Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um den Zusatzpunkt „Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/713 -" erweitert werden. Der Zusatzpunkt soll vor den Tagesordnungspunkten 15a und 15b aufgerufen werden.
Ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung dieses Punktes von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen wird. - Ich sehe, daß Sie damit einverstanden sind. Damit ist mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Ich rufe dann den soeben genannten Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
- Drucksache 10/713 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kübler
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 10/713 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Gemeindefinanzen ({1})
- Drucksache 10/537 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({2})
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Fortsetzung der Gemeindefinanzreform - Drucksache 10/538 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({3})
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bernrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gemeinden sind zwischen die Mühlsteine einer übergeordneten Finanzpolitik vor allem des Bundes und die Zwänge der eigenen Haushaltswirtschaft geraten. Die finanzwirtschaftliche Konsolidierung der Haushalte von Bund und Ländern zu Lasten der Gemeindefinanzen zwingt die Kommunen zu Leistungseinschränkungen, insbesondere zur Verringerung der Investitionen. Die Wachstumsabschwächung mindert mit ähnlichen Wirkungen die eigenen Einnahmen der Kommunen; die Verwaltungshaushalte können vielfach nicht mehr ausgeglichen werden.
Mit den Haushaltsbeschlüssen 1983 und 1984 hat die Bundesregierung eine Reihe finanzieller Belastungsverschiebungen in Gang gesetzt, die, langfristig sogar ansteigend, die Finanzkraft der Städte, Gemeinden und Kreise weiter schwächen wird. Die Gemeinden werden damit sozusagen in die Zange genommen; denn die sich ebenfalls aus den Haushaltsbeschlüssen des Bundes mittelbar ergebenden Mehrbelastungen für die Gemeinden bei der Sozialhilfe, den Pflegekosten und die gestiegene Mehrwertsteuer werden nicht ausgeglichen.
Diese kommunalfeindliche Grundeinstellung der Bundesregierung ist in der Anhörung des Haushaltsausschusses Anfang November dieses Jahres deutlich gegeißelt worden. Das Deutsche Institut
für Wirtschaftsforschung hat die Gemeinden treffend die großen Verlierer der Haushaltsbeschlüsse des Bundes genannt. Weitere fast 1,5 Milliarden DM an Steuerausfällen stehen den Gemeinden für 1984 und 1985 ins Haus, 1,5 Milliarden DM Mindereinnahmen also, unter der immer noch optimistischen Erwartung, die Länder gäben ihre Mehreinnahmen aus ihrem höheren Anteil an der Umsatzsteuer über ihren kommunalen Finanzausgleich an die Gemeinden weiter. Damit wird aber nur in wenigen Fällen, wenn überhaupt, zu rechnen sein. Die CDU-regierten Länder Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg haben jedenfalls schon Kürzungen im kommunalen Finanzausgleich angekündigt. Dies würde obendrein zu weiteren Einnahmeeinbußen bei den Gemeinden führen.
Allein bei der Gewerbesteuer, für die der Bundeskanzler kürzlich den kommunalen Spitzenverbänden eine Bestandsgarantie erklärt hat, betragen die Einnahmeausfälle in 1984 und 1985 rund 730 Millionen DM. Die Einnahmeverluste der großen Städte werden dabei wegen ihres hohen Gewerbesteueranteils überdurchschnittlich hoch ausfallen. Es stellt sich daher gerade unter der erklärten Bestandsgarantie die Frage, welche Bedeutung wir ihr überhaupt noch beimessen sollen, wenn die Gewerbesteuerergiebigkeit Schritt für Schritt vermindert und diese Steuerart damit ausgehöhlt wird.
CDU/CSU und FDP haben in ihren Koalitionsvereinbarungen versprochen, durch Maßnahmen des Bundes entstehende überdurchschnittliche Steuerausfälle bei Ländern und Gemeinden auszugleichen. Dafür reicht aber die angekündigte Anhebung des Umsatzsteueranteils der Länder um einen Prozentpunkt und die Gegenrechnung der Umsatzsteuererhöhung bei weitem nicht aus. Es bleibt dann immer noch bei 600 Millionen DM Mindereinnahme. Dabei ist es zwar verfassungsrechtlich richtig, wenn der Bundeskanzler den kommunalen Spitzenverbänden gegenüber auf die Zuständigkeit der Länder für die Gemeinden verweist. Aber ihm ist so klar wie uns, daß nicht wenige Länder Steuerausgleichsanteile aus Richtung Bund eher zum Stopfen eigener Haushaltslöcher verwenden, als sie an die Gemeinden weiterzugeben. Insofern wird der Bund künftig nicht umhin können, den Gemeinden zugedachte Ausgleichsanteile bei der Zuweisung an die Länder entsprechend zweckzubinden.
Ebbe in den Gemeindekassen, das ist die Lage. Die Folge ist insbesondere, daß die Investitionsfähigkeit der deutschen Kommunen verkümmert. Wir möchten mit unserem Gesetzentwurf dem sich nach den Haushaltsbeschlüssen 1984 zwangsläufig beschleunigenden Verfall der Leistungskraft der Gemeinden entgegenwirken. Mit der eingebrachten Entschließung möchten wir den Weg zu einer grundsätzlichen Gemeindefinanzreform öffnen. Die heute morgen noch auf den Tisch gekommene Große Anfrage zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise der Koalitionsfraktionen vom 25. November zeigt schon erste Reaktionen auf diese Anträge.
Im übrigen ist es wohl einhellige Meinung, daß etwas geschehen muß. Auch die Bundesregierung scheint dieser Meinung zu sein. Nur ist sie sich offensichtlich in sich und mit den sie tragenden Fraktionen nicht einig, was nun tatsächlich geschehen soll. Einig ist sich das Regierungslager nur in seiner Ratlosigkeit in dieser Hinsicht.
({0})
Wir werden darum heute ganz sicher wieder die
alte Leier hören: Es ist alles nicht so schlimm, und
wenn es schlimm sein sollte, waren es die anderen.
({1})
Dabei hört und liest man in jeder Stellungnahme der Bundesregierung, daß sie einen Ausgleich der überproportionalen Steuerausfälle der Gemeinden aus dem Steuerentlastungsgesetz für erforderlich hält. Nur, ob sie es tatsächlich tut und, wenn sie es tut, wie die Weitergabe eines solchen Ausgleichs an die Gemeinden sichergestellt werden kann, darüber schweigt sie sich aus.
({2})
Heute soll der Finanzplanungsrat diesbezüglich die Länder in die Pflicht nehmen. Das Heil soll überdies in einer Arbeitsgruppe gesucht werden, wie ich gehört habe, die Vorschläge für eine Entlastung der Kommunen machen soll. Eine solche Arbeitsgruppe wird aber nur dann sinnvoll tätig sein können, wenn sie auch die künftige Finanzstruktur der Gemeinden beraten kann. Der Parlamentarische Staatssekretär im BMF, Herr Voss, ist einer diesbezüglichen Frage meines Fraktionskollegen Poß in diesen Tagen allerdings ausgewichen. Nach allem, was man hört, wird der Finanzplanungsrat diese Arbeitsgruppe auch heute in seiner nachmittäglichen Sitzung nicht beschließen, jedenfalls nicht mit dieser Aufgabenstellung.
Dabei ist eine gründliche und schnelle Vorbereitung einer Verbesserung der Einnahmeseite der Gemeindehaushalte an sich schon drängend. Sie wird aber allein nicht ausreichen. Bei einem strukturellen Defizit von rund 30 Milliarden DM bei den Gemeinden ist die Frage der Ausgabenseite, auch der Aufgabenstruktur von noch größerer Wichtigkeit.
Insofern begrüßen wir auch das Einsetzen einer unabhängigen Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes. Die Bundesregierung folgt damit dem Beispiel einiger Länder. Ich erinnere an den kürzlich erschienenen Ellwein-Bericht und die Aufhebung zahlreicher Ausstattungsstandards in Nordrhein-Westfalen. Wie lange, fragen wir, sollen die Gemeinden noch auf einen Ausgleich warten?
({3})
Wie lange sollen die kommunalen Finanzen Stiefkind der Finanzverteilung bleiben?
Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten 1983/84 warnend auf die Folgen der Finanzschwäche der Gemeinden für die Beschäftigungslage hingewiesen. Er beklagt ohnehin den Rückgang öffentlicher Investitionen, stellt dann aber zusätzlich fest, daß die kommunalen Investitionen, die rund zwei Drittel der öffentlichen Investitionen ausmachen, noch stärker zurückgegangen
sind und der Bund mit seinem Haushalt 1984 nichts tut, um dem entgegenzuwirken, also kommunale Investitionen zu beleben.
Das Programm der Zukunftsinvestitionen ZIP der sozialliberalen Koalition sah von 1977 bis 1980 zusätzliche Investitionen mit durchschnittlichen jährlichen Steigerungsraten von 12 bis 15 % vor. Aber nach dem Auslaufen von ZIP gehen die kommunalen Investitionen wieder zurück, und für das Jahr 1983 muß ein Rückgang um mehr als 10 % befürchtet werden. Real liegt dieser Rückgang wahrscheinlich noch wesentlich höher.
Vor diesem Hintergrund nimmt sich die Behauptung der Bundesbank, die Haushalte der Kommunen hätten sich inzwischen konsolidiert, ausgeglichen, unsinnig aus. Die kommunalen Spitzenverbände sehen das völlig anders. Sie halten es unter den erkennbaren Haushaltsbeschlüssen des Bundes für unvermeidbar, daß die Steuerausfälle zusätzliche negative Wirkungen im Bereich der kommunalen Investitionen haben werden. Sie haben, so etwa der Landkreistag, auch nicht die Hoffnung, daß sich die Investitionen der Kommunen im nächsten Jahr entscheidend verbessern lassen. Die Wirtschaftsinstitute beurteilen diese Tendenz gleichermaßen negativ.
Der Investitionsrahmen der Gemeinden wird weiter eingeengt durch die steigenden Mehrausgaben bei der Sozialhilfe. Die Zahl der Arbeitslosen, die nur noch einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben, hat stark zugenommen und nimmt weiter zu. Die Arbeitslosenhilfe liegt aber häufig unter den Leistungen der Sozialhilfe. Der DGB hat in diesen Tagen darauf verwiesen, daß 28 % der Arbeitslosen überhaupt keine anderen als Sozialhilfeansprüche haben. Die Bundesbank sieht in der Sozialhilfe das letzte soziale Auffangnetz und stellt mit dem Sachverständigenrat fest, daß die Aufwendungen der Gemeinden dafür erneut gestiegen sind und im Jahre 1983 nahezu 20 Milliarden DM ausmachen werden. Trotz Verschiebung der Anpassung der Regelsätze in der Sozialhilfe ist hier weiterhin mit deutlich überproportionalen Steigerungsraten zu rechnen.
Die Zuweisungen der Länder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs gehen zurück. Den höchsten Betrag pro Einwohner zahlt noch Nordrhein-Westfalen mit 726 DM an die Gemeinden, im übrigen damit auch die umfangreichsten Nettoleistungen dieses Landes.
Die auf die Länder zukommenden neuen Belastungen werden weitere Rückwirkungen auf die Gemeinden haben. Auch dies führt auf der Steuerseite dazu, daß die Gemeinden die Hauptlasten des Steueränderungsgesetzes zu tragen haben werden. Die Gemeinden fragen sich, wie unter diesen Belastungen überhaupt bessere Voraussetzungen für künftige Investitionen geschaffen werden sollen, wie Vertrauen in die Zukunft gewonnen werden soll. Die eigenen Konsolidierungsbemühungen der Kommunen zeigen zweifellos Erfolge. Der Schwerpunkt dieser eigenen Bemühungen ist neben der Investitionskürzung aber der personalwirtschaftliche Bereich. Einsparungen wurden hier im wesentlichen über eine Verminderung der Personalbestände erzielt. Ob dieser Weg, Verminderung der Personalbestände, über das Jahr 1983 hinaus beschritten werden kann, ist mehr als fraglich. Jedenfalls sieht der Deutsche Städte- und Gemeindebund keine realistischen Voraussetzungen für weitere Personalreduzierungen, es sei denn, die gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben werden verringert. Bei den freiwilligen Aufgaben haben die Gemeinden ihre Spielräume längst ausgeschöpft.
Wir dürfen auch die gesellschaftlichen und sozialen Wirkungen weiterer Personalkürzungen bei den Gemeinden nicht unterschätzen, zumal da sie die Ausbildung von Jugendlichen inzwischen erheblich ausgeweitet haben. Im übrigen gehen die Sparzwänge bei Geräten und Gebäuden und auch bei Energiekosten schon an die Substanz des gemeindlichen Vermögens. Die Ergebnisse der Konsolidierungspolitik der Gemeinden dürfen darum auch nicht isoliert betrachtet werden. Sie werden letztlich mit spürbaren Einbußen an gesamtwirtschaftlicher Produktion und Beschäftigung bezahlt.
({4})
Ich wiederhole: Die Unsicherheiten ergeben sich im wesentlichen aus dem Abbau der Gewerbesteuer, dem unzureichenden Ausgleich dafür durch die Bundesregierung, dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 mit z. B. der Anrechnung der Dauerschulden und der Dauerschuldzinsen sowie dem Steuerentlastungsgesetz für 1984. Verstärkt werden diese Unsicherheiten durch die ständige Forderung der FDP nach Beseitigung der Gewerbesteuer.
({5})
Die FDP lehnt aber auch die Einführung einer Wertschöpfungssteuer oder die Einbeziehung neuer Gruppen in die Gewerbesteuer ab.
In der CDU zeigt sich ein ähnlich verwirrendes Bild. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Dr. Häfele macht keinen Hehl aus seiner Vorliebe für eine Abschaffung der Gewerbesteuer. Der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium Dr. Waffenschmidt lobt dagegen vor den Kommunalpolitikern der Union die Bundesregierung ob ihrer Gewerbesteuergarantie durch den Bundeskanzler, und er hofft wohl auch auf die Weitergabe des Umsatzsteueranteils von 1 % über die Länder an die Gemeinden. Der Bundesfinanzminister wiederum erklärt im Bundesrat knallhart und deutlich mit Hinweis auf die mittelfristige Finanzplanung, daß eine solche Regelung, wenn überhaupt, nur für die Jahre 1984 und 1985 gelten soll.
({6})
Verantwortliche Kommunalpolitik ist aber vor allem bei den arbeitsplatzwirksamen Investitionen auf stetige, kalkulierbare Einnahmen angewiesen.
({7})
Wie kann ein Kommunalpolitiker es bei dieser Sachlage aber noch wagen, Investitionen zu planen oder gar in Gang zu setzen, zumal da Investitionen langfristig auch wieder Folgelasten im konsumti2826
ven Bereich der Gemeindehaushalte nach sich ziehen? Die Kommunen wissen genau, daß mit solchen Folgelasten eine langfristige Einengung oder Festschreibung der Haushalte verbunden sein wird.
Wir halten darum im Interesse der Sicherung der Gemeindefinanzen so lange an der Gewerbesteuer fest, bis den Kommunen eine qualitativ wie quantitativ mindestens gleichwertige Steuerquelle erschlossen wird.
({8})
Das könnte die Wertschöpfungssteuer sein, weil sie nach der Überzeugung auch des Sachverständigenrates weitgehend die positiven Merkmale der Gewerbesteuer und nicht deren Mängel hat. Sie eignet sich als originäre, mit einem Hebesatz, den die Gemeinden anwenden, ausgestattete Gemeindesteuer, und sie ist weniger konjunkturempfindlich als die Gewerbesteuer. Mit einer Wertschöpfungssteuer gewännen die Gemeinden eine kontinuierlich fließende und in der Ergiebigkeit mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Entwicklung eng verbundene Steuerquelle.
Die kommunalen Investitionen werden von über 40 Milliarden in 1980 auf nominell 30 Milliarden DM in 1983 zurückgehen. Das bedeutet einen Rückgang um real mehr als 30 % innerhalb von drei Jahren. Schon im Hinblick auf diesen dramatischen Rückgang müßte die gewerbliche Wirtschaft, die sich noch kürzlich etwa gegen die Wertschöpfungssteuer ausgesprochen hat, ein Interesse daran haben, daß die Gemeinden über eine sichere und langfristig kalkulierbare Einnahmequelle verfügen, durch die dann auch das bestehende Band zwischen Kommunen und örtlicher Wirtschaft gestärkt wird. Die deutsche Bauindustrie hat ja erst in diesen Tagen auf die außergewöhnlichen Auftragsrückgänge bei ihren kommunalen Auftraggebern verwiesen. Weitere Massenentlassungen und Firmenpleiten im Hoch- und Tiefbau werden eine zwangsläufige Folge sein, wenn den Kommunen nicht schnell geholfen werden kann.
Nicht zuletzt steht die Vernachlässigung der kommunalen Finanzausstattung durch die Gesetzgebung des Bundes im krassen Gegensatz zu der gerade in Zukunft immer größeren Bedeutung der Kommunen für die Lebensgrundlagen der Bürger. Mit zunehmender Arbeitszeitverkürzung werden immer mehr Menschen ihre entscheidenden gesellschaftlichen Bindungen in der Gemeinde suchen. Das bringt zusätzliche Aufgaben mit sich, z. B. im kulturellen Bereich und in der Erwachsenenbildung, die aber in Selbstverwaltung der Gemeinden nur erfüllt werden können, wenn die dafür erforderlichen Finanzmittel den Gemeinden nicht vorenthalten werden.
({9})
Ich wiederhole daher die Aufforderung des stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Herrn Apel, an die Bundesregierung, nunmehr klar Stellung zu beziehen. Der Zustand der Gemeindefinanzen kann nicht weiter verharmlost werden, und ein Gesundbeten wird auch nicht viel nutzen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat daher mit ihrem Entschließungsantrag und ihrem Gesetzentwurf die Fortsetzung der Gemeindefinanzreform und eine schnelle Verbesserung der Gemeindefinanzen um zunächst 4,5 Milliarden DM jährlich im Auge. Damit ist unsere Position klar bestimmt. Wir werden die Bundesregierung nicht aus ihrer Pflicht entlassen, der nunmehr im wesentlichen von ihr zu verantwortenden Misere der Gemeindefinanzen schnell zu begegnen. Die Bundesregierung muß nun handeln. - Danke schön.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete von Schmude.
von Schmude ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegen zwei Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion vor, die sich mit der finanziellen Ausstattung unserer Gemeinden sowohl kurzfristig als auch langfristig befassen. Ausgangspunkt ist für die Antragsteller die konjunkturell und strukturell bedingte Finanznot der Gemeinden.
Ich stimme Ihnen nachdrücklich zu, wenn Sie wirtschaftliche Fehlentwicklungen und Krisen als Ursachen dafür anerkennen. Mit einem gewissen Zeitverzug schlagen die finanziellen Folgen voll auf die Gemeindekassen durch. Insoweit, meine Damen und Herren von der Opposition, tragen Sie die entscheidende politische Verantwortung für die heute angespannte Finanzlage unserer Gemeinden.
({1})
- Das hören Sie nicht gern. Aber die Fehler Ihrer gescheiterten Wirtschafts- und Finanzpolitik
({2})
haben alle öffentlichen Haushalte in bedrohlicher Weise gefährdet. Ihr Versuch, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu testen, hat die Gemeinden in schwere Bedrängnis gebracht.
({3})
Die maßlose Schuldenpolitik der früheren Bundesregierung
({4})
hat vor allem die Zinsen hochgetrieben, was für die Gemeinden besonders hart ist. Man könnte sagen: Sie haben vielleicht - ich unterstelle das - ungewollt auch die Belastbarkeit unserer Gemeinden mitgetestet.
({5})
Parallel zu dieser Entwicklung hatten die Kommunen durch die Steuergesetze der SPD erhebliche Ausfälle ohne entsprechenden Ausgleich hinzunehmen. Dadurch sank der Gemeindesteueranteil von 14,2 % in 1977 auf 13,5 % in 1982. Seit 1980 wurden durch Beschlüsse der SPD-Bundesregierung wiederholt Belastungen vom Bundeshaushalt auf die Gemeinden abgewälzt. Allein die Beschlüsse zum Bundeshaushalt 1981 haben bei den Kommunen zu
von Schmude
zusätzlichen Belastungen bei der Sozialhilfe von einer Milliarde DM geführt.
({6})
Durch diese negative Entwicklung wurde die freie Finanzspitze in den Gemeindehaushalten ganz erheblich reduziert und der Spielraum für Investitionen eingeengt. In den Jahren 1981 und 1982 betrug der Investitionsrückgang mehr als 6,6 Milliarden DM.
Herr Kollege von Schmude, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Spöri?
von Schmude ({0}): Nein, ich möchte meine erste Rede gern im Zusammenhang vortragen.
({1})
Gleichzeitig stieg jedoch in den Jahren 1980 bis 1982 die Verschuldung der Gemeinden von 82 Milliarden auf nunmehr 102 Milliarden DM. Natürlich muß der Schuldenstand der Kommunen im Zusammenhang mit der Schuldenentwicklung bei Bund und Ländern gesehen werden. In 1983 steigen die kommunalen Schulden nur um 3 Milliarden und in 1984 nur noch 1,5 Milliarden DM.
Das vorrangige stabilitätspolitische Ziel dieser Bundesregierung ist auf die Sanierung und Konsolidierung aller öffentlichen Haushalte ausgerichtet. Denn nur eine dauerhafte Gesundung aller öffentlichen Haushalte schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit und ermöglicht letztlich die Wiederbelebung der Wirtschaft.
({2})
Der Entwurf eines Gesetzes über Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Gemeindefinanzen sieht nun Belastungen des Bundes in Höhe von 1,249 Milliarden DM und der Länder von 834 Millionen DM zugunsten der Gemeinden vor.
Bund, Länder und Gemeinden sitzen jedoch in einem Boot. Eine einfache Verschiebung der Last untereinander, meine Damen und Herren, ist deshalb keine Lösung. Durch eine Erhöhung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer von 15 auf 16% ergibt sich beim Bund eine Deckungslücke für das Haushaltsjahr 1985 von 930 Millionen DM.
({3})
Angesichts dieser schwierigen Haushaltslage ist ein solcher Vorschlag nicht zu verantworten.
({4})
Zusätzlich wollen Sie, meine Damen und Herren, auch noch weitere 2,43 Milliarden DM für die Gemeinden sicherstellen, indem Sie die Wirtschaft zur Kasse bitten. Dies ist schon im Ansatz ein Rückfall in Ihre gescheiterte Wirtschaftspolitik
({5})
und kann sich nur vertrauensmindernd und wachstumsfeindlich auswirken.
({6})
- Steuererhöhungen, Herr Spöri, passen nicht in unsere konjunkturpolitische Landschaft.
({7})
Das, was mühsam an wirschaftlicher Belebung und konjunktureller Erholung aufgebaut worden ist, darf nicht gefährdet werden.
({8})
Sie stellen damit das Konjunktursignal auf Halt. Sie betätigen sich als Bremser.
({9})
Die Gefahr, die von diesem Gesetz ausgeht, meine Damen und Herren, liegt aber nicht nur in der generellen Wirkung von neuen Belastungen, sondern bedenklich sind auch die Einzelmaßnahmen. So fordern Sie die Aufhebung von bestimmten Befreiungstatbeständen bei der Körperschaft-, Vermögen- und auch Gewerbesteuer für Monopolunternehmen des Bundes und für bestimmte Kreditinstitute. Sie müssen aber bedenken, daß diese Befreiung den besonderen Eigenarten und Aufgaben der genannten Institute Rechnung trägt.
Geradezu systemverändernd
({10})
sind aber die Art. 2 und 3 des Gesetzenwurfs, der Drucksache 10/537, weil sie nämlich die Gewerbesteuerbemessungsgrundlage auf eine andere Basis stellen und vor allem die Gewerbesteuerpflicht grundlegend verändern. Wenn die Freiberufler in die Gewerbesteuerpflicht mit einbezogen werden sollen, ergeben sich Grundsatzfragen, aber auch schwierige Abgrenzungsproblem. Ein Freiberufler, der nur noch eine gleichartig tätige fremde Kraft beschäftigen darf, um nicht gewerbesteuerpflichtig zu werden, wird sich überlegen, ob er nicht viele Angestellte in den Status eines freien Mitarbeiters herabstuft. Generell gefährden Sie damit Arbeitsplätze und verstärken auch den Trend zur Schwarzarbeit.
({11})
Ein großer Kontrollaufwand wäre erforderlich. Und insgesamt, meine Damen und Herren, ist eine solche Maßnahme volkswirtschaftlich bedenklich. Sie würde in der Wirtschaft als neue finanzielle und psychologische Belastung zu Buche schlagen.
Gleiches gilt für Art. 2, die §§ 8 und 12 des Gewerbesteuergesetzes. Sie wollen damit das Rad zurückdrehen und die von der Bundesregierung getroffenen Entlastungsmaßnahmen aufheben. Die Bundesregierung hat mit einem ersten Schritt die Hinzurechnung der Dauerschulden und der Dauerschuldzinsen bei der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer gekürzt
({12})
und im Gegenzug die Gewerbesteuerumlage gesenkt.
({13})
Im übrigen hat die Bundesregierung den Kommunen für Belastung durch die Haushaltsbegleitge2828
von Schmude
setze 1983 und 1984 auch insgesamt einen fairen Ausgleich gewährt. Die Gewerbesteuerentlastung kommt nahezu allen gewerbesteuerpflichtigen Betrieben zugute, vor allem dem Mittelstand; denn Firmen ohne Fremdfinanzierung gibt es so gut wie gar nicht, ganz im Gegenteil.
({14})
Unsere Wirtschaft hat in den 70er Jahren - ja, dank Ihrer Politik - durch gestiegene Kosten und leistungsfeindliche Steuergesetze einen Auszehrungsprozeß durchlaufen. Dieser Prozeß hat die Eigenkapitalquote unserer Betriebe auf unter 20 % herabgedrückt.
({15})
Die ertragsunanbhängigen Steuern - dazu gehört auch die Gewerbekapitalsteuer - treffen die ohnehin schwachen Betriebe und gefährden letztlich deren Bestand und auch die Arbeitsplätze.
({16})
Die Gemeinden haben sehr wohl ein Interesse an gesunden und leistungsstarken Betrieben; denn auf Dauer sind ertragsschwache und Verlustbetriebe eben keine zuverlässigen Gewerbesteuerzahler.
({17})
Die Hinzurechnung der Dauerschuldzinsen bestraft vor allem die Betriebe, die bei stark gesunkenen Renditen nicht einfach den bequemen Weg der Anpassung gefunden und damit Arbeitskräfte freigesetzt, sondern durch Investitionen und Umsatzausweitung versucht haben, ihr Geschäft zu halten. Dies war nur durch Kreditaufnahme möglich. Die Anrechnung der Dauerschuldzinsen erhöht nämlich die ohnehin hohen Kreditkosten. Sie hat letztlich die Wirkung einer Zinssteuer, und diese wollen wir nicht.
Die Entlastungsmaßnahme der Bundesregierung ist insoweit auch ein spürbarer Kostenentlastungsbeitrag. Im Interesse der Investitionen und im Interesse der Arbeitsplätze darf dies nicht rückgängig gemacht werden. Im übrigen eignen sich derart schwerwiegende Eingriffe in das geltende Steuerrecht wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung überhaupt nicht für ein kurzfristig wirkendes Konzept, wie Sie es hier vorschlagen.
({18})
Die Diskussion über eine Reform oder gar den Fortbestand der Gewerbesteuer zeigt, daß ein Regelungsbedarf vorhanden ist. Die Bundesregierung hat aber angesichts der anstehenden Tarifreform bei der Lohn- und Einkommensteuer keine weiteren Veränderungen bei der Gewerbesteuer in dieser Legislaturperiode vorgesehen. Diese Prioritätenfolge ist deshalb richtig, weil entweder bei der Gewerbesteuer ein ausgewogenes Reformkonzept oder aber eine alternative Gemeindesteuer entwikkelt werden muß. Dieses Vorhaben verdient im Interesse der Gemeinden eine angemessene Vorbereitung und eine offene Diskussion. Hier darf es kein Flickwerk geben.
({19})
Mit Ihrem Antrag auf Fortsetzung der Gemeindefinanzreform wollen Sie darüber hinaus auch mittel- und langfristig die Gemeindefinanzen auf eine andere Basis stellen. Sie beschränken sich dabei auf die Problemkreise der Wertschöpfungssteuer und auf die Neuverteilung des gemeindlichen Lohn-und Einkommensteueranteils. Ihr Antrag schließt von vornherein andere Modelle von der Prüfung aus. Die Einengung auf diese beiden Komplexe wird den Interessen unserer Gemeinden keinesfalls gerecht.
Der vorgesehene Prüfungsauftrag vernachlässigt auch den Gesichtspunkt, inwieweit sich die ohnehin umstrittene Wertschöpfungssteuer in die Steuerharmonisierungsbemühungen innerhalb der EG einbauen läßt. Da, wie ich bereits ausgeführt habe, in dieser Legislaturperiode keine grundlegenden Veränderungen in steuerlicher Hinsicht vorgesehen sind, die die Gemeinden berühren könnten, wäre ein Beschluß im Sinne des vorliegenden Antrags eine einseitige Vorwegnahme.
Der Wunsch nach Überprüfung des Verteilungsschlüssels für den gemeindlichen Lohn- und Einkommensteueranteil wird im Antrag mit den veränderten Verhältnissen in den Gemeinden begründet. In der Tat sind die Verhältnisse in den Kommunen außerordentlich unterschiedlich. Eine ausgewogene, gerechte Neuverteilung ist nur gemeinsam mit den Ländern möglich. Der kommunale Finanzausgleich auf Landes- und Kreisebene könnte auch schon heute die unterschiedliche Situation in den einzelnen Gemeinden stärker berücksichtigen. In meinem Heimatland Schleswig-Holstein wird das erfolgreich praktiziert.
Die von der SPD beantragten Sofortmaßnahmen beinhalten grundsätzliche, tiefgreifende und langfristig währende Veränderungen unseres Steuersystems. Die Vorschläge dienen nicht dem Ziel einer schrittweisen Konsolidierung aller öffentlichen Haushalte und bedrohen durch die Gewerbesteuererhöhung den Aufschwung. Die Gemeinden wissen, daß nur eine florierende, auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik die Voraussetzung für Steuermehreinnahmen schafft. Sie haben deshalb Vertrauen in die Politik der Bundesregierung, die das ermöglicht.
Dabei wollen und müssen die Gemeinden aber auch das Recht behalten, über Hebesätze Einfluß auf Steuerart und Steuerhöhe zu nehmen. Andernfalls würden sie zu Trittbrettfahrern bei Bund und Ländern degradiert, und die kommunale Selbstverwaltung wäre am Ende.
({20})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krizsan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Mitsteuerzahler! Wenn jemand so schwer krank ist, wie es die Gemeindefinanzen sind, dann reicht es doch nicht aus, Herr Kollege Bernrath, mit dem Rezept zu wedeln oder, Herr von Schmude, zu behaupten, der Gärtner sei
schuld, oder zu versprechen, der Arzt käme in ein paar Monaten.
Wir GRÜNEN sehen es als eine unserer wesentlichen Aufgaben im Bundestag an, die zentralstaatliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur zu stoppen, sondern einen Prozeß der Dezentralisierung einzuleiten.
({0})
- Nicht unbedingt.
Hierzu gehört eine Änderung der Steuerverteilung zugunsten der kommunalen Ebene. Allerdings ist es hiermit allein nicht getan. Erforderlich ist vielmehr eine Stärkung der Finanzautonomie der Gemeinden sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite des Haushalts.
Auf der Gemeindeebene, meine Damen und Herren, wird unser Lebensumfeld am spürbarsten gestaltet. Dies ist auch die Ebene, auf der der Bürger am ehesten ansetzen kann, um auf die Gestaltung seiner Umwelt selber Einfluß zu nehmen. Dies ist auch der Grundgedanke unserer Finanzverfassung.
Aber entspricht denn eigentlich die heutige Realität noch dieser Idee? Welchen Regeln und Gesetzen folgt die Politik der Stadträte, der Gemeinderäte, der Kreistage? Waren etwa die Lebensbedürfnisse der Bewohner dafür entscheidend, daß sich dort, wo ehemals Plätze der Begegnung waren, heute die Pfeiler der Stadtautobahn erheben, daß reizvolle Grünflächen als Ansiedlungsfläche für Industrieunternehmen verteilt wurden, daß Städte mit menschenunwürdigen Betonsilos umrandet sind, daß diejenigen, die, von diesem Lebensumfeld sozial geschädigt, die Hilfe des Sozialarbeiters suchen, inzwischen erfahren müssen, daß dessen Stelle leider gestrichen werden mußte?
Wer das Bild, das viele Städte und Gemeinden heute bieten, allein mit den vielzitierten ökonomischen Sachzwängen erklärt, verschweigt die Schuld der Finanzpolitik, verschweigt insbesondere die Finanzzwänge, die vom Bund den Gemeinden auferlegt werden.
So stellen die Finanzhilfen für Investitionen, insbesondere im Straßenbaubereich, das reinste Prämiensystem für gigantomanische und ökologisch schädliche Projekte dar.
({1})
Durch die ständige bundesgesetzliche Verringerung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer sind die Gemeinden teilweise zu einem geradezu selbstmordverdächtigen Verhalten gezwungen; selbstmordverdächtig sowohl in dem Sinne, daß alle ökologischen Schäden in Kauf genommen werden, als auch im haushaltspolitischen Sinne, daß oft infrastrukturelle Vorleistungen erbracht werden, die die Gemeinden auf Jahre hinaus in die desolatesten Haushaltslagen versetzen. Zudem werden ruinöse Wettbewerbe zwischen den konkurrierenden Gemeinden ausgetragen, die zu volkswirtschaftlicher Verschwendung führen.
Auch wird die Idee des Hebesatzrechts bei der Gewerbesteuer ad absurdum geführt. Die Höhe des Hebesatzes stellt kein Spiegelbild der Kosten dar, die ein Betrieb in seinem Ansiedlungsort verursacht, sondern ein Spiegelbild der Erpreßbarkeit der Gemeinde.
({2})
Das Hebesatzrecht, das als Beweis der finanziellen Unabhängigkeit der Gemeinden gegenüber den übergeordneten staatlichen Ebenen angeführt wird, kann als solches nicht funktionieren, wenn statt dessen die totale finanzielle Abhängigkeit von wenigen Gewerbebetrieben oder gar nur einem Gewerbebetrieb besteht. Es ist ja bekannt, daß inzwischen nur noch ein Drittel aller Betriebe Gewerbesteuer zahlt.
Insgesamt führten diese Entwicklungen dazu, daß der Anteil der gemeindlichen Steuereinnahmen an ihren Gesamteinnahmen nur noch ein Drittel ausmacht. Hiervon entfällt nur noch die Hälfte auf die Realsteuern, also auf die Steuern, die die Gemeinden angeblich autonom variieren können. Dadurch sind die Gemeinden gezwungen, ständig an der Gebührenschraube für kommunale Dienste zu drehen.
Diesem engen Einnahmenkorsett steht ein mindestens ebenso enges Ausgabenkorsett gegenüber, das von der Finanzpolitik des Bundes ständig fester geschnürt wird. Die am Ende der nächsten Woche aller Voraussicht nach verabschiedeten Haushaltsbegleitgesetze werden erneut die Auswirkungen eines verfehlten wirtschaftspolitischen Konzepts auf die Gemeinden abwälzen. Dann werden wieder weitere Teile der Gemeindefinanzen durch die Sozialhilfe absorbiert. Wie sollen die Gemeinden anders reagieren, als weiterhin die wenigen Ausgabenbereiche, über die sie autonom bestimmen können, zu kürzen? Das bedeutet dann ganz konkret - und das können wir und vielleicht auch Sie in der Heimatgemeinde spüren -: weitere Schließung von Seniorentagesheimen, geringere Ausgaben für Landschaftspflege, kein Ausbau des Bestandes der öffentlichen Büchereien, Verringerung der Investitionen im Umweltschutz,
({3})
kein Ausbau von Radwegenetzen oder, wie in unserer Gemeinde, Erhöhung der Kindergartengebühren auf ein Niveau, das es vielen Eltern nicht mehr ermöglicht, ihre Kinder dort hinzuschicken,
({4})
- um fast das Doppelte - Kürzung von Recyclingversuchen in der Abfallwirtschaft, Kürzung von Zuschüssen für Volkshochschulen und eine ganze Reihe von weiteren Maßnahmen mehr.
Aber diese Entwicklungen sind nicht erst mit dem Regierungswechsel in Gang gekommen. Bei diesen Entwicklungen gab es keine Wende. Das ist sehr zu bedauern. Sie sind vielmehr schon während der SPD/FDP-Regierung in Gang gesetzt worden. Auch unter Ihrem Bundeskanzler wurden Haushaltsstrukturgesetze verabschiedet, für die man als
Synonym auch das Wort „Gemeindebelastungsgesetz" verwenden könnte. Insbesondere beim Abbau der Gewerbesteuer hat sich die SPD hervorgetan. So ist es eigentlich verwunderlich, finden wir, daß die SPD heute einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Gemeindefinanzen vorlegt. Nichtsdestoweniger begrüßen wir diesen Gesetzentwurf.
({5})
Insbesondere halten wir es für unbedingt erforderlich, daß die Kürzungen bei der Hinzurechnung von Dauerschulden bzw. Dauerschuldzinsen für die Gewerbekapitalsteuer bzw. Gewerbeertragsteuer rückgängig gemacht werden. Aber auch der von der SPD/FDP-Regierung eingeführte Freibetrag bei. der Hinzurechnung der Dauerschulden ist unseres Erachtens zu streichen. Als richtig bewerten wir auch den Vorschlag, größere Betriebe von Freiberuflern in die Gewerbesteuerpflicht einzubeziehen. Nur durch Vergrößerung des Kreises der Steuerpflichtigen wird die Abhängigkeit der Gemeinden von einigen wenigen Steuerpflichtigen aufgehoben.
({6})
Wir schlagen darüber hinaus vor, die jetzigen Freibeträge bei der Gewerbesteuer zu überprüfen und statt der Freibeträge Freigrenzen einzuführen. Hierdurch käme der Verzicht auf die Besteuerung des Gewerbeertrages und -kapitals tatsächlich nur den kleinen Betrieben zugute und begünstigte nicht gleichzeitig Großbetriebe. Auch schlagen wir vor, zu prüfen, welche Wirkungen Steuersätze haben, die nach Größenklassen des Gewerbekapitals gestaffelt sind.
Wir begrüßen auch den Vorschlag der SPD, den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer anzuheben. Allerdings ist dies wegen der regionalen Wirkungen zur Zeit noch nicht das Nonplusultra. Der Verteilungsschlüssel für den Einkommensteueranteil begünstigt wohlhabende Gemeinden und benachteiligt relativ gerade die sozialen Brennpunkte, deren Haushalte besonders belastet sind. Wir schlagen deshalb vor, für die Verteilung der Einkommensteuer unter den Gemeinden nicht nur das bisherige Kriterium „Örtliches Einkommensteueraufkommen", sondern auch das Kriterium „Örtliche Arbeitslosenrate" anzuwenden.
({7})
Für die Gemeinden und Städte muß eine finanzielle Lage geschaffen werden, die die Gemeindewirtschaft nicht mehr reduziert auf Gewerbeansiedlungsprogramme, kostenlose Flächenerschließung für die Großindustrie, Vernachlässigung von ökologischen Notwendigkeiten durch mangelnden Umweltschutz, Gewährung von Sondertarifen bei Wasser und Strom und große Sozialhilfebürokratie. Gemeindewirtschaft in unserem Sinne sollte z. B. beinhalten: Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs, Verbesserung der Wasserwirtschaft, Schaffung neuer Energieversorgungssysteme und von Recyclingverfahren der Abfallwirtschaft.
({8})
Gemeindewirtschaft sollte aber nicht auf diese investive Tätigkeit begrenzt sein. Vielmehr gehört hierzu unseres Erachtens auch die Unterstützung von selbstverwalteten Kollektiven, die im gewerblichen und im sozialen Bereich tätig sind. Die Gemeinden könnten die örtlichen Projekte und Initiativgruppen durch Beratungsstellen und Verpachtung von Betrieben und Ausrüstung fördern.
Meine Damen und Herren, kanadische Programme haben bewiesen, daß örtliche Arbeitsbeschaffungsprogramme erfolgreich sind. Hier wurden von selbstverwalteten Gruppen selbst erdachte Projekte durchgeführt, die Lücken in öffentlichen Leistungen aufgezeigt haben, die die Bürokratie auf Grund ihrer Strukturen nicht erkennen und nicht in gleicher Weise erfolgreich schließen konnte. Die Finanzierung dieser Maßnahmen in diesem kanadischen Modell erfolgte aus Fonds, an denen die Kommune beteiligt war.
Wir halten solche Initiativenfonds für ein übertragbares Modell. Wir sehen hierin die Chance, Selbsthilfegruppen zu fördern, die von den christlichen Parteien nur als Trittbrett für den Abbau von Sozialleistungen mißbraucht werden.
({9})
Finanzautonomie der Gemeinden beinhaltet für uns auch die Autonomie, solche Initiativen zu fördern, um so dem Ziel, die Städte wieder lebenswerter zu machen und dem Begriff der örtlichen Gemeinschaft wieder einen Sinn zu geben, ein Stück näherzukommen.
Schönen Dank!
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemandem ist es verborgen geblieben, daß sich die Gemeinden, aber auch der Bund und die Länder in einer schwierigen finanziellen und wirtschaftlichen Situation befinden.
({0})
- Ja, ich will es Ihnen gleich sagen, Herr Kollege.
- Der Glaube an ein immerwährendes erhebliches Wirtschaftswachstum hat auf allen Ebenen dieses Staates dazu geführt, daß Wohltaten geschaffen und verteilt wurden und daß folgekostenträchtige Investitionen getätigt wurden, die heute - gesamtwirtschaftlich gesehen - nicht mehr finanziert werden können. Und da kann, bitte schön, keine Partei in diesem Lande sagen, sie sei, auf welcher Ebene auch immer, nicht daran beteiligt gewesen.
Meine Damen und Herren, wenn es also heute allen staatlichen Ebenen finanziell nicht gut geht, dann verwundert es uns doch, daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, gerade in diesem Augenblick ausweislich Ihres Gesetzesantrags die Notwendigkeit für ein Sofortprogramm sehen, denn immerhin geht es den Gemeinden, wenn man alle
Gemeinden global betrachtet, relativ - ich betone dies - im Vergleich zu allen anderen Ebenen noch am besten.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spöri?
Herr Kollege Spöri, gerne, aber ich sage vorab: Dies ist die einzige Zwischenfrage, die ich zulasse, denn ich habe nur eine sehr begrenzte Redezeit. Ich möchte zu Ende kommen mit meinem Konzept. - Bitte schön, Herr Kollege Spöri.
Herr Kollege Gattermann, warum halten Sie es für verwunderlich, daß wir jetzt eine Initiative zur Verbesserung der kommunalen Finanzen vorlegen, wenn ja auch Sie gehört haben, daß die Kommunen die kommunalen Investitionen stark zurückfahren und wenn wir andererseits wissen, daß gerade die Kommunen 70 % aller öffentlichen Investitionen bewegen, was ganz entscheidend ist für die konjunkturellen Situation und für die Entwicklung des Arbeitsmarktes in unserem Bereich?
({0})
Herr Kollege Spöri, ich wollte gerade zu diesem Punkte Stellung nehmen. Insofern kommt Ihre Frage meinem eigentlichen Redetext direkt zuvor; sie wird damit beantwortet werden.
({0})
Ich hatte gesagt, daß es den Gemeinden relativ am besten geht. Ich will das mit einigen Zahlen belegen. In diesem Jahr wird der Bund z. B. rund 14,5 % seiner Ausgaben durch Kredite finanzieren; bei den Ländern werden es rund 9 % sein, während es bei den Gemeinden nur noch rund 21)/0 sind.
({1})
In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt dies, daß der Bund mit einer Nettokreditaufnahme von etwa 37 Milliarden DM in diesem Jahr wird arbeiten müssen, während sich die Nettokreditaufnahme bei den Gemeinden gegenüber dem Vorjahr halbiert hat; dort liegt man nur noch bei etwa 4 Milliarden DM.
({2})
Dieser Betrag wird sich im nächsten Jahr aller Voraussicht nach noch einmal halbieren.
({3})
- Nun zu Ihnen, Herr Kollege Spöri: Die Konsolidierungsbemühungen der Gemeinden sind aus verschiedenen Quellen gespeist worden, die hier vom Kollegen Bernrath schon angesprochen worden sind. Leider - das sage ich mit Ihnen gemeinsam
- ist eine dieser Konsolidierungsquellen das Zurückfahren der gemeindlichen Investitionen; da stimme ich Ihnen j a völlig zu.
({4})
Daneben gibt es andere Konsolidierungsmaßnahmen - sie sind hier angesprochen worden - wie Zurückführung im Personalwesen und andere Dinge. Die Konsolidierungsbemühungen in diesen anderen Einsparungsfeldern dürfen nicht eingeschränkt, eingestellt werden. Wenn über eine neue Verteilung der Einkommensteuer einige Millionen bei der Gemeinden mehr einkämen, so wäre es ein Irrglaube, Herr Kollege Spöri, anzunehmen, daß dies in die Investitionen ginge. Dies würde nur dazu führen, daß die Konsolidierungsbemühungen in den anderen Feldern - ich will hier nur das Stichwort „Privatisierung" nennen - eingeschränkt würden. Von diesem Ansatz, von diesem finanziellen Ansatz her halten wir jedenfalls keine Notwendigkeit für Sofortmaßnahmen für gegeben.
Was nun die gesamtwirtschaftliche und finanzpolitische Verantwortung angeht: Der Vorschlag zielt darauf ab, daß der Bund mit rund 1,2 Milliarden DM belastet wird, daß die Länder mit rund 0,9 Milliarden DM belastet werden und daß die Wirtschaft mit 2,4 Milliarden DM belastet wird. Das alles ist - jedenfalls gegenüber der gesamtfinanzpolitischen Konzeption dieser Bundesregierung - kontraproduktiv.
Hinsichtlich der Einzelmaßnahmen scheint uns alles, nahezu alles verfehlt zu sein: Die Wiederrückgängigmachung der Maßnahmen bei der Gewerbesteuer mit den Hinzurechnungsvorschriften aus dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 erhöht natürlich wiederum die ertragsunabhängige Belastung der Unternehmen, insbesondere jene mit sehr hohen Fremdfinanzierungen. Ich weiß nicht, ob Sie die Werftenindustrie, ob Sie Firmen wie Hoesch und ARBED-Saarstahl einmal gefragt haben, wie freundlich sie eine solche Maßnahme einschätzen.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Spöri, ich will an dieser Stelle hier auch das noch sagen: Ich stamme nun zufällig aus einer Gemeinde, der es besonders dreckig geht.
({5})
Deswegen ist es mir - wie vielen meiner politischen Freuden - wirklich ein Herzensanliegen - ich komme gleich noch darauf zu sprechen -, die finanzielle Situation der Gemeinden zu verbessern. Aber das hindert mich nicht, zu erkennen, daß die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen diesen Effekt nun gerade nicht haben. Der Herr Kollege Krizsan hat schon darauf hingewiesen, was beispielsweise eine andere Verteilung der Einkommensteuer bedeutet: Sie wird über Gerechte und Ungerechte verteilt, sie geht zugunsten von Gemeinden, die es nicht nötig haben, und sie ist ein Tropfen auf den heißen Stein bei den Gemeinden, die es bitter nötig haben.
({6})
Aber dies nur als Nebenbemerkung.
Meine Damen und Herren, nun zum anderen Vorschlag hinsichtlich der Einbeziehung weiterer Gruppen in die Gewerbesteuer: Sie nehmen hier die schon 1960 aus guten Gründen aufgegebene Vervielfältigungstheorie wieder auf. Gerade in der heutigen Situation, in der - Stichwort: Akademikerschwemme - eine Unzahl junger Akademiker auf den Markt drängt, verhindern Sie - bei Anwendung dieser Theorie -, daß Freiberufler diese beschäftigen.
({7})
Sie haben das offenbar gesehen, weil Sie diese Vervielfältigungstheorie über die 80 000-DM-Betriebsvermögensgröße praktisch gleichzeitig wieder aufheben und so gut wie alle einbeziehen wollen. Wir Freien Demokraten sagen jedenfalls zu diesem Punkt klar und unmißverständlich nein.
({8})
Noch eine Nebenbemerkung: Im Gesundheitswesen produzieren Sie eine Verteuerung,
({9})
die wieder voll auf die Sozialsysteme durchschlägt, meine Damen und Herren.
({10})
Lassen Sie mich aber nun etwas zu dem sagen, wo wir uns aufeinander zubewegen, Herr Kollege Spöri: Die Notwendigkeit der Fortsetzung der Gemeindefinanzreform steht für uns außer Frage. Wir halten eine Umstrukturierung des Gemeindefinanzsystems seit langem für erforderlich. Wir haben bereits vor einem Jahr hier im Deutschen Bundestag von unserer Fraktion ein Hearing speziell dazu durchgeführt. Unsere Parteikommission Gemeindefinanzreform arbeitet seit langem an diesem Problem. Der von Ihnen im Prüfungsauftrag favorisierte Vorschlag einer Wertschöpfungssteuer stößt bei uns allerdings auf erhebliche Bedenken, nicht nur, weil eine neue Steuer notwendigerweise immer eine schlechte Steuer ist - demgegenüber wäre dann eine alte Steuer, so schlecht sie auch sein mag, noch eine gute Steuer -, sondern weil diese Steuer von den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft nach meiner Meinung zu Recht als Job-Killer erster Kategorie bezeichnet wird.
({11})
Vor allem personalintensiven Betrieben würde hiermit eine schwere Bürde aufgelastet. Der Einzelhandel hat uns vorgerechnet, daß bei ihm die ertragsunabhängigen Teile einer solchen Steuer in der Regel 70 %, in Einzelfällen bis zu 90 % ausmachen würden. Die 1980 abgeschaffte arbeitsplatzfeindliche Lohnsummensteuer würde mit einem höheren Steuersatz durch die Hintertür wieder eingeführt.
({12})
Der hochgeschätzte Kollege Matthöfer hat damals in einem sehr lesenswerten Aufsatz „Die Gemeindefinanzreform - ein dynamisches Reformwerk" gesagt: Die Abschaffung der Lohnsummensteuer war vielmehr unter dem Aspekt der Wirtschaftsentlastung im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern notwendig. Bitte konterkarieren Sie nicht die Maßnahmen Ihres früheren Finanzministers.
({13})
Ich bin auf die Verunsicherungen angesprochen worden, die die FDP mit ihrer Forderung nach Abschaffung der Gewerbesteuer in die Diskussion hineinbringt.
({14})
Ich bin für dieses Stichwort ausgesprochen dankbar. Im Kontext zu der Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Gemeinden haben wir in der Tat zur Frage der Gewerbesteuer eine klare, präzise Position, und zwar offenbar als einzige Partei im Deutschen Bundestag. Um den Verunsicherungen der Öffentlichkeit auch in der Diskussion entgegenzuwirken, will ich diese Position der FDP noch einmal ganz klar präzisieren, damit es fürderhin keine Mißverständnisse mehr gibt:
Erstens. Die FDP hält an ihrem Langzeitziel der Abschaffung der Gewerbesteuer fest. Diese Steuer vereinigt so ziemlich alle Nachteile in sich, die eine Gemeindesteuer nur haben kann. Sie führt zu immensen Steuerkraftunterschieden zwischen den Kommunen, sie bringt die Gemeinden in eine starke Abhängigkeit von den Konjunkturausschlägen und begünstigt damit ein prozyklisches Investitionsverhalten der Gemeinden, sie verursacht im nationalen und internationalen Bereich erhebliche Wettbewerbsverzerrungen.
({15})
Zweitens. Unverzichtbare Voraussetzung für die Abschaffung der Gewerbesteuer ist ein alternatives Finanzierungssystem für die Gemeinden,
({16})
das ihre Finanzkraft nicht verschlechtert, sondern verbessert, das ihre Finanzautonomie nicht aushöhlt, sondern stärkt,
({17})
das unvertretbare Unterschiede in der Finanzkraft der Gemeinden nicht festschreibt, sondern abbaut,
({18})
das die Interessenverbindung zwischen Betrieben und Gemeinden nicht auflöst, sondern festigt,
({19})
das die finanzielle Interessenverbindung nicht auf das Verhältnis zwischen Betrieben und Gemeinden beschränkt,
({20})
sondern auch eine Interessenverbindung zwischen möglichst vielen oder allen Bürgern der Gemeinde herstellt,
({21})
das den Kommunen einen möglichst stetigen Einnahmenfluß garantiert
({22})
und ihnen ein antizyklisches Investitionsverhalten erlaubt.
Drittens. Es ist völlig klar, daß diese Aufgabe nicht in dieser Legislaturperiode gelöst werden kann,
({23})
ja selbst parlamentarische Weichenstellungen in dieser Legislaturperiode nicht mehr erfolgen können.
({24})
Das absolut vorrangige Ziel der Steuerpolitik für diese Legislaturperiode ist eine leistungsmotivierende Tarifreform.
({25})
Unabhängig davon muß der Rest dieser Legislaturperiode dazu benutzt werden, die Diskussion über alternative Finanzierungsmodelle voranzutreiben.
({26})
Vom DIHT, vom Institut „Finanzen und Steuern", vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium
({27})
eine Variante, die unter dem Stichwort „Ritter-Modell" läuft, sind Alternativmodelle vorgelegt worden.
({28})
Es gibt auch ein andiskutiertes Modell der FDP, das lange veröffentlicht ist. Das alles sind hervorragende Vorarbeiten, auf deren Grundlage die politischen Parteien nunmehr ihre Schularbeiten zur Frage machen sollen, was das optimale alternative Finanzierungssystem ist. Die FDP wird auf ihrem nächsten Bundesparteitag der Kommission Gemeindefinanzreform den Auftrag erteilen, auf der Grundlage ihrer bisherigen Arbeiten ein in sich flexibles, umfassendes, konkretes Konzept zu erarbeiten, das den soeben genannten Kriterien entspricht.
({29})
Niemand, meine Damen und Herren, soll den Liberalen vorwerfen können, sie würden Steuerpolitik nur aus bundespolitischer Sicht betreiben. Das Wohl und Wehe der Gemeinden als Kernzelle unseres freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens liegt uns mindestens ebenso am Herzen wie Ihnen,
({30})
die Sie nunmehr mit Schnellschuß aus der Hüfte, mit einer Portion Effekthascherei, nachdem Sie sich aus der finanzpolitischen Gesamtverantwortung entfernt haben, Vorschläge vorlegen.
({31})
Meine Damen und Herren, von der SPD, so nicht.
({32})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Voss.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung nimmt die vorliegenden Initiativen der SPD-Fraktion gern zum Anlaß, noch einmal die Unterschiede zwischen dem finanzpolitischen Kurs der SPD und den Zielsetzungen der Bundesregierung hervorzuheben.
({0})
Der Gesetzentwurf der SPD stellt eine Kombination dar aus massiver Verschiebung von Steueranteilen des Bundes und der Länder zugunsten der kommunalen Ebene und einer massiven Erhöhung der Steuerbelastung der Wirtschaft. Die SPD verfolgt damit leider ihr altes Konzept,
({1})
zusätzliche finanzpolitische Spielräume auf Kosten anderer zu schaffen.
({2})
Die Bundesregierung verfolgt demgegenüber die Politik, neue finanzpolitische Spielräume für die Gebietskörperschaften durch Gesundung der öffentlichen Finanzen zu eröffnen, d. h. durch strikte Einhaltung der Sparziele und strenge Ausgabendisziplin bei Bund, Ländern und Gemeinden neue Spielräume zu schaffen.
({3})
Die finanzielle Entwicklung der öffentlichen Haushalte im ersten Halbjahr 1983 zeigt - das ist hier bereits erwähnt worden -, daß Städte, Ge2834
meinden und Kreise bei der Ausgabenkonsolidierung die größten Fortschritte gemacht haben.
({4})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Apel?
Herr Präsident, ich bin gebeten worden, mich in der Zeit sehr zu beschränken. Ich muß daher leider auf Zwischenfragen verzichten, Herr Präsident.
({0})
Der im Finanzplanungsrat abgestimmte haushaltspolitische Kurs von Bund, Ländern und Gemeinden und die sich abzeichnende Wirtschaftsentwicklung und die darauf beruhende Einschätzung der öffentlichen Haushalte lassen erwarten, daß die Gemeinden 1983 ein Finanzierungsdefizit von höchstens 3 Milliarden DM aufweisen werden. Dieses Defizit wird sich im nächsten Jahr noch einmal deutlich reduzieren. Wer verantwortliche Finanzpolitik treiben will, muß in der Frage der Mittelverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden auch die Finanzlage der anderen im Auge haben.
Diese Finanzlage stellt sich folgendermaßen dar. Während der Anteil der kreditfinanzierten Ausgaben des Bundes in diesem Jahr rund 15 % beträgt - das ist hier bereits von Herrn Kollegen Gattermann erwähnt worden -, beläuft sich dieser Prozentsatz bei den Länderhaushalten auf rund 10 und bei den Gemeinden nur auf 2 %.
({1})
Der Sachverständigenrat - das ist eine Autorität, Herr Spöri, der Sie sich auch anschließen können müßten - bewertet in seinem Gutachten 1983/84 - ich zitiere -: „Bei den Gemeinden besteht dagegen nach dem weiteren Abbau der Defizite in diesem Jahr kein Konsolidierungsbedarf mehr." Auch wenn die Bundesregierung diese Einschätzung so nicht übernimmt, macht die Bewertung des Sachverständigenrates doch deutlich, daß eine Verlagerung von Steuermitteln des Staates finanzwirtschaftlich nicht begründbar ist. Vielmehr muß das Niveau der Finanzausstattung der Kommunen als ausreichend angesehen werden. Natürlich weiß die Bundesregierung - deshalb ist das Urteil des Sachverständigenrates zu differenzieren -, daß sich hinter der Gesamtzahl für alle bundesdeutschen Gemeinden erhebliche Schieflagen im Verhältnis der Finanzausstattung einzelner Gemeinden oder Gemeindegruppen zueinander verbergen.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten nicht vergessen, was Sie als Bundesregierung hier mehrfach zu Protokoll gegeben haben, nämlich, daß mit globalen Maßnahmen die strukturellen Probleme innerhalb der Gemeinden nicht zu lösen sind, sondern daß es dabei um Korrekturen am finanzwirtschaftlichen Verteilungs- und Ausgleichsmechanismus auf der Kommunalebene selbst geht.
({2})
Wie deutlich sich die Kommunalfinanzen insgesamt konsolidiert haben, geht aus einer längerfristigen Betrachtung hervor. Von 1970 bis 1982 lag das Finanzierungsdefizit der Kommunen jährlich bei durchschnittlich 6 Milliarden DM. Der Anteil des Finanzierungsdefizits an den Gesamtausgben betrug im Durchschnitt 6% gegenüber nur noch 2 % im Jahre 1983. Das heißt: sowohl die absolute Höhe des Finanzierungsdefizits als auch der Anteil an den Gesamtausgaben ist 1983 weit unter den langfristigen Durchschnitt gesunken.
Zu Beginn der 70er Jahre betrug das Finanzierungsdefizit 5,9 Milliarden DM im Jahre 1970, 9,2 Milliarden DM im Jahre 1971 und 7,1 Milliarden DM im Jahre 1973. Da das Ausgabenniveau nur bei einem Drittel des heute erreichten lag, betrug der Anteil des Finanzierungsdefizits an den Gesamtausgaben in den drei genannten Jahren 10,4 %, 13,5% und 9,4 %.
({3})
Daß damals unmittelbar nach der Finanzreform niemand von einer Krise der Kommunalfinanzen sprach, meine Damen und Herren, lag entscheidend daran, daß sich die Finanzausstattung der Kommunen zwischen den Gemeinden im Gleichgewicht befand. Es gab damals noch keine strukturellen Probleme, beispielsweise in den von Kohle- und Stahlkrise betroffenen Ruhrgebietsstädten oder in den von der Werftenkrise betroffenen Kommunen an der Küste. Dieser Vergleich unterstreicht nachdrücklich, daß wir strukturellen Problemen innerhalb der Gemeindeebene nicht mit globalen, bundespolitisch begründeten Maßnahmen begegnen können.
Die SPD-Opposition kommt also auf Grund einer falschen Diagnose zu einer falschen Empfehlung, wie dieser Gesetzentwurf zeigt. Der Konsolidierungsfortschritt in den kommunalen Haushalten wäre ohne eine strenge Ausgabendisziplin der kommunalen Entscheidungsträger und ohne gewissenhafte Überprüfung der von den Kommunen selbst beeinflußbaren Ausgabenblöcke nicht möglich gewesen. Dies ist ein überzeugender Ausdruck dafür, meine Damen und Herren, daß kommunale Selbstverwaltung von den Kommunalpolitikern als haushaltswirtschaftliche Selbstverantwortung verstanden wird, die auch unpopulären Entscheidungen nicht ausweicht.
Diese Entwicklung zeigt aber auch, daß die Bundesregierung mit ihrer Versicherung ernstgemacht hat, bei den Konsolidierungsbemühungen des Bundes die Finanzlage der Kommunen zu berücksichtigen und sich ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung stets bewußt zu sein.
Das gilt - erstens - insbesondere in einem Kernbereich der kommunalen Aufgaben, nämlich
Pari. Staatssekretär Dr. Voss
den Personalausgaben. Wir haben für 1983 und 1984 erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik die Beamtenbesoldung durch Gesetz vorab geregelt. Zwar gibt es über den Belastungsumfang eine kontroverse Expertendebatte; aber wie man auch rechnet, die finanziell entlastende Wirkung dieser Politik zeigt sich im stark gedrosselten Anstieg der kommunalen Personalausgaben mit nur noch + 2 % im ersten Halbjahr 1983.
({4})
Zweitens. Die Beschlüsse der Bundesregierung zur Sozialhilfe in den Haushaltsbegleitgesetzen 1983 und 1984 sind darauf gerichtet, mögliche Kostenverlagerungen infolge der notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen im Bereich der Sozialversicherungsträger auszugleichen. Diese kurzfristigen Schritte werden durch notwendige strukturelle Reformen ergänzt werden.
Für diese wichtige Aufgabe ist von den Bundesressorts ein Ausschuß gebildet worden, der insbesondere die Reformvorschläge für die kostenintensiven Pflegebereiche prüft.
Mit der Senkung der Gewerbesteuerumlage ist es der Bundesregierung gelungen, die notwendige gewerbesteuerliche Entlastung der Wirtschaft in Übereinstimmung zu bringen mit dem wichtigen kommunalpolitischen Anliegen, die Gewerbesteuer als eine zentrale Steuerquelle der Gemeinden weiterhin zu sichern. Die von der Bundesregierung gewählte Ausgleichslösung wahrt die kommunale Autonomie.
Dieser Ausgleich muß auch im Zusammenhang gesehen werden mit der zwischen Bund und Ländern getroffenen Regelung über die Umsatzsteuerverteilung in den Jahren 1982 bis 1985. Der Bund verzichtete für 1982 nachträglich auf die Zahlung der sogenannten Kindergeldmilliarde. Für 1983 wurde zudem der Anteil der Länder an der Umsatzsteuer um einen Punkt auf 33,5% erhöht. An dieser Finanzverschiebung zugunsten der Länderebene haben die Gemeinden über den kommunalen Finanzausgleich mittelbar Anteil. Zum Ausgleich der überproportionalen Steuerausfälle von Ländern und Gemeinden auf Grund des Steuerentlastungsgesetzes 1984 verzichtete der Bund zusätzlich auf einen Umsatzsteuerpunkt. Die Bundesregierung geht bei dieser Ausgleichsregelung davon aus, daß die Länder ihren Kommunen für Einnahmeausfälle in angemessener Weise Ersatz leisten.
Mit diesen drei Ausgleichsregelungen ist die Bundesregierung bis an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten gegangen.
Die mit dem Gesetzentwurf der SPD vorgeschlagenen steuerpolitischen Maßnahmen würden zu einer deutlichen Erhöhung der Steuerbelastung der Wirtschaft führen. Sie würden damit die Weiterführung des wirtschaftlichen Gesundungsprozesses gefährden, der mit den steuerpolitischen Beschlüssen der Bundesregierung und der darauf aufbauenden Belebung der privaten Investitionstätigkeit eingeleitet worden ist. Die Bundesregierung hat wiederholt deutlich gemacht, daß sie es als zentrale Aufgabe der Wirtschafts- und Finanzpolitik ansieht, das Vertrauen in die Stabilität staatlicher Entscheidungen zurückzugewinnen. Alle am wirtschaftlichen Prozeß Beteiligten müssen sich darauf verlassen können, daß getroffene Entscheidungen Bestand haben.
Ich möchte nur noch zwei Hinweise machen.
Erstens: Die Bundesregierung will den kommunalen Handlungsspielraum erhalten und weiter stärken. Sie hat klargemacht, daß in dieser Legislaturperiode weitere Eingriffe in die Gewerbesteuer nicht zur Diskussion stehen und daß ohne ein Konzept für die Neuordnung des Gemeindefinanzsystems auch später nicht ernsthaft darüber diskutiert werden kann. Der Bundesfinanzminister hat ferner den Länderfinanzministern und den Vertretern der Gemeinden vorgeschlagen, auf der Ebene des Finanzplanungsrates eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die insbesondere die Möglichkeiten einer stärkeren Entlastung der Kommunen durch die Überprüfung von Bundes- und Landesgesetzen erörtern soll. Über diesen Vorschlag wird der Finanzplanungsrat auf seiner Sitzung heute nachmittag befinden, und ich bin sicher, Herr Kollege Bernrath, daß er hier zu einem brauchbaren Ergebnis kommen wird.
Zweitens. Die Landesfinanzministerkonferenz hat auf ihrer Sitzung am 10. November eine Arbeitsgruppe mit dem Auftrag eingesetzt, mit möglichst geringem Aufwand eine grundsätzliche Beurteilung der in der Diskussion befindlichen Modelle zur Neuordnung der Gemeindefinanzen vorzunehmen und darüber der Finanzministerkonferenz im Mai 1984 zu berichten. Über das weitere Verfahren soll dann beraten und entschieden werden.
Ich hebe dies aus zwei Gründen hervor, insbesondere deshalb, weil die Mitarbeit der Landesfinanzverwaltungen, die allein über die benötigten Daten für derartige Untersuchungen verfügen, unerläßlich ist. Deshalb sollte das Ergebnis der Länderarbeitsgruppe und die anschließende Entscheidung der Landesfinanzminister abgewartet werden. Ich entnehme der Formulierung des SPD-Antrages, daß auch Sie, meine Damen und Herren, sich der zentralen Bedeutung des Ländervotums bewußt sind.
Zum anderen möchte ich darauf verweisen, daß der Beschluß der Landesministerkonferenz sich auf alle in der Diskussion befindlichen Modelle erstreckt, während Ihr vorliegender Antrag diese Prüfung im wesentlichen auf die Wertschöpfungsteuer beschränkt. Die Bemessungsgrundlage allerdings bei der Wertschöpfungsteuer wäre - das ist bereits von Herrn Kollegen Gattermann hier erwähnt worden - zu 80 bis 90 % ertragsunabhängig. Allein auf die Lohnsumme entfielen 70 %. Sie wissen aber, meine Damen und Herren, daß die Steuerpolitik der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode darauf ausgerichtet ist, die Ertragslage der Unternehmen zu verbessern, um damit ihre Investitions- und Innovationskraft zu stärken. Auch wenn wir auf diesem Wege bereits ein gut Stück vorangekommen sind, so bleibt dies doch weiterhin eine zentrale Aufgabe dieser Legislaturperiode.
Daher, meine Damen und Herren, vermag die Bundesregierung den im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion enthaltenen Vorstellungen leider nicht zu folgen.
Ich bedanke mich.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf meine Vorredner eingehe, möchte ich hier - den Beifall des gesamten Hauses erwartend - rügen, daß wir, wenn wir über ein Problem, für das schließlich die Länder zuständig sind, nämlich über die Finanzsituation der Gemeinden, reden, eine leere Bundesratsbank vor uns haben.
({0}) Ich halte das für sehr befremdlich.
Der Herr Kollege Voss hat hier eine Rede vorgelesen, auf die einzugehen sich eigentlich nur in zwei Punkten lohnt. Er hat offenbar den Widerspruch nicht erkannt, den ihm seine Beamten in seine Rede mit hineingeschrieben haben. Es handelt sich um folgenden Widerspruch: Entweder, Herr Kollege Voss, es stimt, daß wir - damit meine ich die SPD und die FDP, die j a auch dabei war; Herr Gattermann, Sie vergessen das immer, aber Sie waren ja immer dabei - -({1})
- Nein, nein! Nach dem, was Sie, Herr Gattermann, gesagt haben, waren wir das ganz allein. Aber auf Sie gehe ich noch besonders ein, weil das angemessen ist.
Entweder also haben wir, die SPD/FDP-Koalition, die Gemeinden zugrunde gerichtet - das hat der Herr von Schmude gesagt -, oder es stimmt das, was Sie, Herr Voss, jetzt in bezug auf das Gutachten des Sachverständigen gesagt haben, nämlich die Gemeinden seien konsolidiert. Eines kann ja nur stimmen! Entweder haben wir sie zugrunde gerichtet, oder sie sind konsolidiert.
({2})
Sie müssen sich nun einmal entscheiden oder vielleicht Ihre Beamten bitten, sich zu entscheiden und zu sagen, was denn nun richtig ist.
({3})
Die zweite Bemerkung zu Ihrer Rede, Herr Voss: Sie haben davon gesprochen, durch Ihre Politik seien insbesondere die Personalausgaben im öffentlichen Dienst - auch und besonders in den Gemeinden - gesenkt worden. Sie haben dann eine Rechnung aufgemacht, wieviel die Gemeinden dadurch gespart haben. Dabei haben Sie leider vergessen, zwei Umstände zu berücksichtigen:
Der erste Umstand - wenn Sie auf die Beamtenbesoldung abstellen - ist, daß ja die Mehrzahl der bei den Gemeinden Beschäftigten nicht Beamte, sondern Arbeiter und Angestellte sind. Das heißt, daß durch die gesetzliche Vorgabe, die Sie gemacht haben, in diesem Bereich die Personalkosten nicht wesentlich gesenkt worden sind.
({4})
Der zweite Punkt, Herr Voss, ist gravierender. Sie sagen: Weil die Personalausgaben in den Gemeinden nicht um soundso viel Prozent gestiegen sind, haben die Gemeinden gespart. Auf dieser Grundlage machen Sie eine Konsolidierungsrechnung auf. Das alles sind natürlich Luftbuchungen; das ist klar. Denn ein vernünftiger Kämmerer einer Gemeinde geht von realistischen Besoldungs- und Tariferhöhungen aus, nicht von Luftbuchungen mit 5 oder 6 %, auf deren Basis er dann, Ihrer Argumentation folgend, sagen könnte: Wieviel Geld habe ich dadurch gespart, daß diese Tariferhöhung nicht gekommen ist! Das stimmt also nicht,
({5})
und das wird Ihnen auch jeder vernünftige Kämmerer sagen.
({6})
Herr von Schmude, auf Sie einzugehen lohnt sich in einem Punkt. Sie haben - das habe ich dem Handbuch entnommen - sozusagen auf zwei Schultern zu tragen: Sie sind Kreistagsabgeordneter gewesen und haben von daher, wie ich annehme, auch eine besonders enge Beziehung zu Gemeinden und deren finanziellen Problemen. Sie sind andererseits aber auch stellvertretender Landesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung Ihrer Partei, und nach meinem Eindruck hat die letztgenannte Funktion, die Sie ausgeübt haben, zu der Rede geführt, die Sie hier heute gehalten haben. Für die Gemeinden ist das bedauerlich.
({7})
Der Herr Waffenschmidt - ({8})
- Immer ruhig, Herr Kansy! Auf Ihre Zwischenrufe können wir gerne verzichten. Versuchen Sie einmal, sich ein bißchen zurückzuhalten.
({9})
Herr Waffenschmidt, Sie sind in einer besonders schwierigen Situation.
({10})
- Doch, das sind Sie! Ich bin gespannt darauf, wie Sie sich daraus lösen werden. Als Vorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung müßten Sie eigentlich die Interessen der Gemeinden vertreten und in einigen Punkten dem Entschließungsantrag, auf den ich gleich komme, nicht von vornherein ablehnend gegenüberstehen. Andererseits sind Sie als Mitglied der Bundesregierung natürlich gezwungen oder verpflichtet, die gemeindefeindliche Politik, die die Bundesregierung macht, mitzutragen.
Jetzt komme ich zu dem Herrn Kollegen Gattermann. Da greife ich eine Bemerkung von Ihnen auf. Es ist natürlich richtig - und ich stehe hier überhaupt nicht an, dies zu bestreiten -, daß wir Sozialdemokraten, als wir in der Verantwortung waren, ebenfalls Gesetze gemacht und Maßnahmen getroffen haben, die die Gemeinden belastet haben. Das hat ja niemand von uns bestritten. Ich sage hier noch mal ganz eindeutig: Die Abschaffung der Lohnsummensteuer, unter der besonders viele Städte in Nordrhein-Westfalen zu leiden hatten und zu leiden haben, war keine gute Maßnahme. Da bin ich im Gegensatz zu Ihnen anderer Auffassung, Herr Gattermann.
({11})
- Ja, ich weiß, Sie haben Herrn Matthöfer zitiert. Aber man muß doch auch als Politiker so ehrlich sein - meine ich jedenfalls -, eine Maßnahme, die man im nachhinein als falsch erkannt hat, als solche zu bezeichnen. Wir stehen doch nicht an, uns zu Fehlern zu bekennen.
Herr Gattermann, Sie haben darauf verwiesen, daß Ihre eigene Gemeinde, aus der Sie kommen, in einer schlechten finanziellen Situation sei. Das ist eigentlich der Punkt, an dem wir ansetzen wollen. Wir bestreiten doch niemals, daß es allgemeine Statistiken gibt, aus denen sich ergibt, daß es im Schnitt einigen Gemeinden gut und anderen schlecht geht. Aber das Entscheidende ist: Die Aussage, daß es den Gemeinden im Schnitt gut geht, hilft einem Stadtkämmerer in Duisburg oder Braunschweig oder Dortmund nicht. Denen geht es nämlich ganz bestimmt nicht gut. Denn sonst wäre eine Stadt wie Dortmund oder Braunschweig - das hat nichts mit den Mehrheitsverhältnissen dort zu tun - nicht gezwungen, Bibliotheken zu schließen, Hallenbänder dichtzumachen und Leute zu entlassen.
({12})
Denn die Finanzsituation verlangt von den Kämmerern diese einschneidenden Maßnahmen.
({13})
- Nein. Unser Punkt ist: Wir wollen die Finanzsituation der Gemeinden verbessern, damit die Gemeinden investieren können und dadurch Arbeitslosigkeit bekämpft wird. Das ist doch der entscheidende Punkt. Wir machen das doch nicht nur als Selbstzweck. Sondern: wenn es den Gemeinden besser geht, gibt es weniger Arbeitslose in der Bundesrepublik Deutschland.
({14})
Das ist doch wohl klar, Herr Gattermann.
({15})
Nun will ich etwas zu unserem Entschließungsantrag sagen. Ich bitte die Kollegen von der Regierungskoalition, in den Beratungen, auch im Finanzausschuß, bei diesem Entschließungsantrag zu berücksichtigen - das sage ich auch den Kollegen auf der Regierungsbank -, daß die SPD nicht die
Wertschöpfungssteuer einführen will. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion will, daß geprüft wird,
({16})
was es mit der Wertschöpfungssteuer auf sich hat.
({17})
Wir wollen feststellen, ob z. B. das, was der Sachverständigenrat, die kommunalen Spitzenverbände und andere Sachkundige, besonders der Wissenschaftliche Beirat beim Finanzministerium, zu diesem Thema gesagt haben, stimmt, ob die Wertschöpfungssteuer ein geeignetes Äquivalent für die bisher geltende Gewerbesteuer ist.
({18})
- Nein. Ihr Nachteil ist, Herr Gattermann, daß Sie unseren Entschließungsantrag nicht gelesen haben. Unser Entschließungsantrag sagt nämlich eindeutig: Das soll geprüft werden. Er sagt nicht: Es soll eine Wertschöpfungssteuer festgelegt werden. Denn wir sind uns auch der Risiken dieser Steuern bewußt. Natürlich nehmen wir Kritik, die an dieser Steuer auch von sachkundiger Seite kommt, durchaus ernst. Aber es soll auf jeden Fall geprüft werden. Und dann werden wir sehen, ob sie ein Äquivalent für die Gewerbesteuer sein kann. Aber solange ein angemessenes Äquivalent, das bestimmte Bedingungen erfüllen und besonders die Finanzautonomie der Gemeinden zum Inhalt haben muß, nicht da ist, bleibt für uns der Satz richtig, daß die Gewerbesteuer für die Gemeinden die Säule des Gemeindefinanzsystems bleibt. Wir wehren uns gegen jeden Eingriff in die Gewerbesteuer. Jedes andere Modell, das dazu führen würde, daß die Finanzautonomie der Gemeinden beeinträchtigt wird, etwa durch eine Ankoppelung an die Umsatzsteuer, wird unsere Ablehnung finden.
({19})
Nun hat der Bundeskanzler vor dem Deutschen Städtetag eine Garantie zum Bestand der Gewerbesteuer abgegeben.
({20})
Da habe ich ja nun meine Zweifel bei den Garantien, die der Herr Bundeskanzler abgegeben hat. Die Ausbildungsplatzgarantie: Was ist daraus geworden?
({21})
Und die Aufschwunggarantie!
({22})
Und die Garantie - das ist der letzte Punkt - für die Kollegen auf den Werften in Bremen! Wenn diese Qualität der Garantie damit verbunden ist, dann habe ich Angst um die Städte und Gemeinden in Deutschland.
({23})
Wir vertrauen da viel mehr dem Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Jochen Vogel. Der hat nämlich auch vor dem Deutschen Städtetag zu diesem Thema geredet. Er hat gesagt:
Wer es mit der Selbstverwaltung ernst meint, muß daran festhalten, daß den Städten sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite ein Höchstmaß an eigener Verantwortung gebührt.
({24})
Städte, deren Investitionsprogramme de facto in Bonn, in den jeweiligen Landeshauptstädten oder bei den Regierungspräsidenten aufgestellt werden, sind in Wahrheit Außenstellen der Zentralbehörden, nicht aber Selbstverwaltungskörperschaften im Sinne der deutschen Städtetradition.
({25})
Diesen zitierten Ausführungen von Jochen Vogel kann man uneingeschränkt zustimmen. Ich freue mich, daß Sie das auch tun. Jochen Vogel versteht nämlich auch im Gegensatz zum Bundeskanzler etwas von diesem Thema, denn schließlich war er zwölf Jahre Oberbürgermeister von München
({26})
und zuletzt amtierender Präsident des Deutschen Städtetags.
({27})
- Ja, der Herr Bundeskanzler ist ein Generalist. Darum kann er davon ja auch nichts wissen.
({28})
- Sie müssen sich nun beruhigen. Der Bundeskanzler steht nun mal im Blickpunkt der Kritik, und wenn er Angriffsflächen bietet, muß man diese auch kennzeichnen. Es ist wenig, was ich zu diesem Thema sage. Man könnte ja noch eine ganze Menge mehr dazu sagen.
Wir werden jedenfalls über die Frage der Wertschöpfungsteuer ausführlich diskutieren müssen. Ich weiß nicht, ob Sie, Herr Kollege Daniels, auch noch darauf eingehen werden. Ich wäre jedenfalls den Kollegen im Finanzausschuß sehr dankbar, wenn wir uns nicht von vornherein festlegten auf diese Steuer oder auf dieses Modell oder auf ein anderes Modell, sondern sehr genau prüften, welche Vor- und Nachteile die einzelnen Modelle haben.
Ich stimme auch dem Kollegen Gattermann zu. Das, was wir uns vorgenommen haben, nämlich Fortführung der Gemeindefinanzreform, ist keine Aufgabe, die man in einigen wenigen Jahren erledigen kann. Es ist eine Aufgabe, die man in großer gemeinschaftlicher Zusammenarbeit erledigen muß. Weil die Lösung der Frage, was mit der Gemeindefinanzreform wird, sehr lange dauern wird, müssen wir Politiker in Bonn Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Finanzsituation der Gemeinden ergreifen.
({29})
Ich möchte deswegen einige Erläuterungen zu unserem Gesetzentwurf geben.
Ich habe gesehen - ich habe auch die Drucksache mitgebracht -, daß Sie jetzt eine Große Anfrage zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise - Drucksache 10/680 vom 25. 11. 1983 - einbringen wollen. Das ist ein bißchen spät. Das haben Sie doch nur gemacht, weil wir einen Gesetzentwurf eingebracht und einen Entschließungsantrag gestellt haben.
({30})
Aber, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit solchen Großen Anfragen helfen Sie den Gemeinden ganz und gar nicht;
({31})
denn die Situation der Gemeinden ist bekannt. Man muß konkret werden und handeln wollen.
({32})
Unser Gesetzentwurf hat im wesentlichen folgenden Inhalt:
Überkommene Gewerbesteuerprivilegien werden unverzüglich abgebaut. Wir wollen, daß in Zukunft diejenigen größeren und kapitalintensiven Betriebe einbezogen werden, die bis jetzt als Freiberufler nicht der Gewerbesteuerpflicht unterliegen. Mich wundert ja, weil ich weiß, daß auch die Kollegen von der FDP und der CDU viel mit Kreishandwerkerschaften zu tun haben, daß Sie hier - auch Herr von Schmude hat das getan - so ohne weiteres über die berechtigten Beschwerden von Handwerksmeistern hinweggehen, die gerade deshalb, weil sie über der Freibetragsgrenze liegen, Gewerbesteuer zahlen müssen, während nebenan der große Zahnarzt mit seinem Labor und seiner riesigen Praxis überhaupt keine Gewerbesteuer zahlt. Das ist doch nicht gerecht; da ist doch keine Steuergerechtigkeit in diesem Punkt.
({33})
Wir haben in unserem Gesetzentwurf zu diesem Thema einige Punkte eingebaut, die nicht dazu führen, Herr von Schmude, daß es eine Arbeitsplatzvernichtungssteuer ist. Wir haben bestimmte Grenzen eingebaut. Herr Gattermann hat auch schon darauf hingewiesen. Wir sollten uns sehr ausführlich darüber unterhalten, denn wir glauben, daß man mit diesen Freistellungen, insbesondere der großen Zahnarztlabors, der Apparatemedizin, in Zukunft nicht mehr weiterkommen kann, daß damit die Grundsätze - ({34})
- Herr Kollege Gattermann, erzählen Sie mir nicht, daß ein Zahnarzt gewerbesteuerpflichtig ist.
({35})
- Aber wenn er es selbst macht? Wir wissen doch genau, Herr Kollege Gattermann, wie die tatsächliche finanzielle Situation von Zahnärzten ist. Darüber müssen wir uns unterhalten.
({36})
- Nein, ich habe von Zahnärzten geredet. - Der Realsteuercharakter der Gewerbesteuer wird nach unseren Vorstellungen zusätzlich verstärkt, indem die 1983 wirksam gewordenen Maßnahmen - Hinzurechnungskürzungen bei Dauerschuldzinsen und Dauerschulden - rückgängig gemacht werden.
Diese Beschlüsse der neuen Koalition treffen insbesondere die Gemeinden in den Krisenregionen unseres Landes, z. B. in Nordrhein-Westfalen. Diese Gemeinden erleiden die höchsten Gewerbesteuereinbußen.
Aber auch ein steuerlicher Gesichtspunkt spricht gegen die Hinzurechnungskürzungen. Sie sind wirtschaftspolitisch deshalb problematisch, weil das Eigenkapital gegenüber den Dauerschulden benachteiligt wird. Die Fremdfinanzierung wird prämiert und angereizt, und das ist wirtschaftspolitisch nun wirklich falsch.
Zum dritten und wesentlichen Punkt unseres Gesetzentwurfs: Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer wird ab 1985 von 15 auf 16 % erhöht. Meine Damen und Herren, zur Begründung möchte ich Ihnen einige Sätze aus einer Bundestagsdrucksache vorlesen:
Das Ziel einer deutlichen Belebung der kommunalen Investitionstätigkeit zur Abstützung der Konjunktur, der Beschäftigung und des Wachstums kann nur durch eine dauerhaft bessere finanzielle Grundausstattung der Gemeinden erreicht werden.
Diese Aufgabe kann nicht alleine von den Ländern mit Hilfe ihrer Finanzausgleichsgesetze geleistet werden, zumal diese Gesetze jährlich neu beschlossen werden ...
({37})
Der Bund trägt aber als Träger der Steuergesetzgebung eine ganz entscheidende Mitverantwortung. Insbesondere hat der Bund mit seiner Verantwortung für die Wirtschafts- und Konjunkturpolitik die Aufgabe, die Gemeinden so auszustatten, daß sie zu einem konjunkturgerechten Verhalten in der Lage sind ...
({38})
Deshalb sieht der Gesetzentwurf vor, den Gemeindeanteil an der Lohnsteuer und der veranlagten Einkommensteuer von 14 v. H. auf 15 v. H. zu erhöhen.
({39})
Die Mitverantwortung des Bundes für die Gemeindefinanzen ist aktualisiert durch die Gesetzgebung dieses Jahres. Hierdurch haben die Gemeinden Steuereinnahmen verloren, oder ihnen wurden durch Steuergesetzgebung zusätzliche Aufgaben auferlegt, wie z. B. durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Ich habe aus der Drucksache 8/923 vom 21. September 1977 zitiert, einem Gesetzentwurf der CDU/ CSU.
({40})
Wir haben diesen Gesetzentwurf damals abgelehnt.
({41})
- Ja, ja, ich werde Ihnen aber auch sagen, weshalb wir ihn abgelehnt haben. Es bestand nämlich zu dem damaligen Zeitpunkt, 1977/78, überhaupt keine Notwendigkeit zur Erhöhung des Gemeindeanteils.
({42})
- Sie können das ja nicht wissen, weil Sie damals noch nicht hier waren.
({43})
1978 stiegen die kommunalen Sachinvestitionen um 12,9 % gegenüber dem Vorjahr, 1979 um 15,3 % und 1980 um 14,6 %. Das heißt, daß zu dem damaligen Zeitpunkt die Gemeinden noch Geld hatten, das sie investieren konnten - im Gegensatz zu heute.
({44})
Ihr Gesetzentwurf ist damals also zu Recht abgelehnt worden. Nun kommen wir zur Gegenwart. Nach Ihren Eingriffen in das Steueraufkommen der Gemeinden von 1983 und 1984 gelten Ihre damaligen Worte heute jedoch in besonderem Maße.
Die Beschlüsse dieser Koalition sind die Ursachen für die Finanznot der Kommunen, beginnend Ende 1982. Deshalb muß diese Koalition auch hier in Bonn die Konsequenzen ziehen und den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer ab 1985 um 1 % erhöhen.
Unser Gesetzentwurf wird nicht nur Freude bei den Gemeinden hervorrufen, sondern er wird uns auch Arger einbringen. Aber Politik besteht nicht nur darin, allen Leuten etwas Freundliches zu sagen. Bei denen, die betroffen sind, wird dieser Gesetzentwurf allemal Ärger hervorrufen. Aber wir müssen aus der Unverbindlichkeit der Debatte über die Finanzsituation der Gemeinden heraus; wir wollen Klarheit über die Vorstellungen der Regierungskoalition haben. Wir wollen wissen, ob Sie ernsthaft den Gemeinden helfen wollen; denn wer den Gemeinden hilft, bekämpft Arbeitslosigkeit. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion jeden2840
falls will das. Wir halten unser Wort, das wir den kommunalen Spitzenverbänden gegeben haben: Es muß endlich gehandelt werden.
({45})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den Gesetzentwurf und den Antrag der SPD-Fraktion gelesen habe, kam mir eine Presseerklärung des Kollegen Dr. Kansy von vor wenigen Tagen wieder in Erinnerung: Es zeigt sich auch hier wieder einmal, daß die SPD zu früh aus der Regierungsverantwortung geschieden ist; denn jetzt plötzlich fallen ihr auf allen Sachgebieten die idealen Lösungen ein, auf die die deutschen Wähler 13 Jahre lang sehnlich haben warten müssen.
({0})
Als ich dann noch die Presseerklärung der SPD-Fraktion las, wie schrecklich sich die Finanzlage der Gemeinden in den letzten zehn Jahren verschlechtert hat, da habe ich mich gefragt: Ist denn dieses ganze Ungemach wie ein Schicksal auf die Gemeinden vom Himmel herabgefallen? Wer hat denn eigentlich in dieser ganzen Zeit die entscheidende Verantwortung für die Wirtschafts- und Finanzpolitik in diesem Lande getragen?
({1})
Meine Damen und Herren, ein bißchen kommt mir das Ganze so vor, als wenn jemand, der ein Haus zunächst in Brand gesteckt hat, anschließend am lautesten nach der Feuerwehr ruft.
({2})
Den Gemeinden ist naturgemäß heute nicht mit der Bewältigung der Vergangenheit gedient, sondern mit der Gestaltung der Zukunft.
({3})
Deshalb lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Anforderungen machen, die an jedes kommunale Steuersystem zu stellen sind. Ich möchte drei Punkte nennen.
Erstens. Die Städte und Gemeinden müssen die Höhe kommunaler Steuersätze selbst bestimmen können.
({4})
Zweitens. Jedes, auch jedes neue kommunale Steuersystem muß die vorhandene Bindung zwischen Gemeinde und Wirtschaft erhalten.
({5})
Drittens. Die kommunalen Steuern - das gilt im Grunde für alle Steuern; jetzt hören Sie einmal besonders genau zu - dürfen nicht durch ständige Detailkorrekturen unkalkulierbar werden.
({6})
Lassen Sie mich diese drei Anforderungen kurz begründen. Das Hebesatzrecht der Gemeinden für kommunale Steuern ist eines der Kernstücke der kommunalen Selbstverwaltung. Fast alle kommunalen Leistungen sind nicht kostendeckend und müssen auch aus Steuern finanziert werden. Deshalb ist immer auch eine Entscheidung zu treffen: Will man die Bürger stärker mit Steuern belasten und ihnen dafür auch mehr Leistungen zur Verfügung stellen, oder will man auf der anderen Seite auf solche zusätzlichen Leistungen verzichten, dafür aber auch eine geringere Steuerbelastung erreichen? Will man etwa ein neues Schwimmbad bauen, oder will man statt dessen mit geringeren Steuersätzen auskommen?
Ich meine, auch in Zukunft muß diese zentrale Entscheidung der kommunalen Selbstverwaltung vor Ort von den dort gewählten Vertretern der Bürger getroffen werden.
({7})
Nur so können auch die Bürger unmittelbar Einfluß auf die Entscheidungen nehmen;
({8})
denn die Mitglieder der Räte in den Städten und Gemeinden haben ja einen unmittelbaren täglichen Kontakt zu den Bürgern auch über die konkret in einer Gemeinde anstehenden Probleme.
({9})
Sie haben jedenfalls einen viel intensiveren Kontakt zu den Bürgern als die Ministerialräte, die über Finanzzuweisungen entscheiden und die heute hier bei dieser Debatte durch Abwesenheit auf der Bundesratsbank glänzen.
({10})
Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß die Abwägung zwischen mehr kommunalen Leistungen auf der einen Seite und geringerer steuerlicher Belastung auf der anderen Seite schwierig wird, wenn von den Steuern, deren Hebesätze die Gemeinde festsetzen kann, nur ein kleiner Teil der Bevölkerung betroffen ist. Darin liegt sicher eines der Probleme der Gewerbesteuer.
({11})
Die Einnahmen werden von wenigen finanziert; mit den Wohltaten werden alle Bürger beglückt.
({12})
Das ist verführerisch für die Räte. Es führt tendenziell zu weniger Sparsamkeit, zur Vermehrung der
Ausgaben, und das widerspricht gerade den GrundDr. Daniels
Sätzen, mit denen die neue Koalition der Mitte in ihrer Politik angetreten ist.
({13})
Zweiter Punkt: Gemeindesteuern müssen auch an die örtliche Wirtschaftskraft anknüpfen. Meine Damen und Herren, das ist nicht einmal in erster Linie wegen des Interesses der Gemeinden so, sondern der Zusammenhang zwischen der gemeindlichen Steuerkraft und der örtlichen Wirtschaft liegt vor allem auch im Interesse dieser Wirtschaft;
({14})
denn wenn die Gewerbebetriebe nur noch lästig sind, wenn sie keine Steuern mehr einbringen,
({15})
wenn also die Gemeinden an ihrer örtlichen Wirtschaft kein finanzielles Interesse mehr haben, dann werden die Folgen gerade für die Wirtschaft verheerend sein.
({16})
Wer diesen Zusammenhang kappt, der legt die Axt an die Wurzel der guten Beziehungen zwischen den Gemeinden und ihrer Wirtschaft.
({17})
Dritter Punkt: Wir dürfen an den gemeindlichen Steuern nicht weitere Detailkorrekturen ohne Einordnung in einen größeren Zusammenhang vornehmen.
({18})
Die Gesetzgebung insgesamt leidet immer mehr darunter, daß die Gesetze ständig geändert werden. Die sogenannte Ellwein-Kommission zur Gesetz-und Verwaltungsvereinfachung in Nordrhein-Westfalen hat festgestellt: Von den 60 im Jahre 1978 erlassenen Bundesgesetzen galten am 31. Dezember 1981, also drei Jahre später, nur noch 22 unverändert. Nach drei Jahren war nur noch ein Drittel der von diesem Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetze unverändert in Geltung. Meine Damen und Herren, so darf es nicht weitergehen.
Die Ellwein-Kommission hat drei Gruppen von Gesetzen aufgeführt, bei denen in besonderer Weise Stetigkeit bei der Gesetzgebung geboten ist:
erstens, Gesetze, die eine größere Zahl von Bürgern ansprechen - und das ist bei Steuergesetzen in der Regel der Fall -,
zweitens, Gesetze, die eine größere Rolle im Verwaltungsgeschäft spielen, die also von einer Vielzahl von Beamten und Angestellten ausgeführt werden müssen, und
drittens, Gesetze, die in einem größeren Politikfeld Bedeutung haben, was ihre isolierte Behandlung verbietet.
Alle diese drei Gründe, die ich mir voll zu eigen mache, sprechen gegen irgendwelche Korrekturen, irgendwelche Detail- und Einzelkorrekturen, an der Gewerbesteuer zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
({19})
Die vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen empfohlene Wertschöpfungsteuer entspricht im Grundsatz den von mir hier vorgetragenen Anforderungen. Ob sie allerdings der richtige oder ob sie gar der beste Weg für ein kommendes gemeindliches Steuersystem ist, das ist sicher nach wie vor mit vielen Fragezeichen verbunden.
({20})
Ich würde sie allerdings auch nicht, Herr Kollege Gattermann, jetzt schon voreilig verdammen wollen.
({21})
Auf der anderen Seite erfüllt auch die bestehende Gewerbesteuer - bei allen Mängeln - die zentralen Anforderungen an ein gemeindliches Steuersystem, nämlich eigenes Hebesatzrecht der Gemeinden und Anknüpfung an die örtliche Wirtschaft. Deswegen sage ich hier noch einmal ganz deutlich: Solange niemand ein nachweislich besseres System erfunden hat, müssen wir an der Gewerbesteuer festhalten.
({22})
Das gilt nicht nur für diese Legislaturperiode, sondern es gilt - ich bestätige noch einmal, auch für die Fraktion, das, was soeben hier von der Bundesregierung gesagt worden ist - auch für künftige Legislaturperioden, es gilt so lange, bis jemand ein wirklich besseres System erfunden hat.
({23})
Die vorliegenden Anträge der SPD stellen - das begrüße ich - die Gewerbesteuer bis zu einer umfassenden Reform nicht in Frage.
({24})
Sie haben natürlich für die Städte und Gemeinden durchaus verlockende Elemente, aber sie bedeuten auf der anderen Seite doch eine Reihe von schwerwiegenden Einzelkorrekturen, die das Prinzip der Stetigkeit gerade in Steuerfragen verletzen. Deshalb können wir ihnen nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({25})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Gemeinden in unserem Land heute finanzielle Sorgen haben - solche Gemeinden gibt es leider noch immer in grö2842
ßerer Zahl -, dann gibt es dafür einen Hauptgrund. Das muß man hier offen aussprechen, meine lieben Kollegen von der SPD. Der Hauptgrund liegt darin, daß unter einer von Ihnen geführten Bundesregierung jahrelang eine Politik zu Lasten der Gemeinden gemacht worden ist.
({0})
Das gehört zur Aufarbeitung der Probleme, die wir heute hier haben.
({1})
- Weil Sie so unruhig werden, will ich Ihnen das an Hand eines Beispiels gerne verdeutlichen. Ich erinnere an die „Operation '82" der Bundesregierung unter Führung des damaligen Kanzlers Helmut Schmidt. Dabei haben Sie Zehntausende unserer Mitbürger aus der Betreuung der Bundesanstalt für Arbeit einfach abgemeldet und den kommunalen Sozialämtern überwiesen, ohne den Gemeinden eine Mark mehr zu geben, damit das bezahlt werden konnte. Das war ein Element dieser Politik.
({2})
Wir haben hier heute nur wenig Zeit, deshalb nur ein paar Stichworte. Kollege Voss hat hier dargestellt - wir haben es ja in den letzten Wochen auch mehrfach mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Ländern besprochen -, daß sich diese Bundesregierung Schritt für Schritt bemüht, eine gemeindefreundliche Politik zu machen: Senkung der Gewerbesteuerumlage, mehr Umsatzsteuer für Länder und Gemeinden. Wir haben die klare Aussage des Bundeskanzlers mit der Gewerbesteuergarantie, so daß die Städte, Gemeinden und Kreise wissen, woran sie in diesem Bereich sind. Ich sage auch hier noch einmal deutlich für die Bundesregierung: Wir werden an dieser für die Gemeinden wichtigen Steuer so lange festhalten - darauf kann sich jeder verlassen -, wie nichts besseres für die Gemeinden gefunden worden ist.
({3})
Das ist eine wichtige, klare Aussage, auf die die Gemeinden zählen können.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sagen heute: Gebt den Gemeinden mehr. - Dazu will ich Ihnen eines sagen: Wer gäbe den Gemeinden nicht gerne mehr? Wir würden ja den Gemeinden mehr geben. Wenn sie mehr Geld in der Bundeskasse hinterlassen hätten, dann würden wir den Gemeinden auch noch mehr geben.
({4})
Ich glaube, das ist eine deutliche Aussage.
({5})
- Herr Kollege Apel, gerne. Wir führen demnächst
eine große Kommunaldebatte. Dann können wir
diskutieren. Ich habe heute nur wenige Minuten Redezeit. Deshalb geht es leider nicht.
({6})
Meine Damen und Herren, wir wollen einen Satz hier aufnehmen. Es hieß hier: Wir haben Sorgen, ob die Länder das Geld, das sie jetzt vom Bund für die Gemeinden bekommen, weitergeben. Wenn wir alle miteinander für die kommunale Selbstverwaltung streiten wollen - und ich sehe hier nur solche Streiter -, dann, meine Damen und Herren, sagen wir doch in den Ländern, in denen wir Einfluß haben, daß das Geld weitergegeben werden muß! Ich lade die Kollegen der SPD ein, im Land Nordrhein-Westfalen, in dem die SPD die absolute Mehrheit hat, dafür zu sorgen, daß der Finanzausgleich nicht Jahr für Jahr massiv zusammengestrichen wird; da soll man einmal mehr Geld an die Gemeinden geben.
({7})
Das hat Ihnen Herr Minister Stoltenberg betreffend Nordrhein-Westfalen hier auch schon gesagt. Es ist hier in den letzten Jahren sehr deutlich zusammengestrichen worden.
({8})
Ich will noch einen kurzen, zusammenfassenden Überblick geben: Wir haben fünf Kommissionen, meine Damen und Herren, fünf Arbeitsgruppen, die sich jetzt mittel- und längerfristig damit beschäftigen, den Gemeinden zu helfen. Ich nenne die Arbeitsgruppe, die heute der Finanzplanungsrat einsetzt, ich nenne die Arbeiten der Finanzminister der Länder, ich nenne die Entbürokratisierungskommission, ich nenne die Pflegekostenkommission bei Minister Geißler und die Krankenhauskommission bei Minister Blüm.
({9})
Meine Damen und Herren, wenn Sie nun nach den Ergebnissen fragen: Hätten Sie an all diesen Themen gearbeitet - Herr Kollege Apel, Sie sind ja sachkundig genug, das zu wissen; das Pflegekostenproblem bewegt uns schon Jahre -, dann hätten wir heute schon Ergebnisse und wären weiter; leider haben Sie an den Dingen nicht gearbeitet.
({10})
Deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich hier heute sagen: Von der Bundesregierung aus werden wir - das haben wir in zahlreichen Initiativen deutlich gemacht - Schritt für Schritt weiterarbeiten, damit die kommunale Selbstverwaltung gestärkt wird. Das Wichtigste, das Allerwichtigste bei allen Konsolidierungsbemühungen, auch um Raum für kommunale Investitionen zu schaffen, ist, daß die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Lande besser wird. Denn die wirtschaftliche Entwicklung ist die beste Initiative für die kommunale Finanzausstattung. Meine Damen und Herren, deshalb werden wir den Kurs einer soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik auch von der kommunalen
Seite her zu unterstützen haben, damit es den Gemeinden Schritt für Schritt wieder besser geht, wo dies dringend notwendig ist. - Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Poß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner, der Kollege Waffenschmidt, hat hier eine typische CDU-Rede gehalten:
({0})
unkonkret, wolkig, den Problemen ausweichend.
({1})
Ich darf einmal kurz reflektieren, was die Gemeindefreundlichkeit der alten Bundesregierung angeht, Herr Waffenschmidt: Als es einmal gekniffen hat, z. B. infolge von ZIP 2, hat die alte Koalition den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer - ich glaube, 1980 - von 14 % auf 15 % erhöht. Sie waren es doch, der immer wieder gefordert hat, diesen Gemeindeanteil immer weiter heraufzusetzen. Wo bleibt denn Ihre Forderung heute? Ich habe hier nichts gehört.
({2})
Im übrigen: Was ist das eigentlich für eine Koalition, mit der wir es hier zu tun haben?
({3})
An jeder Stelle diese Unglaubwürdigkeit! Was ist das für eine Koalition? Der Bundeskanzler gibt - vollmundig wie immer - Garantien für die Gewerbesteuer ab, gleichzeitig fordert sein Zuschläger Häfele die Abschaffung derselben, und die FDP versucht sich - wie immer in der Vergangenheit - zu profilieren, indem sie die Abschaffung der Gewerbesteuer ebenfalls nachhaltig fordert.
({4})
Im übrigen, Herr Waffenschmidt: Die Gesetze, die die Gemeinden in der Vergangenheit weiter belastet haben, wurden ja von Ihnen im Bundesrat mitgetragen. Nein, sie wurden nicht nur mitgetragen, sondern Sie haben im Vermittlungsausschuß Anträge gestellt, die diese Gesetze noch verschärft haben. Das ist die CDU-Wahrheit!
({5})
Was die Gemeindeleistungen angeht, so kann sich Nordrhein-Westfalen da - bei allen finanziellen Schwierigkeiten - immer noch sehen lassen. Schauen Sie sich doch die Pläne von Baden-Württemberg und Bayern an, was die Absenkung der Verbundmasse angeht! Also, wenn es konkret wird, wenn es um Zahlen geht, dann ist es mit Ihrem
Küchenlatein des Konservativismus aus, den Sie hier praktizieren.
({6})
Schließlich noch einige wenige Bemerkungen: Was bedeutet denn Konsolidierung? Es ist schon schlimm, wie Sie diesen Begriff gebrauchen. Sie beschädigen die gemeindliche Substanz. Das findet derzeit statt, nichts anderes.
({7})
Sie ignorieren die Verelendungserscheinungen, die sich in unseren Kommunen in Ballungsgebieten teilweise breitmachen, weil Sie offenbar keinen Bezug zu dieser sozialen Realität haben.
Ferner: Ihre Politik ist eine Politik der öffentlichen Armut. Gleichzeitig aber senken Sie die Vermögensteuer und anderes mehr. Herr Gattermann hat hier ein Phantom gezeichnet. Er hat eine Steuer geschildert, von der wir alle überzeugt sind. Wir haben ihm Beifall gegeben. Sie sollten nur einmal das Modell dieser Steuer auf den Tisch legen, Herr Gattermann. Auch das war nur eine wolkige Andeutung, und dann haben Sie einen Ritter angedeutet, der irgendwo im Hintergrund stehen soll.
Schließlich - weil ich gleich am Ende meiner Redezeit bin -, Herr Waffenschmidt: Sie haben im September vor der Industrie- und Handelskammer Köln Aussagen gemacht, die wir als Sozialdemokraten nur unterstützen können. Die Gemeinden brauchen stetige Rahmenbedingungen. Nur: Wenn Sie dieser Meinung sind, müssen Sie unseren Anträgen hier und heute zustimmen. Nichts anderes ist die Alternative.
({8})
Die SPD hat - wie Herr Daniels ja wohl anerkannt hat - als einzige Partei konkrete Vorschläge vorgelegt. Man kann über den Sinngehalt der einzelnen Vorschläge noch streiten. Wir sind dazu bereit. Aber auch Sie müssen sich dieser konkreten Diskussion stellen. Herr Daniels hat in seiner Rede, glaube ich, einen guten Anfang gesetzt. Deswegen wollen wir hoffen, daß bei den Beratungen in den Ausschüssen im Interesse der Gemeinden von Ihnen, Herr Waffenschmidt, nicht nur hohle Reden gehalten werden, sondern Taten folgen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Blank.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man höre und staune: Die Fraktion der SPD ist in Sorge um die Kommunalfinanzen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich begrüße diese
Wende sozialdemokratischer Politik ausdrücklich,
nachdem die frühere, von der SPD geführte Bundesregierung, insbesondere Ihr Bundeskanzler Helmut Schmidt - ich zitiere -, nicht anerkennen konnte, daß es um die Kommunalfinanzen schlecht stehe.
Meine Damen und Herren, die Sorge der SPD wäre glaubwürdiger, wenn sie in ihrer Regierungszeit das kommunal- und finanzpolitisch Notwendige getan hätte. Während der vergangenen 13 Jahre hat die SPD jedoch auch hier die Dinge entweder verharmlost oder bloße Ankündigungen getroffen, ohne Taten folgen zu lassen.
({1})
Meine Damen und Herren, wichtiger als Ihre heutigen Anträge wären gute Leistungen in der Vergangenheit gewesen. Ihr heutiger verbaler Einsatz für die Kommunen muß doch angesichts dessen, was Sie nun zu ändern vorschlagen und wozu Sie doch selbst beigetragen haben, einfach unglaubwürdig wirken.
In der Vorbereitung auf diese heutige Debatte habe ich mir das Protokoll der 58. Sitzung des 8. Deutschen Bundestages vom 24. November 1977 zu Gemüte geführt. Ich darf in Erinnerung bringen: Seinerzeit hatte die CDU/CSU gefordert, den Anteil der Gemeinden an der Einkommensteuer von damals 14 auf 15 % zu erhöhen. In dieser Debatte hat der damalige Bundesminister der Finanzen, der Kollege Apel, zu diesem Antrag meiner Fraktion ausgeführt - ich zitiere -:
Die Finanzdecke ist überall - beim Bund, bei den Ländern, bei den Gemeinden - zu kurz.
Am schwierigsten sei sie beim Bund. Er sei deswegen dafür,
daß wir zu einem späteren Zeitpunkt, dann, wenn der Bund wieder in eine Finanzsituation eingerückt ist, die es für ihn erträglich macht, den Gemeindesteueranteil zu erhöhen, diese Frage ernsthaft debattieren.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Ist dieser Zeitpunkt jetzt etwa gekommen? Ist der Bund jetzt in einer Finanzsituation, die es für ihn erträglich macht, den Gemeindesteueranteil zu erhöhen?
({2})
Sie, Herr Kollege Apel, haben sich damals in Ihrer Rede entschieden dagegen verwahrt - ich zitiere -:
..., unsolide Anträge an die Stelle von ..., Verantwortungsbewußtsein ... treten
zu lassen. Hieran sollten Sie sich heute erinnern.
({3})
Es wäre gewiß begrüßenswert, wenn die Kommunalpolitiker aller Bundestagsfraktionen - wie dies der Fraktionsvorsitzende der SPD anläßlich der letzten Hauptversammlung des Deutschen Städtetages im Juni dieses Jahres in Frankfurt gefordert hat - in einen Wettbewerb eintreten würden mit dem Ziel, die Finanzlage der Städte und Gemeinden grundlegend zu verbessern,
({4})
aber bitte, meine Damen und Herren von der SPD, kein Wettbewerb der hohlen Versprechungen, sondern ein Wettbewerb der Solidarität.
({5})
Herr Kollege Struck, 1977, als meine Fraktion diesen Antrag gestellt hatte, wäre eine solche Verbesserung noch möglich gewesen. Heute, nachdem Sie 13 Jahre lang das Sagen hatten, ist dies ausgeschlossen.
({6})
Sie werfen uns neuerdings vor, Ausgabenblöcke vom Bund auf die Länder und Gemeinden zu verschieben.
({7})
- So wenig dies stimmt, Herr Kollege Apel, so richtig ist es, daß Sie sich anschicken, bloß Einnahmeblöcke zu verschieben. Das ist keine solide Politik im Interesse unserer Städte und Gemeinden.
({8})
Lassen Sie mich im Hinblick auf die Debatte hier heute abschließend folgendes sagen. In der Politik weiß man selten etwas sicher.
({9})
In dieser Lage sind wir heute auch hier in diesem Punkt.
({10})
Wir wissen jedoch sicher, Herr Krizsan, daß es so mit den kommunalen Finanzen nicht weitergehen kann
({11})
bzw. daß dies, wenn es so weitergeht - Sie klatschen hoffentlich gleich auch noch -, nicht gut ausgehen kann. Ich denke, daß ist schon ein guter Ansatz zur politischen Ernüchterung.
({12})
Nüchternheit im Interesse unserer Städte, Gemeinden und Kreise ist jetzt hier gefragt. Bloßes parteipolitisches Geklappere, unsolide Anträge ohne Dekkungsvorschläge, künstliche Erregung sind deswegen fehl am Platz,
({13})
weil uns sonst unsere Kommunalpolitiker demnächst das Zitat aus der Bibel vorhalten: „Die einen schrien dafür, die anderen dagegen, und die Gemeinde ward irre."
Vielen Dank.
({14})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Präsident Dr. Barzel
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen an die Ausschüsse vor. Die Vorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Tietjen, Bachmaier, Dr. Ehrenberg, Dr. Emmerlich, Ewen, Fischer ({0}), Klein ({1}), Dr. Kübler, Lambinus, Oostergetelo, Polkehn, Schmidt ({2}), Schröder ({3}), Stiegler, Dr. de With, Dr. Schwenk ({4}), Frau Terborg und der Fraktion der SPD
Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen
- Drucksache 10/579 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({5})
Verteidigungsausschuß
Der Ältestenrat empfiehlt, die Aussprache auf einen Beitrag von bis zu 10 Minuten je Fraktion zu begrenzen. Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tietjen.
({6})
Frau Vizepräsidentin! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! - Ja, es findet gerade der Wechsel statt. - Für die Einbringung dieses Antrages steht nur eine kurze Redezeit zur Verfügung. Ich will deshalb zu Anfang gleich auf die Begründung unseres Antrages verweisen. Dabei wären weder der Antrag noch die Debatte heute morgen vor ziemlich leerem Hause notwendig gewesen, wenn man dem damaligen Bundesverteidigungsminister Dr. Hans Apel gefolgt wäre, der mir im April 1982 mitgeteilt hat, daß die Bundeswehr bereit sei, ein Gelände von 5 000 qm in Esterwegen zur Einrichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums zur Verfügung zu stellen.
({0})
Dafür noch einmal, Herr Minister a. D., herzlichen Dank.
Antrag und Debatte sind aber notwendig geworden, weil nur ein Jahr später der Nachfolger von Dr. Apel, Herr Wörner, diese Zusage von Dr. Apel rückgängig gemacht hat.
({1})
- Der fehlt. Er läßt sich durch den Staatssekretär vertreten, wie das den ganzen Morgen schon gewesen ist.
({2})
Die Minister sind sehr angespannt.
Nur ein Jahr später wird die Zusage zurückgezogen, und zwar mit einer Begründung, die ich nicht ganz verstehe. Jetzt sollen auf dem Gelände, das zur Verfügung gestellt werden sollte, Bundeswehrlazarette errichtet werden. Dabei gibt es in dem Teil des westlichen Niedersachsens genügend Bundeswehrgelände, z. B. in Haren an der Ems, auf dem durchaus die Möglichkeit bestünde, diese Lazarette zu errichten.
({3})
- Das kann man durchaus so sagen, Herr Kollege. Das ist richtig. Dies geschieht gerade 50 Jahre nach dem schrecklichen Jahr 1933, als das Hitlersche nationalsozialistische Regime begann und Deutschland über lange Jahre in große Not gebracht hat. 50 Jahre danach wird diese Zusage zur Errichtung eines solchen Zentrums zurückgezogen.
Dabei haben sich gerade junge Leute in den zurückliegenden Jahren in dem Aktionskomitee zur Errichtung eines solchen Zentrums die große Mühe gemacht, in der Bevölkerung, bei den politischen Parteien, bei den Kirchen, bei den Gewerkschaften für die Errichtung eines solchen Zentrums zu werben. Ich meine, die jungen Leute im Aktionskomitee haben mit ihrem Bemühen recht gehabt. Sie sollten, Herr Bundesverteidigungsminister, vertreten durch den Herrn Staatssekretär, ihre Entscheidung in aller Eindeutigkeit, in aller Entschiedenheit dadurch ändern, daß Sie sich auf das zurückbegeben, was 1982 Verteidigungsminister Dr. Apel entschieden hat. Das sage ich in aller Eindringlichkeit.
({4})
Denn, meine Damen und Herren, durch die Waffenfunde in der Lüneburger Heide, durch den Terroranschlag in München und viele weitere neofaschistische Gewalttaten hat sich die Aktualität, die Bedeutung und die Notwendigkeit des Einsatzes für Demokratie und Freiheit, gegen den Ungeist des Faschismus gezeigt.
({5})
Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir von den Medien nicht mit neuen Meldungen über neufaschistische Aktivitäten, Waffenfunde oder internationale neofaschistische Zusammenarbeit konfrontiert werden. Ich bin sicher, meine Damen und Herren, daß diese Enthüllungen nicht Folge davon sind, daß nach München neofaschistische Aktivitäten plötzlich und explosionsartig zugenommen hätten. Nein, all das gab es auch vorher schon. Aber es wurde von den etablierten Medien beflissen verdrängt und minimalisiert. Es bedurfte der Bombentoten, um den Verschleierungsvorhang etwas zu lüften.
Der Neofaschismus, meine Damen und Herren, darf für uns kein Thema kurzlebiger Aktualität
sein. Der Neofaschismus ist eine Gefahr für die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Wir müssen ihn aktiv bekämpfen. Wir in Deutschland haben aus leidvoller historischer Erfahrung allen Grund und auch den grundgesetzlichen Auftrag, wachsam zu sein. Wir dürfen uns nicht von internationalen Antifaschisten beschämen lassen, die z. B. in Bologna und Paris sehr empfindsam auf faschistischen Terror reagieren. Wachsam reagieren können wir aber nur, wenn wir unsere eigene Geschichte aufarbeiten, die Ursachen und Auswirkungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auch kennen.
Man muß Kriterien entwickeln, um auf die neofaschistischen Gefahren reagieren zu können. Dem Erhalt wichtiger Zeugnisse und Dokumente kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Deshalb ist, meine Damen und Herren, die Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums zur Geschichte der 15 Emslandlager von zwingender Notwendigkeit.
Die niedersächsische Landesregierung hat dankenswerterweise eine Gedenkstätte in Form eines Rundbaues auf diesem Gelände errichtet. Ich halte diese architektonische Bewältigung eines historischen Problems für unzulänglich. Das sage ich dazu.
({7})
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Emslandlager bleibt damit nämlich auf das stille Lesen der 15 Lagernamen und eines kurzen Informationstextes beschränkt. Dies kann keine wirksame Aufklärungsarbeit ersetzen, meine Damen und Herren.
({8})
Notwendig ist eine unter wissenschaftlichen und didaktischen Gesichtspunkten ausgestattete und von Fachkräften betreute Einrichtung. Dieses Dokumentations- und Informationszentrum soll den Besuchern nicht nur ein Gedenkstättenerlebnis, sondern die Einleitung demokratischer Lernprozesse ermöglichen.
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Lernen bedeutet eben nicht nur, Zahlen zur Kenntnis zu nehmen, Bücher zu lesen oder einen Friedhof auf sich wirken zu lassen. Die Besucher - hierunter sicherlich gerade Jugendliche und Schulklassen - sollen angeregt werden, sich mit den undemokratischen Entwicklungen und den neofaschistischen Gefahren der Gegenwart auseinanderzusetzen. Dazu ist neben der Erzeugung emotionaler Betroffenheit auch das lebendige Gespräch, der Austausch mit sachkundigen Gesprächspartnern, die Beschäftigung mit historischen Dokumenten und Informationsmaterialien unter gezielter Anleitung, ein wirkliches Abarbeiten an der eigenen Geschichte notwendig. Hierdurch könnte das DIZ eine wertvolle Unterstützung des Geschichtsunterrichts besonders in dieser Region darstellen.
Meine Damen und Herren, es wird jetzt möglicherweise gleich der Einwand kommen, man habe schon mit dem Bau begonnen. Das stimmt allerdings. Ich habe mich gestern akut informieren lassen. Man hat vor drei Wochen mit den ersten Baumaßnahmen auf dem Gelände begonnen. Damals war der Antrag der SPD-Fraktion der Opposition auch der Regierung bekannt. Vor drei Wochen haben die ersten Erdarbeiten begonnen; das finde ich nicht gut.
({10})
- Das müssen Sie so finden; das ist Ihr Geschichtsbewußtsein.
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Herr Staatssekretär, Sie werden Stellung nehmen müssen, ob es richtig ist, daß das Bundeswehrgelände dort so groß ist, daß neben diesen Bundeswehrlazaretten zusätzlich die Errichtung von Gebäuden möglich ist. Man hat mir von verantwortlicher kommunaler Seite gesagt, da sei genügend Gelände vorhanden. Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär, wenn schon das Bundeswehrlazarett ohnehin auf diesem Gelände installiert werden muß - wo übrigens auch schon ein Depot installiert ist -, alle Anstrengungen zu unternehmen, um es möglich zu machen, daß ein solches Dokumentations- und Informationszentrum dort gebaut werden kann.
Es mag auch der Einwand kommen, man schaffe in dieser Region mit dem Bundeswehrlazarett Arbeitsplätze. Die Gemeinde Esterwegen hat eine Arbeitslosenquote von 35%. Es wird gesagt werden können, man schaffe Arbeitsplätze. Sieben oder acht, steht in den Papieren drin. Ich sage Ihnen, man schafft auch mit der Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums Arbeitsplätze. Man treibt diese Region mit diesem Zentrum nach oben, so bitter es ist, daß man mit einer solchen Darstellung eine Region positiv nach oben treiben muß.
Meine Damen und Herren, wir werden die Ausschußberatung begleiten mit dem Wollen, daß dieses Zentrum eingerichtet wird. Wir werden bei den Beratungen immer wieder das Lied von den Moorsoldaten in den Ohren haben: „Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor." Darum bitte ich Sie, das Gelände für die Errichtung eines solchen Zentrums freizugeben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion teilt die Auffassung, daß die Geschichte der Konzentrationslager nicht in Vergessenheit geraten darf. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Erinnerung an die geschichtlichen Ereignisse und die Verbrechen des Nationalsozialismus wachzuhalten. Dies gilt auch, uneingeschränkt und gerade 50 Jahre nach der Machtergreifung. Und ich füge hinzu, das gilt auch für das Emsland und das ehemaSeiters
lige Konzentrationslager Esterwegen. Diese Meinung wird von der niedersächsischen Landesregierung und vom Landkreis Emsland voll geteilt. Landesregierung und Landkreis tun genau das, was die SPD in der Begründung ihres Antrages fordert, nämlich informatives Material über die Emslandlager zu sammeln und der Öffentlichkeit einschließlich der Schulen und Bildungseinrichtungen darzubieten. Ich nenne fünf Beispiele.
Erstens. Am 4. Dezember 1981 hat die Landesregierung auf dem Friedhof am Küstenkanal in Bockhorst eine Ehrenhalle der Öffentlichkeit übergeben. Dieses Ehren- und Mahnmal wurde mit einem Kostenaufwand von zirka 200 000 DM errichtet. Mit dieser Gedenkstätte soll aller 1933 bis 1945 in den Emslandlagern umgekommenen Häftlinge gedacht werden.
Zweitens. Der Landkreis Emsland hat 1981 eine wissenschaftliche Dokumentation über die Geschichte der Emslandlager in Auftrag gegeben. Die Dokumentation wurde am 29. Januar 1983 in einer großen Gedenkveranstaltung der Öffentlichkeit vorgestellt, eine Dokumentation, eine Analyse zum Verhältnis von NS-Regime und Justiz am Beispiel der Emslandlager, ein dreibändiges, insgesamt 3 600 Seiten umfassendes Werk, in dem alle Informationen über die Emslandlager aus allen noch zugänglichen Quellen zusammengetragen worden sind.
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Verfasser dieser Dokumentation, deren Gesamtkosten sich auf rund 300 000 DM belaufen - damit beantworte ich Ihre Frage -, sind Professor Dr. Erich Kosthorst und Bernd Walter von der Universität Münster. Diese Dokumentation hat z. B. die Erinnerung wachgerufen an einen bislang von allen vergessenen, aufrechten sozialdemokratischen Politiker, nämlich Ernst Heilmann, der in diesem Lager in besonderer Weise gequält und der später in Buchenwald ermordet wurde.
Drittens. Der Landkreis Emsland unternimmt große Bemühungen, um die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Emslandlager einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Alle Kreisschulen haben bereits das vorliegende Werk. Der niedersächsische Kultusminister hat eine Projektgruppe betraut, die die erstellte Dokumentation für den Schulunterricht umsetzen soll. Der Landkreis erstellt eine Kurzfassung, um sie möglichst breit zu streuen. Auch die Büchereien im Landkreis werden jeweils ein Exemplar der Dokumentation erhalten.
Viertens. Es wird erwogen, in einem Museum eine Abteilung einzurichten, in der auf der Grundlage dieser Dokumentation über die Emslandlager umfassend informiert wird.
Fünftens. Die Landesregierung hat auf Grund dieser Dokumentation die Bezirksregierung Weser-Ems beauftragt, über das auf dem Friedhof am Küstenkanal in Bockhorst errichtete Ehrenmahnmal hinaus auch auf den Friedhöfen Herbrum, Oberlangen, Wesuwe, Versen, Großfullen und Neugnadenfeld Tafeln mit Hinweisen auf die jeweiligen Lager und die dort Inhaftierten aufzustellen.
Meine Damen und Herren, dies alles zeigt die gemeinsamen Bemühungen des Landkreises und der niedersächsischen Landesregierung, auch im Emsland die Erinnerung an die schrecklichen Geschehnisse, die durch das nationalsozialistische Regime verursacht wurden, wachzuhalten. Denn diese Bemühungen haben mit einer Frage zu tun, die Weihbischof Kettmann in der von mir erwähnten Gedenkveranstaltung gestellt hat:
Wenn heute oder morgen die Menschenwürde bedrohende Ideologien, totalitäre Systeme über uns kämen - hätten wir die geistig-moralische Kraft, ihnen zu widerstehen, sie von innen her zu bekämpfen?
Meine Damen und Herren, dieser Frage wollen und werden wir nicht ausweichen, auch nicht im Emsland.
({1})
Wenn wir den Antrag der SPD ablehnen, so deshalb, weil nicht erkennbar ist, welche Aufgaben ein eventuelles Dokumentations- und Informationszentrum auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Esterwegen - ({2})
- Ich bemühe mich sehr um eine äußerst ruhige und sachliche Darstellung der Problematik. Ich lade Sie gerne ein, sich einmal im Emsland umzuschauen, um sich dort die Bemühungen des Landkreises und der Landesregierung anzusehen.
({3})
- Einen Augenblick! Wenn wir daher den Antrag der SPD ablehnen, so deshalb, weil nicht erkennbar ist, welche Aufgaben ein eventuelles Dokumentations- und Informationszentrum auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Esterwegen wahrnehmen könnte, die nicht bereits durch die Bemühungen des Landkreises und des Landes abgedeckt sind. Die niedersächsische Landesregierung hat völlig zu Recht auf die erheblichen Kosten hingewiesen - Baukosten von mindestens 2,5 Millionen DM und jährliche Folgekosten in Höhe von 250 000 DM -, die durch das von der SPD unterstützte Projekt entstehen würden, und sie hat erklärt, es sei nicht vertretbar, sowohl für die Vorhaben des Landkreises als auch für das von der SPD vorgeschlagene Projekt öffentliche Mittel bereitzustellen, da der Zweck jeweils der gleiche sei.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege, wenn Sie nicht zu erkennen vermögen, welche Aufgaben ein solches
Dokumentations- und Informationszentrum haben könnte,
({0})
könnte ich Ihnen insofern weiterhelfen,
({1})
als ein solches Dokumentations- und Informationszentrum vielleicht eine gute Weiterbildungsstätte für Ihren Kollegen aus dem Niedersächsischen Landtag sein könnte, für den CDU-Abgeordneten Theyssen, der erklärt hat, die Massenmordaktionen während des Terrorregimes der Nazis seien vergleichsweise human gewesen.
Was das letztere betrifft, Herr Schily, so darf ich darum bitten, daß Sie die öffentliche Erklärung nachlesen, die Herr Theyssen abgegeben hat, in der er sich für eine Formulierung, die in gar keiner Weise so gemeint war, wie Sie sie jetzt darstellen, ausdrücklich entschuldigt und, um dieses Mißverständnis auszuräumen, ausdrücklich erklärt, in welcher Weise er immer und stets das nationalsozialistische Regime als verbrecherisch angeklagt habe.
Im übrigen bitte ich sehr darum, auf das zu achten, was ich formuliert habe: Ich halte ein solches Informationszentrum nicht für überflüssig; ich sage nur, es steht neben den Bemühungen des Landkreises und der Landesregierung, die mit ihren Maßnahmen den gleichen Zweck verfolgen.
({0})
Ein Wort wollte ich noch an die Adresse der Sozialdemokratischen Partei sagen, weil es vor Ort auch Töne gibt, mit denen versucht wird, die Motive der CDU umzudeuten und zu verfälschen. In dieser Angelegenheit brauchen wir nun wirklich keine Belehrung. Die Sozialdemokratische Partei hat 25 Jahre lang in Niedersachsen die Regierung gestellt. Ich kann mich an keinerlei Aktivitäten der SPD-geführten Landesregierungen für eine Gedenkstätte in Esterwegen erinnern.
({1})
Gehandelt wurde erst, als Ernst Albrecht die Regierungsverantwortung in Niedersachsen übernahm. Dann wurde das Ehrenmal gebaut, dann wurde die Dokumentation, die nichts verschweigt, in Auftrag gegeben! Wir werden auch dafür sorgen, daß diese wissenschaftlichen Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden. Auch hier gilt - ich sage das sehr ruhig -: Auch bei der Bewältigung der Vergangenheit kommt es, meine Damen und Herren, nicht auf die großen Sprüche an, sondern auf das Handeln.
({2})
Es gibt ein weiteres wichtiges Argument. Alle niedersächsischen Landesregierungen, angefangen von Hinrich Wilhelm Kopf über die Ministerpräsidenten Diederichs und Kubel bis hin zu Ernst Albrecht, haben das Konzept verfolgt, eine zentrale Gedenkstätte für ganz Niedersachsen in besonderer
Weise auszubauen, und zwar Bergen-Belsen. Dieses KZ war das in Niedersachsen mit Abstand größte Lager. Am Tag der Befreiung befanden sich dort noch ca. 60 000 Menschen. Allein in der Zeit von Ende Januar 1945 bis Ende April 1945 sind dort ca. 44 000 Menschen umgekommen. Bergen-Belsen ist in aller Welt - wie Auschwitz und Dachau - Symbol für die von den Nazis begangenen Greueltaten. Ca. 250 000 Besucher aus dem In- und Ausland kommen jährlich an diesen Ort. Die Dokumente und Bilder, die in dieser Gedenkstätte ausgestellt sind, stehen stellvertretend für das leidvolle Geschehen auch in allen anderen Lagern.
({3})
Aus diesem Grunde hat der niedersächsische Innenminister im Landtag erklärt, Bergen-Belsen solle seine überragende Bedeutung im Verhältnis zu allen anderen niedersächsischen Konzentrationslagern behalten. Er hat es abgelehnt, auf die Bundesregierung einzuwirken, Gelände des Bundes für die Errichtung des von der SPD gewünschten Dokumentations- und Informationszentrums zur Verfügung zu stellen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schließt sich dieser Auffassung an. Wir werden immer wieder - auch im Emsland - in Erinnerung rufen, was eine Diktatur für den Menschen, für die Freiheit und für den Rechtsstaat bedeutet. Deshalb ermutigen wir den Landkreis und die Landesregierung in ihren Bemühungen.
Uns alle hier im Parlament fordere ich auf, die Entscheidung in den bewährten kommunalpolitischen Händen zu belassen. Dem gemeinsamen Anliegen, um das es hier geht, wird damit am besten gedient.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jannsen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Auf der Suche nach dem Moorsoldaten" ist der Titel einer Broschüre, die von diesem Aktionskomitee für ein Dokumentations und Informationszentrum herausgegeben worden ist und die sich jeder besorgen kann. Wenn man diese Broschüre ansieht, stellt man fest: Es wird Zeit, allerhöchste Zeit, daß die Spuren, denen diese Suche gilt, gefunden werden. Denn es ist nicht mehr allzu viel von dem da, was vor 50 Jahren dort angefangen hat. Es gibt drei Lager, die man heute noch direkt wiederfinden kann: das Lager Esterwegen und die zwei Lager, die heute als Justizvollzugsanstalten in Betrieb sind - es sind nicht mehr dieselben Gebäude, aber es ist dasselbe Gelände. Alle übrigen Lager sind unter landwirtschaftlicher und dörflicher Nutzung verschwunden. Das heißt, es wird allerhöchste Zeit, etwas zu tun.
Dieses Aktionskomitee und der Arbeitskreis Carl von Ossietzky im Emsland arbeiten seit fünf Jahren
und versuchen, die Erinnerung, die Erfahrung mit der Geschichte in die Gegenwart zurückzurufen.
Diese Bemühungen hatten zum ersten Mal im Jahr 1982 Erfolg. Dafür danken die, die sich darum gekümmert haben, und auch ich dem damaligen Verteidigungsminister.
({0})
Es kann auch - das muß gesagt werden - dem niedersächsischen Justizminister gedankt werden. Denn er war bereit, im Januar dieses Jahres zwei der alten Baracken aus der Nazi-Zeit für eine solche Dokumentation zur Verfügung zu stellen.
({1})
Mit dem April dieses Jahres, der Durchsetzung der Wende auch im verteidigungspolitischen Bereich und auch in Kleinigkeiten, wie es scheint, ist das alles anders geworden. Die niedersächsische Landesregierung erklärte auf eine Anfrage meines Kollegen Meinsen: Die Landesregierung hat nicht die Absicht, dem Aktionskommitee beim Erwerb eines Grundstücks für die Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums über die ehemaligen Emslandlager zu helfen, obwohl - das ist eine Antwort vom 20. Juni 1983 - ein halbes Jahr früher noch Hilfe geleistet worden ist. Das sollte vielleicht zu Ihren Aussagen, Herr Seiters, noch hinzugefügt werden.
Ein Weiteres scheint mir zu betonen notwendig. Die niedersächsischen Landesregierungen - die heutige und die früheren - haben sich auf Bergen-Belsen orientiert. Das scheint mir und denjenigen, die im Emslandbereich an der Dokumentation der Vergangenheit schon lange arbeiten, nicht hinreichend zu sein. Dieses Nicht-hinreichend-Sein hat etwas mit der besonderen Bedeutung und Funktion dieser Emslandlager zu tun. Esterwegen und drei andere wurden bereits im Sommer 1933 eingerichtet als Straflager für politische Gefangene Preußens auf Befehl Hermann Görings. 1934 wurden sie der Justiz übergeben, Esterwegen 1936. Es ist bekannt, daß in Esterwegen Carl von Ossietzky eingesessen hat, dessen Namen zu bekommen die Universität Oldenburg noch heute ringt.
Nachdem diese Lager eingerichtet waren, wurden sie zur Schulung von KZ-Personal durch die Nationalsozialisten verwendet. Es sind u. a. in Esterwegen geschult worden Koch, der später als Kommandant Buchenwald geleitet hat, und Loritz, der später Sachsenhausen geleitet hat.
In der zweiten Entwicklungsphase, als diese Lager Justizvollzugslager wurden, wurden dort Kriminelle, nach der damaligen Rechtsordnung rechtskräftig verurteilte Menschen, eingewiesen. Dabei sind Tausende gestorben. Zu diesen Kriminellen von damals gehörten - das möchte ich hier hervorheben - Homosexuelle, Sinti und die verurteilten Hoch- und Landesverräter, die Widerstandskämpfer aus religiösen und politischen Motiven waren. Das ist bis Kriegsbeginn die Funktion dieser Lager gewesen.
Mit Kriegsausbruch bekamen diese Lager die Aufgabe, Militärstraflager zu sein, und während des
Krieges wurden sie dann darüber hinaus Kriegsgefangenenlager. Sie wurden Lager für Gefangene aus Polen. Tausende sind dabei umgekommen. Erst in dieser Zeit der Kriegsgefangenen-, Militärstraflager sind die hauptsächlichen Kolonisationsarbeiten in den Mooren gemacht worden. Die Verwendung von Maschinen für diese Moore wurde abgelehnt. Der spätere Präsident des Volksgerichtshofes Freisler wies diesen Lagern ausdrücklich auch den Charakter der Straflager zur Vernichtung zu.
Das sind alles Dinge, deren Kenntnis notwendig ist, um zu begreifen, weswegen dieses Aktionskomitee der Meinung ist, daß hier eine besondere Informations- und Dokumentationsstätte als Lernstätte und Stätte der Begegnung mit diesen Emslandlagern notwendig ist.
Der letzte Punkt in der Geschichte dieser Lager zur Zeit des Nationalsozialismus ist die Aufnahme von Polen und Belgiern, von Menschen aus den Widerstandsbewegungen dieser Länder. In Esterwegen sind Belgier eingekerkert worden, die dann dort und in Osnabrück, in Essen und in anderen Teilen des damaligen Reiches zum Tode verurteilt und zum Teil hingerichtet wurden. Von vielen dieser Menschen ist bis heute nicht bekannt, wo sie geblieben sind.
Nach Kriegsende wurden diese Lager aus Not zum Teil Flüchtlingslager und, wie ich schon erwähnt habe, Justizvollzugsanstalten, zum Teil untergebracht in den alten Anstalten der Nationalsozialisten, zum Teil auch in Neubauten. Heute - darauf habe ich hingewiesen - ist von diesen Lagern fast nichts mehr zu sehen. Es besteht die Gefahr, daß die Geschichte der Emslandlager und damit die Geschichte des Naziterrors in dieser Gegend unter der Grasnarbe verschwinden wird. Deswegen und auch aus anderen Gründen brauchen wir dieses Dokumentationszentrum.
Ich gestatte mir zum Abschluß, aus einer Ansprache eines dänischen Häftlings aus Dalum, einem dieser Lager, die er am 8. Mai 1982 gehalten hat, zu zitieren. Ich möchte dabei noch hinzufügen, daß drei dieser Emslandlager in der letzten Phase des Dritten Reiches Außenkommandos des KZ Neuengamme waren. In diesen Außenkommandos wurden überwiegend Skandinavier untergebracht und ermordet.
Es sind aber trotzdem einige übriggeblieben. Ich zitiere jetzt die Worte des ehemaligen dänischen Häftlings Orla Rasmussen:
In einigen Jahren gibt es keine mehr, die sich erinnern können. Dann gibt es nur noch Gedenktafeln. Deshalb, während die Möglichkeiten noch bestehen, schafft Belege für das, was in den Emslandlagern geschah!
Darum geht es. Das kann man nicht über Gedenktafeln erreichen.
({2})
Ich darf dem Hohen Hause vielleicht sagen, daß in Neuengamme Kurt Schumacher und Bruno Diekmann, der frühere Mi2850
Vizepräsident Frau Renger
nisterpräsident von Schleswig-Holstein, eingesessen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt politische Bereiche, in denen man Rhetorik tunlichst nicht entfalten sollte und bei denen es etwas peinlich wirkt, wenn man die Diskussion eingeteilt nach Partei- oder Fraktionsgrenzen führt, die Tüchtigkeit und Rechtgläubigkeit der eigenen Parteifreunde und ihre Tätigkeiten lobt und die der anderen kritisiert und ihnen möglichst irgendwelche politischen Motive unterschiebt. Ich bin nicht in der Lage, zu diesem Thema eine solche Rhetorik zu entfalten.
Der Antrag führt wirklich in eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zurück. Es sind Namen genannt worden: Carl von Ossietzky, Julius Leber. Man kann das ergänzen, weil ja jedes dieser Lager - nicht nur auf dem Gebiet des heutigen Landes Niedersachsen - seine Geschichte, seine Persönlichkeiten, seine Opfer und seine Täter gehabt hat.
Was man eigentlich aus allen Redebeiträgen festhalten sollte und muß, ist, daß keine Fraktion dieses Hauses, niemand, die Erinnerung an diese Vorgänge verdrängen oder verdunkeln will.
({0})
Das ist das Wichtige. Das ist auch wichtig, wenn man sich darüber klar wird, wo die Altersgrenze der eigenen Erinnerung liegt. Kaum jemand, der jünger als 45 Jahre ist, kann heute noch eine eigene Erinnerung an diese Zeit haben, über die wir reden und die wir nicht vergessen dürfen. Das muß man sich klarmachen: Jeder, der unter 45 ist, kann kaum eine eigene Erinnerung an das haben, was wir erlebt haben. Das macht einen Unterschied im politischen Denken aus, und das muß dazu führen, daß wir Älteren alles tun, um dafür zu sorgen, daß das nicht vergessen wird.
Wir haben aus dem, was Herr Seiters gesagt hat, gehört, daß auch der Kreis und die Gemeinde nicht etwa wollen, daß die Erinnerung, wie Sie sagen, unter der Grasnarbe verschwindet. Ich denke, daß sich die Erinnerung in erster Linie nicht in Steinen, Tafeln und Gebäuden darstellt, sondern Erinnerung ist das, dessen wir uns bewußt sind. Das muß sich in Handlungen, in Verhaltensweisen umsetzen - auch in diesem Hause.
({1})
Das heißt, daß wir über den richtigen Weg der Erinnerung nicht in Formen der Polemik streiten sollten, sondern daß wir uns im Ausschuß in Ruhe darüber unterhalten müssen, was geschehen soll, was die einzelnen Beteiligten planen.
({2})
Wenn wir zu der Überzeugung kommen, daß eine
angemessene Erinnerung nur unter Beteiligung des
Bundes möglich ist, dann bin ich sicher, daß der Bund seinen Teil dazu beitragen wird.
({3})
Ich bin aber auch sicher, daß diejenigen, die auf einer Erinnerung an dieser Stelle bestehen, dann nicht darauf bestehen werden, wenn sie erkennen, daß die Erinnerung selbst bleibt, daß die Tatsachen selber nicht vergessen werden, nicht vergessen werden sollen, sondern in würdiger und geeigneter Form dargestellt werden. Das ist nach meiner Überzeugung nicht an einen Ort gebunden, sondern das ist an die Form, an die Erscheinung und an das gebunden, wessen wir uns bewußt sind.
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Daran werden wir im Ausschuß arbeiten. Deswegen sind wir für die Überweisung dieses Antrags an den Ausschuß. Ich wünsche, daß wir ernsthaft und seriös miteinander darüber sprechen, was geschehen muß.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Würzbach.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesministerium der Verteidigung hat sich diese Entscheidung nicht leichtgemacht. Uns ist bewußt, daß auch das Konzentrationslager Esterwegen ein bedrückendes Zeugnis der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist. Ich weiß, daß neben den Personen, deren Namen heute morgen als Beispiele genannt wurden, auch die Reichtagsabgeordneten Otto Eggerstedt und Friedrich-Ernst Husemann dort ermordet wurden, denen nichts anderes vorgeworfen wurde als ihre Zugehörigkeit zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands oder zur Gewerkschaftsbewegung.
Was in den Emslandlagern geschah, gehört zu den schrecklichsten, dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte. Der Kollege Hirsch wies darauf hin, daß es hier niemanden gibt, der sich dieser Beurteilung der Greuel nicht anschließt.
Ich will sehr klar sagen: Wir sind mit den Antragstellern, Herr Kollege Tietjen, völlig einig, daß die Erinnerung an diese nationalsozialistischen Gewaltherrschaften mit all den schlimmen Exzessen wachgehalten werden muß, ganz wachgehalten werden muß, damit solches Unrecht, solches Verhalten, solche Ergebnisse nie wieder, auch nicht im untersten Ansatz, möglich werden. Sie riefen zur Wachsamkeit auf. Sie riefen dazu auf, entstehenden Extremismus in den untersten Ansätzen zu erkennen, zu verhindern, zu bekämpfen. Auch hier sind wir uns einig.
Die Bundesregierung stimmt aber auch deutlich überein mit den durch den Kollegen Seiters dargelegten Auffassungen der Landesregierung und mit der Auffassung der kommunalen Gremien in dem betreffenden Landkreis. Sie weist auf die zentrale Bedeutung hin, die der mahnenden, erinnernden Gedenkstätte in Bergen-Belsen im Lande NiederParl. Staatssekretär Würzbach
sachsen mit all der dort gebotenen lebendigen Informationsvermittlung für Schüler, für Jugendliche, für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen aus unserem Lande und aus dem Ausland zukommt. Es geht auf diesem Wege keine Geschichte verloren. Es wird nichts verdrängt oder, wie anders gesagt wurde, untergepflügt.
Die Bundeswehr hat dieses landeseigene Gelände des ehemaligen Lagers im Jahre 1962 auf Anregung der damaligen niedersächsischen Behörden und der Landesregierung erworben, und sie hat dort ein Bekleidungs- und Verpflegungslager eingerichtet. Die Baulichkeiten auf dem ehemaligen Lager wurden nach mehrfacher Nutzungsänderung abgerissen. Nach Fertigstellung des Depots blieb eine ungefähr 2 ha große Fläche zunächst außerhalb der Umzäunung ungenutzt. Sie wurde damals bereits für notwendig werdende Erweiterungen eingeplant.
Im Februar 1980 wurde auf Anregung eines jungen Gymnasiasten aus Osnabrück im Eingangsbereich dieses Depots ein Gedenkstein zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus errichtet. Dieser Gedenkstein bekam folgende Inschrift:
Auf diesem Gelände standen während der Zeit der NS-Herrschaft die Baracken des Konzentrationslagers Esterwegen. Zum Gedenken an die Menschen, die hier leiden mußten, angebracht im Jahre 1980.
Der Bundesminister der Verteidigung.
Nach Überlegungen in unserem Ministerium in den Jahren 1980 bis 1982 wurde einem als eingetragenen Verein tätigen Aktionskomitee eine bundeseigene Fläche ungefähr in der Größe von 5000 qm für ein zu errichtendes Informationszentrum zunächst zugesagt. Es ergab sich dann jedoch die dringende Notwendigkeit, in dem Bereich von Niedersachsen zwei weitere Reservelazarettgruppen unterzubringen, Sanitätsmaterial einzulagern. Das Gesetz über Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung schreibt zwingend vor, auf privates Gelände für Verteidigungszwecke nur dann zurückzugreifen, wenn Grundstücke, die im Bundeseigentum stehen, für ein beabsichtigtes Vorhaben nicht zur Verfügung stehen. Da das bundeseigene Gelände in Esterwegen zur Unterbringung dieser Reservelazarettgruppen, zur Einlagerung des Sanitätsmaterials wegen seiner Lage und wegen seiner Verbindung zu den dort bereits bestehenden Depots geeignet ist, greift das Verteidigungsministerium auf dieses Gelände zurück - Kollege Tietjen, ich beantworte auch die vorhin von Ihnen an mich gestellte Frage -, auf das gesamte Gelände, das noch vor der bisherigen Einzäunung liegt.
Im Juli dieses Jahres wurde mit den Bauarbeiten begonnen, Kollege Tietjen, ohne jeden Bezug auf parlamentarische Beratungen Ihres und Ihrer Fraktion Antrags. Sie wissen, welchen Vorlauf eine solche Ausschreibung hat, welche technischen Vorbereitungen nötig sind.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Frau Präsidentin, ich möchte gerne wie die Vorredner zu diesem Thema in aller Ruhe und Sachlichkeit unsere Auffassung vortragen.
Ich meine, daß bei einer sachlichen Würdigung, bei der Berücksichtigung der in Übereinstimmung mit der niedersächsischen Landesregierung und den kommunalen Gremien in Gemeinde und Kreis vorhandenen Möglichkeiten, Angeboten und Maßnahmen der lebendigen und - wie ich noch einmal sage - notwendigen Information und der Dinge, auf die hier in einem Katalog von vier oder fünf Punkten hingewiesen wurde, wo gerade diese örtlichen Informationen mit einbezogen werden, keine durchschlagenden Beanstandungen dahin gehend vorliegen, daß die Bundeswehr das Gelände dieses ehemaligen Lagers Esterwegen, das sie seit 1962 nutzt und wo keinerlei Gebäude oder Teile des ehemaligen Lagers mehr existieren, für ihren eigenen, dringenden Bedarf in Anspruch nimmt. Hierfür bitte ich bei aller Würdigung auch der von Ihnen vorgetragenen Überlegungen um Verständnis.
({0})
Ich formuliere mit dem Kollegen Hirsch, daß wir uns in dem Ziel einig sind - dies möchte ich sehr wohl feststellen -, alles gegen jede mögliche Entstehung einer Gewaltherrschaft zu tun, in dem Ziel, nie zu vergessen, was dort geschah, welches Elend und Leid den Menschen dort zugefügt wurde, in dem Ziel, dies auf mannigfaltige, lebendige Art und Weise verständlich möglichst vielen Menschen von uns aus zu vermitteln, und daß wir uns hier nur in einem kleinen Stück des Weges zu diesem gemeinsamen Ziel augenscheinlich uneinig sind.
({1})
Wir sollten bei der Diskussion über dieses kleine Stück des Weges das wichtige Ziel, in dem wir einig sind, nicht aus dem Auge verlieren.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/579 an den Innenausschuß - federführend - und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 15 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/588 -Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/681 vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart
Vizepräsident Frau Renger
worden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort.
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dieser Petition geht es um eine Erweiterung des Truppenübungsplatzes Kerstlingerröder Feld um 104 ha Waldgebiet. Davon ist ein Teil nötig für Panzerübungen, ein anderer für Infanterieübungen - Waldkampf. Diese Erweiterung wird von einer Truppe für nötig gehalten, die trotz einer von ihr reklamierten Raumnot im internationalen und nationalen Vergleich bisher nach eigenen Aussagen immer ausgezeichnete und überragende Leistungen erbracht hat.
Worum handelt es sich bei dem Gebiet Kerstlingerröder Feld? Das Kerstlingerröder Feld ist ein Teil des Göttinger Waldes. Es ist ein weitgehend intaktes Ökosystem und von hohem Wert für die Bürger. Laut Raumordnungsprogramm der Landesregierung ist dieses Waldgebiet Vorranggebiet erstens für die Naherholung, zweitens für den Landschaftsschutz, drittens für den Waldbau und die Forstwirtschaft; es ist forstwirtschaftliches Hauptnutzungsgebiet für einige Gemeinden. Außerdem finden wir hier ein Versuchsgelände der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das 1980 auf zwölf Jahre geplant und mit Millionenaufwand eingerichtet worden ist. 4,5 Millionen DM sind hier bereits investiert worden; pro Jahr sind 2 bis 4 Millionen DM Fördersumme vorgesehen. In Süden schließt sich ein Wasserschutzgebiet zur Trinkwassergewinnung der Gemeinden Groß- und Klein-Lengden an.
Unter ökologischen Gesichtspunkten handelt es sich hierbei um die Lebensgemeinschaft Kalkbuchenwald. Der Kalkbuchenwald gehört zu den artenreichsten Ökosystemen Mitteleuropas. Er ist wegen flachgrundigen und verletztlichen Bodens ein sehr seltenes und sehr empfindliches Vorkommen. Das Mitglied des Landtages Niedersachsen, der Abgeordnete Bruns von der SPD, hat es als „eines der wertvollsten Waldbestände Niedersachsens" klassifiziert. Wir finden in diesem Waldgebiet eine reich ausgebildete Krautschicht von mindestens 77 Arten, wovon neun Arten auf der roten Liste stehen.
Wir finden hier auch einen außerordentlichen Artenreichtum von Tieren, bedingt durch die Vielfalt der Kraut- und Baumschicht. Es werden hier 2 000 bis 3 000 Arten angeführt, wovon viele äußerst empfindlich gegen Lärm, Bodenerschütterung und Abgase sind.
Was passiert nun mit diesem äußerst wertvollen Gebiet durch Inanspruchnahme durch das Militär?
Das Bundesverteidigungsministerium und die Regierung Niedersachsens erklären, daß die Schäden durch Trassenverlauf auf Waldwegen, durch möglichst geringen Holzeinschlag und durch Vorsorge sowie geeignete und schnelle Maßnahmen bei Schäden auf ein Minimum begrenzt werden können.
Diese Einschätzung ist aber nach dem heutigen Stand der Wissenschaft und dem Urteil unabhängiger Fachleute falsch. Das geht aus einer Stellungnahme von Vertretern des BUND sowie aus einem Gutachten von Professor Dr. Lang vom 20. März 1982 hervor. Dieses Gutachten lag dem Ausschuß weder bei seinen Beratungen noch bei der Ortsbesichtigung vor. Außerdem ist es heute schon fast Allgemeinwissen, daß das Ökosystem Wald nicht bloß durch Holzeinschlag gefährdet werden kann, sondern daß jeder Eingriff Konsequenzen für die ganze Lebensgemeinschaft Wald nach sich zieht, so wie ein Stein, den man ins Wasser wirft, auch weite Kreise auf der ganzen Wasseroberfläche nach sich zieht. Insbesondere sind hier Bodenverdichtungen durch Panzertrassen mit Störungen des Wasserhaushalts sowie Veränderungen der Lebensgemeinschaft Wald durch das Baumaterial für die Trassen zu erwarten.
({0})
Reviere, Wanderwege und Tierwechsel werden durch Trassenbau und Panzer- und Infanteriebetrieb zerstört. Die Infanterieausbildung wird durch Befahren und Abstellen von Radfahrzeugen, Zelte, Feuerstellen und Begehen in Formationen schwere Folgen für den Boden, die Pflanzen- und die Tierwelt nach sich ziehen.
({1})
Es sind weiter erhebliche Emissionen durch Abgase schwerer Panzermotoren zu befürchten, die Schäden wie beim sauren Regen im Trassenbereich erwarten lassen. Der Verlust von Motorenöl, der bei Maschinen nie ausgeschlossen werden kann, könnte unter Umständen auch das Wasserschutzgebiet beeinträchtigen. Alle diese Schäden treten selbst dann ein, wenn die Panzer - wie versprochen - nicht von den Trassen abweichen. Daran muß man aber große Zweifel haben.
Oberstleutnant Bahr hat beim Ortstermin erklärt,
({2})
daß ein Widerspruch besteht: Trassenfahren sei keine realitätsbezogene Ausbildung, aber es werde hingenommen, um das Gelände zu schonen. Oberstleutnant Bahr hat erklärt, daß die Soldaten auf realistische Weise üben können müssen, um im Verteidigungsfall auch überall kämpfen zu können; darum müsse man dieses Gelände auch erweitern. Ich möchte dazu sagen, daß im Verteidigungsfall nicht auf Trassen gefahren wird.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat demgegenüber in einer Stellungnahme vom 24. Oktober 1983 - auch abgegeben nach der Ortsbesichtigung - wörtlich erklärt - ich zitiere -:
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Obwohl auf allen Übungsplätzen geschotterte
Fahrstrecken angelegt worden sind und noch
angelegt werden, übt die Truppe bei einigermaßen geeigneten Böden und trockenem Wetter auch außerhalb der Fahrstrecken. Durch diesen Fahrverkehr im Gelände mit Schwerlast- und Kettenfahrzeugen wird nach geraumer Zeit die Bodendecke zerstört, der Boden verdichtet und die normale Ableitung des Tagwassers unmöglich gemacht.
Ich denke, dieses wörtliche Zitat spricht für sich.
Was ändert nun der Beschluß des Petitionsausschusses an dieser Gefahrenlage? Schlicht und ergreifend gar nichts. Dieser Beschluß des Petitionsausschusses besagt, daß die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen werden soll, soweit die vorhandenen Waldwege in den Bau der Panzertrassen einbezogen werden können, sie im übrigen als erledigt anzusehen und sie dem Niedersächsischen Landtag zur Kenntnis zu geben.
Die Waldwege sollten aber schon seit Beginn der Planungen so weit wie möglich in den Trassenbau einbezogen werden. Das geht aus einer Stellungnahme des niedersächsischen Innenministers vom 27. November 1981 - Blatt 3 - eindeutig hervor. Ein Hektar Waldeinschlag weniger vermindert die ökologischen Folgeschäden nur unwesentlich.
Es ist nicht zu erwarten, daß sich der Niedersächsische Landtag mit dieser Sache noch einmal bef assen wird; Ministerialrat Behre hat das klipp und klar erklärt. Es hat dazu schon zwei Abstimmungen im Niedersächsischen Landtag gegeben, darunter eine namentliche Abstimmung.
Es handelt sich bei dieser Angelegenheit um einen Interessenkonflikt zwischen Umweltschutz und Bürgerbelangen sowie militärischen Belangen. Der zweite Teil der Petition, nämlich das Anliegen der Bürger, den Übungsplatz nicht zu erweitern, die Nutzungsverträge nicht zu unterzeichnen und das Änderungsverfahren erneut durchzuführen, wird mit dem Argument abgelehnt, schon 1972 seien die betroffenen Gemeinden im Rahmen des Landbeschaffungsgesetzes gehört worden, die Durchführung sei nur mit Zustimmung des Bundes möglich und das BMVg lehne ein neues Änderungsverfahren ab, weil sich die „sachlichen und rechtlichen Aspekte nicht geändert" hätten.
({4})
Da sind wir GRÜNE ganz anderer Auffassung. Wir halten das Anliegen zum einen aus den zuvor schon genannten ökologischen Gründen, zum anderen aber auch aus folgenden Gründen für voll berechtigt:
Erstens. Das Anhörungsverfahren wurde 1972 durchgeführt. Am 27. Oktober 1976 hat es in Niedersachsen eine Gebietsreform gegeben. Somit wäre eine Einschaltung und Stellungnahme der Gemeinde Gleichen, die damals noch nicht existierte, als jetziger offizieller Gebietskörperschaft noch nötig. Das geht aus dem Gutachten von Professor Lange hervor, das uns weder bei der Ortsbesichtigung noch in der Ausschußberatung vorgelegen hat.
Zweitens. Die Güterabwägung zwischen militärischen und Belangen des Natur- und Bürgerschutzes ist zu Unrecht zugunsten der militärischen Belange ausgefallen. Auch das geht aus dem Gutachten von Professor Lange hervor.
({5})
In ihm heißt es, daß das Landbeschaffungsgesetz eine „angemessene Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung" fordert. Im Abschnitt „Militärische Verteidigung" des Landesraumordnungsprogrammes wird ausgesagt, daß die Vorranggebiete für den Natur- und Landschaftsschutz, für die Naherholung und für die Land- und Forstwirtschaft von militärischen Anlagen freizuhalten sind. Vor allem der stadtnahe Forst müsse, so hat der frühere Bundesminister Josef Ertl in diesem Zusammenhang einmal gesagt, geschützt und vor Schäden bewahrt werden.
Drittens. Wir GRÜNE sind der Auffassung, daß sich die sachlichen Aspekte seit 1972 radikal geändert haben. Ich denke, daß die Ergebnisse der letzten Erhebungen der Bundesregierung zum dramatischen Anwachsen des Waldsterbens durchaus eine Änderung der sachlichen Lage darstellen.
({6})
In diesem Zusammenhang halten wir den Anspruch der Bundeswehr auf 104 Hektar ökologisch und ökonomisch wertvollster Waldfläche mitten im Göttinger Wald, der im Landschaftsrahmenplan als Naturschutzgebiet vorgeschlagen ist, für nicht gerechtfertigt, das Anliegen der Petenten aber unter diesen „total geänderten sachlichen Aspekten" für voll gerechtfertigt und wert, der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen zu werden. Denn wir sind der Meinung, daß der beste Waldschutz der ist, noch gesunden Wald leben zu lassen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.
({0})
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die hier zur Diskussion stehende Petition betrifft einen Konflikt zwischen der Notwendigkeit zur Erweiterung eines Truppenübungsplatzes und den Belangen des Natur- und Umweltschutzes. Zunächst einmal: Diesen Konflikt hat man überall dort - freilich in unterschiedlicher Intensität -, wo ein solcher Übungsplatz geschaffen oder erweitert werden soll.
Im Ergebnis geht es jetzt um einen Kompromiß, der gefunden worden ist, der die Belange des Umwelt- und Naturschutzes weitestgehend berücksichtigt,
({0})
den Wald im Kerstlingerröderfeld weitestgehend schont, ohne daß das Projekt selbst aufgegeben werden muß.
Frau Nickels, was Ihre Haltung angeht, sollten wir doch zunächst einmal klarstellen - ich werde das gleich belegen -, daß es Ihnen nicht um den Wald, sondern darum geht, die Belange der Bundeswehr zu behindern.
({1})
Ich finde, das sollten Sie auch ehrlich sagen.
({2})
Es geht in der Sache um die Erweiterung der Fläche eines Übungsplatzes von zur Zeit ca. 200 Hektar auf dann etwa 300 Hektar. Eigentlich bräuchte die Bundeswehr bei den dort stationierten drei übenden Bataillonen nach den im Verteidigungsausschuß festgelegten Grundsätzen 350 Hektar.
({3})
Als die Bundeswehr vor zehn Jahren begann, die Erweiterung des Übungsplatzes im Kerstlingerröder Feld zu planen, waren dort nur zwei Bataillone stationiert.
Deshalb stelle ich erstens fest, daß die Erweiterung auf 300 Hektar bereits in der Gesamtfläche einen Kompromiß darstellt.
Zweitens. Das Land Niedersachsen hat bereits im Rahmen seiner Beteiligung an der Planung die Belange des Umweltschutzes berücksichtigt und zum Teil durchgesetzt. Niedersachsen hat nämlich zur Auflage gemacht, daß das Erweiterungsgelände in übungsfreien Zeiten der erholungssuchenden Bevölkerung zugänglich zu machen ist und daß Abholzung möglichst vermieden werden soll.
({4})
An den tatsächlichen wie auch rechtlichen Verhältnissen hat sich seit der Durchführung - auch der Beteiligung des Landes Niedersachsen - nichts geändert. Frau Nickels hat auch nichts vorgetragen, was sich mittlerweile geändert haben könnte, so daß eine Wiederholung dieses Verfahrens wirklich nur ein Aufhalten von Belangen der Bundeswehr wäre.
Zur Ermittlung der Frage, wie Abholzungen vermieden werden können, ist dann der Ortstermin des Petitionsausschusses durchgeführt worden. Frau Nickels, wir beide haben ja eine Gemeinsamkeit bei dieser Petition: Wir haben nämlich beide an dem Ortstermin nicht teilgenommen. Ich habe aber offenbar - soweit ich Ihre Ausführungen gehört habe - im Gegensatz zu Ihnen das Protokoll dieses Ortstermins sehr eingehend gelesen. Ich muß Ihnen da zunächst einmal sagen, daß die Fragen, die Sie im Ausschuß gestellt und die Sie hier vorgebracht haben, dort eingehend behandelt wurden.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie - Dr. Göhner ({0}): Gleich, Frau Präsidentin.
Sie haben an diesem Ortstermin nicht teilgenommen. Das ist Ihre Sache.
({1})
Sie können dann aber nicht die Belange, die Sie dort erörtern konnten, hier zu Diskussion stellen und neue Fragen aufwerfen und so tun, als ob dies neue Fragen wären.
({2})
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Bitte sehr.
Herr Kollege, ist Ihnen bei Ihren Ausführungen und Ihrem Besuch entgangen, daß es sich dort nicht um ein Truppenübungsplatz, sondern um ein Standortübungsgelände handelt?
Herr Kollege, es geht um einen Übungsplatz, der für drei Bataillone ermöglichen soll, daß Wehrübungen durchgeführt werden, und zwar ständig für die Wehrpflichtigen, die dort stationiert sind.
({0})
Herr Kollege, für den Platz, um den es hier geht, der völlig unstreitig für die Belange der Bundeswehr und für die Belange der Ausbildung notwendig ist
({1})
- darf ich vorschlagen, daß Sie jetzt wenigstens zuhören, wenn ich Ihre Frage beantworte; darum würde ich doch sehr herzlich bitten, Herr Kollege -,
({2}) besteht im Hinblick auf die Ausbildung ({3})
- ich beantworte es trotzdem gerne, wenn sich der Kollege hinsetzt - deshalb eine Notwendigkeit, weil dort mittlerweile ein drittes Bataillon hinzugekommen ist. Vor zehn Jahren, als das begann, konnte nur von zwei Bataillonen ausgegangen werden.
Es ist in der Sache ein Vorschlag aufgegriffen worden, daß durch die Benutzung von vorhandenen Waldwegen ein Holzeinschlag von erheblicher Größenordnung für Panzertrassen vermieden werden kann. Diese primäre Nutzung vorhandener Trassen ist doch etwas, was den Anliegen der Petenten - zugegeben: nicht den Maximalanliegen der Petenten - doch entgegenkommt.
Ich möchte deutlich sagen, daß mit diesem Ortstermin ein Stück zur Befriedung der widerstreitenden Interessen erreicht ist.
({4})
Ich möchte dafür an dieser Stelle der Vorsitzenden des Ausschusses, der Kollegin Berger, ausdrücklich Dank sagen.
({5})
Ich halte es für eine wichtige Funktion, daß wir gerade in solchen Konfliktfällen dazu beitragen können, daß im Wege gegenseitiger Anhörung und Erörterung ein Stück Befriedung eintreten kann und daß es die Petenten sehr wohl schätzen und sehr wohl akzeptieren, wie sich der Petitionsausschuß damit befaßt hat. Das ist ja auch durch ein Schreiben der Petenten zum Ausdruck gebracht worden.
({6})
Der Kollege Jagoda, der für unsere Fraktion die Berichterstattung in dieser Angelegenheit übernommen hatte und heute morgen leider wegen einer dringenden anderen Verpflichtung für die Fraktion verhindert ist, hat im Petitionsausschuß von einer hohen Stunde der Demokratie gesprochen, die dieser Ortstermin dargestellt hat.
Ich finde es in der Tat wichtig, daß wir dabei bleiben, im Petitionswesen eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, und deshalb möchte ich diese Gelegenheit auch dazu benutzen, Sie zu fragen, ob es eigentlich sinnvoll ist, daß wir hier solche Einzelfälle diskutieren, nachdem wir sie im Petitionsausschuß mit Ortstermin wirklich eingehend beraten haben. Leisten Sie damit nicht dem Petitionswesen insgesamt einen Bärendienst?
Wir haben jetzt in dieser Legislaturperiode bereits zum drittenmal einen Antrag der Oppositionsfraktionen, hier solche Anliegen, Einzelfälle, mit Abänderungsanträgen zu diskutieren.
({7})
Sie sagen, das zeige, daß wir der besonderen Bedeutung dieser Petition Rechnung tragen. Zunächst einmal finde ich, daß wir eine Menge bedeutender Petitionen haben, und kein Mensch kann daran denken, alles hierherzuholen. Tragen Sie nicht ein Stück Politisierung und Polarisierung in die Arbeit des Petitionswesens hinein, wenn Sie das hier ständig ins Plenum bringen? Im Ergebnis haben Sie selbstverständlich das Recht, dieses zu tun. Ich frage Sie nur, ob das auf Dauer sinnvoll sein kann. Wir haben das jetzt bereits zum drittenmal; es war vorher ein Jahrzehnt lang unüblich und ist nicht vorgekommen.
({8})
Ich gebe wirklich zu bedenken, ob dies in der Sache hilfreich ist.
In der Sache hilfreich ist die Beschäftigung mit dem Einzelfall, und das ist hier in hinreichender Weise geschehen. Ich meine, wir können nur hoffen, daß das, was jetzt beim Ortstermin als Kompromiß in Aussicht genommen worden ist, auch so realisiert werden kann.
Ich glaube, daß wir wirklich einmal bedenken sollten, wie wir miteinander umgehen. Wenn Sie, Frau Nickels, weil Sie eine Wahlkreisverpflichtung haben, wie Sie geschrieben haben, nicht an einem Termin teilnehmen können, weil Sie den Mitflug in einem Hubschrauber der Bundeswehr ablehnen - Sie lehnen alles ab, was mit der Bundeswehr zu tun hat, was Ihr gutes Recht sein mag -,
({9})
und wenn Sie auch, anders als z. B. der Kollege Jagoda, der mit der Bahn angereist ist, sagen, daß Sie da nicht hingehen, dann möchte ich Ihnen wirklich sagen, daß die Behandlung hier, ein Stück scheinbarer Identität mit diesen Belangen abzuziehen, wenig glaubwürdig ist.
({10})
Wenn Ihnen die Anliegen des Umweltschutzes wirklich so ernst sind, dann müssen Sie auch bereit sein, einen solchen Termin wirklich wahrzunehmen.
({11})
Ich hoffe im Interesse des Petitionsrechtes, daß wir künftig vor solchen Schaumschlägereien, wie Sie sie hier veranstaltet haben, wirklich bewahrt werden und dazu kommen können, daß das Petitionswesen auch in Zukunft nicht durch eine Polarisierung belastet wird, sondern daß man sich der Beschäftigung mit dem Einzelfall widmen kann.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peter ({0}).
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen. Die eine richtet sich an Herrn Dr. Göhner in bezug auf die Möglichkeit und das Recht, Petitionen hier im Bundestag zur Debatte zu stellen. Ich meine, es ist voll im Einklang mit der Intention des Petitionsrechts, daß sich einzelne Personen oder mehrere Personen gemeinsam in Bitten und Beschwerden an die Volksvertretung wenden. Ich meine, wenn unter Petitionen eine Vielzahl von Unterschriften steht, haben die Petenten auch das Anrecht darauf, ihre Argumente im Plenum deutlich wiederzufinden.
({0})
Zweitens behält sich meine Fraktion dieses Recht ebenfalls vor,
({1})
immer dann, wenn wir es für notwendig halten,
auch Einzelpetitionen aus Sammelübersichten her2856
Peter ({2})
auszugreifen und hier im Plenum zur Debatte und zur Abstimmung zu stellen.
({3})
Eine zweite Vorbemerkung: Ich gehöre im Unterschied zu den beiden Vorrednern zu denjenigen, die am Ortstermin teilgenommen haben. Ich bekenne mich schuldig, ich bin der Verursacher dieses Ortstermins, weil ich gemeint habe, bei Umweltfragen müsse man sich einen persönlichen Eindruck schaffen. Ich meine allerdings, aus den Unterlagen und dem ausführlichen Protokoll kann jeder, der nicht am Ortstermin teilnimmt, sich eine Meinung bilden und diese Meinung voll zum Ausdruck bringen.
Die SPD-Fraktion wird bei ihrem Ausschußvotum bleiben. Das Ja zur Ausschußvorlage ist allerdings ein Ja mit erheblichen Vorbehalten. Im Hinblick auf die Raketendebatte könnte man neudeutsch sagen: ein konditioniertes Ja. Das Ja ist nach meiner Auffassung die einzige Chance, dem Anliegen der Petenten Erfolgsmöglichkeiten zu lassen, eine Erweiterung des Standortübungsplatzes Kerstlingerröder Feld bei Göttingen zu verhindern.
Im Unterschied 'zu den GRÜNEN sind wir der Meinung, daß der Punkt b der Vorlage wirklich die einzige Möglichkeit ist. Dieser Eindruck beruht eben auf dem Ortstermin, auf den Aussagen des Protokolls, daß die niedersächsische Landesregierung mit der Bundesregierung in Verhandlungen über Nutzungsverträge steht und bei diesen Nutzungsverträgen die alte Landtagsposition, mit dem Landbeschaffungsgesetz sei die Prüfung abgeschlossen, bei den Verhandlungen über Nutzungsverträge wieder einbringen kann.
Die Bundesregierung weigert sich, in einem bereits 1973 rechtlich abgeschlossenen Verfahren nach dem Landbeschaffungsgesetz freiwillig eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung nach den Richtlinien der Bundesregierung vorzunehmen. Das war unsere Intention im Ausschuß. Das finden wir befremdlich, da einerseits das Thema „Schutz des Waldes" erhebliche Bedeutung gewonnen hat und da andererseits das Umweltbewußtsein insgesamt gestiegen ist. Die Verweigerung signalisiert, daß sich in dem Zielkonflikt Schutz der Natur und Belange der Bundeswehr auf seiten der Bundesregierung offensichtlich der Wandel des Bewußtseins nicht oder noch nicht mitvollzogen hat. Die Verweigerung läßt den Eindruck aufkommen, daß die Reden von den Maßnahmen gegen das Waldsterben leere Worte sind, bestenfalls für Sonntagsreden geeignet.
Uns schien eine dem veränderten Bewußtsein Rechnung tragende neue Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich, zumal das Land Niedersachsen bereits 1973 nur unter Zurückstellung von erheblichen Bedenken zugestimmt hat, den Standortübungsplatz zu erweitern. Durch die Weitergabe der Petition an den Niedersächsischen Landtag - Punkt b des Beschlusses -, auf unsere Initiative in den Beschluß aufgenommen, soll erreicht werden, daß der Niedersächsische Landtag und die dortige Landesregierung noch einmal nach dem niedersächsischen Waldgesetz und dem Naturschutzgesetz prüfen, ob die Erweiterung den neuen Umwelterfordernissen entspricht. Die niedersächsische Landesregierung, die sich auf ihr Engagement gegen das Waldsterben - aus einer Antwort der Bundesregierung an den Abgeordneten Wolfgramm geht das hervor - soviel zugute hält, kann den Abschluß von Nutzungsverträgen für das betreffende Waldgebiet verweigern bzw. so lange hinausschieben, bis die zu erwartenen Folgeschäden des Schneiseneinschlags von bis zu 15 m Breite in Hinblick auf Windbruch, Sonnenbrand, Schädlingsbefall, Verletzung des Wurzelgeflechts, Wasserabfluß und Übernässung gutachtlich geprüft sind. Das ist bisher nicht oder nicht ausreichend geschehen.
Die Bundeswehr, die zehn Jahre lang von der Genehmigung, den Standortübungsplatz zu erweitern, keinen Gebrauch gemacht hat, ist meines Erachtens durchaus in der Lage, weiterhin einen angemessenen Zeitaufschub zu ertragen. Auch scheinen mir noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, durch Umorganisation des Übungsbetriebs den Holzeinschlag überhaupt zu vermeiden, beispielsweise durch Verlagerung des infanteristischen Übungsbetriebs in den für die Erweiterung des Platzes vorgesehenen Bereich und die intensivere Nutzung des jetzigen Geländes für Panzer.
Da über die Nutzungsverträge nach meiner Kenntnis bereits intensiv verhandelt wird, wird durch den Beschluß erreicht, daß sich der Niedersächsische Landtag des Themas noch einmal annehmen kann. Deshalb empfehle ich den Petenten eine erneute Petition an den Niedersächsischen Landtag. Die Alternative, die Bundesregierung zu einer erneuten Überprüfung der Belange des Umweltschutzes zu bringen, hat sich als aussichtslos erwiesen, obwohl wir eine Fülle von Landvorhaltemaßnahmen aus der Zeit Anfang der 70er Jahre haben, die insgesamt tatsächlich zu einer Gefährdung der Waldbestände durch mechanische Eingriffe führen könnten, und ich es für notwendig halte, daß das irgendwo in den Gremien der Bundesregierung mal diskutiert wird.
Der Punkt a der Beschlußvorlage soll sicherstellen, daß im Falle eines Scheiterns des Versuchs, die Erweiterung erneut zu überprüfen, wenigstens der Waldeinschlag so gering wie möglich gehalten wird.
({4})
- Weil das der Vorschlag ist, haben wir ja auch dieses konditionierte Ja formuliert.
Abschließend, Herr Kollege Berger, muß noch vermerkt werden, daß es mich äußerst entfremdet hat, wenn in einer Stellungnahme des Verteidigungsministeriums der Satz auftaucht: „Die Petitionen haben nach Auffassung des Bundesverteidigungsministers keinen unmittelbaren aktuellen Bezug, sondern sind auf den allgemeinen und offenbar im Wachsen begriffenen Widerstand der Bürger gegen Planungen der Bundeswehr zurückzuführen."
Peter ({5})
Herr Staatssekretär Würzbach, diese Petitionen hatten einen ganz aktuellen Bezug, den Bezug nämlich, möglichst viel des Göttinger Waldes zu retten. Wenn das das Verständnis ist, wie man konkrete Bürgeranliegen in Petitionen in einen möglicherweise politisch tatsächlich so von Ihnen gesehenen Zusammenhang stellt, dann sollte im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums das Verständnis des Petitionsrechts tatsächlich mal überprüft werden. Daß so etwas geschieht, daß solche Petitionen kommen, daran muß sich die Obrigkeit gewöhnen. Es ist Ausdruck gesteigerter Sensibilität bei den Bürgern.
Ich bin mir bewußt, daß auch der heutige Beschluß die Anliegen der Bürgerinitiativen nicht befriedigt. Ich habe einen sehr kritischen Brief einer Petentin vorliegen. Aber ich meine, daß durch diesen Beschluß die Türen für weitere Beratungen des Themas nicht zugeschlagen sind, sondern daß eine echte Chance besteht, die Umweltverträglichkeitsprüfung unter zeitgemäßen Gesichtspunkten noch einmal vorzunehmen. Deshalb bleiben wir bei unserer Ausschußvorlage und stimmen gegen den Antrag der GRÜNEN.
Schönen Dank!
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die erste Adventwoche nähert sich ihrem Ende, und ich benutze die Gelegenheit, nach ausführlichem Studium der Unterlagen - denn ich war auch nicht bei dem Ortstermin, um das gleich zu bekennen - einer ganzen Reihe von Beteiligten zu danken, die an der Behandlung dieser Petitionen teilgenommen haben. Denn wenn man sich noch einmal sehr gründlich mit den ausführlichen Unterlagen beschäftigt, dann kann man feststellen, daß es eine ganze Reihe von Leuten gibt, denen man danken muß. Zu denen gehören natürlich in erster Linie auch die Petenten. Sie haben aus ihrer Sorge um die Erhaltung der Natur, um die Sicherung der Naherholung in der Nachbarschaft der Stadt Göttingen und um die Eindämmung einer befürchteten Lärmbelästigung für die Anwohner der nächstgelegenen Gemeinde immer wieder neue Fragen gestellt und immer wieder neue Anregungen gegeben. Ich finde, das ist ein Bürgerrecht.
Zu danken ist natürlich auch verschiedenen Abgeordneten dieses Hauses, die nicht unmittelbar zum Petitionsausschuß gehören, die sich - es wurde schon gesagt - wie mein Kollege Torsten Wolfgramm bereits im Februar 1981 in einer Anfrage oder mit sonstigen Initiativen um Klärung, um Prüfung und um eine angemessene Lösung bemüht haben. Aber vor allem ist natürlich den Berichterstattern des Ausschusses und der Frau Vorsitzenden - das ist schon geschehen - zu danken.
Zu danken ist aber auch den beteiligten Behörden. Das sieht man ganz deutlich, wenn man die Unterlagen studiert. Es ist geradezu beispielhaft, möchte ich sagen, für andere Fälle, wie hier doch im Gespräch um einen Kompromiß gerungen worden ist. Das geht aus den Unterlagen ganz eindeutig hervor. Das hat natürlich auch einen Bezug zur Zukunft. Denn das verpflichtet dazu, bei der Verwirklichung der Planung die in Aussicht gestellten Maßnahmen mit der größtmöglichen Schonung des Waldgeländes, mit Rekultivierung und unter Beachtung des Lärmschutzes tatsächlich in dieser entgegenkommenden Form mit aller Sorgfalt in Angriff zu nehmen.
Meine Damen und Herren, die Planung dieses Standortübungsplatzes geht - das wurde hier schon gesagt - in ihren Anfängen über ein Jahrzehnt zurück. Wenn von den Petenten - auch im Ausschuß - gesagt worden ist, daß sich in dieser Zeit j a nicht nur die Erkenntnisse über die Notwendigkeit des Umweltschutzes verstärkt haben und neue Entwicklungen eingetreten sind - das Stichwort „Waldsterben" wurde genannt -, die bei einem Eingriff in die Natur stärkere Beachtung als früher üblich finden sollten, sondern sich auch ganz allgemein die Sensibilität der Bevölkerung erhöht hat - Herr Peter hat das gesagt -, dann ist das ganz richtig und nur zu unterstreichen, und richtig ist auch, daß die Tatsache längerer Planung nicht von der Berücksichtigung neuer Gesichtspunkte entbinden kann und darf.
Aber, meine Damen und Herren, es gilt auch: Dann, wenn man diese Standpunkte absolut setzt, ist natürlich überhaupt keine Lösung mehr befriedigend, die in irgendeiner Weise zu Eingriffen führt. Das gilt nicht nur für diesen, sondern auch für viele andere Fälle, denen wir in unseren Wahlkreisen ständig begegnen. Da es sich bei Problemlösungen nicht um die Konfrontation einander ausschließender absoluter Standpunkte handeln kann, sondern um die realistische Abschätzung von Notwendigkeiten und Möglichkeiten handeln muß, kommt es - und kam es auch hier - darauf an, nach Kompromissen und nach einem Ausgleich zu suchen. Dies ist meines Erachtens das Bestreben aller Beteiligten gewesen.
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß j a - das darf nicht vergessen werden - nicht erst jetzt, im Rahmen der Bearbeitung der vorliegenden Petition, sondern bereits früher in den Verhandlungen zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und der niedersächsischen Landesregierung die Prüfung der Umweltverträglichkeit und des Naturschutzes eine wichtige Rolle gespielt hat, daß auch entsprechende Vereinbarungen getroffen wurden und daß das Problem der Erweiterung außerdem - auch das wurde bereits gesagt - schon Gegenstand von zwei Petitionen an den Niedersächsischen Landtag war und dort zuletzt noch im März dieses Jahres behandelt wurde.
Die Planung hatte also im Verlaufe dieser Prüfungen bereits Veränderungen erfahren. Das Land Niedersachsen hatte Auflagen wie z. B. die Beschränkung der Abholzung auf das geringstmögliche Maß oder den Zugang für die Bevölkerung in übungsfreien Zeiten erteilt.
Aber, meine Damen und Herren, auch hier ergeben sich - das bitte ich einmal zu beachten - natürlich im Laufe der Entwicklungen Spannungsverhältnisse. Damals, als diese Auflagen erteilt wurden, galt der offene Zugang der Bevölkerung zu allen Waldflächen als ein erstrebenswertes Ziel. Heute ist das unter den Gesichtspunkten der Ökologie ganz anders zu betrachten, jedenfalls da und dort, und es ist gerade ein Verdienst der Bundeswehr, daß sie an bestimmten Stellen durch besondere Bemühungen Schutzräume für Fauna und Flora schafft, die zerstört würden, wenn das Gelände völlig offen wäre. Das will ich nicht auf den Platz, um den es jetzt geht, beziehen, aber ich möchte auch dadurch die in all den Jahren eingetretenen Veränderungen in den Anschauungen charakterisieren.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Verteidigungsnotwendigkeit und -fähigkeit bejahen - und das tun wir -, werden Übungsmöglichkeiten benötigt. Die Frage nach der Unabweislichkeit dieser Erweiterung für eine ordnungsgemäße Durchführung der Übung und Ausbildung wurde j a bei der Ortsbesichtigung durch den Ausschuß noch einmal eingehend erörtert.
Meine Damen und Herren, mich hat etwas berührt, was in diesen Unterlagen zu lesen war. Ich war nicht dabei, kann das jetzt also nur etwas theoretisch nachempfinden, aber wenn in diesem Zusammenhang der Kommandeur des Panzergrenadierbataillons ausführt, ihn bedrücke das Bewußtsein, im Verteidigungsfall möglicherweise mit Soldaten ins Gefecht zu gehen, die nur deshalb ihr Leben lassen müssen, weil sie im Frieden nicht genug ausgebildet wurden,
({0})
so ist das natürlich ein Gesichtspunkt, der einen nicht unberührt lassen darf.
({1})
Dennoch sind in der Schlußphase der Behandlung der Petition noch einmal alle Bedenken zur Sprache gekommen. Die Frage nach alternativen Lösungen bis hin zur Prüfung der Kosten für die Inanspruchnahme ausländischer Übungsgelände ist erneut aufgeworfen worden. Ich finde, das ist ein reiches Maß an Überlegung und Erörterung. Es sind dann eben auch noch einmal - aber nicht erst jetzt zuletzt, sondern schon im Verlaufe der ganzen Behandlung der Petition - die Anregungen, die hier schon genannt worden sind, verstärkt worden, daß nämlich die Panzertrassen auch forstwirtschaftlich genutzt werden und daß deshalb die vorhandenen Waldwege weitgehend in den Trassenbau einbezogen werden könnten. Voraussetzung dafür ist natürlich - das ist das Ziel der Beschlußvorlage -, daß sich der Bundesminister der Verteidigung nachdrücklich mit den betroffenen Gebietskörperschaften ins Benehmen setzt, um die Nutzung der vorhandenen Wege beim Trassenbau zu ermöglichen. Insofern soll die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen werden.
Ein anderes schließt sich an das an, was der Kollege Peter gesagt hat. Die Petition soll noch einmal dem Niedersächsischen Landtag zur Kenntnis gebracht werden - in der Hoffnung und auch mit dem Anspruch, daß beim Abschluß der Nutzungsverträge die Bestimmungen des niedersächsischen Landeswaldgesetzes mit dem Ziel der größtmöglichen Erhaltung des Waldes berücksichtigt werden.
Wir würden es bedauern, wenn die Petenten diese Beschlüsse als einen Mißerfolg ihrer Bemühungen ansähen. Im Gegenteil. Sie haben ihren Beitrag dazu geleistet, daß die vorliegende Planung Gegenstand einer, wie ich finde, beispielhaften, besonders gründlichen Prüfung und Erörterung wurde.
Vielen Dank.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Das Wort zu einer Erklärung gemäß § 30 der Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Nickels.
({0})
Mir ist hier vorgeworfen worden, mir gehe es nicht um die Sache, sondern meine Argumentation speise sich lediglich aus einer Einstellung gegen das Militär. Ich weise diese Unterstellung in aller Entschiedenheit zurück. Eine solche Behauptung impliziert, es gehe hier nicht um den Sachverhalt, sondern um eine Gesinnungsfrage. Das weise ich mit aller Entschiedenheit zurück. Eine pazifistische Grundeinstellung bedeutet nicht, daß ich keine Möglichkeit mehr habe, Sachverhalte klar und nüchtern zu bewerten.
Zweitens. Mir ist vorgeworfen worden, ich hätte nichts vorgetragen, was sich geändert habe. Herr Göhner, wenn Sie mir das vorwerfen, muß ich Sie fragen: Ist das Waldsterben an Ihnen spurlos vorübergegangen? Anscheinend existiert das nicht für Sie. Das ist eine ganz gravierende Änderung der Sachlage.
({0})
Mir ist außerdem vorgeworfen worden, ich hätte im Gegensatz zu Mitgliedern anderer Fraktionen dieses Hauses das Protokoll nicht gelesen. Ich weise auch diesen Vorwurf mit aller Entschiedenheit zurück. Ich habe nicht nur das Protokoll und die gesamten Akten sehr gründlich studiert, ich habe mich nicht nur mit den Bürgerinitiativen intensiv auseinandergesetzt und persönlich mit ihnen gesprochen, sondern ich habe mich zusätzlich bemüht, an Unterlagen heranzukommen, die nicht im Ausschuß vorlagen, die von unabhängigen Sachverständigen gemacht worden sind und die ich erst nach der Ortsbesichtigung durch viele Mühen erhalten habe.
({1})
Nun möchte ich zu der Frage des persönlichen Umgangs miteinander Stellung beziehen. Das ist auch für mich ein sehr großes Problem. Ich verstehe absolut nicht, daß man mir hier vorwirft, ich hätte im Ausschuß über alles debattieren können. Im Ausschuß ist es tatsächlich so gewesen, daß man mir mit dem Argument, ich hätte nicht an der Ortsbesichtigung teilgenommen, das Wort abgeschnitten hat, obwohl sich meine Fragen eindeutig auf Unterlagen bezogen,
({2})
die allesamt weder bei der Ortsbesichtigung noch vor der Ortsbesichtigung vorlagen, sondern die ich mir selber unter vielen Mühen danach besorgt habe,
({3})
nachdem ich gründlich das Protokoll gelesen und Hinweise auf solche unabhängigen Gutachten gefunden hatte.
({4})
- Das habe ich ja angezweifelt. Das wird hoffentlich noch geändert.
Ich möchte noch eines sagen. Wenn man hier sagt, es sei nur nach einer Ortsbesichtigung möglich, zu entscheiden, dann stellen Sie sich allesamt hier ein großes Armutszeugnis aus.
({5})
In dem Haus hier wird zu 99,9 % nach Aktenlage entschieden. Ich hoffe, daß wir alle imstande sind, nach Aktenlage gründlich durchdachte Urteile hier abzugeben.
({6})
Ich denke, daß wir das alle können, und ich nehme das Recht auch für mich in Anspruch. Ich glaube nicht, daß wir allesamt bei jeder Entscheidung in dem Haus vor Ort hinfahren und in jedem Fall alles ansehen müssen. Das kann man auch, wenn man sich gewissenhaft mit den Akten beschäftigt. Und das habe ich getan.
({7})
Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat zur Sammelübersicht 15 auf Drucksache 10/681 einen Änderungsantrag vorgelegt.
Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
({0})
Wir kommen zu der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/588.
Wer diesem Vorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dies angenommen.
Wir sind am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 6. Dezember 1983, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.