Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema verlangt:
Beurteilung der amerikanischen Intervention auf Grenada durch die Bundesregierung und Grenada-Besuch des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern.
Wir treten in die Aktuelle Stunde ein. Das Wort zur Aussprache hat der Herr Abgeordnete Karsten Voigt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die militärische Intervention der Vereinigten Staaten in Grenada hat die außenpolitische Führungsschwäche und Orientierungslosigkeit der Bundesregierung Kohl vor der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit bloßgelegt.
({0})
Wer übt eigentlich in dieser Koalition die Richtlinienkompetenz aus, Bundeskanzler Kohl oder der bayerische Ministerpräsident Strauß? Wer entscheidet über außenpolitisch brisante Missionen der Bundesregierung,
({1})
Bundesaußenminister Genscher oder Bundesinnenminister Zimmermann?
Wir müssen heute feststellen, daß sich die militärische Intervention der USA in Grenada zu einer Krise der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesregierung entwickelt hat. Es ist deshalb eine Krise der Bundesregierung, weil die Haltung der Bundesregierung im Chaos des Hin und Her, der Bestätigung und Abschwächung und der politischen Profilierung einzelner Parteien der Koalitionsregierung hin- und herschwankt. Wer weiß denn eigentlich noch, ob die Bundesregierung die Intervention der USA in Grenada ablehnt, sie begrüßt, oder ob die Bundesregierung ihr abschließendes Urteil wie auch so viele andere Entscheidungen vertagt?
({2})
Inzwischen ist es so weit gekommen, daß der Bundeskanzler nicht mehr das festlegen und durchsetzen kann, was die Linie der Regierung ist. Angetrieben vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden läßt er Aktionen von Mitgliedern seiner Regierung zu, die die Politik unterlaufen, die sein Außenminister für richtig hält. Ja, der Bundeskanzler selbst beugt sich inzwischen dem bayerischen Druck. Anders ist es nämlich nicht zu begreifen, wenn er auf einer Pressekonferenz am Montag seine eigenen früheren Stellungnahmen relativiert. Bundeskanzler Kohl selbst ist ins Rutschen gekommen,
({3})
wenn er jetzt davon spricht, er, hätte den Amerikanern nicht abgeraten, sondern allenfalls eine Menge Anregungen gegeben, wie man es auch oder anders hätte machen können.
({4})
Was die Bundesregierung in den letzten Tagen vorgegeben hat, sozusagen als schrittweise Unterstützung für die USA-Position in und um Grenada, wirkt wie eine schlechte Provinzposse.
({5})
Während die US-Presse Stück für Stück die Position Reagans und seiner Mitarbeiter zerpflückte,
immer mehr an den Tag brachte, daß das Weiße Haus zur Legitimation der eigenen militärischen Intervention Tatsachen übertreibt und verfälscht darstellt, verhält sich die Bundesregierung wie ein gehorsamer Schüler, und anstatt sich von der deutschen Botschaft in Washington wenigstens die entsprechenden Zeitungen besorgen zu lassen, ist es so, daß sie nach wie vor die sattsam bekannten Sprüche klopft. Mit tiefer Sorge muß uns dieses Schauspiel erfüllen.
Man mußte sich fragen: Konnte es noch schlimmer kommen? Siehe da, es kam noch schlimmer. Der Innnenstaatssekretär Spranger, der zur Zeit,
Voigt ({6})
wie er sagt, zu einem Dienstbesuch in Washington war, bekam eine Einladung. Er sagte nicht, vom wem, sondern schob die Regierung vor, und er flog auf besagtes Eiland, das im Zentrum der Diskussion stand und steht. Er behauptet, er habe die Bundesregierung informiert. Herausgekommen ist: Er hat seinen Vorgesetzten, den Herrn Innenminister informiert. Der Staatssekretär gibt an, er habe das Bundeskanzleramt informiert. Das Bundeskanzleramt, dazu befragt, behauptet, nie habe es eine solche Frage erreicht. Ganz zu schweigen vom Auswärtigen Amt.
Was muß denn alles noch passieren, damit in Bonn endlich das Taumeln und Schlingern der Bundesregierung in der Außenpolitik beendet ist?
({7})
Die SPD muß mit Sorge verfolgen, wie diese Regierung regiert, bzw. wie sie nicht reagiert. Das ist Chaos in der Außenpolitik. Solch ein Chaos in der Außenpolitik schadet unserem Land. Diesen Schaden müssen wir abwenden.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Rühe.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich bitte, mir oder dem zuständigen Schriftführer rechtzeitig die Reihenfolge der Redner vorzulegen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
({1})
Dr. Kohl, Bundes: anzier: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Dar.en und Herren! Zu dem, was eben gesagt worden ist, braucht man wirklich nichts zu sagen. Denn wer in diesem Hause, welche Partei und welche Fraktion in der Außenpolitik taumelt, werden wir am Montag in acht Tagen in hinreichender Weise erfahren.
({2})
Die Bundesregierung äußert sich heute zum zweitenmal vor dem Hohen Hause zur Lage in Grenada. Sie hat von Anfang an - so in der Rede des Bundesaußenministers am 27. Oktober 1983 - von diesem Pult aus eine klare Position bezogen, die auch die Zustimmung der Regierungsfraktionen gefunden hat. Der Außenminister erklärte am 27. Oktober, daß eine abschließende Bewertung erst möglich sei, wenn die Bundesregierung über alle Einzelheiten voll informiert sei.
({3})
Der US-Kongreß, eine ganz gewiß kompetente und zuständige Stelle, hat sich in einer Reihe von Einzeldebatten in Ausschüssen wie auch im Plenum intensiv mit der Grenada-Frage beschäftigt. Der Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika ist aber ebenfalls zu dem Schluß gekommen, daß ihm eine abschließende Stellungnahme erst möglich sei, wenn alle Einzelheiten bekannt seien.
({4})
Die Bundesregierung hat an ihr grundsätzliches Eintreten für politische Lösungen erinnert,
({5})
in der Rede des Kollegen Genscher aber auch darauf hingewiesen, daß die Präsenz bewaffneter Kubaner auf Grenada auch für uns ein wichtiges Beurteilungselement dieses Vorgangs ist.
In der Karibik und in Mittelamerika haben sich seit Jahren Spannungen aufgebaut. Wirtschaftliche Probleme und soziale Ungerechtigkeiten haben eine gefährliche Lage entstehen lassen. Mit Hilfe einer großen Zahl kubanischer Militärberater und sowjetischer Waffen wird ein Kernland Mittelamerikas, Nicaragua, zur großen Besorgnis seiner Nachbarn forciert aufgerüstet, werden Guerilla-Bewegungen unterstützt und so eine internationale Krisensituation geschaffen, die über die Region hinauswirkt.
({6})
- Mir ist klar, meine Damen und Herren, daß es Ihre Sympathie nicht findet, daß das hier ausgesprochen wird. Aber es ist die Realität der Politik.
({7})
In Grenada wollte Premierminister Bishop 1984 Wahlen abhalten und das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten verbessern. Er wurde am 12. Oktober von linksextremen Kräften verhaftet. Nachdem ihn die empörte Bevölkerung vorübergehend befreit hatte, wurde er mit mehreren Mitgliedern seiner Regierung am 19. Oktober ermordet. Die rasch folgenden Ereignisse, zu denen als böses Vorzeichen die Verhängung einer Ausgangssperre mit Androhung sofortigen Waffengebrauchs gehörte, ließen nur den Schluß zu, daß hier ein kleines Inselvolk von 110 000 Menschen einem fremden Willen unterworfen werden sollte. Das war das Signal für die demokratischen, aber militärisch schwachen sechs Nachbarnstaaten, die sich von der Entwicklung auf Grenada bedroht fühlten, an Barbados, Jamaika und die USA zu appellieren, in Grenada einzugreifen.
({8})
Zwei Tage vorher, am 21. Oktober, hatte bereits die Karibische Wirtschaftsgemeinschaft, CARICOM, mit Grenada gebrochen.
Die Bundesregierung bekräftigt, daß ungeachtet ihrer Position ein Vergleich des Eingreifens der USA, von Barbados, Jamaika und vier weiteren karibischen Ländern mit Afghanistan entschieden zurückgewiesen werden muß.
({9})
Alle Informationen besagen, daß die Bevölkerung Grenadas in ihrer überwältigenden Mehrheit dieses Eingreifen der Nachbarländer und der Amerikaner als Abwendung drohender Unfreiheit begrüßt hat und begrüßt. Ziel des Eingreifens ist es eben nicht, ein verhaßtes Regime an der Macht zu halten, sondern baldmöglichst freie Wahlen abzuhalten.
({10})
Meine Damen und Herren, ein großer Teil der amerikanischen Streitkräfte wurde bereits abgezogen. Die verbliebenen amerikanischen und karibischen Streitkräfte sollen so bald wie möglich abgezogen werden, und zwar, sobald sichergestellt ist, daß eine funktionsfähige Demokratie in Grenada aufgebaut ist.
Wieweit der Unterschied zu Afghanistan ist, geht aus den jüngsten Meldungen der vergangenen Nacht hervor.
({11})
Der britische Generalgouverneur Scoon hat in der vergangenen Nacht eine aus neun Mitgliedern bestehende Übergangsregierung ernannt.
({12})
Mit der Führung beauftragte er Alister McIntyre, den derzeitigen stellvertretenden Generalsekretär der UNCTAD.
Die auf Grenada noch befindlichen US-Soldaten werden nach der Ankündigung der Stabschefs des amerikanischen Heeres und der Marine vor dem Streitkräfteausschuß des Repräsentantenhauses in der vergangenen Nacht in zwei bis drei Wochen abgezogen.
Meine Damen und Herren, ich wäre glücklich, wenn ich eine ähnliche Meldung aus Afghanistan bekanntgeben könnte.
({13})
Die Reise von Herrn Spranger nach Washington war lange vor den Ereignissen in Grenada geplant und erfolgte auf Einladung der amerikanischen Regierung. Präsident Reagan hat mich in einem Schreiben vom 19. September gebeten, die Zusammenarbeit im Bereich des Umweltschutzes ebenso wie im Bereich der inneren Sicherheit zu intensivieren. In meiner Antwort vom 4. Oktober habe ich den Besuch von Herrn Spranger angekündigt. Während seines Aufenthalts in Washington haben die amerikanischen Gesprächspartner Herrn Spranger angeboten, sich an Ort und Stelle über die Lage in Grenada zu informieren.
({14})
Herr Abgeordneter Schily, ich rufe Sie zur Ordnung. Ihr Zwischenruf ist eine Beleidigung eines Abgeordneten dieses Hauses.
({0})
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Es ist ziemlich unerträglich, daß hier Abgeordnete des Hauses und Mitglieder der Bundesregierung in einer solchen Weise beschimpft werden. Das ist unerträglich.
({0})
Erträglich wird eine solche Beschimpfung nur, wenn man weiß, von wem sie kommt.
({1})
Herr Spranger hat diese Einladung angenommen und nach seiner Rückkehr seinen Bericht vorgelegt. Gegen diese Reise hat der Bundesminister des Auswärtigen Bedenken erhoben.
({2})
Die Abstimmung in der Bundesregierung über diesen Vorgang - das ist hier klar festzustellen - war unbefriedigend. Ich habe das auch öffentlich klar gesagt.
({3})
Warum soll man, wenn ein Fehler vorgekommen ist, einen solchen Fehler nicht zugeben?
({4})
Wir haben mit unseren amerikanischen Freunden intensiv gesprochen. Wir haben auch unsere Auffassung offen zum Ausdruck gebracht. Wir haben sie gebeten, uns über die weitere Entwicklung in Grenada intensiv zu unterrichten.
Ich wiederhole an dieser Stelle, was ich gestern mit der Premierministerin Großbritanniens, des Landes, das sich zusammen mit Belgien und Luxemburg aus der Europäischen Gemeinschaft und mit uns, Herr Abgeordneter, in den Vereinten Nationen der Stimme enthalten hat, festgestellt habe.
({5})
Wir müssen für Grenada in die Zukunft blicken. Für Grenada eröffnet sich jetzt die Chance, sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben und eine wirkliche Demokratie aufzubauen in einer Weise, wie ich sie auch anderen Ländern der Welt wünschen möchte. Wir begrüßen das im Interesse des Friedens in dieser Region, im Interesse der Sicherheit der demokratischen Nachbarstaaten Grenadas und im Interesse der Freiheit. Diese Chance muß genutzt werden. Möglichst bald müssen normale politische Verhältnisse - das kann für uns nur heißen: demokratische Verhältnisse - hergestellt werden.
Unser Kriterium zur abschließenden Beurteilung werden auch demokratische Wahlen in Grenada sein. Ein demokratisches Grenada hat politische Bedeutung über sich selbst hinaus. Es hätte positive Ausstrahlung auf eine ganze Region, deren krisenhafte Entwicklung auch unsere Sicherheit bedrohen kann.
Die Vereinigten Staaten von Amerika garantieren seit mehr als 30 Jahren Freiheit, Demokratie und Sicherheit für uns.
({6})
Ich bin sicher, daß sie diesen Werten, die uns gemeinsam sind, auch für und in Grenada zum Sieg verhelfen werden.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihre Intervention, Herr Bundeskanzler, hat nichts geklärt. Sie hat den Peinlichkeiten der letzten Tage und Wochen eine neue Peinlichkeit hinzugefügt.
({0})
Sie haben zu allen drei entscheidenden Fragen das getan, was Sie immer tun: Sie haben geschwiegen, Sie haben nichts gesagt.
({1})
Es besteht nach wie vor der Eindruck, daß Sie in Regierung und Koalition über die drei entscheidenden Punkte streiten und keine Einigkeit haben.
({2})
Sie streiten über die Bewertung der militärischen Intervention der Vereinigten Staaten von Amerika in Grenada. Während der Bundesaußenminister an der Beurteilung festhält, daß diese Intervention nicht gebilligt werden kann, versuchen Sie den Eindruck zu erwecken, daß Sie nunmehr den Anweisungen von Herrn Strauß Folge leisten und sich dessen Auffassung zu eigen machen.
({3})
In Ihrer Koalition herrscht offener Streit über das Abstimmungsverhalten. Während Herr Genscher es für richtig hält - und wir stimmen ihm zu -, daß in den Vereinten Nationen nicht gegen die Entschließung gestimmt worden ist, erwecken Sie jetzt mit Ihrer heutigen Erklärung den Eindruck, daß es eigentlich richtiger gewesen wäre, den Ratschlägen von Herrn Strauß zu folgen und an der Seite der Vereinigten Staaten mit Nein zu stimmen. Wenn Worte einen Sinn machen, haben Sie das soeben ausgeführt.
({4})
Es herrscht weiter offener Streit über die Reise des Herrn Spranger. Es gibt die unterschiedlichsten Beurteilungen darüber, ob sie richtig oder falsch war. Und es ist bis heute nicht geklärt, ob Sie der
Reise zugestimmt haben oder ob Sie der Reise nicht zugestimmt haben.
({5})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Bundeskanzler heute behauptet, die Reise sei abgestimmt worden und er habe zugestimmt, dann hat er in der Pressekonferenz zu Beginn der Woche eine falsche, unzutreffende Auskunft gegeben.
({6})
- Herr Klein, ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Ich verstehe sie im Grunde sehr gut,
({7})
weil dieses Bild einer chaotischen Meinungsbildung natürlich durchaus Anlaß gibt, daß Sie in dieser Art und Weise reagieren.
Wir halten an unserer Beurteilung fest:
({8})
Wir wollen, daß auch die Weltmächte ihre Interessen nur im Rahmen des Völkerrechts wahren und die Grenzen des Völkerrechts nicht überschreiten.
({9})
Im übrigen: Mit der Rechtfertigung, die Sie für das Eingreifen der Vereinigten Staaten heute an dieser Stelle gegeben haben, sind Interventionen in mindestens 20 oder 30 weiteren Ländern dieser Erde zu rechtfertigen.
({10})
Frau Thatcher hat recht, wenn sie sagt: Wenn dies der Grundsatz für das Eingreifen in dieser Welt wird, dann sind schreckliche Folgen nicht zu vermeiden.
({11})
Die Sache hat aber noch einen entscheidenden innenpolitischen Aspekt. Herr Bundeskanzler, immer dann, wenn in außenpolitischen Fragen oder auch in der Deutschlandpolitik kritische Situationen entstehen, geht die Meinungsführerschaft und die Initiative von der Bundesregierung auf den bayerischen Ministerpräsidenten über.
({12})
Das war so im Todesfall Burkert, das war so bei den Milliardenkredit-Verhandlungen, das ist im Fall Grenada so. Die verfassungsmäßige Verantwortung für die deutsche Außenpolitik ist in kritischen Situationen nicht gewährleistet; Sie nehmen Ihre Verantwortung nicht wahr.
({13})
Sie schweigen, Sie schwanken und Sie versuchen
dann, am Ende eine Vermittlungsformel zu finden,
die überhaupt nicht mehr erkennen läßt, welche
Meinung oder welche Auffassung Sie als Inhaber der Richtlinienkompetenz eigentlich vertreten.
({14})
Die Situation, Herr Bundeskanzler, erinnert an die Situation zur Zeit Ludwig Erhards im Frühjahr und Sommer 1966,
({15})
als Franz Josef Strauß seine Auseinandersetzung gegen den damaligen Außenminister Gerhard Schröder führte und Ludwig Erhard nicht in der Lage war, einen einheitlichen Willen der Koalition und der Bundesregierung zu artikulieren.
Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Reisen Sie weniger, bleiben Sie zu Hause, sorgen Sie für klare Entscheidungen, damit unsere Politik berechenbar bleibt.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich sagen: Die ausgewogene Rede des Bundeskanzlers
({0})
- und, wo nötig, auch selbstkritische Rede - hat zu Recht die volle Unterstützung der Bundestagsfraktion gefunden.
({1})
Das kann ich leider über die Rede des Kollegen Voigt und des Fraktionsvorsitzenden Vogel nicht sagen. Das war doch eine innenpolitische Philippika. Ich muß doch beide Herren wirklich fragen: Wo bleibt hier das Verständnis für die Sorgen und Probleme der betroffenen Menschen in der Karibik und in Zentralamerika, wenn Sie dieses Problem allein innenpolitisch auszubeuten versuchen?
({2})
Ich habe überhaupt nichts an Sympathie oder Verständnis für die Probleme dieser Menschen gespürt.
({3})
Ich finde es abgeschmackt.
Ich muß auch mahnend auf die Rolle hinweisen, die die Sozialistische Internationale in den vergangenen Jahren in Zentralamerika und in der Karibik gespielt hat.
({4})
Das war keine Rolle, die zur Versöhnung geführt
hat, die zur Verständigung, zur Gesprächsbereitschaft geführt hat, sondern häufig eine Rolle, die die Konflikte geschürt hat. Das haben Sie hier heute innenpolitisch fortzusetzen versucht.
({5})
Im übrigen: Wer über die Ereignisse in Grenada rechten will, Herr Ehmke, muß sehr sorgfältig aufpassen, nicht in die Rolle eines selbstgerechten Moralisten zu verfallen.
({6})
Mit rigorosem Moralismus, mit einem sehr holzschnittartigen Schwarz-Weiß-Urteil wird man den vielschichtigen Aspekten dieses Problems sicherlich nicht gerecht.
Für die Vereinigten Staaten waren die sich zuspitzenden Vorgänge kein fernes Ereignis. Alles geschah unmittelbar vor ihrer Haustür, in einer sehr sensiblen Region. Über tausend ihrer Staatsbürger waren unmittelbar betroffen. Betroffen waren auch die Nachbarstaaten von Grenada, die die USA um Hilfe gebeten haben. Man darf - und darüber habe ich von Ihnen heute morgen kein Wort gehört - doch die Tatsache einer starken militärischen Präsenz der Kubaner ebensowenig übersehen wie die Tatsache, daß auf der Insel weit mehr an militärischer Ausrüstung gelagert war, als die regulären Einheiten Grenadas je gebraucht hätten.
({7})
- Wollen Sie das etwa ernsthaft bestreiten?
({8})
Sie fragen: Haben Sie das gesehen?, und dann kritisieren Sie jemanden, der dahingegangen ist, um sich das anzugucken!
({9})
Sie sollten sich mal endlich für eine Linie entscheiden, damit wir vernünftig mit Ihnen diskutieren können.
({10})
Wir sind in der Tat der Meinung, daß der OstWest-Gegensatz nicht auf die Dritte Welt übertragen werden darf. Das gilt natürlich auch für Grenada. Demgegenüber müssen wir allerdings feststellen, daß Grenada bereits zu einer Figur auf dem Ost-West-Schachbrett gemacht worden war, und zwar nicht von den Vereinigten Staaten, sondern von der Sowjetunion unter kubanischer Assistenz. Dieses sollte von Ihnen so verurteilt werden, wie es von uns verurteilt wird.
({11})
Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrer Absicht, durch Zusammenarbeit mit den Staaten in dieser unruhigen Region einen Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung zu
leisten. Bundesaußenminister Genscher hat dies in der Debatte am 27. Oktober hier erklärt.
({12})
Wir pflichten dem ebenso bei wie seiner Ankündigung, daß sich die Bundesregierung auch in Zukunft in allen Fragen, die Zentralamerika und die Karibik betreffen, um eine enge Abstimmung mit ihren europäischen Partnern und den USA bemühen wird. Im Einklang mit dem amerikanischen Kongreß halten wir es für richtig, eine abschließende Bewertung der Vorgänge um Grenada erst nach voller Kenntnis aller Hintergründe und Tatsachen vorzunehmen. Von entscheidender Bedeutung wird dabei auch sein, wie schnell in Grenada wieder die Voraussetzungen für eine demokratische Selbstbestimmung der dort lebenden Menschen geschaffen werden, und das sollte auch für Sie ein wichtiges Kriterium sein.
Nur politische Lösungen ({13})
davon sind wir allerdings fest überzeugt - können auf Dauer Stabilität in einer Region schaffen, deren leider offenkundige Labilität sie zu einem ständigen Krisenherd macht.
Unsere abwartende Haltung zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir mit unserer Stimmenthaltung in der UN-Vollversammlung dokumentiert.
({14})
Um es deutlich zu sagen: Diese Stimmenthaltung ist nicht als eine Verurteilung der USA zu interpretieren.
({15})
Sie unterstreicht vielmehr, daß wir uns mit einer abschließenden Wertung bewußt zurückhalten wollen, solange nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen.
Abschließende Bemerkung: Ich finde wirklich, die Probleme dieser Region, die uns mit Sicherheit auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen werden, hätten es verdient, wenn die Opposition nicht um innenpolitischer Effekthascherei willen so diskutieren würde, sondern sich wieder der Sache zuwenden würde.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Voigt, wenn etwas der deutschen Außenpolitik zu schaden vermag, dann sind es nicht die Ausführungen der Bundesregierung vor 14 Tagen oder die Ausführungen des Bundeskanzlers heute und die Äußerungen des Bundesaußenministers, sondern dann ist das der von Ihnen heute wiederholte und vor 14 Tagen begonnene Versuch, aus dem Ereignis in Grenada einen Zwist zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland herzuleiten und ihn zu begründen.
({0})
Es nützt dieser Sache ebensowenig, Herr Kollege Vogel, wenn Sie heute auf Äußerungen des Bundeskanzlers antworten, die er in seinen Ausführungen heute morgen überhaupt nicht gemacht hat, aber von denen Sie vielleicht geglaubt haben oder gewünscht haben, er würde sie machen.
({1})
Vielleicht wäre es doch besser, auch in einer solchen Debatte mit Fünf-Minuten-Beiträgen etwas mehr aufeinander zu hören und auf das zu antworten, was tatsächlich in dieser Debatte ausgesprochen worden ist.
({2})
Ich habe noch sehr die Äußerungen z. B. des Kollegen Wischnewski aus der Aktuellen Stunde vor 14 Tagen im Ohr, es sei nach Grenada schwerer geworden, über Afghanistan zu reden.
({3})
Ich habe dem nichts hinzuzufügen, was der Bundeskanzler heute zu dieser Frage gesagt hat. Ich selbst habe im gleichen Sinne vor 14 Tagen dazu Stellung genommen. Ich halte es für schlimm, wenn um der Aktualität einer solchen Stunde wie heute morgen willen, wenn um der innenpolitischen und der außenpolitischen Effekte willen in einer Weise argumentiert wird, wie es heute morgen von Ihrer Seite her wieder geschehen ist.
({4})
Die Bundesregierung und meine Fraktion haben von dem, was wir vor 14 Tagen gesagt haben, überhaupt nichts zu korrigieren.
({5})
Wir bleiben bei der Betonung der Grundsätze, nach denen das Bündnis arbeitet und Politik betreibt,
({6})
in dem wir, die Bundesrepublik Deutschland, Mitglied sind, vor allem dem Prinzip der Gewaltfreiheit. Wir haben dies hier deutlich ausgesprochen. Aber wir denken überhaupt nicht daran, durch abwegige Vergleiche wie mit Afghanistan den Eindruck zu erwecken, als handele es sich hier sozusagen um zwei gleichartige Ereignisse. Das ist nicht die Basis, auf der wir Politik machen können. das ist nicht die Basis, Herr Kollege Voigt, mit der die Stellung der Bundesrepublik Deutschland im Bündnis und in ihrer außenpolitischen Wirksamkeit überhaupt verbessert werden kann. Daran sollten Sie denken, ehe Sie eine solche Aktuelle Stunde beantragen oder ehe Sie in einer solchen Aktuellen Stunde so argumentieren, wie es vor 14 Tagen und heute wieder von Ihrer Seite geschehen ist.
Was die Reise des Kollegen Spranger betrifft, so hat der Bundeskanzler sich dazu sehr deutlich ausgedrückt.
({7})
Ich kann dem nur hinzufügen, daß in einer außenpolitisch relevanten Frage eine Konsultation des Außenministeriums allerdings angebracht ist und eine Meinungsbildung des Auswärtigen Amtes dann auch zur Grundlage der Entscheidungen gemacht werden sollte.
({8})
Dies ist etwas, was der Bundeskanzler Ihnen hier heute morgen mit anderen Worten sehr deutlich gesagt hat. Das können Sie doch nicht einfach abstreiten, als hätte er hier nicht geredet!
Herr Kollege Ehmke, Sie haben hier mehrfach auf den bayerischen Ministerpräsidenten Bezug genommen. Ich sage Ihnen auf der anderen Seite auch: So wie Sie berechtigt sind, Ihre politische Meinung zu sagen, hat wohl auch der bayerische Ministerpräsident dieses Recht.
({9})
Aber täuschen wir uns doch nicht darüber hinweg: Entscheidungen fallen hier in Bonn,
({10})
und sie werden in Zukunft in Bonn fallen. Dafür, daß das geschieht, steht auch meine Fraktion. - Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Reents.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Vogel, ich muß zunächst allerdings auch sagen, daß wir in der kurzen Zeit, in der wir die Debatten im Parlament miterleben durften, durchaus schon Dinge erlebt haben, die sehr viel unklarer als das gewesen sind, was Herr Kohl heute gesagt hat. Er hat sein Verständnis für die amerikanische Intervention geäußert. Das ist, glaube ich, schon deutlich geworden.
Es geht aber auch um mehr als um Kompetenzgerangel in der Regierung. Grenada, so hat der Bundesinnenminister Zimmermann erklärt, sei nicht nur eine Frage der Außenpolitik, sondern auch ein Problem des internationalen Terrorismus, weshalb auch sein Ressort mit zuständig sei.
({0})
Was man jetzt besser versteht, ist, warum es diese viele freundschaftlichen Reisen von Vertretern der CDU/CSU gegeben hat und auch noch gibt: nach Südafrika, auf die Philippinen, in die Türkei, nach Chile, teilweise, wie man jetzt erfährt, auf direkte
Einladung der bekanntesten Putschfirma, die es in der Welt gibt.
({1})
Sie alle, die südafrikanischen Rassisten, die chilenischen und die türkischen Militärdiktatoren, die USStreitkräfte, die den Überfall auf Grenada durchgeführt haben, das sind die hervorragenden Bekämpfer des internationalen Terrorismus, wie Zimmermann sie sich wünscht. Es sind alles Leute und Mächte, die selten zögern, Menschen brutal zu ermorden.
({2})
Sie rechtfertigen dies mit einem Hagel von Lügen und Erfindungen, und sie rechtfertigen dies außerdem noch mit einem Redeschwall über die Bewahrung von Frieden und Freiheit, wie das in der deutschen Geschichte schon einmal jemand noch schlimmer getan hat.
Wenn man Zimmermann, Spranger und Strauß weiter wie bislang gewähren läßt, müssen die Menschen in anderen Ländern und auch die Menschen bei uns selbst allerdings Angst vor dieser Bundesrepublik bekommen.
({3})
Denn welchen Überfall werden Sie als nächsten als Bekämpfung des Terrorismus rechtfertigen? Wann mündet das darin ein, daß Sie eine Teilnahme der Bundeswehr an brüderlichen Überfällen Ihrer Verbündeten befürworten?
({4})
Sie und Herr Dr. Marx in seinem ,,Welt"-Interview vom 2. November kennen das Völkerrecht nur als Knetmasse für imperialistische Großmachtpolitik des sogenannten freien Westens.
({5})
Deswegen, meine Damen und Herren, ist der Überfall der USA auf Grenada und all das, was man aus der Bundesregierung dazu an Verständnis zu hören bekommt, auch so bedeutend. Er ist geradezu ein Alarmzeichen für das, was uns mit der Raketenstationierung in diesem Land bevorsteht.
({6})
- Ja, jetzt haben wir's! Wer kann denn nach Grenada noch der Beteuerung der NATO glauben, ihre Waffen würden niemals zu einem Angriff eingesetzt werden?
({7})
Wenn Sie, wie geplant, am 21. und 22. November die Stationierung beschließen, dann tun Sie das im besten Bewußtsein, daß diejenigen, die diese Raketen befehligen werden, zu militärischen Überfällen und zum Kriegsausbruch bereite Leute sind.
Ich erinnere Sie an die Rede des US-Präsidenten Reagan Ende März dieses Jahres vor dem amerikanischen Kongreß, in der er erklärt hat - ich zitiere -: „In Mittelamerika geht es um die nationale Sicherheit aller amerikanischen Staaten. Wenn wir uns dort nicht verteidigen können, können wir nicht erwarten, uns anderswo durchzusetzen." Wo wird das „anderswo" nach Grenada wohl sein? Wird es erst Nicaragua, El Salvador, Kuba sein, dann der Nahe Osten und dann - laut Reagan - „das Zentrum des Bösen" selbst, die Sowjetunion? Reagan hat für die Logik seiner Politik die alles zu Vorgärten oder Hinterhöfen der USA erklärt, wo die US-Streitkräfte dann auch nach Belieben herumpflügen können, eine ebenso simple wie bedrohliche Andeutung gemacht. Er hat gesagt, El Salvador „liegt näher bei Texas als Texas bei Massachusetts", und Nicaragua liege „so nahe bei Miami, San Antonio, San Diego und Tucson, wie diese Städte von Washington entfernt" seien. Sie würden hier doch wie wild herumkreischen, wenn die Sowjetunion in Nachahmung von Reagans Vergleichen ebensolche Andeutungen über von ihr zu beanspruchende Sicherheitszonen machen und sagen würde: nicht nur Hamburg und Paris liegen näher an Moskau als Moskau an Nowosibirsk, sondern auch Washington liegt näher an Leningrad als Leningrad an Wladiwostok. Da würden Sie hier doch herumkreischen.
({8})
Zimmermann, Spranger und Strauß sind nur die deutlichsten Exponenten bei den Befürwortern der US-amerikanischen Aggressionspolitik. Auch der Herr Kohl hat inzwischen sein Verständnis geäußert. Er hat auch das Lob von Reagan dafür bekommen.
Der Streit in der Koalition geht nicht zum Wesen der Sache, es ist ein Sprach- und Taktikstreit unter Leuten, die den Überfall auf Grenada eigentlich alle nicht schlimm finden,
({9})
und das ist widerlich und macht uns ehrlich Angst.
Herr Abgeordneter, Ihre Zeit ist abgelaufen. Ich bitte doch, darauf Rücksicht zu nehmen, daß wir bei den fünf Minuten konsequent sein müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Huyn.
Graf Huyn ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erklärung, die der Bundeskanzler hier abgegeben hat und hinter der wir voll stehen, wird von allen drei Koalitionsparteien getragen. Wenn Sie, meine Herren von der Opposition, hier bemängeln, daß andere Nuancen zu finden seien, so ist das doch eine Selbstverständlichkeit. Das finden Sie bei allen Erklärungen in allen Staaten der Welt. Die Bundesregierung hat wie wir alle in den letzten 14 Tagen naturgemäß eine große Anzahl von Informationen erhalten, die eben zu dieser von dem Herrn Bundeskanzler vorgetragenen präzisierten Stellungnahme geführt haben.
({1})
Zweitens. Der Bundeskanzler hat auf Grund dieser Erkenntnisse Einzelheiten und Gründe dargelegt, die zu dem Eingreifen der Vereinigten Staaten und ihrer ostkaribischen Partner in Grenada geführt haben.
Drittens. Die Vereinigten Staaten haben durch ihr Eingreifen gemeinsam mit den Staaten der OECS ermöglicht, Souveränität, Selbstbestimmungsrecht, Freiheit und Menschenrechte für Grenada wiederherzustellen.
({2})
Meine Herren, Sie sollten lieber die Tatsachen zur Kenntnis nehmen, statt hier Antiamerikanismus zu schüren.
({3})
Nehmen Sie sich doch ein Beispiel an dem amerikanischen demokratischen Oppositonsabgeordneten Barnes, Vorsitzender des Unterausschusses im Repräsentantenhaus für interamerikanische Fragen, der erklärt hat, nachdem er auf Grenada war, daß die US-Intervention schon allein zum Schutz der amerikanischen Staatsbürger auf Grenada berechtigt gewesen sei.
({4})
Er hat erklärt, er müsse dies, „wenn auch widerwillig", zugeben. Aber Sie, meine Herren, Sie verwechseln hier die Feuerwehr mit dem Brandstifter. Das sind doch die Tatsachen.
({5})
Grenada ist das Opfer einer weltweiten sowjetischen Subversion und Infiltration geworden. Schauen Sie sich doch einmal die Weltkarte an, wie weit 1945 das sowjetische Einflußgebiet ging und wie weit es heute geht! Die Karibik und Mittelamerika stehen im Zentrum. Sie sind eines der Zentren dieser sowjetischen Subversion gemeinsam mit dem kubanischen Handlanger.
({6})
Nicaragua wird zum Subversionszentrum ausgebaut. Die PLO und die ETA sind dort vertreten. Ostberliner Terrorismusexperten geben dort Unterricht in Terrorismus.
({7})
Von Nicaragua aus wird El Salvador destabilisiert, Honduras, Costa Rica. Nach Kolumbien hinein bestehen enge Beziehungen zwischen Kuba und der Terroristenorganisation M 19.
({8})
Ähnlich ist es in Guyana und Surinam. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist deswegen erfreulich, daß sich Staatssekretär Spranger, der in den Vereinigten Staaten war, um die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus
({9})
Graf Huyn
zu pflegen, auf Einladung der Vereinigten Staaten an Ort und Stelle informiert hat.
({10})
Er hat festgestellt, daß Grenada ein Subversionsstützpunkt war, dazu ausgebaut worden war,
({11})
daß dort Waffen für eine Division einschließlich Schützenpanzer lagerten und daß schließlich ein Flughafen gebaut wurde, der sowohl als Relaisstation zwischen Kuba und Angola wie zwischen Libyen und Nicaragua diente.
Außerdem sind hier natürlich auch deutsche und westliche Interessen allgemein berührt;
({12})
denn ein großer Teil - fast die Hälfte - des NATONachschubs, kommt aus den karibischen Häfen.
Wenn Sie sagen, wir sollten den Ost-West-Konflikt nicht auf die Dritte Welt übertragen, dann stimme ich dem voll und ganz zu. Aber wer überträgt ihn denn? Die Sowjetunion überträgt ihn. Dem müssen wir, wo immer es notwendig ist, mit allen geeigneten, rechtlich korrekten Mitteln begegnen.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Verheugen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Kollege Rühe beanstandet, daß wir hier innenpolitische Argumente vorgetragen hätten, muß ich ihn daran erinnern, daß es gerade der innenpolitische Mißbrauch dieses erschütternden außenpolitischen Vorgangs ist, der uns veranlaßt hat, diese Aktuelle Stunde zu beantragen.
({0})
Es ist kein Antiamerikanismus, Kollege Ronneburger, den wir hier vortragen. Wir schaden nicht den außenpolitischen Interessen. Gerade Sie muß man doch fragen: Finden Sie nicht, daß unsere Außenpolitik Schaden nimmt, wenn Ihr eigener Koalitionspartner dem Bundesaußenminister vorwirft, die Außenpolitik kleinkarierten parteitaktischen Zielen unterzuordnen, wie Sie es gerade heute im „Bayernkurier" lesen können? Ich finde schon, daß das schadet.
({1})
Obwohl es zweifellos Grenada ist, wo Bananen angebaut werden, und nicht die Bundesrepublik, ist man versucht, zu fragen, ob eigentlich wir in einer Bananenrepublik leben; denn man muß jetzt die Frage stellen: Gilt das, was Verfassungsorgane oder Mitglieder von Verfassungsorganen sagen, oder gibt es die in der Verfassung nicht vorgesehene
Institution namens Franz Josef Strauß als ÜberKanzler und Über-Außenminister?
({2})
Für sich allein genommen ist die Reise des Staatssekretärs Spranger eher belustigend. Aber sie ist ein Symptom für einen ganz anderen, ganz und gar nicht lustigen Vorgang, nämlich dafür, daß eine Koalitionspartei es unternimmt, vorsätzlich und mit ganz beachtlicher Konsequenz die außenpolitische Seriosität unseres Staates zu untergraben.
({3})
Die Gründe dafür sind klar. Da werden Rechnungen beglichen. Aber uns interessiert überhaupt nicht, was für Rechnungen Sie untereinander zu begleichen haben. Uns interessiert nur, daß Sie das nicht auf Kosten unseres Landes, unserer Bevölkerung tun.
({4})
Man stelle sich das einmal vor: Da präpariert sich ein anderes Land ein deutsches Regierungsmitglied als politischen Kronzeugen gegen dessen eigenen Regierungschef und Außenminister, und diese beiden können es sich nicht leisten, die Reiselust des Staatssekretärs dadurch zu stillen, daß sie ihn postwendend in die Wüste schicken, wo er dann auch zu bleiben hätte.
({5})
Was soll man draußen von einer solchen Regierung halten? Jedenfalls braucht eine solche Regierung gute Botschafter. Aber ihr diplomatisches Personal muß künftig doch nicht nur ein Beglaubigungsschreiben des Bundespräsidenten vorweisen können, sondern auch noch eine spezielle Unbedenklichkeitsbescheinigung der Bayerischen Staatskanzlei.
({6}).
Meine Damen und Herren, was ist die deutsche Stimmabgabe .in der UNO noch wert? Was ist eine außenpolitische Erklärung der Bundesregierung in diesem Hause noch wert, wenn postwendend die Korrektur durch Strauß erfolgt und die Regierung dann durcheinanderläuft wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen? Uns als Opposition könnten diese Fingerhakeleien normalerweise nur recht sein. Wenn die CSU den Außenminister „windig und verwaschen" nennt, ist das sein Problem. Er kann übrigens froh sein, daß er kein CSU-Mitglied ist, weil dort der Umgangston untereinander noch ein etwas anderer ist.
({7}) Aber was der Opposition nicht egal sein kann,
({8})
ist die Zerstörung des guten Rufs einer auswärtigen Politik mit dem Ziel, den Inhalt dieser Politik radikal zu verändern.
({9})
Hierhin paßt dann auch die Kampagne gegen die Entspannungspolitik, hierhin paßt die Scharfmacherei in bezug auf das südliche Afrika und auf Mittelamerika. Hierhin paßt dann wohl auch die sich verstärkende Propaganda für deutschen Rüstungsexport.
Wir haben den bayerischen Ministerpräsidenten ja schon in vielerlei Rollen erlebt.
({10})
Aber das ist nun wirklich neu: Franz Josef Strauß als illegaler Hausbesetzer im Auswärtigen Amt.
({11})
Ich muß fragen, Herr Bundeskanzler: Wann lassen Sie räumen, wann räumen Sie dieses Haus insgesamt endlich einmal auf?
({12})
Als Sie vor einem Jahr die Regierungsgeschäfte übernommen haben, war die außenpolitische Reputation unseres Staates unbeschädigt. Wenn Sie die Dinge noch eine Weile weiter so treiben lassen, werden sich Ihre Staatsgäste bald fragen, ob sie in Bonn überhaupt eine Zwischenlandung machen müssen oder ob sie nicht gleich nach München gehen sollen.
({13})
Wenn ein Land außenpolitisch nicht mehr ernst genommen wird, dann ist es bald auch nicht mehr handlungsfähig. Das ist die Sorge, die wir haben und die uns veranlaßt hat, heute morgen diese Debatte zu führen.
({14})
Herr Abgeordneter Verheugen, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Verheugen, es war ja sehr pikant, mit anzuhören, wie Sie an dieser Stelle Ihren früheren Chef vor Angriffen des „Bayernkurier" glaubten in Schutz nehmen zu müssen. Ich möchte für die FDP feststellen: Das können wir schon selber besorgen.
({0})
Ich werde mir erlauben, dazu nachher auch ein paar koalitionsfreundliche Anmerkungen zu machen.
({1})
Ich möchte aber zunächst anknüpfen an das, was Herr Kollege Ronneburger in der ersten Runde gesagt hat: Für die FDP-Fraktion besteht überhaupt keine Veranlassung, von der Erklärung, die der Herr Bundesaußenminister in der ersten GrenadaDebatte abgegeben hat, etwas abzustreichen. Schon damals waren wir der Meinung, daß es vielleicht besser gewesen wäre, mit einer solchen Debatte noch ein bißchen zu warten, und zwar so lange, bis man etwas mehr über die Hintergründe erfahren hat. Das wäre sicherlich besser gewesen,
({2})
weil wir hier nämlich außenpolitisch keine Sandkastenspiele veranstalten können, sondern als Parlament eine sehr große Verantwortung haben.
Nun muß ich leider darauf zu sprechen kommen, daß solche Dinge Verstimmung auslösen können! Es ist ja kein Geheimnis, daß unsere amerikanischen Freunde nicht sehr glücklich waren über die Reaktion übrigens nicht nur aus der Bundesrepublik, sondern aus allen europäischen Bündnis- und Partnerstaaten. Weil ich nun wirklich nicht in dem Verdacht stehe, je irgendwelche antiamerikanischen Gefühle gehabt oder geäußert zu haben, muß ich in Richtung auf unsere Bündnispartner sagen, daß es eben darauf ankommt, so rechtzeitig zu informieren, daß solche Mißverständnisse gar nicht erst entstehen können.
({3})
Ich finde, ein souveränes Parlament kann die eigene Regierung nur in der Auffassung unterstützen - und es muß das auch tun -, daß wir im Bündnis freie Partner und keine Vasallen sind. Es kommt eben darauf an, solche Debatten sachkundig führen zu können.
Unsere Abstimmung in den Vereinten Nationen erfolgte ja im Gleichklang mit unseren europäischen Bündnispartnern.
({4})
- Natürlich. Frankreich hat gegen die Invasion gestimmt, wenn ich das richtig weiß. Wir waren mit der konservativen britischen Regierung und Margaret Thatcher genau auf derselben Linie.
Ich meine, daß es für uns in der europäischen außenpolitischen Zusammenarbeit immer darauf ankommt, nach Möglichkeit einen Gleichklang herzustellen. Das müssen unsere amerikanischen Freunde auch einmal zur Kenntnis nehmen. Aus solchen Erfahrungen soll man lernen. Ich hoffe ja nicht, daß wir noch einmal Gelegenheit haben, über eine solche Sache zu debattieren.
({5})
Aber immerhin: Es geht weiter, und deshalb kommt es darauf an, gegenüber unseren amerikanischen Freunden das einmal deutlich zu machen.
({6})
Es hat mich als eine ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt wirklich sehr getroffen, daß man in einer außenpolitischen Diskussion, bei der man durchaus Nuancen unterschiedlicher Meinung sein kann - auch unter Koalitionspartnern -, den Bundesaußenminister frontal in ganz anderen Bereichen angreift. Ich möchte das hier wirklich nachdrücklich zurückweisen. Die Personalpolitik des
Auswärtigen Amts konnte ich durch die Lupe sechs Jahre lang beobachten.
Ich meine, in diesem Zusammenhang sollte zweierlei gesagt werden. Zunächst einmal halte ich es wirklich nicht für besonders taktvoll, Namen von verdienten Botschaftern in die Debatte zu bringen, von denen ich jahrelang überhaupt nicht gewußt habe, welcher Partei sie eigentlich angehören. Ich möchte die Diplomaten, die Bediensteten und die Personalpolitik des Auswärtigen Amts in Schutz nehmen. Ich habe in meiner 35jährigen Laufbahn nie erlebt, daß man sich nicht um Objektivität bei Personalentscheidungen bemüht. Das wollte ich hier einmal sagen.
({7})
Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Es tut mir leid, daß ich auch gegenüber einer Dame keine Toleranzgrenze einführen kann.
Das Berufsbeamtentum -
Frau Dr. Hamm-Brücher, das geht nicht. Sonst muß man eine Toleranzgrenze einführen, daß noch ein letzter Satz geschlossen vorgetragen werden kann. Aber wenn im Ältestenrat mit Nachdruck darauf gedrängt wird, daß nach fünf Minuten die Rede abzuschließen ist, dann kann ich leider nicht anders handeln.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Klose.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zeitung entnehme ich, daß sich die amerikanische Regierung enttäuscht über das verfrühte negative Urteil der europäischen Regierungen zur Grenada-Intervention geäußert habe. Der stellvertretende amerikanische Außenminister hat, so habe ich gelesen, gesagt, die NATO-Partner hätten zwar das Recht zu Meinungsverschiedenheiten - vielen Dank! -, aber Washington erwarte, daß die Europäer Fakten zur Kenntnis nähmen.
Dem letzteren stimme ich gern zu - das ist ja auch der Sinn der Debatte -: Wir würden gern Fakten hören, und zwar zunächst von Ihnen, Herr Bundeskanzler. Ich finde, es ist ein legitimes Anliegen des Parlaments und vor allem der Opposition zu erfahren, wie die Bundesregierung zu dieser Intervention steht.
Ich bin heute gar nicht hierhergekommen, um Sie zu kritisieren; denn nach allem, was ich bisher über Sie in der Zeitung gelesen habe, war ich der Auffassung, daß nach Ihrer Meinung diese Aktion eine völkerrechtswidrige Aktion gewesen sei. Ich finde, es hätte Ihnen gut angestanden, dieses heute hier in aller Deutlichkeit zu bestätigen.
({0})
Herr Bundeskanzler, darf ich zu Ihnen noch eine Bemerkung machen. Sie betonen bei mancher Gelegenheit gern, daß Sie die Richtlinienkompetenz haben. Danke, das wissen wir. Darauf kommt es aber nicht an, sondern darauf, daß Sie diese Richtlinienkompetenz auch wahrnehmen, jedenfalls in gewichtigen außenpolitischen Fragen wie dieser.
({1})
Noch eine Bemerkung. Ich finde es auch nicht in Ordnung, daß Mitglieder der Bundesregierung als „CIA-Agenten" bezeichnet werden. Wenn Sie das zurückweisen, ist das Ihr gutes Recht. Dann stellen Sie sich aber endlich auch einmal hierhin und weisen Sie das Wort von der „fünften Kolonne" zurück!
({2})
Wir würden, weil es um Fakten geht, gern wissen, welches denn die Fakten auf Grenada sind. Darüber hören wir immer wieder Verschiedenes. Zu-nächsten waren es 1 200 Kubaner, und zwar Soldaten, auf Grenada. Dann waren es nur 700, und zwar überwiegend Bauarbeiter. Dann lesen wir von einem schrecklichen Massengrab, und das State Department bestätigt das; wenige Tage später wird das dementiert. Ich frage mich, wann die Sache mit den Waffenlagern dementiert wird. Die Tatsachen schwinden. Auf welche Tatsachen sollen wir dann eigentlich hören? Was wird uns, dem Parlament, hier zugemutet?
({3})
Eine Bemerkung zu Herrn Ronneburger und dem Grafen Huyn. Es geht hier nicht darum, einen Zwist zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten zu schüren oder zu begründen. Die USA sind - das wissen auch wir; das ist eine Tatsache - die westliche Führungsmacht. Aber sie sind es nur, wenn sie diese Rolle in einer Weise wahrnehmen, daß nicht unentwegt Bedenken und Zweifel an dieser Führungsrolle entstehen müssen.
({4})
Diese Zweifel entstehen aber immer wieder. Es hat keinen Sinn, in solchen Zusammenhängen dann über die Bündnisfrage, über Antiamerikanismus zu reden. Bündnis heißt nicht Unterwerfung,
({5})
sondern Bündnis heißt, daß in wichtigen Fragen auch einmal Klartext geredet wird.
({6})
Dann muß man den Amerikanern sagen, daß diese Aktion nicht in Ordnung war. Sie ist nicht mit dem Hinweis zu legitimieren, daß auf Grenada demokratische Zustände wiederhergestellt werden mußten. Wenn das der Grundsatz für außenpolitisches Handeln wird, dann müssen die Vereinigten Staaten ihre Armee drastisch verstärken, weil sie überall in der Welt intervenieren müssen.
Eine weitere Bemerkung. Ich mache mir keine Illusionen über die Rolle der Sowjetunion und der Kubaner. Ich bin ziemlich sicher, daß die dort politisch in einer Weise aktiv sind, die mir und vielen anderen und auch den Vereinigten Staaten nicht paßt. Aber ich muß hier etwas sehr Bitteres sagen, Herr Bundeskanzler. Die Tätigkeit der Sowjetunion
und der Kubaner wird so lange möglich sein und auf fruchtbaren Boden fallen, solange die Lebensverhältnisse in diesen Ländern so sind, wie sie tatsächlich sind.
({7})
Die Amerikaner müssen endlich lernen, daß man die Verhältnisse in dieser Region nicht mit einer Kanonenbootpolitik regeln kann, sondern nur dadurch, daß man einigermaßen gerechte und menschenwürdige Verhältnisse schafft.
({8})
Die Situation der Mehrheit der Bevölkerung in diesen Ländern ist bedauerlicherweise so, daß für sie Kuba Fortschritt bedeutet. Das ist eine schreckliche Feststellung; daraus, Herr Bundeskanzler, sollte deutsche Entwicklungspolitik endlich Konsequenzen ziehen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hornhues.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Klose, eines scheinen Sie gemerkt zu haben - darauf deutete jedenfalls Ihre Einlassung hin -: daß der erste Teil ihres Ansatzes für diese Aktuelle Stunde doch wohl arg verfehlt war; denn sonst wären Sie nicht endlich dazu gekommen, ein wenig mehr über die Probleme jener Region einmal hier im Hause zu sprechen.
({0})
Der Gouverneur von Grenada hat eine Übergangsregierung gebildet. Das hat der Bundeskanzler soeben mitgeteilt. So war es in Funk und Fernsehen zu hören. Dabei gab es eine interessante Ergänzungsmitteilung: daß diese Übergangsregierung ihre Hauptaufgabe darin sehe, freie Wahlen in Grenada binnen zwölf Monaten vorzubereiten. Wenn ich mich frage, was irgendwie binnen zwei Wochen erneut eine Aktuelle Stunde zum Thema „Grenada" gerechtfertigt hätte, dann, so meine ich, wäre dies ein wichtiger Punkt gewesen, über den sich innerhalb einer Aktuellen Stunde zu diskutieren lohnt.
({1})
Es geht um die Frage: Was können wir in der Bundesrepublik Deutschland denn tun, um entsprechend unserem gemeinsamen Beschluß vom März 1982 zur Entwicklungspolitik darauf hinzuwirken, daß für dieses Land, für weitere Länder dieser Region der Prozeß hin zu Freiheit, zu echter Selbstbestimmung, zu Demokratie gefördert wird?
({2})
Dies wäre ein Thema für den heutigen Vormittag gewesen, nicht aber - ich kann es nicht anders sagen - ihr jämmerlicher Versuch, alles mögliche hier hochzuspielen, eine innenpolitische Erbsenzählerei hier vorzuführen. Dazu kam noch - diesen Eindruck hatte ich, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD - Ihre Überlegung, die wohl auch zur Aktuellen Stunde beigetragen hat,
Ihren Freunden von den GRÜNEN nicht immer das Initiieren Aktueller Stunden zu überlassen.
({3})
- Ja natürlich. Es ging darum, sich da nicht überbieten zu lassen.
Schon in der Erklärung des Bundesaußenministers in der vergangenen Sitzungswoche hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß sie es für außerordentlich wichtig und bedeutsam hält, daß Entwicklungshilfe, ein Konzept für Grenada, für die gesamte zentralamerikanische Region zum Tragen kommt. Wir haben bisher immer darauf gewartet, daß aus Ihrer Richtung irgendwelche dahin gehenden Vorstellungen erörtert, vorgebracht, dargestellt werden.
({4})
Wir werden vermutlich noch lange Zeit warten müssen; denn Sie können sich nicht entscheiden, ob Sie bereit sind, sozialreformerische Ansätze, wie sie etwa in El Salvador versucht worden sind, zu unterstützen, oder ob sie nicht doch lieber ihre Sympathie bei den Sozialrevolutionären, den Gewaltsamen lassen.
({5})
Dazwischen pendeln Sie hin und her und finden dort einfach keinen Orientierungsgrund, keine Politik.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ansatzpunkt Ihrer Aktuellen Stunde war heute morgen unter anderem mit
({6})
die Reise des Kollegen Spranger. Ich will ehrlich gestehen: ich habe an dieser Reise auch etwas zu bemängeln.
({7})
- Warten Sie es einmal ab! Ich glaube, der Kollege Spranger hat eine gefährliche Unterlassung begangen. Er hat vergessen, Sie einzuladen, mitzureisen, damit Sie sich vor Ort endlich einmal ein wenig besser über die Dinge informieren, wie sie wirklich sind, und sie nicht mehr so sehen, wie Sie sie sehen möchten. - Danke schön.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Herterich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt dabei, die militärische Intervention der Vereinigten Staaten in Grenada ist und bleibt ein völkerrechtswidriger Gewaltakt, der gerade wegen der Prinzipien, derentwegen wir erklärtermaßen mit den Vereinigten Staaten verbündet sind, nicht akzeptiert werden kann und verurteilt werden muß. Die Intervention in Grenada schwächt die Glaubwürdigkeit der Vereingten Staaten in der Welt, belastet das nordatlantische Bündnis und entfremdet die Vereinigten Staaten weiter ihren lateinamerikanischen Nachbarn.
Der Zuwachs an Sicherheit für die Vereinigten Staaten steht in einem krassen Mißverhältnis zum Schaden, der weltweit für die westliche Führungsmacht entstanden ist. Das moralische und politische Debakel, das die sozialdemokratischen Sprecher am 27. Oktober hier vorausgesagt hatten, ist leider schon in vollem Umfang eingetreten. Die ablehnende Haltung fast aller Regierungen der Welt, die klare Verurteilung der Militäraktion im Weltsicherheitsrat und vor allem in der UNO-Vollversammlung, die in der Höhe des Abstimmungsergebnisses an andere Verdikte über eine andere Großmacht erinnert, die Verknüpfung der Fragen von Raketenstationierung und Grenada, - kurzum der große Verlust an Glaubwürdigkeit der USA ist offenkundig und jedermann sichtbar.
Von Anfang an geriet der Coup in Legitimationsnot. Weder waren amerikanische Staatsbürger gefährdet noch war die Zahl der Kubaner so groß, wie ursprünglich angegeben, noch waren es Berufssoldaten, abgesehen davon, daß dies alles keine Rechtfertigungsgründe für eine militärische Intervention wären. Auch das nachträgliche Präsentieren von materiellen oder politischen Beutestücken in Form von Waffen und Geheimverträgen als Interventionsgrund und -rechtfertigung ist gänzlich unakzeptabel, von der üblen Sache mit dem „Massengrab" ganz zu schweigen.
Auch die Peruaner haben in den 70er Jahren Waffen aus der Sowjetunion erhalten. Viele andere Staaten der Dritten Welt erhalten Waffen aus der Sowjetunion und aus dem Ostblock. Soll da überall militärisch interveniert werden? Wenn Grenada die Sicherheit der Vereinigten Staaten und ihrer Ölwege gefährdet, um wieviel mehr wird die Sicherheit dann durch Kuba gefährdet? Müssen etwa alle diejenigen Staaten, die zufällig an der Route amerikanischer Ölschiffe liegen, mit eingeschränkter Souveränität leben.
Das Satyrspiel folgt der Tragödie; es ist indessen mehr zum Weinen denn zum Lachen. Man stelle sich vor: Nachdem sich die Bundesregierung im Deutschen Bundestag und in der Vollversammlung der Vereinten Nationen in der ihr möglich erscheinenden Form von der Aktion distanziert hat, fliegt ein in keiner Weise zuständiger Parlamentarischer Staatssekretär als erster Politiker überhaupt, ohne Konsultation der britischen Bündnispartner, gegen den Widerstand des in jeder Beziehung zuständigen Außenministers und des Auswärtigen Amtes, aber offenbar mit Rückendeckung seines Ministers und seines Parteivorsitzenden, mit behaupteter Zustimmung des Kanzleramtes, die später vom Kanzler dementiert wird, auf Kosten und in Begleitung des Geheimdienstes der intervenierenden Macht in das Krisengebiet und kommt mit Erkenntnissen zurück, die weder das Auswärtige Amt noch das Kabinett hören wollen! In was für einem Tollhaus leben wir hier eigentlich?
({0})
Wie kann man über so etwas einfach zur Tagesordnung übergehen wollen? Wer glaubt denn, daß dies
ein Ausrutscher und nicht Methode ist? Warum,
Herr Bundeskanzler, wird dieser Mann nicht entlassen?
({1})
Aber wir wissen ja, Herr Bundeskanzler, daß Sie Herrn Spranger nicht entlassen können, und müssen uns mit dem Trost zufriedengeben, daß er der Opposition noch manchen wertvollen Dienst erweisen wird.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Klein ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ronneburger hat uns allen vorhin den Rat gegeben, auch bei den Fünfminutenreden aufeinander zu hören. Ich habe mich bemüht. Ich habe auch gehört, daß die sozialdemokratischen Kollegen, wenn ich jetzt einmal ein wenig von der aufgeregten Rabulistik des Herrn Fraktionsvorsitzenden Vogel und der Faszination, die Franz Josef Strauß auf ihn ausübt,
({0})
absehe, insgesamt ein wenig von dieser Afghanistan-Masche, die Herr Voigt unmittelbar nach der Intervention erfunden hatte, abgerückt sind.
({1})
- Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann haben Sie heute aber sehr dialektisch argumentiert. Ich bin froh, daß Sie das durch einen Zwischenruf feststellen: Sie setzen immer noch die Intervention unserer Verbündeten in Grenada auf die gleiche Stufe wie den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan. Das zu hören ist wichtig auch für die deutsche Bevölkerung. Wenn das für Sie ein Stückchen Weg zum Abrücken von Ihrem eigenen NATODoppelbeschluß bedeutet,
({2})
wenn das für Sie ein Stück Rechtfertigung bringt, dann werden wir das draußen auch zu werten wissen.
({3})
Herr Reents, Sie haben bei Ihrer Einlassung zu erkennen gegeben, daß Ihr Vokabular von den Jahren im Kommunistischen Bund geprägt ist.
({4})
Klein ({5})
Ich habe in der letzten Aktuellen Stunde zu diesem Thema vorausgesagt und festgestellt,
({6})
daß die Kubaner, die Sowjets und andere dabei waren, aus Grenada einen kubanisch-sowjetischen „Flugzeugträger" zu machen. Alles, was an Daten und Fakten bisher bekanntgeworden ist, bestätigt das.
({7})
Herr Herterich, es schmerzt mich, zu sehen und zu hören, daß ausgerechnet Sie, der Sie von der Gegend einiges verstehen, jetzt in dieser rabiaten Weise nur noch die Amerikaner verurteilen und nicht mehr sehen wollen, ja, die Augen davor zupressen, was sich in dieser Region wirklich aufgebaut hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon eigenartig, mit wieviel Mühe, mit wieviel Sorge die SPD der Bundesregierung gegenübertritt und sagt, sie informiere das Parlament nicht und sie sei selber nicht genug informiert. Dann aber kritisiert sie jedes Unterfangen, das zur Information führt. Herr Dr. Vogel, das kann j a wohl nicht in der Logik Ihrer sonst so klaren juristischen Denkweise liegen.
({8})
Ich habe festgestellt, daß wir bereits in der letzten Debatte von diesem Pult aus sehr deutlich zu erkennen gegeben haben, was sich in der Karibik entwickelt.
({9})
Sie haben damals die Auffassung vertreten - Sie vertreten Sie offenbar heute noch -, daß es falsch sei, solchen Dingen zu begegnen.
({10})
Sie haben keinerlei Verständnis für unsere Verbündeten aufzubringen vermocht. Heute, wo wir die Dinge weiterentwickeln können, wo der Bundeskanzler in einer sehr ausgewogenen Weise
({11})
unter dem Eindruck der Tatsachen, die inzwischen auf dem Tisch liegen, die Dinge weiterentwickelt hat, stellen Sie sich hin, als wäre nicht passiert, nehmen dementierte Zeitungsmeldungen und bauen hier einen Popanz auf. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie Außenpolitik ernst nehmen wollen, wenn Sie Wirkungen innenpolitischer Vorgänge, auch in diesem Haus, nach außen berücksichtigen, dann können Sie so nicht argumentieren, wie Sie das zur Zeit tun.
({12})
Ich weiß, daß Sie, Herr Kollege Ehmke, ein Problem haben. Ich weiß, daß alles in Ihrer Fraktion darauf hinausläuft, der deutschen Öffentlichkeit klarzumachen: Die große, traditionsreiche SPD ist umgefallen, flüchtet vor ihren eigenen Entschlüssen, schließt und kuschelt sich an die grüne Minderheit in Deutschland an, wie das in Hessen bereits geschehen ist.
({13})
Herr Kollege Klein, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Paterna, Liedtke, Dr. Nöbel, Bernrath, Büchler ({0}), Walther, Kretkowski, Purps, Berschkeit, Wolfram ({1}) und der Fraktion der SPD
Breitbandverkabelung/Kooperationsmodelle - Drucksachen 10/114, 10/499 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann hat das Wort der Herr Abgeordnete Pfeffermann.
Herr Abgeordneter, bevor Sie mit Ihren Ausführungen beginnen, muß ich um Ruhe bitten. Ich darf bitten, daß die Damen und Herren entweder Platz nehmen oder ihre Unterhaltung draußen fortführen.
({2})
- Ich habe gefragt, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. Es hat sich keiner gemeldet. Ich habe nur eine einzige Wortmeldung vorliegen; das ist die von Herrn Abgeordneten Pfeffermann.
({3})
- Also ein Fehler des Schriftführers. Er gesteht es auch ein. Wir wollen ihm Absolution erteilen. Herr Abgeordneter Pfeffermann, Sie sind so freundlich und nehmen es nicht übel, daß Sie schon aufgerufen worden sind. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paterna. Der Friede ist wiederhergestellt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat sich vor dem Deutschen Bundestag von dieser Stelle aus dafür gelobt, daß er einen Unternehmer in seine Regierungsmannschaft geholt hat. Der Unternehmer ist der Bundespostminister Schwarz-Schilling. Ich werde mich deshalb schwerpunktmäßig mit Fragen der Kostenrechnung beschäftigen und einmal darlegen, wie es um die Rechenkunststücke dieses Unternehmers und Postministers bestellt ist.
Anfang August dieses Jahres war in einem Antwortentwurf des Postministeriums zu lesen, die Breitbandverkabelung der Bundesrepublik koste 30 Milliarden DM. Im September hat der gleiche PostPaterna
minister dem Haushaltsausschuß erklärt, die Verkabelung koste 25 Milliarden DM. In der endgültigen Antwort lesen wir, die Verkabelung der Republik koste 20 bis 30 Milliarden DM. In einer Presseveröffentlichung der letzten Tage lesen wir von einem Sachkenner der Materie, dem technischen Direktor des Bayerischen Rundfunks, die Verkabelung der Republik koste 46 Milliarden DM.
Herr Postminister, glauben Sie nicht, Sie müßten das erst einmal etwas genauer wissen, bevor Sie solche langfristigen endgültigen Pläne hier verkünden und vertreten? Was sollen das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit davon halten, wenn in der Antwort auf unsere erste Frage gesagt wird, die Verkabelung koste 20 bis 30 Milliarden DM, und es in der Antwort auf die zweite Frage heißt, die Verkabelung pro Haushalt - vielleicht wäre es ganz gut, Sie würden etwas zuhören, Herr Minister, denn Sie gehen auf meine Argumente hoffentlich noch ein und lassen sich nicht erst jetzt von Ihren Fachbeamten beraten - koste 500 bis 600 DM? Ja, hat Ihnen denn bisher niemand erzählt, daß es in der Bundesrepublik etwa 25 Millionen Haushalte gibt und daß Sie dann, wenn Sie diese einfache Rechnung vornehmen, nämlich 25 Milliarden DM - ich nehme einmal Ihre eigene Zahl - durch 25 Millionen teilen, auf 1 000 DM pro Haushalt und nicht auf 500 DM bis 600 DM kommen, so wie Sie uns das hier schriftlich zur Kenntnis geben.
Vor diesem Hintergrund, wie solche Falschinformationen hier verbreitet werden, müssen wir einmal kurz darauf zurückkommen, daß die Bundesregierung schließlich viereinhalb Monate gebraucht hat, bis sie mit dieser Antwort überhaupt überkam. Viereinhalb Monate hat sie zur Beantwortung von 16 Fragen benötigt, die dem Postminister eigentlich schon vorher nicht unbekannt sein konnten, die er sich eigentlich vorher selbst hätte stellen müssen, und auf die er vorher selbst eine Antwort hätte finden müssen. Wie gesagt, viereinhalb Monate wurden zum Beantworten von 16 Fragen gebraucht, und dann kamen Antworten, die zum Teil auf unsere Fragen gar nicht eingehen, die zum Teil ausweichend und verschleiernd und zum Teil einfach falsch sind.
So unfähig, habe ich mir gedacht, und so dreist kann auch diese Bundesregierung nicht sein; da muß ja wohl etwas mehr dahinterstehen. Glücklicherweise hatte ich einen Entwurf des Postministeriums von Anfang August zur Hand. Da war es natürlich ein Vergnügen, einmal die beiden Texte zu vergleichen: Was sagte das Postministerium Anfang August, und was stand dann in der endgültigen Antwort? Ich habe mir da eine ganze Reihe von Textbelegen herausgesucht, die ich Ihnen hier aus Zeitgründen nicht vortragen will. Aber die Quintessens zumindest ist interessant. In den weiteren zweieinhalb Monaten der Kabinettsabstimmung sind die Antworten nicht etwa durch Fakten und Hinweise angereichert worden, sondern sie wurden von Woche zu Woche dürftiger. Die Zeit von zweieinhalb Monaten wurde nur darauf verwandt, Teile der Antworten herauszustreichen.
Ich nehme mir jetzt nur einmal ein Beispiel für viele heraus. Da hieß es in der Antwort zu Frage 9 im August laut Postministerium wörtlich - ich zitiere -:
Der Konsens bezüglich der Netzträgerschaft der Deutschen Bundespost auf den anderen Netzebenen
- außerhalb der Netzebene 4 wird auch bei den Kooperationsmodellen nicht aufgegeben, da in beiden Fällen die Netzträgerschaft und -verantwortung bei der Deutschen Bundespost verbleiben
Diese Antwort stimmt auch noch mit den Vorlagen überein, die das Postministerium dem Postverwaltungsrat vorgelegt hat. Da heißt es zu den Kooperationsmodellen überall: Netzträgerschaft bei der Deutschen Bundespost. In der ausgedruckten Fassung der Bundesregierung ist nun dieser Begriff der Netzträgerschaft interessanterweise weggeblieben, schlicht und einfach verschwunden, und das kann j a wohl nicht nur eine sprachliche Vereinfachung sein.
Man kommt dem Spiel, das da getrieben wird, auf die Schliche, wenn man sich eine Werbebroschüre zur Verkabelung hernimmt und dort einmal nachliest, was denn die Wirtschaftsministerin des Landes Niedersachsen wörtlich erklärt hat - ich zitiere wieder -:
Der ordnungspolitische Rahmen dieses Gesetzes
- gemeint ist das niedersächsische Landesmediengesetz ({0})
ist so offen, daß auch private Netzträger ein weites Betätigungsfeld finden können.
Dies ist ein eklatanter Widerspruch zu dem, was der Postminister dem Postverwaltungsrat und dem Parlament immer wieder offiziell erklärt hat. Da muß ich Sie, Herr Postminister, doch fragen: Glauben Sie nicht, daß Sie es nötig hatten, diesen für das Unternehmen Deutsche Bundespost lebenswichtigen Punkt einmal zu klären, bevor Sie die ersten Kooperationsmodelle in Niedersachsen mit großem Tamtam - gemeinsam mit Frau Minister Breuel - unterschrieben haben? Ist das nicht ein dreister Versuch, den Postverwaltungsrat, das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen?
({1})
- Polemisieren Sie nicht, Herr Kollege Pfeffermann, Sie haben j a gleich das Wort, und dann gehen Sie einmal sachlich darauf ein.
Nun komme ich zur Kostenfrage zurück. Dazu hat sich am trefflichsten der Postminister selbst geäußert. Er hat seinen Oberpostdirektionen am 19. Oktober geschrieben. Ich zitiere den Beginn des ersten Satzes dieses Schreibens einmal wörtlich: „Ich benötige dringend einen Überblick ...". Ja, Herr Postminister, das ist nun eine Feststellung, die
ich ausdrücklich bestätigen kann. Das, was Ihnen dringend fehlt, ist ein Überblick.
({2})
- Ich könnte Ihnen auch den ganzen Text zur Verfügung stellen; ich habe ihn dabei.
({3})
Ich kann mir nicht vorstellen, daß es einen einzigen sachkundigen Beamten in Ihrem Hause Adenauerallee 81 oder draußen in den Oberpostdirektionen gibt, der Ihnen den Rat gibt, die Bundesrepublik Deutschland breitbandig und flächendeckend zu verkabeln.
Da Sie ja mit den Milliardenbeträgen offensichtlich Ihre Schwierigkeiten haben, will ich Ihnen mal die Kosten, die da auf das Unternehmen Deutsche Bundespost und auf die Postkunden zukommen, an einem Beispiel vorrechnen, das vielleicht für Sie ein bißchen übersichtlicher ist.
Ich nehme mal die Stadt Delmenhorst. Die Post hat der Stadt das Angebot gemacht, sie zu verkabeln. Kostenschätzung der Post - nicht meine eigene -: 31,2 Millionen DM. Delmenhorst hat 75 000 Einwohner, das sind etwa 25000 Haushalte. Wenn ich nun mal unterstelle: 25 % Anschlußdichte - das ist das, was Sie in der Antwort auf unsere Frage annehmen -, dann komme ich zu einer ganz einfachen Rechnung. Dann sind das nämlich 6 250 Haushalte mal 500 DM gleich 3 125 000 DM, und es bleibt ein Defizit für die Post von rund 28 Millionen DM.
Nun nehme ich mal die 40 %, die Sie nach drei Jahren unterstellen. Dann ist das noch leichter zu rechnen. Dann sind das nämlich 10 000 Haushalte insgesamt, 10 000 mal 500 sind 5 Millionen Mark Einnahmen. Es verbleiben immer noch 26,2 Millionen DM als Defizit.
Nun nimmt die Post j a jährlich etwas ein. Auch das kann ich leicht ausrechnen. 10 000 Haushalte mal 6 mal 12 Monate sind genau 720000 DM jährliche Einnahmen.
Wenn ich die 28 oder die 26 Millionen DM verzinse - das muß ich j a wohl, denn die Post holt sich das auf dem Kapitalmarkt -, und ich nehme nur mal 8% Zinsen an, dann komme ich auf einen Zinsbetrag von etwa 2 Millionen DM. Mit anderen Worten: Sie kommen bei den Zahlen, die Sie selber in der Antwort auf unsere Große Anfrage annehmen, dazu, daß Sie mit den laufenden jährlichen Einnahmen gerade ein Drittel des Schuldendienstes bedienen können. Sie kommen also nicht entfernt in die Nähe des Versuches einer Kostendeckung.
({4})
Da Sie für vorhandene Breitbandnetze, die seit acht Jahren errechnet werden, auch die Kosten in der Schublade haben, nur allen vorenthalten - einschließlich dem Parlament und einschließlich dem Postverwaltungsrat -, wäre ich doch sehr dankbar, wenn Sie mal auf dieses Zahlenbeispiel mit Zahlen ausschließlich aus Ihrem Hause eingingen. Selbst
wenn Sie unterstellen, daß nicht 6 DM, sondern bei Heranführung zusätzlicher Programme 9 DM monatliche Gebühren kommen und daß sich alle Haushalte anschließen lassen, die überhaupt ein Fernsehgerät haben, dann kommen Sie immer noch nicht in die Nähe der Kostendeckung, sondern bleiben in diesem einen kleinen überschaubaren Fall auf Anfangsdefiziten von mindestens 20 Millionen DM sitzen.
Wenn Sie dies auf die gesamte Republik übertragen und diese Zahlen hochrechnen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, daß von jeder Milliarde, die Sie in die Breitbandverteilnetze investieren, mindestens 750 Millionen DM in den Sand gesetzt werden. Wenn Sie das mal hochrechnen auf die 25 oder 30 oder 46 Milliarden Gesamtkosten, dann will ich das Multiplizieren Ihnen überlassen.
({5})
Das ganze Thema kann man vielleicht mit einem Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" zusammenfassen, die am 27. Oktober einen Artikel überschrieb „Der teure Irrtum des Postministers". Ich zitiere nur die letzten beiden Sätze:
Schwarz-Schilling scheint ein Opfer seiner eigenen Propaganda geworden zu sein. Dieser Irrtum kann die Bürger noch Milliarden kosten oder den Minister seinen Stuhl.
({6})
Wenn Sie nachher hier reden, Herr Minister, dann reden Sie nicht ständig darum herum. Dann legen Sie die Kosten offen auf den Tisch. Seit 1974 investiert die Post in BK-Netze. Sie müssen auf Heller und Pfennig genau wissen, was es kostet, Häuser anzuschließen oder zumindest Häuser zu erschließen und Haushalte zu erschließen. Legen Sie endlich die Kostenstellenrechnung vor, die Sie ebenfalls haben, die aber hier ständig unterschlagen wird; denn was Sie an Kostenrechnung dem Postverwaltungsrat vorlegen, ist überhaupt nicht nachprüfbar.
Nun kann und muß man natürlich das Ganze unter Kostengesichtspunkten auch aus der Sicht des Postkunden betrachten. Da wird der Postminister j a nicht müde zu erkären, ein Kabelanschluß sei völlig freiwillig und er wisse gar nicht, wieso sich die Bürger überhaupt aufregten, denn wer nicht angeschlossen werden wolle, den beträfe das alles ja gar nicht. Es ist doch völlig klar, daß die Defizite, die ich Ihnen gerade vorgerechnet habe, von den Postkunden durch Briefmarken, Päckchen und Telefongebühren mitbezahlt werden müssen.
({7})
Das ist völlig klar. Das ist nicht nur ein Griff in die Taschen des sprichwörtlichen kleinen Mannes, sondern natürlich auch ein Griff in die Taschen der Wirtschaft, die von Postgebühren auch zu einem erheblichen Teil belastet wird. Da ist es schon merkwürdig, wie Sie hier zuschlagen, wo doch die regierungsamtliche Lesart immer die ist, die Wirtschaft müsse von Kosten entlastet werden.
Der nächste kritische Punkt ist, daß der Postkunde aus den Werbeblättern der Post für KabelanPaterna
schluß meistens nur die halbe oder ein Drittel der Wahrheit erfährt. Es werden nämlich immer nur die Gebühren genannt, die bei der Post zu entrichten sind. Von den Kosten für die Hausverkabelung, die dazukommen, von den Kosten für etwaige Zusatzgeräte, von den Kosten für etwaige private Programmveranstalter wird entweder gar nicht geredet oder nur sehr allgemein. Wenn Sie den Spiegel Nummer 31 von diesem Jahr nachlesen, dann werden Sie dort vorgerechnet finden, daß dem staunenden Kabelanschlußwilligen dann, wenn er einmal unterschrieben hat, anschließend noch Kosten, die schnell tausend oder mehrere tausend Mark erreichen, serviert werden.
Wie der Postminister es mit dem Prinzip der Freiwilligkeit hält, wird auch trefflich deutlich am Kabelpilotprojekt Ludwigshafen. Wenn sich da nämlich ein Kunde an das Kabelnetz im Pilotprojekt anschließen lassen will, dann hat er nicht etwa die Wahl, entweder nur die herkömmlichen Programme, aber nun über Kabel und nicht durch Einzelantenne zu empfangen, sondern dann muß er, ob er will oder nicht, auch die privat angebotenen Programme, mit dafür zusätzlich entstehenden Kosten abnehmen. Das heißt: entweder alles oder gar nichts; friß Vogel oder stirb!
Im freifinanzierten Mietwohnungsbau - nächstes Beispiel für dieses herrliche Prinzip der Freiwilligkeit, das Sie hier immer im Munde führen - sind im Augenblick Prozesse anhängig. Da wird darüber gestritten, ob ein Kabelanschluß in einer Wohnung eigentlich eine Wohnwertverbesserung sei oder nicht. Die Bundesregierung hütet sich, in diesen Streit einzugreifen. Wenn aber gerichtlich anerkannt werden sollte, das sei eine Wohnwertverbesserung, dann bedeutet das im Klartext, daß die Investitionskosten und dann die Betriebskosten im Haus von allen Mietern bezahlt werden, egal, ob diese Mieter zusätzliche Fernsehprogramme haben wollen, und egal, ob sie überhaupt ein Fernsehgerät haben wollen oder nicht. Was dies noch mit dem Prinzip der Freiwilligkeit zu tun hat, da wäre ich für eine Erklärung wirklich dankbar. Das ist Zwangsbeglückung und nicht Freiwilligkeit.
Vielleicht ist hier ein Zitat aus der „Frankfurter Rundschau" vom 20. Juli dieses Jahres hilfreich,
({8})
in dem berichtet wird, daß sich im Pilotprojekt München zahlreiche Mieter über Briefe von Hausbesitzern beschwert haben, die ihnen nach dem Kabelanschluß private Antennen nicht mehr gestatten. Die „Frankfurter Rundschau" fährt fort - ich zitiere wörtlich -: „Sie wären also, ob sie wollen oder nicht, auf die CSU-Auslese angewiesen. Ein Angriff auf die Informationsfreiheit?"
({9})
- Ich zitiere die „Frankfurter Rundschau",
({10})
und vielleicht setzen Sie sich mit der zunehmend kritischen Presse auseinander. Da haben Sie offenbar Schwierigkeiten.
Nun, Herr Kollege Pfeffermann, spreche ich ausführlicher über etwas, bei dem ich für die Stellungnahme der CDU/CSU-Fraktion sehr dankbar wäre. Das ist ein Punkt, den Sie vermutlich auch noch nicht kennen.
Die Sozialmieter haben ja offenbar nach Meinung des Postministers die Zeichen der Zeit auch noch nicht erkannt; sie sind im Blick auf die Medienzukunft sehr zögerlich mit der Anschlußbereitschaft. Da ist der Postminister auf den trickreichen Einfall gekommen, an der 2. Berechnungsverordnung herumzufummeln und die Anschlußkosten im Hause umlagefähig zu machen. Wiederum egal, ob ein Mieter zusätzliche Programme haben will oder nicht, ob die Gemeinschaftsantennenanlage funktioniert oder nicht, ob er überhaupt einen Fernseher hat oder nicht, er soll gefälligst für Ihre merkwürdige Form von Volksbeglückung zahlen.
Nun lese ich Ihnen einmal einen Brief auszugsweise vor, den der Minister Schwarz-Schilling am 28. Oktober an die Ministerpräsidenten der Länder geschrieben hat. Er fühlt sich ja für alles zuständig. Medienpolitik macht er sowieso, jetzt macht er auch Wohnungsbaupolitik. Da heißt es - ich zitiere
wörtlich -:
Da diese Verordnung und damit auch die Ergänzung der Verordnung der Zustimmung des Bundesrates bedarf,
- sie ist demnächst dort bitte ich Sie, die Ergänzung im Bundesrat aktiv zu vertreten.
Jetzt hören Sie einmal gut zu:
Nur wenn sichergestellt ist, daß die Betriebskosten für die mit einem BK-Netz verbundenen privaten Verteilanlagen umgelegt werden können, werden sich in einem hinreichenden Ausmaß Gebäudeeigentümer an eine solche Kabelanlage anschließen. Dies ist jedoch Voraussetzung dafür, daß die Deutsche Bundespost die von ihr in Aussicht genommenen Investitionen in den Bereich der Breitbandverkabelung auch im Jahre 1984 vornehmen kann.
({11})
Sagen Sie einmal, Herr Kollege Pfeffermann, betrachten Sie es nicht auch als einen Skandal,
({12})
vom mündigen Bürger zu reden, der immer selbst entscheiden soll, und ihn dann mit diesen listigen Tricks zwangszuverkabeln?
({13})
Wußten Sie denn überhaupt schon davon? Ich behaupte: nein. Dann kontrollieren Sie die Regierung einmal ein bißchen und schauen sich das an, was alles am Parlament vorbeiläuft!
({14})
Es ist auch höchst interessant zu sehen, welcher Zickzackkurs da gefahren wird. Der Minister kam sich ja im Juni dieses Jahres noch außerordentlich schlau vor. Bis dahin gab es nämlich eine vertragliche Regelung zwischen Post und Hauseigentümern. Dann hat er gemeint, in den Wohnungsbaugesellschaften seien vielleicht ein paar Sozis zuviel, und die stünden seinen Verkabelungsplänen im Wege. Da hat er gedacht: Nun nehmen wir einmal die Gesellschaften und die Hauseigentümer heraus und machen das direkt mit den Mietern; dann werden sie zuhauf kommen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie laufen ihm scharenweise weg.
Nun traut er sich natürlich nicht, nach fünf Monaten seine Verordnung schon wieder zu ändern. Aber das geht dann von hinten durch die kalte Küche. Diese Form von Meinungsfreiheit, diese Behandlung des mündigen Bürgers machen wir nicht mit, Herr Minister, und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die Koalitionsfraktionen diese Tricks noch weiter mitmachen. Sie verdecken hier Ihre eigene Unfähigkeit durch den Versuch der Volksverdummung. Das sage ich Ihnen einmal in aller Klarheit!
({15})
Nun ist es natürlich - damit komme ich zum Schluß - etwas bedauerlich, daß die Regierungsbank ein bißchen dünn besetzt ist, denn das, was Sie da treiben, geht alle Kabinettskollegen an.
Der Wirtschaftsminister könnte z. B. darauf verweisen, daß das, was Sie machen, mittelstandsfeindlich ist. Da hätte er unsere Zustimmung.
Der Innenminister könnte sagen, daß die Privatisierung der Fernmeldenetze verfassungswidrig ist. Da hätte er unsere Zustimmung.
Der Justizminister könnte sagen, daß er darauf hofft, daß die Gerichte diese Manipulationen am Mietrecht nicht mitmachen. Da hätte er unsere Zustimmung.
Der Wohnungsbauminister könnte sagen, daß das, was Sie da treiben, kontraproduktiv ist.
({16})
- Ist er da? Prima! Ich weiß ja, wie er im Kabinett mit den Zähnen geknirscht hat. Vielleicht läßt er das Zähneknirschen hier einmal durchs Mikrophon tönen.
({17})
Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, daß Sie dabei sind, denn dann müßten Sie, Herr Kollege Schneider - wir kennen uns lange genug -, deutlich machen, daß Herr Schwarz-Schilling Ihre Politik konterkariert. Sie wollen - auch aus Gründen der schwachen Baukonjunktur -, daß mehr Wohnungen gebaut werden, und Herr Schwarz-Schilling treibt Ihnen die Mietnebenkosten hoch. Dadurch passiert genau das Gegenteil von dem, was Sie wollen.
({18})
Da Sie auch Raumordnungsminister sind, müßten Sie ihm auch einmal sagen, daß durch seine
Pläne ein eklatantes zusätzliches Gefälle zwischen Ballungsräumen auf der einen und flachem Land auf der anderen Seite entsteht. Auch das kann nicht in Ihrem Sinne sein. Ich kann also nur dringend darum bitten, diese Verkabelungspläne einmal in den Gesamtzusammenhang der Kabinettspolitik zu stellen.
Denn schließlich könnte vielleicht auch der Finanzminister, der nun wiederum nicht da ist, dem Postminister klarmachen, daß er, der Postminister, die Sparbemühungen des Finanzministers, der Lächerlichkeit preisgibt. Denn auf der einen Seite wird gesagt, es müsse gespart werden, um die öffentlichen Haushalte zu sanieren und um den Kapitalmarkt weniger zu belasten, und auf der anderen Seite wirft der Postminister mit vollen Händen Milliarde um Milliarde aus dem Fenster heraus, oder, um es genauer zu sagen, er setzt sie in den Sand. Die Kabinettskollegen, die jetzt in den Haushaltsberatungen sind, müßten sich doch veralbert vorkommen, wenn sie um Millionenbeträge im Sozialbereich, meinetwegen beim Mutterschaftsgeld oder wo auch immer, kämpfen, und da werden pro Milliarde 750 Millionen einfach in die Luft geblasen. Ich kann das nicht verstehen, und ich hoffe, dieses Unverständnis beschränkt sich nicht auf die Oppositionsfraktionen.
Ich komme zum Schluß, indem ich mal ins Gesetz schaue, und auch das kann ich nur den Kabinettskollegen empfehlen. Im Postverwaltungsgesetz heißt es in § 2:
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen ist dafür verantwortlich, daß die Deutsche Bundespost nach den Grundsätzen der Politik der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der Verkehrs-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, verwaltet wird.
Ich hoffe, mit den wenigen Beispielen, auf die ich mich hier konzentriert habe, deutlich gemacht zu haben, daß dieser Bundespostminister diesen gesetzlichen Anforderungen nicht genügt. Ich verspreche Ihnen, daß wir Ihnen weitere Beispiele für diese Unfähigkeit nicht schuldig bleiben werden. - Vielen Dank.
({19})
Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne haben zu meiner Freude der Präsident des griechischen Parlaments, Herr Yoannis Alevras und die Mitglieder seiner Delegation Platz genommen. Ich begrüße Sie im Deutschen Bundestag. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und wünsche einen guten Verlauf.
({0})
Meine Damen und Herren, damit besucht zum erstenmal eine interfraktionelle Delegation des griechischen Parlaments offiziell die Bundesrepublik Deutschland und den Deutschen Bundestag. Die Beziehungen zwischen den Parlamenten unserer Länder erfahren durch diese Begegnungen und Gespräche neue Anstöße. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung haben den Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft im
Präsident Dr. Barzel
Jahre 1981 begrüßt und ihn mit hohen Erwartungen für eine gute Entwicklung und einen Beitrag besonders im Mittelmeerraum und Europa verbunden.
Sie haben Ihren Besuch - wir wissen das zu würdigen - verbunden mit einem Aufenthalt in Berlin. Sie haben dort Ihre Reise begonnen. Wir sprachen schon darüber. Berlin steht für uns für die schicksalhafte Teilung Deutschlands und Europas. Berlin ist für uns Wahrzeichen für den ungebrochenen Willen des deutschen Volkes, die unselige Teilung Deutschlands friedlich und durch freie Selbstbestimmung zu überwinden.
({1})
Dort in Berlin sieht und erfährt man, daß und wie Deutschland und den Deutschen und damit Europa Unrecht geschieht.
Ich wünsche Ihnen, verehrte Kollegen, Herr Präsident, meine Damen und Herren, noch einen guten Aufenthalt in unserem Lande. Ich freue mich, unsere nützlichen Gespräche fortsetzen zu können, und wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt im Deutschen Bundestag. Ich danke noch einmal für Ihre Reise und Ihre Bemühungen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Pfeffermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kaum ein anderes Sachgebiet als das der Breitbandverkabelung zeigt deutlicher die Wende in der deutschen Politik,
({0})
wie sie durch die neue Regierung und die sie tragenden Koalitionsparteien eingeleitet worden ist. Denn die Bundesregierung handelt, sie wägt und handelt, und die SPD bleibt bei ihren alten Rezepten. Das hat der Kollege Paterna soeben wieder einmal deutlich dargestellt.
({1})
Sie hinterfragt, zieht in Zweifel, unterstellt und verzögert und verschleppt dort, wo sie in der Verantwortung steht.
({2})
Das ist Ihr Problem und Ihre Politik, meine Damen und Herren.
Die SPD hat ihr Feindbild. Für den Kollegen Paterna war das vorhin das Feindbild des Unternehmers.
({3})
Wie dieser Unternehmer aussieht, wurde dann auch gleich mitgeliefert. Aber dieser Unternehmer prüft die Zusammenhänge und entscheidet auf der Basis der Unterlagen, die ihm natürlich besser zugänglich sind als Ihnen, Herr Paterna. Alles, was Sie hier vorgetragen haben, diese Art von Erbsenzählerei,
macht doch eigentlich deutlich, durch welche Pepitabrille Sie das ganze Problem sehen.
({4})
Meine Damen und Herren, wie ist denn die Situation? Wie war sie, und wie ist sie heute? Da täuscht die SPD-Fraktion in ihrer Großen Anfrage Sorge um die Deutsche Bundespost vor. Hier wie in einer Fülle von Veröffentlichungen, auch in den eben gehörten Einlassungen des Kollegen Paterna, werden die widersprüchlichsten Argumente vorgetragen. Da wird die Verkabelung in einer Reihe von Beispielen einerseits als defizitärer Geschäftsbereich dargestellt, weswegen die SPD dagegen sei, daß die Post überhaupt verkabele, auf der anderen Seite aber wird die Beteiligung von Privatunternehmen im Rahmen der Kooperationsmodelle als „Rosinenpickerei" und „Ausverkauf der Post" gebrandmarkt. Wo ist da noch die Logik? Da heißt es auf der einen Seite, daß den Ergebnissen der Kabelpilotprojekte nicht vorgegriffen werden dürfe, auf der anderen Seite aber hat die SPD in ihrer Regierungszeit kein einziges Pilotprojekt zum Laufen oder gar zu Ende gebracht.
({5})
Einerseits erfolgte der Einspruch der SPD-geführten Bundesregierung gegen die Verkabelung von elf Großstädten, andererseits möchte sich die SPD heute als Vorreiter des technischen Fortschritts darstellen, indem sie auffordert, auf die Glasfaser zu warten. Warum eigentlich hat die SPD in ihrer Regierungszeit so gut wie alles unterlassen, um den Einsatz der Glasfaser zu fördern oder diese gar in Deutschland herzustellen? Das ist doch die Frage, die gestellt werden darf.
({6})
Da fordert die SPD die ausbildungsgerechte Übernahme der bei der Post ausgebildeten Fernmeldehandwerker, mobilisiert dann aber gegen die Arbeitsplätze, in denen diese Fernmeldehandwerker untergebracht werden könnten.
({7})
Grotesk aber wird das Ganze, wenn der Deutschen Bundespost durch die Entscheidungen der neuen Bundesregierung eine „ähnlich hoffnungslos defizitäre Lage wie der Deutschen Bundesbahn" vorhergesagt wird - siehe Text der Großen Anfrage.
Da sei mir eine Randbemerkung erlaubt: Wer eigentlich, meine Damen und Herren, stellte in diesem Land nach 1966 über 16 Jahre den Bundesverkehrsminister? Wer hat für die Bundesbahn zwar immer wieder Konzepte entworfen, aber nicht ein einziges durchgesetzt? Und, meine Damen und Herren von der SPD, waren Sie nicht auf dem besten Wege, diese Politik auch auf die Bundespost zu übertragen? Bundespostminister Gscheidle hat noch 1981 anläßlich einer Postpräsidentenkonferenz vor einer unlogischen und unternehmenspolitisch untragbaren Entwicklung gewarnt, die umgehend gestoppt werden müßte. Er forderte tiefe Ein2152
schnitte, denn man dürfe nicht sehenden Auges in die Katastrophe laufen. Nur, diese Erkenntnis wurde nicht umgesetzt, sondern Gscheidle mußte dann den Hut nehmen.
Unter Ihrer Regie, meine Damen und Herren von der SPD, hat sich die gelbe Post doch zusehends aus der Fläche zurückgezogen, und die Zukunftsinvestitionen im Fernmeldenetz wurden sträflich vernachlässigt. Der ungenügende Netzausbau führte zu den bekannten Netzblockaden, die nur durch riesige Investitionen langsam behoben werden konnten. Diese Gelder wurden nicht durch eine rechtzeitige Modernisierung des Netzes erwirtschaftet, sondern durch eine exorbitante Gebührenentwicklung beschafft. Beispielhaft steht hierfür das EWS-System, das nach zehnjähriger Entwicklung als Fehlplanung zurückgezogen wurde. Wenn Sie von Fehlplanungen sprechen wollen, Herr Paterna, dann kommen Sie auf die zurück, die erwiesen sind, die von Ihnen in der Zeit, in der Sie die Regierung stellten, zugegeben werden mußten.
Wenn die SPD heute in ihren Veröffentlichungen die Glasfasertechnik favorisiert, so negiert sie einfach die Tatsache, daß diese Glasfaser in größerem Rahmen nur in einem integrierten, digitalisierten Netz sinnvoll eingesetzt werden kann. In der Glasfasertechnik sind für einen technisch sicheren und wirtschaftlichen Einsatz auf Ortsebene noch wichtige Entwicklungsarbeiten für Übermittlungseinrichtungen und andere Komponenten notwendig. Bei der Digitalisierung hat die Erprobung erst begonnen. Hier sind doch bekanntlich Jahre verlorengegangen, weil man sich unter Ihrer Regie zu spät für ein zukunftsorientiertes System entschlossen hat. Weil die deutsche Industrie im Ausland als modernes System nur verkaufen kann, was zuvor bei der Deutschen Bundespost auch erprobt wurde, wirkt sich dies nicht nur auf den Binnenmarkt, sondern auch auf den deutschen Export empfindlich aus.
Nein, die SPD hat es in ihrer Regierungszeit nicht vermocht, die Deutsche Bundespost auf das - wie sie es nennt - Informationszeitalter vorzubereiten. Sie hat sich darauf beschränkt, Mängel an Leitungskapazitäten zu verwalten oder, wie z. B. bei den Autotelefonanschlüssen, durch Gebührenerhöhungen den Marktzugang zu regulieren, d. h. doch einfach zuzuteilen. Bei Ihnen wurde doch schon das Zugeständnis einer gewissen Angebotsvielfalt bei den einfachen Telefonapparaten als technische Errungenschaft gefeiert. Allerdings war selbst das erst möglich, nachdem erkennbar wurde, daß sich der Markt an Hauptanschlüssen systematisch der Sättigungsgrenze näherte.
Die Bundesregierung hat mit Bundespostminister Dr. Schwarz-Schilling durch ihre Entscheidungen der Deutschen Bundespost neue Möglichkeiten eröffnet. Wir schreiben dem Bürger seine Bedürfnisse nicht vor, wir sagen ihm nicht, was er hören, sehen oder an Apparaten haben darf, sondern wir öffnen uns seinen Wünschen. Nicht Reglementierung, sondern marktwirtschaftliches Verhalten ist unser Ziel auch im Kommunikationsbereich.
({8})
Nach diesem Grundprinzip haben wir die Wende zum Informationszeitalter vorgenommen.
({9})
Dabei werden wir im wesentlichen von drei Motiven bestimmt.
({10})
- Auch wir haben in der heutigen Debatte zwischen den Rednern eine Aufteilung; Sie werden die Ausführungen zu den Kosten noch hören. ({11})
Es sind das die notwendige technische Innovation, die Beschäftigungseffekte und die Förderung der Medienvielfalt, wo das von Ländern und Benutzern gewünscht wird.
({12}) - Darauf komme ich gleich zurück.
Bei den Telefonneuanschlüssen haben wir heute nur noch das halbe Produktionsvolumen von dem in der zweiten Hälfte der 70er Jahre. Wie hätten wir denn die Fernmeldehandwerker der Deutschen Bundespost beschäftigen sollen, wenn wir den Rezepten der SPD gefolgt wären?
({13})
Welche Aufträge hätte die Deutsche Bundespost an die Fernmeldeindustrie vergeben sollen? Wir haben uns nach neuen Dienstleistungsangeboten umgeschaut, haben den Ausbau von Btx forciert, den Aufbau der Satellitenübertragung beschleunigt, und wir werden die Breitbandverkabelung dazu vorantreiben.
Übrigens haben dieser Entscheidung sowohl die Vertreter der SPD als auch des Personals im Postverwaltungsrat zugestimmt. Dafür ist ihnen zu danken; denn bei der Verkabelung ist die Bundesrepublik in den letzten Jahren im Vergleich zu unseren Nachbarländern weit ins Hintertreffen geraten. So hat Belgien eine Verkabelungsdichte von 85% und die Niederlande von 45%, um topographisch vergleichbare Länder zu nehmen.
In Paris scheint man das sehr ehrgeizige Projekt, Paris im Zusammenhang mit einer Weltausstellung 1989 mit Glasfaser zu verkabeln, angesichts der wirtschaftlichen Gegebenheiten, was die Glasfaser anlangt, zwar auf ein wesentlich kleineres Pilotprojekt zu beschränken. Der Verkabelung selbst aber will man erkennbar sehr viel mehr Bedeutung zumessen.
Einige Fragen der SPD zielen deutlich darauf ab, ob seitens der Bürgerschaft Bedarf an solcher Verkabelung besteht und der Ausbau des Fernmeldenetzes dadurch negativ beeinträchtigt wird. Das Ergebnis des Jahres 1983 spricht für sich. Mit 50 000 neuen Leitungen wurde das Fernmeldenetz forciert
ausgebaut, um noch immer vorhandene Engpässe im Netz der Deutschen Bundespost zu beseitigen.
({14})
Für die nächsten Jahre sind gleich hohe Raten geplant.
Daneben werden im Jahr 1983 31 000 km Breitbandkoaxialkabel verlegt werden. Das ist mehr als in den drei Jahren von 1980 bis 1982 zusammen, in denen insgesamt nur 22 000 km Breitbandkoaxialkabel verlegt wurden. Ähnlich verhält es sich mit den Übergabepunkten. Den rund 233 000 aus den Jahren 1980 bis 1982 werden in diesem Jahr 248 000 Übergabepunkte gegenüberstehen, um einmal ein realistisches Maß der Dinge zu nennen.
Von der 1 Milliarde DM, die für Breitbandverkabelung im Haushalt der Deutschen Bundespost zur Verfügung steht, werden Ende des Jahres 820 Millionen DM abgerufen sein. Dabei konnten durch rationellere - und das heißt kostengünstigere - Verlegungsmethoden erhebliche Einsparungsergebnisse erzielt werden; sonst hätten wir weit über 900 Millionen DM verbraucht. Daß auf der Basis des stärkeren Einsatzes solche besseren Methoden entwickelt werden, werden Sie uns ja wohl nicht auch noch zum Vorwurf machen.
Nachweislich wurden durch diese Maßnahmen ca. 15 000 Menschen bei der Bundespost und den beteiligten Firmen beschäftigt. Das möchte ich in Sachen Arbeitsmarkt deutlich sagen. Das läßt sich ja nachrechnen, aber das wollen Sie jetzt nicht.
Wir wissen natürlich auch, daß die Attraktivität und damit die Wirtschaftlichkeit der Netze wesentlich von der Zahl der eingespeisten Programme abhängig ist. Es gehört zu den Besonderheiten sozialdemokratischer Politik in Deutschland, einerseits die Wirtschaftlichkeit dieser Netze anzumahnen, andererseits aber alles zu tun, um allein schon die Verteilung der ortsmöglichen Programme zu erschweren. Gegen dieses sollten Sie doch eigentlich nichts einzuwenden haben.
({15})
Der Bundesgeschäftsführer der SPD schrieb 1968, als er noch Medienwissenschaftler und nicht Parteistratege war:
Seit dem 19. Jahrhundert werden nur die vermassenden und verdummenden Wirkungen der Massenkommunikation prophezeit, und jede empirische Untersuchung beweist das genaue Gegenteil. Es wäre an der Zeit, diese Art der Kulturpolitik endlich auf dem Schutthaufen der Geschichte zu deponieren.
({16})
Aber die SPD wird wohl - nicht nur in dieser Frage, fürchte ich, Herr Paterna - weiter im Gedankengut des 19. Jahrhunderts verharren.
({17})
Herr Kollege Pfeffermann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Paterna? - Bitte, Herr Paterna.
Herr Kollege Pfeffermann, indem ich Ihnen natürlich bestätige, daß die Anschlußbereitschaft mit der Zahl der angebotenen Programme zusammenhängt, möchte ich Sie fragen, ob denn z. B. eine Entscheidung der bayerischen Staatsregierung vorliegt, in die Kabelnetze in München etwa das dritte Fernsehprogramm des Norddeutschen Rundfunks einzuspeisen. Da könnte schon ein Anfang mit den notwendigen Entscheidungen der Länder gemacht werden.
Herr Paterna, Sie wissen genau, daß wir auch für diesen Bereich alle technischen Voraussetzungen erfüllen werden. Wenn die Vorgängerregierung auf dem Satellitensektor und in ähnlichen Bereichen etwas zügiger gehandelt hätte, hätten wir auch in dieser Beziehung längst neue Möglichkeiten, zu wirtschaftlichen Lösungen zu kommen. Ich werde gleich dazu noch einiges sagen.
Durch die Vorbereitungen der Deutschen Bundespost wird es möglich sein, ab Mitte 1985 alle dritten Programme an die Kabelnetze heranzuführen. Das wird ab Mitte 1985 möglich sein; Sie hätten es ja früher einleiten können. Ab Anfang 1984 wird die Nutzung des ECS ermöglicht. Für Anfang 1985 wurden sechs TV-Kanäle beim System Intelsat 5 angemietet. Ab ca. 1985/86 steht der TV-Sat mit drei TVKanälen zur Verfügung. Für Ende 1987 sind weitere fünf bzw. sieben TV-Kanäle durch den deutschen Fernmeldesatelliten möglich, wenn sich die dafür Verantwortlichen für die richtigen Wege entscheiden.
Wir werden dann sehen, welche Bundesländer, Herr Paterna, ihren Bürgern freie Auswahl gestatten und welche sich zum politischen Vormund aufschwingen.
({0})
Dabei gehen wir davon aus, daß das Verteilen der ortsmöglichen und auch der herangeführten Programme allein schon eine für die Rentabilität der Netze ausreichende Akzeptanz, d. h. Anschlußdichte, ergibt. Jedenfalls ist das die Erfahrung, soweit Netze vorhanden sind, und die Erfahrung des Auslands.
Eine deutliche Erhöhung der Rentabilität kann bei einem Einsatz von Pay-TV erreicht werden; die Koaxialnetze der Deutschen Bundespost können diesen Dienst ohne Schwierigkeiten realisieren. Dabei werden die Breitbandverteilnetze in Kupfer, die sogenannten Koaxialkabel, in den nächsten Jahren im Ortsbereich die preisgünstigste und rentabelste Verkabelung sein. Darüber sind sich alle fortschrittlichen Postverwaltungen in den Industriestaaten dieser Welt einig, nicht zuletzt deshalb, weil die technische Kapazität dieser Kabel ausreicht.
Erst in einigen Jahren wird sich u. a. auf Grund der Bigfon-Versuche realistisch beurteilen lassen, ob ein vollintegriertes Glasfasernetz, das sogenannte IDSN, die vernünftigste und preisgünstigste Lösung auch für reine Verteilnetze ist. Viel wahrscheinlicher ist aber, daß es über einen langen Zeitraum bei einem einfachen Verteilnetz in Kupferkoaxialkabel bleiben wird. Dort, wo z. B. ein Bedarf an Videokonferenzen, an Datendiensten mit hoher BIT-Rate oder an Bildtelefon vorhanden ist, kann man ein sogenanntes Overlay-Netz in Glasfaser errichten. Aber dies alles wird wesentlich davon abhängen, ab wann mit einem wirtschaftlichen Einsatz der Glasfaser im Ortsbereich gerechnet werden kann.
Die vom Bundeskanzler und vom Bundespostminister in Berlin mit der Industrie vereinbarte Produktionsstätte für Glasfaser wird uns sicher darüber wesentliche Aufschlüsse geben können. Jedenfalls wird es bis dahin das Geheimnis der SPD bleiben, wieso sie den Glaubenskrieg „Kupfer- oder Glasfaserverkabelung?" einerseits entfacht, ohne hier auch nur im Ansatz die wirtschaftliche Vertretbarkeit des Einsatzes der Glasfaser auf der Ortsebene nachweisen zu können, auf der anderen Seite aber stets den weltweit anerkannt wirtschaftlichen Einsatz der Koaxialkabel mit ausreichender technischer Kapazität für die heute verfügbaren Dienste in Zweifel zieht. Dazu haben Sie eben natürlich kein Wort gesagt, weil sich das ja in Pressekommentaren leichter macht als in der offenen Debatte des Deutschen Bundestages.
Noch ein Wort zur Akzeptanz überhaupt:
({1})
Durch die zur Zeit installierten Breitbandverteilnetze der Deutschen Bundespost können ca. 709 000 Wohneinheiten versorgt werden. 419 000 Wohneinheiten sind angeschlossen. Das bedeutet, daß hier eine Anschlußdichte von rund 60 % gegeben ist. Seltsamerweise bezweifelt die SPD heute den Bedarf und die Akzeptanz eines breitbandigen Verteilnetzes zur Übertragung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen. Als sie 1978 zunächst die Verkabelung von 11 Großstädten beschloß, muß die Akzeptanz damals wohl gegeben gewesen sein. Jedenfalls ist anderes nicht bekanntgeworden. Daß es später zum Verkabelungsstopp kam, hatte doch andere Ursachen als die Akzeptanz. Die SPD hat mit der Deutschen Bundespost Medienbehinderungspolitik gemacht; deswegen wurde der Verkabelungsstopp verhängt, obwohl Sie übrigens auch damals schon auf die Arbeitsmarktauswirkungen zu Recht hingewiesen haben, auch wenn Sie davon heute nichts mehr wissen wollen.
30 bis 50 % der deutschen Haushalte haben ihr Interesse am Breitbandnetz bekundet. So ist es eine bewußte politische Irreführung, wenn die SPD zum Beispiel von der mangelnden Akzeptanz des Pilotprojekts in Ludwigshafen spricht, wohl wissend, daß zusätzliche Einspeisung erst zum 1. Januar 1984 erfolgen sollen. Ich möchte spezielle Fragen dieses Projektes nicht weiter vertiefen; Kollegen werden nachher darauf eingehen. Aber wenn schon heute abzusehen ist, daß Ende des Jahres 1983 8 000 bis 10 000 Wohneinheiten angeschlossen sein werden, so wird also der Start mit einer Anschlußdichte zwischen 20 und 25 % der Wohneinheiten erfolgen, und das liegt im Bereich der Planung, die man für das erste Jahr in Aussicht genommen hat.
Die in diesen Tagen von der SPD oft marktschreierisch dargestellte Erkenntnis, daß Kostendeckung erst nach einer gewissen Anlaufphase für diesen Unternehmensbereich zu erzielen sein wird, ist doch nichts Neues, Herr Paterna.
({2})
Sie gilt für alle neuen Dienste und Produkte, ob es sich um die Deutsche Bundespost oder die Wirtschaft im übrigen handelt.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu den Kooperationsmodellen machen. Zu dem Abschluß der Verträge in Niedersachsen möchte ich den Postminister ausdrücklich beglückwünschen.
({3})
Ich weiß sehr wohl, daß bei der Vorbereitung dieser Verträge viele Vorurteile und gezielte Desinformation zu überwinden waren,
({4})
nicht nur aus manchem politischen Lager, sondern - ich will auch das hier sagen - auch aus mancher Verbandsebene. Es wäre wünschenswert, wenn alle Interessenten das Angebot der Kooperationsmodelle intensiv prüften und sich bewußt wären, daß es sich hier um Modellvorlagen handelt, die auszugestalten sind.
Ich fordere die Betroffenen zu engerer Kooperation mit der Deutschen Bundespost auf.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Freien Demokraten begrüßen diese Debatte, denn sie gibt Gelegenheit, die aktuellen medien- und fernmeldepolitischen Positionen zu klären. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben durch die Regierungserklärung vom 5. Mai 1983 ihre Grundauffassungen dargelegt.
Wir brauchen den Fortschritt in den Informations- und Kommunikationstechniken. Dieses sind die Wachstumsmärkte der Zukunft, sie sichern unsere Wettbewerbsfähigkeit, sie schaffen neue Arbeitsplätze, und sie schaffen soziale Sicherheit, und das genau in einem Zeitraum, in dem die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die vorrangigste Aufgabe unserer Politik ist.
Meine Damen und Herren, wer diese Chance nicht nutzt und den ohnehin schon vorhandenen
Nachholbedarf weiter blockiert, der meldet sich aus dem internationalen Wettbewerb einer neuen Schlüsselindustrie ab und der versperrt dem Bürger zu Zugang zu Vielfalt und Auswahl neuer Informations-, Nachrichten- und natürlich auch Unterhaltungsquellen.
({0})
Wer den Bürger für mündig hält, hochkomplizierte und selbst für Fachleute oft kaum zu duchschauende Sachverhalte durch Volksbefragung zu entscheiden, der wird völlig unglaubwürdig, wenn er dem gleichen Bürger nicht zutraut, in eigener Verantwortung zwischen Spielfilm und Sport und Western und Werbung zu wählen, was er tagtäglich im Videogeschäft mit einem tausendfachen Programmangebot längst tut.
({1})
Die Freien Demokraten registrieren mit Genugtuung, daß die von ihnen bereits 1979 erarbeiteten Positionen zur Einführung von neuen Medien nicht nur in der Politik der Bundesregierung ihren Ausdruck finden, sondern auch über Parteigrenzen hinweg nun auf breiterer Ebene konsensfähig werden. Die FDP hält daran fest, daß die Trägerschaft der Kabelnetze öffentlich-rechtlich organisiert wird und bei der Nutzung der neuen Medien die Presse und andere Private angemessen beteiligt werden. Wir halten es für einen Fortschritt, daß nunmehr auch die Union die öffentlich-rechtliche Trägerschaft nicht länger zugunsten privater Unternehmen verdrängen will und daß die Sozialdemokraten ihr klares Nein zu jeder Form privater Kabelnutzung zunehmend abschwächen. Also bleibt zu hoffen, daß wir die Ära medienpolitischer Glaubenskriege bald beenden können und Verkabelung nicht länger auf Abschattungs- und Neubaugebiete beschränkt bleibt.
({2})
Wir begrüßen, daß der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen durch seine zukunftsorientierte, von vielen als Verkabelungseuphorie kritisierte Vorwärtsstrategie nun die Medienpolitik der Länder mit der technischen Wirklichkeit konfrontiert. Jetzt sind die Länder mit ihren medienpolitischen Entscheidungen gefordert. Bundespolitisch kommt es nun darauf an, diese Vorwärtsstrategie konkret auszugestalten und dabei die Rolle der Deutschen Bundespost präzise und verbindlich zu bestimmen. Es gilt, die Planungsunsicherheit von Ländern, von Gemeinden, aber auch von interessierten Wirtschaftsunternehmen zu beseitigen.
Ein Konzept für den Ausbau der Breitbandkabelanlagen muß nach Auffassung der FDP von klaren Grundsätzen bestimmt sein.
Erstens. Die flächendeckende Verkabelung kann keine Aufgabe staatlicher Daseinsvorsorge sein, und deshalb darf es bei der Verkabelung im Orts-und Nahbereich, unbeschadet der Fernmeldehoheit, kein Monopol der Deutschen Bundespost geben. Sie ist so weit wie irgend möglich der privaten
Wirtschaft vorzubehalten. Die Post sollte hier allenfalls eine subsidiäre Aufgabe haben.
Zweitens. Die Deutsche Bundespost muß sich vor allem auf den Infrastrukturausbau in der Fernebene, also der sogenannten Netzebene 1 und 2, konzentrieren. In diesem Aufgabenbereich gibt es zur Bundespost vernünftigerweise keine Alternative. Sie muß dafür sorgen, daß neue Dienste für die Wirtschaft und zusätzliche Programme für Hörfunk und Fernsehen an die Kopfstationen der Breitbandkabelanlagen in der Nahebene herangeführt werden können. Wenn die Deutsche Bundespost diese Aufgabe unter Berücksichtigung des Satellitenrundfunks konsequent weiterverfolgt, leistet sie einen entscheidenden Investitionsbeitrag zum Ausbau der Breitbandverteilnetze.
Drittens. Da die Verkabelung im Orts- und im Nahbereich der privaten Wirtschaft vorbehalten sein sollte, muß es Aufgabe der Bundespost sein, die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für das Engagement der privaten Wirtschaft umgehend herzustellen. Der mit den Kooperationsprojekten beschrittene Weg scheint uns so noch nicht geeignet zu sein, ein rechtzeitiges Engagement der privaten Wirtschaft auf breiter Basis einzuleiten. Die Kooperationsprojekte hemmen den Verkabelungsfortschritt in seiner Gesamtheit. Das derzeitige Engagement der Bundespost kostet den Fernsprechteilnehmer mehr Geld als wirklich notwendig wäre.
Die FDP erwartet im einzelnen, daß die Deutsche Bundespost ihre Planungen für den Ausbau der zentralen Einrichtungen in der Fernebene, also der Ebene 1 und 2, offenlegt, daß sie einen jährlich fortzuschreibenden Zeitplan vorlegt, aus dem der Fortgang der Verkabelung hervorgeht, daß die Parzellierung der Verkabelungsgebiete nach dem örtlichen Bedarf erfolgt und daß festgelegt wird, nach welchen Grundsätzen die Auswahl zwischen Wettbewerbern für die Errichtung und den Betrieb von örtlichen Kabelanlagen erfolgen soll.
Meine Fraktion hält es für wesentlich, daß im Rahmen einer künftigen Verordnung privatwirtschaftliche Lösungen für den Netzbetrieb ermöglicht werden. Dazu gehört z. B. auch die Möglichkeit, daß Netze von den Teilnehmern als Eigentümergemeinschaft, d. h. in deren unmittelbarem Auftrag, betrieben werden.
Wir begrüßen, daß die Bundespost darauf verzichtet hat, die Hausinstallationen von Breitbandverteileinrichtungen, also die Netzebene 4, selbst durchzuführen, wenn auch das Handwerk darüber klagt, daß noch vieles klärungsbedürftig sei, um diese Aufgabe wirklich sach- und fachgerecht wahrzunehmen. Diese von der FDP nachhaltig geforderte und schließlich ja auch durchgesetzte Klarstellung durch die 23. Änderungsverordnung liegt im Interesse der betroffenen Handwerksbetriebe und anderer Beteiligter. Wir plädieren für eine ganz klare Arbeitsteilung zwischen privater Wirtschaft, also für die Netzebene 3 und 4 einerseits, und der Deutschen Bundespost, also für die Netzebene 1 und 2 andererseits, damit die Deutsche Bundespost
ihr eigenes unternehmerisches und finanzielles Engagement in Grenzen halten kann.
({3})
Solange wir nicht wissen, in welchem Umfang die Breitbandverteilnetze durch Dienste in Anspruch genommen werden, wieweit sie auf Nachfrage stoßen, solange wir ebenfalls nicht wissen, wann denn diese Nachfrage für Netzbetreiber und Programmveranstalter wirtschaftlich tragfähig wird, ob und in welcher Größenordnung die Bürger und die Kunden die neuen Dienste wirklich nutzen werden, und da schon heute die vorgesehenen Investitionen ja nicht voll abfließen, solange müssen natürlich jährlich bis zu 2 Milliarden DM an Investitionsmitteln fragwürdig erscheinen. Ob mit der vorgesehenen Gebührenstruktur eine Erstanschlußdichte von mindestens 25 % - im dritten Betriebsjahr sogar 40% - aller in einer Parzelle vorhandenen Haushalte erreicht wird, ist mehr als ungewiß.
Die Deutsche Bundespost wäre deshalb gut beraten, wenn sie auch in Zukunft den Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten auf den Ausbau der Individualkommunikation legt. Hier gilt es, sehr vieles nachzuholen, was in anderen Ländern längst Standard ist - das drahtlose Telefon ist nur ein Beispiel dafür -, d. h. Leistungssteigerung im schmalbandigen Vermittlungsnetz und Errichtung eines breitbandigen Vermittlungsnetzes in Glasfasertechnik. Es kann, meine Damen und Herren, kein Zweifel darüber bestehen, daß sowohl auf dem Gebiet der geschäftlichen Kommunikation wie generell auf dem Gebiet der Individualkommunikation eine rasch wachsende und unerfüllte Nachfrage vorhanden ist. Dieser Nachfrage durch leistungsfähige Netze und hochwertige Dienste gerecht zu werden ist eine Aufgabe der Deutschen Bundespost von volkswirtschaftlicher Priorität.
Dieser Vorrang der Individualkommunikation darf nicht durch falsche oder überhastete Investitionspolitik bei den Breitbandverteilnetzen gefährdet werden. Wenn schon, wie in der Antwort auf die Große Anfrage zu lesen ist, von der Bundespost bis zu 2 Milliarden DM jährlich für die Verkabelung ausgegeben werden sollen, dann ist dieser Betrag für die Bundespost zu hoch und für die Verkabelung viel zu niedrig. Vernünftige Relationen werden wir nur erreichen können, wenn parallel zu den notwendigen medienpolitischen Weichenstellungen und Entscheidungen in den Ländern der privaten Wirtschaft ein weites Betätigungsfeld auf diesem Verkabelungssektor geöffnet wird.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, unterstützt die FDP-Bundestagsfraktion eine Vorwärtsstrategie für die Verkabelung als Schlüssel zum Ausbau eines neuen Wachstumsmarktes, zur Stärkung der Leistungs- und Wettbewerbsposition unserer Wirtschaft und als Chance für den Bürger, vielfältiger, aber auch selbstverantwortlicher seine Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse und -wünsche befriedigen zu können.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Diese Große Anfrage geht davon aus - insoweit befindet sich die SPD in Übereinstimmung mit den übrigen Parteien, außer uns GRÜNEN -, daß der Schritt in das Informationszeitalter getan werden muß. Dazu gibt es offensichtlich keine Alternative. Wir haben zwar zu vielen Bereichen unserer Gesellschaft keine Schlüssel, aber diese Breitbandverkabelung, von der wir reden, wird nicht schnell genug auf das Podest einer Schlüsselindustrie gehoben, die es dann ohne Kritik zu hofieren gilt.
Die vorliegende Anfrage - die Ausführungen von Herrn Paterna haben dies auch bestätigt - offenbart ernste Befürchtungen, daß die jetzt geplante Breitbandverkabelung die Ertragskraft der Deutschen Bundespost in Gefahr bringe. Die Netze könnten nicht kostendeckend betrieben werden. Das eingesetzte Kapital werde in erheblichem Maße gebunden und verschleudert. Andere Modernisierungen im Kommunikationswesen würden vernachlässigt, gewinnbringende Zweige der Verkabelung privatisiert, und defizitäre Zweige brächten die gleichen Nachteile wie die Entwicklung bei der Deutschen Bundesbahn in den letzten Jahrzehnten. Dies ist auch die Überzeugung einer großen Anzahl von Postlern, sachkundigen Betriebsangehörigen. Die müssen es ja wissen.
Es wäre gut, wenn das Bundespostministerium einmal die von der Firma Diebold angefertigte Studie herausgäbe, die nur in Teilen veröffentlicht worden ist und die von der Akzeptanz der neuen Geräte und Medien handelt.
Für die Verkabelung argumentiert die Post in erster Linie mit neuen Leistungen und perfekteren Übertragungen der Unterhaltungsmedien Fernsehen und Rundfunk. Die Leute kritisieren die gegenwärtig wenigen Fernsehprogramme. Also brauchten sie attraktivere Sendungen und eine weit größere Auswahlmöglichkeit, die nicht mehr allein von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geliefert werden sollen, sondern auch von kommerziellen privaten Sendern. Das heißt, uns bleibt dann die Wahl zwischen Spielfilm und Western. Es ist zwar gewiß, daß die jetzigen Rundfunkanstalten dringend einer demokratischen Erneuerung bedürfen, sicher ist aber auch, daß den Betreibern privater Sender wenig am Meinungspluralismus der Bürgerinnen und Bürger gelegen sein wird. Sie senden, um Ihre Wirtschaftsinteressen zu verfolgen.
Seit dem 1. Juli 1983 zahlt jeder Fernsehteilnehmer eine monatliche Fernsehgebühr von 11,20 DM gegenüber vorher 9,20 DM und eine monatliche Grundgebühr von 5,05 DM gegenüber vorher 3,80 DM. In diesen Erhöhungen stecken zwei Groschen für die dreijährige Finanzierung der vier Kabelpilotprojekte in Berlin, Ludwigshafen, München und Köln. Die Erhebung dieses Kabelgroschenzuschlags ist rechts- und verfassungswidrig.
({0})
Denn der Betrag von 20 Pfennig, den jeder Fernsehteilnehmer in der Bundesrepublik zu zahlen hat, ist rechtlich kein Teil der Rundfunkgebühr, sondern ein selbständiger, zweckgebundener Zuschlag zur Finanzierung der Kabelpilotprojekte. Ihm steht bei mehr als 99 % der Fernsehteilnehmer, die entweder in ein Kabelpilotprojekt nicht einbezogen sind oder den Anschluß verweigern, keine Gegenleistung gegenüber. Die Belastung der Fernsehteilnehmer verletzt daher, so der Münchener Rechtsanwalt Sieghard Ott in einem von den GRÜNEN in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten,
({1})
das Äquivalenzprinzip und den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.
({2})
- Sagt das Rechtsgutachten. Vermieter und Mieter ärgern sich zudem über die Bauernfängerei, wie sie sagen, mit den Anschlußgebühren.
({3})
- Ich zitierte aus einem Leserbrief der „Welt", und da steht das. Im übrigen möchte ich das Wort „Bauernfängerei" auch in Anführungszeichen setzen. ({4})
Erst würden die Kunden mit niedrigen Preisen geködert, nachher würden dann diese Preise auf Grund des Staatsmonopols um ein Vielfaches erhöht.
Widerstand erhebt sich ebenso bei den Mietern in Mehrfamilienhäusern, weil sie von ihren Vermietern zwangsverkabelt werden und die Kosten für den Kabelanschluß ihrer Wohnung schließlich als Mieterhöhung wegen angeblicher Wohnwertverbesserung aufgebrummt bekommen.
({5})
Der Deutsche Mieterbund hat auch ein Rechtsgutachten über Zwangsanschluß der Mietwohnungen an das Kabelfernsehen in Auftrag gegeben. Dieses Rechtsgutachten kommt zu dem Schluß, daß sich aus den geltenden mietrechtlichen Bestimmungen kein Anspruch des Vermieters ableiten läßt, die mit der Verkabelung verbundenen Kosten auf den Mieter abzuwälzen.
Nun, es ist j a allgemein bekannt - es wurde auch schon erwähnt -: Die von den Haushalten geäußerte Nachfrage nach mehr Fernsehprogrammen ist gering. Wenn die Leute aber erfahren, daß sie monatlich noch 15 DM zusätzlich zahlen müssen, antworten nur noch ganz wenige zustimmend. Das heißt: Staatliche Investitionslenkung geschieht in einem Bereich, in dem die Nachfrage erst geschaffen werden muß.
Ein weiteres Argument der Befürworter der Breitbandverkabelung ist, dies schaffe Arbeitsplätze. Dieses neue, unterirdische Straßennetz für die elektronische Kommunikation wird als die einzig mögliche Wachstumsindustrie, die Schlüsselindustrie, herbeigewünscht, ja beschworen, während sich doch gerade in dieser Branche das Phänomen zeigt, daß Wachstum keinesfalls mehr Arbeitsplätze, sondern im Gegenteil, den Verlust von Arbeitsplätzen bedeutet. Die Rationalisierungsindustrien sind sich selbst ihre besten Kunden. Herr Bundespostminister, Sie bekamen es ja auf dem 14. Kongreß der Deutschen Postgewerkschaft in Hannover sehr deutlich zu spüren, wieviel Empörung und Angst bei Ihren Kollegen herrscht, denen Sie empfohlen haben, von unerfüllbaren Forderungen Abschied zu nehmen. Die Postler kennen die Planungen und wissen auf Grund ihrer Berufserfahrung, daß die neue Infrastruktur auch in Ihrem Unternehmen umwälzende Veränderungen bewirken wird, selbst wenn die Verkabelung kurzfristig einen zusätzlichen Beschäftigungseffekt hervorbringt.
Diese Infrastruktur ist übrigens auch dazu gedacht, die Kommunikationswege für die Schalt- und Kommandozentralen im Falle eines Konflikts bereitzustellen.
({6})
- Wir reden ja von Breitbandverkabelung und nicht vom Fernsehen. ({7})
Allerdings müßten die Kupferkabel bis dahin durch die Glasfaserkabel ersetzt werden, weil dieses Kabel die für den Ernstfall äußerst wichtige Eigenschaft hat, gegen den elektromagnetischen Impuls immun zu sein, d. h., es könnte durch elektrische Störungen nicht außer Betrieb gesetzt werden.
Als weiteres Argument wird für die Verkabelung die Option auf den Technologieexport ins Feld geführt; das haben ja Sie, Herr Pfeffermann, ganz besonders betont,
({8})
als Sie sagten: Die Geräte können wir aber nicht exportieren, wenn die Post sie nicht vorher installiert und sie bei uns nicht erst einmal ausprobiert werden.
Ich meine aber nun ganz allgemein: sollten wir nicht einmal darüber nachdenken, ob wir auf dem falschen Dampfer sind, wenn wir hier in der Bundesrepublik immer wieder sagen, der Export sei absolut lebenswichtig? Wir haben eine weit höhere Exportquote als die USA. Wir sollten doch einmal versuchen, von dieser „lebenswichtigen Abhängigkeit" etwas zurückzunehmen.
({9})
In bezug auf die Breitbandverkabelung und die Geräte trifft das j a sowieso nicht zu. Denn gerade in dieser Beziehung ist der Innenmarkt vor allem gefordert.
({10})
- Ich hoffe, ich spreche auch zu Arbeitern und Arbeitslosen, die hier zuhören.
({11})
Hier geht es ja auch weniger darum, der notleidenden Kabelindustrie auf die Beine zu helfen, sondern vor allem den Geräteherstellern, denen angesichts des Vorsprungs der Amerikaner und Japaner auf dem Gebiet der Elektronisierung der Haushalte und der Büros ein Absatzmarkt im Inland fehlt.
Was kann denn zum Fernsehen noch alles hinzukommen? Da brauchen Sie: Tastaturen für die Benutzung von Bildschirmtext und Kabeltext, Steuereinheiten für Video-Spiele, Heimcomputer, Drucker zum Ausdrucken von Kabeltext und Bildschirmtext, Videorecorder oder Digitalplattenspeicher, die auch Daten speichern können, und schließlich vor allem auch die phantastische Menge von Steuergeräten für alle technischen Einrichtungen des Haushalts. Sie kennen vielleicht die schönen Geschichten, daß Sie morgens im Bett bereits auf einen Knopf drükken, schon geht der Vorhang hoch, der Kaffee wird angewärmt - oder gekocht, nicht angewärmt -,
({12})
und das Frühstück ans Bett gerollt. - Ich trinke keinen Kaffee. Und für die Büros gibt es natürlich die Groß- und Kleincomputer.
({13})
- Ich verzichte.
Also hören Sie weiter: Für die Büros gibt es außerdem Groß- und Kleincomputer, Fernschreiber und Kopierer, kommunikationsfähige Schreibmaschinen und vieles andere mehr, zum großen Teil bereits in Anwendungen.
Nun komme ich zum zweiten Teil. Ich möchte folgedes sagen: Wir GRÜNEN stellen uns nun in Medienarbeitskreisen - auch hier im Bundestag in dieser Ansprache - die Frage: Wie teuer erkauft sich die Gesellschaft eigentlich dieses Medienzeitalter? Gibt es wirklich keine Alternative? Ist es so, wie der Rat der Europäischen Gemeinschaften behauptet, daß letztendlich die Identität Europas und seine politische Unabhängigkeit ernstlich gefährdet seien, falls die Firmen der Informationstechniken nicht eine außerordentliche Förderung erführen? Dann müssen wir uns doch wohl Gedanken machen, wer denn eigentlich die Entscheidungen fällt und ob diese Entscheidungen von den Menschen verstanden werden. Alle bisherigen Informationen über die Breitbandverkabelung waren meiner Meinung nach äußerst gering. Die weitestgehende Aussage ist noch die, es handele sich um eine neue Infrastruktur. Eine Infrastruktur, das ist wie ein neues Kreislaufsystem, ein Kreislaufsystem der Kommunikation. Die Zahl der Menschen wächst, die fühlen, was da auf sie zukommt. So sind die Breitbandeuphoriker, allen voran Herr Dr. Schwarz-Schilling, außerordentlich um die Akzeptanz bemüht. Sie wollen die vermeintlichen Technikängste abbauen. Nur leider tun sie dies nicht, indem sie ehrlich sagen, wie denn nun die weiteren Schritte nach dem ersten Schritt der Breitbandverkabelung aussehen sollen. Sie weisen sogar jede weitere Verantwortung weit von sich. Die Post baut die unterirdischen Straßen. Wozu sie genutzt werden sollen, das geht sie nichts mehr an. Es gibt für dieses Projekt keine Diskussion der medienpolitischen Folgen, keine der arbeitspolitischen und keine der wirtschaftspolitischen. Die Verantwortung fällt auf die Länder und auf die Kommunen zurück, wenn die Qualität der Medienprogramme privater Anbieter immer schlechter wird und wenn vor allem bei jungen Menschen dies zu psychischen Störungen führt. Sie fällt auf die Gewerkschaften zurück, wenn unvorstellbare Arbeitsplatzverluste durch die Rationalisierung auftreten. Sie fällt schließlich auch auf die Regierung zurück, die den Wirtschaftsaufschwung gerade mit dieser neuen Infrastruktur anheizen wollte und die wahrscheinlich sehr bald gewahr wird, daß der Ofen ausgeht.
({14})
Wer will denn eigentlich die Breitbandverkabelung? Offensichtlich nur Post und Industrie. Die Elektroindustrie ist interessiert am Verkauf von Geräten, die Wirtschaft an der Rationalisierung, die Post, weil der Fernsprechmarkt gesättigt ist, an neuen Gebühreneinnahmen und der Investition der Gewinne. Der Verbraucher will die Verkabelung nicht.
({15})
- Aus vielen Untersuchungen, Prognosen, Leserbriefen. Die kann ich Ihnen zuschicken, Herr Pfeffermann. - Es müßten intensive Diskussionen um die zukünftigen, aus der Breitbandverkabelung entstehenden Probleme geführt werden. Welche qualitativen Veränderungen der Arbeit sind zu erwarten? Geht es an, den Technikeinsatz ständig zu beschleunigen, obwohl das Defizit an Wissen über die Besonderheiten der Informationstechnik immer größer wird?
({16})
Die Bundesregierung begründet den beschleunigten Ausbau des Breitbandkabelnetzes damit, daß sie die Unternehmer nicht in der Unsicherheit über Marktchancen und Investitionsrisiken lassen will. Herr Riesenhuber stellt sogar Bürgschaften für Risikokapitalanlagen der Firmen bereit.
({17})
Was aber ist mit der Unsicherheit der Bürgerinnen und Bürger, frage ich Sie, über die Risiken und sozialen Folgen der neuen Kommunikationstechniken? Wie kann die Regierung es verantworten, tiefe Eingriffe in den Sozialbereich der Menschen vorzunehmen, ohne die möglichen Gefahren auch nur mit untersucht zu haben?
({18})
- Wenn Sie das nicht verstehen, dann tun Sie mir eigentlich leid.
Es ist zu befürchten, daß die zunehmende technische Kommunikation nicht nur die zwischenmenschlichen Beziehungen in Frage stellt, sondern auch einen schwerwiegenden Angriff auf unsere Kultur darstellt. Wollen wir denn alle Videoglotzer werden, Telespieler oder Computerfreaks? Es ist an der Zeit, diese Gefahr zu erkennen,
({19})
bevor die Technik immer weiter entwickelt und eingesetzt wird, denn die Erkenntnisse der Kabelpilotprojekte werden nicht mehr abgewartet. Längst wird die Verkabelung vorangetrieben, bevor diese Alibi-Pilotprojekte überhaupt angefangen haben zu existieren.
({20})
Die Gefahren und Auswirkungen der neuen Technologien müßten in breitem Rahmen diskutiert werden, nicht nur in Kreisen weniger Berater und Politiker, sondern sehr ehrlich und überall mit der Bevölkerung.
Es müßte erörtert werden, ob es Bedingungen gibt, unter denen die Nutzen des neuen Wissens dem Menschen ohne Risiko dienen, ohne Risiken, die verheimlicht werden. Solange Investitionen immer nur dazu dienen, schneller und billiger und mehr zu produzieren, damit die Konkurrenz aus dem Feld geschlagen wird, so lange wird es keine guten Bedingungen für die Arbeitenden geben, die vom Lohn abhängig sind.
Ich muß noch einmal den Bundespostminister zitieren, der in Hannover den meiner Meinung nach sehr bösen Satz sagte, daß überzogene Besitzstände von heute auf Kosten der nachfolgenden Generationen aufgebaut würden. Sie sagten das, Herr Bundespostminister, im Zusammenhang mit dem Hinweis auf eine ständige Erhöhung des sozialen Besitzstandes bei gleichzeitiger Erhöhung der Freizeit, Verringerung der Arbeitszeit, der Leistungsnotwendigkeit und der Außerachtlassung des ständig steigenden Kostenniveaus unserer Volkswirtschaft. Das sind meiner Meinung nach keine Gedanken, die dazu führen könnten, daß der Technikeinsatz den Menschen dient und nicht umgekehrt.
({21})
Der zweite Schritt der Verkabelung - das ist bekannt - wird nach dem Kupferkabel die Glasfaser sein, ein Schritt, der nicht nur eine neues Material bringt, sondern vor allem einen anderen Aufbau des Netzes, das dann breitbandig alle Telekommunikationsdienste integriert und über einen Rechner die Vermittlung durchführt. Viele Probleme für die Kommunikation und insbesondere des Datenschutzes haben ihre Ursache genau in einem solchen computervermittelten und Dienste integrierenden Netz. Ich möchte mich hier auf den Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Trier, Herrn Dr. Kubicek, berufen, der schreibt:
Die Errichtung eines einzigen breitbandigen
Dienste integrierenden Vermittlungsnetzes in
Glasfasertechnik ist wegen der begründeten Vermutung tiefgreifender negativer Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung, die soziale Gemeinschaft und auch für die wirtschaftliche Zukunft abzulehnen.
({22})
- Ich habe nicht gesagt, daß ich für das Kupfernetz bin. Habe ich das gesagt?
({23})
- Ich habe Ihnen gesagt, daß wir uns Gedanken machen, ob überhaupt die Breitbandverkabelung, der Monopolweg, auf den Sie jetzt zusteuern, die einzige Möglichkeit ist oder ob es nicht auch Alternativen gibt. Ich komme jetzt gerade auf unterschiedliche Netze zu sprechen. Ich habe davon geredet, daß noch schlimmer als die jetzige Breitbandverkabelung, die ja nur der erste Schritt auf dem Wege zu dem großen integrierten Netz ist - ({24})
- Ich bin beim zweiten Schritt. Den ersten haben Sie, wie mir scheint, verstanden.
Ich habe eben Herrn Kubicek zitiert, der es ablehnt, daß das integrierte Netz durch die GlasfaserBreitbandverkabelung geschaffen wird. Hier befinden wir uns nun in einem Gegensatz zu Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD; denn Sie sind ja wohl vor allem wegen der Kapital-und Rohstoffverschwendung dafür
({25})
- gleich -, daß die Glasfaser möglichst schnell - ohne vorherige Vergeudung von Kupferkabeln - in die Kabel gezogen wird. Haben Sie dabei bedacht, daß es die Glasfaser ist, die eine totale Kompatibilität der Systeme erst ermöglicht, daß wir, wenn wir nicht mehr getrennte Netze haben, die immerhin noch eine technische Herausforderung wären, das schaffen, wogegen wir alle sind, nämlich die totale Durchleuchtung des Menschen auch auf Grund der integrierten Vernetzung aller Systeme, die wir haben,
({26})
sowohl der Polizei als auch der Krankenkassen als auch der Meldesysteme als auch der Breitbandkabelnetze? - Danke.
({27})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kretkowski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer den Sprecher der Union hier gehört hat - ich meine nicht Ihre dramatischen Gebärden, Herr Pfeffermann, sondern das, was Sie gesagt haben - und das mit der Wirklichkeit vergleicht, der versteht die Welt nicht mehr. Deswegen sage ich zu Anfang: Die Arbeiter, die Angestellten und die Beamten der Deutschen
Bundespost haben unter der Leitung sozialdemokratischer Postminister eine der modernsten Postverwaltungen der Welt aufgebaut.
({0})
Vor allem im Bereich der Fernmeldedienste sind technologisch richtungweisende Entwicklungen eingeleitet und auch durchgeführt worden.
({1})
Ein Beispiel dafür ist die Digitalisierung des Fernmeldenetzes.
({2})
Beispiele sind auch die Versuchsprogramme für Glasfasersysteme und die vielfältigen neuen Dienste wie Bildschirmtext, Telefax, Teletex und auch die neuen Datenübermittlungsdienste.
Alle zukunftsweisenden Investitionsentscheidungen, mit denen sich der neue Postminister gern schmückt, sind bereits zur Zeit der sozialliberalen Koalition getroffen worden. Wenn Sie das hier bezweifeln, meine Kolleginnen und Kollegen von der Union, dann lesen Sie den Bericht der EnqueteKommission für neue Informations- und Kommunikationstechniken nach; da wird Ihnen dies in jedem Satz, in jeder Zeile bestätigt.
Auch in früheren Jahren hat sich die Deutsche Bundespost keinesfalls geweigert, sogenannte Kupferbreitbandkabel zu verlegen. Überall dort, wo aus geographischen oder baulichen Gründen der Empfang ortsüblicher Programme nicht einwandfrei möglich war, hat die Deutsche Bundespost verkabelt. Dies ist richtig, dies ist vernünftig, und dies soll nach unserer Auffassung auch in Zukunft so bleiben.
Wenn die Bundesregierung behauptet gleich zu Beginn ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage, es sei zu gravierenden Rückständen in der Entwicklung und Verbreitung bestimmter Medientechnologien gekommen, und wenn dies vom Sprecher der Union hier wiederholt worden ist, so ist diese Behauptung schlichtweg falsch. Der Postminister, der dies alles weiß, zeichnet an diesem Punkt der Antwort ein Gemälde in schwarz, um seinen eigenen Fehlstart zu verdunkeln.
Meine Damen und Herren, die Deutsche Bundespost muß auch in der Zukunft alle Anstrengungen darauf richten, ihr Fernmeldenetz zu modernisieren. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ist in zunehmendem Maße von der Bereitstellung einer modernen Kommunikationsinfrastruktur abhängig. Der Deutschen Bundespost kommt hier eine Schlüsselfunktion zu. Durch ihre Investitionsentscheidungen werden nachrichtentechnische Entwicklungen und der zeitliche Ablauf der Einführung neuer Techniken entscheidend mitbestimmt. Wir befürworten den Einsatz dieser neuen Informations- und Kommunikationstechniken, die für die Wettbewerbsfähigkeit hochindustrialisierter Staaten wie der Bundesrepublik notwendig sind. Ich füge aber hinzu, Frau Kollegin: Wir halten es auch für unverzichtbar, daß die Anwendung dieser neuen
Technologien sozial- und gesellschaftspolitisch verträglich gestaltet werden muß. Hier kommen sowohl auf den Gesetzgeber wie auf die Tarifvertragsparteien wichtige Aufgaben zu.
Die Weiterentwicklung der Netzinfrastruktur wird durch den von Postminister Schwarz-Schilling betriebenen intensiven Ausbau flächendeckender Breitbandverteilnetze nicht gefördert, sondern behindert. Diese Breitbandverteilnetze sollen nämlich hauptsächlich verlegt werden, um zusätzliche Fernsehprogramme zu transportieren. Einen Beitrag zur Innovation und damit zur Steigerung unserer Leistungsfähigkeit leisten solche Netze nicht. Für die Kommunikationsbedürfnisse von Wirtschaft und Verwaltung brauchen wir keine Verteilnetze, sonder Vermittlungsnetze. Die entscheidenden Impulse gehen vom Ausbau und der Modernisierung der Vermittlungsnetze aus. Dies ist unbestritten. Um so absurder ist die Behauptung der Bundesregierung, daß die Entwicklung von Exportprodukten durch eine angeblich nicht ausreichende Breitbandverkabelung gewissermaßen behindert worden sei. Noch einmal: nicht durch Breitbandverteilnetze, sondern durch die Modernisierung unserer Vermittlungsnetze werden entscheidende Impulse für neue Produkte und Produktverfahren entwickelt. In diesem Bereich war die Bundespost richtungweisend.
Dies ist alles nun nach unserer Überzeugung gefährdet. Wir halten die Kabeleuphorie des Postministers für verhängnisvoll, nämlich Milliarden in eine Technik zu investieren, die ausschließlich dazu dienen soll, die medienpolitischen Ambitionen von Herrn Schwarz-Schilling zu verwirklichen. Der Deutschen Bundespost werden so Mittel entzogen, die für die innovativen Aufgaben, d. h. für die Digitalisierung des Fernsprechnetzes und den Aufbau eines integrierten Breitbandvermittlungsnetzes auf Glasfaserbasis, nicht mehr zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, um den Ausbau der Breitbandverteilnetze zu beschleunigen, will die Deutsche Bundespost privaten Unternehmen in sogenannten Kooperationsverträgen das Recht übertragen, breitbandige Verteilnetze zu errichten, zu betreiben und zu vermarkten. Die Ausgestaltung dieser Kooperationsverträge durch den Bundesminister läßt den Verdacht aufkommen, daß damit die Tür zur Privatisierung im Post- und Fernmeldewesen aufgestoßen wird. Die negativen Folgen für die wirtschaftliche Situation der Deutschen Bundespost sowie für den Anspruch unserer Bürger auf ein einheitliches Dienstleistungsangebot zu einheitlichen Gebühren, unabhängig davon, ob jemand in der Stadt oder auf dem Lande wohnt, sind leicht vorherzusehen.
Das fängt an mit der Auswahl der Ausbaugebiete, die privaten Unternehmern vertraglich zugesichert werden. Der Postverwaltungsrat hat bei der Behandlung der Kooperationsmodelle übereinstimmend festgestellt, daß Kooperationsverträge mit privaten Unternehmen nur dann abgeschlossen werden dürfen, wenn diese Unternehmen repräsentativ gemischte Gebiete, also eine ausgewogene Struktur von Ballungsgebieten und Randzonen verkabeln. Ich halte diese Forderung für unverzichtKretkowski
bar. Private Unternehmen dürfen sich nicht gewinnbringende Gebiete mit einer großen Zahl von Wohneinheiten pro Übergabepunkt aussuchen. Der Deutschen Bundespost dürfen als Lückenbüßer nicht nur die verlustbringenden Bereiche überlassen werden. Angesichts der klaren Position des Postverwaltungsrates in dieser Frage sollte man in der Tat meinen, Kollege Linsmeier, alles sei in Ordnung, es gebe keine Schwierigkeiten.
Die Antwort der Bundesregierung zu diesem Thema ist jedoch schwammig und läßt, so meine ich, Böses erahnen. So soll über eine ausgewogene Verteilung der Ausbaugebiete mit den Kooperationspartnern verhandelt, die Einbeziehung ländlicher Regionen angemessen berücksichtigt und darauf geachtet werden, daß die schlechten Risiken nicht einseitig verteilt werden. Ein Meisterstück an Unverbindlichkeit. Und wie begründet unser Mißtrauen ist, zeigt ein Blick in die Kooperationsverträge, die in der Zwischenzeit z. B. für Braunschweig oder Wolfsburg abgeschlossen worden sind. Der Minister tut hier genau das Gegenteil von dem, was er angeblich verhandeln, berücksichtigen und beachten will.
In den bereits vorliegenden Vertragsentwürfen wird den privaten Kooperationsgesellschaften klipp und klar das Recht eingeräumt, im Rahmen eines Ausbaugebietes zunächst mit der Errichtung und dem Betreiben von Breitbandverteilanlagen in örtlich abgegrenzten Teilgebieten zu beginnen. Damit könnte man noch einverstanden sein. Aber es geht weiter:
Sollte sich später zeigen, daß für den weiteren Ausbau der Breitbandverteilanlagen für alle Anschlußinteressenten im Ausbaugebiet
- und jetzt kommt es ein unzumutbarer Aufwand erforderlich ist, so entfällt die Verpflichtung zum weiteren Ausbau.
Es dürfte keiner privaten Kooperationsgesellschaft schwerfallen, darzulegen, daß ihr, nachdem sie sich einmal die Rosinen aus dem Anschlußkuchen herausgepickt hat, eine weiträumige Verkabelung völlig unzumutbar sei. Die Bundesregierung ermöglicht also privaten Netzerrichtern und -betreibern genau das, was der Postverwaltungsrat und wir unbedingt verhindern wollen. Sie befreit letztendlich die privaten Netzerrichter von der Anschlußpflicht und stellt ihnen gewissermaßen einen Blankoscheck zur profitablen Selbstbedienung aus.
Im übrigen, meine Damen und Herren, wie der Minister angesichts dieser völlig unausgewogenen Rahmenbedingungen über die Zweckmäßigkeit und Realisierbarkeit der von ihm als Versuch bezeichneten Kooperationsmodelle entscheiden will, ist unverständlich, es sei denn, es gehe ihm um einen Nachweis, daß sich die Kooperationsmodelle zumindest für die privaten Unternehmer auszahlen und rechnen.
Offensichtlich scheinen sich auch alle an den Kooperationsmodellen Beteiligten darüber im klaren zu sein, daß eine wirtschaftliche Vermarktung der
Breitbandverteilnetze durch die alleinige Übertragung von zusätzlichen Programmen, die zunächst einmal landesrechtlich zugelassen und anschließend produziert werden müssen, kaum möglich sein wird. Es ist absehbar, meine Damen und Herren, daß die privaten Netzbetreiber über kurz oder lang alles daransetzen werden, zusätzliche Fernmeldedienste in ihren Netzen zu erbringen. Die Deutsche Bundespost wird sich angesichts der hohen Investitionen nach unserer Überzeugung dem Druck der privaten Unternehmer, die in die Breitbandverteilnetze einziehen wollen, nicht entziehen können.
Vielleicht will der Herr Postminister Dr. Schwarz-Schilling dies auch gar nicht verhindern. Die in den Entwürfen zu den Kooperationsverträgen enthaltenen Anschußklauseln für private Unternehmer hinsichtich der von der DBP bereits erbrachten oder in Zukunft beabsichtigten Dienstleistungen sind jedenfalls sehr vage gehalten. So heißt es z. B. in einem solchen Entwurf - ich zitiere -:
Für Schmalbanddienste ..., die bereits in anderen DBP-Netzen als Dienst der DBP realisiert sind oder deren bundesweite Einführung in Vorbereitung ist und die innerhalb eines Jahres eingeführt werden sollen, wird die Breitbandverteilanlage der Gesellschaft nicht zur Verfügung gestellt, .. .
Das mag man gerade noch als frohen Hoffnungsschimmer am Horizont ansehen, dann muß man aber den nächsten Halbsatz lesen:
... sofern nicht eine abweichende Vereinbarung getroffen wird.
So, meine Damen und Herren, schleust man mit Hilfe des Postministers trojanische Pferde in die Netzhoheit der Deutschen Bundespost ein.
({3})
Dieser Bezug, Herr Kollege Pfeffermann, zur Homerischen Sagenwelt läßt bei aufmerksamen Zeitungslesern sehr schnell die Frage aufkommen, ob in diesem Fall der Minister nicht gleichzeitig Odysseus und Paris ist.
Bezeichnend ist im übrigen auch, daß die Deutsche Bundespost im Rahmen der Kooperationsverträge offensichtlich beabsichtigt, privaten Netzbetreibern den verwaltungs- bzw. geschäftsmäßigen Betrieb auch in künftigen Glasfasernetzen, die die DBP errichten wird, zu überlassen.
Bemerkenswert ist auch, wie sich Postminister Dr. Schwarz-Schilling sozusagen durch die Hintertür in rein medienpolitische Zuständigkeiten mogelt. Durch die Beteiligung der Deutschen Bundespost an den Kooperationsgesellschaften, die nach dem Kooperationsvertrag B zum Zuge kommen, kann er als Gesellschafter Einfluß auf die Hörfunk- und Fernsehprogramme nehmen, die in den Netzen seiner Gesellschaft zum Zuge kommen. Damit mag für den ehemaligen medienpolitischen Experten der Union zwar ein Herzenswunsch in Erfüllung gehen, aber für ihn wie für die Kooperationsgesellschaften generell gilt, daß damit ein anerkannter und notwendiger Grundsatz aufgegeben wird. Ich
meine den Grundsatz der Trennung von Netz und Nutzung.
Es dürfte unzweifelhaft sein, daß Kooperationsgesellschaften, auch wenn sie selber keine Programme produzieren, im Rahmen ihrer unternehmerischen Entscheidung darüber befinden werden, welcher Programmveranstalter in ihre Netze hineinkommt. Programmstruktur und Programmvielfalt hängen damit letztlich davon ab, welcher Kooperationspartner bei Herrn Dr. Schwarz-Schilling zum Einsatz kommt.
In diesem Zusammenhang ist es geradezu folgerichtig - wenn auch für naive Gemüter vielleicht überraschend -, daß der Geschäftsführer der ersten privaten Kooperationsgesellschaft, die mit der Deutschen Bundespost Verträge ausgehandelt hat, eben jener Herr Rump ist, der uns als Geschäftsführer der Projektgesellschaft Kabelkommunikation - PKK - durchaus bekannt ist.
({4})
Das mag man für einen sehr denkwürdigen Zufall halten.
Zurück zur Vermengung von Netz und Nutzung, die ich für gefährlich halte. Ein privater Netzanbieter, der keinerlei gesellschaftliche und übergeordnete pluralistische Aufgaben zu befolgen hat, darf nicht in eigener Machtvollkommenheit darüber befinden, von welchen Unternehmen oder gesellschaftlichen Gruppen ein Programm angeboten werden darf. Das ist im übrigen auch die Meinung der Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems ({5}), auf die sich der jetzige Postminister in anderen Fragen gerne berufen hat. 1976 hat sie in aller Deutlichkeit festgestellt, daß den Netzbetreibern kein Einfluß auf die Veranstaltung von Programmen, also auf die über das Netz verbreiteten Inhalte, eingeräumt werden dürfe. Den Ausführungen der Bundesregierung, daß bei ihren Kooperationsmodellen die Trennung von Netz und Nutzung praktiziert sei, ist dagegen nach all dem, was wir hören und lesen, nicht zu trauen, weil die Praxis sie widerlegt.
Alle Anzeichen sprechen dafür, daß Postminister Dr. Schwarz-Schilling zur Verwirklichung seiner medienpolitischen Ziele einen Ausverkauf der Deutschen Bundespost in Kauf nimmt, zumindest jedoch nicht energisch genug verhindert. Wer der Deutschen Bundespost bestehende oder künftige Dienstleistungen entzieht, die Erträge bringen, oder wer die Deutsche Bundespost in ein finanziell untragbares Abenteuer wie die flächendeckende Breitbandverkabelung stürzt, ruiniert mittel- und langfristig das Unternehmen und führt es in die roten Zahlen. Die Finanzkraft der Deutschen Bundespost muß nicht nur unter betriebswirtschaftlichen Aspekten, sondern auch aus gesellschaftlichen Gründen erhalten bleiben.
Die Deutsche Bundespost kann den ihr übertragenen Auftrag, allen Bürgern gleiche Dienste zu gleichen Gebühren anzubieten, nur erfüllen, wenn im Rahmen von gewinn- und verlustbringenden Dienstleistungen ein interner Kostenausgleich möglich ist. Private Unternehmer, meine Damen und Herren, werden diese Leistungen nicht erbringen, da sie ihre Dienste je nach Gewinnerwartung regional unterschiedlich anbieten. Dies führt dazu, daß es in verschiedenen Gebieten verschiedene Gebühren geben wird. Manche Dienstleistungen werden voraussichtlich überhaupt nicht angeboten werden.
Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen. Angesichts der weitreichenden Folgen der von Postminister Dr. Schwarz-Schilling entwickelten und praktizierten Kooperationsmodelle halten wir es für völlig unvertretbar, daß solche Entscheidungen ohne Mitwirkung des Postverwaltungsrats getroffen werden. Die Antwort der Bundesregierung, daß es sich hierbei um Betriebsversuche handelt, über die der Postverwaltungsrat nicht zu entscheiden hat, ist grotesk. Durch diese Verträge werden Rechtsverhältnisse über eine Dauer von 12 Jahren eingegangen. Die Beteiligung privater Unternehmen im Netzbereich der Deutschen Bundespost über einen solchen Zeitraum schafft Tatsachen, die kaum mehr zurückgeholt werden können.
Im übrigen bezweifeln wir auch die formale Begründung des Ministers für die Betriebsversuche. Nach unserer Auffassung wird hier kein neuer Dienst geprüft, sondern ein bestehender Dienst wird verändert. Dies gehört in die Zuständigkeit des Postverwaltungsrats.
Meine Damen und Herren, auch andere Vorkommnisse zeigen, daß der Postminister seine Pläne am liebsten ohne die dringend erforderliche ausreichende Beteiligung des Postverwaltungsrats durchsetzen und so schnell wie möglich vollendete Tatsachen schaffen will.
({6})
Wir werden die Kooperationsmodelle des Postministers kontrollieren und uns allen Plänen widersetzen, die die Eigenwirtschaftlichkeit und den Infrastrukturauftrag der Bundespost gefährden.
({7})
Päsident Barzel: Das Wort hat der Abgeordnete Linsmeier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde mir als erstes bei dieser Debatte wünschen, daß wir in allen Fragen, z. B. im Hinblick auf die Auswirkungen der neuen Medien und der neuen Informations-und Kommunikationstechniken insgesamt, ganz klar trennen: Was ist breitbandig in Glasfaser, was ist breitbandig in Kupferkoaxialtechnik? Das, was vorhin die verehrte Kollegin Reetz in bezug auf die Arbeitsplätze an Szenarien darstellte, ist für das Kupferkoaxialkabel überhaupt nicht zutreffend. Da stellt sich ein derartiges Rationalisierungsproblem überhaupt nicht. Es mag sich im Zusammenhang mit der Glasfaser stellen; dann muß es dort und nicht beim Kupferkoaxialkabel erörtert werden.
Ein Zweites. Vorhin wurde von der Sozialverträglichkeit des Empfangs von mehr FernsehsendunLinsmeier
gen gesprochen. Das ist doch nicht in erster Linie ein Problem der Verwendung oder Nichtverwendung des Kupferkoaxialkabels, sondern es ist möglicherweise auch ein Problem, das aus der Frage resultiert: Gibt es in Zukunft andere Antennenarten, die diese individuell genauso empfangbar machen?
({0})
Auch von daher stellt sich diese Frage so überhaupt nicht.
({1})
- Auf die Kostenfrage, lieber Herr Kollege Paterna, komme ich noch gern zurück.
Herr Kollege Kretkowski, Sie haben die früheren Postminister gelobt; das steht Ihnen zu. Sie haben insbesondere Herrn Gscheidle gelobt.
({2})
- Er mußte trotz Ihres Lobs im nachhinein doch gehen.
Bereits unter der alten Bundesregierung sind zwei Dinge grundsätzlich in die Wege geleitet worden, und zwar zum einen die Kooperationsmodelle, die damals Herr Dr. Arnold im Hearing der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" angekündigt hat. Durch uns wird also etwas fortgesetzt, was Sie theoretisch konzipiert haben. Es ist hier wie beim Umweltschutz: Auch da gab es theoretische Konzepte, aber keine praktische Politik. Wir machen daraus praktische Politik. Das ist der Punkt.
({3})
Ein Zweites. Der von Ihnen gelobte Minister Gscheidle wollte ja elf Städte verkabeln. Er durfte es nicht - aus medienpolitischen Gründen, weil es im Kanzleramt einen Menschen namens Müller gab, der gesagt hat: Das wollen wir nicht. Aber Sie wollten diese elf Städte verkabeln, und zwar mit einer Gebührenordnung, die pro Hausanschluß 400 DM als Anschlußkosten verlangt hätte. Wenn Sie heute sagen, die neue Gebührenordnung, die pro Wohnungsanschluß 400 DM zugrunde legt, würde zum finanziellen Fiasko führen,
({4})
muß ich fragen: Ja, um wieviel mehr hätte denn Ihre damalige Gebührenordnung zu einem Fiasko geführt? Pro Haus haben wir im Schnitt 2,3 Wohnungen. Das heißt, die jetzige Gebührenordnung bringt zuerst einmal mit dem Faktor 2,3 mehr für die Deutsche Bundespost, als Ihre alte Gebührenordnung es gebracht hätte.
({5})
- Ja, sehen Sie: Dann müssen Sie das aber ehrlich zuerst einmal in Ihre Überlegungen einbeziehen.
Noch etwas, nachdem Sie Gscheidle so gelobt haben. Sie wissen, daß natürlich auch damals nicht alles gutgegangen ist.
({6})
Das Stichwort EWS ist ein oft gebrauchtes, aber sicher doch zutreffendes Beispiel.
({7})
- Lieber Herr Kollege Paterna, wenn Sie jetzt nicht dazwischenrufen - das dürfen Sie natürlich -, kann ich sofort auf die Rechnungen eingehen, die Sie vorhin aufgemacht haben. Sehen Sie: Ein Hausübergabepunkt kostet bei heutigen Preisen 1 800 DM. Es gibt eine Vielzahl von Hausübergabepunkten, die errichtet wurden. 1 800 DM ist der Durchschnittspreis. Das bezweifelt im Grunde auch niemand. Ich habe auch von Ihnen nicht gehört, daß Sie diesen Durchschnittspreis bezweifeln. Sie können pro Hausübergabepunkt - so rechnet die Post
- 3,5 Wohneinheiten anschließen. Warum 3,5? Das ist übrigens auch das Mißverständnis in der Rechnung der ARD und des von mir sehr geschätzten Direktors dort. Der hat nämlich gesagt: im Schnitt nur 2,3. Er vergißt dabei, daß man von einem Hausübergabepunkt aus - denken Sie z. B. einmal an Siedlungen mit schmalen Erschließungswegen - nicht nur ein einziges Haus, sondern in der Regel links und rechts des Weges ein Haus anschließen kann. Dann kommen Sie bundesweit im Durchschnitt nicht mehr auf 2,3, sondern auf 3,5 Haushalte pro Übergabepunkt. Wenn Sie diese 3,5 Haushaltsanschlüsse pro Übergabepunkt rechnen, kommen Sie auf Durchschnittskosten pro Übergabepunkt von derzeit 514 DM. Möglicherweise - es gibt dafür Tendenzen - senken sich diese Anschlußkosten sogar noch etwas, so daß sie vielleicht nur bei 1 600 DM pro Übergabepunkt liegen.
Nun gibt es natürlich verschiedene Dichten in der Bebauung. Es ist mit Sicherheit so, daß in Berlin pro Übergabepunkt wesentlich mehr Wohnungen angeschlossen werden können als draußen auf dem flachen Land. Wir haben ja Zahlen. In Berlin haben wir pro Übergabepunkt 16 Wohneinheiten, in flachen und weniger dicht bebauten Gegenden 1,8 Wohneinheiten. Wenn Sie jetzt also, lieber Herr Kollege Paterna, Einzelbeispiele nehmen, z. B. Ihr beliebtes Delmenhorst, so können Sie dieses Einzelbeispiel nicht bundesweit hochrechnen, weil Sie einfach die Struktur Delmenhorsts als bundesweit typisch voraussetzen und ansetzen, und das stimmt nicht. Genauso wenig könnte man umgekehrt Berlin dafür ansetzen.
Herr Kollege Linsmeier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Paterna?
Gern.
Herr Abgeordneter Paterna.
Wir können hier schlecht diskutieren, wieweit Delmenhorst typisch ist. Aber wenn ich mir jetzt mal eben Ihre Zahlen nehmen darf,
möchte ich Sie gern fragen, wie dann Gesamtkosten von 25 Milliarden DM möglich sind. Denn Sie würden dann unterstellen: 25 Millionen Haushalte gleich 7 Millionen Übergabepunkte mal 1 800 DM. Da komme ich über den dicken Daumen auf gut 10 Milliarden DM. Können Sie mir nun mal die Rechnung aufmachen, wie man nach Ihren eigenen Zahlen auf 25 Milliarden DM kommt?
({0})
Lieber Herr Kollege, auf die Frage habe ich gewartet, weil ich sie auf der anderen Seite auch durchgerechnet habe. Wenn Sie das auf 20 Jahre hochrechnen, müssen Sie als Kosten gleichzeitig auch die Finanzierungskosten hochrechnen, und dadurch verdoppelt sich der Kapitaleinsatz über zehn Jahre. Im übrigen müssen Sie bei Ihrer Rechnung für Delmenhorst folgendes berücksichtigen: Was Sie bei den ersten 30 % der Haushalte an Einmalgebühren mehr einnehmen, als an Soll-Zins in den ersten Jahren zu zahlen ist, - Sie gehen von 25 000 Haushaltungen aus, es sind aber 30 000 -, müssen Sie auf der Einnahmeseite wiederum mit 8 % Zinsen ansetzen, weil über die ersten Jahre die Ausgabenseite mit 9 % jährlichem Soll-Zins geringer als der Betrag ist, den Sie vorher an einmaligen und laufenden Gebühren einnehmen.
({0})
Ich habe es Ihnen vorher schon gesagt: Ich werde Ihnen das in aller Klarheit privat zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort zu diesem ganzen Bereich. Die von Ihnen aufgemachten Rechnungen, lieber Herr Kollege Paterna, stimmen nicht, und zwar weder flächendeckend noch bundesweit; so unsere heutige Erkenntnis.
({1})
Sie sollten auch nicht Daten aus den Kabelpilotprojekten, die unter besonderen Bedingungen stattfinden, hier bundesweit hochrechnen. Auch das ist unzulässig, weil wir dort u. a. das fernsteuerbare und adressierbare Teilnehmerkonvertersystem verwenden, momentan als FATS für jeden unverständlich abgekürzt, und dieses System wird im Moment mit 1 000 DM pro Haushalt angesetzt. Der von mir sehr geschätzte Direktor im Bereich des Bayerischen Rundfunks, der für die ARD eine noch dramatischere Rechnung als Sie aufgemacht hat, Herr Paterna, setzt seinerseits voraus, daß bei etwa 25 Millionen Haushalten jeweils für 1 000 DM zusätzlich ein solches Gerät eingesetzt werden soll, was dann 25 Milliarden DM mehr ausmacht. Aber es gibt bisher keinen Menschen, der vorhat, dieses Konvertersystem tatsächlich bundesweit einzusetzen. Das wird nur in den Kabelpilotprojekten gemacht.
({2})
Im übrigen würden sich die Kosten bei einer Massenfertigung auch dort senken.
({3})
- Wenn das einmal eingesetzt werden sollte, wären die öffentlich-rechtlichen Anstalten vielleicht gar nicht so gut beraten, sich dieses Systems zu bedienen. Man könnte mit diesem System nämlich eine Abrechnung der Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Anstalten vornehmen, wonach der Zuschauer - ähnlich wie beim Telefon - nur noch für das bezahlt, was er tatsächlich sieht. Ich möchte einmal sehen, wie die öffentlich-rechtlichen Anstalten reagieren würden, wenn man dieses System bundesweit einsetzen und es den Zuschauern ermöglichen würde, tatsächlich nur noch das zu bezahlen, was er tatsächlich gesehen hat.
({4})
Meine Damen und Herren, ich wollte noch einige Sätze zu dem sagen, was Frau Kollegin Reetz vorher vorgetragen hat, weil von ihr wieder - die SPD hat heute davon Abstand genommen - diese kulturpessimistische und eigentlich sehr traurige Zukunft an die Wand gemalt wurde. Frau Kollegin, ich glaube nicht, daß diese Zukunft so aussehen wird.
({5})
- Liebe Frau Kollegin, unterstellen Sie nicht, daß nur Sie Bücher lesen. Seien Sie versichert: Ich lese sie ebenfalls.
Gehen Sie aber einmal von der folgenden Überlegung aus. Sie sagen, mit diesen neuen Informations- und Kommunikationstechniken, vor allem durch das Fernsehen, werde die Welt zur Mattscheibe. Wissen Sie, wie mir das vorkommt? Das kommt mir so vor, als wenn seinerzeit, als Gutenberg die Buchdruckerkunst erfunden hatte, jemand aufgestanden wäre und behauptet hätte: Jetzt wird die Welt zu Papier.
Damals wurde die Welt nicht zu Papier, und diesmals wird sie nicht zur Mattscheibe. Es ist Ihnen sicher eines zuzugestehen: Jeder Zivilisationssprung hat möglicherweise an einer Stelle einen gewissen Kulturverlust. Sie können es jetzt wieder vergleichen: Es ist natürlich unheimlich schön, eine von einem Klosterbruder sein Leben lang gemalte und handgeschriebene Bibel zu sehen. Das ist wunderschön. Mit der Einführung der Buchdruckerkunst wurde das natürlich in diesem Umfang nicht mehr so gemacht. Diesem Kulturverlust des einmaligen, schönen Buches aber steht der Kulturgewinn gegenüber, daß daraufhin viel mehr Leute lesen und schreiben konnten.
In einer ähnlichen Situation sind wir heute. Deshalb stellen Sie bitte den Kulturverlust nicht so in den Vordergrund.
({6})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Reetz?
Leider nicht mehr, weil die Zeit bereits abgelaufen ist und ich, Frau Kollegin, zu meinen Schlußsätzen kommen möchte.
Sie haben darüber hinaus die Exportfrage gestellt. Sie haben gesagt, die USA hätten einen wesentlich geringeren Exportanteil. Das ist richtig. Die USA haben aber auch, gnädige Frau, einen wesentlich höheren Binnenmarkt. Von daher ist das nicht so einfach vergleichbar. Oder wollen Sie sagen, daß wir künftig auf 30 % unseres Bruttosozialprodukts verzichten können?
({0})
Ich kann an dieser Stelle zusammenfassen: Ich bin
froh, daß die Deutsche Bundespost eine Politik betreibt, die über Koaxkabel - später über Glasfaser
- den Weg in das Informationszeitalter eröffnet. Wenn ich bedenke, daß wir ein rohstoffarmes Land sind, daß wir ein Land mit wenig eigenen Energiequellen sind, und wenn ich bedenke, daß wir eine Bevölkerung haben, die von ihrem Bildungsstand und ihrem Leistungswillen her die Voraussetzungen mitbringt, diese Informationschance zu nutzen und dieses Informationszeitalter zu gestalten, dann ist es für unser wirtschaftliches Überleben von erster Priorität, auf diesem Weg fortzuschreiten. -Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kollegen Linsmeier und Paterna, ich konnte Ihre Rechenkunststücke leider nicht nachvollziehen, weil mein Bordcomputer nicht mehr so schnell funktioniert, mein Taschenrechner keinen Strom hat, da die Batterie leer ist, und ich leider hier am Platz noch keinen Kabelanschluß habe, durch den ich Zugriff zu einem zentralen Rechner hätte nehmen können.
({0})
- Ich habe j a gesagt: Der funktioniert nicht mehr so schnell.
({1}) - Da lasse ich rechnen.
({2})
- Der braucht den Kabelanschluß an den Computer; dann kann er es machen lassen.
Wenn wir heute über Kommunikationstechnik sprechen, dann scheint man darunter in erster Linie den Bereich der sogenannten neuen Medien, die Jubelelektronik oder Unterhaltungselektronik zu verstehen. Es tauchen dann in der öffentlichen Diskussion verständlicherweise Reiz- und Schlagworte wie „Fernsehen total durch Verkabelung" auf. Das Schreckgespenst eines privaten Rundfunks wird an die Wand gemalt. Gleichzeitig wird der Verlust der Medienvielfalt beklagt. Wenn auch Private beteiligt sind, vergrößert sich doch die Vielfalt, Herr Paterna. Den Widerspruch muß man also einmal auflösen.
Ich bin allerdings nachdrücklich der Auffassung, daß der Anteil der Unterhaltungskommunikation an den gesamten Nutzungsmöglichkeiten der Kommunikationstechnologien verschwindend klein sein wird. Allein schon wegen der Kostenfrage werden nicht zig Kanäle mit Unterhaltung gefüllt.
Ich bin der Auffassung, daß in der Antwort der Bundesregierung dem Punkt der kommerziellen Nutzung und der Möglichkeit der kommerziellen Nutzung von Kommunikationstechniken, Informationstechniken zu wenig Gewicht beigemessen worden ist, wie übrigens in der Debatte heute morgen auch. Ich habe den Eindruck, es konzentriert sich alles auf Unterhaltungselektronik.
Im übrigen könnte es für den mündigen Bürger durchaus interessant und wünschenswert sein, wenn er z. B. nicht nur in Grenzgebieten die Sendungen anderer europäischer Rundfunkanstalten empfangen kann. Es ist auch eine Frage im Hinblick auf die Europa-Diskussion, wieso wir eigentlich nicht im ganzen Land die Sendungen der europäischen Nachbarländer empfangen können. Wir werden später erleben, daß dann, wenn solche Länder zu Satellitenrundfunk übergehen, es nur für diejenigen, die sich sozusagen die „Salatschüssel" aufs Dach stellen, unter hohem Kostenaufwand möglich sein wird, die Sendungen zu empfangen. Andere bleiben dann außen vor. Ich glaube, das kann niemand wollen.
Ich möchte die Notwendigkeit zum Ausbau der Kommunikationssysteme hier allerdings mehr unter dem technisch-ökonomischen Aspekt betrachtet wissen. Dazu vorweg einige Überlegungen über die ökonomische Bedeutung von Information. Die Bundesrepublik ist arm an natürlichen Rohstoffen, im Gegensatz zu den USA, Frau Kollegin Reetz. Die USA verfügen noch weitgehend über die Rohstoffe, die sie brauchen. Wir müssen sie zu nahezu 100 % importieren. Auch deswegen sind wir in höherem Maße exportabhängig als die USA. Ich halte es für ein solches Land, das arm an Rohstoffen ist, für unverzichtbar, neben den Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit den Faktoren Wissenschaft und technische Intelligenz, also dem Humankapital, ein zunehmendes Gewicht einzuräumen. Darüber hinaus sollten wir dem Faktor Rohstoff und besonders dem Produktionsfaktor Information viel mehr Beachtung schenken. Ich meine, daß der Produktionsfaktor Information, der sich aus Intelligenz, Erkenntnissen, aus Kreativität in vielfältiger Form zusammensetzt, beliebig verwertbar, beliebig vermehrbar und vielfältig im eigenen Land vorhanden ist.
Voraussetzung für die Nutzung dieses Produktionsfaktors Information ist aber ein geeignetes Instrumentarium für seinen Transport. Durch mehr und bessere Information werden weitgehend Innovationsschübe ausgelöst, wird der strukturelle Wan2166
del auf ökonomischem wie auf gesellschaftspolitischem Gebiet in unserer Industriegesellschaft entscheidend beeinflußt und im positiven Sinne wesentlich gefördert. Innovierende Unternehmen haben einen großen Bedarf an Information - über das eigene Unternehmen, über wissenschaftlich-technische Entwicklungen und Entwicklungstendenzen, über Bedarf und Nachfrage am Markt und ihre Trends. Das ist insbesondere für die klein- und mittelständische Industrie, für das Handwerk, für das Gewerbe wichtig, das ja nicht etwa Patentrechercheure am Patentamt in München unterhalten kann: Jemand aus diesem Bereich kann den Ort seiner Tätigkeit nicht verlassen, weil er dort jeden Tag und jede Minute gebraucht wird. Hier bieten sich für ihn im ökonomischen Bereich hervorragende Möglichkeiten.
Aber auch staatliches Handeln, auch Entscheidungen in den parlamentarischen Gremien setzen umfassende Information voraus. Gleiches gilt für den Bereich von Wissenschaft und Forschung. Auch die gesellschaftlichen Gruppen der verschiedensten Art, besonders die Gewerkschaften, aber auch der einzelne Bürger in seinem täglichen Umfeld, einschließlich seiner Freizeit und Freizeitgestaltung, benötigen mehr und bessere Information, um ihre gruppenspezifischen und persönlichen Entscheidungen treffen zu können. Die Ausschaltung eng begrenzter Selektionsmechanismen, wie sie derzeit im Kommunikationssystem vorhanden sind, wollen wir im Hinblick auf diese Notwendigkeiten nicht aufrechterhalten. Wir wollen eine Vielfalt der Informationsmöglichkeiten sichern, nicht sie einengen; wir wollen die Möglichkeiten, breiter zu informieren, vergrößern.
Nun kann eingewandt werden, daß wir im allgemeinen nicht unter zuwenig, sondern daß die in den einzelnen Bereichen, in Wirtschaft, Politik, Verwaltung Tätigen und auch der einzelne Bürger unter zuviel Information leiden, daß man eigentlich von einer Informationsverschmutzung sprechen muß. Wir wissen alle aus unserer täglichen Arbeit, welche Stapel an Information ankommen. Das Selektieren der wichtigen Informationen ist schwierig. Dies ist sicherlich wahr.
Wenn ich daher von besserer Information spreche, so meine ich damit, daß die Möglichkeiten zur individuelleren, gezielteren Information geschaffen werden müssen, Möglichkeiten, Informationen nach Inhalt und Umfang und zu den geeigneten Zeitpunkten, nämlich dann, wenn sie benötigt werden, abzurufen. Für eine gezielte Informationsbeschaffung scheint es mir eine wichtige Voraussetzung zu sein, ein Informationsnetzwerk unter Einschaltung moderner Kommunikationstechnologien und unter Einbeziehung der unterschiedlichsten Daten- und Informationssammelstellen bzw. -vermittlungsstellen aufzubauen. Der Auf- und Ausbau solcher Kommunikationsnetze, vor allen Dingen das Erlernen des Umgangs mit solchen Systemen und die Nutzung solcher Systeme, ist in Anbetracht der immer komplexer werdenden Entscheidungsstrukturen zur Notwendigkeit geworden. Wir haben zwischen der Notwendigkeit zum Ausbau der Kommunikationssysteme im Hinblick auf die Innovation im Bereich der Informations- und Kommunikationstechniken, der Nachrichtentechniken selbst und - das ist dagegenzustellen - der Verfügbarkeit neuer Informationstechniken in den Bereichen zu unterscheiden, in denen Innovationen zu erwarten sind, in denen also neue Informationstechniken die von mir schon angesprochenen Hilfs- und Transmissionsfunktionen übernehmen.
Es soll nun in zunehmendem Umfang - zunächst im Inselbetrieb, in den Gebieten, in denen wegen der Abschattung und wegen gegebener geographischer Situationen nur beeinträchtigter Fernseh- und Rundfunkempfang möglich ist, bzw. in ländlichen Gebieten - die Verkabelung mit Kupferkoaxialkabeln in der Breitbandkommunikation vorgenommen werden. Dabei handelt es sich - das wurde schon festgestellt - aber nur um Verteilnetze, die eine wünschenswerte Kommunikation im Rückkanal nicht zulassen. Ich stimme mit dem Vorredner - ich glaube, es war Herr Kretkowski - überein, der gesagt hat: Die zukünftigen Entwicklungen werden im Schwerpunkt auf die Digitalisierung im Telefonnetz als eine wichtige innovative Voraussetzung für eine spätere Zusammenfassung der bisherigen Kommunikationssysteme zu einem integrierten Netz - also einer Verbindung von vermittelten und Verteilnetzen - hinauslaufen müssen, in das sowohl die Satellitenkommunikation als auch die Datenverarbeitung einbezogen sind. Der Ausbau eines solchen integrierten Systems wird sich in einigen Jahren wirkungsvoll nur über die optische Nachrichtentechnik, die Glasfasertechnik, entwickeln. Aber hierzu sind noch erhebliche Entwicklungsarbeiten zu leisten. Es ist deshalb für die weitere technische Entwicklung und damit weiterhin für die Innovation von außerordentlicher Bedeutung, daß die Bundespost als derzeit größter Investor auf diesem Gebiet in der Zwischenzeit klare Vorstellungen für die zukünftigen Ausbaupläne des Kommunikationssystems entwickelt hat. Daraufhin erst kann nunmehr die nachrichtentechnische Industrie ihre unternehmerischen Entscheidungen treffen. Bis dahin, d. h. bis zur Einsatzreife der Glasfasertechnik im Nahbereich, werden die Versuche mit Bildschirmtext und Kabelkommunikation auch genügend Information über das Benutzerverhalten geliefert haben, so daß auch die entsprechenden Dienste, z. B. die Informationssysteme, aufgebaut werden können.
Es ist hier von Investitionen in den Bereichen gesprochen worden, in denen es noch keine Nachfrage gebe. Aber wie kann Nachfrage entstehen, wenn dieser Nachfragebedarf nicht gedeckt werden kann?
({3})
Da beißt sich die Katze in den Schwanz; hier müssen wir also den ersten Schritt tun. Es kann also davon ausgegangen werden, daß mit der vorgegebenen Strategie über den Netzausbau - ich denke, der Bundespostminister wird auch bezüglich des Übergangs von der Koaxialkabel- zur Glasfasertechnik seine Konzeptionen entwickelt haben; ich wäre ihm dankbar, wenn er dazu einige Worte ausDr.-Ing. Laermann
führen könnte - genügend Anreizwirkung erzeugt werden wird, um Technik und Industrie zur Lösung der technischen Probleme zu motivieren und die erforderlichen Produktionskapazitäten aufzubauen.
Nun wird eingewandt: Warum sollen wir denn jetzt Kupferkoaxialkabel verlegen und ein entsprechendes Netz ausbauen, wenn in wenigen Jahren Glasfasertechnik verfügbar ist? Hier werden Fehlinvestitionen vorausgesagt. Aber ich sage Ihnen: Im Weitbereich wird heute schon Glasfaser verlegt. Im übrigen müssen wir doch davon ausgehen, daß die Technik der Hausanschlüsse noch nicht weit genug entwickelt ist, daß wir überhaupt noch keine Produktionskapazität für Glasfaser haben. Worauf sollte sie denn aufgebaut worden sein? Diese Entscheidung ist erst noch zu treffen, damit man diese Kapazitäten langfristig oder mittelfristig aufbaut. Ansonsten, verehrte Kolleginnen und Kollegen, werden wir dann wieder, so befürchte ich, auf Importe angewiesen sein, wie es jetzt der Fall ist; dann kriegen wir unsere Glasfaser aus dem Ausland. Das will doch wohl niemand. Wir wollen doch wohl unsere heimische Industrie, die durchaus dazu in der Lage ist - auch wegen der Sicherung von Arbeitsplätzen -, mit beteiligen.
({4})
Nun halte ich das gar nicht für so problematisch. Ich reihe mich auch nicht in die Front derer ein, die da streiten, ob das 20 Milliarden oder 50 Milliarden DM kostet; da muß man doch einmal die Zeiträume sehen. Wenn pro Jahr 1 bis 2 Milliarden eingesetzt werden, dann sind das natürlich immer noch große Summen. Ich will es einmal etwas salopp sagen: Bei 40 Milliarden DM Ausbaukosten insgesamt würde sich das über einen Zeitraum von 20 bis 40 Jahren erstrecken. Also wenn wir nun in fünf Jahren die Glasfaser haben, haben wir allenfalls ein Fünftel bis ein sechstel - maximal - der möglichen Fläche mit Kupfer verkabelt. Wenn das in Ballungsgebieten geschieht, sind diese Kabel sowieso in Kabelkanälen verlegt. Dort zieht man die eine Strippe heraus und die andere dann nach. Für den Hausanschluß macht das auch nicht das Entscheidende aus. Die Kabelkosten im ländlichen Bereich, in der Fläche sind ebenfalls unproblematisch. Wenn dort Koaxialkabel verlegt wird, das dort so lange Jahre liegen wird, bevor es durch Glasfaser ersetzt wird, dann ist es ohnedies abgeschrieben. Denn dort sind die wesentlichen Kosten die Verlegekosten, die ein Vielfaches der Kabelkosten ausmachen.
Ich möchte also sagen, daß wir in den Zeiträumen, über die wir reden, nicht die gesamte Verkabelung in Koaxkabel durchführen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das die Vorstellungen der Bundespost sind. Man kann beruhigt feststellen, daß wir hier kein Kupferbergwerk in die Erde verlegen, sondern daß wir die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen, Nachfrage zu erbringen, die Dienste aufzubauen und auch unsere Industrie in dieser Übergangsphase an die neuen Nachrichtentechniken heranzuführen.
Wir können nicht warten, bis die optische Nachrichtentechnik entwickelt ist. Dann ist für unsere nachrichtentechnische Industrie der Zug abgefahren. Dann können wir unter Umständen später nur noch auf ausländische Entwicklungen zurückgreifen. Was das dann für unsere Wirtschaft, für die Arbeitsplätze und die Beschäftigungssituation bedeutet, kann sich wohl jeder leicht ausmalen.
Ich darf zum Schluß kommen; die Lampe leuchtet hier auf.
Dann werden wir das Rennen im internationalen Wettbewerb verloren haben, und dann werden wir in Zukunft auch keine gesicherten Arbeitsplätze haben, die wir im Strukturwandel nur auf neuere, intelligentere, technologieorientierte Produkte und Produktionsverfahren abstützen könnten.
({5})
- Das können Sie intelligent benutzen. Das zu erlernen, ist eine Voraussetzung dafür, die Möglichkeiten der Kommunikationstechniken überhaupt erst richtig und vernünftig zu nutzen.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weirich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der sozialdemokratische Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, der Parteifreund von Herrn Kollegen Paterna, Herr von Dohnanyi, hat vor wenigen Tagen auf den Hamburger Medientagen gesagt:
Eine Abwehrhaltung gegenüber den neuen Medien bringt keine Arbeitsplätze. Im Gegenteil, sie vernichtet sie im internationalen Wettbewerb auf lange Sicht. Ganz vorn ist deshalb der sicherste Platz.
Herr Dohnanyi hat dann hinzugefügt:
Die technisch-wirtschaftlich-sozialen Folgen der Medienrevolution sind groß. Das Machtpotential, das in dieser Entwicklung liegt, ist ganz erheblich. Die Chancen sind erkennbar, aber auch die großen Risiken. Gegenüber einer derartigen Umwälzung ist unser Denkdefizit das eigentliche Problem.
Was diese Debatte deutlich gemacht hat, die heute von Sozialdemokraten beantragt worden ist, ist, daß die Sozialdemokraten weder ihr Denkdefizit noch ihr Handlungsdefizit in dieser entscheidenden Frage überwunden haben. Der Bundesgeschäftsführer der SPD und Medienexperte Peter Glotz hat den Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling bei der Propagierung seiner Medienpläne als „singvogelhaften Politiker" bezeichnet. Nun, man kann sich darüber streiten, ob man sich - dies ist Geschmacksache - solcher Vergleiche aus der Tierwelt bedient. Aber wenn wir schon bei der Tierwelt sind, möchte ich doch folgendes sagen: Die Tatsache, daß die Rotkehlchen während ihrer Regierungszeit Drohnen gewesen sind, hat
uns international so weit zurückgeworfen. Das ist das eigentliche Problem.
({0})
Wir bräuchten doch heute keine Verkabelungsdebatte zu führen, wenn nicht folgende Tatbestände gegeben wären. Erstens. Die Mikroelektronik ist permanent verteufelt worden. Ihre Gefahren sind ständig heraufbeschworen worden, statt auch einmal von ihren Chancen zu reden und diese Chancen in praktische Politik umzusetzen.
({1})
Zweitens. Der frühere Bundeskanzler hat sich in besonderer Weise durch den Kabelstopp hervorgetan. Damals sagte der Postminister Gscheidle: Es führt zu neuen Arbeitsplätzen, wenn wir die ElfStädte-Verkabelung durchführen. - Heute sagen Sie von der SPD: Das kostet Arbeitsplätze. - Ich frage mich, was machen Sie eigentlich für eine Politik? Ganz abgesehen davon, daß es ein massiver Verstoß gegen das Postverwaltungsgesetz war, diese Politik zu machen, denn dieses Postverwaltungsgesetz verpflichtet den Postminister, seine Anlagen ständig auf dem neuesten technischen Stand zu halten.
Ich weise auf den dramatischen Rückgang des Anteils der Bundesrepublik Deutschland auf dem riesigen Weltwachstumsmarkt der Informations-und Kommunikationstechnologien hin. Ich weise auf unsere schwache nachrichtentechnische Infrastruktur im europäischen Vergleich und im internationalen Vergleich hin.
Sie reden immer von der Digitalisierung des Telefonnetzes. Dafür bin ich auch, schon deswegen, damit Herr Strauß seine Gespräche mit Herrn Tandler künftig störungsfrei führen kann. Wenn Sie ständig auf die Digitalisierung des Telefonnetzes verweisen, dann, meine Damen und Herren, muß ich sagen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Vergleich bei der Digitalisierung des Telefonnetzes weit zurückgeblieben sind. Von dem Markt der Halbleitertechnologien, der auch ein riesiger Wachstumsmarkt ist, sind wir übrigens auch total weg. Ich darf darauf verweisen, daß die Post durch ihre bürokratistische und dirigistische Politik in SPD-Zeiten eine innovationshemmende Rolle gespielt hat. Ich denke hier an das Beispiel des Datentelefons.
All dies macht deutlich, daß die deutsche Sozialdemokratie in dieser Frage ohne Konzeption ist, obwohl Herr Vogel im letzten Wahlkampf mit einem Plakat „Ich bin für neue Medien" geworben hat.
Die Debatte heute, insbesondere der Beitrag des Kollegen Paterna, hat die Haltung der SPD deutlich gemacht. Diese Haltung lautet: Erstens. Die Verkabelung ist defizitär; deshalb sind wir dagegen, daß die Post verkabelt. Zweitens. Wir sind aber gegen die Beteiligung von Privatunternehmen, weil das zu einem Ausverkauf der Post führt. - Jetzt beantworten Sie, verehrter Herr Kollege Paterna, mir freundlicherweise einmal die Frage, für was Sie nun eigentlich sind.
({2})
Ich glaube, Ihre Linie lautet: Wir sind dafür, daß wir dagegen sind. Das ist sozialdemokratische Medienpolitik.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Paterna?
Ich lasse keine Zwischenfrage zu, weil ich nur eine Viertelstunde habe und noch einige Forderungen vorzutragen habe, übrigens auch an die Deutsche Bundespost.
({0})
Herr Glotz hat auf der Hannover-Messe vor wenigen Monaten gesagt, wenn die Bundesrepublik Deutschland nicht genauso wie bei der Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung oder bei der Unterhaltungselektronik den Markt den Japanern überlassen wolle, dann müsse sie sich entschieden auf das Gebiet der Kommunikationstechnologien konzentrieren. Anderenfalls könnten die Probleme der Arbeitslosigkeit überhaupt nicht mehr bewältigt werden. Ich füge hinzu: Späte Einsicht ist besser als gar keine Einsicht. Aber die heutigen Debattenbeiträge von Sozialdemokraten haben nicht gezeigt, daß sie in dieser zentralen Zukunftsfrage einsichtig geworden sind.
Meine Damen und Herren, ich darf einmal etwas ganz Groteskes sagen. Wohin die Verkrampfungen sozialdemokratischer Medienpolitik führen, sehen Sie daran, daß es einen Kollegen der SPD aus dem Deutschen Bundestag gibt, der sich zusammen mit den Stadtwerken in Gelsenkirchen in besonderer Weise bemüht, Programmträger für neue Medien zu werden und hinzufügt: Ich möchte gern den Vorreiter für neue Medien spielen. - Ihm müssen Sie erst einmal Nachhilfeunterricht in der Darstellung Ihrer Position geben. Es handelt sich um den Kollegen Poß.
Was die GRÜNEN anbetrifft, darf ich einmal folgendes sagen. Sie bringen einen Gesetzentwurf im Niedersächsischen Landtag ein, der freie und private Initiativen zulassen will. Ich bin sehr dafür. Ich füge eines hinzu: Bei uns brauchen Sie nicht mit illegalen Radios zu kooperieren. In unserer freien, liberalen Medienlandschaft können Sie künftig alleine frei senden. Sie brauchen sich nicht mehr ungesetzlicher Wege zu bedienen.
({1})
Auf der einen Seite sind Sie für Liberalisierung, und dann beschwören Sie hier ein Horrorszenario. Sie müssen sich wirklich erst einmal über Ihre eigene Position im klaren sein, bevor Sie in der Diskussion ernst genommen werden.
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- Lieber Herr Fischer, die Heftigkeit ersetzt die Klugheit nicht, das schreibt schon Goethe in „Torquato Tasso".
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Insofern wäre es ganz gut, wenn Sie sich erst einmal über Ihre Position klarwürden.
Lassen Sie mich bei der Betrachtung der sozialdemokratischen Position folgendes sagen. Sie gipfelt darin, daß Sie hier eine Ablehnungsfront errichten, während sozialdemokratische Ratsherren in der ganzen Bundesrepublik Deutschland zum Postminister gehen, beispielsweise die aus Köln, unweit von Bonn, und sagen: Verkabelt mir doch bitte die Stadt! - Wo ist denn eigentlich die Konzeption Ihrer Politik? Wo ist denn die Konzeption Ihrer Partei?
Ich sage Ihnen eines: Sie wollen die Erhaltung des Monopols aus machtpolitischen Gründen. Glotz hat gesagt: Medienpolitik ist Machtpolitik. Weil Sie das öffentlich-rechtliche Monopol konservieren wollen, blockieren Sie alle neuen Technologien.
Egon Bahr hat 1979 gesagt - ich zitiere ihn wörtlich -: „Es muß aber verhindert werden, daß sich eine Entwicklung vollzieht, welche die Landschaft der gedruckten Medien auf Funk und Fernsehen übertragen würde." Sie fürchten die Liberalisierung, die Vielfalt, den Wettbewerb. Sie wollen - aber damit würden wir uns geradezu verfassungswidrig verhalten - die Information künstlich verknappen, statt dem Bürger durch eine offene und liberale Politik all das zur Verfügung zu stellen, was die neue Technik möglich macht. Da kann ich nur sagen: Dies ist eine Bevormundungs- und Entmündigungspolitik, eine Beschneidung der Informationsfreiheit.
Nun komme ich zu meinen konkreten Forderungen. Bisher habe ich mich mit Sozialdemokraten auseinandergesetzt; ich werde aber auch ganz selbstkritisch etwas an unsere eigene Adresse sagen. Ich bestreite nicht, daß das Betreten von Neuland schwer ist, aber ich füge hinzu: Dies ist natürlich besser, als in alten, ausgetretenen Furchen zu ackern. Ich bin froh darüber, daß sich die Post im Sinne einer neuen Philosophie neuen Herausforderungen stellt. Aber auch vor diesem Hintergrund kann man sicherlich Anregungen geben; lassen Sie mich deswegen zum Abschluß meines Beitrages hier sieben Forderungen erheben:
Erstens. Wenn die Pläne des Postministers verwirklicht werden sollen - die Fernmeldekompetenz hat der Bund, und die Rundfunkhoheit liegt bei den Ländern -, muß Vielfalt ins Kabel. Das kann er nicht bewirken, weil er Chef einer neutralen Dienstleistungsbehörde ist.
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Ich appelliere deswegen an die Ministerpräsidenten der Bundesländer, rasch eine Einigung über die Nutzung der teilweise schon 1984 zur Verfügung stehenden Satellitenkanäle im Rahmen des European Communication Satellite für ein zusätzliches
Programmangebot zu erzielen. Dabei müssen - das mache ich im Interesse der Lebendigkeit und der Vielfalt deutlich - private Programmanbieter eine Chance erhalten. Der Erfolg des 1984 anstehenden Satellitenfernsehprogramms ist von der Dichte der Verkabelung und von der Bereitschaft der Haushalte, sich anschließen zu lassen, abhänging.
Ende 1983 sind 700 000 Haushalte über Breitbandkabel erreichbar. Es wird mit 420 000 tatsächlich genutzten Anschlüssen gerechnet, wovon 250 000 satellitentauglich sind. Für Ende 1984 sieht die Post insgesamt 2,5 Millionen erreichbare Kabelanschlußmöglichkeiten vor, wovon 1,5 Millionen für Satellitenempfang geeignet sind. Dies ist ein erster wichtiger Einstieg in die neue Landschaft und die erste Möglichkeit, in Deutschland Privatfernsehen und Vielfalt gegenüber den Bürgern deutlich zu machen und damit Attraktivität und auch ein Stück Resonanz in der Bevölkerung zu wecken.
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Zweitens. Nur Vielfalt erhöht die Akzeptanz. Unter den genannten Voraussetzungen wird sich die Akzeptanz für die Bevölkerung rasch erhöhen. Gerade freie und private Programmanbieter können die Vielfalt erweitern.
Auch die Post muß an einer solchen Entwicklung im Interesse der Rentabilität ihrer Netze ein Interesse haben, wobei ich, weil der Einwand „Kommerzfernsehen" kommt, hinzufüge: Die öffentlich-rechtlichen Anstalten leben - wie das ZDF - schon fast zur Hälfte von Werbung. Wenn Sie dann sagen, Kommerz im öffentlich-rechtlichen Monopol ist in Ordnung, aber Kommerz bei Privaten ist eine grausame Sache, dann ist das eine simple Rechnung, die eigentlich nur Sozialdemokraten bei ihrer Ablehnung marktwirtschaftlicher Elemente aufmachen können, verehrter Herr Paterna.
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Drittens. Schnelle Entscheidungen der Bundesländer über die Nutzung sind auch aus anderen Gründen geboten. Zum einen brauchen private Veranstalter Planungssicherheit und damit medienpolitische Perspektiven. Nur so kann man sie zum Mitmachen, zu Investitionsentscheidungen ermuntern.
Zum anderen müssen für den Nachfolgesatelliten des präoperationellen Satelliten im Rahmen des deutsch-französischen Satellitenprojekts, des TVSAT, rechtzeitig Entscheidungen getroffen werden. Diese Entscheidungen sollten in den nächsten Monaten fallen. Von daher sind die Länder bei der Planung der neuen Medienzukunft gefordert. Eine endgültige Entscheidung über die Vergabe des Auftrags zum Bau des beim operationellen System aus Reservegründen notwendigen zusätzlichen Satelliten ist nämlich bisher nicht getroffen worden.
Viertens. Die SPD sollte ihre Blockade der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien aufgeben. Wir bieten Ihnen bei der Bewältigung einer so wichtigen Zukunftsaufgabe - Herr Kol2170
Wéirich
lege Bernrath, Sie wissen als ehemaliger führender Beamter aus der Deutschen Bundespost genau um die gewaltige Zukunftsvision, die dahintersteht - ausdrücklich unsere Zusammenarbeit an.
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Fünftens. Die Chancen des privaten Handwerks sollen durch sogenannte Kooperationsmodelle erweitert werden. Aber ich füge hinzu: Dies kann nur ein erster Einstieg in eine Offensive zugunsten des Handwerks sein. Die Post muß sich jedenfalls konsequent selbst beschränken, damit das Handwerk bei einer optimalen Ausstattung der Bundesrepublik mit einer guten nachrichtentechnischen Infrastruktur angemessen partizipieren kann. Mittel- und langfristig ist für mich eine Entwicklung denkbar, daß für die Aufbereitung und Verteilung der Radio- und Fernsehsignale im Ortsbereich ausschließlich das private Handwerk zuständig ist, wobei ich anknüpfe an die Erklärung des Bundeskanzlers zu Beginn dieser Legislaturperiode, als er gesagt hat: „Wir führen den Staat auf den Kern seiner Aufgaben zurück, ..." Dies kann durchaus auch ein Stück Verpflichtung zur Selbstbeschränkung der Post und zu weiteren Chancen des privaten Handwerks sein, wobei die Frage aufgeworfen werden muß, ob Breitbandverteilnetze für die örtliche Rundfunkversorgung mit den Netzen des Fernmeldewesens, die sozusagen unverzichtbar sind für die Aufrechterhaltung des täglichen Lebens, überhaupt vergleichbar sind.
Sechstens. Die Bundesländer müssen durch Landesmediengesetze die Chance der Vielfalt rasch vorantreiben. In Hessen, Baden-Württemberg und Niedersachsen liegen solche Gesetzentwürfe vor, in anderen unionsregierten Ländern sind sie angekündigt. Wir stellen uns der Herausforderung.
Siebtens. Jede neue Technologie enthält Chancen und Gefahren. Es ist Aufgabe der Politik, die Chancen zu erkennen, zu begreifen und zu nutzen und die Gefahren möglichst einzudämmen. Medienkulturpessimismus, Technikfeindlichkeit und Verweigerung der Zukunft
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- Sie sind ein klassisches Beispiel für Zukunftsverweigerung, Herr Fischer - sind keine Antwort auf die drängenden Herausforderungen unserer Zeit.
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Deswegen sage ich: Es gibt auch mögliche Gefahren, die die Fernsehprogramme für Kinder und Jugendliche mit sich bringen. Deswegen haben wir in die Landesmediengesetze deutliche Ordnungsregelungen eingeführt. Im übrigen brauchen wir so oder so nicht zu befürchten, daß es in Deutschland zuwenig Ordnungsregelungen geben würde. Aber ich füge hinzu: Wir wollen keinen Medienwildwuchs, wir wollen eine kontrollierte Landschaft des publizistischen Wettbewerbs und der Vielfalt.
Ich komme zum Schluß.
({10})
Zur Planung dieser Zukunft gehört auch eine vernünftige und maßvolle Gebührenpolitik der Deutschen Bundespost. Wir sind das Weltrekordland an Problemtagungen, Symposien, Kolloquien, Seminaren und Akademiekonferenzen über die neuen Medien. Wir waren in der Vergangenheit dabei, auch die Weltmeisterschaft im Handlungsdefizit zu erreichen. Das soll und wird sich ändern. Wir sind auf dem Weg zu einer besseren Politik, meine Damen und Herren.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An sich habe ich mich auf diese Debatte sehr gefreut, weil sie doch Gelegenheit gibt, die Fragen einmal in sachlicher Form mit objektiven Daten zu besprechen. Ich war vor allen Dingen darauf gespannt, was für eine Alternative von der Sozialdemokratischen Partei heute zur Politik der Bundespost auf den Tisch gelegt wird. Ich muß Ihnen sagen, es hat sich eigentlich nichts geändert gegenüber früher. Man kritisiert die Politik der Bundespost überall dort, wo man glaubt, über Rechnungen, über Kalkulationen, über Betriebsabrechnungen, über Preise irgendeine Ungereimtheit zu finden, die dann meistens bei der Berechnung der Sozialdemokraten durch Oberflächlichkeit überhaupt nur entsteht.
({0})
Dann hält man an seinen alten ideologischen Bastionen fest und sagt: Das ist unsere Alternative.
Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst einmal ganz pauschal etwas sagen. Herr Paterna, indem Sie erklären, der Postminister sollte selbst etwas Übersicht haben: Es ist in diesen Fragen sehr schwer, Übersicht zu bekommen, weil überhaupt keine Statistiken z. B. darüber, wieviel Wohneinheiten an Kabelanlagen der Bundespost wirklich angeschlossen sind, in irgendeiner Unterlage zu finden sind. Denn bekannt ist nur die Anzahl Häuser, weil keine Partnerschaft zum Mieter oder zum Wohnungsinhaber überhaupt hergestellt worden ist. Deshalb sind in der Bundesrepublik Deutschland Statistiken hierüber erst Ende dieses Jahres zu erstellen. Wir haben nämlich durch die 23. Änderungsverordnung die Möglichkeit geschaffen, daß der Wohnungsinhaber Partner der Bundespost wird.
Das gleiche wird auch in anderen Fragen deutlich, beispielsweise dann, wenn Sie sich die Kalkulationen ansehen, die bisher angestellt worden sind. Meine Damen und Herren, ich muß hier zunächst einmal feststellen: Es gab keine Kalkulation bei der Deutschen Bundespost über die wirklichen Kosten von Anschlüssen für Breitbandverteilungsanlagen, sondern das wurde einfach so gemacht. Da gibt es Zuschüsse von den Rundfunkanstalten, und man sagte, man mache das nur in kleinerem Rahmen.
Und so waren auch die Gebührenordnungen konzipiert. Es wäre doch wohl sehr falsch gewesen, wenn ich unter Vortäuschung falscher Tatsachen, nachdem wir die ersten Durchrechnungen gemacht hatten, nicht sofort auf eine Änderung der Gebühren gedrängt hätte, damit die Bundespost überhaupt wieder auf eine wirtschaftliche Grundlage auf dem Gebiet der Verkabelung kommen konnte.
Es sind nun viele Rechnungen gemacht worden. Ich möchte gleich konkret dazu Stellung nehmen. Es wäre gut, wenn man wirklich einmal den spitzen Bleistift genommen hätte, um festzustellen, was an den Rechnungen von Herrn Direktor Müller-Römer richtig ist. Der ist doch jetzt zum Experten für Betriebsabrechnungen der Deutschen Bundespost geworden.
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Ich möchte dazu sagen: Es wäre ganz gut, wenn man auch einmal die öffentlich-rechtlichen Anstalten kostenmäßig untersuchte. Da ist ein weites Feld für die „ARD", das sie beackern könnte, ehe sie sich auf die Bundespost verlegt.
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Er hat also 46,2 Milliarden DM und eine Unterdeckung von 10 Milliarden DM bei der Deutschen Bundespost pro Jahr errechnet. Dabei geht er von falschen Voraussetzungen aus.
Erstens. Die Kosten für einen Übergabepunkt sind im Moment weiter fallend und nicht, wie er vermutet, steigend. Wir begannen in einigen Gebieten mit etwa 2 500 DM und sind heute im Durchschnitt bei 1 800 DM pro Übergabepunkt. Nach den Tendenzen, die wir haben, werden sich die Kosten im Durchschnitt der nächsten zehn Jahre bei etwa 1 600 DM einpendeln.
Welche Tendenzen sind das? Wir haben z. B. schon bei den Erdverlegungen eine 20 %ige Preisermäßigung auf Grund des Masseneinsatzes von kleineren Bauunternehmen, die das rationeller machen können. Wir haben damit hier schon die Kosten um 10 % gesenkt. Weiterhin gibt es bessere Verlegemethoden, die ebenfalls die Kosten um 5 bis 10 % senken helfen werden. Insgesamt rechnen wir also damit, daß wir für 1983 zwar das zunächst für 1 Milliarde DM geplante Volumen erstellen können, aber jetzt zu einem Preis von etwa 820 Millionen. Wir werden doch nun nicht so töricht sein, zu sagen: Jetzt muß auf Deubel komm raus die Milliarde DM ausgegeben werden. Wir sind vielmehr froh, daß wir das Volumen sparsamer erstellen konnten, als das in der Planung veranschlagt gewesen ist.
Das zweite ist, daß er Konverterkosten, die bei einem ersten Entwicklungsauftrag für die deutsche Industrie bei über 2 000 DM gelegen haben, angesetzt hat, ohne sich bei der Bundespost rückzuversichern, ob der Konverter als Serienbestandteil für den Ausbau vorgesehen ist oder nicht. Und dann hätte er von jedem bei der Deutschen Bundespost erfahren können, daß dies ein beschränkter Auftrag für ein Pilotprojekt gewesen ist.
({3}) - Ja, limitiert.
Dort mußten wir bzw. die Länder und die Kabelanstalt spezielle Untersuchungen mit Geräten machen, die für den serienmäßigen Ausbau überhaupt nicht vorgesehen sind. Ganz abgesehen davon wird ein Konverter für diese Funktion in einigen Jahren weder 2 300 DM noch wie von Müller-Römer angenommen, 1 000 DM - das muß dann verdoppelt werden, weil man seiner Meinung nach zwei braucht; also kommen 2 000 DM heraus - noch 800 DM kosten. Nach Fortschritten der Mikroelektronik wird ein solcher Konverter, wie Experten nach dem Stand der Technik heute schätzen, in zwei, drei Jahren etwa 100 bis 300 DM kosten. Damit haben, selbst wenn wir sie durchführten, diese Kalkulationen überhaupt keine Grundlage. Meine Damen und Herren, das ist etwa so, als hätten Sie im Jahre 1955 die Kosten für den Ausbau des Telefonnetzes zu damaligen Verhältnissen hochgerechnet. Damals hatten wir pro Anschluß Kosten von 8 600 DM. Heute haben wir 23 Millionen Telefone. Wenn wir in dieser Frage so hochgerechnet hätten, wie Sie es nun ständig tun oder wie es Herr MüllerRömer tut, hätten wir auf das Jahr 1980 bezogen Netzkosten von 197,8 Milliarden DM gehabt. Tatsächlich betrugen die Kosten für den Ausbau des Netzes 77,7 Milliarden DM. Aus dem Grunde ist das eine Milchmädchenrechnung.
({4})
Jetzt kommt die Rechnung von Herrn Paterna bezüglich Delmenhorst. Sie haben vollkommen recht. Sie kommen auf ungefähr 1 043 DM an Kosten pro Wohnungseinheit. Auf diese Zahl kommen wir auch. Wir haben andere Städte. In Münster liegen die Kosten bei 710 DM, in Berlin liegen die Kosten pro Wohnungseinheit bei 510 DM. Das heißt, je nach Ausbaustadium und je nach Struktur eines Ortes haben wir heute eine Marge von 500 bis 1 500 DM.
Wir werden die Degression der Kosten natürlich erst durch eine serienmäßige Ausbaustrategie auf den Punkt bringen, den wir für wahrscheinlich halten. Wenn wir die nächsten zehn Jahre nehmen, bedeutet das im Schnitt pro Wohnungseinheit Kosten zwischen 500 und 600 DM. Wir steuern Kosten von 1 600 DM pro Übergabepunkt und Kosten zwischen 500 und 600 DM pro Wohnungseinheit an.
Wir wissen, daß vorher bei der Bundespost mit 3,5 Wohnungen pro Übergabepunkt gerechnet wurde. Wir sind etwas skeptisch; denn damals bezog sich diese Rechnung nur auf Ballungsgebiete. Wir wollen ja auch hier das Land nicht vernachlässigen und gehen daher in unserer Erwartung herunter auf ungefähr drei Wohnungseinheiten pro Übergabepunkt. Auch das wäre noch zuviel, wenn wir die gesamte Bundesrepublik in Rechnung stellen. Auf Grund der Tatsache, die Herr Linsmeier bereits angesprochen hat - an einen Übergabepunkt könn2172
ten auch mehrere Häuser, auch Einzelhäuser angeschlossen werden -, werden wir im statistischen Schnitt etwa auf diese Zahl kommen.
Wir haben in den Jahren 1980 bis 1982, in drei Jahren, 22 000 km an Kupferkoaxkabeln verlegt. Obwohl sonst bei der Bundespost für Netzausbauten ein Planungsvorlauf von drei Jahren erforderlich ist, haben wir von Oktober 1982 bis heute, allein in einem Jahr, 31 000 km Koaxkabel verlegt, d. h. wir sind ohne Planungsvorlauf in der Lage gewesen, innerhalb eines Jahres das Dreifache dessen zu installieren, was von der Bundespost bisher geleistet wurde.
Sie fragten nach den Arbeitsplätzen. Diese Frage wird immer wieder gestellt. Ich kann Ihnen heute die Mitteilung machen - wir haben genaue Rechnungen vorliegen, die bis heute reichen -: Der Ausbau der Koaxnetze ergibt bei der Bundespost 4 400 Arbeitsplätze. Bei den Firmen sind es 6 000 Arbeitsplätze, bei den Zulieferern 1 500; Installateure rund 2 000 bis 2 500, so daß wir nach unseren bisherigen Berechnungen für das Jahr 1983 insgesamt auf 13 900 bis 14 400 Arbeitsplätze kommen.
Ich glaube, das ist eine erfreuliche Mitteilung für jeden, der sich um die Schaffung neuer Arbeitsplätze bemüht. Wenn ich all das täte, was Sie fordern - Einstellung der Kupferkoaxialtechnik -, wären diese Menschen heute nicht beschäftigt.
({5})
Das gilt auch für die Zulieferindustrie. Ich habe gerade ein Gespräch mit Bosch-Elektronik in Berlin geführt. Die hatten noch Anfang der 70er Jahre auf dem Gebiet der Verkabelung und der Antennentechnik 800 Leute beschäftigt. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre sind sie wegen Ihres Kabelstopps auf 400 bis 500 Beschäftigte gekommen und haben sich anderweitig umgesehen. Heute haben sie wieder 700 Beschäftigte mit steigender Einstellungstendenz. Das ist der wirkliche Erfolg unserer Politik, der nicht weggeredet werden kann durch die entsprechenden komischen Hochrechnungen, die Sie anstellen.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Paterna.
Herr Minister, wenn ich das Wort von den komischen Hochrechnungen aufgreifen darf, möchte ich Sie fragen, wie Sie auf Grund Ihrer neueren Zahlen nun auf die 25 Milliarden DM kommen, die Sie dem Haushaltsausschuß genannt haben.
Ich kann Ihnen das genau sagen. Ich muß Sie allerdings darauf hinweisen, daß die Rechnungen, die Sie bisher angestellt haben, in dieser Weise natürlich nicht richtig sind, weil Sie gar keine Finanzierungskosten berücksichtigen. Wenn Sie bei der ersten Milliarde Mark 25 % Anschlüsse haben - auf Grund der einmaligen Anschlußkosten gibt es da ja auch einen Rückfluß; für diese Anschlüsse gibt es im nächsten Jahr die ersten laufenden Gebühren und im zweiten Jahr kommen weitere 5 % Teilnehmer hinzu -, dann kommt ebenfalls nur ein geringerer Betrag herein. Sie haben im ersten Jahr für diese eine Milliarde rund 60 bis 70% Finanzierungskosten, wobei die eine Milliarde von der Bundespost fremdfinanziert wird. So kommen Sie über den gesamten Zeitraum für die 25 Millionen - wenn man davon ausgeht, daß sich alle anschließen, was ja auch falsch ist - auf 12 Milliarden DM. Wenn man die Finanzierungskosten hinzunimmt, kommt man auf eine Summe zwischen 20 und 30 Milliarden DM, je nachdem, ob der Beteiligungsgrad der Haushalte zu diesem Zeitpunkt bei 50, 60, 70 oder 80% liegen wird.
Der nächste Punkt bezieht sich auf die Frage Kupfer/Glasfaser. Herr Paterna, Sie sind j a Experte. Sie haben als stellvertretender Vorsitzender unserer gemeinsamen Kommission vieles gehört. Könnten Sie denn nicht Ihre Parteifreunde von dem falschen Dampfer ihrer Glasfaser/Kupfer-Dogmatik wegbringen? Es wäre ein Liebesdienst an Ihrer Partei.
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Ich möchte jetzt einmal Herrn Müller-Römer zitieren, weil er etwas von der Technik versteht; ob es bezüglich der Kalkulationen genauso ist, möchte ich dahingestellt sein lassen. Er sagt ganz klar folgendes:
Bei der heutigen Empfangsgerätetechnologie ist es auch möglich, 24 oder 30 Kanäle über ein Kupferkoaxialkabel zu übertragen. In den USA ist diese Entwicklung voll im Gang. Die sehr starke Entwicklung der Kabelgesellschaften basiert dort auf dem Kupferkoaxialkabel und nicht auf dem Glasfaserkabel.
In Japan ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Dort wird sogar überlegt, zwei Kabelebenen, einmal für ein Verteil- und einmal für ein Vermittlungsnetz, zu verwenden.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß das Kupferkoaxialkabel mit der Übertragungskapazität von ca. 30 Fernsehkanälen und einer großen Zahl von Hörfunkkanälen auf unabsehbare Zeit für die preisgünstigste Verteilung von Rundfunkprogrammen der Glasfaser überlegen ist. In diesem Sinne äußerte sich kürzlich auch Professor Kaiser.
Das wurde Anfang dieses Jahres geschrieben. An der Richtigkeit dieser Mitteilung, Herr Paterna, hat sich nichts geändert. Ich habe mich überall vor Ort orientiert: in Japan, in Amerika, in Kanada. Es ist merkwürdig, daß es diesen Dogmenstreit ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Wir wissen auch, warum: weil es die These der Sozialdemokraten war, heute um Gottes willen überhaupt keine Verkabelung vorzunehmen, um die MeBundesminister Dr. Schwarz-Schilling
dienverhältnisse in der Bundesrepublik für die nächsten zehn Jahre zu zementieren.
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Aber jetzt müssen Sie langsam von diesem Dampfer herunter, weil Sie sonst mit jedem Experten in Streit geraten.
Ich möchte Herrn Arnold, den Sie sonst immer zitieren,
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den füheren Mitarbeiter bei der Deutschen Bundespost, mit folgender Aussage vom Juni 1983 vor dem Landtagsausschuß in Düsseldorf, wo er als technischer Sachverständiger gefragt wurde - die Bundespost war da nicht so gefragt -, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:
Es macht heute keinen Sinn, in einem Wohngebiet Glasfaser auszulegen, da die privaten Haushalte in den nächsten 15 Jahren im wesentlichen mit den vermittelnden Diensten, die über das heute analoge und künftige digitale Fernsprechnetz möglich sind, und mit den Verteildiensten, die über einen Koax-Netz-Dienst angeboten werden können, auskommen werden.
Das ist genau unsere These, daß die Wohngebiete für die nächsten zehn oder 20 Jahre durch die Digitalisierung des Telefonnetzes bedient werden können. Man kann mit jedem Telefonanschluß auf 144 Kilo-Bits kommen. Dadurch und durch die Verteilung von Rundfunk und Fernsehen über das KoaxNetz können 90 % der Nachfrage nach Datenkommunikation, Ton usw. befriedigt werden.
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Es gibt eine Ausnahme für die großen Unternehmen, die Mega-Bit-Raten brauchen, weil sie ganze Pakete, z. B. die Daten einer Landesbibliothek, von dem einen zum anderen Computer übertragen wollen. Das ist aber nicht die Nachfrage eines privaten Haushalts.
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Aus diesem Grunde ist die Strategie der Bundespost, die privaten Haushalte heute mit Koax-Netzen auszustatten, die für den Kunden kostengünstigste und die schnellste, weil wir nicht bis zum Ende der 80er Jahre warten müssen.
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Herr Paterna, Sie haben gemeint, ich sei besonders trickreich im Zusammenhang mit der zweiten Berechnungsverordnung bezüglich der Neubaumieten. Ich möchte Ihnen dazu folgendes sagen. Hier wird nichts anderes gemacht, als daß der normale Kabelanschluß in einer Wohnung mit dem einer Großgemeinschaftsanlage gleichbehandelt wird. Es wäre j a wohl absurd, wenn heute, wo es eine neue Technik gibt, die sich in entsprechender Weise ausbreitet, diese in der Frage der Kostenberechnung diskriminiert bliebe und nicht einbezogen würde, aber die alten Gemeinschaftsanlagen weiter einbezogen würden. Wir haben auch nicht dafür gesorgt, etwa die Großgemeinschaftsantennenanlagen herauszunehmen. Die bleiben selbstverständlich. Jeder, der die Großgemeinschaftsantennenanlagen auf seinem Haus behalten will, hat die gleichen Voraussetzungen wie die eines Kabelanschlusses.
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Ich glaube, das ist eine ganz normale Situation, wo wir nur den technischen Fortschritt in dieser Frage einbezogen haben.
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Wenn das Rechtsverhältnis zwischen Mieter und Vermieter hier angesprochen wird, Herr Paterna, so kann ich Ihnen versichern, daß hier genauso die allgemeinen Bestimmungen für dieses Verhältnis gelten und die Rechtssicherheit für Mieter und Vermieter in vollem Umfang auch bei dieser Frage aufrechterhalten wird.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Paterna?
Ja.
Bitte.
Herr Minister, können Sie mit einmal erklären, wie es nach Ihrer Vorstellung in Zukunft funktioniert, wenn eine vorhandene Gemeinschaftsantennenanlage an ein BK-Netz angeschlossen werden soll, die Hausverteilanlage noch funktioniert, aber wegen des Anschlusses an das Verteilnetz umgerüstet werden muß und dadurch zusätzliche Kosten entstehen?
Das ist eine Frage der Vertragsbeziehungen zwischen Mieter und Vermieter. Wenn der Vermieter z. B. die Situation so darstellt oder behandelt, daß von - sagen wir mal -20 Mietparteien 12 sich für den neuen Anschluß entschließen und 8 beim bisherigen bleiben wollen, dann kann er dadurch, daß wir das Vertragsverhältnis zum Wohnungsinhaber ermöglicht haben, den 12 die Möglichkeit bieten, einen neuen Anschluß zu haben, und den 8 die Möglichkeit bieten, den alten Anschluß zu belassen. Das ist eine Frage des Vertragsverhältnisses zwischen Mieter und Vermieter und hat mit der Bundespost überhaupt nichts zu tun.
({0})
- Aber selbstverständlich ist das möglich!
({1})
- Ja, Sie können doch das alte Netz in diesem Fall teilweise sowieso nicht mehr benutzen, weil es ja die vielen Übertragungen gar nicht ermöglicht.
({2})
Ich möchte Sie bitten, sich da technisch doch etwas zu informieren.
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Der nächste Punkt. Es wird immer gesagt, die Frage der Netzträgerschaft sei nicht beantwortet. Ich möchte hier einmal klar sagen: Sie haben offensichtlich die Beantwortung zu Punkt 9 Ihrer Frage übersehen. Hier steht ganz klar:
Die Bundesregierung hält diese Auffassung für
unzutreffend. Sowohl beim Kooperationsmodell A wie auch beim Kooperationsmodell B
verbleibt die Netzverantwortung bei der Deutschen Bundespost.
Hier steht es vollkommen deutlich.
({4})
Der nächste Punkt: Anschlußwilligkeit. Da zitieren Sie immer die Marplan-Studie; leider nicht im Original; Sie zitieren sie immer nur nach dem „Spiegel"-Zitat - wie Sie überhaupt, Herr Paterna, wenn Sie Pressezitate bringen, immer nur aus bestimmten Ecken zitieren. Ausgewogenheit auch hier wäre ganz gut.
({5})
Da möchte ich Sie doch einmal mit den Originaldaten vertraut machen. 35 % der Menschen begrüßen weitere TV-Programme, davon 41 % Männer und 29 % Frauen. Die Altersgruppe der 14 bis 29jährigen - Herr Paterna, eine Gruppe, die Sie sicher besonders interessiert - spricht sich zu 48 % für die Möglichkeit einer größeren Auswahl an TV-Programmen aus.
({6})
Knapp 30 % davon sind bereit, dafür zu bezahlen: davon 63 % bis zu 8 DM, 37 % mehr als 8 DM. Eine Untersuchung von Wickert,
({7})
die ebenfalls aus dem Jahr 1983 stammt, erklärt, daß die Wunschliste nach neuen Kommunikationsmöglichkeiten 50 % für Fernsehprogramme aufweist. Dabei würden 43 % bis zu 15 DM bezahlen, wenn es tatsächlich eine größere Auswahl gäbe. 13 % würden für ein Angebot mit 20 Kanälen sogar bis zu 30 DM bezahlen - was allerdings auch ich für etwas übertrieben halte.
Interessant ist auch eine Umfrage bei den von Ihnen so oft beschworenen großen Wohnungs- und Vermietungsgesellschaften dazu, wie vielen nun echt gekündigt worden sind. Es wird gesagt, die seien nicht in der Lage, bei den Gebühren mitzuhalten. Es gibt bisher insgesamt 73 Fälle, wo Kündigungen bestehender Verträge ausgesprochen worden sind, und davon sind insgesamt 521 Wohnungseinheiten betroffen. Die Anzahl von zurückgezogenen Optionen, in die nächste Jahresplanung zu kommen, sind 874 Fälle; das sind 37 900 Wohnungseinheiten. Das sind knapp 5 % des Volumens, das wir im Jahre 1984 verbauen werden, und unsere Planungen müssen leider schon auf das Jahr 1985 ausweichen, weil wir nicht in der Lage sind, das Volumen im Jahre 1984 zu erstellen. Deswegen macht mich das in keiner Weise nervös, wie Sie meinen, daß die Nachfrage nicht da wäre.
Meine Damen und Herren, wir vertreiben im Moment ein Produkt, das noch gar nicht existiert; denn erst im nächsten Jahr kommen die Möglichkeiten, europäische Programme, ECS-Programme hineinzunehmen.
({8})
Wo haben Sie ein Produkt, das Sie schon vorher bezahlen, nur weil Sie dabei sein wollen, ohne es zu dem Zeitpunkt, wo Sie bezahlen, auf dem Tisch zu haben? Das gibt es wohl kaum sonst, und das zeigt, wie hoch die Nachfrage ist.
({9})
Die Höhe der Nachfrage können Sie übrigens auch am Video-Boom sehen. Ich fand es hochinteressant, daß mir der Geschäftsführer der SPD Anfang der letzten Woche erklärt hat: „Herr Schwarz-Schilling, es war eine bewußte Strategie der SPD, daß wir heute den Video-Boom haben. Wir wollten haben, daß der einzelne vollkommen autonom bestimmen kann. Da kann ich nur sagen: Jetzt wissen wir es genau - die Kinder- und Familienschwierigkeiten wurden von der SPD immer beschworen -, was Sie für eine bewußte Strategie betrieben haben. Das ist eine großartige Argumentation.
Frau Reetz, zu Ihren Ausführungen möchte ich nur ganz kurz einige Bemerkungen machen. Der Export ist natürlich notwendig; denn jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab.
({10})
Wir haben nicht genügend Grundlagen, um einen so großen Markt zu haben, daß wir in Deutschland auf den Export verzichten können. Wenn wir Netze bauen, entsteht natürlich ein gewisser Vorlauf für Innovationen, weil Endgeräte nur innoviert werden, wenn Netzstrukturen da sind. Daß wir heute die Konvertoren in Deutschland in Entwicklungsauftrag geben müssen - der uns mehr als 2 000 DM pro Konvertor kostet, den Sie in Amerika für ein paar hundert Mark kaufen könnten, was wir absichtlich nicht gemacht haben, um die deutsche Industrie in den Stand zu setzen, das zu machen -, liegt daran, daß wir kein Netz dieser Art haben, während die Amerikaner seit zehn Jahren KoaxNetze in Hunderttausenden von Fällen haben.
({11})
Das ist Innovation, die auch bei Koax-Netzen entsteht. Sie haben überhaupt keine Ahnung - entschuldigen Sie, daß das hier gesagt werden muß -, daß Mikroelektronik auch bei Koax-Netzen beim Anschluß von Endgeräten eine hervorragende, fast die wichtigste Rolle spielt
({12})
Eine weitere Frage sind die Arbeitsplätze. Ich habe Ihnen gesagt, was für Arbeitsplätze geschafBundesminister Dr. Schwarz-Schilling
fen werden. Ich wäre auch hier den Experten der SPD dankbar, wenn sie etwas aufklärend in ihrem Bereich dafür sorgten, daß man Mikroelektronik, Glasfaser und die Verteilung von Rundfunk und Fernsehen nicht immer in einen Topf werfen sollte. Sie wissen ganz genau, daß mit der Ausbauplanung des Koax-Verteilnetzes für Rundfunk und Fernsehen auch nicht ein einziger Arbeitsplatz wegrationalisiert wird. Sämtliche Tätigkeiten, die hier vorgenommen werden, sind zusätzliche Tätigkeiten, die sonst nicht vorgenommen werden.
({13})
Wenn Sie von Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen sprechen, müssen Sie als erstes den Bildschirmtext nennen, der Ihre Entscheidung war, die ich voll unterstütze. Aber es war auch die Entscheidung der früheren Bundesregierung, den Bildschirmtext einzuführen. Weiter müssen Sie die Frage der Glasfaser in den Mittelpunkt stellen. Es ist wohl Ihre Strategie, Glasfaser so schnell wie möglich einzuführen, und genau da liegt das Rationalisierungspotential, das Sie fälschlicherweise immer bei den Kabeln anführen, die die Bundespost heute einsetzt.
({14})
Herr Kretkowski, Sie haben hier davon gesprochen, daß alle wichtigen Entscheidungen schon vom früheren Postminister gefällt worden sind.
({15})
Ich habe soeben Bildschirmtext genannt, und ich habe die Digitalisierung des Telefons angesprochen. Sie haben völlig recht, ich habe nie bestritten, daß das richtige Entscheidungen der früheren Postminister gewesen sind. Aber wie sieht es denn bei den Satelliten aus? Noch nicht einmal die Option auf die von dem europäischen Fernmeldesatelliten gebauten Reihen ist von irgendeinem Postminister von Ihnen ausgesprochen worden. Wenn ich nicht nach dem Verfalldatum mit einer ungeheuren Mühe dafür gesorgt hätte, daß wir auf dem ECS zwei und bei INTELSAT sechs Kanäle bekommen, dann würde ab nächstem Jahr über dem Himmel in Europa nur französisch, englisch und italienisch gesendet werden. Nicht ein einziges deutsches Programm wäre dann ab 1984 in Europa zu empfangen. Ich muß sagen: Das ist wirklich eine außergewöhnlich vorausschauende Politik der SPD.
({16})
Zum zweiten. Wer hat denn hier die Wende in der Frage der Breitbandverkabelung vorgenommen? Ich kann doch nichts dafür, daß die richtige Entscheidung des damaligen Postministers Gscheidle durch eine falsche Kabinettsentscheidung vom Tisch geworfen wurde.
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Das ist doch Ihre Politik gewesen. Es gab also auch richtige Entscheidungen zusätzlicher Art; bloß sind sie nicht umgesetzt worden. Damit sind Sie gemeint, ganz ausgesprochen Sie, die Partei der SPD unter ihrem Kanzler Helmut Schmidt, der hier plötzlich eine meines Erachtens technisch nicht einwandfreie Begründung gegeben hat, um seine medienpolitisch haltlose Möglichkeit, als Bundeskanzler über Fragen der Medienpolitik zu entscheiden, mit einem technischen Vorwand - Glasfaser - glaubte untermauern zu können. Sie sind immer noch auf diesem Dampfer, ohne es zu merken.
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Meine Damen und Herren, ich möchte der Sozialdemokratischen Partei eine Frage stellen.
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Ich hatte eigentlich gehofft, ich würde heute etwas davon hören, was Ihre konkreten Vorstellungen über eine alternative Politik zur Politik dieser Bundesregierung sind, womit ich auch die drei Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP meine.
Sie werden wohl nicht bestreiten, daß wir hier einen ganz klaren Kurswechsel vorgenommen haben, um endlich das nachzuholen, was in unseren europäischen Nachbarländern längst in Gang ist. Die Franzosen haben den Beschluß zur Verkabelung gefaßt, auch die Engländer. Die Belgier sind bei 80 %, die Luxemburger bei 70% Verkabelungsdichte. Wir dagegen haben 2 %. Das ist das, was Sie mir als Ihre Politik übergeben haben. In den Vereinigten Staaten liegen wir bei 50 %, in Kanada bei 60%.
Wir haben einen riesigen Nachholbedarf. Wir sind leider etwas spät - das gebe ich Ihnen gern zu -, um die Frage des Anschlusses mit den Satelliten noch rechtzeitig hinzubringen. Hätte die Bundesrepublik rechtzeitig verkabelt, dann würden die Programme, die ab nächstem Jahr europaweit ausgestrahlt werden, in entsprechendem Ausmaß den deutschen Familien zugute kommen.
Was wollen Sie nun? Zunächst haben Sie gesagt: Wir wollen es nicht, wegen der Kinder und der Familien. Dann hören wir durch Herrn Glotz in einem Streitgespräch im Hessischen Rundfunk etwas von dem Videoboom. Er hat gesagt - Sie können es sich gern anhören -: Das war eine bewußte Förderung durch die Sozialdemokraten, die das nicht über Rundfunk und Fernsehen machen wollten; der Programmdirektor sollte vielmehr über den Videoboom kommen. So, das haben wir jetzt gehört. Dann steht also Ihre Argumentation mit der Familie in keinerlei logischem Zusammenhang mehr zu dem, was Sie sonst gesagt haben. Sie wissen selber, daß durch die Mediengesetze der Länder das, was wir heute über Videokassetten kaufen können, in keiner Weise auf dem Bildschirm gewesen wäre. Damit haben Sie Ihr eigenes Argument kaputtgemacht.
({20})
Dann haben Sie von der Glasfasertechnik gesprochen. Ja, was wollen wir denn nun? Wollen Sie, daß wir die Kupferkoaxnetze nicht bauen? Dann haben wir 15 000 Arbeitsplätze im Jahr weniger, und dann können wir einige hundert Fernmeldehandwerker weniger übernehmen, und es gäbe keine Innovation durch Kupferkoaxialnetze für die Endgeräte.
Es trifft auch nicht zu, was hier gesagt wurde, daß es dort keine Rückkanäle gibt. Natürlich sind bei Kupferkoaxialnetzen auch Rückkanäle möglich und damit auch Abrufdienste durch Codieren und Decodieren, auch in Baumstruktur.
Was wollen Sie weiter? Sie haben von der Post aus einmal die elf Großstädte verkabeln wollen. Dann haben Sie es verboten. Was wollen Sie heute? Sagen Sie zu Flächenverkabelung ja oder nein?
({21})
- Gut. Wir wissen jetzt genau: Die SPD sagt nein. Das ist interessant, meine Damen und Herren. Mein Kollege Weirich hat bereits darauf hingewiesen, daß Herr von Dohnanyi, Erster Bürgermeister von Hamburg, folgendes gesagt hat:
Ich sehe die Risiken der Anwendung neuer Kommunikationstechniken und neuer Medien. Ich verstehe auch die ablehnende Debatte. Aber ich sage offen: Ich gebe dieser Debatte keine Chance für ein dauerhaftes Ausscheren der Bundesrepublik aus dieser umstürzenden technisch-wissenschaftlichen Entwicklung. Selbst wenn wir wollten, wir könnten diese Entwicklung nicht aufhalten. Die einzig wirkliche Folge würde wohl sein, daß wir die neuen Systeme kriegen und andere deren Arbeitsplätze bekommen.
({22})
Eine sehr gute Sache! Das könnte direkt ich schon vor drei Jahren gesagt haben. Das habe ich damals auch schon gesagt. Ich freue mich, daß auch Herr Glotz und Herr von Dohnanyi bereits neue Dinge sehen. Herr Paterna, passen Sie auf, daß Sie nicht das dogmatische Schlußlicht in Ihrer eigenen Partei werden!
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Ich sehe die Dinge bei Ihnen im Moment ganz anders laufen. Aber das Verhältnis von Bund und Ländern auf seiten der Sozialdemokratischen Partei habe nicht ich zu ordnen; Sie müssen wissen, wie Sie damit zu Rande kommen, wenn dort ganz andere Dinge im Gange sind.
({24})
Es wurde gefragt - darauf möchte ich jetzt eine Antwort geben -, wie die Planungen der Deutschen Bundespost aussehen:
Erstens. Wir sind dabei, mit Hochdruck die Telefondigitalisierung voranzutreiben, um die Möglichkeit von hohem Datenverkehr, bis 144 Kilobit, allen Haushalten zur Verfügung zu stellen.
Zweitens. Wir sind gleichzeitig dabei, das KoaxNetz auszubauen, um Rundfunk- und Fernsehverteilung für die Privathaushalte, die dort eine erstrangige Nachfrage haben, zu befriedigen.
Drittens sind wir dabei, Fernmeldesatellitenkanäle zunächst anzumieten und, sobald die deutsche Industrie in der Lage ist, ein Angebot zur Vermarktung eines Satelliten auch so darzustellen, daß ich die Verantwortung übernehmen kann, einen solchen Auftrag zu erteilen, einen deutschen Fernmeldesatelliten in Auftrag zu geben.
Der Bedarf der Länder, was Entscheidungen angeht, ist groß. Ich möchte sagen, daß unsere Kalkulationsgrundlagen direkt davon abhängen, wann welche Länder ihre Entscheidungen treffen.
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Wenn einzelne Länder die Einspeisung von Kabelprogrammen auch von Frankreich, Italien und England nicht zur rechten Zeit beschließen, dann werden wir daraus natürlich investitionsmäßige Entscheidungen treffen wie jeder Unternehmer, wenn eine vorhandene Nachfrage durch gesetzliche Regelungen künstlich limitiert wird. Dann können wir diese Planung nicht machen.
Es hängt also weitgehend davon ab, was Hessen oder Nordrhein-Westfalen - hier möchte ich in erster Linie Herrn Rau nennen - nun wirklich wollen. Auf der einen Seite kommen die Städte des Ruhrgebiets und wollen viel mehr Verkabelung, als bisher möglich ist. Auf der anderen Seite sagt Herr Rau: Nein, das wollen wir nicht. Auf der einen Seite kommt das Pilotprojekt Dortmund und sagt: Wir wollen die Glasfaserverkabelung. Auf der anderen Seite ist dieses Pilotprojekt auf Rundfunkprogramme ausgelegt; der Träger ist der Westdeutsche Rundfunk. Soll der Westdeutsche Rundfunk ausprobieren, welche Computerdaten, Megabitraten, welche Videokonferenzen und ähnliches mehr in Dortmund sind? Dann müssen Sie die Zielsetzung dieses Pilotprojekts entsprechend ändern. Auch hier völlige Inkonsequenz.
Es ist gesagt worden, wir müssen Länderstaatsverträge machen. Ich möchte einmal sehen, wie Herr Börner zusammen mit den GRÜNEN einen solchen Staatsvertrag über die parlamentarischen Hürden bringt.
Ich kann nur für eines plädieren: schnelle Entscheidungen der Länder, auch wegen der Satellitenkanäle. Wir sind schon heute nicht in der Lage, der Industrie einen entsprechenden Auftrag für die Nachfolge des TV-SAT zu geben. Der französische Postminister fragt mich: Wann seid ihr denn soweit? Wir geben jetzt auch keinen Auftrag. Ich fürchte, wenn die Länder nicht bald handeln, sagen die Franzosen, die jetzt auf Kabel und Fernmeldesatelliten setzen: Wir wollen keinen Nachfolgesatelliten mehr. Ich kann nur sagen: Die Länder müssen wissen, welche Verantwortung sie hier tragen.
({26})
Wir haben selbstverständlich auch Übergangsstrategien von Kupfer zu Glasfaser. Wir werden in den nächsten Jahren ein Overlay-Netz haben, wodurch die potentiellen Nachfrager in der Lage sind, in entsprechender Weise tatsächlich Anschlüsse zu erhalten. Dies geschieht mit Erdfunkantennen im Zusammenhang mit Satellitenkommunikation, so daß wir sehr viel schneller in der Lage sein werden, die potentiellen Nachfrager zu verbinden, und nicht durch den Ausbau von Glasfaserortsnetzen über 30 Jahre in den Wohngebieten die wirklichen Zentren praktisch versäumen.
Die europäische Dimension wird jetzt durch den ECS-Satelliten entstehen. Wenn wir nicht schnell verkabeln, werden wir nicht wie die anderen Länder in der Lage sein, ihre Nachbarländer im Original zu sehen. Gerade im nächsten Jahr, in dem die europäischen Wahlen stattfinden, wäre es eine Schande, wenn ausgerechnet in der Bundesrepublik Deutschland diese Möglichkeit nicht gegeben wäre, original französische, englische, italienische Fernsehprogramme zu sehen, was in den übrigen Ländern heute möglich wird. Ich hielte das für eine absolut rückständige Politik.
Meine Damen und Herren, die Zeit ist abgelaufen.
({27})
Ich möchte an Sie appellieren, Ihre Inkonsequenz in der Breitbandverkabelungsstrategie doch zu überlegen. Peter Glotz schrieb 1968 als Medienwissenschaftler ({28})
damals war er noch nicht SPD-Parteistratege -:
Seit dem 19. Jahrhundert wird nur die vermassende und verdummende Wirkung der Massenkommunikation prophezeit, und jede empirische Untersuchung beweist das genaue Gegenteil. Es wäre an der Zeit, diese Art der Kulturkritik endlich auf dem Schutthaufen der Geschichte zu deponieren.
Das empfehle ich Ihnen. Das hat Herr Glotz schon 1968 gesagt.
Vielleicht noch eines: Wenn Sie weiter so dagegen zu Felde ziehen, dann lesen Sie einmal eine Streitschrift desjenigen, dessen 500. Geburtstag wir heute feiern, nämlich von Martin Luther. Die Streitschrift von damals heißt: „Wider die greuliche Unvernunft der Verächter des gedruckten Wortes". Wenn Sie diese Streitschrift lesen, dann werden Sie gegen all die Argumente etwas finden, die heute von den Verächtern der elektronischen Medien vorgebracht werden. - Ich danke Ihnen.
({29})
Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die Bundesregierung geht in ihrer Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion zur Breitbandverkabelung nur unzureichend auf die Wirkungen ihrer auch in dieser Hinsicht sehr verwirrenden Politik auf die Gemeinden ein. Sie streift Gemeindeinteressen, also Interessen der hier wohl Hauptbeteiligten, nur in dem Umfang, in dem es ihr zur Rechtfertigung ihrer eigenen Ziele zweckdienlich erscheint. Wie anders soll ich es sonst verstehen, daß der Postminister die Frage nach der planungsrechtlichen Beteiligung der Kommunen mit dem Hinweis abtut, den kommunalen Gebietskörperschaften stehe nicht einmal dann ein Planungsrecht zu, wenn Private ihre Städte verkabeln?
Sie übergeht dabei die übereinstimmende Auffassung auch der Staatsrechtler in der Bundesrepublik, eine Auffassung, die im übrigen sogar im erstinstanzlichen Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom April dieses Jahres im Rechtsstreit zwischen der Stadt Bergisch-Gladbach und der Post ihren Niederschlag gefunden hat, wonach der Bund auch eine Maßnahme, die an sich von einer Kompetenzvorschrift gedeckt ist, dann nicht mißbräuchlich anwenden darf, wenn sie in unvertretbarer Weise und ohne Rücksicht auf die Belange der Gemeinde wirkt. Das Gericht sieht die Verpflichtung der Post zu gemeindefreundlichem Handeln bei der Verteilung von Unterhaltsprogrammen zwar noch nicht verletzt - das wird sicherlich in anderen Instanzen noch zu klären sein -, läßt aber deutlich anklingen, daß dies bei der vorgesehenen ertragskräftigen Nutzung der modernen Individualkommunikation und bei der Beteiligung privater Unternehmen nicht mehr unterstellt werden kann; dann vermutet das Gericht eine Verletzung dieses Grundsatzes des gemeindefreundlichen Handelns.
Im übrigen hat eine kommunale Beteiligung an staatlichen Investitionsplanungen hinsichtlich der Wahrung örtlicher Interessen eine zweifache Bedeutung, die auch die Post anerkennen muß: Zum ersten dient diese Beteiligung dazu, den kommunalen Handlungsspielraum, der zur Erledigung der kommunalen Aufgaben notwendig ist, gegen zu weitgehende staatliche Eingriffe zu sichern. Zum zweiten besteht der Sinn des Zwangs zu kommunaler Beteiligung darin, die örtlichen Interessen in staatliche Entscheidungsprozesse, vor allen Dingen dann, wenn sie in gemeindliche Bereiche hineinwirken, einzubringen.
Diese planungsrechtlichen Ansprüche der Gemeinden werden meiner Meinung nach durch die vorläufige Rahmenvereinbarung mit den kommunalen Spitzenverbänden nicht abgedeckt. Dabei - das möchte ich ausdrücklich sagen - herrscht bei den Gemeinden eine insgesamt erwartungsvolle Stimmung. Sie wollen beteiligt und beraten werden - dies allerdings unter Berücksichtigung ihrer Interessenlage. Ich stelle hier so gut wie keine Bereitschaft der Post oder des Postministeriums fest, dieser Erwartung hinsichtlich Beratung gerecht zu werden, sie also im eigenen Verhalten zu berücksichtigen. Ich habe das auch in diesen Tagen erlebt, als sich der Deutsche Städte- und Gemeindebund mit Fragen der kommunalen Verkabelung beschäftigt hat. Es war kein Vertreter des Postministeriums anwesend, obwohl dieser Kongreß hier in Bonn stattfand.
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Im übrigen fällt mir, was Beteiligung angeht, gerade etwas ein; das ist heute morgen auf den Tisch gekommen. Da gibt es ja sehr unterschiedliche Haltungen: Der Industrie- und Handelstag hat in diesen Tagen unter dem Datum 31. Oktober an den Postminister geschrieben und darauf verwiesen, für wie problematisch er, also der Industrie- und Han2178
delstag, die weitere Entwicklung einer bundesweiten Infrastruktur des Fernmeldewesens in der Bundesrepublik hält, wenn der Postminister, wenn wir es weiter hinnehmen würden, daß sich die Zuständigkeit für die Zulassung und Nutzung der Fernmeldedienste, insbesondere in der Individualkommunikation, immer mehr auf die Länder und den Landesgesetzgeber verlagert. Der DIHT erinnert insbesondere daran, daß so tragende Begriffe wie „Übertragungstechnik", „elektronische Kommunikationsformen" usw. näher bestimmt werden müßten, etwas, was sich dann, wie er ein wenig bissig vermerkt, allerdings erübrigen würde, wenn man die fundamentalen Unterschiede, die zwischen den Fernmeldediensten der Individualkommunikation und den Medien der Massenkommunikation bestehen, als rechtlich und praktisch unerheblich beiseite schiebt, d. h. diese Klärungen nicht mehr in Bundeskompetenz vornimmt.
Der DIHT hatte darauf bereits im Frühjahr hingewiesen. Er sagt ausdrücklich, daß auf diese Weise die Post zum technischen Erfüllungsgehilfen landespolitischer Vorstellungen wird, die sich dann eben auch auf das Fernmeldewesen zu erstrecken beginnen. Die Kammern, so sagt der DIHT, stehen daher vor der Frage, ob sie ihre jeweiligen Überlegungen zur Weiterentwicklung des Fernmeldewesens überhaupt noch an die Bundespost herantragen sollen oder ob sie darüber künftig mit den Landesregierungen sprechen sollen.
Die Erwartungen der Gemeinden an eine besonnene, mit ihnen abgestimmte Breitbandverkabelung waren groß. Sie erwarteten beispielsweise lokale Standortverbesserungen, arbeitsmarktpolitische Vorteile, Kostensenkung auch bei der eigenen Verwaltung mit dem sogenannten Inhousing oder auch bessere Gestaltungsmöglichkeiten etwa im Verkehr, in der Kultur oder in der Jugendarbeit. Aus alledem ist bis jetzt nicht nur nichts geworden. Diese Erwartungen können, so wie es aussieht, in absehbarer Zeit auch nicht erfüllt werden. Im Gegenteil, die eigenartige Praxis der Post, in zahlreichen Gemeinden nur kleine Stadtteile, manchmal nur Straßenzüge koaxial zu verkabeln, läßt Nachfrage auch in dieser Hinsicht erst gar nicht entstehen. Technisch und ökonomisch sind bevorzugte, besser gesagt, nahezu ausschließliche Kupfer- und Koaxialverkabelung ein besonderes Problem für die Städte und Gemeinden. Denn die Integration so errichteter Verteilnetze in spätere Glasfasernetze in Sternstruktur ist überhaupt noch nicht gelöst und wird eine Menge Probleme mitbringen. Selbst Prognos -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeffermann?
Herr Kollege, darf ich eigentlich der Tatsache, daß Sie die Zitate des DIHT und der Gemeinden bringen, entnehmen, daß Ihnen im Gegensatz offensichtlich zu Ihrer Fraktion das Voranschreiten von Verkabelung durch die Deutsche Bundespost nicht schnell und nicht zügig genug betrieben wird? Und würden Sie mir darin zustimmen, daß es darin doch offensichtlich einen erheblichen Dissens zu dem gibt, was die beiden ersten Redner der SPD-Fraktion heute vormittag ausgeführt haben?
Herr Pfeffermann, es gibt überhaupt keinen Dissens. Ich spreche von den Erwartungen der Gemeinden und will ausdrücklich darstellen, daß für die Gemeinden in der ausschließlich jetzt koaxial betriebenen Verkabelung eben das große Problem liegt.
Selbst Prognos verweist hier auf die Gefahr, die aus dem zeitlich gegeneinander verschobenen Parallelausbau der Netze erwächst. Der flächendekkende Ausbau des für die Individualkommunikation wichtigen Vermittlungsnetzes ist auch in Frage gestellt, so sagen es die Gemeinden, weil die wichtigste Finanzierungsbasis, nämlich die Nachfrage der Haushalte, durch den zeitlich vorlaufenden Ausbau der Verteilnetze für Massenkommunikation entzogen wird.
Im übrigen: die Gemeinden interessieren sich vorrangig und überhaupt nur - und hier erkennen Sie die übereinstimmende Argumentation - für die individuelle Kommunikation. Von Standortverbesserungen, die auf diese Weise erreicht werden sollen, wird in absehbarer Zeit aber keine Rede sein können. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Basis der Gemeinden ist also auf diese Weise auch nicht zu erwarten. Im Gegenteil, verkabelten Gemeinden drohen spürbare Mietpreissteigerungen - darüber ist schon gesprochen worden -, was wiederum Standortverschlechterungen zur Folge haben kann. Denn es geht heute nicht allein um Industrieansiedlung, sondern auch um Wohnungsbau in den Gemeinden, um auf diese Weise auch die steuerliche Ertragskraft zu steigern.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Vielen Dank, jetzt möchte ich nicht mehr.
Ebensowenig wird es eine kostensenkende Nutzung der Kabel durch die Gemeinden oder durch ihre Versorgungsbetriebe in absehbarer Zeit geben können, solange die dafür erforderliche Anschlußdichte nicht erreicht ist. Wie aber soll diese gesteigert werden bei den dazu völlig ungeeigneten Gebühren?
Entscheidend für die Standortqualität ist - ich betone das noch einmal - der fernmeldetechnische Ausbau der Infrastruktur zur Verbesserung der Individual- und der geschäftlichen Kommunikation. Ausbau der Fernleitungen, Verbilligung der Fernübertragung von Sprache und Daten, Digitalisierung der Netze, Overlay-Netze durch Einsatz von Satelliten und Einsatz der Glasfaser zumindest in den höheren Netzebenen sind darum für die Gemeinden vorrangig. Die kupferkoaxiale Breitbandverkabelung in reinen Verteilnetzen spielt demgeBernrath
genüber für die Standortqualität einer Gemeinde keine Rolle. Hierzu noch zwei Anmerkungen.
Erstens. Wie soll das, was sich aus der jetzt in Braunschweig begonnenen Rosinenpickerei privater Kabelunternehmen zwangsläufig ergibt, für die Gemeinden eigentlich erträglich sein? Wird es in ohnehin strukturschwachen Gebieten für die Bürger teurer, weil die Post dort letztlich unter hohem Risiko verkabeln muß? Die Post wird dort verkabeln müssen, weil nicht zu erwarten ist, daß privates Kapital in strukturschwache Gebiete fließt. Die Renditeerwartungen sind zu gering, zumindest zu vage.
Oder werden - das löst die gleiche Sorge aus - die privaten Unternehmen ihre unterschiedlichen Investitionsrisiken durch unterschiedlich hohe Preise zu decken versuchen?
Also einerseits Post unter Verzicht auf Kostendeckung oder andererseits Private mit regional differenzierten Preisen, das ist wahrscheinlich die einzige und für die Gemeinden darum auch bedauerliche Alternative. Denn anderenfalls hätte die Post doch längst - darauf ist von Herrn Paterna und auch von Herrn Laermann schon hingewiesen worden - ihre langfristige Investitionsplanung regional gegliedert und so differenziert auf den Tisch legen müssen, daß ein gleichmäßiges Verteilen der unterschiedlichen Risiken auf Post und Private technisch überhaupt erst möglich würde. Herr Hoffie hat heute morgen allerdings bezweifelt, daß es eine solche regional gegliederte Planung überhaupt gibt.
Wie sonst, Herr Minister, wollen Sie die außerhalb von Ballungsräumen zu erwartenden Defizite - sie sind von Herrn Paterna beziffert worden - bei den Verkabelungsinvestitionen decken?
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Private Investoren sind dafür, von der einen oder anderen Ausnahme abgesehen, nicht in Sicht.
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Es ist auch mehr als fraglich, ob die Investitionen der Post bei den zur Zeit geltenden Gebühren überhaupt rentabel sind, auch langfristig betrachtet. Auch da hat Herr Laermann erhebliche Zweifel angemeldet.
Die Bundesregierung will aber laut Bundesinnenminister Zimmermann - in diesen Tagen vor dem Städtebund - darauf achten, daß auf Dauer ein gleichmäßiger Zugang zu den neuen Techniken in den einzelnen Regionen und in Stadt und Land gewährleistet wird.
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Es heißt in den Verlautbarungen der Bundesregierung sogar, es dürfe auch keine zeitliche Bevorzugung der Städte und Gemeinden in Verdichtungsräumen gegenüber den Städten und Gemeinden in ländlichen Räumen erfolgen. Ich erkenne nicht, daß
Sie diese Forderungen in Ihre Entscheidungen einbeziehen.
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Die beharrliche Weigerung der Gesellschafter, das Umfeld von Braunschweig und Wolfsburg sowie von Lingen mitzuverkabeln, spricht hier doch Bände. Die Privaten wollen sich auf die dicht besiedelten Stadtgebiete beschränken.
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Es besteht also bei privaten Unternehmern weder ein Interesse noch die Absicht, Neuanlagen zu errichten und Kunden in solchen strukturschwächeren Gebieten zu gewinnen und zu bedienen. Sie wollen vorzugsweise vorhandene Kabelanlagen in risikofreien Gebieten übernehmen und vermarkten. Braunschweig ist dafür ein Beispiel. Dort sind nahezu 70 % verkabelt, und es fließen noch Millionen hinein. Die Privaten übernehmen dann praktisch nur noch einen unbedeutenden und risikofreien Rest.
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Arbeitsmarktpolitisch ist nicht nur laut Handwerkspräsident Schulhoff keine Musik im Verkabelungsgeschäft. Die hohen Kosten - also die Gebühren für die Hausanschlüsse - führen, Herr Minister Blüm, eher zur Schwarzarbeit. Auch das ist die Meinung von Herrn Schulhoff. In meiner Gemeinde, die teilverkabelt ist, sind die Anschlußarbeiten zu 80 % in die Schwarzarbeit geflossen. Für das Handwerk hat es seitdem 20 % Minus gegeben, keinen Zuwachs im Auftragsbestand und damit eine große Enttäuschung.
Im übrigen haben die Gemeinden auch in diesem Zusammenhang Anlaß zur Sorge. Es trifft nämlich die Behauptung der Bundesregierung nicht zu, daß nach den Kooperationsmodellen die privaten Unternehmer die gleichen Pflichten wie die Post hätten. Ich erinnere etwa daran, daß für private Unternehmer die VOB nicht gilt. Es gelten auch keine gemeinwirtschaftlichen Pflichten, wie sie das Postverwaltungsgesetz für die Post vorsieht. Es besteht also die Gefahr, daß über den Einsatz von Billigbietern mit Leiharbeitern oder übervorteilten ausländischen Arbeitskräften der Kunde ebenfalls übervorteilt wird und der Arbeitsmarkt mittelbar noch mehr ausgehöhlt wird.
Aus kommunaler Sicht ist auch der Aspekt der Informationsvielfalt von besonderer Bedeutung. Wir beklagen seit langem die Abnahme der Zahl selbständiger Zeitungsredaktionen und das Wachsen der Zahl sogenannter Ein-Zeitungs-Kreise. Zwar wird Lokalfernsehen aus finanziellen Gründen nur in Ausnahmefällen von den Gemeinden für möglich gehalten - wir stimmen dem auch zu -, aber sollte Lokalfernsehen von kommerziellen Anbietern angeboten werden, entstünde entweder eine zusätzliche Gefahr durch Verstärkung des lokalen
Meinungsmonopols der ortsansässigen Zeitung oder mit noch größerer Wahrscheinlichkeit die Gefahr, daß bisher lebensfähige Lokal- und Regionalzeitungen durch finanzstarke Gruppen und durch Konkurrenz auf dem Werbemarkt in ihrer Existenz bedroht sind.
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Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Die Folgen für die Post sind besorgniserregend; ich habe sie im einzelnen angedeutet. Wir als Sozialdemokraten bleiben daher - das ist zugleich die vom Minister gewünschte Perspektive, die wir hier äußern sollen - bei unseren Forderungen: erstens streng am tatsächlichen Bedarf der Bürger und der Gemeinden orientierte Verkabelung in Koaxial-Technik dort, wo es für einen einwandfreien Empfang erforderlich ist, und nur dort; zweitens Aufrechterhaltung des alleinigen Netzausbaus und der Netzträgerschaft durch die Post für alle Fernmeldedienste einschließlich der Unterhaltungsprogrammverteilung sowie drittens und letztens Einsatz aller verfügbaren Mittel der Post für Investitionen, die mittel- und langfristig sinnvoll sind, d. h. für die Digitalisierung der Netze,
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für den Aufbau eines Fernmeldesatellitennetzes
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sowie für den Aufbau eines integrierten, regional begrenzten Breitbandglasfasernetzes
({2})
und damit dann auch für Verbesserungen der Standortbedingungen für die Gemeinden. Ein solches Vorgehen ließe sich auch politisch verantwortungsbewußt steuern, und nur so ließe sich aus dieser Technik auch Nutzen ziehen.
Danke schön.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Steger, Paterna, Roth, Dr. Schmude, Frau Fuchs ({0}), Dr. Glotz, Dr. Mitzscherling, Dr. Nöbel, Dr. Sperling, Dr. Wernitz, Bindig, Brosi, Catenhusen, Fischer ({1}), Gobrecht, Grunenberg, Horn, Dr. Jens, Dr. Kübler, Dr. Klejdzinski, Kuhlwein, Lutz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Nagel, Schäfer ({2}), Dr. Scheer, Schluckebier, Frau Schmidt ({3}), Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Stahl ({4}), Stockleben, Vahlberg, Vogelsang, Vosen, Waltemathe, Weinhofer, Wieczorek ({5}), Dr. de With und der Fraktion der SPD
Anwendung der Mikroelektronik
- Drucksache 10/545 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({6}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
' Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Steger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der über einjährigen Amtszeit des Bundesministers für Forschung und Technologie hat er vor allen Dingen durch zahlreiche und schöne Reden brilliert, was ihm das Etikett eingetragen hat, er sei die intellektuelle Rapid Deployment Force des Kabinetts.
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Unser Antrag soll aber bewirken, daß diesen Reden endlich Taten folgen und nicht die Forschungs- und Technologiepolitik zu einem Lückenbüßer verfehlter Unternehmenspolitik degeneriert.
Heute steht nicht die generelle Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung zur Debatte - das werden wir dann erörtern, wenn Sie die überfällige Antwort auf die Große Anfrage, die Ihnen Ihre Fraktion aufs Auge gedrückt hat, Herr Bundesminister, endlich durchs Kabinett gekriegt haben und wir sie im Plenum diskutieren können -, sondern heute steht der Antrag der SPD zur Debatte, mit dem wir konstruktive Vorschläge machen, wie die Herausforderungen der „Informationsgesellschaft" bewältigt werden können. Er ist zugleich eine Meßlatte für die von Ihnen angekündigte Gesamtkonzeption auf diesem Gebiet, deren Vorlage sich, so haben wir gestern im Ausschuß gehört, wegen Koordinierungsschwierigkeiten insbesondere mit dem Bundeswirtschaftsministerium verzögern wird.
Ich kann das ausgesprochen gut nachfühlen, Herr Bundesforschungsminister, denn die Situation, in der Sie jetzt sind, ist zumindest für uns aus vergangenen Regierungszeiten nicht neu. Wenn ich z. B. das Beschäftigungsprogramm der SPD-Fraktion vom April 1981 nehme - dort haben wir umfangreiche Vorschläge in dem Kapitel „Moderne Technik entwickeln, einführen und humanisieren" gemacht -, so ist es dem Bundeswirtschaftsministerium leider damals gelungen, alle diese Dinge wieder in den Papierkorb wandern zu lassen. Ich könnte mir vorstellen, daß vieles von dem, was bei Ihnen jetzt diskutiert wird und was wir zum Teil als ganz sinnvoll empfinden, ein ähnliches Schicksal erleidet, jedenfalls nach dem, was wir gestern im Ausschuß gehört haben.
Erstaunlicherweise ist die deutsche Industrie und insbesondere die informationstechnische Industrie dort sehr viel weiter. Es gibt, wie Sie alle wissen, ein gemeinsames Papier, in dem der Sprecher dieser Arbeitsgemeinschaft, Klaus Luft, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Nixdorf AG und in seiner konservativen Gesinnung sicher über jeden Zweifel erhaben, eine industriepolitische Gesamtstrategie fordert und deutlich darauf hinweist, daß dafür sowohl von der Industrie als auch vom Staat umgehend geeignete Schritte notwendig sind. Er stellt ausdrücklich fest, „daß ohne das Zusammenwirken von Wirtschaft und öffentlicher Hand keine Industrienation in der Lage ist, sich eine angemessene Position auf dem Weltmarkt zu sichern". Er fordert deshalb, einen Konsens zwischen allen Beteiligten schnell herzustellen und „eine zielstrebige nationale Kraftanstrengung zu initiieren". Ich wiederhole, Herr Bundesminister: eine nationale Kraftanstrengung und nicht schöne Reden über Marktwirtschaft und ähnliches mehr.
Die „Technologie-Nachrichten" haben in einem Kommentar dieses Programm den „japanischen Schritt der informationstechnischen Industrie" genannt. Ich glaube, dieses ist eine sehr gute Bewertung. Unser Antrag beinhaltet das Angebot, an dieser nationalen Kraftanstrengung mitzuarbeiten und sie notfalls auch gegen den Bundeswirtschaftsminister zu unterstützen. Ich glaube, es ist Ihre vornehmste Pflicht, in den kommenden Monaten dafür zu sorgen, daß die deutschen Zukunftsindustrien nicht durch die Lambsdorffsche Politik das Schicksal der deutschen Stahlindustrie erleiden.
({1})
Unser Antrag hat im wesentlichen vier Hauptkomplexe. Zunächst geht es um die Einbettung der Anwendung der Mikroelektronik in eine Beschäftigungspolitik insgesamt. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Forschung und Technologie hat gestern das Beispiel von der Dampfmaschine gebraucht - nicht um die Zugkraft dieser Bundesregierung zu demonstrieren, das wäre auch ein etwas unzutreffender Vergleich gewesen -, sondern um darzulegen, daß die Entwicklung der Mikroelektronik ebensowenig aufzuhalten ist wie die Einführung der Dampfmaschine. Dies ist sicherlich richtig. Nur, meine Damen und Herren, das Grundgesetz verpflichtet uns, dafür zu sorgen, daß sich die Opfer, die bei der ersten Industrialisierung in Form von Massenelend und Massenarbeitslosigkeit entstanden sind, bei der dritten industriellen Revolution nicht wiederholen.
({2})
Die Kombination von Tabu-Katalog der Arbeitgeber und einer fast frühkapitalistisch zu nennenden Wirtschaftspolitik der konservativen Bundesregierung führt doch dazu, daß wir uns hier auf eine abschüssige Bahn begeben und der soziale Konsens über die Einführung von neuen Technologien in dieser Republik gefährdet ist. Der Journalist Dieter Balkhausen hat in seinem neuen Buch über die Mikroelektronik es dahin gehend formuliert: Es drohe die „Kündigung des sozialen Jahrhundertvertrages", jenes ungeschriebenen Vertrages zwischen
den Gewerkschaften und den Unternehmern, wonach einerseits die Gewerkschaften die Einführung der neuen Technologien nicht behindern, aber anderereits auch sichergestellt werde, daß durch den technischen Wandel die Erträge der gestiegenen Produktivität auch den Arbeitnehmern in Form von gestiegenen Einkommen und verbesserten Arbeitsbedingungen zur Verfügung stünden.
Ich will - mein Kollege Jung wird nachher noch ausführlicher darauf eingehen - nur eine Stimme aus dem gewerkschaftlichen Lager zitieren. Das Zitat stammt vom letzten Gewerkschaftstag der IG Metall, der sich ausführlich mit diesem Thema befaßt hat. In der Entschließung 10 heißt es:
In der Vergangenheit haben die Gewerkschaften Rationalisierung und technischen Wandel nie grundsätzlich in Frage gestellt. Diese Grundhaltung stützte sich auf Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung, Reallohnsteigerung und verbesserte Arbeits- und Lebensqualität. Diese Voraussetzungen sind gegenwärtig und zukünftig nicht mehr gegeben. Massenarbeitslosigkeit sowie sinkende Arbeits- und Lebensqualität, die Enteignung von Fachwissen und Erfahrung durch Computersysteme mit der daraus folgenden Zentralisierung betrieblicher und gesellschaftlicher Machtverhältnisse und eine einseitig kapitalorientierte Wirtschaftspolitik erzwingen eine noch umfassendere Auseinandersetzung auf allen Ebenen gewerkschaftlicher Aktivitäten mit den sozialen Folgen von Rationalisierung und technischem Wandel.
Und weiter heißt es:
Schon heute ist die IG Metall wachsendem Druck aus den Betrieben ausgesetzt, gegenüber Rationalisierung und technischem Wandel eine entschieden kritischere Position zu beziehen.
Ich wünschte mir, daß die Koalitionsparteien und die Bundesregierung diese Mahnung aus dem gewerkschaftlichen Lager ernst nähmen und dafür sorgten, daß dieser technische Wandel in eine beschäftigungspolitische Gesamtstrategie eingebettet wird, zu der unverzichtbar die Einbeziehung aller Formen der Arbeitszeitverkürzung gehört.
Aber es geht nicht nur um Beschäftigungspolitik im engeren Sinne, sondern es geht auch darum, daß wir die bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Gegebenheiten diesen neuen Technologien positiv anpassen. Es wundert mich natürlich, Herr Bundesminister, daß ausgerechnet die Partei, die eine emotionale Kampagne gegen die Mengenlehre in den deutschen Schulen organisiert hat, beklagt, die Jugend von heute sei so computerfeindlich. Abgesehen davon, daß ich das für Geschwätz halte: Wer nicht erkennt, daß die neuen Technologien hohe Herausforderungen an das Bildungssystem insgesamt stellen, nicht nur im schulischen Bereich, sondern gerade auch im Bereich von Aus- und Fortbildung, und wer Schüler-BAföG kürzt, wer nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, wer Mittel für die Aus- und Fortbildung von Arbeitnehmern kürzt, der geht schändlich mit der wichtigsten
Ressource um, die unser Land im internationalen Wettbewerb hat: der Qualifikation und Motivation unserer Arbeitnehmer.
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In diesem Zusammenhang - auch das wird der Kollege Jung nachher noch näher erläutern - gehört auch, daß wir die Mitbestimmungsregelungen in unserem Land, die ein ganz wesentlicher Faktor für den sozialen Frieden sind, unter den heutigen Bedingungen überprüfen; denn die Mitbestimmungsregelungen sind heute unzureichend, es sind Gesetze aus Vollbeschäftigungszeiten für Vollbeschäftigungszeiten, und es entspricht nicht mehr den heutigen Problemen des Rationalisierungsdrucks bei Massenarbeitslosigkeit.
Der dritte Punkt betrifft die Industriestrategie. Ich habe durchaus die Hoffnung, daß wir uns hier in der Sache näherkommen, als das das ideologische Gerede aus dem Regierungslager manchmal vermuten läßt. Ermutigt worden bin ich beispielsweise gestern durch den Bericht Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs im Ausschuß, wo er sich sehr dezediert für eine Industriepolitik ausgesprochen und die frühere sozialliberale Bundesregierung und ihre DV-Förderung kritisiert hat. Es seien keine „Marktzielvorgaben" gemacht worden. Ich war über diese Aussage ein bißchen überrascht und habe extra noch einmal nachgefragt, ob ich auch richtig gehört hätte. Ausweislich des Protokolls ist mir das bestätigt worden.
Ich glaube, daß wir uns auf einer sehr pragmatischen Ebene über die Notwendigkeit einer sektoralen Strukturpolitik gerade für die Spitzentechnologien und Zukunftsindustrien etwas besser verständigen können, als es die ordnungspolitischen Gebete manchmal erscheinen lassen. Wir können uns sicherlich auch darauf verständigen, daß sich die Großkonzerne in der Vergangenheit als nicht innovativ genug erwiesen haben. Darum sind wir seit 1975 ja auch schon dazu übergegangen, diesen früheren Fehler, der noch aus der Amtszeit Stoltenbergs herrührt, zu korrigieren und insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe in eine breit angelegte Innovationsförderungspolitik einzubeziehen.
Mein Kollege Vahlberg wird nachher noch einiges über die Einzelheiten einer solchen Strategie ausführen. Ich will nur eine Aufgabe hinzufügen, die der Staat hier wohl unbestritten hat: die Umstrukturierung unserer Forschungslandschaft auf die neuen Zukunftstechnologien. Das ist nicht nur die Mikroelektronik. Unser Problem ist doch, daß heute gerade die Großforschungseinrichtungen auf die Zukunftstechnologien von gestern ausgerichtet sind. Drei Viertel aller Beschäftigten in den Großforschungseinrichtungen arbeiten für die Kernenergie und die Luft- und Raumfahrt. Im Haushalt des Bundesministeriums für Forschung und Technologie sind 1,6 Milliarden DM für die Kernenergie und 750 Millionen DM für die Luft- und Raumfahrt vorgesehen; oft eine sehr versteckte und ineffektive Subventionierung dieses Industriezweigs.
Wenn Sie in Ihrer jüngsten Antwort auf die Kleine Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Personalsituation in den Großforschungseinrichtungen die Notwendigkeit der Flexibilität so preisen und fordern, dann frage ich mich: Flexibilität wohin? Warum haben Sie nicht den Mut zu sagen, daß es unter dem Gesichtspunkt der Förderung von Spitzentechnologien besser ist, in der Kernforschungsanlage Jülich das dort vorhandene Know-how z. B. bei der Meß- und Regelungstechnik, z. B. bei den Werkstoffen oder für die Forschung über die Strukturen im Submikronbereich einzusetzen, das Forschungspotential daraufhin zu orientieren, statt dort wieder eine Milliardeninvestition auf nuklearem Gebiet zu tätigen?
Eine solche Industriepolitik muß natürlich auch für die europäische Koordinierung offen sein. Ich glaube, daß das von uns gestern im Ausschuß gemeinsam begrüßte Programm ESPRIT der Europäischen Gemeinschaft dazu ein erster Schritt ist.
Aber lassen Sie mich an diesem Punkt eins hinzufügen; wir sollten uns da nicht drücken. Wer eine Förderung von Spitzentechnologien auf europäischer Ebene will, muß auch bereit sein, eine gewisse Eindämmungsstrategie gegenüber Japan zu fahren. Meine bisherigen Diskussionserfahrungen sind so, daß es fast unanständig erschien, darüber zu reden. Jeder sagte, natürlich müssen wir das machen, aber das dürfen wir doch nicht offen sagen. Ich glaube, wir müssen sehr offen darüber reden; denn diese japanische Art der laserartigen Exportangriffe, die auf die Vernichtung gesamter Industriestrukturen gerichtet sind, kann keine westliche Industrienation aushalten. Unsere Unternehmen sind nicht in der Lage, mit der „Japan AG" unter den gegebenen Voraussetzungen zu konkurrieren.
Wir werden das nächste Beispiel mit den Robotern erleben. Auf diesem Gebiet bauen die Japaner im Moment enorme Kapazitäten auf. Sie exportieren zunächst nicht, sondern decken ihren Inlandsbedarf.
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- Es tut mir leid; ich werde mit meiner Redezeit ohnehin nicht ganz hinkommen.
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- Nein.
Aber mit dem nächsten Schritt werden die Japaner natürlich den europäischen Markt mit Robotern überschwemmen.
Der letzte Punkt - ich bin sicher, dies wird auch die GRÜNEN sehr interessieren - betrifft die Frage, wie wir die neuen Technologien der Mikroelektronik insbesondere für die Landesverteidigung nutzen können. Ich glaube, wie immer man die Friedensbewegung im einzelnen bewerten mag: sie hat das Bewußtsein für das Dilemma der Abschrekkungsstrategie geschärft. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, der neuerdings fälschlicherweise als Kronzeuge der Regierungsparteien dienen soll, hat in seiner Rede vor der Bundeswehrhochschule ausgeführt, daß - ich zitiere - „bald keine Strategie mehr akzeptiert werden wird, die den Anschein hat, sie werde das zerstören, was wir
zu verteidigen wünschen". Ähnlich haben sich Ihr Kollege Biedenkopf und die katholischen Bischöfe geäußert.
In der Tat war es bisher so, daß die technologische Entwicklung im Rüstungsbereich völlig ungesteuert und destabilisierend verlief. Man hat hinterher versucht - leider nicht sehr erfolgreich -, dieses in Abrüstungsverhandlungen wieder einzufangen. Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, hervorgegangen aus den Göttinger Achtzehn, hat dazu in einem bemerkenswerten Memorandum folgendes ausgeführt - ich zitiere hier erneut -:
Das einseitige Bemühen um Erweiterung der militärischen Fähigkeiten ohne rüstungssteuerungspolitische Bedenken hat zu einer Reihe neuer strategischer und politischer Verunsicherungen geführt. Vor allem die Rüstungsanstrengungen der Weltmächte haben einen Prozeß der technologisch bedingten Destabilisierung der Abschreckung ausgelöst. Waffensysteme und militärische Konzeptionen wirken dann destabilisierend, Wenn sie die politische Beherrschbarkeit von Krisen untergraben.
Dann folgt eine lange Liste derartiger Waffenentwicklungen.
Unsere Bemühung ist es, diese bisherige Entwicklung umzudrehen und dafür zu sorgen, daß die technologische Entwicklung eingebunden wird in das übergeordnete Ziel, nämlich uns notfalls verteidigen zu können, aber ohne die Absicht, irgend jemanden anzugreifen. Ich glaube, daß durch eine solche mehr defensiv orientierte Verteidigungsstruktur auch die Abschreckung glaubwürdiger wird, weil sie eben nicht eine Drohung mit dem Selbstmord beinhaltet, wie es einmal Carl Friedrich von Weizsäcker formuliert hat.
Ich darf dazu noch einmal die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler zitieren. Sie schreibt unter der Überschrift „Umstrukturierung der konventionellen Verteidigung":
Vor allem technologische, aber auch demographische und legitimatorische Veränderungen lassen für die Bundesrepublik eine Reorganisation der konventionellen Verteidigung als notwendig und sinnvoll erscheinen. Auf Grund der exponierten Lage der Bundesrepublik Deutschland und der Schlüsselrolle der Bundeswehr für die Verteidigung Westeuropas könnte dabei die Verwirklichung einer strukturellen Nichtangriffsfähigkeit zu dem entscheidenden Anstoß für einen Neuanfang in der Rüstungskontrollpolitik werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß bei den Entscheidungen, die jetzt gefällt werden müssen, militärstrategische und operative Konzepte sowie neue Waffensysteme Anwendung finden, die in ein Wettrüsten führen müssen, die überdies die Abschreckung nachhaltig destabilisieren und die letztlich wieder die Verwendung von Nuklearwaffen für Gefechtsfeldzwecke einschließen.
Wenn sich bei einer solchen Politik noch als Nebeneffekt industriepolitische Ergänzungen zu dem ergeben, was wir im zivilen Bereich wollen - wo uns j a die Amerikaner vormachen, was man alles über den Militärhaushalt an neuen Technologien entwickeln kann --, sind wir darüber nicht böse. Aber uns kommt es auf die übergeordnete Zielsetzung an.
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Alles in allem glauben wir, daß wir mit unserem Antrag dem Parlament konstruktive Vorschläge vorgelegt haben, wie wir unserer politischen Verantwortung gerecht werden, die der Herausforderung der neuen Technologien unter den heutigen Bedingungen begegnet. - Herzlichen Dank.
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Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung.
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Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich habe eine amtliche Mitteilung. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um einen weiteren Zusatzpunkt erweitert werden, und zwar Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}): Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/553 -. Dieser Zusatzpunkt soll heute aufgerufen werden. Eine Debatte ist nicht vorgesehen. Ich stelle fest: Das Haus ist einverstanden, da kein Widerspruch erhoben wird. Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
- Drucksache 10/568 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf. Zur Beantwortung steht zunächst Herr Staatssekretär Boenisch zur Verfügung, und zwar zur Frage 9.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Göhner auf:
Trifft es zu, daß das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine Veranstaltung der „World Media Conference" in Bonn z. B. durch technische Hilfen unterstützt hat, obwohl dem Bundespresseamt bekannt sein mußte, daß die Veranstalter zum Umfeld der Moon-Sekte gehören?
Wir haben die World Media Conference weder technisch noch sonst irgendwie unterstützt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Göhner.
-Herr Staatssekretär, trifft die Meldung der „Zeit" vom 21. Oktober 1983 zu, wonach Sie selbst gegen Proteste der Eltern Moon2184
süchtiger Kinder das Betreuungsprogramm, das ursprünglich von Ihrem Amt vorgesehen gewesen ist, genehmigt haben?
Ich bin der Meinung, daß für die Entscheidungen einer Bundesbehörde die Entscheidungen und nicht die Entscheidungsprozesse wichtig sind. Es muß in einem Entscheidungsprozeß, der in einem Amt stattfindet, möglich sein, daß alle Gesichtspunkte zur Sprache kommen. Und selbstverständlich ist dabei auch zur Sprache gekommen, daß man die Journalisten, die nichts mit der World Media Conference direkt zu tun haben, also auch mit deren Initiatoren, nicht durch Entzug der sonst üblichen Unterstützung diskriminieren dürfe.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Göhner.
Herr Staatssekretär, trifft es denn zu, daß von Ihrer Seite aus ursprünglich technische Hilfe für alle Teilnehmer, die journalistisch die World Media Conference hier in Bonn begleiten wollten, zugesagt war, obwohl Ihnen die Bedenken gegen diese Organisation als eine Unterorganisation der Moon-Sekte mindestens bekannt sein mußten oder auf Grund der Proteste vor Ihrer Entscheidung, vor Ihrer Genehmigung bekannt waren?
Ich kann noch einmal wiederholen, daß ich nicht bereit bin, über die Entscheidungsprozesse in der Behörde Auskunft zu geben. Wenn es Sie aber beruhigt, will ich Ihnen gern sagen, daß alle Abteilungsleiter ursprünglich der Meinung gewesen sind, daß man, um die mit der Moon-Sekte nichts zu tun habenden Journalisten nicht zu diskriminieren, ihnen dort Busse und Briefing gewähren sollte. Ich habe schließlich und endlich nach Vorlage aller mir bekannten Einzelheiten entschieden, daß es auch Busse und Briefing nicht geben sollte, daß also keinerlei Hilfe erfolgte.
Danke schön.
Wir kommen zu den Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Dr. Sperling. Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Jenninger zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 10 auf:
Hat die Bundesregierung mittlerweile das von Bundeskanzler Dr. Kohl mehrfach geforderte Konzept der „geistigmoralischen Führung" erarbeitet, und wie lauten die Grundzüge dieses Konzeptes?
Ich darf, Herr Kollege Sperling, auf Ihre Frage feststellen: Es trifft nicht zu, daß der Bundeskanzler ein Konzept der geistig-moralischen Führung gefordert hat. Ebensowenig hat er die Bundesregierung beauftragt, ein solches Konzept zu erarbeiten.
Richtig ist vielmehr, daß der Bundeskanzler es für notwendig hält, die Probleme, vor denen wir seit langem stehen, als eine geistig-moralische Herausforderung zu begreifen. Diese geistig-moralische Herausforderung und Erneuerung kann nicht
Sache von Planungsstäben sein. Sie ist - um einen Begriff der früheren Regierung zu verwenden - auch kein Instrument des „Krisenmanagements". Sie ist nicht exekutierbar. Sie ist ein Maßstab praktischen politischen Handelns.
Den Maßstab für seine Regierungspolitik hat der Bundeskanzler in den sieben Leitgedanken in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 besonders verdeutlicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, habe ich die Äußerung des früheren Oppositionsführers Herrn Dr. Kohl falsch im Ohr, daß er der früheren Regierung fehlende geistig-moralische Führung vorgeworfen hat?
Ich habe mit meinen Ausführungen, Herr Kollege Sperling, deutlich gemacht, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung Maßstäbe für eine geistig-politische Erneuerung festgelegt hat. Als Oppositionsführer hat er bemängelt, daß es bei der früheren Regierung keine solchen Maßstäbe gegeben hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, haben Sie, Herr Boenisch oder ein anderes Regierungsmitglied je gespürt, daß diese Maßstäbe an Sie angelegt wurden?
Herr Kollege Sperling, ich hoffe, daß Sie diese Leitgedanken aus der Regierungserklärung kennen, da sie Maßstäbe für die Regierungspolitik des Bundeskanzlers und der Bundesregierung sind.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Trifft es zu, daß Bundesminister Dr. Geißler dieses Konzept entwickelt und konkretisiert?
Herr Abgeordneter Sperling, ich kann ihre Frage mit Nein beantworten, wie aus meiner Anwort auf Ihre erste Frage bereits hervorgeht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Hat Herr Geißler Hinweise bekommen, daß er seine Äußerungen über die Kriegsschuld der Pazifisten oder die Anwesenheit fünfter Kolonnen im Rahmen der Maßstäbe der Regierung so zu halten habe?
Kollege Sperling, diese Äußerungen sind, wie Sie wissen, von dem Generalsekretär der CDU gemacht worden. Die Bundesregierung hat keine Veranlassung, Hinweise an die Parteien des Deutschen Bundestages zu geben.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich dann annehmen, daß es zu den Grundsätzen und Maßstäben der geistigmoralischen Führung des Herrn Bundeskanzlers gehört, mit schizophrenen Leuten im Kabinett umzugehen, die sich zwischen Generalsekretär und Minister präzise spalten lassen?
({0})
Kollege Sperling, diese Feststellungen, die beleidigenden Inhalts sind, habe ich nicht zu kommentieren.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich danke dem Staatsminister und dem Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten von Schmude auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, in welcher Höhe Kautionen von Bundesbürgern in 1982 im Hinblick darauf gestellt werden mußten, daß nach dem DDR-Strafgesetzbuch ({0}) die DDR bei Ermittlungsverfahren gegen Bürger der Bundesrepublik Deutschland anstelle der Anordnung der Untersuchungshaft Sicherstellung in Vermögenswerten verlangt?
Herr Präsident, ich würde gern beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
Sind Sie damit einverstanden?
von Schmude ({0}): Ja.
Dann rufe ich auch die Frage 28 des Abgeordneten von Schmude auf:
Wie hoch ist der Betrag, der durch Fernbleiben der Beklagten von der Hauptverhandlung seitens der DDR-Behörden eingezogen wurde?
Herr Kollege Schmude, .nach den Erkenntnissen der Bundesregierung wurden im Jahre 1982 nachweislich Sicherheitsleistungen in Höhe von insgesamt 625 000 DM hinterlegt.
Durch Fernbleiben der Beklagten von der Hauptverhandlung sind nach Kenntnis der Bundesregierung diese Sicherheitsleistungen in voller Höhe, d. h. also mit 625 000 DM, verfallen. Nach unseren Kenntnissen handelt es sich dabei ausschließlich um Straßenverkehrs- und Zoll- und Devisendelikte.
Eine Zusatzfrage.
von Schmude ({0}): Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, wie hoch die festgesetzten Sicherheitsleistungen im Einzelfall waren, und liegen Anzeichen oder Angaben darüber vor, wonach sich die Höhe dieser Sicherheitsleistungen bemessen hat?
Herr Kollege von Schmude, es handelt sich um insgesamt 13 Verfahren. Davon betrafen sechs Straßenverkehrsdelikte und sieben Zoll- und/oder Devisendelikte. Die Sicherheitsleistungen betrugen zwischen 20 000 und 120 000 DM. Der höchste Betrag war wegen eines Devisendeliktes zu erbringen. Bei den Straßenverkehrsdelikten bewegten sich die Beträge zwischen 30 000 und 60 000 DM. Dem Höchstbetrag lag ein Verkehrsunfall zugrunde, bei dem ein Toter und ein Schwerverletzter zu beklagen waren.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Löffler werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Herr Staatssekretär Würzbach steht zur Verfügung. Die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Gerstl ({0}) sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen zur Frage 33 des Abgeordneten Würtz. - Er ist nicht im Saal. Dann wird die Frage, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen, behandelt.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Sauter ({1}) auf:
Sind der Bundesregierung Klagen über die unzureichende Beheizung der Kraftfahrzeug-Hallen der Bundeswehr, in denen Wartung und Reparaturen durchgeführt werden, bekannt?
Herr Präsident, Herr Kollege Sauter, in Kraftfahrzeughallen werden nur in begrenztem Umfang Wartung und Reparaturen durchgeführt. Klagen über unzureichende Beheizung sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauter.
Herr Staatssekretär, können Sie unabhängig von der Information, die Sie jetzt gegeben haben, stichprobenweise Umfragen bei Wartungshallen machen und feststellen, ob die dort Beschäftigten mit den Temperaturen zufrieden sind?
Herr Kollege, meine Antwort wird Sie ein wenig erstaunen, wenn ich nein sage, weil ich sicher bin, daß unsere Bundeswehr, angefangen beim Wehrpflichtigen bis zu allen Vorgesetzten im Unteroffiziers- und im Offiziersbereich so lebendig ist, daß sie, wenn sie dieses Problem wirklich drückte, dies von sich aus melden würde und wir nicht von oben fragen müßten, ob sie nicht etwas zu melden hätte.
Die Antwort auf Ihre zweite Frage wird gleich sicherlich deutlich machen, warum eine solche Meldung nicht erfolgt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Sauter ({0}) auf:
Wie hoch ist der durch die Absenkung der Temperatur in den Wartungshallen von + 17° Celsius auf + 12° Celsius erreichte Einspareffekt?
Herr Kollege Sauter, die Kraftfahrzeughallen der Bundeswehr werden auf 12 Grad beheizt. Die Beheizung dieser Hallen auf 17 Grad würde jährliche Mehrkosten von zirka 28 Millionen DM verursachen.
Im Gegensatz zu diesen Hallen, in denen die Fahrzeuge meistens nur stehen und selten - das ist die Ausnahme - gearbeitet und repariert wird, werden die Werkstätten und die Werkshallen, in denen wir reparieren, auf 17 Grad beheizt, da dort durchgehend Instandsetzungspersonal tätig ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sauter.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Vorschrift, durch die die Temperatur auf 12 Grad festgelegt ist, eine überflüssige und unnötige Bürokratisierung des Ganzen bedeutet, und würden Sie nicht mit mir die Auffassung teilen, daß man die Zuständigkeit für diese Frage den Werkstattleitern bzw. Kompaniechefs überlassen sollte? Und könnte das nach Ihrer Auffassung nicht auch ein Beitrag sein, die Zuständigkeiten von oben nach unten - dies ist j a ein erklärtes Ziel der Bundesregierung - auch in solchen Bereichen zu verlagern?
Herr Kollege, wir nehmen jeden Vorschlag auf - und dies ist eine der Hauptaufgaben, die sich auch der Minister gestellt hat -, im Innern der Streitkräfte, sowohl im militärischen als auch im zivilen Teil unserer Bundeswehr, das riesige Maß und teilweise Übermaß an Vorschriften, Erlassen, Hinweisen, Befehlen usf. zu entrümpeln. Nur sind wir auch Ihnen, dem Parlament bzw. dem Haushaltsausschuß, gegenüber verpflichtet, bestimmte Vorgaben zu machen, so daß hier schon eine Richtschnur über die Beheizung bestimmter Bereiche auch haushaltsrelevant gegeben werden muß, bezogen auf die Energiekosten, die sich im Haushalt niederschlagen.
Zu einer Zusatzfrage Frau Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob die Vorschriften über die Beheizung mit 12 Grad den Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung entsprechen, die für die Privatwirtschaft angewandt werden?
Frau Kollegin, ich werde dies vergleichend überprüfen und Ihnen das Ergebnis mitteilen; ich habe es nicht präsent.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Becker ({0}).
Herr Staatssekretär, ich teile Ihre Auffassung, daß man vor Ort vieles regeln kann. Sind Sie nicht auch der Auffassung, daß die Vorschriften des Personalvertretungsgesetzes und das, was die Vertrauensleute in den einzelnen Gruppenbereichen erledigen können, so gestaltet sind, daß sie auch diese Aufgaben bewältigen können?
Ich bin sicher, daß Sie Ihre Erfahrungen hier mit einbringen können und daß Vorgesetzte aller Ebenen dem Ministerium und unserer Verwaltung Überlegungen mitteilen können, die wir künftig mit aufnehmen werden, auch was die Haushalte und die Gestaltung der Vorschriften angeht.
Ich rufe Frage 36 des Abgeordneten Sielaff auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussagen des Planungsstabes der Bundesregierung vom September 1982, wonach die abschreckende Wirkung eines umfangreichen chemischen Potentials zweifelhaft sei und die Einsätze mit chemischen Waffen ausschließlich die völlig schutzlose deutsche Bevölkerung treffen würden, angesichts der Äußerungen im Weißbuch 1983, daß die Streitkräfte der NATO fähig sein müßten, chemische Kampfstoffe zur Vergeltung einzusetzen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Sielaff, die Bundesrepublik Deutschland hat ihre restriktive Haltung in Fragen der chemischen Kriegführung wiederholt - das gilt für alle Regierungen - deutlich gemacht. Über die Bindung des Genfer Protokolls von 1925 hinaus hat sie im WEU-Vertrag von 1954 auf die Herstellung chemischer Waffen verzichtet und diese Verpflichtung politisch wiederholt bekräftigt und erweitert. Sie setzt sich im Genfer Abrüstungsausschuß für ein vollständiges, verifizierbares C-Waffen-Verbot ein.
Ganz in diesem Sinne beurteilt die Bundesregierung - nicht anders als die Vorgänger und die Bündnispartner - die abschreckende Wirkung eines umfangreichen - ich möchte dieses letzte Wort unterstreichen - C-Potentials, wie es der Sowjetunion zur Verfügung steht, sehr kritisch. Der konsequente Ausbau der chemischen Offensivfähigkeit in den sowjetischen Streitkräften während der Jahre des einseitigen amerikanischen C-Waffen-Moratoriums seit 1969 hat jedoch zur Folge, daß unser Bündnis, die NATO, in seinen Verteidigungsmöglichkeiten auch dieser Bedrohung - ich sage: leider - weiterhin Rechnung tragen muß.
Herr Präsident, ich bitte um Verständnis, daß diesmal die Antwort ein klein wenig länger ausfällt.
Die gültige militärstrategische Konzeption der NATO stellt zur strategischen Funktion ihrer chemischen Waffen fest, daß sich das Bündnis zur Abschreckung hauptsächlich auf seine konventionellen und nuklearen Streitkräfte stützt, aber auch chemische Kampfstoffe in begrenztem Umfang verfügbar haben sollte, solange diese als BedrohungsParl. Staatssekretär Würzbach
potential beim Warschauer Pakt vorhanden sind. Dabei ist wichtig, daß die in der militärstrategischen Konzeption und auch im Weißbuch 1983 ausdrücklich geforderte Begrenzung der Reaktion die Rolle der chemischen Waffen in der NATO bestimmt. So stellen die C-Waffen im strategischen Verständnis der Allianz weder eine eigenständige Konzeption oder Option innerhalb der Triade noch ein Mittel der Eskalation dar.
Neben der angestrebten Verbesserung der C-Waffen-Abwehrfähigkeit dient die im Umfang begrenzte chemische Kapazität der NATO allein dazu, einen Aggressor von einem völkerrechtswidrigen Einsatz seiner C-Waffen abzuhalten. Das Ziel unserer Regierung ist, die chemischen Waffen überall in der Welt abzuschaffen, zu vernichten, und dies überprüfbar zu tun.
Kollege Sielaff, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer langen Antwort, in der nicht viel Neues kam, noch nicht beantwortet - darum möchte ich nachhaken -, wie die Bundesregierung die abschrekkende Wirkung chemischer Waffen überhaupt beurteilt und wie sie beurteilt, daß der Planungsstab 1982 festgestellt hat, daß die chemischen Waffen ausschließlich die völlig schutzlose deutsche Bevölkerung treffen würden. Dazu haben Sie bisher keinen einzigen Satz gesagt. Ich bitte um Beantwortung dieser Frage.
Herr Kollege, meine Antwort bezog sich auf den Kern Ihrer Frage. Wenn Sie selber feststellen, ich habe Ihnen nichts Neues gesagt, dann unterstreichen Sie als Fragesteller mit Ihren Worten das, was ich deutlich gemacht habe: daß es hier keinen Wandel in der Auffassung des abschreckenden geringen Potentials des Westens gegenüber dem großen und ständig vergrößerten Potential des Ostens in dieser Frage gibt. Hiermit beantwortet sich auch die Frage nach der von Ihnen vermuteten Diskrepanz zwischen der Formulierung in dem Papier eines bis zum Wechsel in der Regierung im Planungsstab tätigen Beamten einerseits und der im Weißbuch geschriebenen Angaben andererseits. Zwei Sätze vor dieser Formulierung eines Beamten im Entwurf des Planungsstabes - übrigens ist dies kein regierungsamtliches Papier, im Unterschied zum Weißbuch - steht geschrieben:
Unabhängig davon, wie diese Klärung ausfällt, können Planungen chemischer Einsätze, die über die Repressalie hinausgehen ...
Dies ist in direktem Zusammenhang mit dem Papier, das Sie anziehen, für das diese Regierung - ich bin sicher, auch die Regierung vorher - keine Verantwortung zu übernehmen hat. Das sind Entwurfspapiere einzelner Personen gewesen.
Weitere Zusatzfragen des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatssekretär, ich darf vielleicht konkreter fragen. Stimmen nach Ihren jetzigen Ausführungen die Presseaussagen vom 9. September 1983, z. B. in der „Frankfurter Rundschau", nicht mehr, wo es heißt: „Minister Wörner gegen neue chemische Waffen", insbesondere, wenn man heranzieht, daß vor wenigen Tagen in den USA im Senat beschlossen worden ist, die Produktion wiederauf zunehmen?
Die Aussage von Minister Wörner stimmt heute wie damals, als sie getan wurde, und ist Auffassung jedes Abgeordneten der Regierungskoalition und, ich bin sicher, dieses Hauses. Ich habe sie eingangs noch einmal deutlich in Erinnerung gerufen, als ich Ihnen sagte: Das Ziel unserer Regierung ist, die chemischen Waffen überall in der Welt überprüfbar abzuschaffen. Es ist eine andere Betrachtung des Komplexes chemischer Waffen, die Sie, Herr Kollege, anstellen. Solange leider die Verhandlungen in Genf und in New York mit ganz besonderen neuen Impulsen immer auch gerade der Bundesregierung - ich sage: auch der vorherigen Bundesregierung - nicht zu dem Erfolg führen, keine neuen chemischen Waffen zu produzieren, was die Sowjetunion im Unterschied zum Westen in all den vergangenen Jahren ohne Unterbrechung getan hat, müssen wir um abschreckend zu wirken, ein Minimum an diesem Potential leider behalten. Es ist nicht das Ziel, dies zu manifestieren, sondern Ziel ist es, dieses Potential auf beiden Seiten völlig zu vernichten.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, ich möchte Ihren verteidigungspolitischen und wehrpolitischen Sachverstand bemühen und von Ihnen - losgelöst von Aussagen früherer Regierungen, die wir in dieser Frage auch kritisiert haben - wissen: Welchen Abschreckungseffekt haben Waffen, insbesondere, wie in diesem Fall, chemische Waffen, wenn ihr Einsatz, den Sie zum Zwecke der Vergeltung im Weißbuch für richtig halten, bedeutet, daß man die eigenen Streitkräfte und vor allen Dingen die eigene Zivilbevölkerung mehr schädigt als den, den man abzuschrecken wünscht ({0})
und dies vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Sie meinem Kollegen Conradi vor sehr kurzer Zeit geantwortet haben, daß Forschungsmittel für die Erforschung von Schutzmaßnahmen gegen chemische Waffen nur für die Streitkräfte zur Verfügung stünden?
Frau Kollegin, ich weise nur noch einmal darauf hin, daß es das Ziel ist, diese Waffen völlig zu vernichten - dies ist bisher leider nicht gelungen -, und daß die Amerikaner hier Vorleistungen erbracht haben.
({0})
- Ich komme zu dem zweiten Teil Ihrer Frage gleich noch. - Mir liegt daran, hier noch einmal deutlich zu machen und den Hinweis zu geben, daß die Amerikaner seit 1969 keine einzige neue chemische Waffe produziert und damit irgendwo in der Welt gelagert haben, daß aber auch diese Vorleistung leider nicht bewirkt hat, daß man sich im Bereich der Sowjetunion ähnliche Zurückhaltung auferlegt.
Nun zu der Frage nach dem Einsatz gegen die eigene Bevölkerung, den Sie j a in Ihrer Frage so unterstellt haben. Hierzu darf ich Ihnen sagen: das Potential, das hier in Europa noch ist - Teile davon auch in der Bundesrepublik -, soll der Abschrekkung dienen, soll verhindern, daß die Sowjetunion das Vorhandene einsetzt.
Nach einem völkerrechtswidrigen Einsatz chemischer Waffen durch die Sowjetunion - d. h. immer nur auf eine Völkerrechtsverletzung reagierend, was das Völkerrecht übrigens dann auch akzeptiert
- käme ein Einsatz dieser NATO-Waffen unter folgenden Bedingungen und Einschränkungen in Frage: Er dürfte sich nur gegen den Verletzter richten; er dürfte nur nach vorheriger Androhung - auch eine Einschränkung, die wir uns auferlegt haben - erfolgen; er dürfte keinesfalls fortgesetzt werden, nachdem die gegnerischen Verstöße aufgehört haben; er dürfte nur Maßnahmen umfassen, die im Verhältnis zu dem gegnerischen Verstoß stehen, durch den sie hervorgerufen werden. Völlig klar ist für uns, daß dies nicht in dichtbesiedeltem Gebiet
- und schon gar nicht über eigenem - stattfindet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung eine in der Fernsehsendung „Monitor" am 8. November zitierter Bericht des Pentagons bekannt, demzufolge bei den C-Waffen-Beständen der USA jährlich 4000 Undichtigkeiten auftreten, davon etwa 10 %, also 400, in der Bundesrepublik?
Herr Kollege, ich finde dieses Thema so wichtig, daß wir darüber reden sollten, und will nicht sagen, daß dies hier im Augenblick an der Ausgangsfrage sicherlich nicht unerheblich vorbeigeht. Ich will Ihnen daher mitteilen, daß die Bundesregierung sehr deutlich und ohne Fragezeichen weiß, daß die Amerikaner ihre hier bei uns lagernden Bestände mit allen zur Verfügung stehenden technischen Mitteln überprüfen, um Gefährdungen, gerade wegen des hohen Alters der hier lagernden Bestände, völlig auszuschließen, d. h. überhaupt keine Risiken entstehen zu lassen.
({0})
Herr Staatssekretär, ich war mir zwar des problematischen Zusammenhangs bewußt, habe aber diese Zusatzfrage gleichwohl zugelassen. Denn wer gestern abend die für die Öffentlichkeit bedeutungsvolle Sendung gesehen hat, wird darin sicher einen Grund für aktuelles Fragen erkennen können.
Ich habe eine weitere Zusatzfrage, des Abgeordneten Peter ({0}).
Herr Staatssekretär, voller Bewunderung für Ihre Fähigkeit, auf konkrete Fragen wortreich nicht zu antworten, frage ich noch einmal: Ist es richtig, daß im Falle eines Einsatzes die Zivilbevölkerung der Bundesrepublik Opfer sein würde?
Ich habe auf die Frage der Kollegin klar geantwortet, daß wir solche Waffen unter bestimmten Einschränkungen nur als Reaktion einsetzen würden, und habe dabei die eigene Bevölkerung und auch dicht besiedelte Gebiete in anderen Teilen der Welt klar ausgeklammert.
Richtig ist, daß - leider - für den Schutz der Zivilbevölkerung in jeder Hinsicht in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik viel zu wenig und, ich glaube, man übertreibt nicht sehr, wenn man sagt: fast nichts getan wurde.
Frau Reetz, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Vereinigten Staaten beabsichtigen, die in der Bundesrepublik gelagerten C-Waffen durch neue, binäre Kampfstoffe auszutauschen? Und wie wird die Bundesrepublik angesichts dieser Eskalation die Bevölkerung in Fischbach und in Käfertalerwald schützen?
Es ist nicht beabsichtigt, neue amerikanische chemische Waffen in der Bundesrepublik zu lagern.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kübler.
Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung der Auffassung ist, daß C-WaffenBestände nur von geringem militärischem Wert, aber in erster Linie von Abschreckungswert sind, wenn aber C-Waffen anders als A-Waffen nur als Repressalie eingesetzt werden können, dann würde dies ja voraussetzen, daß die Bundesregierung davon ausgeht, daß die Sowjetunion einen Erstschlag mit C-Waffen führen würde.
Herr Kollege, wir müssen davon ausgehen - auf Grund der sowjetischen Doktrin, auf Grund der Vorräte dieser Waffen, auf Grund der Ausbildung der Streitkräfte der Sowjetunion nach entsprechenden Vorschriften -, daß sie diesen Schritt tun könnte. Und um im Interesse unserer Bevölkerung, die mit Recht hier im Mittelpunkt vieler, auch Ihrer Fragen steht, einen solchen Einsatz der Sowjetunion auszuschließen, verfügt die NATO noch über die Bestände.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenninger.
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, Herr Staatssekretär, daß die USA vor sechs Jahren mehrere tausend Liter des in Vietnam eingesetzten Entlaubungsmittels Agent Orange einfach ins Meer kippen ließ? Und welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung gegebenenfalls hinsichtlich der Beseitigung der in der Bundesrepublik gelagerten C-Waffen durch die USA?
Herr Schwenninger, bei dieser Frage ist nun kein Zusammenhang mehr herstellbar. Da müssen Sie eine Extrafrage stellen.
Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gilges.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie sagen: erstens wollen wir die Waffen nicht, zweitens brauchen wir sie nicht, und drittens sind sie eigentlich auch gar nicht so gefährlich? Finden Sie darin nicht eine grob fahrlässige Verharmlosung dieser Waffen, die in solch einer Aussage bei Ihnen zum Ausdruck kommt?
Herr Kollege, so, glaube ich, konnte niemand mich verstehen, und über Ihre Ohren kam dies bei Ihnen sicherlich auch nicht an. Ich darf Ihre Punkte aufnehmen. Erstens. Diese Waffen sind gefährlich. Jeder, der versucht, sie zu verniedlichen, der tut etwas Falsches. Zweitens. Unser Ziel ist es, diese Art von Waffen überall in der Welt - Sie geben mir Gelegenheit, es ein drittes Mal zu sagen - völlig zu vernichten. Drittens. Leider brauchen wir den geringen Teil, solange in der Sowjetunion gewaltig viel vorhanden ist, noch bei uns.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Reents.
Herr Staatssekretär, trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß die von den USA hier gelagerten C-Waffen zum Teil für Trägersysteme vorgesehen sind, die seit Jahren schon längst ausgemustert sind? Und wie rechtfertigt die Bundesregierung unter diesem Gesichtspunkt die Lagerung der Waffen in der Bundesrepublik, und wie beurteilt sie unter diesem Gesichtspunkt die vorgeblich abschreckende Wirkung?
Herr Kollege, Ihre Vermutung ist nicht zutreffend. Diese Waffen wären, wenn sie eingesetzt werden müßten - was, wie wir hoffen, nie der Fall sein wird -, verwendbar mit den Systemen, über die die NATO verfügt.
Meine Damen und Herren, die Fragen 37 des Abgeordneten Dr. Steger sowie 38 und 39 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Austermann sind zurückgezogen.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 42 des Abgeordneten Conradi auf. - Der Abgeordnete ist nicht anwesend.
Herr Abgeordneter Böhm ({0}) hat mir soeben gesagt, daß er seine Frage 43 schriftlich beantwortet haben möchte. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen dann zur Frage 44 des Abgeordneten Eylmann:
Trifft es zu, daß die krankheitsbedingten Arbeitsausfälle bei der Deutschen Bundesbahn nahezu doppelt so hoch sind wie in der Wirtschaft, und Eisenbahner auch im Durchschnitt erheblich früher in Pension gehen als der Durchschnitt der Arbeitnehmer?
Herr Präsident, die Antwort ist etwas länger, aber es ging wegen der Fragestellung nicht anders. Ich bitte um Nachsicht. - Wenn es geht, Herr Kollege, möchte ich die beiden Fragen, die Sie gestellt haben, gemeinsam beantworten.
Ich rufe dann noch die Frage 45 des Abgeordneten Eylmann auf:
Was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun, und welche Ursachen sind nach ihrer Auffassung für diesen Zustand verantwortlich?
Der Krankenstand der Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn betrug im Durchschnitt der ersten sechs Monate des Jahres 1983 7,6 %. Der Durchschnittskrankenstand aller Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung lag im Mai 1983 bei 4,3%. Der Krankenstand bei der Deutschen Bundesbahn wird wesentlich beeinflußt durch eisenbahnspezifische erschwerte Arbeitsbedingungen, z. B. unregelmäßigen Wechseldienst, Einfluß von Witterungsbedingungen, besondere Gefahrengeneigtheit der Tätigkeiten.
Eine differenzierte Betrachtung des Krankenstandes der Deutschen Bundesbahn ergibt z. B. für den Monat Juli 1983 im Verwaltungsdienst 3,8 %, im Zugbegleitdienst 7,3 %, im Rangierdienst 7,6 %, im Betriebsmaschinendienst 8,5 %.
Eine Aufgliederung der gesetzlichen Krankenversicherung nach Versicherungsträgern ergibt z. B. für den Monat Mai 1983 - diese Zahlen haben wir -: Durchschnitt aller Kassen 4,3 %, Betriebskrankenkassen 5,9%, Bundesknappschaft 7,8%. In dieser Statistik gibt es im Vergleich zu der Statistik der Bundesbahn erhebliche Erfassungsunterschiede.
Es trifft zu, daß das durchschnittliche Zurruhesetzungsalter aller Bundesbahnbeamten unter dem Durchschnittsalter der Arbeitnehmer bei Rentenbeginn liegt. Im Jahre 1982 lag das durchschnittliche Zurruhesetzungsalter aller Bundesbahnbeamten
bei 55,3 Jahren, das Durchschnittsalter bei Rentenbeginn bei den Arbeitnehmern der Deutschen Bundesbahn bei 57,4 Jahren sowie bei den Arbeitnehmern in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt bei 58,4 Jahren.
Dieses unter dem allgemeinen Durchschnitt liegende Zurruhesetzungsalter aller Bundesbahnbeamten resultiert vor allem aus dem niedrigen Durchschnittsalter in den besonders betroffenen Laufbahnen des einfachen und mittleren Dienstes. Dort liegt das Zurruhesetzungsalter im Durchschnitt bei 51,9 bzw. 55,4 Jahren; es beträgt dagegen in den Laufbahngruppen des gehobenen Dienstes 59,1 Jahre und des höheren Dienstes 61,3 Jahre.
Die vom allgemeinen Durchschnitt abweichende Situation bei der Deutschen Bundesbahn ist einmal auf die besonderen, in den letzten Jahren gestiegenen Anforderungen an die Sicherheit des Eisenbahnbetriebes und insbesondere auf die Belastungen im „Alleindienst besonderer Art" - so wird das genannt - mit unregelmäßigem Wechseldienst ({0}) zurückzuführen. Zum anderen mußte die Deutsche Bundesbahn in den letzten neun Jahren mehr als 100 000 Dienstkräfte abbauen, so daß es immer schwieriger geworden ist, betriebsdienstuntaugliche Mitarbeiter auf Dienstposten mit geringeren Tauglichkeitsanforderungen umzusetzen.
Ich will zum Schluß noch sagen: Ungeachtet dessen prüft die Deutsche Bundesbahn in jedem Einzelfall, in dem Dienstunfähigkeit bahnärztlich festgestellt wurde, ob eine angemessene Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters auf einem anderen Dienstposten in Betracht kommt. Zusätzliche Probleme ergeben sich hier jedoch bei betriebsdienstuntauglichen Beamten aus dem Laufbahnrecht, das bei Umsetzungen in eine andere Laufbahn eine umfassende Laufbahnbefähigung fordert. Eine nur punktuelle Befähigung für einzelne Dienstposten einer anderen Laufbahn reicht dafür nicht aus. Mit dem Bundesminister des Innern werden deshalb Gespräche darüber geführt, wie hier geholfen werden kann.
Na ja.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Eylmann.
Liegen der Bundesregierung Vergleichszahlen aus Wirtschaftsbereichen vor, in denen die Belastung ähnlich wie bei der Bundesbahn ist, und welches Ergebnis ergibt sich aus einem Vergleich dieser Zahlen?
Herr Kollege, ich habe ja vorher z. B. Zahlen aus der Knappschaftsversicherung genannt, und Sie werden feststellen, daß die sehr ähnlich sind.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage?
({0})
Dann, Herr Staatssekretär, darf ich Sie bitten, noch einmal zu Frage 42 von Herrn Conradi zu kommen:
Wann ist mit der seit nunmehr zehn Jahren geplanten Einführung fälschungssicherer Kraftfahrzeug-Kennzeichen zu rechnen, und welches sind die Gründe für diese lange Bearbeitungszeit?
Ich weiß, daß er direkt aus dem Ältestenrat kommt und nicht rechtzeitig hier sein konnte. Ich bitte also um Beantwortung der Frage 42.
Die langwierige Diskussion um die Einführung fälschungs- und diebstahlsicherer Kfz-Kennzeichen hat vielfältige Gründe. Es sind einmal die verschiedenen Grundkonzepte und Rahmenbedingungen, die den zuständigen Ressorts vorgegeben und wieder zurückgenommen wurden. Zu nennen sind insbesondere Modelle wie das Folienschild, das unmittelbar auf dem Fahrzeugheck verklebt werden sollte, die Fensterfolie sowie die verschiedenen Vorschläge zur Verbesserung des Aluminiumschildes. Hierher gehört u. a. auch die zunächst für längere Zeit unterschiedliche Beurteilung der Grundkonzepte z. B. durch die Innenministerkonferenz einerseits und den Bundestagsinnenausschuß andererseits. Hinzu kommt, daß eine Fülle von Einzelfragen zu prüfen und zu klären ist, die sich - abhängig von den jeweiligen Grundkonzepten und Vorgaben - jeweils sehr unterschiedlich stellen.
Erst im Januar 1982 ist Einvernehmen über das von der Innenministerkonferenz vorgeschlagene Grundkonzept erzielt worden, ein verbessertes Aluminiumschild mit möglichst geringen Kosten und möglichst geringem Aufwand einzuführen. Danach konnten sich die Arbeiten auf diese Lösung konzentrieren.
Mit der Fertigstellung eines Referentenentwurfs ist für Ende dieses Jahres zu rechnen. Nach der Erörterung dieses Entwurfs in der Öffentlichkeit und der Konsultation der zuständigen Bundestagsausschüsse kann die Zuleitung an den Bundesrat zur Beschlußfassung erfolgen. Nach der Verabschiedung wäre noch ein Zeitraum von sechs bis neun Monaten anzusetzen, damit sich Schilderindustrie, Kennzeichenhersteller und Zulassungsbehörden auf das neue Verfahren einstellen können.
Herr Abgeordneter Conradi zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß ein normales technisches Industrieunternehmen in der Lage wäre, ein solches Problem in einem Jahr zu lösen, wohingegen die Ministerialbürokratie des Bundes und der Länder offenbar in sechs Jahren nicht dazu in der Lage war, einen Vorschlag vorzulegen, der wirklich mehrheitsfähig ist?
Es gab hier Widerstand im politischen Raum. Ich habe Ihnen gerade geschildert, daß die Innenministerkonferenz anderer Ansicht war als Ausschüsse dieses Hauses. Erst im Jahre 1982 ist es gelungen, sich auf ein gemeinsames Konzept zu verständigen. Ich glaube,
daß dies nicht an der Bürokratie lag, sondern am verschiedenen politischen Wollen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Der Abgeordnete Milz hat um schriftliche Beantwortung der Fragen 46 und 47 gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Dr. Mitzscherling auf:
Trifft es zu, daß die Deutsche Bundesbahn beabsichtigt, von 1985 an Waggonbauanschlußaufträge nicht mehr an die Berliner Waggon-Union zu vergeben, und wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung die Beschaffungspolitik eines bundeseigenen Unternehmens, durch die 1000 Berliner Arbeitsplätze gefährdet werden?
Herr Kollege, Ihre Frage ist mit Nein zu beantworten. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn wird nach wie vor Aufträge über neue Reisezug- und Güterwagen im Wege des Wettbewerbs und unter Berücksichtigung der Steuerpräferenz der Berliner Industrie vergeben, wenn die Verkehrsnachfrage entsprechende Beschaffungen im Unternehmen erforderlich macht.
Die Firma Waggon-Union GmbH gehört auch in Zukunft zu den Schienenfahrzeugherstellern, die von der Deutschen Bundesbahn bei Ausschreibungen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß mit einer Gefährdung von Arbeitsplätzen in Berlin in nennenswertem Umfang nicht zu rechnen ist, weil Anschlußaufträge an die bestehenden Aufträge von der Deutschen Bundesbahn vergeben werden?
Herr Kollege, nach Mitteilung der Hauptverwaltung der DB liefert die Waggon-Union Berlin in den Jahren 1983/84 insgesamt 100 neue Reisezugwagen 2. Klasse für den Fernverkehr an die DB. Das Vergabeverfahren für eine weitere Serie von 160 Reisezugwagen derselben Baureihe, die in den Jahren 1985/86 von der deutschen Waggonindustrie geliefert werden sollen, ist seitens der DB noch nicht abgeschlossen. Für spätere Jahre können derzeit noch keine Angaben gemacht werden. Das Verfahren läuft so ab, wie gerade geschildert.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung auf die Bundesbahn einwirken, daß diese entsprechend der vom Bundeskanzler angesichts der letzten Wirtschaftskonferenz in Berlin eingegangenen Verpflichtung, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und politische Existenz der Stadt auch in der Vergabe von Aufträgen zu berücksichtigen, dies auch bei Ihrer eigenen Auftragsvergabe berücksichtigen wird?
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn ist gehalten, dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag zu erteilen, dies insbesondere heute angesichts ihrer angespannten finanziellen Lage. Als öffentlicher Auftraggeber vergibt die DB ihre Aufträge grundsätzlich im Wettbewerb - im konkreten Fall der Waggon-Union unter Berücksichtigung der Berlin-Präferenz, und das macht 4,2 % aus.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Diederich.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Diskussion um die Aufträge an die Waggon-Union entstanden ist, nachdem innerhalb der Bundesbahn bei den zuständigen Beamten die Absicht bestanden hat, möglicherweise ein anderes Unternehmen zu berücksichtigen, und würden Sie bestätigen, daß dies auf Grund eines offenbar ruinösen Wettbewerbs unter den wenigen Waggonbauunternehmen entstanden ist?
Angesichts der finanziellen Situation bei der Deutschen Bundesbahn ist es selbstverständlich schwierig, Aufträge in höherem Ausmaß zu vergeben. Es gibt eine Reihe von Bereichen, in denen Klagen darüber herrschen, daß die Auftragsvergabe bei der Deutschen Bundesbahn sogar zurückgegangen sei. Was die Waggonindustrie angeht, so ist hier der Wettbewerb sehr hart. Ich muß Ihnen allerdings noch einmal sagen, daß hier die Berlin-Präferenz gilt. Dies ist eine Begünstigung im Rahmen des Wettbewerbs, der nach einer öffentlichen Ausschreibung stattfindet.
Wir kommen zur Frage 49 des Abgeordneten Dr. Mitzscherling:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß insbesondere die bundeseigenen Unternehmen bzw. Unternehmen mit erheblicher Bundesbeteiligung bei ihren Entscheidungen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und damit politische Existenz Berlins berücksichtigen sollten, und wenn ja, welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, um ihre Auffassung gegenüber den entsprechenden Unternehmensleitungen durchzusetzen?
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß den Unternehmen mit Bundesbeteiligung und den Sondervermögen des Bundes die Politik der Bundesregierung bewußt ist, die Wirtschaft Berlins zu stärken - das war vorher auch in einer Frage enthalten -, soweit dies im Rahmen der Wirtschaftlichkeit und der allgemeinen Beschaffungs- bzw. Unternehmenspolitik vertretbar erscheint. An die Haltung der Bundesregierung wird unter anderem alljährlich anläßlich des Treffens der Vorstände der Bundesbeteiligungen gerade in Berlin erinnert.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Herr Bundeskanzler auf der letzten Wirtschaftskonferenz erklärt hat, daß den deutschen Großunternehmen eine besondere Aufgabe zukomme in der Verstärkung ihres Engagements, „damit die Stadt ihre zentralen und überregionalen Aufgaben auch im wirtschaftlichen Bereich wahrnehmen kann, ohne die sie auf Dauer nicht lebensfähig ist und auf die Bundesrepublik Deutschland im Ganzen angewiesen ist"? Meinen Sie, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers auch die Vergabe von Aufträgen durch bundeseigene Unternehmen bestimmen sollte?
Herr Kollege, die Vertreter des Bundes in den Aufsichtsgremien werden vom Beteiligungsreferat angehalten, daß Bundesinteressen und damit auch die Belange Berlins bei Unternehmensentscheidungen gebührend berücksichtigt werden.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Verkehr. Ich danke Herrn Staatssekretär Dr. Schulte für die Beantwortung.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Die Fragen 50 und 51 des Herrn Abgeordneten Fischer ({0}) werden auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Dasselbe gilt für die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Jäger ({1}).
Frage 53 des Herrn Abgeordneten Schreiner wird auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe dann die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Sielaff auf:
Wie können die Äußerungen von Staatsminister Dr. Mertes vor dem Deutschen Bundestag „auch wer sich verteidigt, darf keine verbotenen Waffen einsetzen" und die Äußerungen des Bundesministers des Auswärtigen „wir sind Vertragspartei des Genfer Protokolls, das jeden Einsatz von chemischen Waffen verbietet" in Einklang gebracht werden mit den Ausführungen der Ziffer 288 Weißbuch 1983 ({2}) vor dem Hintergrund, daß bei der Ratifizierung des Genfer Protokolls durch das Deutsche Reich kein Einsatz-Vorbehalt gemacht wurde?
Herr Kollege, die Frage beantworte ich wie folgt: Zahlreiche Staaten haben anläßlich ihrer Bindung an das Genfer Protokoll von 1925 erklärt, daß ihre Bindung gegenüber jedem Gegner ende, dessen Streitkräfte das Verbot des Einsatzes von C-Waffen mißachteten. Es ist richtig, daß das Deutsche Reich bei der Ratifizierung des Genfer Protokolls im Jahre 1929 einen derartigen Vorbehalt nicht eingelegt hat. Der Grundsatz der Gegenseitigkeit im Völkerrecht bewirkt jedoch, daß die Bundesrepublik Deutschland rechtlich hinsichtlich eines Zweiteinsatzes chemischer Waffen gegenüber Staaten, die einen völkerrechtswidrigen Angriff mit chemischen Waffen gegen die Bundesrepublik Deutschland führen, unterstützen oder mitplanen, von den Bindungen des Protokolls frei würde. Die Bundesregierung hat dies in ihrer Antwort auf die Großen Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN in der Bundestagsdrucksache 10/444 bereits dargelegt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatsminister, stellt es nicht auch nach Ihrer Einschätzung eine ziemliche Widersprüchlichkeit dar, daß die Bundesregierung - wie auch vorhin geschehen - einerseits immer wieder betont, mit Nachdruck für die Vernichtung aller chemischen Waffen einzutreten, und andererseits gleichzeitig erstmals chemische Waffen im Weißbuch der Bundesregierung als Vergeltungswaffen akzeptiert und ihnen sogar eine strategische Funktion innerhalb der NATO-Strategie zuweist?
Nein, Herr Kollege, zum einen ist hier im Haus, glaube ich, kein Dissens darüber, daß es vernünftig ist, die Bemühungen um eine weltweite Vernichtung dieser Mittel fortzusetzen. Andererseits gibt es auch keinen Dissens darüber, daß es keinen Zweck hat, sich über die Realitäten im unklaren zu sein. Auch wenn in den bisherigen Weißbüchern entsprechende Aussagen nicht getroffen worden sind, ändert das nichts an der realen Existenz dieser Waffen, die es in der Zeit gegeben hat, und an deren Zweckbestimmung. Es ist nur vernünftig, darauf hinzuweisen, was die Zweckbestimmung ist, derentwillen sie vorgehalten werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Aber, Herr Staatsminister, sind nicht auch Sie der Auffassung, daß, wenn jetzt erstmals chemische Waffen im Weißbuch erwähnt und beschrieben werden, dem entgegenstehen muß, daß von der Bundesregierung immer wieder betont wird, auch sie bemühe sich intensiv um die Vernichtung dieser Waffen? Sehen Sie diesen Widerspruch nicht?
Nein. Der Widerspruch liegt vielleicht darin, daß diese Systeme, diese Waffen, vorhanden sind. Unsere Bemühungen gehen j a gerade darauf hin, sie zu beseitigen. Aber durch die Nichterwähnung im Weißbuch beseitigen Sie keine einzige dieser chemischen Waffen. Ich glaube, es ist im Grunde ein Gebot der Offenheit, daß man, solange sie vorhanden sind, auch deutlich macht, daß das so ist und welche Funktion sie haben.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir im Zusammenhang mit Ihrer ersten Antwort auf die Frage des Kollegen SieFrau Schmidt ({0})
laff erläutern, was der Verzicht auf diesen Einsatzvorbehalt überhaupt für einen Sinn hat, und könnte meine Vermutung zutreffen, daß die Bundesregierung überhaupt keine Entscheidungsmöglichkeit hat, was die Lagerung von chemischen Kampfstoffen bei uns betrifft?
Doch, sie hat schon solche Möglichkeiten, und sie wirkt mit diesen Möglichkeiten darauf hin, daß nicht nur bei uns, sondern möglichst in der ganzen Welt künftig keine chemischen Waffen mehr gelagert werden.
({0})
Der Herr Staatssekretär ist frei in der Wahl der Menge dessen, was er antworten will.
Wir kommen zu einer weiteren Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatsminister, Sie haben davon gesprochen, daß sich die Bundesregierung bemühe, diese Waffen abzuschaffen: Welche Erfolge hat denn die Bundesregierung in diesem Bemühen bisher erreicht?
Die entsprechenden Verhandlungen, die geführt werden, haben bislang vor allem deswegen nicht die gewünschten Ergebnisse erbracht, weil es sehr schwer ist, sich über die Überprüfung von vereinbarten Zerstörungsmaßnahmen zu verständigen. Es muß doch darum gehen, daß man nicht nur die Zerstörung vereinbart, sondern sich die Vertragsparteien auch wechselseitig zugestehen, daß die entsprechenden Maßnahmen vor Ort überprüft werden. Hier gibt es insbesondere auf seiten der Sowjetunion beträchtliche Reserven, während die Bundesrepublik Deutschland im Blick auf die Offenheit bei diesem Thema - man kann das in aller gebotenen Bescheidenheit sagen - beispielhaft ist. Wir haben z. B. den entsprechenden Ausschuß eingeladen, der die chemischen Fabriken inspizieren und auf ihre Fähigkeiten hin überprüfen sollte, chemische Waffen herzustellen. Die Mitglieder des Ausschusses haben sich alle deutschen Unternehmen angesehen und bescheinigt, daß in Deutschland chemische Waffen weder hergestellt werden noch hergestellt werden können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kübler.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihren bisherigen Äußerungen entnehmen, daß in der C-Waffen-Politik gegenüber der bisherigen Bundesregierung qualitativ keine Änderung, keine Wende eingetreten ist?
Sie haben recht, wenn Sie vermuten, daß diese Bundesregierung in den Grundsätzen der Außen- und Sicherheitspolitik insgesamt keine Wende vollzogen hat.
Wir kommen zur Frage 55 der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}).
Herr Staatsminister.
Trifft es zu, daß die Bundesregierung einem Vorschlag der Vereinten Nationen zur Errichtung einer von chemischen Kampfstoffen freien Zone in Mitteleuropa im November 1982 nicht zugestimmt hat, und wie begründet sie gegebenenfalls diese Ablehnung?
Frau Kollegin, einen Vorschlag der Vereinten Nationen zur Errichtung einer von chemischen Kampfstoffen freien Zone in Mitteleuropa vom November 1982 gibt es nicht.
Die DDR hat auf der 37. Generalversammlung der Vereinten Nationen 1982 eine entsprechende Initiative angekündigt, sie dann aber nicht verwirklicht. Eine von der DDR auf der 37. Generalversammlung der Vereinten Nationen eingebrachte Resolution 37/98 A, die im Zusammenhang mit den Genfer Verhandlungen über ein C-Waffen-Verbot steht, enthält nur einen allgemeinen kurzen Hinweis auf C-Waffen-freie Zonen. Wir haben nicht gegen diese Resolution gestimmt, sondern uns der Stimme enthalten. Die Bundesregierung - das zur Begründung - setzt sich für ein weltweites Verbot aller chemischen Waffen ein. Damit würden automatisch auch alle chemischen Waffen in Europa abgeschafft.
Die Bundesrepublik Deutschland hat außerdem bereits 1954 als bisher einziger Staat auf die Herstellung chemischer Waffen vertraglich verzichtet und damit einen rüstungskontrollpolitisch bedeutsamen Schritt getan. Wir halten daher gesonderte Verhandlungen über eine C-Waffen-freie Zone in Mitteleuropa nicht für geeignet, die fortgeschrittenen Bemühungen im Genfer Abrüstungsausschuß zu fördern. Eine C-Waffen-freie Zone in Europa wäre gegenüber dem von uns angestrebten Abkommen über ein allgemeines Verbot aller C-Waffen ein eindeutiges Minus, bei dem es mehr Nach- als Vorteile gäbe, da chemische Waffen weiter produziert und kurzfristig auch an oder in eine von chemischen Waffen freie Zone verbracht werden könnten.
Zudem müßten in beiden Fällen die bereits in der Beantwortung der Frage Ihres Kollegen angesprochenen Verifikations-, also Überprüfungsprobleme gelöst werden.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir dann noch die Begründung für die Enthaltung der Bundesrepublik auf dieser 37. Generalversammlung nennen, auf der die DDR diese Initiative gestartet hat?
Das ist der Grund, den ich gerade vorgetragen habe: daß wir eben nicht für ein auf einen regionalen Bereich eingegrenztes Abkommen sind, sondern die chemischen Waffen weltweit vernichtet haben wollen.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Schmidt.
Herr Staatssekretär, könnte man das nicht vielleicht als einen ersten Schritt sehen, und wäre die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, von sich aus eine verifizierbare Regelung einer Chemie-Waffen-freien Zone in Europa selber zu initiieren?
Nein, Frau Kollegin. Wie ich bereits gesagt habe, sind wir der Meinung, daß es vernünftig ist, angesichts des gegebenen Verhandlungsstands in Genf zu versuchen, ein Abkommen zu schließen, dem sich alle über C-Waffen verfügende Staaten anschließen und das deswegen dann auch deren Territorium einschließt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatsminister, bleiben Sie also auch bei Ihrer Meinung, obwohl vorhin nicht widersprochen worden ist, als gesagt wurde, daß die größeren Bedrohungen für die eigene Bevölkerung bestehen?
Ja, aber die Bedrohung ergibt sich durch C-Waffen, die in den Händen anderer Staaten sind. Deswegen geht es uns darum, eine Vereinbarung zu erzielen, die auch bei diesen die Herstellung, die Bevorratung und die mögliche Einsatzplanung solcher Waffen beendet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gilges.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, habe ich Ihre Begründung eben so richtig verstanden, daß die Bundesregierung ihre politische Linie insoweit verändert hat, als sie regionale, auch begrenzte Abrüstungs- und Kontrollabkommen nicht mehr für sinnvoll hält, wie das z. B. auf der KSZE und bei den MBFR-Verhandlungen von der Bundesregierung vorgeschlagen wird - usw. usf.; Sie kennen das genausogut wie ich -, und davon ausgeht, daß nur weltweite, globale Abrüstungs- und Kontrollabkommen sinnvoll sind?
Herr Kollege, dann habe ich mich entweder falsch ausgedrückt, oder Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe diese Aussage auf C-Waffen bezogen und keine allgemeinverbindliche Aussage gemacht.
({0})
Abgeordneter Kübler zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sich sehr stark für globale Verhandlungen aussprechen: Hielten Sie es nicht für sinnvoll, Gespräche zwischen der DDR und der Bundesrepublik mit dem Ziel aufzunehmen, auf dem Territorium der beiden Länder die Lagerung von C-Waffen-Beständen allmählich abzubauen?
Herr Kollege, mir scheint das Problem nicht bei den beiden deutschen Staaten zu liegen, sondern in der Tat bei den Staaten, die C-Waffen herstellen und bevorraten. Wir sollten unsere Anstrengungen darauf richten, diese für einen vollständigen Verzicht auf derartige Waffen zu gewinnen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter ({0}).
Herr Staatsminister, welchen Abschreckungswert billigen Sie eigentlich diesen chemischen Waffen zu, wenn der einzige Erfolg ist, daß die eigene Bevölkerung das Opfer des Einsatzes sein wird?
Ich kann die Frage deswegen nicht beantworten, weil die Prämisse nicht zutreffend ist. Die Planung für diese Systeme für den Fall des Versagens der Abschreckung ist nicht so, daß die eigene Bevölkerung das Ziel dieser Waffen ist.
Im übrigen räume ich ein, daß es um diese Waffen und ihren militärischen Sinn auch in der Regierung eine intensive Diskussion gibt; ebenso, denke ich, in allen Parteien. Das ist ein Grund mehr, weshalb wir uns mit Nachdruck für eine Beseitigung dieser Waffen einsetzen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reents.
Herr Staatsminister, worin liegt die politische Begründung dafür, daß die Bundesregierung bei den Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen sehr wohl regionale Abkommen für sinnvoll hält, in Fragen der chemischen Waffen aber nicht?
Herr Kollege, beispielsweise liegt es bei den MBFR-Verhandlungen, also den Verhandlungen über die Begrenzung von Truppen in Mitteleuropa, nahe, daß alle Staaten, die dort Truppen haben, sich sehr wohl auf einen Begrenzungsraum, wie er dort vorgesehen ist, verständigen können. Hier ist aber die Rede von einem Raum - wenn ich die Ausführungen unseres Kollegen richtig verstanden habe -, der Staaten umschließt, die selbst gar nicht über C-Waffen verfügen. Uns geht es darum, die Waffen als solche beseitigt zu sehen. Man muß die Maßnahmen auf diejenigen Staaten richten, die über sie verfügen.
Ich rufe die Frage 56 der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}) auf:
Warum hat die Bundesregierung um eine Verlängerung ihrer Äußerungsfrist zur Organklage von 18 Bundestagsabgeordneten um mehrere Monate gebeten, nachdem sie sich bereits explizit im Weißbuch 1983 zu ihrer Auskunftspflicht über Lagerung von chemischen Waffen in der Bundesrepublik Deutschland geäußert hat?
Frau Kollegin, die Prozeßbevollmächtigten der Bundesregierung hatten in Absprache mit den zuständigen Ressorts in den Verfahren der Organklage sowie der beiden Verfassungsbeschwerden zur Lagerung chemischer Waffen beim Bundesverfassungsgericht eine Verlängerung der der Bundesregierung gesetzten AuStaatsminister Möllemann
ßerungsfrist beantragt. Das Bundesverfassungsgericht hat diesem Antrag entsprochen und die Frist bis zum 28. Februar 1984 verlängert. Diese Verlängerung war notwendig, weil die der Bundesregierung unter dem Datum des 26. Mai 1983 zugestellte Organklage nicht ohne Einbeziehung der beiden Verfassungsbeschwerden, von denen die letzte unter dem Datum des 18. August 1983 zugestellt worden ist, behandelt werden kann.
Die Verlängerung der Äußerungsfrist wurde auch deshalb beantragt, weil in allen drei Verfahren schwierige Probleme aufgeworfen werden, die in den Zuständigkeitsbereich mehrerer Bundesministerien fallen.
Zusatzfrage von Frau Schmidt.
Herr Staatssekretär, dieses leuchtet mir naturgemäß nicht so besonders ein, weil sich die Organklage der 18 Abgeordneten ausschließlich darauf bezieht, daß die Bundesregierung Auskunft zu geben hat, und nicht auf die Verfassungsmäßigkeit der Lagerung und Stationierung von chemischen Waffen. Ich sehe den Zusammenhang nicht und bitte, ihn mir zu erläutern.
Wir sind der Meinung, daß die Verfahren, von denen ich hier gesprochen habe, zusammengehören. Wir sind darüber hinaus der Auffassung, daß eine sehr sorgfältige Abstimmung zwischen den beteiligten Bundesressorts notwendig ist. Sie war in der Kürze der Frist nicht möglich.
Weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt.
Herr Staatssekretär, sehen Sie vielleicht doch eine Möglichkeit, das Verfahren zu beschleunigen, gerade vor dem Hintergrund der großen Beunruhigung der Bevölkerung über die bei uns im Lande vorhandenen chemischen Waffen und über die Gefährdung der Bevölkerung auch in Friedenszeiten?
Frau Kollegin, die Frist ist jetzt gesetzt. Wir werden von seiten der Bundesregierung das von uns Geforderte innerhalb dieser Frist jetzt auch leisten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatsminister, ist es vielleicht so, daß die Bundesregierung fachlich so schlecht bestückt ist, daß sie so einen enorm langen Zeitraum benötigt, um sich dem Bundesverfassungsgericht gegenüber zu äußern? Denn der Bundesregierung war ja schon wesentlich länger - mindestens seit Februar dieses Jahres - bekannt, daß diese Organklage eingereicht würde.
Herr Kollege, ich glaube, es hat keinen Sinn, wenn ich Ihnen jetzt mein persönliches Urteil über die fachliche Qualifikation aller Mitglieder der Bundesregierung abgebe.
({0})
Aber Sie wissen so gut wie ich, daß wir, die politischen Mitglieder der Bundesregierung, uns auf die Mitarbeiter in den verschiedenen Ressorts stützen, und das sind dieselben, die auch der früheren Bundesregierung gedient haben. Ich kann keinen Zweifel an deren Qualifikation erheben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kübler.
Hätte sich die Bundesregierung nicht richtiger so verhalten, das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde abzuwarten, bevor sie im Weißbuch entsprechende Äußerungen zur Modernisierung von C-Waffen tut?
Nein. Herr Kollege, wir haben im Weißbuch eine Tatsachenbeschreibung vorgenommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, wie können Sie den Widerspruch erklären, der mir darin zu liegen scheint, daß die Bundesregierung, wenn sie vom Bundesverfassungsgericht um eine verfassungsrechtliche Stellungnahme gebeten ist, also sozusagen verfassungsrechtlich konsultiert wird, ein Jahr braucht, um zu einer Entscheidung zu kommen, während sie im Fall des Einsatzes dieser Waffen zu Vergeltungszwecken, wenn sie von der amerikanischen Regierung konsultiert wird, wahrscheinlich nur wenige Minuten oder Stunden Zeit zur Stellungnahme hat?
Ich verstehe im Grunde, Herr Kollege, außer, daß Sie einen ironischen Beitrag leisten wollen - ({0})
- Ja, mir auch. Deswegen finde ich es auch nicht angemessen, wenn man diese Frage hier ironisiert. Die rechtliche Problematik unseres Verteidigungskonzepts werden wir hoffentlich, denke ich, immer in Abgewogenheit und Besonnenheit diskutieren können. Es liegt in der Natur der Sache, daß im Verteidigungsfall, in welcher Komponente unserer Verteidigung auch immer, wahrscheinlich nur sehr kurze Entscheidungsfristen gegeben sein werden. Deswegen würde ich die Entscheidungsfristen im politischen Bereich auch ungern auf die gleiche Minuten- oder Stundenanzahl reduziert sehen wollen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatsminister, davon ausgehend, daß Sie den Inhalt unserer Organklage kennen, frage ich Sie, ob Sie es für richtig halten, daß die Bundesregierung durch die Beantragung der Verlängerung ihrer Stellungnahmefrist für den
Fall, daß das Bundesverfassungsgericht uns, den Klägern recht gibt, die grundgesetzlich garantierten Rechte dieses Parlaments oder einzelner Mitglieder dieses Parlaments auf Grund der Fristverlängerung um ein halbes Jahr verkürzt?
Herr Kollege, es liegt in der Natur des rechtsstaatlichen Verfahrens, das die Bundesregierung ja wohl noch einhält, daß in einem Rechtsstreit, bis dieser geklärt ist, auch Einschränkungen gegeben sind. Das trifft j a, denke ich, jeden. Deswegen wird man ja nun nicht hingehen und künftig Fristen bei Verfahren und rechtsstaatlichen Bestimmungen außer Kraft setzen können.
({0})
Wir sind am Ende dieser Frage.
Wir kommen zur Frage 57 des Abgeordneten Dr. Kübler.
Beabsichtigt die Bundesregierung der Modernisierung der C-Waffen-Bestände der US-Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland zuzustimmen, und wird sie die Frage der C-Waffen-Nachrüstung dem Deutschen Bundestag zur Entscheidung vorlegen?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat wiederholt auch vor dem Deutschen Bundestag erklärt, daß es keine Pläne zur Lagerung neuartiger chemischer Kampfmittel der USA außerhalb der Vereinigten Staaten gibt. Der NATO-Oberbefehlshaber, General Rogers, hat dies noch kürzlich in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung" am 19. Oktober 1983 bestätigt. Die Fragen einer Zustimmung zur Lagerung und deren parlamentarischer Behandlung stellen sich daher nicht. Die Bundesregierung sieht auch keine Veranlassung, in dieser Sache hypothetische Überlegungen anzustellen.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Kübler.
Darf ich daraus, Herr Staatsminister, entnehmen, daß in überschaubarer mittelfristiger Zeit die Vereinigten Staaten nicht an die Bundesregierung herantreten werden, um eine Modernisierung ihrer Bestände in. der Bundesrepublik zu erreichen?
Ich kann Ihnen hier nur sagen, daß es bislang ein entsprechendes Petitum nicht gibt. Die Frage, die Sie am Schluß gestellt haben, ist hypothetisch. Ich kann sie nicht beantworten. Mir ist nichts bekannt, was auf eine solche Möglichkeit hindeutet.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatsminister, können Sie mir vielleicht erklären, woher Sie Ihre Sicherheit nehmen, daß so eine Anfrage der USA in den nächsten Wochen nicht kommen wird, obwohl man gerade gestern lesen konnte, daß der Senat mit dem ausschlaggebenden Votum von
46 Stimmen die Mittel für die Wiederaufnahme der Produktion von Nervengas bewilligt hat und jeder weiß, daß dieses Nervengas sicherlich nicht in Alaska gelagert werden soll.
Ich weiß nicht, woher Sie das wissen. Ich kann nur sagen, daß der Bundesregierung bisher kein Petitum der Vereinigten Staaten vorgetragen worden ist, sondern daß im Gegenteil, wie gerade vorgetragen, General Rogers erklärt hat, daß eine entsprechende Planung für Europa nicht besteht.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}).
Herr Staatsminister, es ist aber doch vorstellbar - in anderen Fällen ist es auch schon so gewesen -, daß so ein Peti-tum der Vereinigten Staaten käme. Was würde die Bundesregierung zu einer neuen Lagerung von chemischen Waffen hier bei uns sagen?
Frau Kollegin, ich meinte es ganz ernst, als ich gesagt habe, daß wir auf hypothetische Fragen nicht antworten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, für die Bundesregierung verbindlich zu erklären, daß die Bundesregierung, sollte sie von der amerikanischen Regierung wegen einer Modernisierung konsultiert werden, darauf nicht antworten wird, bevor die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache getroffen worden ist, oder wird es so sein, daß Sie die Konsultation mit der Regierung der Vereinigten Staaten sehr viel schneller und zügiger regeln können, als die Stellungnahme abzugeben, um die das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung gebeten hat?
Ich wiederhole, Herr Kollege: Der Oberkommandierende der NATOStreitkräfte, General Rogers, hat am 19. Oktober 1983 erklärt, daß es keine Pläne für eine Stationierung dieser Kampfmittel in Europa und der Bundesrepublik Deutschland gibt. Daher stellt sich die Frage nicht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reents.
Herr Staatsminister, wenn Sie die Frage nach einem möglichen Petitum der USRegierung an die Bundesregierung hinsichtlich der Lagerung neuer chemischer Waffen als hypothetisch bezeichnen und keine Antwort darauf geben können, welchen Wert messen Sie dann dem Zitat von General Rogers bei, das Sie zur Beantwortung dieser Frage bemüht haben?
Das ist mit dem identisch, was ich gesagt habe. Weder gibt es ein Petiturn der amerikanischen Regierung, bei uns neue chemische Waffen stationieren zu können, noch gibt es eine entsprechende Aussage von anderer
Seite. Im Gegenteil, es gibt eine ausdrückliche Erklärung des Oberkommandierenden der NATO, daß das nicht geplant sei. Ich finde, das ist eine präzise Klarstellung, die eigentlich Ihre Zustimmung finden sollte.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Hält die Bundesregierung ihre Haltung zur C-WaffenNachrüstung im Hinblick auf ihren Beitritt zum Genfer Giftgas-Protokoll für völkerrechtlich zulässig?
Herr Kollege, abgesehen davon, daß sich die Frage einer solchen Nachrüstung, wie sie in Ihrer Frage aufgeworfen worden ist, nicht stellt, verweise ich im übrigen auf die Antwort auf die Frage des Kollegen Sielaff, in der wir das Thema abgehandelt haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kübler.
Ich möchte noch einmal nachfragen, ob Sie der Auffassung sind, daß es der Verzicht des Deutschen Reiches damals auch auf den Einsatz von C-Waffen als Repressalie letztlich verbietet, daß die Bundesrepublik in irgendeiner Form, sei es auch durch Lagerung auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik, dazu beiträgt, daß vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus chemische Einsätze, wenn auch von anderen Streitkräften, ausgeführt werden können.
Nein, Herr Kollege, das ist nach übereinstimmender Auffassung der Völkerrechtler, die ich dazu befragt habe, nicht der Fall. Es muß nur die Sicherheit gegeben sein, daß diese Waffen nur dann eingesetzt werden, wenn ein anderer Vertragspartner des entsprechenden Abkommens vertragswidrig den Einsatz dieser Waffen gegen uns praktiziert, wenn also ein Zweitschlag auf diese Möglichkeit hin erfolgt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kübler.
Sind Ihnen Überlegungen der bisherigen Bundesregierung zu dieser Völkerrechtsfrage bekannt, und, wenn ja, welches Ergebnis haben diese Überlegungen gehabt?
Die Überlegungen, die mir bekannt sind, habe ich gerade skizziert.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt.
Nachdem ich vorhin auf diese Frage keine Antwort bekommen habe, frage ich nochmals: Welchen Sinn hat der vom Deutschen Reich 1925 ausgesprochene Verzicht auf den Einsatzvorbehalt?
Das Deutsche Reich wollte damit seinerzeit sicherlich dokumentieren, daß es davon ausging, daß es mit dieser Vereinbarung weltweit zu einer Achtung und Beseitigung aller chemischen Waffen kommen würde. Dazu wollte das Deutsche Reich einen Beitrag leisten.
Die rechtliche Lage, die ich bereits angesprochen habe, ist die, daß der Grundsatz der Gegenseitigkeit im Völkerrecht bedeutet, daß ein Staat hinsichtlich seiner Pflichten aus einem Vertrag grundsätzlich nicht stärker gebunden ist als seine Vertragspartner. Das bedeutet, daß sich jeder Vertragsstaat auf Vorbehalte berufen kann, die auch ein Vertragspartner eingelegt hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß der ausdrückliche Verzicht auf die Produktion chemischer Waffen dann auch auf die Lagerung chemischer Waffen hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ausgeweitet werden muß, wie es auch viele Völkerrechtler sagen?
Wir sind darüber hinausgehend der Meinung, Herr Kollege, daß wir zu einem weltweiten Übereinkommen gelangen sollten, das einen weltweiten Verzicht auf Produktion und Lagerung dieser Waffen beinhaltet, und arbeiten dafür sehr nachdrücklich.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister Möllemann, in Fortsetzung der Frage meines Vorfragers, Herrn Kollegen Sielaff, möchte ich sagen: Es ist doch wirklich nur konsequent, wenn wir in dieser Frage seit 1925 eine so klare Haltung eingenommen haben, wenn wir ausdrücklich auf die Produktion dieser Waffen verzichtet haben, daß wir ganz klar erklären können, daß eine neue Lagerung oder auch nur eine Erneuerung von Beständen, die offenbar in einer Zeit hierher gelegt worden sind, als wir in unserer Souveränität noch sehr eingeschränkt waren, für uns nun nicht mehr in Frage kommt. Würden Sie nicht bereit sein, wenigstens die Logik dieses Schlusses zu akzeptieren?
Ich verstehe die Logik dieses Schlusses insbesondere in ihrem politischen Willen. Ich unterstreiche hier ausdrücklich, daß es die Bundesregierung von daher begrüßt, daß entsprechende Absichten gar nicht bestehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Darf ich Sie fragen, Herr Staatsminister, ob wir denn nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs sind? Wenn wir dies sind - lassen Sie mich das einmal sehr präzise fragen -, wäre nicht gerade dann die Konsequenz aus dem zu ziehen, was 1925 vereinbart worden ist, und zwar heute im Angesicht jener sehr viel weiter entwickelten chemischen Waffensysteme?
Für den Rechtstatbestand ist die Frage, wie weit die Systeme im einzel2198
nen entwickelt sind, unerheblich. Der Rechtstatbestand ist von mir beschrieben worden. Ich wiederhole: Der unbestrittene Grundsatz der Gegenseitigkeit im Völkerrecht bedeutet, daß ein Staat hinsichtlich seiner Pflichten, zu denen wir ja stehen, aus einem Vertrag grundsätzlich nicht stärker gebunden ist als seine Vertragspartner. Um einen solchen Problemfall geht es ja.
Ich unterstreiche noch einmal mit allem Nachdruck: Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß weltweit alle Arten von chemischen Waffen künftig nicht mehr hergestellt und die vorhandenen Bestände vernichtet werden.
Auf die Beantwortung der Frage 59 hat der Fragesteller, Herr Abgeordneter Wimmer ({0}), verzichtet.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Böhm ({1}) auf:
Trifft es zu, daß das deutsche Kulturinstitut in Bukarest in seinem normalen Programm die deutsche Krimiserie „Der Kommissar" in englischer Sprache vorführt, und aus welchem Grund geschieht das?
Herr Kollege, die in Ihrer Frage aufgestellte Annahme trifft nicht zu. Das deutsche Kulturinstitut in Bukarest erhält die Filme der Kriminalserie „Der Kommissar" stets in deutscher Sprache. Lediglich vor etwa zwei Jahren erhielt das Kulturinstitut versehentlich einen einzigen Film in englischer Synchronisation. Der Institutsleiter wollte das bereits erschienene Publikum nicht enttäuschen und ließ den Film trotz der mangelnden Englischkenntnisse des vorwiegend siebenbürgischen Publikums vorführen. Erst als die Mehrheit der Zuschauer durch Zwischenrufe kenntlich machte, daß sie nicht folgen könne, wurde die Vorführung abgebrochen. Es handelte sich also um eine einmalige Panne, was den Zuschauern auch mitgeteilt wurde.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Böhm.
Darf ich davon ausgehen, Herr Staatsminister, daß das mit der Pflege der deutschen Sprache beauftragte GoetheInstitut, in diesem Fall das Kulturinstitut, überall in der Welt darauf achtet, daß man diesem Auftrag gerecht wird?
Sie dürfen das, Herr Kollege. Die Bundesregierung wäre besonders dankbar, wenn das Parlament dem Goethe-Institut und der Bundesregierung die dafür notwendigen Mittel auch weiterhin bewilligen würde.
({0})
Bei Kriminalfilmen überlegen wir uns das noch einmal.
Ich komme zur Frage 61 des Abgeordneten Dr. Czaja.
Welche deutschlandpolitischen Ziele, insbesondere in bezug auf das Prinzip des friedlichen Wandels, wird die Bundesregierung bei der Abrüstungskonferenz, die im Januar 1984 in Stockholm begonnen wird, verfolgen, wenn dort über die Zonen abgestufter Abrüstung verhandelt werden soll?
Herr Kollege, das in Madrid vereinbarte Mandat für die Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen beauftragte diese in ihrer ersten Phase mit der Verhandlung und Annahme eines Satzes vertrauensund sicherheitsbildender Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, die Gefahr einer militärischen Konfrontation in Europa zu vermindern. Das Mandat präzisiert dann unter anderem, daß diese vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen ganz Europa sowie das angrenzende Seegebiet und den angrenzenden Luftraum umfassen werden.
Das Mandat entspricht so voll den Vorstellungen der Bundesregierung, wonach es darum geht, ganz Europa in diesen Verhandlungen zu erfassen und gerade nicht Zonen abgestufter Abrüstung zur Debatte zu stellen. Insofern stellt sich das in der Frage angesprochene Problem in Stockholm nicht.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß ein entsprechender Verlauf der Stockholmer Konferenz, der spürbare Verbesserungen für die Sicherheit in ganz Europa bringen würde, auch für unser deutschlandpolitisches Anliegen von Vorteil wäre. Denn die deutsche Frage ist nur im europäischen Rahmen zu lösen. Deshalb ist europäische Friedenspolitik zugleich auch Deutschlandpolitik. Die Auswirkungen der Spaltung Europas zu mildern und diese Spaltung schließlich zu überwinden bedeutet das gleiche auch für die Trennung der Deutschen. Jeder Fortschritt für ganz Europa bedeutet nach Auffassung der Bundesregierung auch Fortschritt für die Deutschen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wie wird nach der Vorstellung des Auswärtigen Amtes bei der geplanten Konferenz - in einer etwas anderen Weise, als es in der Frage steht - bei der Umschreibung des Vertragsgebietes die ganze deutsche Frage rechtlich eindeutig offengehalten werden?
Die Umschreibung des Vertragsgebiets hat auf die deutsche Frage überhaupt keine Auswirkung. Unser Rechtsstandpunkt dazu ist bekannt. Diese Umschreibung in der Vereinbarung betreffend die Konferenz hat darauf überhaupt keine Auswirkung.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Hat der Bundesaußenminister schon bei dem Vorbereitungstreffen für die Stockholmer Konferenz in Helsinki Ende Oktober und bei seiner Rede vor der Paasikivi-Gesellschaft über Elemente einer europäischen Friedensordnung dieses Hauptziel der Entspannung, nämlich den friedlichen Wandel zum Abbau der Teilung EuDr. Czaja
ropas und Deutschlands im Sinne der Briefe zur deutschen Einheit und des Harmel-Berichts, als entscheidendes Element angesprochen?
Herr Kollege Dr. Czaj a, Sie wissen, daß diese Bundesregierung und der Außenminister bei vielen nationalen und internationalen Anlässen auf dieses Ziel verweisen. Ich würde hier gern die fünf Elemente für eine europäische Friedensordnung nennen, die der Bundesaußenminister in seiner Rede in Helsinki am 2. November genannt hat. Es sind dies die uneingeschränkte Achtung des Gewaltverbots als Grundlage für Frieden und Zusammenarbeit in Europa, die Stetigkeit des politischen Dialogs, des bilateralen und multilateralen Gesprächs zwischen West und Ost, die Zusammenarbeit im weitesten Sinne, die Herrschaft des Rechts und insbesondere der Menschenrechte und die Pflege der kulturellen Beziehungen über die Systemgrenzen hinweg, die das Bewußtsein für die gemeinsamen Wurzeln der europäischen Kultur wachhält.
Im übrigen - ich wiederhole - verstreicht eigentlich keine dafür geeignete Gelegenheit, bei der wir nicht auf das von Ihnen angesprochene Ziel der deutschen Politik hinweisen.
Wir kommen zu Frage 62 des Abgeordneten Dr. Czaja.
Inwieweit wurden mit Unterstützung der Bundesregierung und mit welchem Ergebnis in der letzten Zeit in enger Verbindung mit den Bemühungen um die Verteidigungsfähigkeit beim „konstruktiven Einsatz der Allianz im Interesse der Entspannung" ({0}) gemäß Ziffer 12 des Harmel-Berichts, welcher als Gesamtstrategie des Bündnisses den NATO-Doppelbeschluß von 1979 bekräftigt, auch „laufend politische Maßnahmen" geprüft, um „eine gerechte und dauerhafte Ordnung in Europa zu erreichen, die Teilung Deutschlands zu überwinden"?
In dem Bericht „Die künftigen Aufgaben der Allianz" von 1967, dem sogenannten Harmel-Bericht, hat das Atlantische Bündnis seine Gesamtpolitik im West-Ost-Verhältnis festgelegt. Sie wurde durch das Gipfeltreffen der Allianz in Bonn im Juni 1982 bekräftigt.
Die Ziffer 12 des Harmel-Berichts, die Sie offenbar zitieren, betraf seinerzeit die Vorbereitung namentlich der KSZE, aber auch anderer Schritte der Verbündeten zur Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses. In Fortführung der damals beschlossenen Politik konsultiert die Bundesregierung mit ihren Verbündeten nach wie vor laufend jeden Schritt im West-Ost-Verhältnis. Dabei behält sie stets das Ziel im Auge, das im Brief zur deutschen Einheit festgelegt ist, nämlich auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
Herr Abgeordneter Dr. Czaja zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, gibt es Arbeitsgruppen zur Abstimmung beim NATO-Rat oder auf der Ebene der zuständigen Vertreter oder ein sonstiges funktionales System, das mit dieser Kernfrage der Entspannung und der Allianz befaßt ist, sich nämlich gemäß den Ziffern 5, 8 und 12 des von Ihnen zitierten Harmel-Berichts für den Abbau der Teilung Deutschlands und Europas konstruktiv einzusetzen?
Herr Kollege, ich glaube, wichtiger als die Verteilung - um nicht zu sagen: Verschiebung - dieser Frage auf Arbeitsgruppen, deren Ergebnisse dann am Ende möglicherweise keiner zur Kenntnis nimmt, ist, daß die Bundesregierung in ihrer Gesamtpolitik bei allen sich bietenden Gelegenheiten diese Zielvorstellungen deutlich macht und sie auch praktisch einfließen läßt.
Ich glaube, man kann sagen, daß die sehr enge Abstimmung mit allen unseren Bündnispartnern, besonders aber immer wieder mit den drei Westmächten, die in Berlin Garantien gewährleisten, die beste Gewähr dafür ist, daß wir dieses Ziel nicht nur aus dem Auge verlieren, sondern ihm vielleicht auch näher kommen können. Allerdings - das ist das Dilemma bei diesem Thema -: Wir sind ihm in letzter Zeit nicht näher gekommen.
Herr Dr. Czaja, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, bedeutet das, was Sie hier gesagt haben, daß es laufend Konsultationen über, wie es in Ziffer 12 des Harmel-Berichts heißt, „politische Maßnahmen" auf verschiedenen Ebenen gibt, und könnten Sie einige dieser Ebenen beispielhaft nennen? Meinen Sie die Vierer-Gruppe, oder auf welchen Ebenen laufen solche Konsultationen?
Ich meine die ViererGruppe, von der Sie sprechen, aber ich meine auch die EPZ. Ich wiederhole: Es vergeht praktisch kein internationaler Anlaß, bei dem, wenn er dazu geeignet ist, dieses Thema von uns nicht zur Sprache gebracht wird.
Wir kommen zur Frage 63 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher:
Ist der Bundesregierung der zunehmende, durch Zeitungsanzeigen initiierte, kommerzielle Handel mit Konsul-Titeln und anderen diplomatischen Titeln bekannt, und wenn ja, wie gedenkt sie, diesen dubiosen Anwerbeverfahren entgegenzuwirken?
Frau Kollegin, die entgeltliche Vermittlung von konsularischen bzw. diplomatischen Titeln ist kein neues Phänomen. Ob solche Praktiken derzeit zunehmen, läßt sich im einzelnen kaum belegen. Nach der Rechtslage ist die entgeltliche Vermittlung konsularischer Amtsbezeichnungen regelmäßig nicht strafbar.
Auf Grund einer Absprache mit den Bundesländern hat das Auswärtige Amt jedoch im November 1980 alle hiesigen fremden Missionen darüber in Kenntnis gesetzt, daß Hononarkonsularbeamten die Zulassung entzogen wird, wenn das Auswärtige
Amt Kenntnis davon erhält, daß von diesen oder einer dritten Person im Zusammenhang mit der Auswahl oder der Bestellung zum Honorarkonsularbeamten finanzielle oder Sachleistungen erbracht wurden.
Eine Zusatzfrage von Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, selbst wenn es nicht strafbar ist: Befürchten Sie nicht, befürchtet die Bundesregierung nicht eine Beeinträchtigung des Ansehens des diplomatischen Dienstes, wenn z. B. - wie in jüngster Zeit - Anzeigen wie diese in einer großen, überregionalen Zeitung zu lesen sind: „Repräsentative, energische Persönlichkeit für die Vergabe von Konsulbenennungen gesucht; Jahresverdienst: ca. 450 000 DM; 35 000 US-Dollar erforderlich; Kurzbewerbungen Luftpost unter ..."? Ist das nicht eine Beeinträchtigung des Ansehens insgesamt, so daß die Frage der Strafbarkeit oder Nichtstrafbarkeit zunächst einmal ganz sekundär ist?
Frau Kollegin, ich stimme Ihnen völlig zu, daß das sicherlich das Ansehen der Persönlichkeiten, die diese Funktion auf anderem Weg übernommen haben, sehr beeinträchtigt, weil sich ja jeder die Frage stellen wird: Wieviel hat's denn bei dir gekostet? Das war j a auch der Grund, weshalb wir im Benehmen mit den fremden Missionen darauf gedrungen haben, daß sie diese Praktiken ihrerseits mit überprüfen.
Ich möchte aber im übrigen darauf hinweisen, daß das Auswärtige Amt prüft, inwiefern durch die Schaffung eines entsprechenden Straftatbestandes der entgeltlichen Vermittlung derartiger Amtsbezeichnungen entgegengewirkt werden könnte, und daß die Bundesregierung deshalb die entsprechende Frage erneut mit den Bundesländern aufgegriffen hat.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Darf ich aus Ihrer ersten Antwort entnehmen, Herr Staatsminister, daß Sie bereit sind, das zu tun, was ich nämlich mit der Frage signalisieren möchte, daß dieser Titelkauf - anders kann man das j a nicht bezeichnen - in Zukunft aufmerksamer und strenger beachtet werden wird, als es bisher der Fall ist? Ich bin bereit, Ihnen nachher meine Kollektion von Anzeigen zu überreichen.
Ich danke Ihnen für diese Bereitschaft. Ich habe das Gefühl, wir haben beide im Moment die gleiche Kollektion.
({0})
Auch ich habe mich natürlich dementsprechend auf diese Fragestellung vorbereitet. Aber ich möchte Ihnen zusagen, daß wir im Sinne Ihrer Frage vorgehen wollen.
Dann kommen wir zu Frage 64 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher:
Kann die Bundesregierung genauere Angaben über den Umfang des Titelkaufs machen?
Frau Kollegin, da die Beteiligten sich hierzu aus den bekannten Gründen normalerweise ausschweigen, lassen sich keine genauen Angaben über den Umfang der entgeltlichen Vermittlung konsularischer Amtsbezeichnungen machen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wäre es nicht denkbar, daß Sie auf solche chiffrierten Anfragen auch einmal antworten, um dahinterzukommen,
({0})
wer so etwas eigentlich organisiert und wer dahintersteckt?
Vielleicht könnten wir uns darauf verständigen, daß das jemand anders macht.
({0})
Ich finde, es wäre problematisch, wenn das ein Mitglied der Bundesregierung tut.
Aber Ihre Frage deutet darauf hin, daß bei Anfragen dieser Art natürlich häufig auch deutlich wird, daß es sich um betrügerische Machenschaften handelt, daß beispielsweise Absender dieser Anzeigen vorhanden sind, die gar nicht bei uns leben, sondern auf Vorkasse sozusagen vom Ausland aus Dummenfang betreiben. Es soll ja, wie man gelegentlich hört, auch schon des öfteren gelungen sein, mit der Hoffnung auf einen solchen Titel beträchtliche Überweisungen auf Konten zu erreichen, die dann hinterher keiner mehr auffinden konnte.
Noch eine Zusatzfrage von Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Kollege Staatsminister, wären Sie bereit, die Sache mit dem Dummenfang doch ein bißchen ernster zu nehmen, pi wenn ich Ihnen jetzt eine Annonce aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu diesem Thema hier zum besten gebe:
Souveräner Staat bietet zwei unabhängigen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur die einmalige Chance der bedeutenden Position des diplomatischen Vertretungsstatus in der Bundesrepublik Deutschland mit Einschluß aller Sonderrechte, diplomatischer Immunität, Diplomatenpaß, CD-Fahrzeug usw. sowie weltweiter politischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen durch entsprechende Regierungsposition.
Herr Staatsminister, ich glaube, diese Anzeige, die
in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stand,
sollte doch wirklich Anlaß sein, das Problem nicht
mit Dummenfang und ähnlichen Argumenten abzutun.
Frau Kollegin, das soll ja auch nicht geschehen. Ich kann nicht beurteilen, ob es tatsächlich einen, wie es dort heißt, souveränen Staat gibt, der auf diese Art und Weise Leute sucht. Ich habe - und ich bleibe dabei - die Vermutung, daß gerade mit solchen Anzeigen präzise das gemacht wird, was ich mit dem Begriff Dummenfang meinte: daß man nämlich versucht, Geschäfte mit Leuten zu betreiben, die gerne diesen Titel haben möchten und die vielleicht auf eine solche Methode hereinfallen.
Wir haben mit allem Nachdruck die ausländischen Missionen hier darauf hingewiesen, daß es ja auch im Interesse nicht nur des diplomatischen Dienstes, sondern auch des Ansehens ihrer Länder ist, wenn entsprechende Verfahren nicht praktiziert werden. Im Blick auf die rechtliche Problematik würde ein solches Vorgehen besonders deutlich machen, daß die Aufstellung von Straftatbeständen etwas schwierig wird. Wir können j a in einem solchen Fall ein Land, das so inseriert, wohl schlecht bestrafen.
Wir kommen zu Frage 65 des Abgeordneten Gansel:
Hat die Bundesregierung beim Besuch des sudanesischen Verteidigungsministers und beim Besuch des ägyptischen Verteidigungsministers Vereinbarungen über Ausbildungshilfe, Ausrüstungshilfe und Rüstungsexporte getroffen oder vorbereitet?
Herr Kollege, bei dem Besuch des sudanesischen Staatsministers für Verteidigung, Omar Abu al-Hassan, handelte es sich um einen Höflichkeitsbesuch. Vereinbarungen über Ausbildungshilfe, Ausrüstungshilfe und Rüstungsexporte standen nicht zur Diskussion.
Bei dem Besuch des ägyptischen Verteidigungsministers, Mohammed Abdel Halim Abu Ghazala, sind keine Vereinbarungen über Ausbildungshilfe, Ausrüstungshilfe und Rüstungsexporte getroffen oder vorbereitet worden.
Herr Staatsminister, können Sie mir - weil die Zeit abgelaufen ist, vielleicht schriftlich - mitteilen, welchen Rüstungsunternehmen in der Bundesrepublik diese Minister Höflichkeitsbesuche gemacht haben und welche Waffensysteme ihnen dort höflichkeitshalber vorgeführt worden sind?
Ich werde Ihnen das mit der gebotenen Höflichkeit so bald wie möglich zuleiten.
Dann schaffen wir wohl Ihre zweite Frage jetzt nicht mehr. Oder ist die Beantwortung kurz? Dann könnte ich sie gerade eben noch aufrufen.
Ja, die Antwort ist sehr kurz, Herr Präsident.
Ich rufe dann noch die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
In welchem Zusammenhang standen diese Besuche mit der vom Bundeskanzler mit Saudi-Arabien vereinbarten Zusammenarbeit in Fragen des Verteidigungsbereichs?
Zwischen diesen Besuchen und der Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien im Verteidigungsbereich besteht kein Zusammenhang.
Zusatzfrage?
An sich schon, aber die Zeit ist abgelaufen, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, dann sind wir am Ende der Fragestunde. Die nicht aufgerufenen Fragen werden soweit sie nicht vom Fragesteller zurückgezogen worden sind*), schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke Herrn Staatsminister Möllemann für die Beantwortung der Fragen aus dem Bereich des Auswärtigen Amtes.
Wir setzen die Beratung des Punktes 3 unserer Tagesordnung fort: Anwendung der Mikroelektronik - Drucksache 10/545. Als nächster hat der Abgeordnete Maaß das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Steger, ich weiß, daß Sie diesen Antrag der SPD sehr intensiv begründet und vorgetragen haben. Ich habe Ihnen auch sehr interessiert und mit sehr viel Spaß zugehört. Nur, ich hatte den Eindruck, daß Sie das Manuskript verwechselt haben, daß das eher geeignet war, vor einer erlauchten Gesellschaft einen Festvortrag zu halten. Ich habe nur relativ wenig von dem vernommen, was Sie eigentlich sagen wollten, nämlich zu dem Antrag Ihrer Fraktion.
({0})
- Darauf komme ich gleich noch zurück.
Meine Damen und Herren, ich beglückwünsche die SPD zu einer Erkenntnis: Sie sagt ein klares Ja zur Mikroelektronik und zur Informationstechnik.
({1})
- Jetzt kommt schon das Wenn und Aber. Sehen Sie, Herr Catenhusen, das macht mich sehr, sehr skeptisch. Es sind mir zu viele Aber dabei. Auf der einen Seite sagen Sie ja, auf der anderen Seite verfangen Sie sich sofort wieder in Ihren ideologischen Fallstricken und erreichen genau das nicht, was Sie in der Öffentlichkeit bekunden. Sie sagen ja und wollen damit technologischen Fortschritt. Sie sagen j a und wollen wirtschaftlichen Fortschritt. Wenn Sie jedoch „ja aber" oder „nein aber" sagen, muß ich - es tut mir leid - daraus entnehmen, Sie wollen beides nicht. Das bedeutet nämlich technischen Stillstand, wirtschaftlichen Stillstand. Wer aber mit technologischem und wirtschaftlichem Stillstand
*) Die Frage 74 des Abg. Jäger ({2}) ist zurückgezogen worden.
flirtet, muß es sich gefallen lassen, daß er von der Arbeitslosigkeit geheiratet wird. Das wollte ich Ihnen nur sagen.
Aber lassen Sie mich Ihren Antrag jetzt einmal in Einzelheiten durchleuchten.
Erstens. Ihr Antrag läßt, wie ich schon sagte, ohne Abstriche erkennen, daß Sie die Notwendigkeit des Einsatzes moderner Informationstechnologien und auch der Mikroelektronik akzeptieren. Darin sind wir uns also einig. Auch darin sind wir uns einig, daß unserer Marktwirtschaft eine soziale Verpflichtung beinhaltet, die alle wirtschaftlich und politisch Handelnden zwingt, erkannte und erkennbare Folgen dieser Techniken rechtzeitig zu bedenken. Sie zwingt uns auch, dafür Sorge zu tragen, daß unsere Wirtschaft ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit behält und steigern kann, damit Wohlstand und vor allem soziale Sicherheit dauerhaft gesichert werden können. Trotzdem und gerade deshalb kann ich Ihre wirtschaftpolitischen Aussagen nicht mitübernehmen.
Zweitens. Wir leben in einer wettbewerbsorientierten Wirtschaftsordnung. Sie ist uns nicht aufgezwungen worden. Die Bürger haben sie frei gewählt. Da Wettbewerb ein Grundprinzip unserer Wirtschaftsordnung ist, sind Rationalisierungen, Automatisierungen durch Computer, Mikroelektronik systemimmanente Bestandteile. Sie bringen Leistungsverbesserungen, Kostensenkungen und eine humanere Arbeitswelt.
({3})
Auch darin sind wir uns einig. Das glaube ich j eden-falls.
Daraus folgt aber auch, daß wir - ich meine jetzt nicht nur die Mitglieder dieses Hohen Hauses, sondern auch die zuständigen Ministerien, aber auch die Wirtschaft selbst - endlich wegkommen müssen von einer ängstlichen und passiven Haltung gegenüber diesen Entwicklungen. Diese Haltung führt nämlich dazu, daß notwendige Entscheidungen nicht rechtzeitig getroffen werden können, wesentliche technologische Entwicklungen nicht in Gang kommen und existentielle Marktanteile verlorengehen.
Am Ende dieser Kette stehen zwangsläufig Subventionen; siehe Stahl, siehe Werften. Sie verdekken Folgen zu später Erkenntnis zwar für eine Weile, aber nicht auf Dauer. Die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft werden dann um so tiefgreifender und nachhaltiger sein. Was aber sollte uns alle daran hindern, Fehler der Vergangenheit bei zukünftigen Maßnahmen zu berücksichtigen?
Die Fehler liegen auf der Hand. Zu lange hat staatliche Forschungspolitik darauf vertraut, große Firmen seien innovativer als mittelständische Unternehmen. Das führte zwangsläufig dazu, daß eine Konsensbildung zwischen großen und mittelständischen Unternehmen und damit notwendige Kooperationen kaum erreicht werden konnten. Wenn der Kollege Steger sagt „Wir haben das von Herrn Stoltenberg aus dem Jahre 1968 übernommen", bedeutet das im Grunde ein Armutszeugnis, daß Sie dieses Problem 13 Jahre lang nicht erkannt haben. Das ist höchst bedauerlich.
Fördermaßnahmen haben sich immer auf den F + E-Bereich beschränkt. Maßnahmen mit großer Breitenwirkung wie beispielsweise innovative Beschaffungsstrategien der öffentlichen Hand und Verbesserung der wirtschafts- und forschungspolitischen Rahmenbedingungen wurden hingegen nicht ergriffen.
Zu spät wurde erkannt, daß der Markt der Bundesrepublik Deutschland zur Erreichung technologischer und wirtschaftspolitischer Ziele zu klein war; siehe DV-Förderung. Dieser Fehler ergibt sich aus dem vorher geschilderten Versagen, denn die Industrie benötigt die Erfahrung und die Referenz aus dem nationalen Markt, um sich international durchsetzen zu können.
Drittens. Die Bewältigung der Probleme, wie sie durch den Antrag der SPD erkennbar werden, werden wir nicht schaffen, wenn wir - wie bisher - aus Mangel an Entschiedenheit und Mut versuchen, zwei Dinge gleichzeitig zu erreichen: einmal die Erhaltung strukturgefährdeter Industrien durch ständig steigende Subventionen und zum anderen die Förderung zukunftsorientierter Industrien. Deshalb muß eine Aktivstrategie nach meiner Einschätzung die folgenden drei Ziele setzen - hier stimme ich, Herr Steger, mit den Zitaten, die Sie von Herrn Luft übernommen haben, voll überein -:
a) Erarbeitung einer eigenständigen Technologiebasis in der Bundesrepublik Deutschland durch Kooperation aller auf dem Gebiet der Mikroelektronik tätigen Forschungsinstitute und Halbleiterhersteller, denn nur mit vereinten Kräften wird es uns gelingen, sowohl in der technologischen Spitze als auch in der technologischen Breite die ,erforderlichen Fortschritte zu erreichen; dazu gehört auch die Erarbeitung entsprechender Entwurfshilfsmittel ({4}), um eine schnelle und preiswerte Versorgung der Anwender zu ermöglichen:
b) Erreichung einer international wettbewerbsfähigen nationalen Halbleiterindustrie, die nicht nur einen höheren Anteil am nationalen Markt erobert, sondern auch über eine befriedigende weltweite Vermarktung die erforderliche Basis für zunehmend höhere Investitionen auf diesem Gebiet erhält;
c) Durchsetzung einer schnelleren und breiteren Anwendung der Mikroelektronik in allen Bereichen der deutschen Volkswirtschaft, vom produzierenden Gewerbe über die Dienstleistungen bis hin zur Ausbildung.
Meine Damen und Herren, wer nicht bereit ist, das mitzumachen und diesen technologischen Schritt zu vollziehen,
({5})
den wird der Markt ausscheiden, und die Folgen werden katastrophal sein.
({6})
Um diese Breitenwirkung zu erzielen, bedarf es einer großangelegten Aufklärung. Das heißt, potentielle Anwender verschiedenster Branchen müssen problembewußt gemacht werden, und gleichzeitig müssen die Chancen der Mikroelektronik auch unseren Bürgern aufgezeigt werden. Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften müssen hier nach der Devise „aufklären, nicht Angst machen" ihren Beitrag leisten.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf einen Punkt eingehen. Es ist zu überlegen, ob es unter Berücksichtigung der beschränkten nationalen Ressourcen sinnvoll und machbar ist, den Wettlauf der Giganten USA und Japan auf dem Gebiet der hochintegrierten Speicherbausteine - ich meine den 256-K-Chip und größere Einheiten - voll mitzumachen, oder ob es nicht klüger ist, uns auf unsere eigentliche Stärke und Kreativität auf dem Gebiet der Systemanwendung in weiten Bereichen der Volkswirtschaft zu konzentrieren. Mit diesen Systemanwendungen haben wir die Möglichkeit, für viele Branchen einen Wettbewerbsvorteil zu erreichen und eine international führende Markt- und Technologieposition aufzubauen, die uns gegenüber den Giganten der hochintegrierten Speicherbausteine zu einem ebenbürtigen Partner werden läßt und uns dabei hilft, nicht in technologische Abhängigkeit zu geraten.
Viertens. Um diese genannten Ziele zu erreichen und die Maßnahmen noch wirkungsvoller zu gestalten, bedarf es folgender flankierender Aktivitäten:
a) Um die notwendige Konsensbildung von Wirtschaft und Wissenschaft und die daraus erwachsende enge Zusammenarbeit von Forschung, Halbleiterherstellern und Anwendern zu erreichen, muß eine geeignete Organisation gefunden werden, die im Vorfeld des Wettbewerbs koordinierend tätig wird.
b) Die öffentliche Hand muß mit ihrer großen Nachfragemacht durch innovationsfreundliche Beschaffungen und Pilotvorhaben helfen, Innovationshemmnisse abzubauen und der Industrie zu Präferenzen für ihre Exportanstrengungen zu verhelfen.
c) Da der Binnenmarkt der Bundesrepublik Deutschland keine ausreichende Basis für die erforderlichen hohen Investitionen darstellt, ist die Politik aufgerufen, die notwendigen Voraussetzungen zum Abbau von Handelshemmnissen auch außerhalb der Grenzen Europas zu schaffen.
d) Eine beschleunigte Durchdringung der Volkswirtschaft mit Mikroelektronik hängt maßgeblich von besser qualifizierten Fachkräften ab.
({7})
Es ist deshalb notwendig, sowohl bei der Ausbildung junger Leute als auch in der Weiterbildung der Berufstätigen hierfür die Voraussetzung und Aufgeschlossenheit zu schaffen.
({8})
e) Die wirtschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen müssen so gestaltet werden, daß
Innovationen und innovative Existenzgründung gefördert werden können. Ein wichtiger Faktor hierzu ist die Bereitstellung von Risikokapital.
Fünftens. Wenn Sie, meine Damen und Herren, in Ihrem Antrag auch ein Ja zu diesen Technologien sagen, die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, muß ich aber grundsätzlich ablehnen. Sie fordern z. B. gesetzliche Maßnahmen, die durch Informationstechnik möglich erscheinende Auslagerung von Arbeitsplätzen zu verhindern. Das hat doch auch eine positive Seite. Auch in der Dezentralisation sollten wir unsere Chance suchen. Wenn so etwas eintritt, wenn ein Regelungsbedarf da ist, dann sollten wir ihm nachkommen, aber nicht heute überlegen, was übermorgen passieren kann. Meine Damen und Herren, Sie fordern, durch den Einsatz von Informationstechniken gewonnene Produktivitätssteigerung in eine Verkürzung der Arbeitszeiten umzusetzen. Ich habe meine Zweifel, ob das der richtige Weg ist. Einmal werden wir dadurch vielen Firmen, die ihre Produktionskapazität nicht ausgelastet haben, aber dennoch die Mitarbeiter aus sozialen oder anderen Gründen nicht entlassen, die Möglichkeit geben, die Arbeitszeit zu verkürzen, ohne daß sie gezwungen sind, neue Arbeitskräfte einzustellen, zum anderen meine ich, daß eine Kompensation der Arbeitsmarktfolgen neuer Informationstechniken durch eine Arbeitszeitverkürzung überhaupt nicht weiterhelfen wird, wenn wir nicht gleichzeitig die Innovationsbereitschaft der deutschen Industrie steigern. Nur so können wir auf Dauer neue Arbeitsplätze in neuen Industriebereichen schaffen.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihrem Antrag nur entnehmen, Sie wollen Verbotstafeln aufstellen, wo noch nichts zu verbieten ist. Sie wollen lokale Erkrankungen wie Weltepidemien behandeln. Sie unterstellen, daß die Einstellung neuer Technologien zu Arbeitsplatzverlusten führt. Das stimmt, das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Wenn Sie sich umsehen: in allen innovativen Prozessen werden neue, bessere Arbeitsplätze geschaffen. Ein Beispiel ist Kalifornien. In den letzten zehn Jahren sind dort 4 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Das ist Vorwärtsstrategie.
({9})
Sie nehmen die neuen Technologien zum Vorwand, wirtschaftliches Handeln in ein Korsett von Bürokratie und Bevormundung zu stecken. Sie nehmen Technik und Innovation zum Vorwand, gewerkschaftliche Mitbestimmung über das Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsgesetz hinaus auszudehnen. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, so argumentieren, wollen Sie letztlich keinen technischen Fortschritt, damit auch keinen wirtschaftlichen Fortschritt
({10})
und setzen damit soziale Sicherheit und Wohlstand aufs Spiel. - Besten Dank.
({11})
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist Herr Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier heute über den Antrag der SPD betreffend Anwendung der Mikroelektronik zu diskutieren. Ich bin den Kollegen von der SPD-Fraktion außerordentlich dankbar dafür, daß sie uns mit ihrem Antrag die Möglichkeit gegeben haben, erneut über dieses Thema zu diskutieren und damit eine breite und umfassende Diskussion zu eröffnen. Aber die Ambivalenz der Technik spiegelt sich in der Ambivalenz des Antrages wider. Ich muß das einmal so feststellen. Ich will es einmal ein bißchen spaßig ausdrükken: Erst wollen Sie den Kuchen einfrieren, und dann wollen Sie ihn essen. Ich warne davor, Sie könnten sich dabei eine ganz gewaltige Magenverstimmung holen.
({0})
- Darüber können wir j a reden, Herr Catenhusen. Aber ob Sie derjenige sind, der uns hier das richtige Kochbuch vorlegen kann, wage ich zu bezweifeln.
({1})
Wir haben auch die Ambivalenz in der Argumentation festzustellen.
({2})
- Darauf komme ich später noch, Herr Steger.
Sie behaupten einmal, es werde zuwenig getan, und zum anderen, habe ich den Eindruck, beklagen Sie, daß zuviel getan werde. Und wir hören auch aus der Industrie, Herr Kollege Maaß, daß zuwenig getan werde, daß es zuwenig vorangehe.
Ich habe hier die „VDI-Nachrichten" zur Eröffnung der Interkama, die am Dienstag erfolgte. Da steht dann im Fettdruck:
Die Mikroelektronik hat bei der Prozeß- und Fertigungsautomatisierung sowie in der Meßtechnik in den letzten Jahren einen Innovationsschub ausgelöst, der hinsichtlich seines Umfangs, seiner Geschwindigkeit und seiner Auswirkungen beeindruckend ist.
Beteiligt daran war nicht nur die ausländische Industrie. Man muß das hier einmal feststellen dürfen.
Ich möchte mich jetzt mit einigen Fragen auseinandersetzen, die nicht so unmittelbar auf den technischen Bereich abzielen. Sie, verehrte Kollegen von der SPD, formulieren zu Beginn Ihres Antrages:
Der gegenwärtige Stand bei der Entwicklung und Anwendung der Mikroelektronik und der mit ihr zusammenhängenden Technologien erlauben keine zuverlässige Vorausschau über alle Veränderungen unseres wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens durch diese Querschnittstechnologie.
Und anschließend sprechen Sie von der Gefahr der
Arbeitsplatzvernichtung. Aber auch internationale
Organisationen wie die UNESCO und die OECD
kommen bei ihren Untersuchungen zu dem Schluß, ohne Willkür seien keine quantitativen Angaben über die Vernichtung von Arbeitsplätzen zu machen.
Wir haben vor einigen Jahren den Streik im Druckgewerbe gehabt, als die Textverarbeitung mittels Bildschirmarbeitsplätzen eingeführt wurde. Damals wurde davon ausgegangen, es würden viele Arbeitsplätze verlorengehen. Heute stellen wir fest, daß die Zahl der Arbeitsplätze im Druck- und Vervielfältigungsgewerbe nach und wegen der Einführung neuer Techniken rapide zugenommen hat. Es ist unbestritten, daß Berufsbilder verschwunden sind. Aber das war schon immer so. Das ist ein geschichtlich belegbarer Prozeß. Allein in den letzten Jahrzehnten ohne Mikroelektronik sind ganze Berufssparten auch in unserem Lande verschwunden. Darüber hat es keine politischen Debatten gegeben; ich habe darüber nie etwas gehört. Der Wechsel, der Wandel, hat sich still mit dem Strukturwandel und einer wirtschaftlichen Prosperität vollzogen, bei der ein großer Bedarf an Arbeitsplätzen bestand, so daß die Freisetzungen hier nicht als schmerzhaft empfunden wurden.
Wir haben uns mit diesem Problem in einer wirtschaftlichen Situation auseinanderzusetzen, in der hohe Arbeitslosigkeit zu beklagen ist. Aber diese hohe Arbeitslosigkeit ist doch nicht wegen neuer Technologien entstanden - muß ich doch einmal feststellen; denn die höchsten Arbeitslosenquoten haben wir in den Gebieten, deren Wirtschaftstätigkeit nach wie vor auf traditionelle Strukturen abgestützt ist, siehe das Ruhrgebiet, siehe das Saarland.
({3})
Die geringste Arbeitslosenquote haben wir beispielsweise im süddeutschen Raum, in Baden-Württemberg.
({4})
Lassen Sie sich nicht stören, Herr Laermann. Das erledigen unsere Ordner.
Wir haben in bezug auf die Mikroelektronik und ihre Anwendung zweifellos festzustellen, daß ihre Einführung auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat und haben wird. Daß sie zu Arbeitszeitverkürzungen führen kann, schließe ich gar nicht aus. Sie eröffnet andererseits aber auch Möglichkeiten zu mehr Teilzeitbeschäftigung. Sie eröffnet Möglichkeiten, zu anderen Arbeitsstrukturen zu finden, z. B. durch Dezentralisierung der Entscheidungskompetenzen und indem die Voraussetzungen für mehr Heimarbeit geschaffen werden.
Natürlich verstehe ich die Bedenken der Gewerkschaften, die negative Auswirkungen auf die soziale Absicherung, auf die Mitbestimmung und auf das Betriebsverfassungsgesetz erwarten. Aber, meine Damen und Herren, das muß doch nicht sein. Das muß doch keine negativen Auswirkungen auf diese Mitbestimmungsinstrumentarien haben. Es ist eine politische Aufgabe und auch eine Aufgabe der TaDr.-Ing. Laermann
rifparteien, hier Regelungen zu finden - und ich bin zuversichtlich, daß man sie finden wird -,
({0}) die diese Bedenken gegenstandslos machen.
Im Zusammenhang mit dem Ausbau von Kommunikationsnetzen - wir haben heute morgen darüber diskutiert - wird die Frage gestellt, ob denn diese neuen Techniken oder Technologien zur Vereinsamung, zum Verlust an zwischenmenschlicher Kommunikation führen könnten. Ich sehe diese Gefahr überhaupt nicht. Im Gegenteil: Durch die Freistellung von monotoner, stumpfsinniger Arbeit und Arbeitsprozessen besteht eine wesentlich größere Möglichkeit zu zwischenmenschlicher Kommunikation, zu gemeinsamen Besprechungen von Problemen auch im Arbeitsprozeß, weil die Knochenarbeit sozusagen der Automat macht und man selbst nicht mehr damit befaßt wird.
({1})
Ich habe seit 30 Jahren Erfahrung im Umgang mit neuen technischen Medien. Wir haben heute mehr Arbeit und mehr Beschäftigte, als wir seinerzeit hatten. Wir haben heute mehr Kommunikation und kreatives, eigenständiges Arbeiten und Arbeitsmöglichkeiten, als wir früher hatten. Ich bin gerne bereit, Ihnen das einmal im einzelnen darzulegen und Sie von dem zu überzeugen, was auf diesem Gebiet möglich ist.
Nun haben Sie auch darauf abgehoben, wie es im Betrieb aussieht. Auch da verstehe ich zum Teil den Widerstand gegen Industrieroboter. Aber der Kollege Steger hat heute morgen auf Japan abgehoben und gesagt, die Japaner verfolgten eine Exportstrategie, die auf Vernichtung ganzer Industriestrukturen gerichtet sei. Kann ich daraus entnehmen, daß der Kollege Steger nachdrücklich für den Einsatz von Industrierobotern in unserem Lande ist, so wie das in Japan geschieht? Warum hat Japan auf dem Gebiet neuer Technologien einen solchen Vorsprung?
Während wir noch über alle möglichen Bedenken und Gefährdungen diskutieren - man müsse das untersuchen -, ist dort die Einführung dieser Technologien im Zusammenwirken mit den Gewerkschaften und mit den Vertretern der Arbeitnehmer in den Betrieben problemlos über die Bühne gegangen. Das müssen wir auch einmal berücksichtigen, wenn wir über diese Dinge reden.
({2})
- Ja, wir denken nach, und die machen das Geschäft, die erobern den Weltmarkt.
Gerade die Industrieroboter haben doch bisher einen ganz wesentlichen Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens geleistet. Wollen wir das verkennen? Wer weiß denn nicht - ich weiß es; das auch als Antwort an den Kollegen, der vorhin sagte, ich müsse einmal in die Betriebe gehen -, wie die Drahtzieherei früher aussah, als wir keine Roboter hatten? Wer weiß denn nicht, welch lebensgefährlicher Arbeitsplatz das war? Oder wer will es verantworten, wenn statt eines Roboters Menschen in gesundheitsgefährdenden Arbeitsbereichen eingesetzt werden, wo Dämpfe auftreten, die Sie auch mit Gas- und Schutzmasken nicht abwehren können, wie z. B. in der Lackiererei? Wer will etwas dagegen haben? Wer will etwas dagegen haben, wenn Roboter monotone Fließbandarbeit überflüssig machen?
Es wird davon gesprochen, daß Frauen durch den Einsatz dieser neuen Technologien am stärksten betroffen seien. Ich finde es gut, wenn Frauen, die leider Gottes vorwiegend die monotonen Arbeitsprozesse zu verrichten hatten, nunmehr entlastet werden, weil das Roboter machen. Dadurch erhalten sie die Möglichkeit, auch kreativere Arbeiten durchzuführen, in kreativeren Arbeitsprozessen eingesetzt zu werden.
({3})
- Entschuldigen Sie, sie werden doch nicht nach Hause geschickt. Es gibt viele Gebiete im Bereich der öffentlichen Hand, wo sie eingesetzt werden könnten. Wir könnten beispielsweise in dem Bereich, in dem ich tätig bin, mehr Schreibkräfte, mehr Bürokräfte einsetzen, als uns nach den Etatplänen zugebilligt werden. Deswegen müssen hochqualifizierte wissenschaftliche Arbeitskräfte, Wissenschaftler die Arbeit machen. Ich will nicht sagen, daß diese Arbeiten stumpfsinnig sind, aber man sucht nach Möglichkeiten, um sie zu automatisieren, damit die Arbeitnehmer nicht selbst stundenlang am Reißbrett stehen oder die Schreibmaschine bedienen müssen. Da könnten wir z. B. auch noch zusätzliche Arbeitskräfte einsetzen.
Aber wir müssen auch auf den internationalen Wettbewerb abheben. Wenn wir bei diesen Entwicklungen nicht mithalten, stehen wir in Kürze zwangsläufig vor dem Problem, noch mehr Arbeitsplätze zu gefährden. Wir werden schlecht dastehen, wenn wir keine Mikroelektronik haben, wenn wir in der Entwicklung von Sensoren, Aktoren nicht mitmachen, wenn wir keine Software entwickeln. Auch das muß man ja in dem Zusammenhang einmal sagen: Die Software ist heute unter Umständen viel wichtiger als die Hardware; denn darin steckt mehr Investitionskapital - in Zukunft wird das noch zunehmen - als in der Hardware.
Dann werden wir keine Roboter haben. Unsere Exportchancen für Produkte werden schlechter werden. Auch auf dem Binnenmarkt werden wir einem starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt sein durch steigende Importe ausländischer Produkte, die rationeller hergestellt werden und damit billiger sind. Die ausländische Konkurrenz wird davor nicht zurückscheuen. Wir können unsere Märkte nicht abschotten.
Ich sage noch einmal: Die hohe, die zu hohe Arbeitslosigkeit, die wir derzeit zu beklagen haben, ist nicht durch die Rationalisierung entstanden; aber ohne Rationalisierung wäre sie, dessen bin ich sicher, noch viel höher. Hier müssen wir substituieren. Wir dürfen die positiven Wirkungen der neuen Technologien nicht immer in den Schatten
stellen. Denken Sie an den Einsatz der Mikroprozessoren im Automobilbau oder bei der Haustechnik. Heute morgen wurde das von der Frau Kollegin Reetz beklagt. Ich weiß nicht, was sie gegen umweltschonende Technologien hat, was sie gegen energiesparende Technologien hat, gegen Umweltschutztechnologien. Ich glaube, das kann doch nicht wahr sein. Wir können mit diesen Technologien einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung der Umwelt leisten.
({4})
Herr Abgeordneter Dr. Laermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Herr Laermann, wäre es nicht langsam an der Zeit, nachdem Sie minutenlang eindrucksvoll dargelegt haben, welche positiven Wirkungen diese neuen Techniken haben - ich stimme Ihnen in vielem zu -, auch ihre Gefahren darzustellen und gemeinsam mit uns darüber nachzudenken, wie man den Gefahren z. B. der steigenden Arbeitslosigkeit begegnet? Denn daß es nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile gibt, das wissen doch auch Sie.
({0})
Frau Kollegin Matthäus, ich darf Sie da etwas um Geduld bitten, ohne jetzt auf Ihre Frage direkt einzugehen.
({0})
- Danke für Ihr Verständnis.
({1})
- Herr Kollege Steger, als ich Sie heute morgen hörte, habe ich mich gefragt: Zu welchem Antrag redet er überhaupt? Jetzt sagen Sie mir, ich solle zu einem Antrag reden, den Sie hier nicht vertreten haben. Das finde ich ja nun komisch!
({2})
Sie können doch nicht mit Fug und Recht behaupten, daß sich der Bundeswirtschaftsminister gegen die Humanisierung wendet. Das können Sie doch wohl ernsthaft nicht behaupten. Sie können auch nicht behaupten, daß die Politik von Herrn Lambsdorff in bezug auf die Zukunftstechnologie diese dem Schicksal der Stahlindustrie ausliefere. Das können Sie doch nicht ernsthaft behaupten. Deshalb kann ich gar nicht ernsthaft auf diese Dinge eingehen, die Sie da vorgebracht haben. Ich habe Sie bisher für einen ernsthaften Menschen gehalten.
Ich darf fortfahren. Wir befinden uns in einer wichtigen evolutionären Phase. Die Geschwindigkeit der Entwicklung, die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Mikroelektronik, der Datenverarbeitung und den Kommunikationstechnologien sind für viele Bürger schwer durchschaubar. Auf der einen Seite ist es faszinierend. Das sehen wir z. B. an der starken Nachfrage nach Heim- und Personalcomputern. Wie ich höre, soll das der Renner der Saison werden. Die ganzen Dinge sind bei uns doch schon durch die Hintertür eingedrungen. Mehr und mehr Menschen befassen sich damit, wachsen damit auf. Von den Videorecordern will ich hier gar nicht sprechen.
({3})
Andererseits fühlen sich verständlicherweise viele Menschen verunsichert, weil sie nicht wissen: Wie wirkt sich das auf meinen Arbeitsplatz aus? Wie muß ich umlernen? Was kommt auf mich zu? Welche sonstigen Gefährdungen kommen auf mich zu?
Zweifellos werden Veränderungen vor sich gehen. Traditionelle Berufe werden verschwinden, wie in der Vergangenheit immer schon viele Berufsbilder verschwunden sind. Es werden zum Teil andere, höhere Qualifikationsanforderungen am Arbeitsplatz gestellt werden.
Deshalb halte ich es politisch gesehen für eine wichtige Aufgabe, daß wir uns Gedanken darüber machen, was wir eigentlich für diejenigen tun und tun können, die diese höheren Qualifikationsanforderungen nicht erfüllen können, was wir tun können, um ihnen auch noch befriedigende Arbeits- und Lebensinhalte zu sichern.
Es hätte eigentlich schon längst Konsequenzen in der Ausbildung auf allen Ebenen geben müssen: in den Schulen, in der Berufsausbildung, in den Fachhochschulen und auch in den Universitäten. Ich möchte hier anmerken, daß ich den Eindruck habe, daß sich zur Zeit die Situation zu bessern beginnt. Ich nehme mit Befriedigung zur Kenntnis, daß in den Lehrplänen der Schulen in Nordrhein-Westfalen die Informatik auftaucht, daß Terminals aufgestellt und Computer eingerichtet wurden. Die jungen Menschen wachsen mit dieser Technik heran.
Wir haben heute einen Mangel an Fachkräften in der Entwicklung und der Anwendung der Mikroelektronik zu verzeichnen, der vom VDI-Technologiezentrum auf über 500 000 Personen geschätzt wird. Es wäre in dieser Situation geradezu unverantwortlich, wenn für das Studienfach Informatik wegen des hinter der Nachfrage zurückgebliebenen Ausbaus der Kapazitäten der Numerus clausus eingeführt würde.
({4})
Auch hier ist dringend politisches Handeln geboten.
Nun wird die Frage aufgeworfen - Frau Kollegin Matthäus-Maier hat mich freundlicherweise daran erinnert, und heute morgen tauchte die Frage ebenfalls schon auf -, ob denn diese Entwicklung in den Informationstechniken - ob denn die Mikroprozessortechnik und das alles gehört in den größeren Zusammenhang gestellt - hin zu unüberschaubaren komplexen Informationssystemen, zur informierten Gesellschaft überhaupt vertretbar sei und ob es nach dem Prinzip „Nicht alles, was technisch machbar ist, sollte oder muß gemacht werden" nicht
richtiger sei, solche Innovationen zu verhindern, und ob denn nicht die Gefahr bestehe, daß solche gewaltigen allumfassenden Kommunikationssysteme zu einer Entmachtung der gesellschaftlichen und politischen Prozesse führen könnten, und ob nicht die Vision des Big Brother aus Orwells „1984" Realität zu werden drohe. Ich bin zuversichtlich, daß wir politische und auch technische und administrative Lösungen finden, die diese denkbaren Gefahren abwenden. Ich bin deshalb zuversichtlich, weil wir die Gefahren erkannt haben und von da aufgerufen sind, uns zu bemühen, sobald nachteilige Wirkungen erkennbar sind und sich abzeichnen, die notwendigen Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Dazu gehört das Problem des Datenschutzes. Das wird mit solchen vernetzten Systemen nicht einfacher, wenn man noch die internationale Satellitenkommunikation hinzunimmt. Computerkriminalität ist abzuwehren. Da ist es doch der Mühe wert, einmal darüber nachzudenken, ob nicht etwa, sowie es den Fahrtenschreiber in jedem Lkw gibt, jede größere Datenbank und jeder Computer mit einem plombierten Fahrtenschreiber versehen werden sollten,
({5})
der es ermöglicht, zu kontrollieren, welche größeren Datenmengen wann wohin bewegt worden sind.
Ich habe, wie gesagt, Zuversicht, daß wir den Gefahren, die sich da abzuzeichnen beginnen, begegnen können, und ich bin auch zuversichtlich, daß im Gegensatz zu der gegenwärtigen Situation eine jetzt heranwachsende Generation, obwohl vielfach in den Schulen der Versuch zur Verbreitung von Technologiefeindlichkeit unternommen wird, wie selbstverständlich mit diesen neuen Entwicklungen heranwächst und sie ohne Furcht zu handhaben und zu beherrschen wissen wird: als nützliches Instrument zur Verbesserung der Lebensbedingungen.
Ich konnte und wollte nur einige Schwerpunkte ansprechen, und ich konnte sie nur anreißen. Ich wollte deutlich machen, mit welchen politischen Fragen wir uns hier zu beschäftigen haben. Ich bin nicht der Auffassung, daß es das Parlament interessiert, ob wir 128 kbit oder welche Speicherdichte auch immer auf einem Chip haben. Das ist nicht unser Problem. Wir haben andere, schwerpunktmäßig politische Probleme, mit denen wir uns hier auseinanderzusetzen haben.
Deswegen sage ich: In bezug auf viele, ja - Herr Kollege Steger, Sie werden überrascht sein - auf die meisten Punkte Ihres Antrags habe ich gar keine Akzeptanzprobleme, mich damit auseinanderzusetzen.
({6})
Ich halte es auch für nützlich, daß wir darüber zu einer sachorientierten nüchternen Beratung in den Ausschüssen kommen. Wir sollten dies - das ist meine Bitte hier - zügig tun.
Bei allen Überlegungen und Bedenken, die vernünftigerweise und notwendigerweise angestellt bzw. vorgebracht werden, darf nicht übersehen werden, daß auch bei noch so viel Zurückhaltung, ja selbst bei Abwehr und eventueller Unterdrückung von Entwicklung und Innovation auf dem Gebiet der Mikroprozessoren und damit verbundenen Techniken keine Möglichkeit besteht, die evolutionäre Entwicklung, von manchen als zweite industrielle Revolution bezeichnet, der Elektronik und daraus folgender neuer Informationstechniken weltweit aufzuhalten. Wir sollten unsere politische Aufgabe darin sehen, ihre Entwicklung zu fördern und unter gleichzeitiger Behandlung der Probleme, die zu einer Verunsicherung führen könnten, die Verunsicherung von den Bürgern unseres Landes wegzunehmen. Ich glaube, daß dies die wichtigste politische Aufgabe ist und daß wir dann auch im Hinblick auf unsere wirtschaftliche Entwicklung, nämlich intensivere Befassung mit der Einführung solcher neuer Technologien im Strukturwandelprozeß ({7})
- Ja, doch, Herr Kollege Fischer. Man muß sich nur ernsthaft damit beschäftigen und nicht auf der Grundlage von Emotionen an der Oberfläche bleiben. Da muß man schon etwas in die Tiefe gehen und sich die Mühe machen, die Dinge einmal ernsthaft auszuloten.
Ich hoffe, daß die Bereitschaft dazu bei allen Mitgliedern dieses Hauses vorhanden ist. Dann werden wir zukünftige strukturelle, wirtschaftliche Probleme lösen, wir werden die sozialen und gesellschaftlichen Probleme lösen, die Bedenken ausräumen können, und wir werden damit natürlich insgesamt, auch im Hinblick auf Ihre Ziele, denke ich, Umweltschonung und Ressourcenschonung, ein ganzes Stück weiterkommen.
Ich bedanke mich.
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Bard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD befaßt sich nur mit Problemen einer Technologie, die bereits schon lange Einzug in unsere Gesellschaft gehalten hat. Weichenstellungen für die Zukunft, Aufwerfen der Probleme, eine Diskussion, bevor diese Technik entwickelt ist, haben nicht stattgefunden.
Schon die Unterrichtung der alten Bundesregierung von 1982 stellt ziemlich lapidar fest - ich zitiere -:
Die wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Beherrschung der Mikroelektronik und der Informationstechniken in der Bundesrepublik ist die Schlüsselfrage für die Zukunft unseres Landes.
Es wird weiter festgestellt, daß verzögerte Anpassung Schwierigkeiten nicht löst, sondern allenfalls
vertagt und zu Krisen verschärft. Als Begleitmaßnahme tauchen dann noch die sozialen Probleme und Risiken auf.
In der Bewertung dieser Technologie haben nun die Parteien der großen Wende eine eiserne Kontinuität bewiesen.
({0})
Ich wollte jetzt eigentlich fortfahren und dieses Wortspiel beenden: während die SPD kleine Schritte zur politischen Wende macht. Nach der Rede von Herrn Steger heute mittag kann man das beim besten Willen nicht sagen.
Herr Maaß, Sie bauen hier Pappkameraden auf. Die Einschätzung der Mikroelektronik durch die CDU, die FDP und auch die SPD ist gleich. Sie unterscheidet sich nur in dem Punkt, wie wir mit den Folgen umgehen. Da ist der Unterschied.
({1}) Faktisch besteht hier eine große Koalition.
({2})
- Ich werde das gleich noch einmal erläutern; denn Sie gehen an das zentrale Problem überhaupt nicht heran.
Die Mikroelektronik ist nicht mit der Einführung früherer Technologien, wie der Dampfmaschine, vergleichbar. Es kommt auch nicht darauf an, nur die Strukturprobleme, die entstehen, heute quasi abzumildern. Die Mikroelektronik revolutioniert nicht ein, zwei, drei oder mehrere Produktionszweige, sie revolutioniert alle Produktionszweige. Darüber hinaus greift sie in die Dienstleistungen ein, der ganze Bereich der Verwaltung, der Büros wird betroffen, und sie greift in die privaten zwischenmenschlichen Beziehungen ein. Kurz, sie betrifft die gesamte gesellschaftliche Struktur.
({3})
- Wie können Sie dann behaupten, daß es sowieso klar ist, daß man die Mikroelektronik entwickeln muß und daß davon die Zukunft abhängt, ohne sich über die Folgen klar zu werden?
Dazu kommt noch die Tatsache, daß der Anstoß zu dieser Entwicklung aus der Rüstung kommt und sich nicht aus Bedürfnissen der Menschen entwikkelt, sich die Arbeit zu erleichtern. Diese ganze Problematik haben wir nicht im Griff, und das Interesse der „vollen" Regierungsbank zeigt sehr genau, wie stark dieses Problem überhaupt begriffen worden ist.
Statt dessen wird das Zauberwort „internationale Wettbewerbsfähigkeit" als Sachzwang benutzt, und die wird dann für die notwendige Computerisierung, Verdatung, Verkabelung unserer Gesellschaft verantwortlich gemacht. Die eventuellen sozialen Folgen sollen dann in einem Begleitsystem gelöst werden.
Ein zentraler Punkt ist sicher die Frage der Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen. Selbst wenn wir keine konkreten Aussagen zu der Frage machen können, Herr Laermann, wie viele Arbeitsplätze es kosten wird, so ist es doch klar, daß eine kapitalintensive Technik, wie die Mikroelektronik sie darstellt, die in alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens eindringt und Arbeitsplätze wegrationalisiert, niemals die gleiche Zahl von Arbeitsplätzen schaffen wird, die sie auf der anderen Seite vernichtet. Das tut sie besonders deswegen, weil ein Ausweichen wie bei früheren, ähnlichen technischen Umwandlungen in die Dienstgewerbebereiche nicht möglich ist. Das betrifft wieder die Frauen besonders hart, die in diesen Bereichen - z. B. in Büros - tätig sind.
Im übrigen halte ich es für einen reinen Kinderglauben, zu meinen, daß die Produktivitätserhöhung, auf die man so starrt, der einzige Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Markt sei. Langfristig ist nicht allein die Produktivitätssteigerung, sondern auch die Frage maßgebend, ob wir in der Lage sind, solche Technologien zu produzieren, die sozial und ökologisch vertretbar sind.
({4})
Das zweite ist die Auswirkung der Mikroelektronik auf die Arbeitsbedingungen selbst. Der starke Einfluß militärischer Zielsetzung erhöht nicht nur die Kriegsgefahr durch die zunehmende Komplexität von Frühwarnsystemen, die anfällig für Pannen und infolge der kurzen Warnzeiten anfällig auch für Fehlentscheidungen werden. Der militärische Einfluß wirkt sich auch durch die einfache Übernahme in den zivilen Bereich aus. Hierarchische Strukturen werden in die zivile Verwaltung übernommen. Es entstehen Kontrollpotentiale wie bei den Frühwarnsystemen und Fahndungsmethoden wie beim automatischen Raketenleitsystem. Technologiebedingte Überwachungsmöglichkeiten menschlicher Arbeit werden bis in den kleinsten Winkel der Betriebe möglich. Damit steht ein neuer Schub der Steigerung der Arbeitsintensität an.
Mikroelektronik kann sich in der Produktion und auch in der Verwaltung vor allem dort durchsetzen, wo die Arbeitsteilung bis in die Zerlegung kleinster Details fortgeschritten ist. Dem Menschen bleiben dann die Lücke im Produktionsprozeß, die der Computer noch nicht schließen kann, und die Kontrollfunktion.
An diesem Punkt setzen einige Schlaumeier an, die meinen, dieser Spielraum stelle die Überschaubarkeit der Arbeitszusammenhänge wieder her, und das sei eine Höherqualifizierung. Herr Laermann, das ist ein Irrtum. Die Praxis zeigt, daß das für eine Minderzahl neuer Arbeitsplätze zutrifft; da haben Sie recht. Aber für die Mehrzahl der Arbeitsplätze, vor allem für die Bildschirmarbeitsplätze in den Büros, bedeutet diese arbeitsteilungsbedingte Entwicklung weiterhin eine monotone, einseitige Arbeit. Das bedeutet Dequalifizierung.
({5})
- Das ist die Praxis. Ob es so sein muß, möchte auch ich bezweifeln. Ich kann mir vorstellen, daß man das mit einer Technologie genauso anders machen könnte.
Was ich noch wichtig finde, ist, daß man sich eines klarmachen muß: Man kann auch nicht von Arbeitserleichterung sprechen. Es wird nicht einfach eine Art der Belastung gegen eine andere ausgetauscht. Es geht nicht darum, körperliche Anstrengung durch irgendeine andere Anstrengung zu ersetzen, die man in den Griff kriegen könnte. Wir müssen uns darüber klar sein, daß bei den bisherigen Arbeitsbedingungen der Körper auf Überlastung mit bestimmten Warnzeichen reagieren kann: Müdigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten. Bezüglich der neuen Technologien verfügt der Körper über solche Fähigkeiten nicht. Schäden durch die Bildschirmarbeit treten oft sehr spät auf und sind dann sehr, sehr schwierig in den Griff zu bekommen.
Die Untersuchungen der sozialen Verträglichkeit der neuen Technologien, der Versuch, die Auswirkungen zu mildern - unter Einbeziehung der Betroffenen -, wie er in dem SPD-Antrag gefordert wird, sind längst überfällig. Alle, die in diesem Hause von der gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Technologien sprechen, sollten eigentlich davon ausgehen, daß man sich um diese Bedingungen kümmern muß. Aber selbst dann ist das Ganze nur ein Nachklappen. Erst entwickeln wir nach Marktgesetzen und Wettbewerb, und dann mildern wir soziale Folgen.
Ich möchte hier einen Aspekt in die Debatte bringen, der sich direkt mit dem Herzstück der neuen Technologie und vielleicht deren möglichen Folgen befaßt; es handelt sich um die Computerlogik selbst. Im Gegensatz zum menschlichen Gehirn arbeitet der Computer auf der Basis binärer Logik. Das heißt, alle Informationen werden im Dual-Code als eine Folge von Nullen und Einsen dargestellt. Das ist auch bei den höheren Programmiersprachen noch so, weil die computerinterne Übersetzung sogar die komplexesten Informationen in diese Wahr-und Falschelemente zerlegt. Was der Computer nicht kennt, ist das Abwägende dazwischen. Der Computer kennt keine Wertung, die der Mensch über seine Erfahrung und durch assoziatives Denken gewinnt; er kennt keine Emotionen. All dies gehört aber zum Erkennen unserer realen Außenwelt.
({6})
Der Computer kann also nur Erfahrungen verarbeiten und wiedergeben, die der Realität unvollständig entsprechen. Er schneidet Realität ab. Als Hilfsmittel mag der Computer daher gute Dienste leisten. Computergestützte Entscheidungen aber, wie sie angestrebt werden, enthalten genau die Gefahr, daß die Beurteilungskriterien durch diese Computerlogik verfälscht werden.
({7})
Besonders gefährlich wird das dann, wenn die Computerlogik selbst menschliches Denken zu beeinflussen beginnt und wir selbst anfangen, nach gleicher Logik zu denken.
An einem ganz banalen Beispiel - es hinkt wie alle Beispiele ein bißchen - will ich versuchen, Ihnen diesen Gedanken zu erläutern: an der Digitaluhr. Jeder kennt sie. Kinder lernen ihre Vorstellungen von Zeit an Hand von Uhren zu entwickeln. Die Zeigeruhr, die noch die Reste der ursprünglichen Zeitorientierung an der Kreisbahn der Sonne wiedergibt, indem der Zeiger herumläuft, vermittelt ein räumlich kontinuierliches Zeitverständnis von Wiederkehr und doch nicht Wiederkehr, weil der große Zeiger zwar einmal herum ist, aber der kleine inzwischen weitergerückt ist. Das gibt insgesamt eine sehr kontinuierliche räumliche Vorstellung von Raum und Zeit, worin wir uns bewegen. So lernen es die Kinder.
Für ein Kind, das mit einer Digitaluhr aufwächst, sieht es anders aus. Für ein solches Kind stellt sich Zeit dar als ein hektisches Springen von einem Punkt zum nächsten, wie eben die Digitalanzeige weiterläuft. Schon diese kleine Änderung kann die Vorstellungen unseres Kulturkreises von einem Leben in Raum und Zeit in einem wesentlichen Bereich verändern.
({8})
Ich denke, es ergeben sich folgende Konsequenzen. Computer sind als Hilfsmittel brauchbar, solange der Mensch Subjekt bleibt und Entscheidungsprozesse von ihm getroffen werden. Computerlogik darf nicht unser Denken beherrschen. Als Hilfsmittel für den Menschen gedacht, muß in die technologische Entwicklung von vornherein eingehen, was wir eigentlich wollen: ein flexibles Hilfsmittel für unsere Arbeit, unseren Umgang mit den Rohstoffen, unsere behutsame Nutzung der Natur. Nicht aber die Erhöhung der Produktivität darf alleiniger Maßstab dieser Entwicklung sein.
Erst mit diesen Zielvorgaben bereits im Ansatz einer Technikentwicklung werden wir eine qualitativ ganz andere Technologie bekommen: nicht erst die Folgen ändern, sondern in der Entwicklung selber müssen schon andere Maßstäbe gesetzt werden. In diese Richtung sollte auch staatliche Förderung zielen. In der jetzigen Forschungspolitik gibt es dazu keinerlei Ansatz.
Herr Steger, ich wäre Ihnen dankbar, wenn auch Sie sich vielleicht der Forderung anschließen könnten, daß nicht der Mensch sich an die Technik anpaßt, sondern daß die Technik dem Menschen und der Natur angepaßt wird.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gerne an die letzten Überlegungen der Frau Kollegin Bard anschließen. Ich glaube, wir sind sehr dabei, wenn Frau Bard sagt, Computerlogik darf nicht unser
Denken bestimmen. Ich glaube, wenn wir das ganze Feld, das wir heute diskutieren, nebeneinanderhalten, dann ist doch die Grundsatzfrage, wie wir eine Technik, die sich entwickelt, in einer vernünftigen Weise entwickeln und beherrschbar erhalten.
Nun hat Frau Bard darauf hingewiesen, in welchen Bereichen diese Technik gefährlich werden könnte. Ich möchte jetzt nur einmal drei Stichworte aufgreifen. Mein Eindruck war, daß Frau Bard ein mögliches negatives Szenario gezeigt hat. Meine These ist, daß es aber auch ein positives gibt. Was von beiden erreicht wird, hängt davon ab, wie wir die Technik gestalten, ob wir uns - um Ihre Worte zu übernehmen - einer Computerlogik unterwerfen oder in einer vernünftigen menschlichen und politischen Verantwortlichkeit Rahmenbedingungen für Technik setzen.
Hier nur als Stichwort: Sie nannten als erstes die Frage der Arbeitslosigkeit. Frau Bard, es ist durchaus offenkundig und wahr, daß durch den Einsatz von Computern, von Mikroprozessoren Arbeitsplätze freigesetzt werden können. Dies wäre eigentlich ein zentrales Thema, auf das ich nur deshalb nicht im einzelnen eingehe, weil ich meine Überlegungen dazu in der letzten Debatte zu diesem Thema am 24. November 1982 vorgetragen habe.
Aber in diesem Zusammenhang müssen wir uns zwei Fragen stellen. Erstens. Ist der Verlust von Arbeitsplätzen notwendig und immer eingetreten? Der Kollege Laermann hat das Beispiel aus der Druckereiindustrie angeführt. Ich erinnere mich daran, wie die Druckereigewerkschaften damals sagten, wir müssen streiken, weil die Arbeitsplätze verlorengehen. Zehn Jahre später haben wir in der Druckereiindustrie statt 170 000 200 000 Arbeitsplätze; in der Zeit ist diese neue Technik eingeführt worden.
In der Automobilindustrie haben Sie die gleiche Diskussion gehabt. Wir haben 1972 und 1982 gleich viele Automobile produziert. Die Zahl der Beschäftigten in der Automobilindustrie ist in beiden Jahren gleich, obwohl in dieser Zeit ein Riesenschub an Rationalisierung eingesetzt hat. Warum ist die Zahl gleichgeblieben? Weil wir komplexere, bessere und technisch höherwertige Automobile, die energiesparender, umweltfreundlicher und sicherer sind, „gezüchtet" haben.
Wenn wir die Zukunft prognostizieren, dann haben wir, was die Frage der Arbeitsmenge betrifft, im Grunde doch nur eine Alternative. Die eine Möglichkeit ist: Was passiert, wenn wir die Techniken einsetzen? Da haben wir durchaus die Chance, daß wir einen Zuwachs an neuen, zukunftssicheren Arbeitsplätzen kriegen.
({0})
Die andere Möglichkeit ist: Was passiert, wenn wir
sie nicht einsetzen? Dann wird ein Land, das 30%
seiner Arbeitsplätze auf dem Weltmarkt sichern
muß, nach kürzester Zeit in eine ausweglose Lage kommen, und dies können wir nicht verantworten.
({1})
Ich möchte das zweite nur als Stichwort ansprechen; ich will Disziplin üben und mich an die Zeit halten.
({2})
- Lieber Herr Steger, lassen Sie mich das hier jetzt zu Ende führen. Wir diskutieren darüber gern, mit Vergnügen im Ausschuß. Ich möchte versuchen, es ganz kurz zu machen. ({3})
Sie sprechen davon, daß die Struktur unserer Arbeit verändert werden könnte. Frau Kollegin Bard, es ist an uns, zu entscheiden, ob hier neue, strengere Hierarchien entstehen oder ob sich hier Chancen zur Dezentralität eröffnen, zur Dezentralität des Zugriffs auf Wissen, zu dezentralen Entscheidungen, zur Arbeit, die flexibel außerhalb der strengen, überkommenen industriellen Arbeitsorganisation läuft. Ob wir dies richtig machen, ist eine Frage unserer Entscheidung. Daß wir hierzu hervorragende Ansätze haben, sehen Sie heute schon an den Arbeitsstrukturen, die Großunternehmen eingeführt haben.
Sie sprechen von der Qualität der Arbeitsplätze. Natürlich besteht hier das Risiko, daß Arbeitsplätze stärker belastet werden. Aber sehen Sie sich bitte einmal an, welche Art von Arbeitsplätzen vor allem ersetzt worden ist. Es sind dies sehr monotone Arbeitsplätze, Arbeitsplätze mit hoher Belastung an Staub, Lärm und Hitze.
({4})
- Sie sagen: „Monotonie". Natürlich, wir müssen, wenn wir dies organisieren - auch dies gehört zu einer vernünftigen und verantwortungsvollen Organisation der Arbeit -, aufpassen, daß nicht Restarbeitsplätze übrigbleiben, die noch schlimmer sind als die vorherigen. Aber dies ist doch eine Frage unserer Gestaltung.
({5})
Das, wofür ich hier plädieren will, ist, nicht zu sagen, alles sei nur hoffnungslos schlimm und ausweglos. Wenn wir das tun, dann wird die Sache schon dadurch hoffnungslos schlimm und ausweglos werden. Wenn wir uns aber aufmachen, die Probleme zu gestalten, dann bin ich der Ansicht, daß sie lösbar sind.
Hier liegt nach meiner Meinung eine Chance in der Übereinstimmung über das Gewicht der Fragen. Herr Steger hat hier von den Lebens- und Arbeitsbedingungen, von den Exportchancen gesprochen; er hat von den Informationen gesprochen, die wir brauchen; er hat auch von dem Rückstand in wichtigen Bereichen gesprochen. Dies waren die Ausgangspunkte, auf Grund derer der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai festgestellt hat, daß wir hier nicht ein punktuelles Konzept auf einen einzelnen Bereich hin
vorlegen werden, sondern einen Datenverarbeitungsbericht, der die Probleme im Querschnitt so aufarbeitet, wie sie zusammengehören.
({6})
- Also, verehrter Herr Steger, ich finde es überhaupt erstaunlich, mit welcher Unbefangenheit Sie hier über Gegenwart und Vergangenheit sprechen.
({7})
Sie sprechen davon, daß die deutsche Industrie in einem schrecklichen Rückstand sei. Sie sprechen davon, daß wir so weit sind, daß wir die Märkte schließen müssen, um mit unserer Technik noch überleben zu können. Ja, wer hat denn in den vergangenen zehn Jahren Milliarden von Mark in die Technik hineingeschüttet und steht jetzt hier vor diesem Ergebnis, daß Sie so charakterisieren? Das waren doch nicht wir, das waren doch Sie gewesen. Also lassen Sie uns doch mal gemeinsam das Problem lösen und nicht so tun, als ob Sie jetzt mit neuer Jungfräulichkeit hier gerade erst geboren worden wären und etwas beurteilten, wofür Sie keine Verantwortung gehabt haben.
({8})
- Was die Industrie betrifft, da muß ich Ihnen wirklich sagen: daß wir hier in einigen Bereichen im Rückstand sind, das weiß ich wie Sie. Was das für Gründe hat, darüber haben wir im Ausschuß gesprochen. Ich habe mir erlaubt, eine behutsame Andeutung zu machen.
Aber ich möchte auch eines genauso dazu sagen. Ich halte es für eine miserable Angelegenheit, daß ständig so diskutiert wird, als ob die Japaner uns hoffnungslos überlegen seien und wir überhaupt keine Chance mehr hätten, in irgendwelchen Märkten zu bestehen.
({9})
Gehen Sie mal auf die Interkama. Schauen Sie mal diese große Ausstellung, die große Messe für Automatisierung, für Meß- und Regeltechnik. Schauen Sie mal an, was für exzellente Produkte da sind. Schauen Sie mal, daß wir damit bestehen können. In dem Moment, wo Sie die Politik so anlegen, daß Sie sagen: uns bleibt nur noch eine zeitweilige Schließung der Märkte, dann kriegen Sie einen Schonpark für die deutsche Industrie, bei der diese zweitklassig wird, und zwar auf die Dauer. Wir brauchen offene Märkte, und davon leben wir. Darin wird sich die Industrie bewähren, und nur damit kann sie sich bewähren.
({10})
Wir müssen hier im Querschnitt und an vielen Bereichen herangehen. Es wurde darüber gesprochen, wo neues Wissen herkommt. Das kommt in einigen Bereichen natürlich von den großen Unternehmen, von den Großkonzernen. Aber es kommt natürlich auch von vielen neugegründeten kleinen Unternehmen. Daß wir die nicht in dem Umfang haben, daß Mut und Erfindungsgeist und Unternehmungskraft des einzelnen in den vergangenen Jahren offenkundig nicht überall ermutigt worden sind, das ist doch einer der Punkte. Wenn wir hier ansetzen mit unserem Programm zu technologieorientierten Unternehmensgründungen, dann nicht deshalb, weil wir hier von Staats wegen gründen wollen, sondern deshalb, weil wir lernen wollen, wie der Umgang mit Risikokapital, mit neuer Technik ist. Die Banken sollen nicht einfach nur einen neuen Schalter einrichten, mit dem sie wieder die Vergangenheit beleihen - darin sind sie gut -, sondern sie sollen versuchen, sich ein Urteil über neue Techniken zu verschaffen, über neue Techniken, die künftige Märkte erst schaffen, und darüber, wie sie ihr Geld auf Chancen setzen können.
Wir müssen ansetzen bei der Frage der Innovation und innovativen Beschaffung. Der Kollege Maaß hat zu Recht darauf hingewiesen. Wir haben in der Vergangenheit in der Verdingungsordnung für Leistungen immer Vorschriften gehabt, die bewährte Produkte bewährter Anbieter bevorzugen. Der Schub der öffentlichen Nachfrage - die VOL hat durchaus kameralistisch wohlerwogene Gründe - muß eben auch in neue Techniken geleitet werden.
Wir müssen - auch dies gehört zu der Arbeit im Querschnitt - eine vernünftige öffentliche Diskussion bekommen, in der ehrlich die Chancen und Risiken auseinandergesetzt werden. Natürlich gehört das dazu. Einige Punkte habe ich in der Antwort auf die Frau Kollegin Bard aufzugreifen versucht. Wir müssen in unseren Ausbildungssystemen - und da sind wir auf einen intensiven Kontakt mit den Ländern angewiesen - den jungen Leuten schon in der Schule selbstverständlich machen, was diese neuen Techniken für Möglichkeiten und für Chancen bieten.
({11})
Sie müssen spielerisch damit umgehen können. Sie sollen nicht darauf getrimmt werden, sondern sie müssen wissen, was man da tun kann und daß die Chance gegeben ist, kreativ zu gestalten. Haben Sie mal wirklich ein Kind gesehen, Herr Kollege, ein Kind so von zehn, zwölf Jahren, das anfängt, Computergrafiken zu entwickeln, und sich daran freut, was es hier gestaltet, und das etwas weiterentwikkelt, weil es verstanden hat, wie es mit Strukturen umgehen soll?
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Wir müssen im Querschnitt an den unterschiedlichsten Bereichen ansetzen. Nur dann, wenn wir dies in einer vernünftigen Weise tun, werden wir diesen Bereich aufarbeiten. Der Postminister hat darüber gesprochen, was für Voraussetzungen die Post hier zu schaffen hat, was sie an Infrastrukturen zu schaffen hat, wo die Kabelnetze physisch vorhanden sein müssen, wodurch Industriechancen erst entstehen. Wenn Sie kein Kabelnetz haben, können Sie keine Endgeräte verkaufen. Wenn Sie eine Verkabelung verzögern, dann werden Sie in einigen Jahren die Kabelnetze haben, dann werden Sie Endgeräte bekommen, exzellente Endgeräte aus großen Serien, aber nicht aus deutscher Produktion, sondern aus japanischer Produktion. Dies
kann doch nicht das Ziel einer deutschen Industriepolitik sein. Wir müssen Industriestrukturen schaffen, wir müssen Kabelnetze schaffen. Wir müssen die Normen und die Standards schaffen. Wir müssen einen gemeinsamen europäischen Markt schaffen, bei dem die nationalen Grenzen niedergelegt werden. Das Programm „ESPRIT" hat auch den Sinn, daß Unternehmen unterschiedlicher Nationen sich zusammenschließen, damit unterschiedliche Normen überhaupt nicht entstehen können.
({13})
Wir haben hier einige Bereiche angesprochen, wo - ich will nur ein paar Stichworte aufgreifen - diese neue Technik eingesetzt werden kann.
Der Kollege Steger sprach hier zu Recht davon, daß wir durchaus auch die Chancen der Mikroelektronik für unsere Verteidigungsforschung, für neue Waffensysteme sehen müssen. Wenn Sie hier die Chance für defensive Waffensysteme sehen: Unsere ganze Bundeswehr ist defensiv eingerichtet! Die ganze Anlage der Bundeswehr, das ganze Selbstverständnis ist darauf eingerichtet. Die Soldaten sind stolz auf ihre größte Leistung: daß es über die vergangen Dekaden Frieden gegeben hat. Sie richten sich auf nichts anderes aus als auf die Möglichkeit der Verteidigung. Darauf ist die Bundeswehr angelegt. Wenn sich hier technische Chancen zusätzlich eröffnen, kann das doch nur gut sein.
Wir haben hier gesprochen über Energiesysteme, über Umweltforschung, über die Möglichkeit, neue und flexible Umwelttechniken einzurichten. Diese Chancen sind auszuspielen, und die Voraussetzungen sind zu schaffen.
Nun sagt der Kollege Steger, wir hätten hier eine Industriestruktur, die nicht sehr ermutigend sei. Ich möchte wiederholen: Ich hielte es für verhängnisvoll, wenn wir hier anfingen, Märkte abzuschotten. In dem Moment, wo wir anfangen, Naturschutzparks einzurichten, richten wir uns auf Zweitklassigkeit ein. Wenn wir hier über Deutschland und Japan sprechen, geschieht das manchmal mit einem gruseligen Schauder. Nachdem wir aber 30 % unserer Arbeitsplätze im Weltmarkt sichern - Japan sichert 15% der Arbeitsplätze im Weltmarkt -, ist hier ein gesundes Selbstbewußtsein am Platz. Nicht in dem Sinne, daß man sich auf den Lorbeeren ausruht, aber in dem Sinne, daß man nicht anfängt, Grenzen zu schließen. Herr Steger, wenn Sie über unterschiedliche Auffassungen in der Industriepolitik sprechen, dann meine ich, daß an diesem Punkt die Auffassungen des Wirtschaftsministers und des Forschungsministers sehr viel mehr beisammen sind als die Auffassungen des Forschungsministers, dem Sie freundlicherweise Ihre Unterstützung zugesagt haben, und Ihrer Fraktion.
({14})
Wir haben hier in der gesamten Arbeit aufzubauen auf solider Grundlagenforschung. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Ich würde beispielsweise in der Festkörperphysik gern eine Grundlagenforschung sehen, die noch verstärkt auf diese Bereiche gerichtet ist.
Herr Steger, wenn wir hier von den Strukturen sprechen, müssen wir natürlich von der Grundlagenforschung in den Großforschungseinrichtungen ausgehen. Wir müssen einbeziehen, was an exzellenter Grundlagenforschung beispielsweise in Stuttgart von der Max-Planck-Gesellschaft gemacht wird. Aber die Frage ist doch: Wie bringen wir dies zu einem Verbund, und zwar so, daß wir nicht etwa die Freiheit und damit die Leistungsfähigkeit der Grundlagenforschung beeinträchtigen, sondern so, daß das, was dort gelernt wird, zusammengebunden wird in eine überkritische Einheit mit den industriellen Forschungskapazitäten, so daß daraus in einer anwendungsorientierten Grundlagenforschung ein Wissen entsteht, aus dem dann die Unternehmen in Konkurrenz untereinander sich im Markt bewähren können? Ich meine, wenn wir hier eine vernünftige Art von Konkurrenz und Kooperation bekommen, dann ist das genau die Grundlage, die wir für unsere Arbeit brauchen.
Wir dürfen in diese neue Technik - Frau Kollegin Bard, da sehen Sie die Sache vielleicht ein bißchen zu unfreundlich - nicht etwa mit der Ansicht hineingehen, daß sie, weil sie eine neue Technik ist, nun mit Hurrapatriotismus durchgesetzt werden müßte. Dies geht schon technokratisch nicht. Schlimmer wäre noch das Risiko, daß wir dann in einer späteren Phase der Entwicklung der Technik mit nicht vernünftig abgeschätzten Folgen konfrontiert werden und in eine schwierige Lage kommen. Dieses Risiko dürfte nicht laufen. Insofern haben wir bei den Programmen, bei denen wir in neue Techniken hinein fördern, beispielsweise bei unserem Programm zur Fertigungstechnik, wo wir die neue Technik gerade in die Maschinenindustrie hineinbringen wollen, einen erheblichen Anteil der Mittel für Technologiefolgenabschätzung vorgesehen, weil wir wissen wollen, was wo passiert, weil wir dies rechtzeitig wissen wollen und weil wir die Technik so flankieren wollen, daß sie in einer vernünftigen Weise in unsere Gesellschaft integriert werden und dort nützlich sein kann.
Ich glaube, die entscheidende Frage liegt an folgender Stelle. Herr Steger, Sie haben an verschiedenen Stellen darüber gesprochen, was der Staat hier alles zu tun hätte, in welcher Weise der Staat eine Industriepolitik zu betreiben hätte, die über das hinausgeht, was bis jetzt geschehen ist. Ich meine, daß sich die Intelligenz des Staates bei der Industriepolitik in der größten Behutsamkeit zeigt. Wenn Sie sich auf den Staat verlassen, kommen Sie in eine Situation, in der Sie dem Staat eine Kreativität zumuten wollen, die er nie hat und nie haben kann. Die eigentliche Aufgabe einer intelligenten Industriepolitik ist es doch wohl, daß wir Rahmenbedingungen so setzen, daß mögliche Risiken rechtzeitig und genau eingefangen werden, daß sich aber innerhalb dieser Rahmenbedingungen die Technik nach ihren eigenen vernünftigen Gesetzen entwikkeln kann, daß wir dadurch ein wirtschaftliches Wachstum in den Bereichen zustande bringen, in denen Wachstum nützen kann, und daß wir die Möglichkeit haben, auf eine Humanisierung von Arbeitsplätzen dort, wo Arbeitsplätze humanisiert werden können, hinzuarbeiten, daß wir uns aber
insgesamt nicht von einer Technik abhängig machen, sondern sie gestalten.
Wenn wir hier nicht auf eine überlegene Weisheit des Staates vertrauen, die dieser nicht haben kann, sondern Freiraum für den Unternehmensgeist und die Intelligenz des einzelnen schaffen, bin ich sehr zuversichtlich, daß wir in einem vernünftigen hoheitlichen Rahmen die Probleme lösen und eine ausgezeichnete Leistung unserer Technik, unserer Wissenschaft und unserer Wirtschaft in einer vernünftigen Zusammenarbeit erreichen. Dazu hat die Politik einen Beitrag zu leisten. Wir als Bundesregierung werden das in unserem Bericht zur Datenverarbeitung tun. Wir freuen uns auf diese Diskussion.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Bard, ich bin sehr froh darüber, daß Sie die Mikroelektronik nicht auch hier als eine Sackgassentechnologie bezeichnet haben. Diese Charakterisierung nehmen Sie ja im Ausschuß sehr häufig und gegenüber diesen Technologien vor.
({0})
Sie haben sich hier differenziert mit der Mikroelektronik auseinandergesetzt, wenngleich ich nicht all Ihre Schlußfolgerungen teilen kann.
Wenn Sie z. B. feststellen, die Computerlogik sei eine binäre Logik, ist dies zwar richtig, aber ich habe. obwohl ich sehr häufig mit Software-Entwicklern zu tun habe, bisher noch keinen Geistesschaden bei diesen Leuten, die in dieser binären Logik arbeiten, festgestellt.
({1})
Im übrigen funktioniert auch der Lichtschalter nach der Ein-Aus-Logik.
({2})
Ich finde also, es gibt viele gute Gründe, die Mikroelektronik kritisch zu begleiten. Diese Gründe sind hier auch schon angeführt worden. Das, was Sie gebracht haben, ist aber ein bißchen an den Haaren herbeigezogen.
Wenn Sie sagen, wir beschäftigten uns nicht mit den Folgen, dann lesen Sie bitte unseren Antrag. Wir beschäftigen uns in diesem Antrag zu zwei Dritteln eigentlich nur mit den Folgen der Mikroelektronik.
„Mikroelektronik" ist zu einem Schlüsselwort in der Diskussion um unsere Zukunft geworden. Mit diesem Begriff verbinden sich Hoffnungen und Ängste, Hoffnungen auf eine sanfte Technologie, die die Umwelt und die natürlichen Ressourcen schont, die in der Krankheitsvorsorge und in der Krankheitsbehandlung neue Türen öffnet, die dezentrale Entscheidungsstrukturen und in Abkehr von tayloristischen Tendenzen in der Arbeitswelt mit der Zerlegung der Arbeit in einzelne Arbeitsschritte neue Entwicklungen hineinbringt, neue Formen der Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsorganisation möglich macht und den Menschen die gefährlichen, stupiden und gesundheitsschädlichen Arbeiten jedenfalls zum Teil abnimmt.
Mit dieser Technologie verbinden sich aber auch Ängste, die unbestimmte Angst vor einer Technologie, die man nicht richtig durchschaut, die man nicht richtig versteht, und die ganz konkrete Angst um die Arbeitsplätze sowie die Angst vor einer Verdatung unserer Gesellschaft und vor der totalen Erfassung des Menschen durch den Staat.
Die Diskussion muß versachlicht werden. Die forschungs- und technologiepolitischen Weichen müssen richtig gestellt werden. Dazu dient dieser Antrag, der sich - jedenfalls meiner Meinung nach - in einer umfassenden Weise mit der Problematik beschäftigt. Worauf wir warten, Herr Minister Riesenhuber, ist, daß Sie hier das Konzept der Bundesregierung vorstellen. Sie haben viele Worte gemacht, aber auf die Konzeption der Bundesregierung zu diesen Fragen warten wir nach wie vor. Bisher herrscht hier nur Nebel. Auch wenn Sie eine umfangreiche Bestandsaufnahme angekündigt haben, bis jetzt ist wenig zu sehen,
({3})
obwohl sich mit Ihrem Programm zur Fertigungstechnik 1984/87 ein Teil des Gesamtkomplexes aus diesem Nebel materialisiert. Wir begrüßen grundsätzlich - das haben wir gestern im Ausschuß auch deutlich gemacht -, daß Sie dieses Programm der alten Regierung Schmidt fortführen und damit sicherstellen, daß ein so sensibler Bereich wie die Investitionsgüterindustrie und die Fertigungstechnologie den Anschluß in der Wettbewerbsfähigkeit behält. Ich denke, daß das Programm der Regierung Schmidt dazu einen Beitrag geleistet hat, denn dem Maschinenbau und dem Anlagenbau ist in der Bundesrepublik beim Einsatz der Mikroelektronik der Durchbruch gelungen. Wenn es hier ein Lob auf der Interkama gegeben hat, dann zum Teil auch, weil in der Vergangenheit eine entsprechende Politik betrieben wurde.
Herr Riesenhuber, wenn Sie andere Bereiche ansprechen - die Welt ist ja nicht heil -, dann muß man einfach sagen, daß das, was bei uns in der traditionellen Elektroindustrie gelaufen ist, nicht befriedigend ist. Das liegt nicht an der alten Bundesregierung, sondern es liegt daran, daß diese traditionellen Elektroindustrie, wenn es in der Vergangenheit um Investitionsbereitschaft, um Mut ging, sich nicht mit Ruhm bekleckert hat. Das können Sie doch auch bestätigen.
Ich habe gesagt, dieses Programm „Fertigungstechnik" begrüßen wir grundsätzlich, allerdings mischt sich in den Kelch der Zustimmung auch der eine oder andere Wermutstropfen. Das Schwerge2214
wicht legen Sie in diesem Programm auf die indirekt-spezifische Förderung mit den geringen Möglichkeiten, auf die Qualität der Entwicklungsergebnisse Einfluß zu nehmen. Spitzenforschung, wenn sie noch sehr marktfern ist, in den industriellen Sektor umzusetzen, überprüfen zu können, ob die Mittel im Sinne des Programms richtig eingesetzt werden, das haben Sie dann nicht mehr im Griff. Beispielsweise könnten Mitnahmeeffekte da sein, wenn Sie dieses Programm fahren. Sie haben zwar für den CAD/CAM-Bereich und für die Handhabungssysteme einen Kriterienkatalog erarbeitet - 16-bit-Rechner, höhere Programmiersprache, grafisch interaktive Systeme -, aber unserer Auffassung nach sind diese Kriterien, ist dieses Raster nicht dicht genug, um einen sinnvollen Mitteleinsatz sicherzustellen. Der Anteil der direkten Förderung im Rahmen von Verbundprojekten geht bei Ihren Haushaltsansätzen zurück. Bis jetzt waren 50 Millionen DM eingesetzt, Sie fahren diesen Bereich auf 25 Millionen DM zurück. Das heißt, vieles von dem, was von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Sonderforschungsbereich, von den Fraunhofer-Gesellschaften, von den Universitäten entwikkelt wird, wird oder kann von der Industrie auf Grund der Marktferne nicht umgesetzt werden und wird sich in den Anträgen zum Bereich der indirekt-spezifischen Förderung sicherlich nicht wiederfinden.
Ein letzter Punkt dazu. Der Humanisierungsaspekt, der HdA-Aspekt, der im letzten Programm eine zentrale Rolle gespielt hat, droht hier hinten herunterzukippen, jedenfalls wird er - das ist unzweifelhaft - ausgehöhlt; denn das, was Sie in dem Programm mit Technologiefolgenabschätzung ansprechen und durch Workshops realisieren wollen, nimmt letztendlich keinen Einfluß auf die Gestaltung der Projekte, sondern ist nur Augenwischerei.
({4})
Der Zuschnitt dieses Programms „Fertigungstechnik", Herr Minister, nährt die Befürchtung, daß Sie nun auch die Forschungspolitik mit dem Instrument der indirekten Förderung einer verquasten Marktwirtschaftsideologie unterordnen. Sie sind meines Erachtens nicht so einschichtig und simpel wie Ihr Kollege Graf Lambsdorff, nach dessen in regelmäßigen Abständen erfolgenden herzzerreißenden Marktwirtschaftsbekenntnissen ich inzwischen meine Uhr stelle; aber Sie ordnen sich seiner Linie - so sehe jedenfalls ich es - unter, wobei ich verstehe, daß dann das Leben unter seinem Krückstock im Kabinett etwas leichter ist.
Was wir in der Förderung der Mikroelektronik brauchen, sind Konzeption und Konzentration. Wenn man sieht, wie die Japaner alle Kräfte bündeln und auf ausgesuchte Ziele richten, unter Leitung des Ministeriums für Außenhandel und Industrie in einem Institut Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung zusammenfassen, um dort die fünfte Computergeneration, die für die 90er Jahre, vorzubereiten, wenn man sieht, wie in Osaka, glaube ich, die Entwicklung von elektronischen Bauelementen konzentriert ist - in den USA gibt es zwei solcher Zentren -, kann einen schon der Jammer befallen, wenn man betrachtet, wie das hier bei uns läuft. Ich habe gestern auch schon im Ausschuß darauf hingewiesen, daß jetzt in den Ländern Institute für die Entwicklung von integrierten Schaltungen wie Pilze aus dem Boden schießen, in Niedersachsen, in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westtfalen, in Bayern. Jeder Ministerpräsident, der sieht, wie sich sein Nachbar mit einem Institut für Halbleitertechnologie schmückt, versucht, es ihm nachzumachen. In einem Bereich, von dem inzwischen sogar der Nichtfachmann weiß, daß, wenn überhaupt, nur mit einer Konzentration der finanziellen Mittel und einer Konzentration von Manpower ein Anschluß an den von Japanern und USA definierten Stand der Technik zu erreichen ist, leisten wir uns Miniinstitute mit einer Mittelausstattung von zwischen 40 bis 60 Millionen DM, deren Sachausstattung letztlich zwei Jahre, nachdem man dieses Institut eröffnet hat, veraltet sein wird. Diese Institute basteln losgelöst von der Industrie hinter dem Weltstandard her. - Ich bekommen hier eine Mitteilung.
({5})
- Ende der Redezeit. Ich komme zum Ende, ja.
Also, wir leisten uns hier in diesem Bereich einen sinnlosen Aufwand. Die Japaner halten sich doch die Bäuche vor Lachen, wenn sie sehen, wie sich hier bei uns jeder Duodezfürst seine halbleitertechnologische Kinderdampfmaschine in die Landschaft stellt.
Herr Riesenhuber, ich weiß, daß Sie keinen Durchgriff auf die Ministerpräsidenten haben. Aber - das ist ein Appell - machen Sie aus Ihrer Mördergrube mal ein Herz, hauen Sie auf den Tisch und sagen Sie, daß das, was da im Lande läuft, forschungspolitischer Unfug ist!
Jetzt ist Ihre Redezeit aber wirklich zu Ende, verehrter Herr Kollege.
Ja, ich komme zum Ende.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Feststellung machen: Wir müssen den Einsatz der Mikroelektronik fördern, wenn wir nicht im Jahre 2000 eine Industrienation dritter Ordnung sein wollen, wenn uns nicht wie mit der Uhrenindustrie, Teilen der Geräteindustrie, der Unterhaltungsgeräteindustrie weitere Industriebereiche wegbrechen sollen - mit den Folgen für die Arbeitsplätze und den Lebensstandard in diesem Lande.
({0})
Andererseits läßt sich aber eine Förderung der Mikroelektronik vor der Bevölkerung nur vertreten, wenn wir erstens mit allen Mitteln der durch Rationalisierung bedingten Arbeitslosigkeit entgegentreten - und hier würde mich, Herr Minister, wirklich ein klares Wort von Ihrer Seite zur 35-StundenWoche interessieren ({1})
und wenn wir zweitens - das ist nicht so in der
Diskussion - für einen wasserdichten Datenschutz
sorgen; denn die Mikroelektronik bietet inzwischen
tatsächlich die Möglichkeit, Orwells Visionen in die Realität umzusetzen.
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihrem Kollegen jetzt zwei Minuten Redezeit weggenommen. Bitte beenden Sie Ihre Rede.
Ja.
Der Widerstand gegen eine Verdatung, gegen die totale Erfassung und Durchleuchtung des Menschen wird sich gegen die Technologie insgesamt richten, wenn hier nicht geeignete Maßnahmen ergriffen werden.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstensen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hat den heute zu debattierenden Antrag „Anwendung der Mikroelektronik" vorgelegt. Ich muß ihr bescheinigen, daß sie sich sehr viel Mühe gemacht hat. Sie hat damit ein Problem in das Parlament gebracht, das sicher zu denjenigen Problemen gehören wird, die in den nächsten Jahren die Entwicklung unserer Wirtschaft, der Arbeitswelt und unser soziales Umfeld entscheidend prägen werden.
Leider enthält die Vorlage aber auch einen Unterton, der darauf schließen läßt, daß vorhandene, auch unbegründete Ängste vor der neuen Technik ganz gut für politische Absichten genutzt werden können. Nicht die Technologie der Mikroelektronik, wie Sie schreiben, hat bei Arbeitnehmern im Produktions- und im Dienstleistungssektor Befürchtungen ausgelöst, vielmehr sind es diejenigen gewesen, die Technikfeindlichkeit und Technikangst als Werkzeuge auf ihrem politischen Betätigungsfeld benutzen.
({0})
Leider wird diesen Zeitgenossen ihre Arbeit relativ leichtgemacht. Hier setzt auch meine Kritik an der Vorlage der SPD an, die aber sicherlich auch - das muß man andererseits auch bestätigen - viele Gemeinsamkeiten aufweist.
({1})
- Eben.
Keiner von uns will sich vom technischen Fortschritt, den wir erleben, abkoppeln. Jeder vernünftige Wissenschaftler und Politiker weiß, daß bei einer Abkoppelung die Entwicklung über uns hinweg-liefe; wir zwar die arbeitswirtschaftlichen Nachteile erleben würden, positive Aspekte und Wirkungen aber an uns vorüberzögen. Wir leben ja auch jetzt schon mit der Mikroelektronik. Zwar noch - so sagen die Wissenschaftler - mit erst zirka 15% dessen, was im Jahre 2000 bei uns üblich sein wird. Aber vielen ist gar nicht bewußt, in wie viele ihrer persönlichen Bereiche diese Technik schon eingedrungen ist. Wenn es ihnen bewußt ist, dann ist kaum einer in der Lage, die Technik zu begreifen.
({2})
Wenn wir von Akzeptanz neuer Technologien sprechen, wenn wir von Beherrschbarkeit der Technik reden, dann scheint mir doch unerläßliche Voraussetzung zu sein, den Menschen, die mit dieser Technik leben und arbeiten müssen, die diese Technik beherrschen sollen, Informationen und Wissen über diese Technik zu vermitteln. Nur wenn Technik begriffen worden ist, ist es möglich, daß Technik auch den Menschen dient. Es ist unmöglich, Akzeptanz finden zu wollen, wenn die Arbeit von Computern heute noch in weiten Teilen der Bevölkerung quasi als Zauberei nach dem Motto angesehen wird: auf den Knopf drücken, und dumdidumdidum kommt ein Ergebnis heraus, das menschenmögliches Denken übersteigt.
Hier liegt eine ungeheure Aufgabe für unsere Schulen und Bildungsstätten. Die Aufgabe besteht darin, Schüler und Lehrlinge mit der Technik vertraut zu machen, die das zukünftige Leben dieser jungen Menschen begleiten und bestimmen wird. Wir brauchen nicht nur die Akzeptanz der neuen Technik, die in den Schulen durch das Begreifen der Technik vorbereitet werden muß, wir sind später auch auf das große Kreativitätspotential angewiesen, das gerade Schulen und Schüler auf diesem Gebiet darstellen.
({3})
Die SPD sieht es in ihrem Antrag als gegeben an, daß die Mikroelektronik als Jobkiller fungieren wird. Das enorme Rationalisierungspotential bedrohe - so wird angeführt - gerade in Zeiten abgeflachten Wirtschaftswachstums zahllose Arbeitsplätze. Es ist ja schon beruhigend, wenn von Ihrer Seite auch einmal wieder - wenn auch nur in diesem Zusammenhang - von Wirtschaftswachsturn gesprochen und sogar die Schädlichkeit der flachen Kurve des Wirtschaftswachstums herausgestellt wird. Aber lassen Sie mich doch folgende Bemerkung machen: Die jetzige Bundesregierung braucht die Verantwortung für mangelndes Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren nicht zu übernehmen. Diese Verantwortung tragen andere. Die jetzige Bundesregierung wird alles tun, die ernsten, negativen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt nicht noch durch Nullwachstum und ähnlichen Unsinn zu verstärken.
({4})
Ich weiß gar nicht, wieso Sie in Ihrer Vorlage in so nachdrücklicher Weise diese negativen Aspekte in den Vordergrund Ihrer Bedenken stellen, wenn - wie Sie selbst schreiben - „der gegenwärtige Stand bei der Entwicklung und Anwendung der Mikroelektronik und der mit ihr zusammenhängenden Technologien keine zuverlässige Vorausschau über alle Veränderungen unseres wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens" erlaubt. Es ist doch wohl eine plakative Beschreibung von Tech2216
Carstensen ({5})
nikfeindlichkeit, die man auch in die Bevölkerung hineintragen möchte, wenn man Probleme nur mathematisch und statistisch betrachtet, ohne zukünftige Parameter überhaupt zu kennen. Sie sagen selbst, daß Sie diese nicht kennen.
Es ist doch unbestritten, daß neue Technologien auch neue Märkte öffnen können, daß neue Nachfragen entstehen können, daß die wirtschaftliche Produktion erhöht werden kann, daß neue Technologien gerade durch die Mikroelektronik und im Bereich der Mikroelektronik zu einer Reihe von Firmengründungen geführt haben.
({6})
- Herr Kollege, ich wollte an sich angesichts der beschränkten Zeit keine Zwischenfrage zulassen. Ich bin auch der Meinung, daß Ihre Frage für meine Jungfernrede wahrscheinlich zu hart formuliert sein würde.
({7})
Neue Firmen, meine Damen und Herren und neue Junge Unternehmer, die das Risiko einer eigenen Firma auf sich zu nehmen bereit sind, das sind die Leute, die den Arbeitsmarkt durch die Anstellung neuer Mitarbeiter entlasten. Das sind die Leute, die wir gerade in dieser Zeit fördern müssen, weil wir sie brauchen.
Zu neuen Firmengründungen, zu positiven Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt durch die Mikroelektronik wird es allerdings nur kommen können, wenn die guten Ansätze durch staatliche Verwaltung und gesetzliche Restriktionen nicht schon im Anfangsstadium erstickt werden.
({8})
Wir brauchen in diesem Zusammenhang keine zusätzlichen Gesetze und Verordnungen. Wir brauchen vielmehr die Bereitschaft der Bürger und des Staates, der Einführung neuer Technologien nicht hemmend gegenüberzustehen.
({9})
„Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, daß arbeitsplatzvernichtende Wirkungen - sagen wir einmal - der neuen Büroelektronik bei uns auftreten und die arbeitsplatzschaffenden Wirkungen dieser Technologie in Japan und Amerika." - Meine Damen und Herren, das sagte Ihr damaliger Bundesminister Matthöfer in der Aussprache zur Regierungserklärung Ihres damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt am 27. November 1980.
({10})
Ich darf Sie bitten, jetzt keine feuchten Augen der Wehmut zu bekommen, wenn ich diese Namen Ihrer alten Regierungsmitglieder nenne. Sie wissen, daß alles zwei Seiten hat. Sie sitzen in der Opposition - das ist für Sie wahrscheinlich sehr traurig -, aber uns allen geht es dadurch wesentlich besser, und das ist die positive Seite.
({11})
Lassen Sie mich zum Thema zurückkommen. Wir sind uns einig: Wir müssen die Rahmenbedingungen für die Anwendung neuer Technologien, besonders der Mikroelektronik, so setzen, daß sich Eigeninitiative und Verantwortung lohnen. Es werden nur dort neue Arbeitsplätze entstehen, wo sich offene Produktmärkte und neue Chancen auftun. Auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wollen diese Chancen erhöhen, wollen insbesondere dafür sorgen, daß die „internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft verbessert wird und die Chancen der kleinen und mittleren Unternehmen gesichert werden". Das ist ein löblicher Vorschlag.
({12})
Aber eines muß auch Ihnen als Trugschluß und Inkonsequenz erscheinen, nämlich daß Sie gleich die durch die breite Nutzung der Mikroelektronik steigende Arbeitsproduktivität für weitere Arbeitszeitverkürzung nutzen wollen. Richtig wäre es, die Wettbewerbsfähigkeit durch die bessere Produktivität zu steigern, damit wir auf dem Markt erscheinen und uns behaupten können.
({13})
Man hat den Eindruck, meine Damen und Herren, daß Sie das, was Sie an positiven Aspekten mühsam, aber dankenswert mit den Händen in Ihrem Antrag errichtet haben, bei einer kurzen Drehung mit dem Hintern wieder umstoßen.
Dabei kann ich mir auch die Bemerkung nicht verkneifen, daß Sie offensichtlich in den letzten Jahren öfter Schwierigkeiten mit dem Zusammenspiel Ihrer Körperteile gehabt haben. Sie haben nicht immer gemerkt, wenn Sie auf der Stelle traten, Sie haben manchmal nicht gemerkt, wenn es rückwärts oder auch bergab ging. Auch in diesem Antrag versuchen Sie wieder, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, wenn Sie fordern, erst regelnd einzuwirken und dann diese Vorschau auf Veränderungen zu halten.
({14})
Umgekehrt wird ein Schuh daraus, meine Damen und Herren: erst die von Ihnen geforderten Untersuchungen und Berichte, und dann kann man sich überlegen, ob gesetzliche Regelungen ergänzend zu den schon in viel zu reicher Anzahl vorhandenen Gesetzen überhaupt noch nötig sind und in Angriff genommen werden müssen.
({15})
- Herr Fischer, Sie sollten die Gelegenheit in diesen nächsten - wieviel haben Sie noch? - 13 Monaten zu Zwischenfragen und Zwischenrufen ordentlich nutzen. Sie werden dann rotieren. Sie brauchen sich keine Angst zu machen und keine Befürchtung um den Bestand dieses Parlaments zu haben. Sie werden eine Lücke hinterlassen, die Sie voll ersetzt. Das darf ich Ihnen einmal sagen.
({16})
Schon heute ist Europa - übrigens erstmals in der Geschichte - nicht mehr im Vorfeld der großen
Deutscher Bundestag -- 10. Wahlperiode Carstensen ({17})
industriellen Neuerungen anzutreffen. Unter den zehn größten Herstellern von Mikroprozessoren befindet sich kein einziges europäisches Unternehmen. Andere, auch in diesem Hause, mag diese Tatsache kalt lassen oder sogar freuen, aber ich muß Ihnen sagen, mich bedrückt sie, weil sie nämlich ein Indiz ist, daß technische Entwicklung und technischer Fortschritt in diesem Gebiet an uns vorbeigegangen sind. Wenn es uns nicht gelingt, den Rückstand aufzuholen, um mit möglichst geringen Kosten in neue Märkte vorzustoßen, die noch nicht von den Amerikanern und Japanern besetzt sind, dann werden wir immer weiter zurückfallen. Sinkende Wettbewerbsfähigkeit und steigende Arbeitslosigkeit werden die Folge sein. Daher ist es leider unvermeidlich, daß Behinderungen des technischen Fortschritts in der Anwendung der Mikroelektronik durch zu viele restriktive Gesetze für uns weitere verheerende Folgen haben werden. Was nützt es, meine Damen und Herren, sich in einer Sänfte zum Bahnhof tragen zu lassen, um dann zu sehen, daß der Zug abgefahren ist. Wir sollten lieber die Beine in die Hand nehmen und dann die Fahrt eventuell in der ersten Klasse fortsetzen.
({18})
Lassen Sie mich noch auf einen Aspekt eingehen, den ich in Ihrem Antrag, Herr Kollege Steger, sehr positiv vermerkt habe. Sie schreiben in Ihrer Vorlage von den Möglichkeiten, die der Einsatz der Mikroelektronik im Bereich der Umwelt und der Ressourcenschonung sowie bei der Energieeinsparung bietet. Nur wenn wir konsequent in der Erforschung und in der Anwendung dieser Techniken in anderen Bereichen sein können, dann können wir gleiches tun auf dem Gebiete des Umweltschutzes, und das wollen wir. Auch und gerade hier wird es uns dann zugute kommen und uns allen nutzen, wenn wir nicht schon im Vorfeld Innovationen, Kreativität und das Umsetzen von Forschung in den Anwendebereich durch Verordnung und Bürokratie behindert haben.
Lassen Sie mich schließen, meine Damen und Herren, mit einem Lob für die Kollegen von der SPD, die sich soviel Mühe mit diesem Antrag gemacht haben. Ich fand es sehr ermutigend, Herr Steger, daß Sie gerade die jetzige Bundesregierung mit Ihrer Initiative auffordern, etwas zu tun, wo Sie Ihre eigene in den letzten Jahren so in Ruhe gelassen haben.
({19})
- Doch, das kann ich. Ich kann lesen, wissen Sie, es gibt da solche dicken Bücher, da steht das drin. - Das zeigt doch, Herr Steger, das Vertrauen und die Zuversicht, die auch Sie wie auch wir in die jetzige Regierung setzen. Mit dieser Einstellung sind Sie auf dem richtigen Weg. - Ich danke Ihnen.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Verbreitung der Mikroelektronik erleben wir eine Epoche gesellschaftlicher Umwälzungen wie in keiner Phase der Industrialisierung zuvor, das ist hier schon ausreichend zum Ausdruck gebracht worden. Wenn wir nicht versuchen, uns zwar jetzt versuchen, die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen dieser Technologie vorausschauend und vorausplanend in den Griff zu bekommen, werden wir von der technischen Entwicklung überrollt werden mit unübersehbaren sozialen Folgen, und darauf möchte ich mich an dieser Stelle konzentrieren.
Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Die Anwendungsmöglichkeiten der Mikroelektronik im Produktionsbereich sind noch lange nicht ausgeschöpft. Durch den Einsatz von Industrierobotern - um dieses Beispiel noch einmal zu zitieren -, werden zwar neue Arbeitsplätze durch die Herstellung, Wartung und Reparatur dieser Roboter geschaffen, es fallen jedoch mehr Arbeitsplätze weg, als neue geschaffen werden. Nach Untersuchungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB wird durch den Einsatz eines Industrieroboters ein neuer Facharbeiterplatz geschaffen; gleichzeitig werden aber fünf bis sieben Produktionsarbeitsplätze vernichtet.
({0})
Die Anwendung der Mikroelektronik im Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich, die eine gewaltige Rationalisierungswelle auslösen wird, steht in größerem Umfang überhaupt erst noch bevor. Es wird damit gerechnet, daß im Bürobereich rund 20 % bis 30 % aller Arbeitsplätze durch die Mikroelektronik wegrationalisiert werden.
({1})
Die arbeitsplatzschaffenden Effekte in der Elektronikindustrie selbst, die hier sehr häufig zitiert worden sind, sind außerordentlich begrenzt. Diese Aussage wird auch durch die Enquete-Kommission „Informations- und Kommunikationstechniken" des Bundestages bestätigt, die feststellt, daß die Beschäftigung in den innovativen Bereichen der Bürogeräteherstellung und Nachrichtentechnik der Ausweitung des Produktionsvolumens bei weitem nicht entsprochen hat.
Es stimmt also nicht in dieser pauschalen Form, wie es der Bundesforschungsminister und andere sinngemäß ausgeführt haben, daß die breite Anwendung der Mikroelektronik die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichert und gleichzeitig neue Arbeitsplätze schafft. Die Tatsachen sprechen leider eine andere Sprache.
({2})
Die Technikerstudie „Gnostos 2000" kommt zu dem Schluß, daß heute erst 5% der Anwendungsmöglichkeiten der Computertechnologien erschlossen sind. Das heißt: Wir müssen uns darauf einstellen, daß noch 95% der Rationalisierungseffekte auf uns zukommen. Das bedeutet: Bis zum Jahre 2000 wird voraussichtlich jeder zweite Arbeitnehmer in
Jung ({3})
irgendeiner Weise von der Mikroelektronik an seinem Arbeitsplatz betroffen sein, sei es dadurch, daß er seinen Arbeitsplatz verliert, sei es, daß er seinen Beruf wechseln muß. Den wenigen qualifizierten Berufen, die neu hinzukommen, stehen zahlreiche qualifizierte Berufe gegenüber, die verschwinden werden. Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß diese Tendenz der Dequalifizierung ohne wirksame Gegenmaßnahmen bei weitem überwiegen wird, und es kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß monotone, sinnentleerte Arbeiten zunehmen werden, etwa an den Bildschirmgeräten, Herr Dr. Laermann. Wir bestreiten j a gar nicht, daß auch inhumane Arbeitsplätze durch den Einsatz der Mikroelektronik wegfallen können,
({4}) aber häufig ersatzlos. Das ist unser Problem.
Wenn neue Arbeitsplätze geschaffen werden, dann sind sie nicht selten so inhuman, wie das z. B. bei den vor- und nachgelagerten Arbeiten an den Industrierobotern nachgewiesen worden ist. Das ist die industrielle Realität in unserem Land.
Diese Entwicklung kann ernsthaft kaum bestritten werden, meine Damen und Herren. Unsere Frage an die Bundesregierung ist, welche Konsequenzen sie daraus zieht. Bislang ist nicht deutlich geworden, ob sie überhaupt Konsequenzen zu ziehen bereit ist. Im Gegenteil, die politische Philosophie der Bundesregierung - wenn man sie überhaupt so anspruchsvoll bezeichnen kann - ist auch auf diesem Gebiet: „laisser faire, laisser aller". Die Bundesregierung stellt sich auf den Standpunkt: Die Unternehmer sollen entscheiden, welche Technologien zu welchem Zeitpunkt, in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen entwickelt und angewandt werden. Die Aufgabe, die sozialen, oder man muß besser sagen: die unsozialen Konsequenzen zu beherrschen, schiebt sie den Sozialpartnern zu. Über die unzureichenden Mittel, die den betroffenen Arbeitnehmern und ihren betrieblichen und gewerkschaftlichen Vertretern zur Bewältigung dieser Aufgabe zur Verfügung stehen, schweigt sie sich aus. Dies bedeutet: Der technologische Wandel wird dem Zufall überlassen; die Menschen werden dem sogenannten technischen Fortschritt unterworfen.
Meine Damen und Herren, Voraussetzung für eine verantwortliche Technologiepolitik ist eine hinreichend genaue Abschätzung der wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen, die wir bei der Anwendung neuer Technologien zu erwarten haben. Anders können keine verantwortlichen politischen Entscheidungen getroffen werden.
Unsere Forderung ist: Die technologische Entwicklung muß dem Menschen dienstbar gemacht werden. Die Forschungs- und Technologiepolitik muß mit einer vorausschauenden Struktur-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik zu einer wirksamen beschäftigungspolitischen Strategie integriert werden.
Von entscheidender Bedeutung ist - auch darauf ist schon hingewiesen worden -, daß die enormen Produktivitätsgewinne, die durch das abgeflachte
Wirtschaftswachstum nicht mehr ausgeglichen werden können, durch eine drastische Verkürzung der Arbeitszeit, in welcher Form auch immer, aufgefangen werden. Aber dazu müssen die Arbeitgeberverbände endlich von ihrem Tabukatalog abrücken, in dem nicht nur die Arbeitszeitverkürzung, sondern auch der Rationalisierungsschutz auf dem Index steht.
({5})
Dazu muß die Bundesregierung die Tarifparteien durch gesetzliche Maßnahmen unterstützen. Die pauschale Ablehnung unserer Gesetzentwürfe zur Arbeitszeit und zur Vorruhestandsregelung ist auf diese drängenden Fragen die falsche Antwort. Eine Modernisierung der Wirtschaft ohne Einbettung in eine aktive Beschäftigungspolitik wird nicht nur die Massenarbeitslosigkeit erhöhen, sie wird auch den sich bereits abzeichnenden Widerstand der Arbeitnehmer gegen technische Neuerungen in der Zukunft noch verstärken. Die Einstellung zu neuen Technologien wird nämlich in entscheidendem Maße davon abhängen, ob und inwieweit die betroffenen Menschen sie mitgestalten können. Wirksame Gestaltungsmöglichkeiten und Akzeptanz gehören eben zusammen.
({6})
Wenn die Arbeitnehmer ihrer Belange nicht wirksam zur Geltung bringen können, wird Technikfeindlichkeit geradezu provoziert.
Die deutschen Gewerkschaften - dies möchte ich hier zum Abschluß sehr deutlich zum Ausdruck bringen - haben in der Vergangenheit immer wieder bekräftigt, daß es für sie ein sehr wichtiges Mittel gibt, um die Probleme und Konflikte zu bewältigen, die mit dem technologischen Wandel verbunden sind: Das ist die Mitbestimmung. Ich füge hinzu: Das bedeutet auch Mitverantwortung. Wenn von Mitbestimmung geredet wird, dann heißt dies: eine umfassende Mitbestimmung auf allen Ebenen, auf denen wirtschaftliche und soziale Entscheidungen getroffen werden, die die Interessen der Arbeitnehmer berühren.
({7})
Damit meine ich den Arbeitsplatz, damit meine ich die betriebliche Ebene, damit meine ich die Unternehmensebene, und damit meine ich die überbetriebliche Ebene.
Auf allen diesen Gebieten glänzt die Bundesregierung durch Tatenlosigkeit. Ich kann Sie daher nur auffordern: Nehmen Sie diese Forderungen, die auch in unseren Antrag zur sozialverträglichen Gestaltung des technologischen Wandels, zur Anwendung der Mikroelektronik eingegangen sind, ernst. Handeln Sie! - Danke schön.
({8})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Es wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 10/545 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Techno-
Vizepräsident Frau Renger
logie und zur Mitberatung an den Innenausschuß, an den Ausschuß für Wirtschaft, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Verteidigungsausschuß. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern
- Drucksache 10/351 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/564 -
Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann
Frau Seiler-Albring
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksache 10/563 Berichterstatter:
Abgeordnete Müller ({2}) Dreßler
Cronenberg ({3})
({4})
Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/589 und außerdem Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD sowie der CDU/CSU und FDP auf den Drucksachen 10/577 und 10/590 vor. Ich nehme an, daß das in die Debatte gleich mit einbezogen werden kann.
Nach Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Blüm.
({5})
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das von uns vorgelegte Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern ist ein Angebot. Angebote haben nur einen Sinn auf der Grundlage von Freiwilligkeit. Ein Angebot, das keine Entscheidungsfreiheit läßt, wäre ein Diktat und kein Angebot. Unser Gesetzentwurf läßt diese Freiheit. Unser Gesetzentwurf basiert auf Entscheidungsfreiheit und Freiwilligkeit.
Die Rückkehrhilfe funktioniert nur, wenn sie in Anspruch genommen wird. Das Gesetz erfüllt nur seinen Zweck, wenn es von Rückkehrwilligen genutzt wird. Deshalb kann es nur Erfolg haben mit den ausländischen Mitbürgern. Es kann gar keinen Erfolg haben gegen die ausländischen Mitbürger.
({0})
Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen zur Förderung der Rückkehrbereitschaft legen großen Wert auf dieses Zusammen von Ausländern und Einheimischen, von Arbeitnehmern, die hier geboren wurden, und von Arbeitnehmern, die zu uns gekommen sind.
({1})
Wir schaffen Klarheit. Der Gesetzentwurf beendet die Debatte um die Rückkehrförderung. Er beendet damit auch eine Phase der Unsicherheit. Manche Ausländer sitzen ja, seitdem diese Debatte begonnen hat - sie geht ja schon lange zurück -, bildlich gesprochen, auf gepackten Koffern. Der Prüfungsauftrag geht auf einen Beschluß der alten Regierung vom 11. November 1981 zurück. Wir ziehen Konsequenzen. Die Qualität einer Politik beruht nicht auf endloser Beratung und Prüfung, sondern darauf, Konsequenzen zu ziehen, Entscheidungen zu treffen und Unsicherheiten zu beenden.
({2})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Aber bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesarbeitsminister, nachdem Sie das gerade geäußert haben, können Sie mir erklären, wieso Sie im Bewußtsein der Tatsache - davon gehe ich einmal aus -, daß das Bundeskabinett Schmidt/Genscher im Juni 1982 in einem Kabinettsbeschluß festgehalten hat, daß es Kapitalisierung von Arbeitslosengeld und Kindergeld nicht geben werde, zu der Unterstellung kommen, es sei hier etwas angestaut oder ein Erwartungshorizont geschaffen worden?
Ich gehe davon aus, wenn eine Bundesregierung einen Prüfungsauftrag gibt, daß sie es ernst meint und daß damit Erwartungen geweckt werden. Die haben Sie allerdings nicht erfüllt; das stimmt.
({0})
Ich glaube, daß dieser Abwartezustand ein Schwebezustand auch für unsere ausländischen Mitbürger ist. Ein Schwebezustand zwischen Heimat und Hierbleiben ist kein Dauerplatz.
({1})
Die Rückkehrhilfe hat einen klaren Maßstab. Sie orientiert sich an der durchschnittlichen Dauer des
Leistungsbezugs durch ausländische Arbeitnehmer im Falle der Arbeitslosigkeit einschließlich der Sozialbeiträge. Die 10 500 DM entsprechen diesem durchschnittlichen Bezug zuzüglich der Zahlung des Zuschlags von 1 500 DM pro Kind. Die Rückkehrer können sich auch ihren Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung und ihre Anwartschaften in der betrieblichen Altersversorgung auszahlen lassen, sofern sie Anspruch auf Auszahlung aus der Rentenversicherung haben; das kommt ganz besonders für ausländische Arbeitnehmer aus Portugal, Korea, Marokko, Tunesien und der Türkei in Frage. Alle Rückkehrer können staatlich begünstigte Sparleistungen vorzeitig in Anspruch nehmen. Wir haben dafür gesorgt, daß die Rückkehrer nicht zwei Jahre auf ihren Anteil aus der gesetzlichen Rentenversicherung warten müssen. Sie haben einen Anspruch auf sofortige Rückzahlung und können daher alsbald über ihr Geld in der Heimat verfügen, so daß sie nicht die Hilfe oft fragwürdiger Kreditvermittler in Anspruch nehmen müssen, die aus dem Interesse der Rückkehrer häufig Profite schlagen.
Durch klare Kriterien für die Inanspruchnahme der Rückkehrhilfe, nämlich Konkurs, Betriebsstillegung, Kurzarbeit, wird der Rahmen eingegrenzt und wird Mißbrauch verhindert. Hier folgen wir auch, Herr Kollege Dreßler, Erkenntnissen der alten Regierung, die bereits in ihrem Prüfungsauftrag vom 11. November 1981 darauf Wert gelegt hat, daß Rückkehrhilfen eingegrenzt sein müssen, damit es nicht zu Mitnahmeeffekten kommt. Wenn man die Arbeitslosigkeit nicht durch Betriebsstillegung und Konkurs eingrenzt und daneben auf Kurzarbeit abstellt, könnte es sein, daß der Weg über die Arbeitslosigkeit gegangen wird in Absprache zwischen rückkehrwilligem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber, um auf diese Weise in den Genuß der Rückkehrförderung zu kommen. Wir haben Leistung und Gegenleistung in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht. Wir sind nicht in der Lage, mit unbegrenzten Finanzmitteln Rückkehrförderung zu ermöglichen. Auch deshalb war diese Eingrenzung notwendig.
Rückkehrhilfen müssen bis Ende Juni 1984 beantragt sein. Die Befristung der Antragstellung fördert die Entscheidungsnotwendigkeit und hält die finanziellen Belastungen für Staat und Rentenversicherung in überschaubaren Grenzen.
Ich will seitens der Regierung auch dankbar anerkennen, daß die Beratungen in den Ausschüssen den Gesetzentwurf verbessert haben und daß wir der Ausschußberatung einen besonderen Hinweis auf die Notwendigkeit der Beratung der Rückkehrwilligen verdanken, damit sie von den Möglichkeiten Gebrauch machen. Ich sehe auch in dem Hinweis, daß es hier nicht nur um Rückkehrförderung des einzelnen, sondern auch um seine Reintegration in seine Heimatgesellschaft geht, die Erinnerung, daß wir auch hier Fürsorgepflichten haben. Hier können ja Rückkehrhilfe und Entwicklungspolitik miteinander kombiniert werden. Vielleicht ist jene Entwicklungspolitik, die sich Menschen zuwendet, besser als eine Entwicklungspolitik, die in anonymen Apparaten landet und dort möglicherweise versickert.
({2})
Ich will diese Gelegenheit auch noch ganz grundsätzlich nutzen, an Hand des Themas Rückkehrförderung einige Positionen klarzustellen. Wir wollen das friedliche, gutnachbarliche Zusammenleben mit unseren ausländischen Mitbürgern. Die Grundlagen der Integration ausländischer Mitbürger liegen am Arbeitsplatz. Übrigens, das Wort „Integration" geht ja häufig etwas leicht über die Lippen. Doch Integration ist auf ganz handfeste Voraussetzungen und Anstrengungen angewiesen. Ich glaube, fehlende Arbeit, Arbeitslosigkeit ist das größte Integrationshemmnis, die größte Integrationsverhinderung.
({3})
Arbeitslosigkeit verschärft die Integrationsprobleme. Und, meine Damen und Herren: Arbeitslosigkeit ist überall schlimm, am schlimmsten, so glaube ich jedenfalls, ist Arbeitslosigkeit in der Fremde. Wer zu Hause ist, eingebunden in die Familie, die in den Herkunftsländern häufig noch eine Großfamilie ist, wird mit der Arbeitslosigkeit manchmal besser fertig als jemand, der fernab von der Heimat ist, verlassen in Bahnhofshallen und Großstadtunterkünften. Heimatlos und arbeitslos zu sein ist des Schlechten zuviel. Deshalb knüpft unsere Rückkehrförderung an die Arbeitslosigkeit, an ganz bestimmte Kriterien der Arbeitslosigkeit an. Ich glaube, daß das auch im Sinne unserer ausländischen Kollegen ist.
({4})
Für jene, die hier bei uns leben und arbeiten wollen, bleibt unser Angebot der Integration. Das schließt freilich auch die Bereitschaft und die Anstrengung auf seiten der ausländischen Mitbürger ein; Integration ist eine beiderseitige Anstrengung. Ausländer, die sich hierzulande nicht an die Spielregeln friedlicher Nachbarschaft halten, setzen sich selbst außerhalb unserer Gemeinschaft.
Gutes Zusammenleben mit den ausländischen Mitbürgern ist die eine Seite der Integrationsvoraussetzung. Ich halte den Anwerbestopp für die andere Seite. Bei mehr als 2 Millionen Arbeitslosen würde die Aufhebung des Anwerbestopps nur wie der Import von Arbeitslosigkeit und wie ein Sprengsatz der Desintegration wirken. Meine Damen und Herren, ich möchte hier mit aller Klarheit feststellen: Wir können mit der EG-Assoziierung der Türkei 1987 keine Freizügigkeit verbinden. Niemandem wäre damit geholfen: weder der Türkei noch uns.
({5})
Die Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik ist nicht grenzenlos.
Dieses Gesetz soll die freundschaftlichen Bindungen zwischen den Herkunftsländern und uns stärken und nicht stören. Die Heimatländer - dafür müssen wir auch werben - sollten die Chance sehen, die sich in unserem Konzept eröffnet. Die Rückkehr industrieerfahrener, qualifizierter LandsBundesminister Dr. Blüm
leute könnte ein Gewinn für die eigene Wirtschaft sein. Sie könnte ein Gewinn sein, weil hier Heimkehrer kommen, die auch Erfahrungen bei uns gesammelt haben, auch berufliche Erfahrungen. Entwicklungspolitik basiert ja auch auf jenem personellen Faktor.
Wir wollen bei der Rückkehrförderung die Zusammenarbeit mit den Heimatländern stärken. Ich habe bei meinem Besuch in der Türkei und in Jugoslawien die Prinzipien unserer Rückkehrpolitik mit meinen Gesprächspartnern besprochen. Ich habe - Herr Abgeordneter Dreßler, hören Sie gut zu -({6})
gerade in Jugoslawien kritische Offenheit und Verständnis gefunden.
({7})
Ich halte Ihre Pressemeldung aus Belgrad, in der Sie mir unterstellen, ich hätte die deutsche Öffentlichkeit falsch unterrichtet,
({8})
für ein weiteres Beispiel in Ihrer Sammlung politischer Geschmacklosigkeiten.
({9})
Für Stil ist jeder selber verantwortlich. Eine deutsche Regierung vom Ausland her zu kritisieren, ist nicht der beste Oppositionsstil.
Dieser Regierung Unwahrheit zu unterstellen, steht in Widerspruch zu jenen Pressemeldungen, die das Ergebnis einer gemeinsamen Pressekonferenz meines jugoslawischen Kollegen mit mir in Belgrad waren. Ich zitiere aus der dpa-Meldung, die auf dieser gemeinsamen Pressekonferenz von meinem jugoslawischen Kollegen und mir basiert. Sie ist überschrieben „Belgrad zeigt für die Rückkehrförderung Verständnis". Ich zitiere wieder aus dieser Pressekonferenz:
Annehmbar ist für die jugoslawische Regierung, betonten Blüm und Jakovljevic, die Rückkehrhilfe von 10 500 DM plus 1 500 DM.
Herr Abgeordneter Dreßler, ich bitte Sie, in der Wahl Ihrer Mittel etwas sorgfältiger vorzugehen. Sie schaden unserem Ansehen im Ausland mit dieser Darstellung.
({10})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
({0})
Nein, Herr Dreßler, Sie haben gleich Gelegenheit, in Ihrer Rede dies klarzustellen. Ich wollte für meinen Teil feststellen, daß ich den Stil, in dem Sie unsere Rückkehrförderung bekämpfen, für schlecht halte.
({0}) Gute Nachbarschaft -
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz? Entschuldigen Sie, daß ich Sie schon wieder unterbreche - und gerade mitten im Wort.
Herr Bundesarbeitsminister, nachdem Sie gerade meinen Kollegen so massiv angegriffen haben, halten Sie es da für einen guten Stil, eine Erwiderung zu verhindern?
({0})
Nein, ich habe das klargestellt. Herr Abgeordneter Dreßler wird nach mir dieses Rednerpult mit der gleichen Redezeit benutzen, und er hat dabei Gelegenheit, das zu erklären, was er an meiner Erklärung auszusetzen hat.
({0})
Die Begrenzung des weiteren Zugangs und die Förderung der Rückkehrbereitschaft ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien dient auch dem Ziel, die Bedingungen für jene ausländischen Mitbürger zu verbessern, die auf Dauer bei uns leben und arbeiten wollen. Ich rufe in Ihrer aller Erinnerung aus der Regierungserklärung die drei Ziele unserer Ausländerpolitik: Integration der seit langem bei uns lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien, Begrenzung des weiteren Zuzugs und Förderung der Rückkehrbereitschaft. In der Verfolgung dieser Ziele wird sich die Bundesregierung von niemand übertreffen lassen.
Die in die Heimat zurückkehrenden ausländischen Arbeitnehmer können auch ein Pfeiler in der Brücke des Verständnisses sein. Sie sehen die Verhältnisse von beiden Seiten. Sie haben Erfahrungen im Ausland und in der Heimat und können deshalb auch mit ihren Erfahrungen zur Demontage von Ressentiments und Mißverständnissen auf allen Seiten beitragen. Ausländer, die in ihre Heimat zurückkehren, sollen unser Land in guter Erinnerung behalten. Die sollen Freunde Deutschlands, Freunde unseres Landes sein. Ich will deshalb aus Anlaß der Verabschiedung dieses Gesetzes mich auch zur traditionellen deutsch-türkischen Freundschaft bekennen. Diese Freundschaft entstammt nicht dem Heute. Sie hat eine große Tradition.
Zur Freundschaft müssen auch wir hier beitragen. Unsere Fürsorge begleitet die Heimkehrer. Ihren Heimatländern soll geholfen werden. Denn dann erst ist die Welt in Ordnung, wenn das Recht auf Arbeit nicht vom Recht auf Heimat getrennt ist. Die Arbeitsplätze müssen zu den Menschen und nicht umgekehrt.
({1})
Die Welt steht auf dem Kopf, solange dies anders ist. Das Heimatrecht und das Arbeitsrecht müssen wieder versöhnt, verbrüdert werden.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst, zu den
Vorwürfen des Bundesarbeitsministers bezüglich der Aussagen in Belgrad Stellung zu nehmen. Ich habe in der vorigen Woche - hören Sie genau zu - ({0})
- Ich komme auf Ihren Zwischenruf zurück. Ich hoffe, er ist im Protokoll aufgeführt.
({1})
Vielleicht richten Sie ihn dann an eine andere Adresse.
Ich habe in der vorigen Woche mit vier Kollegen meiner Fraktion insgesamt drei Tage Gespräche geführt mit dem stellvertretenden Arbeitsminister Jugoslawiens und darunter zwei Stunden mit dem hier bereits zitierten Arbeitsminister Jugoslawiens. Ich habe beide gefragt - in Gegenwart meiner Fraktionskollegen -, ob die jugoslawische Regierung ihre Position zu dieser Frage der Ausländerpolitik seit 1982, als ich dort bereits Gespräche geführt habe, geändert habe. Die Antwort des Arbeitsministers und des stellvertretenden Arbeitsministers auf mehrfache Nachfragen war: „Herr Blüm ist ein ehrenwerter Mann,"
({2})
- das Zitat ist noch nicht zu Ende; ich bestreite das doch gar nicht - „aber wir haben Herrn Blüm anläßlich seines Besuchs in Belgrad unmißverständlich mehrfach wörtlich gesagt: Dieser Gesetzentwurf ist für die jugoslawische Regierung nicht akzeptabel."
({3})
Wenn ich dann zu dem Schluß komme, daß an der dpa-Meldung etwas - ({4})
- Wissen Sie, mit dem Glauben ist das so eine Sache. Da fällt mir das alte slawische Sprichwort ein: „Auf der Wiese der Hoffnung weiden viele Ochsen." So ist das auch mit dem Glauben.
({5})
Wenn ich also aus dieser Meldung der Deutschen Presseagentur und den Aussagen des Arbeitsministers und des stellvertretenden Arbeitsministers von Jugoslawien meine Konsequenz zu ziehen habe, dann wird mir wohl niemand, der guten Willens ist, verübeln wollen, wenn ich sage, daß zwischen der dpa-Meldung und dem, was mir Vertreter der jugoslawischen Regierung erklärt haben, um es vorsichtig zu formulieren, erhebliche Unterschiede bestehen. Wenn ich dann zu dem Eindruck komme, daß Herr Bundesarbeitsminister Blüm die deutsche Öffentlichkeit nicht so informiert hat, wie ich es wörtlich dort zur Kenntnis nehmen durfte, müssen Sie sich damit einfach auseinandersetzen, und zwar
- um auf Ihren Zwischenruf, ich sollte mich schämen, zurückzukommen - nicht mit mir, sondern mit dem Arbeitsminister, der Ihrer Fraktion angehört.
({6})
Im übrigen, meine Damen und Herren, hat der Arbeitsminister hier geredet wie der Werbechef eines Reiseunternehmens, der das flaue Herbstgeschäft ankurbeln will, und zwar mit dem Slogan „Mittelmeerreisen jetzt besonders billig". Nun ist es allerdings eine bekannte Erfahrung, daß Billigangebote denen, die auf sie hereinfallen, oft besonders teuer zu stehen kommen. So ist es auch hier.
Ich appelliere an uns alle,
- so sagte Bundeskanzler Helmut Kohl von diesem Pult aus an die Deutschen und an die Ausländer, sich um noch mehr gegenseitiges Verständnis und noch mehr Toleranz zu bemühen.
({7})
Das Zusammenleben einer großen Zahl von Menschen
- so äußerte Helmut Kohl weiter anderer Mentalität, Kultur und Religion mit Deutschen stellt uns alle, Staat und Gesellschaft, Ausländer und Deutsche, vor schwierige Aufgaben. Sie erfordern Geduld und Toleranz, Realismus ebenso wie Mitmenschlichkeit.
Drei Sätze aus den Regierungserklärungen vom 13. Oktober 1982 und vom 4. Mai 1983.
Die Regierung redet von Verständnis und Toleranz, von Realismus, von Geduld und Mitmenschlichkeit. Die Handlungen dieser Regierung in der Ausländerpolitik nach nur wenigen Monaten sind, gemessen an diesen großen Worten, beschämend. Übersetzen die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion den Begriff Realismus heute damit, daß nach Ihrer Schätzung bis zum 30. Juni 1984 400 000 Arbeitnehmer - hören Sie genau zu -, Deutsche und Ausländer, zusätzlich von Konkursen, Betriebsänderungen und mindestens sechsmonatiger Kurzarbeit betroffen werden?
({8})
Die Zigtausende von sonstigen zusätzlichen Arbeitslosen gar nicht eingerechnet. Die von Ihnen getragene Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist jedenfalls dieser Meinung. Meinem Fraktionskollegen Heinrich Klein wurden diese Zahlen vor wenigen Wochen auf eine schriftliche Anfrage mitgeteilt. Das können Sie im Protokoll nachlesen.
Übersetzen die Mitglieder der FDP-Fraktion, Herr Kollege Cronenberg, den Begriff „Toleranz" heute in dieser Koalition so, daß Kinder mitten aus der Schulbildung, mitten aus der Berufsausbildung gerissen werden, wenn ihr arbeitsloser Vater, von einem Prämienangebot verführt, in einer Kurzschlußreaktion die Rückfahrkarte kauft, ohne sich über die ökonomische Situation seines Heimatlandes und damit seine zukünftige Existenz klar zu sein? Es muß bei der FDP wohl so sein, weil die sich liberal nennenden Abgeordneten ihre Augen vor der Wirklichkeit verschließen.
({9})
Herr Kollege Cronenberg, Sie sitzen ja für Ihre Fraktion alleine da. Da können Sie einmal sehen, wie wichtig die Freien Demokraten neuerdings das von ihnen so beackerte Feld der Ausländerpolitik nehmen.
({10})
Oder sind die Abgeordneten Baum und Hirsch von der FDP, von Ihrer Fraktion, vor einigen Tagen in der Türkei auf eine bisher der Weltöffentlichkeit verborgen gebliebene neue Prosperität gestoßen? Wir kennen sie jedenfalls nicht.
Übersetzen die Mitglieder der Christlich Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union den Begriff „Geduld" jetzt mit dem Satz, daß eine auf Integration ausgerichtete Ausländerpolitik bei einer weiteren Zunahme der Zahl der Ausländer nicht mehr realisierbar ist, obwohl jedermann weiß, daß diese Grundannahme völlig falsch ist? Ende September dieses Jahres lebten in der Bundesrepublik 132 000 Ausländer weniger als im gleichen Vorjahresmonat.
Definieren die Mitglieder der CDU/CSU den Begriff „Verständnis" damit, daß sie es zulassen wollen, einem Familienvater zuzumuten, in maximal vier Wochen über seine gesamte zukünftige Lebensplanung zu entscheiden - um den Preis einer Senkung der von Ihnen angekündigten Prämie? Welchen Begriff finden Sie eigentlich angemessen für die Androhung dieses Gesetzentwurfs, daß bei jedem Monat Überlegung über die eigene Lebensplanung Ihre sogenannte Rückkehrhilfe um 1 500 DM gekürzt wird? Ist das Verständnis, oder nennen Sie das Toleranz?
Mitmenschlichkeit sei gefordert, meinte Bundeskanzler Kohl. Vielleicht gruppieren christliche Demokraten und Liberale diese und weitere Ungeheuerlichkeiten des Gesetzentwurfes dort ein. Diese Regierung will für geschätzte 20 000 ausländische Arbeitnehmer, die die Bundesrepublik in neun Monaten verlassen, im Jahre 1984 zusammengefaßt 835 Millionen DM aufwenden. Wenn wir in Rechnung stellen, daß im Jahre 1982 433 268 Ausländer die Bundesrepublik verlassen haben - die Zahl wird 1983 übrigens höher sein, und zwar ohne Verführung durch Prämien -, steht die für dieses Gesetz aufzuwendende Summe in keinem Verhältnis zu der Zahl der in Frage kommenden Anspruchsberechtigten.
({11})
Es stellt sich für uns gleichzeitig die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit. Jeder Arbeitslose hat in der Regel 12 Monate Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Dem ausländischen Arbeitnehmer gewährt man 7 Monate. Die Regierung behauptet, dieser Zeitraum sei die Durchschnittsarbeitslosigkeit. Sie verschweigt, daß deren Zeitraum bei Hilfskräften die Grenze von 8 Monaten bereits überschritten hat.
Die Regierung hat mit dieser Gesetzesabsicht in der Bevölkerung Hoffnungen geweckt, die unerfüllbar sind. Bei der deutschen Bevölkerung wird der Irrglaube erweckt, die Maßnahme könne die erschreckend hohen Arbeitslosenzahlen mindern. Beider ausländischen Bevölkerung wurde die Hoffnung gezüchtet, daß arbeitslose Ausländer, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren, eine finanzielle Hilfe erhalten. Beide Hoffnungen müssen unerfüllt bleiben. Von Ende Oktober 277 000 arbeitslosen Ausländern wird kein einziger einen Anspruch nach diesem Gesetz haben. Kein deutscher Arbeitnehmer, der arbeitslos ist, wird durch dieses Gesetz einen Arbeitsplatz erhalten können, weil nach einem Konkurs und nach einer Betriebsänderung keine Arbeitsplätze mehr vorhanden sind. Das müßte schließlich auch Ihnen einleuchten.
({12})
Die Bevölkerung wird insgesamt durch die Regierung getäuscht. Den Betroffenen wird keine wirkliche Hilfe zuteil. Das Geld wird nicht als gezielte Rückkehrhilfe eingesetzt, sondern als Lockmittel dafür, in der Bundesrepublik erworbene soziale Ansprüche aufzugeben. Hier wird mit Getöse eine Maßnahme propagiert, die von den Arbeitnehmern insgesamt zu bezahlen ist, die aber keinem einzigen Arbeitslosen hilft. Im Gegenteil, die Regierung ist sich nicht zu schade, über dieses Gesetz ein Stück Arbeitslosigkeit zu exportieren.
({13})
Ich nenne dieses Handeln schlicht verantwortungslos, Herr Jagoda. Das, was Sie da machen, ist verantwortungslos!
({14})
Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen handeln weder tolerant noch geduldig. Weder handeln sie verständnisvoll, noch handeln sie mitmenschlich.
({15})
- Ihre Zwischenrufe sind wirklich sehr schnuckelig.
({16})
Wenn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion alleine diese Wertung vornehmen würde, wenn wir das alleine wären, wenn die Regierung uns den Sachverstand der Bundesrepublik entgegenhalten könnte, wenn es für Fachleute Zweifel geben würde an unserer Kritik, dann könnten Sie, die CDU/CSU und auch die FDP, sich in der Sache mit den Sozialdemokraten auseinandersetzen, aber nicht einmal dazu sind Sie nach den Anhörungen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in der Lage.
({17})
- Bevor Sie hier herumschreien, sollten Sie lieber die Protokolle lesen, dann würden Sie nämlich auch schlauer.
({18})
Die öffentliche Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung am 12. Oktober wurde für die Bundesregierung zum Fiasko. Kein Verband, der in der Ausländerpolitik Verantwortung trägt, der viele
Jahre Erfahrungen sammeln konnte, ist für diesen Regierungsentwurf eingetreten. Wohl selten ist der Gesetzentwurf einer Regierung auf so einhellige Ablehnung durch nahezu alle Sachverständigen gestoßen wie in der Anhörung.
({19})
Der Gesetzentwurf zur sogenannten Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern wird gegen den gesamten Sachverstand der Bundesrepublik durchgesetzt werden müssen. Von „Abschiebeprämien" über „Geschäft für die Regierung" bis „schürt die Ausländerfeindlichkeit" lautete die vernichtende Kritik der Sachverständigen.
({20})
Selbst jene Organisationen, Herr Kollege, die üblicherweise die derzeitige Bundesregierung - also auch Sie - wohlwollend kommentierten, mußten zugeben, daß das beabsichtigte Gesetz weder die vorhandenen Probleme lösen wird noch für den rückkehrwilligen ausländischen Arbeitnehmer eine wirksame Hilfe darstellt. Wenn Gewerkschaften und karitative Verbände, die täglich in der Ausländerbetreuung zusammenarbeiten, der Regierung bescheinigen, daß der Gesetzentwurf Verwirrung bringt und nicht vermittelbar ist, dann wird damit die Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion über die Unbrauchbarkeit des Gesetzentwurfes voll bestätigt.
({21})
Unsere mehrfach geäußerten Appelle an die Regierung, diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen, blieben ebenso unerhört wie die massive Kritik der Experten. Zum sicher vorauszusagenden Schaden deutscher und ausländischer Arbeitnehmer, den die Sachverständigen beeindruckend formulierten, schweigt die Bundesregierung, schweigen die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP. Unwiderlegt ist die Warnung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, daß diese Regelung den Beigeschmack einer Abschiebeprämie habe. Nicht zu entkräften ist die Kritik der betroffenen Ausländer, daß die Regierung ein Geschäft mit negativen Auswirkungen auf ihrem Rücken betreibe.
Die Regierung lockt mit der Kapitalisierung der betrieblichen Altersversorgung und verschweigt den Betroffenen durch „massive Aufklärung", daß dies allein in der Entscheidung des Unternehmens liegt. Da nun die Unternehmer schwere Klagen über ihre finanziellen Möglichkeiten führen - und zeitweise tragen Sie sie ja hier als Sprachrohr der Unternehmer vor -, wird in der Regel überhaupt keine Zahlung erfolgen. Das Regierungslager findet diese Tatsache wohl in Ordnung, wirbt aber mit erstaunlichen Summen. Der Deutsche Caritas-Verband kritisiert, daß der Ausländer gedrängt wird, daß ihm das Gefühl gegeben wird: Wir werden ganz bewußt gegeneinander ausgespielt. Die Christlich-Demokratische Union schweigt dazu.
Alle Sachverständigen haben übereinstimmend erklärt, daß alleine die Bearbeitungszeit in der Bundesrepublik mindestens drei Monate betrage, unabhängig davon, daß es zusätzlich eines Mindestmaßes von Überlegungsfrist für eine neue Lebensplanung bedarf. Unabhängig davon, daß deutsche Vermieter für zu kündigenden Wohnraum in der Regel drei Monate Kündigungsfrist reklamieren, wollen die Christlich-Demokratische Union und die liberale Fraktion durch ein Gesetz bestimmen, daß dies alles in vier Wochen zu geschehen habe. Sie klatschen Beifall bei Begriffen wie Toleranz, Geduld, Verständnis oder Mitmenschlichkeit, Sie handeln nach dem Gegenteil. Was Sie hier beschließen wollen, ist intolerant, ist unmenschlich, ist unwirklich.
({22})
Das ist von einer geistig-moralischen Art, die ich unbewertet lasse, weil ich mir einen Ordnungsruf wegen Ihrer unmöglichen Politik ersparen möchte.
({23})
Die Regierung ist nicht in der Lage, auch nur ein Argument zu finden, um die aufgezählten Fakten zu entkräften. Außer billigen Zwischenrufen fällt Ihnen nichts mehr ein.
Die in der Ausländerarbeit erfahrene Arbeiterwohlfahrt erklärt, daß die Inhalte des Gesetzentwurfes zu einer ungeheuren Verwirrung geführt haben. Die Koalition zeigt sich unberührt.
Das Regierungsgerede von Existenzgründung in der Türkei mit der angebotenen Prämie haben die Experten präzise beantwortet. Ich zitiere:
Was so billig begründet werden kann, ist selbst in der Türkei schon im Überfluß vorhanden.
Und was macht die Regierung? Sie verschließt weiter die Augen - und mit ihr die sie tragenden Fraktionen.
CDU/CSU und FDP kümmern sich nicht um die Warnung, daß bestimmte Unternehmer die Regelungen des Gesetzentwurfs dazu benutzen könnten, auf diese Art und Weise einen Betriebsteil mit hohem Ausländeranteil zu schließen.
({24})
Zwar will man Mitnahmeeffekte und Mißbrauch bekämpfen, gleichwohl legt man Gesetzentwürfe vor, die genau diese Möglichkeiten eröffnen.
Das, was wir vorschlagen, liegt vor Ihnen ausgebreitet als Drucksache. Ich hatte soeben bereits empfohlen, daß Sie Protokolle und Drucksachen des Bundestages lesen sollten. Dann wüßten Sie auch Bescheid, was hier Geschäftslage ist. Dann brauchten Sie nicht solche Fragen zu stellen.
({25})
Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche und der Caritasverband erklären der Christlich-Demokratischen Union grundsätzlich, daß die vorgeDreßler
schlagenen Maßnahmen keine Lösung irgendwelcher Probleme in der Bundesrepublik zeitigen würden. Die Union bleibt unberührt. Die Evangelische Kirche warnt, daß dadurch Vorurteile statt abgebaut aufgebaut werden. Reaktion der Regierung: keine. Fremdenfeindlichkeit werde durch den Gesetzentwurf verstärkt werden, sagten die Sachverständigen. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der deutschen Ausländerpolitik werde erheblich erschüttert. Das Regierungsbündnis weigert sich, zu allen Warnungen substantiell Stellung zu nehmen.
({26})
Die Abstimmungsmaschine einer Mehrheit des Bundestages soll heute den gesammelten Sachverstand der Bundesrepublik ersetzen.
({27})
Die Hilflosigkeit der Regierung und augenscheinlich auch Ihre Hilflosigkeit, Herr Kollege, in den schwierigen internationalen Fragen die diese Gesetzesabsicht aufwirft, stimmt ebenfalls sehr nachdenklich. Da wird mit schnell trocknender Tinte aufgeschrieben, daß nur gezahlt werde, wenn der Ausländer die Bundesrepublik auf Dauer verlasse.
({28})
Natürlich ist jedermann bekannt, daß Spanien und Portugal Zusagen erhalten haben, Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft zu werden. Der Zeitpunkt ist nicht mehr fern. Meine einfache Frage an die Bundesregierung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, wie das mit dieser Formulierung „müssen die Bundesrepublik auf Dauer verlassen" in Einklang zu bringen sei, blieb bis heute unbeantwortet.
Diese Regierung will Prämien zahlen, Rentenanwartschaften und Sparprämien kapitalisieren für Angehörige befreundeter Staaten, die in kurzer Zeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die Freizügigkeit erwerben. Glauben Sie denn ernsthaft, Herr Kollege Günther, Sie könnten zweierlei Spanier oder zweierlei Portugiesen schaffen? Wenn Sie das immer noch nicht begriffen haben, fragen Sie bitte den Außenminister der von Ihnen getragenen Regierung, wenn der Arbeitsminister diese einfachsten internationalen Regeln zu definieren und uns zu erklären nicht imstande ist.
Zum Thema Mitmenschlichkeit und Verständnis gehört natürlich die Höhe der Prämie. Allein der politische Ansatz ist so undurchdacht - von Absicht darf man wohl in diesem Zusammenhang nicht sprechen -, daß die Beherrschung des kleinen Einmaleins ausreicht, um sich mit Befremden abzuwenden. Propagiert werden von Ihnen 10 500 Deutsche Mark. Davon abzuziehen sind je Monat der Lebensplanungsüberlegungen 1 500 DM oder Mietkosten für gekündigten Wohnraum. Davon abzuziehen sind Zinsen für die Zwischenfinanzierung des Umzugs ins Heimatland, da die Summe erst gezahlt wird, wenn der Betroffene mit Familie die Bundesrepublik verlassen hat. Kredithaie, so die Sachverständigen, haben bis zu 60% Abschlag von den bereits möglichen vorzeitigen Rentenauszahlungen berechnet. Abzuziehen sind Umzugskosten in einer Höhe, die unter Umständen nicht einmal die volle Prämie abdeckt. Weil sich die Regierungsparteien weigern, diese Zahlen zu recherchieren - es könnte erhellend wirken -, habe ich für Sie, eben um die Arbeit zu erleichtern - Herr Kollege Jagoda, vielleicht hören Sie mal zu und rufen weniger dazwischen -, Angebote nachgefragt. Hören Sie genau zu:
({29})
Der Umzug eines 21/2-Zimmer-Haushalts von Stuttgart nach Istanbul kostet 6 000 DM, von Stuttgart nach Mersin oder Silas in der Türkei 8 000 DM. Es handelt sich dabei wirklich nur um die Minimalausstattung. Größere Transporte werden mit 10 000 bis 15 000 DM veranschlagt.
({30})
Diese Angebote, Herr Kollege, stammen übrigens von türkischen Firmen. Eine deutsche Firma aus Stuttgart will bis Izmir 25 000 DM Transportkosten geltend machen. Der „Von-Haus-zu-Haus-Service" der Deutschen Bundesbahn ist überhaupt nicht zu bezahlen.
Was, Herr Bundesminister, bleibt eigentlich dem Arbeitnehmer, seiner Frau und seinen Kindern von ihrer sogenannten gezielten Rückkehrhilfe? Was bleibt eigentlich nach Meinung der Christlich-Demokratischen Union von finanziellen Anreizen, die Rückkehrbereitschaft zu fördern? Was bleibt eigentlich nach Auffassung der liberalen Fraktion, Herr Kollege Cronenberg, für eine Existenzhilfe im Heimatland? Die christlich-liberale Regierung und die sie tragenden Abgeordneten wissen es genau: Es bleibt nicht nur nichts übrig, es können dadurch sogar zusätzliche Belastungen aufgebürdet werden, die der einzelne nicht übersieht, die ihm aber jede existentielle Grundlage auf viele Jahre vorenthalten.
({31})
Was ist an dieser Politik eigentlich mitmenschlich, was ist an dieser Politik tolerant, und was ist daran eigentlich verständnisvoll?
({32})
Mir kommt das Wort eines maßgebenden Repräsentanten des Deutschen Bundestages in Erinnerung, das von Sonntagsreden und Alltagshandlungen handelte.
({33})
Die großen Sprüche der Regierung und ihre politische Handlungsweise klaffen weit auseinander. Tragisch ist, daß Menschen darunter leiden müssen, und verantwortungslos ist, daß Abgeordnete der CDU/CSU und der FDP, die die Materie kennen, die die absolute Fragwürdigkeit des Gesetzes genau einzuschätzen wissen, nicht den Mut aufbringen,
sich vor dem Deutschen Bundestag ohne Schere im Kopf zu äußern.
({34})
Selbst die CDU/CSU/FDP-Mehrheit im Haushaltsausschuß, die die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes zu bewerten hatte, setzte ein unübersehbares Warnsignal. Nach Meinung dieser Politiker Ihrer Fraktion ist es nicht mehr vertretbar, das Geld auszugeben. Es scheint nach Meinung Ihrer Kollegen nur noch vertretbar zu sein. Der Rückzug scheint bei präzise arbeitenden Unions-Abgeordneten schon eingeläutet zu sein.
({35})
- Ich hoffe, es wird Ihnen jetzt nicht die Sprache verschlagen, wenn ich ein Mitglied der Bundesregierung zitiere und das mit der gerade gehaltenen Rede des Bundesarbeitsministers in einen Vergleich setze. Ich hoffe, das wird Ihnen nicht die Sprache verschlagen.
({36})
Die wahren Absichten der Bundesregierung formulierte Staatssekretär Spranger
({37}) im Auftrage des Innenministers
({38})
am 30. September 1983 auf dem Landkreistag in Kempen, Niederrhein. Ich zitiere - Quelle: Westdeutscher Rundfunk -:
Eine harte Ausländerpolitik senkt die Sozialkosten, trägt also zur Finanzierung bei. Da die Integrationspolitik gescheitert ist, lohnen sich weitere Investitionen in diesem Bereich nicht. Sprachliche, schulische und berufliche Ausbildung für ausländische Kinder bringt nichts und geht außerdem zu Lasten der Steuerzahler, also hat sie zu unterbleiben, besser noch, man läßt die Kinder gar nicht erst ins Land kommen. Eltern, die dennoch mit ihren Kindern zusammenleben möchten, können auf Hilfe nicht mehr hoffen, ihr Wunsch ist eine verfehlte Lebensplanung für ihre Kinder, dafür dürfen sie nicht noch belohnt werden.
So die Position des Innenministeriums.
({39})
Wie fühlen sich eigentlich die Redner der Regierungskoalition, wie fühlt sich eigentlich der Bundesarbeitsminister, der gerade eine von Integrationsbegriffen nur so strotzende Rede gehalten hat? Wie fühlt sich eigentlich der Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt - sozusagen als Kopilot von Herrn Spranger -, wenn er solche Sätze seines Kollegen aus dem Innenministerium zur Kenntnis nehmen muß?
({40})
Sie halten Reden, die die Begriffe Toleranz, Verständnis, Geduld und Mitmenschlichkeit enthalten. Gleichzeitig bereitet die Regierung eine Politik des Gegenteils vor und verkündet außerhalb des Bundestages Absichten, die an Intoleranz nicht zu überbieten sind.
({41})
Wenn der Deutsche Bundestag mit dem Entschließungsantrag der SPD-Fraktion unserer Auffassung folgte, dann würde das Parlament der Toleranz und der Mitmenschlichkeit, die Bundeskanzler Helmut Kohl in der Regierungserklärung zum Ausdruck brachte, das Wort reden und danach handeln, und wir könnten alle gemeinsam auf dieser Grundlage die geschriebene Verfassung ein Stück weiter verwirklichen.
Ich danke.
({42})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Dreßler, Vokabeln wie „ungeheuerlich", „unmenschlich", „Prämienverführung" und „Intoleranz" sind nicht geeignet, um in der Ausländerpolitik auch nur einen einzigen Schritt weiterzukommen.
({0})
Ich finde es schlimm, wie Sie sich hier herstellen und vor dem Deutschen Bundestag eine solche Rede halten. Auf dem Hintergrund der früheren Überlegungen der Schmidt-Regierung hätte ich eine andere Rede gehalten.
({1})
Sie haben doch die Rückkehrförderung ins Spiel gebracht. Ich möchte Ihnen einmal sagen, was Sie am 4. Februar 1982 in der Ausländerdebatte hier gesagt haben. Da haben Sie gesagt: Die sozialliberale Regierung muß Hilfen für ausländische Arbeitnehmer beschließen, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren wollen.
({2})
Herr Kollege Dreßler, Sie haben in einem Interview mit dpa am 13. Juli 1982 gesagt, es werde darum gehen, wie eine dauerhafte Rückkehr auch durch finanzielle Anreize gefördert werden kann.
({3})
Sie haben eine Rückkehrprämie durch die Kapitalisierung des Arbeitslosengelds angesprochen.
({4})
Herr Kollege Dreßler, der Ihnen sehr bekannte Ministerialdirektor Bodenbender, der j a in Ihrem Hause und unter Ihrer Stabführung maßgeblich mitgearbeitet hat, hat in einer Rede im März 1982 gesagt:
Müller ({5})
Es wäre daran zu denken, eine Rückkehrprämie in den Fällen zu zahlen, in denen Betriebe stillgelegt werden oder über längere Zeit kurzgearbeitet wird, damit die Mitnahmeeffekte geringer bleiben.
({6})
Ich meine, wir sollten uns in dieser schwierigen Frage auf einem anderen Niveau begegnen.
({7})
Meine Damen und Herren, das Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern ist ein wichtiges Element der Ausländerpolitik unserer Bundesregierung, die durch drei Schwerpunkte gekennzeichnet ist - ich darf sie noch einmal in Erinnerung rufen -: Integration der seit langem bei uns lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien; Begrenzung des weiteren Zuzugs; Förderung der Rückkehrbereitschaft. Diese drei Ziele haben einen engen inneren Zusammenhang. Deshalb darf der vorliegende Gesetzentwurf nicht isoliert gesehen werden.
Herr Kollege Dreßler, unsere Politik ist keine Politik nach der Parole „Ausländer raus!",
({8})
auch wenn immer wieder versucht wird, das der CDU/CSU zu unterstellen. Ich weise diese Unterstellungen mit Nachdruck zurück.
({9})
Ich will auch deutlich sagen: Diese Ausländerpolitik ist ein viel zu empfindlicher Bereich, als daß wir hier gegeneinander Stimmung zu machen versuchen sollten. Ich meine, wir sollten uns einig darin sein, daß wir uns gemeinsam gegen jede Art von Ausländerfeindlichkeit wenden sollten. Ich rufe auch von dieser Stelle aus unsere Mitbürger dazu auf,
({10})
dagegen anzukämpfen und sich nicht an der Diskriminierung der ausländischen Mitbürger zu beteiligen.
({11})
Ich habe, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, am 4. Februar 1982 hier in der Ausländerdebatte bereits ein klares und eindeutiges Bekenntnis zur Integration der Ausländer abgegeben.
({12})
- Sie bezweifeln das doch in Ihrem Entschließungsantrag, den Sie hier vorgelegt haben.
Meine Damen und Herren, wir müssen einerseits einsehen und uns darauf einstellen, daß wir auch in Zukunft mit einer großen Zahl von Ausländern zu leben haben. Andererseits können wir nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß viele Ausländer lieber in ihr Heimatland zurückkehren und dort leben und arbeiten wollen. Bereits im Jahre 1982 sind 86 000 Ausländer ohne Rückkehrhilfe zurückgekehrt.
({13})
Ich will noch einmal deutlich sagen: Diejenigen Ausländer, die wir geholt und angeworben haben und die seit Jahren hier leben, sollen auch hierbleiben können, wenn sie es wollen. Aber diejenigen, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, sollen unsere Unterstützung haben.
({14})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege, ich bezweifle ja nicht Ihr persönliches Engagement. Kein Mensch bezweifelt das.
({0})
Aber sind Sie nicht der Meinung, daß der Gesetzentwurf und die von meinem Kollegen Dreßler zitierten Äußerungen des Staatssekretärs Spranger diesen Intentionen voll zuwiderlaufen?
Ich bin nicht dieser Meinung. Ich rede hier nicht nur für meine Person, sondern ich rede für die Fraktion der CDU/ CSU.
({0})
Ich möchte auch hier noch einmal deutlich sagen: Wir lehnen jede Zwangsmaßnahme zur Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien ab.
({1})
- Die Rückkehr der Ausländer soll eine freiwillige Sache sein, Herr Kollege Fischer. Wir wissen - das haben wir nicht vergessen -, daß viele Ausländer durch ihre Mitarbeit dazu beigetragen haben, daß unser gemeinsamer Wohlstand gemehrt wurde.
({2})
Eine Politik nach dem Motto „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan; der Mohr kann gehen" ist mit den Grundsätzen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zu vereinbaren.
({3})
- Maßnahmen zur Rückkehr sind ja auch von Ihnen, der SPD, bereits erörtert worden. Ich darf hier
nur einmal an die Kabinettsbeschlüsse erinnern.
Müller ({4})
Ich darf auch an die Entschließung der SPD-Fraktionsvorsitzenden aus Bund und Ländern erinnern, die bei der Zusammenkunft vom 20. bis 22. Mai gefaßt wurde.
Herr Dreßler, Sie sagen in Ihrem Entschließungsantrag, es seien Illusionen geweckt worden. Diese Illusionen sind doch auf Ihre Entscheidung zurückzuführen. Sie haben doch die Illusionen geweckt.
({5})
Sie haben jahrelang von der Rückkehrförderung geredet. Allerdings haben Sie nichts unternommen. Das ist doch der entscheidende Punkt. Sie haben doch eigentlich im Gegenteil alles noch viel schlimmer gemacht, denn Sie haben Erwartungen, und zwar hohe Erwartungen, geweckt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?
Ich möchte das nicht wegen der begrenzten Redezeit!
Gilt das auch für eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?
Ich möchte sagen: Gerade in dieser Frage war entschlossenes Handeln der neuen Bundesregierung dringend erforderlich, damit für alle Beteiligten endlich Klarheit geschaffen wurde. Trotz der schwierigen Haushaltslage hat die Bundesregierung ein Konzept vorgelegt, das auf realistischen Zahlen beruht und deshalb finanzierbar ist. Die Bundesregierung ist maßvoll und gezielt vorgegangen und hat nicht nach dem Gießkannenprinzip Lösungen vorgeschlagen.
Es ist wichtig, daß die Voraussetzungen sowohl vom zeitlichen Rahmen als auch vom Personenkreis der Berechtigten her an enge Kriterien gebunden sind. Es ist unmöglich - wie das in der Anhörung verschiedentlich als Forderung zu hören war -, allen heimreisenden Ausländern zu helfen.
({0})
Das lassen weder die Finanzen unseres Staates noch unserer Sozialversicherungssysteme zu. Deshalb hat das Gesetz auch nur eine kurze Laufzeit.
({1})
Wir sind überzeugt, daß dieses Gesetz ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung ist. Der ausländische Arbeitnehmer, der in der vorgesehenen Laufzeit des Gesetzes wegen Konkurs- und Betriebsschließung arbeitslos wird oder von längerer Kurzarbeit betroffen ist, muß selbst entscheiden, ob er die angebotenen Hilfen in Anspruch nimmt oder nicht. Der Gesetzentwurf unserer Regierung ist weitergehend und besser als frühere Pläne der SPD. Warum? Weil die Rückkehrhilfen um einen Sockelbetrag von 10 500 DM, der dem durchschnittlichen Arbeitslosengeld nach Dauer und Höhe entspricht, erweitert wird und weil er darüber hinaus um entsprechende Kindergeldleistungen von 1 500 DM für jedes Kind, das hier lebt, erweitert wird.
Noch etwas - das hat Herr Dreßler nicht gesagt -: Die Möglichkeit der Beitragserstattung aus der gesetzlichen Rentenversicherung
({2})
wird durch den Wegfall der Zweijahresfrist erheblich verbessert.
({3})
Ich meine, das ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt. Dadurch verhindern wir doch, Herr Kollege Dreßler, das ausländische Arbeitnehmer oft teure Kredite bei Geldverleihern aufnehmen,
({4})
weil sie lange auf die Beitragserstattung warten müssen.
({5})
Wer sich in der Rentenversicherung seines Heimatlandes nachversichern oder wer sich selbständig machen will, der braucht das Geld sofort und nicht erst in zwei Jahren oder nach sechs Monaten, wie es die SPD vorgesehen hatte. Die mit der Abwicklung der Anträge beauftragten Behörden rechnen mit einer Bearbeitungsdauer von maximal drei Monaten. Voraussetzung dafür ist, daß die Arbeitgeber umgehend einen Nachweis der beitragspflichtigen Entgelte bescheinigen. Das wird durch dieses Gesetz erreicht. Im Ausschuß ist von der SPD gesagt worden, es sei falsch und unsozial, den Ausländern ihren Beitragsanteil auszuzahlen; die Fürsorgepflicht des Gesetzgebers gebiete es, die Ausländer vor falschen Entscheidungen zu bewahren. Ich meine, die Ausländer sind mündig genug, daß sie selbst wissen, was sie wollen, und selbst entscheiden können, was für ihre Familien und für sie selber richtig ist. Es kann durchaus möglich sein, daß zur Zeit dieses Geld für den betreffenden Ausländer und seine Familie für den Aufbau der Existenz wichtiger ist als später eine Rente.
In der Diskussion ist immer wieder gefordert worden, auch die Arbeitgeberanteile auszuzahlen. Dem kann nicht zugestimmt werden, da die Arbeitgeberanteile der Risikoabsicherung gegenüber möglicher Berufs- und Erwerbsunfähigkeit dienen. Außerdem würde dies zu einer Ungleichbehandlung deutscher Versicherter führen, die im Falle der Beitragserstattung auch nur den Arbeitnehmeranteil bekommen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie das zusammenrechnen - Sockelbetrag aus der Arbeitslosenversicherung, Sockelbetrag aus dem Kindergeld, Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge, Ablösung der staatlich begünstigten Sparverträge und Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung -, dann kommt hier eine Summe zusammen, die in vielen Fällen durchaus den Aufbau einer Existenz im Heimatland möglich macht. Es ist deshalb falsch, von einer Abschiebeprämie zu sprechen.
({6})
Ich will auch das einmal deutlich sagen: Es handelt
sich gar nicht um Prämien, sondern der Ausländer
Müller ({7})
erhält den Durchschnittsbetrag an Arbeitslosen- und Kindergeld und persönlich erworbene Ansprüche. Es wird also niemandem etwas geschenkt. Ich weiß nicht, was an diesem Verfahren sozialpolitisch fragwürdig und was daran verwerflich sein soll, wenn wir den rückkehrwilligen Ausländern diese Hilfen anbieten.
Das Gesetz minimiert, so glaube ich, die Mitnahmeeffekte. Frankreich ist darüber gestolpert, da man dort allen Ausländern bei der Heimkehr helfen wollte. Ich meine, das ist mit diesem Gesetzentwurf ausgeschlossen.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Gesichtspunkt ansprechen. Ich meine, wir sollten uns einig darin sein, daß die schwierigen Probleme der Reintegration auch die intensive Mitarbeit der jeweiligen Heimatländer erfordert. Wenn hier von unzumutbar hohen Zollvorschriften geredet wird, können wir die Türkei nur bitten, diese Zollvorschriften entsprechend zugunsten ihrer Arbeitnehmer zu Lokkern.
({8})
Die rückkehrwilligen Ausländer werden sich eher für eine Heimkehr entscheiden, wenn sie in ihrem Lande eine gesicherte Zukunft, einen Arbeitsplatz erwarten können.
({9})
Es kann und darf uns nicht gleichgültig sein, ob und wie sich die Heimatländer der hier lebenden Ausländer entwickeln. Wir sehen einen engen Zusammenhang zwischen Ausländerpolitik und Entwicklungspolitik, und die Bundesregierung wird stärker als bisher ihre Entwicklungspolitik gegenüber den Anwerbeländern auf die Schaffung von Arbeitsplätzen ausrichten müssen. Darum werden wir den entsprechenden Entschließungsantrag meiner Fraktion und den der FDP unterstützen.
Ich möchte noch ein Weiteres sagen. Wir brauchen, so glaube ich, eine sehr vertrauensvolle Beratung. Diese verantwortungsvolle Aufgabe der Beratung haben wir zu einem wichtigen und ergänzenden Bestandteil der Rückkehrförderung gemacht. Die Beratung von rückkehrwilligen ausländischen Arbeitnehmern soll praxis- und realitätsnah erfolgen und eine echte Hilfe bei der gesellschaftlichen und beruflichen Wiedereingliederung im Heimatland sein. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben deshalb die Beratung als besondere Aufgabe im Gesetz hervorgehoben. Wir haben hierzu heute noch einen Änderungsantrag eingebracht, wonach Art. 1 § 5 b Abs. 2 folgende Fassung erhalten soll: „Die Beratung wird durch die Bundesanstalt für Arbeit nach fachlichen Weisungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung oder durch nicht bundeseigene andere Stellen durchgeführt." Wir wollen mit dieser Klarstellung erreichen, daß zur Durchführung der Beratung nicht neue bundeseigene Behörden errichtet werden, sondern daß neben der Bundesanstalt für Arbeit auch die Wohlfahrtsverbände und geeignete Beratungsbüros diese Aufgabe übernehmen können. Die Hilfestellung, die den ausländischen Arbeitnehmern bei der Anwerbung und Vermittlung auf einen Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland gegeben wurde, sollte jetzt auch den Ausländern gegeben werden, die in ihre Heimatländer zurückkehren wollen. Damit betonen wir die soziale Verantwortung, die auch die Bundesrepublik Deutschland neben den in erster Linie verantwortlichen Heimatländern gegenüber den Rückkehrern hat.
Meine Damen und Herren, ich habe in meiner langjährigen Erfahrung als Bürgermeister einer Stadt mit hohem Ausländeranteil und aus langjähriger Erfahrung in meiner Arbeit als Vorsitzender der katholischen Arbeitnehmer-Bewegung einen regen und intensiven Kontakt mit Ausländern, mit den Betroffenen. Viel denken über diese Dinge ganz anders, als hier oft geredet wird. Sie sind nämlich sehr nüchtern, und sie begreifen die Rückkehrförderung als ein Gebot und auch als eine Chance. Viele warten auf dieses Gesetz und werden es mit Sicherheit in Anspruch nehmen. Die CDU/CSU-Fraktion bekennt sich zu diesem Gesetzentwurf und sichert der Bundesregierung bei der Durchführung ihre volle Unterstützung zu.
({10})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
Liebe ausländischen Freunde und Freundinnen! - Ich danke Ihnen für diese Erinnerung.
({1})
- Sehen Sie, manchmal klappt es ja doch.
Herr Blüm und auch Herr Müller ({2}), ich habe es vorhin eigentlich überhaupt nicht verstehen können, daß Sie das Wort „Rückkehrhilfe" im Zusammenhang mit genau diesem Gesetz in den Mund nehmen können, ohne hier gleichzeitig vor Schamröte in den Boden zu versinken. Denn das, was Sie mit Hilfe dieses Gesetzes praktizieren wollen, ist nichts anderes als ein hochmodernes Stück neuen Raubrittertums.
({3})
Der Gesetzentwurf soll die Rückkehrbereitschaft von Ausländern durch ein Angebot von überwiegend befristeten finanziellen Anreizen fördern und damit einen Beitrag zur Konsolidierung der Ausländerzahlen in der Bundesrepublik Deutschland leisten.
So lautet der erste Satz zur Einführung in die Problematik des Gesetzentwurfs.
Hier wird die Senkung der Ausländerzahlen versprochen, ja wem denn eigentlich? Ganz offensichtlich spielt hier die Bundesregierung mit den Ängsten von Menschen in der deutschen Bevölkerung, - Ängsten, die angesichts einer fortschreitenden und durch Rationalisierungsmaßnahmen forcierten
Massenarbeitslosigkeit auftreten - Ängsten, die mit einem von seiten der Bundesregierung und den Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP offensiv vertretenen Konzept rigiden Sozialabbaus Hand in Hand gehen - Ängsten, die bewirken, daß immer breiteren Teilen der Bevölkerung das ihnen nahegelegte Argument einzuleuchten scheint, daß mit einer „Ausländer raus!"-Politik die soziale Misere in diesem Land überwunden werden könne. Bei diesen Menschen, bei diesem Teil der deutschen Bevölkerung produziert die Bundesregierung eine hohe Erwartungshaltung, nämlich daß über dieses Gesetz der Arbeitsmarkt durch reduzierte Ausländerzahlen entlastet werden könne.
Sie sagen, Herr Blüm, Sie knüpfen an die Ängste der arbeitslosen ausländischen Arbeitnehmer an. Doch genau das Gegenteil ist hier der Fall. Denn vergleichen wir die Zahl von bereits 300 000 arbeitslosen ausländischen Arbeitnehmern mit der vorsichtig geschätzten Zahl von 20 000 erst noch zu produzierenden ausländischen Erwerbslosen, auf die genau dieser Gesetzentwurf zutreffen soll, dann wird klar, daß dieser Gesetzentwurf die einmal geschürten Ängste in der deutschen Bevölkerung in offene, in vielen Städten schon anzutreffende Ausländerfeindlichkeit umschlagen lassen wird, und zwar nach dem Motto: Jetzt erhalten sie schon Geld, um nach Hause zu fahren; warum verschwinden sie dann nicht endlich?
Wir fürchten, es wird der deutschen Bevölkerung nicht zu vermitteln sein, daß dieses Gesetz eben nicht für alle ausländischen Arbeitnehmer gilt, sondern nur für einen im Verhältnis dazu winzig kleinen, eingeschränkten Kreis, nämlich für Nicht-EG-Angehörige, die nach dem 30. Oktober 1983 bis zum 30. Juni 1984, d. h. während der kommenden sieben Monate, erstens durch Stillegung von Betriebsteilen oder durch Konkurs arbeitslos geworden sind oder zweitens innerhalb der letzten sechs Monate vor Antragstellung ununterbrochen auf Kurzarbeit gesetzt waren.
Wir fürchten, daß durch die Verschleierung all dieser Zusammenhänge der moralische, psychische und politische Druck auf alle ausländischen Kollegen und Kolleginnen ausgeübt werden wird, die Bundesrepublik zu verlassen. Denn da der Ausländerpolitik im Bereich des staatlichen Krisenmanagements eine so große Bedeutung zugeschrieben wird, bieten sich ihre Auswirkungen, nämlich das Wachsen rassistischer Einstellungen bei der deutschen Bevölkerung, als ein willkommenes Moment staatlicher Befriedung geradezu an.
Ein kurzer Exkurs in die Geschichte dieses Landes möge all diejenigen, u. a. auch die Arbeitgeberverbände, die analog ihrer Stellungnahme vom September immer noch die abwegige Meinung verbreiten, daß ein derartiges Gesetz aus arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten zu befürworten sei, daran erinnern, daß der erste Anwerbevertrag 1955 mit Italien zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, als die herrschende Massenarbeitslosigkeit statistisch über eine Million Menschen erfaßte. Was sagt wohl diese Tatsache aus, wenn einerseits ein Anwerbe-vertrag geschlossen wird, um neue Arbeitskräfte ins Land zu holen, andererseits genau dieses Land eine Million arbeitslose Menschen vorzuweisen hat? Doch wohl nichts anderes, als daß es sich bei dieser Million um Menschen handelte, die für den Produktionsprozeß nicht verwertet werden konnten, mit anderen Worten, um die Kriegsgeschädigten, die Alten, die Kranken, kurz, alle die im Verdacht standen, die Leistungsnorm nicht mehr erfüllen zu können. Damals wie heute herrscht Arbeitslosigkeit, und damals wie heute werden Menschen, die durch Schwerstarbeit verschlissen wurden, aus dem Produktionsprozeß gedrängt. Deutsche kann man schlecht außer Landes schicken; also greift man auf diejenigen zurück, die in Zeiten der Hochkonjunktur die Drecksarbeit leisten mußten.
Genau das ist die Tendenz Ihrer Politik, so sehr Sie es auch leugnen mögen, Herr Müller ({4}); damals hat der Mohr seine Schuldigkeit getan, heute kann er gehen.
({5})
Die Bundesrepublik hätte es am liebsten, wenn er lautlos ginge, ohne Ansprüche zu stellen. Denn während wirtschaftlich schwieriger Zeiten vergißt man schnell, welchen Beitrag gerade die ausländischen Arbeitnehmer zur wirtschaftlichen Entwicklung der BRD und zur Verbesserung des Lebensstandards in diesem Land leisten und geleistet haben.
Geradezu empörend ist daher die Absicht der Bundesregierung, hier den Eindruck zu erwecken, als handele es sich bei diesem Gesetz um eine unverdiente Großzügigkeit, um eine Art Geschenk, während hier in der Tat - ganz legal - Diebstahl am eingezahlten Kapital ausländischer Arbeitnehmer vorgenommen wird:
({6})
Diebstahl insofern, als nicht einmal alle Ansprüche, die die Betroffenen im Lauf ihrer Erwerbstätigkeit erworben haben, berücksichtigt worden sind, ganz zu schweigen von einer sogenannten Rückkehrhilfe. Wir stellen fest, daß weder die Arbeitgeberanteile zu den Rentenversicherungsbeiträgen noch die weitergehenden Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfeansprüche, die über die durchschnittlich errechnete Kapitalisierung von 10 500 DM hinausgehen, mit in die Überlegungen einbezogen wurden. Daß staatlich begünstigte Sparleistungen in der vollen Höhe bei einer Rückkehr ins Heimatland vorzeitig ausgezahlt werden sollten, das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Von einer Rückkehrhilfe kann also überhaupt nicht die Rede sein,
({7})
denn hier verhilft die Bundesregierung den ausländischen Kolleginnen und Kollegen nicht einmal zu ihren rechtmäßig erworbenen Ansprüchen. Statt dessen wird ein Geschäft gemacht, wird an die Sanierung der Haushalte gedacht, auf Kosten derer, die ohnehin schon durch eine unzumutbare ZimFrau Potthast
mermannsche Ausländerpolitik ins gesellschaftliche Abseits gedrückt wurden und werden. Wir jedenfalls lehnen dieses Gesetz als unmoralischen Etikettenschwindel ab und treten ein für eine konsequente Integrationspolitik, die es ablehnt, arbeitsmarktpolitische Probleme durch eine fortgesetzte Tradition der Methode des „erst Anwerbens, dann Ausbeutens und dann Abschiebens" auf Kosten der ausländischen Kolleginnen und Kollegen zu lösen.
Zum Schluß möchte ich noch einige Betroffene selbst zu Wort kommen lassen. Der Caritas-Verband Hannover e. V. führte in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsausschuß der türkischen Betriebsräte in Niedersachsen und Bremen im Rahmen der Wochen der ausländischen Mitbürger am 24. September 1983 ein Seminar unter dem Thema „Das Rückkehrhilfegesetz und seine Auswirkungen" durch. Zu dem Entwurf des zur Debatte stehenden Gesetzes nehmen sie auf Grund der Ergebnisse des Seminars u. a. wie folgt Stellung - ich zitiere hier nur die letzten beiden Sätze -:
Das Gesetz wirkt eher als ein Beitrag zur Ausländerfeindlichkeit. Wir haben den Eindruck, daß dieses Gesetz ohne Kenntnis der Probleme und ohne jegliche Mitwirkung der Betroffenen entworfen wurde und müssen daher den Entwurf ablehnen.
Die Fraktion DIE GRÜNEN schließt sich diesem Votum an.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bedauerlicherweise kann ich nicht auf Grund meiner vorbereiteten handschriftlichen Notizen hier sprechen, sondern muß zunächst einmal eine Gedächtnisauffrischung - insbesondere für den Kollegen Dreßler - vornehmen.
Herr Kollege Dreßler, am 14. Juli 1982 hat das Kabinett, wie Sie sich erinnern werden, Beschlüsse gefaßt.
({0})
- Sie waren dabei, und Sie waren zuständig. Insofern verstehe ich auch die Debattenstrategie der
Sozialdemokraten in dieser Frage überhaupt nicht.
({1})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dort heißt es:
I. Förderung der Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer.
({2})
Ich gehe doch wohl nicht fehl in der Annahme, daß diese Beschlüsse mit dem Ziel gefaßt worden sind, die Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer zu fördern.
({3})
Ich meine mich dunkel erinnern zu können, daß uns der Kollege Dreßler genau dies soeben zum Vorwurf gemacht hat.
({4})
Nun sollte man einmal fragen, mit welchen Methoden diese Rückkehr gefördert werden sollte, Herr Kollege Dreßler. Auch da darf ich mir erlauben, Ihr Gedächtnis ein ganz klein wenig aufzufrischen. Danach sollten die Rückkehrwilligen - so heißt es unter a) „nach einer halbjährigen Wartefrist über ihre staatlich begünstigten Spareinlagen ohne Verlust der staatlichen Vergünstigung verfügen" können.
({5})
Kollege Dreßler, es gibt einen Unterschied zwischen diesem Beschluß und dem Entwurf. Nach dem jetzigen Entwurf: sofort; damals: sechs Monate. Das ist ein großer Unterschied.
Unter b) wurde festgestellt:
Rückkehrenden Ausländern, die schon nach geltendem Recht die Möglichkeit der Beitragserstattung haben, können auf Antrag nach halbjähriger Wartefrist die auf den Arbeitnehmer entfallenden Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstattet bekommen.
Unterschied heute: sechs Monate eher Rückzahlmöglichkeit.
({6})
Unter c) heißt es:
Mit Zustimmung des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers ist die Abfindung unverfallbarer Anwartschaften aus der betrieblichen Altersversorgung in den Fällen zuzulassen, in denen von dem Recht der vorzeitigen Beitragserstattung in der gesetzlichen Rentenversicherung Gebrauch gemacht wird.
Das ist mit unserem Gesetzesvorschlag identisch.
({7}) Unter d) ist zu lesen:
Finanzielle Begünstigungen unter a) bis c) werden - vorübergehend bis zum 31. Dezember 1987 - solchen Rückkehrern gewährt, die nach dem 30. Juni 1982 einen entsprechenden Antrag stellen.
Befristung - wie auch immer unterschiedlich.
Meine Damen und Herren, wer einen so engagierten Vortrag hält und sich moralisierend hier hinstellt, indem er uns Vorwürfe macht, der sollte mindestens über ein ordentliches Gedächtnis verfügen, wenn schon nicht über die nötige Moral.
({8})
In dieser Beschlußvorlage steht auch etwas anderes. Das möchte ich mit genau der gleichen Deutlichkeit wie damals kritisch bewerten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?
Ich werde zu gegebener Zeit eine Zwischenfrage zulassen; nach diesen persönlichen, von mir als beleidigend empfundenen Vorwürfen möchte ich dies erst geschlossen vortragen.
({0})
Um den Kindern ausländischer Eltern zukunftsgerechte Integrationschancen sichern zu können, hält es die Bundesregierung in Übereinstimmung mit dem Bundesrat
- Herr Kollege Dreßler, dies wurde unter Ihrer Federführung so beschlossen für notwendig, daß die Eltern ihre Kinder in einem Alter in die Bundesrepublik Deutschland nachholen, in dem diese noch eine deutsche Schulausbildung erhalten können.
Schon damals haben wir dies für falsch gehalten. Wir halten das auch heute für falsch. Aber nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis: Sie haben sich damals dazu bekannt. Ich halte es für mies und im Stil unerträglich, wenn Sie die Koalition, insbesondere die Freien Demokraten, von hier aus in so widerlicher Art beschimpfen.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Nein, ich will das erst zu Ende bringen. Er hat mich ja auch gefragt, wie ich mich fühlen muß. Wie müssen Sie sich denn eigentlich fühlen?
({0})
Was haben Sie sich gedacht, als Sie dies mit dem gleichen Ziel der Förderung mit den gleichen Mitteln verabschiedet haben? Wie fühlt sich denn eigentlich der Abgeordnete Dreßler auf diesem Hintergrund?
({1})
Ist das denn nicht Bruch mit der eigenen Vergangenheit?
({2})
So viel Widersprüchlichkeit auf einmal, das ist nichts!
({3})
Um das Kapitel „Stil" endgültig abzuwickeln: Sie haben den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in massiver Art angegriffen. Sie haben die deutsche Regierung von Belgrad, vom Ausland aus angegriffen und den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung der Unwahrheit bezichtigt.
({4})
Obendrein haben Sie von hier aus, vom Parlament aus die jugoslawische Regierung im Grunde genommen noch der Unwahrheit bezichtigt. All dies können Sie sicher tun, aber freundlicherweise bitte doch nicht aus dem Ausland, sondern, Herr Kollege Dreßler, von hier.
({5})
- Nun lasse ich die Zwischenfrage gerne zu. Das mußte erst einmal heraus, weil es nämlich in übler Art verletzend war.
({6})
Herr Abgeordneter Dreßler, bitte sehr.
Herr Kollege Cronenberg, ich kann das in dieser Koalition verstehen.
Das ist schon einmal etwas Gemeinsames.
Wegen der Debattenstrategie, die Sie nicht verstanden haben, darf ich vielleicht durch eine Frage aufklärend helfen und von Ihnen eine Auskunft darüber erbitten, warum Sie eigentlich an der Stelle im Zitat des Kabinettsbeschlusses vom Juli 1982 Schluß gemacht und nicht auch die Beschlüsse des Kabinetts zur Rückkehrförderungspolitik in Richtung des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, in Richtung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, in Richtung des Bundesministers des Auswärtigen zitiert haben und warum Sie nicht zitiert haben, daß dieser Kabinettsbeschluß wörtlich auch noch aussagt:
Zusätzliche finanzielle Anreize - sei es in Form einer Kapitalisierung des Arbeitslosengeldes, sei es als Rückkehrprämie - werden rückkehrenden Ausländern nicht gewährt.
Warum haben Sie alles das jetzt verschwiegen und nicht im Zusammenhang zitiert, damit klar wird, weiche Richtung die Rückkehrhilfepolitik der Bundesregierung Schmidt/Genscher im Verhältnis zu dem wollte,
({0})
was jetzt von Ihnen beschlossen worden ist?
Herr Kollege Dreßler, ich beantworte Ihnen die Frage liebend gern, warum ich das nicht getan habe, aus einem einfachen Grund: weil ich Sie nicht in weitere Verlegenheiten bringen will.
({0})
Herr Kollege Dreßler, Sie müssen sich das doch einmal genüßlich überlegen: Sie haben damals gesagt - nebenbei: wir nicht -, zusätzliche finanzielle Anreize würden wegen der Haushaltsproblematik - nicht deshalb, weil Sie das nicht für sinnvoll hielten - nicht gewährt. Lieber Herr Kollege Dreßler, nun stellen Sie sich doch einmal vor, Sie gehen hin und erklärten, daß der Umzug ca. 10 000 DM koste.
Cronenberg ({1})
Dann müßten Sie sich doch von mir vorhalten lassen, daß Sie den ausländischen Mitbürgern ohne diese 10 500 DM Rückkehrhilfe, ohne den wie auch immer kapitalisierten Anspruch auf mögliche Arbeitslosenhilfe, ohne all dies auf der Grundlage der von Ihnen zitierten Umzugskosten zumuten wollten, zurückzugehen.
({2})
Dies ist an Widersprüchlichkeit nun wirklich nicht mehr zu überbieten.
({3})
Ich kann nur das sagen: Es ist für mich, mit Verlaub, unbegreiflich, daß Sie mit weniger Geld das gleiche Ziel erreichen wollen - das war ja Ihr Ziel - und uns dann vorwerfen, daß wir mit mehr Geld das gleiche Ziel erreichen.
Herr Abgeordneter Cronenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Penner?
In der Hoffnung, daß damit die Sachlichkeit der Debatte wiederhergestellt wird: ja.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Penner.
Herr Kollege Cronenberg, der Vergleich der Entscheidungen der alten Regierung mit denen der neuen Regierung mag ja ganz interessant sein.
Das ist auch bedauerlich, das ist nicht nur interessant!
Ich frage Sie aber: Wie bewerten Sie als Freier Demokrat, als Abgeordneter, der hier im Parlament spricht, die Äußerung des Regierungsmitgliedes Spranger?
({0})
Da gibt es sicher viele Äußerungen zu bewerten. Da gibt es sicher welche, die nicht meine Zustimmung finden, und da gibt es auch viele, die meine Zustimmung finden. Da Sie mich nicht konkret gefragt haben, kann ich leider, dazu keinen Kommentar abgeben.
({0})
Nun legen Sie uns einen Entschließungsantrag vor, der, mit Verlaub gesagt, nur dann einer ernsthaften Erörterung würdig befunden werden kann, wenn man die Feststellung trifft, daß er an der Sache vorbeigeht. Da werden einige richtige Aussagen zur Integrationspolitik, zur Integrationsnotwendigkeit gemacht. Aber da möchte ich der Frau Kollegin Potthast mit allem Ernst sagen: Sosehr beide Koalitionsfraktionen Integration wünschen, dies gesagt haben und durch Taten beweisen, so sehr muß man doch wohl auch das Recht jener ausländischen Mitbürger respektieren, die zurückkehren wollen. Wir wollen doch keine gesetzlichen Regelungen mit Integrationszwang. Deswegen ist es völlig falsch, im Zusammenhang mit diesem Gesetz über die Rückkehrhilfe im Ton des Vorwurfes die Integrationspolitik zu beurteilen. Das sind zwei völlig verschiedene Sachen. Über Sinn und Notwendigkeit von Integrationspolitik können wir uns in der Tat unterhalten und verständigen. Da gibt es Gemeinsames. Wir wollen niemanden zwingen, nach Hause zurückzugehen. Wir wollen aber die latent vorhandene Rückkehrbereitschaft jener vielen, die sich, nicht zuletzt durch die Anregungen der alten Regierung von 1982, mit dem Gedanken getragen haben, ausbauen, wollen diese Möglichkeit anbieten.
({1})
- Wir wecken keine Illusionen, Illusionen, wie es in dem Entschließungsantrag heißt, werden überhaupt nicht geweckt. Und die soziale Akzeptanz und Integration werden doch nicht gefährdet; sie werden höchstens durch dummes Gerede gefährdet. Ausländerhaß wird doch nicht durch diese Vorlage gezüchtet, sondern Ausländerhaß, den ich genauso wie Sie verdamme, wird doch durch eine Auseinandersetzung, wie Sie sie hier führen, wach.
({2})
Herr Abgeordneter Cronenberg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter Cronenberg, nachdem Sie sich so in Hitze geredet haben, wollen wir mal ruhig fragen. Wir waren ja beide bei dem Hearing. Finden Sie nicht, daß die Meinung aller Experten in dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD höchst präzise zusammengefaßt worden ist, der komprimiert genau das widerspiegelt, was uns alle Experten, von den Bischöfen über die Tarifvertragsparteien bis hin zu den karikativen Verbänden, gesagt haben?
Herr Präsident, nach dieser langatmigen Zwischenfrage eine kurze Antwort. Die DAG erklärte - ich zitiere -: „Die vorzeitige Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung soll unterstützt werden."
({0})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung kommt dem Wunsch der Mehrheit des Bundestages entgegen und legt dieses Gesetz vor. „Ausländern, die in ihr Heimatland zurückkehren möchten, sollte die Rückkehr erleichtert werden." - Herr Kollege Dreßler, können Sie denn wenigstens diesen Satz unterschreiben? Ich wiederhole: Ausländern, die in
Cronenberg ({1})
ihr Heimatland zurückkehren möchten, sollte die Rückkehr erleichtert werden.
({2})
- Mit der Zahlung von 10 500 DM und pro Kind 1 500 DM, der Erfüllung der Vorschläge, die Sie erarbeitet haben, erschwere ich das doch nicht, sondern erleichtere es.
({3})
Im übrigen kann ich Ihnen den Kommentar um vieles leichter machen. Dies ist nämlich ein Zitat aus den Grundsätzen der SPD-Bundestagsfraktion zur Ausländerpolitik vom 14. Dezember 1982, einer Zeit, in der Sie auf diesem Gebiet offensichtlich noch zu vernünftigeren Erkenntnissen gekommen sind. Sie sollten gelegentlich auch einmal über sinnvolle Kontinuität in der eigenen Argumentation nachdenken.
({4})
Lassen Sie mich noch einmal betonen: Der ausländische Mitbürger kann für sich und seine Familie wählen, ob er in der Bundesrepublik bleiben oder in sein Heimatland zurückkehren will. Diesen seinen Entscheidungsprozeß wollen wir durch die vorgesehene Maßnahme der vorzeitigen Auszahlung der Arbeitnehmeranteile in der Rentenversicherung und durch die anderen Maßnahmen - durch, wie gesagt, sinnvolle und unterstützungswerte Maßnahmen - erleichtern.
Es ist auch bekannt, daß die latente Rückkehrbereitschaft der Ausländer durch solche Maßnahmen durchaus aktiviert werden kann. Deswegen ist es auch sinnvoll, die Vorlage schnell durchzuziehen.
Ich halte jedenfalls solche Maßnahmen, wie der Regierungsentwurf sie vorsieht, für menschlicher, für humaner als eine Festsetzung des Alters für den Familiennachzug auf höchstens sechs Jahre. Dieser Gedanke ist ja auch nicht neu.
({5})
Auch der frühere Bundesarbeitsminister, bei dem Sie, Herr Dreßler, die Ehre hatten, Parlamentarischer Staatssekretär zu sein, hat uns solche Vorschläge gemacht. Auch hier: Kontinuität in pikanter Form.
({6})
- Natürlich stimmt das, und das wissen Sie ganz genau.
Wir sehen natürlich auch, daß eine Integration von Jugendlichen und Kindern um so eher möglich ist, je früher diese in die Bundesrepublik kommen. Wir sind auch der Auffassung, daß ein früherer Zuzug wünschenswert ist, wenn eine ausreichende Integration erreicht werden soll. Dies muß aber unserer Ansicht nach der Entscheidung unserer ausländischen Mitbürger überlassen bleiben. Deshalb sehen wir es als problematisch an, die schon bestehenden gesetzlichen Regelungen in diesem Bereich weiter zu verschärfen. All denjenigen, die mit diesem Gedanken spielen, möchte ich mit aller Ernsthaftigkeit zu bedenken geben und bewußt machen, daß wir im Zusammenhang mit dem Assoziierungsabkommen mit der Türkei die Frage des Zuzugs ab 1. Januar 1987 mit der Türkei geregelt bekommen müssen und daß wir dazu verhandlungswillige, verhandlungsbereite Gesprächspartner brauchen.
Lassen Sie mich zum Gesetzentwurf im einzelnen noch folgendes sagen: Wir wollen gerade den ausländischen Arbeitnehmern, die durch Konkurs oder Betriebsstillegung betroffen sind oder seit längerer Zeit kurzarbeiten, deren eigenen Vorstellungen über den Aufenthalt in unserem Land man, bedingt eben durch die wirtschaftliche Situation ihres Betriebes, nicht gerecht werden kann, diese zusätzliche Hilfe bieten. Ich möchte in diesem Zusammenhang gern an den alten Bundeskanzler Helmut Schmidt erinnern, der, wie Sie wissen, immer wieder genau auf solche Maßnahmen zur Förderung der Rückkehrbereitschaft gedrängt hat. Genau seinem Anspruch werden wir jetzt gerecht.
({7})
Durch die entsprechenden Ergänzungsanträge haben wir auch klargestellt, daß sich Zufälligkeiten im Bereich der Kurzarbeit nicht zu Lasten der ausländischen Arbeitnehmer auswirken. Das betrifft z. B. die Herabsetzung der Kurzarbeiterquote von 25 auf 20 %.
Wenn nun bei der Streichung der Wartefrist uns gegenüber der Vorwurf erhoben wird, man gefährde die soziale Absicherung ausländischer Arbeitnehmer insbesondere in der Alterssicherung, so muß ich dem entgegenhalten, daß auch in den vergangenen Jahren Zehntausende von ausländischen Arbeitnehmern von ihrem Recht, in ihre Heimat zurückzukehren, Gebrauch gemacht haben. Wir streichen hier doch bürokratische Hemmnisse, wir nehmen doch niemandem vorhandene Rechte, wir schränken doch nichts ein. Wir erweitern sie doch höchstens! Es steht doch dem ausländischen Arbeitnehmer frei, ob er dieses Geld zu seiner sozialen Absicherung in der Heimat, zum Aufbau einer neuen Existenz oder möglicherweise - je nach Sparquote - für beides verwerten kann.
Im Ausschußbericht ist noch einmal deutlich gemacht worden, daß parallel zu den Anträgen im Bereich der Rentenversicherung auch, wie damals von Ihnen gewünscht, von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in bezug auf die betriebliche Alterssicherung entsprechende Schritte eingeleitet werden können.
Der gemeinsame Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, der die Bundesregierung auffordert, ihre Entwicklungspolitik gegenüber den Heimatländern der rückkehrenden Ausländer auf die Schaffung von Arbeitsplätzen auszurichten - alles Dinge, die die SPD eben wünschte -, trägt den Wünschen unserer ausländischen Mitbürger und den Anregungen der Sachverständigen in vollem Umfang Rechnung.
Cronenberg ({8})
Schluß und Fazit: Mit diesem Gesetz wird ausländischen Arbeitnehmern die Rückkehr in ihr Heimatland erleichtert, wie es vom Parlamentarischen Staatssekretär Dreßler, aber nicht vom Oppositionsabgeordneten Dreßler gewünscht wird. Der Gesetzentwurf schränkt die freie Entscheidung nicht ein. Er trägt vielmehr der Forderung des Papstes Rechnung:
({9})
Für das Gastland und seine Bevölkerung ergibt sich die Aufgabe, die Arbeiter aus der Fremde zuerst als Menschen aufzunehmen und ihnen brüderlich zu begegnen.
({10})
Kollege Dreßler, wenn Sie den Kollegen aus den Koalitionsfraktionen in der gleichen Menschlichkeit und Toleranz gerecht werden, wie Sie hier mit Recht verlangen, daß wir es gegenüber unseren ausländischen Mitbürgern tun, dann würden Sie für die Zukunft einen sinnvollen Beitrag zur Fairneß in den Debatten leisten.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von der Wiesche.
von der Wiesche ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Cronenberg, ich habe ja Verständnis dafür, daß man sich bei diesem Gesetzentwurf ereifern kann. Aber wissen Sie, bei uns zu Hause gibt es ein wunderbares Sprichwort, das heißt: „Wer schreit, hat unrecht."
({1}) - Nein, nein, ich sprechè Sie an.
Lassen Sie mich noch eins sagen. Wenn Sie hier behaupten, Herr Dreßler habe die jugoslawische Regierung diffamiert, so stimmt dies nicht.
({2})
Herr Dreßler hat aus dem Gespräch wahrheitsgemäß zitiert. Ich kann dies sagen, weil ich Gesprächsteilnehmer in Belgrad gewesen bin.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor wir die Beratung dieses zur Unwirklichkeit verurteilten Gesetzentwurfes abschließen und die Protestwelle der Enttäuschungen im Arbeitsministerium anlangt, möchte ich für meine Fraktion noch einmal die markantesten Fehlleistungen dieser Vorlage deutlich machen, damit jeder hier im Saale im Besitz der erforderlichen Informationen ist.
Da ist zuerst die schlimme Einteilung der ausländischen Arbeitnehmer in drei Gruppen: die größte Gruppe, die von jeder Leistung ausgeschlossen bleibt, eine kleinere, die nur vorgezogene Erstattungsansprüche geltend machen kann, und eine sehr kleine, die die Voraussetzungen für die sogenannte Rückkehrhilfe erfüllt.
Die tatsächlichen Dimensionen müssen hier einmal deutlich gemacht werden: Von den 2 147 756 Arbeitslosen des Monats Oktober 1983 waren 13,8 Ausländer. Das sind laut Monatsbericht der Bundesanstalt für Arbeit fast 277 000. Von diesen beinahe 300 000 arbeitslosen Ausländern ist nach dem hier vorliegenden Gesetzentwurf aber kein einziger berechtigt, diese sogenannte „Rückkehrhilfe" zu beantragen, denn auf diese 10 500 DM soll nach Art. 1 § 1 des Gesetzentwurfes nur Anspruch haben, wer nach dem 30. Oktober 1983 und bis zum 30. Juni 1984 durch Betriebsstillegung oder Konkurs arbeitslos geworden und geblieben ist bzw. ein bestimmtes Maß von Kurzarbeit hinnehmen mußte. Die Bundesregierung rechnet hier mit 20 000 Antragstellern.
Ich will mir und Ihnen ersparen, der bitteren Ironie nachzugehen, die eine Regierung herausfordert, die ständig den wirtschaftlichen Aufschwung ankündigt und dann für 20 000 Ausländer und Hunderttausende deutscher Arbeitnehmer Konkurse einkalkuliert.
Eine Bemerkung zum Angebot einer vorzeitigen Erstattung von Beiträgen zur Rentenversicherung. Die Bundesregierung rechnet hier mit 50 000 Antragstellern. Eine Finanzierung lehnt die Bundesregierung jedoch in diesem Falle ab. Keine einzige Mark ist hierfür im Etat veranschlagt.
({4})
Hier wird dreist der Rentenversicherung - und das heißt doch im Klartext: den Beitragszahlern - zugemutet, die mit 680 Millionen DM bezifferte Summe zu finanzieren.
({5})
Und das soll einer gesetzlichen Rentenversicherung aufgezwungen werden, die so schon schwer genug an dieser Regierung zu tragen hat - einer Rentenversicherung, über die der für diesen Gesetzentwurf verantwortliche und federführende Bundesminister Norbert Blüm am 1. September 1983 auf der Seite 3 des Heftes „Soziale Ordnung" schrieb: „Die Rentenversicherung ist nicht der Lastesel der Nation." Darin stimme ich ihm zu.
Im Bericht des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger vom 26. Oktober 1983 steht - Sie können dies nachlesen -, daß bereits im Frühjahr 1984 mit der Unterschreitung der gesetzlich vorgeschriebenen liquiden Mittel in Höhe einer halben Monatsausgabe zu rechnen sei. In Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, praktiziert die Bundesregierung hier doch ein Stück heimlicher Staatsverschuldung.
({6})
Eine besondere Enttäuschung werden jene ausländischen Arbeitnehmer erleben, die während ihrer Sozialversicherungszeit eine Regelleistung, z. B. ein Heilverfahren, von der Rentenversicherung erhielten und nun feststellen müssen, daß ihnen nur solche Beiträge erstattet werden, die nach dieser
von der Wiesche
Regelleistung entrichtet wurden. Man stelle sich einmal vor: Ein ausländischer Arbeitnehmer ist seit 18 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Er hat immer fleißig gearbeitet und treu und brav seine Beiträge in die Sozialversicherung eingezahlt. Nach 16 Jahren muß er eine Kur antreten. Welche Gründe ihn auch immer dazu gezwungen haben mögen, dieser Tatbestand bedeutet, daß damit die Auszahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung für die ersten 16 Jahre der Versicherungszeit nicht mehr möglich ist.
({7})
Er würde damit lediglich für die letzten zwei Jahre die Arbeitnehmerbeiträge ausgezahlt bekommen und damit jeglichen Anspruch auf weitere Leistungen der Rentenversicherung verlieren.
({8})
Würde man dies einem deutschen Arbeitnehmer zumuten, wäre das eine grobe Verletzung der Fürsorgepflicht.
Bisher hat das Arbeitsministerium auch jeden Hinweis unterlassen, daß nach den mit der jugoslawischen und spanischen Regierung abgeschlossenen Abkommen eine Barauszahlung der Rentenversicherungsbeiträge völlig ausgeschlossen ist.
Aber selbst jene wenigen rückkehrwilligen Ausländer, die Rückkehrhilfe und Versicherungsbeiträge ungekürzt erhalten, werden bei ihrer Heimfahrt noch vor Ankunft im Heimatort erleben, daß ihnen ihre Regierung durch den Zoll einen großen Teil der mühsam errungenen Beträge abnimmt. Herr Kollege Müller, da reicht es nicht, sich hier hinzustellen und zu sagen: Da können doch die in den Heimatländern die Zollbestimmungen lockern. - Dies hätte vorher von Ihnen erwirkt werden müssen.
Tatsache ist: Ein heimkehrender Türke muß für einen Pkw mit einem Hubraum zwischen 1 300 und 1 700 cm3 eine Zollabgabe entsprechend 100 % des Listenpreises entrichten. Außerdem muß er noch 15 000 DM für ein Jahr festlegen.
({9})
Und damit Sie nun nicht glauben, dies darzustellen sei eine sozialdemokratische Abschreckungsmethode, nenne ich Ihnen auch die Quelle für diese betrüblichen Fakten: Es ist die vom Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung am 18. Oktober 1983 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung übersandte Übersicht über Zollregelungen der ehemaligen Anwerbeländer. Ich halte es für redlich, daß Heimkehrwillige frühzeitig auf solche Nachteile hingewiesen werden, durch die unter Umständen ihre ganzen Anstrengungen ad absurdum geführt werden. Sie werden sonst zwangsläufig bittere Enttäuschungen erleben.
Nach dieser an und für sich unvollständigen Aufzählung schlimmer Details will ich mit einer grundsätzlichen Feststellung schließen. Wir Sozialdemokraten hätten es begrüßt, wenn diese Bundesregierung ein Konzept vorgelegt hätte, das die auf soziale Integration angelegte Ausländerpolitik der sozialliberalen Koalition weiterentwickelt hätte.
({10})
Dann wäre diese Debatte ein Wettstreit über lohnende Anstrengungen geworden. So ist sie nur der klägliche, ja der untaugliche Versuch einer Regierung, sich einer kleinen Zahl von Ausländern zu entledigen, statt einer größeren Zahl die erwartete, ja die notwendige Hilfe zu geben.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dreßler, Sie haben gesagt, wir sollten den Regierungsentwurf nicht mehr weiterverfolgen,
({0})
weil er in der Anhörung im Ausschuß auf wenig Zustimmung gestoßen sei.
({1})
Nun haben wir ja, was Anhörungen betrifft, gerade in diesem Ausschuß eine Menge Erfahrung. Da ich die letzten Jahre verfolgt habe, kann ich Ihnen sagen: Wenn Sie diesen Maßstab anlegen, hätten Sie in Ihren letzten Regierungsjahren überhaupt kein Gesetz mehr verabschieden dürfen; denn da gab es nur noch Kritik.
({2})
Sie haben weiter aus der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 zitiert, allerdings unvollständig. Darin steht nämlich an erster Stelle - und das haben Sie weggelassen -: die Integration der Ausländer, und zwar derjenigen, die seit langem bei uns leben. Daneben ist von der Begrenzung des weiteren Zuzugs und von der Förderung der Rückkehrbereitschaft die Rede, die Sie ja einmal selbst gewollt haben.
({3})
Wenngleich wir uns heute nur mit diesem letzten Punkt beschäftigen, darf diese Gesamtkonzeption unserer Ausländerpolitik nicht aus den Augen verloren werden.
Nun haben Sie die Frage gestellt: Wieso brauchen wir eigentlich noch ein Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft, wo doch die Zahl der Ausländer im letzten Jahr ohnehin abgenommen hat? Herr Kollege Dreßler, im September dieses Jahres lebten bei uns in der Bundesrepublik Deutschland 41/2 Millionen Ausländer. Es waren gut 400 000 mehr als im September 1974. Wir alle wissen, daß das ZusamSeehofer
menleben mit so vielen ausländischen Mitbürgern einige Probleme mit sich bringt.
({4})
Es spricht auch einiges dafür, daß sich dieser Problemdruck eher noch verstärkt. Ich möchte gar nicht auf die Freizügigkeit innerhalb der EG, auch im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, eingehen.
Allein die Zahl der potentiellen Familiennachzügler, die im Wege der Familienzusammenführung zu uns kommen können, wird auf mindestens 1 Million geschätzt.
({5})
Diese Schätzung ist vorsichtig. Die Zahl ist nicht zu hoch gegriffen;
({6})
denn allein die Bundesanstalt für Arbeit zahlt zur Zeit für 600 000 ausländische Kinder Kindergeld, die jetzt noch in ihren Heimatländern leben.
Nun verkenne ich nicht, daß wir eine besondere Verantwortung vor allem für die Ausländer tragen, die wir angeworben haben oder die bei uns aufgewachsen sind. Aber wir müssen doch klar sehen, daß wir die Fragen der Ausländerpolitik nur lösen können, wenn die Problematik quantitativ begrenzt bleibt. Es liegt auf der Hand, daß es bei einer weiteren Zunahme von Ausländern bei uns zu einer Belastung des Arbeitsmarkts und des Sozialsystems kommt, die einfach nicht verkraftet werden kann. Wenn wir so weiterfahren würden, würde unser oberstes Ziel, nämlich die Integration der Ausländer, nicht mehr realisierbar.
({7})
Wir können weder das Arbeitsamt noch das Sozialamt für die ganze Welt sein.
Meine Damen und Herren, dies liegt auch im Interesse der Ausländer selbst,
({8})
denn die Ausländer selbst spüren doch zuallererst die Störung des inneren Friedens, sie spüren eine gelähmte Integrationsbereitschaft der deutschen Mitbürger bis hin zur Fremdenfeindlichkeit.
Es muß daher im Interesse der Ausländer selbst liegen, daß sie die Aufnahmefähigkeit des Gastlandes nicht überfordern. Wir brauchen also rasche und wirksame Steuerungsmaßnahmen, um diesen gefährlichen Sprengsatz zu entschärfen. Ein Effekt kann neben anderen Maßnahmen durch verstärkten Fortzug von Ausländern erreicht werden. Es gibt unbestritten eine beachtliche und wegen der hohen Ausländerarbeitslosigkeit sicher zunehmende Gruppe von Ausländern, die unter bestimmten Voraussetzungen bereit sind, in ihre Heimat zurückzukehren. Dabei entscheidet insbesondere auch die finanzielle Situation über den Zeitpunkt einer solchen Rückkehr. Die Gewährung finanzieller Anreize ist und bleibt deshalb ein geeigneter Ansatz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft.
({9})
Nun möchte ich die tragenden Elemente dieses Gesetzentwurfs noch einmal zusammenfassen, weil ich den Eindruck habe, daß verschiedentlich der wesentliche Inhalt dieses Gesetzentwurfs einfach nicht zur Kenntnis genommen wird.
Erstens. Es gibt keinen Zwang, sondern nur Freiwilligkeit. Jeder ausländische Arbeitnehmer entscheidet nach dem Gesetz selbstverständlich frei, ob er die Leistungen in Anspruch nimmt und in die Heimat zurückkehrt oder nicht. Es wird keine Abschiebepolitik betrieben. Die engen und klaren Bestimmungen sowie das neu eingefügte Angebot zur Beratung gewährleisten, daß auch faktisch kein Druck auf den Ausländer ausgeübt wird.
Zweitens. Es werden keine Geschenke verteilt, sondern erworbene Ansprüche eingelöst. Ein Kernpunkt des Gesetzentwurfs ist die gezielte Rückkehrhilfe, die Erstattung der Arbeitnehmerbeiträge aus der Rentenversicherung, die Abfindung von Anwartschaften in der betrieblichen Altersversorgung und die Zulassung einer vorzeitigen Verfügung über staatlich begünstigte Sparleistungen. In allen Fällen werden demnach, wenn auch zum Teil vorzeitig, von den Ausländern erworbene Ansprüche eingelöst. Es werden also keine Abschiebeprämien bezahlt, sondern Hemmnisse abgebaut und gezielte Hilfen aus eigenen Leistungen gewährt.
Drittens. Es werden keine illusorischen Erwartungen, sondern es wird Klarheit geschaffen. Meine Damen und Herren, Illusionen und falsche Erwartungen schürt nur der, der ständig über die Förderung der Rückkehrbereitschaft spricht, aber nicht handelt, wie Sie dies in den letzten Jahren getan haben. Wir schaffen für die Leute endlich Klarheit. Wir sagen den Leuten, ob und mit welchen Leistungen sie rechnen können.
Viertens. Es gibt durch dieses Gesetz kein juristisches und finanzielles Abenteuer, sondern klare Regeln und Kalkulationsgrundlagen.
Die vorgesehenen Maßnahmen werden bis Mitte des nächsten Jahres befristet. Klare Anspruchsvoraussetzungen sorgen dafür, daß Mitnahmeeffekte weitgehend verhindert werden, d. h. daß Rückkehrer von der Leistung ausgeschlossen bleiben, die ohnehin zurückgekehrt wären.
Die Kosten der Maßnahmen für den Bund belaufen sich auf insgesamt 280 Millionen DM. Auf die Rentenversicherung kommt eine Belastung von insgesamt 680 Millionen DM zu.
({10})
Diesen Aufwendungen, Frau Kollegin Fuchs, stehen
sowohl beim Arbeitslosengeld wie beim Kindergeld
und längerfristig auch bei der Rentenversicherung erhebliche Einsparungen gegenüber.
({11})
Ich meine also, dieser Gesetzentwurf insgesamt ist ein Angebot an die ausländischen Arbeitnehmer, das realistisch, finanzierbar und frei von jedem Zwang ist.
Es bleibt eigentlich nur noch die Frage, ob sich das ganze angesichts der erwarteten rund 20 000 Rückkehrhilfe-Antragsteller und rund 50 000 Rentenversicherungs-Antragsteller überhaupt lohnt. Ich glaube, wir müssen uns daran gewöhnen, daß in dieser schwierigen Zeit einfach nicht jedes Problem mit einem großen Wurf zu lösen ist.
({12})
Wir brauchen bei so schwierigen Fragen oft viele kleine Schritte.
({13})
Und meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den GRÜNEN, mir ist dieses Gesetz lieber als die Tatenlosigkeit der vergangenen Jahre.
Ich bitte für die CDU/CSU-Fraktion um Zustimmung zu diesem Gesetz.
({14})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.
Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/589 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor. Ich gehe davon aus, daß der Änderungsantrag bereits ausreichend begründet ist.
Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Damit ist dieser Änderungsantrag angenommen.
Wer Art. 1 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit.
({0})
- Das Präsidium ist sich über die Mehrheitsverhältnisse bei dieser Abstimmung nicht völlig einig. Wir wiederholen diese Abstimmung.
Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das erste ist die Mehrheit. Das Präsidium ist sich einig.
Ich rufe die Art. 2 bis 11, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das erste war die Mehrheit. Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Nach Annahme von Änderungsanträgen in der zweiten Beratung darf sich die dritte Beratung nur unter den in § 84 der Geschäftsordnung genannten Voraussetzungen unmittelbar anschließen. Ich gehe davon aus, daß mit der Annahme der geänderten Fassung in zweiter Lesung der Antrag verbunden ist, die dritte Lesung sogleich durchzuführen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Damit ist dieses Verfahren beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zu den Entschließungsanträgen. Darf ich davon ausgehen, daß die Entschließungsanträge bereits in der Aussprache ausreichend begründet worden sind? - Dies scheint der Fall zu sein. Wir kommen zur Abstimmung.
Ich rufe zuerst den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/577 auf. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Keiner. Dieser Entschließungsantrag der SPD ist abgelehnt.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/590. Hier wünscht die SPD eine getrennte Abstimmung. - Dem wird nicht widersprochen. Ich kann also danach verfahren.
Wer dem ersten Absatz zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Dieser Absatz ist angenommen.
Wer dem zweiten Absatz zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser zweite Absatz angenommen.
Wir müssen nun noch über den Entschließungsantrag insgesamt abstimmen. Wer diesem Entschließungsantrag 10/590 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 und 6 auf:
5. Zweite und Dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({1}) Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft
- Drucksache 10/381 -
Vizepräsident Stücklen
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/485 -Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt Verheyen
Schmitz ({3})
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4})
- Drucksache 10/468 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Vollmer
({5})
6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6}) zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Ehmke ({7}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Einfuhr von Meeresschildkröten und -produkten
- Drucksachen 10/31, 10/495 Berichterstatter: Abgeordneter Herkenrath
Zu Tagesordnungspunkt 5 liegt ein Änderungsantrag auf Drucksache 10/586 und ein Entschließungsantrag auf Drucksache 10/587 der Fraktion der SPD vor.
Im Ältestenrat ist für die Tagesordnungspunkte 5 und 6 eine gemeinsame Beratung mit einer Runde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. - Es ist damit so beschlossen. Wünschen der Berichterstatter oder die Berichterstatterin das Wort? - Das ist der Fall. Das Wort hat die Berichterstatterin Frau Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich als Berichterstatterin des federführenden Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zunächst noch zwei offensichtliche Unrichtigkeiten im Entwurf berichtigen. Es geht jetzt um eine Reihe von Paragraphen und Absätzen.
Erstens. In § 4 Abs. 1 Satz 2 sind nach den Worten „der Ein- oder Ausfuhr" die Worte „dieses Gesetzes" zu streichen. Hier liegt ein echtes Redaktionsversehen vor.
Zweitens. In § 6 Abs. 1 ist in der Aufzählung der verschiedenen Rechtsquellen nach der Angabe „Verordnung ({0}) Nr. 3626/82" ein Komma zu setzen. Auch hier liegt ein offensichtliches Redaktionsversehen vor.
Ferner ist in § 5 eine Umstellung dahin vorzunehmen, daß Abs. 5 zu Abs. 4 wird. Der alte Abs. 4 wird neuer Abs. 5. Dieser neue Abs. 5 erhält folgende neue Fassung:
Die Beschlagnahme, die Einziehung, die Versagung der Auszahlung des Veräußerungserlöses oder die Entschädigung nach Abs. 3 sowie die Auferlegung von Kosten nach Abs. 4 können
mit den Rechtsbehelfen angefochten werden, die im Bußgeldverfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gegen die Beschlagnahme und Einziehung zulässig sind. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ist die sofortige Beschwerde zulässig; über sie entscheidet das Oberlandesgericht.
Diese Umstellung und Neufassung ist wie folgt begründet.
Die Regelung des bisherigen Abs. 4 des Entwurfs würde dazu führen, daß für die durch das Grundgesetz garantierte gerichtliche Überprüfung der Maßnahmen nach den bisherigen Abs. 3 und 5 der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten und nicht - wie für die im bisherigen Abs. 4 vorgesehenen Maßnahmen - vor dem Amtsgericht eröffnet wäre. Dies hätte zur Folge, daß möglicherweise auseinandergehende Entscheidungen auf beiden Rechtswegen getroffen werden könnten.
Deshalb besteht Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen und der Bundesregierung, daß für die gerichtliche Überprüfung der genannten Maßnahmen ein einheitlicher Rechtsweg zweckmäßig ist. Dem dient die Neufassung des neuen Abs. 5. Dieser einheitliche Rechtsweg ist der vor den ordentlichen Gerichten.
Als Berichterstatterin habe ich Ihnen nun zu empfehlen, der Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses nach Maßgabe dieser Änderungsvorschläge zuzustimmen.
Als Sprecherin meiner Fraktion werde ich zu dem Gesetzentwurf später noch einmal Stellung nehmen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Zu diesen ergänzenden Ausführungen der Frau Berichterstatterin gibt es keine Einwendungen. Sie sind also interfraktionell akzeptiert.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Herkenrath.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute einen langen Debattentag zum Teil schon hinter uns, zum Teil noch vor uns. Ich habe das angenehme Gefühl, hier jetzt 15 Minuten zu diesem sicherlich sehr wichtigen Thema reden zu dürfen. Ich habe hier schon öfter stehen dürfen; z. B. habe ich hier auch über den Stellenwert der kommunalen Selbstverwaltung sprechen dürfen. Da hatte ich genau fünf Minuten Redezeit.
({0})
Das zeigt, daß wir uns eben alle darüber im klaren sind, daß hier eine Thematik mit zukunftsträchtigem Gehalte ansteht. Lassen Sie mich deshalb ein paar allgemeine, grundsätzliche Anmerkungen auch deshalb dazu machen, weil mir bei diesem Tagesordnungspunkt und bei der Mitteilung, daß
beispielsweise auch ich dazu reden würde, aus allen Parteien sehr viel Fröhlichkeit entgegengeschlagen ist. Ich glaube, meiner Kollegin Blunck, die nach mir noch sprechen wird, geht es auch so.
Seit nicht allzulanger Zeit beschreibt ein neues Wort die Gemütslage der westdeutschen Bevölkerung insgesamt. In Artikeln, deren Verfasser sich gern auch der Sprache der Seelenforscher bedienen, liest man, die Bevölkerung sei sensibilisiert.
({1})
- Ich komme darauf zu sprechen. - Die Abgeordneten erfahren dies auch durch vermehrten Posteingang. Einfacher ausgedrückt, kann man auch sagen: Die Menschen reden und schreiben heute über Dinge, die sie früher, wenn überhaupt, nur mit einem Achselzucken abgetan haben.
({2})
Es ist sicher gut, wenn dies mit Sachverstand und Augenmaß geschieht. Bedenklich ist es, wenn die Thematik emotional zu stark aufgeladen wird oder, einfach gesagt, wenn nur die Gefühlswelt mitschwingt.
Ich habe das selbst vor einigen Monaten erfahren dürfen, als ich in einem Debattenbeitrag zu dem Tagesordnungspunkt Meeresschildkröten ausgeführt habe: Wenn ich sicher sei, daß der Verzicht auf den Genuß der Schildkrötensuppe dafür sorgen würde, daß diese Tiere nicht vom Aussterben bedroht sind, dann würden ich und meine Fraktion - auch Sie haben alle mitgeklatscht, die einen mehr, die anderen weniger freundlich - auf die Schildkrötensuppe verzichten. Ich habe in dieser Debatte im April zum Ausdruck gebracht, daß dies eine Frage ist, die noch geklärt werden muß, daß beispielsweise völlig ungewiß ist, ob nicht die Existenz und Förderung von Farmen in den Entwicklungsländern dazu verhelfen können, daß die Art erhalten und vermehrt wird. Ich habe mir am Schluß erlaubt zu sagen, dem einen oder anderen möge der Appetit nicht vergangen sein. Sie glauben nicht, was über mich hereingeprasselt ist. Die Briefflut, die ich erhalten habe, hat mir überwiegend deutlich gemacht: Das Thema ist unheimlich ernst.
Nun muß ich als Rheinländer noch eine Anmerkung persönlicher Art machen. Ich könnte jetzt hier das Klagelied singen, wie schlimm die Menschen mit der Natur, mit Tier und Pflanze umgehen. Das werden sicherlich Redner nach mir noch tun. Dies ist sicher alles richtig. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Ich möchte aber doch zu Beginn dieser Debatte meine Zweifel ausdrücken. Ich glaube, daß man durch Gesetzesperfektionismus allein die Welt nicht bessern kann. Ich gehe davon aus, daß bei den beiden Punkten, die wir jetzt behandeln, eine Aktion von vielen, vielen Institutionen und Organisationen notwendig ist, um Übelstände, die in der Tat vorhanden sind, abzubauen.
({3})
Was gebessert werden muß, das sind die Menschen.
Hier sind Bildung und Information, sachliche Erziehung, Unterstützungen für private Initiativen und
Bemühungen für mich der bessere Weg als alle die Gesetze. Dennoch stimmen wir dem, was hier vorgelegt wird, zum großen Teil zu. Zum großen Teil ist das auch von uns initiiert.
Ich möchte sagen, daß der Politiker, der sich mit dem Tierschutz befaßt, nun über viele Erfahrungen verfügen kann. Das ist ein Thema, das die Gefühlswelt in unserer Bevölkerung erfaßt. Um so mehr ist es zu rühmen, daß die zuständigen Ausschüsse, insbesondere der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, im Deutschen Bundestag die vorliegenden Drucksachen, die Anträge, gleichgültig, woher sie kommen, ruhig, sachkundig und gründlich beraten haben. Sie wissen - das haben wir in den Beratungen festgestellt -, daß es viele freilebende Tiere und Pflanzen auf der Welt gibt, die vom Aussterben bedroht oder gefährdet sind. Die Beschlußentwürfe, die Ihnen jetzt vorliegen und deren Annahme auch ich empfehle - wobei ich über die Entschließungsanträge der SPD-Fraktion noch im einzelnen zu sprechen haben werde -, sollen die gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen besser schützen und sollen helfen, daß auch die Öffentlichkeit, die Bevölkerung noch mehr auf konkrete Möglichkeiten hingewiesen wird, etwas gegen das Aussterben zu tun.
Es wäre allerdings eine Illusion zu glauben, daß mit der Verabschiedung dieser Beschlüsse die Probleme gelöst sind. Dies will ich am Beispiel der in der Bundesrepublik Deutschland so populär gewordenen Meeresschildkröten deutlich machen: Es wurde in zahlreichen Rundfunk- und Fernsehsendungen - es war eine Menge Fernsehsendungen, die darüber gemacht wurde - deutlich gemacht, daß diese Schildkröten vom Aussterben bedroht sind und oft mit sehr rüden und grausamen Methoden gejagt und geschlachtet werden. Zeitungen, Zeitschriften, einzelne Verbände und viele Petenten aus dem ganzen Bundesgebiet forderten die Politiker seit einigen Monaten dazu auf, die Einfuhr von Produkten aus Meeresschildkröten in die Bundesrepublik Deutschland zu verbieten. Der Antrag der GRÜNEN, der im Bundestag vorgelegt wurde, forderte dann das pauschale Verbot. Dem hat sich gleich, das war nicht überraschend, die SPD unterstützend angeschlossen.
Die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion haben sich dafür ausgesprochen und eingesetzt, dies im Ausschuß gründlich zu beraten, wie es j a immer unsere Politik ist, erst einmal den Sachstand zu prüfen, die Argumente des Für und Wider zu wägen und das Urteil erst dann zu fällen, wenn alle Informationen vorliegen. Ich glaube, das haben wir heute morgen in einem anderen Zusammenhang auch schon einmal debattiert.
({4})
Alle Parteien kennen das Problem. Sie spüren, wie stark die Gefühlswelt der vielen Millionen Freunde des Tierschutzes auf diese Frage reagiert. Ich selbst bin durch den Brief des Deutschen Tierschutzbundes in den Verdacht geraten - ich nehme das sehr ernst -, daß ich in dieser Hinsicht noch Nachholbedarf hätte. Aber wir haben uns auch da wieder durch viele Gespräche einander angenähert,
insbesondere dann, als der Bundesvorsitzende des Deutschen Tierschutzbundes erfuhr, daß ich seit vielen Jahren Mitglied dieses Verbandes in meinem Kreis und dort auch als Tierschützer durchaus bekannt bin.
Wie gesagt, wir spüren alle, wie stark die Gefühlswelt der vielen Millionen Freunde des Tierschutzes auch auf diese Frage reagiert. Die Losung heißt: Rettet die Meeresschildkröten! Nun darf ich das wieder rheinisch sagen. Ich sehe, der eine oder andere guckt mich wieder ernst und kritisch an, aber gestatten Sie mir, dies auch in diesem Hause einmal so auszudrücken. Leider halten sich ja die Meeresschildkröten, diese liebenswerten Tiere, meistens in den tropischen Gewässern Asiens, Südamerikas oder an den Küsten Afrikas auf. Die größte Gefahr - das haben die Beratungen des Ausschusses auch gezeigt - für die Meeresschildkröten sind die Menschen dort, die den Tieren bei der Eiablage auf den warmen Stränden auflauern und die Eier einsammeln, um ihre oft hungernden Familien zu ernähren.
({5})
- Nun seien Sie doch nicht so. Der Einfluß der Bundesrepublik Deutschland, hier etwas zu ändern, ist begrenzt. Ich möchte auch einmal in allem Ernst sagen, daß mir auch klar ist, daß sich unsere Vorstellungen über den Tierschutz nicht ohne weiteres von heute auf morgen überall auf die Länder der Dritten Welt übertragen lassen. Auch hier gilt es, durch Information, durch Bildung, durch Entfaltung von Initiativen, durch Hilfen entsprechend aufklärend zu wirken.
({6})
Es ist kein Zweifel und für mich auch ganz eindeutig, daß wir Politiker zum Schutz der Tiere verpflichtet sind und auch alles, was in dieser Richtung vernünftig geschehen kann, fördern sollten. Wir müssen also versuchen - das geschieht j a auch mit den Beschlüssen, die hier heute anstehen -, international darauf einzuwirken, daß rücksichtslose Jagd, bedenkenloser Handel mit seltenen Tierarten und Pflanzen gestoppt wird. Ich will das gar nicht weiter ausführen; ich bin sicher, darüber wird hier heute abend noch einiges gesagt werden. Die Washingtoner Artenschutzübereinkommen, die ja schon seit 1974/75 in Kraft sind - die Bundesrepublik war das erste EG-Land, das sich den Übereinkommen in Europa angeschlossen hat -, sind Grundlage für diese Bemühungen. Wir alle sollten diese Bestrebungen der beteiligten Wissenschaftler und Fachbehörden begrüßen.
Es gilt aber auch, mit Augenmaß vorzugehen und die Interessen der betroffenen Menschen nicht zu vergessen. Wer etwa den Fischern, die vom Schildkrötenfang leben, durch Verbote das Brot nehmen will, muß auch Wege suchen, z. B. durch geeignete entwicklungspolitische Maßnahmen, den Brotkorb wieder zu füllen; die Farmen sind beispielsweise ein Weg dazu. Nur zu sagen, wir verbieten die Einfuhr, mag zwar zunächst für Ruhe an der Tierschutzfront sorgen --- es setzt auch ein Signal und ist ein weiterer Schritt bei der Bemühung um den Schutz der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten -, allerdings sollten wir wissen, daß das Problem damit noch nicht gelöst ist.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben Ihnen deshalb den „Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft" eingebracht. Wenn dieses Gesetz nicht zum 1. Januar des nächsten Jahres Gültigkeit bekommt, würden wir praktisch einen gesetzlosen, rechtlosen Zustand haben. Deshalb ist es notwendig, hier heute entsprechend zu beschließen. Das ist dadurch entstanden, daß die EG uns hier eine Vorgabe gegeben hat.
Wir haben nun einen Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vorliegen, in dem die Bundesregierung ersucht wird, ein Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes mit dem Ziel einer Gesamtnovellierung des Artenschutzrechtes vorzulegen. Auch wir von der CDU/CSU-Fraktion sind dafür, diesen Entschließungsantrag anzunehmen. Wir sehen dabei das Ziel, das Ganze noch überschaubarer zu machen. Wir haben ja eine Vielzahl von Rechtsquellen, was zur Zeit die Gefahr beinhaltet, daß unkoordiniert eine Flut von Vorschriften produziert wird, die das Ganze wieder wenig überschaubar macht. Diese Flut soll wieder eingedämmt werden und es soll eine Rechtsbereinigung erfolgen, die für Überblick sorgen kann. Wir meinen, daß dieser Antrag an und für sich gar nicht notwendig gewesen wäre, weil die Bundesregierung sich sowieso beeilen wird, ein solches Gesetz vorzulegen. Aber es ist gut, wenn wir eine Frist bis zum 30. September 1984 setzen und das hier beschließen.
Wir haben auch einen zweiten Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf dem Tisch. Da muß ich sagen, daß wir mit dem Inhalt, der für den § 2 neu vorgeschlagen wird, nicht einverstanden sind. Ich kann das hier mit diesem Satz bewenden lassen; denn jetzt läuft die Zeit doch weg. Der Parlamentarische Staatssekretär, Herr von Geldern, wird noch erklären, warum wir hier gegen eine Bevormundung der Entwicklungsländer und gegen allzuviel staatlich verordnete Wirtschaft sein wollen. Wir sind allerdings damit einverstanden, daß bis zum 31. Dezember 1985 überprüft wird, ob dieses Gesetz noch richtig oder nicht mehr richtig ist. Es heißt am Schluß j a, es tritt am 31. Dezember 1985 außer Kraft. Wie das nun abstimmungsmäßig gemacht wird, das werden Sie hier im Parlament noch erfahren.
Ich darf Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit danken und lausche dem weiteren Verlauf der Debatte.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der hier zur Beratung anstehende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ist ganz offensichtlich im Eilverfahren erstellt worden, obgleich
die EG-Verordnung bereits im Herbst des vergangenen Jahres erlassen wurde und somit Zeit genug gewesen wäre, das Gesetz früher vorzulegen. Der terminliche Druck, der dadurch entstanden ist, daß die Verordnung am 1. Januar 1984 in allen EG-Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht wird, hat sich leider negativ auf die Qualität des Gesetzentwurfes ausgewirkt. Er wird in der jetzigen Fassung seinem eigentlichen Ziel, den Schutz der gefährdeten Tiere und Pflanzen zu sichern, nur zum Teil gerecht.
Bedauerlicherweise haben auch die Beratungen in unserem Ausschuß unter diesem zeitlichen Druck gelitten. Der Gesetzentwurf konnte nicht mit der Sorgfalt behandelt werden, die diese Materie verdient hätte. Als besonders beklagenswert empfinde ich es - und dieser Vorwurf geht an uns alle -, daß wir im Ausschuß versäumt haben, die Tier- und Naturschutzverbände rechtzeitig an den Beratungen zu beteiligen und uns ihres Sachverstandes zu versichern. Ohne dieses Versäumnis wären uns wohl die Mängel des jetzigen Entwurfs nicht erst nach Verabschiedung des Gesetzentwurfs durch den Ausschuß offenbar geworden.
Wir haben dem Gesetzentwurf trotz dieser Mängel im Grundsatz zugestimmt, weil er sicherstellt, daß nach Inkrafttreten der EG-Verordnung in der Bundesrepublik kein gesetzesfreier Raum entsteht und insbesondere die Zuständigkeit des Bundes hierfür gewahrt bleibt. Die nicht geklärte Meinungsverschiedenheit über die Frage, ob künftig über die EG-Verordnung hinausgehende nationale Importverbote bei gefährdeten Arten zulässig sind, hat uns im Entschließungsantrag zu der Aufforderung an die Bundesrgierung bestimmt, sich in Brüssel für eine Änderung der Verordnung dahin gehend einzusetzen, daß solche nationalen Importverbote auch weiterhin zulässig sind. Diese Frage ist für uns von ganz aktueller Bedeutung. Sie stellt sich nämlich bei dem ebenfalls in dieser Debatte zu beschließenden Antrag auf einen Einfuhrstopp für Meeresschildkröten und Meeresprodukte.
Der vorliegende Gesetzentwurf kann nur eine Übergangsregelung sein. Wir sind uns alle einig, daß eine generelle Neugestaltung des Artenschutzes nötig ist, um eine größere Übersichtlichkeit der in einer Vielzahl von Bundes- und Landesvorschriften enthaltenen Artenschutzregelungen zu erreichen. Die gegenwärtige Praxis ist selbst für Experten nur noch schwer nachvollziehbar. Aus diesem Grund schlägt die SPD-Fraktion in dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag eine Ergänzung der Beschlußempfehlung des Ausschusses um eine Ziffer 3 vor, in der die Bundesregierung ersucht wird, bis zum 30. September 1984 ein Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes mit dem Ziel einer Gesamtnovellierung vorzulegen, um einen wirksamen Artenschutz in der Bundesrepublik zu gewährleisten.
Wenn es sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf auch nur um eine Übergangsregelung handeln kann, geben die erheblichen Mängel jedoch allen Anlaß zu der Befürchtung, daß es ab 1. Januar 1984 zu einer Verschlechterung des Artenschutzes kommen wird. Die uns in den letzten Wochen vorgetragenen gravierenden Bedenken der Tier- und Naturschutzverbände verdienen es, im Interesse der bedrohten Tier- und Pflanzenwelt außerordentlich ernst genommen zu werden. Die Tatsache, daß der Gesetzentwurf bereits im federführenden Ausschuß seine Zustimmung erhalten hat, sollte uns nicht daran hindern, unsere Entscheidung im Rahmen dieser Debatte noch einmal zu überprüfen.
Ich meine, in einer lebendigen Demokratie, in der nicht von oben nach unten verordnet wird, sondern ein lebhafter Meinungsaustausch zwischen allen interessierten Beteiligten stattfinden kann und muß, sollten wir Parlamentarier Lernfähigkeit beweisen und bereit sein, berechtigte Kritik anzunehmen und angebotene Lösungsmöglichkeiten umzusetzen. Die Natur kennt nämlich keine Probleme, sie kennt nur Lösungen. Wenn wir nicht Selbstmord begehen wollen, was man durchaus annehmen könnte, wenn man sich unsere Wälder, unsere Böden, unsere Gewässer ansieht, dann dürfen wir nicht mehr brutal und kurzsichtig nur unsere vordergründigen Interessen wahrnehmen; sonst könnte nämlich das eintreten, was Carl Amery als eine Vision dargestellt hat: Die Natur entledigt sich kurzerhand mit unserer Hilfe eines lästig gewordenen Warmblüters und stellt dann das unbedingt erforderliche Gleichgewicht wieder her.
({0})
Beim vorliegenden Gesetzentwurf geben die in § 2 vorgesehenen uferlosen Ausnahmebestimmungen besonderen Anlaß zur Kritik. Dadurch wird praktisch der Handel, der Besitz, der Erwerb, die Wildentnahme und die Einfuhr von Exemplaren der geschützten Arten in einem Maße ermöglicht, wie es eigentlich gerade verhindert werden sollte. Es ist zu befürchten, daß ab 1. Januar 1984 Arten aus Überseegebieten, wie z. B. Guyana, Réunion, wieder in der Bundesrepublik gehandelt werden können. Dadurch, daß in § 2 Abs. 2 auf die vorgeschriebenen Dokumente für tote Exemplare, die nach dem 31. Dezember 1983 als persönliche Gegenstände oder als Hausrat eingeführt werden, verzichtet werden soll, wird die Einfuhr teurer im Ausland entgegen den Artenschutzbestimmungen gefertigter Produkte wie Pelze, Lederwaren, Schildpattgegenstände Tür und Tor geöffnet. Jeder hier kann sicher nachvollziehen, welchen Wert eine Dame oder ein Herr im Pelzmantel mit Krokotasche, Schildpattbrille und Elfenbeinschmuck am eigenen Körper einführen könnte. Da sind schnell hunderttausend Mark beisammen.
Die Bestimmungen des § 2 führen insgesamt zu einer für alle Beteiligten unüberschaubaren Situation, die überdies illegalen Praktiken Vorschub leisten. Um gefährdete Tier- und Pflanzenarten wirklich vor der Ausrottung zu bewahren, schlage ich im Namen der SPD-Fraktion eine Änderung des § 2 vor, der zufolge nur noch zwei Ausnahmen zulässig sind, und zwar erstens für Forschungs-, Lehr- und Zuchtzwecke, und dies auch nur dann, wenn Verwendung, Verbleib und Verwertung im einzelnen nachgewiesen werden, und zweitens für die in
Übereinstimmung mit dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen gezüchteten oder durch Anbau gewonnenen Exemplare.
Auch Ihnen, meine Damen und Herren - Herr Stutzer, ich sehe Sie dabei besonders an -, ist mittlerweile unter dem Eindruck der kritischen Stellungnahmen der Tier- und Naturschutzverbände bei dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht mehr ganz wohl. Ich würde Sie deshalb ganz herzlich bitten, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.
Da uns allen klar ist, daß das Gesetz insgesamt verbesserungsbedürftig ist, ist es nur folgerichtig, daß es auf zwei Jahre begrenzt wird.
Noch einige Worte zur Einfuhr von Meeresschildkröten und deren Produkten. Obgleich die Meeresschildkröten im Anhang I des Washingtoner Artenschutzübereinkommens aufgenommen worden sind und damit der kommerzielle Handel mit Meeresschildkröten ausgeschlossen ist, haben wir leider zur Kenntnis nehmen müssen, daß Produkte von Meeresschildkröten, beispielsweise Schildpatt, nach wie vor in großem Umfange gehandelt und vor allem in die Bundesrepublik importiert werden. Natürlich versuchen die Importeure und Weiterverarbeiter den Nachweis zu führen, daß diese Produkte allein aus Zuchtfarmen stammen, oder sie berufen sich auf den berühmten Vorerwerb. Wie die Anhörung der Experten im Ausschuß ergeben hat, kann jedoch nur ein verschwindend kleiner Teil aus der einzigen Zuchtfarm, die es zur Zeit überhaupt gibt, nämlich der Cayman-Turtle-Farm kommen, die im Sinne des Washingtoner Artenschutzübereinkommens allerdings frühestens etwa ab 1990 Zuchttiere in ausreichendem Umfang zur Verfügung haben würde. Es bleibt der nicht widerlegte Verdacht, daß der überwiegende Teil der bei uns importierten Produkte der freien Natur entnommen worden ist.
Wer den erschütternden Filmbericht von Rolf Möltgen, der auszugsweise in der ARD und nicht ohne erhebliche Widerstände zur Gänze in einigen dritten Programmen gezeigt wurde, gesehen hat, der hat das qualvolle Sterben der Meeresschildkröten in beklemmender Weise mit durchleben können. Deswegen, lieber Herr Herkenrath, habe ich eigentlich überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sie das in dieser Art und Weise behandelt haben, denn Sie haben in sehr lockerer Form hierüber geredet.
({1})
Jedem, der glaubt, seine Exklusivität durch Schildkrötenprodukte nach außen hin unter Beweis stellen zu müssen, dem sollte man zuvor einmal zeigen, wie die Schildkröten bei lebendigem Leib aus ihrem Panzer getrennt werden. Ich halte es für eine Kulturschande, daß ausgerechnet wir in der Bundesrepublik durch Schaffung einer entsprechenden Nachfrage dieser Barbarei Vorschub leisten.
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Die SPD-Fraktion begrüßt daher die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, schnellstmöglich, spätestens aber ab 1. Januar 1984, die Einfuhr von Meeresschildkröten und daraus gewonnenen Produkten zu kommerziellen Zwecken in die Bundesrepublik zu verbieten. Ich persönlich hätte einem Importverbot ohne Wenn und Aber den Vorzug gegeben.
Die Bundesregierung ist jetzt am Zuge, und ich erwarte, daß sie bald die entsprechende Verordnung gemäß dem Ausschußbeschluß erlassen wird. Außerdem ist sie aufgefordert, sich darum zu bemühen, andere EG-Staaten ebenfalls für einen Einfuhrstopp zu gewinnen und für den Fall, daß dies nicht gelingen sollte, die Zulässigkeit des nationalen Einfuhrstopps sicherzustellen. Die Bundesregierung sollte hier in Kürze über ihre Aktivitäten berichten.
Zusammen mit der ebenfalls geforderten Straf androhung für illegale Einfuhren und einer anzustrebenden und strengen Kontrolle der Zuchtfarmen wären all diese Maßnahmen sicherlich ein bedeutsamer Schritt, die Meeresschildkröten vor dem Aussterben zu bewahren. In dem Maße, in dem es uns gelingt, die Handelsmöglichkeiten für Meeresschildkröten und deren Produkte einzuschränken und wenn schon nicht ganz, so doch auf ein Minimum zu reduzieren, wird die Jagd auf Meeresschildkröten ökonomisch uninteressant. Das dürfte in einer auf Gewinn ausgerichteten Wirtschaftsordnung wohl leider immer noch der beste Artenschutz sein.
An dieser Stelle ist es mir ein besonderes Bedürfnis, den Tier- und Naturschutzverbänden zu danken. Mein Dank gilt aber auch zahlreichen Einzelpersonen, die sich unter Einsatz erheblicher eigener Mittel des grauenvollen Schicksals der Meeresschildkröten angenommen haben.
({3})
Mich hat besonders erschreckt, daß einige der Leute, die sich gern an einer Unterschriftenaktion beteiligt hätten, dies unter Hinweis auf den Datenschutz nicht gemacht haben, weil sie glaubten, ihre Daten würden irgendwo gespeichert und sie hätten dadurch Nachteile zu erleiden.
({4})
Ich finde, das sollte man sehr wohl zur Kenntnis nehmen. Gerade wir Parlamentarier sollten dieser Tatsache Beachtung schenken.
Die Tier- und Naturschutzverbände haben uns die Ausschußarbeit im Interesse der Bewahrung einer Millionen Jahre alten Tierart ganz erheblich erleichtert.
Mich hat in den letzten Wochen eine Flut von Zuschriften erreicht, in denen gegen die barbarischen Massaker an den Schildkröten protestiert und ein Einfuhrstopp gefordert wird. Wenn ich recht informiert bin, ist heute auch dem Herrn Bundestagspräsidenten eine Petition mit über 10 000 Unterschriften überreicht worden. Ich habe das Ergebnis einer Unterschriftenaktion mitgebracht; ich habe die Unterschriften nicht gezählt, aber es sind
sicher über 500 Unterschriften. Ich würde sie, da Herr Minister Kiechle leider nicht anwesend ist,
({5})
im Anschluß an meine Rede gerne dem Staatssekretär überreichen. - Dies zeigt im übrigen das große Interesse der Bevölkerung am Schicksal der Meeresschildkröten. Die Bundesregierung sollte diese Petitionen als einen weiteren Anstoß begreifen, jetzt sofort zu handeln. - Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.
Bredehorn ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitdem Leben auf der Erde existiert, gibt es ein Kommen und Gehen von Arten, aber noch nie war der Verlust an Arten so dramatisch wie heute. Während die Saurier noch mehrere Millionen an Jahren brauchten, um auszusterben, verschwinden heute täglich Arten von der Erde.
({1})
Da alle Pflanzen- und Tierarten schon auf Grund ihrer speziellen Erbanlagen einmalig sind, wird unsere Umwelt mit dem Verlust jeder Pflanzen- und Tierart unwiderbringlich ärmer. Hauptverursacher des täglichen Artenverlustes ist der Mensch. Er hat gerade deshalb eine ethische Verpflichtung, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Auch haben wir in der Bundesrepublik als Konsumenten hier eine besondere Verantwortung.
Artenschutz ist schon lange kein nationales Thema mehr, sondern längst ein internationales Thema geworden, dies insbesondere, seitdem wir wissen, daß die ökologischen Probleme in der Dritten Welt in mancherlei Hinsicht größer sind als bei uns.
Artenschutz hat auch eine wirtschaftliche Dimension. Es ist kaum problematisch, wenn Konsumenten bei uns auf ihnen lieb gewordene Produkte verzichten müssen. Schwieriger wird es, wenn sich die wirtschaftlichen Auswirkungen auf einige wenige Wirtschaftszweige konzentrieren. Dabei ist zu bedenken, daß den Entwicklungsländern durch den internationalen Artenschutz häufig mehr entgeht als uns. Aber das alles darf uns nicht dazu verleiten, unsere Anstrengungen im Bereich des Artenschutzes zu verringern, insbesondere nicht, wenn die Arten ohne besonderen Schutz vom Aussterben bedroht wären.
Dies trifft zweifellos für die Meeresschildkröten zu, bei denen es sich um eine hochgradig gefährdete Art handelt. Die auf Antrag der FDP durchgeführte Expertenanhörung im Ernährungsausschuß des Deutschen Bundestages hat uns noch einmal deutlich gemacht, daß die Einfuhr von Meeresschildkröten und daraus gewonnenen Produkten zu kommerziellen Zwecken so schnell wie möglich verboten werden muß. Ein Importverbot dieser Art sollte sich nicht auf die Bundesrepublik Deutschland beschränken, sondern auch für alle anderen EG-Mitgliedstaaten gelten. Eine Rechtsgrundlage hierfür ist mit der Verordnung ({2}) Nr. 3626/82 ab dem 1. Januar 1984 vorhanden. Diese Verordnung allein reicht für die Bundesrepublik Deutschland nicht aus, sondern es bedarf zusätzlich eines Gesetzes, das die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für ihre Durchführung in der Bundesrepublik schafft.
Wir haben den Gesetzentwurf mit eingebracht, weil wir uns davon überzeugt haben, daß das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet und verkündet werden muß, um die Durchführung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens vom 1. Januar 1984 an sicherzustellen, denn bisher hat die Bundesrepublik das WA in eigener Zuständigkeit mit den Instrumentarien des Ratifikationsgesetzes zum WA durchgeführt. Nunmehr hat die Europäische Gemeinschaft mit dem Erlaß der Verordnung 3626/ 82 diesen Bereich in ihre Zuständigkeit übernommen. Dadurch ist das Ratifikationsgesetz ab 1. Januar 1984 nicht mehr anwendbar. Wir mußten also die Initiative übernehmen, um die Erfordernisse des internationalen und europäischen Artenschutzes auch nach dem 1. Januar 1984 zu gewährleisten.
Wir sind uns darüber klar, daß es sich hier um kein perfektes Gesetz handelt, in dem alle Belange des Artenschutzes umfassend geregelt werden. Wir betrachten das Gesetz daher als eine Übergangsregelung und erwarten, daß so schnell wie möglich eine Generalbereinigung der mittlerweile völlig unübersichtlichen Rechtsetzung auf dem Gebiet des Artenschutzes erfolgt. Dabei müssen die internationalen und europäischen Aspekte der Handelsbeschränkungen für gefährdete Tier- und Pflanzenarten sowie die innerstaatlichen Schutzvorschriften in übersichtlicher und für jedermann verständlicher Form aufgenommen werden.
Wir erwarten weiter, daß gravierende Verstöße gegen die Schutzvorschriften künftig nicht mehr als Ordnungswidrigkeiten, sondern als Straftaten geahndet werden; denn wer sich angesichts des desolaten Zustands der Natur, den die Menschen verschuldet haben, an der Natur vergeht, begeht kein geringfügiges Verwaltungsunrecht, sondern handelt kriminell.
({3})
Und wir erwarten, daß die Rechtszersplitterung in unserem Staat durch eine Vielzahl von Landesgesetzes und Verordnungen beseitigt wird. Dabei rechnen wir fest auf die verständige Mitarbeit der Länder, in denen ja bereits von einer Arbeitsgruppe ein wegweisender Entwurf gefertigt worden ist.
Die notwendige Gesamtnovellierung des Artenschutzrechts im nächsten Jahr wird uns sicher Gelegenheit geben, den uns hier vorliegenden Änderungsantrag der SPD-Fraktion zu § 2 betreffend die Ausnahmen von den Verboten des Art. 6 Abs. 1 der EG-Verordnung ohne Zeitdruck sachkundig zu beraten und gegebenenfalls zu berücksichtigen. Verehrte Frau Blunck, Sie haben gerade bei diesem Gesetz angeprangert, daß es jetzt im Eilverfahren gehen muß. Ich glaube und hoffe, daß wir im nächBredehorn
sten Jahr Zeit genug haben, Ihre Anregung mit aufzunehmen.
({4})
Deshalb ist es auch zu begrüßen, daß Sie bis zum 30. September 1984 die Gesamtnovellierung der Artenschutzgesetzgebung fordern.
Wir sind von einigen Naturschutzorganisationen darauf hingewiesen worden, daß der Gesetzentwurf Regelungen enthalte, die es gewissenlosen Geschäftemachern leicht machten, z. B. durch falsche Deklarationen und Bescheinigungen das Gesetz zu umgehen. Das ist keine Frage der Qualität des Gesetzes, sondern eine Frage der Qualität der Durchführung. Gewiß hängt die Qualität des Gesetzes von der Qualität der Durchführung ab. Das ist aber kein gesondertes Problem dieses Gesetzes, sondern ein allgemeines Problem.
({5})
In unserem freiheitlichen Rechtsstaat mit seinen offenen Grenzen, auf den wir mit Fug und Recht stolz sein können, wird Schmugglern die Arbeit natürlich leicht gemacht. Sollen wir aber, um Schmugglern und Urkundenfälschern das Geschäft zu erschweren, lückenlose Personen- und Gepäckkontrollen an allen Grenzen einführen und jeglichen Handel mit allen Tieren und Pflanzen, lebenden und toten, egal ob gezüchtet oder bereits vor 30 oder 50 Jahren bereits der Natur entnommen, unterbinden? Dazu sagen wir nein.
Was schutzwürdig ist, muß geschützt werden, und zwar wirksam. Dazu müssen die Durchführung und insbesondere die Überwachung sichergestellt werden. Wir sind kürzlich von einer Artenschutzorganisation, der Umweltstiftung WWF-Deutschland, durch Fernschreiben vom 24. Oktober 1983, das an alle Bundestagsfraktionen gerichtet war, darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Durchführungsbehörden für künftige Aufgaben angeblich personell nicht ausgestattet seien. Falls dies zutrifft, werden wir uns, ungeachtet dessen, daß wir die Sparpolitik auch im Personalbereich mittragen, dafür einsetzen, daß die Durchführungsbehörden die notwendige Personalausstattung erhalten.
Die FDP-Fraktion wird dem Gesetz zur Durchführung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen und dem Antrag zum Verbot der Einfuhr von Meeresschildkröten und -produkten zustimmen.
({6})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten ist der größte Reichtum in dieser Welt, für dessen Erhaltung wir Menschen mitverantwortlich sind.
({0})
Eine Verödung dieser Arten wird zur Verödung des menschlichen Geistes führen, so wie die Ursachen des Artensterbens Ausdruck einer schon vollzogenen Verelendung des menschlichen Geistes sind,
({1})
abgesehen von den noch nicht übersehbaren ökologischen Konsequenzen.
Das zur Zeit stattfindende Aussterben von Arten trotz der Versuche ihrer Erhaltung muß uns deshalb aufs höchste alarmieren.
({2})
Lassen Sie mich ein paar Zahlen nennen: Im Bereich der Bundesrepublik sind ausgestorben, vom Aussterben bedroht oder akut gefährdet - nach dem Stand von 1977 -: z. B. 55 % aller Säugetierarten, 44 % aller Vogelarten, 67 % aller Reptilien, 58 % aller Lurche, 34 % aller Fische, 51 % aller Libellen. Wir reden also über die Bedrohung der Grundelemente des Lebens.
({3})
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein reiches Land. Es gibt hier einen kapitalkräftigen Markt für alles, was man aus Tieren und Pflanzen herstellen kann, die schon nahezu ausgestorben und deshalb rar und Gegenstände des sogenannten „gehobenen Bedarfs" geworden sind, lebendes Inventar eingeschlossen. Es gibt zahlreiche Interessengruppen hierzulande, die am Ausverkauf der noch vorhandenen Restbestände bedrohter Arten verdienen wollen. Kein Wunder, denn dabei sind mittlerweile höhere Gewinnspannen zu erzielen als im Drogenhandel.
Was die Bundesrepublik hingegen immer noch nicht hat, sind ausreichende gesetzliche Vorschriften und Verwaltungskapazitäten, um die internationalen Verpflichtungen, die sich etwa aus der Ratifizierung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens ergeben, auch wirksam durchzuführen und durchzusetzen. Beweise für diese Feststellung liegen beim Sekretariat der UNO in Gland bei Genf - Konventionen über den Handel mit gefährdeten Arten - oder sind in den Protokollen der Vertragsstaatenkonferenz im Washingtoner Artenschutzübereinkommen 1981 in Neu-Delhi zu lesen. Nicht zuletzt deswegen ist die Bundesrepublik nach wie vor eines der größten Importländer für Tiere und tierische Produkte, die nach dem WA geschützt sein sollten. Zum Beispiel kommen 60 % aller international verschobenen Felle hier auf den Markt, legal oder legalisiert, über den Umweg systematisch angelegter Schlupflöcher in den einschlägigen deutschen Bestimmungen: rechtmäßig, unrechtmäßig oder fein gewaschen.
Nun kommt ein Jahr nach dem Erlaß der EWG-Verordnung dieses Durchführungsgesetz in großer Eile auf den Tisch dieses Hohen Hauses. Daß es dabei zu gewissen Ungereimtheiten gekommen ist, können Sie schon aus den notwendigen Korrekturen in der Berichterstattung ersehen. Noch dazu wurden wir Kritiker mit der Drohung unter Druck gesetzt: Wenn das Gesetz nicht bis zum Januar in Kraft trete, stünden sozusagen alle bedrohten Arten
zur Einfuhr bereit. Die Verantwortung für die Bedrohung dieser Arten wurde also auf unsere „kleinen" Schultern gelegt. Ich denke, es ist unserer Hartnäckigkeit zu verdanken, wenn wir wenigstens noch diese 14 Tage zur Verfügung hatten, um auf einige der gröbsten Webfehler dieses Gesetzes aufmerksam zu machen.
({4})
Webfehler Nr. 1: § 1 Abs. 3 des Gesetzentwurfs, nach dem die Vorschriften des Jagdrechts unberührt bleiben sollen, gliedert einen großen Teil der dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen unterliegenden heimischen Arten, z. B. alle Greifvögel, von vornherein aus dem Regelungsbereich dieses Durchführungsgesetzes aus.
({5})
Diese Einschränkung ist doppelt bedenklich. Erstens verstößt sie gegen die mit Vorrang vor dem nationalen Recht ausgestattete EWG-Verordnung; denn diese ermächtigt nicht zu einer solchen Trennung der Durchführungsbestimmungen: hier Artenschutzrecht, dort Jagdrecht.
Zweitens muß zur Ergänzung dieses Durchführungsgesetzes ein zweites Regelwerk erlassen werden, das die Bestimmungen der EWG-Verordnung auf die unter dem Bundesjagdrecht stehenden und vom Washingtoner Artenschutzübereinkommen erfaßten Tierarten separat anwendet. Die einschlägigen Bestimmungen der im BML vorbereiteten Bundeswildschutzverordnung können diese Funktion gerade nicht übernehmen, weil sich auch nach Auffassung von Rechtsexperten hierzu keine ausreichende Rechtsgrundlage in § 36 des Bundesjagdgesetzes finden läßt. Die Konsequenz wären ein unvollständiges Durchführungsgesetz und eine totale Rechtsunklarheit bezüglich der dem Jagdrecht unterstellten und vom WA geschützten Tierarten. Wir fragen: Ist das beabsichtigt?
Webfehler Nr. 2: § 2 Abs. 1 des Entwurfs enthält Ausnahmen von den Vermarktungsverboten des Art. 6 Abs. 1 der EWG-Verordnung. Sie erstrecken sich undifferenziert auch auf alle Vogelarten im Sinne von Art. 1 der EG-Vogelschutzrichtlinie, soweit diese gleichzeitig im Anhang 1 des WA bzw. im Anhang C Teil 1 der EWG-Verordnung aufgeführt sind. Die EWG-Verordnung ermächtigt die Mitgliedstaaten zur Zulassung solcher Ausnahmen indessen ausdrücklich nur unter dem Vorbehalt der Berücksichtigung der Vorschriften der EG-Vogelschutzrichtlinie. Nur unter diesem Vorbehalt! Wozu gäbe es sie sonst? Es wäre doch unsinnig.
Die EG-Vogelschutzrichtlinie enthält ihrerseits jedoch keine Ermächtigung zur Ausnahme von den generellen Vermarktungsverboten ihres Art. 6 Abs. 1. Die in Abs. 2 und 3 festgelegten Ausnahmen unterfallen nicht dem WA. Somit verfehlt der Gesetzentwurf die ausdrückliche Vorschrift der EWGVerordnung hinsichtlich der Berücksichtigung der EG-Vogelschutzrichtlinie bei der Zulassung von Ausnahmen.
Er verstößt nicht nur gegen die Verordnung, deren Durchführung er eigentlich regeln soll, sondern er vermindert in der Konsequenz den Schutz zahlreicher europäischer Vogelarten, den diese durch die EG-Vogelschutzrichtlinie genießen sollen. Das kommt in der Praxis einer Umkehrung der Ziele des Übereinkommens gleich.
Vom Ministerium war nun auf diesen Hinweis folgendes zu hören. Ein Widerspruch zwischen EWG-Verordnung und EG-Vogelschutzrichtlinie bestehe deshalb nicht, weil in der Vogelschutzrichtlinie unausgesprochen als Selbstverständlichkeit eine entsprechende Ausnahmeermächtigung vorgesehen sei. Ein solcher Hinweis, der mit keiner Textstelle zu decken ist, erscheint doch sehr als eine unhaltbare Ausrede, wie wir überhaupt zunehmend den Eindruck eines regelrechten Verwirrspiels von seiten des Ministeriums gewonnen haben.
({6})
Zusätzlich zu diesem Argument sehen wir an verschiedenen Teilen des vorliegenden Gesetzentwurfs eine einseitige Bevorzugung bestimmter Interessengruppen, die von der Vorschrift eventuell betroffen werden könnten. Dafür möchte ich folgende Beispiele nennen.
Erstens. § 2 Abs. 1 Nr. 1 stellt die Inlandszucht von den Vermarktungsverboten frei. Damit wird der katastrophale Zustand fortgesetzt, daß die sogenannte Inlandszucht wegen ihrer mangelnden Kontrollierbarkeit als zentrales Schlupfloch mißbraucht werden kann zur Legalisierung illegaler Entnahmen aus der Natur bei uns und in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern. Auf diese illegale Weise decken z. B. die deutschen Falkner nachweislich einen großen Teil ihres jährlichen Nachschubbedarfs an Greifvögeln. Die schwierige und deshalb spärliche Nachzucht deckt nämlich bei weitem nicht die Lücken, die die mindestens 2 000 jährlich verendenden Gefangenschaftsvögel hinterlassen. Das ist eine längst öffentlich bekannte Tatsache, aus der jedoch weiter keine Konsequenzen gezogen werden.
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Zweitens. Es ist weder gerechtfertigt noch einzusehen, daß die Vermarktungsverbote gemäß Art. 6 Abs. 1 der EWG-Verordnung nicht für Exemplare gelten sollen, die vor oder nach Inkrafttreten der Verordnung mehr oder minder rechtmäßig erworben wurden. Ihr Besitz wird ja durch diese Verbote keineswegs in Frage gestellt, sondern lediglich ihre weitere Vermarktung, deren Einschränkung nach § 2 Abs. 3 Buchstaben a) und b) niemals ausreichend kontrolliert werden kann. Die EWG-Verordnung ermächtigt die Mitgliedstaaten zu derartigen Ausnahmen, verpflichtet sie aber nicht dazu. Es lag aber offensichtlich in der Absicht der Autoren dieses Entwurfs, alles zu verhindern, was einer Expansion dieses kapitalkräftigen Markts entgegenwirken könnte. Ich will auch sagen, um welche Geschäfte es sich dabei handelt. Es handelt sich dabei z. B. um Geschäfte mit Chinchilla- und LeopardenFrau Dr. Vollmer
pelzen oder Ozelotpelzen oder um Leder von Krokodilen, Schlangen und Ottern. Ich sage das, damit wir wissen, was nun geschützt wird und wofür es Ausnahmen gibt.
Drittens. Das gilt auch für die Freistellung künftiger Einfuhren toter Exemplare als persönliche Gebrauchsgegenstände oder als Hausrat von der Dokumentenpflicht in § 2 Abs. 2 des Entwurfs. So öffnet man vor allem dem mißbräuchlichen Import wertvoller Einzelpräparate geflissentlich Tür und Tor. Frau Blunck hat schon darauf hingewiesen, daß auf diese Weise eine einzige Person Werte von mehreren hunderttausend Mark am Leibe einführen kann.
Viertens. Hingegen fehlt bezeichnenderweise eine Ermächtigung für den Bundesminister nach Art. 15 der EWG-Verordnung, strengere Maßnahmen zu ergreifen, z. B. generelle Import- oder Exportverbote, wenn absehbar ist, daß der Vollzug des geltenden Rechts die Erhaltung einheimischer oder ausländischer Arten in ihren Ursprungsländern nicht zu gewährleisten vermag. Warum fehlt eine solche Ermächtigung?
Ich fasse zusammen. Die Fraktion der GRÜNEN wird nach ausführlicher Prüfung dieses Gesetzes und dem Rat der Naturschützer entsprechend, mit denen wir uns beraten haben, der jetzigen Fassung dieses Gesetzentwurfs nicht zustimmen, weil wir zu der Erkenntnis gekommen sind, daß dieser Gesetzentwurf in der vorliegenden Form nicht verhindert, was er zu verhindern vorgibt, nämlich daß Tierspekulanten und andere zahlungskräftige Interessentengruppen die ohnehin schon bedrohten Reste der freilebenden Tier- und Pflanzenwelt weiterhin ausplündern und schädigen können. Wir werden allerdings den Anträgen der SPD zustimmen.
Ich komme nun zur zweiten Drucksache, dem Einfuhrverbot von Meeresschildkröten. Erinnern wir uns: Engagierte Bürger, die zufällig Zeugen des Abschlachtens dieser eigenartig schönen Tiere wurden, haben unter eigenen finanziellen Opfern darauf aufmerksam gemacht, daß trotz der Aufnahme der Meeresschildkröten in den Anhang 1 des WA diese Tierart weiter vom Aussterben bedroht ist, hauptsächlich durch die kommerzielle Nutzung durch den Menschen. Das Ergebnis, das wir hier als gemeinsamen Vorschlag aller Fraktionen vorlegen, ist in erster Linie das Resultat dieses ungeheuren Einsatzes so vieler Menschen. Und ich habe manchmal einen Traum, daß die Menschen selbst und die Kinder und die Zukunft dieser Erde so viele engagierte Schützer und Briefschreiber finden wie diese Tiere.
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Diese Tierschützer machten darauf aufmerksam, daß Produkte dieser Tiere mit gefälschten Papieren in die Bundesrepublik kommen. Es kam zu einzelnen Beschlagnahmen. „Damit war unserer Pflicht Genüge getan", meinte das Ministerium. Bis zum heutigen Tag weist es darauf hin, daß es die Hunderte von Tonnen Schildkrötenfleisch-Importe nicht mehr gebe und damit schärfere Bestimmungen nicht mehr notwendig seien. Tatsache ist jedoch: Auch in diesem Jahr wurden Schildkrötenprodukte importiert. Unter Umgehung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens werden Tiere als Vorerwerb deklariert, d. h. als aus Beständen stammend, die vor der Inschutznahme der Wildbahn entnommen wurden. Laut Augenzeugen wurden diese Bestände immer wieder aufgefüllt. Nachprüfbar ist das für unsere Zollbehörden nicht. Aus Zuchten können diese Tiere auch nicht stammen. Darauf ist schon hingewiesen worden. Schildkrötensuppe jedoch kann man nach wie vor kaufen. Bei der Firma Lacroix lagern noch 25 bis 30 t Schildkrötenfleisch - alles legal, versteht sich.
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Repräsentanten unseres Staates haben sie auf Empfängen, wie jüngst geschehen, sogar auf der Menükarte gehabt.
Die Anhörung von Sachverständigen und beteiligten Zollbehörden vor dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat ein anderes Bild ergeben. In für Sachverständige seltener Einmütigkeit sprachen sie sich für schärfere Maßnahmen zum Schutz dieser Tiere aus. Ein Importstopp für diese Tiere und deren Produkte wurde gefordert. Die Zollbehörden könnten auf dieser Grundlage einfache Verstöße gegen das WA ahnden.
Der Ausschuß hat sich für die Unterstützung dieser Forderung nach Importstopp ausgesprochen. Auch wir stimmen dem zu, obwohl wir bedauern, daß dieser Importstopp nur für kommerzielle Einfuhr gilt. Wir stimmen diesem Votum zu, weil es ein Schritt in die richtige Richtung ist, auch wenn es diesmal noch nicht um den Erhalt einheimischer Arten geht. Wir wissen, daß der Schritt zum Erhalt der einheimischen Arten noch ein ganzes Stück größer und schwieriger sein wird.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Herr Staatssekretär von Geldern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich nicht mit allen gerade vorgetragenen Bedenken, Frau Kollegin Dr. Vollmer, auseinandersetzen und habe auch deshalb nicht die Absicht, das zu tun, weil Sie hier wieder Dinge vorgetragen haben, die wir im Gespräch ausführlich erörtert hatten und worüber wir Ihnen Auskunft im einzelnen gegeben hatten. Deshalb ist es natürlich sehr unbefriedigend, wenn das jetzt, nachdem wir uns da einig gewesen sind, erneut so vorgetragen wird.
Ich will einen einzigen Punkt aufgreifen. Was Sie über die Europäische Vogelschutzrichtlinie gesagt haben, entspricht absolut nicht der schriftlichen Auskunft der Kommission über die Vereinbarkeit der Vogelschutzrichtlinie mit diesem Gesetz und
mit dieser EG-Verordnung, die wir Ihnen vorgelegt haben. Da ist es natürlich allmählich müßig, wenn das nun hier noch einmal von vorn von Ihnen so vorgetragen wird und Sie den Eindruck erwecken, als sei das alles nicht vereinbar. Diese Auseinandersetzung führt letzten Endes nicht zu einem guten Ergebnis.
({0})
Die Bundesregierung wird sich in ihrem Bemühen um einen effektiven und wirksamen Artenschutz von niemandem übertreffen lassen.
({1})
Das Gesetz, das hier eingebracht ist, ist notwendig, damit die auch hier schon mehrmals angesprochene Lücke nicht entsteht und wir nicht ab 1. Januar 1984 einen Rückschritt in dem bereits erreichten Standard des internationalen Artenschutzes erleben.
Insofern, Frau Kollegin Dr. Vollmer - und das gilt auch für Sie, Frau Kollegin Blunck -, ist es tatsächlich eine Gefährdung des Artenschutzes, wenn Sie die Beratung hier mit zusätzlichen Anträgen und Vorschlägen befrachten, die in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr in die Tat umgesetzt werden können. Deshalb wende ich mich namens der Bundesregierung dagegen, insbesondere gegen Ihren Vorschlag zu § 2 des Gesetzes. Ich muß das in aller Deutlichkeit sagen: Wer jetzt noch versucht, mit solchen überzogenen Forderungen den Gesetzentwurf noch wesentlich zu ändern, der ist letzten Endes kein Freund und Schützer der bedrohten Tier- und Pflanzenarten, sondern er erweist diesen Arten einen denkbar schlechten Dienst.
({2})
Ich will mich auch gern mit Ihrem Änderungsvorschlag auseinandersetzen. Gegen den Vorschlag spricht zunächst, daß er verfassungswidrig ist; denn hier ist keine Entschädigungsregelung vorgesehen,
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die notwendig wäre, wenn die Vereinbarkeit mit Art. 14 des Grundgesetzes hergestellt werden sollte.
Zweitens würde die Annahme Ihres Antrages bedeuten, daß Exemplare der besonders gefährdeten Tier- und Pflanzenarten ab 1984 weder gewerblich noch privat freiverkauft werden dürften, und zwar gleichgültig, ob es sich um Exemplare handelt, die bis Ende 1983 in Übereinstimmung mit dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen in die Europäische Gemeinschaft eingeführt wurden oder dort rechtmäßig der Natur entnommen worden sind. Auch wäre es, wenn man Ihrem Antrag folgte, nicht mehr möglich, solche Tiere und Pflanzen zu verkaufen, die nachweislich aus Zucht oder künstlicher Vermehrung in EG-Drittländern stammen. Kurz gesagt: Bisher legale Ware würde von heute auf morgen unverkäuflich. Ich meine, wir könnten ein solches Gesetz vor der Öffentlichkeit nicht rechtfertigen, und wir könnten auch nicht die durch ein solches Gesetz dann verursachten Geschäftsschließungen, Verdienst- und Vermögensausfälle bei Handel, Gewerbe und Privatpersonen und auch nicht die verfassungsrechtlich notwendigen Entschädigungen in Millionenhöhe, die dann zu zahlen wären, rechtfertigen.
({4})
Aber auch von der Sache her, Frau Kollegin Blunck, ist Ihr Antrag, den Sie hier begründet haben, nicht gerechtfertigt. Es gibt aus der Sicht des Artenschutzes keinen vernünftigen Grund, warum z. B. Tiere aus anerkannten Zuchtbetrieben in Drittländern
({5})
nicht verkauft werden sollten. Im Gegenteil, Zuchtfarmen für gefährdete Tierarten auch außerhalb Europas dienen dem Artenschutz; denn durch gezüchtete Tiere und Pflanzen kann die Nachfrage befriedigt werden, die sonst legal oder, was schlimmer ist, illegal doch aus der Natur gedeckt würde, und der dezimierte Bestand in der Natur kann wieder aufgefüllt werden. Das geschieht bereits in teilweise erfreulichem Umfang.
Es ist übrigens auch kein Grund ersichtlich, weshalb der Verkauf von in der Gemeinschaft gezüchteten Tieren und Pflanzen, freigegeben werden soll, nach Ihrem Antrag dagegen nicht der Verkauf von entsprechenden Exemplaren aus nichteuropäischen Zuchten. Genau das bedeutet Ihr Antrag. Wenn man berücksichtigt, daß viele Entwicklungsländer dringend auf Einnahmen aus dem Verkauf von gezüchteten Tieren und Pflanzen angewiesen sind, bedeutet Ihr Antrag eine durch nichts zu rechtfertigende Benachteiligung der Entwicklungsländer gegenüber der europäischen Konkurrenz. Das würden die Entwicklungsländer zu Recht als reine Willkür und als Protektionismus ansehen, und das würde unsere Bemühungen um den internationalen Artenschutz geradezu unglaubwürdig machen.
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Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat von Anfang an erkannt, welche Bedeutung das Washingtoner Artenschutzübereinkommen für das Überleben vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten, von denen hier zu Recht in dramatischer Weise die Rede war, hat, und welche Rolle dabei unserem Lande als einem großen Importland zukommt. Deshalb hat die Bundesrepublik als erster EG-Staat im Jahre 1976 dieses Abkommen ratifiziert und hat in der Folgezeit maßgeblich dazu beigetragen, daß die internationale und auch die nationale Durchführung des Übereinkommens ständig verbessert wurde und daß das Übereinkommen heute weltweit als das wirksamste Abkommen überhaupt im Bereich des Artenschutzes angesehen wird.
Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern
Übrigens hat der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zuletzt seine deutliche Anerkennung darin gefunden, daß unserem Lande in diesem Jahr von 81 Staaten der Welt der Vorsitz des wichtigsten Ausschusses des Washingtoner Artenschutzübereinkommens übertragen wurde.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Blunck?
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade davon gesprochen, daß wir den Entwicklungsländern sehr viel Schlechtes antun würden, wenn wir keinen Handel mehr zuließen. Auf der anderen Seite haben Sie davon gesprochen, daß das Washingtoner Artenschutzübereinkommen in Ordnung ist und genau diese Import- und Verkaufsmöglichkeiten einschränkt. Darf ich Sie jetzt fragen, was Sie eigentlich wollen und wo Sie den Schwerpunkt sehen? Denn genau das Washingtoner Artenschutzübereinkommen verbietet den Handel und das Importieren dieser gefährdeten Tier- und Pflanzenarten.
Frau Kollegin Blunck, Sie wissen, hoffe ich, genauso gut wie ich, daß wir uns an dem Punkt ausschließlich über gezüchtete Tiere und Pflanzen unterhalten haben
({0})
und daß hier Ihre Differenzierung zwischen europäischen und außereuropäischen Ländern ausschließlich zum Nachteil der Entwicklungsländer wirken würde, und zwar ohne Begründung; denn bei gezüchteten Tieren und Pflanzen haben wir diese Möglichkeit hier bewußt gemeinsam gesehen.
Der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland an dem Zustandekommen und der Verbesserung der EG-Verordnung sowie von deren strikten Vorschriften wird auch darin deutlich, daß wir hier von Anfang an und erfolgreich darauf hingewirkt haben, daß die Übernahme dieser Verordnung jetzt keinerlei Rückschritt gegenüber dem bisherigen Rechtszustand darstellt, und daß die Verordnung auch in den fünf Mitgliedstaaten verbindlich wird, die das Übereinkommen bisher nicht ratifiziert haben. Auch das ist ein wesentliches Verdienst der Bundesregierung.
Der internationale Artenschutz ist keine abgeschlossene Sach- und Rechtsmaterie. Alle Hinweise, die in dieser Richtung gegeben worden sind, daß wir hier weitere Fortschritte machen müßten, daß dies ein Thema sei, welches weiterhin im Wachsen und Werden begriffen sein wird, sind berechtigt. In den zehn Jahren der Geltungsdauer des Washingtoner Artenschutzübereinkommens ist dieses durch vielerlei Resolutionen der Vertragsstaatenkonferenz klarer, konkreter und wirksamer gestaltet worden. Diesen Weg werden wir auch in Zukunft gehen. Wir sind aber froh, daß es bis heute gelungen ist, mit dem rechtlichen Instrumentarium des Übereinkommens und unserem Durchführungsgesetz bereits die Importe vieler gefährdeter Tier- und Pflanzenarten erheblich einzuschränken.
Die Bundesregierung will, daß das Erreichte bewahrt wird und der Artenschutz in Zukunft noch wirksamer wird. Zur Bewahrung des Erreichten ist dieses Gesetz notwendig. Zur wirksameren Gestaltung des Artenschutzes in der Zukunft beabsichtigt die Bundesregierung in möglichst kurzer Zeit einen Entwurf zur Gesamtreform des Artenschutzrechts vorzulegen. Dieser Entwurf wird selbstverständlich - das war einer der hier geäußerten kritischen Punkte - mit allen betroffenen Verbänden und Organisationen auf Bundesebene erörtert werden. Aber Sie wissen auch - Frau Kollegin Blunck, Sie hatten es angesprochen, auch Sie, Frau Kollegin Dr. Vollmer -, daß es bei dem jetzt praktizierten Gesetzgebungsverfahren üblicherweise nicht der Fall ist.
Die Bundesregierung hat immer betont, daß sie diesen vorliegenden Gesetzentwurf als eine notwendige Übergangsregelung ansieht. Sie kann sich deshalb mit einer Befristung der Geltungsdauer dieses Gesetzes, wie sie beantragt worden ist, durchaus einverstanden erklären.
Gegen einen Auftrag des Deutschen Bundestages, den Gesetzentwurf zur Novellierung des Artenschutzkapitels im Bundesnaturschutzgesetz bis zum 30. September 1984 vorzulegen, hätte die Bundesregierung ebenfalls nichts einzuwenden, da sie genau dies vorhat.
({1})
Meine Damen und Herren, ich komme abschließend zu dem Thema der Meeresschildkröten, das hier in der verbundenen Debatte mit erörtert wird.
Die wichtigste Bemerkung vorweg. Die Bundesregierung wird ab 1. Januar 1984 die Einfuhr von Meeresschildkröten, deren Teilen und daraus gewonnenen Produkten zu kommerziellen Zwecken aus Gebieten außerhalb der EG nicht mehr zulassen.
({2})
Rechtsgrundlage hierfür wird die am 1. Januar 1984 in Kraft tretende Verordnung der Europäischen Gemeinschaft sein, die u. a. zwei wichtige Neuregelungen vorsieht.
({3})
- Ich kann Sie im Augenblick schlecht verstehen.
- Erstens dürfen Meeresschildkröten, deren Teile und daraus gewonnene Produkte ab 1984 nur noch mit einer Einfuhrgenehmigung in die Gemeinschaft eingeführt werden. Zweitens werden der Verkauf und der Transport zum Verkauf von Schildkrötenteilen und -produkten, die nach 1983 in die Gemeinschaft eingeführt werden, grundsätzlich verboten.
Ich komme jetzt zu den Einzelheiten des Entschließungsantrags und der Beschlußempfehlung. Die Bundesregierung hält ein früheres Importverbot - wir haben November 1983 - vor dem 1. Januar 1984 nicht für durchsetzbar, da hierzu eine Einfuhrverordnung auf Grund des § 23 des Bundesnaturschutzgesetzes erforderlich wäre, die nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden könnte. Das dürfte innerhalb der verbleibenden Zeit nicht möglich sein. Ich glaube auch nicht, daß dies in irgendeiner Weise erforderlich wäre. Wir haben den gegenwärtigen Rechtszustand. Dieser wird nur noch bis Ende 1983 Geltung haben. Dann gilt das, was ich eben für den Zeitraum ab 1. Januar 1984 gesagt habe.
Um sicherzustellen, daß bis zum Inkrafttreten des Importverbots nur noch einwandfreie Exportdokumente anderer Staaten anerkannt werden, hat sich der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten seit Mai 1983 die Anerkennung ausländischer Exportdokumente in jedem Einzelfall selbst vorbehalten.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Vollmer?
Ich wollte eigentlich nur noch einen Satz sagen; aber bitte.
Dann sagen Sie ihn doch.
Sie haben eben einige Verwirrung durch eine Formulierung gestiftet, die dem Antrag widerspricht, über den wir hier abstimmen. Sie haben nämlich gesagt: in die EG. Die Frage ist, ob Sie damit sagen, daß der Importstopp nicht für die Einfuhr von Waren aus der EG in die Bundesrepublik gilt. Ist das ein Versprecher gewesen? Sie haben dafür auch Beifall bekommen. Das, denke ich, war nicht Beschlußlage des Ausschusses. Hier steht:
ab 1. Januar 1984 die Einfuhr von Meeresschildkröten und daraus gewonnenen Produkten zu kommerziellen Zwecken in die Bundesrepublik Deutschland zu verbieten.
({0})
Ich habe zu dem Punkt, den Sie jetzt ansprechen, Frau Kollegin Vollmer, meines Wissens gar nichts gesagt. Ich wiederhole meinen Satz von vorhin gern, damit hier kein Zweifel bleibt: Die Bundesregierung wird ab 1. Januar 1984 die Einfuhr von Meeresschildkröten, deren Teilen und daraus gewonnenen Produkten zu kommerziellen Zwecken aus Gebieten außerhalb der EG nicht mehr zulassen.
({0})
- Wir können das vielleicht noch einmal an Hand des Protokolls besprechen. Ich fürchte, es führt jetzt zu weit, wenn wir das weiter erörtern.
({1})
- Das Mißverständnis haben wir jetzt hoffentlich ausgeräumt. Jetzt will ich Ihnen zu Ihrer Frage gern noch eine Antwort geben. Gestützt auf die von mir vorhin zitierten Regelungen, nämlich Verordnung der EG, wird die Bundesregierung bei der Einfuhr aus Drittstaaten in die Bundesrepublik Deutschland keine Einfuhrgenehmigung für kommerzielle Zwecke erteilen, was einem Importverbot gleichkommt. Die Bundesregierung wird auch nicht zulassen - das ist der Punkt, den Sie im Auge haben -, daß über andere EG-Mitgliedstaaten Meeresschildkröten und -produkte auf den deutschen Markt kommen, die nach 1983 in einen anderen EG-Staat eingeführt oder nach diesem Zeitpunkt im Gemeinschaftsgebiet der Natur entnommen worden sind.
({2})
Ich wollte jetzt gern meinen Schlußsatz sagen. Zu den Punkten 2 bis 6 der Beschlußempfehlung möchte ich generell sagen, ohne jetzt noch weitere Ausführungen zu machen, daß die Bundesregierung diese Beschlußempfehlung für richtig und sinnvoll hält und ihr entsprechen wird.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 5 der Tagesordnung. Ich rufe § 1 des Gesetzentwurfs Drucksache 10/381 auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/586 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- § 2 ist angenommen.
Ich rufe die §§ 3 bis 13 mit den von der Berichterstatterin vorgetragenen Berichtigungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe § 14 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/586 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag beVizepräsident Frau Renger
treffend die Datumsänderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig ist dies so angenommen.
Wer dem § 14 mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Es bleibt nun noch, über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Das ist in der zweiten Beratung so angenommen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können in die dritte Beratung eintreten. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
({0})
- Ja. Ich darf Sie bitten, meine Damen und Herren von der GRÜNEN-Partei, sich zu erheben. Ich rufe also die Gegenstimmen noch einmal auf, damit wir das alle sehen. Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Dieses Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
Meine Damen und Herren, es ist noch über den zweiten Teil der Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/468 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer diesem Vorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist angenommen.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/587 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 6. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/495 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung von Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche aus Bundesmitteln
- Drucksache 10/490 Uberweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feilcke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen kurz vor dem Ende eines Jahres, das im Bereich der Ausbildungsplatzsituation in der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich erfolgreich verlaufen ist.
({0})
Zwar liegen die endgültigen Zahlen, Herr Kollege Lutz, über die neuen Vertragsabschlüsse erst Anfang 1984 vor, aber schon jetzt können wir davon ausgehen, daß die Zahl von 50 000 unversorgten Bewerbern, die damals registriert wurde und die insbesondere von Ihnen, Herr Kollege Lutz, Ende September mit großer Häme vorgetragen wurde,
({1})
noch erheblich gesenkt werden kann. Ende dieses Jahres wird es sicherlich kaum mehr als 30 000 Ausbildungsplatzsuchende geben. Die Unkenrufe aus Ihrer Fraktion und aus der Fraktion Ihrer grünen Freunde waren voreilig, unbegründet und nur von Häme und Mißgunst bestimmt.
({2})
Meine Damen und Herren, Ende Oktober 1983 waren bei den Arbeitsämtern 186 739 arbeitslose Jugendliche gemeldet. Natürlich ist diese Zahl immer noch viel zu hoch. Dennoch kann man sagen - und das mit einer gewissen Befriedigung -, daß sich diese Zahl gegenüber dem Vorjahr - im Unterschied zu der Entwicklung der Gesamtarbeitslosigkeit - nicht erhöht hat.
({3})
Gegenüber dem Vormonat sind es sogar 12 402 Jugendliche weniger.
Diese relativ günstige Entwicklung bei der Vermittlung in Ausbildungsverhältnisse wird sich möglicherweise in den nächsten zwei Jahren nicht fortsetzen lassen.
({4})
Es stehen fast unlösbare Probleme ins Haus. Es ist kaum vorstellbar, daß es noch einmal gelingen wird, in gleichem oder gar in noch höherem Maße als bisher Ausbildungsbetriebe zu veranlassen, die Zahl der Ausbildungsverhältnisse weiter zu steigern. Es ist müßig - und zwar deshalb, weil es jeder weiß -, besonders darauf hinzuweisen, daß die Situation auf dem Arbeitsmarkt und entsprechend auf dem Ausbildungsmarkt von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängt. Natürlich brauchen wir zu2252
sätzliche Investitionen, natürlich brauchen wir zusätzliches Wachstum, damit neue und zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen.
({5})
Der Weg aus der Wirtschaftskrise dauert aber sicherlich ähnlich lange wie der Weg in diese Krise. Insofern sind kurzfristige Erfolgsmeldungen leider nicht zu erwarten. Deshalb müssen heute vielfältige, differenzierte, natürlich insgesamt aufeinander abgestimmte Teilmaßnahmen ergriffen werden, um die Probleme der Zukunft bewältigen zu können.
In der vorigen Woche bereits ist das einmalige Sonderprogramm der Bundesregierung, das unter dem Namen Wilms-Programm bekannt ist, angelaufen. Es bietet zusätzlich 7 000 bis 8 000 jungen Menschen die Chance, ab sofort einen Ausbildungsplatz zu erhalten.
Heute beraten wir die Gesetzesinitiative des Bundesrates, die die Voraussetzungen für Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche erleichtern will. Bekanntlich streben zirka 90 % aller arbeitslosen Jugendlichen eine Arbeit und keine Ausbildung an, viele davon sicherlich aus einer realistischen Selbsteinschätzung, daß sie die Voraussetzungen für eine qualifizierte Ausbildung nicht erfüllen.
({6})
Immerhin haben mehr als 30% der arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren keinen Hauptschulabschluß. Andererseits wissen wir, daß die beste Möglichkeit, einer späteren Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken und vorzubeugen, eine qualifizierte berufliche Bildung ist. Wir müssen deshalb alles tun, um die Startchancen für jugendliche Schulabgänger, die ohne entsprechende Leistung bzw. auch ohne die entsprechende Motivation ins Berufsleben eintreten wollen, zu verbessern.
({7})
Eine der ersten Maßnahmen der neuen Bundesregierung war es, anknüpfend an entsprechende Vorarbeiten der Vorgängerregierung - das muß zugegeben werden -, die Mittel für das Bildungsbeihilfeprogramm von 30 auf 205 Millionen DM aufzustocken. Sie übertraf aber die Intentionen ihrer Vorgängerregierung bei weitem, indem sie die Mittel von 205 Millionen DM auch schon für 1984 eingeplant hat.
Inzwischen müssen wir jedoch feststellen, daß dieses Programm nicht in dem wünschenswerten Maße praktikabel ist, daß die Praktikabilität dieses Gesetzes offenbar nicht ausreicht, da die Zugangsvoraussetzungen - Sie wissen, man muß vier Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein und anschließend drei Monate als Arbeitsloser gemeldet gewesen sein - für viele der in Betracht kommenden Jugendlichen eine unüberwindliche Barriere darstellen. Deshalb sind die vorgesehenen Mittel nur teilweise abgeflossen. Immerhin konnten 12 000 Jugendliche gefördert werden. Ihre Bildungsvoraussetzungen konnten zum Teil erheblich verbessert werden. Es handelt sich also bisher schon um eine erfolgreiche Maßnahme.
Denn diese Jugendlichen sind auf der einen Seite schwer zu erreichen und auf der anderen Seite, wenn man sie erreicht hat, außerordentlich schwer zu motivieren, nach einer von Mißerfolgen geprägten Schulzeit erneut die Schulbank zu drücken.
Die Palette der Förderungsmaßnahmen dieses Programmes ist außerordentlich vielseitig. Die größten Anstrengungen erfolgten zugunsten des nachträglichen Erwerbs von Hauptschulabschlüssen. 40 bis 45% aller Teilnehmer durchliefen diesen Teil der Förderung. Ich weiß z. B. aus Berlin, daß von 97 Jugendlichen, die es begonnen haben, den Hauptschulabschluß nachzumachen, 69 es geschafft haben. Ferner handelt es sich um allgemeinbildende Kurse. Ich weiß auch wiederum aus Berlin, daß dort Vietnamesen, die besondere Zugangsschwierigkeiten haben, gefördert werden. Zusätzlich gibt es eine Kombination von schulischen und beruflichen Maßnahmen, wobei der berufliche Teil der Bildung die Felder Metall, Elektro, Kfz, Holz und Hauswirtschaft schwerpunktmäßig betrifft.
Es ist wichtig und interessant, festzustellen, daß unter den bisherigen Teilnehmern 3% Behinderte und 12 % Ausländer waren. Gerade im Hinblick auf die ausländischen Jugendlichen ist dieses Programm eine ganz besonders notwendige Hilfsmaßnahme. Es ergänzt in wirkungsvoller Weise die nicht mehr im bisherigen Umfang wahrgenommenen MBSE-Programme.
Die Gesetzesinitiative des Bundesrates sieht vor, daß die bisherigen Zugangsvoraussetzungen entfallen können, und zwar für einen Personenkreis von etwa 100 000 Jugendlichen, die nach dem Berufsbildungsbericht jährlich ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung in das Erwerbsleben eintreten und deshalb von Arbeitslosigkeit ganz besonders bedroht und häufig auch betroffen sind. Für sie können sich durch diese Gesetzesänderung zusätzliche Chancen ergeben. Aber auch für alle die Jugendlichen, die wegen fehlender entsprechender Voraussetzungen bisher weder Arbeit noch Ausbildung bekommen, sieht die Gesetzesänderung vor, daß ihre Startchancen verbessert werden können. Allerdings sollen künftig diejenigen Jugendlichen, die bereits gearbeitet haben, bevorzugt berücksichtigt werden. Da bestand in der Bundesratsberatung Einvernehmen.
Bei dem neu hinzutretenden Personenkreis derjenigen Jugendlichen, die, ohne bisher gearbeitet zu haben, Bildungsbeihilfen in Anspruch nehmen werden, soll die Einkommenssituation der Familien berücksichtigt werden. Das entspricht dem im gesamten Ausbildungsförderungsrecht verankerten Prinzip der Bedürftigkeitsprüfung. Wir werden aber gemeinsam, meine Damen und Herren, zu beobachten und abzuwägen haben, ob diese Regelung, die Regelung der Bedürftigkeitsprüfung, Herr Minister, praktikabel ist oder ob dadurch nicht neue, zusätzliche Barrieren geschaffen werden, die es den Arbeitsämtern schwer machen, die Hilfe tatsächlich zu gewähren. Wir wollen nicht, daß gerade dieser Personenkreis, der unsere ganz besondere Hilfe braucht, von diesem Förderungsprogramm wieder ausgeschlossen wird.
Wir bitten die Bundesregierung im übrigen, uns in den Ausschußberatungen darzulegen, ob nicht die Notwendigkeit und die Möglichkeit gesehen wird, die Geltung des Gesetzes über das Jahresende 1984 hinaus zu verlängern. Uns scheint das schon jetzt erforderlich zu sein, zumal wenn man bedenkt, daß einzelne Bildungsmaßnahmen eine Dauer von bis zu einem Jahr haben werden und das Jahr 1984 bald beginnt.
Die Fraktion von CDU und CSU begrüßt diese Gesetzesinitiative und wird bei den weiteren Beratungen darauf drängen, daß alles unternommen wird, um die Chancen der Jugendlichen zu verbessern, die auf Grund fehlender bildungsmäßiger Voraussetzungen ohne entsprechende Förderungsmaßnahmen sonst, wie man so salopp sagt, durch den Rost fallen würden. - Ich danke Ihnen.
({8})
Das Wort hat der Abgordnete Schreiner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man dem Vorredner sorgfältig zugehört hat, konnte man den Eindruck gewinnen, man sei in einem anderen, ferneren Land.
Die sozialdemokratische Fraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen, zumal er vom Bundesland Hessen initiiert worden ist - schon deshalb, weil
({0})
damit die Voraussetzungen geschaffen werden, den notwendigen Abfluß der Mittel zu gewährleisten.
Worauf wir aber bei dieser Gelegenheit hinweisen wollen, ist die Tatsache, daß es sich auch bei dieser Gesetzesänderung bestenfalls um einen Tropfen auf dem heißen Stein des Problems handeln kann.
({1})
Wir wollen darauf hinweisen, daß nach den amtlichen Statistiken etwa 50 000 junge Leute ohne Ausbildung sind. Wir weisen darauf hin, daß etwa 30 000 junge Leute in sogenannte schulische Überbrükkungsmaßnahmen Eingang gefunden haben,
({2})
andererseits aber ihre Aubildungsbewerbung aufrechterhalten. Auch 'Weisen wir daraufhin, daß etwa - geschätzt - 40 000 junge Leute, darunter vor allen Dingen sehr viele Mädchen, aus den Statistiken ganz verschwunden sind - Dunkelziffer -, weil sie es für sinnlos halten, sich überhaupt noch zu bewerben. Das ist die Lage. Das ist 1983 die Lage von etwas mehr als 100 000 jungen Leuten, die in der Bundesrepublik keinen Ausbildungsplatz gefunden haben.
({3})
- Sie werden noch Gelegenheit zu Zwischenrufen kriegen; sparen Sie sich die Luft.
Wenn man sich vor diesem dramatischen Hintergrund die Kampagne der Bundesregierung, die Kampagne des gelegentlich amtierenden Bundeskanzlers
({4})
im Vorfeld der Bundestagswahl dieses Jahres anguckt - ({5})
- Herr Müller, der „Enkel von Konrad Adenauer" hat in großformatigen Anzeigen, in großen Lettern im Februar und März verkündet: Jeder Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland bekommt einen Arbeitsplatz. Die Realität sieht anders aus. Die Wahrheit ist, daß über 100 000 junge Leute Ende dieses Jahres keinen Ausbildungsplatz haben werden.
({6})
Das ist die bittere Realität für 100 000 Menschen, die von der Bundesregierung, von dem gelegentlich amtierenden Bundeskanzler angeschwindelt worden sind. Jedenfalls wird sich bei ihnen dieses Gefühl einstellen.
({7})
Herr Kollege, dieses Wort „angeschwindelt worden" ist nicht sehr parlamentarisch. Ich bitte doch darum, das zu beachten.
Frau Präsidentin, es mag nicht der parlamentarischen Gepflogenheit entsprechen, es entspricht aber der Wahrheit.
({0})
Wir als Sozialdemokaten haben nie gezweifelt, daß eine Ausbildungsgarantie ihren Sinn haben mag. Wir haben gesagt: In Zeiten, in denen die Betriebe - aus welchen Gründen auch immer, auf Grund der demographischen Entwicklung und aus anderen Gründen - nicht in der Lage sein können, die notwendigen Ausbildungsquantitäten bereitzustellen, hat der Staat gewissermaßen in Form einer Ausfallbürgschaft einzuspringen und hat staatliche oder staatlich geförderte Ausbildungsplätze bereitzustellen.
({1})
Genau vor dieser Aufgabe haben Sie in diesem Jahr vollkommen versagt.
({2})
Ich will dies an wenigen Beispielen deutlich machen. Die Bundesregierung hat nicht einmal die ihr selbst zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten ausgeschöpft.
({3})
Bei der Deutschen Bundespost beispielsweise könnten Sie von heute auf morgen 3 000 Ausbildungsplätze im Fernmeldebereich für Mädchen bereitstellen, wenn Sie bereit wären, die gegenwärtig praktizierte 27wöchige Anlernzeit in eine sinnvolle dreijährige Ausbildung umzuwidmen.
({4}) 3 000 Plätze jedes Jahr!
Sie haben trotz erheblich gewachsenen Problemdrucks - die Zahl der Arbeitslosen ist seit Ihrem Regierungsantritt um viele 100 000 gewachsen - keinen substantiellen Schritt zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Bekämpfung der Ausbildungsmisere getan.
({5})
Das einzige, was Sie getan haben, ist dies: Sie haben sich auf den Programmen ausgeruht, die der damalige Bundesarbeitsminister Westphal im Jahre 1982 aufgelegt hatte.
({6})
Trotz massiv gewachsener Probleme zehren Sie nach wie vor von diesen Programmen, ohne auch nur einen nennenswerten Schritt zusätzlich getan zu haben.
({7})
Lassen Sie mich zum dritten bemerken: Die Sozialdemokraten haben schon vor Monaten
({8})
ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vorgelegt, das in der Lage wäre, 150000 jungen Leuten zusätzlich Arbeit und Ausbildung zu geben.
({9})
150000 jungen Leuten! Sie haben diese Vorlage bislang in allen Gremien abgeschmettert, ohne dafür auch nur einen einzigen sinnvollen Satz zur Begründung zu finden.
Sie haben sich nahezu ausschließlich auf die Finanzierungsfrage kapriziert. In dieser Frage haben wir gesagt: Die gänzlich ganz überflüssige Absenkung der Vermögensteuer, die ausschließlich oder nahezu ausschließlich eh schon gutgehenden Großbetrieben zugute kommt, soll in eine Finanzierungsform zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit umgewidmet werden.
({10})
Noch ein Wort zur Vermögensteuersenkung: Ihre Maßnahme hat nicht einen einzigen Millimeter dazu beigetragen, den notleidenden Betrieben nun wirklich zu helfen.
({11})
Nehmen wir ARBED-Saarstahl; da Sie mir das Stichwort gegeben haben, erlaube ich mir dazu zwei Bemerkungen. Ich bin ja Saarländer. Die Bundesregierung hat mehrfach öffentlich den Konkurs des Unternehmens angedroht. Sie hat darauf hingewiesen, dies würde eine Verdoppelung der Zahl der Arbeitslosen an der Saar auf rund 100 000 bedeuten. Die Bundesregierung hat damit - das war der strategische Schritt - die Bevölkerung eines gesamten Bundeslandes zur Geisel genommen, um die Belegschaft eines Betriebes zu erpressen. Exakt dies ist gelaufen!
({12})
Die Bundesregierung hat zweitens
({13})
über die Forderung nach mehreren Einkommens-Nullrunden wesentlich mit zur Aufhebung der Tarifautonomie beigetragen.
({14})
Die Bundesregierung hat schließlich über die Durchsetzung der Sozialpläne dazu beigetragen, daß Arbeitnehmer, die jahrzehntelang in diesem Betrieb harte Arbeit verrichtet haben, mitsamt ihren Familien an die Grenze der Sozialhilfe und teilweise darunter gedrängt werden.
({15})
Das sind exakt die Maßnahmen der Bundesregierung,
({16})
die, was die strategische Methode anlangt, bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ihre Parallele finden.
({17})
- Um Ihre Schreier in den ersten Bänken - es wäre besser, sie säßen in den letzten Bänken - zu überbrücken, muß man hier vorne ein bißchen laut reden. Fragen Sie mal den Kollegen George; er könnte eine Menge Kraft sparen, wenn er etwas ruhiger wäre.
({18})
Die strategischen Parallelen liegen auf der Hand: Auf der einen Seite völlige Untätigkeit der Bundesregierung da, wo Handlungsbedarf besteht. Es ist offenkundig so, daß sich der Enkel von Konrad Adenauer eher um das Schicksal der Lotosblumen in Japan schert als um die soziale Notsituation von Hunderttausenden von arbeitslosen Jugendlichen hier in der Bundesrepublik.
({19})
Das ist die eine Komponente: gänzliche Untätigkeit in den Bereichen, wo Handlungsbedarf wäre.
Die zweite Komponente ist, daß Sie regelrechte Bestrafungsaktionen gegen junge Leute wie gegen gesamte Belegschaften starten, Beispiel ARBEDSaarstahl und Beispiel junge Leute.
Damit komme ich zum Schluß.
({20})
Das einzige, was der Bundesarbeitsminister in diesem Bereich vorzuschlagen hatte, ist ein Referentenentwurf zur Reduzierung des Jugendarbeitsschutzes vom Oktober dieses Jahres,
({21})
der uns im Ergebnis auf eine Situation zurückführen würde, die vergleichbar wäre mit dem Jahre 1960 und weiter zurück. Das ist aber auch das einzige.
Einer der dramatischsten Bestandteile dieses Entwurfs ist, daß eine Tariföffnungsklausel eingebaut werden soll, die im Ergebnis bei nicht wenigen jungen Leuten dazu führen wird, daß da, wo es keine Tarifverträge gibt und wo es keine Betriebsvereinbarungen gibt, die jungen Leute gezwungen werden sollen, individuell mit ihrem Arbeitgeber über Gesundheitsschutz zu verhandeln. Das sind die Zustände reaktionärster Zeiten.
({22})
Wenn der Bundesarbeitsminister vor der sozialen Notsituation Hunderttausender ausbildungs- und arbeitsloser junger Menschen - ({23})
- Ja, unter 25 Jahren sind inzwischen rund 700 000 Menschen ausbildungs- und arbeitslos.
({24})
Das ist die bittere Wahrheit. Das ist sozialer Sprengstoff, der Ihnen noch schwer zu schaffen machen wird.
({25})
- Uns auch.
Wenn der Bundesarbeitsminister in dieser Situation nichts anderes zu tun hat, als die mühselig erkämpften sozialen Rechte der Arbeitnehmerschaft und insbesondere der jungen Generation mit abzubauen, dann sollte er konsequenterweise sein eigenes Amt und seine eigene Funktion umwidmen lassen.
({26})
- Doch, von dem her, was er macht, wäre er der ideale Unterabteilungsleiter im Wirtschaftsministerium. Dann soll er auch die organisatorischen Konsequenzen daraus ziehen.
({27})
Es ist bisher kein Wort vom Bundesarbeitsminister zu hören gewesen über die soziale Notlage, über das, was gemacht werden müßte. Es war kein nach vorne gerichtetes Wort zu hören über die Notwendigkeit weiteren staatlichen Engagements, weil all dies nicht in die gedankliche Ideologie von Herren wie George und anderen paßt, die natürlich alles über den Markt regeln wollen,
({28})
diese Sprüche aber zu nichts anderem zu gebrauchen wissen denn als ideologische Hilfskrücken zu einer gewaltigen einkommensmäßigen Umverteilung von unten nach oben.
({29})
Wir haben gelegentlich den Eindruck, daß Teile der Regierungsfraktionen
({30})
überhaupt kein Interesse an der Bekämpfung dieser Situation haben, weil sie wissen, daß dies als Disziplinierungsinstrument massiv in die aktive Arbeitnehmerschaft hineinwirkt, und das wollen sie.
({31})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den sachlichen und ruhigen Ausführungen von Herrn Feilcke und nach den nur lauten Ausführungen von Herrn Schreiner
({0})
werde ich versuchen, jetzt etwas Ruhe in die Debatte einzubringen.
Die Beratungen der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" haben gezeigt, daß junge Menschen durch Arbeitslosigkeit, insbesondere durch lang anhaltende Arbeitslosigkeit besonders belastet werden. Ihre persönliche, ihre soziale und berufliche Entwicklung ist gefährdet. Die Gefahr des Abgleitens in die Kriminalität oder Radikalität wird oft genug beschrieben und ist in einer Reihe von Fällen sicher nicht auszuschließen. Noch problematischer ist aber sicher die entstehende Staatsverdrossenheit und eine Abkehr von der Gesellschaft.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung, haben die im Bundestag vertretenen Parteien an die Wirtschaft, das Handwerk und die freien Berufe appelliert, in diesem Jahr zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Die Wirtschaft hat auf diese vielfältigen Appelle reagiert und zusätzliche Ausbildungsplätze in einem Um2256
Eimer ({1})
fang zur Verfügung gestellt, den wir nur besonders begrüßen können.
({2})
Dieses Ergebnis ist nur auf der Basis eines allgemeinen, großen gesellschaftspolitischen Konsenses möglich gewesen. Auch der Appell des Bundeskanzlers hat einen unverzichtbaren und nicht hoch genug einzuschätzenden Stellenwert gehabt.
({3})
Ich sage das, meine Kollegen von der SPD, nicht nur für meine Fraktion, sondern dies ist das wörtliche Zitat des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers, Professor Jochimsen.
({4})
Wir sind uns aber alle auch darüber einig, daß diese Anstrengungen leider nicht ausgereicht haben. Eine wesentliche Ursache für den jetzigen Überhang an Ausbildungsplatzbewerbern ist auch in dem veränderten Bildungsverhalten der jungen Menschen zu sehen. Wir müssen uns auch darüber im klaren sein, daß die Problematik dieses Jahres sich im Jahr 1984 auf Grund der demographischen Entwicklung und der geringen Anzahl freiwerdender Ausbildungsplätze nicht wesentlich verbessern wird und daß daher zusätzliche Anstrengungen erforderlich sind. Dabei sind Wirtschaft und Politik gefordert.
Das in der chemischen Industrie beschlossene Tarifabkommen mit dem Verzicht auf Erhöhung der tariflichen Ausbildungsvergütung in der Erwartung, daß dadurch die Zahl der 1983 einzustellenden Auszubildenden noch nennenswert gesteigert wird, hat sich bewahrheitet. Die Tarifvertragsparteien haben übereinstimmend festgestellt, daß ihre Erwartungen noch übertroffen wurden. Darin ist unseres Erachtens deutlich geworden, daß Vertrauensvorschüsse von Tarifvertragsparteien notwendig und möglich sind, daß sie gemeinsam gerade in diesen Bereichen die besten Ergebnisse erzielen und daß auch geringe Kostenentlastungen Anstöße geben, die zu überproportionalen Wirkungen führen. Oder mit anderen Worten: Die materielle Entlastung von rund 3% bei den Ausbildungsvergütungen ist mit einer Ausbildungsplatzvermehrung um 16 % honoriert worden.
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf dient durch die Verbesserung der Konditionen ebenfalls diesem Ziel. Damit wird auch den Anregungen von seiten der Verbände Rechnung getragen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es in erster Linie darum, sicherzustellen, daß das vom Deutschen Bundestag zur Verfügung gestellte Finanzierungsvolumen im Interesse der arbeitslosen Jugendlichen auch bei Bildungsmaßnahmen voll in Anspruch genommen werden kann. So wurden - das können Sie aus der Begründung ablesen - im Schnitt weniger als die Hälfte der Mittel für die Bildungsbeihilfen abgerufen. Wir wollen aber, daß alle Mittel für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingesetzt werden.
({5})
Wir werden in den parlamentarischen Beratungen die Entschließungen des Bundesrates und auch die Vorschläge der Bundesregierung sehr sorgfältig prüfen und, soweit möglich, in diesen Entwurf mit einbeziehen. Wir werden bei der Beratung des Gesetzentwurfes auch die praktischen Erfahrungen vor Ort bei den Arbeitsämtern berücksichtigen müssen.
Zu begrüßen ist auch die Erklärung der Bundesregierung, daß über diese Gesetzesänderung hinaus eine Überprüfung der Förderung arbeitsloser Jugendlicher vorgenommen werden soll. Ich möchte die Bundesregierung ermutigen, diese Prüfung zügig vorzunehmen und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Meine Fraktion wird sich dafür einsetzen, daß durch die Gewährung dieser Bildungsbeihilfen arbeitslosen Jugendlichen die berufliche Eingliederung erleichtert wird. Wir stehen diesem Antrag positiv gegenüber, nicht nur, weil er, aus Hessen ist, sondern weil er vernünftig ist. - Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jannsen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es nett, daß Sie heute einmal andere Zwischenrufe zu meiner Begrüßung als sonst immer haben. Das spricht doch dafür, daß Sie wandlungsfähig sind.
({0})
- Es geht doch nicht um meinen Ruf, sondern es geht um Ihren Zwischenruf, aber das verstehen Sie j a nicht.
({1})
- Herr Feilcke, ich habe mich vorhin darüber gefreut, wie Sie versucht haben, die Problematik der Bildungsbeihilfen uns zu erläutern, und das meine ich jetzt ernst, nicht als Scherz oder als Ulk. Ich fand es sehr angenehm, daß in dieser Weise darüber gesprochen worden ist, und hatte eigentlich die Absicht, in ähnlicher Weise über dieses Problem zu reden. Deswegen bitte ich darum, daß der spaßhafte Ton, den wir sonst hin und wieder miteinander haben, an dieser Stelle nicht weiter geführt wird. Mir ist es nämlich zu ernst, an dieser Stelle so zu reden.
Ich denke, daß das Problem der Jugendarbeitslosigkeit wirklich der erste Auslöser für die Bildungsbeihilfe gewesen ist. Die zunehmende Jugendarbeitslosigkeit und die damit verbundene Hoffnungslosigkeit ist sicherlich auch zum Teil als Ursache des Jugendprotestes anzusehen. Es gibt sicher noch eine ganze Reihe von anderen Ursachen.
Man versucht dieser Situation zu begegnen, indem man den Jugendlichen jetzt eine bestimmte Summe Geldes gibt, wenn sie bereit sind, an Ausbildungsmaßnahmen teilzunehmen, die selbstverständlich nie eine normale berufliche Ausbildung
und eine normale berufliche Weiterbildung ersetzen können. Das ist die Situation.
Wir wissen, daß die Anzahl der Jugendlichen, die davon betroffen sind, in den letzten Jahren angestiegen ist. Wir wissen, daß auch die Anforderungen an diese Mittel in den letzten Jahren gestiegen sind. Wir kennen die Maßnahme seit 1982. Zu diesem Zeitpunkt hat nur eine geringe Anzahl von Jugendlichen dieses Angebot angenommen. Vielleicht brauchten es auch erheblich weniger Leute als jetzt. 1983 waren wir nach Auskunft des Ministeriums bereits bei 80 Millionen DM bei einem Ansatz von 205 Millionen DM im Etat des Arbeits- und Sozialministeriums. Diese Situation wird sich aber möglicherweise 1984 verschlechtern; denn mit der Erweiterung dieser Maßnahme kommt es wahrscheinlich zu höheren Ansprüchen, die also über 80 Millionen DM hinausführen. Vielleicht wird es aber auch erheblich mehr sein, vielleicht steigen sie sogar in Höhe der Steigerungsrate, die es von 1982 auf 1983 gegeben hat, wenn man den Zahlen glauben kann. Zu gleicher Zeit schlagen die CDU/CSU-FDPKoalition und die Bundesregierung vor, die Sondermaßnahme, die hier vorhin als „Willensmaßnahme" bezeichnet worden ist, aus diesen Mitteln zu finanzieren. Wieweit dies wirklich abgestimmte Teilmaßnahmen sind, müßte da noch geprüft werden. Es könnte j a sein, daß die Haushaltsmittel, die dafür zur Verfügung stehen, zu schnell erschöpft sind und daß dann wieder viele, viele Jugendliche, vielleicht gerade diejenigen, für die diese Maßnahme erweitert werden soll, nicht mehr von dieser Regelung profitieren können. Das ist das eine.
Das Zweite ist: So freundlich und nett und gut diese Erweiterung, Jugendliche, die noch nie eine Arbeit gehabt haben, jedenfalls nicht länger als drei oder vier Monate, in diese Maßnahme einzubeziehen, die jetzt vom Bundesrat und von der Bundesregierung vorgeschlagen ist, auch sein mag, so problematisch wird es in dem Moment, in dem man weiß oder in dem man damit rechnen kann, daß ein Teil der Jugendlichen, die vielleicht vor einem Jahr noch weiter auf die Schule gegangen sind, jetzt auf Grund der veränderten Schüler-Ausbildungsförderung nicht mehr zur Schule gehen können, in den Bereich der sofort Ausbildung verlangenden Jugendlichen hineingehen und damit erneut eine Anzahl von dieser Möglichkeit verdrängt wird.
Des weiteren bleibt nach wie vor problematisch, daß es eine große Anzahl von Jugendlichen gibt - die Zahlen wurden hier genannt; es sind mindestens 180 000 bis 200 000 Jugendliche -, die überhaupt keine Arbeit haben. Diese Jugendlichen werden dann, wenn sie nicht mindestens vier Monate versicherungspflichtige Arbeit nachweisen können, mit einem Unterhaltsgeld von, falls sie zu Hause wohnen, 270 DM, falls sie außerhalb wohnen, von 490 DM entsprechend der Schüler-BAföG-Regelung abgespeist. Man sollte sich immerhin überlegen, was das für junge Leute bedeuten kann.
Der Bundesrat schlägt außerdem eine weitergehende Änderung dieses Gesetzes vor. Es ist nicht ganz klar, was damit beabsichtigt ist, jedenfalls mir nicht. Darüber sollte man in den Ausschußberatungen sehr genau nachdenken. Es ist auch nicht klar, warum dann diese Sache, wenn es sowieso um grundsätzliche Regelungen geht, so eilig verabschiedet werden soll. Ich nehme an, daß es deswegen ist, damit man im nächsten Jahr zum Jahresbeginn noch weitere Maßnahmen vorweisen kann, die die Jugendarbeitslosigkeit statistisch reduzieren. Denn wer sich in Bildungsmaßnahmen befindet, wird sicherlich - wie bisher - in der Arbeitsmarktstatistik nicht geführt werden. Ich denke, daß das eine statistische Bereinigung gibt, die uns, die Jugendlichen und die Öffentlichkeit beruhigen soll. Ob es sinnvoll ist, die Öffentlichkeit an dieser Stelle zu beruhigen, halte ich für fragwürdig.
({2})
- Schüler werden selbstverständlich nicht gezählt. Aber Schüler sind auch nicht diejenigen, die darauf warten, einen Arbeitsplatz zu bekommen und deswegen in eine Bildungsmaßnahme hineingehen.
({3})
Schüler erwarten, daß sie nach Abschluß ihrer Schulausbildung und nicht während oder statt ihrer Schulausbildung einen Arbeitsplatz bekommen.
({4})
Es geht vielleicht in vielen Fällen um das Nachholen dieses Hauptschulabschlusses. Aber Sie gehen ja davon aus, daß diese Maßnahme bis zu den Jugendlichen geht, die noch nicht 22 Jahre alt geworden sind. Es sind sicherlich nicht die großen Massen, die ihren Hauptschulabschluß noch nachmachen wollen, sondern es sind sicherlich eine ganze Menge anderer Jugendlichen dabei.
Insgesamt denke ich, daß es sinnvoll und notwendig ist, diese Maßnahmen in den Ausschüssen eingehend zu beraten und die finanziellen und personellen Konsequenzen zu bedenken und darüber zu reflektieren, welche weiteren Änderungen notwendig sein werden. - Danke schön.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/490
({0})
- Wollten Sie etwas bemerken? - zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen, zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und den Haushaltsausschuß. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 und 9 auf:
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Vizepräsident Frau Renger
die Anzeige und Beanstandung von Landpachtverträgen
({1})
- Drucksache 10/508 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2})
Rechtsausschuß
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtrechts
- Drucksache 10/509 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({3})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Das Wort wird nicht erbeten.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/508 und 10/ 509 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge können Sie aus der Tagesordnung entnehmen. Sind Sie damit einverstanden, daß das so überwiesen wird? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts
- Drucksache 10/504 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({4})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Auch hier liegen keine Wortmeldungen vor.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/504 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. Darüber hinaus ist interfraktionell vereinbart worden, den Gesetzentwurf auch dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Mitberatung zu überweisen. Meine Damen und Herren, Sie sind damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 bis 14 und den Zusatzpunkt 2 auf:
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
- Drucksache 10/503 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({5}) Ausschuß für Wirtschaft
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. März 1982 über die Errichtung einer Europäischen Stiftung
- Drucksache 10/488 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
13. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze
- Drucksache 10/491 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
14. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Verkehr mit Pflanzenbehandlungsmitteln mit dem Wirkstoff 2,4,5-T ({7})
- Drucksache 10/529 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({8})
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
2. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes
- Drucksache 10/489 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß ({9})
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
Auch hier wird das Wort nicht gewünscht.
Es wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/503, 10/488, 10/491, 10/529 und 10/ 489 an die Ausschüsse vorgeschlagen. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung.
Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/503 und 10/529 zusätzlich dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Mitberatung überwiesen werden. - Auch da erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15a) bis 15c) auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 12 des Petitionsausschusses ({10}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/484 -
Vizepräsident Frau Renger
b) Beratung der Sammelübersicht 13 des Petitionsausschusses ({11}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/528 -
c) Beratung der Sammelübersicht 14 des Petitionsausschusses ({12}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/542 Dazu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/533 vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen zu dem Punkt 15 a der Tagesordnung eine Aussprache mit einem Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vor. - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Männle.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich Bäckerin wäre, dürfte ich, auch wenn ich wollte, jetzt gar nicht arbeiten
({0})
- nicht mehr -, es sei denn mit einer Sondergenehmigung. Ich bin ehrlich froh, daß ich Parlamentarierin bin, denn da kann ich noch zu Ihnen sprechen.
({1})
- Ich kann es verstehen, daß Sie ganz gern Feierabend hätten. Aber es wäre doch unsinnig, wenn ab acht Uhr abends nur noch die Männer sprechen dürften und die Frauen überhaupt nicht zu Wort kämen.
({2})
Worum geht es in der Petition, die ich hier vertreten möchte? Lassen Sie mich ganz kurz den Sachverhalt darlegen. Da beklagt sich eine junge Bäkkergesellin, daß sie nach den Bestimmungen der Arbeitszeitordnung erst um sechs Uhr morgens tätig werden könne und für den im Bäckerhandwerk üblichen Arbeitsbeginn von vier Uhr morgens eine zeitlich begrenzte Sondergenehmigung seitens des Gewerbeaufsichtsamts bräuchte. Sie argwöhnt, daß es passieren kann, daß sie diese Sondergenehmigung nicht bekommt, vor allen Dingen bei der gegenwärtig angespannten Arbeitsmarktlage.
Diese junge Bäckerin sieht darin eine Bevormundung und auch eine Benachteiligung gegenüber ihren männlichen Kollegen in diesem Gewerbe, aber auch in anderen Arbeitsbereichen, z. B. der Deutschen Bundespost, die bekanntlich ihre Arbeiterinnen zu Angestellten macht, um dem Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen zu entgehen.
Als völlig widersinnig bemängelt die Petentin die gesetzliche Regelung - hier steht ja eine Änderung bevor -, daß sie als auszubildende Bäckerin bereits um fünf Uhr morgens mit der Arbeit beginnen konnte. Jetzt, da sie ausgelernt hat, ist das nicht mehr möglich; jetzt darf sie erst ab sechs Uhr arbeiten.
Der Petitionsausschuß hat sich in seiner Mehrheit der Beurteilung angeschlossen, daß dies widersinnig sei, und fordert in seiner Mehrheit die Bundesregierung auf, hier eine Änderung vorzunehmen.
Ich muß sagen: Die Kollegin von der SPD, die bei dieser Petition als Erstberichterstatterin tätig war, hat sich den Argumenten der Bundesregierung keineswegs verschlossen und hat zunächst auch dafür gestimmt, daß hier eine Änderung anzustreben ist. Aber sie hat sich dann nicht an ihre Einsicht gehalten, sondern hat sich, nehme ich an, der Ideologie der Fraktion gebeugt.
({3})
Meines Erachtens ist doch zu bedenken, daß angesichts einer arbeitsmedizinisch nicht zu begründenden Geschlechterdifferenzierung ein Meister sich wirklich mehrmals überlegt, überhaupt eine Bäckerin einzustellen. Es könnte meines Erachtens einem Berufsverbot gleichkommen, wenn hier zwar Angestellte, nicht aber Arbeiterinnen nachts arbeiten dürfen. Ich frage mich, ob allein die Gesundheit von Arbeiterinnen geschützt werden muß und ob dieser Gedanke nicht auch für Angestellte und dergleichen gilt. Eine geschlechtsspezifische Ursache kann das jedenfalls nicht haben.
Ich möchte mich als Berichterstatterin für die Verwirklichung der Chancengleichheit durch Abschaffung überholter Vorschriften in der Frauenarbeitsschutzgesetzgebung einsetzen.
({4})
Ich frage: Wie wollen wir es glaubhaft machen, daß wir großartige Modellversuche z. B. für Mädchen in Männerberufen anpreisen und versuchen, mit viel Aufwand Mädchen dafür zu gewinnen, in diese Berufe zu gehen, während wir, wenn sie es tatsächlich machen, sagen: April, April, ihr könnt nicht angestellt werden? Sie werden nicht gleichbehandelt wie die männlichen Kollegen.
({5})
Das ist doch unsinnig. Das muß jeder zugeben. Ich meine: Es muß wirklich endlich ein Ende dieser Ungereimtheiten und dieses offensichtlichen Unsinns in der Arbeitsschutzgesetzgebung kommen, daß Frauen - außer im Mutterschutz, muß ich sagen - eine Sonderrolle zugewiesen wird, die in der letzten Konsequenz zu einer verheerenden Arbeitsmarktsituation für Frauen geführt hat und eine höhere Arbeitslosigkeit für Frauen bringt. Dies muß abgelehnt werden.
({6})
Meines Erachtens ist diese Petition typisch für die Doppelzüngigkeit der Opposition. Auf der einen Seite gibt sie sich sehr emanzipatorisch und frauenfreundlich, klagt Frauendiskriminierung in allen Gebieten an; aber dann, wenn es darum geht, diese
Frauendiskriminierung abzubauen, blockiert sie. Sie hätten ja lange Zeit gehabt, die Vorschläge, die die Frauen-Enquete-Kommission gemacht hat, in die Tat umzusetzen; aber leider ist hier nichts passiert.
Ich meine, die Große Anfrage zur Frauenarbeitslosigkeit, die Sie jetzt eingebracht haben, ist nicht ganz ehrlich gemeint, wenn man nicht einen Schritt zur Beseitigung der Ursachen anstrebt. Ich meine, wir sollten gemeinsam den Schritt tun, um einer neuen Mädchengeneration wirklich Chancen zu geben. Deswegen beantrage ich, daß der Änderungsantrag der SPD nicht angenommen wird.
({7})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Ich bedaure außerordentlich, daß die Kollegin Männle diese Petition zum Anlaß genommen hat, die ganze Angelegenheit so ins Lächerliche zu ziehen.
({0})
Uns ist es wirklich ernst bei diesem Problem. Es geht hier auch nicht nur um die eine Petition, sondern wir verhandeln hier zwei Petitionen, zu denen wir Änderungsanträge vorlegen. Wir tun dies, weil wir nicht bereit sind, im Zusammenhang mit einer Petition eine Entscheidung mitzutragen, die präjudizierende Wirkungen auf den Jugendarbeitsschutz hat, Wirkungen von erheblichem politischen Gewicht und von gravierenden Verschlechterungen. Wir wollen uns nicht über einen Beschlußvorschlag Absichten des Arbeitsministers zu eigen machen, die den Grundsatz des Jugendarbeitsschutzes vollkommen bedrohen.
({1})
So wird in der zweiten in unserem Änderungsantrag aufgeführten Entscheidung von der Mehrheit des Petitionsausschusses ausdrücklich die Absicht des Arbeitsministers begrüßt, daß - ich zitiere -, Schwierigkeiten, die die Vorschriften des Jugendarbeitsschutzes in den letzten Jahren verursacht haben, beseitigt werden müssen.
({2})
Weiter heißt es: Dabei wird der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung auch die Ferien- und Probearbeit von 15- bis 16jährigen aufgreifen.
({3})
Nachdem Kabinett und Regierungsfraktionen bisher vor allem die Vorschriften des Jugendarbeitsschutzes zur täglichen Arbeitszeit aufs Korn genommen haben, wird nun das Feld bereitet, um das Beschäftigungsverbot für vollzeitschulpflichtige Jugendliche zu durchlöchern. Solche Pläne lassen sich nun wirklich nicht mit der Vorbereitung auf den Beruf rechtfertigen.
({4})
Die Begründung, dies sei besonders in Bundesländern mit zehn Pflichtschuljahren dringlich, ist schlicht unsinnig. In Nordrhein-Westfalen z. B. ist für Hauptschüler bereits jetzt ein zweites Betriebspraktikum vorgesehen worden. Das ist der richtige Weg, meinen wir. Wer die Grundlagen für die Berufswahl junger Menschen weiter verbessern will, der muß in dieser Richtung überlegen und hier mehr tun. Daraus jedoch eine Begründung zu zimmern, um das Beschäftigungsverbot für Vollzeitschulpflichtige aufzuweichen, ist nichts anderes als der Versuch zu verschleiern, daß die jugendliche Arbeitskraft an die Wünsche und die Erfordernisse der Wirtschaft und des Produktionsprozesses zur optimalen Verwertbarkeit angepaßt werden soll.
({5})
Das gleiche gilt für Ihre Klagen über ausbildungs- und beschäftigungshemmende Wirkungen des Jugendarbeitsschutzes, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition. Tatsache ist doch, daß es in Branchen, in denen Schutzvorschriften aufgehoben werden sollen, seit dem Jugendarbeitsschutzgesetz von 1976 außerordentliche Steigerungsraten bei der Ausbildung gegeben hat.
({6})
So ist die Zahl der Ausbildungsplätze im Bäckerhandwerk von 1975 bis 1982 um 13 000 gestiegen,
({7})
im Konditorhandwerk in derselben Zeit um 3 630, im Fleischerhandwerk um rund 1 600 und in den Ausbildungsberufen des Gaststättengewerbes um über 19 000, was ein Plus von 92,6 % ist. Hier haben sich die Schutzvorschriften nachweislich nicht als ausbildungshemmend ausgewirkt. Das Gegenteil kommt der Wahrheit sicherlich näher.
({8})
Meine Herren und Damen, wir befürchten sehr, daß der Abbau von Schutzvorschriften die Gesundheit der Betroffenen beeinträchtigt. Das ist medizinisch übrigens bereits erwiesen. Wir befürchten, daß der Abbau von Arbeitsschutz die Ausbildungsqualität nicht verbessert und auch überhaupt nicht mehr Ausbildungsstellen schaffen wird.
Meine Fraktion lehnt es daher ab, Beschlußvorlagen mit derartigen politischen Aussagen auf dem Weg über Petitionsentscheidungen ihre Stimme zu geben.
Bei der anderen Entscheidung, zu der wir eine Änderung vorschlagen, geht es um unterschiedliche Arbeitszeitregelungen für Männer und Frauen, also um das Problem, inwieweit besondere Schutzbestimmungen für Frauen noch zeitgemäß sind.
In der Sache haben wir Sozialdemokraten viel dafür getan, z. B. dafür, Berufe für Mädchen zu öffFrau Fuchs ({9})
nen, die ihnen bislang verschlossen waren. Ganz gewiß ist es gerade unser Interesse, daß die Berufsaussichten dieser Frauen nach der Ausbildung nicht durch überholte Gesetzesregelungen behindert werden, z. B. durch die Einschränkung der Arbeitszeit bei Bäckerinnen. Die Mehrheitsempfehlung und die Begründung hierzu greifen aber sehr viel weiter. Hier wird einfach Kurs darauf genommen, das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen grundsätzlich aufzuheben, ohne sonstige gesetzliche Regelungen für Nachtarbeit vorzusehen und ohne die Probleme der Nachtarbeit für alle zu berücksichtigen.
({10})
Es kann nicht angehen, daß Petitionen zum Anlaß genommen werden, für Gesetzesvorschläge die Rosinen herauszupicken, die man in der konservativen Backstube gerade gebrauchen kann,
({11})
und dabei die Gesamtproblematik außer acht zu lassen. So werden die Weichen falsch gestellt. Dringend notwendig ist nach unserer Auffassung ein neues Arbeitszeitgesetz, das die Gesundheit aller Arbeitnehmer schützt und die Arbeitsbedingungen für Männer und Frauen menschlicher macht. Dagegen hilft es uns nicht weiter, die Weichen einseitig auf Verschlechterung zu stellen.
Von der Mehrheitsfraktion wurde argumentiert, daß auch hier sogenannte beschäftigungshemmende Vorschriften beseitigt werden müßten, da gerade im Bäckerei- und Konditorengewerbe eine hohe Arbeitslosigkeit vorliege. Das stimmt; es handelt sich um zirka 10 000 Männer und Frauen. Sieht man aber einmal genau hin, fällt auf, daß 1982 62 der arbeitslosen Bäcker und Konditoren unter 25 Jahre alt waren. Diese 62 % sind nicht wegen irgendwelcher Schutzbestimmungen arbeitslos geworden, sondern weil in diesen Berufen eine kolossale Überausbildung stattfindet, übrigens trotz des Jugendarbeitsschutzgesetzes von 1976 und seitdem mit steigender Tendenz, außerdem deshalb, weil Bäcker und Konditoren angesichts der steigenden Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik woanders keinen Arbeitsplatz finden. Und zu den Ausbildungsplätzen hat mein Kollege Schreiner eben Treffliches ausgeführt.
Unser Verständnis von Gleichstellung, meine Herren und Damen, ist nicht, daß alle auf den schlechtesten Stand gebracht werden. Genau in diese Richtung läuft aber die Argumentation der Beschlußvorlage.
In diesem Zusammenhang ist es überhaupt nicht akzeptabel, wenn die von dieser Regierung durchgeführten und beabsichtigten Verschlechterungen im Jugendarbeitsschutz als Begründung für parallele Eingriffe in anderen Teilbereichen herangezogen werden.
Wir lassen uns nicht zu Gefangenen Ihrer Fehlentscheidungen machen. Weiterhelfen kann hier allein ein neues Arbeitszeitgesetz, wie es die SPDFraktion schon vor Monaten vorgelegt hat. Nur so wird man eine sinnvolle Grundlage für ein sinnvolles, politisch überzeugendes und in sich stimmiges Arbeitszeitrecht schaffen können. Geben Sie doch Ihren Widerstand dagegen auf, und stellen Sie sich der Gesamtproblematik, statt sich nur Anlässe für den scheibchenweisen Abbau von Schutzvorschriften zu suchen.
Der Entwurf der SPD-Fraktion würde alle diese Probleme lösen, die von der Petition angesprochen worden sind. Dieser Weg ist auch beschäftigungspolitisch der einzig sinnvolle und längst überfällig.
Deshalb bitte ich Sie, meine Herren und Damen, den von uns vorgelegten Änderungsanträgen zuzustimmen.
({12})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Neuhausen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hörte, als ich gerade hierherkam, das Wort „Nachtarbeit". Ich will mich ganz kurz fassen, damit Sie davon nicht belästigt werden.
({0})
Meine Damen und Herren, die Ausführungen der geschätzten Kollegin Fuchs haben deutlich gezeigt, daß nicht von unserer Seite, sondern von seiten der SPD mit ihrem Änderungsantrag hier ein Stellvertreterkrieg auf dem Rücken einzelner Petenten ausgetragen wird;
({1})
denn es geht hier gar nicht um irgendwelche Gesetzesvorlagen, sondern um Beschwerden und Beanstandungen einzelner Menschen, die sich an den Petitionsausschuß gewandt haben. Wenn es z. B. in den Grundsätzen des Petitionsausschusses heißt, daß eine Petition dann der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen werden kann, wenn oder weil das Anliegen des Petenten in vollem Umfang als berechtigt angesehen und Abhilfe als notwendig erachtet wird, dann trifft das ganz genau auf diese beiden Petitionen zu.
({2})
- Nein, ich habe ein Versprechen hinsichtlich der Nachtarbeit gemacht. Deswegen lasse ich keine Zwischenfragen zu.
Es ist absurd, was die Petentin hier beanstandet. Nach dem Jugendarbeitschutzgesetz kann ein weiblicher Bäckerlehrling über 16 Jahre ab fünf Uhr ausgebildet werden. Kaum ist er Geselle und 18 Jahre, kann er das nicht mehr. Wer davor die Augen verschließt und in diesem speziellen konkreten Fall nicht ein berechtigtes Anliegen sieht, der lebt in einer anderen Welt. Hier geht es um diesen Punkt.
({3})
Meine Damen und Herren, der Wunsch der Petentin nach Aufhebung dieses in sich widersprüchli2262
chen Zustandes ist berechtigt nicht nur im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Frauen und Männern, sondern auch im Hinblick auf die Verminderung der Chancen speziell weiblicher Bäckerlehrlinge bei der Übernahme ins Arbeitsverhältnis nach der Ausbildung.
Wer diese Petition zum Anlaß nimmt, sich zu erkundigen, wird feststellen, daß trotz der möglichen Einzel- und Ausnahmegenehmigungen dieser Sachverhalt in Bäckereibetrieben tatsächlich psychologisch eine Rolle spielt. Daß es Ausnahme- und Einzelgenehmigungen gibt, widerspricht nicht unserem Anliegen auf Berücksichtigung. Es unterstreicht es vielmehr. Wenn es hier eine Vorschrift gibt, im Blick auf die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in einer Stellungnahme sagt, daß es keinen einzigen Fall gäbe, in dem diese Einzelgenehmigung nicht erteilt worden wäre, fragt man sich, warum es diese Vorschrift überhaupt noch gibt. Das muß schnellstens geändert werden.
Deswegen lehnen wir den Änderungsantrag der SPD-Fraktion ab.
({4}) - Vielen Dank für diesen lebhaften Beifall.
Das gilt natürlich auch für den zweiten hier besprochenen Punkt. Hier beschwert sich nicht irgendein finsterer Kapitalistenverein oder die Rechtskoalition in ihrer trübsten Stunde,
({5})
sondern eine Mutter fragt an, warum denn nicht ihr 15jähriger Sohn in der Vorbereitung seiner Berufsplanung eine Probezeit in einem Betrieb machen kann. Das ist nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht möglich. Deswegen können wir dem auch nicht stattgeben. Aber wir überweisen das der Bundesregierung als Material für ihre weiteren Überlegungen.
({6})
Das ist der Fakt, meine Damen und Herren, und wer dahinter irgend etwas anderes vermutet, der geht auf ganz falschen Bahnen, auf Bahnen, die sich schon in der Sprache des Änderungsantrags der SPD-Fraktion verräterisch kundtun. Ich muß schon sagen: Wenn die Diskussion jetzt und auch schon die Besprechungen im Ausschuß für mein naives Gefühl darunter leiden, daß ständig der Mißbrauchsverdacht vor dem individuellen Anliegen der Petenten steht,
({7})
dann erschreckt mich geradezu, was hier im letzten Satz dieses Änderungsantrages steht.
({8})
- Nein, Herr Kirschner, ich gestatte keine Zwischenfragen. - Da wird unterstellt, daß die bewährten Bestimmungen des Jugendschutzes aufgelokkert werden sollten.
({9})
- Ich darf die Damen und Herren von der Koalition um Aufmerksamkeit bitten, damit sie wissen,
was Ihnen hier unterstellt wird. Es wird nämlich hier unterstellt, das würde alles von uns gelockert, um die Jugendlichen für den Produktionsbetrieb verwertbar zu machen,
({10})
als wenn wir junge Menschen gleichsam als Material für den Produktionsablauf ansehen.
({11})
- Herr Lutz, da können Sie „ja, ja" sagen; ich betrachte das als eine Unterstellung. Es ist ein Abschied von der Wirklichkeit in unserem Lande.
({12})
Noch viel schlimmer: Es ist dies ein Hohn auf alle Appelle in Richtung auf Initiativen und Flexibilität in der Herstellung von neuen Ausbildungsplätzen, wenn man hier ständig solche Mißbräuche vermutet.
({13})
Meine Damen und Herren, wir sind uns der Probleme völlig bewußt, die bei einer vernünftigen Abstimmung zwischen den Notwendigkeiten des Gesundheitsschutzes und den Verbesserungen im Bereich der Ausbildungsstellen bestehen. Da brauchen Sie uns gar nicht zu belehren. Diese Punkte stehen aber in einer sehr weiten Entfernung davon. Deswegen lehnen wir die Anträge der SPD ab.
({14})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte erst einmal meine Begeisterung darüber ausdrükken, daß unser angeblich langweiliger und unpolitischer Ausschuß hier ein so interessiertes Auditorium hat und so viel Begeisterung und Temperament auslöst.
({0})
Worum es geht, wissen wir: Eine Bäckerin beschwert sich, weil sie erst um sechs Uhr anfangen darf, zu arbeiten, während ihre männlichen Kollegen, wenn sie wollen, schon um zwei Uhr oder vier Uhr beginnen dürfen. Sie sieht darin eine Ungleichbehandlung der Frauen und eine Gefahr für die Chancengleichheit der Frauen.
({1})
Der Zustand ist aber im Augenblick so, daß jeder Frau, die einen Antrag gestellt hat, früher arbeiten zu dürfen, eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden ist; sie wird also immer erteilt.
Weiter haben wir eine rechtliche Absicherung der Chancengleichheit der Frauen. Wir haben zum einen das Gesetz zur Gleichstellung der Frau am Arbeitsplatz. Das besagt, daß den Frauen durch späteren Arbeitsbeginn kein Nachteil entstehen darf; dieser Anspruch ist einklagbar. Zum anderen haben wir das neue EG-Anpassungsgesetz, das im Augenblick im Ratifizierungsverfahren ist. Obwohl manFrau Nickels
che Schutzvorschriften - hier bin ich gar nicht so
sehr anderer Meinung als Frau Professor Männle
- in der Praxis zu Ungereimtheiten führen, sind wir der Meinung, daß eine tatsächliche Gleichstellung der Frauen im Arbeitsleben mit den Männern auf gar keinen Fall durch Aufhebung von Schutzvorschriften für die Frauen zu erreichen ist.
({2})
Die Begründung liefert im Prinzip die Beschlußempfehlung der Petition selbst. Da heißt es - ich zitiere -:
Weshalb eine Angestellte nachts arbeiten darf und eine Arbeiterin oder Handwerkerin nicht, ist ebensowenig einzusehen wie die Unterstellung, Nachtarbeit beeinträchtige ausschließlich die Gesundheit der Frauen.
Dem möchte ich voll und ganz zustimmen. Ich bin selber Krankenschwester im Nachtdienst gewesen. Ich weiß, daß auch die Pfleger, die Nachtdienst gemacht haben, darunter gelitten haben.
({3})
- Nein, die nicht; ich war immer nett zu denen.
Jetzt kann man das Problem auf zweierlei Art lösen. Die Beschlußempfehlung der Petition kommt zu dem Ergebnis, daß insoweit auch durch Abschaffung der überholten Frauenarbeitsschutzvorschriften Chancengleicheit verwirklicht werden kann. Wir kommen allerdings zu anderen Schlüssen. Wir ziehen aus der Tatsache, daß eben Männer und Frauen unter Nachtarbeit leiden, die Konsequenz, daß Schutzvorschriften für Frauen nicht aufgehoben werden dürfen, sondern daß sie auch auf die Männer angewandt werden müssen.
({4})
Wo dabei Ungereimtheiten in der Berufspraxis auftreten, müssen Vorschriften umstrukturiert werden. Es gibt z. B. ja Berufe, in denen die Nachtarbeit nicht aufgehoben werden kann; die Kranken müssen z. B. versorgt werden. Dort muß man angemessene Ruhepausen einführen; das ist auch Arbeitsschutz.
({5})
Aber man kann das Problem nicht lösen, indem man die Schutzbestimmungen aufhebt. Da die Beschlußempfehlung dieser Petition aber in eine ganz andere Richtung zielt, und zwar in Richtung der Streichung von Schutzbestimmungen, halten wir es für falsch, sie zur Berücksichtigung zu überweisen, und schließen uns dem Antrag der SPD an.
({6})
- Darüber können wir uns nachher unterhalten.
Jetzt komme ich zum Thema Jugendarbeitsschutz. Hier hätte eine Mutter - nicht finstere Demagogen - gern eine Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Ihr Problem ist, daß grobe Arbeiten für vollzeitschulpflichtige Kinder nicht erlaubt sind. Sie hätte gerne gehabt, daß ihr Sohn in den vergangenen Sommerferien drei Wochen Probearbeit bei einem Gärtner hätte machen können. Das ist daran gescheitert, daß die Regierung zwar ein zweites Praktikum für die Realschule genehmigt hätte, allerdings nicht für einzelne Schüler, sondern nur für den ganzen Klassenverband. Da die ganze Klasse gar kein Praktikum machen wollte, sondern nur der eine, ging das also angeblich nicht.
({7})
Die Petition hat sich im Einzelfall erledigt, da eine Probearbeit in den letzten Sommerferien geplant war, die Sommerferien jetzt aber vorbei sind. Zur Lösung erneut auftretender Fälle schlagen wir GRÜNEN allerdings folgendes Vorgehen vor: Es gibt unserer Meinung nach keine überzeugenden Gründe dafür, ein für die gesamte Klasse mögliches Praktikum anders als ein individuelles Praktikum zu behandeln. Wir meinen darum, daß eine Änderung im Jugendarbeitsschutzgesetz sinnvoll ist. Wir haben uns auch überlegt, was da jetzt hinein muß.
({8})
Wir möchten, daß in § 5 Abs. 2 hinter dem Wort „Betriebspraktikum" eingefügt wird: „oder während einer Probearbeitszeit von vier Wochen während der Vollzeitschulpflicht". Damit würde es den jungen Leuten ermöglicht, einen zukünftigen Beruf unter realistischen Bedingungen kennenzulernen, was wir grundsätzlich für sinnvoll halten. Dem Mißbrauch der Probearbeitszeit würde damit ein Riegel vorgeschoben. Wird dagegen eine Probearbeit ohne gesetzliche Definition ermöglicht - das ist mit der Überarbeitung der Schutzbestimmungen möglich -, dann sind dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet. Entwicklungen, Praktiken, die jetzt schon zusehends sichtbar werden, etwa ein unentgeltliches längeres sogenanntes Praktikum, das heute schon als Eintrittskarte für eine Lehrstelle verlangt und abgeleistet wird, würden legalisiert. Weil wir das nicht wollen, stimmen wir auch hier der Empfehlung der SPD zu und schließen uns dem Antrag an.
Dann möchte ich aber noch ein paar Sätze zu dem sagen, was vorher hier gesagt worden ist. Frau Professor Männle und auch Sie, Herr Neuhausen von der FDP, haben gesagt, hier gehe es nicht so sehr um Politik, sondern um Einzelschicksale. Wir müssen aber feststellen, daß beiden Leuten überhaupt nicht mehr zu helfen ist. Die Sommerferien für den jungen Mann sind vorbei, und die junge Bäckerin hat eine Ausnahmegenehmigung. Es geht also doch um Politik.
({9})
In der Beschlußempfehlung sind ganz eindeutig politische Richtungen schon präjudiziert. Da muß man eben auch politische Entscheidungen finden, ob man diesen Anträgen zustimmt oder nicht. Die
SPD und auch wir GRÜNEN meinen, daß wir anders abstimmen müssen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Hedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erst einmal möchte ich mich bei der Frau Kollegin Nickels sehr herzlich bedanken, daß sie sich hier für die Gleichberechtigung der Männer ausgesprochen hat.
({0})
Ich weiß aus vielen persönlichen Einzelfällen, daß Männer verzweifelt um ihre Gleichberechtigung ringen.
({1})
Zu dem zweiten Punkt, den die Frau Kollegin Männle schon angesprochen hat, zu dem Fall der Bäckerin, muß man sogar noch eine Zusatzbemerkung hinzufügen. Daß man als Lehrling, als Auszubildender um fünf Uhr mit der Arbeit anfangen darf und als Geselle erst um sechs Uhr - wenn sie verheiratet wäre, würde sie eine Genehmigung kriegen, schon um vier Uhr anzufangen -, das ist auch eine gewisse Ungereimtheit. Der vorliegende Fall, um den es hier geht - im Rahmen des Jugendarbeitsschutzgesetzes -, zeigt auf, welche seltsamen Blüten das Jugendarbeitsschutzgesetz durchaus treiben kann. Wir müssen nämlich feststellen, daß einige Regelungen, die in guter Absicht zur Wahrung des Gesundheitsschutzes von Jugendlichen getroffen wurden, sich nun gegen deren Interessen wenden.
Worum geht es in unserem Fall? Ein 15jähriger Junge hatte den Wunsch, während der Sommerferien in einem Gartenbaubetrieb, in dem er eine Lehrstelle in Aussicht hatte, unentgeltlich zu arbeiten. Er wollte dabei herausfinden, ob diese Tätigkeit wirklich seinen Vorstellungen und Wünschen entspricht. Eine solche Tätigkeit aber fällt nun nicht unter die sogenannten Berufspraktika im Rahmen von Schulunterricht, sondern unter jene Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes, die eine Beschäftigung von vollschulzeitpflichtigen Jugendlichen nur in ganz begrenztem Maße zulassen, z. B. in der Landwirtschaft und ähnlichen Bereichen. In unserem Fall mußte deshalb der betreffende Petent eine behördliche Genehmigung demjenigen beibringen, der ihn einstellen wollte, schon aus versicherungsrechtlichen Gründen. Die Mutter des Schülers ist daraufhin von Pontius zu Pilatus gelaufen - Schulleitung, Gewerbeaufsicht, Schuldezernat bei der Bezirksregierung -: alle hielten, auch schriftlich festgehalten, ihr Anliegen zwar für zweckmäßig, aber die Genehmigung konnte niemand erteilen, weil die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen dies nicht hergeben. Das Ergebnis: eine freiwillige Initiative versandete.
Der Einwand, bei der Lockerung des Jugendarbeitsschutzgesetzes bestünde die Gefahr, daß sich angehende Lehrlinge auf einen längeren Zeitraum zu einer unentgeltlichen Arbeit verpflichten würden, um eine Lehrstelle zu erhalten, halte ich für abwegig. In dem Antrag von den Sozialdemokraten, der hier schon zitiert wurde, ist j a in der Tat die Sprache verräterisch. Wie kann man eigentlich eine Formulierung wählen, die Lockerung des Jugendarbeitsschutzgesetzes würde dazu verwandt, um Jugendliche für die Produktion verwertbar zu machen. Dies ist eine Ausdrucksweise von Kollegen, die ansonsten sehr häufig von einer Verstärkung der Humanität im Arbeitsleben sprechen. Das sind Begriffe, die in der Tat in den Produktionsprozeß hineingehören, nicht aber zur Regelung von Anliegen eines ganz normalen Bürgers hier eines 15jährigen Schülers, verwendet werden sollten.
({2})
Im übrigen füge ich hinzu, daß ich in dieser Frage etwas altmodisch bin. Ich setze nämlich auf das Verantwortungsgefühl von Handwerksmeistern und auf das Erziehungsrecht von Eltern, das diese ja schließlich für und nicht gegen ihre Kinder wahrnehmen.
({3})
Nun noch eine letzte Bitte an die Kollegen der SPD. Wir alle kennen wohl den Unterschied zwischen Materialüberweisung, für die wir plädieren, und dem Antrag, eine Petition für erledigt zu erklären. Das sind doch marginale Unterschiede. Ich glaube, es wird dem Petitionswesen des Deutschen Bundestages nicht gerecht, eine solche Angelegenheit hier zum Gegenstand eines Abstimmungsverfahrens im Plenum zu machen. - Ich bedanke mich.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich muß mich vor dem Hohen Hause entschuldigen. Ich habe soeben entgegen unserem vorherigen Beschluß, für jede Fraktion nur einen Redner mit einer Redezeit von bis zu zehn Minuten zuzulassen, einer Fraktion zweimal fünf Minuten gegeben. Das darf kein Präzedenzfall sein. Ich gestehe, daß ich mich hier von der Wortmeldung habe irritieren lassen. Wir hatten vorher ausdrücklich beschlossen: für jede Fraktion ein Redner bis zu zehn Minuten.
({0})
- Ich wollte es auch nur sagen, damit wir für die Zukunft wissen, daß es so nicht gehandhabt werden soll.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD. Ich darf wohl davon ausgehen, daß wir über beide Anträge gemeinsam abstimmen können. Wer den Änderungsanträgen auf Drucksache 10/533 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Anträge sind abgelehnt.
Vizepräsident Frau Renger
Wir kommen nunmehr zu den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 10/484, 10/528 und 10/542.
({1})
Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses, die in den Sammelübersichten 12, 13 und 14 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
({2})
- Bei Gegenstimmen und Enthaltungen wenn ich es richtig gesehen habe. Gut, wird so notiert.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung der Ubersicht 2 des Rechtsausschusses ({3}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 10/481 Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/481, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der genannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Erhebt sich dagen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
({4})
- Einen Moment! Ich muß noch die Tagesordnung abwickeln.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({5}) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München
- Drucksachen 10/422, 10/540 - Berichterstatter:
Abgeordneter Wieczorek ({6}) Dr. Hackel
Kleinert ({7})
Der Ausschuß empfiehlt, der Veräußerung zuzustimmen. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/540 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({8}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({9})
- Drucksachen 10/315, 10/541 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer
Der Ausschuß empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung nicht zu verlangen. - Das Wort wird nicht begehrt.
Ich lasse über die Vorlage abstimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/541 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({10})
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
- Drucksache 10/553 Berichterstatter:
Abgeordneter Sauter ({11})
Das Wort wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/553 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Eine Gegenstimme. Enthaltungen? - Das ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11. November 1983, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.