Noch hat der Bundesinnenminister kein Gesetz durch den Bundestag gebracht.
({0})
Das innenpolitische Klima, das bereits durch die Ernennung dieses Bundesinnenministers im Oktober 1982 beeinträchtigt worden ist, hat er allerdings durch die von ihm ausgehenden Ankündigungen und Signale weiterhin negativ beeinflußt, ohne daß es dazu eines veränderten Paragraphen bedurft hätte.
({1})
Zu den am meisten umstrittenen Vorhaben, die der Bundesinnenminister betreibt, gehört die Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts. Selten hat ein Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der inneren Sicherheit in der Öffentlichkeit wie in Fachkreisen eine so scharfe, ja vernichtende Kritik erfahren wie dieses. Selbst die Befürworter dieser Rechtsänderung verzichten mittlerweile darauf, der allgemein vorhandenen Besorgnis entgegenzutreten, daß das neue Recht nicht Chaoten und/oder Gewalttäter, sondern in erster Linie friedliche und gewaltlose Demonstranten bedrohen würde. Wie der Tatbestand des Landfriedensbruchs durchgesetzt werden sollte, wenn sich eine Menschenmenge nach Aufforderung nicht sogleich auflöst und die einzelnen Teilnehmer nicht schleunigst die Demonstration verlassen, weiß niemand zu sagen. Aber darum geht es j a wohl auch weniger als darum, von der Teilnahme an Demonstrationen überhaupt abzuschrecken.
({2})
Diese Rechtsänderung ist überflüssig, wie die inzwischen mit einigem Geschick praktizierte Ausschöpfung des geltenden Rechts zeigt. Das neue Strafrecht wäre aber auch unpraktikabel. Es belastet die Polizei mit der unlösbaren Aufgabe der Festnahme ganzer Menschenmengen und nimmt ihr die bisher bestehende Möglichkeit des Vorgehens nach bestem eigenen Ermessen.
({3})
Diejenigen, die diesen Fehlgriff ausbaden müssen, wehren sich mit Entschiedenheit. Der Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei, in der neun von zehn Polizisten organisiert sind, hat durch einstimmigen Beschluß über Parteigrenzen hinweg, die auch dort bestehen, die Rechtsänderung abgelehnt.
Der Bundesinnenminister nutzt in seiner Begründungsnot jeden irgendwie geeignet scheinenden Vorgang, um die Notwendigkeit des neuen Gesetzes und der Verwirklichung seiner noch weiter gehen2886
den Absicht zum Verbot der Vermummung und der sogenannten passiven Bewaffnung daraus herzuleiten. Viel hat er da nicht aufzubieten, nachdem der von ihm mit aller Phantasie vorausgesagte heiße Herbst ausgefallen ist.
({4})
Die Ausschreitungen in Krefeld anläßlich des Besuchs des amerikanischen Vizepräsidenten im Juni schienen immerhin so, als sei eine kleine Gruppe verbiesterter Gewalttäter dabei, Herrn Zimmermann die gewünschten Stichworte und Argumente zu liefern. Neben vielem anderen hat auch die gründliche Betrachtung dieses Vorgangs im Innenausschuß des Bundestages gezeigt, daß es für polizeiliche Schutzmaßnahmen und für die Strafverfolgung in Krefeld keines verschärften Strafrechts bedurft hat.
({5})
Aber auch die unerfreulichen Zusammenstöße am Rande der Bannmeile des Bundestages am 21. und 22. November - insoweit, Herr Kollege Hirsch, schließe ich mich Ihrer harten Kritik hier an - haben keinen Bedarf an schärferem Strafrecht erkennen lassen. Zitat: „Diese Vorgänge geben keine Veranlassung, das geltende Recht zu ändern." So sagt Bundesjustizminister Engelhard dazu mit vollem Recht.
Somit bleibt es beim Signal der Einschüchterung all jener kritischer Bürger, die ihren Unmut über die Politik der Bundesregierung nicht nur im privaten Kreis, sondern gemeinsam mit anderen auch in der Öffentlichkeit artikulieren. Ist es dieses Ziel der Einschüchterung, Herr Bundesinnenminister, das Sie an dem neuen Gesetzesvorhaben so uneinsichtig festhalten läßt? Gleichgerichtete andere Erklärungen aus dem letzten Jahr lassen das vermuten.
Die drohende Strafrechtsverschärfung reichte Ihnen im Juli 1983 plötzlich nicht mehr. Es sollten auch schärfere gegenständliche Instrumente in etwaigen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten eingeführt werden. Der erstaunten Öffentlichkeit und den ebenso überraschten wie befremdeten Fachleuten kündigten Sie die Einführung von Gummiwuchtgeschossen bei Polizei und Bundesgrenzschutz an.
({6})
Niemand wußte etwas davon, daß durch neue technische Entwicklungen die seit langem erhärteten, durchgreifenden Bedenken gegen Gummiwuchtgeschosse ausgeräumt worden wären. Den Innenministern der Länder war weder bekannt noch akzeptabel, daß die Bewaffnung der ihnen unterstehenden Polizei nunmehr durch Verfügung des Bundesinnenministers geregelt werden konnte.
({7})
So fand denn das mit geringem Sachverstand angekündigte Vorhaben ein schnelles, unrühmliches Ende zwischen deutlichen Zurückweisungen durch die Länderinnenminister und einer korrigierenden
Sprechererklärung aus dem Bundesinnenministerium.
({8})
Zur Zurückhaltung und Vorsicht ließ sich der Bundesinnenminister dadurch freilich nicht bewegen. Im Gegenteil: An großen Ankündigungen und starken Worten herrschte weiterhin kein Mangel.
Die Friedensbewegung und ihre für den Herbst erwarteten Demonstrationen waren es, die die besondere Zuwendung des Bundesinnenministers durch öffentliche Angriffe fanden. Gewiß, es hat in Organisationen und Kreisen, die die Friedensbewegung mit tragen, leichtfertiges und auch unverantwortliches Gerede über ein Recht zum Widerstand gegeben. Viele haben dieser Auffassung in ernsthafter und geduldiger Diskussion widersprochen: die Kirchen, wir Sozialdemokraten und auch maßgebliche Persönlichkeiten, deren Wort in der Friedensbewegung besonderes Gewicht hat. Vor allem dadurch wurde die Verwirrung geklärt, die Gefahr gebannt. Die aufsehenerregenden Beiträge des Bundesinnenministers in diesem Prozeß bestanden leider nicht in besonders gut durchdachten Argumenten, sondern in phantasiereichen öffentlichen Spekulationen über einen gewalttätigen heißen Herbst und der Ankündigung entschlossenen Durchgreifens der Sicherheitskräfte. Die Besorgnis war begründet, daß damit ein heißer Herbst geradezu herbeigeredet werden sollte, um die Stärke des Staates in der Niederwerfung seiner Kritiker zu beweisen.
({9})
Aus alledem ist nichts geworden. Die großen Friedensdemonstrationen sind so verlaufen, wie es ihrer Zielsetzung angemessen war, nämlich friedlich. Das beabsichtigte harte Durchgreifen von Polizei und Strafverfolgungsbehörden wurde entbehrlich, übrigens nicht zuletzt dank des besonderen Geschicks, des Einfühlungsvermögens und der Geduld der Polizei in den betroffenen Ländern und ihrer Führung. Ein Bedarf an verschärften rechtlichen oder sonstigen Instrumenten des Staates trat j eden-falls nicht auf. Aus Berichten und Gesprächen weiß ich, daß Polizeibeamte durch Erlebnisse vor allem des 22. Oktober 1983, des Tages der großen Demonstrationen, bewegt und beeindruckt worden sind.
Auch diejenigen, die bis dahin ein verschärftes Demonstrationsrecht gefordert hatten, sind in dieser Frage nachdenklich geworden. Gilt das auch für die Bundesregierung? Gilt das auch für Sie, Herr Bundesinnenminister? Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, daß der friedliche Verlauf der von Ihnen ganz anders vorhergesagten Herbstdemonstrationen eine besondere Antwort von Ihnen verdient?
({10})
Sie haben für diese Antwort eine große Chance. Sie
können sie wirkungsvoll nutzen. Sie brauchen nur
die geringfügige Bereitschaft zur Selbstkorrektur.
Der für den Regierungsentwurf zum Demonstrationsstrafrecht mit zuständige Justizminister wird Ihnen nach den Beschlüssen des Karlsruher Parteitags der FDP gewiß nicht im Wege stehen. So appelliere ich an Sie: Setzen auch Sie ein Friedenszeichen,
({11})
verblüffen und beeindrucken Sie Ihre Gegner, indem Sie das unglückselige Gesetzesvorhaben zur Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts zurückziehen.
({12})
Sie dürfen sicher sein, daß dieses Zeichen richtig verstanden werden würde und daß es eine weitreichende positive Wirkung entfalten würde.
({13})
Ich fürchte, Sie haben dazu die Kraft nicht. Es reicht nur zu starken Worten.
({14})
Dabei geht dann jede Differenzierung, jede Bereitschaft zum Begreifen und Ernstnehmen des politischen Gegners verloren. Am Umgang der Bundesregierung mit der Friedensbewegung und anderen Kritikern der Raketennachrüstung haben wir das in bedauerlicher und erschreckender Form vorgeführt bekommen. An die bösartigen Äußerungen des Bundesministers Geißler sei hierbei nur kurz erinnert; sie sind nicht vergessen und nicht vergeben.
({15})
Daran dürfte ihm ja auch selbst nicht gelegen sein, denn er hat seine massiven Beschimpfungen, zunächst der Pazifisten und später der deutschen Sozialdemokratie, in kalter Berechnung auf lang anhaltende Wirkung angelegt.
({16})
Das waren die Höhepunkte einer Kampagne, zu der auch der Bundesinnenminister in seinem Verantwortungsbereich kräftig beigetragen hat. Immer wieder macht uns dieser Verfassungsminister seine Intoleranz gegenüber der abweichenden Meinung
({17})
durch die Behauptung deutlich, die - wie er es nannte - Kampagne gegen die Nachrüstung sei von Kommunisten inszeniert
({18})
und werde außer von ihnen nur noch von Mitläufern getragen; auch wenn sie sich ehrenwerte Motive einbildeten, handelten sie gegen die inneren und äußeren Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland.
Genau in der Linie dieser pauschalen Diffamierung liegt das vom Bundesinnenministerium erstellte primitive Pamphlet über kommunistische Einflußnahme auf die Protestbewegung.
({19})
Es wird dem Bundesinnenminister hoffentlich zu denken geben,
({20})
daß nach diesen unsinnigen Geldausgaben zu Diffamierungszwecken der betreffende Mittelansatz in seinem Haushalt im Haushaltsausschuß um 100 000 DM gekürzt worden ist. Eine deutliche Antwort!
({21})
Leider ist in der Ausländerpolitik noch nicht erkennbar, daß jemand dem Bundesinnenminister wirksam Einhalt gebietet. Gegen die schroffe Ablehnung durch die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen unseres Landes, besonders gegen die Ablehnung der Kirchen, gegen die entschiedenen und sachkundigen Forderungen der von der Bundesregierung eingesetzten Ausländerbeauftragten, gegen die Kritik der Oppositionsfraktionen und selbst seines Koalitionspartners - wir haben das eben noch einmal gehört - hält Herr Zimmermann fest an seinem restriktiven und repressiven Kurs, der bereits jetzt zu einem frostigen Klima für die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer geführt hat.
({22})
Eine besonders bedenkliche Einzelmaßnahme ist dabei die Nachzugsbeschränkung für solche Kinder ausländischer Eltern mit Aufenthaltsrecht bei uns, die älter als sechs Jahre sind.
({23})
Was es aber in der Praxis bedeuten würde, Kinder von sieben, acht oder elf Jahren von ihren Eltern fernzuhalten, dürfte sich bisher noch kaum jemand ausmalen.
({24})
Auf diese Praxis aber kommt es an, nicht auf lebensferne Theorie, die in Gesetzestexte und Richtlinien eingeht. Das Beispiel der elfjährigen Türkin, die vor einigen Monaten aus Berlin abgeschoben werden sollte, obwohl sich in der Heimat niemand zu ihrer Aufnahme bereithielt, hat vielleicht einigen sonst gleichgültigen Betrachtern die Augen für die bevorstehenden praktischen Probleme geöffnet. Wie Sie wissen, ist sie dann nicht abgeschoben worden.
Herr Abgeordneter Dr. Schmude, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch?
Gerne.
Bitte.
Herr Kollege Schmude, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß eine solche Zuzugsbeschränkung nur dann stattfinden könnte,
wenn für eine gesetzliche Regelung im Hause hier eine Mehrheit vorhanden wäre, was nicht der Fall ist?
Herr Hirsch, ich komme auf Ihr Wort zurück und bin Ihnen dafür im übrigen dankbar.
({0})
Neben dem Haushalt des Bundesinnenministers steht in dieser Debatte auch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 zur Behandlung an. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird in diesem Gesetz auch die die Besoldung im öffentlichen Dienst betreffenden Art. 23 bis 25 ablehnen. Unser Versuch im Innenausschuß, diese Gesetzesvorschriften durch einen eigenen Antrag zu ändern, ist an der Mehrheit gescheitert. Wir führen unser Vorhaben mit dem heute hier vorgelegten Entschließungsantrag fort, in dem wir die von der Bundesregierung beabsichtigte Besoldungspause im öffentlichen Dienst ablehnen und die Angleichung der Beamtengehälter an den Tarifbereich des öffentlichen Dienstes wenigstens ab 1. März 1984 fordern.
Bundestagsmehrheit und Bundesregierung machen es sich zu leicht, wenn sie bei dieser Forderung sogleich nach Deckungsvorschlägen rufen.
({1})
Eine Opposition ist überfordert, wenn sie den von der Regierung und ihrer Mehrheit im Haushalt geschaffenen vollendeten Tatsachen Deckungsvorschläge auch für die Verwirklichung solcher politischer Entscheidungen gegenüberstellen soll,
({2})
zu denen die Regierung nach ihren eigenen Erklärungen eigentlich verpflichtet ist.
Über diese Verpflichtung wollen wir reden. Über den Grundsatz, um den es dabei geht, wollen wir Regierung und Mehrheit zum Reden bringen. Gelten für sie die in unserem Antrag formulierten Grundsätze, daß die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Anspruch auf Teilnahme an der allgemeinen Einkommensentwicklung haben? Gilt für sie weiterhin, was wir über ein Jahrzehnt lang gemeinsam praktiziert haben, daß nämlich der bewährte Gleichklang zwischen den Beschäftigtengruppen auf der Grundlage des jeweiligen Tarifergebnisses im öffentlichen Dienst grundsätzlich sicherzustellen ist?
Sie haben diesen Gleichklang tatsächlich nicht sichergestellt, sondern muten den Beamten im Vergleich zu den Tarifbeschäftigten einen Rückstand von 1 % zu
({3})
und schreiben das als Besoldungspause sogar noch bis zum 1. April 1985 fest.
({4})
Statt Einsparungen in maßvollen Tarifabschlüssen zu suchen, diese aber wie bisher dem gesamten öffentlichen Dienst zugute kommen zu lassen, wollen Sie außerdem den Weg struktureller Eingriffe, die die Art. 23 bis 25 des Haushaltsbegleitgesetzes vorsehen. Sie verursachen damit eine weitere Abkoppelung des Besoldungsbereichs vom Tarifbereich.
Gern preisen Sie mit feierlichen Worten das Berufsbeamtentum. Ich habe den Eindruck, daß es Ihnen dabei vor allem um die staatspolitische Nützlichkeit des Berufsbeamtentums geht, die nicht zuletzt im fehlenden Streikrecht der Beamten ihren Ausdruck findet. Dort also kann nicht um Einkommensverbesserungen gekämpft werden, und das nutzen Sie aus. Sie treffen damit zum größeren Teil Beamte mit bescheidenen Gehältern,
({5})
gehören doch z. B. im Bereich der Bundespost und auch bei der Bundesbahn über 87 % der Beamten den Laufbahnen des einfachen und des mittleren Dienstes an.
({6})
Was mögen diese Beamten empfinden, Herr Friedmann, wenn sie aus dem Munde der Bundesregierung und der Regierungsparteien den Lobpreis des Berufsbeamtentums hören, aber nichts davon verspüren, daß dabei an die Sorgen und Nöte des einzelnen Beamten gedacht wird?
({7})
Den Hinweis von Herrn Gerster auf die Entscheidungen der sozialliberalen Bundesregierung und ihrer Mehrheit habe ich mit Vergnügen gehört. Da ging es um einen Verzug von zwei Monaten.
({8})
Erinnern Sie sich doch bitte einmal, mit welchen Worten das von Ihnen angeprangert, mit welchen Versprechungen gegenüber den Organisationen das von Ihnen angegriffen worden ist!
({9})
Die Briefe des heutigen Bundeskanzlers an die Organisationen stammen noch vom September 1982. In ihnen schreibt er:
Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert worden, im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Gleichstellung innerhalb des öffentlichen Dienstes herbeizuführen.
Und:
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich auf jeden Fall gegen ungerechtfertigte Sonderopfer der Beamten wenden.
Herr Strauß hat ähnliches geschrieben. Sie wissen, daß Ihnen die Betroffenen das heute entgegenhalten und fragen, wo denn Ihre Glaubwürdigkeit nach diesen Ankündigungen bleibt.
({10})
Wir jedenfalls werden Sie weiter an die Notwendigkeit solcher Konsequenzen erinnern. Wir nehmen damit Sie, Herr Bundesinnenminister, mit Ihrer besonderen Verantwortung für das Beamtenrecht vorrangig in Pflicht.
({11})
Ihre Haltung zur Beamtenbesoldung fügt den vielen Widersprüchlichkeiten Ihrer Politik, die wir beanstanden, eine weitere hinzu. Vertrauen erweckt diese Innenpolitik nicht. Eine Wende ist in ihr in vielen Bereichen nur zum Schlechteren festzustellen.
({12})
Von der Opposition können Sie dafür weder Anerkennung noch Nachsicht erwarten. Deswegen lehnen wir Ihren Haushalt ab.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Bereich des Innern ist die politische Neuorientierung besonders deutlich sichtbar geworden.
({0}) - Danke für den Beifall.
({1})
Um mit dem wichtigsten Politikfeld zu beginnen: Bundesinnenminister Zimmermann ist mit seiner entschlossenen Umweltpolitik allen davongeeilt.
({2})
Die alarmierenden Waldschäden und die schleichenden Folgen der Luftverunreinigungen für Menschen, Böden und Gebäude stellen uns in der Tat vor schwere, drängende Aufgaben. Umweltvorsorge ist mit einer nur reagierenden Umweltpolitik, mit Pannenhilfe, wie der Herr Kollege Ehmke es sagte, nicht zu verwirklichen.
({3})
Wir stimmen dem zu. Die Union hat deshalb längst die Weichen in Richtung einer vorsorgenden, konkrete Umweltziele vorgebenden Politik gestellt.
({4})
Dabei muß der Umweltschutz soweit wie möglich zu einem Element des marktwirtschaftlichen Produktionsprozesses gemacht werden.
Das umweltpolitische Konzept der Rechtsetzung und der Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft kann sich in den Zahlen des Haushaltsplanes natürlich nicht widerspiegeln, obwohl die Ansätze im Umweltbereich, von Sonderprogrammen abgesehen, überdurchschnittlich gesteigert wurden. Kurzatmige Programme, Herr Kollege Kühbacher, richten gegen lange einwirkende Umweltbelastungen äußerst wenig aus. Bei der Anhörung des Innenausschusses zum Thema Waldsterben ist unwidersprochen festgestellt worden: Die Erkrankung steckt, was Tanne und Kiefer betrifft, schon gut zwei Jahrzehnte in den Bäumen. Sie wurde in ihrer dramatischen Tragweite lange nicht erkannt. Auch als im Verlauf der letzten fünf Jahre die besorgten Stimmen und die Forderungen an die Politik immer vernehmlicher und lauter wurden, ist leider nichts getan worden.
Es blieb Bundesinnenminister Zimmermann vorbehalten, ohne jedes Zögern zu handeln, wo die frühere SPD-geführte Bundesregierung jahrelang die Großfeuerungsanlagen-Verordnung vor sich hergeschoben und nicht erlassen hatte,
({5})
wo wiederholt Entwürfe zur Novellierung der TA
Luft verfaßt und keiner verabschiedet worden war.
({6})
Der heutige umweltpolitische Sprecher der SPD, Herr Kollege Hauff, den ich gerade leider nicht sehen kann, hat damals als Verkehrsminister keinen Gedanken darauf verwendet, bleifreies Benzin einzuführen.
({7})
Der jetzige Bundesinnenminister hat dies getan und nimmt damit in Europa eine Pilotfunktion mutig wahr.
({8})
Er geht bei der Kraftfahrzeugabgasentgiftung auch wesentlich weiter, als die Oppositionsfraktionen noch mit ihren Anträgen vom April und Mai dieses Jahres vorgeschlagen hatten. Herr Kollege Kühbacher, es ist einfach zu billig, sich nach eigenem jahrelangem Nichtstun hier hinzustellen und unseren überaus aktiven Umweltminister als „Ankündigungsminister" und „Umweltspruchminister" abzuqualifizieren. Für mich zeigen Sie damit, daß Sie von der Komplexität der Umweltproblematik keine Ahnung haben.
({9})
Herr Abgeordneter Dr. Laufs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Laufs, würden Sie denn liebenswürdigerweise bestätigen, da Sie gerade vom Benzinblei sprachen, daß das erste Benzinbleigesetz von dem Bundesinnenminister Baum gegen den Widerstand Ihrer Fraktion durchgesetzt worden ist?
({0})
Wir haben dieses erste Benzinbleigesetz im Konsens verabschiedet, wenn ich mich richtig entsinne,
({0})
und haben damit - das gebe ich gerne zu - eine Pilotfunktion in Europa wahrgenommen. Ich hoffe nur, daß wir jetzt mit dem zweiten, entscheidenden Schritt genauso erfolgreich sein werden wie damals mit dem ersten Schritt.
Meine Damen und Herren, wir fordern die Automobilindustrie auf, schon 1984 die für den Export bereits produzierten umweltfreundlichen Fahrzeuge im Inland auf den Markt zu bringen. Wir wünschen uns, daß die Bundesregierung die Käufer und Benutzer dieser Fahrzeuge steuerlich begünstigen wird. Das umweltfreundliche Automobil muß so schnell wie möglich Wirklichkeit werden.
Wir unterstützen und begrüßen die ökologische Realpolitik der Bundesregierung. Wir sind uns bewußt, daß die eingeleitete Umweltpolitik zügig weiterentwickelt und auch unabhängig von den Waldschäden, deren Primärursachen immer noch nicht schlüssig geklärt worden sind, durchgehalten werden muß. Der umfassende Entschließungsantrag der CDU/CSU und FDP zum Thema „Unsere Verantwortung für die Umwelt" zeigt, daß der Umweltschutz der innenpolitische Schwerpunkt unserer Arbeit bleiben wird. Auch die Opposition hat im Innenausschuß keine einzige Gegenstimme gegen unseren Antrag erhoben.
Herr Kollege Ehmke, Sie sprechen hier von galoppierender Schwindsucht in der Natur und beklagen sich darüber, daß wir unsere Anträge zügig verabschieden. Das unterscheidet uns eben. Wir handeln, und Sie lamentieren nur.
({1})
Hysterische Gefühlsaufwallungen werden uns nicht weiterhelfen. Dadurch wird kein Baum gesund, auch nicht durch die Einführung neuer Abgaben, von Umweltpfennigen und eilfertigen Sonderprogrammen.
Wenig hilfreich erscheint uns ebenfalls die Aufnahme des Umweltschutzes in einen Staatszielkatalog unserer Verfassung. Wir sind skeptisch. Wir werden das prüfen, Herr Kollege Hirsch, aber wir sind skeptisch, ob dies mehr als eine schöne, aber wirkungslose Geste sein kann.
Herr Abgeordneter Laufs, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Nein, nicht mehr, da ich sehr wenig Zeit habe uñd meine Gedanken weiterführen möchte.
Das gilt für Ihre ganze noch vorhandene Redezeit?
Ja.
Umweltpolitik erfordert, wenn sie wirklich erfolgreich sein soll, einen langen Atem, viel Geld, viel Sachverstand, Augenmaß und moderne Technik. Weil dies so ist, darf sie keiner emotionalen, technikfeindlichen und kurzatmigen Politik ausgeliefert werden. Sie ist jetzt in besten Händen.
Meine Damen und Herren, dem öffentlichen Dienst wird für 1984 noch einmal ein empfindliches
Opfer abverlangt. Allein beim Bund werden im kommenden Jahr rund 900 Millionen DM im Bereich des öffentlichen Dienstes eingespart. Das ist ungefähr ein Sechstel des gesamten Einsparvolumens im Rahmen des Bundeshaushaltsplans. Diese erneuten Sparmaßnahmen sind uns nicht leicht gefallen. Wir können manche Kritik und manche Enttäuschung betroffener Beamten verstehen. Unverständlich und kaum zu glauben ist aber, mit welcher Heftigkeit sich ausgerechnet die SPD plötzlich als die Partei der Beamten in die Brust wirft.
({0})
Die Parteitagsbeschlüsse sind noch nicht vergessen, mit denen die SPD das Berufsbeamtentum gleichschalten und damit abschaffen wollte.
({1})
Noch ist wenig mehr als ein Jahr vergangen, seit die SPD die Besoldungserhöhung der Beamten einseitig um drei Monate hinter die Tariferhöhung verschoben hat. Und die SPD war es doch, die uns mit ihrer verfehlten und ideologisch fixierten Politik die Schuldenberge hinterlassen und die Probleme aufgeladen hat, die wir heute mit einer mühsamen und schmerzhaften Sparpolitik bewältigen müssen.
({2})
Wer die Scheuklappen ablegt und sich ohne Vorurteile mit der gebotenen Objektivität die einzelnen Maßnahmen anschaut,
({3})
wird zugeben müssen, daß die Sparbeschlüsse noch akzeptabel sind. Mir ist die Null-Runde, die für September nächsten Jahres bis zum 1. April 1985 beschlossen wurde, lieber als Gehalts- und Besoldungskürzungen, wie wir sie aus westeuropäischen Ländern kennen und wie sie auch die frühere Bundesregierung vor noch nicht zu langer Zeit, mit einem kläglichen Reinfall endend, durchzusetzen versucht hat. Bis zum 31. August 1984 reicht die 1983 frei vereinbarte Besoldungserhöhung, in letzter Stufe um 3 %, bei einer Preissteigerungsrate von derzeit wenig mehr als 2 %; auch das ist ein wesentlicher Unterschied zu Ihrer Regierungszeit.
({4})
Die Null-Runde kann später bei besserer Haushaltslage ausgegleichen werden, die Kürzungen praktisch nicht.
Die Kürzungen der Anwärterbezüge und die Absenkung der Eingangsbesoldung im gehobenen und im höheren Dienst können allerdings ausgehalten werden. Sie sind ein Akt der Solidarität mit denjenigen, die sich in großer Zahl auf eine Arbeit im öffentlichen Dienst vorbereiten. Stellenstreichungen müssen hier vermieden werden. Diejenigen, die hier allzu lautstark Kritik üben, sollten sich fragen, ob es ihnen lieber gewesen wäre, einem Arbeitsuchenden den Arbeitsplatz wegzunehmen.
In den Ausschußberatungen haben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP einige wichtige Verbesserungen und Korrekturen vorgenommen. Bei der Absenkung der Eingangsämter wurde ein Ventil geschaffen. Die Bundesregierung ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen bei erheblichem Bewerbermangel zu erlassen. Wer Wehr- oder Zivildienst leistet, wird nicht benachteiligt, wenn er deshalb nach dem 1. Januar 1984 in den öffentlichen Dienst eintritt.
Seit fast drei Jahren quälen wir uns mit einem bedrückenden Erbstück der früheren Regierung herum. Ich meine die Streichung des Besitzstandes durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz bei der Anrechnung von Renten auf die Pension nach § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes. Damit ist seinerzeit viel Vertrauenskapital bei der älteren Generation leichtfertig verspielt worden. Eine Schritt zu einer Härteregelung haben wir nun getan. Auf den Koalitionsantrag hin werden künftig 20 v. H. der Versorgungsbezüge garantiert werden. Ich gebe freimütig zu: Die Lösung, die wir im Innenausschuß vorgeschlagen haben, hätte mir besser gefallen, weil sie großzügiger war.
({5})
Sie scheiterte leider an fehlendem Geld. Wir müssen sehen, ob bei besserer Kassenlage noch eine weitere Korrektur möglich sein wird.
({6})
Wir werden dafür sorgen, daß es sich auch künftig finanziell und von der Tätigkeit her lohnt, im öffentlichen Dienst zu arbeiten. Im Gegensatz zur SPD sind wir für die uneingeschränkte Beibehaltung des Berufsbeamtentums. Die Vergleichsstatistiken zeigen, daß wir diese Berufsgruppe auch jetzt nicht schlechter oder besser als andere Gruppen behandelt haben. An diesem Grundsatz hält die Union fest.
Es liegt auf der Hand, daß sich die Gleichbehandlung der verschiedenen Beschäftigtengruppen im öffentlichen Dienst nicht immer auf den Tag und nicht auf den Pfennig verwirklichen läßt. Wir würden die Aushöhlung des Berufsbeamtentums durch eine schleichende Benachteiligung von Beamten, Richtern und Soldaten aber niemals zulassen.
Meine Damen und Herren, beim Datenschutz erleben wir eine merkwürdige Entwicklung. Es genügt offensichtlich nicht, beharrlich und wirksam den Schutz der Privatsphäre zu sichern. Dafür sind wir alle. Es wird vielmehr das uns bedrohende Schreckensbild einer unheimlichen, alles durchdringenden Technik entworfen, die den Menschen total überwacht und entmündigt. Auf der Welle der so erzeugten Ängste werden dann nicht nur alle möglichen technikfeindlichen Maßnahmen gegen solche im Staat unseres Grundgesetzes schlicht unmöglichen Visionen gefordert; vor allem soll auch das Vertrauen der Bürger in diesen Staat und seine Regierung erschüttert werden.
Denjenigen, die an der Wende zum Jahr 1984 mit solchen Szenarien umgehen, sagen wir: In diesem staat sind Regierung und Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden. Für alle ist die Menschenwürde oberstes Gebot. Deshalb verdienen die Einrichtungen dieser Bundesrepublik Deutschland Vertrauen, und die CDU/CSU-Fraktion wird darüber wachen, laß die Regierung und ihre Beamten dieses Vertrauen rechtfertigen.
Vor einigen Tagen, am 28. November, hat eine Sprecherin der GRÜNEN im Zusammenhang mit der Einführung des fälschungssicheren Personalausweises - ich zitiere laut dpa - „Ungehorsam gegen die offen und schleichend eingeführten Kontrollmechanismen des Überwachungsstaats" angekündigt. Der Herr Kollege Ehmke sprach heute hier von einem Überwachungsinstrument, das verhindert werden müsse.
Von welcher Republik wird da eigentlich gesprochen?
({7})
Haben wir nicht eine Fülle datenschutzrechtlicher Vorschriften, deren Einhaltung sorgfältig kontrolliert und in umfangreichen Datenschutzberichten erörtert wird? Sind wir nicht ständig bemüht, das Datenschutzrecht weiterzuentwickeln, obwohl bisher kein einziger Fall von Mißbrauch personenbezogener Daten und keine schwerwiegenden Verstöße gegen das Bundesdatenschutzgesetz im Bereich der inneren Sicherheit bekanntgeworden sind?
Die Koalition der Mitte hat sich in dieser Legislaturperiode eine Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes vorgenommen. Die Arbeiten daran sind im Gange. Wir prüfen derzeit mit unserem Koalitionspartner, wo Änderungen und Ergänzungen beim Datenschutz erforderlich und zweckmäßig sind, damit der Schutz der personenbezogenen Daten auf der Höhe der technischen Entwicklung bleibt.
Ich sehe keinen Anlaß, von der Einführung des fälschungssicheren Personalausweises ab dem 1. November des nächsten Jahres abzugehen, wie es das vor einem Jahr in diesem Hause einstimmig verabschiedete Gesetz vorsieht.
({8})
Der Entschließungsantrag des Bundestags von 1980 zum Datenschutz ist in allen Punkten erfüllt worden und mußte deshalb bei der Verabschiedung des Gesetzes im Dezember letzten Jahres nicht mehr aufgegriffen werden.
({9})
Die selbsternannten Widerstandskämpfer und Bundestagsbelagerer, die in diesem Zusammenhang den zivilen Ungehorsam propagieren, möchte ich fragen: Was würden Sie, die unserem Staat den Gehorsam aufkündigen und sich den demokratischen Spielregeln nicht fügen wollen, sagen, wenn eben dieses Gemeinwesen - selbstverständlich völlig gewaltfrei - Ihnen die Benutzung des städtischen Schwimmbads verwehren, Sie bei der Müllabfuhr übersehen oder bei der Wohngeldzahlung vergessen würde?
Es ist gewiß nicht zuviel verlangt, wenn der Staat, der nach Jahren der Naziwillkür und dem Elend des Krieges nun schon einer Generation ein Leben in Freiheit und sozialer Sicherheit ermöglicht hat, von seinen Bürgern die Beachtung der demokratisch beschlossenen und für alle geltenden Gesetze verlangt.
Herr Kollege Schmude, da ich noch beim Thema der inneren Sicherheit bin: An Ihren Ausführungen über die angeblich vorgesehene Einführung von Gummiwuchtgeschossen ist kein einziges Wort wahr. Nicht der Bundesinnenminister, sondern die Innenministerkonferenz hat sich mit Distanzwaffen befaßt und ein Gutachten darüber in Auftrag gegeben. Bundesinnenminister Zimmermann hat hier überhaupt keine Sonderposition eingenommen, sondern stets betont, daß er nur gemeinsam im Einvernehmen mit den Innenministern der Länder handeln wird.
({10})
Hören Sie doch endlich auf, in bösartiger Weise hier innenpolitische Feindbilder aufzubauen!
({11})
Herr Abgeordneter Laufs, Sie haben zwar generell erklärt, keine Zwischenfragen mehr zuzulassen. Aber Sie haben einen Abgeordneten persönlich angesprochen.
Bitte schön, Herr Kollege Schmude.
Wenn Sie mich so scharf kritisieren, Herr Laufs, muß ich Sie fragen: Wollen Sie denn leugnen, daß der Bundesinnenminister im Juli dieses Jahres ausweislich mehrerer Presseberichte, die ich vorliegen habe, sehr plötzlich und überraschend die Einführung von Gummiwuchtgeschossen für Bundesgrenzschutz und Polizei angekündigt hat und daß es dann nach harschen Reaktionen, nicht zuletzt aus den Innenministerien der Länder, schließlich heißen mußte - in der „Stuttgarter Zeitung" vom 29. Juli 1983 - „Bundesinnenministerium korrigiert die Äußerung Zimmermanns - Minister rückt von der Forderung nach Gummiwuchtgeschossen ab"? Hier ist diese Meldung. Wollen Sie das leugnen?
({0})
Herr Kollege Schmude, genau das unterscheidet uns eben. Sie benutzen Pressemeldungen, um Pappkameraden aufzubauen
({0})
und auf sie zu schießen, und akzeptieren die Richtigstellung nicht, die dann offiziell erfolgt. Wir weisen das zurück.
({1})
Gegenwärtig wird häufig, etwa im Zusammenhang mit der Abrüstungspolitik oder dem Umweltschutz, von nicht mehr umkehrbaren Entscheidungen in unserem Staatswesen gesprochen und davon, daß die Regierung schwere Verantwortung für die kommenden Generationen trage. Das trifft insbesondere für die Ausländerpolitik zu; denn die Entscheidungen über den weiteren Zuzug von Ausländern und über die Integration der hier lebenden Ausländer, die wir jetzt treffen, sind in der Tat irreversibel und werden unser Staatswesen für die folgenden Generationen prägen.
Ausländerpolitische Entscheidungen sind Entscheidungen über Menschen, über Einzelschicksale.
({2})
Die Regulierung etwa des Stahlmarktes ist eine Sache, die Steuerung des Ausländeranteils an der Bevölkerung in der Bundsrepublik eine ganz andere. Wenn der Ausländerpolitik dieser Bundesregierung unterstellt wird, sie behandele die Ausländer als „konjunkturelle Manipuliermasse", ist das eine, ich muß schon sagen: infame Unterstellung.
({3})
Wir wollen eine Ausländerpolitik für Menschen. Dabei haben wir aber von der Tatsache auszugehen, daß die Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland für Ausländer erschöpft und schon überschritten ist. Wenn eine Ausländerintegration in dieser Situation stattfinden soll und wenn wir die Entstehung einer Ausländerfeindlichkeit unter unserer Bevölkerung verhindern wollen, dann muß der Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer fortbestehen und der weitere Ausländerzuzug beschränkt werden.
Damit bin ich beim Problem des Familiennachzugs. In diesem Zusammenhang wird viel über die angeblich unmenschliche Absicht diskutiert, das Nachzugsalter bei Kindern auf das sechste Lebensjahr herabzusetzen. Dazu gibt es bisher keinerlei Festlegung. Ich will mich dazu jetzt auch nicht weiter äußern, obwohl mir noch niemand plausibel gemacht hat, weshalb es unmenschlich sein soll, wenn man dafür sorgt, daß Kinder von früh an bei ihren Eltern aufwachsen, und wenn man verhindern will, daß erst herangewachsene ausländische Jugendliche ohne jede Integrationschance einreisen.
({4})
In dieser Diskussion ist jedoch zu Unrecht die Frage des Ehegattennachzugs in den Hintergrund getreten. Sie stellt sich vordringlich bei Ausländern der sogenannten zweiten Generation, die hier geboren sind, ihre engen Bindungen zur angestammten Heimat aber aufrechterhalten und sich in unserem Land nicht auf Dauer integrieren und einbürgern wollen.
({5})
Ich halte es für unverzichtbar, einen Nachzug ausländischer Ehegatten in diesen Fällen sehr restriktiv zu handhaben. Wenn wir hier keine klare und feste Grenze, und zwar unverzüglich, ziehen, werden wir die Ausländerintegration nie bewältigen. Sonst werden Jahr für Jahr Zehntausende von junDr. Laufs
gen Menschen - in der Regel wohl junge Frauen - aus fremden Kulturkreisen ins Bundesgebiet kommen und hier für lange Zeit fremd bleiben. Auch die Kinder aus solchen Ehen werden kaum einen Zugang zu unserer Lebensart finden können. Die Regelung des Ehegattennachzuges in diesem Sinne sollte die Regierung im kommenden Jahr mit Nachdruck angehen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Asylverfahrensrecht sagen. Es hat sich alles in allem bewährt. Die Flut mißbräuchlicher Asylbewerbungen ist heute eingedämmt, die Verfahrensdauer drastisch verkürzt. Unser Ziel muß sein: Wer zu Recht um Asyl nachsucht, muß in angemessener Frist seine Anerkennung erhalten können. Wir werden deshalb an den Sammelunterkünften und dem Arbeitsverbot festhalten.
Wir haben bei der Unterrichtungsfahrt des Innenausschusses Beispiele tadelloser Unterkünfte in guter Betreuung kennengelernt, aber ebenso deprimierende und unerträgliche andere Behausungen gesehen. Herr Kollege Hirsch, hier ist ein wichtiges und großes Feld für Verbesserungen, die wir gemeinsam angehen sollten.
Meine Damen und Herren, dem Bundesinnenminister Dr. Zimmermann ist es zu danken, daß er in kurzer Zeit eine Fülle von Versäumnissen der sozialliberalen Regierungszeit aufgearbeitet und Problemlösungen auf den Weg gebracht hat. Er hat unser Vertrauen; wir werden den Einzelplänen seines Ressorts zustimmen.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einige Bemerkungen zum Einzelplan 36, zivile Verteidigung, machen, der ebenfalls in die Kompetenz des Bundesministers des Innern fällt. Der Einzelplan 36 weist u. a. die Mittel und Maßnahmen für den Rettungsdienst und den Schutz vor Katastrophen, wie Hochwasser, Brände, schwere Unfälle und ähnliches im Friedensfalle aus. Wir Sozialdemokraten begrüßen ausdrücklich, daß dafür in diesem Haushalt mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesregierung setzt in diesem Punkt unsere Politik fort. Es ist gut, meine Damen und Herren, daß in diesem Haus über die notwendige Vorsorge und über wirkungsvolle Maßnahmen zum Schutze vor Katastrophen im Friedensfall keine grundsätzlichen Meinungsunterschiede bestehen.
Stellvertretend für alle Organisationen mit ihren über 1,2 Millionen freiwilligen Helfern, die im Rettungsdienst und im Katastrophenschutz tätig sind, dankt die SPD-Bundestagsfraktion dem Technischen Hilfswerk und seinen Mitarbeitern für ihren Einsatz und ihre Hilfe,
({0})
beispielsweise bei der Bewältigung der Hochwasserkatastrophe in einigen Bundesländern in diesem Jahr.
Ein anderer Schwerpunkt, meine Damen und Herren, im Einzelplan 36 gilt dem, was die Bundesregierung - ich zitiere - „die zivile Vorsorge des Staates sowie die Selbsthilfe der Bürger im Verteidigungsfall" nennt. Hier, meine Damen und Herren, ist Klarheit und Offenheit geboten. Ich will dies am Beispiel des Schutzraumbaus verdeutlichen. Ich sage es auch mit der gebotenen Selbstkritik an unsere eigene Adresse, was die Zeit unserer Regierungsverantwortung angeht.
({1})
Tatsache ist: Mit Mitteln des Bundes ist in den letzten Jahren der Bau von ungefähr 2,2 Millionen Schutzraumplätzen gefördert worden. Davon entfallen 98 % auf öffentliche Schutzräume, der Rest, etwa 44 000, sind Hausschutzräume, die im privaten Wohnungsbau errichtet worden sind.
Die Bestandsaufnahme zum Schutzraumbau ergibt: Lediglich für 3,5 % der Bundesbürger stehen Plätze im Schutzraumbau für den Ernstfall zur Verfügung.
({2})
Nur ein geringer Teil davon ist „atombombensicher". Im Klartext heißt dies: Im Verteidigungsfall gibt es „selbst" bei einem konventionellen Krieg nur für einen verschwindend geringen Teil der Bundesbürger den Schutz durch Schutzraumbau. Ehrlichkeit und Offenheit gebieten, in aller Öffentlichkeit festzustellen: Für einen Atomkrieg in der Bundesrepublik gibt es keinen Überlebensschutz.
({3})
Diese Feststellung mag zwar manchem unbequem erscheinen, aber sie ist die Wahrheit. Sie, Herr Bundesinnenminister, haben am 3. August dieses Jahres zu der Petition eines Bürgers zu diesem Problem an den Deutschen Bundestag unter dem Aktenzeichen - ich zitiere dies, um möglichen Nachfragen zu begegnen - AZ 1 - 10 - 06 215 - 4160 folgendes ausgeführt - ich zitiere wörtlich und langsam -:
Schutzräume bieten zwar keinen Volltrefferschutz gegen Atomwaffen, außerhalb des Volltrefferbereichs werden jedoch die Überlebenschancen der Schutzrauminsassen wesentlich vergrößert.
({4})
In Hiroshima haben schon verhältnismäßig einfache Schutzvorkehrungen wie z. B. erdüberdeckte Unterstände das Überleben von Menschen ermöglicht.
Soweit Ihre Aussage, Herr Bundesinnenminister.
Wir, meine Damen und Herren, empfinden diese Feststellung des Herrn Bundesinnenministers - um es zurückhaltend zu formulieren;
({5})
Schäfer ({6})
Zurückhaltung ist das mindeste, Herr Kollege Schmidbauer, was auch den überlebenden Opfern von Hiroshima und Nagasaki angemessen ist - als eine unerträgliche, unverantwortliche Verharmlosung der Folgen eines Atomkriegs.
({7})
Ihnen, Herr Bundesinnenminister, empfehlen wir allen Ernstes, Sie sollten sich den Film „The Day after" anschauen. Am Tag danach sollten Sie dann diese beschwichtigende Aussage schleunigst aus der Welt schaffen, Herr Bundesinnenminister.
({8})
- Sie, Herr Miltner, wissen wie wir, daß ein Atomkrieg in der dicht besiedelten Bundesrepublik Deutschland alles Leben zerstört.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Abgeordneter Schäfer, ist Ihnen entgangen, daß es der von Ihnen mehrfach angesprochene Bundesminister in der Zwischenzeit vorzieht, hier Unterhaltungen zu führen, statt Ihnen zuzuhören?
({0})
Herr Abgeordneter Jahn, dies ist mir nicht entgangen. Es bestätigt mich in der Einschätzung des Bundesinnenministers, wie er sich verhält, wenn es um lebenswichtige Fragen der Bevölkerung geht; er taucht dann gern weg.
({0})
Sie, Herr Innenminister, und Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wissen, daß ein Atomkrieg in der dicht besiedelten Bundesrepublik Deutschland alles Leben zerstört. Sie wissen, Herr Kollege Waigel, daß die heutigen Nuklearwaffen ein Vielfaches der Zerstörungskraft der Atombomben von Nagasaki und Hiroshima haben. Auch von daher, Herr Bundesinnenminister, verbietet sich der Vergleich, den Sie in der Stellungnahme zu einer Eingabe eines besorgten Bürgers gemacht haben.
({1})
Diese Schrecken, Herr Innenminister, dürfen auch nicht durch das Vorgaukeln von Sicherheitsillusionen relativiert oder abgeschwächt werden.
({2})
Ich höre schon den Vorwurf, Herr Kollege Miltner, ich machte Panik, ich triebe Angst. Ich sage Ihnen, daß das, was wir hier beschreiben,
({3})
im Ernstfall die Wirklichkeit ist. Das ist im Ernstfall die Realität. Das ist im Ernstfall die Wahrheit.
({4})
Das muß in Offenheit und Ehrlichkeit der Glaubwürdigkeit wegen auch den Bürgern unserer Bundesrepublik deutlich gemacht werden.
({5})
Ich sage noch einmal: Es gibt bei einem Atomkrieg in Mitteleuropa keine Überlebenschancen, auch nicht durch den Schutzraumbau. Auch deshalb, meine Damen und Herren, lehnt die Mehrheit der Bevölkerung die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen ab.
({6})
Auch deshalb bleibt die Politik der Entspannung und Abrüstung ohne Alternative. Mit Gustav Heinemann sagen wir: Der Frieden ist der Ernstfall.
({7})
Ich füge hinzu: Der Nuklearkrieg ist das Ende. - Sie sagen: Die Debatte hatten wir vor 14 Tagen. Ich sage zu Entspannungspolitik und Abrüstung: Das Wegbringen des atomaren Teufelszeugs ist für uns eine ständige Aufgabe. Das ist nicht vor 14 Tagen abgeschlossen worden.
({8})
Ich füge hinzu: Es wäre fatal, wenn durch Äußerungen, wie sie Herr Zimmermann getan hat, der Eindruck erweckt werden sollte, Atomkriege seien gar nicht so schlimm, man könne sich dagegen ja zumindest partiell schützen.
Wir Sozialdemokraten - ich sage es noch einmal selbstkritisch - haben die Zivilschutzkonzeption mitentwickelt und mitgetragen.
({9})
Wir finden, es ist an der Zeit, diese Konzeption auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Wir danken den vielen Bürgern, die uns in den letzten Wochen und Tagen dazu geschrieben haben. Wir würden es begrüßen, meine Damen und Herren auf allen Seiten dieses Hauses, wenn Sie sich ohne Selbstgerechtigkeit, ohne Besserwisserei
({10})
an der notwendigen, vorurteilsfreien und nüchternen Überprüfung der gültigen Sicherheitskonzeption Zivilschutz beteiligen würden.
In der deutschen Innenpolitik bewegen vor allem zwei Problemkreise - viele Umfragen belegen dies - die Bürger zu Recht: zum einen die steigende Arbeitslosigkeit, zum anderen die zunehmende Umweltzerstörung. Sie, die Bundesregierung - Sie insonderheit, Herr Bundesinnenminister -, müssen sich auch an der umwelt- und arbeitsmarktpoliSchäfer ({11})
tischen Herausforderung messen lassen, in der wir stehen.
({12})
Fest steht: Die traditionelle Wirtschaftspolitik war nicht in der Lage,
({13})
Vollbeschäftigung einerseits und eine unversehrte Umwelt andererseits zu garantieren. Die Daten belegen es: Die Zahl der Arbeitslosen steigt trotz des milden Herbstwetters im November um mehr als 40 000 auf über 2,1 Millionen.
({14})
Die Umweltzerstörung nimmt rapide zu. Das Waldsterben hat sich während der letzten zwölf Monate in galoppierendem Tempo fortgesetzt.
({15})
- Das ist der Befund, lieber Kollege Fellner, den der Herr Bundesernährungsminister vorgelegt hat. In den letzten zwölf Monaten hat sich die Schadensfläche beim Waldsterben vervierfacht.
({16})
Kaum ein Tag vergeht, an dem wir nicht mit neuen, alarmierenden Meldungen und Nachrichten erschreckt werden: Im Trinkwasser werden gesundheitsgefährdende Stoffe festgestellt; da wird sogar DDT in der Muttermilch entdeckt; da wird weiterhin Raubbau an wertvollem Boden betrieben.
({17})
Die Zahl der durch Umweltverschmutzung bedingten Erkrankungen steigt steil an.
Sie, Herr Innenminister, lassen sich gern als größter Umweltminister aller Zeiten feiern,
({18})
und doch klaffen Ihre Ankündigungen und Ihre tatsächliche Politik weit auseinander. Mir fällt zu Ihrer Politik ein Aphorismus des Polen Stanislaw Lec ein: „Und wieder zerschlug sich die Wirklichkeit an seinen Träumen".
({19})
Sie, Herr Bundesinnenminister, reden zwar permanent vom Kampf gegen das Waldsterben. Wenn es aber zur Sache geht, wenn es darum geht, wirksame Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung zu beschließen, erweisen sich Ihre Ankündigungen in der Tat als bloße Worthülsen. Wie anders ist es sonst zu
verstehen, daß Sie das klassische, bewährte und zudem noch marktwirtschaftliche Instrument der Abgabe, z. B. in Form einer Schadstoffabgabe, rundweg ablehnen?
({20})
Dabei wissen auch Sie, Herr Bundesinnenminister: Wenn die Verschmutzung unserer Luft nicht unverzüglich vermindert wird, wird das Waldsterben in unvermindertem Tempo weitergehen, wird Hilfe für große Teile unserer Wälder zu spät kommen.
Das von der Bundesregierung insgesamt vorgelegte Haushaltskonzept weist keinen klaren umweltpolitischen Akzent auf. Es fehlt die Verknüpfung von umwelt- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Dies ist aus umweltpolitischen Gründen verantwortungslos, aber dies ist auch aus wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Gründen nicht zu verantworten.
Sie, Herr Zimmermann, reden doch immer so gern davon, eine wachsende Umweltschutzgüter-Industrie könne Schrittmacher des technischen Fortschritts sein; Ökonomie und Ökologie ließen sich miteinander verbinden. Dies ist richtig, dem stimmen wir zu. Aber warum unterläßt es die Bundesregierung dann, diesen Aspekt im gesamten Bundeshaushalt angemessen zu berücksichtigen? Wo ist die umweltpolitisch orientierte Initiative für einen Wachstums- und Beschäftigungshaushalt? Warum lehnen Sie die Forderungen unserer Fraktion nach einem Programm „Arbeit und Umwelt" ab?
({21})
Sie wissen doch, daß Sie damit zwei Dinge gleichzeitig erreichen könnten: Arbeitsplätze schaffen und Umweltschutzmaßnahmen fördern.
Sie sagen, ein solches Programm sei nicht finanzierbar. Gleichzeitig verschleudern Sie Milliardenbeträge in sinnlosen Projekten wie Rhein-Main-Donau-Kanal, Schneller Brüter in Kalkar oder der Wiederaufarbeitungsanlage.
({22})
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, hängen leider immer noch der falschen Vorstellung von Umweltschutz nach, man könne sich Umweltschutz im Grunde erst dann leisten, wenn Wirtschaftswachstum dazu da sei. Ansonsten sei Umweltschutz einfach zu teuer.
({23})
Es ist wahr, Umweltschutz gibt es nicht zum NullTarif. Wahr ist aber auch: Unterlassender Umweltschutz kommt uns alle insgesamt viel teurer.
({24})
Es bleibt richtig: Das ökologisch Notwendige ist auf mittlere und längere Sicht auch das ökonomisch Sinnvolle. Ich will es an einem einzigen Beispiel, das eindrucksvoll ist, belegen. Im vergangenen
Schäfer ({25})
Sommer mußte in der Region Athen ein Teil der Produktion wegen der Gesundheitsgefährdung der dortigen Bevölkerung eingestellt werden. Es war Smogalarm und Smoggefahr. Dies führte dazu, daß das Bruttosozialprodukt in Griechenland insgesamt um 30 % reduziert wurde. Das Beispiel macht - so denke ich - überdeutlich, meine Damen und Herren, daß fehlender Umweltschutz nicht nur Wohlstandsverlust ist, sondern insgesamt auch volkswirtschaftlich teuer zu bezahlen ist.
({26})
Diese Bundesregierung - dies zeigt in erster Linie der vorgelegte Haushalt des Bundesministers des Innern, aber nicht nur er - nimmt eine Spaltung der Gesellschaft bewußt in Kauf. Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Regierung, zielt auf Entsolidarisierung der Gesellschaft.
({27})
Ihre Strategie der Ausgrenzung macht nicht bei Randgruppen und Minderheiten halt - dies ist schon schlimm genug -, sie reicht tief ins Lager der Arbeitnehmerschaft hinein. Wir werden es bei den Beratungen insonderheit zum Einzelplan 11 des Bundesarbeits- und sogenannten Sozialministers deutlich machen. Sie, Herr Bundesinnenminister, stehen für den Bereich der Innenpolitik für diese Politik der Ausgrenzung.
({28})
Statt Integration betreiben Sie Konfrontation, statt Argumentation Diffamierung: Wer Bedenken gegen die Volkszählung hat, wird schlichtweg zum Systemfeind erklärt. Wer in der Friedensbewegung mitarbeitet, wird als kommunistisch gesteuert dargestellt. Wer für wirksamen Datenschutz auch bei den Organen der inneren Sicherheit ist, wird zum Gegner der inneren Sicherheit hochstilisiert. Die Beispiele, Herr Bundesinnenminister, ließen sich fortführen.
Sie zeigen sich auch unbeeindruckt davon, daß alle Datenschutzbeauftragten - auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, dem wir dafür ausdrücklich unsere Anerkennung aussprechen - Ihre Vorstellungen zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes als datenschutzfeindlich, als Rückfall im Datenschutzrecht qualifizieren. Es bleibt dabei, meine Damen und Herren: Wir Sozialdemokraten verteidigen gegen Zimmermann und Spranger den freiheitlichen Rechtsstaat.
({29})
Wir wollen keinen Zimmermann-Staat.
({30})
Ich darf noch einige Worte zur FDP sagen. Frau Kollegin Adam-Schwaetzer, am 17. November stand in der „Welt der Arbeit":
So sieht es die FDP Zimmermann hat FDP enttäuscht
Dann, Frau Kollegin Adam-Schwaetzer, führen Sie auf einer Seite aus, wie schlimm doch der Zimmermann sei, wie sehr er doch rechtsstaatliche Freiheiten einschränken wolle. Ich kann Ihnen nur sagen, und zwar ganz gezielt an Ihre Adresse: Frau Kollegin Schwaetzer, wer tatkräftig mit betrieben hat, daß der Bundesinnenminister Baum durch den Bundesinnenminister Zimmermann ersetzt worden ist, der braucht sich anschließend nicht darüber zu beschweren, Zimmermann enttäusche die FDP, Frau Kollegin Adam-Schwaetzer.
({31})
Zu den verehrten Kollegen Baum und Hirsch: Sie wissen, daß wir in gemeinsamer Verantwortung auf der Bundesebene in der Innenpolitik gemeinsam politische Handlungsfelder ausgefüllt haben. Sie bleiben Ihren Überzeugungen treu. Ich bestätige dies ausdrücklich. Wenn ich die Wirklichkeit der Innenpolitik ansehe, fällt mir manchmal das Wort von Herrn Pressesprecher Boenisch ein: Sie demonstrieren, wir regieren. Ich wandle es ab - und so könnte es auf die FDP in der Innenpolitik gemünzt sein -: Sie beschließen auf Parteitagen Grundsätze zur Innenpolitik, denen wir weitgehend folgen können; in der Praxis der Innenpolitik kommen Sie dann leider, meine Damen und Herren von der FDP, nicht zum Zuge. Es bleibt dabei: in der Praxis der Innenpolitik auf Bundesebene kann nur die Sozialdemokratische Partei tatkräftig das liberale Wächteramt ausfüllen.
({32})
Wir, meine Damen und Herren, stehen dazu.
Wir beantragen namentliche Abstimmung zur Ablehnung der Politik und damit zur Ablehnung des Haushaltes des Bundesinnenministers.
({33})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, ich glaube, bei allen Meinungsverschiedenheiten, die in diesem Hause in Sachen der Innen- und Rechtspolitik auch in der früheren Koalition aufgetreten sind und auch heute in der jetzigen Koalition auftreten - es ist doch gar nichts Verwerfliches, daß unterschiedliche Parteien unterschiedliche Meinungen haben -,
({0})
sollten wir eines nicht tun, wir sollten uns nicht gegenseitig den Willen absprechen, gemeinsam in diesem Parlament den freiheitlichen Rechtsstaat zu verteidigen.
({1})
Es ist auch nicht so, Herr Kollege Schäfer, daß wir die Debatte über die Friedenssicherung abbrechen wollen. Ganz im Gegenteil. Es ist meines ErBaum
achtens wichtig, daß der Außenminister gerade jetzt eine neue Initiative zur Entspannungspolitik unternommen hat, weil wir eben davon ausgehen, daß der Friede letztlich nicht durch Waffen, sondern durch eine friedenssichernde Politik gesichert werden muß.
({2})
- Warum ist das paradox?
({3})
- Sie kennen doch unsere Position. Sie haben eine andere Meinung hier ausgiebig zur Geltung gebracht. Wir, die Koalition, haben gemeinsam einen Weg zur Friedenssicherung vertreten, den wir für richtig halten. Wir verlangen dafür Ihren Respekt genauso, wie wir Ihnen nicht den Respekt für die Meinung absprechen, die Sie haben. Wir wollen nur deutlich machen, daß die Politik, die wir gegenüber dem Osten 1969 eingeleitet haben, jetzt fortgesetzt wird, gerade in einer schwierigen und kritischen Situation.
({4})
Diese Initiative des Außenministers wird auch die Beratungen im NATO-Rat in dieser Woche beschäftigen.
Sie kritisieren uns, daß wir eine Entspannungspolitik machen. Das ist ja geradezu paradox.
({5})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein Wort zur Ausländerpolitik sagen. Wir haben hier Meinungsverschiedenheiten. Wir haben auch in der Koalition Meinungsverschiedenheiten. Ich habe das eben schon angedeutet.
Wir beraten zur Zeit den Datenschutz. Auch da gibt es unterschiedliche Positionen. Es ist ja auch nichts Verwunderliches, wenn sich Parteien 13 Jahre gegenübergestanden haben, die einen in der Regierung, die anderen in der Opposition, mit unterschiedlichen Programmen, daß man jetzt versuchen muß, zu Kompromissen zu kommen. Das ist nicht einfach. Das betrifft den Datenschutz, das betrifft das Demonstrationsstrafrecht, und das betrifft die Ausländerfrage. Sie kennen meine Position. Ich möchte, daß die Ausländer Rechtssicherheit haben, daß die Angst und die Unsicherheit weggenommen werden, die bei den Ausländern auch durch die öffentlichen Diskussionen entstanden sind. Ich bin der Meinung, daß wir es uns zu einfach machen, die Türken sozusagen als Sondergruppe zu behandeln, als schwer integrierbare Sondergruppe, für die besondere Maßnahmen getroffen werden müßten. Ich war mit dem Kollegen Hirsch und anderen Kollegen meiner Fraktion in der Türkei. Ich kann Ihnen sagen, die türkische Regierung und alle türkischen Gesprächspartner werden zunächst einmal darauf bestehen, daß das Freizügigkeitsabkommen, das 1986 in Kraft tritt, eingehalten wird. An dieses Abkommen, das den Zuzug der Türken in die Bundesrepublik Deutschland relativ ungehindert zuläßt, sind wir als Mitglied der EG zunächst einmal gebunden. Wenn wir das nicht wollen - und ich will es nicht im Interesse der Integration der hier Lebenden -, dann müssen wir uns überlegen, wie wir diese Debatte, die Unsicherheit und Angst erzeugt, durch klare Regelungen und Schutzrechte auch für die türkischen Mitbürger endlich beenden.
({6})
Das ist auch die Voraussetzung, um zu einem entspannten und offenen Miteinander mit den ausländischen Mitbürgern in diesem Land zu kommen. Da gibt es viele Versäumnisse, und da haben wir viele Fehler auf allen staatlichen Ebenen gemacht. Wir müssen endlich akzeptieren, daß 4,6 Millionen Ausländer hier leben und daß wir sie zum größten Teil angeworben haben und in unserem Land als Arbeiter aufgenommen haben.
Wir werden uns über all diese Fragen unterhalten, z. B. über den Kindernachzug. Natürlich wollen wir auch, daß die Kinder möglichst früh kommen. Aber die Frage ist doch, ob man die Kinder durch Zwang daran hindert, zu ihren Eltern zu kommen.
({7})
Natürlich ist die Frage des Ehegattennachzugs ganz wichtig. Dazu wollen wir einmal die Zahlen haben: Wer heiratet eigentlich wen? Was ist das in den nächsten Jahren für ein zahlenmäßiges Problem? Wir müssen wissen, womit wir es zu tun haben, bevor wir am grünen Tisch irgendwelche Regelungen machen, die - das muß dann auch einmal gesagt werden - die außenpolitische Reputation der Bundesrepublik Deutschland betreffen.
({8})
Wir haben darüber in der Diskussion über Herrn Hartling gesprochen.
Ich rede hier sehr offen nach allen Seiten. Wir sind ein Parlament der offenen und freien Rede und brauchen uns nicht zu scheuen. Ich möchte Ihnen auch sagen: So einfach war das in der Ausländerfrage mit Ihnen auch nicht. Die Fraktionsvorsitzenden der SPD haben sich noch im Mai 1982 für eine Altersgrenze bei sechs Jahren mit Zwangsmaßnahmen ausgesprochen.
({9})
Dem haben wir damals widersprochen. Meine Damen und Herren von der SPD, natürlich gab es bei Ihnen auch Vertreter anderer Meinungen, aber so selbstverständlich ist das nicht. Wir müssen uns zu einer gemeinsamen Position möglichst bald zusammenfinden.
Noch ein Letztes zu den Fragen des Umweltschutzes. Sie können sich vorstellen, daß ich einigermaßen betroffen bin, wenn ich hier und in Wahlveranstaltungen immer höre, da mußte erst ein neuer Minister kommen, um das alles in die Wege zu leiten. Das ist, meine Damen und Herren, mit Verlaub gesagt, falsch. Ich habe es an dieser Stelle
wiederholt gesagt, und ich sage das heute noch einmal. Wenn die Leute mich fragen: Warum hast du das nicht gemacht?, antworte ich ganz einfach: Weil ich nicht mehr der zuständige Minister bin. Denn Herr Zimmermann hat das, was vorbereitet war - TA Luft, Großfeuerungsanlagen-Verordnung -, in den Fristen, die vorgesehen waren, ausgeführt, und dafür hat er unsere Unterstützung, und wir anerkennen das, was er tut.
({10})
Es gab natürlich Schwierigkeiten, auch ich hatte Schwierigkeiten, in den anderen Parteien, in der Regierung, in meiner Fraktion, ich will das gar nicht leugnen. Natürlich gibt es unterschiedliche Interessen in Sachen Luftreinhaltung. Ich möchte jetzt gar nicht einzelne Ministerpräsidenten oder Landesregierungen zitieren, z. B. Herrn Strauß mit einem Brief an mich vom Mai 1982 in Sachen TA Luft, Herrn Späth, aber auch die Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Die Situation hat sich durch das Waldsterben geändert. Das Waldsterben ist ein Augenöffner für eine ökologische Katastrophe geworden, und jetzt ist die Bereitschaft zum Handeln sehr viel größer. Ich kann den Bundesinnenminister nur ermutigen, diese günstige Situation zum Anlaß zu nehmen, diesen Prozeß des Umdenkens in Sachen Umweltschutz ganz konsequent und energisch nach vorne zu treiben.
({11})
Es geht um Dinge, die wir auch in den gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und FDP zum Umweltschutz aufgenommen haben. Da haben wir Liberalen Vorstellungen, die über das, was die Regierung will, hinausgehen. Wir sind z. B. der Meinung, daß wir eine Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes brauchen. Wir sind für einen Grundrechtsschutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das hat nicht nur deklamatorische Bedeutung, Herr Laufs, sondern es orientiert die staatlichen Gewalten - das sind die Parlamente, die Verwaltungen und die Rechtsprechung - in Richtung auf das Ziel Umweltschutz.
Wir müssen uns selbstverantwortlich fragen, ob wir wirklich an unsere Kinder denken, ob wir wirklich den „Maßstab Natur" konsequent zu einem politischen Maßstab machen. Wir müssen uns das angesichts von Entwicklungen fragen, die uns überraschen. Jawohl, das Waldsterben hat uns überrascht, hat uns überrollt. Das Vorsorgeprinzip hat nicht funktioniert. Wir müssen uns einfach fragen: Was geschieht denn eigentlich noch in der Atmosphäre, in den Weltmeeren? Wo finden denn zur Zeit Prozesse statt, die ähnliche Schäden bewirken, von denen wir eines Tages überrollt werden?
Das alles macht es meines Erachtens notwendig, daß wir uns doch sehr nachhaltig überlegen, wie wir unsere Formen des Wirtschaftens, des Verbrauchens an die Gegebenheiten und Notwendigkeiten der Natur anpassen. Diesen Prozeß werden wir weitertreiben.
Im Grund bedarf es, Herr Bundesinnenminister, in dieser Wahlperiode einer deutlichen Offensive in Sachen Umweltschutz. Der Antrag, den die Koalitionsfraktionen hier vorgelegt haben, ist nicht ein Sammelsurium von Prüfaufträgen, wie Sie, Herr Kollege Ehmke von den GRÜNEN, das abgewertet haben, sondern er ist die sehr gründliche Vorbereitung für eine Offensive in Sachen Umweltschutz und Naturschutz seitens der Koalition.
({12})
Alle Prüfaufträge beziehen sich auf Zeitpunkte Anfang 1984. Im Jahr 1984 werden wir im Detail über alle diese Dinge Entscheidungen treffen. Allerdings, Herr Ehmke, wollen wir sie sehr gut überlegen. Wir wollen das Richtige tun. Schließlich kostet das alles sehr viel Geld. Wir müssen darauf achten, daß wir unsere beschränkten Mittel an der richtigen Stelle einsetzen.
Noch eine Bemerkung. Es ist j a so, daß wir gern fast ausschließlich über bestimmte Themen diskutieren. Wir haben über die Kernenergie Monate und Jahre diskutiert. Wir diskutieren jetzt über das Waldsterben. Meine Kollegen, bitte vergessen wir nicht, daß im Bereich des Umweltschutzes eine Menge zu tun ist: in Sachen Wasser, in Sachen Landwirtschaft, in Sachen Abfall, in Sachen Schutz des Bodens - Bodenschutzprogramm - und anderes mehr. Also bitte nicht nur dieses eine Thema, sondern umfassend diskutieren!
Wir lassen uns - das ist meine Schlußbemerkung - von den düsteren Szenarien, die wir alle kennen - „Global 2000", Club of Rome - nicht entmutigen. Sie sind aber ein Warnsignal. Wir wollen handeln. Und wir wollen uns auch nicht durch tausend Bedenken ersticken lassen. Wir wollen entscheidende Schritte vollziehen. Wir wollen, daß wir von diesem Reparaturbetrieb Umweltschutz wegkommen. Das bedeutet eine deutliche Anpassung, ein Umdenken, wahrscheinlich radikaler, als wir es bisher tun.
Dabei hat der Bundesinnenminister unsere volle Unterstützung.
({13})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf einige Akzente eingehen, die meine Vorredner mir gewidmet haben.
Herr Kühbacher, da sind Sie der erste. Ihnen muß ich leider sagen: Beim Essensgeld waren die Länder führend im Kappen.
({0})
Da gibt es sehr viele sozialdemokratische Beispiele, auf die die Bundesregierung hier verweisen kann. Bitte messen wir mit der gleichen Elle Bund und Länder. Und vergießen wir hier nicht, wie Sie es getan haben, Krokodilstränen nur wegen der Zumutungen für die kleinen Beamten. Wir haben hier von Ihrer Seite Vorbilder.
({1})
Die Bundesregierung ist angetreten, indem sie als allererste Maßnahme die Bezüge ihrer Minister
und Parlamentarischen Staatssekretäre um fünf Prozent gekürzt hat. Das ist ein Jahr her. Das darf man auch einmal sagen.
({2})
So haben wir begonnen. Vorbilder von Ihrer Seite gab es auf diesem Sektor allerdings nicht.
({3})
Die dritte Feststellung. Der Bundesinnenminister ist noch von keinem Parteitag der CSU nach Bonn oder umgekehrt mit einer Puma geflogen. Er braucht keine Pumas, um schneller zu Parteitagen zu kommen. Er hat das nie getan und wird es auch in Zukunft nie tun.
({4})
- Schauen Sie bitte einmal in Ihre eigenen Reihen, wie das vorher war!
({5})
Der Bundesminister des Innern beabsichtigt keine Remilitarisierung des Bundesgrenzschutzes. Sein Vorgänger, der Bundesinnenminister Baum, hat Sonderfahrzeuge in Auftrag gegeben. Dafür war ein Zehn-Jahres-Programm vorgesehen. Der Bundesminister des Innern Friedrich Zimmermann hat dieses Programm zeitlich auf die Hälfte zusammengedrückt. Das ist alles. Ein schon beschlossenes Programm wird schneller verwirklicht.
Herr Kühbacher, insgesamt möchte ich sagen: Das war eine Rede, die Ihrer eigentlich nicht ganz würdig war. Ihre Rede im Vorjahr war wesentlich besser.
({6})
Herr Kollege Schmude hat beklagt, daß ich kein Gesetz vorgelegt habe. Er muß doch dankbar sein, wenn ich einen solchen Beitrag zur Entbürokratisierung leiste.
({7})
Die anderen reden immer nur von Entbürokratisierung. Er hat hinzugefügt, er beklage, obwohl ich kein Gesetz vorgelegt hätte, hätte ich die Lage total verändert. Jetzt muß ich wirklich lateinisch antworten. Wissen Sie, woher das kommt, warum ich die Lage trotzdem verändert habe? - Durch den lateinischen Spruch: cogito ergo sum. So ist das.
({8})
Jetzt kommen die Gummiwurfgeschosse. Hier habe ich keine Ankündigungen vollzogen. Ich denke gar nicht daran, die Polizei des Bundes anders auszurüsten als die der Länder. Ich habe mir nur erlaubt vorzuschlagen, daß ich sie für Bund und Länder für richtig und notwendig halte. Die Innenministerkonferenz hat einen Prüfauftrag gegeben und wird im Januar auf ihrer nächsten Konferenz entscheiden, ob sie einen Entwicklungsauftrag geben wird, was ich annehme.
Von dem Pamphlet, von dem die Rede war, wurden 200 000 Stück gedruckt. Die waren so unglaublich schnell vergriffen, daß wir eigentlich hätten nachdrucken müssen. So verschieden kann man das betrachten.
Herr Kollege Jahn, wenn der Haushaltberichterstatter meiner Fraktion zu mir kommt, um mich etwas zu fragen, dann ist es absolut ungehörig, daß Sie das monieren und behaupten, ich würde mich mit irgend jemandem unterhalten, statt Ihrem Redner zuzuhören.
({9})
Sie wissen, daß das eine ganz billige, Ihrer unwürdige Polemik gewesen ist und sonst nichts.
Herr Kollege Baum, jetzt muß ich zu Ihnen noch etwas sagen. Ich bitte dringend, die Freizügigkeit des Art. 12 des Assoziierungsabkommens nicht so zu interpretieren, wie Sie das tun. Das ist eine absolut limitierte Freizügigkeit. Man muß die Art. 48 bis 50 des EWG-Vertrages dazulesen. Das Überwort lautet: die Regierungen sollen sich leiten lassen. Die Türkei weiß ganz genau, daß es eine unlimitierte Freizügigkeit ab Dezember 1986 in gar keinem Falle geben kann, gleich, worüber wir uns mit ihr einigen werden.
({10})
Meine Damen und Herren, ich beginne mit den Haushaltsbegleitgesetzen. Ich weiß, daß die Angehörigen des öffentlichen Dienstes schon einen erheblichen Beitrag geleistet haben und weiterhin leiten müssen.
({11})
Wir müssen einen Ausgleich zwischen dem Zwang zur Haushaltsentlastung und den Grundpositionen unserer Dienstrechtspolitik finden. Wir sind entschlossen, den Gleichklang zwischen Besoldungsund Tarifsystem des öffentlichen Dienstes zu wahren und Beamte und Angestellte so weit wie irgend möglich gleich zu behandeln. Dieser Grundsatz der Gleichbehandlung muß Richtschnur der linearen und strukturellen Entscheidungen sein. Ich bin dankbar für die nachhaltige Unterstützung dieser Bemühungen durch die Bundesländer und den Innenausschuß des Deutschen Bundestages.
Bei den Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst zeigen sich - ich sagte es schon einmal - die Grenzen der Belastbarkeit. Deswegen wende ich mich dagegen, in Zukunft weitere strukturelle Eingriffe in das Bezahlungssystem in Erwägung zu ziehen. Ich weiß, daß der öffentliche Dienst in die allgemeine Risikogemeinschaft eingebettet ist und Anspruch auf faire und gerechte Behandlung hat.
Die Bundesregierung sagt ja zu den strukturellen Eingriffen, die Ihnen bekannt sind und zur Beschlußfassung vorliegen.
({12})
Sie dürfen aber nicht als Einstieg für weitergehende Einschnitte verstanden werden.
Der öffentliche Dienst wird, meine Damen und Herren, nicht von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt werden. Der Beamtenschaft darf das besondere Treueverhältnis, das
Kampfmaßnahmen ausschließt, nicht zum Nachteil gereichen.
({13})
Ich wende mich deshalb entschieden gegen jene unsachliche Pauschalkritik am öffentlichen Dienst, die manchen allzu leicht über die Lippen geht oder aus der Feder fließt.
({14})
Meine Damen und Herren, auf allen Feldern der Umweltpolitik hat die Bundesregierung seit 1982 wichtige Initiativen ergriffen und außerordentliche Anstrengungen unternommen, vor allem bei der Luftreinhaltung. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung ist am 1. Juli 1983 in Kraft getreten. Alle neu zu genehmigenden Großfeuerungsanlagen, Kraft- und Fernheizwerke, Industriefeuerungen ab 100 MW müssen mit einer Rauchgasentschwefelungsanlage ausgerüstet werden. Kleinere Anlagen dürfen nur schwefelarme Brennstoffe verwenden. Altanlagen, bei denen das Hauptemissionspotential liegt, sind innerhalb von Übergangsfristen umzurüsten oder stillzulegen. Ich muß das noch einmal ausführen, weil hier immer wieder soviel Falsches und Unzulängliches gesagt wird.
Wir sind auf einem schwierigen Weg ein gutes Stück weitergekommen. Nur, meine Damen und Herren, hektische Betriebsamkeit auf diesem Gebiet ist falsch.
({15})
Gerade für einen dauerhaften Umweltschutz ist es notwendig, daß die Industrie mit verläßlichen Daten planen kann. Wer jeden Tag mit einem neuen Notprogramm auf den Markt kommt, der mag zwar kurzfristig für Schlagzeilen sorgen, aber für die Praxis ist das alles eher hemmend.
({16})
Aus diesem Grunde ist diese Bundesregierung für Verläßlichkeit und Berechenbarkeit der Politik gerade auch im Umweltschutz.
Wir wissen, daß wir im europäischen Ausland weiterkommen müssen. Wir drängen in der EG auf einheitliche Emissionsgrenzwerte, und wir hoffen, daß im nächsten Jahr der Richtlinienvorschlag der EG-Kommission dem Rat zugeleitet wird.
Am 1. März ist die TA-Luft in Kraft getreten. Dadurch verbessern wir den Gesundheitsschutz für Pflanzen und Tiere erstmals. Der weitere Verbesserungsentwurf ist auf dem Weg. Er trifft die Stäube, die Schwermetalle, die Kohlenwasserstoffe. All das wird dem aktuellen Stand der Technik angepaßt.
Am 21. Juli 1983 hat die Bundesregierung beschlossen, die gesetzlichen Grundlagen zur Einführung bleifreien Benzins am 1. Januar 1986 zu schaffen. Die Schadstoffgrenzwerte haben wir fortgeschrieben, und zwar so, daß sie der heutigen Katalysatortechnologie entsprechen. Wir haben diesen Beschluß am 26. Oktober komplettiert und die in den Vereinigten Staaten geltenden Abgasgrenzwerte sowie die dortigen Testverfahren als Vorbild genommen.
Wir wissen, daß unser oberstes Ziel eine EG-einheitliche Lösung bleiben muß. Wir haben die Kommission gebeten, bis zum 15. April 1984 Vorschläge für eine gemeinschaftsweite Einführung bleifreien Benzins zum 1. Januar 1986 mit unseren Grenzwerten vorzulegen. Ich glaube sagen zu können, daß wir durch unseren Vorstoß Bewegung in die EG gebracht haben, aber ich gebe zu, daß wir uns einen rascheren Fortschritt wünschen würden. Die meisten Damen und Herren, die hier sitzen, wissen, daß es seine Zeit braucht in Europa, die verschiedenen Staaten unter einen Hut zu bringen. Aber wir glauben, daß unsere Verhandlungsposition gut ist.
Wir sind überzeugt, daß die Zukunft dem umweltfreundlichen Auto gehört. Wir wissen, daß wir für unser Vorgehen die breiteste Unterstützung hier in diesem Hause und bei der Bevölkerung haben. Und wir stehen in der Europäischen Gemeinschaft, in Europa, nicht allein. Ich bin sicher, daß wir uns durchsetzen werden.
({17})
Ich begrüße es außerordentlich - und ich weiß, was diese Entscheidung für die deutsche Automobilindustrie bedeutet; eine Jahrhundertentscheidung ist das -, daß die deutschen Hersteller schon vor 1986 umweltfreundliche Autos auf dem deutschen Markt anbieten werden, die bisher nur für den Export produziert worden sind.
Wir wissen, meine Damen und Herren, daß wir die Umweltprobleme Europas insgesamt nicht allein in unserem Land lösen können. Aus diesem Grunde haben wir unsere Bemühungen auf der internationalen Ebene ständig verstärkt. Dem Umweltrat liegt die Grundsatzrichtlinie Luftreinhaltung vor. Die Richtlinie ist während der deutschen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1983 mit Entschiedenheit vorangebracht worden, so daß eine baldige Verabschiedung jetzt möglich erscheint.
Im Rahmen der ECE, der UN-Wirtschaftskommission für Europa, haben sich die Mitgliedstaaten in Ost und West zu einer deutlichen Verminderung der Schwefeldioxidemissionen verpflichtet.
({18})
Herr Bundesminister, entschuldigen Sie die Unterbrechung. - Darf ich bitten, daß die Damen und Herren, die jetzt zur Abstimmung hereinkommen, ihre Plätze einnehmen und ihre Aufmerksamkeit dem Bundesminister des Innern zuwenden.
An dieser Entscheidung hatte die deutsche Delegation einen maßgeblichen Anteil.
Mit der DDR und der CSSR führen wir Expertengespräche nicht erst seit gestern, und wir führen sie ununterbrochen fort. Mit Österreich und der Schweiz haben wir Ministergespräche geführt, wobei es um die Luftreinhaltung, das bleifreie Benzin ging. Wir haben dort volle Unterstützung gefunden.
Zu den umfassenden internationalen Bemühungen gehört eine multilaterale Konferenz auf MiniBundesminister Dr. Zimmermann
sterebene über Wald- und Gewässerschäden, über Luftverschmutzung, die auf Grund eines Briefwechsels des Bundeskanzlers mit Generalsekretär Andropow im Juni 1984 in München stattfinden soll. - Alle diese Maßnahmen sind Elemente des Aktionsprogramms „Rettet den Wald", dem das Bundeskabinett am 6. September zugestimmt hat. Das Programm wird fortlaufend aktualisiert und neuen Erkenntnissen angepaßt.
Zu diesem Aktionsprogramm gehört auch die Stiftung „Wald in Not". Aufgabe dieser Stiftung ist es, das private Engagement jeden Bürgers zur Rettung des Waldes zu fördern und zu nutzen.
Auch in den nächsten Jahren werden wir uns um die Luftreinhaltung besonders intensiv kümmern müssen. Dazu gehören die weitere Erforschung der Ursachen des Waldsterbens und die Entwicklung fortschrittlicher Verfahren zur Verminderung von Schadstoffen in der Luft. Nach der Rauchgasentschwefelung werden insbesondere neue Technologien gegen die Stickoxide benötigt. Das ist vor allem für die Weiterentwicklung von umweltfreundlichen Kraftwerken notwendig, damit der Einsatz der heimischen Kohle umweltpolitisch vertretbar bleibt und damit auch in Zukunft die wichtige Rolle der Kohle in unserer Energieversorgung gesichert werden kann.
Im Gewässerschutz sind wir dem Ziel ein weiteres Stück nähergekommen, die Einleitung von Schadstoffen schon an der Quelle zu vermeiden oder zumindest zu vermindern. In diese Richtung zielen auch die im Haushaltsentwurf 1984 maßgeblich erhöhten Mittel für Modellvorhaben, mit denen neue Technologien zur Vermeidung besonders gewässergefährdender Schadstoffe gefördert werden. Am 30. August habe ich dem Innenausschuß den erforderlichen Bericht erstattet.
Herr Bundesminister, darf ich Sie bitte noch einmal unterbrechen. - Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen und die Gespräche untereinander so zu dämpfen, daß sie nicht hier vorne als störend empfunden werden müssen. Ich darf darum nach allen Seiten hin bitten.
({0})
Der Erfahrungsbericht zum Abwasserabgabengesetz bildet eine solide Basis, um Wirkung und Praktikabilität des Gesetzes mit allen Beteiligten unvoreingenommen zu erörtern. Es kann nur um Verbesserungen gehen; weniger Umweltschutz wird es auch in diesem Bereich nicht geben.
Die Lösung der Probleme der Werra-Versalzung und der erheblich belasteten Elbe muß vorangebracht werden. Die DDR hat sich vor kurzem zu weiteren Gesprächen bereit erklärt. Voraussetzung ist eine gemeinsame Linie des Bundes und der vier beteiligten Länder.
({0})
Mit Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen besteht Einvernehmen.
({1})
Ich hoffe zuversichtlich, daß sich auch Hessen diesem wichtigen umweltpolitischen Vorhaben nicht weiter verschließen wird.
({2})
Im Fall des bayerisch-thüringischen Grenzflusses Röden haben wir bekanntlich am 12. Oktober eine Vereinbarung mit der DDR über den Bau einer Abwasserbeseitigungsanlage bei der Stadt Sonneberg unterzeichnet, wobei sich der Freistaat Bayern und der Bund die entstandenen Kosten geteilt haben. Damit wurde ein erstes Etappenziel auf dem Weg zum gemeinsamen Umweltschutz in beiden Teilen Deutschlands erreicht.
({3})
Zum Schutz der Nordsee ist durchgesetzt worden, daß die Einbringung des in der Dünnsäure aus der Titandioxid-Produktion gelösten Grünsalzes bis Ende 1984 beendet wird - ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur vollständigen Einstellung der Verklappung von Abfällen auf See.
Ich werde die Umweltminister der Anliegerstaaten 1984 zu einer internationalen NordseeschutzKonferenz einladen. Ziel ist ein Konsens über gemeinsame konkrete Maßnahmen zur Verringerung der Nordseeverschmutzung.
Im Bereich der Abfallwirtschaft hat das Kabinett am 14. September eine Vorschaltnovelle zum Abfallbeseitigungsgesetz beschlossen, um Abfalleinfuhr, -ausfuhr und -transit strengen Genehmigungsverfahren zu unterwerfen. Damit soll noch vor der geplanten dritten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz eine unkontrollierte Beseitigung von gefährlichen Abfällen außerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen unmöglich gemacht werden.
Im Mittelpunkt der dritten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz wird ein Verwertungsgebot für Abfälle stehen. Das weitere staatliche Vorgehen zur Verringerung des Abfallaufkommens aus Verpakkungen wird wesentlich davon abhängen, ob die Wirtschaft ihre Zusagen hinsichtlich der Stabilisierung des Marktanteils von Mehrwegverpackungen einhalten wird.
In der Lärmschutzpolitik stehen Bemühungen und Initiativen zur Bekämpfung des Straßenverkehrslärms und des Lärms von Mopeds und anderen Kleinkrafträdern im Vordergrund. Gemeinsam mit dem Bundesminister für Verkehr ist das Vorhaben vorangebracht worden, lärmarmen Nutzfahrzeugen Benutzervorteile einzuräumen, um die Nachfrage nach solchen Fahrzeugen zu steigern.
Zur Erarbeitung einer umfassenden Bodenschutzkonzeption ist eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt worden. Der Entwurf wird Anfang 1984 vorliegen.
Im Bereich der Chemikalien hat mein Haus der EG-Kommission am 12. September 1983 den Entwurf einer Verordnung zugeleitet, die ein Verbot
des gesundheitsgefährdenden PCB in dem Hauptanwendungsgebiet der elektrotechnischen Geräte vorsieht, und die Kommission aufgefordert, unverzüglich auf der Basis des Entwurfs einen Vorschlag für die EG-weite Verbotsregelung vorzulegen.
Ich werde demnächst einen zusammenfassenden Umweltbericht vorlegen. Er wird die Leitlinien und Schwerpunkte der Umweltpolitik für diese Legislaturperiode und darüber hinaus enthalten.
Meine Damen und Herren, die innere Sicherheit ist eine Daueraufgabe für Bund und Länder. Im Umfeld der parlamentarischen Beratungen um den NATO-Doppelbeschluß hat es zahlreiche Demonstrationen gegeben. Diese Herausforderung ist hervorragend bestanden worden. Da vorhin vom „heißen Herbst" die Rede war: Ich habe dieses Wort nie gebraucht. Ich habe verboten, daß dieses Wort in meinem Haus verwendet wird.
({4})
Allerdings hat ein erheblicher Teil der veröffentlichten Meinung dieses Wort absichtsvoll verwendet. Zwischen der Absicht, der Ankündigung der verschiedensten Gruppen und dem, was dann durchgeführt wurde, bestand Gott sei Dank ein erheblicher Unterschied.
({5})
Aber bekanntlich muß man ja immer für den schlimmsten denkbaren Fall vorsorgen, nicht für den Fall, daß nichts passiert. Das ist wohl normal und unsere Verpflichtung.
({6})
An dieser Stelle darf ich den Mitarbeitern in den Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes sowie den zahlreichen Polizeibeamten für ihren verantwortungsbewußten Einsatz herzlichst danken.
({7})
Sie haben auch durch- ihr besonnenes Verhalten dazu beigetragen, daß die Aktionen überwiegend friedlich verliefen. Soweit trotzdem Straftaten begangen wurden, müssen sie verfolgt werden, denn es darf kein Sonderrecht für Straftäter bei sogenannten Friedensdemonstrationen geben.
({8})
Es muß klar sein: Man kann nicht für den Frieden
demonstrieren, wenn man selbst Gewalt anwendet.
({9})
Die Bundesregierung darf und wird nicht hinnehmen, daß Gewalt an die Stelle von Überzeugung tritt. Das unbestrittene Recht auf Demonstration darf nicht zu Aktionen des Rechtsbruchs mißbraucht werden.
({10})
Die Bundesregierung behält auch den Rechtsextremismus in unserem Lande sorgfältig unter Beobachtung.
({11})
Seit Herbst 1982 stellen die Verfassungsschutzbehörden zunehmend Kontakte zwischen rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Gruppen und Angehörigen jugendlicher Randgruppen fest.
Die Bedrohung der inneren Sicherheit, auch durch den Rechtsextremismus, hält an. Wir nehmen die Bedrohungen von links und rechts gleichermaßen ernst und werden sie gleichermaßen entschieden bekämpfen.
({12})
Die Bundesregierung strebt eine Änderung des Demonstrationsrechts an. Sie hat einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Neufassung des § 125 des Strafgesetzbuches wird in diesem Hause sorgfältig und ausführlich diskutiert werden. Darüber hinaus muß über die Einführung von strafbewehrten Bestimmungen gegen Vermummung und sogenannte passive Bewaffnung im Versammlungsrecht entschieden werden sowie gegen die Aufforderung zur Teilnahme an verbotenen Demonstrationen. In Erfüllung des von den Koalitionsparteien vereinbarten Prüfauftrages lasse ich gegenwärtig bei den Ländern eine Umfrage durchführen, die als Entscheidungsgrundlage dienen wird.
Am 1. November des kommenden Jahres ist die Einführung eines fälschungssicheren Personalausweises vorgesehen. In diesem Sommer sind das erste Mal datenschutzrechtliche Bedenken erhoben worden. Es war für mich verblüffend zu sehen, wie schnell sich manche Politiker von ihren früheren Äußerungen distanziert haben; denn auch sie hatten einmal dem Gesetz zur Änderung des Personalausweises zugestimmt. Es war vom Bundestag einstimmig verabschiedet worden und geht auf eine einstimmige Empfehlung der Innenministerkonferenz zurück.
Ich bin überzeugt, daß der fälschungssichere Personalausweis bei der grenzüberschreitenden Kriminalität, nicht zuletzt bei der Bekämpfung des Terrorismus einen wichtigen Beitrag leisten wird. Der Sicherheitsgewinn wird noch höher sein, wenn wir den einheitlichen fälschungssicheren Reisepaß in ganz Europa haben, wie ihn die Länder der EG beschlossen haben.
Der Einsatz von Computern hat in der Vergangenheit zu Auseinandersetzungen über den Datenschutz im Sicherheitsbereich geführt. Ich habe den Eindruck, die Diskussion versachlicht sich wieder. Ich betone: Der Datenschutz als Garantie für den Schutz der privaten Sphäre des einzelnen ist notwendig. Gleichberechtigt, aber nicht bevorrechtigt steht er neben den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit.
In der Terrorismusbekämpfung konnten wir Ende 1982 bei der RAF sichtbare Erfolge erzielen. Inzwischen haben sich die „Revolutionären Zellen" zu einer starken Gefahr für die innere Sicherheit in unserem Lande entwickelt. Allein 1982 haben sich
die Zahlen der Terrorakte im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Auch in diesem Jahr wurden schwere Verbrechen verübt.
Die Bekämpfung ist schwierig. Die Gruppen bestehen oft nur aus wenigen Personen, die nach außen abgeschottet sind und unter dem Deckmantel einer legalen bürgerlichen Existenz ihre Anschläge begehen. Wir müssen davon ausgehen, daß die „Revolutionären Zellen" ihre auf Ausnutzung gesellschaftlicher Konflikte gerichtete Strategie durch weitere Anschläge und öffentliche Aufforderung zur Gewalt auch künftig verfolgen werden.
Die allgemeine Kriminalitätsentwicklung macht dem Innenminister Sorge. Die Zahl der Straftaten im letzten Jahr hat sich um 5,4% erhöht. Im Jahr 1981 war bereits die 4-Millionen-Grenze überschritten worden. Bagatelldelikte sind häufig der Einstieg in eine höherwertige Kriminalität.
({13})
Die Zunahme der Kriminalität ist eine Herausforderung für uns alle.
Ich habe Anfang vorigen Monats einen kriminellen Verein mit Sitz in Hamburg, die Hell's Angels, verboten und damit erstmals von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die das Vereinsgesetz gegenüber kriminellen Gruppierungen bietet.
({14})
Das Vereinsverbot macht deutlich, daß die staatlichen Organe auch im Bereich der Kriminalität die neben der individuellen Strafverfolgung gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten entschlossen einsetzen.
Zur Ausländerpolitik: Die Eckpositionen der Bundesregierung - in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 umrissen mit den Stichworten: Zuzugsbegrenzung, Rückkehrförderung und Integration - machen deutlich, welche Positionen wir einnehmen. Diese Positionen sind im übrigen auch von der früheren Bundesregierung vertreten worden. So steht es in den ausländerpolitischen Grundsatzbeschlüssen vom 3. Februar 1982. Es müßte also im grundsätzlichen eine weitgehende Übereinstimmung innerhalb dieses Hauses geben.
Als Bundesinnenminister bin ich für Ausländerrecht und innere Sicherheit zuständig. Innere Sicherheit verlangt, daß die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen miteinander auskommen. Zum sozialen Frieden gehört, daß Deutsche und Ausländer friedlich zusammenleben, und das kann man nicht gewährleisten, wenn man die Dinge in der Ausländerpolitik einfach treiben läßt. Wir brauchen klare Verhältnisse für Deutsche und Ausländer; beide Seiten müssen wissen, wie es in Zukunft weitergeht.
({15})
Ich halte nichts davon, illusionäre Forderungen aufzustellen, die die Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens, vor allem unserer Städte und Gemeinden, und die die Aufnahmefähigkeit und die Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerung überbeanspruchen. Wir würden sonst das Gegenteil von dem erreichen, was wir wollen.
({16})
Im Bundesinnenministerium wird gegenwärtig der Entwurf für eine umfassende Novellierung des Ausländergesetzes vorbereitet. Als Schwerpunkte nenne ich: Im Aufenthaltsrecht sollen die bisherigen Ermessenstatbestände durch Rechtsansprüche abgelöst werden. Wir werden den Aufenthaltsstatus nach Aufenthaltszwecken differenzieren. Ein Aufenthalt zu Studienzwecken soll künftig grundsätzlich nicht mehr zur Dauerniederlassung führen dürfen. Es ist unbestritten, daß die Bildungs- und Integrationschancen für diejenigen Ausländerkinder am besten sind, die vor der Einschulung in die Bundesrepublik Deutschland kommen. Deshalb bin ich persönlich für eine solche Regelung, die natürlich Härtefälle nicht ausschließt.
Eine derartige, wie ich meine, vernünftige Regelung des Kindernachzugs ist im übrigen auch von den Sozialdemokraten vertreten worden. Nachzulesen ist das in dem Beschluß der SPD-Fraktionsvorsitzendenkonferenz vom 21. Mai 1982. Das ist also erst eineinhalb Jahre her.
({17})
- So schnell sind Ihre eigenen Forderungen immer wieder überholt. Das ist eigenartig, gnädige Frau.
({18})
Auch die Fraktionsvorsitzendenkonferenz der CDU/CSU hat im übrigen die gleiche Forderung erhoben. Ebenso stehen auch die sozialdemokratisch geführten Kommunen hinter diesem Konzept.
({19})
Herr Bundesminister gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmude und, wie ich sehe, auch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?
Ich bin bei den letzten Sätzen, Herr Präsident. Es tut mir leid.
({0})
Ich bin dafür, daß wir die geplanten Regelungen im Ausländerrecht problemorientiert und sachlich miteinander erörtern.
Was für die Ausländerpolitik gilt, trifft auch für andere Felder der Innenpolitik zu. Neben unterschiedlichen Positionen in Einzelfragen besteht in manchen Zielen breite Übereinstimmung. Der Schutz unserer Umwelt ist ein solches Ziel. Auch haben unsere Bürger einen Anspruch auf Sicherheit. Dieser Verantwortung muß sich nicht nur die Bundesregierung, sondern auch dieses Parlament stellen. In diesem Sinne setzt der Bundesminister des Innern auf eine konstruktive Zusammenarbeit bei all den schwierigen Problemen, die Bundesre2904
gierung und Parlament gemeinsam zu bewältigen haben.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.
Wir haben vor der namentlichen Abstimmung noch andere Abstimmungen zu erledigen. Ich bitte, Platz zu nehmen, damit ich die Übersicht nicht verliere.
Ich rufe zuerst Art. 23, 24, 24a, 25 und 25a des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 in der Ausschußfassung - Drucksache 10/690 - zur Abstimmung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Artikel sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe jetzt den Einzelplan 06, Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, auf. Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/739, 10/740 und 10/743 vor.
Ich lasse zuerst über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/739 abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/740 ab. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer größeren Zahl von Enthaltungen
({0})
- wenn Sie wollen: bei einer noch größeren Zahl von Enthaltungen ({1})
ist dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/743. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe jetzt Einzelplan 06 zur Abstimmung auf. Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Wer Einzelplan 06 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegenstimmen will, die Abstimmungskarte mit „Nein", und wer sich der Stimme enthalten will, die weiße Abstimmungskarte in die hier vorn aufgestellten Urnen zu legen.
Die Abstimmung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, der zweite Aufruf an die Mitglieder des Hauses, sich an der Abstimmung zu beteiligen. - Ich mache darauf aufmerksam, daß nach Bekanntgabe des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung noch zwei Abstimmungen vor der Mittagspause erfolgen. - Es hat niemand mehr den Wunsch, sich an der Abstimmung zu beteiligen.
Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. - Meine Damen und Herren, das ist eine Aufforderung an die Mitglieder des Hauses. Ich bitte, Platz zu nehmen.
Das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Einzelplan 06 - Drucksachen 10/636 und 10/659 - lautet: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 452 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 258 gestimmt, mit Nein haben 194 gestimmt, Enthaltungen: keine. Von den Berliner Abgeordneten haben 19 Mitglieder ihre Stimme abgegeben. Ungültig: keine, mit Ja haben 9 gestimmt, mit Nein haben 10 gestimmt, Enthaltungen: keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 452 und 19 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 258 und 9 Berliner Abgeordnete
nein: 194 und 10 Berliner Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. Althammer Austermann
Bayha
Dr. Becker ({2}) Berger
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Dr. Blüm
Böhm ({3}) Dr. Bötsch
Bohl
Bohlsen Borchert
Braun Breuer Broll
Brunner
Bühler ({4})
Dr. Bugl
Carstens ({5}) Carstensen
({6}) Clemens
Conrad ({7}) Dr. Czaja
Dr. Daniels
Daweke Deres
Dörflinger
Doss
Dr. Dregger Echternach
Ehrbar Eigen
Engelsberger
Erhard
({8}) Eylmann
Fellner
Frau Fischer Fischer ({9})
Francke ({10})
Franke
Ganz ({11})
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach ({12})
Gerstein
Gerster ({13})
Glos
Dr. Göhner Dr. Götz
Günther
Dr. Häfele Hanz ({14})
Haungs
Hauser ({15})
Hauser ({16})
Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig
Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({17})
Dr. Hornhues Hornung
Frau Hürland Dr. Hüsch
Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({18})
Jagoda
Dr. Jahn ({19})
Vizepräsident Stücklen
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({20}) Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller
Kiechle
Dr. Klein ({21}) Klein ({22})
Dr. Köhler ({23}) Dr. Köhler ({24}) Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({25}) Lamers
Dr. Lammert Landré
Dr. Langner Lattmann
Dr. Lenz ({26}) Lenzer
Link ({27}) Link ({28}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold
Löher
Lohmann ({29}) Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle Marschewski
Dr. Mertes ({30}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Milz
Dr. Möller
Dr. Müller
Müller ({31}) Müller ({32}) Müller ({33})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Pohlmann
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({34})
Dr. Riesenhuber Rode ({35}) Frau Rönsch Frau Roitzsch
({36}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({37}) Rühe
Ruf
Sauer ({38})
Sauer ({39}) Saurin
Sauter ({40}) Sauter ({41})
Dr. Schäuble Schemken Scheu
Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({42})
von Schmude Schneider ({43})
Dr. Schneider ({44}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({45}) Schröder ({46}) Schulhoff
Dr. Schulte
({47}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg
Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({48})
Vogt ({49}) Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiskirch ({50})
Weiß
Werner
Frau Will-Feld
Wilz
Wimmer ({51}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Würzbach
Dr. Wulff
Zierer
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({52}) Boroffka
Buschbom Dolata
Dr. Hackel Kalisch
Schulze ({53}) Straßmeir
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Beckmann Bredehorn Eimer ({54}) Engelhard Ertl
Dr. Feldmann Gallus
Gattermann Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoffie
Kohn
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({55})
Dr. Weng
Wolfgramm ({56}) Wurbs
Berliner Abgeordneter Hoppe
Nein
SPD
Dr. Ahrens Amling
Antretter Dr. Apel
Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({57}) Berschkeit
Bindig
Frau Blunck Brandt
Brosi
Buckpesch Büchler ({58})
Dr. von Bülow
Buschfort Catenhusen Collet
Curdt
Frau Dr. Czempiel
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme
Dreßler
Duve
Dr. Ehmke ({59})
Dr. Ehrenberg
Dr. Enders Esters
Ewen
Fiebig
Fischer ({60}) Fischer ({61}) Franke ({62})
Frau Fuchs ({63})
Frau Fuchs ({64})
Gansel
Gerstl ({65})
Glombig
Gobrecht
Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase ({66})
Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herterich Hettling Heyenn
Hiller ({67}) Hoffmann ({68}) Dr. Holtz
Horn
Frau Huber Ibrügger
Jahn ({69})
Jansen
Dr. Jens
Jung ({70}) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein ({71})
Dr. Klejdzinski
Klose
Kolbow
Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke
Lohmann ({72})
Lutz
Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens ({73}) Müller ({74}) Müller ({75})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann ({76}) Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Dr. Penner Peter ({77})
Pfuhl
Polkehn Porzner Poß
Purps
Rappe ({78}) Reimann
Reschke Reuter
Rohde ({79})
Roth
Sander
Schäfer ({80}) Schanz
Dr. Scheer Schlatter Schluckebier
Frau Schmedt ({81})
Dr. Schmidt ({82}) Schmidt ({83}) Schmidt ({84}) Schmitt ({85})
Vizepräsident Stücklen
Dr. Schöfberger Schröder ({86}) Schröer ({87}) Schulte ({88})
Dr. Schwenk ({89}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling Dr. Spöri
Stahl ({90})
Dr. Steger Steiner
Frau Steinhauer
Dr. Struck Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Vogelsang
Voigt ({91})
Waltemathe Walther
Weinhofer
Weisskirchen ({92}) Dr. Wernitz
Westphal Frau Weyel
Wieczorek ({93}) Wiefel
von der Wiesche Wimmer ({94}) Wischnewski
Dr. de With Wolfram ({95})
Würtz
Zander
Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich ({96}) Egert
Heimann Löffler
Frau Luuk
Dr. Mitzscherling Stobbe
Dr. Vogel Wartenberg ({97})
DIE GRÜNEN
Frau Dr. Bard Bastian
Frau Beck-Oberdorf Drabiniok
Dr. Ehmke ({98}) Frau Gottwald
Frau Dr. Hickel Horacek
Hoss
Dr. Jannsen Frau Kelly
Kleinert ({99}) Krizsan
Frau Nickels Frau Potthast Reents
Schily
Frau Schoppe Schwenninger Stratmann
Vogt ({100}) Frau Dr. Vollmer
Berliner Abgeordneter Schneider ({101})
Damit ist der Einzelplan 06 angenommen.
({102})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzelplan 36 „Zivile Verteidigung". Wer dem Einzelplan 36 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Darf ich bitten, bei der Abstimmung Platz zu nehmen! - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einzelplan 36 ist mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 33 „Versorgung" ab. Wer dem Einzelplan 33 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einzelplan 33 ist mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die Mittagspause ein. Es ist jetzt zehn Minuten vor 13 Uhr. Die Sitzung wird um 13.50 Uhr wieder eröffnet.
({103})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Ich rufe im Rahmen der Haushaltsberatung auf:
Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
- Drucksachen 10/637, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt Gerster ({0})
Verheyen ({1})
Gleichzeitig rufe ich - das ist gemeinsam vereinbart - zur verbundenen Debatte auf:
Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 10/646, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster ({2}) Dr. Diederich ({3})
Verheyen ({4})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die verbundene Aussprache 60 Minuten vereinbart worden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Helmrich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen hier zur Beratung des Einzelplans 07. Wir haben soeben den Einzelplan 06 abgeschlossen, und mir ist von dem Redner unserer Fraktion, der zum Einzelplan 06 gesprochen hat, dem Herrn Abgeordneten Gerster, gerade mitgeteilt worden, daß eventuell zum Einzelplan 06 ein „Nachtragshaushalt" erforderlich werden wird
({0})
- Sie können mich ausreden lassen, dann werden Sie den Humor verstehen, der darin steckt, Herr Gerster -, und zwar im Rahmen der Kulturförderung. Soeben ist in den Nachrichten die Mitteilung gekommen, daß das Evangeliar Heinrichs des Löwen in London von der Bundesrepublik ersteigert worden ist.
({1})
Meine Damen und Herren, kommen wir zur Rechtspolitik. Die letzte rechtspolitische Debatte hatten wir am 5. Mai dieses Jahres im Anschluß an die Regierungserklärung. Wir haben damals von Herrn Emmerlich eine große Zahl von vorweggenommenen Vorwürfen gegen unsere Rechtspolitik gehört. Wir haben vom Zurückdrehen von Reformen gehört. Wir haben außerdem von Frau Schoppe von den GRÜNEN die Sexismustirade gehört. Es ging in dieser Debatte hoch her. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß die jetzige Debatte über den Justizhaushalt und über die Rechtspolitik in ruhigeren Bahnen verläuft, denn gerade die Rechtspolitik ist kaum geeignet, in Aufregung und in Hektik
betrieben zu werden. Ich möchte in drei Handlungsbereichen das zusammenfassen, was wir seit dem Regierungswechsel getan haben und was wir zu tun gedenken, und zwar in einem ersten Handlungsbereich, den ich bezeichne als Bereinigung von Fehlentwicklungen und Rechtsunsicherheiten, die sich ergeben haben, zweitens in einem Bereich, wo wir handeln auf Grund von internationalen Verträgen und Abkommen, und in einem dritten Bereich, wo wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen einen Handlungsbedarf ergeben.
Ich komme zum ersten Bereich: Bereinigung von Fehlentwicklungen und Beseitigung von entstandenen Rechtsunsicherheiten. Hier haben wir nach dem Regierungswechsel im letzten Herbst auch besonders schnell gehandelt. Hierher gehören das Grunderwerbsteuerrecht, das Mietrecht, der Ausgleich von Härtefällen im Versorgungsausgleich. Ich erinnere an diese Dinge noch einmal, weil ich glaube, daß manche Vorgänge, die rechtspolitisch von größerer Bedeutung sind, im allgemeinen Tagesgeschäft doch leicht untergehen.
Ich habe noch einmal das Protokoll der Anhörung der Verbände zum Grunderwerbsteuerrecht gelesen. Ich halte das, obwohl es wenig Aufmerksamkeit erreicht hat, doch für ein rechtspolitisch wichtiges Dokument, einfach aus dem Grunde, weil hier eine größere Zahl von Verbänden ihre Eigeninteressen zurückgestellt hat und sich bereit erklärt hat, im Sinne der Einheitlichkeit unseres Rechts Lasten, nämlich damals 2 % Grunderwerbsteuer, von denen sie bisher befreit waren, hinzunehmen, und zwar - ich kann da vor allem den Deutschen Sportbund nennen - im gesamtstaatlichen Interesse. Das ist übrigens ein Gesetzeswerk, zu dem Sie durch die Verfassungsänderung von 1971 einen Auftrag hatten, den Sie aber im Laufe von zwölf Jahren nicht haben erledigen können.
({2})
Wir sind in der Lage gewesen, im Einvernehmen mit den Ländern sehr schnell zu handeln.
Beim Mietrecht darf ich daran erinnern, daß dieses Gesetz hieß: Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen. Wir können heute nach einem Jahr sagen, daß das Ergebnis eindeutig für uns spricht und für diese Änderung, die Sie hartnäckig bekämpft haben. Ich sage das deshalb, weil an diesem Beispiel deutlich wird, daß die Rechtspolitik nicht in den Fehler verfallen darf, sich von anderen Politikbereichen abzukoppeln. Jahrelang haben Sie Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik und Rechtspolitik als völlig selbständige und eigenständige Rechtsgebiete behandelt. Wir können heute sagen, daß wir mit Hilfe dieses Änderungsgesetzes aus dem Rechtsbereich beim Neubau von Wohnungen wesentlich weitergekommen sind. Die Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen ist uns gelungen.
({3})
- Nicht Wohnungsbau, ich weise darauf hin, daß die Rechtspolitik kein von den anderen Politiken losgelöster Raum ist. - Im Zusammenhang mit anderen Politikbereichen ist mit der Rechtspolitik erreicht worden, auch Arbeitsplätze zu stabilisieren. Es sind - das macht einen Teil des Aufschwungs aus, den wir bis jetzt erreicht haben - anders als bei Ihnen in diesem Jahr mehr als 120 000 Wohnungseinheiten mehr gebaut worden.
In diesen Bereich der Bereinigung von Fehlentwicklungen gehört auch die Änderung des § 125 des Strafgesetzbuchs: „Landfriedensbruch". Hier haben wir inzwischen die Formulierung vorgelegt, der Bundesrat hat auch inzwischen dazu Stellung genommen.
Ferner gehört in diesen Bereich, daß wir vom Bundesverfassungsgericht den Auftrag haben, im Scheidungsrecht, sowohl im materiellen als auch im Scheidungsfolgenrecht, einiges wieder geradezubiegen. Ich nenne besonders, daß wir den Versuch machen werden, die Selbstregulierung der Scheidungsfolgen wieder verstärkt von den Betroffenen vornehmen zu lassen. Die Betroffenen, die sich scheiden lassen, wissen oft besser, was ihnen frommt und was ihnen nutzt, als der Gesetzgeber oder der Staat sich anmaßen.
Im Unterhaltsrecht müssen wir die als grob unbillig erkannten Fälle klarer umschreiben, und der Unterhaltsanspruch darf in keinem Falle zum Ausbeutungs- oder gar Racheinstrument werden. Im Versorgungsausgleichsbereich wird es darauf ankommen, durch eine Änderung des Gesetzes für die Zukunft auszuschließen, daß es eine beachtliche Zahl von Fällen gibt, in denen trotz des bestehenden Versorgungsausgleichs die geschiedene Witwe ohne jede Versorgung bleibt.
In gewissem Sinn gehört hierher auch die Juristenausbildung. Die alte Regierung war über Jahre nicht in der Lage, kompromißfähige Vorschläge vorzulegen. Das Bundeskabinett hat hierzu einen konsensfähigen Kompromiß in der letzten Woche verabschiedet. Wir werden ihn demnächst hier auf dem Tisch des Hauses haben und beraten können. Wir haben dort sowohl die Phase der Vertiefung in der Referendarzeit als auch, was ich für ganz wesentlich halte, eine Hilfe für die Studenten, wenn sie bereits im 4. Semester eine Zwischenprüfung oder, wenn Sie so wollen, Leistungskontrolle ablegen müssen.
Ich komme zum Bereich der internationalen Verpflichtungen, Verträge und Abkommen. Wir haben inzwischen zwei Haager Abkommen verabschiedet. Die EG-Gesetzgebung macht uns nicht unerhebliche Sorgen, einfach deshalb, weil die Entscheidungsmechanismen in Brüssel, wie wir auch in diesen Tagen wieder sehen, in dieser Form nicht mehr unsere volle Zustimmung finden können.
({4})
In Brüssel liegen heute etwa 400 Verordnungen, über die die Ministerräte bisher nicht entschieden haben.
Auch das, was über unseren engeren Rechtsbereich im Inland hinausgeht, ist ein Teil der Rechtspolitik. Es waren zwei CDU-Abgeordnete im Europaparlament, Luster und Gero Pfennig, die dort jetzt einen kompletten Vorschlag für eine Änderung von Zuständigkeiten und Kompetenzen der europäischen Institutionen vorgelegt haben.
Wir werden im nächsten Jahr am 17. Juni Europawahl haben. Ich frage Sie: Was werden wir, wenn wir abtreten, der nächsten Generation für ein Europa hinterlassen, wenn wir bei dem Zusammenschluß Europas nicht zu einer Perspektive kommen, die es uns ermöglicht, daß Europa entscheidungs- und handlungsfähiger wird?
Ich komme zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich, wo neue Entwicklungen einen Handlungsbedarf ergeben. Hier geht es in erster Linie um Anpassungen, die den Charakter von Ergänzungen haben, mit denen neue Entwicklungen berücksichtigt und abgefangen werden. Hierher gehören die Vorschriften über den Computer-Betrug, bei dem neue Sachverhalte mit einem erkannten Unrechtsgehalt durch die alten Betrugstatbestandsmerkmale nicht mehr erfaßt werden. Hier muß modernisiert werden. Hierher gehört auch das Urheberrecht, die Änderung unserer Vergleichs- und Konkursordnungen, auch etwaige Vorschriften des Verbraucherschutzes und eine UWG-Novelle.
Ferner haben wir uns mit einer großen Zahl von Gesetzen zu befassen, die der Vereinfachung und der Erleichterung von Problemlösungen dienen. Sie dienen zum Teil der Entlastung der Gerichte und der Beschleunigung der Verfahren. Als erstes ist die internationale Rechtshilfe in Strafsachen zu nennen. Sie war wegen der Verstärkung des internationalen Reiseverkehrs erforderlich. Zu nennen ist auch das internationale Privatrecht, das dringend einer Überarbeitung bedarf, weil die Zahl der Ausländer in unserem Land sehr gestiegen ist. Darüber hinaus dienen der Entlastung und Beschleunigung das Strafverfahrensänderungsgesetz, das Entlastungsgesetz für die Verwaltungsgerichte und die Vereinfachung des Bußgeldverfahrens. Besonders in diesem Haushalt wirkt sich die Einrichtung eines zusätzlichen Senats beim Bundesfinanzhof aus. Dort sind heute mehr als 4 000 unerledigte Verfahren anhängig, eine größere Zahl als damals, als Sie im Jahre 1974 die Beschleunigungsnovelle gebracht haben. Das im Streit befangene Steuervolumen beläuft sich auf etwa 4 Milliarden DM. Meine Damen und Herren von der Opposition, hier hätte schon eher als jetzt durch uns etwas geschehen müssen.
Rechtspolitik erschöpft sich nicht im Neuschaffen und im Ändern von Gesetzen. Auch die Pflege des Rechts- und Unrechtsempfindens gehört dazu. Lassen Sie mich einen Satz von Savigny in Erinnerung rufen, der in den Familien- und Ehebereich hineinpaßt, wo einiges an Gesetzen vor uns steht. Er hat gesagt: „Die Ehe gehört nur zur Hälfte dem Recht an, zur Hälfte aber der Sitte. Jedes Eherecht ist unverständlich, welches nicht in Verbindung mit dieser seiner notwendigen Ergänzung betrachtet wird." Im gleichen Sinne hat sich etwa 30 Jahre später Tocqueville geäußert. Er hat gesagt, daß er beim Zusammenhalt und dem Funktionieren einer Demokratie - ich will gerne in diesem Zusammenlang auch zu dem, was in den letzten Tagen geschehen ist, etwas sagen - in größerem Maße den Sitten Bedeutung beimißt als den Gesetzen.
Meine Damen und Herren, wenn ich hier von Sitten spreche, mag das ein altmodisches Wort sein. Sie mögen mir sagen, in einer pluralistischen Geellschaft käme es darauf nicht an.
({5})
Wir tun nicht gut daran, unser Rechtsbewußtsein auf das und auf nur das zu verkürzen, was gesetzlich positiv geregelt ist. Als Beispiel - da mögen die GRÜNEN besonders zuhören - nehmen Sie einmal die Zustände in Berlin. Der Regierende Bürgermeister in Berlin hat es geschafft - ({6})
- Ich kann nur sagen: noch nicht. Aber er hat es geschafft, eine Rechtsberuhigung und eine Klimaverbesserung in Berlin hervorzurufen, die Ihrem Herrn Fraktionsvorsitzenden, der sein Vorgänger war, nicht gelungen ist.
({7})
Meine Damen und Herren, Rechtspolitik hat auch damit zu tun, die Festigung von Rechtsüberzeugungen und die Klärung von verschwommenen Rechtsvorstellungen herbeizuführen.
({8})
- Herr Schröder, Sie mögen sich sicher auf Emotionalität verstehen. - In Berlin ist das Ja-Sagen zu dieser Stadt, zu seinem Senat gelungen. Ich kann nur hoffen - um auf Ihr Schaffen zurückzukommen -, daß sich, wenn Herr Weizsäcker es geschafft hat und Bundespräsident sein sollte, diese Wirkung, die er in Berlin erzeugt hat, in der ganzen Bundesrepublik auswirken wird. Das meine ich, wenn ich sage, daß zur Rechtspolitik mehr gehört als nur das, was wir in die Gesetze hineinschreiben.
Danke sehr.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Engelhard, als Sie im Oktober 1982 Ihr Amt übernommen haben, haben Sie sich sinngemäß so geäußert: Das Justizministerium wird nach dem Verlust des Innenministeriums an die CSU zu einer Bastion
Schmidt ({0})
einer liberalen, freiheitlichen und fortschrittlichen Rechtspolitik werden.
({1})
Skeptisch - da wir Sie aus langjähriger Zusammenarbeit im Rechtsausschuß kannten -, aber nicht ohne Sympathie haben wir das damals vernommen. Es schwang ja auch so ein Hauch von Freiheit und Abenteuer über der Vorstellung, daß der Herr Minister Engelhard das Justizministerium gegen die ankämpfenden Law-and-order-Horden des Herrn Zimmermann und des Herrn Geißler bis zum letzten verteidigen würde. Leider, Herr Minister, haben Sie nicht lange standgehalten und zwischenzeitlich mehrfach die weiße Fahne gehißt. Dabei waren Sie in diesem Bereich keineswegs allein auf die Unterstützung der schwachen und von Skandalen geschüttelten FDP angewiesen,
({2})
denn wir hatten Ihnen immer gesagt, daß Sie sich dort, wo Sie Freiheit und Rechtsstaat verteidigen, auf die uneingeschränkte Unterstützung der Sozialdemokraten verlassen können.
({3})
Was wir Ihnen heute vorwerfen, ist nicht so sehr, daß Sie unterlegen sind, sondern daß Sie den Kampf gar nicht erst so richtig aufgenommen haben.
({4})
Ein solcher Fall von Kapitulation ist erst einmal die Änderung des Demonstrationsstrafrechts. 13 Jahre lang haben wir uns zusammen mit der FDP bemüht, den Freiheitsraum des Bürgers auszuweiten. Zu den unveräußerlichen Rechten in einem Rechtsstaat gehört nun einmal das Demonstrationsrecht. Wir hatten die alten Bestimmungen entrümpelt. Heute - kaum daß die sogenannte Wende eingetreten ist - kehren Sie zur vorkonstitutionellen obrigkeitsstaatlichen Fassung des Landfriedensbruchsparagraphen zurück.
({5})
- Ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören, aber es ist nichtsdestoweniger so. - Nach Ihrem Entwurf sollen künftig auch friedliche Teilnehmer einer Demonstration bestraft werden
({6})
- vielleicht sollten Sie es einmal lesen; das kann ich Ihnen leider nicht abnehmen -, wenn andere aus einer Demonstration heraus oder Dritte Gewalttätigkeiten begehen oder damit drohen.
Daß dies alles zu Unzuträglichkeiten führt, sagen nicht nur wir Sozialdemokraten; die vorgesehenen Neuregelungen werden auch von den Leuten abgelehnt, die dann mit diesem Recht umgehen müssen. Das Demonstrationsrecht wird durch die geplante
Neufassung des § 125 StGB eingeschränkt. Den Gewalttätern kann nicht besser entgegengetreten werden als bisher. Die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit wird eher noch erhöht. Mißtrauen und Ablehnung gegenüber der Polizei werden hervorgerufen oder bestärkt, und Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte haben sich mit einer Fülle von Bagatellstrafsachen herumzuschlagen. Ich glaube, daß es Ihnen darum geht, künftig eine Rechtsgrundlage für Massenverhaftungen à la Nürnberg zu haben, damit einer, der in Pauschalverfahren aufgesammelt und einer Anklage zugeführt wird, erst gar nicht mehr freigesprochen werden kann.
({7})
In der Familienpolitik kommt die Gegenreform langsam auch auf Touren. Über die Änderung des Rechts der Scheidungsfolgen soll wieder das Schuldprinzip eingeführt werden, das wir gemeinsam - wir waren damals stolz darauf - aus dem Scheidungsrecht hinausgebracht haben.
({8})
- Ich freue mich immer, wenn Kollegen, die keine Ahnung vom Thema haben, sich dazu äußern.
({9})
Ich möchte Sie einmal fragen: Wie wollen Sie es denn anders machen, wenn Sie Ihre sogenannte Einzelfallgerechtigkeit bei den Scheidungsfolgen zum Zuge kommen lassen? - Sie werden die Richter wieder dazu zwingen, zu prüfen, wer Schuld hat, wer mehr Schuld hat und wer in welchem Bereich Schuld hat. Die alte, unzuträgliche Schnüffelpraxis vor den Gerichten wird erneut fröhliche Urstände feiern.
({10})
Herr Minister, in der „Zeitschrift für Rechtspolitik" haben Sie im Oktober dieses Jahres Ihre Vorstellungen zur Justizpolitik der 10. Legislaturperiode dargelegt. Unabhängig davon, daß darin auch einige Plattitüden wie der Satz enthalten sind, daß „die Gerechtigkeit dem Recht schon von Natur aus innewohnt", enthält dieser Aufsatz tatsächlich auch Passagen, die unsere volle Zustimmung finden. Er enthält unter anderem den Passus - ich zitiere Sie -:
Die jetzt geltende Fassung des § 218 ist das Ergebnis langjähriger Beratungen und Überlegungen, nachdem offenkundig geworden war, daß die frühere Strafregelung mit ihrer umfassenden Strafandrohung die Jahr für Jahr stattfindende hohe Zahl von illegalen Abtreibungen nicht verhinderte, wohl aber dazu führte, daß eine große Zahl von Frauen in einer schwierigen Lage in den Bereich der Kriminalität geriet. Der Schutz des ungeborenen Lebens muß deshalb mit anderen als den Mitteln des Strafrechts erreicht werden. Der relative Rechtsfriede, der nach jahrelangen, emotional aufgeladenen Diskussionen erzielt wurde, darf durch
Schmidt ({11})
eine erneute Änderung des § 218 nicht gefährdet werden.
Jedem dieser Sätze können wir uneingeschränkt zustimmen.
Aber, Herr Minister, die beabsichtigte Änderung der Bestimmungen über die Kostentragung legaler Schwangerschaftsabbrüche ist längst nicht vom Tisch und die Änderung bei den Beihilfevorschriften auch nicht. Dies kann doch nur so verstanden werden, daß diese Koalition zum alten Zweiklassenrecht zurückkehren wird. Der gutbetuchten Frau wird es nichts ausmachen, wenn sie die Kosten selber tragen muß. Aber die, die über die Mittel nicht verfügt, wird wieder Kurpfuschern und Engelmachern - welch furchtbarer Euphemismus - in die Arme getrieben, und wir haben, zum Teil jedenfalls, wieder den alten Zustand. Auch zu diesem Punkt erwarten wir von Ihnen - wenn Sie zu den Aussagen stehen, die Sie in dieser Zeitschrift getan haben - ein deutliches Wort der Distanzierung.
({12})
Ein weiterer Fall der Kapitulation war der Fall Altun. Für Sie war die Zusammenarbeit mit der Polizei einer Militärdiktatur, mit der Polizei eines Staates, in dem Gefangene nachweislich gefoltert werden, mit der Polizei eines Staates, den fünf Mitglieder des Europarates wegen schwerer Verletzungen der Menschenrechte angeklagt haben, wichtiger als die Menschlichkeit, die man von einem Rechtsstaat erwarten könnte. Herr Zimmermann hat damals den Satz gesagt:
Im Interesse einer nach wie vor guten Zusammenarbeit mit der Türkei auf polizeilichem Gebiet bitte ich, den Bewilligungsbescheid für vollziehbar zu erklären.
In Kenntnis dieses Satzes, Herr Engelhard, haben Sie damals das Auswärtige Amt um Zustimmung gebeten. Die Folgen, die dieses Handeln gehabt hat, müßten Ihnen eigentlich heute noch schlaflose Nächte bereiten.
Sie haben auch das damals gemeinsam in der sozialliberalen Koalition geschaffene Mietrecht aufgekündigt. Die soziale Funktion des Rechts haben Sie - das wird auch aus Ihrem Aufsatz deutlich - bis heute nicht verinnerlicht. So ist es auch kein Wunder, daß Sie sich dort mit Ludwig Uhland einen Poeten und Politiker des 19. Jahrhunderts als zitierfähigen Mann auserkoren haben. Ich glaube tatsächlich, Herr Minister, daß Ihr Rechtsbewußtsein Schwierigkeiten hat, das 20. Jahrhundert zu erreichen.
({13})
Die Änderungen des Mietrechts haben dazu geführt, daß die Zahl der Räumungsklagen zwischen 20 und 40% angestiegen ist, in München beispielsweise um 40 %. Und, Herr Helmrich, es stehen zwar wieder Wohnungen leer, aber diese Wohnungen sind deshalb nicht vermietbar, weil die Mieten so gestiegen sind, daß sich die, die Wohnungen suchen, sie einfach nicht leisten können.
({14})
Und hier zu sagen, das hätte etwas Positives bewirkt, ist der reine Hohn. Die Gerichte sind überlastet, weil die Zahl der Klagen im Bereich des Mietrechts ungeheuer zugenommen hat.
({15})
Auch wenn wir begrüßen, daß Sie eine Reihe von Entwürfen aus der sozialliberalen Koalition wieder eingebracht haben, müssen wir doch feststellen: Selber sind Sie bisher nicht sonderlich produktiv geworden. Im übrigen gilt, so glaube ich, daß Sie Ihrem Haus als leuchtendes Beispiel für das Arbeitstempo die Schnecke vor Augen führen. Die Tatsache, daß Ihnen die Schnecke mit ihrem Tempo offensichtlich ganz besonders imponiert, hat vermutlich auch dazu geführt, daß Sie erst so spät zu den beispiellosen Angriffen des amtierenden CSUGeneralsekretärs auf die im Flick-Verfahren tätigen Staatsanwälte reagiert haben. Aber die Art und Weise, wie Sie das getan haben, Herr Minister, ist wohl kaum geeignet, Ihrer eidlich bekräftigten Pflicht, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, gerecht zu werden.
({16})
Wir Sozialdemokraten halten eine sachliche Kritik an der Justiz nicht nur für legitim,
({17})
sondern auch für notwendig; denn es darf in diesem Staat keine Tabubereiche für Kritik geben.
Die Angriffe des Herrn Tandler sind aber von einer derartigen Maßlosigkeit und von einer so grenzenlosen Unverfrorenheit, daß Herr Tandler an die Wurzeln unserer Rechtsordnung greift. Ein solcher Mann ist eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat und für jedes öffentliche Amt untragbar.
({18})
Wir teilen hier voll die Auffassung des Deutschen Richterbundes. Wir Sozialdemokraten stellen uns auch ausdrücklich vor die Staatsanwälte, die nur ihrer Pflicht nachgekommen sind, auch gegen Mächtige in diesem Land zu ermitteln und dann auch Anklage zu erheben, wenn ein hinreichender Verdacht des Verstoßes gegen die Gesetze unseres Landes besteht.
({19})
Wir hätten erwartet, daß sich der CSU-Vorsitzende Strauß und der Landesgruppenvorsitzende Waigel scharf von Tandler distanzieren. Daß Herr Waigel Tandler mit dem Satz verteidigt, „die Äußerungen bewegten sich in dem Ermessensspielraum, der heute möglich sein müsse", weitet diesen Skandal ins Unerträgliche aus.
Ihre wachsweiche Erklärung, Herr Minister, die Äußerung richte sich von selbst, und Ihre Mitteilung, daß Graf Lambsdorff sich offensichtlich nicht in einer Situation befinde wie die damals von TerroSchmidt ({20})
risten in Geiselhaft genommenen Ponto und Schleyer, beruhigt uns zwar ungeheuer, ist aber für den Justizminister absolut unzureichend.
({21})
Wir haben, Herr Minister, sehr deutlich den Eindruck, daß Sie sich entgegen Ihren Äußerungen doch befangen fühlen, weil die FDP-Fraktion einen Maulkorberlaß für diese Angelegenheit herausgegeben hat.
({22})
- Sie wissen es mit Sicherheit.
({23})
- Ich hatte die Gelegenheit, mich mit Mitgliedern Ihrer Fraktion zu unterhalten. Auch daher beziehe ich meine Kenntnisse.
({24})
Was hätte wohl der liberale Vorgänger von Herrn Engelhard im Amt des Justizministers, nämlich Thomas Dehler, dazu gesagt, daß sich ein Fraktionskollege in dieser Situation so stark an sein Ministeramt klammert, und wie hätte er wohl die Äußerungen von Herrn Tandler bewertet?
({25})
Herr Minister, wir haben Ihre Arbeit im Justizministerium gewogen und für zu leicht befunden. Wir werden den Justizhaushalt ablehnen.
Herzlichen Dank.
({26})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Schmidt, beim Wiegen muß man die richtigen Gewichte verwenden, genau wie in der Justiz. Es sollten besonders vorsichtig Akzente gesetzt werden. An Ihrer Rede war einiges, was um so verständlicher erscheinen läßt, daß Herr Engelhard geglaubt hat, der Hinweis darauf, daß gewisse Äußerungen sich selbst richten, würde verstanden, der aber auch deutlich gemacht hat, warum Sie das nicht verstehen konnten; denn wenn man erst einmal darauf aus ist, nur das zu hören, was man gerne hören will, dann ist man zum einen nicht mehr in der Lage, etwas zurückhaltendere Argumente anderer richtig aufzunehmen und richtig zu gewichten, und zum anderen ist man schon erst recht ungeeignet, über etwas so mit Vorsicht zu Behandelndes wie die Rechtspolitik hier in Bausch und Bogen quasi als Universalgenie zu reden.
Sie haben das einem mir genauso wie Ihnen aus der Rechtspolitik seit langem bekannten Kollegen gegenüber deutlich gemacht, als Sie von Nichtfachleuten sprachen. Ich ziehe daraus einen gewissen steigernden Vergleich der Einschätzung Ihrer
Kenntnisse im Verhältnis zu denen des Kollegen Vogel ({0}).
({1})
Wenn Sie sich an dieser Selbsteinstufung in einer kritischen Stunde messen, dann muß Ihnen traurig zumute werden.
({2})
Ich meine, daß dem Justizminister heute bei der Vorlage des ersten Haushalts zu Beginn eines normalen Arbeitsjahres dieses Parlaments - denn so konnten ja wohl die hinter uns liegenden Zeiten nicht bezeichnet werden - ausdrücklich Dank dafür gebührt, daß er sich in diesen unruhigen Zeiten als jemand bewährt hat, der nicht dieser und jener Strömung nachgegeben hat, weder in die eine noch in die andere Richtung, sondern der zunächst einmal versucht hat, Bestandsaufnahme zu machen und genau zu entscheiden, was wirklich der Weiterverfolgung bedarf. Im übrigen versucht der Minister, dafür zu sorgen, daß es nicht nur den öffentlichen Reden und den leicht möglichen rhetorischen Bekundungen überlassen bleibt, über die Einschränkung von Gesetzgebung und Gesetzgebungsverfahren zu sprechen, sondern daß das auch, wo immer es geht, in die Praxis umgesetzt wird.
({3})
Da besteht in praxi ein erheblicher Nachholbedarf.
Man hört das alles so oft. Aber kaum glaubt man, einmal ein Beispiel für eine überflüssige Regelung gefunden zu haben - wie z. B. bei den Schleppliften, über die von seiten der GRÜNEN neulich im Laufe der Debatte verschiedenes Unverständliche geäußert worden ist -, dann gibt es wieder Menschen, denen das das heiligste Gut der Nation ist und die fordern, auch das müsse gesetzlich geregelt werden. Es geht ja gar nicht darum, etwa der einen oder der anderen Seite recht oder unrecht zu geben, sondern es geht darum herauszufinden, was denn wirklich alles geregelt werden muß. Wenn man das an einem Beispiel klarmachen will, stellt man fest, daß man offenbar nach wie vor nicht bereit ist, von irgendeiner ins Auge gefaßten Regelung Abstand zu nehmen.
Schwieriger wird es noch, wenn man sich in diesem Hause ganz normal, ruhig und vernünftig unterhalten will über derartige Unternehmen, z. B. über die Frage, wie weit man bei der allerdings durch neue Lebensumstände gebotenen Strafbarmachung gewisser Bereiche der Wirtschaftskriminalität gehen muß. Dabei muß man dann eben in Erwägung ziehen, z. B. beim Ausschreibungsbetrug, auch einmal den Ursachen nachzugehen. Ihre Parteipostille, die ja inzwischen wohl nur noch „Vorwärts" heißt, weiß dann angesichts dieser Überlegungen sofort ganz genau, wie man verbrüdert ist und wie man überhaupt ausschließlich Interessenvertreter derjenigen ist, die hier alleine sündigen. Es wäre schön, wenn man statt dessen auch in dem Blatt einmal Ihren Willen zur Gerechtigkeit und Ihren Willen zur rechtspolitischen Diskussion daran erkennen könnte, daß auch die andere Seite der Überlegungen aufgenommen und offen diskutiert
Kleinert ({4})
wird, bevor man zu einer Entscheidung kommt. Das halte ich für das Wesen rechtspolitischer Diskussion.
Bei alledem dürfen wir nicht übersehen, daß die größeren Gefahren für unsere Rechtspolitik inzwischen aus dem auch von Herrn Helmrich bereits angesprochenen europäischen Bereich herrühren; denn wir haben nun einmal die Erfolge, die von der ersten Direktwahl zum Europaparlament an zusätzlichem parlamentarischen Einfluß erhofft worden waren, nur in Ansätzen erreichen können. Wir haben immer noch die Situation, daß die Verwaltungen der verschiedenen Mitgliedstaaten und die Verwaltungen Europas weitgehend ohne parlamentarische Kontakte, ohne die vernunfttreibenden Praxiskontakte - wie das einmal ein kluger Mann genannt hat - vor sich hin stricken an einem immer enger werdenden Netzwerk von Richtlinien, die wir dann nur noch umzusetzen haben und bei denen wir dann nicht einmal mehr die Möglichkeit haben, über die Notwendigkeiten nachzudenken, von denen ich sprach. Meiner Meinung nach muß es ein ganz wesentliches Ziel des vor uns liegenden Europawahlkampfes sein, deutlich zu machen, daß das unsere Aufgabe ist: in Europa für eine stärkere parlamentarische Komponente und damit für eine vernünftige Eingrenzung - keineswegs Beseitigung - der Befugnisse der Verwaltung und für ein praxisnäheres Handeln zu sorgen. Anderenfalls sind unsere rechtspolitischen Bemühungen hier vergebens.
Herr Schmidt, nach den Ankündigungen Ihres Fraktionsvorsitzenden werden wir in dieser Woche wohl noch Gelegenheit haben, uns im einzelnen zu unterhalten über die von Ihnen in derselben Einseitigkeit wie andere Punkte dargestellten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Sie zur Zeit begeisternden Ermittlungsverfahren.
Ich kann Ihnen dazu, daß wir etwa „von Skandalen geschüttelt" wären, sagen, daß Hans-Dietrich Genscher, den man im hessischen Wahlkampf des letzten Jahres als den letzten Nicht-Menschen darzustellen versucht hat, inzwischen von den Leuten wieder als das gesehen wird, was er wirklich ist, nämlich ein durchaus zuverlässiger Mann und Politiker, der zur rechten Zeit das Richtige getan hat. Den Beweis dafür haben nun Gott sei Dank Sie geführt, und nicht andere haben ihn zu führen brauchen. Es wird Ihnen bei anderen Versuchen, auf diese Art Ihr politisches Profil zu zeigen, ähnlich gehen.
Der Bundesjustizminister hat mich gebeten, die ohnehin karg bemessene Zeit im übrigen ihm zu überlassen, was ich sehr gern tue.
({5})
Wir werden uns über die meisten der Punkte, die heute nicht neu waren, auch in Zukunft wieder unterhalten müssen und können hoffen, daß sie nicht einfach in der Kurzfassung einer Haushaltsdebatte untergehen. Für heute lasse ich es bei diesen Hinweisen bewenden und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort der Herr Abgeordnete Schily.
({0})
Nein, ich bleibe Ihnen nicht erspart; das sehen Sie ganz richtig. Aber ich erspare Ihnen heute, da wir nicht sehr viel mehr sind als im kleinen Kreise des Rechtsausschusses, hier eine Debatte über Einzelheiten der Rechtspolitik und werde nur begründen, warum wir den Einzelplan 07 in Gänze ablehnen, und zwar in Anknüpfung an die Äußerung des Kollegen Helmrich, der mit Recht gesagt hat: Zur Rechtspolitik gehört auch die Pflege des Rechts- und Unrechtsbewußtseins.
Herr Kollege Helmrich, wir können in der Tat nicht erkennen, daß die Rechtspolitik so, wie die Bundesregierung sie vertritt, Vertrauen verdient, was die Pflege des Rechts- und Unrechtsbewußtseins anbelangt, nicht zuletzt und vor allem, weil sie der Verluderung des Rechtsbewußtseins nicht wirksam entgegentritt, sondern dazu beiträgt.
({0})
Wie anders sollen wir es denn verstehen, daß sich der Bundeskanzler vernehmlich zum Verteidiger bestimmter Beschuldigter aufschwingt, aber kein Wort von ihm zu hören ist angesichts der unverschämten Ausfälle des CSU-Politikers Tandler gegen die Staatsanwaltschaft in Bonn?
({1})
Ich möchte hier ausdrücklich erklären: Die Staatsanwaltschaft hat sich äußerst korrekt verhalten.
({2})
Diejenigen, die sich darüber beklagen, sollten sich einmal vergewissern, ob sie sich eigentlich früher aufgeregt haben, wenn Angeklageschriften in vollem Wortlaut, einschließlich des Ermittlungsergebnisses, veröffentlicht wurden. Da habe ich nie ein Sterbenswörtchen von Aufregung gehört.
({3})
Wenn die Staatsanwaltschaft hier die bloße Tatsache der Anklageerhebung bekanntgibt und mitteilt, um welchen Vorgang, um welchen strafrechtlichen Vorwurf es sich handelt, aber nicht mehr bekannt gibt, dann ist das völlig - obwohl manche die preußischen Traditionen sehr kritisch sehen, möchte ich das in dem Fall so sagen - preußisch korrekt.
({4})
- Herr Kollege Helmrich, ich habe nur noch sieben Minuten Zeit. Verzeihen Sie, daß ich keine Zwischenfrage zulassen kann.
Vielleicht sollte man darauf hinweisen, daß sich die Staatsanwaltschaft in mancher Hinsicht eher der äußersten Zurückhaltung befleißigt hat, wenn man daran denkt, daß ein Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr nicht beantragt worden ist, obwohl bekannt geworden ist, daß bestimmte Unterlagen von einem bestimmten Beschuldigten hohen früheren Ranges, der auch heute noch in der Wirtschaft einen hohen Rang hat, beiseite geschafft worden sind.
({5})
- Ja, da werden ganze Bestandteile aus beweiskräftigen Unterlagen herausgeschnitten und dem firmeneigenen Aktenvernichter anvertraut. Wenn das keine Verdunklungsmaßnahme ist, weiß ich nicht mehr, was eine Verdunklungsmaßnahme ist.
({6})
Andere werden dann in Untersuchungshaft gehalten.
Zweitens. Ich kenne sehr viele Haftbefehle, bei denen Fluchtgefahr angenommen wird, und zwar immer mit dem stereotypen Hinweis - auch bei nicht vorbestraften Bürgern, auch bei Bürgern mit festem Wohnsitz oder mit festem Anstellungsverhältnis - auf die Höhe der zu erwartenden Strafe. Dies wiederum wird mit dem hohen Schaden, der verursacht worden ist, begründet. Nun höre ich immer, es gehe um Millionen, die dem Staat entzogen worden sind. Wie ist es denn nun eigentlich mit der Höhe der zu erwartenden Strafe? Muß man nicht auch hier über einen solchen Haftgrund nachdenken? Auch da, denke ich, hat die Staatsanwaltschaft die äußerste Zurückhaltung walten lassen.
({7})
Gleichwohl meint ein Herr Tandler, er könne die bloße Anklage mit einem Mord vergleichen.
({8})
Und sein Parteifreund Bundesinnenminister Zimmermann, der sich früher laut über Presseveröffentlichungen beklagt hat, verfällt jetzt in ein beredtes Schweigen. Aber zu den wüsten Äußerungen von Herrn Tandler hätte wirklich Ihr Ausspruch, Herr Zimmermann, gepaßt: ein wirklicher Anschlag auf den Rechtsstaat; so haben Sie sich früher geäußert.
({9})
Jedoch haben das Schweigen einerseits und das Gezeter von Tandler andererseits durchaus Methode: Es soll abgelenkt, vernebelt werden.
Das gilt übrigens auch für die in Mode gekommene Beschwörung der Unschuldsvermutung. Gewiß, meine Damen und Herren, es ist erfreulich, daß dieses Rechtsinstitut wiederbelebt worden ist, nachdem vor nicht allzu langer Zeit bei vielen überhaupt unbekannt war, daß es so etwas wie eine Unschuldsvermutung gibt.
({10})
Ich kann mich noch gut erinnern, daß der damalige Ministerpräsident und heutige Bundeskanzler Kohl Angeklagte in einem Verfahren noch vor Beginn der Hauptverhandlung als Verbrecher und, weil das offenbar nicht gereicht hat, als kriminelle Verbrecher bezeichnet hat. Besonders glaubwürdig ist es also nicht, wenn heutzutage mit schmerzlichem Augenaufschlag die Vorverurteilung bemängelt wird. Wir wollen ihm jedoch nicht nacheifern.
Selbstverständlich hat auch ein Minister wie jeder andere Bürger Anspruch auf Respektierung der Unschuldsvermutung.
({11})
Aber es muß sehr sorgfältig - das gilt auch für Sie, Herr Kleinert - unterschieden werden: Es gibt eine Unschuldsvermutung hinsichtlich der strafrechtlichen Beurteilung; es gibt keine Unschuldsvermutung hinsichtlich der politischen Verantwortlichkeit.
({12})
Insbesondere reicht die politische Verantwortlichkeit sehr viel weiter als die strafrechtliche. Ich möchte alle warnen, den Blick zu verengen und nur auf die strafrechtliche Untersuchung zu richten. Es geht um sehr viel mehr. Es geht um ein enges Geflecht zwischen Großindustrie und der Politik bestimmter Parteien. Darum ist uns in erster Linie zu tun, nicht um die strafrechtliche Bewältigung.
Zur politischen Verantwortlichkeit gehört, daß die Öffentlichkeit endlich rückhaltlos die Auskünfte erhält, auf die sie nach Art. 21 des Grundgesetzes Anspruch hat. Sagen Sie doch endlich einmal klipp und klar: Wieviel Millionen haben Sie denn von Flick bekommen? Wieviel haben Sie kassiert?
({13})
Bisher haben wir von Ihnen darüber überhaupt noch nichts gehört. Wieviel haben Sie von anderen Großfirmen kassiert? Erklären Sie doch einmal der Öffentlichkeit, wann und warum Spenden in Ihren Rechenschaftsberichten nicht veröffentlicht worden sind! Erscheint ein einziges Mal der Name Flick in Ihren Rechenschaftsberichten? Nehmen Sie doch einmal Stellung zu der Frage, ob nicht gewisse „staatsbürgerliche Vereinigungen" eher mutmaßliche kriminelle Vereinigungen zur fortgesetzten Steuerhinterziehung waren!
({14})
Erläutern Sie, warum Spenden ohne Quittungen entgegengenommen wurden, große Bargeldbeträge in Kuverts ausgezahlt wurden, warum Spenden über Schweizer Nummernkonten geschleust wurden, warum es „Geldwaschanlagen" gegeben hat! Erklären Sie doch einmal, ob es dunkle Schleichwege über das Ausland gegeben hat, um die Partei2914
kassen zu füllen! Sie haben Gelegenheit, sich zu äußern und sich zu Ihrer politischen Verantwortlichkeit zu bekennen. Erklären Sie doch bitte einmal, ob es fingierte Gutachten gegeben hat, um Spenden auf diese Weise zu vereinnahmen! Erklären Sie bitte, ob es eine politische Einflußnahme gegen Barzahlung gegeben hat! Erklären Sie einmal, welche Schmiergelder im Zusammenhang mit der Gewährung von Waffenexportlizenzen gezahlt worden sind! Wer hat sich wem zur Verfügung gehalten? Wer hat sich von wem aushalten lassen? Es ist die Prostitution einer Galerie von Politikern gegenüber den Interessen gewisser großindustrieller Kreise, die zur Debatte steht.
({15})
Unterstützung der Justiz und der Staatsanwaltschaft bei deren Bemühen, diesen Dschungel zu durchdringen, haben wir von dieser Regierung und den sie tragenden Parteien nicht zu erwarten, sondern nur Hindernisse. Wenn wir noch daran denken, daß man versucht hat, eine Spendenpraxis zu legalisieren, ohne daß der Bundesjustizminister dem durch seinen Einspruch entgegengetreten ist, ist das ein Beweis mehr. Von dem, der in dieser Kardinalfrage der Rechtszerstörung Vorschub leistet, können wir nicht erwarten, daß er auf anderen Rechtsfeldern positive Ergebnisse zustande bringt.
Ich danke Ihnen.
({16})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über Geld wird in der Debatte über den Justizetat traditionell nicht gesprochen.
({0})
- Was regen Sie sich denn auf? Ich verstehe die Aufregung gar nicht. ({1})
Es wird darüber sicherlich deswegen nicht breit gesprochen, weil die von uns in Anspruch genommenen Mittel gering sind. Es sind 0,14 % des Gesamtbundeshaushalts, die auf den Etat des Bundesministeriums der Justiz entfallen, ein Siebenhundertstel also. Dies läßt sich noch besser, noch leichter dadurch tragen, daß ein ganz erheblicher Teil davon, fast zwei Drittel durch Einnahmen gedeckt werden kann, insbesondere durch die Gebühren des Europäischen Patentamtes.
Ich möchte diese Gelegenheit hier aber heute nicht vorbeigehen lassen, ohne ausdrücklich Dank dafür zu sagen, daß sich der Haushaltsausschuß dort, wo es zwingend notwendig ist, sehr darum bemüht hat, uns zu Hilfe zu kommen. So hat er einen weiteren Senat beim Bundesfinanzhof gebilligt und das zugestanden, was dringend erforderlich ist, um - im Interesse höherer Steuereinnahmen, im Interesse derer, die dort Verfahren anhängig haben - die angewachsenen Rückstände schneller aufarbeiten zu können; dafür an dieser Stelle ausdrücklich meinen herzlichen Dank.
({2})
- Ja, zur Sache: Ich wende mich da gleich dem Kollegen Schmidt zu, dem es - im Gegensatz zu anderen Rednern, die ich zu solchen Themen schon gehört habe - gar nicht so schwergefallen ist, eine Begründung dafür zu finden, daß die SPD-Fraktion, wie angekündigt, den Etat ablehnen wird. Das war ja in der Vergangenheit in einigen Debatten, etwa im letzten Jahr, manchmal etwas quälend. Im Grunde haben mir die Redner der SPD leid getan, weil ich durch ihre Worte immer die ganz leise, zwischen den Zeilen vorgetragene Bitte heraushören konnte: Mei, versteht's uns halt, wir sind in einer anderen Situation; wenn wir auch denken wie früher, so müssen wir doch etwas anders reden; dafür wird man Verständnis aufbringen müssen.
({3})
Ihnen, Herr Kollege Schmidt, ist das überhaupt nicht schwergefallen. Das liegt etwas an Ihrer Art, an Ihrem Naturell. So wie Sie das Ihre haben, so habe ich das meine. Dies ist konträr zu Ihrem, aber das hindert nicht, daß wir uns jetzt einmal mit einigem dessen auseinandersetzen, was Sie gesagt haben.
Da haben Sie also gesagt, Sie wären ja mit Ihren Kollegen ungeheuer bereit gewesen, möglicherweise noch in mein Lob auszubrechen, wenn nur die Arbeit so gewesen wäre. Das kann j a überhaupt nicht richtig sein. Denn die Wertung etwa, die Sie dem Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen gegeben haben - und dies stand ja am Anfang der Arbeit im letzten Herbst -, war ja ein totaler Verriß. Und ich war der federführende Minister, ich hatte dieses Gesetz einzubringen, und ich habe es aus voller Überzeugung vertreten. Und wie Sie, Herr Kollege, aus der Vergangenheit, aus vielen vergangenen Jahren, wissen: Ich bin dabei in der Kontinuität meines Denkens geblieben,
({4})
weil ich immer der Überzeugung war, daß das, was im Übermaß und in der Verzerrung in den vergangenen Jahren hier angerichtet worden ist, auf Grund gewonnener Erfahrungen einer Korrektur bedarf. Insofern war es also mit den Vorschußlorbeeren für mich schon gar nichts, und ich war mir über die Fronten hier von vornherein im klaren.
Zum anderen habe ich zu einem sehr frühen Zeitpunkt - und daß dies etwas wehtut, verstehe ich gut - darauf hingewiesen, daß ich es als eine meiner wichtigsten Aufgaben ansehe, den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts endlich
nachzukommen, insbesondere wenn eine ganze Anzahl von Jahren schon vergangen ist.
({5})
Haben wir im letzten Herbst mit der kleinen Reparaturnovelle zum Versorgungsausgleich begonnen, werden wir in dieser Legislaturperiode mit der großen Lösung nachfolgen müssen, werden wir im materiellen Scheidungsrecht und zu der offenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Unterhaltsrecht die Reparaturen vornehmen müssen.
Jetzt sagen Sie, es seien ganz schlimme Dinge passiert. Sie haben es fast dichterisch gesagt, Herr Kollege Schmidt. Sie sagten, meine Absicht sei es gewesen - so hätte ich es gesagt -, das Justizministerium zu einer Bastion der Liberalität auszubauen an Stelle des verlorengegangenen Innenministeriums, um die anstürmenden finsteren Horden der Reaktion niederkartätschen zu können. - Wissen Sie, Herr Kollege, das war ein sehr sinngemäßes Zitat, denn dies ist Ihre, dies ist nicht meine Sprache. Allerdings, was die Beharrlichkeit und, wo es sein muß, auch Sturheit angeht, auch wenn sich dies im Schneckentempo bewegt: Ich rate Ihnen, lassen Sie noch einige Zeit ins Land gehen, und dann zählen Sie einmal die einzelnen ausweisbaren Erfolge ab! Ich kann mir vorstellen, daß es so manche politische Figur gibt, die ganz wieselflink ist und sich auf ihre Schnelligkeit viel zugute hält, die dann aber gar nicht so gut aussehen wird.
({6})
Nein, ich glaube, das ganz kontinuierliche und stetige Voranschreiten ist schon eine wichtige Sache. Und das, meine ich, ist bisher gelungen.
Herr Kollege Helmrich hat es dankenswerterweise übernommen - ich kann es aus Zeitgründen nicht tun -, eine ganze Fülle von wichtigen, aber auch von weniger wichtigen Gesetzgebungsvorhaben aufzuzählen, die alle noch unter Minister Schmude im Ministerium vorbereitet worden sind. dem Grundsatz der Diskontinuität zum Opfer fielen und dann von mir wieder eingebracht worden sind. Das ist Kontinuität, und dagegen können Sie wohl nichts haben.
Wenn Sie jetzt über das Demonstrationsrecht gesprochen haben, so bin ich mir darüber klar, daß es bei den parlamentarischen Beratungen genauer diffiziler und breiter Überlegungen in diesem Bereich bedarf.
In der knappen mir zur Verfügung stehenden Zeit muß ich noch auf zwei Dinge eingehen, weil hier bei Ihnen, Herr Kollege Schmidt, etwas deutlich geworden ist, was ich nicht schön finde. Sie haben, um der Koalition und speziell mir eins auszuwischen, in Kauf genommen, die Bevölkerung draußen mit finsteren Drohungen zu verunsichern,
({7})
weil die Landschaft so sein muß, wie Sie sie sich wünschen.
({8})
- Ja, wie soll ich denn Ihre beschwörenden Worte anders verstehen, was an finsteren Plänen im Bereich des § 218 schließlich doch Wirklichkeit werden würde? Ich gebe Ihnen eine klare Antwort. Sie kennen die Koalitionsvereinbarungen. Es wird abgewartet bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, und Sie können überzeugt sein, daß wir Liberalen das, was in der Vergangenheit nach jahrelangen Debatten geschaffen werden konnte, nicht aushebeln lassen werden.
({9})
Reicht Ihnen dies? Sie überzeugt es nicht; aber auf Sie kommt es, um es ganz klar zu sagen, auch nicht an.
({10})
Uns kommt es darauf an, daß die Bevölkerung dies weiß
({11})
und nicht jene, die hier im Stil des Angstmachers auftreten.
({12})
Sie haben einiges andere gesagt, auf das ich aus Zeitgründen hier nicht mehr eingehen kann.
Herr Kollege Schmidt, zu dem was Herr Tandler zum Besten gegeben hat, werden Sie mir keine anderen Äußerungen entlocken können, ob es Ihnen paßt oder nicht.
({13})
Ich spreche nicht im Auftrag, und was ich spreche, lasse ich mir schon gar nicht von irgend jemand vorsagen
({14})
und von Ihnen schon dreimal nicht.
({15})
- Nein, ich lege in diesem Bereich den größten Wert darauf,
({16})
daß wegen der besonderen negativen Qualität dieser Äußerung Herr Tandler Anspruch darauf hat,
({17})
in dieser gesamten Diskussion seine eigene Schublade zu haben. Ich habe dies nicht gern vermischt mit anderen Betrachtungen gesehen. Ich habe gleichzeitig darauf hingewiesen, was das Verfahren und was die Kritik angeht, die daran lautgeworden ist, zum Teil auch aus Kreisen der Justitia selbst, daß dies etwas völlig anderes ist. Eine Justiz, die auf sich hält,
({18})
will gar nicht den Anspruch erheben, in den elfenbeinernen Turm der Unberührbarkeit verbannt zu werden, sondern stellt sich auch der Kritik, aber einer fairen Auseinandersetzung, zu der jeder von
uns in der Lage sein sollte. Nur, wer sich wie ein anderer äußert, der verdient es, völlig getrennt behandelt zu werden. Dies habe ich sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Wir werden jedenfalls mit der uns eigenen Beharrlichkeit die Politik, die wir für richtig halten, auch weiter durchsetzen. Wir treffen uns dann nächstes Jahr wieder,
({19})
und ich bin sehr gespannt, welchen Redner Ihre Fraktion dann aufbieten wird, um vielleicht auf eine neue Tour zu kommen, Befürchtungen auszusprechen und die Ablehnung des Haushalts zu begründen.
({20})
Meine Damen und Herren, zu den Einzelplänen 07 und 19 liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Einzelpläne 07 und 19.
Ich rufe zuerst den Einzelplan 07 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz - auf. Wer dem Einzelplan 07 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen?
({0})
Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Einzelplan 07 ist damit mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Ich rufe Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - auf. Wer dem Einzelplan 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - ist bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.
Ich rufe auf: Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
- Drucksachen 10/642, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Hoffmann ({1}) Metz
Dr. Weng
Verheyen ({2})
Hierzu liegen Änderungsanträge auf den Drucksachen 10/747 und 10/776 vor.
Nach den Vereinbarungen des Ältestenrats sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch und stelle fest, Sie sind einverstanden.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zuerst der Abgeordnete Hoffmann ({3}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir überlegt, ob es für diesen Haushalt, den wir jetzt besprechen, einen griffigen Titel gibt, und hatte mir zuerst vorgenommen zu sagen - wir haben ja heute den 6. Dezember - „Nikolaus hat für Dollinger nur taube Nüsse im Sack", aber mein Obmann hat mir gesagt, das sei nicht zutreffend und man könne mit dem Verkehrsetat so nicht umgehen.
({0})
Deshalb habe ich ein neues Motto ausgesucht: „Stoltenbergs Winteropfer heißt Dollinger". Dazu möchte ich Ihnen kurz einiges vortragen.
Der Haushalt 12, der Verkehrshaushalt, ist einer der großen Haushalte. Er umfaßt fast 25 Milliarden DM, und von diesen 25 Milliarden DM sind etwa 47 % Investitionen. Es ist also ein sehr wichtiger Haushalt, der auch relevante Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat. Beide Trends allerdings, das muß man feststellen, sind sinkend, d. h. die absoluten Zahlen des Haushalts wie auch die Investitionsquote nehmen ab.
Wir können folgende wichtigen Trends für diesen Haushalt feststellen.
Erstens strebt man offensichtlich eine zunehmende Privatisierung an. Zweitens ist eine weniger große Vorsorge für den öffentlichen Personennahverkehr festzustellen. Drittens. Bestimmte Teilbereiche sind völlig konzeptionslos; auf einige Bereiche werde ich eingehen. Viertens. Vorsorge und Planung für bestimmte Ersatzinvestitionen fehlen. Fünftens schließlich - der wichtigste Punkt, auf den ich gleich eingehe - ist hiermit eine gravierende Arbeitsplatzvernichtung verbunden.
Die Arbeitsplatzauswirkungen sind natürlich nicht auf die Zahl genau festzulegen, aber ich kann vielleicht folgende Richtgrößen angeben. Die faktische Verminderung des Einzelplans 12 bringt direkte Verluste von ungefähr 15 000 Arbeitsplätzen im Jahr 1984. Wenn man einen bestimmten Multiplikatoreffekt aus der Erfahrung mit ansetzt, kann man sagen, daß in der Folge noch weitere 25 000 Arbeitsplätze künftig verlorengehen. Den Zeitraum allerdings kann ich damit nicht genau abgreifen, aber ungefähr die Dimension.
Außerdem hat nicht nur der allgemeine Verkehrshaushalt diese Tendenz, sondern auch für den speziellen Bereich der Bundesbahn ist vorgesehen, daß bis zum Jahr 1990 etwa 80 000 Arbeitsplätze wegfallen. Auch hier ergibt sich ein weiterer negativer Multiplikatoreffekt in bezug auf den Arbeitsmarkt, den man auf Sicht von fünf bis zehn Jahren mit weiteren 200 000 Arbeitsplätzen ansetzen muß.
Dies sind ganz gravierende Aussagen. Ich behaupte nicht, daß man sie exakt nachrechnen kann. Ich behaupte auch nicht, daß man sie präzise in einem Zeitrahmen festlegen kann. Aber das ist ein Trend, der hier angegeben ist. Der sollte uns ganz besonders interessieren, weil dieser Einzelplan 12 nachweist, daß das, was die Bundesregierung hiermit betreibt, Schaffung von Arbeitslosigkeit ist.
({1})
Hoffmann ({2})
Außerdem muß man feststellen, daß dieser Einzelplan 12 praktisch zur Sparbüchse von Herrn Stoltenberg geworden ist, denn er hat sich an diesem Verkehrshaushalt ziemlich ausgetobt. In anderen Haushalten ist er da nicht so straff verfahren, beispielsweise beim Einzelplan 14, aber darauf werden andere, berufenere Kollegen als ich zurückkommen.
Ich glaube auch, daß der halbjährige Stellenbesetzungsstopp für das Ministerium und seine nachgeordneten Behörden ziemlich sinnlos sein wird, denn wenn Verkehrspolitik wirklich vernünftig betrieben werden wird, wird man sich eine sechsmonatige Besetzungssperre gar nicht erlauben können.
Im übrigen mache ich auch hier darauf aufmerksam, daß ich das langsam für kleinkariert halte, wenn wir die 5er-Titel, die sogenannten Sachausgaben, immer wieder kürzen. Am Ende wird im Ministerium darüber diskutiert werden, ob man noch einen Radiergummi hat. Meiner Auffassung nach müßte sich das Ministerium gegenüber dem Finanzminister endlich durchsetzen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden aus verschiedenen Gründen, die ich gleich noch im einzelnen aufführen werde, eine Aufstockung dieses Einzeletats um rund 870 Millionen DM beantragen. Diese sind zu 90 % investiv. Damit könnten wir eine unmittelbare Arbeitsplatzwirkung im Jahr 1984 von etwa 12 000 Arbeitsplätzen erreichen. Der mittelfristige Effekt davon wären 25 000 weitere Arbeitsplätze. Wenn man den Zeitfaktor dieser Investitionen nicht genau zu beschreiben versucht, würde das bedeuten, daß von den 870 Millionen DM, die wir als vermehrte Ausgabe einstellen wollen, in einem bestimmten Jahresrhythmus ungefähr 800 Millionen DM direkt zurückkommen.
Aus den Einzelbereichen dieses Haushalts wird immer wieder das Thema Berlin angesprochen. Ich will es hier kurz aufführen. Zuerst haben wir festzustellen, daß die Wasserbaumaßnahmen, die durchführungsreif sind, auch finanziert werden können. Es müssen allerdings weitere Gespräche geführt werden, beispielsweise über die Trogbrücke Magdeburg, über Tauchtiefen, Liegezeiten und Liegeplätze. Das ist ein kompliziertes Thema, das ich hier nicht weiter ausführe.
Eine Wunschliste aus Berlin will ich kurz anführen, weil ich denke, sie sollte uns demnächst beschäftigen, soweit das nicht sowieso schon angesprochen worden ist. Z. B. geht es um die Elektrifizierung der Eisenbahnverbindung Berlin-Helmstedt, mindestens aber IC-Züge ab Helmstedt, Verbesserung der Fernbahnhöfe, S-Bahn-Integration, die deutlich über dem 40-km-Streckenkonzept liegen muß; denn wenn man sich auf das 40-km-Strekkennetz bezieht, wird man eine vernünftige Rentabilität und einen vernünftigen Einbau in das verkehrspolitische System Berlins nicht erzielen können. Außerdem steht auf der Wunschliste, mit der DDR über Verbesserungen der Autobahn Berlin-Hirschberg zu verhandeln.
Ich habe versucht, bei der Vorbereitung dieser zweiten und dritten Beratung eine Reihe von Gruppierungen, Regierungen und auch Lobby-Gruppen um ihre Meinung zur zweiten und dritten Beratung zu bitten. Ich habe eine Reihe von Briefen zurückbekommen, die ich hier nicht im einzelnen behandeln kann. Ich werde mit meinen Kollegen aus dem Ausschuß für Verkehr darüber reden, wie wir das sinnvoll auswerten können.
Ich will in meiner Rede auch nicht auf die verschiedenen Bundesanstalten eingehen, die Sie unter den Kap. 12 06, 12 08, 12 11, 12 13 und 12 16 finden. Ich will versuchen, diese Bundesanstalten und Bundesämter irgendwann einmal zu besuchen, um mir ein eigenes Bild machen zu können.
Ich komme zum Bereich 12 02. Daraus möchte ich drei Punkte kurz ansprechen. Der erste ist die Gasöl-Betriebsbeihilfe. Sie war hier im Parlament oft genug Gegenstand der Auseinandersetzungen. Ich gebe zu, daß die Auswirkungen besonders für den öffentlichen Personennahverkehr sehr schwerwiegend sind. Wir haben es nicht geschafft, auch nicht durch internationale Vereinbarungen, daß in anderen Bereichen wie der Luftfahrt oder der Binnenschiffahrt entsprechende Subventionskürzungen oder -abschaffungen durchgeführt werden können. Dennoch sind wir der Auffassung, daß wir das nicht einfach nochmal zurückschrauben können. Wir müssen vielmehr versuchen, dem öffentlichen Personennahverkehr in anderer Weise sinnvoll zu helfen. Dazu soll einer unserer Anträge beitragen.
Ein zweiter Punkt, der in diesem Kapitel wichtig ist, und den ich nur als Merkposten auch für die Innenpolitiker, Herr Kollege Kühbacher, aufführe, ist, daß im Verkehrsetat ja auch Beiträge für internationale Kommissionen bezahlt werden, z. B. für die Internationale Kommission für die Mosel. Ich bitte, sehr darauf zu achten, daß der Wärmelastplan Mosel genau angesehen wird. Hier gibt es einige Leichen im Keller. Da muß man schwer aufpassen. Ich hoffe, daß die Innenpolitiker das entsprechend vorbereiten werden.
Der wichtigste Punkt, auf den ich bei diesem Kapitel zu sprechen kommen möchte, ist der Bereich der Seeschiffahrtshilfen. Sie alle wissen, daß die deutsche Seeschiffahrt in einer sehr tiefen Krise ist, die von der allgemeinen Weltwirtschaftskrise mitverursacht ist. Beide Erscheinungen verlaufen parallel mit dem Rückgang des Gütertransports auf See. Es ist deshalb falsch und allzu vordergründig, die schlechte Lage der deutschen Reedereien ausschließlich und immer wieder auf die Heuertarife zurückzuführen. Herr Dollinger hat das allerdings mehrfach betont. Ich weise nur darauf hin, daß das ein zu kurz gegriffenes Argument ist. Herr Minister, wenn Ihr Kollege Stoltenberg schon nicht mehr Geld zur Stützung dieser krisengeschüttelten Branche herausrücken will, dann wenden Sie sich doch wenigstens den Maßnahmen zu, die man auch ohne finanzielle Begleitung durchführen kann! Sagen Sie uns doch, welche Punkte der vor einem Jahr vom Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedeten Entschließung zur Schiffahrtspolitik Sie angepackt und erledigt haben!
Wenn Sie in der Schiffahrtspolitik vorankommen wollen, brauchen Sie den Außenminister und den
Hoffmann ({3})
Wirtschaftsminister. Beide sind gefordert, z. B. bei der Bekämpfung der Flaggendiskriminierung, bei der US-Schiffahrtgesetzgebung, bei der Ratenunterbietung, insbesondere mit den COMECON-Staaten und bei den Berichtsflaggenschiffen. Hier haben Sie ein Aktionsfeld, in dem wir Ergebnisse erwarten, die bisher noch nicht absehbar sind.
Die Freiheit der Meere, vielbeschworen, gehört auf diesem Sektor im Prinzip der Vergangenheit an. Es ist eine falsche Lagebeurteilung zu glauben, als große Industrienation könne man einfach unter diesem Motto die gesamte Flotte verkommen lassen, nur weil wir die einzigen sind, die glauben, diese Freiheit existiere noch. Deshalb sagen wir ganz deutlich, Herr Minister: Ladungsabkommen, Ladungsplan, Ladungslenkung sind keine Marterinstrumente einer zentral gesteuerten Planwirtschaft, sondern sie sind notwendige Begleiterscheinungen dessen, was sich auf dem Markt vollzieht.
In diesem Zusammenhang auch ein Wort an die deutschen Verlader, ein unangenehmes Thema, wie ich zugebe. Es ist schon kurios, wenn man sieht, wie sie sich ihre hochwertigen Güter, Maschinen, Geräte, von verschiedenen Hansestädten aus auf Rostwannen durch die Meere schiffern lassen. Man sollte vielleicht einmal an die Versicherungsgesellschaft appellieren, ob sie daraus nicht irgendwelche Tarifkonsequenzen ziehen will.
Nun zu dem Antrag, den wir stellen. Wir stellen in diesem Zusammenhang den Antrag, zu der Regelung zurückzukehren, die wir 1979 bis 1981 bereits vollzogen haben, nämlich entsprechende Finanzbeiträge für die Seeschiffahrt. Wir möchten gerne 120 Millionen DM Baransatz für 1984 eingestellt wissen. Wir möchten darüber hinaus insgesamt 180 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen sehen. Sie von der CDU/CSU wollen diesem Antrag offensichtlich nicht folgen. Das tut uns sehr leid. Wir werden allerdings Ihrem Antrag, nämlich der Einstellung von Verpflichtungsermächtigungen von jeweils 40 Millionen DM, zustimmen, weil wir glauben, daß das immer noch besser ist als gar nichts.
Meine Damen und Herren, ich komme zu dem nächsten Thema, 12 03, Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes - Bundeswasserstraßen. Hier haben wir ein gravierendes Thema vorliegen, das ich nicht der neuen Regierung allein in die Schuhe schieben möchte. Das wäre einfach unredlich. Wir haben ein langfristiges Problem mit der Reinvestition alter Wasserstraßen. Hier hat die jetzige Regierung einen höheren Betrag eingestellt als vorher. Das ist zu begrüßen. Sie ist aber in ihrer mittelfristigen Finanzplanung genau den umgekehrten Weg gegangen und sackt in den Reinvestitionen wieder zurück. Wir denken, daß man hier noch etwas aufstocken sollte, und beantragen, 20 Millionen DM draufzutun. Wo wollen wir sie hernehmen?
({4})
Damit bin ich sogleich beim nächsten Stichwort: Main-Donau-Wasserstraße. Das ist ein Thema, das hier so oft diskutiert worden ist, daß ich es mir verkneife, die Einzelheiten noch einmal aufzuführen. Ich gehe davon aus, daß wir hier noch 20 Millionen DM rechtswirksam abziehen könnten. Ich sage Ih nen aber auch ganz deutlich, damit Sie sich nicht so sehr aufregen: Sollte ich auch das nächste Mal Verkehrsberichterstatter sein, so wird es heute doch das letzte Mal sein, daß ich dieses Thema mit einem Kürzungsvorschlag anbringe. Denn ich denke, daß, wenn man ein bestimmtes Maß an Investitionen durchgezogen hat, ein Weg des Rückkehrens nicht mehr möglich ist. Es macht keinen Sinn, sich noch über Dinge zu unterhalten, die gelaufen sind. Aber ich sage noch einmal: Wir allesamt sind in dieser Frage Sünder und müssen uns noch einiges gefallen lassen.
({5})
Zur Frage der Schiffbarmachung der Saar, weil Sie das gerade auch angesprochen haben, Herr Kollege: Für die Saar ist vorgesehen, daß sie bis Dillingen bis zum Jahre 1986 schiffbar gemacht werden kann. Darüber hinaus sind keine weiteren Verpflichtungsermächtigungen eingestellt. Ich begrüße das und wundere mich darüber, daß andere Menschen darüber so still gewesen sind - aber bitte schön.
Weiterhin haben wir gemeinsam miteinander vereinbart, daß Ems/Leda vertieft werden soll. Wir haben gemeinsam verabredet - auch das begrüße ich -, daß 1985 mit dem Aufstiegsschleusenwerk Henrichenburg begonnen wird. Das ist ein sehr wichtiger Impuls für die Investitionstätigkeit im gesamten betroffenen Raum.
({6})
Gleichzeitig haben wir gemeinsam verabschiedet, daß die Verpflichtungsermächtigungen für die Radarsicherung von Küste und Mündungsbereich aufgestockt wird. Ich bedanke mich, daß Sie diesem Antrag von unserer Seite gefolgt sind.
Schließlich haben wir in diesem Einzelplan bzw. auch im Einzelplan des Bundesministers für Forschung und Technologie gemeinsam verankert, daß für die Ölbekämpfung einiges mehr getan wird. Ein größeres Schiff THOR wird vom BMFT und unter Mitwirkung des Bundesverkehrsministers auf Kiel gelegt. Ich denke, das ist wichtig so. Damit haben wir gleichzeitig einer Anregung meiner Kollegin Margitta Terborg entsprochen.
Nun komme ich zu einem Konfliktpunkt in diesem Bereich, nämlich zur Naßbaggerei. Meine Damen und Herren, ich spreche hier eine deutliche vorsorgliche Warnung an Sie aus. Wir werden einer Privatisierung nicht zustimmen können.
({7})
Wir werden besonders eines nicht tun - da bitte ich Sie genau aufzupassen -: Sollte sich herausstellen, daß Sie im nächsten Frühjahr in diesem Bereich eine Privatisierungswelle organisieren wollen, und sollte sich herausstellen, daß die Auftragnehmer dieselben sind, die zur Zeit vom Kartellamt die Bußgeldverfahren auf den Tisch bekommen, dann werden Sie erleben, daß das ein bundesweiter Skandal wird. Ich verspreche Ihnen, daß wir nicht lockerlassen werden; denn es wäre ja noch schöner, wenn die öffentliche Hand, die auf der einen Seite
Hoffmann ({8})
betrogen wird, auf der anderen Seite noch goldene Nasen verteilte. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
({9})
Meine Damen und Herren, das nächste Thema, auf das ich zu sprechen kommen möchte, wird bei den Haushaltsberatungen wahrscheinlich nicht oft angesprochen: Ich möchte auf die Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz eingehen. Ich hatte die Gelegenheit, sie zu besuchen, und ich habe dabei festgestellt, daß die dort geleistete Arbeit für uns - jedenfalls für mich - in vielen Bereichen hochinteressant ist. Ich greife einen einzigen Punkt heraus.
Dort ist festgestellt worden, daß die Wasserzehrung durch Kraftwerke am Rhein, wenn sie so weitergebaut werden wie bisher, eine dramatische Steigerung erfahren wird, die nicht nur ökologische Auswirkungen, sondern sogar auch noch Auswirkungen auf die Schiffahrt haben wird. Ich nenne Ihnen dazu nur ein paar Zahlen. Heute beträgt die Wasserzehrung im Rhein durch diese Kraftwerke etwa 15 bis 20 Kubikmeter pro Sekunde. Wenn diese Kraftwerke in dem Stil weitergebaut werden wie bisher, werden wir in zwei Jahrzehnten bereits 70 bis 90 Kubikmeter Wasser pro Sekunde Wasserzehrung haben. Das wäre ein eklatanter Eingriff in die Ökologie, und das hätte eine erhebliche Verschlechterung der Befahrbarkeit des Rheins zur Folge. Ich denke, wir sollten dieser Frage sehr, sehr ernsthaft nachgehen.
Ein weiterer Punkt, der dort aufgenommen worden ist, ist die Frage des Klärschlamms. Auch diese Frage hat eine außerordentliche ökologische Brisanz. Ich bitte darum, daß man sich dieses Thema auch unter dem Motto Verursacherprinzip noch einmal annimmt. Es ist dort festgestellt worden, daß volkswirtschaftliche Schäden von 1,2 Milliarden DM im Jahr entstehen. Diese Summe wäre aufzuwenden, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, nachdem man ihn vorher kaputtgemacht hat. Diese Frage beschäftigt mich sehr. Ich denke, wenn wir weiter so verfahren, wenn wir es beispielsweise zulassen, daß verschiedene Abfallstoffe einfach eingeleitet werden, und wir uns nachher nur noch darum kümmern, ob es besser ist, diese Abfallstoffe zu verklappen, sie auf Trockengelände aufzuschütten oder sie in Mülldeponien einzubringen, dann werden wir der Aufgabe, die wir hier haben, nicht gerecht. Deshalb wird sich auf unseren Antrag der Haushaltsausschuß - ich nehme an, auch der Fachausschuß - im Frühjahr damit beschäftigen müssen.
Nächstes Thema ist das Deutsche Hydrographische Institut. Ich will es ganz knapp machen: Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion lehnt die private Bereederung des neuen Forschungsschiffs „Meteor" eindeutig ab.
({10})
Wir halten das für eine völlig falsche Entscheidung, die im einzelnen von uns begründet werden kann. Dazu sehe ich mich jetzt aus Gründen der Zeit nicht imstande.
Zu Kap. 12 10: Bundesfernstraßen. Auch dieses Problem müßte ausführlich behandelt werden. Ich will nur ein paar Indikatoren anfügen. Wir hatten 1950 600 000 Pkw in der Bundesrepublik; 1970 waren es 13,9 Millionen; 1983 sind es 24,8 Millionen. Ich könnte die Zahlenreihe verlängern. Wenn Sie diese Zahlen jetzt mit den entsprechenden Investitionssummen für Straße und - alternativ - für Schiene vergleichen, dann werden Sie sehen, daß wir hier ein strukturell angelegtes Problem haben, das nicht nur den Straßenbau betrifft, sondern selbstverständlich alle anderen alternativen Verkehrsträger. Es handelt sich um ein so gravierendes Problem, daß es fahrlässig wäre, wenn ich versuchen wollte, in Kürze Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Ich will nur kurz feststellen, daß wir uns auch auf europäischer Ebene zu überlegen haben, wie endlich auch europäische Verkehrspolitik betrieben werden kann. Wir müssen endlich auch merken, daß unsere Versorgung mit Verkehrsinfrastruktur inzwischen ein Niveau erreicht hat, das Umdenken dringend nötig macht. Dazu können Sie die entsprechenden Vorlagen der SPD-Fraktion nachlesen. Ich kann sie hier nicht im einzelnen erwähnen.
Wir haben gewisse Umschichtungen im Verkehrshaushalt vorgenommen. Wir haben beispielsweise 40 Millionen DM bei Grundstückskäufen eingespart; Sie haben das freundlicherweise mitgemacht. Wir setzen das für Schallschutzmaßnahmen ein.
Ich will Ihnen trotz der Kürze der Zeit hier ein besonderes Bonbon vortragen. Die CDU/CSU und die FDP haben beantragt, die Verpflichtungsermächtigung für den Straßenbau um 150 Millionen DM aufzustocken. - Meine Damen und Herren, dies ist ein wunderschöner Kalauer. Zuerst hat die CSU in Bayern natürlich jubiliert, weil ihre Forderungen, etwas mehr für den Straßenbau zu tun, aufgenommen war. Nun stellt der Herr Staatssekretär Voss plötzlich fest, daß er rote Ohren kriegt, weil kein einziger Pfennig mehr eingestellt wird, sondern die Baransätze exakt dieselben bleiben und die mittelfristige Finanzplanung unverändert ist. Das heißt: Der Herr Stoltenberg, dieser Evangelische, hat sie schlicht und einfach geleimt. Er hat Sie geleimt. Das werden Sie als Katholische natürlich genau wissen. Ich will das nicht näher ausführen.
({11})
Kap. 12 12 - Kraftfahrt-Bundesamt -: Wir haben einvernehmlich 2 Millionen DM für Verkehrssicherheit und Aufklärung aufgestockt, ein wichtiges Thema, das herzlichen Dank für die vielen freiwilligen Helfer in diesem Bereich verlangt.
Kap. 12 14 - Deutscher Wetterdienst -: Knappheit beim Personal, sehr schwierige Situation. Wir haben auch darüber diskutiert, ob wir den Privatfliegern Gebühren auferlegen könnten. Das ist uns noch nicht gelungen. Wir werden mit EUROCONTROL darüber verhandeln. Ich hoffe, daß uns das gelingen wird.
Flugsicherung: Der „Spiegel" meldet, daß es hier eine Vermischung von ziviler und militärischer Flugüberwachung gebe. Ich weiß nicht, inwieweit
Hoffmann ({12})
dies zutrifft. Ich sage nur vorsorglich: Sollten Sie eine Militarisierung der Flugüberwachung vorhaben - mit uns Sozialdemokraten nicht, meine Damen und Herren.
({13})
Gleichzeitig sage ich Ihnen auch, daß wir einer Privatisierung der Lufthansa nicht zustimmen werden.
Das letzte Problem - und damit bin ich am Schluß, Herr Präsident -, das es verdiente, daß eine eigene Rede dafür gehalten würde: Deutsche Bundesbahn. Das, was hier vorgelegt worden ist, Herr Minister Dollinger, besteht nach meiner Auffassung darin, daß auf eine betriebswirtschaftliche Analyse des Bundesbahnmanagements eine schlichte Ente oben draufgesetzt wurde. Wenn Sie sich ansehen, was dort gelaufen ist, werden Sie feststellen, daß Sie auf eine Analyse, die man im einzelnen diskutieren müßte, nichts weiter als Beschlußformulierungen draufgesetzt haben, die keinerlei unmittelbare Auswirkungen auf den Haushalt haben, gleichzeitig aber alles zulassen, was Privatisierung, was Zentralisierung, was Streckenverkürzung und was Arbeitslosigkeit beinhaltet. Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, daß wir die Frage der Bundesbahn und ihrer Beschäftigten seriös aufnehmen und nicht mit einer solchen Beschlußvorlage behandeln. Es tut mir leid, daß ich im einzelnen nicht darauf eingehen kann. Aber ich denke, die Bundesbahner haben es verdient, daß wir uns seriöser mit ihnen befassen.
Danke sehr.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Metz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, im Gegensatz zum Haushalt des Herrn Justizministers wird beim Verkehrsminister durchaus über Geld, über viel Geld, gesprochen. Insofern hat der Kollege Hoffmann, der eben vor mir gesprochen hat, recht.
({0})
Dieser Verkehrshaushalt liegt mit seinen Eckdaten nach dem Kabinettsbeschluß vom 29. Juni 1983 und den Haushaltsberatungen eindeutig über den Werten der Finanzplanung der Regierung Schmidt.
({1})
Dasselbe gilt für den Finanzplanungszeitraum 1985 bis 1987, und das gilt auch und gerade für die Verkehrsinvestitionen. Das heißt, dieser Haushalt ist besser, als er wäre, wenn die SPD noch regierte.
({2}) Insofern hat der Kollege Hoffmann unrecht.
({3})
Meine Damen und Herren, ich will aus der Fülle der Kapitel einige Punkte herausgreifen und im Zuge dieser kleinen Rede dann auch auf das eingehen, was Sie, Herr Hoffmann, hier angesprochen haben.
Ich beginne mit dem Kapitel Schiffbau, Schifffahrt. Schon während der ersten Lesung dieses Haushalts vor zwei Monaten hat es eine Debatte über die Probleme von Schiffahrt und Schiffbau gegeben. Damals hatten meine Kollegen Echternach, Austermann und auch ich selber angekündigt, hier sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. In der Tat hat es im Zuge der Beratungen hier eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem Entwurf gegeben, die an der Küste einhellig begrüßt worden ist. Ich meine den Beschluß des Haushaltsausschusses, Finanzbeiträge zur Förderung der Seeschifffahrt befristet wiedereinzuführen.
({4})
Auf Antrag der Koalition ist eine entsprechende Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 80 Millionen DM eingesetzt worden; Herr Kollege Hoffmann hat darauf hingewiesen. Diese Finanzbeiträge sollen die Ausflaggung eindämmen, die anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der deutschen Reedereien abfedern und, was ganz wichtig ist, deren Investitionsfähigkeit dadurch verstärken, daß sie zusätzliche Liquidität bekommen. Damit, meine Damen und Herren, wird zugleich, wenn auch mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung, den deutschen Werften geholfen, die maßgeblich auf inländische Aufträge angewiesen sind.
({5})
Die deutsche Handelsflotte hat in den letzten Jahren durch Ausflaggung rund ein Drittel ihrer Tonnage verloren. Es ist richtig: Vor diesem Hintergrund sind weitere Maßnahmen notwendig. Sowohl das zunehmend aggressive Verhalten der Staatshandelsreedereien mit ihren Dumpingpreisen ebenso wie die niedrigeren Sicherheitsstandards bei anderen Wettbewerbern müssen noch einmal auf die Hörner genommen werden.
Die von der Bundesregierung eingesetzte interministerielle Arbeitsgruppe sollte in der Tat, Herr Minister, so schnell wie möglich ihre Vorschläge vorlegen, damit das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Handelsflotte zu verbessern und die Sicherung der Versorgung zu gewährleisten, möglichst bald erreicht wird.
({6})
Die Opposition hat - beinahe hätte ich gesagt: natürlich - mehr gefordert, als wir hier erreicht haben. Aber, Herr Hoffmann, Sie haben es sich hier in der Tat etwas zu leicht gemacht. Sie haben einfach Ihr altes Programm, das Sie 1981 ja selbst gestoppt haben, für 1984 wieder abgeschrieben, ohne Rücksicht auf das, was in der Zwischenzeit an Entwicklungen und Beschlüssen vorliegt.
Ich erinnere Sie an die Beschlüsse der norddeutschen Ministerpräsidenten und Bürgermeister vom 21. April dieses Jahres in Hamburg. Die norddeutschen Länder sowie die Gewerkschaften und die Verbände gehen seitdem von rund 3 Milliarden DM Jahresumsatz im deutschen Handelsschiffbau für
Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 42. Sitzung. Bonn. Dienstag. den 6. Dezember 1983 2921
die Jahre 1984 ff. aus, unterteilt in 2 Milliarden DM Inlandsaufträge und 1 Milliarde DM Auslandsaufträge.
Ich meine, wenn man jetzt Anträge stellt und Haushalte berät, sollte man die Anträge und die eigene Politik an diesen Zielvorgaben ausrichten und nicht das, was auch die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten unterschrieben haben, durch Anträge hier konterkarieren. Nur dann kommt einmal so etwas wie eine wirkliche Linie in die Schiffbau- und Schiffahrtspolitik, die dringend erforderlich ist, meine Damen und Herren.
({7})
Natürlich - erlauben Sie mir, daß ich das hinzufüge - bleiben in diesem Bereich Punkte, die uns Sorge machen: denn auch erreichte Umsatzzahlen sind keine Standortgarantie, können es auch nicht sein. Erlauben Sie mir, daß ich hier die beiden Standorte Bremen und Bremerhaven stellvertretend als besonders schwierige Werftenstandorte nenne.
Eine weitere große Sorge bedeutet - das an die Adresse des Wirtschaftsministers - das völlige Ausbleiben von Exportaufträgen aus Industrieländern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort zu den Bundeswasserstraßen sagen, und zwar zunächst zum Main-Donau-Kanal. Ich bitte die Bundesregierung, alles zu tun, was ihre Rechtsauffassung stützt, daß es sich dabei um eine nationale Wasserstraße handelt, und alles zu unterlassen, was diese Rechtsauffassung konterkarieren könnte. Das fängt damit an, daß man beispielsweise von der Main-Donau-Wasserstraße und nicht von der Rhein-Main-Donau-Wasserstraße redet. Im übrigen bin ich der Überzeugung, daß den Unterhaltungsmaßnehmen in der Tat zukünftig hohe Priorität zukommen muß, damit im Bereich der Wasserstraßen der befürchtete Substanzverzehr nicht fortschreitet, sondern daß diesem Substanzverzehr, der in der Tat nicht gewollt sein kann, Einhalt geboten wird.
Ein Wort zur Privatisierung in der Naßbaggerei; Herr Hoffmann, Sie haben das hier angesprochen. Wir hatten uns im Haushaltsausschuß darauf geeinigt, daß wir den Bericht des Bundesverkehrsministers abwarten, daß wir dann diskutieren und anschließend entscheiden. Meine Damen und Herren, das scheint mir eine sinnvolle Reihenfolge zu sein. Wenn Sie sich aber als erstes hinstellen und sagen „Unsere Entscheidung steht schon fest!", dann frage ich mich natürlich: Wofür brauchen wir noch einen Bericht des Verkehrsministers? Ich meine also, wir sollten hier eine vernünftige Reihenfolge wiederherstellen.
({8})
Nun ein Wort zur Deutschen Bundesbahn. Ich will in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß es unter der Verantwortung von SPD-Verkehrsministern in den letzten Jahren sechs Sanierungskonzepte gegeben hat, die nicht verhindern konnten, daß die Verluste der Bahn in den letzten 12 Jahren von rund 1,3 Milliarden DM auf 4,2 Milliarden DM und die Verschuldung von 13,5 Milliarden DM auf 35,5 Milliarden DM angestiegen sind,
({9})
obwohl gleichzeitig der jährliche Zuschuß des Bundes von 3,9 auf 13,3 Milliarden DM zugenommen hat.
({10})
Das ist die Ausgangssituation, die wir vorgefunden haben.
({11})
Ich wiederhole: ein Ergebnis bei sechs SPD-Sanierungskonzepten. Bei dieser Sachlage wäre ich an Ihrer Stelle in der Tat verhältnismäßig vorsichtig bei der Äußerung zu Konzepten, die nun einmal andere vorlegen.
({12})
Wir haben den Regierungsentwurf in Sachen Bundesbahn für 1984 unverändert übernommen. Angesichts der absoluten Priorität der Sanierung der Staatsfinanzen sind jetzt keine zusätzlichen Subventionen möglich gewesen. Im übrigen ist das neue Bahnkonzept der Bundesregierung ja erst am 30. November 1983, also vor wenigen Tagen, beschlossen und der Öffentlichkeit vorgestellt worden, d. h. haushaltspolitisch kann es erst in den Haushalten 1985 ff. eingeordnet und wirksam werden. Es war schon technisch gar nicht möglich, es in den Haushalt 1984 einfließen zu lassen.
({13})
- Es wäre sicher eher übergekommen wie auch vieles andere, wenn nicht zunächst soviel Schutt wegzuräumen gewesen wäre, den Sie hinterlassen haben.
({14})
Erlauben Sie mir ein Wort zu den Neubaustrekken. Die Neubaustrecken sind erforderlich. Wer sie nicht wollte, müßte erklären, wo er denn die Perspektive und die Zukunft der Bahn sieht. Aber erlauben Sie mir aus der Sicht des Haushälters, daß ich hinzufüge: Hinsichtlich der Kosten bin ich skeptisch. Ich kann mich auch nicht ganz des Eindrucks erwehren, daß sehr großzügig geplant worden ist bzw. geplant wird, wobei wohl bisweilen bei Widerständen - sei es bei Bürgerinitiativen, sei es bei anderen Widerständen - auch leicht der bequeme - und das heißt in diesem Falle leider: der teurere - Weg eingeschlagen wird.
Hier wird es nach meinem Eindruck im Einzelfall noch sorgfältiger Überlegungen und Überprüfungen bedürfen.
Erfreulich ist, daß die Bahn bereits in diesem Jahr Aufwand und Verschuldung deutlich günstiger hat gestalten können. Die im Konzept erstmals festgelegten - Herr Kollege Hoffmann, insofern stimmt Ihre Kritik nicht - klaren Abgrenzungen der Verantwortlichkeiten zwischen der Unterneh2922
mensleitung der Bahn und dem Eigentümer Bund ermöglichen es dem Vorstand, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen und die selber gesetzten Ziele zu erreichen, nämlich deutlich gesteigerte Arbeitsproduktivität einerseits und deutliche Senkung der Personal- und Gesamtkosten andererseits.
({15})
- Ihr Zwischenruf erinnert mich an Zeiten, in denen Sie völlig ungeniert 100 000 Arbeitsplätze weniger bei der Bahn gefordert und angestrebt haben. Ich will das einmal hinzufügen.
({16})
- Im übrigen auch durchgesetzt haben. Völlig richtig.
({17})
Unser Ziel ist eine moderne, attraktive, schnelle, wettbewerbsfähige Bahn mit einem Marketing, mit dem sie ihre Leistung auch am Markt verkaufen kann. Dieses Ziel läßt sich nicht mit staatlichem Dirigismus oder planwirtschaftlichen Methoden erreichen, sondern nur nach den Regeln der Marktwirtschaft. Auch das hat uns die Vergangenheit wirklich gelehrt. Dazu gehört auch die Kooperation mit dem privaten Transportgewerbe sowie privaten Kapitalgebern. Sind diese zu einer Zusammenarbeit bereit, so ist das das allerbeste Zeichen dafür, daß die Bahn eine realistische Chance am Markt hat.
Den vielerorts befürchteten Kahlschlag wird es nicht geben. Das jetzt verabschiedete Bahnkonzept bedeutet keine Demontage bei der Bahn. Es geht weder von Entlassungen aus, noch sind Streckenstillegungen das Primäre. Die Bahn soll vielmehr wieder das werden, was sie jahrzehntelang in der deutschen Bahngeschichte gewesen ist: ein wichtiges, ein sicheres, ein begehrtes Verkehrsmittel in unserem Lande.
({18})
Lassen Sie mich ein letztes Wort zum Straßenbau sagen. Im europäischen Vergleich ist unser Straßennetz bekanntlich überdurchschnittlich hoch belastet. Dem hat die Bundesregierung trotz der angespannten Haushaltslage dadurch Rechnung getragen, daß sie 150 Millionen DM als Verpflichtungsermächtigung freigegeben hat. Damit wird aber kein rigoroser Ausbau des Straßennetzes betrieben werden, wie er von seiten der GRÜNEN und von seiten der SPD in der öffentlichen Debatte immer wieder behauptet wird. Die Tatsache, daß dazu, selbst wenn wir dies wollten, einfach die Mittel fehlten, sollte Ihnen zumindest bei dieser Behauptung zu denken geben. Das bedeutet also unter Berücksichtigung regionaler Ausgewogenheit die Konzentration auf baldige Fertigstellung beispielsweise der Schließung von Lücken im Straßennetz, von Ortsumgehungen und Beseitigung von Gefahrenpunkten. Der Rahmen für den zukünftigen Straßenausbau wird gegenwärtig durch den geltenden Bedarfsplan, den Sie einstimmig mit beschlossen haben - ich will noch einmal daran erinnern - bestimmt, der im
übrigen 1985 fortgeschrieben und der neuen Entwicklung angepaßt werden wird. Natürlich wird dabei der regionalen Erschließungsfunktion besondere Bedeutung beigemessen werden.
Herr Kollege Hoffmann, Sie haben Ihren Sammelantrag zum Verkehrshaushalt auf Drucksache 10/747 vorgelegt. Wir haben diese Anträge im Haushaltsausschuß beraten. Ein Teil dieser Anträge ist deswegen nicht zu verwirklichen, weil die Dekkungsvorschläge, die Sie anzubieten hatten, von uns nicht akzeptiert werden konnten. Wir müssen diese Anträge aus diesem Grund ablehnen. Dem Regierungsentwurf, der auch für die Verkehrspolitik bessere Zeiten signalisiert, stimmen wir zu.
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Drabiniok.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde!
({0})
Herr Metz, ich will Ihnen j a nicht unterstellen, daß Sie das Bahnkonzept vom Verkehrsminister nicht gelesen haben; aber wenn Sie es gelesen haben, glaube ich, daß Sie es nicht verstanden haben. Wohin die Verkehrspolitik der Bundesregierung führt, wenn der Herr Verkehrsminister den vorgelegten Haushalt bewilligt bekommt, können Sie einer Werbetafel am Essener Hauptbahnhof entnehmen, die gut und gerne aus dem Haus des Verkehrsministers stammen könnte. Dort steht: „Alles aussteigen! Umsteigen in die Lego-Eisenbahn!" Die Bundesregierung ist drauf und dran, diesen Werbespruch in die Tat umzusetzen, um die Bundesbahn endgültig in den Ruin zu treiben. Schon für 1984 sollen der Bahn 300 Millionen DM Bundesmittel gestrichen werden.
({1})
In den nächsten Jahren sollen die Bundesmittel für die Deutsche Bundesbahn eingefroren werden. Dadurch wird die Bundesbahn zum Schrumpfkurs verurteilt.
Die Folgen dieses Kaputtschrumpfens sind schon fest eingeplant. Trotz hoher Arbeitslosigkeit sollen 80 000 bis 100 000 Arbeitsplätze bis 1990 allein bei der Bahn vernichtet werden. Mit rund 7 000 km Streckenlänge soll rund ein Drittel des gesamten Schienennetzes der Bundesbahn stillgelegt werden. Die Bundesbahn soll Kapazität und Angebot abbauen und wird so auf das Abstellgleis geschoben.
Die großen Wahlkampfworte der CDU vom Aufschwung müssen den Beschäftigten und Kunden der Bundesbahn nur wir Hohn und Spott in den Ohren klingen. Denn wer glaubt, durch diese drastischen Maßnahmen werde wenigstens die finanDrabiniok
zielle Situation der Bundesbahn verbessert, sieht sich getäuscht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Verschuldung der Bahn soll bis 1990 um weitere 20 Milliarden DM auf sage und schreibe rund 56 Milliarden DM in die Höhe schnellen. Die kurzsichtige Absicht der Bundesregierung ist es, den Bundeshaushalt auf Kosten der Bahn zu sanieren. Zudem wird die Öffentlichkeit getäuscht, da es sich bei den Schulden der Bundesbahn also eines Bundesunternehmens letztendlich um Schulden des Bundes handelt, die noch nicht einmal nachrichtlich im Bundeshaushalt vermerkt sind. Diese Politik bedeutet eine verschleierte Erhöhung der Staatsverschuldung, für die der Steuerzahler in späteren Jahren wesentlich tiefer in seine Geldbörse greifen muß, als es zu einer wirklichen Sanierung der Bundesbahn heute notwendig wäre.
({2})
Eine tatsächliche Sanierung der Deutschen Bundesbahn ist jedoch nicht das Ziel der Bundesregierung; denn sie läßt mit dem von ihr vorgelegten Haushaltsentwurf die Ursachen der Bahnkrise völlig außer acht. Nach wie vor soll die Bundesbahn Mineralölsteuer zahlen, obwohl die Konkurrenten in der Binnenwasserschiffahrt und beim Flugverkehr von dieser Steuer befreit sind. Nach wie vor soll die Bundesbahn für ihr Schienennetz selber aufkommen, obwohl der Bau von Bundesfern- und Bundeswasserstraßen voll aus dem Bundeshaushalt finanziert wird. Nach wie vor hat die Bundesbahn einen großen Teil ihrer Pensionslasten selber zu tragen, obwohl die entsprechenden Aufwendungen der Behörden für den Flug-, Schiffs- und Straßenverkehr ganz selbstverständlich voll vom Staat getragen werden. Nach wie vor soll ein Teil des Fehlbetrags im Schienenpersonennahverkehr bei der Bundesbahn verbleiben, obwohl es eine Selbstverständlichkeit ist, daß soziale, gemeinwirtschaftliche Aufgaben - wie etwa Feuerwehr und Kindergärten - vom Staat zu finanzieren sind. Nach wie vor soll sich die Bundesbahn durch Aufnahme weiterer Kredite noch weiter verschulden, um die hohe Zinslast von zur Zeit jährlich 3 Milliarden DM tragen zu können, obwohl nicht sie, sondern der Bund selber durch mangelnde Ausstattung mit Eigenkapital für die Verschuldung der Bahn und damit für die Zinslast allein verantwortlich ist.
({3})
Mit dieser Benachteiligung und Vernachlässigung der Bundesbahn durch den Eigentümer Bund muß endlich Schluß sein. Mit aller Schärfe weisen wir die Versuche seitens der Bundesregierung zurück, von der Verantwortung dieser Bundesregierung für die verfehlte Bundesbahnpolitik dadurch abzulenken, daß den Eisenbahnern die Schuld für die Krise der Bahn in die Schuhe geschoben wird.
({4})
Solche Unterstellungen sind nicht nur falsch, sondern auch zynisch und unmenschlich.
({5})
Lassen Sie mich an dieser Stelle deshalb den Eisenbahnern den ganz besonderen Dank unserer
Fraktion für ihre harte Arbeit rund um die Uhr und zum Wohle der Bürger aussprechen.
({6})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, der FDP und SPD, Sie alle versprechen den Bürgern vor Ort, sich vehement für die Erhaltung der Bahnstrecken in Ihren jeweiligen Wahlkreisen einzusetzen. Wortreich betonen Sie mit einer Fülle von Argumenten, wie wichtig und unverzichtbar diese Bahnstrecken doch seien. Diese Beteuerungen sind jedoch nichts anderes als blanke Lippenbekenntnisse, meine Damen und Herren. Denn kaum haben Sie Ihrem Wahlkreis den Rücken gekehrt, verweigern Sie hier in Bonn gemeinsam der Bundesbahn die finanziellen Mittel, die für die Erhaltung dieser Bahnstrecken notwendig sind. Diese Doppelzüngigkeit muß bald ein Ende haben.
({7})
Die Bürger im Lande sollen wissen: Wer diesem Verkehrshaushalt zustimmt, sagt auch j a zu Strekkenstillegungen und Arbeitsplatzvernichtung.
({8}) - Hören Sie mal zu!
Um die Zukunft der Bahn zu sichern, müssen erstens die Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Bahn endlich beseitigt werden,
({9})
muß zweitens die Bahn schrittweise entschuldet werden und müssen drittens der Bahn wesentlich mehr finanzielle Mittel für Investitionen zur Verbesserung von Attraktivität und Wirtschaftlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
({10})
Deshalb fordern die GRÜNEN eine Erhöhung der Haushaltsansätze für die Bundesbahn um insgesamt 5,4 Milliarden DM.
({11})
- Hören Sie doch mal zu! - Diese Summe ließe sich ohne Mühe durch Kürzung anderer Titel im Verkehrshaushalt, insbesondere bei dem ohnehin überflüssigen Bau neuer Bundesstraßen und Autobahnen sowie durch eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 6 Pf pro Liter aufbringen.
Als ersten konkreten Schritt und Mindestmaßnahme, die angesichts des Waldsterbens von jedem verantwortungsbewußten Politiker mitgetragen werden müßte, beantragen wir deshalb heute die Umschichtung von 1,8 Milliarden DM aus dem Straßenbauetat zugunsten der Bahn.
({12})
Diese Umschichtung im Verkehrshaushalt ist nicht
nur gerechtfertigt, sondern längst überfällig. Seit
1960 wurden 210 Milliarden DM in den Straßenbau
investiert, jedoch nur 16 Milliarden in die Bundesbahn.
({13})
Durch die Investitionen für den Straßenbau wollen Sie das Bruttosozialprodukt steigern, das für Sie immer noch oberste Richtlinie für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes ist.
({14})
- Nun hör' doch mal zu!
({15})
Dabei wirken sich Verkehrsunfälle und die damit verbundenen Unfallfolgekosten von jährlich ca. 40 Milliarden DM positiv auf das Bruttosozialprodukt aus. Was hat das noch mit vernünftiger Verkehrspolitik zu tun? Doch wohl nichts.
({16})
Die Investitionssummen im Straßenbau zeigen, daß die Verantwortlichen in der Verkehrspolitik offensichtlich mit Scheuklappen ausgerüstet sind,
({17})
die sie von der Automobil- und Straßenbaulobby erhalten haben.
({18})
Diese Lobby wird sich die Hände reiben, wenn sie hört, daß die Bundesregierung die Notwendigkeit sieht, das Straßennetz für den durch Streckenstillegungen zu erwartenden Mehrverkehr von Bussen und Pkw noch weiter auszubauen.
({19})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese verfehlte, allein auf das Auto fixierte Verkehrspolitik hat mit dazu beigetragen, daß der Wald vor unseren Augen stirbt. Es ist höchste Zeit zum Handeln! Durch eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf 100 Stundenkilometer auf Autobahnen und 80 Stundenkilometer auf Landstraßen ließen sich die Stickoxidemissionen um 400 000 Tonnen jährlich reduzieren. Mit dieser Notbremse gegen das Waldsterben würden Milliardenverluste in der Forstwirtschaft vermieden und Hunderttausende bedrohte Arbeitsplätze gesichert.
({20})
Neben der Lärmverminderung und der Steigerung der Verkehrssicherheit bedeutet ein Tempolimit auch eine relative Geschwindigkeitserhöhung für die Bundesbahn. Daß sich dies im Personenfernverkehr der Bahn positiv niederschlägt, wird wohl jedem hier im Saal einleuchten, auch wenn er es aus parteipolitischen Gründen nicht zugeben darf.
({21})
Ich will heute auf die schädlichen Auswirkungen des Straßenverkehrs nicht weiter eingehen. Feststellen möchte ich allerdings doch noch, daß zehn Jahre Umweltdiskussion an Ihnen offensichtlich spurlos vorübergegangen sind. Offenbar fehlt es an Ihrer Bereitschaft, die Verkehrspolitik zur Förderung des Autoverkehrs aufzugeben, weil Ihre Parteien sonst vor der Pleite ständen. Denn dann würden die Spenden der Automobil- und Straßenbaulobby wohl nicht mehr so reichlich in Ihre Parteikasse fließen. Das scheint mir der eigentliche Hintergrund für Ihre Verkehrspolitik und den Haushaltsentwurf zu sein.
Danke.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer für die FDP-Fraktion zum Verkehrshaushalt und damit zum viertgrößten und gleichzeitig investitionsstärksten Etat Stellung nehmen soll und dafür nur ganz wenige Minuten Redezeit hat, ist natürlich zu einer nur skizzenhaften Darstellung gezwungen. Den kräftigsten Strich bei diesem Bild zieht in der Tat, meine Damen und Herren, der Finanzminister, der mit seiner notwendigen Forderung nach Beiträgen zur Haushaltskonsolidierung auch den Gestaltungsspielraum des Verkehrsressorts - nicht nur für 1984 - in verkehrspolitisch wirklich bedenklicher Weise begrenzen muß. Aber das ist nichts Neues. Denn bei einem Vergleich mit der mittelfristigen Finanzplanung aus der Zeit der sozialliberalen Koalition ergibt sich, daß damals für alle Bereiche - außer dem Bereich des Straßenbaus - weniger eingestellt war, als dies mit diesem Haushaltsentwurf geschieht.
({0})
Das Hauptziel, meine Damen und Herren, ist klar, und es ist auch zwingend. Es gilt, die für den gesamten Bundesetat tickende Zeitbombe der Zuschüsse für die Deutsche Bundesbahn zu entschärfen - eine Forderung, die Hans-Günter Hoppe für die FDP ja bereits bei der ersten Lesung des Haushalts 1977 als unwägbares Haushaltsrisiko ohne mitgeliefertes Lösungsrezept bezeichnet hatte.
1984 braucht die Bahn fast 55% des gesamten Verkehrshaushalts, und nur gut 45% bleiben für den Rest der Verkehrswelt. Und wenn jetzt nicht endlich Ernst gemacht wird mit einer durchgreifenden Sanierung, würde 1990 der gesamte Verkehrshaushalt unter die Räder der Bahn geraten, falls diese nicht bereits vorher wegen Zahlungsunfähigkeit ihre Schalter schließen müßte.
({1})
13,3 Milliarden DM für die Bundesbahn! Das heißt im Klartext: 37 Millionen DM jeden Tag, Tag für Tag, für ein Verkehrsmittel, das heute nur noch 6 % unserer gesamten Personenverkehrsbeförderung
({2})
Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 42. Sitzung. Bonn. Dienstag. den 6. Dezember 1983 2925
Hoff ie
und gerade noch 30% des Güterverkehrs übernimmt, 550 DM auch für Sie, Herr Kollege Drabiniok wie für jeden anderen Steuerzahler jährlich, ob er nun die Bahn in Anspruch nimmt oder nicht. Und wer sie dann unter den 6% aus der Bevölkerung schon benutzt, fährt jährlich nicht mehr als im Durchschnitt 35 km. Und für jede einzelne Mark, die der Bahnfahrer zahlt, legt Vater Staat noch einmal vier weitere Mark mit drauf.
Es ist 32 Jahre her - das will ich einmal dem Vertreter der GRÜNEN sagen, der im Verkehrsausschuß erklärt hat, die Bahn habe früher kräftige Gewinne gemacht -, daß die Bahn, 1951, ein einziges Mal, einen bescheidenen Gewinn machte. Aber seither haben wir die unvorstellbare Summe von 175 Milliarden DM
({3})
in dieses Verkehrsmittel gesteckt, das schon seit 1971 mehr Personalkosten als Erträge hat.
Deshalb begrüßt es die FDP, daß der Bundesverkehrsminister - ebenso wie die Koalitionsfraktionen - mit seinem jetzt vorgelegten Konzept
({4})
voll und ganz hinter der Zielsetzung des Bahnvorstands steht, bis 1990 die Arbeitsproduktivität bei der Bahn um 40 % zu steigern, die Gesamtkosten um 30 % und die Personalkosten um 25 % zu reduzieren.
({5})
- Herr Kollege Haar, wenn ich mehr als nur ein paar Minuten Redezeit hätte, würde ich gern eine Zwischenfrage gestatten. Ich bitte, heute darauf zu verzichten. Wir werden bei anderer Gelegenheit, im Frühjahr, das Bahnkonzept ja intensiv diskutieren können.
Das, meine Damen und Herren von der Opposition, ist in der Tat keine Kahlschlagsanierung, sondern der zwingend notwendige Schritt, der jetzt aber auch politisch durchgesetzt werden muß, aber nicht erneut, wie es die SPD und die GRÜNEN tun, schon wieder zerredet werden sollte, bevor es überhaupt wirksam werden kann.
({6})
Das muß politisch durchgesetzt und durchgehalten werden, wenn wir die Bahn durch Rationalisierung, durch Steigerung der Produktivität und vor allem durch attraktivere Angebotsgestaltung vor dem endgültigen Bankrott bewahren wollen.
({7})
Sechs Sanierungskonzepte unter der Verantwortung sozialdemokratischer Verkehrsminister sind gescheitert. Und natürlich haben wir es nicht mit einer Modelleisenbahn, schon gar nicht mit der Lego-Eisenbahn zu tun, die man beliebig auf- und abbauen könnte. Aber, meine Damen und Herren, wir haben es doch auch nicht mit einem MonopolySpiel zu tun,
({8})
bei dem man beliebig einnehmen und ausgeben könnte, je nachdem, was aus Ihrer Sicht gerade richtig ist. Dies geht nicht.
Und was soll eigentlich der Vorwurf der Kahlschlagsanierung oder des Totenscheins für die auf Raten sterbende alte Bahn angesichts des Gscheidle-Plans, damals schon 12 900 km Güterverkehrsnetz und 9 800 km Personenverkehrsnetz stillzulegen? Eigentlich müßte sich ja der Kollege Haar
({9})
in den Zielsetzungen von Bundesbahnvorstand und Verkehrsminister zwar nicht als heutiger Gewerkschaftschef, aber als damaliger Staatssekretär mit seinen Vorstellungen sehr gut wiederfinden können. Ich habe mir da mal ein paar alte Erklärungen herausgesucht, Herr Kollege Haar. Schon 1974 forderten Sie, die Kostendeckung im Nahverkehr zu verbessern, neue Maßnahmen nur noch unter strengster Wirtschaftlichkeitsprüfung zuzulassen
({10})
und den Schienenpersonennahverkehr überhaupt nur noch dort aufrechtzuerhalten, wo er wirtschaftlicher ist als der Betrieb durch andere Verkehrsmittel. Damals sprachen Sie von organisatorischer Ausgliederung von Teilbereichen der Bahn. Sie sprachen davon, die Personalintensität durch ständige Rationalisierungsmaßnahmen herabzusetzen.
Heute, wo wir nun endlich - auch nach Ihren eigenen Vorgaben und Vorstellungen - handeln wollen, ist das alles nicht mehr wahr. Da haben Sie für sich selbst und für die gesamte SPD-Fraktion die große bahnpolitische Wende vollzogen. Jetzt fordern Sie für den schnelleren Ausbau der Neubaustrecken, für bessere Nahverkehrsangebote, für eine gewaltige Entschuldungsanleihe summa summarum 6 bis 8 Milliarden DM mehr. Dazu haben Sie auch gleich einen Finanzierungsvorschlag mitgeliefert, man müsse nämlich an die Mineralölsteuer herangehen. Wir haben dies im Ausschuß mal seriös durchgerechnet. Inzwischen ist es noch einmal überprüft worden. Auch das Verkehrsministerium hat die Zahl nachgeguckt. In der Tat führt das, wenn Sie es tun wollen, zu dem Ergebnis, daß Sie dann dem Autofahrer pro Liter Sprit zusätzlich für 20 bis 30 Pfennig - je nach dem, wie dann Ihre Rechnung, ob 6 oder 8 Milliarden, konkret aussieht - in die Tasche greifen müßten. Das ist ja mehr, als die GRÜNEN hier zur Sanierung der Bundesbahn verlangt haben. Es ist ein abenteuerliches, aber auch unsoziales Verlangen gegenüber allen Arbeitnehmern, die gerade in der Fläche zwingend auf die Benutzung ihres eigenen Pkw angewiesen sind,
({11})
und, meine Damen und Herren, auch ein Angriff
auf jeden siebten. deutschen Arbeitsplatz, nämlich
auf die Arbeitsplätze aller Arbeitnehmer in der Automobilindustrie. Und da sprechen Sie angesichts unserer Sanierungsbemühungen bei der Deutschen Bundesbahn von Arbeitslosigkeit. Sie sollten, Herr Drabiniok, mal ein bißchen genauer hinsehen und Ihre Schularbeiten im Rechnen besser machen.
({12})
Meine Damen und Herren, diesen Weg gehen wir nicht mit. Deshalb geben wir für den künftigen S-Bahn-Betrieb kein Geld mehr aus, das die Folgekosten des Betriebs ständig noch weiter in die Höhe treiben würde. Und deswegen wollen wir, daß in privatrechtlichen Organisationsformen ein mindestens gleichwertiges, aber eben rentableres Busangebot die unverantwortlich hohen Schienenverkehrsdefizite in der Fläche ablöst. Wir werden erstmals in dem neuen Konzept die politisch bedingten, also die gemeinwirtschaftlichen Belastungen der Bahn eingrenzen, weil wir uns eben nur so viel Bahn leisten können, wie sie der Bürger selbst bei verbesserten Service und bei modernstem Gerät dann auch wirklich in Anspruch nehmen will,
({13})
und nun nicht, Herr Kollege Drabiniok, der Sie gerade dazwischenrufen, weil wir noch mehr Landschaft durch Straßen zubetonieren wollen.
Denn Straßen, meine Damen und Herren, die wir heute noch bauen, dienen vor allem dem Umweltschutz und der Verkehrssicherheit.
({14})
- Das haben Sie zwar noch nicht verstanden, aber es geht vor allem um die ortskernentlastenden Umgehungsstraßen.
({15})
Sie werden ja wohl einräumen, daß in unseren städtischen Ballungsgebieten die Leute im Abgas und im Lärm ersticken.
({16})
Wenn sich dann welche gegen solche dem Umweltschutz dienenden ortskernentlastenden Umgehungsstraßen wenden, dann kann man wirklich nur noch von grüner Schizophrenie reden.
({17})
Es geht beim Straßenbau, meine Damen und Herren, um die Beseitigung von Unfallschwerpunkten und schienengleichen Bahnübergängen, um die notwendigen letzten Netzschlüsse im Fernstraßensystem. Also Straßenbau nach Maß, übrigens keinen Kilometer mehr, als die alte sozialliberale Koalition erarbeitet hat und als hier im Plenum des Deutschen Bundestages in der letzten Legislaturperiode einstimmig beschlossen worden ist, und dann noch um 200 Millionen DM gekürzt bei der Gefahr eines neu entstehenden Haushaltsrisikos, wenn wir nicht mehr als die Hälfte dieser Straßenbaumittel für Erhaltungs- und Unterhaltungsinvestitionen einstellen.
Meine Redezeit - Herr Präsident - ich sehe es
- ist abgelaufen.
({18})
- Ich weiß, daß Sie das freut, Herr Kollege Roth, weil Sie zu dieser Sache nichts weiter hören wollen, was Ihre früheren Versäumnisse noch deutlicher macht. Ich habe Sie ja sehr schonend behandelt.
Herr Kollege, ich muß Sie daran erinnern, daß Ihre Redezeit zu Ende ist.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Die FDP stimmt dem Einzelplan zu.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Beiträge mit Interesse verfolgt. Herr Kollege Hoffmann, wenn Sie von dem Winteropfer sprechen, das ich von Herrn Stoltenberg geworden bin, dann möchte ich sagen: Viele Verkehrswege in Deutschland und nicht zuletzt die Deutsche Bundesbahn sind das Opfer einer langen Eiszeit geworden.
({0})
Die Eiszeit begann etwa 1970, und die wollen wir, so schön wie der Herbst war, auflösen, damit das Wachstum wieder kommt. Ich hoffe, daß das gelingen wird.
Hier wurde von der Arbeitsplatzvernichtung gesprochen. Das ist kein gutes Wort.
({1})
Fangen wir einmal damit an, wer das gesagt hat. Die Deutsche Bundesbahn hat von 1974 bis Ende 1982 90 000 Arbeitsplätze eingespart. War das auch Arbeitsplatzvernichtung? Nein, meine Damen und Herren, es war eine große Leistung der Deutschen Bundesbahn und der Gewerkschaften, daß es möglich gewesen ist, das ohne Massenentlassungen durchzuführen.
({2})
Die Hochseeschiffahrt ist ein ernstes Problem, weil wir ein Drittel der Tonnage verloren haben. Ich habe mit Zustimmung der zuständigen Minister eine Kommission aus Auswärtigem Amt, Wirtschaftsministerium, Finanzministerium, Arbeitsministerium, Verteidigungsministerium und meinem Ressort selbst eingesetzt. Wir werden gegen Ende des Jahres Vorschläge haben. Wir stützen uns dabei in erster Linie nicht auf die Frage von Finanzen und Subventionen - das wäre in dieser Finanzlage Augenauswischerei -, sondern wir wollen, daß alle gesetzlichen Möglichkeiten, die vorhanden sind, zugunsten unserer Hochseeschiffahrt genutzt werden, auch bei den internationalen Verträgen. Ich werde zu gegebener Zeit darüber berichten.
Was die Kanalbauten anbelangt, so möchte ich feststellen, daß wir mit den Investitionen vorangegangen sind. Wir haben im vorigen Jahr einen Betrag von 673 Millionen DM gehabt, wir haben im Jahr 1984 788 Millionen DM vorgesehen. Im Hinblick auf die Versäumnisse der Vergangenheit ist das auch dringend notwendig.
Was den Fernstraßenbau anbelangt - „Dollinger betoniert Deutschland zu", wie es heißt -, so mache ich eine ganz einfache Bemerkung. Wer den Beschluß des Hohen Hauses von 1981 kennt, der weiß, daß damals 7 000 km gestrichen und das Netz auf 10 500 km festgelegt wurde. Bis heute sind 8 000 km fertig. Ich werde mit Sicherheit nicht mehr bauen, als das Hohe Haus einst beschlossen hat. Aber ich glaube, das muß ich eigentlich tun. Ich rechne damit, daß Sie mich dabei unterstützen.
({3})
Was die Fliegerei anbelangt, so muß ich sagen: Unsere Flugplätze sind durchweg in Ordnung. Wir haben einige Schwierigkeiten, wo Rechtsverfahren bei Bauten vorhanden sind. Die Lufthansa macht uns wenig Sorgen. Wenn uns andere Bereiche so wenig Sorgen wie die Lufthansa machten, dann wäre ich eigentlich ganz froh.
Was die Deutsche Bundesbahn anbelangt, so möchte ich ganz klar sagen: Die Bundesbahn muß aus dem Siechtum heraus. Im Interesse der Bahn,
({4})
der dort Beschäftigten, der Bevölkerung und der Wirtschaft muß deutlich gemacht werden, welchen Rückhalt der Vorstand in Frankfurt hat, um das Unternehmen zu führen. Diesen politischen Willen hat die Bundesregierung mit dem einstimmigen Beschluß über meine Vorlage klar zum Ausdruck gebracht.
({5})
Dementsprechend wird auch gearbeitet werden, weil wir eine attraktive, gesunde Deutsche Bundesbahn haben wollen. Die werden wir mit dem Anfang, den wir gemacht haben, auch tatsächlich bekommen.
Ich darf Ihnen, Herr Drabiniok, einmal sagen, da Sie von den Nebenstrecken reden: Wenn der Bürger nicht mehr mit der Bahn fährt,
({6})
kann man es auf die Dauer nicht verantworten, daß diese Züge leer fahren. Das wäre falsch. Und wenn Sie von Umweltschutz sprechen, dann sage ich Ihnen einmal folgendes. Bei den Nebenstrecken fahren wir durchweg mit Dieselfahrzeugen. Haben Sie einmal darüber nachgedacht? Vielleicht denken Sie an noch etwas! Der Strom aus der Leitung kommt j a auch nicht von irgendwoher.
({7})
- Ich wollte das alte Wort nicht mehr gebrauchen.
- Wir bekommen 5% des Stroms vom Wasser, 15% von Kernkraftwerken
({8})
und 80% kommen von Kohlekraftwerken. Sie kommen also bei den technischen Verkehrseinrichtungen an der Umwelt nicht vorbei. Wir müssen das nur vernünftig gestalten.
Ich darf noch eine Bemerkung zur Zukunft machen. Wir werden in Zukunft sehr viel mehr für die Unterhaltung der Verkehrswege zu Lasten der Neuinvestitionen ausgeben müssen. Die Straßen werden älter; die Kanäle werden älter. Deshalb muß die Unterhaltung entsprechend gesteigert werden. Denn wir dürfen diese Werte, die geschaffen worden sind, nicht verkommen lassen.
({9})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Danke. Nein. Aus Zeitgründen nicht, Herr Präsident.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir auch im Rahmen Europas versuchen, unsere Verkehrspolitik zu koordinieren. Ich sehe gerade für die Deutsche Bundesbahn im Zusammenhang mit den internationalen Bahnwegen gute Möglichkeiten, wenn man hier endlich dazu kommt, den grenzüberschreitenden Verkehr zu verbessern. Wir werden in absehbarer Zeit einmal einen Versuch mit Osterreich und der Schweiz machen, ob wir mit der Eisenbahn nicht schneller über die Grenzen kommen. Vielleicht wird das eine Demonstration für Europa.
({0})
Was wir insgesamt wollen, drücke ich mit einem Satz aus: Wir wollen optimale Verkehrswege für Bürger und Wirtschaft. Das muß unser Ziel sein. Meine Damen und Herren von der Opposition, da Sie auf Grund Ihrer eigenen Verantwortlichkeit ab 1966 das Gelände genau kennen, möchte ich hoffen und wünschen, daß wir nun nicht so tun, als wenn Sie nie beteiligt gewesen wären, daß wir nicht den Blick von der Vergangenheit möglichst wegwenden
- nur aus der Vergangenheit können wir lernen - und daß wir versuchen, gemeinsam eine vernünftige Verkehrspolitik im Interesse des Ganzen zu betreiben.
({1})
Ich mache die letzte Bemerkung. Alle Damen und Herren, die im Verkehrsbereich, bei der Bahn, bei der Straße, bei der Schiffahrt und in der Luft tätig sind, verdienen unseren Dank und unseren hohen Respekt.
({2})
Wenn die Verkehrswege bei uns in Deutschland in einem hohen Maß sicher und zuverlässig sind, dann verdanken wir es der Mitarbeit aller, die in diesem Bereich tätig sind. Diesen Dank wollte ich hier aus2928
sprechen, genauso an die Sprecher, die bereit sind, in den Fraktionen diese schwierige Arbeit, von der man immer weiß, daß Zustimmung und Ablehnung sicher sind, zu unterstützen.
Ich hoffe in diesem Sinn auf eine gute Gestaltung der Verkehrspolitik im neuen Jahr.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Ich lasse zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/747 abstimmen.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? ({0})
Wir sind hier einig: Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/776.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12.
Wer dem Einzelplan 12 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Einzelplan 12 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
- Drucksachen 10/643, 10/659 - Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Walther
Verheyen ({1})
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich sehe: Sie sind damit einverstanden.
Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Wir reden jetzt über die Post. Das ist ein angesehenes, seriöses, gut organisiertes Unternehmen.
({0})
- Warum gibt's da Zwischenrufe? Sie sind doch hoffentlich der gleichen Meinung!
({1})
Wir haben's in guter Hand. Das wird jeden Tag besser.
({2})
- Doch!
Im Einzelplan 13 des Bundeshaushalts sind nur wenige Ansätze, die die Post betreffen: Das Gehalt des Ministers und des Staatssekretärs, die Ablieferung an den Bund und das Ergebnis der Bundesdruckerei. Trotzdem können wir auch in diesem Zusammenhang über einige postalische Themen reden. Wenn während des letzten Jahres von der Post gesprochen wurde, dann war es meistens im Zusammenhang mit einem einzigen Thema, mit der Breitbandverkabelung. Die Phantasie wurde stark angeregt, was man mit dieser neuen Technik alles tun könnte, wie sich unsere Gesellschaft wohl ändern würde, wie ein neues Privatfernsehen entstünde, wie die ganze Medienlandschaft sich ändern würde - das Ganze auch noch im Spannungsfeld zwischen Bund und Ländern, wobei die Länder die Kompetenz in der Medienpolitik haben, während der Bund nur die Kompetenz bei der Kommunikationstechnik hat.
Ich möchte heute bewußt auf dieses Thema nicht eingehen. Ich möchte Ihr Bewußtsein darauf hinlenken, daß diese Post auch viele, viele andere Aufgaben hat, über die viel zuwenig gesprochen wird.
({3})
Dort läuft alles so gut. Es wird nichts kritisiert. Aber wir sollten uns folgendes auch einmal in unser Gedächtnis rufen. Im nächsten Jahr wird die Post etwa 141/2 Milliarden DM in Sachanlagen investieren, aber nur 1 Milliarde DM in die Breitbandverkabelung. Das heißt, die Gewichte liegen schon ganz anders. Die Post wird im nächsten Jahr ein Bilanzvolumen von ungefähr 67 Milliarden DM erreichen, mehr als der Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie wird einen Umsatz von etwa 43 Milliarden DM erzielen und - was für mich sehr wichtig ist - einen Gewinn von etwa 2,4 Milliarden DM.
({4})
Das sind recht imponierende Zahlen. Dahinter steckt Leistung. Dahinter steckt, daß jahraus, jahrein 463 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treu und redlich ihre Arbeit verrichten,
({5})
daß auch bei einem schlechten Wetter wie heute die Zusteller von Haus zu Haus gehen, daß sie durch den Schwarzwald und über die Schwäbische Alb gehen und unabhängig von Wind und Wetter ihre Arbeit verrichten.
({6})
Dazu gehört, daß in den zentralen Briefeingangs- und -abgangsstellen Tag und Nacht gearbeitet wird, in den Fernmeldedienststellen genauso, daß die Angehörigen des Fernmeldewesens rund um die Uhr dafür sorgen, daß wir immer telephonieren und miteinander korrespondieren können. Dies alles steckt auch hinter diesen Zahlen.
Vor allen Dingen verbirgt sich aber hinter diesen stets zunehmenden Zahlen eine kolossale Umstrukturierung, an die man oft gar nicht denkt. Noch 1930, vor gut fünfzig Jahren, entfielen ein Drittel des Umsatzes auf das Fernmeldewesen, aber zwei Drittel auf die gelbe Post. 1950 war dies genau pari. Damals wurde der Umsatz zur Hälfte von der gelben Post und zur Hälfte vom Fernmeldewesen erbracht. Heute ist es genau umgekehrt. Heute werden zwei Drittel des Umsatzes im Fernmeldewesen erwirtschaftet, aber nur noch ein Drittel bei der gelben Post, und dies auch trotz zweier Gebührenerhöhungen in den letzten Jahren.
({7})
- Man kann es auch so sehen, Herr Kollege Schröder. Ich hebe nur ab auf die Zusammensetzung des Umsatzes bei der Post.
Dahinter steckt also mit Sicherheit ein großer Strukturwandel. Wollen wir doch nicht vergessen: Eine ganze Reihe neuer Dienstleistungen sind ins Leben gerufen worden, angefangen vom Bildschirmtext, für den es in zwei, drei Jahren vielleicht fast eine Milliarde Teilnehmer geben wird, bis hin zum Service 130, bis hin zu Telefax, bis hin zu Teletex. Dies alles sind neue Dienstleistungen; das heißt, die Post ist ein Unternehmen, das auf vielen Gebieten mit neuen Ideen in den Markt hineinstößt. Es wird oft übersehen, es wird oft vergessen, daß es bei der Post nicht nur um die Arbeitsplätze in diesem Unternehmen geht. Dieses größte deutsche Unternehmen hat eine unheimlich wichtige Pilotfunktion gegenüber der deutschen Wirtschaft.
({8})
Ich möchte von dieser Stelle aus insbesondere der Postgewerkschaft ins Gedächtnis rufen: So wichtig es ist, für die Arbeitsplätze der Postbediensteten zu sorgen, so wichtig ist es aber auch, daß die Post durch ihre technischen Vorgaben für sichere, moderne Arbeitsplätze in der Fernmeldeindustrie sorgt. Je nachdem, wie diese Fernmeldeindustrie von der Bundespost gesteuert wird, ist diese Fernmeldeindustrie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig oder eben nicht.
Vor ein paar Jahren hat z. B. die Fernmeldeindustrie ein Vermittlungssystem, das sogenannte EWS, Herr Pfeffermann, entwickelt, das sich, noch bevor es fertig war, als veraltet erwies. Durch Betreiben der Post ist die Entwicklung abgestoppt und eine neue Technik vorgegeben worden. Durch Konkurrenzausschreibung an drei Unternehmen hat sich schließlich eine Technik herausgebildet, die jetzt führend in der Welt ist. Das heißt: Jetzt kann die deutsche Fernmeldeindustrie darauf verweisen, daß ihre modernen Produkte in einem hochmodernen Industrieland, nämlich bei uns, durch die Bundespost eingesetzt werden. Sie kann auf eine Referenz verweisen: auf Deutschland als Pilotkunden. Damit können andere Länder auch guten Gewissens deutsche Fernmeldeprodukte kaufen.
Man unterschätze diese Entwicklung nicht. Die ganzen Schwellenländer, die dabei sind, ihre Märkte, ihr Kommunikationssystem aufzubauen, sind potentielle Kunden einer guten Fernmeldeindustrie.
({9})
Nun, meine Damen und meine Herren, möchte ich am Beispiel der Bundespost eine gefährliche Entwicklung aufzeigen. Allenthalben ist die Rede davon, daß die 35-Stunden-Woche eingeführt werden soll, um vorhandene Arbeit auf mehr zu verteilen, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Man unterliegt dabei einem Irrtum, und zwar insoweit, als man meint, daß eine gleichbleibende Arbeitsmenge vorhanden sei - unabhängig vom Preis dafür -, die nur neu verteilt werden müßte.
Ich habe am Beispiel der Bundespost ausgerechnet, daß rein rechnerisch 60 000 Mitarbeiter mehr nötig wären, wenn man voll auf die 35-StundenWoche überginge. Selbst wenn es gelänge, von diesen 60 000 Mitarbeitern ein Drittel durch Rationalisierung aufzufangen, blieben immer noch 40 000 Mitarbeiter mehr übrig. Diese 40 000 Mitarbeiter würden rund 2 Milliarden DM kosten.
({10})
Bei einem Gewinn der Post von 2,4 Milliarden DM im nächsten Jahr wäre also der Gewinn durch die Einführung der 35-Stunden-Woche fast weg; im übernächsten Jahr wäre die nächste Gebührenerhöhung fällig, oder die Post würde genauso ins Defizit marschieren, wie dies die Bahn zur Zeit tut.
({11})
Ich möchte deshalb mit diesem konkreten Beispiel davor warnen, dieser Illusion anzuhängen. Für mich ist höchst interessant: Als beim DGB angeregt wurde, er möge die 35-Stunden-Woche doch zunächst einmal in den ihm gehörenden Unternehmen einführen, da war die Antwort prompt, das gehe nicht, weil man einer Konkurrenz begegne, die nicht die 35-Stunden-Woche habe.
({12})
Aber wir sind ein Exportland, das zweitgrößte der Erde. Wir leben vom Export. Sechs Millionen Arbeitnehmer arbeiten bei uns in der Exportwirtschaft, und deren Produkte stoßen in der Welt auf Produkte von Ländern, die nicht die 35-StundenWoche haben. Das heißt zu deutsch: Hier am Beispiel der Bundespost können wir klar erkennen, daß es nicht einmal dort ohne Nachteile für die Wirtschaft und für dieses große Unternehmen laufen wird.
Vor kurzem hat der Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft auf einem Gewerkschaftstag gesagt, es kämen jetzt wieder Zeiten eines „stinknor2930
malen Kapitalismus". - Ich würde dies hier nicht aufgreifen, wenn es ein x-beliebiger Bürger gesagt hätte, aber diese Äußerung stammt vom Vorsitzenden einer Gewerkschaft, die nicht unbedeutend ist. Der erste Vorsitzende des DGB, Herr Breit, kommt aus dieser Gewerkschaft, und der zweite, Gustl Fehrenbach, kommt auch aus dieser Gewerkschaft.
({13})
Ich frage hier die Deutsche Postgewerkschaft, insbesondere ihren Vorsitzenden - denn das ist j a auch der Partner des Ministers -: Wo in aller Welt sind denn Arbeitsplätze sicherer als bei der Bundespost? Wo in aller Welt gibt es ein Unternehmen, das so in die Zukunft hinein mit einer neuen Technologie arbeitet? Wo in aller Welt wird sozialer gedacht als gerade bei dem Unternehmen Bundespost? Kapitalismus hat sehr viel dafür übrig, daß Kapital rentierlich eingesetzt wird. Aber wir haben eine Soziale Marktwirtschaft. Das heißt, hier kommt die soziale Komponente hinzu.
Wir haben den Eindruck, daß die Postbediensteten und an ihrer Spitze der Minister und der Parlamentarische Staatssekretär alle Aufgaben der Post sehen. Und meine Fraktion bittet den Minister sehr herzlich darum, sein Augenmerk auch weiterhin der ganzen Post zu widmen.
({14})
Es soll nicht der Eindruck entstehen, als ginge es bei der Post nur um Medienpolitik.
({15})
Deshalb stimmen wir dem Einzelplan 13 zu und sagen dem Minister und seinen Bediensteten einen recht herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Paterna.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Friedmann hat zu Recht gesagt, daß es sich bei der Deutschen Bundespost um ein gutes und seriöses Unternehmen handle. Dem stimmen wir zu.
({0})
Leider hat dieses seriöse Unternehmen einen unseriösen Minister; deswegen lehnen wir den Haushalt ab.
({1})
Zweitens. Sie haben gesagt, die Diskussion um die Breitbandverkabelung habe zu sehr im Vordergrund gestanden. Das ist richtig. Aber auch dies geht auf das Konto des Ministers, weil er sich um die vielen, vielen anderen Aufgaben, von denen Sie geredet haben, nicht kümmert.
({2})
Sie haben gesagt, die Mitarbeiter täten treu und redlich ihre Pflicht. Das ist richtig. Aber wie Sie mit diesen Mitarbeitern umgehen, darüber wird noch zu reden sein.
Und, Herr Kollege Friedmann, Sie haben vor der 35-Stunden-Woche gewarnt. Da waren Sie nun auf dem Glatteis; denn wenn Sie rechnen - das hat übrigens Herr Zurhorst gerechnet, und nicht Sie -, daß 30 000 Mitarbeiter zusätzlich nötig wären, würde das 1,5 Milliarden DM kosten. Nun haben Sie bei Ihrer Rechnung erst einmal 1 Milliarde DM in die Tasche gesteckt. Das sind nämlich nicht 2,4 Milliarden DM, sondern 3,4 Milliarden DM Überschuß. 1 Milliarde DM ist in die Rücklagen verschwunden. Und außerdem: Wenn Sie sich an Ihre großen Reden hier erinnern, in denen Sie gegen die Erhöhung der Postablieferung auf 10 % gekämpft haben, und die, entsprechend Ihren eigenen Anträgen, auf 6,6 % zurückführten, könnten Sie damit allein die 35Stunden-Woche finanzieren
({3})
und würden Einsparungen bei der Finanzierung der Arbeitslosigkeit machen: denn die ist bekanntlich auch nicht umsonst. Mit der 35-Stunden-Woche jedenfalls ruinieren Sie die Bundespost nicht.
({4})
Es gibt andere Methoden, vor denen wir hier zu warnen haben und von denen hier noch die Rede sein wird.
Die imponierenden Zahlen brauche ich nicht zu wiederholen. Die waren richtig. Allerdings, Herr Kollege Friedmann - darüber sollten wir einmal in Ruhe nachdenken -, ist es doch sehr problematisch, daß ein so großer Haushalt mit einem solchen Investitionsvolumen und solcher Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft der parlamentarischen Kontrolle völlig entzogen ist; denn über den eigentlichen Haushalt, den Investitionshaushalt, den Sachhaushalt, den Personalhaushalt, reden wir hier gar nicht. Das macht der Postverwaltungsrat. Ob angesichts dieser Bedeutung und der ungenügenden Kontrollmöglichkeiten des Postverwaltungsrates das Parlament auf Dauer mit dieser Lösung gut beraten ist, darüber sollten wir noch einmal reden.
({5})
Nun komme ich gleich - weil Sie davon gesprochen haben - zum Personalhaushalt. Herr Kollege Friedmann, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nach Jahren, in denen das Personal bei der Deutschen Bundespost vergrößert wurde, reduzieren Sie im Jahre 1984 zum erstenmal die Zahl der Arbeitskräfte - in dem Jahr, in dem es die höchste Arbeitslosenzahl geben wird, die es jemals gegeben hat, seit es Arbeitslosenstatistiken gibt. Dies ist unverantwortlich.
({6})
- Bei den Beschäftigten machen sie 4 800 minus. Da brauchen Sie doch nicht so laut dazwischenzurufen. Das geben doch die Zahlen her.
({7})
Das damit natürlich auch die „segensreichen Wirkungen" der Verkabelungspolitik auf die Beschäftigung entlarvt werden - dies nur nebenbei.
Übrigens: Wenn man sich die Zahlen genauer ansieht, ist noch etwas anderes interessant. Die Zahl der Beamtenstellen erhöht sich nämlich um 4 000, während die Zahl der Arbeiter und Angestellten um 9 000 zurückgeht. Man fährt also nicht nur den Beschäftigungshaushalt herunter, sondern man schwächt dabei gleichzeitig noch den Tarifbereich doppelt.
Der zweite Skandal, der sich im Bereich des Personalhaushalts der Bundespost vollzieht, betrifft die Tatsache,
({8})
daß die Zahl der Ausbildungsplätze im nächsten Jahr um 650 heruntergefahren wird. Da frage ich: Wo ist denn die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung, die ständig Appelle an die Privatwirtschaft richtet, insbesondere an die mittelständische Wirtschaft, während sie in ihrem eigenen gesunden Unternehmen die Zahl der Ausbildungsplätze im nächsten Jahr zurückfährt? Das können Sie doch gar nicht verantworten.
({9})
In Wirklichkeit sinkt diese Zahl nicht nur um 650; in Wirklichkeit - bei der anderen Zahl sind Rechentricks im Spiel - sinkt sie um mehr als 1 000. Dies hat mit glaubwürdiger Politik überhaupt nichts mehr zu tun.
Ich muß hier auch ein Wort über die Null-Runde im öffentlichen Dienst verlieren. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wissen doch ganz genau, daß bei der Deutschen Bundespost etwa 90 % der Mitarbeiter im mittleren und einfachen Dienst sind. Was es für die bedeutet, wenn eine Null-Runde gefahren wird, brauche ich Ihnen doch hier im einzelnen nicht vorzurechnen. Das geht wirklich an die Substanz der Postler, die Sie gerade so gelobt haben, und ihrer Familien. Dieses ist unzumutbar.
({10})
Wenn der Postminister angesichts dieser imponierenden Zahlen nicht einmal Manns genug ist, in seinem Bereich den Essensgeldzuschuß nicht streichen zu lassen, dann frage ich mich wirklich, wie er denn glaubt, in Zukunft die Beschäftigten noch zu motivieren, von denen doch das Wohl dieses Unternehmens und seiner Kunden im wesentlichen abhängt. Ich sehe da im wahrsten Sinne des Wortes schwarz.
Nun zur Unternehmenspolitik. Ich will mich dabei auf den stellvertretenden Sachverständigen für das Finanzwesen beziehen, der ja dem Postverwaltungsrat pflichtgemäß zu berichten hat. Er hat Ausführungen gemacht über das Postwesen, über die Kostendeckungsgrade, über den Paketdienst, über den Päckchendienst, über den Postzeitungsdienst. Er hat seine Sorgen angemeldet, und fährt dann wörtlich fort - ich zitiere -:
Hier muß eine grundsätzliche Lösung gefunden werden. Für die Beurteilung der Gesamtsituation im Postwesen wäre es wichtig zu erfahren, welche Konzeption die Bundespost zur Bereinigung der strukturellen Probleme in diesem Bereich hat.
Meine Damen und Herren, diese Feststellung können wir dick unterstreichen. Die SPD-Fraktion beklagt bei jeder Gelegenheit, daß der Postminister sich fast ausschließlich mit seinen medienpolitischen Hobbies beschäftigt und die eigentlichen Aufgaben der Unternehmensführung und insbesondere die Konzeptionen für die gelbe Post vernachlässigt; denn von Konzeption ist im Postwesen keine Spur zu entdecken. Das einzige, was so als Zipfel hervorscheint, wenn man in das Ministerium hineinlauscht, sind Überlegungen zur Verschlechterung der Bedienungsqualität.
({11})
Dann werden die Befürchtungen Wirklichkeit, die wir ständig ausgesprochen haben, nämlich daß die Postkunden entweder durch Gebührenerhöhungen oder durch eine Verschlechterung der Bedienungsqualität oder durch eine Kombination aus beidem die medienpolitischen Abenteuer zu bezahlen haben.
({12})
Bezüglich der Leistungs- und Kostenrechnung für das Jahr 1982 möchte ich mich ebenfalls auf den stellvertretenden Sachverständigen für das Finanzwesen beziehen, Herr Kollege, und Ihnen auch dazu etwas zitieren. Da heißt es nämlich, nachdem über die problematische zukünftige Entwicklung der Fernsprechdienste und die Ungewißheit über die marktmäßige Akzeptanz der neuen Medien geredet worden ist - wörtliches Zitat -: „Oberstes Gebot muß weiterhin eine effektive Kostenkontrolle sein." Herr Kollege Friedmann, dem stimmen Sie sicher zu. Aber wenn Sie sich die Rechnungen angucken, dann werden Sie mir zugeben, daß von einer effektiven Kostenkontrolle in diesem Punkte überhaupt nicht die Rede sein kann. Wie anders wäre denn sonst wohl der Beschluß des Rechnungsprüfungsausschusses zustande gekommen, der Bundesrechnungshof möge sich mit dieser Frage einmal eingehend beschäftigen? Im Bereich der Breitbandverkabelung kann es dann ja wohl mit der Kostenkontrolle bisher so weit her nicht sein; einfach deswegen, weil dieses Ministerium die Offenlegung dieser Zahlen ständig verweigert.
Wenn Sie nun in den Haushalt gucken, werden Sie feststellen, daß es da allerdings einen ganz interessanten Punkt gibt. Auch im Jahr 1984 ist 1 Milliarde DM für Breitbandverkabelung vorgesehen.
Auf der Einnahmeseite finden Sie, ganz verschämt plaziert, 95 Millionen DM. Das setzen Sie nun einmal in Relation zueinander. Da kann man natürlich sagen, das werde in Zukunft mehr werden. Okay.
({13})
Aber die Diskrepanz zwischen Ausgaben und Einnahmen ist derart gravierend, daß man schon ein hoffnungsloser Utopist sein muß, um zu glauben, daß das jemals ins Gleichgewicht kommt.
({14})
Vor allen Dingen dürfen Sie nicht den Fehler machen, nun nur auf diese 1 Milliarde DM für Breitbandverkabelung zu gucken. Es kommen ja noch eine ganze Menge Pöstchen hinzu: Von den 115 Millionen DM für Werbung geht z. B. ein Teil auf das Konto dieser Verkabelung; 105 Millionen DM u. a. für Rundfunkempfangsstellen - hängt damit zusammen -; 70 Millionen DM für Richtfunkanlagen; 150 Millionen DM in einem Jahr für den deutschen Fernmeldesatelliten - den wir im Prinzip begrüßen; aber wir warten noch auf die Antwort auf die Frage, wie viele Kanäle für Medienpolitik reserviert sind und was auf dieses Konto gebucht werden muß -, und die 70 Millionen DM für den TV-Satelliten sollen auch bezahlt werden. Wie das alles eine vernünftige Konzeption ergeben soll und was das alles unter dem Strich ergibt, wissen Sie alle nicht.
Daß es keine längerfristige Ausbauperspektive unter den Stichworten „Digitalisierung" und „Glasfaser" gibt, wissen Sie selbst. Das ist für die Individual-, für die geschäftliche Kommunikation und für die internationale Wettbewerbsfähigkeit wirklich sehr entscheidend. Da gebe ich Ihnen recht. Dagegen spielt das andere, von dem hier häufig im Streit die Rede ist, für die Wettbewerbsfähigkeit keine Rolle.
Nun wäre es natürlich wieder interessant, das näher zu beleuchten, was wir mit Zwangsverkabelung und Zwangsbeglückung bezeichnen. Das betrifft das Mietrecht sowohl im frei finanzierten als auch im sozialen Wohnungsbau. Immerhin haben wir eine gewisse Hoffnung, da die Wohnungsbauminister die Zwangsbeglückung der Sozialmieter erst einmal gestoppt haben. Wir werden das weiter beobachten.
({15})
Ich will zum Schluß auf einen interessanten Punkt zu sprechen kommen. Ein Beispiel macht deutlich, wie der Minister Wahrheiten verschleiert. Im Postausschuß wurde der Minister um Stellungnahme zu einem Artikel in der „Stuttgarter Zeitung" vom 24. November 1983 gebeten. In diesem Artikel hieß es - ich zitiere wörtlich -:
Der Postminister muß sich darauf einstellen, daß die Monopolisierung der Post in einigen Bereichen aufgeweicht wird. So plant das Forschungsministerium, zumindest im Bereich der Endgeräte verstärkt marktwirtschaftliche Lösungen durchzusetzen. Eine, wie es heißt, hochrangige Kommission aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik soll bis Ende 1985 Vorstellungen entwickeln, ob private oder öffentliche Fernmeldebetriebsgesellschaften mehr Vor- oder Nachteile haben, Lösungsansätze für die Trennung von Hoheits- und Unternehmensaufgaben im Post- und Fernmeldewesen entwikkeln, aber auch die Vor- und Nachteile einer Aufteilung des Postwesens und des Fernmeldebereichs in unabhängige Unternehmen darstellen.
Daß es hier mit der Axt an die Wurzel des Unternehmens geht, ist ja wohl klar.
Nun ist der Postminister gefragt worden, ob denn das so zutreffe, was da stehe. Er hat sich im Postausschuß dahin gehend geäußert, das sei ohne Abstimmung mit dem Postministerium veröffentlicht worden, es gebe keine Absicht in dieser Richtung. Dabei hat der Minister allerdings vergessen, daß er von seinem Kollegen Forschungsminister schon am 29. Juni 1983 einen Brief zu diesem Thema gekriegt hatte, auf dem handschriftlich extra „Lieber Christian" hinzugefügt worden war. Er vergaß auch zu erwähnen, daß es einen Berichtsentwurf der Bundesregierung zur Informationstechnik in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Der stammt vom 6. Oktober 1983.
In diesem Bericht liest man dann - ich bitte doch einmal um Ihre Aufmerksamkeit, damit Sie dazu Stellung nehmen können -:
Die Vor- und Nachteile privater und öffentlicher Fernmeldebetriebsgesellschaften im internationalen Bereich sollen untersucht werden.
Warum wohl?
Lösungsansätze für die Trennung von Hoheitsund Unternehmensaufgaben im Post- und Fernmeldewesen sollen untersucht werden. Warum wohl?
Es geht um Vor- und Nachteile der Aufteilung von Post- und Fernmeldewesen in unabhängige Einzelunternehmen.
Das alles wird dann einfach mit flotten Sprüchen vom Tisch gewischt, und zwar wahrheitswidrig, wie ich feststellen muß.
Man muß sich wirklich einmal hier im Saal umsehen, wer alles gefragt ist, wenn der Postminister in Rede steht. Da muß der Außenminister eigentlich dasein, der nun nicht dasein kann, aber zumindest ein Vertreter müßte dasein, weil Schwarz-Schilling auch gern über die Grenzen geht, um Medienklau zu betreiben. Da sind der Innenminister und der Justizminister gefragt, weil er mit diesen Plänen, von denen ich soeben geredet habe, die Verfassung dieser Republik brechen wird. Da muß der Wohnungsbauminister dasein, weil er an seine Mieter rangeht. Da muß der innerdeutsche Minister dasein - er ist dankenswerter Weise da -, weil mit der Verkabelung die „Brüder und Schwestern" in der DDR von unserer Medienversorgung abgenabelt werden. Vielleicht sollte er auch darüber einmal nachdenken.
({16})
Da sollten vor allen Dingen mal die Ministerpräsidenten dasein, von denen keiner da ist, in deren Handwerk der Postminister ständig herumpfuscht und von denen er gerade in der letzten Sitzung zurückgepfiffen worden ist.
({17})
Meine Damen und Herren, wir können aus diesen und einer ganzen Reihe anderer Gründe dem, was sich hier im Bereich der Bundespost abspielt, nicht zustimmen. Wir befürchten, daß, wenn diese Politik so weitergeht, dieses heute in der Tat noch gesunde, leistungsfähige Unternehmen auf Dauer zu einer zweiten Bundesbahn werden könnte, von der im vorigen Kapitel gerade die Rede war. Es sollte eigentlich unser Anliegen sein, dieses gemeinsam zu verhindern.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Roth, es tut mir leid, daß Sie offensichtlich nicht mehr diese Mehrzweckwaffe sind, wie früher als Juso-Mann für die Landbevölkerung. Sie werden morgen Gelegenheit haben, hier zu Wort zu kommen.
Meine Damen und Herren, so kurz nach der Debatte über den Verkehrsetat muß man beim Studium des Haushaltsvoranschlages der Deutschen Bundespost für das Haushaltsjahr 1984 sicher den Eindruck gewinnen, in einem Märchenbuch zu lesen. Zwar ist auch dort von Neuverschuldung die Rede, dennoch erwirtschaftet die Post 1984 voraussichtlich mehrere Milliarden DM Gewinn und damit eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals. Gleichzeitig tritt die Post auch noch mit einem Volumen von netto 7,5 Milliarden DM als Großinvestor auf, bildet 1 Milliarde DM Rücklagen und liefert dann auch noch 4,4 Milliarden DM an den Bund ab. Das alles klingt sicher sehr erfreulich. Man könnte fast versucht sein zu übersehen, daß auch bei der Post der Schuldenberg stetig wächst, nämlich im nächsten Jahr auf fast 55 Milliarden DM. Deshalb muß die Frage erlaubt bleiben, wie lange es eigentlich noch bei dem immer noch als vorübergehend vorgesehenen Ablieferungssatz von jetzt 10 % an den Bundeshaushalt bleiben darf.
({0})
Zwar kann man die Finanzlage der Post noch als gesund bezeichnen, und sie ist sicher auch besser als die vieler Großunternehmen der privaten Wirtschaft, aber die Finanzstruktur verschlechtert sich,
und die Zukunft der Post ist mit hohen Zinsaufwendungen belastet.
Nach dem Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten als selbsternanntem Zusteller in Sachen Post stand der Bundespostminister sogar unverhofft noch vor einer Mehrbelastung von 100 Millionen DM, die Herr Strauß in Ost-Berlin mehr angeboten hat, als es die praktisch schon perfekte Vereinbarung zum Postabkommen vorsah. Es ist dem Bundespostminister wirklich zu danken, daß dieses leichtfertige Angebot am Ende noch wenigstens um die Hälfte reduziert werden konnte.
({1})
- Man könnte das auch härter formulieren, Herr Kollege Pfeffermann.
Insgesamt ist es natürlich erfreulich, daß die Post entgegen den Annahmen bei der letzten Gebührenerhöhung Gewinne macht und in erheblichem Umfang investiert. Erfreulich ist im Grunde auch, daß der Schwerpunkt der Investitionen dort liegt, wo auch die Gewinne herkommen, nämlich bei den Fernmeldeanlagen. Wir begrüßen schließlich, daß die Post in diesem Bereich in neue Kommunikationstechniken, also u. a. in die Breitbandverkabelung und den Satellitenfunk, investiert. Dennoch muß ich zu bedenken geben, daß der Milliardenbetrag, der 1983 für Kabelanlagen zur Verfügung stand, nicht voll genutzt werden konnte. Dies ist sicher auch für 1984 nicht zu besorgen.
Im übrigen gilt weiterhin, was ich an dieser Stelle vor einigen Wochen zur Breitbandverkabelung grundsätzlich gesagt habe: Mehr als diese Milliarde ist für die Post wirtschaftlich nicht tragbar. Andererseits ist dieser Betrag viel zu niedrig, um die Verkabelung gesamtwirtschaftlich sinnvoll vorzunehmen.
Es klingt zwar imposant, wenn die Post in zehn Jahren 1,5 Millionen Wohnungseinheiten verkabelt habe und damit die ersten Gewinne gemacht haben will. Aber man muß sich zum Vergleich wohl immer noch vor Augen halten, daß z. B. das ZDF trotz noch vorhandener Lücken für über 21 Millionen Wohnungseinheiten erreichbar ist. Die Planung der Post läuft also eher auf eine Verkabelung im Schneckentempo hinaus. Deshalb ist es richtig, Herr Bundespostminister, daß Sie Private an der Verkabelung wirklich nachhaltig beteiligen sollten.
Auch das für die Kabelnetze vorgesehene Gebührensystem muß nochmals überdacht werden, weil es, wie sich aus Warnungen großer Wohnungsbaugesellschaften ergibt, so nicht nachfragegerecht ist. Es kann nicht Sinn einer solch gigantischen Zukunftsinvestition sein, gerade die Hauptabnehmer in den Wohnblocks der Städte abzuschrecken, wie es jetzt zu geschehen droht. Und es kann nicht angehen, daß der Anschluß einer Hoch- oder Hinterhauswohnung praktisch dasselbe kostet wie der Anschluß einer Villa im Park, bei der dazu die effektiven Anschlußkosten noch wesentlich höher sind. Schließlich braucht jedes Haus nur ein Kabel. Aber der Häuserblock beherbergt Unmengen von Anschlußmöglichkeiten und damit mehr Einnahme2934
Hof fie
quellen, während die Villa im Park diese Möglichkeit nur einmal bietet. Dieser Umstand muß, wie ich meine, abgesehen von den sozialen Aspekten stärker berücksichtigt werden.
Zu optimistisch erscheint mir die Erwartungshaltung der Post im übrigen deshalb, weil die Handwerker, die die Verkabelung in den Wohnungen vornehmen sollen und die in der Übergangszeit bis zur Verkabelung ja auch noch in der Lage sein müssen, nachfragegerechte Antennenanlagen zu installieren, überhaupt nicht richtig informiert sind oder sich zumindest nicht richtig informiert fühlen. Hier fehlen genaue Vorgaben. Es fehlt vor allem ein genauer Verkabelungsplan, aus dem jeder ersehen kann, wann und wo verkabelt werden soll.
Erlauben Sie mir einige Bemerkungen zur Postpolitik im übrigen. Die Post muß meines Erachtens neue und durchaus auch für den Posthaushalt risikoreichere Tarifangebote eröffnen, wenn sie schon nicht - obwohl sie ein gemeinnütziges, weil staatliches Unternehmen ist - auf Gewinne aus den Fernmeldediensten verzichten will. Das könnte durch die Einführung eines Europatarifs geschehen. Gemeint ist ein europaweiter Mondscheintarif nach 20 Uhr, der niedriger ist, als es den jetzigen Vergünstigungen entspricht, und durchaus die Chance zu einer Ausweitung des Telefonverkehrs mit den Nachbarländern eröffnet. Das gilt auch für den Prüfauftrag des Postausschusses des Bundestages, nämlich für einen Nachtferntarif zwischen 0 und 6 Uhr für Gespräche ab 100 km, der für den Kunden kostengünstiger wäre als der Billigtarif.
Die Post muß ihre Attraktivität steigern und sich schneller und besser dem Markt anpassen. Auf der einen Seite enthält der Monopolist Post seinen Kunden viel zu lange Angebote vor, die es in anderen Ländern längst gibt. Da handelt es sich zum einen z. B. um das drahtlose Telefon, das überall schon zum Verkauf angeboten wird, hier in der Bundesrepublik aber noch nicht benutzt werden darf. Warum muß die Post hier etwas ganz Neues erfinden? Warum kann sie nicht auf die weltweit vorhandenen Technologien zurückgreifen, wenn sie der Entwicklung auf diesem-Gebiet schon so lange untätig zusieht?
Ein weiteres Beispiel ist das Autotelefon-C-Netz. Das ist sicher eine gute Idee, deren Umsetzung aber zu lange dauert und bei der die Anbieter der Endgeräte bis heute nicht wissen, was genau sie bauen müssen. Das ist zudem eine gefährliche Entwicklung, weil sich die Post hier leicht dem Vorwurf aussetzt, sie wollte nur ganz bestimmte Endgeräte zulassen.
Für den Kunden völlig unverständlich sind auch Pläne, wonach ein neues Autotelefonsystem mit Frankreich aufgebaut werden soll. Wie viele Systeme, so wird man doch wohl fragen müssen, brauchen wir eigentlich?
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, drängt die Post auch auf Märkte, die ja längst nachfrage- und auch bedarfsgerecht von Privaten besetzt sind. Das begann seinerzeit mit den reisebüroschädigenden Versuchen, Fahrkarten der Bundesbahn probeweise einmal über Postschalter zu verkaufen,
({2})
und das endet vorerst eimal bei den Kurierdiensten, wo die Post eine neue Marktlücke gefunden zu haben glaubt.
({3})
- Herr Kollege,
({4})
der Verkauf von Fahrkarten der Bundesbahn an Postschaltern hat ja lange gedauert, aber schließlich hat sich die FDP mit ihrer Forderung, das einzustellen und es dem privaten Reisebürogewerbe zu überlassen, dann doch noch durchgesetzt. Ich freue mich darüber,
({5})
und die Reisebüros tun es auch, meine Damen und Herren.
Wir sollten vorsichtig sein, wenn Private zu gleichen oder besseren Bedingungen und Leistungen bedarfs- und nachfragegerecht das übernehmen können, was dann der Monopolist Post in dem einen oder anderen Bereich vielleicht auch noch als zusätzlichen Markt entdecken wollte.
Meine Damen und Herren, wenngleich manche Aktivität der Post eher zum Nachdenken Anlaß gibt, so ist die Deutsche Bundespost insgesamt doch nach wie vor auf dem richtigen Weg, wenn sie sich mit leistungsfähigen Netzen und hochwertigen Diensten marktgerecht, aber künftig auch erheblich flexibler bewegt.
Die FDP-Fraktion, meine Damen und Herren, stimmt diesem Einzelplan zu.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme Herrn Paterna zu, daß wir über den Haushalt der Deutschen Bundespost eigentlich gar nicht diskutieren können, weil die parlamentarische Kontrolle der konkreten Haushaltsplanung und Haushaltspolitik des Unternehmens Deutsche Bundespost erstens per Gesetz nicht möglich ist und zweitens der vom Verwaltungsrat zu beschließende Haushaltsentwurf den Abgeordneten nicht zur Verfügung steht.
({0})
Zumindest wäre es notwendig gewesen, daß dieser Entwurf den Abgeordneten vor der heutigen Debatte vorgelegen hätte und nicht erst nach dem 12. Dezember vorgelegt wird, wie ein Beamter des Bundespostministeriums mir mitgeteilt hat. Er
schrieb, bis dahin handele es sich nur um einen verwaltungsinternen Entwurf, an dem auch noch Änderungen vorgenommen werden könnten.
({1})
- So ist es. - Angesichts der Vorgabe der Koalitionsvereinbarung, daß die Investitionen der Deutschen Bundespost Lokomotivfunktion für das erstrebte wirtschaftliche Wachstum haben sollen, muß das Parlament aber doch die Möglichkeit haben, die Investitions- und Personalplanung dieses Bundesunternehmens, das zudem gemeinwirtschaftlich ausgerichtet sein soll, zu kontrollieren.
({2})
Denn diese zentralen Entscheidungen sind von außerordentlich politischer Bedeutung - sie geben Weichenstellungen für die Zukunft -, aber sie werden am Parlament vorbei gefällt.
Unsere Einwendungen gegen den Einzelplan 13 beziehen sich vor allem auf zwei Punkte: erstens die unsoziale Personalpolitik und zweitens die Investitionen für die Breitbandverkabelung. Einen aufschlußreichen Eindruck zur Personalpolitik vermitteln die zahlreichen Briefe von Postbeamten und Postangestellten; sie sprechen eine deutliche Sprache. Mit Bestürzung haben sie zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung ihre Sparmaßnahmen zum großen Teil finanziert durch Besoldungsstopp, ja sogar durch Absenken der Anfangsbesoldung für Beamte. Schon heute sparen die öffentlichen Arbeitgeber - so schreibt der Verband der Deutschen Postingenieure - an jedem einzelnen Ingenieur pro Jahr zwischen 6000 und 12 000 DM gegenüber der Wirtschaft. Als Sonderopfer für den öffentlichen Dienst bezeichnete es die Deutsche Postgewerkschaft, Bezirksverwaltung München, daß rund 1,7 Millionen Beamte und rund 2,8 Millionen Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst mit rund 6,5 Milliarden DM zur Kasse gebeten werden durch Kürzungen, die durch zwei Haushaltsstrukturgesetze seit 1975 und nun verschärft seit einem Jahr in einem vorher nie gekannten Ausmaß verordnet wurden. Diese extrem unsozialen Maßnahmen des Lohnstopps bilden in dem jetzigen Haushalt mit 4 Milliarden DM einen ganz erheblichen Posten der sogenannten Haushaltssanierung, der nur zu Lasten der unteren und mittleren Einkommensgruppen geht. Sie treffen die Beamten, und das heißt, sie lassen auch eine obrigkeitsstaatliche Hybris erkennen, die wir scharf ablehnen.
({3})
Am empörendsten offenbart sich aber die totale Verneinung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern in der Kürzung der Zuschüsse zu Hauptmahlzeiten. Diese Zuschüsse wurden von bisher 99 Millionen DM auf 25 Millionen DM, d. h. um 74 Millionen DM gekürzt. Die Streichung dieses Essenszuschusses, seit 1939 gewährt, bedeutet für einen Großteil der Arbeitnehmer bei der Deutschen Bundespost eine Einkommensminderung um 1 bis 1,5%. Es ist mir unbegreiflich, wie eine solch unsoziale Maßnahme überhaupt in Erwägung gezogen werden konnte von Ministerialbeamten und Abgeordneten, die, ohne mit der
Wimper zu zucken, im nächsten Jahr die eigenen Gehalts- und die Diätenerhöhungen in die Tasche stecken.
({4})
Daß dieser Schritt nebenbei auch noch die Postkantinen gefährdet, die mit erheblichen Umsatzrückgängen zu rechnen haben, und daß dabei auch Arbeitsplätze verlorengehen, sei nur am Rande erwähnt.
Kürzungen auch bei den Aufwendungen für Wohnungsversorgung, insbesondere im sozialen Mietwohungsbau, um 60 Millionen DM, von 250 Millionen DM auf 190 Millionen DM.
Für Pressearbeit, Markt- und Meinungsforschung dagegen werden 17,9 Millionen DM zusätzlich ausgegeben.
({5})
- Ja, zusätzlich! Und dies, obwohl die Deutsche Bundespost jetzt, im Jahre 1983, bereits mit 107 Millionen DM ihre Kunden und die Bürger informiert und für ihre neuen Einrichtungen wirbt.
({6})
Die für 1984 zusätzlich knapp 18 Millionen DM werfen auch ein bezeichnendes Licht darauf, wie es denn nun eigentlich um die Akzeptanz der Postkunden und Bürger für die Breitbandverkabelung steht. Das entsprechende Diebold-Gutachten ruht ja - ich sagte es in einer früheren Rede schon einmal
- in den Schubladen des Postministeriums und wird der Öffentlichkeit vorenthalten. Annähernd 2 Milliarden DM werden im nächsten Jahrzehnt Jahr für Jahr für die Verkabelung der Nation ausgegeben, ohne daß eine Folgenabschätzung, vor allem in bezug auf die sozialen Risiken, erfolgt.
({7})
Ich sagte: „die Verkabelung der Nation", und ich möchte das wiederholen, weil es mich unerhört erschreckt hat, daß der Bundespostminister gesagt hat, die Verkabelung sei eine nationale Aufgabe. Er bedient sich damit einer Argumentation von Firmen der Großtechnologie, die in den letzten zehn Jahren zunehmend mehr gebraucht wird und die ich als Wirtschaftsfaschismus bezeichne.
({8})
- Ich bezeichne es so. Die DWK z. B., die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen in Lüchow-Dannenberg, hat eine Hochglanzbroschüre herausgegeben, in der es heißt: „Deutschland braucht Kernenergie".
({9})
Das ist dasselbe, als wenn Sie sagen, die Breitbandverkabelung ist eine nationale Aufgabe.
({10})
Sie können nicht Begriffe, mit denen Sie Ihren wirtschaftlichen Profit ausdrücken, zusammenbringen mit Begriffen einer politischen Identifikation.
({11})
Das ist Faschismus, ich sage das.
({12}) In den Anlagenausgaben - ({13})
- Ich verstehe das so. Wir können uns ja gerne noch darüber unterhalten.
Im Einzelplan 13 sind insgesamt 476 Millionen DM Anlagenausgaben
({14})
- Sie kommen wohl nie darüber hinweg, daß ich nicht Vizepräsidentin geworden bin - zusätzlich ausgewiesen worden für Einrichtungen, Breitbandkommunikation, Verteilnetze, linientechnische Einrichtungen usw.
({15})
Die sind in diesen 14 Milliarden DM enthalten, Sachinvestitionen, von denen Sie vorhin gesprochen haben, obwohl Sie gemeint haben, die wären gar nicht für die Breitbandverkabelung. Da steckt nämlich auch noch sehr viel drin.
({16})
Also um 476 Millionen DM erhöhen sich die in diesem Jahr bereits getätigten Anlagenausgaben der gleichen Titel in Höhe von 1,229 Milliarden DM.
Welche Absichten verbergen sich nun hinter solchen Maßnahmen, die in Kauf nehmen, daß Haushalte zwangsangeschlossen werden an die Breitbandverkabelung? Der Trend dazu ist abzusehen. Es geht auch um Haushalte, in denen der Mann arbeitslos ist, und um Wohnungen, die nicht mehr saniert werden können, weil das Geld dazu fehlt.
({17})
In keinem der Bereiche der Großtechnologie, die über die Menschen hereinbrechen, wird an erster Stelle nach den menschlichen Bedürfnissen gefragt. Immer steht die Wettbewerbsfähigkeit - vor allem im Export -, die Steigerung der Produktivität und der Rendite im Vordergrund. Was hat denn der einzelne Bürger vom Atomstrom, von Genmanipulation, von Weltraumforschung oder von dieser wahnsinnigen Informationsflut, die jetzt auf uns auf den Kommunikationsstraßen hereinbricht,
({18})
die wir mit der Breitbandverkabelung anlegen?
({19})
- Ja, eben, j a ohne! Sie müssen sie mal genießen als Mensch und nicht als einer mit zwei Dingern hier an den Ohren.
({20})
Ebenso wie dieser Haushalt durch Sozialabbau
({21})
die materielle Verarmung seiner Angestellten betreibt, werden die Investitionen die Technologien vorantreiben, die die menschlichen Beziehungen verarmen lassen. Wir GRÜNEN lehnen daher den Einzelplan 13 aus folgenden Gründen ab, erstens wegen der unverantwortlichen Vernachlässigung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen des größten Unternehmens der Bundesrepublik gegenüber den Arbeitnehmern, zweitens auch aus betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Der vor allem aus den Fernsprechgebühren herrührende ausgewiesene Gewinn von 2,373 Milliarden DM wird für ehrgeizige, riskante und zum Teil sogar betriebsfremde Investitionen aufs Spiel gesetzt, denen wir nicht zustimmen können.
({22})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, daß im Einzelplan 13 des Haushalts nur einige Positionen sind. Es ist sicherlich auch richtig, daß man die Zuständigkeiten des Postverwaltungsrates genauso beachten muß wie die dieses Parlaments. Dennoch bin ich der Auffassung, daß es gut ist, wenn in diesem deutschen Bundestag auch über Einzelheiten der Deutschen Bundespost, die eigentlich in den Postverwaltungsrat gehören, extensiv diskutiert wird; denn alle sind von der Politik, die die Bundespost treibt, mehr oder weniger, direkt oder indirekt betroffen. Insofern begrüße ich dies und stelle mich auch gerne diesen Fragen.
Ich möchte auch sagen, daß ich mich besonders gefreut habe, daß Herr Kollege Dr. Friedmann das eigentlich schon leidige Thema der Verkabelung nun nicht in den Mittelpunkt aller Diskussionsbeiträge stellt. Wenn Sie einmal sehen, wieviel wir im Investitionshaushalt für diesen einen Bereich ausgeben, und die Ausgaben für die anderen Bereiche damit vergleichen, so muß man sagen, daß auch diejenigen, die dem Wohl und Wehe der Bundespost nahestehen, diese Frage nur in der Proportion und im Gesamtzusammenhang mit den Fragen, die hier anstehen, sehen können.
Herr Dr. Friedmann hat ein Gesamtszenario der Bundespost ausgebreitet, das deutlich gemacht hat, welche Aufgaben heute von diesem Unternehmen, was j a in einem ganz wesentlichen Bereich in die Zukunft orientiert ist, bewältigt werden muß. Das
Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling
kann man nur dann tun, wenn man sich bemüht, in möglichst sachlicher Form die Zahlen, Fakten und Daten zur Kenntnis zu nehmen und so zu diskutieren, daß man auch zu einer gemeinsamen Möglichkeit der Entscheidung kommt.
Herr Kollege Paterna, Sie haben gleich mit der 35-Stunden-Woche begonnen. Das Entscheidende ist aber nicht die 35-Stunden-Woche, das Entscheidende ist, daß die Forderung der Deutschen Postgewerkschaft darauf aus ist: „bei vollem Lohnausgleich", und damit der Service und die Dienstleistungen der Deutschen Bundespost um einen ganz riesigen Betrag von den Kosten her erhöht wird. Und es stellt sich sofort die Frage, ob die Bundespost dann die Gebühren um den entsprechenden Betrag erhöhen soll und damit zu Lasten der ganzen übrigen Volkswirtschaft einen negativen Einfluß ausübt,
({0})
oder ob sie auf ihren Gewinn verzichten soll und damit nicht mehr die Möglichkeit der zukunftsträchtigen Investitionen hat. Das sind die Alternativen, die wir dabei haben.
({1})
Ich darf auch auf den Punkt eingehen, der hier mit der - wie Sie es genannt haben Personalreduzierung angesprochen wurde. Lieber Herr Paterna, Sie wissen es als ein Mitglied des Verwaltungsrates und sogar des Arbeitsausschusses doch sehr genau, daß diese Zahlen endlich dazu führen, daß wir Haushaltswirklichkeit und Haushaltswahrheit in die Planungen mit übernehmen und nicht Zahlen hineingeben, wo das Ist und das Soll um entsprechende riesige Zahlen differieren. Wir sind zum erstenmal dazu übergegangen, daß wir in den Planzahlen auch das Ist des vergangenen Jahres mit zur Grundlage gemacht haben. Und selbst dann - das wissen Sie ganz genau - hat die Deutsche Bundespost im Jahr 1984 die Möglichkeit, 3 000 Menschen mehr als im Jahre 1983 zu beschäftigen. Bauen Sie hier doch nicht solche Dinge auf, und bleiben Sie bei der Wahrheit.
Wenn wir bei den Ausbildungsplätzen eine gewisse Reduzierung vornehmen, dann aus einem ganz einfachen Grund. Wir können nur dort Ausbildungsplätze voll weiterfahren, wo wir junge Menschen ausbilden, die nachher am Markt eine Chance haben, währenddessen wir in den postspezifischen Diensten allein nach dem Bedarf vorgehen können, da wir für die dort Ausgebildeten anderweitig auf dem Arbeitsmarkt keine Tätigkeit finden können. Nur um diesen Bereich handelt es sich, wenn wir reduzieren. Dort, wo wir eine allgemeine Ausbildung machen, die auch am Arbeitsmarkt eine entsprechende Nachfrage findet, haben wir sie nicht reduziert.
Sie fragen nach dem Konzept der Deutschen Bundespost. Ich muß Ihnen sagen: Ich habe mit großem Fleiß die Konzepte meiner Vorgänger gelesen. Das, was Sie gefordert haben und was Sie laufend fordern, ist in den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit auch nicht ein einziges Mal vorgelegt worden.
({2})
Auch das Konzept von Herrn Matthöfer sagt nichts weiter als Allgemeinheiten unverbindlicher Art, ohne daß daraus ein spezifisches Konzept der Deutschen Bundespost ableitbar wäre. Ich mache Ihnen gar keinen Vorwurf. Es ist sehr schwierig. Aber ich sage Ihnen - ich habe Ihnen das schon oft gesagt -, daß es ein Konzept gibt, Einzeldienst für Einzeldienst kostenmäßig zu untersuchen und dafür zu sorgen, daß Angebot und Nachfrage, Kosten und Preis in das richtige Verhältnis kommen, um die großen Defizite, die wir im gelben Bereich der Post haben, zumindest in der ersten Zielsetzung nicht weiter ausufern zu lassen. Sie werden bereits festgestellt haben, daß wir ohne Gebührenerhöhung für das Jahr 1984 auf diesem Gebiet keine weitere defizitäre Expansion haben, sondern auf Grund der Zahlen des Jahres 1983 diesen Betrag festgehalten haben, weil wir entsprechende Maßnahmen bereits getroffen haben, um die defizitäre Entwicklung in diesem Bereich nicht weiter voranzutreiben. Das ist, glaube ich, ein sehr gutes Konzept, und dieses Konzept werden wir auch weiter verfolgen.
({3})
Ich darf nun auf einige Redebeiträge eingehen. Herr Kollege Hoffie, es gab ein Mißverständnis Ihrerseits. Es ist nicht so, daß mit der Verkabelung nur etwa - diese Zahl nannten Sie, glaube ich -1 Million Haushalte in zehn Jahren in entsprechender Weise in der Lage wären, einen Anschluß zu bekommen. Die Zahl liegt vielmehr um fast das Zehnfache höher. Sie kommen auf etwa 10 Millionen Wohnungseinheiten in zehn Jahren, ohne daß wir dabei die entsprechenden Kooperationen mit der privaten Wirtschaft berücksichtigt hätten. In einem gebe ich Ihnen recht: Wir versuchen, einen Mittelweg zu gehen, weil wir nicht mehr als 1 bis 11/2 Milliarden DM - es kann auch einmal mehr sein, weil wir Kopfstationen bauen müssen - ausgeben, aber trotzdem schnell eine größere Zahl, die angeschlossen werden kann, brauchen. Deswegen wollen wir den Weg gehen, der von allen Seiten - gerade von der Sozialdemokratischen Partei - so sehr bekämpft worden ist, nämlich einen Mittelweg, der unsere Ausgaben nicht überdimensional steigert und dennoch das Bedürfnis befriedigt, die Nachfrage stillt.
Wenn hier gesagt wird, die Deutsche Bundespost würde alles verkabeln, muß ich Ihnen, Frau Reetz, sagen: Das größte Kabelnetz ist in der Bundesrepublik Deutschland wie in aller Welt das Telefonnetz. Wenn man sich so verhalten hätte, wie Sie es jetzt gesagt haben, hätte man vor 30 Jahren niemals ein Telefonnetz ausgebaut. Ich frage mich, ob die GRÜNEN vielleicht weniger als andere Menschen das Telefon benutzen
({4})
und ob sie in ihrer personalen Kommunikation deswegen psychologische Probleme bekommen haben,
weil sie diesen Apparat benutzen. Ich nehme an, das ist bei Ihnen nicht der Fall!
({5})
Es ist weiter die Frage nach dem Europatarif gestellt worden. Auch da möchte ich sagen: Wir haben auf dem Telefonsektor bereits bei allen Anrainerstaaten in Europa die Inlandsgebühren, und es fehlen uns innerhalb der Europäischen Gemeinschaft noch ganze drei Länder. Ich bin der Überzeugung, daß wir auch dafür im nächsten Jahr eine Regelung finden werden, die wir dann auch rechtzeitig dem Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen und dem Verwaltungsrat vorlegen werden.
Es wurde die Frage gestellt, warum wir nicht längst schnurlose Telefone eingeführt haben, wie es in Amerika der Fall ist.
({6})
Meine Damen und Herren, erstens müssen wir uns auf diesem Kontinent Europa etwas mit unseren Nachbarländern abstimmen. Wir können solche Standardisierungen nicht ohne Abstimmung mit unseren Nachbarländern vornehmen, weil der Kontinent zu klein ist. Wir leben eben nicht in den Vereinigten Staaten, wo unter Umständen ein Bundesland allein so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland.
Zweitens haben wir außerordentlich viele Frequenzfragen zu klären. Wenn wir die Telefone, von denen hier gesprochen wurde, unmittelbar einsetzen würden, würden wir Störungen im Fernsehempfang, bei anderen Telefongesprächen, beim Polizeifunk, beim Notlagenfunk usw. bekommen. Das ganze Frequenzmanagement der Deutschen Bundespost, die zumindest darum besorgt ist, daß die Frequenzen auch tatsächlich genutzt werden und nicht nur dem Papier nach da sind, würde auf diese Weise durcheinandergeraten.
Trotzdem kann ich Ihnen sagen, daß wir bis Ende des Jahres 1984 das schnurlose Telefon auch in der Bundesrepublik Deutschland einführen wollen und einführen werden.
({7}) Diese Frage wird also geklärt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Autotelefon sagen. Man kann nicht von heute auf morgen in Fragen, die den Frequenzbereich berühren, neue Lösungen in die Realität umsetzen. Ich muß der alten Bundesregierung vorwerfen, daß sie vor mehreren Jahren eine völlige Fehleinschätzung der Nachfrage nach Autotelefonen vorgenommen und damit die Möglichkeit der Ausweitung mit ihrer Frequenzfestlegung in so geringem Maße vorgesehen hat, daß wir in die heutige Sackgasse geraten sind. Das ist die Lage!
({8})
- Ja, die Gebühren sind auch deswegen so hoch, weil wir keine Massenfabrikation haben können, weil die entsprechenden Geräte fast Einzelanfertigungen sind, weil auf diese Weise eine Kostendegression nicht möglich ist und weil für die Bundespost gar nicht die Möglichkeit gegeben ist, herunterzugehen, denn neuen Anträgen können wir gar nicht stattgeben, wenn nicht ein alter Autotelefonanschluß aufgegeben wird. Das heißt, hier gibt es keine Marktwirtschaft, sondern auf Grund dieser Fehleinschätzung, von der ich eben gesprochen habe, eine dirigistische Wirtschaft.
({9})
Wir sind aber natürlich nicht untätig geblieben. Wir werden erstens im nächsten Jahr hoffentlich, nachdem die Entwicklung länger gedauert hat, als uns die Industrie zugesagt hatte, das sogenannte C450-Netz einführen können, wodurch sich die Kapazität dann immerhin von 30 000 auf über 200 000 erweitern läßt.
({10})
Aber auch das ist nicht das letzte, das endgültige Netz, denn ich habe festgestellt, daß die Franzosen auf einem völlig anderen Dampfer waren und jetzt die letzte Möglichkeit bestanden hat, auf diesem Kontinent beim mobilen Funk wie dem Autotelefon wenigstens zwischen Deutschland und Frankreich ein eigenes, selbständiges und gemeinsames Standardisierungssystem einzuführen. Dies wäre sonst für alle Zeiten, wenigstens aber für die nächsten Jahrzehnte nicht möglich gewesen.
Aus diesem Grunde werden wir Ende der 80er Jahre ein weiteres Netz einführen, das S-900-Netz, und zwar gemeinsam mit den Franzosen. Im Moment bauen wir dafür die Standardisierungen aus. Noch im Laufe dieses Jahres werden wir in Deutschland und Frankreich eine Ausschreibung zu diesem Projekt in Gang setzen. Ich glaube, schneller konnte es wirklich nicht gehen, im Rahmen der entsprechenden Projektmöglichkeiten bei den deutsch-französischen Konsultationen zu einem positiven Ergebnis zu kommen.
({11})
Meine Damen und Herren, ich möchte mich hier für die Möglichkeit bedanken, auch über einiges andere und nicht nur über die Verkabelung zu sprechen, die ja im Investitionshaushalt der deutschen Bundespost noch nicht einmal 10% ausmacht. Ich bedanke mich bei den Kollegen, die hier gesprochen haben. Vor allen Dingen denjenigen, die gerade mit Bezug auf den Bereich der gelben Post Fragen gestellt haben, möchte ich hier folgendes sagen. Wir wissen sehr genau, welche Leistungen die Mitarbeiter dieses größten deutschen Unternehmens in der Bundesrepublik Deutschland erbringen, um trotz der Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, über 500 000 Menschen zu beschäftigen, einen Gewinn zu erwirtschaften und in die Zukunft zu sehen, um eine Umstrukturierung in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. All jenen, die daran mitwirken, gebührt der herzlichste Dank des Postministers.
Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling Ich danke Ihnen.
({12})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 13 - Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Einzelplan 13 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksachen 10/649, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Echternach Würtz
Verheyen ({0})
dazu:
Zweite Beratung des Art. 26 a des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984
- Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/ 691 Im Ältestenrat ist eine verbundene Aussprache von 60 Minuten für den Einzelplan 25 und Art. 26 a des Haushaltsbegleitgesetzes vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wird zur Berichterstattung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Dr. Schneider, als Sie vor rund 14 Monaten das Amt des Bundesbauministers übernahmen und kurzfristig das Sonderprogramm zur Belebung des sozialen Wohnungsbaus und der Baunachfrage in Gang setzten, haben einige von uns vermutet, dahinter könnte vielleicht doch ein wohlgeordnetes Konzept stecken, das Sie in den Jahren der Opposition entwickelt hätten. Wir haben uns damals gewundert, daß Sie die zusätzliche hohe Verschuldung in Kauf nahmen - etwas, wofür Sie uns immer gerügt hatten. Wir haben uns gewundert und uns dagegen gewehrt, daß dieses Programm mit einer fragwürdigen rückzahlbaren Zwangsanleihe statt mit einer sauberen Ergänzungsabgabe finanziert wurde. Wir haben auch fachliche Zweifel wegen der Kumulationswirkung der verschiedenen Maßnahmen und der hohen Mitnehmereffekte geäußert. Insgesamt aber, Herr Dr. Schneider, haben wir Ihnen den Respekt für diese wohnungspolitische Initiative nicht versagt.
Heute, nach 14 Monaten, müssen wir sagen: Wir haben uns geirrt.
({0})
Da hat kein kluger Fachminister einen Eckpfeiler für eine Wohnungs- und Städtebaupolitik der 80er Jahre gesetzt, auf dem er seine Politik absichern und entwickeln kann. Die Wahrheit ist: Da haben es die Minister Stoltenberg und Lambsdorff zugelassen, daß der Bauminister - publikumswirksam rechtzeitig vor der Bundestagswahl - das Gaspedal einmal kräftig durchtreten durfte. Das war es dann auch.
({1})
Seitdem ist der Bauminister in dieser Bundesregierung das fünfte Rad am Wagen. Mal süßsauer, mal stumm, mal mit verhaltenem Zorn und mal ergeben läßt er die bewährten Instrumente des Wohnungs- und Städtebaus zerfasern, ohne gleichzeitig gleichwertiges Neues an deren Stelle zu setzen. Das läuft jetzt seit gut einem Jahr. Die Negativliste ist inzwischen lang geworden.
Diese Koalition behauptet, eigenheimfreundlich zu sein, aber sie zwingt auch die kleinen Eigenheimer, 2 % Grunderwerbsteuer zu zahlen. Für viele Betroffene sind das zusätzliche 1 000 DM und mehr. Gleichzeitig werden die entlastet, die Villen bauen oder kaufen. Der Bauminister rechtfertigt dies.
CDU/CSU und FDP kürzen am Wohngeld der Behinderten und der Alleinerziehenden. 50 bis 60 Millionen DM bekommen Alleinerziehende - das sind meist Frauen mit Kindern - weniger an Wohngeld, weil die Koalition ihnen die Freibeträge für Kinder zusammengestrichen hat. Der Bauminister schweigt dazu. Da zeigt sich die Rolle des Wohnungsbauministers in dieser Regierung: 7 bis 8 Milliarden DM geliehenes Geld ins Land pumpen und Neubau anregen ist eines, aber wenn es darum geht, das Wohngeld für Alleinstehende mit Kindern zu sichern, dann versagt der Bauminister jämmerlich.
({2})
Wir haben Ihr Wort, Herr Minister, daß zum 1. Janura 1985 eine Wohngeldnovelle in Kraft tritt. Wenn das mit dem erforderlichen Vorlauf stimmen soll, muß sie zum 1. Juli des nächsten Jahres hier beschlossen sein. Wir sind gespannt und fordern Sie heute noch einmal eindringlich auf: Legen Sie die Wohngeldnovelle als Entwurf möglichst bald auf den Tisch.
({3})
Achten Sie darauf, daß die unsozialen Einschnitte korrigiert und daß der dringliche Nachholbedarf damit gedeckt wird.
Zum Mietrecht! Da genehmigten sich CDU/CSU und FDP zunächst einmal die Verwirklichung eines Herzensanliegens. Das soziale Mietrecht wurde zusammengestrichen. Der Bauminister hatte zwei Argumente parat. Erstens, alles ist halb so schlimm, die Mieter brauchen keine Angst zu haben. Zweitens, die Änderungen im Mietrecht führen zu Neubauten im Mietwohnungsbau. Heute wissen wir:
Beide Argumente waren und sind falsch. Die Mieter haben Grund, Angst vor exorbitanten Mieterhöhungen zu haben, und der Mietwohnungsbau hat durch die Mietrechtsänderungen natürlich keine neuen Impulse bekommen.
({4})
Ich fordere Sie auf, Herr Minister, den Mißerfolg der Mietrechtsänderungen einzugestehen und sobald wie möglich einen Entwurf auf den Tisch zu legen, mit dem wir diesem neuen Schneiderschen Mietrecht die Giftzähne ziehen können.
({5})
Noch in dieser Woche soll die Situation im Mietwohnungsbereich erneut verschärft werden. Im Steuerentlastungsgesetz ist eine neue Regelung zum Bauherrenmodell vorgesehen, die die große Gefahr in sich birgt, daß zukünftig spekulatives Geld vielleicht nicht mehr so stark in den Neubau, wohl aber in den Bestand fließt, Stichwort: Erwerbermodelle. Die Konsequenzen kennen wir alle: Aufkauf von Mietwohnungen, Supermodernisierung, Umwandlung in Einzeleigentum, Mieterverdrängung. Der Bauminister sagt ja dazu. Unbegreiflich!
({6})
Die Kolleginnen und Kollegen der Koalition im Wohnungsbauausschuß haben wohl gemerkt, daß da etwas nicht stimmen kann und waren einverstanden, mit uns zusammen eine Entschließung zu verabschieden, in der die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert wird, über die Konsequenzen dieser Gesetzgebung für die Erwerbermodelle, für die Bauherrenmodelle und damit für die Mieter im nächsten Jahr Rechenschaft abzulegen. Übrigens ist es für die Vereinbarung dieses neuen Gesetzes noch nicht zu spät. Man könnte dieses noch in dieser Woche mit unserer Hilfe verhindern.
Der Posten Modernisierung, Herr Dr. Schneider, kommt in Ihrem Etat nicht mehr vor. Das zweite Standbein der Wohnungs- und Städtebaupolitik, die Bestandspolitik, wird sträflich vernachlässigt. Die leichte Aufstockung bei den Sanierungsmitteln macht eine Verknüpfung mit der behutsamen Stadterneuerung und mit der Modernisierung und dem Energiesparen am Bau nicht überflüssig. Im Gegenteil: Wohnungen erhalten ist wichtig und meist sogar billiger als neue Wohnungen zu bauen.
({7})
An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie konzeptionslos das Sonderprogramm im letzten Jahr gewesen ist: Ohne jede Flankierung, zu Lasten der Bestände und keineswegs mit optimalem Arbeitsmarkteffekt; denn, Herr Dr. Schneider, wir alle wissen, daß der Anstoß für die Arbeitsplatzschaffung nirgendwo höher ist als bei der Modernisierung und der behutsamen Stadterneuerung. Der Bauminister läßt die Bestandspolitik im Stich.
({8})
Der Bauminister äußert sich auch nicht dazu, daß seine Regierung eine Verbesserung der Gemeindefinanzen, von der SPD vorgeschlagen, ablehnt. Müßte nicht der Bauminister in die Bresche springen und seinen Kollegen im Kabinett deutlich machen, daß es ein Nullsummenspiel ist, wenn er teure Sonderprogramme finanziert, gleichzeitig aber die Investitionskraft der Gemeinden immer weiter wegschrumpft? Ist es denn nicht bekannt, Herr Minister Dr. Schneider, daß trotz des Sonderprogramms die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter fast unverändert hoch geblieben ist? Da müßte sich doch der Wohnungsbauminister zu Wort melden.
({9})
Zum Bausparen: Da gibt es einen neuen Höhepunkt Schneiderscher Wirkungslosigkeit; denn wir sollen in dieser Woche im Rahmen einer Änderung des Vermögensbildungsgesetzes beschließen, daß im Bereich Bausparen die 624 DM übersteigenden Beträge nicht als begünstigt anzusehen sind. Damit würde das Bausparen negativ betroffen. Die Wartezeiten bis zur Zuteilungsreife von Bausparverträgen würde für viele Bauwillige noch länger. Die Kollegen der CDU/CSU im Ausschuß zeigten wieder einmal guten Willen, aber auch Ohnmacht. Das gilt übrigens auch für die Rücknahme der Sperrfrist für Bausparverträge von zehn auf sieben Jahre. Diese Forderung ist deckungsgleich mit der Ihren, Herr Minister. Trotzdem wird sie von dieser Regierung, von dieser Koalition abgelehnt. Ich stelle fest: Der Bauminister kann sich nicht durchsetzen.
({10})
Die Konzeptionslosigkeit dieser Regierung in Sachen Wohnungs- und Städtebau steigerte sich heute vor zehn Tagen auf wirklich einmalige Weise. Die Runde der Bauminister aller Länder - aller Länder! - verweigerte dem Bundesbauminister die Zustimmung zur Zweiten Berechnungsverordnung, interessanterweise genau mit dem Argument, das auch schon die Sozialdemokraten im Bauausschuß des Deutschen Bundestages in Antragsform vorgebracht hatten. Die Länderminister fanden nämlich wie wir, daß die Instandhaltungskosten für die jüngeren Baujahrgänge nicht so stark angehoben werden dürften, wie von der Regierung vorgeschlagen, nämlich von 6,90 DM/qm im Jahr auf 11 DM/qm im Jahr für die Baujahrgänge ab 1970. Anders ausgedrückt: Zusätzliche 35 Pfennig je qm im Monat sind für diese ohnehin teuren Wohnungen zuviel. Wir fordern Sie auf, Herr Minister, heute hier zu erklären, daß Sie die Bedenken der Länderminister und unsere nunmehr aufnehmen und eine geänderte Fassung der Berechnungsverordnung vorlegen.
({11})
Hier will ich mir einen Einschub im Rückgriff auf die Debatte von soeben erlauben. Herr Minister, in dieser Zweiten Berechnungsverordnung gibt es erste Ansatzpunkte dafür, Breitbandkabelanschlüsse in den Wohnungen als Modernisierungstatbestand zu akzeptieren. In der Zweiten Berechnungsverordnung ist zwar nur von den Betriebskosten die Rede, aber es ist ein Wort des Bauministers fällig, das eindeutig klarstellt, daß Sie nicht wollen, daß Breitbandverkabelung als Modernisierung akzeptiert und vielen Millionen Mietern aufgezwungen wird; denn dies kostet doch auch wieder Geld.
({12})
Da muß der Bauminister endlich einmal ein deutliches Wort sagen.
({13})
Die Bauminister der Länder haben Sie übrigens an einem zweiten Punkt auflaufen lassen, nämlich da, wo es um die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ging. Die Länderminister haben gemeint, daß die Vorlage der ARGEBAU eine gute Grundlage für die fällige Gesetzgebung sei und Sie aufgefordert, aus wohnungspolitischer Sicht am Prinzip der Gemeinnützigkeit festzuhalten und den sozialen Auftrag dieser Unternehmen im Gesetz deutlicher als bisher zu fassen. Wörtlich formulierten die Länderminister dann:
Die Ministerkonferenz hält es nicht für zweckmäßig, daß die Bundesregierung eine weitere Kommission, die sich mit dieser Frage befaßt, einberuft, weil dies das Verfahren nur unnötig verzögern würde.
Herr Minister, dies ist eine Hilfe für Sie. Geben Sie dies an den Finanzminister weiter, damit in dessen Haus endlich aufgehört wird, im Bereich der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen noch weiter herumzuschnippeln.
({14})
Die Wohnungseigentumspolitik hat sich schon in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten als wichtiger Faktor des Wohnungsbaus gezeigt und wird auch weiterhin der entscheidende Ansatzpunkt bei der Verbesserung der Wohnungsversorgung sein. Weshalb man dieses Ja zum Eigenheim und zur Eigentumswohnung immer wieder mit einer Attacke gegen den sozialen Mietwohnungsbau verbinden muß, wie durch Kollege Echternach kürzlich geschehen - er wird gleich Gelegenheit haben, sich hier zu äußern -, ist mir allerdings unerfindlich. Öffentlich geförderter Sozialmietwohnungsbau ist in weiten Teilen des Landes nicht mehr erforderlich - da sind wir uns einig -, wohl aber in einigen Bedarfsschwerpunkten. Und das sind im wesentlichen die großen Städte. Die dürfen wir nicht mit diesem Problem allein lassen.
({15})
Gleichzeitig sind und bleiben Eigenheime und Eigentumswohnungen im Bereich des Neubaus der
wichtigste Ansatzpunkt zur Verbesserung der Wohnungsversorgung; übrigens auch der Ansatzpunkt, der die öffentliche Hand am wenigsten kostet. Eigennutzende Eigenheimer bekommen ein Fünftel oder ein Siebtel dessen von der öffentlichen Hand, was beispielsweise Bauherrenmodelle den Staat kosten. Es ist wichtig - wir sind bereit, daran mitzuwirken -, den Bau von Eigenheimen und Eigentumswohnungen zu stabilisieren und die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit er auch mittelfristig stetig fortgeführt werden kann.
Schlaglochpolitik an dieser Stelle ist falsch. Sonderprogramme, die zu einer künstlichen Konjunktur führen und das nächste Tal schon programmiert haben, sind falsch. Wir brauchen eine Konzeption, die dafür sorgt, daß auch der Eigenheimbau in den 80er und 90er Jahren mit Stetigkeit fortgeführt werden kann.
({16})
Sie hatten für November dieses Jahres das Konzept versprochen. Gesehen worden ist es bisher noch nicht.
({17})
Ich will Ihnen mit einigen wenigen Stichworten andeuten, wo wir Sozialdemokraten Handlungsbedarf sehen und was wir fordern:
Erstens. Abzug von der Steuerschuld statt der bisherigen 7-b-Regelung, die sozialpolitisch ungerecht ist.
Zweitens. Neuregelung im Bereich der Nutzungswertbesteuerung, die bisher eine vergleichsweise ungünstige Regelung für eigennutzende Eigenheimer ist.
Drittens. Verstärkte Förderung des Vorsparens - des Bausparens -, denn eine angemessene Eigenfinanzierungsquote ist für viele potentielle Bauherren Voraussetzung für die endgültige Bauentscheidung.
Viertens. Förderung des kosten- und flächensparenden Bauens.
({18})
Wir müssen die knappen Mittel mit Vorrang an die lenken, die bewußt sparen und flächensparend bauen.
Fünftens nenne ich die Initiative im Bereich des Bau- und Bodenrechts. Bisher sind der Mangel an Bauplätzen und die explosionsartig gestiegenen Bodenpreise das entscheidende Hemmnis für viele Bauwillige.
Wir fordern Sie auf, Herr Minister: Legen Sie Ihr Konzept für die verbesserte Förderung des Eigenheim- und Eigentumswohnungsbaus endlich auf den Tisch, und ziehen Sie die Konsequenzen aus dem Wirkungsbericht, der 1982 von Ihrem Vorgänger, Herrn Dr. Haack, vorgelegt worden ist und der
uns alle verpflichtet und ermutigt, dem Eigenheimbau neue Impulse zu geben.
({19})
Das wird die wichtigste wohnungspolitische Aufgabe der nächsten Monate sein.
Heute können wir dem Einzelplan 25 keine Zustimmung geben, denn er dokumentiert wohnungs- und städtebaupolitische Konzeptionslosigkeit.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Echternach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müntefering, ich bewundere Ihren Mut, angesichts des Fiaskos, das Sie in der Wohnungspolitik hinterlassen haben, in dieser Weise heute hier zu polemisieren.
({0})
Als Sie vor einem Jahr am Ende waren, da war der Wohnungsbau an einem Tiefpunkt angekommen.
({1})
Der freifinanzierte Mietwohnungsbau war praktisch tot, und der soziale Wohnungsbau konnte dank Ihrer Schuldenpolitik die Versorgungslücke auch nicht annähernd schließen, sondern schrumpfte selbst rapide. Ihre Politik der vergangenen Jahre hat doch dazu geführt, daß immer weniger Wohnungen gebaut und dadurch immer mehr Bauarbeiter arbeitslos wurden. Opfer Ihrer Politik sind vor allem die sozial Schwächeren am Wohnungsmarkt geworden: die Jungverheirateten und die Kinderreichen.
Wenn Sie dem Bundeswohnungsbauminister und der neuen Bundesregierung vorwerfen, daß es keine Belebung für den Mietwohnungsbau gegeben hat, dann kann ich nur sagen: Sie stellen die Tatsachen, Sie stellen die Wahrheit auf den Kopf. Es hat in keinem anderen Wirtschaftszweig einen so rasanten Anstieg der Nachfrage gegeben wie im Wohnungsbaubereich. In den ersten neuen Monaten dieses Jahres stieg die Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen um über 24 % an, und zwar nicht nur die Baugenehmigungen, wie uns der „Spiegel" dieser Tage glauben machen wollte; noch viel stärker als die Baugenehmigungen stieg die reale Auftragsvergabe an das Bauhauptgewerbe im Wohnungsbausektor an, nämlich um 27 %.
({2})
Nicht nur die Bausparer, sondern auch die großen Kapitalanleger sind an den Wohnungsmarkt zurückgekehrt. Die deutschen Versicherer haben dieser Tage mitgeteilt, daß sie in diesem Jahr ihre Aufwendungen für den Mietwohnungsbau gegenüber dem Vorjahr verdoppelt haben. Dagegen ist die Zahl der Insolvenzen im Bauhauptgewerbe, die in den letzten Jahren so stark angestiegen war, deutlich zurückgegangen, und die Zahl der arbeitslosen
Bauarbeiter hat den niedrigsten Stand seit zwei Jahren erreicht. Das nennen Sie tatsächlich allen Ernstes das Desaster der Wohnungsbaupolitik der Regierung Kohl. Man kann sich nur wundern, wie blind Sie gegenüber den Tatsachen geworden sind.
({3})
Herr Kollege Müntefering, Sie sprechen von exorbitanten Mieterhöhungen. Mit dieser Behauptung haben Sie einmal, vor einem Jahr, Glück gehabt - das gebe ich zu -, bei der Hamburger Wahl. Aber seither werden Sie fortlaufend durch die Wirklichkeit widerlegt. Die nüchternen Zahlen weisen aus, daß Sie damit die Unwahrheit sagen, zu Unrecht versuchen, Angst bei den Mietern zu verbreiten, daß Sie versuchen, wiederum den Frieden zwischen Mieter und Vermieter zu stören.
Ich möchte Ihnen nur vier nüchterne Zahlen vorhalten:
Erstens. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres ist der Mietenindex um 5,4 % gestiegen.
Zweitens. Weitaus stärker innerhalb der Mietenbewegung stiegen die Mieten dort, wo das neue Mietrecht überhaupt nicht gilt, nämlich im Bereich der Sozialmieten. Dort stiegen die Mieten um 6,6 %. Hier wirken eben vor allem die administrativen Preiserhöhungen, z. B. die rasanten Steigerungen für Wasser, für Müll, für Abwasserbeseitigung, für Straßenreinigung usw., die vielfach zu beobachten sind.
Drittens. Die Mieten im frei finanzierten Wohnungsbau, nämlich dort, wo die neuen Mietgesetze der Koalition gelten, sind weit geringer gestiegen, nämlich um 4,1 % im gleichen Zeitraum, weil eben größere Mietanhebungen auf dem Markt überhaupt nicht mehr durchgesetzt werden können.
Viertens. Für denselben Bereich der Wohnungen stiegen die Mieten im Jahr zuvor, in den ersten zehn Monaten des letzten Jahres, wesentlich stärker, nämlich um 4,5 %. Das war also während Ihrer Regierungszeit.
Damit dürfte die Mär von der angeblich mietsteigernden Wirkung der neuen Mietgesetze endgültig widerlegt sein.
({4})
Im übrigen zeigt die Marktentwicklung, daß die Stellung des Mieters um so stärker ist, je mehr Wohnungen gebaut werden, und daß der beste Mieterschutz eben die von uns begonnene verstärkte Wohnungsbauförderung ist.
Ihre Behauptungen, die Sie vorgetragen haben, sind einfach unglaubwürdig und im Grunde Vorwürfe an die Adresse Ihrer eigenen gescheiterten Regierung. Wenn Sie z. B. der neuen Regierung vorwerfen, daß es das Modernisierungsprogramm nicht mehr gebe, dann sollten Sie sich bei Ihrem Kollegen Haack erkundigen, wie es tatsächlich dazu kam. Unter seiner Amtsführung, auf seine Veranlassung hin ist das Auslaufen des Wohnungsmodernisierungsprogramms beschlossen worden.
({5})
Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 42. Sitzung. Bonn. Dienstag. den 6. Dezember 1983 2943
- Das ist wahr. Das kann ich Ihnen sogar schwarz auf weiß nachweisen, Herr Müntefering.
Herr Abgeordneter Echternach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
Bitte schön.
Herr Kollege Echternach, können Sie mir widersprechen, wenn ich sage, daß zum Ende der Regierungszeit des Dr. Haack 150 Millionen DM für Modernisierung/Energiesparen vorgesehen waren - es gab zwar noch keine Einigkeit zwischen Bund und Ländern -, diese Mittel aber von der neuen Regierung gestrichen worden sind?
({0})
Herr Kollege Müntefering, ich muß Ihnen sagen, daß im Kontakt zwischen Herrn Haack und Herrn Matthöfer bereits 1981 festgelegt worden war, das Modernisierungsprogramm ab 1983 auslaufen zu lassen. Herr Haack hat das ausdrücklich geopfert, weil er dadurch eine sonst zur Debatte gestandene lineare Kürzung des ersten Förderungsweges und der Städtebauförderungsmittel vermeiden wollte. Erkundigen Sie sich bei dem Kollegen Haack.
({0})
Herr Kollege Müntefering, Sie hätten Ihrer Glaubwürdigkeit mehr gedient, wenn Sie es fertiggebracht hätten, dem Wohnungsbauminister für die eindrucksvolle Bilanz der ersten 14 Monate ein anerkennendes Wort zu sagen.
Was von Ihrer Polemik tatsächlich zu halten ist, wird auch an Ihrem Abstimmungsverhalten im Haushaltsausschuß deutlich. Dort sind nahezu alle Beschlüsse im Zusammenhang mit dem Etat, der heute zur Beratung ansteht, gemeinsam von Regierungskoalition und Opposition gefaßt worden. Also dort, wo man mit billiger Polemik nicht weiterkommt, sondern wo zur Sache argumentiert werden muß, wo jeder Ausgabenwunsch auch konkret begründet und wo man Deckungsvorschläge vorlegen muß, offenbart sich, daß es zur Wohnungsbaupolitik dieser Regierung keine sachliche Alternative gibt. Diese Opposition jedenfalls hat sie nicht.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?
Nein. Ich muß leider auf meine Uhr sehen. Ich habe die Zeit nicht mehr.
Herr Kollege Müntefering, wenn Sie dem Wohnungsbauminister vorwerfen, er habe kein Konzept, kann ich Ihnen nur sagen: Darauf geben Ihnen die Bürger und die Wohnungsbauwirtschaft tagtäglich eine eindrucksvolle Antwort; denn mit ihren tagtäglich sich verstärkenden Investitionsentscheidungen beweisen sie, daß sie Vertrauen zur Wohnungspolitik dieser neuen Regierung haben, deren Ziel es ist, die Wohnungspolitik zu einer Politik der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft umzuorientieren. Das heißt auf der einen Seite Mobilisierung der privaten Investoren durch Aktivierung der Marktkräfte zur Erstellung eines ausreichenden Wohnungsangebots und auf der anderen Seite soziale Absicherung, erstens durch Fortführung des sozialen Wohnungsbaus für diejenigen, die aus eigener Kraft eine Wohnung am Markt nicht finden können, zweitens ausreichendes Wohngeld, drittens Beibehaltung der Bindungen für die Sozialwohnungen im Bestand und viertens verstärkter Einsatz der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen für die Versorgung von Wohnungsnotfällen, gleichsam als Gegenleistung für die Fortgeltung des Steuerprivilegs.
Die Probleme des Wohnungsmarktes haben sich in den letzten Jahren geändert, und wir wissen, daß wir darauf auch neue Antworten geben müssen. Es war zweifellos richtig, daß die neue Regierung vor einem Jahr den Wohnungs- und Städtebau als Lokomotive zur Wiederankurbelung der Wirtschaft benutzt hat; der Erfolg spricht für sich selbst. Allerdings kann die Wohnungsbauförderung auf die Dauer nicht als Konjunkturinstrument dienen, sondern sie muß sich am Bedarf orientieren.
({0})
Im Mittelpunkt der kontroversen Diskussion steht nun einmal die Zukunft des sozialen Wohnungsbaus. Ich verweise auf den jüngsten Bericht der Sachverständigen, aber auch auf das, was die Konjunkturinstitute oder die Bundesbank dazu gesagt haben.
Niemand kann die Augen vor der wachsenden Zahl von leerstehenden Mietwohnungen im sozialen Wohnungsbau verschließen. Allein bei einem bekannten Wohnungsunternehmen stehen über 5 000 öffentlich geförderte Wohnungen leer.
Bedeutsam ist schließlich auch, daß viele Bundesländer, die im Wohnungsbau eine besondere Verantwortung tragen, ihre Förderprogramme deutlich reduzieren. Übrigens haben gerade auch sozialdemokratisch regierte Länder, der Senat in Hamburg genauso wie Ihre Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, in diesen Tagen eine ganz erhebliche Reduzierung ihrer Förderprogramme für den sozialen Wohnungsbau bekanntgegeben.
({1})
Allein in Nordrhein-Westfalen haben wir eine Reduzierung um 40 % innerhalb der nächsten vier Jahre.
Die Zeit des allgemeinen Wohnungsmangels ist vorbei, und das zwingt uns, über die Schwerpunkte innerhalb der Wohnungs- und Städtebauförderung neu nachzudenken, um sicherzustellen, daß die öffentlichen Mittel in diesem Bereich so effektiv wie möglich ausgegeben und nicht fehlgeleitet werden.
Es ist dabei keine gute Entwicklung, daß innerhalb des sozialen Wohnungsbaus im ersten Förderungsweg in den letzten Jahren der Anteil der Eigentumsmaßnahmen immer weiter gesunken ist. Betrug er von 1975 bis 1979 im Jahresdurchschnitt noch 30 %, so sank er in den letzten drei Jahren von Jahr zu Jahr immer tiefer und erreichte im letzten Jahr nur noch weniger als 20 %. Diese Entwicklung
muß umgedreht werden, und wir haben dazu schon vor einem Jahr mit dem Bausparzwischenfinanzierungsprogramm und dem zeitlich begrenzten Zinsenabzug erste Schritte eingeleitet, um die steuerliche Benachteiligung der Eigenheime gegenüber den anderen Bauinvestoren abzubauen.
Wichtigstes Ziel der Wohnungspolitik muß es sein, möglichst vielen Menschen zu helfen, Eigentümer ihrer eigenen vier Wände zu werden. Über 80 % der Bürger wünschen sich privates Wohnungseigentum, weniger als 40 % haben es bisher erhalten können.
({2})
Das ist auch weniger als in den europäischen Nachbarländern. Gerade den Mitbürgern mit kleinem Portemonnaie muß verstärkt geholfen werden, die Schwelle zum Wohnungseigentum zu überwinden. Erwerber von Wohnungseigentum sind bereit, eine wesentlich höhere finanzielle Belastung, im Schnitt sogar eine doppelt so hohe Belastung, von ihrem verfügbaren Einkommen auf sich zu nehmen wie Mieter. Auch aus Haushaltsgründen spricht alles dafür, innerhalb des öffentlich geförderten Wohnungsbaus Mittel zugunsten von Eigentumsmaßnahmen umzuschichten, weil für Mietwohnungen erhebliche höhere Subventionen erforderlich sind und mit jeder Million an Förderungsmitteln statt fünf Sozialmietwohnungen 20 Eigentumsmaßnahmen gefördert werden könnten. Auch der Mietsektor würde davon profitieren, weil jedes gebaute Eigenheim regelmäßig auch eine Mietwohnung freimacht. Schließlich ist beim Eigenheimbau auch gewährleistet, daß nicht am Markt vorbeigebaut wird und öffentliche Mittel fehlgeleitet werden. Vor allem aber hat das private, erlebbare Wohnungseigentum nicht nur eine wohnungspolitische, sondern auch eine hohe familien- und gesellschaftspolitische Bedeutung.
({3})
- Ich bin sicher, daß das nicht nur für mich, sondern auch für die über 80 % der Mitbürger gilt, über die Sie so hinweggehen, und die dieses Ziel anstreben, wie Sie aus allen Umfragen wissen.
Ich bin sicher, daß der bisher noch unerfüllte Wunsch so vieler Mitbürger nach Wohnungseigenturn das Wohnungsbaugeschehen der Zukunft bestimmen wird. Es wird die Aufgabe des neuen Gesamtkonzepts der Eigentumsförderung sein, das der Bundesbauminister für das nächste Frühjahr angekündigt hat und das die bisherigen Förderungsinstrumente ablösen soll, dafür optimale Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die Bundesregierung hat in diesem Haushaltsplan auch mit einer anderen Umschichtung eine wichtige neue Akzentsetzung vorgenommen, nämlich mit der Umschichtung von Wohnungsbauförderungsmitteln zugunsten der Städtebauförderung. Der Haushaltsausschuß hat diese Entwicklung
noch einmal verstärkt Von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen gehen besonders hohe Anstoß- und Wachstumseffekte aus. Zu jeder vom Bund bewilligten Mark kommen zwei weitere Mark von Ländern und Gemeinden und in der Regel erhebliche zusätzliche Mittel von privaten Investoren. Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen sind die Voraussetzung für viele Privatinvestitionen, stärken den privaten Investitionswillen und erhöhen die Attraktivität des innerstädtischen Gewerbes.
Nachdem die Städtebauförderung in der Vergangenheit überwiegend dazu gedient hat, historische Altstädte zu erhalten, Innenstädte wieder funktionsfähig zu machen, kommt jetzt auf die Städtebauförderung eine zusätzliche Aufgabe zu, nämlich den innerstädtischen Mietwohnungsbestand einschließlich des Wohnumfeldes zu erneuern und preiswerten Mietwohnungsbestand für die einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten zu erhalten. Die Bedeutung dieser Aufgabe wird weiter zunehmen, zumal den vom Bund bisher bereitgestellten Mitteln doppelt so hohe Anforderungen von seiten der Länder und Gemeinden gegenüberstehen.
Die engen Wechselbeziehungen zwischen Bauwirtschaft und Gesamtwirtschaft lassen 1984 den Wohnungsbauetat weit stärker als den Gesamthaushalt anwachsen. Innerhalb der Einzelpläne steht er mit einem Wachstum von rund 10 % an dritter Stelle. Aber auch nach Ende der wirtschaftlichen Talfahrt und dem jetzt sichtbaren Wiederanspringen der Konjunktur wird die Wohnungs- und Städtebaupolitik ihren hohen Rang behalten und wird wegen des großen Investitionsbedarfs in diesem Bereich und wegen der zentralen gesellschaftspolitischen Bedeutung die Wohnungs- und Städtebaupolitik ein Schwerpunkt unserer Arbeit bleiben.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Sauermilch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einer Pressemitteilung von gestern hat der Generalsekretär der CDU, Dr. Reiner Geißler, eine erste Zwischenbilanz der Regierung Kohl an sein Parteivolk übermittelt. Dabei geht er auch auf die Probleme des Wohnungs- und Städtebaus ein, die heute hier bei Einzelplan 25 zur Diskussion stehen. Darin heißt es - ich zitiere -:
Das wohnungsbaupolitische Sofortprogramm und die Verbesserung des Mietrechts haben dem Wohnungsbau neue Impulse gegeben.
({0})
Dies wird dann auch mit Zahlen belegt, die lediglich ein Mehr an Baugenehmigungen gegenüber dem Vorjahr ausweisen. Das ist alles. Kein Wort von der schleichenden Reduzierung des sozialen Wohnungsbaus zugunsten von mehr Markt, also von mehr Asozialität!
({1})
Kein Wort vom drängenden Problem der Mieter, die nun schon allzulange bis an den Rand ihres Existenzminimums ausgenommen werden!
({2})
Kein Wort von den schon lange eingefahrenen schmutzigen Praktiken der sogenannten Bauherrenmodelle, deren Asozialität darin gipfelt, daß die oberen Einkommensgruppen mit Steuereinsparungen ihren Besitzstand unverhältnismäßig mehren!
({3})
- Das sage ich als Architekt, sehr geehrte Frau Roitzsch.
Nun zu Ihnen, Herr Minister Schneider. Ihre Ausführungen waren immer, soweit ich sie verfolgen konnte, und sind sicher auch heute wieder von Ihrem Idol des freien Markts bestimmt. Wohnungs-und Städtebau als Lokomotive der freien Marktwirtschaft! Freie Fahrt den Tüchtigen, den Managern, den Maklern, den Unternehmern, den Baugesellschaftern und den Häuslebauern!
({4})
Aber bitte nur Erster-Klasse-Wagen mit Klimaanlage! Fröhlich winkend fahren Sie und Ihre tüchtigen Unternehmer in Ihrem Erster-Klasse-Zug an den vielen Streckenarbeitern vorbei,
({5})
die Ihre Schnellbahntrasse säumen, nämlich den vielen Normalbürgern, die nicht das Geld haben, selbst zu bauen, und daher zur Miete wohnen müssen.
({6})
Sie selbst, Herr Minister Schneider, haben auf dem Deutschen Mietertag in Köln gesagt - das habe ich selbst gehört -, was Sie unter Miete verstehen. Sie sagten dort wörtlich: „Miete ist der Preis für eine wirtschaftliche Leistung." Kein Wort mehr, kein Wort dazu, daß menschenwürdiges Wohnen eine Voraussetzung für die Erfüllung des Art. 2 des Grundgesetzes, für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, ist, das Mietrecht also eine sozialpolitische Aufgabe und nicht ein konjunkturpolitisches Instrument ist.
({7})
Kein Wort dazu, daß die Erblast einer schlechten Mietengesetzgebung mit Ihrem neuen Mietrecht durch zusätzliche Mietsteigerungen noch aufgestockt wird. Der Markt ist sozial blind; das wissen Sie. Aber Sie sagen es nicht; Sie sagen es deswegen nicht, weil Sie nicht zugeben wollen, daß die Sozialpflicht der Mietengesetzgebung - übrigens auch des Bodenrechts - Ihnen nur ein unliebsames Signal auf der von uns allen subventionierten Fahrt in die „Rosa Zeiten" der Rentner des Spätkapitalismus ist.
Wie aber sieht diese Realität aus, meine Damen und Herren? Die Zahl der Räumungsklagen ist in den westdeutschen Großstädten um 20 bis 40 % gestiegen. Die Mietbelastung unterer und mittlerer Einkommensbezieher ist bei der Neuvermietung von Wohnungen auf bis zu 40 % des Haushaltseinkommens angestiegen. Neubaumieten von 12 DM pro Quadratmeter und mehr erreichen die Grenze der finanziellen Belastbarkeit vieler Haushalte. Die Mieten - das können auch Sie nicht widerlegen, Herr Echternach - sind im Jahre 1983 fast dreimal so schnell gestiegen wie die Lebenshaltungskosten.
({8})
Unmittelbar neben Warteschlangen für preiswerte Wohnungen stehen Wohnungen der obersten Preisklasse leer. Die Schlichtformel „Mehr Miete - mehr Wohnungen" bleibt ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Keine einzige preisgünstige Wohnung wird durch diese mieterfeindliche Politik zusätzlich gebaut; das Gegenteil ist der Fall!
Bis jetzt ist das Warten auf den Aufschwung im Bausektor vergeblich. Mindestens weitere 50 000 Bauarbeiter werden in diesem Jahr ihren Arbeitsplatz verlieren. Verbesserte Auftragslage im Wohnungsbausektor heißt zunächst nur mehr Überstunden, größeres Arbeitstempo, heißt aber auch Rationalisierung und damit weitere Gefährdung von Arbeitsplätzen. Die Sparpolitik im öffentlichen Hochbau tut ihr übriges.
Die Programme zur Belebung der Baukonjunktur haben zumindest zweierlei erreicht: Wer sowieso bauen wollte, hat die Steuergeschenke und FörderMilliarden dankend mitgenommen oder aber seinen Hausbau einige Monate vorgezogen - ein wirklich grandioser Aufschwung! Zunächst sind nur die Genehmigungszahlen, nicht aber die Anzahl der Wohnungen angestiegen, die tatsächlich gebaut worden sind oder gebaut werden.
({9})
Das, was Herr Echternach soeben gesagt hat, daß nämlich Aufträge verteilt worden sind, ist auch kein Kriterium. Die Gewinner dieser Förderungsprogramme sind sicherlich Banken und Sparkassen. Die Zinsen für Bauhypotheken sind von 7,5 % im März wieder auf rund 9 % angestiegen. Mittlerweile kostet die Wohnungsbauförderung jährlich rund 26 Milliarden DM. Gewinner sind die oberen Einkommensbezieher. Sie erhalten Steuererleichterungen in Milliardenhöhe bei Abschreibungserleichterungen, Schuldzinsenabzug und Bauherrenmodellen.
Diese Förderungspolitik gelangt einerseits nicht in die Bedarfsschwerpunkte in den Ballungsgebieten, andererseits werden Bevölkerungskreise subventioniert, deren Wohnungsversorgung in keiner Weise gefährdet ist. Verlierer sind untere und mittlere Einkommensbezieher, die mit ihrer Wohnungsversorgung in der vielgepriesenen Marktwirtschaft immer mehr unter die Räder kommen. Mietsteigerungen im Altbaubestand, nahezu unbezahlbare
neue Sozialwohnungen, sinkende Reallöhne, steigende Arbeitslosenzahlen, aber auch das Fehlen von Anpassungen bei den Wohngeldleistungen an die verschlechterte Einkommenssituation gefährden die Wohnungsversorgung weiter Teile der Bevölkerung. Die wirtschaftlich Schwächeren sind dabei die ersten Opfer. Die von Herrn Schneider so hochgelobte Sickertheorie ist dabei im Sande der Ideologien schon versickert.
Zum Glaubensbekenntnis der Marktwirtschaftskämpfer gehört auch das Wohngeld. Es soll zur Hauptstütze der Wohnbauförderung werden, weil kostengünstig, effektiv, zielgenau usw. Trotz sich verschlechternder Einkommenssituation weiter Teile der Bevölkerung und rasant steigendem Mietenniveau sind für das Wohngeld in den nächsten Jahren bis 1987 nur die gleichen Nominalbeträge vorgesehen wie für den Haushalt 1984. Nicht mehr, sondern weniger Haushalte werden Wohngeldleistungen erhalten. Arbeitslosen- und Rentnerhaushalte stellen den größten Teil der Wohngeldempfänger, nämlich über 90 %.
Durch die regierungsamtliche Brille betrachtet gibt es heute wohl nur ein einziges Problem im Wohnungsbau, nämlich die Eigentums- und Eigenheimförderung. Wie sonst ist es zu verstehen, wenn Gedankenspiele kursieren, den Sozialwohnungsbestand auf eine Notreserve abzuschmelzen? Wie ist es sonst zu verstehen, daß durch bereits beschlossene Gesetze allein 2,5 Millionen von 4,5 Millionen Sozialwohnungen von einer sogenannten Befreiung aus der Mietpreisbindung und der Bindung für untere Einkommensklassen bedroht sind? Es handelt sich dabei aber nicht um die fast unbezahlbaren Sozialwohnungen der 70er und 80er Jahre, sondern um die immer noch mietgünstigen Wohnungen aus den 50er und den 60er Jahren.
Die gleichen Entwicklungen bestehen in den städtischen Altbauquartieren, wo Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, um ganze Stadtteile durch finanzkräftige Käufer, nicht nur Spekulanten, schrittweise umzukrempeln. Die Verdrängten sind dann auf die teuren Sozialwohnungen oder auf den immer enger werdenden Markt von Mietwohnungen im Altbaubestand angewiesen. Das hat Herr Müntefering vorhin auch schon ausgeführt.
Zwar steht dieses Szenenbild mit der Verabschiedung des Bundesetats 1984 nicht zur Abstimmung an, diese unsozialen Tendenzen verlängern sich aber in den Etat des Bundesministeriums hinein bzw. werden weiter unterstützt.
({10})
- Das kommt gleich, Herr Dr. Jahn. Aber ohne eine Korrektur der Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau und vermehrte Kapitalsubvention drohen diese Programme zu versickern. Trotz hohem Subventionsaufwand ist durch den hohen Zinskostenanteil in der Mietberechnung bei Anfangsmieten von 7,50 DM die Vermietbarkeit dieser neuen Sozialwohnungen nicht gesichert. Es erhöht sich nur der Bestand schwer vermietbarer Wohnungen.
({11})
Unsere Forderungen: Neuauflage eines Modernisierungs- und Instandsetzungsprogramms von 200 Millionen DM. Im Haushalt 1984 ist nur noch die Abwicklung eingegangener Verpflichtungen vorgesehen. Modernisierung und Instandsetzung sind in der Regel billiger als Neubau,
({12})
sozial verträglicher und erlauben mehr Eigeninitiative der betroffenen Mieter. Das Schwergewicht der Förderung hat auf verlorenen Baukostenzuschüssen zu liegen.
({13})
Die Mietwohnungsmodernisierung ist gleichrangig zu fördern und zu behandeln.
Ich komme zum Schluß - noch einen Satz, Herr Präsident -: Aufstockung um 200 Millionen DM bei der städtebaulichen Sanierung und Entwicklung, Förderung nach dem Städtebauförderungsgesetz; zur Verbesserung der innerstädtischen Wohnqualität soll der Verpflichtungsrahmen um 200 Millionen DM erweitert werden; die Mittelvergabe ist an die Auflage von kleinteiliger Stadtsanierung und Stadterneuerung zu binden. - Da meine Redezeit abgelaufen ist, bin ich leider nicht in der Lage, meine Ausführungen zu Ende zu führen.
Ich danke Ihnen.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müntefering, wie sich die Bilder oder die akustischen Eindrücke gleichen! Viele Jahre habe ich hier an dieser Stelle von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, gehört, die Wohnungspolitik sei konzeptionslos gewesen.
({0})
Die Kontinuität wird fortgesetzt, Herr Müntefering: ich höre diese Klage von Ihnen jetzt wieder. Nur, lieber Herr Müntefering, es gab Ansätze einer Konzeption, und diese Konzeption ist jetzt wesentlich klarer und deutlicher geworden. Ich hoffe, daß sie in den nächsten Monaten, was die Mittel- und Langfristperspektive anbetrifft, noch deutlicher werden wird.
Herr Kollege Müntefering, Sie haben gesagt, daß wir noch vielzuviele Bauarbeiter ohne Arbeit und Brot haben. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu.
Aber ich frage Sie: Wie viele wären es denn wohl ohne die Sofortmaßnahmen der Bundesregierung?
({1})
- Entschuldigung, ich bin nicht unhöflich, aber ich kann bei der Kürze der Zeit keine Zwischenfragen zulassen.
({2})
- Das kann er j a nachher in einer persönlichen Erklärung oder sonstwie machen.
({3})
Etwas anderes: Bei der Müllverbrennungsanlage in Frankfurt könnten Bauarbeiter beschäftigt werden; aber es werden DDR-Bauarbeiter beschäftigt. Ich beklage das gar nicht, aus innerdeutschen Gründen; aber immerhin, das waren Maßnahmen, die die sozialliberale Regierung vereinbart hat und, ich sage das, zu Recht vereinbart hat.
Sie haben die Legende - so sage ich jetzt bewußt - von dem ach so sozialschädlichen Bauherrenmodell angesprochen. Wenn der „Spiegel" zitierfähig wäre - ist er aber nicht -, dann würde ich Sie auf den Artikel dieser Woche hinweisen, weil da nämlich ausnahmsweise über das Bauherrenmodell mal etwas Vernünftiges gesagt worden ist, was ich schon lange sage.
({4})
Die Risiken liegen bei denen, die sich dort Steuerersparnisse herausholen wollen, und das bittere Erwachen wird kommen, denn der ach so böse Markt ist sehr viel klüger, als wir Politiker es mit unseren Maßnahmen sind. Wir hinken nämlich immer hinterher.
({5})
Dennoch haben wir bestimmte Maßnahmen, die am Donnerstag besprochen werden, vorgesehen. Herr Kollege Müntefering, ich gebe Ihnen zu, der Gedanke könnte auftauchen, daß im Zusammenhang mit einem Überwechseln zum Erwerbermodell die Dinge noch nicht so zu Ende gehen könnten, wie wir das miteinander wünschen. Deshalb wird die Bundesregierung den Auftrag bekommen, bis Mitte nächsten Jahres diesen Gesamtkomplex noch einmal sorgfältig zu prüfen, insbesondere auch unter dem Aspekt Erwerbermodell.
Sie haben beklagt, daß das Vermögensbeteiligungsgesetz das Bausparen nicht einbezieht in den erhöhten begünstigten anlagefähigen Betrag von 312 DM.
({6})
Ich beklage dies nicht, denn die Zielsetzung dieses Gesetzes ging und geht nach dem erklärten Willen der Bundesregierung eindeutig dahin, den Arbeitnehmer für Risikokapital zu interessieren und zu mobilisieren. Bausparen ist ja eine sichere Kapitalanlage und keine Risikokapitalanlage.
Ich beklage aber mit Ihnen nachdrücklich, daß es nicht mehr möglich war, in diesem Gesetzgebungsverfahren die Festlegungsfrist zu reduzieren. Sie dürfen sicher sein, daß jedenfalls meine politischen Freunde alles tun werden, daß diese Maßnahme so schnell wie möglich nachgeholt wird.
({7})
Um zum Haushalt zu kommen: Die entscheidenden Weichenstellungen sind schon am Ende der 9. Legislaturperiode vorgenommen worden. Soweit das im Einzelplan 25 etatisiert ist, finden sich hier jetzt im Haushalt die zahlenmäßigen Fortschreibungen dieser Maßnahmen. Immerhin, ein Plafond von rund 5,3 Milliarden DM stellt eine Erhöhung von 10')/0 dar, was bei einer Gesamthaushaltssteigerung von 1,6% sehr nachdrücklich das unterstreicht, was in der Regierungserklärung vom 4. Mai gesagt ist, daß nämlich der Baukonjunktur eine Schlüsselrolle bei der Ankurbelung der Wirtschaft insgesamt zukommt.
Lassen Sie mich nur zwei Punkte aus dem Paket herausgreifen. Bei dem einen will ich den Kollegen Echternach ansprechen. Ihm ist es freundlicherweise gelungen, im Haushaltsausschuß die Mittel für die Städtebauförderung um 20 Millionen DM aufzustocken,
({8})
ohne daß korrespondierend die Mittel bei der anderen Direktförderung gekürzt worden sind.
({9}) - Sie sind nicht gekürzt worden.
({10})
- Nein, sie sind nicht gekürzt worden. Aber aus diesem Tatbestand ergibt sich eine Aufgabenstellung.
({11})
- Warten Sie es ab, dann erübrigt sich Ihre Frage.
({12})
Aus diesem Tatbestand ergibt sich die Aufgabenstellung für die Bundesregierung, in der Mittel- und der Langfristperspektive klar und präzise die Prioritäten zwischen der Bestandspflege durch Direktförderung und Neubau durch Direktförderung zu setzen.
Herr Abgeordneter Gattermann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?
Herr Präsident, ich habe vorhin schon gesagt, daß ich aus Zeitgründen keine Zwischenfrage zulassen kann.
({0})
- Bitte schön, stellen Sie Ihre Frage. Unwahrheit soll hier nicht im Protokoll stehen.
Herr Kollege Gattermann, da Sie nicht Mitglied des Haushaltsausschusses sind, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß die von der Koalition beabsichtigte Streichung von 20 Millionen DM im sozialen Woh2948
nungsbau nur dadurch verhindert wurde, daß SPD und GRÜNE dagegen gestimmt haben und Ihre Koalition im Haushaltsausschuß zu gering vertreten war, um die von ihr gewollte Kürzung durchzusetzen.
Herr Kollege, ich bestätige Ihnen das gerne. Dies war j a der Sinn meiner Rede.
({0})
- Ich habe exakt gesagt: Um 20 Millionen DM wurde bei den Städtebauförderungsmitteln aufgestockt, aber die korrespondierende Kürzung bei der Direktförderung im sozialen Wohnungsbau ist nicht durchgesetzt worden.
({1})
Das ist eine völlig klare und richtige Aussage. Sie haben jetzt die Abstimmungsverhältnisse offengelegt, und damit ist das Protokoll dann rundum vollständig, den Ablauf der Dinge wiedergebend, klargestellt.
Für die Mittel- und Langfristperspektive bestimmte Entscheidungen müssen in den nächsten Monaten getroffen werden. Es muß für alle Beteiligten am Bau ziemlich klar sein, wie es in der Mittel- und Langfristperspektive mit der Neubauförderung, mit der Bestandsförderung und mit der Wohneigentumsförderung aussehen soll.
Zur Wohneigentumsförderung möchte ich für meine Fraktion einige ganz wenige Klarstellungen treffen. Das selbstgenutzte Wohneigentum ist eine tragende Säule der individuellen Alterssicherung Es ist deshalb denkbar ungeeignet, ein Gegenstand fiskalischer Begehrlichkeiten des Staates zu sein.
({2})
Zweiter Punkt: Das selbstgenutzte Wohneigentum ist Betätigungsraum für vielfältige individuelle Entfaltungsmöglichkeiten. Es ist deshalb ungeeignet Gegenstand umfänglicher behördlicher Bürokratien zu sein. Drittens: Das selbstgenutzte Wohneigentum als Bestandteil der privaten Lebensführung bedarf in der Bau- und Erwerbsphase einer steuerlichen Förderung und in besonderen sozialen Gestaltungsfällen auch direkter staatlicher Förderung.
Im Klartext heißt das: Die FDP-Fraktion setzt sich für eine Privatgutlösung bei der zukünftigen steuerlichen Behandlung des selbstgenutzten Wohneigentums ein. Übrigens scheint uns das auch die einzige haushaltsmäßig darstellbare Form der Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentum. zu sein.
({3})
Eine letzte Bemerkung zu diesem Punkte. Es ist von Wohnungsleerständen gesprochen worden Dies betrifft in der Tat bereits eine Vielzahl von Regionen in diesem Lande. Der Markt ist also für riesige Wohnungsbauinvestitionen kaum aufnahmefähig. Aber es gibt, was die Nachfrageseite betrifft. im Bereich des selbstgenutzten Wohneigentums noch eine große unbefriedigte Nachfrage. Das Schwergewicht der Politik auf diesem Sektor hat dann nicht nur etwas mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen zu tun, sondern es hat auch etwas mit der Baukonjunktur zu tun.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einer angenehmen Pflicht entledigen. Ich möchte zunächst dem Haushaltsausschuß für die zügige, sachund zeitgerechte Beratung danken. Ich bedanke mich ganz besonders bei den Berichterstattern, denn daß für die Städtebauförderung 20 Millionen DM mehr zur Verfügung stehen, geht auf die Herren Berichterstatter zurück.
({0})
Daß es dabei da und dort vielleicht auch einen Irrtum gegeben hat, mag sein. Aber schon Erich Kästner meinte:
Irrtümer haben ihren Wert,
jedoch nur hie und da.
Nicht jeder, der nach Indien fährt, entdeckt Amerika.
({1})
Ich bedanke mich natürlich auch bei den Mitgliedern des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau für die sachkundige, kritische, freimütige Begleitung meiner Arbeit. Auch für alle Kritik bin ich zu haben, wenn die Kritik dem Maßstab der Sachlichkeit und Fairneß gerecht wird. Ich bin ein alter politischer Fuhrmann und weiß, daß man sich durch noch so große Bemühungen und sachliche Arbeit vor unsachlicher Kritik da und dort nicht schützen kann. Ich nehme das in Kauf. Ich kann das ertragen.
Ich habe zwar nicht erwartet, daß die Oppositionsfraktionen sagen: Was ist denn in einem Jahr alles geleistet worden!
({2})
- Das wäre ein bißchen zuviel verlangt. Das habe ich nicht erwartet. Aber man mußte schon viele schwarze Vorhänge vor die Fenster hängen, um so viel Düsternis zu verbreiten, wenn draußen die strahlende Sonne des Erfolgs leuchtet.
({3})
Also ich darf jetzt doch einmal sagen, was geschehen ist. Als die Silvesterglocken das neue Jahr einläuteten, gab es im Bauhauptgewerbe 1 033 000 Beschäftigte. Als man in München mit der Feier des Oktoberfestes zu Ende war. waren es immerhin
die Zahlen haben seither nicht abgenommen -1 165 000. Das heißt, in diesem Jahr wurden durch die Maßnahmen der Bundesregierung 132 000 Personen mehr im Baubereich beschäftigt. Ist das kein Erfolg? 132 000 Beschäftigte mehr!
({4})
Ich war im Oktober vor einem Jahr zögernd in der Annahme. Ich habe geglaubt, es werden 80 000 bis 100 000 Beschäftigte mehr sein. Ich habe mich um 32 000 oder sogar um 50 000 nach unten verschätzt.
Die Herren reden von Kürzungen des Wohngelds. Wie ist es in der Wirklichkeit? Im Haushalt 1984 stehen 25 Millionen DM mehr für Wohngeld, 50 Millionen DM mehr für Wohnungsbauprämien, 163 Millionen DM mehr für das Sozialprogramm, 81 Millionen DM mehr für das Regionalprogramm, 98 Millionen DM mehr für das Eigentumsprogramm und 274 Millionen DM mehr für das Sonderprogramm zur Belebung des sozialen Wohnungsbaus und der Baunachfrage. Ist das nichts?
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
Herr Müntefering, bitte sehr.
Herr Minister, gestehen Sie mir denn zu, daß die Erhöhungen, die im Bereich Wohngeld im Haushaltsansatz erforderlich waren, deshalb nötig sind, weil draußen die Mieten steigen und Sie im Bereich der Alleinerziehenden mit Kindern Wohngeldansprüche in Höhe von 60 Millionen DM gestrichen haben?
Wir haben über dieses Thema schon vor einem Jahr gesprochen. Das habe ich j a hier auch nicht behauptet. Ich meine nur, daß die Wohngeldanpassung sachgerecht und bedarfsbezogen erfolgt ist. Wir werden auch in Zukunft Anhebungen des Wohngelds haben. Das Wohngeld ist und bleibt die Sicherung für ein soziales Mietrecht und für soziales Wohnen in der Bundesrepublik Deutschland. Dessen dürfen Sie sicher sein.
({0})
Aber, Herr Müntefering, Sie haben gesagt, durch das Bauherrenmodell werde eine Verdrängung der Mieter bewirkt. Was haben Sie denn dabei gemeint? Kein einziger Mieter wird dabei verdrängt. Soll ich Ihnen sagen, wodurch Mieter verdrängt werden?
({1})
Mieter werden durch Ihre unsolide Wohnungsbaupolitik in den 70er Jahren verdrängt.
({2})
Mieter werden durch die auslaufenden degressiv gestaffelten Zinsaufwendungsbeihilfen im sozialen Wohnungsbau verdrängt, weil die Kostenmiete so hoch ist, daß der arme Mann, der kleine Mann, der sozial zu schützende Mann sie nicht mehr zahlen
kann. Gehen Sie ins Ruhrgebiet; dann sehen Sie, wie dort die Leute massenweise aus den Sozialwohnungen ausziehen, die Sie gebaut haben, weil Sie sie unsolide, schlampig finanziert haben.
({3})
Das ist eine Erblast, die ich von Ihnen zu übernehmen habe. Es ist nicht so, daß ich das erst heute feststelle. Ich könnte viele Reden im Bundestag als Quelle dafür nachweisen, daß ich dies habe kommen sehen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sperling?
Danke sehr. Was der Herr Sperling zu fragen hat, hat er bereits im Sozialdemokratischen Pressedienst Wirtschaft vom 22. November mitgeteilt.
({0})
Die Bemerkungen dort sind so unsachlich, daß ich wenigstens in dieser Debatte eine weitere unsachliche Frage nicht mehr haben möchte.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf zu sprechen kommen, was das Sofortprogramm bewirkt hat. Das Sofortprogramm hat - das sei zugegeben - zunächst eine konjunkturpolitische, arbeitsmarktpolitische Zielsetzung gehabt, natürlich auch eine wohnungswirtschaftliche, wohnungspolitische. Aber der Erfolg dieses Sofortprogramms ist doch rundweg eingetreten. Meine Damen und Herren der Opposition, ich verstehe Ihre Kritik nicht. Ich lese Fachzeitungen, ich spreche mit Fachleuten, ich unterhalte mich mit den Repräsentanten der Verbände der Wohnungs- und Bauwirtschaft, ich spreche mit den Persönlichkeiten aus der Kreditwirtschaft. Sie alle bestätigen, daß dieses Sofortprogramm weit über die Annahmen hinaus seine arbeitsmarktpolitischen, konjunkturpolitischen Ziele in jeder Hinsicht erreicht hat.
Auf der anderen Seite wird beklagt, daß ich nicht bereits wiederum 3 Milliarden DM verkünden kann. Ich brauche keine weiteren Milliarden mehr, um den sozialen Wohnungsbau im ersten Programm zu fördern. Ich mache mich nicht schuldig, daß ich Leerstände fördere. Ich mache mich auch nicht schuldig, daß der Bund mehr Gelder ausgibt, während die Bundesländer ihre eigenen Leistungen auf diesem Gebiet senken. Aus diesen Gründen will ich sagen: keine weiteren Sofortprogramme, wie das Programm 1982 war. Im übrigen wird das Leistungsprogramm im sozialen Wohnungsbau im vollen Umfang erhalten. Dies steht auch in der Regierungserklärung vom 4. Mai.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haack?
Bitte, Herr Kollege Haack.
Herr Kollege Schneider, ich will nicht bestreiten, daß das Sofortprogramm gewirkt hat. Es war auch notwendig. Sind Sie aber bereit, wenigstens zuzugeben, daß bei der von Ihnen vorhin erwähnten verbesserten Baukonjunktur - Sie haben von 132 000 Bauarbeitern gesprochen, die nicht mehr arbeitslos sind - auch unsere Maßnahmen mitgewirkt haben, z. B. auch im Gewerbebau?
Herr Kollege Haack, eine neue Regierung übernimmt Positives und Negatives von der Vorgängerin. Ich habe auch Positives, aber leider viel mehr Negatives übernommen.
({0})
Was Ihre Frage angeht, will ich das gerne konzedieren.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage zu dieser Frage?
Für meinen verehrten Amtsvorgänger gerne, bitte.
Darf ich Sie dann wenigstens bitten, in Zukunft bei Ihren Reden darauf hinzuweisen, daß Sie auch etwas - wenig - Positives übernommen haben?
({0})
Herr Kollege Haack, in der Regel ist es nicht notwendig, daß eine Regierung die Taten der Vorgängerregierung preist. Das weiß das Volk selber.
({0})
Das Volk hat ein gutes Gedächtnis; und die Erinnerung an die alte Regierung ist eine schlechte.
({1})
Meine Damen und Herren, ein Wort, was die Konzeptionslosigkeit anlangt. Nichts ist so wenig gerechtfertigt wie diese Behauptung. Es gibt zwar im Bundesbauministerium im Augenblick keine ideologischen Brain-Trusts, weil wir nicht nach den Kategorien von Ideologien arbeiten,
({2})
sondern nach Grundsätzen, die einmal der Adam Riese aufgestellt hat, daß zwei mal zwei vier ist, daß man eine Mark nur einmal ausgeben kann, und weil wir nach Grundsätzen arbeiten, die in die Rahmenordnung unserer sozialen Marktwirtschaft passen. Auch das möchte ich klar feststellen: Die von mir zu verantwortende Bundeswohnungsbaupolitik
ist an den Zielen einer sozialen Wohnungsmarktwirtschaft ausgerichtet. Mit der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft sind wir gut gefahren.
Ich darf Ihnen sagen, wie die Neuregelung der Wohnungsbauförderung für den selbstnutzenden Bauherrn im Rahmen dieser Ordnungskriterien aussehen wird.
({3})
Es wird eine Anschlußregelung geben. Im übrigen bin ich, was das Ziel angeht, in dieser Auffassung vom Sachverständigenrat in vollem Umfange bestätigt worden.
({4})
- Hören Sie gut zu, Kollege Waltemathe. - Die Neuregelung muß den folgenden Anforderungen gerecht werden: Sie muß eine tragfähige Dauerlösung bieten, die an die Wirkungen der jetzigen Instrumente anschließt; sie muß für die Bezieher mittlerer Einkommen die hohen Anfangsbelastungen senken, die Eigentümer nach der Entschuldung nicht über Gebühr belasten, auch Familien mit Kindern den Weg zu Wohneigentum erleichtern, finanzpolitisch zu verkraften und verfahrensmäßig einfach zu handhaben sein. - Ich glaube, Sie werden sie rechtzeitig erhalten.
({5})
- Das sind die Leitlinien.
({6})
- Ich war noch konkreter. ({7})
Meine Damen und Herren, was die steuerliche Behandlung des Mietwohnungsbaues angeht: Über das Bauherrenmodell wurde sehr viel geredet, es wurde mehr gefaselt als geredet. Ich darf Ihnen sagen: Ich habe noch nie mein Geld in ein Bauherrenmodell gesteckt. Ich habe noch nie jemandem geraten, dies zu tun, weil ich mir der Risiken einer Kapitalanlage nach dem Bauherrenmodell voll bewußt bin.
({8})
Ich bin aber der Meinung: Nach dem Auslaufen der Mehrwertsteueroption, nach weiteren gesetzlichen Regelungen, nach dem Bauherrenerlaß von 1981 und nach den neuen steuerrechtlichen Regeln, die wir in diesen Tagen beschließen werden, ist eine Anlage nach dem Bauherrenmodell - das es ja als Modell gar nicht gibt - steuerrechtlich ganz und gar unproblematisch. Nur, eines möchte ich sagen: Wenn es nicht gelingt, den privaten Anleger für die Selbstnutzung und für den Mietwohnungsbau zu gewinnen, werden wir kein einziges wohnungspolitisches, wohnungswirtschaftliches Problem lösen können - mit gesteigerten öffentlichen Mitteln nicht.
({9})
Ein Wort zur Miete. Darauf mag ich mich gar nicht mehr lange einlassen. Noch niemals wurde eine solche Wahlkampagne geführt, die ja alle Anzeichen eines Exzesses hatte, in der von Mietsteigerungen um 30 %, 70 %, 100 % gesprochen worden ist. Es sah so aus, als würden Millionen Mieter aus ihren Wohnungen vertrieben.
({10})
Ich kann nur sagen: parturiunt montes - -, also: Berge lagen im Kreißen, ein Mäuschen wurde geboren.
({11})
Aus den 70 % Mietsteigerungen sind 4,2 % im Altbau geworden.
({12})
Nur im sozialen Mietwohnungsbau sind Steigerungen um 5 % - zum Teil bis zu 6 % - eingetreten, und zwar auf Grund von Gesetzen, die die alte Regierung zu verantworten hat.
({13})
Ich habe auf dem Deutschen Mietertag in Köln am 23. September Rede und Antwort gestanden. Als ich den Raum betreten habe, habe ich gesagt: Ich hoffe, daß ich körperlich heil und geistig bereichert wieder herauskomme.
({14})
Ich bin sogar beschenkt herausgekommen, weil mir eine Kollegin von den GRÜNEN ein Strichmännchen aus Zitronen dediziert hat. Ich muß sagen: Es waren gelbe Zitronen. Mein Kommentar dazu war: Die Farbe gelb ist bei Zitronen ein Zeichen der Reife. Wenn die GRÜNEN einmal gelb, also reif geworden sind, dann können wir auch miteinander über den Wohnungsbau reden.
({15})
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen. Die Mietrechtsnovelle war ein großer wohnungswirtschaftlicher Erfolg, gemessen an dem, was ich erwartet habe. Es war allerdings noch nicht die große oder letzte mietrechtliche Lösung.
({16})
Nur eines noch: Durch die Mietrechtsreform ist kein einziger Mieter vertrieben worden, und es gab auch nicht die Explosion der Mieten.
Nun noch ein Wort zur Zweiten Berechnungsverordnung. Darüber konnte man in diesen Tagen ja einiges lesen. Man muß nur wissen, was dahintersteckt. Das ist noch nicht einmal ein Mäuslein.
({17})
Es war der Wille aller wohnungswirtschaftlichen Verbände, aller Bundesländer - auch aller sozialdemokratisch regierten Bundesländer -, daß ich die Instandsetzungspauschale anhebe. Dies ist geschehen. Dann mußte ich noch, weil dies der Ort der
Regelung ist, eine Betriebskostenregelung für die Breitbandverkabelung mit aufnehmen.
({18})
Ich geriet in eine gewisse zeitliche Bedrängnis, weil der Bundesrat nicht mehr ausreichend Zeit hatte, dies zu beraten. Aus diesen Gründen und aus Respekt vor der Kammer „Bundesrat" habe ich mich bereit erklärt, dem Bundesrat die Zeit einzuräumen, dies noch ausreichend zu beraten. Deswegen wird die Zweite Berechnungsverordnung mit den dort zu regelnden Materien zum 1. Juli 1984 in Kraft treten. Sie können sich darauf verlassen.
({19})
Alles andere, was darüber geschrieben wird, was gemunkelt wird, was kommentiert wird, ist reine Spekulation.
Eine Schlußbemerkung zu dem Stichwort „keine Konzeption". Es war am Tag meiner Amtsübernahme, als ich erklärt habe: Ich möchte das deutsche Baurecht novellieren und ordnen. Ich habe angekündigt: Diese Bundesregierung wird den Entwurf eines Baugesetzbuches vorlegen. Sechs Arbeitsgruppen arbeiten bereits daran, und zwar nach einer Methode, die es bisher noch nicht gegeben hat. Ich habe mich bei den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden zu bedanken, daß sie nicht offizielle Vertreter, sondern Fachleute ihres Gebietes entsenden, die ausschließlich ihren Sachverstand zur Verfügung stellen, um in Arbeitsgruppen mitzuarbeiten. Diese Arbeitsgruppen werden Vorschläge machen, welche Bestimmungen überflüssig sind, welche anders gestaltet werden sollen, und auch sagen, wo etwas doppelt geregelt ist. Wir werden etwa im Mai 1984 damit fertig sein. Dann beginnen die normalen Arbeiten im Hause. Wir werden den Entwurf rechtzeitig vorlegen. Damit unternehmen wir den Versuch, das deutsche Baurecht zu kodifizieren. Dies ist sicherlich ein gewagtes und ein gewaltiges Unterfangen, aber wir werden dieses Werk vollenden. Ich bin ganz sicher, daß die Sozialdemokraten gar nicht umhinkommen werden - ({20})
- Auch das Planungsrecht. Ich meine die Materien, die jetzt im Bundesbaugesetz, im Städtebauförderungsgesetz und im Wohnungsmodernisierungsgesetz geregelt sind.
Wir werden ein Weiteres vorlegen, nämlich Vorschläge
({21})
zur Entrümpelung der Regelungsbereiche von bauwirtschaftlicher Bedeutung unterhalb der Gesetze. Wir werden dies in engem Zusammenwirken mit den Bundesländern tun, die ja bekanntlich für das Bauordnungsrecht zuständig sind. Wir werden Vorschläge vorlegen, die dazu führen werden, daß infolge von Rechtsbereinigung, Beschleunigung der Verfahren und größerer Übersichtlichkeit
({22})
die Baukosten bis zu 20 oder 30 % sinken. Wir werden die Bürgerbeteiligung nicht aufheben.
({23})
Wir werden rechtsstaatliche Grundsätze anwenden und der wirtschaftlichen Vernunft zum Siege verhelfen. Dabei gehen wir insbesondere davon aus, daß der mündige Bürger auch durch das Baurecht nicht entmündigt werden darf. Mehr Demokratie wagen heißt in diesem Verständnis, dem Bürger wieder das Recht einzuräumen. Aus der Eigentumsfreiheit folgt die Baufreiheit,
({24})
und aus der Baufreiheit muß eine Gesetzgebung erwachsen, die nur das regelt, was der Regelung bedarf, und dem Bürger die Fessel einer überbürokratischen Entmündigung nimmt.
({25})
Die Demokratie kann nicht nur dadurch Schaden nehmen, daß ihre Feinde zuviel Macht im Staat gewinnen; die Demokratie kann auch an einem Übermaß an Dirigismus, Bürokratie, Vorschriften, Erlassen und Richtlinien ersticken.
({26})
Diesen Erstickungstod möchten wir der Demokratie ersparen, deswegen ein neues Baurecht und eine Entrümpelung der überflüssigen baurechtlichen Bestimmungen!
Danke sehr.
({27})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe zuerst Art. 26 a des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 in der Ausschußfassung auf Drucksache 10/690 zur Abstimmung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr den Einzelplan 25 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - auf. Wer dem Einzelplan 25 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({0})
Enthaltungen? - Der Einzelplan 25 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
- Drucksachen 10/651, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Verheyen ({1}) Dr. Stavenhagen Grobecker
Hierzu liegen Änderungsanträge auf den Drucksachen 10/749, 10/781 und 10/782 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wird von einem der Berichterstatter das Wort gewünscht? - Dies ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stavenhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie hat nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß ein Volumen von 7 049 000 000 DM. Wir haben ihn gegenüber der Regierungsvorlage um 77 Millionen DM gekürzt. Zugleich gelang es aber im Zuge der Beratungen, drei Maßnahmen von hoher forschungspolitischer Bedeutung auf den Weg zu bringen.
Wir haben erstens das Nachwuchsprogramm der Großforschungszentren mit 12 Millionen DM ausgestattet, damit jährlich bis zu 200 Nachwuchswissenschaftler mit Promotion oder vergleichbarem Abschluß in den Großforschungseinrichtungen mit befristeten Arbeitsverträgen bis zu drei Jahren arbeiten können. Wir bieten damit qualifizierten Nachwuchswissenschaftlern eine Chance zu wissenschaftlicher Weiterentwicklung und leisten zugleich einen Beitrag zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der Forschung in den 80er Jahren.
({0})
- Herr Kollege, warum sind Sie nicht auf diese Idee gekommen, solange Sie regiert haben? Das müßte man hier einmal fragen.
({1})
Wir haben zweitens die Vorschläge der Bundesregierung für flexiblere Rahmenbedingungen in den Forschungseinrichtungen aufgegriffen und in wesentlichen Punkten noch ergänzt. So werden die Stellenpläne einiger wichtiger Forschungseinrichtungen in einem dreijährigen Modellversuch aus der starren haushaltsrechtlichen Verbindlichkeit herausgenommen. Das heißt, die parlamentarische Kontrolle über die Finanzen bleibt voll gewahrt. Es müssen aber nicht jedesmal Bund und alle Bundesländer mitberaten, wenn z. B. eine wissenschaftliche Hilfskraft eingestellt werden soll.
Wir haben einem fünfjährigen Modellversuch zugestimmt, der bei einigen Einrichtungen einen finanzneutralen Austausch zwischen den einzelnen Vergütungsgruppen bis zu 10 % des Stellensolls zuläßt. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß bisher die starren Laufbahnvorschriften des öfDr. Stavenhagen
fentlichen Dienstes eine sachgerechte Personal- und Aufgabenplanung in Forschungszentren erschweren.
Wir haben drittens die Forschungseinrichtungen von der sonst für 1984 geltenden halbjährigen Stellenbesetzungssperre ausgenommen. Eine solche Stellenbesetzungssperre wäre mobilitätsfeindlich und würde den Bemühungen des Forschungsministers um einen stärkeren Austausch zwischen Forschungszentren und Industrie entgegenzuwirken. Sie würde die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses verschlechtern und wichtige Aufbauaktivitäten verzögern.
Wissenschaftliche Forschung, technologische Entwicklung und Innovation sind entscheidend für die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit auch für Wachstum und Beschäftigung. Wir müssen - darauf hat der Bundeskanzler schon in seiner Regierungserklärung am 4. Mai hingewiesen - bei der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung Anschluß halten und den Anschluß zurückgewinnen, wo wir ihn verloren haben.
Eine wesentliche Aufgabe der Forschungs- und Technologiepolitik besteht darin, Bedingungen zu schaffen, daß auf den Märkten der Ideen und der Güter Initiativen freigesetzt werden. Verantwortungsfreude, Risikobereitschaft, Flexibilität und Kreativität müssen gefördert, Spitzenleistungen müssen belohnt werden. Nur in einem klaren ordnungspolitischen Rahmen ist eine erfolgreiche Forschungs- und Technologiepolitik, und damit auch ein effizienter Einsatz öffentlicher Mittel möglich.
Wir haben eine Reihe von Änderungsanträgen vorliegen. Die Fraktion der GRÜNEN hat einen Antrag vorgelegt, die Titel im Bereich der Kernenergieforschung und -technologie weitestgehend zu streichen. Das hätte die unverzügliche Entlassung von wenigstens 17 000 Personen zur Folge
({2})
und den völligen Verzicht auf technisches Wissen im Bereich der Kernenergie.
({3})
Die GRÜNEN haben in den Haushaltsberatungen darüber hinaus auch im Bereich der Kohleveredelung massive Kürzungen vorgeschlagen. Sie haben das als Sackgassen-Technologie bezeichnet. Sie verdammen also die technische Entwicklung im Bereich von Kernenergie und Kohle, ohne zu sagen, was statt dessen geschehen soll. In der Kohleveredelung wären 1 700 Arbeitsplätze von dieser Streichung betroffen.
Ein dritter Kürzungsantrag, der uns in der zweiten Lesung vorliegt, betrifft den Bereich der BioTechnologie. Auch hier fordern die GRÜNEN erhebliche Kürzungen. Prognosen gehen von Milliardenumsätzen in der Bio-Technologie schon in den 90er Jahren aus. Jede zehnte chemische Verbindung soll - so die Wissenschaftler - in Zukunft von Mikroben herzustellen sein. Forscher experimentieren mit Bakterien,
({4})
die Ölschlämme vertilgen und gegen Umweltkatastrophen zwischen dem Persischen Golf und den Atlantikküsten taugen sollen.
Die Forschungen der Forscher beschäftigen sich zur Zeit mit Pflanzen, die gegen bestimmte Schädlinge resistent sind. Man hofft, in der Zukunft Züchtungen erzeugen zu können, die auf trockenen oder salzigen Böden bestehen können. Damit wäre eine erfolgreiche Schlacht angefangen, den Hunger auf der Welt zu schlagen. Ich habe überhaupt kein Verständnis, daß man diese Chancen wissenschaftlichen Fortschrittes preisgeben will und nicht bereit ist, das Notwendige zu tun.
Mit der Gen-Technologie wird es vielleicht möglich sein, Insulin und Interferon, wichtige Wirkstoffe gegen schwere Krankheiten, preiswert und für jedermann erschwinglich herzustellen. Ich halte es für unerträglich, daß man solche Chancen nicht wahrnehmen will.
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN haben bei allem, was neu ist, zunächst einmal nur Horror-visionen. Nur kann man mit Horrorvisionen die Zukunft nicht bewältigen, und mit dem Zurück zur Gartenlaube wird man den Herausforderungen, die uns an der Wende ins nächste Jahrtausend gestellt sind, nicht gerecht.
({5})
Vielmehr brauchen wir ein gesellschaftliches Klima, das Fortschritt und Wachstum bejaht und in dem die Bedeutung zukunftsweisender Technologien für unsere Entwicklungen anerkannt wird. Das macht ein Umdenken und ein aktives Umsteuern erforderlich. Die Bundesregierung hat schon 1983 damit begonnen und setzt diese Politik im Haushalt 1984 fort. In diesem Sinne begrüßen wir die Absicht, verstärkt indirekte Instrumente zur Forschungsförderung einzusetzen, etwa im Rahmen des Programms externer Vertragsforschung bei der Förderung technologieorientierter Unternehmensgründungen oder bei der Wiedereinführung der Sonderabschreibungen auf Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen. Seit dem Regierungswechsel hat sich das Verhältnis der direkten zur indirekten Forschungsförderung von 4,3 : 1 auf 2,2 :1 zugunsten der indirekten Förderung verbessert. Im Forschungshaushalt schlägt sich dies einmal in der Ausweitung der Förderung der Vertragsforschung nieder. Die GRÜNEN haben im Ausschuß auch dagegen gestimmt, obwohl wir hier gerade die kleinen Firmen mit mehr Mitteln stärker fördern wollen, nämlich mit 40% statt bisher mit 30 % für Firmen mit bis zu 50 Millionen DM Jahresumsatz.
Wir haben den Technologietransfer vom Forschungsinstitut zur Industrie verbessert durch Unterstützung der personellen Mobilität, Qualifizie2954
rung von Nachwuchswissenschaftlern der Industrie in den Forschungseinrichtungen, wir haben den Modellversuch technologieorientierter Unternehmensgründungen mit 100 Millionen DM bis 1986 dotiert, und wir erhöhen die Mittel für die indirekt spezifische Förderung im Rahmen des Programms Fertigungstechnik.
Die direkte Projektförderung des Bundes wird schrittweise konzentriert auf Basistechnologien, auf Großprojekte sowie auf unbestrittene Bereiche staatlicher Zukunftsvorsorge, wie Sicherheits-, Umwelt-, Klima- und Gesundheitsforschung.
Die Sozialdemokraten haben sich bei den Beratungen im Haushaltsausschuß zu der Wiedereinführung der Sonderabschreibungen für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen kritisch geäußert. Diese Kritik ist unberechtigt; denn diese Sonderabschreibungen haben einen hohen Liquiditätseffekt für die begünstigten Unternehmen. Sie stellen damit eine wichtige Hilfe dar, unregelmäßig anfallende Investitionen im Bereich von Forschung und Entwicklung zu finanzieren.
({6})
- Herr Kollege, wenn Sie das nicht verstehen, tut es mir leid.
({7})
Aus Haushaltssicht spricht viel für Sonderabschreibungen; denn Sonderabschreibungen sind im Gegensatz zu dem Forschungsinstrument, das Sie immer verwandt haben, nicht für alle Zeit vergeben, sondern stellen eine Steuerstundung dar und kommen deswegen langfristig der öffentlichen Kasse wieder zugute.
({8})
Meine Damen und Herren, manchen Wende-Kritikern war die Wende in der Forschungspolitik nicht rasant genug. In der Jahreszeit, die wir jetzt haben, ist ein Vergleich mit dem Wintersport vielleicht zulässig, so daß ich sage, daß vor temporeichen Slalomfahrten in der Forschungspolitik dringend gewarnt werden muß. Wir haben vermieden - das ist wichtig -, begonnene Projekte abzubrechen, auch wenn wir sie aus heutiger Sicht nicht begonnen hätten. Augenmaß ist bei der Neuorientierung der Forschungspolitik geboten. Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Neuorientierung mit Nachdruck und mit Bereitschaft zu neuen Lösungen in einem geschlossenen Konzept weiter zu verfolgen. Wir werden das kritisch begleiten und darauf achten, daß das Geld des Steuerzahlers sparsam und effizient ausgegeben wird.
Da gilt nicht nur für die instrumentelle, sondern vor allem auch für die programmatische Seite. Schwerpunkte müssen in den Bereichen gesetzt werden, wo wir Spitzenleistungen erbringen können, wo sich Schlüsseltechnologien entwickeln oder wo wir Querschnittsaufgaben auf dem Gebiet staatlicher Verantwortung zu erfüllen haben. Mit dem
Haushalt 1984 setzt die Bundesregierung auch hier Akzente. Ich nenne die verstärkte Förderung der Biotechnologie oder der Fertigungstechnik; das sind Schlüsselbereiche des technischen Fortschritts.
Die Bundesregierung sollte darüber hinaus prüfen, wie sie Forschung und Technologie ohne direkten Einsatz öffentlicher Mittel im Forschungshaushalt noch stärker fördern kann, etwa durch umfassende und wirksame Entbürokratisierung der Forschungsverwaltung, durch Nutzung des öffentlichen Nachfragepotentials für innovative Beschaffungen und durch eine Änderung von Rechtsvorschriften, die der Einführung neuer Technologien hinderlich sind.
Zu den wichtigsten staatlichen Aufgaben gehört die Daseins- und Zukunftsvorsorge. Das Thema „Waldsterben und saurer Regen" zeigt heute jedermann, mit welchen Problemen wir hier fertigwerden müssen. Wir müssen lernen, mögliche Folgen zivilisatorischen Handelns frühzeitig zu erkennen.
({9})
Wir begrüßen, daß ein Umweltforschungsprogramm in Vorbereitung ist, in dem die ökologische Wirkungsforschung einen Schwerpunkt haben wird. Hier muß aufgeholt werden, was in der Vergangenheit versäumt worden ist.
Wichtige Maßnahmen sind bereits angelaufen, etwa das Symposium in der Kernforschungsanlage Jülich, das die Forschungsthemen zur Problematik des sauren Regens eingegrenzt hat. Seit Jahresmitte gibt es eine gemeinsame interministerielle Arbeitsgruppe von Bund und Ländern mit der Aufgabe, gemeinsames Vorgehen zu koordinieren. Auch die Europäische Gemeinschaft ist bereit, die Zusammenarbeit über die Grenzen hinaus in diesen Bereich zu intensivieren.
Seit Jahresbeginn 1983 ist die Forschungsförderung des Forschungsministers in diesem Bereich verstärkt worden. Auch im Jahr 1984 haben wir im Haushalt die Ansätze gegenüber der Regierungsvorlage im Bereich von Umwelt- und Klimaforschung noch einmal erhöhen können.
Wir wissen natürlich, daß Forschung und Technologie kein Allheilmittel gegen das Waldsterben sind. Aber hier geht es um eine von vielen politischen Maßnahmen, um mit diesen Problemen fertigzuwerden.
Uns liegt ein weiterer Antrag von der Fraktion der SPD zum Bereich Humanisierung der Arbeitswelt vor, der darauf abzielt, eine erhebliche Aufstockung vorzunehmen. Die Kollegen von der SPD geben die Argumente für die Ablehnung ihres Antrags in der Begründung gleich mit; denn sie sagen, dies sei eine Begleitmaßnahme zu dem von der SPD-Bundestagsfraktion vorgeschlagenen Konzept zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Just dieses Programm wollen wir nicht. Warum wir es nicht wollen, ist im Sachverständigengutachten 1984 überzeugend nachzulesen.
({10})
Die Kollegen schlagen uns vor, die Finanzierung durch Verzicht auf die Senkung der Unternehmenssteuern, durch Verzicht auf Steuervergünstigungen, durch Erhebung einer Ergänzungsabgabe und durch die Mehreinnahmen aus dem Bundesbankgewinn vorzunehmen. Just dies wollen wir nicht. Der Bundesbankgewinn dient zur Absenkung der Neuverschuldung.
({11})
Eine Bemerkung zu dem Programm „Humanisierung der Arbeitswelt". Wir haben dieses Programm auf drei Förderbereiche konzentriert: Schutz der Gesundheit durch Abwehr und Abbau von Belastungen, menschengerechte Anwendung neuer Technologien und Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen.
Bei dieser Straffung und Neuorientierung können wir mit den vorgesehenen Mitteln auskommen. Vieles von dem, was früher war - Verbesserung der Arbeitsorganisation zur Entfaltung der Persönlichkeit und lauter modischer Schnickschnack -, kommt allmählich aus dem Programm heraus. Das Programm hilft den Betroffenen, aber nicht den Soziologen, die die Arbeitswelt noch nie aus der Praxis kennengelernt haben.
({12})
Meine Damen und Herren, wir sind ein hochindustrialisiertes Land mit nur geringen Vorräten an Energie und Rohstoffen. Kreativität und Leistungsfähigkeit der Bürger sind das Kapital unserer Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb. Sinnvolle Nutzung dieses Kapitals im Bereich von Forschung und Entwicklung sichert unsere wirtschaftliche, soziale und politische Zukunft.
Wir unterstützen die Bundesregierung bei dieser Aufgabe. Das bisher Geleistete kann sich sehen lassen. Wir stimmen dem Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie zu.
({13})
Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne hat der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für das Flüchtlingswesen, Herr Poul Hartling, Platz genommen. Ich habe die Ehre, Sie, Herr Hoher Kommissar, im Deutschen Bundestag recht herzlich willkommen zu heißen.
({0})
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt, gute und erfolgreiche Gespräche in der Bundesrepublik Deutschland.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vosen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß mich schon wundern, Herr Stavenhagen, wie ruhig
Sie geworden sind. Dabei frage ich mich, ob das daran liegt, daß Sie jetzt ein paar Jahre älter sind als zu dem Zeitpunkt, als wir uns das letzte Mal hier ein bißchen unterhalten haben, oder ob das daran liegt, daß Sie jetzt die Regierung stellen. Es scheint doch wohl an letzterem zu liegen. Denn das letzte Mal waren Sie noch in der Opposition, und da war alles schlecht. Jetzt sind Sie in der Regierung, und da scheint alles gut zu sein, so daß Sie sich deswegen nicht mehr zu erregen brauchen.
({0})
Aber ich will nun versuchen, Ihnen das eine oder andere zu erklären, was Sie in einer gewißen Betriebsblindheit vielleicht nicht sehen und was vielleicht doch nicht so gut ist.
({1})
Ein Punkt, den ich nun direkt ansprechen möchte, ist wohl auch ein ideologischer Punkt, den Sie wohl auch in Ihren Parteiprogrammen haben, nämlich die Frage der direkten und indirekten Förderung von Forschung. Sie haben in Ihren Reden die direkte Forschungsförderung überall als etwas Negatives dargestellt, und die indirekte Forschungsförderung soll wohl der Stein des Weisen sein.
({2})
- Ja, richtig. Aber Sie betonen - Sie haben die Mittel ja auch entsprechend umgeschichtet -, daß die indirekte Förderung wohl der bessere Part sei.
Ich will Ihnen einmal kurz und klar vor Augen führen, weshalb wir die indirekte Forschungsförderung nicht gut finden, für die Sie die Mittel um 45 % auf insgesamt 1,7 Milliarden DM gesteigert haben. Wir finden sie deshalb nicht gut, weil wir glauben, daß kleine und mittlere Unternehmen, also wenn Sie so wollen, kapitalschwache Unternehmen, bei diesen indirekten Förderungsmöglichkeiten und -maßnahmen zu kurz kommen. Wir glauben, daß die Großindustrie hier mehr profitiert als die kleinere Industrie.
({3})
- Dazu kann ich Ihnen gleich etwas sagen. - Wir befürchten, daß wir erhebliche Mitnahmeeffekte erleben werden. Wenn Sie einmal ordentlich nachgeguckt hätten, dann hätten Sie festgestellt, daß es dazu schon seit Jahren, seit Mitte der 70er Jahre, Gutachten gibt,
({4})
die klar zu dem Ergebnis gekommen sind, daß Mitnahmeeffekte bei der indirekten Forschungsförderung in hohem Maße vorhanden sind. Ich glaube also, hier machen Sie ein Programm - wie vieles von dem, was Sie tun - zur Förderung des Großka2956
pitals und der Großindustrie in der Bundesrepublik Deutschland
({5})
und zu Lasten der kleinen Leute in diesem Staat wie auch der mittleren und kleinen Unternehmen.
({6})
- Herr Bugl, Sie sind ja in der Großindustrie beschäftigt, aber ich glaube nicht, daß das aus Ihrer Feder stammt. Ich traue das Ihnen, Ihnen persönlich, nicht zu.
Nun zum nächsten Punkt, zur direkten Förderung, die Sie mies machen: Einer, der da federführend tätig ist, ist ja wohl der Bundeskanzler. Herr Bundeskanzler Kohl hat sich dieser Tage der direkten Forschungsförderung intensiv bedient. Er konnte mit Spacelab ja nur telefonieren - auch Minister Riesenhuber -, weil Sozialdemokraten diese Projekte rechtzeitig mit direkter Forschungsförderung auf den Weg gebracht haben.
({7})
Minister Riesenhuber versteht es nun, die Popularität dieser Sache für sich in Anspruch zu nehmen; das gilt auch für den Bundeskanzler. Es war übrigens sehr wenig, was er gesagt hat: Wie geht's Ihnen und Ihrer Familie? Mehr ist dabei inhaltlich nicht herausgekommen; dieses Gespräch hätte man ja auch ein bißchen mit Inhalt füllen können. Aber die Popularität nutzt man halt, um auf der anderen Seite die direkte Forschungsförderung mies zu machen. Ich hätte an des Bundeskanzlers und des Ministers Stelle gleichzeitig mal gesagt - ich meine, das gehört da nicht hin, ich gebe das zu, aber dann an anderer Stelle -, daß die direkte Forschungsförderung ihm in der jüngsten Zeit doch sehr viel Popularität gebracht hat. Das gleiche gilt für die Inbetriebnahme des Hochtemperaturreaktors, wo es sich der Minister natürlich nicht nehmen läßt, auf den Knopf zu drücken, oder beim Growian, wo er auch die Inbetriebnahme vornimmt - alles öffentlichkeitswirksam!
({8})
- Die GRÜNEN wollen ja den Wind gern nutzen. Sie machen j a hier auch sehr viel Wind. Deswegen dachte ich, das mit der Growian würde sie erfreuen. Das alles sind Dinge, die in direkter Forschungsförderung gefördert wurden.
({9})
Ich meine also, Sie sollten nicht nur Kritik üben, sondern auch einmal positiv anerkennen, daß die direkte Forschungsförderung auch ihr Gutes hat.
Nun gibt es noch eine dritte Art der Förderung, nämlich die spezifisch indirekte Förderung. Davon ist hier gar nicht die Rede gewesen.
({10})
- Oder indirekt spezifisch, gut! Das alles haben Sie eingepackt in die indirekte Förderung. Diese Forschungsförderung wird von Ihnen - auch von uns
- befürwortet. Man sagt, man könne hier für die Mikroelektronik etwas tun, Sonderprogramme, Programme zur Entwicklung von Industrierobotern, Fertigungsrobotern. Dies alles machen Sie mit indirekter spezifischer Forschungsförderung.
Wenn man nun schon im Rahmen dieser Programme in den vergangenen und zukünftigen Jahren zusammen 800 Milliarden DM ausgeben wird, so gehört für uns als Sozialdemokraten dazu, daß man dabei die Humanisierung des Arbeitslebens nicht zu kurz kommen läßt. Wenn Sie schon alles mit Robotern, mit Mikroelektronik machen - wir wissen, wir müssen das, damit wir wettbewerbsfähig bleiben -, dann müssen Sie die Arbeitsplätze, die in dem Zusammenhang im Prinzip menschenunfreundlicher werden, ein wenig human gestalten.
({11})
Deswegen stellen wir unseren Antrag, eben dieses Programm von 100 Millionen DM um 24 Millionen DM auf 124 Millionen DM aufzustocken.
({12})
Wir glauben, daß die Humanisierung des Arbeitslebens dringend dazugehört und nicht ohne die betroffenen Arbeitnehmer durchgeführt werden kann. Ich glaube, die Arbeitnehmer, die Betriebsräte, aber auch die Unternehmer müssen da zusammenarbeiten. Hier handelt es sich nicht, wie Sie, Herr Stavenhagen, hier vorgetragen haben, um modischen Schnickschnack, sondern um eine wirklich dringend notwendige Sache. Erklären Sie doch bitte mal den Gewerkschaften draußen im Lande, daß Humanisierung des Arbeitslebens modischer Schnickschnack ist! Ich glaube, da werden Sie eine Menge Schwierigkeiten kriegen.
({13})
Wir haben zu dem Antrag, über den hier gleich abgestimmt werden wird, die entsprechenden Dekkungsvorschläge gemacht. Wir glauben, daß diese Deckungsvorschläge solide sind und daß Sie, wenn Sie wollten, Ihr Wort vom Schnickschnack korrigieren könnten, indem Sie unserem Erhöhungsantrag zustimmen.
Nun gibt es auch etwas für den Mittelstand. Sie sind ja so für die Förderung des Mittelstandes. Das geben Sie vor. Ich habe eben schon gesagt: Sie machen das für die Großindustrie. Kommen wir mal zum Personalkostenzuschußprogramm, welches ja auch ein indirektes spezifisches Programm ist. Hier sollen vor allem Forschungsvorhaben mittelständiVosen
scher Betriebe personalmäßig gefördert werden. Sie haben dieses Programm förmlich storniert. Sie haben ein paar Mark draufgelegt, aber das ist nicht der Rede wert.
({14})
1979 hatten wir 300 Millionen DM im Haushalt bei 4 800 Anträgen. Wir haben heute 8 200 Anträge, also fast eine Verdoppelung. Sie aber haben das Programm nur um insgesamt 20 Millionen DM ansteigen lassen. Den fast verdoppelten Anträgen steht also ein nur gering gewachsenes Volumen an Finanzmasse gegenüber. Dadurch schiebt man eine Riesenbugwelle vor sich her. Die mittelständische Wirtschaft kann also nur bedingt in den Genuß dieses Personalkostenzuschußprogramms kommen. Wir haben für die Aufstockung dieses Programms plädiert. Wir haben auch dafür plädiert, daß dieses Programm in die Zuständigkeit des Bundesforschungsministers kommen und nicht beim Bundeswirtschaftsminister bleiben soll. Daher wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie, Herr Minister, sich da einmal mit Ihrem Ministerkollegen Lambsdorff anlegten.
({15})
Allerdings müssen Sie sich da, glaube ich, beeilen, sonst ist er nicht mehr da, so wie die Sache aussieht. Vielleicht regelt es sich von alleine in der Übergangszeit. Insgesamt wäre es aber gut, wenn wir dieses Programm der Förderung von mittelständischen Betrieben zur Forschung in das Programm des Bundesforschungsministers hineinbekommen könnten. Es bleibt festzuhalten, daß Lambsdorff z. B. in Sonntagsreden die Förderung kleiner und mittlerer Betriebe verlangt, in Wirklichkeit aber den Versprechungen dieses Programms geldmäßig nicht gerecht wird.
Jetzt will ich noch ein paar Sachen zum Investitionsstau sagen. Es war ja wohl eine der größten Unwahrheiten, will ich mal sagen - man kann sogar sagen: Lügen -, daß auch im Wahlkampf von Investitionsstau gesprochen worden ist. Ich habe mich mit Vertretern von Kraftwerksbetreibern, mit Kraftwerkserbauern unterhalten. Seit zwei Jahren gibt es nachweislich in dieser Republik keinen Investitionsstau mehr. Alles das, was mal in den Ländern als Investitionsstau vorhanden war, ist seit zwei Jahren vorbei, zu unseren SPD-Zeiten, Herr Lenzer. Das Problem ist, daß Sie in die Schwierigkeit kommen werden, überhaupt noch neue Kernkraftwerke genehmigen zu können, weil die Elektrizitätsversorgungsunternehmen keines mehr bauen wollen, und zwar deswegen, weil die gar nicht mehr wissen, wohin mit dem vielen Strom. Deswegen wird aus der Sache Investitionsstau im Grunde genommen ein Vakuum. Da ist nichts mehr. Im Gegenteil. Die Industrie klagt und fragt: Was passiert nach 1989, wenn wir dort ohne jede Aufträge stehen und keine Kraftwerke mehr bauen können?
({16})
- Ihre Wachstumsraten leihen Sie sich mit 2 % aus Amerika, während die USA das Wachstum von 4 % mit 200 Milliarden US-Dollar kreditfinanziert haben. Den Amerikanern geht mit ihren Raketen finanziell bald die Puste aus, und dann befürchte ich für uns wirtschaftspolitisch allerdings Schlimmes.
({17})
- Ich glaube, die Sache in Brokdorf ist genehmigungsrechtlich abgefahren. Wir wollen nicht nachkarten. Die Sache ist, wenn Sie so wollen, planungstechnisch und bautechnisch und von der Finanzierungsseite her abgefahren. Da ist also mit einem Baustopp nichts mehr. Ich glaube, alles andere ist Sache der Betreiber und der Stromkunden, wie es da weitergeht.
({18})
Ich will noch eines sagen. Daß Sie zur Zeit Investitionsstau betreiben, will ich mal belegen. Sie haben eine Reihe von Techniken zur Verfügung, die die alte Bundesregierung noch mit finanziert hat, nämlich NOx-Techniken, Schwefeldioxidtechniken, entwickelte Techniken, die heute eingebaut werden könnten. Diese Techniken werden aber deswegen nicht eingebaut in die alten Kraftwerke, weil Ihre Haltung zu den Emissionswerten bei Schwefeldioxid und bei Stickoxiden unklar ist. Ich kann Ihnen sagen, daß die gesamte Kraftwerksindustrie mindestens bis Mitte nächsten Jahres gar nichts tun wird, um auf diesem Wege voranzukommen, weil die entsprechenden Vorschriften von Ihnen nicht gemacht worden sind.
({19})
Das hat Nachteile für die Arbeitsplätze, das hat Nachteile für die Umweltindustrie. Tausende von Arbeitsplätzen könnten dort geschaffen werden. Das hat Nachteile für das Ruhrgebiet, in dem j a viele Kraftwerke stehen; es ist eine alte Industrieregion. Sie machen neuerdings Investitionsstau. Bringen Sie Ihren Herrn Innenminister mal dazu, ein bißchen flotter zu arbeiten, aber nicht nur da, wo es darum geht, Bürgerrechte einzuschränken, sondern da, wo es darum geht, den Umweltschutz zu fördern. Da ist er sehr zurückhaltend. Auf diesem Gebiet sollten Sie mal ruhig ein bißchen Druck machen.
({20})
Außerdem, muß man ja auch mal sagen, fördern Sie das Ruhrgebiet in bezug auf Kohle und Stahl nicht mehr in diesem Maße. Sie nehmen dort mittelfristig 264 Milliarden, Entschuldigung: 264 Millionen DM zurück.
({21})
- Ich kann das schon mit den Nullen. Ich komme gleich noch einmal auf eine Null zurück, Herr Stavenhagen.
({22})
Das kann man auch personifizieren. Passen Sie da
auf. Es sind, das will ich noch einmal sagen, in der
mittelfristigen Finanzplanung 264 Millionen DM, die Sie für Kohle und Stahl zurücknehmen. Dazu sollten Sie sich bekennen. Sie können es j a durch den Minister gleich richtigstellen lassen. Der kommt ja noch und wird hier versuchen, das eine oder andere geradezubiegen.
Jetzt komme ich mal zu Ihrem Minister, wenn mir die Zeit noch bleibt. Ihr Minister hat da so einige Sachen zur Bewertung von Technologie und zur Technologiefolgenabschätzung gesagt. Er hat bei der Staatsbürgerlichen Vereinigung - das ist eine CDU-Bildungsgemeinschaft - im Dezember 1981 zur parlamentarischen Kontrolle von Forschungspolitik gesagt - ich darf es mal zitieren -:
Das Problem liegt darin, daß der Bundestag bis heute nicht imstande war, sich Instrumente zu schaffen, die auch nur einigermaßen angemessen sind. Die Instrumente des Parlaments sind aber geradezu grotesk und ungenügend. Der Forschungsausschuß hat seinen Sekretär, das Parlament insgesamt den Wissenschaftlichen Dienst. Fünf Mitarbeiter sind dort für das gesamte Parlament zuständig.
Das haben Sie in der Opposition beklagt. Nun werden Sie sagen: Das hättet ihr ja ändern können, als ihr an der Regierung wart.
({23})
- Herr Lenzer, einverstanden. Ich habe es bedauert, daß wir da nicht gemeinsam vorangekommen sind. Aber jetzt ändern Sie es doch mal. Wir warten auf Ihre Initiative.
({24})
Zur Mikroelektronik will ich noch eines sagen, da wird ja auch manches gefordert. Ich fordere den Minister auf, einmal Farbe zu bekennen und sich bei seinen konservativen Kollegen im Parlament einmal unbeliebt zu machen. Er weiß doch als Forschungsminister, wie negativ die Beschäftigungseffekte durch die Einführung neuer moderner Techniken, Mikroelektronik, Automaten und vielem anderen mehr sind. Wenn er es nicht aus der Prognose weiß, dann müßte er es aus der Vergangenheit, aus der empirischen Entwicklung wissen. Herr Riesenhuber, ich fordere Sie auf, Farbe zu bekennen. Sie wissen, das zwischen 500 000 und 2 Millionen Arbeitsplätze flöten gehen bis 1990. Alles andere ist Augenwischerei. Irgendwo dazwischen liegt es.
({25})
Sagen Sie das dem Parlament, und plädieren Sie letztlich und endlich auch für die Verkürzung der Arbeitszeit. Unterstützen Sie einmal die Arbeitnehmer und nicht nur die Unternehmer.
({26})
Ich komme zum Ende, hier leuchtet es auf. Ich habe hier zwei Zitate des Herrn Ministers. Ich zitiere - mit Genehmigung -:
Forschungspolitik muß daher ohne Dogmatik betrieben werden als ein Prozeß, der sich auf der Suche nach Fortschritt immer wieder selbst kontrolliert.
Ein zweites Zitat:
Grundlagenforschung braucht auch den Platz für den genialen Spinner.
({27})
Zu den beiden Zitaten, die aus den erwähnten Reden stammen, möchte ich zwei Ermahnungen geben. Zum ersten Zitat: Machen Sie aus indirekter, direkter und spezifisch indirekter Forschungsförderung kein Dogma. Seien Sie kein Dogmatiker. Zum zweiten Zitat - „Grundlagenforschung braucht auch den Platz für den genialen Spinner" -: Stoppen Sie den genialen Spinner, der Sie zur Herausgabe eines Interviews beraten hat, auf Staatskosten, 24 Seiten, auf denen zwölfmal Riesenhuber im Bild erscheint.
({28})
Herr Abgeordneter - - Vosen ({0}): Letzter Satz.
Ich zitiere den Herrn Stavenhagen von eben. Sie haben gesagt, wir wollen darauf achten, daß das Geld des Steuerzahlers sinnvoll ausgegeben wird. Ich stelle fest: Das war alles andere als sinnvoll. Es war die Arbeit eines Spinners.
({1})
Das Wort hat Herr Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Vosen, es war natürlich genüßlich, Ihnen zuzuhören. Ich bin überrascht, wie schnell Sie Ihre Betriebsblindheit abgelegt haben. Aber andererseits hatten Sie offenbar auch das Bedürfnis, hier einen gewissen Stau abzureagieren. Mich hat besonders beeindruckt, daß Sie gesagt haben, Sie könnten mit Nullen umgehen, wobei Sie offengelassen haben, ob Sie die Nullen vor oder hinter dem Komma meinen oder ob Sie andere Nullen meinen. Ich weiß j a nicht, mit wem Sie ansonsten umgehen.
({0})
- Ich habe das Beispiel von den Nullen ja nicht gebracht.
Wir haben hier über den Einzelplan 30 des Haushalts zu diskutieren. Aber ich möchte mir erlauben, zunächst auch auf etwas anderes hinzuweisen. Wir sind in der Gefahr, daß wir bei der Diskussion von Einzelplänen die Diskussion um Forschung verkürDr.-Ing. Laermann
zen auf Naturwissenschaft und Technik oder Technologie alleine.
({1})
Ich möchte feststellen, daß auch die Geisteswissenschaften ihren Platz und ihre Bedeutung in der Forschungs- und Wissenschaftslandschaft haben.
({2})
Natürlich bestehen keine Zweifel daran, daß die staatliche Forschungspolitik in starkem Maße orientiert ist auf die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit, auf die Förderung und Beschleunigung des Strukturwandels und die Stärkung der Innovationsfähigkeit und damit auf die Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze. Aber ich darf vielleicht gerade als Ingenieur hier sagen, daß auch festzustellen ist, daß die Zeiten längst vorbei sind, wo man glauben konnte, Naturwissenschaften und Technik allein seien in der Lage, die Probleme der Menschheit zu lösen.
({3})
- Es ist behauptet worden. Ich möchte nur feststellen, daß nach unserem liberalen Verständnis dies allein nicht ausreicht.
Hier wird von der Wende in der Forschungspolitik gesprochen,
({4})
und es wird gefragt: Wo ist die Wende? Nun muß man feststellen: Bei der Wende muß man immer mit der Nase durch den Wind. Bei einer kleinen Jolle ist das ganz schnell zu machen; da kann man das Steuer fix legen.
({5})
Aber der Staatsapparat gleicht doch mehr einem satten Vollschiff. Da läßt sich das Ding nur langsam und träge durch den Wind bringen. Auch ich wünsche mir, daß es etwas schneller ginge.
({6})
Aber gerade in der Exekution, verehrter Herr Kollege Steger, der Forschungs- und Technologiepolitik kann und darf es keine Stop-and-go-Aktionen geben. Hier ist Kontinuität in Richtung auf die Zielvorgaben das allein Vertretbare.
Und ich stelle hier für meine Fraktion fest: Die Zielvorgaben des Forschungsministers sind richtig. Sie entsprechen unseren liberalen Vorstellungen, die wir - und dafür, verehrte Kollegen, verbürge ich mich mit meiner Person - seit mehr als einem Jahrzehnt auch in der sozialliberalen Koalition vertreten haben.
({7})
- Sie sind im Prinzip die gleichen, Herr Kollege Steger. Und Sie wissen ganz genau, daß wir der Auffassung sind und sie auch nachdrücklich vertreten, daß die Grundlagenforschung die Voraussetzungen für die Technologie von morgen schafft und daß die Technologie von morgen die Voraussetzung für Arbeitsplätze und unsere wirtschaftliche Existenz von übermorgen ist.
({8})
- Ach, ich höre immer „wegrationalisieren". Darüber haben wir schon einmal zu einem anderen Zeitpunkt hier gesprochen. Wir werden sicher Gelegenheit haben, dieses Thema einmal ausführlich auszudiskutieren, um mit gewissen Vorurteilen aufzuräumen.
({9})
Wir sind auch der Auffassung, daß die direkte Projektförderung - und dies entspricht den Vorstellungen des Forschungsministers - nach wie vor bei den unbestrittenen Aufgaben staatlicher Zukunftsvorsorge eingesetzt werden muß. Ich nenne das Beispiel Lebenswissenschaft - Umwelt, Gesundheit. Herr Vosen, hier hat bisher niemand davon geredet, daß die direkte Forschungsförderung abgeschafft werden soll, besonders wir haben dies überhaupt nie behauptet. Die direkte Forschungsförderung hat dort ihren Platz, wo es im Hinblick auf langfristige Daseinsvorsorge gilt, neuen technischen Entwicklungen zum Durchbruch zu verhelfen, wenn Risiko und Marktferne zu groß sind, um damit Industrie und Wirtschaft zu belasten. Aber in Zukunft muß hier eine Verzettelung in viele tausend Einzelprojekte vermieden werden, müssen im Hinblick auf die knappen finanziellen Ressourcen der öffentlichen Hand die ungeheueren und nicht zu verantwortenden Reibungsverluste durch ein Übermaß an Bürokratie vermieden werden. Herr Vosen, dies müssen wir einmal sagen: daß im Bereich der Projektförderung ein Löwenanteil der finanziellen Mittel in Großunternehmen gegangen ist und die kleinen einen unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand zu betreiben und mit vielen Schwierigkeiten in der Bürokratie zu kämpfen hatten, um an die finanziellen Förderungsmittel heranzukommen. Darüber haben wir oft genug diskutiert. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, daß dies nicht mehr vertretbar ist.
({10})
Hier möchte ich den Forschungsminister nachdrücklich ermuntern, den Spielraum auszuschöpfen, den ihm die Haushaltsgesetze und der Rechnungshof lassen. Ich bin der Auffassung, daß hier noch einiges erledigt werden muß.
Herr Kollege Vosen!
Bitte sehr.
Herr Laermann, befürchten Sie denn nicht, daß auch die Möglichkeit der Sonderabschreibungen, die Sie jetzt vorsehen, zu Mißbräuchen führt und letztlich nicht kleine Unternehmen davon betroffen sind, sondern die Großindustrie?
({0})
In der Abwägung, Herr Kollege Vosen, darf ich vielleicht erst in meinen Ausführungen fortfahren und dann Ihre Frage beantworten.
({0})
Wenn wir, die FDP, seit vielen Jahren fordern, wieder stärker zur indirekten Forschungs- und Entwicklungsförderung zu kommen, so haben wir dabei nie - ich betone: nie - daran gedacht, dafür die direkte Förderung gänzlich abzuschaffen.
({1})
Aber im marktnahen Bereich und besonders für die kleinen und mittleren Unternehmen, von denen die stärksten Impulse zum Strukturwandel unserer Volkswirtschaft ausgehen und die die größte Innovationsfähigkeit aufweisen,
({2})
gilt, daß die an den Wirtschaftsprozessen Beteiligten besser als noch soviel Ministerialbürokratie in der Lage sind, hier Möglichkeiten und Chancen neuer Entwicklungen zu beurteilen.
({3})
Deshalb sind Maßnahmen der indirekten Forschungs- und Entwicklungsförderung und eine Umsteuerung auf diese unverzichtbar. Dazu gehören nicht nur Abschreibungen - verehrte Kollegen, nehmen Sie das bitte zur Kenntnis - und Zulagen, wie etwa die Personalkostenzulage.
({4})
Auch uns tut es weh, daß die Haushälter gekürzt haben. Sie wissen ganz genau, daß ich mich im Ausschuß dafür verwendet habe, daß der alte Haushaltsansatz wieder hergestellt wird. Wollen wir doch hier einmal feststellen, wie das ausgegangen ist.
({5})
Es gibt Zuschüsse - hier sind einige Beispiele genannt worden -, wie z. B. zur externen Vertragsforschung. Wir sind auch der Auffassung, daß erhöhte Abschreibungen dort einen Sinn machen, wo die Ertragslage des Unternehmens das hergibt, und daß Zuschüsse und Beihilfen dort anzusiedeln sind, und zwar nach der Entscheidung des Unternehmens, wo die Ertragslage dies erforderlich macht.
Herr Abgeordneter Laermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?
Herr Kollege Stahl, meine Redezeit geht ganz schnell zu Ende.
Es soll ganz schnell gehen, Herr Kollege Laermann. - Ist es richtig, daß Sie sagen, Sie bedauern, daß der Haushaltsausschuß die 20 Millionen DM Personalkostenzulage gekürzt hat? Dies ist doch nicht der entscheidende Punkt.
Der entscheidende Punkt ist, daß die Bundesregierung weiß, daß ein unwahrscheinlicher Stau von Anträgen aus dem Bereich der kleinen und mittelständischen Unternehmen da ist, die nicht bedient werden können, und daß der Forschungsminister nicht in der Lage war, sich dem Wirtschaftsminister gegenüber durchzusetzen. Würden Sie dem zustimmen?
({0})
Ein Vorspann, der nicht mit einer Frage beginnt, sondern nur im letzten Halbsatz mit einer Frage endet, entspricht nicht genau den Vorstellungen der Geschäftsordnung.
({0})
Herr Kollege Stahl, lassen Sie uns das Instrument der indirekten Forschungs- und Entwicklungsförderung hier nur spielen. Sie dürfen sicher sein, daß es nach unseren ordnungs- und marktpolitischen Vorstellungen schon zu einer Förderung der Forschung und Entwicklung gerade im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen kommt.
Dazu gehören, Herr Kollege Stahl, nicht nur die Förderungsmaßnahmen, die sich unmittelbar in Geld auswirken, sondern dazu gehört auch, daß wir auch im politischen Bereich dem Produktionsfaktor Information und der Verfügbarmachung dieses Produktionsfaktors und der Verfügbarmachung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen mehr Beachtung schenken. Ich halte es für eine der wichtigsten derzeitigen Aufgaben in der Forschungspolitik, daß wir die Nahtstelle zwischen Forschung und Entwicklung und der Umsetzung in das ökonomische Nutzen der Forschungsergebnisse überbrükken.
({0})
Wir haben eine Fülle von Ergebnissen. Die müssen an den Mann gebracht werden. Das ist der Punkt.
({1})
Dazu gehört - auch das ist im Haushalt des Forschungsministers enthalten - die Verbesserung der Mobilität der in Wissenschaft und technischer Entwicklung Tätigen.
({2})
Dies ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Denn Erkenntnisse können Sie nicht nur über Datenträger irgendwelcher Art übermitteln, sondern der Transfer erfolgt am wirkungsvollsten und am schnellsten über Köpfe. Dafür schafft der Ansatz im Haushalt die notwendigen Voraussetzungen.
Wir sind der Auffassung, daß diese Ansätze gut sind. Wir hoffen, daß es in dieser Richtung weitergeht, und werden unsere politische Unterstützung für diese weitere Entwicklung zusagen und dem Haushalt zustimmen.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Bard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Das Tor zur Zukunft steht weit offen", sagte einmal ein berühmter Bundeskanzler in seiner berühmten Regierungserklärung. Das Ministerium für Forschung und Technologie dagegen, eigentlich mit zuständig für die Gestaltung unserer Zukunft, krebst an der Kellertür herum und versucht uns mit diesem Haushalt Dinosaurier als Zukunftsprogramm zu verkaufen, wie es übrigens auch die letzte Regierung gemacht hat.
({0})
- „Blöde Sprüche", das ist das, was Ihnen dazu einfällt.
Ich will nichts zur direkten und indirekten Förderung sagen. Bevor wir uns über das Wie unterhalten, sollten wir vielleicht über die Inhalte der Forschungspolitik reden.
({1})
Nach wie vor ist über ein Viertel der in diesem Haushalt insgesamt veranschlagten 7 Milliarden DM für die Atomenergie vorgesehen; in diesem Haushalt sollen es auch wieder über 2 Milliarden DM werden. Hauptbrocken - das ist nach den Vorstellungen des Ministeriums der Clou der Geschichte - sind der Hochtemperaturreaktor und der Schnelle Brüter als Motoren für die weitere Energiegewinnung. Jedem ist klar, daß diese beiden Reaktortypen angesichts der bestehenden Überkapazitäten für die Sicherung der Energieversorgung überflüssig sind. Sie sind nur noch gefährliche, teure Sackgassentechnologien.
({2})
Sie wissen genau, daß unser heutiger Energieverbrauch bei weitem nicht die Prognosen, die damals zu diesen Reaktortypen führten, erreicht hat; denn wir liegen heute wieder bei dem Verbrauch von 1975.
({3})
- Ich glaube auch nicht, daß der Energieverbrauch mit dem Wirtschaftswachstum - wenn es je eintreten sollte - steigen würde.
Die Entwicklung des Hochtemperaturreaktors wird inzwischen weltweit kaum noch weiterverfolgt. Von den sechs Energieunternehmen, die ursprünglich beteiligt waren, sind inzwischen drei wieder ausgesteigen. Der Hochtemperaturreaktor weist spezifische Sicherheitsprobleme auf, z. B. durch die starke Werkstoffbelastung. Die sogenannte Entsorgung erfordert noch eine eigene, überhaupt nicht vorhandene Technologie. Daneben ist auch noch nicht klar, ob für die Prozeßwärme, die dieser Reaktortyp liefert, überhaupt ein Bedarf besteht. Trotzdem werden in dem Haushalt 260 Millionen DM dafür veranschlagt.
({4})
- Für diesen Reaktortyp.
Beim Schnellen Brüter werden die Probleme der Atomenergie noch auf die Spitze getrieben. Unfallauswirkungen, die beim Schnellen Brüter möglich sind, stellen das, was von den bisherigen Reaktortypen bekannt ist, noch weit in den Schatten. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß solche Unfälle passieren, ist völlig ungeklärt. In ökonomischer Hinsicht ist der Schnelle Brüter auch nicht mehr attraktiv. Die entsprechenden Unternehmen mußten von unserem Minister fast zur finanziellen Beteiligung geprügelt werden.
({5})
Aber aus militärischer Sicht ist der Brüter der ideale Zweitreaktor, da während der Stromerzeugung im Brutmantel erstklassiges waffenfähiges Plutonium produziert wird.
Weiterhin weist die Entsorgung des Brüters zusätzlich zu allgemein ungelösten Entsorgungsproblemen spezielle Risiken und technische Schwierigkeiten auf. Es entstehen Schwierigkeiten beim Hantieren mit den Brennelementen bei der Wiederaufarbeitung. Die radioaktiven Abfälle weisen gegenüber denen des Leichtwasserreaktors eine höhere Langzeitgefährlichkeit auf. Bisher wurden in der Bundesrepublik 6 Milliarden DM in dieses Projekt gesteckt. Das Ergebnis ist an Hand der formulierten Ziele jämmerlich. Abgesehen von einer kleinen Versuchsanlage steht nur die halbfertige und technisch bereits veraltete Ruine in Kalkar. Hier muß endgültig ein Schlußstrich gezogen werden. In dieses nutzlose, gefährliche Faß ohne Boden dürfen nicht noch weitere 400 Millionen DM, wie geplant, hineingeworfen werden.
({6})
Von allen vorgebrachten Gründen für den Schnellen Brüter bleibt für mich nur einer real: die Produktion von Plutonium. Ich möchte den Verteidigungsminister bitten, die Bundesregierung zu veranlassen, dieses Projekt nicht in den Forschungshaushalt einzustellen. Dieses Projekt gehört vielmehr, wenn überhaupt, in den Verteidigungshaushalt.
({7})
- Da werden wir ihn auch noch ablehnen.
Schließlich können wir auch die sogenannte Entsorgung, wie sie heute betrieben wird, nicht akzeptieren. Hinter den entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten steht überhaupt nicht die Sorge um eine sichere Behandlung und Lagerung des vorhandenen Atommüllmaterials, sondern es wird versucht, beim Bau von Wiederaufarbeitungsanlagen und riesigen Endlagern ein Vielfaches der bisher anfallenden Kapazitätsvorstellungen zugrunde zu legen, um so die Weichen für ein zukünftiges Atomprogramm zu stellen. Und dabei wird der Öffentlichkeit noch vorgegaukelt, diese Probleme seien gelöst, und Entsorgung stelle kein Hindernis mehr für den Ausbau dar.
Der erste und wichtigste Schritt der Entsorgung muß die endgültige Stillegung der Atomkraftwerke sein.
({8})
Dann würden auch wir bereit sein, Forschungsvorhaben zur möglichst sicheren Behandlung und Lagerung bereits bestehenden Atommülls mitzutragen, auch wenn wir für das bisherige Desaster keine Verantwortung haben.
({9})
- Wir haben genügend Vorstellungen, wie wir Arbeitslose unterbringen könnten - und das mit lange nicht so kapitalintensiven Investitionen wie die Atomkraftwerke.
({10})
Auf eines möchte ich noch hinweisen, damit niemand von der Regierungskoalition auf den Gedanken kommt, mit durch Entscheidungen der alten Regierung hervorgerufenen Sachzwängen zu argumentieren. Der Minister Riesenhuber plant inzwischen einen neuen Riesenschritt in dieselbe Sackgasse. Anvisiert wird die Spallationsneutronenquelle in Jülich. Kosten: über 1 Milliarde DM. Die Spallationsneutronenquelle ist keinesfalls harmlose Grundlagenforschung. Das geht aus einer neueren Veröffentlichung von Professor Harms aus Kanada und Professor Heidler aus Graz hervor. Das können Sie nachlesen. Die beweisen genau das Gegenteil. Es geht um einen integrierten Baustein in dem Kernenergie-Brennstoff-Kreislauf. Die Spallationsneutronenquelle ist als Teilprojekt in der Plutoniumwirtschaft anzusehen. Leider ist die Atomenergie nicht der einzige Bereich, in dem riesige Summen für sinnlose, schädliche Projekte ausgegeben werden sollen. Ich kann jetzt nicht weiter darauf eingehen. Es gibt da noch einiges mehr.
Ich möchte nur noch eines erwähnen, was ich wichtig finde, nachdem Herr Stavenhagen offensichtlich Biotechnologie und Gentechnologie nicht auseinanderhalten kann. Es gibt zwar in diesem Haushalt nur einen auf den ersten Blick harmlos aussehenden Betrag von etwa 33 Millionen DM für die Gentechnologie, aber weil diese Technologie billig ist, bedeutet das einen massiven Schub in diese Richtung. Wir halten diese Technologie für mindestens ebenso gefährlich wie die Atomenergie. Sie ist technisch nicht beherrschbar, politisch nicht kontrollierbar. Sie hat gefährliche Konsequenzen, und es gibt ethische Bedenken. Das sollten Sie eigentlich wissen, falls Sie noch einige Christen in Ihren Reihen oder sonstwo treffen. Das harte Eingreifen in Erbsubstanzen bei Mensch, Tier und Pflanze stellt eine solche Möglichkeit dar, daß man politisch darüber diskutieren muß, daß die ethischen Bedenken auf den Tisch kommen müssen. Wir sind der Meinung, daß das nicht erlaubt gehört. Wir sind der Meinung, daß hier zumindest nicht klammheimlich durch wissenschaftliche Entwicklungen Fakten geschaffen werden dürfen, der Art, daß die Betroffenen nachher keine Chancen mehr haben, das zu verhindern.
Der vorliegende Haushalt ist in doppelter Weise schädlich: Er finanziert gefährliche Technologien, und er verhindert - und jetzt komme ich zu den Arbeitsplätzen - die Technologien, die fortschrittlich und zukunftweisend sind. Davon gibt es eine ganze Reihe. Wir haben eine Menge Vorschläge gemacht.
({11})
Wir werden dem Änderungsantrag der SPD unter der Maßgabe zustimmen, daß jede Technologie auf sozialökologische Vertretbarkeit hin entwickelt bzw. untersucht wird.
({12})
Wenn unter diesen Gesichtspunkten auch mit dem Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens verfahren wird, was bisher oft nicht der Fall gewesen ist, würden auch wir diesem Antrag zustimmen können. Wir stellen uns vor, daß mit den Ansätzen, die da sind, weiter gearbeitet wird. Allerdings können alternative Techniken - und das ist das Problem bei GROWIAN - nicht einfach von den bisherigen Großforschungseinrichtungen übernommen werden. Geschieht das, kommt eben so etwas Sinnloses wie GROWIAN heraus.
({13})
Es gibt aber genügend Ansätze, die zeigen, daß so etwas durchaus möglich ist. Wir wünschen uns eine Förderung in dieser Richtung.
Das, was hier vorliegt, ist ein Katastrophenweg, den wir nicht mitgehen können. Sie werden das auch nur gegen unsere Stimme verabschieden können.
({14})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich folge sehr gern dem Vorschlag von Frau Dr. Bard, der Vorsitzenden in unserem Forschungsausschuß, zuerst einmal über das zu sprechen, was wir tun, und dann darüber, wie wir es tun. Dazu möchte ich an den Punkten anknüpfen, die Sie, Frau Kollegin, hier vorgetragen haben.
Sie fragen: Wo haben wir hier die großen Beträge? Ich möchte die ergänzende Frage stellen: Wo haben wir die großen Zuwächse? Beides sind interessante Fragen. Wenn wir hier über die von Ihnen angesprochenen Technologien zum Hochtemperaturreaktor und zum Schnellen Brüter sprechen, müssen wir uns bewußt sein, daß dies die Bereiche sind, die im Haushalt in den kommenden Jahren stärker als alle anderen Positionen abschmelzen werden.
Das wird deshalb geschehen, weil wir einen Weg gefunden haben, bei dem wir zuversichtlich hoffen, daß die Kosten- und Zeitpläne unter Kontrolle bleiben. Die Erfahrungen des letzten Jahres sprechen dafür.
({0})
Das heißt, wir können jetzt mit einigermaßen vernünftigen Kosten rechnen, und zwar nicht deshalb, weil der Forschungsminister - ich glaube, ich sagte es schon einmal - genial administriert, sondern weil die Wirtschaft selbst für ihr eigenes Geld kämpft. Das ist das einzige Mittel, das zuverlässiger zur Erhaltung des Kostenplans führt als die beste Administration.
({1})
Jetzt stellt sich die zweite Frage: Hätten wir das Recht gehabt, diese Reaktoren aufzugeben? Beim Hochtemperaturreaktor sind wir soweit, daß er in den letzten Wochen kritisch wurde, d. h. er ist praktisch fertig.
({2})
- Frau Kollegin, ich spreche gerade vom Hochtemperaturreaktor. Wenn Sie von unserer Pflicht sprechen, dann stellt sich die Frage, ob der mögliche Nutzen den möglichen Schaden überwiegt. Das ist j a die These, die auch die Frau Vorsitzende vorgetragen hat.
Hier muß ich wirklich eines sagen: In den Diskussionen der letzten Jahre wurde immer vorgetragen, daß der Hochtemperaturreaktor Sicherheitsstrategien eröffnet, die mit anderen Reaktoren in dieser Weise nicht erreicht werden können. Er bietet die Möglichkeit an, Kohle zu veredeln, d. h. Brennstoffe zu nutzen, die in der alten Form nicht genutzt werden können. Das bedeutet, daß der Hochtemperaturreaktor eine Vielzahl von völlig neuen technologischen Möglichkeiten in einer Verbundwirtschaft von Kohle und Kernenergie oder auch von Kernenergie und Schwerstölen eröffnet und damit Ressourcen nutzt, die knapp werden.
Jetzt frage ich mich: Ist es verantwortlich, eine solche Technik, die praktisch fertig ist, aufzugeben? Ich sage: Dies ist nicht verantwortlich.
Gnädige Frau, Sie sagten, wir hätten eine Reihe von EVUs nicht mehr dabei. Frau Kollegin, hier ist die entscheidende Frage: Was ist die Aufgabe des Staates? Die Aufgabe des Staates bei langfristigen Technologien ist es durchaus, die Wirtschaft soweit wie möglich ins Boot zu bekommen. Aber der Staat kann seine Aufgabe, für neue Technologien langfristig vorzusorgen, nicht von den kurzfristigen Unternehmensplanungen einzelner Firmen abhängig machen. Deshalb halten wir solche Technologien durch. Ich halte dies für richtig, und ich stehe dazu.
({3})
Frau Kollegin, ich möchte ein zweites Beispiel der von Ihnen so bezeichneten „Sackgassentechnologien" aufgreifen, um zu verdeutlichen, wie wir in
Zusammenhängen diskutieren müssen. Wenn Sie hier über die Kerntechnik schlechthin sprechen und sagen, als Sackgassentechnologie müsse sie abgestellt werden, dann muß ich darauf hinweisen, daß bis jetzt die Frage wirklich unbeantwortet ist, wie auf längere Frist weltweit der Energiebedarf auch einer wachsenden Bevölkerung befriedigt werden kann.
({4})
Wir können hier überleben. Wir haben, wenn wir keine Kernkraft einsetzen, immer noch das Geld, unseren Strom mit Ö1 oder Importkohle und dergleichen zu erzeugen.
({5})
Wenn wir und die anderen Industrienationen das fortsetzen, ist die einzige Folge, daß wir den Entwicklungsländern knapper werdende fossile Energien wegkaufen, so daß die Entwicklungsländer keine Chancen zur Entwicklung haben. Dies halte ich für eine unverantwortliche Strategie. Deshalb müssen wir es im Zusammenhang diskutieren.
({6})
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen. Frau Vorsitzende, wir können es hier wirklich nicht ausdiskutieren, aber ich stehe Ihnen gern einmal für eine Diskussion über die Spallations-Neutronenquelle zur Verfügung. Die Spallations-Neutronenquelle ist in der Tat nicht vor allem in der Grundlagenforschung, aber in einer ungemein interessanten angewandten Forschung ein exzellentes Instrument. Sie eröffnet uns Möglichkeiten im Bereich der Medizintechnologie, im Bereich der Biologie, in einer Vielzahl von Bereichen der Materialforschung. Hier haben wir den Zugang zu Fragestellungen, den wir sonst nicht eröffnen können. Wir haben mit dieser Technik eine Möglichkeit, eine Forschungseinrichtung, nämlich die in Jülich, die über Jahre eine exzellente Arbeit in Bereichen durchgeführt hat, in denen sie jetzt ihre Programme abgearbeitet hat, in einen neuen Horizont von faszinierenden Aufgabenstellungen hineinzuführen. Deshalb halte ich dafür, daß wir genau prüfen, wie diese Strategie angelegt werden muß. Ich habe hier noch nicht abschließend entschieden. Aber ich halte nicht dafür, daß wir auf Grund einer sehr vordergründigen - ich darf es behutsam sagen - Betrachtung dieser Technik eine aussichtsreiche, zukunftsreiche Strategie für eine hervorragende Großforschungseinrichtung aufgeben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Steger?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, ist Ihnen aufgefallen, daß Sie sich auch in dieser Parlamentsrede wieder sehr viel mehr mit den Philosophien der GRÜNEN beschäftigen als mit den Alternativen der SPD, und darf ich daraus die Schlußfolgerung
ziehen, daß Ihnen unsere Alternativvorschläge unbequem sind?
Die Faszinationskraft der Alternativvorschläge der SPD hat mich noch nicht die Beherrschung verlieren lassen, lieber Kollege Steger.
({0})
Ich bin aber sehr gerne bereit, das jetzt noch im einzelnen zu erörtern.
Ich möchte auf der anderen Seite durchaus die Frage aufgreifen: Wo haben wir die Zuwächse? Und hier greife ich einige Punkte auf, mit denen auch die SPD in prägnanter Weise - das sind Ihre Alternativvorschläge - in die Debatte eingegriffen hat. Wir haben beispielsweise, Herr Kollege Vosen, durchaus eine schwierige Debatte über die Mikroelektronik. Jetzt sagen Sie: Herr Riesenhuber stellt sich hin und spricht nicht über die Arbeitsplätze. Wie kann er nur? Herr Kollege Vosen, wenn ich das Problem der Mikroelektronik und der Arbeitsplätze betrachte, muß ich sagen: Wir haben die Arbeitslosigkeit in den Branchen und in den Regionen, wo Mikroelektronik nicht eingesetzt worden ist. Wir haben sie nicht da, wo sie eingesetzt worden ist.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vosen?
Ich höre mir gern die Alternative der SPD an.
Herr Minister, wir stimmen darin überein, daß wir diese Technik brauchen, um unsere Volkswirtschaft auf dem neuesten Stand halten zu können. Aber ich frage Sie: Wenn wir sie notwendigerweise eingeführt haben - ich teile Ihre Meinung -, ist das Endergebnis dann letztlich nicht doch so, daß unter dem Strich weniger Menschen Arbeit haben, daß wir weniger Arbeitsplätze in der Wirtschaft haben, und wie wollen Sie darauf reagieren?
Verehrter Kollege Vosen, wir haben auf diesem Gebiet mit Blick auf die Zukunft relativ wenig Erfahrung. Diese Technik ist halt unbekannt. Aber wir können aus der Vergangenheit einiges ableiten. Wir haben von 1950 bis 1960 durch technologischen Wandel 9,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland verloren. Trotzdem haben wir in derselben Zeit Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen Arbeit gegeben, trotzdem haben wir in der Zeit begonnen, Gastarbeiter nach Deutschland zu holen. Das alles deshalb, weil wir mit Dynamik in neuen Bereichen Industrien aufgebaut haben, die zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen haben.
Herr Vosen, die Schlechtwetterszenarien, in denen immer nur von den schlechten Prognosen ausgegangen wird, sind nicht nur deshalb gefährlich, weil sie den Blick auf die Wirklichkeit verdecken, sondern sie sind auch deshalb gefährlich, weil sie in der Form einer self fulfilling prophecy dazu führen können, daß wir die wirklichen Herausforderungen nicht mehr aufgreifen.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Ich lasse jetzt noch eine Zwischenfrage zu. Ich bitte um Nachsicht, wenn es dann mit Zwischenfragen ein Ende hat; denn ich möchte j a auch noch meine Gedanken darlegen.
Bitte.
Herr Minister, ich Ihnen noch in Erinnerung, daß wir in den Jahren, die Sie eben zitiert haben, also von 1950 bis 1960, eine gewaltige Aufbauphase hatten - wir hatten die kriegszerstörte Bundesrepublik wieder aufzubauen -, daß wir heute jedoch am Ende einer Wachstumsphase sind, und ist Ihnen aufgefallen, daß in der heutigen Zeit Mikroelektronik und andere Computertechniken genau den umgekehrten Effekt haben, nämlich immer mehr Arbeitsplätze zu vernichten?
Herr Kollege, dazu muß ich Ihnen wirklich eines sagen. Wir hatten damals eine Aufbauphase, die dadurch gekennzeichnet gewesen ist, daß wir von einem großen Bestand an technischem Wissen ausgehen konnten, das umgesetzt werden mußte. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir auch heute einen großen Bestand an technischem Wissen haben, das nicht in dem hinreichenden Maß in Arbeitsplätze umgesetzt wird. Genau das müssen wir leisten.
({0})
Das bedeutet - ich kann das nur in Stichworten an wenigen Punkten festmachen -, daß wir dort ansetzen müssen, wo Wachstumsbereiche erkennbar und sinnvoll sind. Das ist die Mikroelektronik, das ist die Datenverarbeitung, das ist in meinen Augen auch die Biotechnologie. Frau Kollegin Bard, ich spreche überhaupt nicht mit Leichtfertigkeit über die Risiken der Biotechnologie. Aber wenn ich mir ansehe, mit welch äußerster Präzision die Zentralkommission für biologische Sicherheit über die Einhaltung der entsprechenden Richtlinien wacht - ich kenne auch keine qualifizierte Kritik dahin gehend, daß diese Richtlinien nicht ausreichten -, dann müssen wir tatsächlich sagen, daß wir hier eine Technik haben, die durchaus wie jede Technik ihre Chancen und ihre Risiken hat. Wir wollen aber die Risiken beherrschen, die Chancen eröffnen und damit die Möglichkeit schaffen, eine Zukunft aus Verantwortung zu gestalten. In diesem Sinne ist unsere Politik angelegt.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun zu den Alternativen der SPD. Es wäre wirklich ungerecht, nur über mein Programm zu sprechen. Ich muß mich hier sehr bei den Kollegen bedanken, die einzelne Punkte aus der Arbeit im Bereich des Forschungsministeriums dargelegt haben. Ich gehe darauf nicht näher ein. Das ist eine Sache, für die ich mich nur bedanken kann.
Herr Kollege Vosen, zu der von Ihnen angesprochenen Frage von indirekten bzw. direkten Maßnahmen möchte ich aber doch noch zwei Anmerkungen machen. Der Kernpunkt Ihrer Kritik ist gewesen, daß Sie sagten, die indirekten Maßnahmen führten dazu, daß die Großindustrie bevorzugt wird und die mittelständischen, die kleineren Unternehmen benachteiligt werden.
({2})
- Nein, das müßten Sie wirklich besser wissen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Bei einer Projektförderung haben Sie in der Großindustrie jederzeit die Möglichkeit, eine Gegenbürokratie zur staatlichen Bürokratie so aufzubauen, daß eine präzise Beurteilung der Projekte und eine präzise Antragstellung möglich sind. Wenn ein Mittelständler dies machen soll, ist er in der Regel überfordert. Das heißt also, wir würden gerade mit einer ausgeweiteten direkten Projektförderung eine Politik betreiben, die den Mittelständler von der Förderung ausschließt. Die Stärke der indirekten Proj ektförderung ist, daß die Initiative und der Unternehmungsgeist des Mittelständlers auf dem einfachsten möglichen Weg geringer Bürokratie freigesetzt werden. Das ist der Weg, auf den wir es anlegen.
({3})
Herr Kollege Stahl, wenn Sie jetzt immer noch nicht ganz überzeugt sind, so biete ich gerne an, die Programme, über die man in diesem Zusammenhang sprechen kann, einzeln durchzugehen. Ich nenne die technologieorientierten Unternehmensgründungen. Ich erwähne die Ansätze zur Vertragsforschung; dies ist wiederum ein rein mittelständisches Programm. Bei der Mikroelektronik sind 95 % der Anträge von mittelständischen Unternehmen. Im Bereich der Fertigungstechnik haben wir den gleichen Ansatz. Wir können das Personalkostenzuschuß-Programm nach der Definition als rein mittelständisches Programm sehen. Herr Vosen, wir wollen nicht - darin folge ich Ihnen; ich bin ja nicht in allen Punkten mit Ihnen auseinander - irgend etwas zum Dogma erheben. Wir wollen vielmehr mit einer Vielfalt von einzelnen Instrumenten die Probleme so angehen können, daß wir für jedes Problem, das wir sinnvoll überhaupt aufgreifen können, eine maßgeschneiderte Lösung finden. Niemand kann „Spacelab" indirekt fördern. Ich möchte hier nicht darüber diskutieren, wie genial die Verträge gewesen sind, die damals unter Ihrer Regierung zu „Spacelab" abgeschlossen worden sind. Man kann sich jedenfalls durchaus einige etwas beglückendere Einzelheiten vorstellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mich zum Schluß eigentlich nur noch für die Arbeit der Ausschüsse bedanken. Ich weiß, daß ich eine große Zahl von wirklich interessanten
Punkten hier nicht richtig angehe. Ich habe mich bei dem Kollegen Laermann für die Anregung zu bedanken, die Geisteswissenschaften mehr in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zu rücken. Hier haben wir eine komplexe und schwierige Arbeit vor uns, schwierig vor allem deshalb, weil wir in den Geisteswissenschaften jedes Risiko ausschalten müssen, als ob der Staat in Inhalte der Wissenschaft hineinreden könnte. Dies wäre die Pest. In dem Moment, in dem eine staatsgläubige Wissenschaft gezüchtet wird - nirgends ist dies so gefährlich wie in den Geisteswissenschaften; in dieser Hinsicht sind wir völlig einer Meinung; ich möchte dies nur abgrenzen -, wird diese Wissenschaft nicht nur verzerrt, sondern auch in der Qualität miserabel. In dieser Hinsicht haben wir in den letzten Jahren einige Erfahrungen gesammelt, die nicht uneingeschränkt beglückend waren.
({4})
Ich möchte mich bei dem Fachausschuß sehr herzlich bedanken, der die Arbeit der Bundesregierung, der unsere gemeinsame Arbeit in diesem Bereich begleitet, kritisch auf der einen Seite, unterstützend auf der anderen Seite, aber insgesamt in einem sehr sachgerechten Gespräch. Ich bedanke mich aber auch bei der Vorsitzenden des Forschungsausschusses für die Leitung dieser für sie sicher nicht immer ganz einfachen Arbeit.
Bedanken möchte ich mich beim Haushaltsausschuß. Es ist mir immer wieder ein intellektuelles Vergnügen, mit dem Haushaltsausschuß zu diskutieren.
({5})
Ich bedanke mich für die Hilfen und möchte hier doch noch auf eines hinweisen, was der Berichterstatter des Haushaltsausschusses nur behutsam angedeutet hat: Einiges, was ich für wichtig und richtig halte - Abbau von Bürokratien, Anlage richtiger Strukturen, Flexibilitätsregelungen, das AGFNachwuchsprogramm -, wäre ohne die kompetente Hilfe des Haushaltsausschusses nicht möglich gewesen. Hier legen wir Strukturen an, die für junge Wissenschaftler, die wir brauchen, Berufs- und Arbeitschancen in einer Weise eröffnen, die für unsere Zukunft vital sein werden. Ich bedanke mich sehr herzlich für diese Mitarbeit.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich auf die Arbeit auf einem komplexen und schwierigen Feld. Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die Unterstützung, und ich freue mich insbesondere über die Anregungen und die Alternativen der SPD, die wir sicher in der Zukunft noch häufig zu hören bekommen werden.
Schönen Dank.
({7})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsident Stücklen
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30: Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie.
Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/749 zur Abstimmung auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/781. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/782 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Einzelplan 30 ab. Wer dem Einzelplan 30 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Dieser Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
- Drucksachen 10/652, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Zander
Verheyen ({0})
dazu:
Zweite Beratung des Art. 22 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984
- Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/691 Zum Einzelplan 31 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/750 vor.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat eine verbundene Aussprache von 60 Minuten für den Einzelplan 31 und Art. 22 des Haushaltsbegleitgesetzes vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wird von einem der Berichterstatter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogelsang.
Vogelsang: ({1}): Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Damit wir am Anfang dieser Diskussion nicht zu falschen Ansätzen kommen, will ich gleich darauf hinweisen, daß es falsch wäre, wenn wir uns hier heute abend bei dieser Debatte über den Einzelplan 31 gegenseitig vorwerfen würden, die einen seien für die Konsolidierung und die anderen seien dagegen. Das wäre ein völlig falscher Ansatz, denn uns geht es nicht um die Frage, ob für oder gegen Konsolidierung. Natürlich sind auch wir für Haushaltskonsolidierung. Hier findet vielmehr eine Auseinandersetzung über das Wie und das Wo statt.
({2})
Da lohnt es sich wohl, sich die finanzielle Entwicklung des Einzelplans 31 einmal anzusehen. Das Soll in diesem Haushaltsjahr war 4,6 Milliarden DM und wird im nächsten Jahr 4 Milliarden DM sein. Das heißt, allein in diesem einen Haushalt werden rund 600 Millionen DM gestrichen. Damit ist es ein Haushalt, in dem die Streichungen - sicherlich nicht allein hinsichtlich der Menge, aber prozentual - gegenüber allen anderen Einzelplänen am größten sind,
({3})
und das, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, in dem Augenblick, wo 1,2 Millionen Studenten an den Hochschulen studieren, wo im Jahre 1983 über 710 000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz suchen. Ausgerechnet in dieser Zeit, wo wir in einer solch schwierigen Situation gegenüber der Jugend sind, streichen Sie den Haushalt in diesem einen Bereich um 600 Millionen DM zusammen. Wir reden ja bereits über das Jahr 1984. Das bedeutet, wir werden im Herbst nächsten Jahres 740 000 Jugendliche haben, die einen Ausbildungsplatz suchen.
Bei dieser Zahl, Frau Dr. Wilms, begrüßen wir Sie in dem Kreis derer, die in der Vergangenheit von Ihnen ein bißchen verspottet worden sind als diejenigen, die Horrorzahlen in die Welt setzen. Da Sie diese Zahl - 740 000 Nachfrager - j a nun akzeptieren, können wir uns darüber freuen, daß Sie in das Jahr 1984 wohl mit wachsender realistischer Einschätzung hineingehen.
({4})
Die Haushaltskürzung findet auch zu einer Zeit statt, wo 50 000 Jugendliche - in diesem Jahr - keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Wer sich mit der Materie beschäftigt weiß, wie diese Zahl geschönt ist, weil nämlich zirka 20 000 bis 25 000 Nachfrager in diesem Bereich nicht in die Statistik eingegangen sind, die in Ermangelung eines betrieblichen Ausbildungsplatzes schulische Ausbildungsgänge aufgenommen haben, obwohl sie betriebliche Ausbildungsgänge suchten.
({5})
- Aber Herr Nelle, auf den 30. September 1983. Das ist doch selbstverständlich. Das steht doch im Gesetz.
({6})
Hier wird also von der Bundesregierung eine Gleichung aufgestellt: Haushaltssanierung geht vor Ausbildung. Sie werden von uns nicht verlangen können, daß wir diese Gleichung mittragen.
({7})
Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode -- 42_ Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2967
Vogelsang
Ich würde verstehen, wenn Sie also CDU/CSU sagten: Aber wir sind doch an der großen Anzahl der Jugendlichen nicht schuld. Wir haben das in unserer Regierungszeit nicht alleine zu verantworten. Meine Antwort darauf: Erstens darf ich Sie daran erinnern, daß Sie ganz schön gedrängelt haben, damit Sie in die Regierung kamen, und daß Sie nicht einmal die Geduld hatten, das Ende einer Legislaturperiode abzuwarten,
({8})
und zweitens müssen wir uns, wenn in Ihrer Frage auch ein Stückchen Berechtigung steckt, doch über eines im klaren sein: Den Betroffenen selbst können wir es doch nun wirklich nicht anlasten, daß sie so viele sind.
({9})
Ich finde es unanständig, wenn Sie diese großen Zahlen z. B. zum Anlaß nehmen, das Jugendarbeitsschutzgesetz zu durchlöchern. Ich frage Sie rhetorisch: Würden Sie das auch machen, wenn wir ein Gleichmaß von Angebot und Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen hätten? Ich finde es unanständig, daß man davon ausgeht, daß diese Jugendlichen Anspruch auf weniger Arbeitsschutz haben, als wir das alle gemeinsam im Jahre 1976 festgelegt haben, und zwar allein deswegen, weil hier aus Ihrer Sicht eine Übernachfrage besteht. Ich erinnere daran, daß Sie dieses Jugendarbeitsschutzgesetz damals mit uns gemeinsam verabschiedet haben.
Ich muß aber meine Kollegen von der FDP ansprechen, mit denen uns j a eine jahrelange, wie ich hoffe, gute Zusammenarbeit verbunden hat. Sie waren damals doch diejenigen, die am meisten darauf bestanden haben, daß der Bund möglichst viele Einflußmöglichkeiten auf die Bildungspolitik bekommt. Und da frage ich Sie: Wie können Sie es zulassen, wie können Sie eine Politik tragen - ich müßte, Herr Neuhausen, eigentlich fragen: wie können Sie eine Politik ertragen -, in der das Bundesausbildungsförderungsgesetz, soweit es die Schüler angeht, zu Ländergesetzen mit völlig verschiedenen Inhalten degradiert wird, sofern die Länder bisher ein Gesetz vorgelegt haben?
({10})
Sie machen sogar das Kuriosum mit, daß die Schüler, die zu Hause wohnen, nach Ländergesetzen gefördert werden, und die Schüler, die nicht zu Hause wohnen, nach Bundesgesetz gefördert werden. Mehr an Durcheinander kann man doch wohl kaum herbeiführen.
({11})
Sie lassen auch zu - und das bedaure ich -, daß wir keine bundeseinheitliche Regelung in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zustande bringen, die wir j a bereits einmal hatten. Sie lassen auch zu, daß die BLK, die Bund-LänderKommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, demontiert wird.
({12})
Ich frage Sie: Wo sind Ihre bildungspolitischen Grundsätze? Oder war das in der Vergangenheit alles nur Fassade?
({13})
Meine Damen und Herren, wenn ich schon nicht in der Lage bin, Ihr Herz zu erreichen, dann will ich wenigstens an Ihren Verstand appellieren.
({14})
- In der Bildungspolitik darf man nichts aufgeben, Herr Kollege Hoffmann.
({15})
Richtig ist: Unser wichtigster „Rohstoff" sind Wissen und Können, ist die Einheit zwischen Forschen, Entwickeln und Machen. Ich bitte Sie: Gehen wir mit diesem Rohstoff nicht so schludrig um, wie wir das alle gemeinsam bei anderen Rohstoffen in der Vergangenheit getan haben!
({16})
Nun werden Sie möglicherweise fragen, warum ich mich an die Regierung allgemein und nicht an die Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft wende.
({17})
Ich will Ihre Verantwortung, Frau Ministerin, in gar keiner Weise schmälern, aber ich will es mir abgewöhnen, wenn ich den Esel meine, den Sack zu schlagen. Und wenn ich Kohl meine, will ich nicht Wilms sagen, Frau Ministerin. Das ist der Grund. Denn der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik, und er hat hier dafür geradezustehen.
({18})
Ich darf ihn daran erinnern, daß er in der Regierungserklärung am 4. Mai dieses Jahres gesagt hat: „Unser Staat braucht die zupackende Mitarbeit der jungen Generation." Richtig, sage ich. Der nächste Satz heißt: „In diesem Jahr werden alle Jugendlichen, die ausbildungswillig und ausbildungsfähig sind, eine Lehrstelle erhalten können." So eng beieinander liegen Dichtung und Wahrheit in dieser Regierungserklärung!
({19})
Wir Sozialdemokraten wollen aber nicht nur kritisieren,
({20})
wir wollen auch konstruktive Vorschläge machen. Herr Daweke, dazu kennen Sie uns doch. Wir haben einen Antrag vorgelegt, mit dem wir den Versuch machen wollen, das Benachteiligtenprogramm wesentlich aufzustocken. Denn Sie alle wissen wie wir, daß die jetzigen Mittel nur ausreichen, das bestehende Programm fortzuführen, daß aber 5 000 Anträge vorliegen, die nicht befriedigt werden können.
({21})
Vogelsang
Deshalb schlagen wir vor, diesen Haushaltstitel um 100 Millionen DM zu erhöhen.
({22})
Ich denke, in dieser Situation, wo wir einen solchen Mangel an Ausbildungsplätzen haben, müßten Sie auch noch den Wünschen des Finanzministers Rechnung tragen, wenn Sie ihm dann aus diesem Haushalt heraus noch eine halbe Milliarde sozusagen über den Tisch schieben.
Ich, Kolleginnen und Kollegen, bitte Sie alle herzlich, helfen Sie dabei mit, helfen Sie mit für unsere Jugend, daß der Bildungshaushalt nicht zum Steinbruch für Haushaltssanierungen wird.
({23})
Sie, Frau Minister, haben am 13. Oktober 1983 hier im Deutschen Bundestag u. a. erklärt:
An der Sicherstellung der Ausbildungschancen für die junge Generation wird sich auch 1984 erweisen, daß Solidarität und soziale Gerechtigkeit in der Bundesrepublik nicht Leerformeln, sondern gelebte Wirklichkeit sind. Die Bundesregierung hat jetzt bereits mit ihren Arbeiten begonnen, um Lehrstellenprobleme von 1984 befriedigend zu lösen. Wir werden auf diesem Wege weiterfahren.
So weit Frau Minister Wilms. Ich bitte Sie, Ihre Möglichkeit, die Sie anschließend haben werden, zu gebrauchen, uns von diesem Pult aus zu verraten, welche Mittel und Möglichkeiten Sie sehen, welche Mittel und Möglichkeiten Sie einleiten wollen, welche Wege Sie beschreiten wollen. Es geht nicht um Ihre politische Karriere, und es geht nicht um meine; aber es geht darum, daß Jungs und Mädchen einen Anspruch darauf haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
({24})
Das sollten wir uns dabei vor Augen halten. Danke schön.
({25})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rose.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich mache heute abend eine neue, lustige Erfahrung, nämlich erstmals, und zwar durchaus als Haushaltsberichterstatter, aber nicht von der Opposition, sondern von der Regierungsfraktion aus, einem Kollegen der Sozialdemokraten antworten zu können.
({0})
Ich freue mich auf lange Jahre dieser Tätigkeit und nehme damit auf, was Herr Kollege Kittelmann gesagt hat.
Ich bin zweitens auch dankbar, daß wenigstens der Kollege Vogelsang bereit war, was seine Kollegen nicht so gerne machen, zuzugeben, daß wir in einer Zeit notwendiger Konsolidierungen sind, was j a nur heißen kann, daß Ihre Regierung vorher einen solchen Zustand verursacht hat.
({1})
Meine Damen und Herren, wir müssen uns wegen der Konsolidierung auch Gedanken darüber machen, wie wir, egal, in welchem Haushalt, sei es im Einzelplan 31, sei es aber natürlich insgesamt, am besten sparen können.
({2})
- Lieber Kollege Kühbacher, wenn Sie bereits beim Einzelplan 40 angekommen sind, dann - ({3})
- 14? Entschuldigung, dann habe ich falsch verstanden. Dann nehme ich das, was ich sagen wollte, wieder zurück.
({4})
Wir sind bei Einzelplan 31 zur spiegelbildlichen Entwicklung dessen gekommen, was Auftrag der Wähler im März dieses Jahres war, nämlich die Jugend dazu zu führen und unsere gesamte Bevölkerung dazu aufzufordern, mehr Eigeninitiative, mehr Eigenverantwortung zu entwickeln.
({5})
Wir müssen den Konsolidierungskurs und damit das verantwortliche Umgehen mit Steuergeldern immer wieder betonen.
({6})
Wir müssen damit auch die Zukunftsperspektiven in unserem Staat als einem hochentwickelten Industriestaat sehen und damit auch diese Form der Zukunftsgestaltung wieder mehr an alle heranführen, und wir müssen - das gehört gerade zum Einzelplan 31, Bildung und Wissenschaft - auch und ganz besonders die Zukunftschancen der jungen Generation, aber im Hinblick auf einen Staat, der uns wirklich Zukunft bietet, in unsere Überlegungen mit einbeziehen und damit den Haushalt des Einzelplans 31 auch so entwickeln.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von der sozialdemokratischen Seite, die Sie im Haushaltsausschuß gar nicht so böse sind, wie Sie jetzt dazwischenrufen: Sie haben viele Dinge mitgetragen, auch nicht bloß im Einzelplan 31, sondern Sie haben es insgesamt aus der Notwendigkeit und aus der Überlegung heraus mitgetragen, daß wir gemeinsam zu besseren Ergebnissen in der Zukunft kommen müssen.
Der Vorwurf, das wäre ein großer Kungelhaufen, kann überhaupt nicht stimmen, denn ich nehme nicht an, Herr Kollege Kuhlwein, daß Sie Ihre eigenen Kollegen als Kungelbrüder bezeichnen. Für uns sind sie im Haushaltsausschuß sehr angesehene Kollegen.
({8})
Sie haben auch mitgearbeitet, um uns insgesamt zu einem guten Ergebnis für die Regierung zu verhelfen.
Beim Einzelplan 31 - ich darf den in wenigen Punkten streifen in Erwiderung auch auf das, was Kollege Vogelsang schon angeführt hat - waren wir in Konsequenz dessen, was wir als Wählerauftrag gesehen haben, besonders bemüht, das Steuergeld sinnvoll zu verwenden. Da sind halt diese 600 Millionen DM an Sparmaßnahmen herausgekommen. Das ist aber eine Entwicklung, die wir im letzten Jahr eingeleitet haben.
Es ist zweifellos mehr Freiraum für die kommenden Jahre vorhanden, wenn z. B. beim BAföG im Jahre 1984 bloß noch 1,55 Milliarden DM bezahlt werden müssen, nachdem wir früher eine ständige Hochentwicklung hatten und dabei auch viele, viele Schüler und Studierende waren, die nur deshalb zur Schule und Hochschule gegangen sind, weil sie BAföG beziehen konnten.
({9})
Der Kollege Vogelsang hat erwähnt, daß 1,2 Millionen Studenten an den Hochschulen seien und deshalb mehr BAföG gezahlt werden müsse. Wenn wir mehr BAföG bezahlen, hätten wir bald zwei Millionen, vielleicht sogar drei Millionen Studenten und vielleicht auch Leute, die noch mit 35 Jahren studieren. Das kann doch nicht die richtige Entwicklung sein.
({10})
Wir sind der Meinung, daß der Weg richtig eingeleitet ist, daß wir zwar auch Studenten an den Hochschulen, aber mehr noch den beruflichen Bildungsweg an die Spitze gestellt haben.
({11})
- Herr Kollege Kühbacher, Sie können mich gar nicht provozieren.
({12})
Das wird Ihnen heute abend nicht gelingen.
Vor allen Dingen wurden damit Entwicklungen eingeleitet, von denen wir in der Zukunft sagen können, daß es unserer modernen Industriegesellschaft wirklich gerecht wird.
({13})
Meine lieben Kollegen, dazu gehört z. B., daß bei den Modellversuchen - sehr zu Ihrem Unwillen, aber in konsequenter Fortführung unserer Politik der letzten Jahre - Kürzungen eingetreten sind, weil wir erstens als Verantwortlicher für das, was mit Steuergeldern zu tun hat - ich muß noch einmal darauf verweisen, daß auch der Bundesrechnungshof dieser Meinung war - Geld sparen mußten, was vorher entgegen den Bestimmungen der Bund-Länder-Vereinbarungen ausgegeben wurde, und weil wir zweitens keine pseudowissenschaftlichen Modellversuche mehr haben wollen. Damit sind mehr oder weniger nur irgendwelche Wissenschaftler unterstützt worden, damit sie selber etwas verdienen konnten, aber es ist nichts in die Zukunft unserer Jugend investiert worden.
({14})
Ich begrüße es daher sehr, daß z. B. bei den Modellversuchen im Rahmen der beruflichen Bildung in der Zukunft mehr die Blickrichtung auf die Einführung der Mikroelektronik und aller Folgetechnologien gerichtet wird. Wenn Sie vorher in den verschiedenen Aussprachen zu den anderen Einzelplänen darunter zu leiden begonnen haben, daß wir moderne Technologien haben, die Sie am liebsten wieder abschaffen möchten
({15})
- das klang vorhin ziemlich deutlich heraus -, dann kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie aus lauter Angst vor der Zukunft und vor diesen neuen Technologien den Rückschritt wollen, werden Sie die Zukunft mit Sicherheit nicht meistern.
({16})
Wir brauchen dazu auch den Austausch von Fachkräften der beruflichen Bildung mit verschiedenen Ländern draußen. Wer vorhin die Nachrichten vom Scheitern des Gipfels auf europäischer Ebene gehört hat, weiß, daß diese Verbindung mit anderen Ländern notwendig ist. Wir wollen deshalb auch in dieser Richtung weiterarbeiten und sind sicher, daß wir dabei die Unterstützung der Öffentlichkeit haben.
Meine verehrten Damen und Herren, in der Vergangenheit haben die Bildungspolitiker unter Ihrer Verantwortung stolz mehr Abitur, mehr in die Hochschulen hinein und mehr in all das, was mit der allgemeinen Bildung zu tun hatte, gefordert. Und wir sind eben jetzt angetreten, um diesen fatalen Irrtum zu korrigieren.
({17})
Es ist in der Zukunft wieder mehr offenes Angebot an die junge Generation notwendig, entsprechend ihren Fähigkeiten. Es soll nicht jeder unbedingt auf die Hochschule gehen nach der berühmten Forderung „Wir brauchen mehr Abiturienten und mehr Hochschüler",
({18})
sondern das soll von den Fähigkeiten und auch den Chancen abhängen, die hinterher bestehen.
({19})
Es hat uns überhaupt nichts geholfen, eine Schwemme arbeitsloser Akademiker zu bekommen.
Wir sehen deshalb die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung mit der allgemeinen Bildung. Die Überbetonung dessen, was früher unter Ihrer Verantwortung gegolten hat, muß endgültig zu Ende sein.
Trotzdem ist gerade der Hochschulsektor - Frau Minister Wilms wird sicher noch mehr darauf eingehen - ein wichtiger Pfeiler der Bildungspolitik
der 80er und vor allem der 90er Jahre. Er wird dieser Pfeiler auch bleiben, gerade von den Haushaltszahlen her. Wir haben im Haushaltsausschuß die Vorschläge der Regierung dankbar aufgenommen, die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau schon 1983 um 230 Millionen gegenüber 1982 zu erhöhen. Und das der Finanzplan der neuen Bundesregierung bis 1987 höhere Mittel im Ausbau vorsieht, als es unter der alten SPD-Regierung der Fall war, sollte der Vollständigkeit halber ebenfalls gesagt werden. Wir sehen durchaus die Notwendigkeit des Ausbaus und vor allen Dingen einer vernünftigen Ausgestaltung des Hochschulwesens. Das heißt aber nicht, daß es zu immer größeren Massenuniversitäten kommen muß.
Wir sehen den Schwerpunkt im Haushalt weiterhin bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses - das Heisenberg-Programm wird ebenso fortgeführt ({20})
wie in verschiedenen anderen Problembereichen. Nicht im Bereich der Graduiertenförderung! Das wollte ja Ihre Regierung, Herr Zander, auslaufen lassen. Sie haben es im Haushaltsausschuß ja auch bestätigt.
({21})
Wir denken an die Promotionsförderung und andere Maßnahmen, die besonders Stiftungen durchführen. Ich glaube, wir können uns auch hiermit durchaus sehen lassen. Unsere Schwerpunktaufgabe wird sein, die Ausbildungschancen für die jungen Menschen besonders in der beruflichen Bildung zu fördern.
({22})
Ich will hier nicht die alte Polemik, die Sie das ganze Jahr 1983 hindurch gemacht haben, aufwärmen; daß der Kanzler 30 000 Ausbildungsplätze mehr versprochen hat.
({23})
Er ist nämlich von den Tatsachen bestätigt worden, daß es zu einer großartigen Steigerung der Ausbildungsplatzzahlen gekommen ist. Es sind mehr Ausbildungsplätze, als es jemals vorher gegeben hat. Es sind auch 40 000 mehr als im Jahr 1982.
({24})
Und da möchte ich all denen danken, die nicht Polemik bevorzugt, sondern appelliert und selber dazu beigetragen haben, diese zusätzlichen Ausbildungsstellen zu bekommen.
({25})
Die SPD meint, in der nach ihrer Meinung bewährten Weise fortfahren und jetzt bereits ein neues Gespenst an die Wand malen zu müssen. Im Jahr 1983 hat Ihre Argumentation nichts gebracht. Jetzt kommen Sie mit dem Jahr 1984 daher und reden von den 740 000, die fehlen - ich sage das, damit ich nicht denselben Fehler wie Herr Vogelsang mache -, als stände damit schon wieder etwas Neues ins Haus,
({26})
was nicht bewältigt werden kann.
Liebe Kollegen - und ich sage das auch mit Blick auf die CDU/CSU und die FDP-Freunde -, wir nehmen alle diese gefährlichen Entwicklungen des Jahres 1984 auf dem Ausbildungsstellensektor sehr ernst. Natürlich kann man zusammenzählen. Aber man wird zu den 740 000, vielleicht sogar 750 000 Stellen kommen, die besetzt werden müssen.
Nur, wir müssen uns fragen, wer hier helfen kann. Da kann wiederum nicht die Opposition helfen,
({27})
indem sie nur dreinruft und Polemik betreibt. Sondern helfen können nur Industrie, Handel und Handwerk, also die Bereiche, die uns schon 1983 besonders zur Seite gesprungen sind. Daß sie in ihren Ressourcen fast schon erschöpft sind, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen, ist klar.
Aber es gehört auch dazu, daß uns z. B. die Gewerkschaften unterstützen
({28})
und endlich einmal einsehen, daß die notwendige Aufgabe des Wegfalls verschiedener ausbildungshemmender Vorschriften nichts mit einem Rückfall in der Arbeitsschutzgesetzgebung bei den Jugendlichen zu tun hat,
({29})
sondern mit einer Öffnung für Ausbildungsplätze, die damit auch einer größeren Bevölkerungsschicht, unserer jungen Generation, helfen kann. Wenn Sie ein bißchen mehr von dieser Entwicklung verstünden, meine verehrten Kollegen der Sozialdemokratie,
({30})
dann würden Sie sehen, daß wir z. B. bei der Bäckerausbildung durchaus eine Allianz von Handwerk und Gewerkschaften haben. Sie bräuchten sich nur sachkundig machen, dann würden Sie sehen, daß das alles nur komische Aussagen von Ihnen sind, die von den Tatsachen nicht bestätigt werden.
Meine Damen und Herren, wir haben von der CDU/CSU-Fraktion all das, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat, um weitere Ausbildungsplätze zu schaffen - sei es das Benachteiligtenprogramm, sei es aber auch das einmalige Sonderprogramm - mitgetragen, wohlbewußt, daß zwar die Haushaltsmittel nicht reichlich fließen, daß man aber im Interesse der jungen Generation Anstrengungen unternehmen muß. Wir haben all das getan, was notwendig war. Es wird im Jahre 1984 und in den Folgejahren in dieser verantwortungsvollen Weise sicher weitergearbeitet.
Es ist deshalb nicht einzusehen, daß der SPD jetzt auf der Drucksache 10/750 eine neue Ansatzerhöhung beim Benachteiligtenprogramm von 100 Millionen DM einfällt. Da kann man nur sagen: Das fällt Ihnen reichlich spät ein. Herr Vogelsang, Sie haben zwar vorhin gemeint, wir hätten in die Regierung gedrängelt. Wir haben nicht gedrängelt, sondern es war wirklich höchste Zeit, daß Sie aus der Regierung entfernt wurden.
({31})
Meine Damen und Herren, wir sehen auch hier, daß mit dem Benachteiligtenprogramm und dem einmaligen Sonderprogramm speziell bei benachteiligten Regionen, strukturschwachen Regionen, wertvolle Hilfen gegeben werden können.
Ich möchte sagen, es bedarf weiterhin vieler Anstrengungen. Wir brauchen vor allem eine Wirtschaftsgesundung. Die Erfolgsmeldungen, die sich jetzt besonders beim Mittelstand, beim Handwerk, abzeichnen, zeigen, daß das Konjunkturbarometer nach oben geht. So können auch wieder neue Existenzen gegründet werden, und damit bestehen auch Möglichkeiten für zusätzliche Ausbildungsplätze. Die Regierung ist auch mit der Regelung der Vorruhestandsfragen auf dem richtigen Wege. Die freiwerdenden Arbeitsplätze werden auch wieder Jugendlichen zugute kommen.
Ich möchte deshalb für die CDU/CSU-Fraktion die Zustimmung zum Einzelplan 31 bekanntgeben und dabei den besonderen Dank an die mutige Frau Minister Dr. Wilms aussprechen,
({32})
die es verstanden hat, trotz einer ungünstigen finanziellen Entwicklung in ihrer Aufgabe voll zu bestehen und der jungen Generation auch in der Zukunft zu helfen.
({33})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jannsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, was uns hier von einem Haushaltsexperten angeboten worden ist, der von Bildung offensichtlich nicht allzuviel Ahnung hat, obwohl er Studienrat ist.
({0})
Die Haushaltspolitik im Einzelplan 31 ist nicht nur, wie Herr Vogelsang schon dargestellt hat, eine Schrumpfungspolitik, sondern diese Haushaltspolitik ist eine Umschichtungspolitik. Diese Umschichtung im Haushalt des Jahres 1984 wird - es tut mir leid, daß ich das sagen muß - darauf hinauslaufen, daß genau das geschieht, was auch Herr Rose nicht wollte, nämlich daß 2 Millionen Studenten - Herr Vogelsang sprach zwar von 1,2 Millionen - auf keinen Fall an die Universitäten kommen. Ich glaube vielmehr, er will, daß auch nicht die 1,2 Millionen an die Universitäten kommen. Das ist j a schon hinreichend abgesichert durch Entscheidungen aus dem vorigen Jahr, und es ist weiterhin durch Entscheidungen aus diesem Jahr abgesichert; man denke nur an den Erlaß, der zur Regelung des Erlassens von Teildarlehen herausgegeben worden ist, der ja keine andere Bedeutung und Funktion haben wird, als diejenigen auszusortieren, die möglichst angepaßt, flott und schnell studieren.
({1})
Was das für einen Sinn machen kann, ist mir bei der Äußerung von Herrn Riesenhuber vorhin klargeworden, daß man im Rahmen der naturwissenschaftlichen Forschung, insbesondere der Genforschung, darauf hinwirken müsse, die Risiken zu beherrschen. Risiken bei so gefährlichen Forschungs- und Labortechnologien und auch Arbeitstechnologien zu beherrschen, bedeutet, eine bestimmte, kleine, angepaßte, sehr konsequente Gruppe auszubilden, die diese Risiken dann auch beherrschen kann. Die Betonung liegt dabei auf einer kleinen Gruppe, denn vermassen kann man eine solche Technologie wegen ihrer Gefahren nicht. Zu diesem Zweck wird ausgebildet werden.
Das, was wir ursprünglich einmal hatten und was, soviel ich weiß, von fast allen Bildungspolitikern in der Bundesrepublik gefordert wird, nämlich das soziale Recht auf Bildung und Ausbildung, bleibt vor der Tür. Das ist ja auch kein Wunder, wenn man sich darüber klar wird, daß in beiden Regierungserklärungen von Bundeskanzler Kohl das Wort „Bildung" nur einmal auftaucht, und da im Zusammenhang mit Bildung von Eigenkapital.
({2})
Da wundert es weiter nicht, daß im Bereich der Bildungspolitik nicht mehr herausgekommen ist.
Wenn bezüglich der Berufsbildung gesagt wird: Wir tragen das Programm der CDU mit, wir tragen das Sonderprogramm vom 4. Oktober mit, dann ist das haushaltstechnisch überhaupt kein Problem, da der Antrag bereits bei seiner Einbringung durch eine Ausgabenkürzung in einem anderen Haushaltstitel, der ebenfalls den Jugendlichen zugute kommen sollte, abgesichert war. Das habe ich bereits vor Wochen von dieser Stelle aus erklärt.
({3})
Herr Rose, es ist also kein Kunststück, dieses Programm im Rahmen der Entscheidungen über den Haushalt 1984 mitzutragen. Das Problem, das für die Jugendlichen unter dem Strich weder zusätzliches Geld noch zusätzliche Arbeits- und Ausbildungsplätze herauskommen, ist damit überhaupt nicht beseitigt. Dieses Problem bleibt.
Die Fixierung auf das duale System - da muß ich leider unken, obwohl Sie es nicht mögen, wenn wir das tun - wird im Jahre 1984 zu ungeheuren Problemen führen. Die Kürzungen im Bereich der überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen werden sehr wahrscheinlich Schwierigkeiten für diese Regierung und die CDU im weiteren Verlauf der Entwicklung in der Berufsausbildung mit sich bringen.
Ich halte es für ausgesprochen problematisch, daß hier nicht einmal mehr Perspektiven - weder inhaltlicher noch formaler Art - für das Jahr 1984 diskutiert werden sollen. Wenn man daran denkt, was im Jahre 1984 geschehen könnte - ich habe heute morgen gehört, man müsse sich auf den schlimmsten Fall einrichten -, dann wird klar, daß die CDU und die Regierung die Augen vor den Zahlen des nächsten Jahres und die Ohren vor denen verschließt, die darauf hinweisen.
({4})
Ich möchte darüber hinaus auf das verweisen, was Herr Rose hier verbal eingebracht hat - Taten folgen nicht -: mehr Initiative, mehr Eigenverantwortung bei den Jugendlichen. - Das hätte ich auch gerne, das habe ich auch schon gefunden; ich habe nur keine Unterstützung von seiten Ihrer Fraktion bei den Haushaltsberatungen gefunden. Wir haben in mehreren Ausschüssen - unter anderem im Bildungsausschuß - einen Antrag eingebracht, der die Unterstützung eines Initiativenfonds für alternative Ausbildungsstätten von Ausbildungsorganisationen und Ausbildungsgruppen vorsieht.
({5})
Die CDU/CSU hat diesen Antrag zusammen mit der FDP im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft praktisch kommentarlos abgelehnt. Von Eigeninitiative von Jugendlichen, die ja nicht ganz umsonst sein kann - sie müssen von irgend etwas leben -, ist da nicht die Rede.
Ein letzter Punkt in diesem Zusammenhang: Wir werden den Antrag der SPD unterstützen, weil er uns immerhin Möglichkeiten offenbart, in einzelnen Bereichen des Benachteiligtenprogramms diese Form von Ausbildung unterbringen zu können.
Was der CDU/CSU, der FDP und der Regierung im Zusammenhang mit der Hochschule und mit der wissenschaftlichen Weiterbildung einfällt, habe ich vorhin bereits anzudeuten versucht. Das, was einer allgemeinen wissenschaftlichen Weiterbildung zugute kommen könnte, was mal über die Graduiertenförderung geleistet worden ist, wird jetzt nicht geleistet. Was aber einer speziellen, mit besonderen Kriterien durchgeführten Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zugute kommen soll, wird ab 1984 besonders gestärkt. Ich bin mir nicht klar, welche Kriterien die einzelnen von der Bundesregierung und - wenn das hier so beschlossen wird - vom Bundestag bezuschußten Stipendienvergabeorganisationen an die anlegen werden, die diese Stipendien beantragen. Das herauszufinden, sollte man vielleicht einmal versuchen. Vergleichbar miteinander sind sie auf jeden Fall nicht. Es wird möglicherweise ein ähnliches Durcheinander geben wie beim Schüler-BAföG, wo die Länder ganz Unterschiedliches vorhaben.
Einen letzten Punkt muß ich hier ansprechen. Das ist der Umgang dieser Regierung mit den ausländischen Studierenden. Es ist bekanntgeworden, daß vor etwa einem Dreivierteljahr, fast einem Jahr, für ausländische Studierende, die sich um einen Studienplatz in der Bundesrepublik bewerben bzw. ihn bereits zugeteilt bekommen haben, die Regelungen für die Einreise so verschärft worden sind, daß sie auf Grund der Bedingungen bundesrepublikanischer Zulassungsverfahren gar nicht mehr in der Lage sind, diese Möglichkeit wahrzunehmen. Ein Rückgang der Studentenzahlen ist bereits für das Sommersemester verzeichnet worden. Und dies betrifft im wesentlichen - und so ist es auch gemeint, behaupte ich jetzt einmal - die Studenten, die aus Ländern der Dritten Welt hierher kommen, weil für die besondere Regelungen zur Einreise in die Bundesrepublik existieren und weil für die die Wege, insbesondere die Postwege, so lang sind, daß sie nicht in der Lage sind, auf postalischem Weg ihre Einschreibung an einer deutschen Hochschule vorzunehmen. Diese Regelung muß meines Erachtens schleunigst aufgehoben werden; denn sonst wäre das, was an Entwicklungshilfe wenigstens auf diesem Gebiet des Transfers von Wissen und Technologien möglich wäre, in absehbarer Zeit nicht mehr drin. Ich fordere die Regierung, Außenminister und Bildungsminister, auf, diese Regelung zurückzunehmen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Vogelsang, um es ganz deutlich zu sagen: Auch ich kann mich nicht darüber freuen, daß der Bildungspolitik im Rahmen des Gesamthaushalts nicht die Prioritäten zukommen, die mir wünschenswert oder erforderlich erscheinen. Aber wenn man es realistisch betrachtet, gilt diese Feststellung nicht nur für unseren Fachbereich. Und sie ist auch nicht nur von dieser oder jener Koalition abhängig. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat einmal von dem Prokrustesbett geschrieben, in das die Bildungspolitik eingezwängt sei. An diesem Bett haben über lange Zeit die verschiedensten Tischlermeister gearbeitet, nicht nur einer politischen Konstellation.
({0})
Meine Damen und Herren, Bildungspolitik - und das gehört auch noch in dieses Programm hinein - darf sich auch nicht länger so isoliert betrachten, wie sie das lange Zeit getan hat. Sie ist einer Versuchung erlegen, die dann im Umkehrschluß dazu geführt hat, daß die anderen Politikbereiche Bildungspolitik isoliert betrachteten. Und das wird unserem gemeinsamen Anspruch nicht gerecht; denn diese Bildungspolitik bestimmt doch den gesellschaftlichen Raum, den Raum der Bildung, Ausbildung und Erziehung, der von größter Bedeutung - lassen Sie mich das einmal so grundsätzlich und plakativ sagen - für die Zukunft von Staat und Wirtschaft ist; denn hier geht es um die Förderung der Begabungen, die wir brauchen, um die Entwicklung von Leistungsfähigkeit, Leistungswillen und Leistungsmöglichkeit, ohne die wir die Probleme der Zukunft nicht lösen können. Hier geht es auch darum, daß
junge Menschen individuell und für sich zu ihren ganz eigenen Entfaltungen und Entwicklungen kommen, daß sie als einzelne ihren Lebensweg finden und daß Bildung und Erziehung ihnen dabei den Horizont und die Perspektiven ihres Lebens- und Weltverständnisses öffnen.
({1})
Meine Damen und Herren, das hört sich vielleicht groß und abstrakt an. Aber wenn eine solche grundsätzliche Betrachtung nicht den Hintergrund der Beurteilung aktueller Gegebenheiten bildet, dann verkümmert Bildungspolitik zum vordergründigen Streit - und den haben wir allzulange geführt - um Organisationen und Institutionen und degradiert sich zum Handlanger der Verwirklichung dieser oder jener so oder so ausgerichteten ideologischen Vorstellung. Wenn sie sich in der Aussprache gar auf nur ein aktuelles Problem konzentriert, vernachlässigt sie die ganze Breite ihrer Aufgaben.
({2})
Meine Damen und Herren, in ihrem Mittelpunkt - das müssen wir auch bei einer solchen Betrachtung sagen - muß aber immer der einzelne, und zwar der einzelne junge Mensch, stehen, der seinen Weg in die Gesellschaft, in Wirtschaft und Staat finden muß, dieser einzelne junge Mensch, der einmal mit den anderen zusammen das Gesicht dieser Gesellschaft, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und die offene Sicherheit des staatlichen Zusammenlebens prägen wird.
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, daß diese Bildungsarbeit ja gar nicht von uns Bildungspolitikern geleistet wird. Sie wird geleistet von den Lehrern in Schulen und Hochschulen, von Ausbildern und Meistern in Handwerk und Wirtschaft, und sie wird vor allen Dingen von den Eltern geleistet.
({3})
So steht die eigentliche Bildungspolitik, steht das, was wir treiben, immer zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite befindet sich der Pol der individuellen erzieherischen, ausbildenden und bildenden Bemühungen in Elternhäusern, Schulen und Hochschulen und Ausbildungsstätten; auf der anderen Seite befindet sich der Pol der Haushalts-, Finanz-und Wirtschaftspolitik, der den Rahmen für die finanziellen und institutionellen Möglichkeiten setzt.
Zwischen diesen beiden Polen - Herr Vogelsang, ich nähere mich Ihren Aufforderungen an mich - hat sie zu vermitteln, denn daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Schwerpunkte zu setzen. Das geschieht, wie wir wissen, im Rahmen der Haushaltsbeschlüsse. Unter den Vorzeichen der Notwendigkeit, den Haushalt und die Staatsfinanzen zu konsolidieren und zu stabilisieren, dürfte der gewichtigste Schwerpunkt augenblicklich sein, dafür zu sorgen, daß überhaupt noch Mittel für die so beschriebenen Aufgaben zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, aus diesem Grunde stimmen wir dem Haushalt zu. Es ist aber kein Geheimnis, daß sich die Bildungspolitiker meiner Partei - ich auch - bei den Haushaltsschwerpunkten im engeren Sinne, also konkret bezogen auf den Einzelplan des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft bzw. seine Einbettung in den Gesamthaushalt, auch andere Gewichtungen, z. B. im Hinblick auf die individuelle Ausbildungsförderung für Schüler, hätten denken können.
({4})
Daraus ergeben sich für uns Aufgaben für die Zukunft, die wir nicht vernachlässigen wollen, etwa hinsichtlich der Einbeziehung dieses Komplexes in die dringend notwendigen Überlegungen zur Umgestaltung des Familienlastenausgleichs
({5})
oder auch hinsichtlich der Klärung des weiteren Schicksals der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses - Art. 22 des Haushaltsbegleitgesetzes.
Genau in bezug auf diese beiden Punkte stellt sich beispielhaft die Frage nach der Kompetenz und der Aufgabe des Bundes in der Bildungspolitik. Es stellt sich die von mir vorausgeahnte und von Herrn Vogelsang gestellte Frage nach der gesamtstaatlichen Verantwortung, nach der Bundeseinheitlichkeit in wichtigen Bereichen der Bildungspolitik. Ich mache mir hier zu eigen, was der Vorsitzende meiner Partei, Hans-Dietrich Genscher, kürzlich auf dem Parteitag in Karlsruhe zu diesem uns beschäftigenden Thema gesagt hat. Er hat nämlich gesagt:
Ich bin gewiß kein Zentralist. Ich schätze als Liberaler die gewaltenteilende Funktion unseres föderativen Systems, und ich weiß um die darin liegende Chance der Vielfalt der Initiativen. Aber Vielfalt ist etwas anderes als Wirrwarr, und Gewaltenteilung ist etwas anderes als Entscheidungslähmung durch Einstimmigkeitszwang in der Kultusministerkonferenz.
({6})
Die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes muß zu ihrem Recht kommen, wo es um die Zukunft unserer Kinder geht.
Meine Damen und Herren, es gibt in allen Parteien eine Föderalismusdiskussion, auch in der SPD. Ich denke an das, was der frühere Staatssekretär Granzow kürzlich auf einen Artikel meiner Parteifreundin Frau Hamm-Brücher geantwortet hat. Da sprach er plötzlich davon, daß es nicht auf die Bundeseinheitlichkeit ankomme, sondern darauf, progressive Inseln in diesem Land in der Hoffnung zu bilden, daß sie einmal wieder zu Landmassen würden.
({7})
Das ist auch nicht das Maß an Bundeseinheitlichkeit, wie wir das früher gemeinsam gesehen haben.
({8})
Es ergeben sich in diesem Zusammenhang einige sehr wichtige Fragen auch gegenüber der SPD - so verstanden -: Sind die Länder willens und in der Lage, die mit diesen Aufgaben verbundenen 2974
auch finanziellen - Notwendigkeiten so zu leisten, daß ein vernünftiges Maß an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse eingehalten wird? Das gilt doch im Hinblick auf die Ausbildungsförderung, wenn ich einmal an das Land Nordrhein-Westfalen denke. Ich habe den Eindruck, daß dort die Mittel, die bisher für die Ausbildungsförderung zur Verfügung standen, eben nicht für diese Zwecke eingesetzt werden. Das sollten wir alle gemeinsam als unsere Aufgabe ansehen.
Wir sind weiterhin der Auffassung, daß der Bund auf eine gewisse Vordenkerfunktion angesichts der Entwicklungen in Technik und Wissenschaft nicht verzichten kann. Wir sind der Meinung, daß es gerade unter Beachtung der Interdependenzen zwischen allen gesellschaftlichen Bereichen auf eine gesamtstaatlich verantwortete Partnerschaft und verantwortliche Partnerschaft ankommt.
Schließlich darf Pluralismus - das darf ich noch sagen -, auf den sich die Diskussion um Föderalismus in der Bildungspolitik meistens bezieht, ja nun nicht mit Partikularismus und Provinzialismus verwechselt werden. Auch in den Ländern ist Zentralismus denkbar; nicht nur im eigenen Bereich, sondern auch im Verhältnis zu anderen Ländern, etwa wenn es um die Anerkennung von Abschlüssen geht. Gerade der Pluralismus braucht einen Rahmen, der nicht zu neuen Abhängigkeiten führt, sondern Abhängigkeiten abbaut.
Wer die Verlagerung von Verantwortung auf die Ebenen für richtig hält, auf denen verantwortlich zu handeln ist, wer die Verantwortung also näher an die Schulen und Hochschulen herantragen möchte, weil nur so Wettbewerb und Differenzierung möglich und zu verwirklichen sind, der muß auch einen gemeinsam verantworteten Rahmen bilden.
({9})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Ich darf doch bitten, Platz zu nehmen. - Bitte fahren Sie fort.
Wenn es den Damen und Herren von der SPD mit dem, was sie eben gesagt haben, mit ihren Angriffen auf die Bildungspolitik dieser Regierung ernst wäre, hätten sie vielleicht auch diese zwei Minuten Zeit gehabt, einmal mit aller Aufmerksamkeit zuzuhören.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich möchte den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft darin unterstützen, die dem Bund zustehenden Kompetenzen und die notwendigen Instrumente zur Sicherung sinnvoller bundeseinheitlicher Lösungen in Anspruch zu nehmen und zu stärken.
({0})
Ich möchte Frau Dr. Wilms für ihre Bemühungen danken, durch die Sicherung der Offenhaltepolitik des Bildungswesens Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit für unsere Kinder zu gewährleisten. Ich möchte vor allem an die Koalitionsfraktionen die Bitte um Unterstützung dieser Politik richten und schließlich uns alle auffordern, einmal nicht
so sehr an das zu denken, was uns gerade im Augenblick bewegt, sondern mehr an die Gegenwart und die Zukunft unserer Kinder.
({1})
Das Wort hat Frau Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Einzelplans 31 gibt mir Gelegenheit, noch einmal in aller gebotenen Kürze einige Schwerpunkte der Bildungspolitik der Bundesregierung zu verdeutlichen.
Ich glaube, ich darf mit Fug und Recht behaupten, daß die Bundesregierung im Jahre 1983 eine erfolgreiche Ausbildungspolitik hinter sich hat.
({0})
Seit Beginn dieses Jahres war es unser Anliegen, die Ausbildungschancen für junge Menschen zu vermehren. Mindestens 665 000 Ausbildungsverträge sind bis zum 30. September 1983 abgeschlossen worden.
({1})
Insgesamt stand ein Angebot von 685 000 betrieblichen Ausbildungsplätzen zur Verfügung. Das sind immerhin 40 000 mehr als im Vorjahr, und das angesichts einer schlechten Wirtschaftslage.
({2})
Hinzu kommen die Ausbildungsleistungen aus dem Sonderprogramm des Bundes und die zusätzlichen schulischen beruflichen Angebote der Bundesländer. So können wir davon ausgehen, daß bis zum Ende des Jahres, in diesem Jahr rund 700 000 junge Menschen eine berufliche Vollausbildung beginnen und erhalten.
({3})
Am Ende des Jahres 1983 werden nicht 50 000 unversorgt sein, sondern wir gehen etwa von der Hälfte aus. Die genauen Zahlen werden in Kürze vorliegen. Das bedeutet, daß durch das Engagement freier Kräfte mehr Ausbildungsverträge als je zuvor abgeschlossen wurden, und zwar ohne dirigistische staatliche Maßnahmen. Ich denke, wir sind uns darin einig, daß kein anderes Ausbildungssystem eine vergleichbare Leistung hätte erwirken können. Vor allen Dingen der Staat - davon bin ich überzeugt - und auch überbetriebliche staatliche Fonds wären überfordert gewesen, die enorme Nachfrage zu befriedigen.
Wir wissen, daß die große Nachfrage nach Ausbildungsplätzen mit etwa 715 000 Bewerbern in diesem Jahr eine Rekordhöhe hatte und u. a. auch durch die schlechte Wirtschaftslage bedingt war. Viele junge Menschen haben lieber Warteschleifen im Bildungssystem gezogen, als arbeitslos zu werden, und dies führt, wie wir alle wissen, gerade in wirtschaftlich strukturschwachen Regionen zu EngBundesminister Frau Dr. Wilms
pässen. Um dies abzumildern, hat die Bundesregierung ein Sonderprogramm, wie Sie auch wissen, mit einem Finanzvolumen von 160 Millionen DM verabschiedet, womit vor allen Dingen Mädchen geholfen wird.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?
Bitte schön.
Frau Minister Wilms, teilen Sie meine Auffassung, daß es auf jeden Fall begrüßenswert ist, daß junge Leute, statt direkt einen Arbeitsplatz zu suchen, zunächst eine Ausbildung mitmachen und daß sie sich in diesem Jahr verstärkt dafür entschieden haben?
Herr Kollege Kuhlwein, ich habe das völlig wertungsfrei gesagt. Selbstverständlich ist es besser, daß ein junger Mensch noch eine Runde im Bildungssystem macht, als daß er arbeitslos auf der Straße liegt. Es war völlig wertungsfrei gesagt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja.
Ich möchte zur Präzisierung nachfragen: Wollen Sie in Zukunft davon sprechen, daß eine betriebliche Ausbildung „eine Runde im Bildungssystem" ist, die man eben mal macht, oder daß es eine Verbesserung der Zukunftschancen des einzelnen Jugendlichen bedeutet, wenn er eine qualifizierte Ausbildung erwirbt?
Herr Kollege Kuhlwein, wir wissen alle - Sie sind genauso Fachmann wie ich -, daß es früher üblich war, wenn ein junger Mensch mit mittlerer Reife, der dann eine berufliche Fachschule mit Vollausbildung besucht hat, sofort in den Beruf ging und nicht etwa noch um eine betriebliche Lehre nachfragte. Dies geschieht heute aber aus Sorge, arbeitslos zu werden, und dies ist ein Weg, der zumindest nicht ganz normal ist.
Meine Damen und Herren, für 1984 sind nun allerdings jetzt - lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen - wieder die Pessimisten am Werk. Schon jetzt wird jungen Menschen Angst gemacht, wird ihnen ein Stück Hoffnung genommen, weil man jetzt schon wieder sagt: Es werden unlösbare Probleme vor uns stehen, die Wirtschaft wird überhaupt nicht in der Lage sein, mit den Problemen fertig zu werden.
({0})
Ich sage hier, daß die Wirtschaft gerade angesichts
der vorauszusehenden konjunkturellen Erholung,
die uns jetzt von allen Seiten prognostiziert wird, in
die Lage versetzt sein wird, ihre Ausbildungsanstrengungen von diesem Jahr zumindest zu wiederholen, wenn nicht sogar noch zu verstärken.
({1})
Ich erwarte auch von der Wirtschaft, daß sie angesichts der wirtschaftlichen Verbesserung insgesamt jetzt auch ihre Anstrengungen im nächsten Jahr bei der Ausbildung verstärkt.
Nach heutigen vorsichtigen Einschätzungen wird sich die Nachfrage etwa zwischen 720 000 und 730 000 Ausbildungsplätzen einpendeln. Die Zahl von 740 000, die jetzt auch von Journalisten kolportiert wird, ist nach allen Berechnungen der Fachleute wohl zu hoch.
({2})
- Sie wissen selbst, dies ist sehr, sehr hoch gegriffen. Sie haben die Aussagen in der Anhörung selbst gehört.
Es ist unbestritten, daß 1984 ein schweres Jahr wird. Aber - meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch schon hier für die Bundesregierung sagen - es geht überhaupt kein Weg daran vorbei: Auch die Ausbildungsprobleme des nächsten Jahres können nur von der Wirtschaft gelöst werden. Die Bundesregierung und die staatlichen Institutionen müssen alles tun, um die Ausbildungskraft der Wirtschaft zu stärken. Das Bundeskabinett wird sich noch vor Weihnachten mit dieser Frage befassen.
Lassen Sie mich hier deutlich darauf hinweisen, daß eine in der letzten Zeit mehrfach behauptete rechtliche Verpflichtung der Betriebe zur Ausbildung, insbesondere zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, nach Verfassung und Gesetz nicht besteht. Das in diesem Zusammenhang gern zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Dezember 1980 läßt sich zu dieser Problematik überhaupt nicht aus. Dieses Urteil beschreibt lediglich die historische Entwicklung des dualen Systems, und zwar im Zusammenhang mit der für die Entscheidung erheblichen Abgrenzung der Steuern von den Sonderausgaben.
Es besteht also weiterhin die politische Aufgabe, das freie Engagement der Wirtschaft zu ermutigen. Der Staat kann diese Ausbildungsleistung, die notwendig ist, so überhaupt nicht erbringen. Wer diese Position als Rückzug des Bundes aus der bildungspolitischen Verantwortung mißversteht, verkennt die Problemlage.
({3})
Ich finde, man macht es sich gelegentlich überhaupt zu einfach, vom angeblichen Rückzug des Bundes aus der Bildungspolitik zu reden. Ich denke, man will nicht sehen, daß diese Bundesregierung bewußt andere bildungspolitische Akzente setzt als frühere Bundesregierungen. Mit der Anmaßung bildungspolitischer Aktivitäten und Kompetenzen allein beim Bund sind auch die bildungspolitischen Probleme von heute und von morgen nicht zu lösen. Das gilt für die Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation ebenso wie für die Lösung der Hochschul2976
probleme oder auch der Begabtenförderung. Alle diese Aufgaben lassen sich nur in vertrauensvoller Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildungspolitik lösen.
Ich wiederhole, was ich schon früher immer gesagt habe: Die Bundesregierung vertritt einen kooperativen Föderalismus, in dem eine verfassungsgemäße und zielgerechte Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern angestrebt wird. Diesem Ziel dient auch die neue Organisationsform der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung.
Die Bundesregierung begrüßt, daß die BundLänder-Kommission wieder eine Plattform bietet, auf der bildungspolitische Fragen zwischen Bund und Ländern politisch gleichberechtigt erörtert und wichtige Entscheidungen auf politischer Ebene handlungsorientiert vorbereitet werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern an einigen wenigen Beispielen verdeutlichen.
Herr Kollege Vogelsang, Sie haben auf die 600 Millionen DM verwiesen, die in diesem Haushalt nicht mehr stehen, weil das Schüler-BAföG herausgenommen worden ist, schon durch Beschlüsse des Deutschen Bundestages im vergangenen Jahr. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß im Bereich der Ausbildungsförderung für Schüler die generelle Schülerförderung zu den Aufgaben der Bundesländer gehört, da die Schülerförderung nur in engem Zusammenhang mit der jeweiligen Schulsituation geregelt werden kann. Aufgabe des Bundes ist es hingegen, durch entsprechenden Umbau des Familienlastenausgleichs in den Familien die finanziellen Voraussetzungen für eine Förderung der Kinder zu legen und gezielte Sonderförderungen für Schüler einzurichten. Auf diesem Wege werden wir fortschreiten.
({4})
Die Förderung der Studenten dagegen ist Bundesangelegenheit. Durch die Umstellung des Studenten-BAföG auf leistungsorientierte Darlehensförderung wurden hier von der Bundesregierung neue Akzente gesetzt. Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zu dem Prinzip, daß Leistung und Studienerfolg als wichtige Kriterien für eine Darlehenserlaß zu gelten haben.
({5})
Der Einführung der Leistungskomponente in das Förderungsrecht kommt eine Signalwirkung für den gesamten Hochschulbereich zu.
({6})
Ob die jetzt angestrebte Lösung instrumentell diesem Ziel gerecht wird, werden wir nach einer Erprobungsphase zu überprüfen haben.
Meine Damen und Herren, ich darf hier auch darauf hinweisen - es wurde davon gesprochen -, daß der Bund seiner Verpflichtung bei der Hochschulbauförderung erst jetzt wieder nachkommt, und zwar durch den Ansatz von 1 200 Millionen DM, während sich die frühere Bundesregierung aus genau dieser Bundesverpflichtung zurückgezogen hatte.
({7})
Damit sind neue Chancen für junge Menschen geschaffen worden.
Die Bundesregierung strebt auch eine Vielfalt in der Förderung begabter und tüchtiger junger Menschen an. So hat die Bundesregierung die Mittel für die Begabtenförderungswerke aufgestockt und bemüht sich darum, stärker als in der Vergangenheit Leistungswettbewerbe und die Begabtenförderungswerke zu unterstützen.
({8})
Aber die Begabtenförderung ist nicht auf intellektuelle Begabung beschränkt. Vielmehr wird die Bundesregierung die Förderung praktischer Begabungen entsprechend vorantreiben.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß wir auch die Möglichkeiten für Auslandsaufenthalte, Auslandsstudien und Auslandsaustauschprogramme verstärken werden.
Mitverantwortung hat der Bund auch für die Ausbildung benachteiligter Jugendlicher; dazu bekenne ich mich voll und ganz. Hier hat die Bundesregierung die Mittel für das Benachteiligtenprogramm auf 144 Millionen DM aufgestockt.
({9})
In der mittelfristigen Finanzplanung der alten Bundesregierung waren dafür nur 80 Millionen DM vorgesehen.
({10})
Der heute vorgelegte Antrag der SPD-Fraktion, meine Damen und Herren, erscheint mir vor diesem Hintergrund allerdings als wenig seriös.
({11})
Er ist ja, wie Sie genau wissen, auch nicht finanzierbar.
({12})
Meine Damen und Herren, der Bund setzt auch in der Modell- und Forschungspolitik neue Akzente. Einen Rückzug des Bundes gibt es allerdings in einem anderen Bereich, nämlich bei den Modellversuchen für den Schulbereich. Hier hat der Bund wenig zu suchen. Wir werden die Mittel vielmehr auf zukunftsorientierte Fragestellungen im Kompetenzbereich des Bundes konzentrieren. Ich nenne etwa: neue Technologien in der beruflichen Bildung, Medienpädagogik, Weiterbildung, Mädchenausbildung oder neue Berufe für Abiturienten.
Meine Damen und Herren, eine andere ganz wichtige Aufgabe des Bundes ist - mittelfristig gesehen - die Mitgestaltung der Struktur der beruflichen Bildung und der Hochschullandschaft. Hier
hat der Bund eine sehr originäre Aufgabe, für die er auch heute bereits gefordert ist.
({13})
Sie wissen, daß ich für die Hochschulen in den letzten Wochen einen entsprechenden Rahmen abgesteckt habe.
Einen Moment, bitte, Frau Minister. - Ich darf doch um mehr Ruhe bitten. - Bitte schön.
Ähnliche Perspektiven müssen auch für die duale Ausbildung mit Blick auf die 90er Jahre entwickelt werden. Die Strukturprobleme, vor denen wir u. a. wegen starker demographischer Schwankungen und technologischer Entwicklungen stehen, müssen uns heute bereits beschäftigen.
Meine Damen und Herren, ich denke, daß der Einzelplan 31 - auch bei all seinen Einschränkungen, die ich selbstverständlich genauso bedaure - im Prinzip doch das von mir skizzierte Verständnis der bildungspolitischen Aufgaben des Bundes widerspiegelt. Sie dürfen gewiß sein, daß der Bund auch in Zukunft alle Anstrengungen unternehmen wird, um dem Ziel, allen jungen Menschen eine qualifizierte Ausbildung anzubieten, gerecht zu werden. Hierbei richtet sich die Bundesregierung nach den Bestimmungen der Verfassung und auch dem Gedanken der Subsidiarität.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Schluß, den Herren Berichterstattern aller Fraktionen einen herzlichen Dank für die faire Verhandlungsführung, für die Gesprächsbereitschaft und das angenehme Gesprächsklima, das wir miteinander hatten, auszusprechen. Ich bedanke mich ebenfalls bei allen Kollegen im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft. Dank auch den Kollegen im Haushaltsausschuß, die uns in der politischen Arbeit geholfen haben. Ich habe an alle Kollegen, die an dem Thema Bildung und Wissenschaft interessiert sind, die Bitte, daß wir gemeinsam versuchen, die Probleme im Jahre 1984 zu meistern.
Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe zuerst Art. 22 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 in der Ausschußfassung - Drucksache 10/690 - zur Abstimmung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe jetzt den Einzelplan 31, Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, zur Abstimmung auf.
Hierzu liegt auf Drucksache 10/750 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 31 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 31 ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksachen 10/648, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Schröder ({0}) Frau Seiler-Albring Verheyen ({1})
Hierzu liegen Änderungsanträge auf den Drucksachen 10/742 und 10/748 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. - Dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Brück.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Entwurf des Einzelplans 23 - Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit - des Bundeshaushalts für 1984, auch in seiner vom Haushaltsausschuß leicht geänderten Fassung, macht deutlich: Die Rechtskoalition hat jetzt auch die deutsche Entwicklungspolitik gewendet.
({0})
Wie das nun einmal so ist: Man wendet ja, um zurückzufahren. Die Rechtskoalition fährt die deutsche Entwicklungspolitik in die entwicklungspolitische Steinzeit zurück,
({1})
um nicht zu sagen: in die Hallstein-Zeit. Das gilt sowohl für die Quantität wie auch für die Qualität.
({2})
Bundesaußenminister Genscher hat Kontinuität in der deutschen Nord-Süd-Politik versprochen. Ich frage Sie: Wo bleibt diese Kontinuität? Herr Bundesminister Warnke, wenn ich mir Ihre Entwicklungspolitik betrachte, fällt mir immer der Name einer Schallplattenmarke ein. Der Name dieser Firma: „Die Stimme seines Herren". Sie kennen ja das Markenzeichen dieser Schallplattenfirma: Da sitzt ein Hund vor einem übergroßen Lautsprecher und horcht auf die Stimme seines Herren. Dieser Herr fährt ja gern nach Afrika, läßt sich als Monsieur Strauß feiern, geht auf Großwildjagd, - was ja
noch zu akzeptieren wäre, wenn er neben Böcken bei der Jagd nicht auch noch kapitale Böcke in der Politik schießen würde. Übrigens: eine Männerfreundschaft - jetzt meine ich nicht die zwischen Herrn Strauß und dem Bundeskanzler - zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten und einem afrikanischen Staatspräsidenten ist ja noch kein Grund für besondere Beachtung eines Landes bei der Gewährung deutscher Entwicklungshilfe.
({3})
Ich sprach von Veränderungen in der Quantität und in der Qualität. Lassen Sie mich zuerst etwas zu den Veränderungen in der Quantität sagen. Natürlich, die Baransätze im Einzelplan 23 steigen prozentual mehr als der Gesamthaushalt. Meine Damen und Herren, aus den Baransätzen kann man aber keine Tendenz der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit herauslesen, ganz einfach deshalb, weil die Baransätze nur der Vollzug von politischen Entscheidungen aus vergangenen Jahren sind.
({4})
- Herr Kollege Hüsch, nur aus den Verpflichtungsermächtigungen kann man die Tendenz der Politik herauslesen. Diese Tendenz ist im vorliegenden Entwurf schlimm, ganz schlimm.
({5})
In den kommenden Jahren werden die deutschen Entwicklungshilfeleistungen erheblich absinken, weil in diesem Haushalt die Verpflichtungsermächtigungen erheblich gekürzt worden sind.
({6})
Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Gegenüber 1982, also dem Jahr, in dem die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung den Bundeshaushalt zu verantworten hatte, sind die Verpflichtungsermächtigungen für die finanzielle Zusammenarbeit um ein Drittel gekürzt worden: von damals rund 3,3 Milliarden DM auf jetzt rund 2,2 Milliarden DM.
({7})
- Es wäre besser, Sie würden sich in der Entwicklungspolitik ein bißchen mehr auskennen, statt diese Zwischenrufe zu machen.
({8})
Das bedeutet, daß hier in künftigen Jahren auch die Barleistungen um ein Drittel sinken werden, es sei denn, man würde in künftigen Jahren nur sehr kurzatmige entwicklungspolitische Zusammenarbeit betreiben, sozusagen von der Hand in den Mund leben.
({9})
Aber wenn Entwicklungspolitik langfristig angelegt werden soll, braucht man heute Verpflichtungsermächtigungen, um Projekte vereinbaren zu können, die man in künftigen Jahren sorgfältig durchführen kann.
({10})
Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Antrag zur Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen sowohl bei der finanziellen Zusammenarbeit als auch bei der technischen Zusammenarbeit vorgelegt.
({11})
Dabei sind wir mit unseren Erhöhungsanträgen nicht so weit gegangen, daß das Volumen von 1982 erreicht würde. Wir haben insgesamt nur eine Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen um 530 Millionen DM beantragt.
({12})
damit es den Regierungsparteien leichterfällt, unserem Antrag zuzustimmen.
({13})
Nun zur Qualität. Natürlich wird die Qualität auch durch die veränderte Quantität beeinflußt. Da muß nämlich Mangel verteilt werden. Bei dieser Verteilung des Mangels haben Sie sich nicht im geringsten an das gehalten, was es an Konzeptionen deutscher Entwicklungspolitik gibt. Noch gelten j a formal die entwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregierung, auch wenn sie in der vorigen Koalition beschlossen worden sind. Ich erinnere noch einmal an das Versprechen des Bundesaußenministers, daß es in der Nord-Süd-Politik Kontinuität geben wird.
({14})
Deshalb haben Sie nach außen diese Grundlinien
nicht abgeschafft. Herr Kollege Hüsch, es gilt der
einstimmige Beschluß des Deutschen Bundestages,
({15})
an dem ja Sie, die damalige Opposition, sehr eifrig mitgearbeitet haben, woran ich mich sehr genau erinnere.
Aber ich nehme an, daß Sie im März 1982, als dieser Beschluß gefaßt worden ist, nicht daran gedacht haben, daß Sie die damals gefaßten Beschlüsse einmal einhalten müssen.
({16})
Jetzt scheint dieser Entschluß für Sie nur noch Makulatur zu seien.
({17})
Die Erläuterungen, nach denen die Verpflichtungsermächtigungen bewirtschaftet werden, sind vertraulich. Ich will mich an diese Vertraulichkeit halten,
({18})
obwohl das, was darin steht, kein Staatsgeheimnis ist.
({19})
Aber ich will der Bundesregierung die Flexibilität erhalten, die sie für Verhandlungen braucht.
({20})
Einige allgemeine Bemerkungen müssen jedoch gestattet sein.
Einige große Empfängerländer der deutschen Entwicklungshilfe werden auch im kommenden Jahr Zusagen in der gleichen Höhe wie bisher erhalten,
({21})
obwohl es sich bei ihnen zum Teil um Schwellenländer oder doch um schon mehr entwickelte Länder handelt.
({22})
Das heißt, sie werden von der Gesamtkürzung um ein Drittel nichts spüren. Dafür aber wird vor allem bei den am wenigsten entwickelten Ländern gekürzt, bei den ärmsten Ländern,
({23})
obwohl sich doch die Bundesrepublik mit Zustimmung aller verpflichtet hat,
({24})
diese Länder bei ihrer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit stärker zu unterstützen. - Herr Kollege Hüsch, auf Ihren Zwischenruf kann ich nur sagen, daß Sie selbst in einem Antrag gefordert haben, daß sich die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik auf die ärmsten Länder konzentrieren muß.
({25})
Sie leiden da an Gedächtnisschwäche.
Wir müssen also feststellen: Auch in der Entwicklungspolitik gibt es eine Umverteilung von unten nach oben.
({26})
Da ist z. B. ein Beitrag für ein reiches OPEC-Land vorgesehen und in die Rahmenplanung eingestellt, für ein OPEC-Land, dessen Bruttosozialprodukt höher ist als das manches europäischen Landes.
({27})
Man muß sich vorstellen: ein Ölland, dessen Bruttosozialprodukt höher ist als das mancher europäischen Länder! Die Bundesregierung hat überhaupt
keine Vorstellungen, wie sie dieses Geld ausgeben will, denn ein Projekt ist in der Rahmenplannung nicht enthalten.
({28})
Da steht nur drin: Da man jetzt die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit diesem Land beginne, gebe es noch kein Projekt. Ich sage noch einmal: für ein reiches OPEC-Land.
Nun haben Sie zwar in den Ausschußberatungen versucht, die Gesetze der Mathematik außer Kraft zu setzen und immer wieder bestritten, daß es, auf längere Sicht gesehen, zu Kürzungen für die am wenigsten entwickelten Länder kommt. Wenn ich aber den Gesamtansatz kürze und den Anteil einiger großer Empfängerländer nicht kürze, dann bedeutet das nichts anderes, als daß deren Anteil prozentual sogar ansteigt und daß der Anteil all der anderen Länder prozentual absinken muß, es sei denn, sie könnten aus einer Mark zwei Mark machen.
Es gibt auch noch andere Gesichtspunkte, unter denen Sie die künftige Aufteilung der deutschen Entwicklungshilfegelder sehen. Ich will zwar auch hier keine Ländernamen nennen, doch eines wird deutlich sichtbar: Länder, die sich selbst als linke Länder bezeichnen oder von anderen so genannt werden - wobei ich Wert darauf lege, daß „so genannt" in diesem Fall nicht in einem Wort geschrieben wird - erhalten weniger Zusagen und Länder, die sich rechts nennen oder von anderen so genannt werden, erhalten höhere Zusagen.
({29})
Wenn ich sage, daß sie so genannt werden, dann deshalb, weil ich davor warne, daß wir unsere Begriffe von links und rechts, von sozialistisch und kapitalistisch auf die Länder der Dritten Welt übertragen.
({30})
Wer diese Länder nur ein bißchen kennt, der weiß, daß diese Übertragung gefährlich und töricht ist, so wie es töricht ist, den Ost-West-Konflikt in die Länder der Dritten Welt zu tragen. Die Rechtskoalition aber tut das.
Auch ich weiß, daß der Ost-West-Konflikt aus den Ländern der Dritten Welt nicht nur dadurch herausgehalten werden kann, daß wir ihn heraushalten.
({31})
Auch ich weiß, daß die Sowjetunion als imperiale Macht auf den Feuern in der Dritten Welt ihr Süppchen zu kochen versucht, und daß sie diese Feuer oft auch entzündet. Ich frage mich aber, ob wir dann noch das Brennmaterial dazu liefern sollen.
({32})
Ich muß das wiederholen, was ich in der Aktuellen Stunde zum südlichen Afrika gesagt habe. Würden wir uns - unter wir verstehe ich uns, den Westen insgesamt - überall in der Welt für unsere
wesentlichen Ideale, für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - die wir j a für verteidigungswert halten - einsetzen, wären die Chancen der Sowjetunion, in der Dritten Welt Einfluß zu gewinnen, sehr gering. Die Kubaner stünden nicht in Angola, wenn der NATO-Partner Portugal rechtzeitig seine Kolonialpolitik aufgegeben hätte.
({33})
In Lateinamerika würde sich niemand kubanische Berater in sein Land holen - so schön ist das kubanische Modell ja auch nicht -, wenn es nicht zuvor in diesen Ländern blutige Ausbeutung und Unterdrückung gegeben hätte und dies von uns oft mehr geduldet wurde als das, was es an revolutionären und reformatorischen Bewegungen in den Ländern der Dritten Welt gibt.
Ich bestreite nicht, daß auch in der Entwicklungspolitik deutsche Interessen wahrzunehmen sind. Die Mitglieder der Bundesregierung haben darauf einen Eid geleistet. Wir alle sind darauf verpflichtet. Die Frage ist nur, wie man deutsche Interessen langfristig sichert. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir unsere Interessen langfristig nur dadurch sichern können, daß wir einkalkulieren, daß auch andere Interessen haben und wir nicht auf deren Interessen herumtrampeln.
Wir brauchen einen Interessenausgleich mit den Ländern des Südens. Wer den Frieden sichern will, der muß diesen Ausgleich anstreben. Von Willy Brandt stammt das Wort, daß er zweimal in seinem Leben erlebt habe, daß aus Kriegen Hunger wurde, und er nicht möchte, daß demnächst aus Hunger Krieg wird. Ich glaube, daß wir alle dem zustimmen können. Was mich an der Diskussion um die Sicherung des Friedens bei uns in den letzten Monaten gestört hat, ist unsere gemeinsame Fixierung auf den Ost-West-Konflikt, ist unser Eurozentrismus. Wir denken an uns in Europa, an unsere Sicherheit, an unseren Frieden. Wir sollten auch um die Konflikte wissen, die dadurch entstehen, daß die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Süd und Nord so groß ist.
Ziel der deutschen Entwicklungspolitik muß es sein, diese Kluft abzubauen. Um die Grundlinien der Bundesregierung zu zitieren: Ziel der deutschen Entwicklungspolitik ist die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den Ländern der Dritten Welt.
Der uns vorliegende Einzelplan 23 des Bundeshaushalts wird diesen Zielen nicht gerecht. Wir lehnen ihn deshalb ab.
({34})
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
({0})
- Pardon! Der wurde mir eben dazwischengemeldet.
({1})
- Gut, gut. Entschuldigung! Ich kann doch nur davon ausgehen, wie die Wortmeldungen hier oben eingehen. - Das Wort hat der Abgeordnete Schröder ({2}).
({3})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer außerordentlich seriösen und angesehenen Tageszeitung steht heute ein entwicklungspolitischer Leitartikel, in dem u. a. der Satz steht
({0})
- ich zitiere -: „Selbst die Entwicklungspolitiker im Parlament wissen wenig über Erfolge und Mißerfolge der Entwicklungsarbeit." Ich möchte als Haushälter die Kollegen, die in der Entwicklungspolitik tätig sind, gegen diesen Vorwurf hier ausdrücklich in Schutz nehmen.
({1})
Aber, Herr Kollege Brück, gerade der erste, sozusagen der polemische Teil Ihrer Rede läuft leider Gefahr, ein solches falsches Vorurteil in der Öffentlichkeit zu nähren.
({2})
Deshalb bedauere ich außerordentlich, daß gerade Sie diese einleitenden polemischen Bemerkungen gemacht haben.
Was heißt denn: Die Rechtskoalition hat die Entwicklungspolitik gewendet? Das ist doch ein reines Schlagwort ohne Substanz. Dieses Schlagwort ohne Substanz, lieber Herr Kollege Brück, kontrastiert bemerkenswert zu einer weiteren Aussage in dem eben von mir zitierten Leitartikel.
({3})
- In der FAZ, Herr Kollege Holtz. Wir dürfen aber hier im Parlament keine Werbung treiben.
({4})
Deshalb habe ich es unterlassen, den Namen zu nennen. - In diesem gleichen Artikel heißt es - ich darf wiederum wörtlich zitieren - unter Bezugnahme auf die Politik dieses Ministers: „Noch wird nicht viel anders gemacht."
Ich habe den Eindruck, die Wahrheit liegt in der Mitte. Lassen Sie mich deshalb in aller Klarheit sagen: Die gemeinsame Resolution der drei Fraktionen dieses Hauses vom 5. März 1982 ist nach wie vor die Grundlage der Entwicklungspolitik nicht nur der Koalition, sondern auch dieses Ministers.
({5})
Der einzige Unterschied, Herr Kollege Holtz, liegt vielleicht darin, daß Minister Warnke diese gemeinsame Resolution, wie ich meine, in der Zwischenzeit präzisiert, entideologisiert
({6})
und vor allem in finanzieller Hinsicht auf eine realistische Grundlage gestellt hat.
({7})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Bitte schön.
Herr Kollege Schröder, ist damit die Ideologie herausgenommen, die Sie damals im März 1982 in den Antrag hineingebracht haben?
Herr Kollege Brück, Ihnen sollte eigentlich deutlich geworden sein, daß Herr Minister Warnke eine eigene Handschrift in die Entwicklungspolitik hineingetragen hat,
({0})
die weder von mir noch von München noch von sonst irgendeiner Stelle beeinflußt wird.
({1})
Meine Damen und Herren, die Entwicklungszusammenarbeit mit der Dritten Welt ist für diese Regierung und diese Koalition eines der wichtigsten Instrumente unserer Friedenspolitik überhaupt. Wir haben trotz erheblicher eigener Wirtschafts- und Haushaltsprobleme die Verpflichtungen der Vorgängerregierungen so weit wie möglich eingelöst. Ich verhehle nicht mit einer gewissen Genugtuung, gerade im Angesicht der Debatten, die wir in den zurückliegenden Haushaltsjahren gehabt haben, daß im Angesicht dessen, was wir an finanz- und haushaltspolitischer Erbmasse vorgefunden haben, es schon eine erwähnenswerte und beachtenswerte Leistung ist, daß die Steigerungsrate des Entwicklungshaushalts, des Einzelplans 23, weit über der Durchschnittssteigerungsrate des Gesamthaushalts liegt, meine Damen und Herren,
({2})
und dies nicht nur für den Haushalt 1984, über den wir hier und heute sprechen, sondern für den gesamten Zeitraum der vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung.
Meine Damen und Herren, wir erfüllen damit nicht nur eine selbstverständliche humanitäre Pflicht. Als überwiegend exportabhängiges Land leisten wir - ich glaube, das sollten wir durchaus freimütig zum Ausdruck bringen - auch eine Investition für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit stabilen und kaufkräftigen Partnern.
({3})
Herr Kollege Brück, hier muß ich mich noch einmal ganz besonders an Sie wenden. Diese Regierung hat einen Berg von völkerrechtlichen Zusagen an die Länder der Dritten Welt in einer Größenordnung von etwa 27 Milliarden DM vorgefunden und übernommen. Dieses Volumen an Verpflichtungsermächtigungen - das wissen Sie besser als jeder andere, Herr Kolleg Brück -, ging von völlig unrealistischen Zuwachsraten aus, die schon Ende der 70er Jahre von uns als problematisch kritisiert worden sind.
({4})
Es war die schmerzliche Aufgabe in den Haushalten 1982, 1983 und auch noch im jetzt vor uns liegenden Haushalt 1984, die Lawine der Neuverpflichtungen mit aller Energie zu bremsen und um etwa ein Drittel zu kürzen, damit wir wieder auf ein solides und realistisches Finanzierungsfundament für die Zukunft kommen konnten.
({5})
Lieber Herr Brück, daß diese harten Eingriffe notwendig waren, lag und liegt nicht zuletzt - ich spreche Sie ganz persönlich an - auch an Ihrer Mitverantwortung in den zurückliegenden Jahren.
({6})
Die nötige und die betriebene Konsolidierung ist allerdings, wie mir scheint, 1984 erreicht. Lassen Sie mich deshalb mit aller Klarheit sagen, daß wir die Untergrenze der Verpflichtungsermächtigungen erreicht haben und ich davon ausgehe, daß auch der Bundesfinanzminister ab 1985 von der Notwendigkeit eines entsprechenden Anstiegs der Verpflichtungsermächtigungen zu überzeugen ist und entsprechend verfahren wird.
({7})
Meine Damen und Herren, es galt aber nicht nur, die finanziellen Grundlagen für den Entwicklungshaushalt und damit für die Entwicklungspolitik wieder herzustellen. Auch Inhalt und Qualität der Politik selber mußten konsolidiert werden. Dies bedeutete und bedeutet in erster Linie klare Vergabekriterien, die sich an den Prinzipien des politischen Pluralismus, der gegenseitigen politischen Toleranz und einem verstärkten Gewicht der Wahrung der Menschenrechte orientieren.
Herr Kollege Brück, wir bekennen uns - ich möchte das zum wiederholten Male zum Ausdruck bringen - zur Blockfreiheit und wollen eben gerade nicht das Nord-Süd-Verhältnis dem West-OstKonflikt unterordnen oder auch nur einordnen.
({8})
Allerdings sind wir daran interessiert - auch das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen -, daß die Entwicklungspolitik von ideologischem Ballast freigemacht wird. Wenn ich an einige der Anträge denke, die im Fachausschuß zum Haushalt 1984 gestellt worden sind, dann bin ich nicht ganz davon überzeugt, daß Ihnen dieses in der Zwischenzeit gelungen ist, meine Damen und Herren.
({9})
Lassen Sie mich ein weiteres, wie mir scheint, wichtiges Element unserer Entwicklungspolitik betonen, nämlich daß wir im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe und der deutschen Entwicklungspolitik sehr wohl legitime Eigeninteressen haben. Ich meine, je deutlicher und offener wir diese Eigeninteressen zum Ausdruck bringen,
({10})
um so offener werden wir auch auf das Verständnis unserer Partnerländer draußen stoßen.
Schröder ({11})
Ich möchte deshalb insbesondere in diesem Zusammenhang zu der umstrittenen Frage: Protektionismus oder Lieferbindungen sagen: Hier geht es aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, aus der Sicht der Prinzipien unserer Entwicklungspolitik weder um Protektionismus noch um Lieferbindung, sondern es geht um einen notwendigen und, wie ich denke, auch echten Interessenausgleich.
({12})
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Wenn ich von Interessenausgleich spreche, dann meine ich damit auch die Einbeziehung der privatwirtschaftlichen Initiativen. Meine Damen und Herren, so wichtig ein Anstieg der öffentlichen Entwicklungshilfe ist - darüber gibt es überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und uns -, so kann sie doch die Notwendigkeit privater und direkter Investitionen nicht ersetzen.
({13})
Privatwirtschaftliche Initiativen in den Entwicklungsländern schaffen, wie mir scheint, wesentliche - nicht alleinige - Grundlagen für
({14})
den sozialen Fortschritt in diesen Ländern.
({15})
Richtig gesteuert tragen sie zum Aufbau der für viele Entwicklungsländer so wichtigen wirtschaftlichen Mittelschicht bei, die bei uns in den entwickelten Industrieländern Grundlage des wirtschaftlichen Wohlstandes ist, und schaffen letztlich Arbeitsplätze. Aus diesem Grunde begrüßen wir die Akzentsetzungen, die unter diesem Minister im Haushalt 1984 gerade in diesem Bereich vorgenommen worden sind. Ich nenne beispielsweise die Einrichtung des Beraterprogramms für Investitionen gerade unserer mittelständischen Wirtschaft in der Dritten Welt. Herr Kollege Brück, ich nenne die Verstärkung des Programms der gezielten Handwerksförderung in den Entwicklungsländern um immerhin 50 %.
({16})
Ich nenne in diesem Zusammenhang die Flankierung durch das Niederlassungs- und durch das Technologietransferprogramm.
({17})
Schließlich und letztlich gehört auch der im vergangenen Jahr von uns gemeinsam eingerichtete Senior-Experten-Service dazu.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines allerdings sehr deutlich sagen: Wir haben dieses Senior-Service-Korps und das damit verbundene Programm von Anfang an als einen Eigenbeitrag der Wirtschaft aufgefaßt. Ich will hier deshalb mit aller Deutlichkeit sagen, daß eine staatliche Subventionierung für uns auf Dauer nicht in Frage kommt,
({18})
sondern ich fordere die Wirtschaft mit aller Entschiedenheit auf, dieses Programm in Eigenregie und in eigene Hände zu nehmen.
Lassen Sie mich aus der Sicht der Haushaltsberichterstatter einen Punkt ansprechen, der in einem mittelbaren Zusammenhang gerade mit diesem Komplex steht und der in der Vergangenheit häufig - auch in diesem Hause - erörtert worden ist: Ich meine die Förderung der Arbeitnehmergesellschaften, die aus dem BMZ-Haushalt vorgenommen worden ist. In einem Sonderprogramm förderte das BMZ, wie wir alle wissen, seit Jahren den Aufbau von Arbeitnehmergesellschaften, insbesondere in der Türkei. Das Hauptziel dabei war die Reintegration türkischer Arbeitnehmer und die Schaffung von Arbeitsplätzen in ihrer Heimat. Kürzlich abgeschlossene Untersuchungen haben - leider, muß ich hinzufügen - belegt, daß der tatsächliche Rückgliederungseffekt dieses Programms äußerst gering ist und daß ein größerer Teil der geförderten Unternehmen rote Zahlen schreibt. Wir haben deshalb darauf hingewirkt, daß dieses Programm neu definiert wird, und zwar etwas stärker in Richtung auf die einzelbetriebliche Förderung. Ich will aber dennoch zum Ausdruck bringen: Fraglos sind und bleiben die Arbeitnehmergesellschaften ein entwicklungspolitisch sinnvolles und unterstützungswürdiges Instrument.
({19})
Sie führen Sparkapital produktiven Investitionen zu. Gerade in der Türkei können diese Unternehmen bei richtiger Planung und qualifiziertem Management zur wirtschaftlichen Gesundung dieses Landes - aber nicht nur dort - beitragen. Ich meine, hierauf muß bei der Steuerung dieses Programms künftig das Augenmerk liegen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letzten allgemeinen Punkt ansprechen: die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit. Wenn ich es aus den Erfahrungen, die wir alle gemacht haben, richtig sehe, dann ist der Erfolg unserer Entwicklungshilfe und damit auch der Erfolg unserer Entwicklungspolitik nicht nur eine Frage des Geldes - natürlich spielt das eine wesentliche Rolle -, er ist nicht nur eine Frage von Programmen - natürlich spielt das richtige Programm auch eine Rolle -, sondern der Erfolg oder Mißerfolg unserer Entwicklungshilfe und unserer Entwicklungspolitik hängt letztlich vom Einsatz unserer Menschen ab.
({20})
Mit den Partnern in den Entwicklungsländern muß deshalb intensiver als bisher gesprochen werden. Die Projekte müssen vor Ort kontinuierlicher verfolgt, begleitet und auch evaluiert werden. Das sind in erster Linie, wie ich meine, die eigentlichen Aufgaben dieses Ministeriums, des BMZ.
Die gegenwärtige Außenstruktur des BMZ - das lassen Sie mich ganz freimütig zum Ausdruck bringen - steht dem entgegen. Es fehlt, wie mir scheint, häufig die nötige Präsenz vor Ort. Die Einrichtung von Entwicklungshilfereferenten an den
Schröder ({21})
deutschen Botschaften war beispielsweise ein Schritt, dieses Problem einer Lösung näherzubringen. Ich meine nur, daß dieser Schritt bisher nicht befriedigend vollzogen ist.
({22})
Uneinheitliche Kompetenzverteilung und hierarchisch niedrige Einstufung dieser Referenten machen das Instrument häufig, jedenfalls in einigen Entwicklungsländern, stumpf und fragwürdig. Zudem ist die Zahl dieser Entwicklungsreferenten, die mit dem Erfahrungsschatz ihres Ministeriums arbeiten, bei weitem zu gering. Ich appelliere deshalb insbesondere an das Auswärtige Amt, in dieser Frage in Zukunft eine etwas offenere Haltung einzunehmen als bisher.
({23})
Einen Schritt zu mehr Mobilität des BMZ bedeutet auch die von uns gemeinsam - in Abweichung von allen anderen Einzelplänen - vorgenommene Anhebung des Reisetitels. Solange die Außenvertretung vor Ort so mangelhaft ist, müssen die Bearbeiter näher an ihre Projekte. Ohne diese Nähe zur Praxis läßt sich politische Verantwortung für bessere Qualität der Entwicklungsarbeit, der Entwicklungshilfe nicht tragen. Meine Damen und Herren, gerade das BMZ muß durch entsprechende personelle und die damit verbundene finanzielle Ausstattung der entsprechenden Haushaltstitel so praxisnah wie nur irgend möglich draußen arbeiten.
({24})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nach diesem Gedankengang zum Schluß kommen, indem ich zusammenfassend feststelle: Der Einzelplan 23 ist, Herr Kollege Brück, sachlicher und solider geworden,
({25})
das Zahlenwerk ist realistischer bemessen, und deshalb können wir diesem Haushalt guten Gewissens zustimmen.
({26})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Gottwald.
Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident!
({0})
Die meisten Leute neigen dazu, mit Entwicklungspolitik per se etwas Positives zu verbinden, und achten demzufolge lediglich auf die Quantität der gegebenen Kredite. Wir GRÜNEN sind der Ansicht, daß dieser Mythos ausgeräumt werden muß. Gerade auch während der Haushaltsdebatte möchten wir nochmals darauf hinweisen, daß Entwicklungshilfe primär unter inhaltlichen Gesichtspunkten zu betrachten ist. Unsere Kritik richtet sich damit vorwiegend gegen die Funktion und die Strukturen der Entwicklungspolitik des CSU-Ministeriums und seiner Helfer im Finanzministerium und im Auswärtigen Amt.
Bundesdeutsche Entwicklungspolitik degeneriert zunehmend zum ausschließlichen Instrument der bundesdeutschen Exportwirtschaftsförderung und der Außen- und Sicherheitspolitik.
({1})
Entwickelt werden eigene Interessen, realisiert auch. Das Ganze nennt sich dann partnerschaftlicher Dialog. Diese Vorgaukelpolitik, man setze sich für die Armen in der Dritten Welt ein, diese seien sogar Anlaß der Entwicklungspolitik, ist zwar keineswegs neu - auch die SPD/FDP verfuhr nach diesen Grundkonzepten -, erschreckend ist aber die Geschwindigkeit, ...
({2})
Frau Abgeordnete, einen Moment! - Bitte.
... mit der der beschäftigungswirksame und außenpolitische Hammer auf die letzten noch sinnvollen Nischen im Ministerium niedersaust.
({0})
In sämtlichen vermeintlich bloß entwicklungspolitischen Auseinandersetzungen der letzten Zeit - sei es zu Zentralamerika, sei es zum südlichen Afrika, zum Nahen Osten oder zum fünften entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung - gaben außenpolitische, ökonomische und ordnungspolitische Gesichtspunkte den Ausschlag. Liest man den entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung, also das zentrale Regierungsdokument zum Thema, so stellt man fest, daß es sich in weiten Strecken um einen Investitionshilfebericht für die Industrie handelt. Dort ist die Rede von Niederlassungskrediten, Technologieprogrammen, Förderung betrieblicher Kooperation, Kapitalanlagegarantien, Bürgschaften für ungebundene Finanzkredite, Exportförderung, Mischfinanzierung und ähnlichen Nettigkeiten.
Um die Bedürfnisse und den Bedarf der Entwicklungsländer geht es jedenfalls nicht. Man gewinnt den Eindruck, als würden die Hungernden in der Dritten Welt von den Überschußexporten und vom überschüssigen Kapital unserer kaputten Industriegesellschaft satt. Der einzige Effekt, den diese Politik für die Entwicklungsländer hat, ist das stetige Steigen der Verschuldungsspirale. Mich erinnert diese Politik an das Drama eines Fixers:
({1})
Der erste Schuß ist umsonst oder zu günstigen Konditionen; danach gibt es kein Entrinnen mehr. Die Wahl ist nicht mehr frei, die Mittel sind knapp. Die Antwort ist: Rechnungen, Bedingungen, Auflagen.
Hintergrund dieses entwicklungspolitischen Unsinns ist die Philosophie der Gleichheit von Ungleichen, die Philosophie der freien Marktwirtschaft und des uneingeschränkten internationalen Handels, der zwar das Elend und die Abhängigkeit in der Dritten Welt hervorruft, aber wenigstens den kapitalkräftigen Fraktionen in den Industrieländern die Bäuche sättigt.
({2})
Ordnungspolitischer Garant dieser Politik sind der Internationale Währungsfonds und seine Subinstitutionen, an dessen politischen Leitlinien sich die bundesdeutsche Entwicklungspolitik orientiert.
({3})
- Ja. - Länder, die sich diesen westlichen Werten nicht unterordnen und weiterhin auf das Recht einer eigenen Entwicklungswegstrategie pochen, wird der Geldhahn zugedreht. Tansania ist eines der Opfer dieser Politik.
({4})
Weil es nicht bereit war, sich gänzlich der IWF-Politik unterzuordnen, ist die Entwicklungshilfe im Etat 1984 gekürzt worden.
({5})
Generell werden die Länder bevorzugt mit Entwicklungshilfe versehen, die bundesdeutsche Produkte mit diesen Krediten kaufen. „Lieferbindungen" nennt man es nicht, es sind aber welche. Um die Kapitalhilfe ja nicht verpuffen zu lassen, hat die Bundesregierung im neuen Einzelplan 23 den Titel für die finanzielle Zusammenarbeit vorsorglich mit folgendem neuen Zusatzpunkt versehen - ich zitiere -: „Es werden auch solche Vorhaben gefördert, die gleichzeitig struktur- und beschäftigungs- und konjunkturpolitisch wirksam sind."
({6})
Das Wort „auch" kann gestrichen werden. Der Vorsatz ist eh erfüllt.
Schon die alte Bundesregierung hat 1980 eine Studie beim Deutschen Institut für Wirtschaft in Berlin zur Bemessung der Effizienz der sogenannten Entwicklungshilfe für die hiesige Wirtschaft in Auftrag gegeben. Das Ergebnis war: Jede Mark Entwicklungshilfe kommt als Auftrag im Wert von 1,25 DM zurück. Heute dürfte das Geschäft noch lukrativer geworden sein.
Im Einzelplan 23 liegt das Schwergewicht auf den Titeln, von denen sich die Bundesregierung eine Entlastung der hiesigen Wirtschaft verspricht. Das Interesse ist so groß, daß selbst Titel wie das Niederlassungsprogramm oder das Technologieprogramm favorisiert werden, die laut Evaluierungsberichten wenig effizient sind. Ganz anders geht man jedoch mit Titeln um, die zwar laut eigener Programmatik Schwerpunkte darstellen sollen, aber, da sie materiell nichts bringen, zunehmend Alibifunktion erhalten und auch so behandelt werden. Zu nennen sind hier die Förderung privater Träger, die nicht dem wirtschaftlichen Bereich angehören, und die personelle Zusammenarbeit, die nicht zum wirtschaftlichen Bereich zu zählen ist, also keine betriebliche Beratung usw.
Dem DED als dem wichtigsten Instrument der personellen Zusammenarbeit wird das Leben politisch und finanziell schwergemacht. Wir haben diesbezüglich einen Änderungsantrag eingereicht und hoffen, daß der Erhöhung der Mittel für den DED zugestimmt wird. Ich verweise dabei nochmals auf die Empfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Erhöhung des Titels. Gemeint war nicht die Umschichtung der Finanzen zwischen den beiden Titeln, wie sie vom Haushaltsausschuß vorgenommen worden ist.
Erhöht wurde hingegen der Titel für die hauseigene Propagandaarbeit des BMZ, die Public-Relations-Arbeit für den Minister und seine tiefschürfenden Hochglanzbroschüren. Im Ausschuß abgelehnt wurde allerdings die von uns beantragte Erhöhung der Mittel für entwicklungspolitische Aktionsgruppen von lediglich 120 000 DM auf 170 000 DM. Obwohl von Regierungsseite und CDU/ CSU stets die Wichtigkeit von Öffentlichkeitsarbeit betont wird, wurde dem nicht zugestimmt. Dieser Vorsatz bezieht sich wohl nur auf die Regierungspropaganda und die eigene Parteipolitik.
Noch ein Wort zur Außenpolitik des BMZ. Allein ein Viertel der gesamten Kapitalhilfe fällt dem Kriegstreiber Israel, der NATO-Diktatur Türkei und den Integrationsländern für den Nahen Osten, Ägypten und Jordanien zu. Es dürfte der Bundesregierung schwerfallen, diese Schwerpunkte entwicklungspolitisch zu legitimieren. Aber sie versucht es j a auch schon lange nicht mehr. Übrigens waren die Konturen dieser Prioritätensetzung auch schon unter sozialliberaler Führung sichtbar. Ich erinnere nur an die massive Türkeihilfe.
Nicht unerwähnt bleiben soll die Zentralamerikapolitik der Bundesregierung. Die Absicht der Bundesregierung ist klar.
({7})
- Gedulden Sie sich, es kommt sofort. - Mit dem Argument, in dieser Region entwicklungspolitisch verschärft aktiv werden zu wollen, liefert sie sich eine Legitimation für die geplante Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit dem Terrorregime in El Salvador. Das Auswärtige Amt spielt die Begleitmusik mit der Wiederentsendung eines Botschafters dazu.
Ganz abgesehen davon, daß es auf lange Sicht überhaupt keine Chancen auf zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Sinne einer bevölkerungsnahen Politik in El Salvador gibt, scheint sich die Zusammenarbeit nicht mit allen Ländern der Region zu verstärken. Die Mittel für Nicaragua - ein Land, in dem es sich auf Grund der günstigen Rahmenbedingungen lohnt, entwicklungspolitisch aktiver zu werden - werden gekürzt bzw. bereits seit 1981 vorgesehene Mittel werden blockiert; das mit Argumenten, die nur noch als bewußte politische Denunziation bezeichnet werden können, oder mit vorgeschobenen technischen oder projektbezogeFrau Gottwald
nen Schwierigkeiten, wobei diese Aussagen einer Überprüfung nur schwerlich standhalten werden.
({8})
Abgesehen von der unverantwortlichen Unkenntnis der Entscheidungsträger im BMZ über die Situation in Nicaragua, allen voran der Minister - ich unterstelle einmal, daß es Unkenntnis ist -, hat die geplante Zentralamerikapolitik des BMZ mit Entwicklungshilfe im eigentlichen Sinne des Wortes überhaupt nichts zu tun. Es handelt sich um einen außenpolitischen Vorstoß des BMZ, wobei die Konzeption aufs engste mit dem Bündnispartner, der in dieser Region für die Kriege verantwortlich ist, abgestimmt zu sein scheint.
({9})
Wenn man den demokratischen Wiederaufbau Nicaraguas will, ist es unverantwortlich, in diesem Moment die Mittel zu kürzen oder nicht auszuzahlen. Wir werden deshalb den Antrag auf Erhöhung der Kredite für Nicaragua und auf Streichung der 20 Millionen DM für El Salvador stellen.
({10})
Vor diesem Hintergrund lehnen wir den Einzelplan 23 selbstverständlich ab.
({11})
Noch ein Bonmot für die besonders engagierten Entwicklungspolitiker im Saal.
({12})
In der Übersicht des Einzelplans 23 ist zu den Ausgaben der Bundesrepublik auf dem Gebiet der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in den Anmerkungen zu lesen - ich zitiere -:
Einzelnen Entwicklungsländern werden ferner Rüstungsaufträge aus Ausgaben des Epl. 14 erteilt, die der Förderung der Wirtschaft dieser Länder dienen.
Das heißt, dieser Betrag fließt selbstverständlich mit in das Volumen der Entwicklungshilfe, die die Bundesrepublik leistet, ein.
({13})
Ich denke, das bedarf keiner Kommentierung. Ich möchte nur darauf hinweisen, weil sich die Bundesrepublik immer so rühmt, so einen großen Etat zu haben.
Ich danke Ihnen.
({14})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Brück, wenn Sie den vorgelegten Haushalt zur Grundlage Ihrer Ausführungen machen, haben Sie nun wirklich, wie ich meine, keinen Anlaß zu ideologischem Schattenboxen. Ich bin sicher, Herr Brück, daß Sie das im Grunde auch so sehen, daß nämlich die von allen Fraktionen dieses Hauses formulierten Grundsätze zur Entwicklungspolitik vom 5. März 1982, die Sie j a auch angesprochen haben, noch immer Gültigkeit haben. Die Probleme, die im Rahmen des Einzelplans 23 zur Lösung anstehen, bedürfen, so meine ich, ohnehin intensiver gemeinsamer Anstrengungen.
Ähnlich wie Frau Gottwald möchte ich gerne einige grundsätzliche Ausführungen zur Entwicklungspolitik machen. Daß ich zu anderen Schlüssen kommen werde, wird Sie nicht überraschen. Frau Gottwald, daß Sie der Bundesregierung gern etwas ans Bein geben möchten, kann ich aus Ihrer Situation noch verstehen; aber das Wort vom „Kriegstreiber Israel" ist meines Erachtens ungezügelte Polemik.
({0})
Die wirtschaftliche Situation der Länder der Dritten Welt hat sich im vergangenen Jahr drastisch verschlechtert. Hohe Zinsen am Kapitalmarkt, der weiter steigende Dollarkurs, rückläufige Nachfrage nach ihren Produkten haben die Überschuldung der Länder der Dritten Welt in bedrückende Höhen getrieben. Der Umfang der mittel- und langfristigen Auslandsverbindlichkeit dieser Länder aus öffentlichen und privaten Quellen erreichte 1982 mehr als 600 Milliarden US-Dollar. Dieses ist mehr als besorgniserregend, da immer neue Schulden zum Begleichen der alten aufgenommen werden müssen, da immer mehr Zinsen fällig werden, bevor die eingeleiteten strukturellen Anpassungsmaßnahmen die Chance hätten, sich positiv auszuwirken.
Ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt auch heute noch in absoluter Armut und Not. Diese Zahl wird eher zunehmen, als daß man in absehbarer Zeit nachhaltige Verbesserungen erwarten könnte.
Der Entwicklungshilfeetat steigt auch 1984 wieder überproportional, und zwar auf 6,4 Milliarden DM. Aber, meine Damen und Herren, wir stehen heute vor der Notwendigkeit, uns Rechenschaft darüber abzulegen, ob - und falls nicht, aus welchen Gründen - unsere Entwicklungspolitik ihr Ziel, die wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen in der Dritten Welt zu verbessern, erreicht hat oder überhaupt erreichen kann.
Lange Zeit hatte es zumindest in den westlichen Industrieländern als selbstverständlich gegolten, daß die Entwicklung der Länder der Dritten Welt durch die Herausbildung wirtschaftlicher und politischer Strukturen forciert werden könnte, die denen in den westlichen Industrieländern ähneln. Inzwischen stellen diese Länder zunehmend die Frage, ob wir Industrieländer tatsächlich ein erstrebenswertes Vorbild darstellen.
({1})
Die Entwicklungsländer bemühen sich immer stärker, Wege und Ziele ihres Entwicklungsprozesses
besser in Einklang mit den gewachsenen heimi2986
schen sozialen und kulturellen Traditionen zu bringen.
({2})
Es ist eine Ernüchterung im Hinblick auf die Zeiträume eingetreten, in denen Unterentwicklung überwunden werden kann.
Halten wir fest: In den klassischen Industrieländern vollzog sich der Prozeß der Industrialisierung über mehrere Generationen. In der entwicklungspolitischen Diskussion der vergangenen Jahrzehnte trifft man aber oft auf die Vorstellung, die Entwicklungsländer könnten vergleichbare Entwicklungserfolge, diese großen Sprünge, binnen einer oder zwei Generationen erzielen. Von einigen wenigen Entwicklungsländern abgesehen - auch hier muß man Fragezeichen setzen -, haben sich diese Erwartungen als gefährliche Illusion erwiesen. Dabei konnten die Entwicklungsländer seit 1950 bemerkenswerte Wachstumserfolge verzeichnen. Das Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer war stärker als das der klassischen Industrieländer. Das Ausmaß der erzielten Fortschritte ist um so bemerkenswerter, als in den meisten Entwicklungsländern wichtige Bedingungen der wirtschaftlichen Entwicklung, Ausbau der Infrastruktur, Ausbildung der Bevölkerung, die in den klassischen Industrieländern vor dieser Zeit geschaffen worden waren, nicht gegeben waren.
Trotz unbestreitbarer Erfolge haben sich die entwicklungspolitischen Probleme weltweit verschärft. Folgende Gesichtspunkte sind festzuhalten:
Entwicklungsländer haben um so geringere Fortschritte erzielen können, je ärmer sie waren. Die in traditioneller Manier auf die Finanzierung von Investitionsprojekten zielende Entwicklungshilfe wird natürlich von den Ländern leichter umgesetzt, die bereits über eine gute Wirtschafts- und Verwaltungsinfrastruktur verfügen und in denen eigene Konzepte die örtliche Entwicklung begünstigen. Gerade aber die Länder, die ihre Entwicklung sehr rasch haben vorantreiben können, überfordern durch die damit verbundenen tiefgreifenden Umwälzungen zunehmend die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Anpassungsfähigkeit und -bereit-schaft weiter Teile ihrer Bevölkerung.
Ein besonders gravierendes Problem bildet in diesem Zusammenhang das anhaltend rasche Wachstum der Bevölkerung in den Ländern der Dritten Welt: Die Lebenserwartung ist dort seit Jahrzehnten stark gestiegen, die Geburtenraten beginnen sich dieser Entwicklung erst allmählich anzupassen.
Wenn man also davon ausgeht, daß Unterentwicklung durch eine Mehrzahl von Faktoren verursacht ist, müssen die komplexen Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen, technologischen, sozialen, kulturellen, politischen und ökologischen Faktoren ermittelt werden und in die Konzeption unserer entwicklungspolitischen Zielvorstellungen Eingang finden.
({3})
Die Einführung z. B. neuer Technologien nützt nichts, wenn nicht auch institutionelle Reformen wie etwa eine Agrarreform durchgeführt werden. Wir müssen die Grundidee der Entwicklungshilfe, der Hilfe zur Selbsthilfe, neu überdenken.
({4})
Es mehren sich Anzeichen, daß die Gewöhnung an Entwicklungshilfe in manchen Empfängerländern auf längere Sicht gegenläufig wirken kann. Die Aktivität der einheimischen Bevölkerung ist auf Grund der umfangreichen Hilfsleistung in extremen Fällen rückläufig. Hier ist es wie auch sonst bei Subventionen: Wer auf Dauer alimentiert wird, gerät in die Versuchung, von eigenen notwendigen Anstrengungen abzulassen.
({5})
Lassen Sie mich abschließend einige Kriterien nennen, an denen sich die Entwicklungspolitik der Zukunft nach Meinung meiner Fraktion ausrichten muß. Dabei werden Sie feststellen, meine Damen und Herren, daß wir uns hier durchaus in der Kontinuität unserer Politik bewegen.
Wir lehnen weiterhin jeglichen Versuch ab, den West-Ost-Konflikt in die Nord-Süd-Politik hineinzutragen.
({6})
Die Einteilung in sogenannte gute und schlechte Entwicklungsländer ist untauglich. Die Mittelvergabe darf nicht zur Prämie für politisches Wohlverhalten degenerieren.
({7})
- Aber Herr Bindig, lassen Sie sich doch überraschen!
({8})
Die Mittelvergabe hat sich vielmehr primär an der Befriedigung von Grundbedürfnissen der Menschen in der betreffenden Region auszurichten. Nichts, meine Damen und Herren, darf uns daran hindern, auf Menschenrechtsverletzungen empfindlich zu reagieren.
({9})
Regelverletzungen einer Regierung dürfen aber nicht zu einer zusätzlichen Bestrafung der betroffenen Länder und Völker werden, indem man einem solchen Land und seiner Bevölkerung selbst eine grundbedürfnisorientierte Entwicklungshilfe verweigern würde.
({10})
Entwicklungshilfe und Außenpolitik dürfen nicht gegenläufig sein, sondern sollen sich in enger Abstimmung zwischen den Koalitionspartnern sinnvoll und kooperativ ergänzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang dem Minister ausdrücklich dafür danken, daß er hier heute mit seiner Zusage für
Nicaragua ein Zeichen in diesem Sinne gesetzt hat.
({11})
Unsere Politik, meine Damen und Herren, muß die Selbständigkeit der Staaten der Dritten Welt fördern, die Blockfreiheit in diesen Ländern stärken. Weder sollten wir die Systeme der politischen Unterdrückung, gleich, welcher Provenienz - das bitte ich einmal eindeutig zu beachten -, stabilisieren noch versuchen, unser an westlichen Normen orientiertes Wertesystem anderen Ländern auf alle Fälle und um jeden Preis aufzupfropfen.
Auch in Zeiten angespannter Haushaltslage ist es im Interesse unserer Glaubwürdigkeit im NordSüd-Dialog unsere Pflicht, unsere entwicklungspolitischen Leistungen einzuhalten und den Rahmen nach Möglichkeit auszuweiten, wobei bei der Planung des Mitteleinsatzes verstärkt die jeweiligen sozialen, kulturellen und geographischen Bedingungen und Gegebenheiten der jeweiligen Entwicklungsländer stärker zu berücksichtigen sind.
Im Zielkonflikt, Frau Gottwald, zwischen dem Verzicht auf Lieferbindungen einerseits, für die es ja gute Gründe gibt - die langfristigen Interessen auch der deutschen Wirtschaft auf den Weltmärkten, die Absage an protektionistische Tendenzen -, und dem Kriterium Beschäftigungswirksamkeit angesichts der hohen Arbeitslosigkeit bei uns zu Lande andererseits - was auch unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz unserer Entwicklungshilfepolitik in der Bevölkerung von Wichtigkeit ist - sollte man versuchen, einen Mittelweg zu beschreiten, der bei der Entscheidung über ein Projekt die Priorität des entwicklungspolitischen Nutzens für das Empfängerland betont, und erst dann eine Auswahl der Projekte mit Beschäftigungswirksamkeit auch für die Bundesrepublik treffen.
({12})
Dies dürfte angesichts des 1982 erreichten deutschen Auftragsanteils an entwicklungspolitischen Maßnahmen von 82 % im Grundsatz auch kein Problem sein.
Meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik soll nach unserem Selbstverständnis die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Länder der Dritten Welt verbessern und das Nord-Süd-Gefälle mildern. Entwicklungspolitik ist aber nicht zuletzt auch Politik zur Stabilisierung und Sicherung des Friedens.
({13})
Deshalb muß es uns sehr nachdenklich stimmen, wenn wir hören, daß die Aufwendungen der Staaten der Dritten Welt für ihre militärischen Zwecke - oft zu Lasten ihrer Entwicklungsaufgaben - ständig ansteigen und daß der Anteil der Entwicklungsländer an den weltweiten Rüstungsausgaben, der 1965 noch bei 6 % lag, heute mehr als 15% beträgt.
({14})
- Frau Gottwald, wir haben Ihnen auch zugehört. Seien Sie doch so nett, auch zuzuhören; ich bin gleich fertig.
Meine Damen und Herren, wenn wir im Grundsatz übereinstimmen, daß Entwicklungspolitik der Sicherung des Friedens dient, muß es uns bedenklich stimmen, daß die Länder des Ostblocks Entwicklungspolitik offensichtlich nur im Zusammenhang mit Militärhilfe sehen.
({15})
Das steht im krassen Widerspruch zu den sonst bei jeder Gelegenheit auftauchenden Beteuerungen, daß die Staaten des Warschauer Paktes besonders friedensliebend seien.
({16})
Auch die Argumentation, die Staatshandelsländer seien für die Misere in den Entwicklungsländern nicht verantwortlich, überzeugt nicht. Es geht doch nicht um die Haftbarmachung von etwaigen Schuldigen, sondern um unmittelbare humanitäre und dann erst wirtschaftliche oder technologische Hilfe. Leider müssen wir feststellen, meine Damen und Herren, daß in manchen Regionen der Dritten Welt, in denen sich die Sowjetunion einmal besonders stark engagiert, Kalaschnikows in weit höherem Maße vorhanden sind als Schraubenschlüssel.
({17})
Nein, meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik, wie wir sie sehen, wie wir sie definieren, dient dem Ziel, das Verständnis für die Probleme der Dritten Welt bei uns zu fördern, die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den Entwicklungsländern zu verbessern, Konflikte abzubauen und den Frieden in dieser Region sichern zu helfen.
Wir Freien Demokraten werden dem Einzelplan 23 unsere Zustimmung geben.
Ich danke Ihnen.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauchler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat im Mai dieses Jahres stolz verkündet, die Bundesregierung wolle ihre Entwicklungshilfe überdurchschnittlich steigern, obwohl sie im Gesamthaushalt zu schmerzhaften Sparmaßnahmen gezwungen sei. Und siehe da - Herr Brück hat darauf hingewiesen -: Die Baransätze des Einzelplans 23 steigen tatsächlich überproportional. Hat er also Wort gehalten, der Minister?
({0}) Nein, meine Damen und Herren.
({1})
Er führt uns ein Täuschungsmanöver vor.
({2})
Denn der Maßstab zur Beurteilung des entwicklungspolitischen Engagements - das wissen Sie ganz genau - ist ja nicht das, was 1984 von den Mitteln, die die sozialliberale Regierung zugesagt hat, abfließt. Maßstab ist vielmehr das, was diese neue Regierung 1984 an neuen Zusagen an Entwicklungsländer gibt. Und da wird, wie in kaum einem anderen Ressort, gekürzt, was die Sohle hält.
({3})
- Das kann ich nicht zurücknehmen, weil es die Wahrheit ist.
Die Bundesregierung will mit der Steigerung des Baransatzes die Tatsache verstecken, daß sie die Entwicklungshilfe mit dem Haushalt 1984 tatsächlich massiv einschränkt. Was scheinbar als Wohltätigkeit daherkommt, entpuppt sich bei näherem Zusehen als Propagandatrick. Was als Kontinuität verkauft wird, bedeutet in Wahrheit den Bruch mit der bisherigen Entwicklungspolitik. Herr Schröder, es ist einfach nicht wahr, wenn Sie sagen, daß die Entwicklungspolitik der Bundesregierung auf der gemeinsamen Entschließung aller Parteien dieses Hauses beruht; das ist nicht zu halten.
({4})
Meine Damen und Herren, wir werden beweisen und in der Öffentlichkeit klarmachen, daß die Entwicklungspolitik der neuen Regierung eine Abkehr von globaler Verantwortung und eine Hinwendung zu einer realpolitisch verbrämter, skrupelloser Politik des Eigeninteresses ist.
({5})
Wir werden zeigen, daß das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter diesem Bundeskanzler zur Marketing-Agentur deutscher Wirtschaftsinteressen degeneriert.
({6})
Die Koalitionsfraktionen steigen mit diesem Haushalt aus dem Konsens aus, der zwischen allen Parteien dieses Hauses in der Entwicklungspolitik bestanden hat.
({7})
Als Sie am 5. März mit uns gemeinsame entwicklungspolitische Grundsätze beschlossen, waren Sie noch mit uns einig, daß die ärmsten Länder, die Deckung der Grundbedürfnisse und die Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit Vorrang genießen. Damals hoben Sie noch die Bedeutung multilateraler Hilfe hervor, betonten noch, daß die Länder der Dritten Welt ihren eigenen Entwicklungsweg gehen müßten.
({8})
Damals waren auch für Sie die sozialen Auswirkungen von Entwicklungsprojekten und die Verwirklichung der Menschenrechte noch zentrale Kriterien für die deutsche Entwicklungshilfe.
({9})
Damals noch wollten Sie sich im Internationalen Währungsfonds dafür einsetzen, daß bei der Kreditvergabe entwicklungspolitische Ziele nicht außer acht gelassen werden.
({10})
Das war vor eineinhalb Jahren.
Und was tun Sie jetzt? Ich will Ihnen sagen, was Sie jetzt tun:
Erstens. Sie fahren die Entwicklungshilfe insgesamt drastisch herunter.
({11})
Herr Schröder sprach von der besonderen Nähe, von neuer Qualität. Das ist alles richtig. Da stimmen wir Ihnen zu. Da muß einiges verbessert werden. Aber, wissen Sie, ohne Geld geht es auch nicht.
({12})
Zweitens. Sie kürzen am meisten bei den ärmsten Ländern.
({13})
Deren Anteil an den Mitteln für finanzielle Zusammenarbeit sinkt von 31,1 % im letzten Jahr auf, sage und schreibe, 18,5 % bei den Verpflichtungsermächtigungen.
({14})
Dafür steigt der Anteil der bessergestellten Entwicklungsländer: Ägypten, Indien, Indonesien, Israel. Dies schlägt jeder Menschlichkeit ins Gesicht.
({15})
Drittens. Sie scheren sich nicht mehr darum, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
({16})
Oder wie können Sie es rechtfertigen, daß der Staat der Todesschwadronen, El Salvador, 1984 ganz neu in den Kreis der Empfängerländer aufgenommen wird, daß bei Diktatur- und Folterregimen wie den Philippinen und der Türkei nicht gekürzt wird? Wie erklären Sie sich das?
({17})
Herr Bundesminister, Sie sagten kürzlich: „Wir werden Freunde wie Freunde behandeln." Sind Marcos und die türkischen Generäle Ihre Freunde?
({18})
Viertens. Sie vermindern den Anteil der multilateralen Hilfe der UNO und erhöhen den Anteil der bilateralen Hilfe. Geschieht das allein aus Effizienzgründen?
({19})
Steckt dahinter nicht eine ganz neue Innovation, Ihre Innovation, die Absicht nämlich, die Entwicklungsländer direkter zu politischem Wohlverhalten zu zwingen?
({20})
Fünftens. Sie kürzen dort, wo Entwicklungsländer einen eigenständigen wirtschaftlichen und sozialen Weg beschreiten. Bei Nicaragua sperren Sie die zugesagten 40 Millionen DM.
({21})
In Tansania betreiben Sie den ganz großen Kahlschlag; Sie streichen 70 % der bisherigen Zusagen.
({22})
Ist Ihnen eigentlich alles verdächtig, was nicht am Wesen der westlichen Kapitalkultur genesen will?
({23})
Hat das nicht mit Ideologie zu tun? Hat das nicht damit zu tun, daß Sie den gemeinsamen Weg verlassen und ideologischen Ballast aufbauen?
({24})
Und dafür gibt's reichlich dort, wo multinationale Konzerne ein geeignetes Feld für Profit und Rohstoffausbeutung finden, etwa in Zaire.
({25})
Sind Sie, Herr Kollege Warnke, bei Zaire so spendabel, weil Ihr bayerischer Sponsor den Herrn Mobutu so sehr sympathisch findet, den afrikanischen Staatspräsidenten, der die dicksten Schweizer Konten unterhält?
({26})
Sechstens. Sie haben entgegen Ihrer früheren Erklärung keine Hemmungen, sich in das Boot des Internationalen Währungsfonds zu setzen. Sie machen also die Politik mit, bei der sich eine von den internationalen Großbanken gesteuerte Behörde zur Supermacht der Dritten Welt aufwirft.
({27})
und ohne Rücksicht auf soziale Belange oder politische Destabilisierungen über Wohl und Wehe der
Entwicklungsländer entscheidet. Wenn Sie die bilaterale deutsche Hilfe zuerst versteckt und dann kürzlich offen durch eine Weisung im Ministerium von der Gefügigkeit gegenüber dem IWF abhängig machen, geht dies nach dem Motto „Wer nicht pariert, den Bankerott riskiert."
({28})
Siebtens. Sie billigen, daß der IWF für das reichste Land Afrikas, die sogenannte Republik Südafrika binnen kurzer Zeit 3 Milliarden Kredit lokkermacht, während für Tansania eine halbe Milliarde nach vierjährigen Verhandlungen noch zu viel ist.
({29})
Steht das rassistische Südafrika der Bundesregierung so viel näher als Tansania,
({30})
das in ganz Afrika am meisten für die Gesundheit, Ernährung und Bildung der Masse seiner Bevölkerung getan hat?
({31})
Ist es denn wirklich wahr, was die „Wirtschaftswoche" schreibt, daß nämlich das Entwicklungsministerium „Straußens heimliches Außenministerium" ist? Wann, Herr Kollege Warnke, müssen Sie selbst auch offiziell räumen?
({32})
Achtens. Sie können nicht genug tun, um die aus Steuergeldern finanzierte staatliche Entwicklungshilfe zum Zugpferd für ausländische Privatinvestitionen zu machen und so den Akzent zu verlagern von langfristiger struktureller Wirtschaftsförderung in den Entwicklungsländern hin zu kurzfristigem Interesse der Kapitalländer an hohen Privatrenditen und schnellem Rücktransfer von Kapital. Warum ziehen Sie eigentlich nicht die Konsequenzen daraus, daß ein Entwicklungsweg, der einseitig auf das Spiel der Marktkräfte setzt, in vielen Ländern gescheitert ist: in Brasilien, in Mexiko, in Venezuela, in Argentinien, in Chile? Warum ziehen Sie die Konsequenzen nicht?
Schließlich: Sie binden die staatliche Entwicklungshilfe zunehmend daran, daß deutsche Unternehmen daran verdienen. Wenn wir als SPD auch grundsätzlich begrüßen, daß deutsche Firmen bei Lieferungen berücksichtigt werden - ({33})
- Das begrüßen wir selbstverständlich. Das haben wir immer getan. Aber das darf nicht zur Folge haben, daß führende Konzerne sich den Markt der Entwicklungsländer aufteilen und dann hohe Renditen und Preise einstreichen. Das darf nicht dazu führen, daß wir Technologien exportieren, die in den Entwicklungsländern nicht gehandhabt werden
können und zu zusätzlicher Arbeitslosigkeit führen?
({34})
Und wie stark wirkt seit der Regierungsübernahme der Rechtskoalition die deutsche Industrie eigentlich selbst ein auf die Auswahl der Entwicklungsprojekte? Wie stark ist dieser Einfluß?
({35})
Und wie souverän ist eigentlich Herr Minister Warnke in dieser Frage noch? Kollege Warnke, sind Sie noch unabhängiger Entwicklungsminister? Oder sind Sie in erster Linie Handlungsreisender im Auftrag der deutschen Industrie?
({36})
Ich will nicht verkennen, daß auch Mitglieder der Regierungskoalition nach wie vor an dem alten Konsens in der Entwicklungspolitik festhalten, daß auch viele von ihnen Bauchschmerzen haben, wenn sich das Entwicklungsministerium zur Außenhandelsstelle des Lambsdorff-Ministeriums mausert.
({37})
Ich will auch zugeben, daß manches, was die sozialliberale Koalition an Vernünftigem auf den Weg gebracht hat, weiterhin in Ihren Reden propagiert wird: Grundbedürfnis zuerst, Akzent auf ländliche Entwicklung, Förderung von regenerierbaren Energiequellen usw. Aber die Fakten, die von der neuen Regierung gesetzt werden, beweisen leider, daß alle diese Gesichtspunkte von zwei neuen beherrschenden Akzenten überlagert werden.
Erstens, die Entwicklungspolitik wird in den Händen der neuen Regierung zum Instrument einer neuen Handels- und Investitionsoffensive der westlichen Industriestaaten. Entwicklungshilfe wird zum Transport-, Lock- und Drohmittel für „Freiheit und Ordnung", wie Sie sie, aber nicht wir meinen. Da gibt es wenig Rücksicht auf einen eigenständigen Weg afrikanischer, asiatischer, lateinamerikanischer Staaten, keine Beachtung kultureller Identitäten.
({38})
Glauben Sie ja nicht, daß sich die SPD hier zu Ihrem Komplizen macht.
({39})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP, wer souveränen Staaten seine ordnungspolitischen Vorstellungen aufdrängen und sie über Hilfe von sich abhängig machen will: handelt der nicht nach wie vor kolonialistisch?
({40})
Wollen Sie wirklich, daß am Ende die ganze Welt unseren Tanz ums goldene Kalb mittanzt?
({41})
Sagen Sie also nicht Freiheit, wenn Sie Profitchancen meinen. Sagen Sie nicht Dialog, wenn erpreßt
wird. Und sprechen Sie nicht von Hilfe, wenn Abhängigkeit erreicht werden soll.
({42}) Sie treiben sonst Schindluder mit der Wahrheit.
({43})
Zweitens: Die Entwicklungshilfe wird in den Händen der neuen Regierung doch tatsächlich, Frau Seiler-Albring, auch zum Instrument veränderter und verschärfter Ost-West-Beziehungen und -Konfrontation. Der Nord-Süd-Dialog verdampft hier in antikommunistischer Besessenheit.
({44})
Was jüngst der Rüstungsfrage offenbar geworden ist, gilt nun auch in der Entwicklungspolitik: Vasallentreue zur westlichen Supermacht bestimmt das Handeln und nicht die selbstbewußte Nutzung eigener internationaler Spielräume.
({45})
Wie nahe diese Vermutung liegt, beweist die Tatsache, daß die neue Bundesregierung auch in der Entwicklungspolitik Schritt für Schritt den Direktiven der Reagan-Administration folgt, die die Menschenrechtspolitik Carters verächtlich durch eine Politik der Stärke in ihren Vor- und Hinterhöfen ersetzt, die ihre Militärhilfe zu Lasten echter Entwicklungshilfe erhöht und die unverfroren den Ost-West-Konflikt globalisiert.
Warum spricht der Bundeskanzler nicht endlich ein klärendes Wort, daß die Reise der deutschen Entwicklungshilfe nicht in diese Richtung geht?
({46})
Die Probleme der Entwicklungsländer, Herr Hüsch, sind zu bedeutsam, als daß sie dem geopolitischen Strategen aus München als Spielwiese überlassen werden dürften,
({47})
jenem Geostrategen, der sich selbst ernannt hat und der Pinochet - passen Sie gut auf -, Marcos, Botha und Mobuto seine engen Freunde nennt.
({48})
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. An die Adresse des Außenministers sollte gesagt werden: Beweisen Sie, daß Sie noch Außenminister dieser Republik sind. Stehen Sie zu dem Kurs der Entwicklungspolitik, den Sie in der sozialliberalen Koalition selbst mitgetragen haben, und verspielen Sie nicht aus Parteiegoismus die
eigenständige Rolle der Bundesrepublik in der Dritten Welt.
({0})
Schlußsatz:
({1})
Es geht eben nicht nur, wie Hans-Jochen Vogel in diesem Hause am 4. Mai dieses Jahres gesagt hat, „um die Überwindung dieser oder jener Ungerechtigkeit", um Almosenpolitik, es geht - sagt Jochen Vogel - „vor allem auch um die Reform solcher Strukturen, die immerfort neue Ungerechtigkeiten hervorrufen".
Helfen Sie alle bitte mit, dann arbeiten wir mit Ihnen auch in der Entwicklungspolitik kooperativ zusammen wie bisher.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pinger.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben bei diesen Haushaltsberatungen erwartungsvoll den konstruktiven Vorschlägen vor allem der SPD entgegengesehen. Was dann aber kam, waren schrille Töne und wahre Horrorgeschichten über die Entwicklungspolitik,
({0})
die jedenfalls mit dem, was Entwicklungspolitik wirklich ist, nichts zu tun haben.
({1})
Keine neuen Wege, allenfalls Holzwege wurden beschritten. Der Kollege Holtz hatte j a bereits im vergangenen Jahr Kassandrarufe in die Welt gesetzt und Behauptungen aufgestellt, die sich längst als unwahr erwiesen haben. Die falschen Behauptungen der Kollegen Brück und Hauchler werden dadurch nicht richtiger, daß sie nun dauernd wiederholt werden. Dies gilt z. B. für die Behauptung, daß die Entwicklungshilfe für die ärmsten Länder reduziert worden sei. Wenn Sie die Mehrjahreszusagen dazunehmen, ergibt sich eine Steigerung und keine Reduzierung.
({2})
Diese Regierung unter Helmut Kohl arbeitet auch in der Entwicklungspolitik zielbewußt und stetig auf eine bessere Qualität hin, und darauf kommt es besonders an.
({3})
({4})
Wir haben einen Bundeskanzler, der an die NordSüd-Probleme mit hohem persönlichem Einsatz herangeht, nicht etwa erst nach seiner Amtszeit wie einer der Altbundeskanzler, der erst sehr spät sein entwicklungspolitisches Gewissen entdeckte.
({5})
Meine Damen und Herren, zur Erinnerung: 1973 unter Kanzler Brandt leistete die Bundesrepublik, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, eine Entwicklungshilfe 0,32 %.
({6})
Dieses Jahr werden wir 0,48 bis 0,49 % erreichen. Das sind 50 % mehr als im Jahre 1973. Wenn Sie auch die absoluten Zahlen hören wollen, Herr Kollege Brück - Sie werden sich erinnern -: 1973 waren es 2,6 Millarden DM und 1983 6,2 Milliarden DM.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brück? - Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Pinger, wissen Sie wirklich nicht, daß die Barausgaben dieses Jahres auf Verpflichtungsermächtigungen vergangener Jahre zurückzuführen sind? Wissen Sie nicht, daß die Tatsache, daß es 1973 nur 0,32 % waren, darauf zurückzuführen ist, daß in der Zeit Kurt Georg Kiesingers die Verpflichtungsermächtigungen zu gering waren? Dies ist doch das Einmaleins der Entwicklungspolitik.
Herr Kollege Brück, das ist eine Fehleinschätzung und eine falsche Erklärung der Entwicklungspolitik. Entwicklungspolitik wird nicht durch Versprechungen gemacht, die nachher nicht eingehalten werden können.
({0})
Entwicklungspolitik wird dadurch gemacht, daß Hilfe geleistet wird, d. h. Barzahlungen geleistet werden.
({1})
Meine Damen und Herren, zum erstenmal war mit Bundeskanzler Helmut Kohl ein Regierungschef in Indonesien, diesem wichtigen blockfreien Entwicklungsland. Seit 15 Jahren hat es nun wieder den Besuch eines Bundeskanzlers in Indien gegeben, diesem traditionellen Schwerpunktland deutscher Entwicklungspolitik. Indien ist Sprecher der Blockfreien. Daran zeigt sich, welches Vakuum in der Dritte-Welt-Politik aufzuarbeiten ist.
({2})
Muß es uns nicht zu denken geben, mit welcher Freundschaft und Erwartung der Bundespräsident bei seinem kürzlichen Besuch in zwei westafrikanischen Staaten empfangen wurde? Seit Heinrich Lübke war kein Staatsoberhaupt mehr dort.
({3})
Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit erhöht unser Vertrauen in der Dritten Welt und die Wirkung unserer Entwicklungshilfe.
({4})
Vertrauen gründet sich auf Berechenbarkeit und Stetigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Bloße Versprechungen - ich wiederhole es -, die dann nicht eingehalten werden können, verursachen Enttäuschung und wirken nicht entwicklungspolitisch. Aber immer noch bestehen Sie von der SPD auf irrealen Verpflichtungsermächtigungen. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Wir unterstützen den Bundesminister in seiner soliden und zeitnahen Planung.
({5})
Wir wollen Wirkungen erzielen und nicht Luftschlösser bauen.
Es ist daher auch richtig, daß der Minister zuallererst die entwicklungspolitische Praxis verbessern will. Dazu gehört die Ermutigung der privaten Initiative bei uns und in den Entwicklungsländern.
({6})
Der Staat kann Entwicklung weder verordnen noch selbst veranstalten; er kann Rahmenbedingungen setzen
({7})
und die Eigeninitiative unterstützen. Sozialisten setzen immer noch auf die staatliche Allmacht
({8})
und auf die oft korrupte Bürokratie.
({9})
Wir vertrauen auf die Privatinitiativen der Menschen und auf ihre Selbsthilfe,
({10})
auf eine Selbsthilfe, die aber erst dann wirksam wird, wenn marktwirtschaftliche Elemente ausreichende Freiräume
({11})
zur Entfaltung bieten. Wer produzieren will, muß dafür einen Preis erzielen, der nicht unter den Produktionskosten liegt,
({12})
der nicht entsprechend reglementiert wird. Jeder Arbeiter und Bauer versteht dieses marktwirtschaftliche Element, Sie von der SPD tun es offensichtlich nicht.
({13})
Meine Damen und Herren, entwicklungspolitische Wirksamkeit, nicht Ideologie ist der Maßstab der neuen Bundesregierung. Damit wendet sich die
Regierung von der Ideologie in der Entwicklungspolitik ab, wie sie vorher betrieben worden ist,
({14})
wofür Nicaragua und El Salvador Beispiele sind. Die Hilfe für El Salvador wurde bekanntlich eingestellt, nachdem das Rechtsregime gestürzt worden war und nachdem ein christdemokratischer Präsident versuchte,
({15})
soziale Reformen durchzusetzen. Man hat ihn hängenlassen, statt ihn zu unterstützen. Das nenne ich Ideologie in der Entwicklungspolitik!
({16})
Wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung um eine rationale und damit wirkungsvollere Hilfevergabe. Es ist richtig, das Instrumentarium entsprechend anzupassen. Die neue Politik muß basieren: erstens auf eingehenden Länderanalysen;
({17})
zweitens auf nachprüfbaren länderspezifischen Vergabekriterien; sie muß drittens in einen Politikdialog mit den Regierungen und den Menschen in den Entwicklungsländern umgesetzt werden,
({18})
und sie mull viertens durch eine bessere Koordinierung mit der Politik anderer Geberländer unterstützt werden.
({19})
Diese Instrumente sind geeignet, die breite Kluft zwischen entwicklungspolitischem Anspruch und Wirklichkeit, wie sie unter den SPD-Regierungen entstanden ist, zu überbrücken.
({20})
Damit wird es dann gelingen, die wichtigsten politischen Ziele nicht nur zu proklamieren, sondern auch zu erreichen, nämlich: erstens mit den Projekten direkt die Hauptzielgruppe der Entwicklungspolitik, die Masse der armen Bevölkerung in der Dritten Welt, zu unterstützen und damit den krassen Gegensatz zwischen Arm und Reich, zwischen Stadt und Land abzubauen;
({21})
zweitens die Erfüllung der Grundbedürfnisse nicht durch Almosen und internationale Sozialhilfe, sondern durch produktive Maßnahmen zu erreichen, d. h. über Millionen bäuerlicher und gewerblicher Kleinbetriebe; drittens die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für diese Privatinitiative herbeizuführen sowie viertens die Selbstverantwortung und Partizipation dieser Zielgruppen zu erhöhen und durch Gewährleistung der Menschenrechte abzusichern.
Wir wissen, daß die Verfolgung dieser entwicklungspolitischen Ziele in der Praxis oft an den ganz
Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Dr. Pinger
anderen Interessen der Machteliten in den Entwicklungsländern scheitert. Das uneingeschränkte Antragsprinzip, nach dem ohne einen Antrag eben dieser Elite ein staatliches Projekt nicht initiiert werden kann, ermöglichte diesen Gruppen die einseitige Verfolgung ihrer Interessen, und unserer damaligen Regierung verschaffte es zugleich das Alibi dafür, daß sie ihre entwicklungspolitischen Ziele nicht erreichte. Das uneingeschränkte Antragsprinzip ist eine Hinterlassenschaft sozialdemokratischer Entwicklungsminister. Es muß durch das An. gebotsprinzip ersetzt oder jedenfalls ergänzt werden.
({22})
Eine weitere Hinterlassenschaft war die feste Länderquote. Die Millionenbeträge für ein einzelnes Land wurden in der Rahmenplanung schlicht fortgeschrieben und dann auf Projekte verteilt, die die Elite gerade für richtig hielt. Wir haben jetzt mit dem Angebotsprinzip und Länderquoten, die nach entwicklungspolitischen Vergabekriterien ermittelt werden, den völlig neuen Einstieg in die Verwirklichung der entwicklungspolitischen Ziele. Mit mehr Geld wird es eine bessere Politik geben. Entscheidend ist: Die Richtung stimmt. Wir werden die Anträge der SPD und der GRÜNEN ablehnen
({23})
und mit der Bundesregierung zielstrebig und mit neuen Instrumenten an die großen entwicklungspolitischen Aufgaben herangehen.
({24})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Mit einer Steigerungsrate des Entwicklungshaushaltes von 2,5 % gegenüber diesem Jahr bekräftigt der Deutsche Bundestag auch in schwierigen Zeiten: Als wir selbst in Not waren, wurde uns 1947 durch den Marshall-Plan geholfen. Das haben wir nicht vergessen. Heute, da wir uns in der Spitzengruppe des Weltwohlstandes befinden,
({0})
erfüllen wir mit der Hilfe für die Dritte Welt eine humanitäre Pflicht ebenso wie das Gebot politischer und wirtschaftlicher Weitsicht.
({1})
Dafür danke ich dem Parlament und seinen Ausschüssen.
({2})
Im Zeichen einer akuten Verschuldungskrise und einer weltweiten wirtschaftlichen Rezession hatte die Bundesregierung zunächst dafür zu sorgen, daß die Rahmenbedingungen für die Aufnahmefähigkeit deutscher Entwicklungshilfe verbessert wurden. Ich nenne die Aufstockung unserer Quote beim Internationalen Währungsfonds um 67 %. Das sind etwa 6,2 Milliarden DM, die wir eingezahlt haben, meine Damen und Herren von der SPD und von den GRÜNEN.
({3})
Ich bin dem Finanzminister dankbar, daß er bei einem solchen Instrument mitgezogen hat.
({4})
Die müssen wir zur Verfügung stellen. Auf unsere Bereitschaft,
({5})
im Bedarfsfall voll einzuzahlen, gründet sich die Ausleihefähigkeit des Internationalen Währungsfonds. Wenn es zum Schwur kornrot,
({6})
dann wird nicht das von Ihnen zitierte Tansania und dann wird nicht das von Ihnen zitierte Nicaragua,
({7})
sondern dann wird die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Quote für die Entwicklungsländer haften müssen.
({8})
Kapitalerhöhung auch bei der Allgemeinen Kreditvereinbarung, die den Entwicklungsländern heute den Zugang zu jenen Krediten gibt, die früher den Industrieländern vorbehalten waren; beschlossen auch eine Kapitalerhöhung bei der Weltbank, mit unserer maßgeblichen Hilfe zur Findung des Kompromisses in der Größenordnung von 8 Milliarden DM, und zusätzlich gewaltige Leistungen des deutschen Kapitalmarktes für jene Anleihen, die die Entwicklungsländer über die Weltbank auf unserem deutschen Kapitalmarkt gesucht haben.
({9})
Das ist eine Leistung des deutschen Kapitalmarktes. Wir sollten sie nicht vergessen.
Die Mittel, die die Bundesregierung den Ländern der Dritten Welt, die des Kapitals bedürftig sind, zuführt - denn die Aufsicht über den Kapitalmarkt hat der Bundesminister der Finanzen -, rechnen wir legitim und mit Recht der deutschen Entwicklungshilfe zu. Wir sehen sie eben nicht nur als staatliche Hilfe, Herr Kollege Holtz, sondern wir nehmen die Leistungen des privaten Sektors ganz bewußt mit hinein.
Schließlich gehört zu den Rahmenbedingungen vor allem jene Hilfe für die ärmsten Entwicklungsländer, die über die Internationale Entwicklungsorganisation ({10}) ausgegeben wird. Und, meine Damen und Herren, es war der Bundeskanzler, der die Notwendigkeit verstärkter Hilfe für die am wenigsten entwickelten Länder in das Kommuniqué des Weltwirtschaftsgipfels in Williamsburg hat hineinnehmen lassen.
({11})
Und es ist der Bundeskanzler gewesen, der in der vergangenen Woche an den amerikanischen Präsidenten Reagan einen Brief gerichtet und ihn gebeten hat, seine Autorität gegenüber dem amerikanischen Kongreß für eine angemessene Beteiligung der USA an der bevorstehenden siebten Wiederauffüllungsrunde der Internationalen Entwicklungsorganisation einzusetzen.
({12})
Meine Damen und Herren, das ist keine Marketing-Agentur der deutschen Wirtschaft,
({13})
das sind deutsche Haushaltsmittel in der Größenordnung von Hunderten von Millionen Dollar, die hier als verlorene Zuschüsse den ärmsten Entwicklungsländern zugute kommen.
({14})
- Das muß man natürlich wissen, Frau Kollegin Gottwald.
({15})
Eines ist klar: Die Bundesrepublik Deutschland wird ihren vollen Anteil bei der Einzahlung in die Internationale Entwicklungsorganisation leisten. Aber eines können wir nicht mehr: den Ausfall von anderen wettmachen und für die Kürzungen anderer Geberländer eine Kompensation geben.
({16})
Die Regierung Kohl, meine Damen und Herren, legt nunmehr den zweiten Bundeshaushalt mit einer massiven Zurückführung unserer Kreditaufnahme vor. Entwicklungspolitisch betrachtet heißt das: Im eigenen Hause schaffen wir Ordnung und leisten damit durch verringerte Kreditnachfrage den uns möglichen Beitrag zum Abbau der Hochzinshypothek aus den 70er Jahren, die verheerende Auswirkungen auf die Entwicklungsländer hatte und bis auf den heutigen Tag hat.
({17})
In diesem Rahmen wird der Ihnen vorliegende Haushalt wirksam werden. Und er wird, meine Damen und Herren von der SPD, mit gesteigerter Qualität und mit erhöhter Quantität wirksam werden.
({18})
Wer hier von Verschlechterung von Quantität und Qualität redet, Herr Kollege Brück, der redet wider besseres Wissen. Ihnen, Herr Kollege Hauchler, gebe ich mildernde Umstände, weil Sie es nicht besser wissen, als Sie es gesagt haben.
({19})
Der Haushalt ist 1983 - das war der erste unter der Regierung Kohl - im Volumen gesteigert worden.
({20})
Wir steigern 1984, und für den gesamten Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung werden die Entwicklungshilfeansätze erhöht.
({21})
Aber, meine Damen und Herren von der SPD, mit einer Hinterlassenschaft müssen auch wir fertig werden - ({22})
- Jetzt hören Sie mal gut zu, insbesondere Sie, Herr Kollege Hauchler; denn das wird für Sie, wie ich meine, neu sein: Sie haben den Entwicklungsländern in den 70er Jahren auf der Grundlage einer jährlichen Steigerungsrate des Entwicklungshilfehaushalts von 12,5 % Zusagen gemacht und dann eine Finanzpolitik betrieben, die ins Finanzchaos geführt und die Einhaltung dieser Zusagen unmöglich gemacht hat.
({23})
Die Regierung Kohl wird auch - ({24})
- Daß Sie das nicht gerne hören, ist mir schon klar. Die Wahrheit tut immer weh, wenn man so danebengewirtschaftet hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Herr Kollege Matthöfer.
Bitte.
Herr Bundesminister, können Sie uns bitte einen einzigen Fall sagen, in dem die Bundesrepublik Deutschland bisher ihre Verpflichtungen nicht erfüllen konnte?
({0})
Herr Kollege Matthöfer, ich werde Ihnen im Gegenteil sagen: Die Regierung Kohl wird diese Erblast, die sie von Ihnen übernomBundesminister Dr. Warnke
men hat, einlösen und wird die Zusagen der Vorgängerregierung international honorieren.
({0})
Herr Kollege Matthöfer, daß zum Ausgleich für den Milliardenüberhang, den wir von Ihnen geerbt haben, jetzt bei den Verpflichtungsermächtigungen vorübergehend kürzer getreten werden muß, auch das ist ein Stück Hinterlassenschaft der Ära Brandt/Schmidt.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Aber bitte sehr.
Bitte, Herr Brück.
Herr Bundesminister, würden Sie zugeben, daß die Tatsache, daß Sie in diesem Jahr 0,48 % des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe ausgeben, auch ein Erbe ist?
({0})
Wir haben Sie immer dabei unterstützt, daß die Bundesregierung einen Prozentsatz in dieser Größenordnung anstrebt, als Sie in der Regierung waren. Wenn Sie uns heute dabei unterstützen wollen, ist uns das sehr recht.
({0})
Die Haushaltsansätze 1984, Herr Kollege Brück, stellen natürlich auch eine qualitative Verbesserung unserer Entwicklungshilfe dar.
({1})"
Wenn Sie 1983 mit 1984 vergleichen, dann arbeiten Sie schlicht und einfach mit einem Roßtäuschertrick. Ich will Ihnen einmal Ihre eigenen Ansätze in dem Zweijahresrhythmus von 1981 auf 1982 vorlesen. 1981 haben Sie 26 % für die ärmsten Entwicklungsländer gehabt. 1982 sind Sie auf 17,9 % heruntergegangen, und zwar deshalb, weil ein Zusagerhythmus von zwei Jahren besteht, der es unmöglich macht, daß man unmittelbar mit dem Vorjahr vergleicht.
Indem Sie das getan haben, haben Sie die Öffentlichkeit hinters Licht geführt. In Wahrheit ist es so, daß wir im Zweijahresrhythmus die Zusagen für die ärmsten Entwicklungsländer erhöht haben.
({2})
- Wir nehmen sie alle miteinander zusammen. Dann stellen wir fest, daß für alle diejenigen Länder, die in die Kategorie der Ärmsten fallen, eine Steigerung des Prozentanteils im Zweijahresrhythmus vorgenommen wurde.
({3})
Jetzt, Herr Kollege Brück und Herr Kollege Hauchler, will ich Ihnen folgendes sagen. Wenn Sie sich darüber aufhalten, daß bei Indien keine Reduzierung vorgenommen wurde, dann haben Sie offensichtlich bis jetzt noch nicht mitbekommen, daß in Indien allein mehr Menschen in absoluter Armut leben als auf dem ganzen afrikanischen Kontinent zusammen.
({4})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brück?
Nein, danke. Ich bedauere.
Deshalb wird es bei dem Ansatz für Indien bleiben. Deshalb wird es auch bei den anderen Ansätzen bleiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden die private Initiative voll mit in die Pflicht nehmen, da sie derjenige Bereich war, aus dem die Entwicklungsländer in den vergangenen 20 Jahren den größeren Anteil des von ihnen dringend benötigten Kapitals erhalten haben. Wir werden deshalb die deutsche Wirtschaft ermutigen, dieses heute noch dringender benötigte Kapital auch in den 80er Jahren der Dritten Welt zur Verfügung zu stellen. Die Länder der Dritten Welt brauchen dieses Kapital, und sie bitten uns darum.
({0})
Wir verbessern schließlich die Wirksamkeit unserer Entwicklungshilfe - hier möchte ich dem Kollegen Pinger danken -, weil wir dafür sorgen, daß die Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden, indem wir in der Tat bei einem Politikdialog mit den Entwicklungsländern gemeinsam die Fehler durchgehen, die in reichem Maße gemacht worden sind; und zwar auf der Seite der Industrieländer wie auch auf der Seite der Länder der Dritten Welt. Wir treten in diesen Austausch ein als echte Partner, ohne Überheblichkeit, ohne Selbstgefälligkeit, aber ganz bestimmt auch ohne schlechtes Gewissen.
({1})
Nur einige Worte zur Lage in Zentralamerika. Wir wissen, El Salvador ist auch der Ort schrecklicher Menschenrechtsverletzungen.
({2})
Wir werden unsere Einflußmöglichkeiten im Rahmen der Zusammenarbeit und nach der Entsendung des Botschafters dazu nutzen, mit denjenigen zusammenzuarbeiten, die nach den Präsidentschaftswahlen im kommenden März das Land von
der Geißel dieser Menschenrechtsverletzungen befreien wollen,
({3})
die sich heute mit großem Mut für ihr Land einsetzen. Ich denke an jene christlich-demokratischen Bürgermeister, von denen über 50 ihr Leben bei Anschlägen der Terroristen - und die kamen von links und von rechts - lassen mußten, aber deren Kollegen nicht aufgegeben haben, die heute den Kampf weiterführen. Sie erwarten von uns mehr, als noch durch Beschimpfungen herabgesetzt zu werden. Sie erwarten unsere Unterstützung, und sie werden sie bekommen.
({4})
Wir sind nicht auf dem linken Auge blind, Frau Gottwald. Wir sehen, daß Menschenrechtsverletzungen
({5})
- hören Sie doch einmal zu - auch in Nicaragua stattfinden. Ich denke an die Misquitoindianer, und ich denke an jene Volksgerichtshöfe außerhalb der normalen Justiz, wo Antisandinisten zu Gefängnisstrafen zwischen drei und dreißig Jahren verurteilt werden können. Ob Nicaragua eine linke oder eine rechte Regierung hat, ist seine eigene Sache. Aber es gibt eine Trennungslinie, die deutsche Entwicklungspolitik unter der Regierung Kohl einhalten wird. Wer andere Länder destabilisiert
({6})
und wer damit nicht nur den internationalen Frieden, sondern auch die Entwicklungsmöglichkeiten einer ganzen Region gefährdet, kann nicht unser bevorzugter Entwicklungspartner sein.
({7})
- Südafrika, lieber Herr Kollege Hauchler, erhält keine Entwicklungshilfe von uns. Aber ich gebe Ihnen gerne auch diese Nachhilfelektion.
({8})
Dennoch ist unsere Entwicklungshilfe für Nicaragua nicht gestrichen worden.
({9})
Sie verfällt nicht. Vor ihrer Verausgabung werden aber die Voraussetzungen geprüft. Nicaragua hat es selbst in der Hand, diese Voraussetzungen zu verbessern.
({10})
Entwicklungshilfe kann ein Anreiz für friedensförderndes Verhalten sein.
({11}) Wir unterstützen damit den Friedensprozeß der Contadora-Initiative in Zentralamerika.
({12})
Deutsche Entwicklungspolitik hat ein gutes Klima im eigenen Lande. Deutsche Entwicklungspolitik hat - da sollten Sie die Reisen, die Sie für den Deutschen Bundestag unternehmen, allerdings mit offenen Augen durchführen ({13})
einen guten Namen in der ganzen Welt.
({14})
Beides ist keine Selbstverständlichkeit. Jenes gute Klima für die Entwicklungshilfe in der Bundesrepublik Deutschland, um das uns andere Länder beneiden, sollten wir pflegen.
Frau Kollegin Seiler-Albring, dazu gehört in der Tat, daß der Bevölkerung klar gesagt werden kann: Wo immer möglich, wird deutsche Entwicklungshilfe von dieser Regierung beschäftigungswirksam für den deutschen Arbeitnehmer gemacht. Wir halten nichts davon, Entwicklungshilfe über den Kopf derjenigen hinweg zu betreiben, aus deren Steuergeldern sie aufgebracht werden muß.
({15})
Daß es dabei in der Tat angebracht ist, daß die deutschen Unternehmen auch das investieren, was sie brauchen, um durch Zukunftsinvestitionen die Entwicklungshilfe von morgen zu gewährleisten, wird jeder bejahen, der nicht in verblendetem Dirigismus und Linksradikalismus an diese Sachen herangeht.
({16})
Meine Damen und Herren, daß unsere Hilfe und in der Tat auch der Name unseres Landes in der Welt einen guten Klang haben, verdanken wir auch denjenigen Frauen und Männern, die draußen vor Ort, sei es im staatlichen oder sei es im kirchlichen Entwicklungsdienst, als Experten in deutschen Durchführungsorganisationen oder in ausländischen Regierungsstellen oft unter entbehrungsreichen Bedingungen praktische Entwicklungsarbeit leisten.
({17})
Sie sind Helfer und Botschafter zugleich, und ihnen gelten der Dank und auch die guten Wünsche der Bundesregierung. Wir wissen, diese Frauen und Männer setzen unsere Beschlüsse in die Tat um, und sie helfen, daß das übergeordnete Ziel unserer Entwicklungspolitik verwirklicht werden kann: die Sicherung des Friedens.
Ich danke Ihnen.
({18})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23.
Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Gottwald und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/742 auf. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({0})
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/748 auf. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({1})
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 23 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In der zweiten Lesung ist der Einzelplan 23 angenommen
Ich rufe auf:
Einzelplan 27
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen
- Drucksachen 10/650, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Nehm Frau Berger ({2}) Verheyen ({3})
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Einverständnis. Danke schön.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heimann. - Bitte, Herr Kollege Heimann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was die praktische Deutschlandpolitik der Bundesregierung angeht, so ist die neue Politik einfach die alte. Inzwischen hat selbst der bayerische Ministerpräsident begriffen, daß es nicht einmal ihm persönlich nutzt, auf diesem Feld die viel zitierte Wende erzwingen zu wollen. CDU/CSU, von der FDP ganz zu schweigen, führen eine Politik fort, die von Sozialdemokraten begründet und in der sozialliberalen Koalition durchgesetzt worden ist. Ich erspare es mir hier, nun durch Zitate genüßlich zu belegen, wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, bis in die letzten Tage Ihrer Oppositionsrolle hinein unsere Deutschlandpolitik erbittert und meistens nicht einmal fair bekämpft haben.
({0})
- Das kommt jetzt, Herr Kollege Schulze. Was zählt, ist das, was Sie heute tun.
({1})
Wir haben jedenfalls weder unsere Überzeugung noch unsere Einsichten verändert, seitdem wir in der Opposition stehen. Sie können daher grundsätzlich immer dann mit unserer Zustimmung rechnen, wenn und soweit Sie unsere Politik fortführen.
({2})
Die deutsch-deutschen Beziehungen sind ein viel zu schwieriges Feld, als daß hier bloße parteipolitische Profilierung erlaubt wäre. Wer wie wir angetreten ist, die Substanz unserer Nation trotz einer Grenze zu bewahren, die nicht nur zwei Staaten trennt - der Zustand einer Mehrstaatlichkeit ist den Deutschen aus ihrer Geschichte vertraut -, sondern zwei unterschiedliche, j a, gegensätzliche Systeme, zwei Militärblöcke und damit die Einflußsphäre zweier Weltmächte, der wird und muß es begrüßen, wenn es in der Deutschlandpolitik zu einem Konsens aller Demokraten kommt.
Aber die Frage muß erlaubt sein: Sind wir wirklich schon so weit? Haben wir diesen Konsens wirklich? Oder bezieht er sich nur auf einen Teil, nämlich auf den praktischen Teil operationeller Deutschlandpolitik? Bleibt er gefährdet, weil Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, in den konzeptionellen Grundlagen Ihrer Deutschlandpolitik wirklich nichts dazugelernt haben?
({3})
Das bestreiten Sie im übrigen ja auch nicht. Darauf sind Sie sogar stolz. Es hat jedenfalls den Vorzug der Ehrlichkeit, wenn Herr Kollege Dr. Hennig am vergangenen Wochenende auf einer Tagung zweier Arbeitskreise des Kuratoriums Unteilbares Deutschland die gegenwärtige Deutschlandpolitik der Union als Doppelstrategie charakterisiert hat.
({4})
Ich frage Sie, Herr Bundesminister Windelen: Sehen Sie das genauso? Wenn j a, dann bleibt nur zu fragen: Doppelstrategie - wie herum? So, daß die pragmatische Politik der Prinzipientreue nicht im Wege steht? Oder so, daß die Prinzipientreue der pragmatischen Politik nicht im Wege steht?
({5})
Wenn Adenauer wirklich Ihr großer unbestrittener Lehrmeister ist, wird es wohl so bleiben wie bisher: die Prinzipien, die großen und starken Worte für den bayerischen Hausgebrauch, fürs Gemüt und für die ferne Zukunft, die pragmatische Politik für den konkreten Erfolg hier und heute. Solange Sie fern von Bonn in den sitzungsfreien Wochen und an Wochenenden das Fortbestehen des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 beschwören
({6})
und die Mißlichkeit des deutsch-polnischen Vertrages beklagen, mag der Schaden ja noch begrenzbar sein.
({7})
- Doch, das habe ich sehr gut gelesen.
({8})
Aber diese Frage bleibt Ihnen nicht erspart: Wie stehen Sie wirklich zum zweiten deutschen Staat? Sie werden ja wohl nicht im Ernst glauben, Sie könnten mit der DDR als Partner auf Dauer gutnachbarliche Beziehungen pflegen und entwickeln, wenn Sie gleichzeitig zumindest in der Theorie alles daransetzen, diesen Staat zu destabilisieren und grundsätzlich in Frage zu stellen.
({9})
Wer dies glaubt, muß überzeugt sein, alles sei käuflich. Er wird sich irren und sehr bald an die Grenzen seiner Politik stoßen. Vielleicht stößt er, wenn wir nicht mehr über den ersten, sondern wie jetzt schon über den zweiten und eines Tages über den dritten Milliardenkredit sprechen, auch an die Grenzen einer vernünftigen monetären Politik.
({10})
Meine Damen und Herren, meine feste Überzeugung ist: Deutschlandpolitik auf der Grundlage einer Krämerseelenmentalität reicht nicht so weit, wie Sie glauben, reicht vor allem nicht weit genug; denn wenn wir von der Überwindung der Teilung nicht nur reden, sondern sie wirklich wollen - in vielen einzelnen Schritten, und zwar in einem historischen Prozeß -, dann liegt noch unendlich viel vor uns.
Was Sie offenbar bis heute nicht wahrgenommen haben oder nicht wahrhaben wollen,
({11})
ist, daß es in grundlegenden Fragen der Sicherheitspolitik ein gemeinsames Interesse beider deutscher Staaten gibt. Ich verstehe allerdings, daß Sie dies nicht wahrhaben wollen; denn die Konsequenz wäre, daß Sie endlich anfangen, deutsche Interessen im westlichen Bündnis zu vertreten,
({12})
statt jedem Winkelzug der derzeitigen amerikanischen Administration zu folgen, die die Entspannungspolitik für tot erklärt hat.
({13})
Weil Sie auf diesem Auge blind sind, besonders Sie, Herr Reddemann,
({14})
sind Sie unfähig, zu verstehen, was es bedeutet, daß es zum erstenmal in der Nachkriegsgeschichte ein gemeinsames Interesse beider deutscher Staaten - Sie wollen das offenbar wirklich nicht hören -, nicht nur der Regierenden, sondern auch der Regierten gibt, wenn man es nur erkennt.
({15})
Es ist nämlich das Interesse, nicht in eine neue politische, wirtschaftliche, ideologische oder gar militärische Konfrontation der Weltmächte hineingezogen zu werden. Positiv gesagt: Es ist ein Interesse an der Fortsetzung und der Entwicklung der Entspannungspolitik hier in der Mitte Europas, auch und gerade dann, wenn sich in anderen Teilen der Welt die Konflikte zuspitzen.
Die maßvolle Reaktion Erich Honeckers - vielleicht hören Sie jetzt zu - auf dem letzten Plenum des ZK, seine Erklärung, daß die Entspannungspolitik alternativlos sei und daß man den Schaden des Stationierungsbeschlusses begrenzt halten solle,
({16})
das alles ist doch nur Ausdruck des tiefen Wunsches der Menschen in der DDR und auch aller Völker Osteuropas, nicht erneut in einen Kalten Krieg hineinmanövriert zu werden.
({17})
Das zeigt, Herr Reddemann, wie stark das Geflecht gegenseitiger Beziehungen und wechselseitiger Interdependenzen bereits geworden ist und daß beide Seiten Nutzen davon haben.
({18})
Aber noch wichtiger ist: In Europa wächst das Bewußtsein, daß ein Krieg den deutschen und den gesamten europäischen Kulturkreis dies- oder jenseits der militär- und Blockgrenze auslöschen würde
({19})
und daß Sicherheit nicht mehr gegeneinander, sondern nur miteinander zu haben ist.
({20})
Der Satz vom Werbellinsee, die Beschwörung der gemeinsamen Verantwortung beider deutscher Staaten für den Frieden, die Wiederverwendung des Begriffes „deutsches Volk" und die substantiell noch wichtigere Feststellung von der Verantwortungsgemeinschaft von BRD und DDR ({21})
alle diese Formulierungen zeigen, daß wir in Ost und West begonnen haben, in den Kategorien einer Partnerschaft zur Sicherheit zu denken.
({22})
- Ja, ich höre sehr gut, daß Sie sagen: Deutschland ist mehr als DDR und Bundesrepublik;
({23})
ich höre das sehr gut. Das gehört in den Kreis dieser Sonntagsreden. - Die Bündnisse sind deshalb nicht überflüssig. Sicherheit ist ohne sie jedenfalls noch nicht zu haben. Aber daß die Deutschen in ihren jeweiligen Bündnissen anfangen, eine Politik zu formulieren, die Europa nicht weiter auseinander-, sondern zueinanderführt, ist die Botschaft, die von der Mitte Europas ausgehen könnte, ausgehen muß, weil hier auch die historische Schuld an der Teilung Europas am größten ist.
({24})
- Ich habe gerade gesagt: in den Bündnissen; Sie haben nicht hingehört.
({25})
Deutsch-deutsche Politik, meine Damen und Herren, so formuliert, würde wirklich weitertragen, würde am Ende möglich machen, was heute trotz Milliardenkredits noch nicht möglich ist. Dazu gehört allerdings, daß man deutsch-deutsche Politik nicht nur als eine Funktion von Wirtschafts- und Handelsinteressen, sondern von Sicherheitspolitik begreift. Davon ist die Koalition offensichtlich noch weit entfernt, wie ja auch die Zwischenrufe zeigen.
Sie werden verstehen, meine Damen und Herren, daß wir dem Einzelplan 27, solange Meinungsverschiedenheiten so grundsätzlicher Art weiterbestehen, nicht zustimmen,
({26})
obwohl wir die meisten Einzelpositionen - j a, ich will es sagen, ich will darauf kommen -, in denen wir, soweit das durch Finanzmittel überhaupt darstellbar ist, Kontinuität erkennen, mittragen können.
Danke schön.
({27})
Das Wort hat der Abgeordnete Stiegler.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar, daß noch Gelegenheit ist, einige Sätze zur Lage der Region an der Grenze, von Flensburg bis Passau, zum Zonenrandgebiet, zu sagen. Ich meine, es ist notwendig, an diese Probleme zu erinnern, da sie dem Ministerium für innerdeutsche Beziehungen als besonderer Auftrag anvertraut worden sind. Wir können alle miteinander nicht die Augen davor verschließen, daß die Zonenrandpolitik in eine gewisse Stagnation, in manchen Fällen sogar in eine gewisse Krise geraten ist - bei allem guten Willen der unmittelbar Beteiligten.
Ich erinnere an die Stagnation der Mittel auch in diesem Jahr. Ich erinnere daran, daß die Zonenrandförderung in den Fachausschüssen nicht mehr die Priorität hat wie früher. Die Kollegen der Union haben z. B. beim Steuerentlastungsgesetz 1984 die Zonenrandpräferenz - leider - trotz eines Antrags der SPD-Fraktion nicht passieren lassen; sie haben sie ausdrücklich abgelehnt und einen Prüfauftrag gegeben. Ich bedaure es, daß sich das innerdeutsche Ministerium hier nicht hat durchsetzen können.
Ich erinnere an die Diskussion, die uns im Verkehrsbereich hinsichtlich der Auseinandersetzung um die Strecken der Deutschen Bundesbahn, um die Ausbesserungswerke Weiden und Fulda und überhaupt um die Frage bevorsteht: Was hat die Bundesregierung mit dem Zonenrandgebiet vor? In ihrem neuen Verkehrskonzept, in der Kabinettsvorlage steht, das Zonenrandgebiet solle angemessen berücksichtigt werden. Ich frage Sie: Was heißt das? Es sind keine Ausgleichsmittel da, und es herrscht eine babylonische Sprachverwirrung.
Der Parlamentarische Staatssekretär im innerdeutschen Ministerium sagt dankenswerterweise, die Zonenrandförderung geht vor. Der Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium sagt, das Bundesbahngesetz geht vor. Der Bundesbahn-Vorstand sagt: Wir werden von Fall zu Fall entscheiden, und wenn es Geld kostet, geht das Bundesbahngesetz vor. Ich glaube, es wird höchste Zeit, daß sich das Kabinett hier endlich entscheidet und klarmacht: gilt nun die Priorität der Zonenrandförderung, oder gilt sie nicht? Ich wünsche dem innerdeutschen Ministerium beim Gerangel innerhalb der Koalition recht viel Erfolg und bitte, darauf zu achten, daß die Infrastruktur der Bundesbahn im Zonenrandgebiet nicht zerschlagen wird. Das sind keine tagespolitischen Entscheidungen, sondern es ist eine Jahrhundertentscheidung, ob die Infrastruktur bleibt.
Ich erinnere schließlich daran, daß im Raumordnungsbericht der Bundesregierung das Zonenrandgebiet kaum vorkommt. Es wird zwar in einer Randnotiz erwähnt, aber der innerdeutsche Minister kommt mir beinahe vor wie der alte Cato, der sein „Ceterum censeo" zwar noch draufdrücken kann; aber es hat lange gedauert, bis Karthago endlich zerstört war, und es wird noch länger dauern, bis das Zonenrandgebiet angemessen berücksichtigt ist.
({0})
Wenn es darum geht, bei der Behördenansiedlung dem Zonenrandgebiet gerecht zu werden, dann bitte ich gerade die Kollegen der Union: Setzen Sie sich gegenüber Ihren eigenen Leuten durch!
({1})
Es ist ein Skandal, wie die Haushälter der Union
gegen das einstimmige Votum des Innerdeutschen
Ausschusses die Verwaltungsschule der Bundesan3000
stalt für Arbeit nicht im Zonenrandgebiet haben wollen.
({2})
Dort große Treueschwüre, aber dann kriegt der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit Fernschreiben, daß er es anders machen soll. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen, gerade in der CSU.
({3})
- Herr Dr. Bötsch, gerade Sie hätten es nötig, Ihre Zonenrand-Leute zu unterstützen und dem Michael Glos hier einmal den Marsch zu blasen.
({4})
Und wie wackelt die Bundesregierung bei IURIS, das wir nach Kassel haben wollen! Der Bundesjustizminister zögert, der Bundesarbeitsminister weiß nicht so recht, was er will.
({5})
Hier ist es notwendig, daß die Bundesregierung nicht nur schöne Reden hält - die hält sie zur Zonenrandförderung -, sondern daß sie tatsächlich etwas tut.
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu, Herr Kollege?
Wenn ich die Zeit dazukriege. - Die kriege ich nicht. Herr Reddemann, es tut mir leid. Als Oberpfälzer fürchte ich mich sonst nicht.
({0})
Ich weise nur darauf hin:
({1})
Das Zonenrandgebiet braucht die Priorität. Diese Priorität ist gefährdet im Bereich der Regionalpolitik durch das Aufwachsen der sektoralen Probleme. Die Bundesregierung muß, was die Behördenansiedlung angeht, Farbe bekennen und darf nicht weiterhin wackeln. Die Zonenrand-Lobby darf ja sagen, draußen schöne Rede halten, und die Haushälter versuchen uns hier durch die Hintertür sozusagen wieder hinauszukomplimentieren. Das darf nicht sein. Da wünsche ich mir, daß der innerdeutsche Minister nicht nur protokollarisch aufgewertet ist, daß er jetzt vorne sitzen darf. Da war mir der Egon Franke mehr wert, der dem Finanzminister im Genick gesessen hat, als einer, der neben dem Finanzminister sitzen darf. Das Zonenrandgebiet braucht die Priorität. Das sollten wir gemeinsam weiter vertreten.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Berger ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Ablehnung des Einzelplans 27 durch die Fraktion der SPD ist für mich eine echte Überraschung.
Erstens. Im Innerdeutschen Ausschuß, dem meine beiden Vorredner j a angehören - sie haben dort auch an der Debatte teilgenommen -, haben wir gründlich und mit Sachverstand über die Berichterstattervorschläge zum Einzelplan 27 beraten. Die SPD hat dem Einzelplan 27 im innerdeutschen Ausschuß zugestimmt, Kollege Stiegler eingeschlossen.
({0})
- Herr Heimann auch.
Zweitens. Im Haushaltsausschuß sind zu einzelnen politisch wichtigen Titeln Fragen an Minister Windelen gestellt und beantwortet worden. Auch diese Beratung im Haushaltsausschuß wurde gründlich und mit Sachverstand geführt. Die SPD hat dem Einzelplan 27 im Haushaltsausschuß zugestimmt, und nun gehen Sie her, meine Herren Kollegen, so mir nichts dir nichts - ({1})
- Frau Kollegin, mit Blick auf die Uhr werden Sie verstehen, daß ich für die Dauer meiner zehn Minuten Redezeit keine Zwischenfragen zulasse.
Ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen.
Nun gehen Sie her, meine Herren Kollegen, und lehnen den Einzelplan 27 ab. Das ist schon eine beachtliche und, wie ich meine, unzureichend begründete Kehrtwendung. Herr Kollege Heimann, als Sie sprachen, habe ich daran denken müssen: Als der Minister Franke kräftig mit der Axt daranging, die Mittel für die Förderung von Berlin-Reisen drastisch und zum Schaden der Stadt zu kürzen, da waren Sie doch Mitglied des Senats von Berlin, und da waren Sie doch hier in Bonn der Vertreter des Landes Berlin beim Bund. Ich habe damals überhaupt nichts davon gespürt, daß Sie kräftig Hand angelegt hätten, um zugunsten und zum Nutzen des Landes Berlin und auch im Interesse der deutschlandpolitischen Aufgabenstellung den Minister Franke an seiner frevelhaften Tat zu hindern. Das haben mein Kollege Nehm und ich in Ordnung bringen müssen.
({0})
Die Aufgaben des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen sind politisch so schwergewichtig, daß ich schon darum bitten muß, in dieser Frage die bisher gemeinsamen Positionen nicht zu
Frau Berger ({1})
verlassen. An der Arbeit ist nichts auszusetzen, und weil an der Arbeit nichts auszusetzen ist, wird hier eben die Flucht angetreten auf der Suche nach Nebenkriegsschauplätzen.
Nun aber einige Punkte zum Einzelplan 27. Vor einem Jahr konnte ich hier bei der zweiten Lesung des Einzelplans 27 feststellen, daß der damalige Bundesminister Dr. Barzel nach einer jahrelang höchst stiefmütterlichen Behandlung dieses Einzelplans eine erste Korrektur vorgenommen hat. Der Ansatz wurde nach Jahren eines politisch unverantwortlichen Schrumpfens erstmals wieder um 20 Millionen DM erhöht.
Mit dem von Bundesminister Windelen jetzt vorgelegten Haushalt 1984 werden neue Schwerpunkte erkennbar. Der Haushalt des innerdeutschen Ministers steigt um 1,8 % und erhöht sich zusätzlich durch Umschichtung aus dem Gesamthaushalt. Ich sage dies mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn wenn man sich die Aufgaben des Ministeriums nach dem Vorwort zum Einzelplan 27 ansieht, dann wird klar, daß eine nur dem Durchschnitt des Gesamthaushalts entsprechende Erhöhung des Einzelplans 27 angesichts der Aderlässe früherer Jahre nach meinem Urteil und bei entschiedenem Willen zur Sparsamkeit nicht sachgerecht ist. Ich appelliere also an die Bundesregierung - auch vor dem Hintergrund ihrer Regierungserklärung - beim Einzelplan 27 für 1985 spürbar zuzulegen.
Allerdings sind trotz der begrenzten Mittel für 1984 durch Schwerpunktbildung im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen wesentliche Verbesserungen erkennbar. Hierzu einige Beispiele.
Erstens. Die deutschlandpolitische Projektforschung wird verstärkt. Der Forschungsplan wurde durchforstet und ergebnisorientiert umgestaltet. Hier wurde einer Bitte des Kollegen Nehm und meiner Bitte entsprochen, überflüssigen Forschungsballast von Bord zu werfen und sich ergebnisorientiert zu verhalten. Die Forschungsergebnisse werden künftig veröffentlicht und nicht nur für Fachexperten bereit gehalten oder in irgendwelchen Schubladen abgelegt.
Zweitens. Die Zonenrandförderung wird im Gegensatz zu den Finanzplanungen der Regierung von Helmut Schmidt nicht gekürzt. Aber ich möchte zu diesem Titel doch sagen, daß aller Anlaß besteht, die Zonenrandförderung in den kommenden Jahren zu verstärken. Über die Gründe ist im Innerdeutschen Ausschuß eingehend, wie ich schon sagte, und mit Sachverstand beraten worden. Bei steigenden Mittelanforderungen und insbesondere angesichts der Arbeitsmarktsituation im Zonenrandgebiet sind 115 Millionen DM zu wenig. Die bevorzugte Förderung des Zonenrandgebietes muß erhalten bleiben, damit nicht Schaden entsteht.
({2}) Mein Appell geht daher an die Bundesregierung, die Mittel für die Zonenrandförderung künftig aufzustocken.
({3})
Drittens. Die Publikationen des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen sind ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich. Der Ansatz dafür wurde für 1984 leider nur um 10 000 DM auf 4,7 Millionen DM erhöht.
({4})
Hier geht es doch vor allem um die Information der Jugend über die Situation in Deutschland über die nach wie vor schrecklichen Auswirkungen der deutschen Teilung. Da muß 1985 aufgestockt werden. Da kann es nicht den Haushältern überlassen bleiben, durch Umschichtungen zu erreichen, was die Regierung vorlegen sollte.
Wie sollen wir denn von jungen Menschen erwarten, sich für die deutsche Frage zu interessieren und etwas dafür zu tun, wenn das notwendige Informationsmaterial nicht bereitsteht? Wen wundert es da, wenn in einer Fernsehsendung keiner der vielen anwesenden Teilnehmer wußte, daß Karl-MarxStadt früher Chemnitz hieß?
({5})
Im vergangenen Jahr haben mein Kollege Nehm und ich das Ministerium gebeten, das Literaturpaket, welches an Schulen versandt wird, zu durchforsten und Bücher auszuwählen, die nicht nur für Lehrer als Lehrmaterial, sondern auch für Schüler als Lesematerial bestimmt sind. Ich danke Herrn Bundesminister Windelen und Herrn Staatssekretär Rehlinger ausdrücklich dafür, daß dies geschehen ist.
({6})
Dieses Bücherpaket wurde sinnvoll von 105 auf 56 Buchtitel reduziert. Das heißt, es wurde Ballast abgeworfen.
({7})
- Herr Kollege Diederich, wenn Sie sich die alte und die neue Bücherliste ansehen, dann werden Sie feststellen, daß Sie eben eine sehr dumme Bemerkung gemacht haben.
Es ist Ballast von Bord geworfen worden, und es können auf diese Weise bei gleichem Ansatz mehr Bücherpakete verschickt werden. Die Schüler sollen durch den direkten Zugang zur deutschlandpolitischen Literatur neugierig gemacht werden und den Wunsch bekommen, nach drüben zu fahren.
Also nochmals: Dieser Ansatz ist in der Tat wichtig. Er sollte 1985 um mindestens 1 Million DM aufgestockt werden. Wenn ich mir die Ansätze für Publikationen in anderen Ressorts ansehe, dann ist
Frau Berger ({8})
dies weiß Gott keine unberechtigte oder gar übertriebene Forderung, im Gegenteil.
({9})
Viertens. Ich begrüße die Entscheidung des Ministeriums, daß der Jakob-Kaiser-Fernsehpreis und der Ernst-Reuter-Rundfunkpreis nicht mehr nur alle zwei Jahre, sondern jeweils jährlich verliehen werden. Dasselbe gilt für den Ernst-Richter-Wissenschaftspreis und den Thomas-Dehler-Literaturpreis. Auch auf diese Weise wird die allgemeine Aufmerksamkeit verstärkt auf deutschlandpolitische Fragen gelenkt. Wichtig hierbei ist, daß vor allem junge Wissenschaftler und Künstler zur Beteiligung angeregt werden.
Fünftens. Für die Aufgaben des Ministeriums werden für 1984 drei neue Haushalstitel eingerichtet. Erwähnen möchte ich den Titel 685 33 in Kapitel 27 02 zur Förderung von Begegnungen und Informationsreisen in die DDR und für den kulturellen Austausch im Bereich der innerdeutschen Beziehungen. Für diese Zwecke sind 9,8 Millionen DM im Einzelplan 27 umgeschichtet worden. Wir sind der Meinung, daß die innerdeutschen Begegnungen vor allem jungen Menschen soweit wie irgend möglich verstärkt werden sollen. Dies geschieht z. B. durch die Förderung von Jugendgruppen und Schulklassenfahrten von drei bis zehn Tagen in die DDR, den sogenannten Studienfahrten. Dafür zahlt das Minsterium einen Zuschuß für die Omnibuskosten und 5 DM je Fahrt und Teilnehmer.
1981 sind 90 Schulklassen mit 2 400 Schülern in die DDR gefahren. 1982 waren es 196 Klassen mit 5 000 Teilnehmern und 1983 fuhren rund 5 000 Klassen mit ca. 13 000 Teilnehmern in die DDR. Ich meine, dies ist eine erfreuliche Entwicklung.
({10})
Im Dezember 1982 habe ich vorgeschlagen, neben diesen drei- bis zehntägigen Studienfahrten auch Ein- bis Zwei-Tages-Fahrten von Jugendlichen in die DDR zu fördern. Lehrer, Schüler und Eltern werden sich leichter für eine erste Reise in die DDR entscheiden, wenn diese nur einen Tag oder zwei Tage dauert.
({11})
- Oh, das ist doch furchtbar einfach mit einer EinTages-Reise. Wenn ich mit einer Schulklasse morgens um sieben Uhr in Berlin abfahre, bin ich in aller Bequemlichkeit gegen 10 Uhr in Güstrow und kann über Schwerin nach Berlin zurückfahren. Oder: Wenn ich um 7 Uhr in Berlin in südliche Richtung abfahre, kann ich über den Spreewald nach Dresden fahren und kann mit dieser Schulklasse
({12})
- was haben Sie denn dagegen? - über Meißen und Wittenberg nach Berlin zurückfahren.
Ich bin dem damaligen Minister Dr. Barzel und dem Minister Windelen dankbar, daß meine Anregung aufgegriffen wurde und ab 1984 auch solche Kurzreisen von Jugendlichen in die DDR gefördert werden. Ich bin auch darüber zufrieden, daß der Bundesminister der Finanzen den entsprechenden
Richtlinien am vorigen Freitag sogar zugestimmt hat.
({13})
- In der Tat!
Sechstens. Politischen Stellenwert hat auch der Titel 685 32 für Informationsreisen nach Berlin und an die Grenze zur DDR. Jede Abschlußklasse einer weiterführenden Schule sollte Gelegenheit haben, wenigstens einmal eine Informationsreise nach Berlin zu unternehmen. Darüber sind wir uns - wie ich glaube - auch mit der SPD einig.
({14})
- Na, dann klatscht doch ein bißchen!
1980 hatte der Titel dafür noch 14,6 Millionen DM betragen. Er ist 1981 und 1982 von der alten Regierung ohne allzu scharfen Widerspruch unseres Kollegen Heimann, der damals in verantwortlicher Regierungsposition in Berlin war, kräftig zusammengestrichen worden. Im vergangenen Jahr haben mein Kollege Nehm und ich eine Erhöhung auf zunächst 12,45 Millionen DM durchsetzen können. Im Regierungsentwurf 1984 war es leider bei diesem Ansatz geblieben. Bei den Berichterstattergesprächen haben mein Kollege Nehm und ich für diesen Zweck quasi mit dem Staubsauger aus anderen Positionen zusätzlich 320 000 DM mühsam zusammengekratzt. Ich habe die dringende Bitte an die Bundesregierung, daß der Ansatz stufenweise wieder auf den früheren Ansatz von mindestens 14,6 Millionen DM gebracht wird.
Der Bund zahlt für die Informationsreise nach Berlin ca. 80 % der Omnibuskosten und 5 DM je Tag und Teilnehmer. Mit anderen Worten, jeder Teilnehmer zahlt aus seiner eigenen Tasche rund 300 DM dazu. Die Mittel für die Förderung der Berlin-Reisen waren bisher schon nach vier bis fünf Monaten für das ganze Haushaltsjahr verplant. Später eingehende Anträge mußten abgelehnt werden. Das ist politisch überhaupt nicht in Ordnung und kann in der Tat so nicht weitergehen.
Siebentens. Ab 1. Januar 1984 werden Freifahrt-scheine für Zusatzfahrten im Bundesgebiet an Besucher aus der DDR und aus osteuropäischen Ländern ausgegeben, deren Gastgeber Empfänger von Arbeitslosenhilfe sind. Das ist ein erster Fortschrift. Ich appelliere aber an den Finanzminister, künftig auch jene Besucher aus der DDR in diese Regelung einzubeziehen, deren Gastgeber Arbeitslosengeld erhalten, also weniger als ein Jahr arbeitslos sind.
Achtens. Ich bestätige abschließend ausdrücklich, daß das Ministerium im vergangenen Jahr äußerst sparsam gewirtschaftet hat und daß die knappen Mittel wirksam eingesetzt worden sind. Ich appelliere aber an das Ministerium, für den Etat 1985 auf eine bessere finanzielle Ausstattung bei den politisch wichtigen Titeln zu drängen. Wegen der Versäumnisse in früheren Jahren besteht hier ein dringender Nachholbedarf.
({15})
Dem Minister, seinen Staatssekretären und den Mitarbeitern des Ministeriums spreche ich den
Frau Berger ({16})
Dank der CDU/CSU-Fraktion aus. Die innerdeutschen Aufgaben liegen bei ihnen in guten Händen. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Einzelplan 27 zu.
Ich danken Ihnen.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr haben Sie, Frau Berger, bei den Haushaltsberatungen zu diesem Einzelplan noch den Zuwachs von 20 Millionen DM als eine Wende in der innerdeutschen Haushaltspolitik bejubelt. Sie haben damals von einem frischen Wind im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen gesprochen, wie es immer noch heißt und das es leider immer noch gibt.
({0})
Frau Berger hat offensichtlich recht behalten. Beim Haushalt 1984, der insgesamt ein Dokument dafür ist, wie man dem kleinen Mann in die Tasche greifen will und wie man ihn schröpfen will, wird gerade beim Einzelplan 27 extrem stark zugelegt, nämlich eine Erhöhung um fast 30 % oder 137 Millionen DM, wenn sie auch mit einer Umschichtung deklariert wird.
({1})
Trotzdem will die Regierung offensichtlich den Eindruck vermitteln, als sollte es jetzt ordentlich losgehen mit den Aufgaben des Ministeriums, die ja bekanntlich darin liegen, der Einheit der Nation zu dienen, den Zusammenhalt des deutschen Volkes zu stärken, die Beziehungen der beiden deutschen Staaten zu fördern und die deutschlandpolitische Verantwortung der Bundesregierung wahrzunehmen.
Schöne Worte - nur haben sie leider den schlimmen Nachteil, daß sie kaum etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben.
({2})
Von der über einer halben Milliarde, über die wir hier reden müssen, geht allein die Hälfte in zwei Haushaltspositionen, für die es keine näheren öffentlichen Angaben gibt. Es finden sich lediglich die lapidaren Bemerkungen, daß es sich um Ausgaben zur Behebung besonderer Notstände handele oder daß die Durchführung dieser Maßnahmen im gesamtdeutschen Interesse liege.
({3})
Es ist bezeichnend, daß allein die Hälfte des Einzelplans zur Förderung von deutsch-deutschen Beziehungen in einer Tabuzone liegt, die das Licht der Öffentlichkeit offensichtlich scheut.
({4})
- Herr Reddemann, ich habe leider zu wenig Zeit.
({5})
Nein, Sie haben keine Zwischenfrage. Das geht nicht.
({0})
Da wird dann von der Linderung der Not von Landsleuten gesprochen, wo andere von Menschenhandel reden.
Warum kritisieren wir diesen Haushalt hier so hart? Weil in diesem Titel die ganze Heuchelei in Zahlen geronnen ist, die die derzeitige Deutschlandpolitik auszeichnet.
({0})
Die Regierung ist auch noch besonders stolz darauf, zur Kontinuität der Adenauerschen Politik vergangener eiskalter Zeiten zurückgekehrt zu sein.
({1})
Diese Politik war darauf gerichtet, die Bundesrepublik mit Haut und Haaren in die Atlantische Allianz einzubinden, und jeder Versuch, mit der Sowjetunion zu einer Vereinbarung zu kommen, wurde als Paktiererei mit dem Bösen verdammt.
({2})
Es ist erschreckend, daß der gleiche unnachsichtige, geradezu infantil trotzköpfige Geist, der alle Möglichkeiten des ersten Nachkriegsjahrzehnts, zu einem geeinten und neutralen, sprich blockfreien Deutschland zu kommen,
({3})
ohne langes Federlesen verwarf, heute wieder die Reden der Regierungspolitiker bestimmt.
({4})
Während der zweitägigen Debatte über die drohende Aufstellung der neuen amerikanischen Angriffsraketen wurde in allen Stimmlagen von der roten Gefahr aus dem Osten getönt, die Sowjetunion würde nur auf Unterwerfung, Aggression und Erpressung des Westens unter ihre Knute hinarbeiten, um mit allen denkbaren Mitteln die öffentliche Meinung in den westlichen Ländern zu beeinflussen.
({5})
Schneider ({6})
Das neue alte Credo lautet: Die Russen sind entspannungsfeindlich, militärisch überlegen und streben nach der Weltherrschaft. Da helfe nur Gürtel enger schnallen, soziale Verzichte und verstärkte Rüstung. Herr Dregger hat das in der Aussprache zur Regierungserklärung so ausgedrückt: Wir müssen viel mehr Geld für die Verteidigung ausgeben, und wir müssen viel mehr Truppenverbände aufstellen, wenn wir das ändern wollen.
({7})
Er und andere Scharfmacher der Wendekoalition meinten mit diesen Truppenverbänden offensichtlich die Bedienungsmannschaften der neuen schrecklichen Vernichtungswaffen, die das deutsche Volk in seiner Mehrheit, und zwar in beiden deutschen Staaten, auf keinen Fall hier und auch nicht anderswo aufgestellt haben möchte.
({8})
Herr Dregger - und viele andere Politiker der CDU mit ihm - meinte dies, obgleich die Regierung genau weiß, daß der Westen der Sowjetunion wirtschaftlich, technologisch und militärisch überlegen ist.
({9})
Herr Windelen faßte die Deutschlandpolitik der Regierung in folgendem Satz zusammen. Er sagte:
Das Verteidigungsbündnis mit den westlichen Demokratien ist die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland und auch die Räson ihrer Deutschlandpolitik.
Priorität - das wollen diese Worte ausdrücken - haben also der Bestand, die Wohlfahrt, die Sicherheit und die sogenannte Freiheit der BRD, bevor an die Bürger der DDR gedacht werden kann.
({10})
Alle offenen Überlegungen für eine zukunftsweisende Deutschlandpolitik müssen also auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten, weil die geltende Ideologie und die immer noch bestehenden Ansprüche der Bundesrepublik auf die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches
({11})
in den Grenzen von 1937 eine Lösung der deutschen Frage nur auf dem Boden der Gesellschaftsordnung der BRD denkbar machen.
({12})
Es fehlt hier jede Phantasie, und es fehlt der Wille, eine andere Politik zu machen.
({13})
Dann müßte man ja auch die DDR ohne Wenn und Aber anerkennen.
Die Hunderte von Millionen von DM, die hier in diesem Haushalt verpulvert werden sollen, dienen einzig dazu, den überholten Anspruch, für ganz Deutschland zu sprechen und für ganz Deutschland zuständig zu sein, aufrechtzuerhalten.
({14})
Das ist eine teure Farce. Das Geld dieses Haushalts kann höchstens ein paar Wunden lindern, heilen kann es nichts. Der Haushalt ist ein Ausdruck des schlechten Gewissens wegen einer verfehlten Politik.
Dreieinhalb Jahrzehnte deutscher Teilung als Folge des Hitler-Krieges und später des Kalten Krieges gegen das östliche Weltsystem haben eine Realität hervorgebracht, die das Gefühl für eine gemeinsame Nationalität verschüttet hat.
({15})
Die Deutschen in Ost und West werden zwar jedem Demoskopen gegenüber ihren Zusammengehörigkeitswillen bekunden, aber ob sie etwas für die erträumte Einheit tun oder gar opfern würden, steht auf einem anderen Blatt. 35 Jahre unterschiedlicher gesellschaftlicher Entwicklung gehen nicht spurlos an den Menschen vorüber.
Etwas Gemeinsames lebt derzeit allerdings wieder auf, und zwar ein gesamtdeutsches Gefühl der Bedrohung durch die Stationierung. In den Briefen von kirchlichen Gemeinden an den Generalsekretär Honecker, die, für viele überraschend, auch im „Neuen Deutschland" abgedruckt wurden, lebt diese gemeinsame Mahnung, genauso eindringlich und unüberhörbar wie in der Flut der Zuschriften, Bittbriefe und Unterschriftensammlungen an die Politiker der Bundesrepublik.
({16})
Die Menschen in Ost und West spüren, daß die Kriegsgefahr wächst und daß wir in Deutschland hüben und drüben die ersten sind, die sterben werden, wenn z. B. der Computerfehler eintritt, der angeblich nie passieren dürfte.
({17})
- Ich rede hier über die Raketen, weil sie jede alternative Deutschlandpolitik verunmöglichen. Derzeit gilt das Wort von der Schadensbegrenzung, und die Regierung greift gierig danach, weil sie damit die eigene Starrheit und Konzeptionslosigkeit kaschieren möchte.
Es ist der Gipfel des Zynismus, auch noch so zu tun, als ob die Stationierung auch im Interesse der DDR-Bürger liege, die von den Folgen noch härter betroffen sind als wir in der Bundesrepublik. Wenn
Schneider ({18})
es in der Zukunft keine Eiszeit gibt, so ist das kein Verdienst der Regierung Kohl, sondern es resultiert aus der Vernunft und dem Zwang zum Überleben auf der östlichen Seite.
({19})
Die über eine halbe Milliarde DM des Haushaltspostens 27 dient nur einem Zweck: der Aufrechterhaltung der Illusion, daß die Bundesregierung eine Politik macht, die die Menschen in beiden deutschen Staaten zusammenbringen wird. Diese Illusion aufrechtzuerhalten - dazu dienen die vielen Sonntagsreden, die Papierfluten des Ministeriums oder die Besuchsreisen zur deutsch-deutschen Grenze. Die Aufrechterhaltung dieser Illusion ist falsch und gefährlich. Wir brauchen eine realistische Politik des Dialogs und des Ausgleichs mit den östlichen Staaten und nicht die Konfrontation mit dem ideologischen Schrott von Alleinvertretung und gesamtdeutscher Anmaßung.
({20})
Die Fraktion der GRÜNEN lehnt den Einzelplan 27 ab.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die „sogenannte Freiheit der BRD", Herr Kollege Schneider, gibt Ihnen allerdings die Möglichkeit, im Parlament der Bundesrepublik Deutschland eine Rede zu halten, die sich gegen die Interessen der deutschen Menschen auf beiden Seiten der Grenze
({0})
und gegen das Grundgesetz richtet, nach dem wir alle hier in diesem Hohen Hause zu handeln verpflichtet sind.
({1})
Ich hätte gerne an dieser Stelle als letzter Redner der Fraktionen von der Gemeinsamkeit des Hohen Hauses in einer der entscheidenden Grundfragen der deutschen Nation und in den Grundlinien der Deutschlandpolitik gesprochen. Darüber, daß ich es mit Ihnen gemeinsam, Herr Kollege Schneider, nicht würde tun können, war ich mir im klaren. Ich will deswegen auch nicht mehr auf Einzelheiten Ihrer Rede eingehen. Die Geschäftsordnung hat Ihnen ja offenbar auch die Möglichkeit gegeben, von etwas völlig anderem zu reden als von den Grundfragen deutschlandpolitischer Entscheidungen.
Herr Kollege Heimann, das eine muß ich Ihnen sagen. Ihre Rede war der ebenso unbegründete wie für mich tief enttäuschende Versuch, die Gemeinsamkeiten, die wir im innerdeutschen Ausschuß im abgelaufenen Jahr gehabt haben, in allen entscheidenden Fragen hier im Parlament zu zerreden.
({2}) Deswegen nehme ich das, Herr Kollege Heimann, was Sie hier heute gesagt haben, nicht als Auffassung der Fraktion der SPD in diesem Hohen Hause zu den Fragen, über die wir heute die Auseinandersetzung führen. Wir brauchen eine gemeinsame Grundlage für unsere Deutschlandpolitik, wenn sie denn wirklich erfolgreich sein soll. Wir brauchen dafür nicht nur Mehrheiten, sondern wir brauchen die Gemeinsamkeit, um auch nach draußen überzeugend mit dem auftreten zu können, was wir gemeinsam verfolgen wollen.
Ich füge dies hinzu: Nach meiner Überzeugung und der Überzeugung meiner Freunde brauchen wir eine nach vorn gerichtete Deutschlandpolitik, eine Politik, die sich auf Menschenrechte und deren Verwirklichung, auf Freiheit und deren Durchsetzung und auf Selbstbestimmungsrecht und seine Verwirklichung bezieht. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich beziehe mich auf den Auftrag des Grundgesetzes, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden".
({3})
Wir in der FDP-Fraktion haben früher als Sie, Herr Kollege Reimann, Berührungsängste überwunden und gesagt, daß wir eine solche Politik nicht als restaurativ verstehen, sondern als eine Politik ansehen, die nach vorne geht und den Interessen der Menschen gerecht werden soll. Auf der Grundlage diese Konsenses sollten wir uns bemühen, unsere Arbeit für Berlin, für das Zonenrandgebiet und für den Erhalt der Präferenz, Herr Kollege Stiegler, von der Sie zu Recht gesprochen haben, zu tun. - Ich wäre dankbar, wenn eine anerkennende Bemerkung gelegentlich auch einmal Ihre persönliche Unterhaltung übertönen könnte.
Das sind alles Dinge, die wir gemeinsam tun können. Ich glaube, daß auf der Basis des Konsenses, den wir im Ausschuß ja gehabt haben, dieses letzte Jahr der Deutschlandpolitik hoffnungsvolle Ansätze in einer Vielzahl von deutsch-deutschen Fragen und in Wahrnehmung und Ausfüllung der über die bisherige Vertragspolitik der vorangegangenen Jahre eröffneten Möglichkeiten gezeigt hat. Ich glaube, alle, die an der Vorbereitung wie an der schrittweisen Umsetzung Anteil hatten, dürften doch wohl an diesem Tage und in dieser Debatte ein wenig Befriedigung darüber empfinden, daß z. B. die Teilnehmerzahlen im Rahmen des Jugendaustausches gesteigert worden sind, die Mindestumtauschregelung jedenfalls im Ansatz verändert ist, die Grenzabfertigung ziviler und freundlicher geworden ist, Selbstschußanlagen an der zwar immer noch tödlichen und fast hermetisch abgesperrten Grenze bereits zu Teilen abgebaut sind, das Postabkommen mit Verbesserungen abgeschlossen wurde und weitere Gespräche und Verhandlungen auf vielen Gebieten fortgeführt oder auch neu aufgenommen worden sind.
Ich danke sowohl Ihrem Amtsvorgänger, Herr Minister Windelen, als auch Ihnen selbst für die Aktivitäten und für die Gemeinsamkeit einer Politik, die wir miteinander haben betreiben können und miteinander weiter betreiben sollten.
({4})
Herr Kollege Schneider, die Grundlage dieser Verträge hat sich auch hinsichtlich der Spannungen der letzten Tage und Wochen als tragfähig für die Weiterentwicklung der Beziehungen erwiesen, da dazu offensichtlich auf beiden Seiten der ernsthafte Wille vorhanden ist. Nur, wenn Sie die maßvolle Reaktion von Herrn Honecker als Beweis dafür anführen, wie die Stimmung der Bevölkerung drüben ist, würde ich Sie wirklich fragen, ob Sie auch in der Vergangenheit immer der Meinung gewesen sind, daß die Regierung der DDR und die Führung der SED die Stimmung der Menschen in der DDR wiedergegeben hat. Ich gaube, dies ist wohl eine Behauptung - ({5})
- Herr Schily,
({6})
genau dies hat er gesagt. Lesen Sie das Protokoll nach!
({7})
Wer in den letzten Monaten die Diskussion um die Sicherheitspolitik aufmerksam verfolgt hat, konnte ja wohl, so meine ich, feststellen, daß sehr oft die sicherheitspolitische Argumentation mit der deutschlandpolitischen verknüpft war, und dies nicht nur hier im Hause, sondern auch in der Friedensbewegung. Dabei sind oft Ziele formuliert worden, die es - vielleicht mit einigen Abweichungen - bereits in den 50er Jahren gegeben hat, Ziele, die in ihrer Formulierung aber auch erkennen ließen, daß sie ohne Kenntnis der historischen Entwicklungen und Grundlagen und ohne Einbeziehung der daraus zu begründenden Realität neu formuliert wurden.
Ich glaube, da muß ein Schwerpunkt unserer Politik in dem Bereich, den wir jetzt gerade behandeln, gesehen werden. Wir müssen zumal der Jugend die Zusammenhänge und die historische Entwicklung vermitteln, damit auch in der Zukunft Gefährdungen durch realitätsferne Zielvorstellungen in einer Politik vermieden werden, die wir, Herr Kollege Schneider, weder den extremen Rechten noch den extremen Linken überlassen werden.
({8})
Es geht darum, daß das Bewußtsein von der offenen deutschen Frage wachbleibt. Dies gilt auch gegenüber unseren westlichen Partnerländern, in denen es ja wohl in den letzten Monaten einige verwunderte bis skeptische Fragen danach gab, ob diese sicherheitspolitische Diskussion aus Anlaß der Nachrüstung nicht am Rande Tendenzen erkennen lasse, die weniger bündnispolitische als nationale oder gar nationalistische Interessen verfolgte.
Auch gegenüber unseren Partnern und Nachbarn wird es notwendig sein, klarer als bisher unsere Situation und unsere Ziele deutlich zu machen. Unsere westlichen Nachbarn müssen wissen, daß nach wie vor die Überwindung der deutschen Teilung unser Ziel ist und bleibt, daß aber weder der Weg dahin noch ein solches erreichtes Ziel selbst zu einer Loslösung von unseren europäischen Nachbarn oder von unseren Partnern auf der anderen Seite des Atlantik führt
({9})
und daß eben unsere Gemeinsamkeit mit diesen Partnern Voraussetzung dafür ist, daß wir dieses Ziel tatsächlich erreichen können.
Ich sage dies in bezug auf unsere Partner auch mit einem Rückblick auf die Vorgänge beim Besuch der griechischen Delegation in Berlin. Ich würde auch dieser Delegation sagen, daß es in einer Stadt, in der einst Papandreou, als er unter einem diktatorischen Regime in Griechenland lebte, die Möglichkeit hatte, von dieser Stadt aus - und zwar über den „Sender Freies Berlin", nicht über den Staatsfunk der DDR - seine Meinung der Welt vorzutragen, wohl auch um unsere berechtigte Forderung geht, daß deutsche Realität auch bei unseren Partnern und Nachbarn zur Kenntnis genommen wird.
({10})
Wenn die Frau Präsidentin mir noch einige wenige abschließende Bemerkungen gestattet, wäre ich ihr sehr verbunden.
Im vorgelegten Einzelplan 27 wird bei einem Vergleich mit den Vorjahren die kontinuierliche Fortsetzung einer Politik deutlich, die wir - ich spreche hier als Mitglied der Freien Demokratischen Partei - von Anfang an mitbegründet, mitgestaltet und getragen haben. Es wäre mehr als eine freundliche Geste gewesen; Herr Kollege Heimann, wenn dieser Einzelplan mit den Stimmen aller Fraktionen dieses Hauses hätte angenommen werden können.
({11})
Denken Sie daran, wieviele Erwartungen von einzelnen und Familien und von der Bevölkerung, den Bürgern der DDR, an diese Politik geknüpft werden, die hier ihre haushaltsrechtliche Basis finden soll. Deswegen sage ich Ihnen, Herr Minister: Wir werden Ihrem Einzelplan zustimmen. Sie mögen aus dieser Zustimmung auch die Bereitschaft erkennen, auch in der Zukunft unsere gemeinsame Politik mit Ihnen zu tragen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wir sind am Ende der Debatte des ersten Tages der Haushaltsberatungen. Ich möchte mich zunächst sehr herzlich bei Ihnen allen bedanken, die Sie zu dieser späten Stunde noch im Hause sind. Ich möchte meinen Dank auch dadurch ausdrücken, daß ich auf lange AusführunBundesminister Windelen
gen verzichten werde und mich auf wenige Bemerkungen beschränke.
Mein Dank gilt auch den Berichterstattern des Einzelplanes 27, dem Kollegen Nehm und der Frau Kollegin Berger, für die gründliche, die kritische, aber auch verständnisvolle Beratung des Haushaltes des innerdeutschen Ministeriums. Ich bedanke mich beim Haushaltsausschuß und beim Innerdeutschen Ausschuß dafür, daß sie die Vorschläge der Berichterstatter, die ich voll akzeptiere, mit großer Mehrheit angenommen haben. Ich muß es ertragen, wenn dennoch die Fraktion der SPD aus politischen Gründen zu einer Ablehnung meines Haushaltes kommt.
({0})
Ich war dankbar für die enge Zusammenarbeit mit den Kollegen im Innerdeutschen Ausschuß und dem Haushaltsausschuß. Ich möchte diese Zusammenarbeit auch in Zukunft so fortsetzen wie bisher.
Frau Kollegin Berger, Sie sind in Ihrem Beitrag auf die politischen Schwerpunkte meines Haushalts eingegangen. Ich stimme Ihren Bewertungen ebenso zu wie Ihren Zielvorstellungen und Vorschlägen. Deswegen brauche ich das nicht zu wiederholen, was hier dazu schon gesagt worden ist. Herr Kollege Ronneburger, das gleiche gilt für Ihre grundsätzliche Positionsdarstellung, die ich ebenfalls teile, und für die ich mich ebenfalls bedanken möchte.
Ich will mich nun mit einigen Worten den Debattenbeiträgen zuwenden, wie sie abgegeben worden sind. Herr Kollege Heimann, Sie haben noch einmal nach den deutschlandpolitischen Positionen der Bundesregierung, des innerdeutschen Ministers und seines Parlamentarischen Staatssekretärs gefragt. Die deutschlandpolitischen Positionen dieser Regierung bestimmen sich nach dem Grundgesetz, seinem Auftrag, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Sie bestimmen sich nach den Verträgen, die wir und die Sie rechtsverbindlich abgeschlossen haben,
({1})
unter anderem auch der Deutschlandvertrag, die uns binden. Sie stützen sich auf den Brief zur deutschen Einheit, nach dem die Verträge nicht im Widerspruch zum Ziel stehen, einen Zustand des Friedens herbeizuführen, in dem auch das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiederfindet. Sie stützt sich auf die gemeinsame Erklärung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972, und sie stützt sich vor allem auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes von 1973 und 1975, deren tragende Grundsätze Gesetzeskraft haben. Ich hoffe, meine Damen und Herren, das gilt nicht nur für die Bundesregierung, sondern das gilt für uns alle. Wenn dies so wäre, brauchte dieses Thema kein Streitgegenstand zu sein.
({2})
Herr Kollege Stiegler, es ist legitimes Recht der Opposition und natürlich besonders eines Abgeordneten, der im Zonenrandgebiet lebt, uns auf unsere Pflichten aufmerksam zu machen. Es hätte dessen nicht bedurft. Wir haben die ständige Austrocknung der Zonenrandförderung beendet. Wir haben die ständige Kürzung der Mittel für den Zonenrand nicht fortgesetzt, sondern wir haben sie in einer schwierigen finanzpolitischen Situation aufgestockt, im Bereich der wirtschaftlichen Zonenrandförderung um 30 Millionen DM, also um 30%, in der kulturellen Zonenrandförderung um 15%. Ich stehe nicht an, mich beim Finanzminister ausdrücklich dafür zu bedanken. In einer Zeit, wo überall gekürzt werden mußte, ist hier aufgestockt worden, und darin kommt der Wille dieser Bundesregierung zum Ausdruck,
({3})
das Zonenrandgebiet in seiner schwierigen Situation, die noch durch die wirtschaftlichen und strukturellen Probleme erschwert wird, weiter zu fördern.
Herr Abgeordneter Schneider, Sie und die Fraktion der GRÜNEN halten das innerdeutsche Ministerium für überflüssig. Sie fordern die Abschaffung. Ich glaube deswegen, Sie werden Verständnis haben, wenn ich mir erspare, näher auf Ihre Ausführungen einzugehen.
({4})
Lassen Sie mich deswegen abschließend nur noch wenige Sätze über die aktuellen Perspektiven unserer innerdeutschen Politik anfügen. Die Führung der DDR hat in den letzten Wochen nach dem Beschluß vom 22. November 1983 ihr Interesse und ihren Wunsch deutlich gemacht, das in den innerdeutschen Beziehungen Erreichte nicht nur zu bewahren, sondern auch auszubauen. Sie hat öffentlich ihre Bereitschaft erklärt, Vorschläge der Bundesregierung sorgfältig zu prüfen, die geeignet sind - um es in den Worten von Generalsekretär Honecker zu sagen -, die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten auf ein normales Gleis zu bringen.
Die Bundesregierung begrüßt diese Haltung der Führung der DDR. Wir wollen gute Nachbarschaft mit dem anderen Staat in Deutschland, mit allem, was dazugehört: gegenseitige Rücksichtnahme und Schadensvermeidung, Zusammenarbeit bei gemeinsamen Problemen, Austausch von Erfahrungen, Austausch von Informationen und von Besuchen. Dabei bleiben wir uns der tiefen Unterschiede in der Gesellschafts- und Staatsordnung beider Staaten selbstverständlich bewußt. Diese Unterschiede werden und dürfen auch in Zukunft nicht verwischt werden.
Das gehört im übrigen zu einer realistischen Deutschlandpolitik, die sich vor Wunschträumen und vor Illusionen hütet. Wir bedrohen die DDR und den freien Willen der dort lebenden Deutschen nicht, wenn wir aussprechen, daß die deutsche Frage weiterhin offen ist. Das deutsche Volk, die deutsche Nation ist nach wie vor eine Realität, und solange dies so ist, bleibt die deutsche Frage offen.
Dagegen hilft kein Wegsehen, kein Verbieten, kein Dekretieren. Die Geschichte läßt sich den Mund nicht verbieten.
({5})
Um so größer ist die Verantwortung der Regierungen beider Staaten in Deutschland. Ich stimme deswegen auch den jüngsten Ausführungen von DDR-Außenminister Fischer zu. Schlechte oder gar feindselige Beziehungen zwischen den beiden Staaten müßten die internationalen Spannungen erhöhen. Das wäre kein verantwortlicher Beitrag zur Friedenssicherung für Europa.
Die Bundesregierung ist willens und entschlossen, danach zu handeln. Sie wird beharrlich und stetig ihre Anstrengungen fortsetzen, um zu Verhältnissen zu gelangen, die das Prädikat „normal" verdienen. Dabei werden wir unsere Grundsätze nicht verleugnen. Aus Erfahrung wissen wir im übrigen, daß auch von der DDR derartiges realistischerweise nicht zu erwarten ist.
Folglich, meine Damen und Herren, kommt es darauf an, daß beide Seiten den Willen zur pragmatischen Vorgehensweise und zu pragmatischen Lösungen aufbringen. Die Bundesregierung hat diesen Willen.
Anlage zum Stenographischen Bericht
Anlage
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete({6}) entschuldigt bis einschließlich
Büchner ({7}) * 7. 12.
Cronenberg ({8}) 9. 12.
Dr: Emmerlich 6. 12.
Fischer ({9}) 9. 12.
Gilges 9. 12.
Dr. Glotz 9. 12.
Haehser 9. 12.
Frau Dr. Hartenstein 9. 12.
Hartmann 6. 12.
Immer ({10}) 9. 12.
Jaunich 7. 12.
Junghans 6. 12.
Lemmrich 8. 12.
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Ich meine, dies ist eine Politik, die die Unterstützung aller Gutwilligen verdient. Ich bitte Sie darum.
({11})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer Einzelplan 27 - Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! ({0})
Enthaltungen? - Bei Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist Einzelplan 27 in der zweiten Lesung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Beratung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 7. Dezember 1983, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.