Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu erweitern. Diesen Antrag werden wir nach der Aktuellen Stunde behandeln.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Äußerungen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Rheinverschmutzung
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem erwähnten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Martiny.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir angesichts der schier endlosen Kette von „ungewollten Einleitungen in den Rhein", wie sich der Vizepräsident des Verbandes der Chemischen Industrie, Sihler, auszudrücken beliebte, auf die äußerst widersprüchliche Haltung der Regierungsparteien und der Regierung aufmerksam machen wollen. Damit Sie sehen, daß wir diese Sache ernst nehmen, zitiere ich den Propheten Ezechiel:
Ihr aber, meine Herde - so spricht Gott, der Herr -, ich sorge für Recht zwischen Schafen und Schafen, zwischen Widdern und Böcken. War es euch nicht genug, auf der besten Weide zu weiden? Mußtet ihr auch noch euer übriges Weideland mit euren Füßen zertrampeln? War es euch nicht genug, das klare Wasser zu trinken? Mußtet ihr den Rest des Wassers mit euren Füßen verschmutzen? Meine Schafe mußten abweiden, was eure Füße zertrampelt hatten, und trinken, was eure Füße verschmutzt hatten. Darum - so spricht Gott, der Herr, zu euch: Ich selbst sorge für Recht zwischen den fetten und den mageren Schafen.
Und Gott hat gehandelt!
({0})
Meine Damen und Herren, Wasser ist kein Lösungsmittel für Chemiekristalle; es ist das Lebensmittel Nummer eins für alles Leben auf der Erde. Deshalb nimmt es in der Bibel wie in der griechischen Mythologie, den Grundlagen unserer abendländischen Kultur, diesen hohen Rang ein. Wasser ist auch kein Kühlmittel, und Flüsse sind mehr als Vorfluter und Transportwege. Wasser ist gleich Leben, nicht nur in Wüstenstaaten, sondern auch bei uns.
Deswegen sind die Menschen von massivem Schrecken erfaßt: Nach der Reaktorkatastrophe mit der Verseuchung der Luft nun die Wasservergiftung. Menschen, die an Tankwagen um Trinkwasser anstehen, sprechen der Leistungsfähigkeit einer „sozial verpflichteten Marktwirtschaft" ebenso hohn wie solche, die in öffentlichen Suppenküchen Nahrung erbetteln.
({1})
Bei Wasser-, Luft- und Bodenverseuchung ist jede Angst berechtigt, und es versündigt sich nicht der an den Menschen, der immer wieder vor den Summations- und Langzeitwirkungen, vor der Anreicherung nicht oder nur schwer abbaubarer Substanzen in der Nahrung warnt, sondern der, der jede Einzelkatastrophe zum „Restrisiko" verniedlicht, aus den Umweltskandalen Informationsskandale im Ausland oder in SPD-regierten Bundesländern zu machen versucht und mit Beruhigungsmiene und sanfter Stimme das Stopfen von Gesetzeslücken verspricht.
({2})
Es sind doch Ablenkungsmanöver, wenn plötzlich auch von den Konservativen der Umweltschutz zum Staatsziel erklärt werden soll. Damit ist kein einziger Kühlkreislauf technologisch endlich auf den Stand der Technik gebracht. Es ist doch ein Ablenkungsmanöver, wenn plötzlich die Rede davon ist, das Haftungsrecht zu ändern. Wo bleibt denn die Umsetzung der EG-Richtlinie zur Produkthaftung in deutsches Recht einschließlich der Entwicklungsrisiken, was FDP und Wirtschaft seit
Jahren, um nicht zu sagen: seit Jahrzehnten, also seit einem guten Jahrzehnt sicherlich, auf der nationalen Ebene blockieren, genauso wie es jetzt von der EG-Ebene bei uns nicht umgesetzt wird?
({3})
Wer hat denn das Umweltchemikaliengesetz so verwässert, daß es jetzt den Anforderungen, die mit Recht gestellt werden könnten, nicht mehr entspricht? Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hatten damals andere Vorstellungen; das weiß ich genau. Männer und Frauen in Deutschland bekommen es mehr und mehr mit der Angst zu tun, weil diese Regierung immer nur kurzfristig durch Skandale wachgerüttelt wird.
({4})
Von ungefähr 270 zugelassenen Pflanzenbehandlungsmitteln gibt es nur für 70 Analysemethoden, um Rückstände im Wasser festzustellen, und die in der Trinkwasserverordnung festgelegten Grenzwerte einschließlich des Nitratgrenzwertes treten ja überhaupt erst in einigen Jahren in Kraft. Muß das nicht erneut Angst machen?
Die Bundesregierung hätte vier Jahre Zeit gehabt zu handeln. Sozialdemokraten hatten in den Ministerien allerlei brauchbare Entwürfe zurückgelassen, und die SPD-Fraktion hat viele konkrete und schnell umsetzbare Vorschläge gemacht. Hätten Sie doch, meine Damen und Herren von der Regierung, wenigstens manchmal auf uns gehört und nicht so blind den „Selbstheilungskräften der Wirtschaft" vertraut! Diese heilen nämlich nur Bilanzen und Aktionärsrenditen, nicht aber Umwelt- und Gesundheitsschäden.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde zeigt, zu welchen Aktivitäten die Opposition inzwischen aus Verlegenheit greift, um ein wenig öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
({0}) Ihr Beitrag, Frau Kollegin Martiny,
({1})
hat überhaupt nicht deutlich machen können, was Sie zu dieser frühen Stunde wollen. Von Widersprüchen war nicht die Rede. Sie haben offensichtlich keine besseren Themen.
Die Bundesregierung hat nach den Störfällen am Rhein jeweils unverzüglich und sachgerecht entschlossen und geschlossen gehandelt. An ihren Maßnahmen gibt es nichts zu kritisieren. Dieses rasche, vorsorgliche Handeln hebt sich z. B. wohltuend von dem tagelangen Nichtstun der saarländischen SPD-Landesregierung beim großen Fischsterben in der Saar ab.
({2})
Was die SPD-Umwelthektiker mit ihren aufgeregten Kämpfen und Krämpfen dieser Tage hier inszenieren, ist Wahlkampf auf miserablem Niveau.
({3})
Darüber täuschen auch freundliche Bibelzitate nicht hinweg. Sie versuchen heute schlicht und einfach, die Sorgen der Menschen im Zusammenhang mit der Serie der Chemiestörfälle am Rhein neu zu schüren und politisches Kapital daraus zu schlagen. Wie sagte doch Ihr Kanzlerkandidat vor einer Woche? - „Wir wollen aus Stimmungen Stimmen machen." Die SPD sieht im Umweltschutz ein Mittel zum Wahlkampf.
Es ist einfach zu billig, nun aus irgendeinem Presseverschnitt Widersprüche herauszulesen. Das Kabinett hat einstimmig den Maßnahmenkatalog zur Vorsorge gegen Chemieunfälle verabschiedet. Es hat in den vergangenen Wochen die Bevölkerung sofort und umfassend informiert und die Vorfälle eindeutig bewertet. Es ist abenteuerlich, ihr im nachhinein Kontroversen zu unterstellen. Wir haben es ja in diesen Tagen erlebt. Die SPD will die Bevölkerung im nachhinein glauben machen, sie habe schon vor dem Chemieunglück bei Basel alles Erforderliche vorgeschlagen.
({4})
Ihr viel bemühtes Chemiepapier befaßt sich aber überhaupt nicht mit der Störfallvorsorge. Im Nürnberger und Offenburger SPD-Umweltprogramm kommen die Wörter „Störfall" oder „Störfallvorsorge" gar nicht vor, auch nicht im Programm der GRÜNEN zur Bundestagswahl.
Bereits im September dieses Jahres aber hat Minister Dr. Wallmann dem Bundeskabinett die Leitlinien zur Umweltvorsorge durch Vermeidung und stufenweise Verminderung von Schadstoffen vorgelegt. Dort wird ausdrücklich auf die Problematik der Störfallrisiken hingewiesen, und die Notwendigkeit, technische Gefahren bei Industrieanlagen weiter zu minimieren, wird dargestellt. Exakt dies geschieht nun mit den 27 von der Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen im Bereich der chemischen Industrie zur Erhöhung der technischen Sicherheit.
({5})
Ich möchte noch ein Wort zur Umweltkriminalität sagen, die dieser Tage ja heftig diskutiert worden ist. Übrigens, wer Umweltschutz vor allem mit dem Strafgesetzbuch und dem Staatsanwalt betreiben will, greift entschieden zu kurz. Repression und
Abschreckung sind unverzichtbar; noch notwendiger ist aber eine betriebsbezogene Vorsorge,
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damit Umweltschäden gar nicht erst entstehen.
({7})
Das Strafgesetzbuch sieht für schwere Gewässerverunreinigungen Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren vor.
({8})
Nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz können Verletzungen der Aufsichtspflicht mit einer Geldbuße bis zu 1 Million DM geahndet werden.
({9})
Selbstverständlich wird über dieses geltende Umweltstrafrecht und seine möglichen Verschärfungen in allen politischen Parteien diskutiert. Auch hier war die Union schneller als die SPD: Bereits am 8. September dieses Jahres hat die CDU ihre Thesen zu einer wirksamen Bekämpfung der Umweltkriminalität vorgelegt und veröffentlicht.
({10})
Meine Damen und Herren von der Opposition, auch diese Aktuelle Stunde wird deutlich machen: Wir nehmen die Industrie in die Pflicht.
({11})
Wir setzen eine vorsorgende, zukunftssichernde Umweltpolitik durch. Wir sind dabei ehrgeizig und realistisch zugleich.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Hönes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nichts als ein übles Schauspiel, welches Sie nach der Brandkatastrophe von Basel aufführen. Wenn Sie, Herr Wallmann, zunächst eine rege Reisetätigkeit entfaltet haben, um eine Konferenz nach der anderen abzuwickeln,
({0})
dann mag Ihr persönlicher Einsatz ganz löblich und auch werbewirksam gewesen sein; nur haben Sie falsche Prioritäten gesetzt. Es geht nicht darum, das Unglück zum wiederholten Male zu besprechen
({1})
und Warn- und Alarmpläne, Haftungsregeln etc. zu erörtern. Es geht darum, endlich eine Entgiftung unserer Industrie einzuleiten!
({2})
Es geht darum, der Bevölkerung klipp und klar zu sagen, welche Risiken und welche schleichende Vergiftung der Umwelt von der Chemie ausgehen. Es geht darum, endlich offen einzugestehen, daß die Großchemie ein nicht beherrschbares und nicht kalkulierbares Risiko darstellt.
Was Sie mit den Vertretern der chemischen Industrie als „wichtige Sofortmaßnahmen" erörtert haben, sind nichts als Sicherheitsstandards, die schon lange überfällig sind, und es sind alles Maßnahmen, die dem Risiko der chemischen Großproduktion, ihren Hunderttausenden von giftigen Substanzen und der alltäglichen Zerstörung der Umwelt nicht einmal ansatzweise entsprechen.
Was nützt eine Abstimmung der betrieblichen Warn- und Alarmpläne mit den Katastrophenschutzplänen, wenn bei einer Explosion gar keine Zeit zur Warnung der Anwohner vorhanden ist? Was nützt der Bau von Rückhaltebecken, wenn die Gifte tagtäglich ganz legal in die Gewässer fließen? Wie kontrollieren die Behörden, ob sie von der Industrie umfassend und schnell informiert wurden? Ist die Zahl der toten Fische die Meßlatte?
Herr Wallmann, Ihr Spitzengespräch mit dem VCI war nur in einer Hinsicht eine wichtige Maßnahme: Sie wollten demonstrieren, die deutsche chemische Industrie sei ein integrer und verantwortungsbewußter Diskussionspartner, mit dem man jederzeit zum Wohle der Bevölkerung freiwillige Vereinbarungen schließen könne. Damit wollen Sie vermeiden, daß eine öffentliche Diskussion über die Chemie einsetzt und daß eine neue Chemiepolitik durch den Druck von unten erzwungen wird. Denn, Herr Wallmann, die Angst vor der Chemie ist bereits vorhanden, und diese Angst ist, wie Sie selber nur zu gut wissen, berechtigt: Ein Unglück nicht nur wie in Basel, sondern auch wie das in Bhopal, welches Tausende von Menschenleben forderte, kann sich tagtäglich in der Bundesrepublik ereignen. Das geht aus Ihren internen Papieren hervor, Herr Minister Wallmann, das wissen Sie schon lange, und dazu sollten Sie hier und heute Stellung beziehen.
Kommen Sie nicht daher und behaupten, Ihre Ankündigung der Novellierung der Störfallverordnung - Stichwort: unabhängige Experten - könne diese Gefahr bannen! Wir brauchen mehr als strengere Gesetze und einen besseren Vollzug der Gesetze. Wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken. Wir brauchen eine Chemiepolitik, die die Umorientierung der chemischen Produktion hin zu umweltverträglichen Verfahren und Produkten erzwingt. Ein Großteil der heute produzierten Chemikalien ist nur zu einem gut: zur Profitsteigerung der Chemiekonzerne.
Nun zu Ihnen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD. Wenn Sie mit dieser Aktuellen Stunde das Gezerre um die anerkanntermaßen schlechte Informationspolitik von Minister Wallmann fortsetzen wollen, sehe ich darin nur eines: Hilflosigkeit.
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Wenn Sie es ernst meinen, dann hätten Sie den Anträgen der GRÜNEN im Umweltausschuß auf Bildung einer Entgiftungskommission, Verschärfung der Störfallverordnung,
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Gefahrgutverordnung, Gefahrstoffverordnung, Produktions- und Exportverbot
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- lügen Sie nicht! - für nicht zugelassene Pestizide, erneute verschärfte Zulassungsverfahren für alle Pestizide und Inkraftsetzten der Grenzwerte für Pestizide in der Trinkwasserverordnung zustimmen müssen.
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Sie sollten endgültig erkennen, daß Kooperation mit der chemischen Industrie, wie sie in Ihrem Antrag zur Chemiepolitik vorgesehen ist, ein Ding der Unmöglichkeit ist. Machen Sie sich doch nicht selber etwas vor.
Ich zitiere aus dem Rundschreiben Nr. 13 des VCI an die Mitgliedsfirmen:
In dem Gespräch wies Minister Matthiesen auf zu ziehende Konsequenzen aus dem Brand bei der Firma Sandoz hin und kündigte eine Sonderaktion der Gewerbeaufsicht zur Überprüfung von Chemieanlagen an.
Darüber hinaus kündigte der Minister an, gemäß einer bereits vorbereiteten Presseerklärung weitere Forderungen an die chemische Industrie zu stellen. Im Zuge der von ihm gewünschten Kooperation mit der chemischen Industrie empfahl er, eine schriftliche Vereinbarung zwischen der chemischen Industrie und der Landesregierung über den Maßnahmenkatalog zu treffen.
Die Presseerklärung wurde daraufhin umformuliert und mit dem Vorsitzenden des Landesverbandes Herrn Professor Weise und der VCIHauptgeschäftsführung abgestimmt.
Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hönes, ich verstehe die Umweltpolitik, die seit 1969 intensiv gemacht wurde, nicht anders, als einen Prozeß des Umdenkens in vielen Stufen zu realisieren. Wir brauchen da keinerlei Ermahnung.
({0})
Wir sind nicht erst jetzt aufgewacht. Keiner ist hier erst jetzt aufgewacht. Herr Fischer hätte ja nun wirklich eine hervorragende Gelegenheit gehabt, seine Überwachungskompetenz über die Firma Hoechst unter Beweis zu stellen. Das war ein sehr schwaches Bild, das die hessische Landesregierung im Umweltausschuß geboten hat. Ich habe nicht den Eindruck, daß die Firma Hoechst so kontrolliert ist, wie ich mir das vorstelle. Ich will nicht eine besondere Nähe zwischen Ihnen und der chemischen Industrie hier konstruieren,
({1})
aber es fehlt da wirklich an dem Vollzug, an der Verwaltungseffizienz. Er hat uns gesagt, daß er Hoechst sechsmal im Jahr kontrolliert. Das ist viel zu wenig. Bayer Leverkusen wird viel häufiger kontrolliert.
({2})
Also nicht große Philosophien; ich fühle mich auch sicherer hier, sicherer als beim Umweltminister Fischer. Sie müssen handeln, verstehen Sie. Große Reden halten nützt nichts.
({3})
Ich frage mich in der Tat, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten: Was hat Sie veranlaßt, uns hierher zu führen? Wollen Sie uns noch einmal die Gelegenheit zur Selbstdarstellung geben? Bitte, die nutzen wir jederzeit. Es gibt keine Widersprüche in der Bundesregierung.
({4})
Jedenfalls haben Sie bisher keine Gelegenheit gefunden, einen einzigen hier vorzutragen.
({5})
In diesem Bereich sagen wir deutlich, daß es zwei Möglichkeiten, zwei Wege gibt, die wir beschreiten müssen. Das eine ist der Weg eines Abbaus des Vollzugsdefizits, und das betrifft in sehr starkem Maße die Länder, auch Ihre Länder. Ich wundere mich, wo die heute früh sind, wenn der Rhein so gefährdet ist. Wiederum sind sie nicht da. Sie haben wesentliche Kompetenzen im Wasserrecht, die sie nicht wahrnehmen. Es werden Bundesgesetze nicht richtig angewandt. Es fehlt das Personal. Wir brauchen mehr Leute in den Verwaltungen. Wir brauchen Waffengleichheit gegenüber der chemischen Industrie. Das alles ist Aufgabe der Länder - die sollten sie einmal hier vertreten -, auch Ihre Länder. Da fehlt es an vielem. Also: Der Vollzug auch in den Firmen muß verbessert werden. Die Umweltschutzbeauftragten, die Gewässerschutzbeauftragten müssen eine stärkere Stellung bekommen. Darüber sind wir in der Regierung völlig einig. Ich bin mit meiner Partei der Meinung: Wir brauchen die Wasserkompetenz in Bundeshand. Wir haben damals gemeinsam versucht, sie gegenüber den Ländern zu bekommen. Nicht ein einziges Wort sagen Sie heute davon. Offenbar haben Ihre Länder Sie vergattert, hier keine weiteren Forderungen zu stellen.
({6})
Die Wasserkompetenz wäre wichtig, um Regelungen bundeseinheitlich erlassen zu können. Wir brauchen eine TA Wasser. Das scheitert auch am Widerstand der SPD-Länder. Deshalb brauchen Sie sich gar nicht so weit aus dem Fenster zu legen.
Das zweite ist, daß wir die einfachen Gesetze ändern müssen. Die Gesetze müssen immer fortgeschrieben werden. Das ist ein ständiger Prozeß. Wir lernen immer neu über technische Zusammenhänge, wir lernen aus neuen Technologien. Deshalb ist es richtig, daß die Bundesregierung hier Ankündigungen gemacht hat. Herr Wallmann hat einen großen Katalog vorgelegt. Wir unterstützen das. Das reicht von der Störfallverordnung bis zum Umweltchemikaliengesetz. Auch die Gesetze müssen noch in Kooperation zwischen Bund und Ländern ausgefüllt werden. Das Wassergesetz muß ausgefüllt werden, ebenso das Abfallgesetz und das Umweltchemikaliengesetz. Das sind schwierige Aufgaben. Aber wir sind der Meinung: Hier lohnt es sich, Schwerpunkte zu setzen. Auch beim Pflanzenschutzgesetz muß das geschehen.
({7})
Meine Partei ist der Meinung: Wir brauchen die Grundgesetzänderung.
({8})
Wir müssen alle die Vorschläge in ein neues Wertesystem einbetten. Es müssen von unserem Grundgesetz Signale ausgehen.
({9})
- Herr Vogel, Sie haben doch damals in den Koalitionsverhandlungen nicht zugestimmt; sonst hätten wir doch damals die CDU/CSU ganz anders fordern können.
({10}) Jetzt sind Sie dafür.
({11})
Sie wissen ganz genau, daß mit unser beider Mehrheit eine Verfassungsänderung nicht zu machen ist.
({12})
Wir haben uns deshalb enthalten, weil wir auch bei Koalitionen mit Ihnen nie wechselnde Mehrheiten gehabt haben.
({13})
Wir sind so weit gegangen, daß wir uns hier enthalten haben, um das deutlich zu machen.
({14})
Wir werden also diese Politik nach dem Verursacherprinzip fortsetzen, nicht mit Ablenkungsmanövern, wie es durch das Programm „Arbeit und Umwelt" bei Ihnen geschieht,
({15})
sondern mit der Marktwirtschaft. Das wird die Politik der Koalition in der nächsten Wahlperiode kennzeichnen. Wir werden weiter so wie bisher arbeiten und uns nicht beirren lassen.
({16})
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, daß wir diese Aktuelle Stunde etwas ruhiger durchführen.
({0})
- Herr Abgeordneter Dr. Vogel, es kommen jetzt noch zwei oder drei Redner Ihrer Fraktion. Die können all das widerlegen, was nach Ihrer Meinung nicht richtig dargestellt worden ist.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bachmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drastischer als derzeit könnte uns die Regierung kaum vorführen, daß sie und die sie tragenden Parteien strukturell unfähig sind, wirksamen Umweltschutz zu betreiben.
({0})
Die Reaktion der Regierung und der Koalitionsvertreter auf die tagtäglich einlaufenden neuen Hiobsbotschaften über die Vergiftung des Rheins ähneln mehr dem Verhalten eines aufgescheuchten Hühnerhaufens als dem einer handlungsfähigen Regierung.
({1})
Es rächt sich in diesen Tagen, daß diese Regierung entgegen unseren nachhaltigen Interventionen in den vergangenen drei Jahren in den wichtigen Bereichen der Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz, der Verbesserung des Handlungsinstrumentariums im Umweltstrafrecht und der Verbesserung der Beweissituation im Umwelthaftungsrecht nichts unternommen hat und ganz offensichtlich auch unfähig und unwillig ist, auf diesen Gebieten etwas Vernünftiges auf den Weg zu bringen.
({2})
- Darauf komme ich gleich; ich habe bewußt von Beweissituation gesprochen.
Nehmen wir die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz.
({3})
Unmittelbar nach Vorlage eines einschlägigen Sachverständigengutachtens einer noch von der sozialliberalen Regierung berufenen Sachverständigenkommission haben wir einen entsprechenden Antrag im Bundestag eingebracht, der in zweiter und dritter Lesung zu Beginn dieses Jahres von der Mehrheit der Regierungskoalition in namentlicher Abstimmung abgelehnt worden ist.
({4})
Heute fordern wieder einmal Herr Genscher, Herr Baum und das FDP-Präsidium dieses Staatsziel Umweltschutz und tun so, als hätten sie mit dessen Ablehnung durch die Regierungskoalition vor noch nicht einmal einem Jahr nichts zu tun gehabt.
({5})
Meine Herren, dieses Verhalten nimmt Ihnen doch niemand mehr ab.
({6})
Wenn Ihnen ernstlich daran gelegen wäre, den Umweltschutz im Grundgesetz zu verankern, hätten Sie es doch in der Hand gehabt, dieses Problem zur Koalitionsfrage zu machen. Dies haben Sie ganz bewußt nicht getan. Dies ist nur etwas für Ihre Sonntagsreden. Mittlerweile fordert ja sogar der zuständige CDU-Bundesumweltminister, Herr Wallmann, dieses Staatsziel, während Herr Göhner, ebenfalls von der CDU, der Vorsitzende des Umweltausschusses, ihm widerspricht und das harsche, harte, von den Wirtschaftsinteressen her geprägte Nein dagegensetzt. Das ist die Realität, die Ihnen die Handschrift in dieser Frage diktiert. Davon können Sie auch mit Sonntagsreden nicht ablenken.
({7})
Dann ist in diesen Tagen auch viel von schärferen Strafen und einer wirksameren Ausgestaltung des Umweltstrafrechts die Rede. Wir haben Sie wiederholt - auch in diesem Hause - darauf hingewiesen, daß schon der Handlungsrahmen des geltenden Strafrechts nur begrenzt zum Tragen kommt, weil es beim Umweltstrafrecht ganz erhebliche Vollzugsdefizite gibt
({8})
- ich komme gleich darauf -, die auch durch bundespolitische Maßnahmen ausgeglichen werden müssen. Bereits im Sommer dieses Jahres haben wir die Anwendungsdefizite in einer Großen Anfrage aufgezeigt, Anwendungsdefizite, die durch einschlägige Gutachten schon seit langem belegt sind. Die Bundesregierung war bis zum heutigen Tag noch nicht einmal in der Lage, auf diese Große Anfrage überhaupt zu antworten,
({9})
geschweige denn, zu einer Beseitigung des Vollzugsdefizites im Umweltstrafrecht auch nur ansatzweise mit beizutragen.
({10})
Es ist auch Aufgabe der Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß im Umweltstrafrecht nicht weiterhin die böse Regel bittere Realität bleibt, daß man die Kleinen hängt und die Großen laufen läßt.
({11})
- Gucken Sie sich die Situation einmal in Ihren Ländern an! - Ferner müssen Instrumente entwikkelt werden, die es den Ermittlungsbehörden ermöglichen, der wahren Täter habhaft zu werden. Wieder einmal versuchen Sie, sich mit wohlfeilem Wortgeklingel über Ihre Untätigkeit hinwegzusetzen.
Ganz entscheidend, meine Damen und Herren, ist auch die Ausgestaltung eines wirksamen Umwelthaftungsrechtes. Wir müssen über die Möglichkeiten hinaus, die die Rechtsprechung bereits geschaffen hat, das zivile Schadensersatzrecht so fortentwickeln, daß die Geschädigten auch tatsächlich in die Lage versetzt werden, den ihnen zugefügten Schaden auf Mark und Pfennig ersetzt zu erhalten. Ganz entscheidend hierfür ist die dringend erforderliche Beweislastverlagerung: weg vom Geschädigten und hin zu den Schädigern bzw. den Umweltverschmutzern. Wenn nämlich diejenigen, die unserer Um- und Mitwelt Tag für Tag neue Schäden zufügen, ernsthaft damit rechnen müssen, daß diese Schäden von ihnen ausgeglichen werden müssen, dann wird von einem so fortentwickelten Haftungsrecht auch eine erhebliche Dynamik zu umweltfreundlicherem Verhalten ausgehen.
({12})
- Wir können hier leider keinen Dialog führen, Herr Göhner, und ich lasse mich von Ihnen damit auch nicht ablenken. Ich habe hier unter Beweis gestellt, daß Ihre Devise Untätigkeit ist und daß Umweltpolitik nur für Ihre Sonntags-, Festtags-, Feiertags- und insbesondere Wahlkampfreden da ist.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Bachmaier, das Thema der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde heißt: „Äußerungen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Rheinverschmutzung". Thema verfehlt, Herr Kollege Bachmaier! Auch haben wir hier heute morgen keine Landwirtschaftsdebatte.
({0})
Dies nur mit Blick auf das von Ihnen gebrauchte Wort „Hühnerhaufen".
Und im übrigen: Was, glauben Sie, hätte die Formulierung im Grundgesetz im Hinblick auf Basel, die Schweiz bewirkt? Was, glauben Sie, hätten Ihre Vorschläge im Hinblick auf die Korrosion in Kühlschlangen bewirkt? Meinen Sie, all dies gäbe es nicht, wenn entsprechende Formulierungen vorhanden wären?
({1})
Schmidbauer
Weit davon entfernt! Konstruktive Beiträge sind von der Opposition auch heute wohl nicht zu erwarten.
Das Bibel-Zitat darf ich Ihnen zurückgeben. Frau Kollegin, lesen Sie Matthäus 5 nach! Dies sind reine Emotionen, dies sind Horrorszenarien, die Sie beschreiben. Genauso ist es mit der Aussage der Frau Kollegin Hönes hinsichtlich der 50 Tonnen Schwermetalle, die eingeleitet werden. Einen Tag später korrigiert sie dies; dies ist beachtlich. Eigentlich müßte sie auch alles, was sie sonst sagt, laufend korrigieren. Sie hätte sich dann aber nur noch mit dem Korrigieren zu beschäftigen und könnte hier keine einzige neue Rede halten.
Ihr einziger konstruktiver Beitrag war: Chemie entgiften. Frau Kollegin, auch hier ein gutgemeinter Ratschlag: Entgiften Sie einmal Ihr Fahrzeug, gehen Sie doch einmal selbst beispielhaft voran, ehe Sie mit dem Finger ständig auf andere zeigen! Fahren Sie doch erst einmal selbst ein Katalysator-Auto, bevor Sie solche hohen Ansprüche an alle möglichen Adressen richten. Nein, meine Damen und Herren, es ist Wahlkampfzeit. Wer wie die SPD lange Zeit untätig war und die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat, muß natürlich versuchen, Herr Kollege Schäfer, dies mit großem Klappern zu übertönen.
Die Entwürfe in den Schubladen: Also, der einzige brauchbare Entwurf - so wurde mir gesagt -, den hätte Kollege Baum wieder mitgenommen. Der Rest seien tote Fliegen gewesen.
({2})
Da reden Sie davon, daß brauchbare Entwürfe für den Minister in den Ministerien zurückgeblieben sind.
({3})
Nur ja keine Sachlichkeit aufkommen lassen, nur ja nicht in Ruhe darüber nachdenken, welche Konsequenzen aus den verschiedensten Unfällen zu ziehen sind. Nein, hier muß dramatisiert werden, hier muß verunglimpft und natürlich versucht werden, die Bundesregierung in ein schiefes Licht zu bringen. Dazu ist der Opposition jedes Mittel recht,
({4})
auch eine solche Aktuelle Stunde.
Wie weit sich die SPD verstiegen hat, wird an einer Aussage eines SPD-Bundestagsabgeordneten deutlich, der im Hinblick auf die chemische Industrie folgendes sagte, und ich zitiere wörtlich: „Dort" - er meint die chemische Industrie - „sitzen die eigentlichen Terroristen."
({5})
Dies war die Aussage eines Kollegen der SPD, meine Freunde.
({6})
Auf ein Ansprechen meinerseits, ob er dies nicht zurücknehmen wolle, hat er diesen Ausspruch auch noch verteidigt.
({7})
Ich darf noch einmal sagen: „Dort sitzen die eigentlichen Terroristen."
({8})
So weit versteigt sich die SPD in dieser Diskussion. Entspricht dies eigentlich den Richtlinien Ihres Kanzlerkandidaten nach dem Motto „Versöhnen statt Spalten"? Ich frage die SPD: Wo sind eigentlich Ihre Alternativen. Sie hätten heute morgen Gelegenheit gehabt. Wo ist eigentlich Ihr sachlicher Beitrag?
({9})
Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben in den vergangenen Jahren intensiv und mit großem Erfolg einen guten Rahmen für unsere Umwelt geschaffen. Wir haben die Wassergesetze verschärft.
({10})
Wir haben dafür gesorgt, daß neben der Reinhaltung der Luft auch unsere Gewässer zukünftig weniger belastet werden.
({11})
Wir haben im Hinblick auf die Unfälle sofort gehandelt und die notwendigen Konsequenzen gezogen. Lesen Sie die Erklärung von Minister Dr. Wallmann nach, welche Möglichkeiten hier auf den Weg gebracht wurden.
Ich meine, es muß ein Ende sein mit den einseitigen Verteufelungen. Wir alle müssen ein gemeinsames Interesse haben, gemeinsame Lösungen für diese Dinge zu finden.
({12})
Die Beschäftigten der chemischen Industrie haben einen Anspruch auf differenzierte Betrachtung dieser Vorfälle.
({13})
Sie haben einen Anspruch darauf, daß die Politik auch die Interessen der 560 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger vertritt und sie nicht kriminalisiert werden.
({14}) - Ich habe Ihnen das Zitat belegt.
Die chemische Industrie hat die bisher gemachten Fehler - so denke ich - auch eingesehen und hat vieles zusätzlich verbessert. Sie hat auch einge19838
Schmidbauer
sehen, daß zusätzlich vieles verbessert werden muß.
({15})
Wir appellieren an die Verantwortlichen der chemischen Industrie: Nutzen Sie die Chance, nach vorn zu gehen im Hinblick auf einen vorsorgenden Umweltschutz. Nutzen Sie Ihren ganzen Sachverstand, setzen Sie ihn ein, treten Sie in einen Wettbewerb um eine gute Zukunft auch für die chemische Industrie in unserem Land ein.
Der Staat hat aus diesen Vorfällen die Konsequenzen gezogen. Wir werden sicher stärker kontrollieren müssen. Wir werden unseren Vollzug überprüfen müssen.
({16})
Wir werden es aber auch nicht an Gesprächsbereitschaft und Kooperationsbereitschaft mangeln lassen. Es muß ein gemeinsames Vorgehen auch in diesem sensiblen Bereich geben.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorfälle der Rheinvergiftung der letzten Wochen waren ein Lehrstück politischer Taktik zur Vermeidung eines konsequenten Umweltschutzes
({0}) in vier Phasen.
Die erste Phase war: Nach der schweren Rheinvergiftung von Sandoz am 1. November sagte Bundesminister Walter Wallmann, schärfere Umweltvorschriften für die chemische Industrie seien nicht notwendig. Schließlich sei Tschernobyl auf die russische Schlamperei zurückzuführen.
({1})
Bei Sandoz war es die Schweizer Leichtfertigkeit. Mit deutscher Sorgfalt hat das alles nichts zu tun. Walter Wallmann noch in seiner ersten Rede: „In der Umweltpolitik sind keine neuen Gesetze notwendig."
Die zweite Phase: Zehn Tage später hält Walter Wallmann freiwillige Zusagen an die chemische Industrie, etwas mehr für den Umweltschutz zu tun, für völlig ausreichend, obwohl es die gleichen Firmen sind, deren Verbandssprecher zuvor in einer geradezu zynischen Weise die Politik davor „gewarnt" hat, daß der schweizerische Unfall nicht für verschärfte und teure Maßnahmen sowie für erneute Sicherheitsvorkehrungen ausgenutzt - wie sie sich ausdrückten - werden darf.
({2})
Selten wurde es so offenkundig, daß im Zweifelsfall Wirtschaftsinteressen vor den Interessen der Gesundheit und der Umwelt stehen.
Beim Rhein wurde nach dem alten Verfahren, nach dem bekannten Beruhigungskonzept reagiert: Kommissionen tagen, neue Alarmpläne und neue, verbesserte Nachrichtenübermittlungen wurden angekündigt. Die Lösung hieß: Fehler im Überwachungssystem sind erkannt, Schwachstellen werden beseitigt. Weiteres Handeln - und vor allem weiteres Nachdenken - natürlich überflüssig. Im Gegenteil: Diejenigen, die davor warnten, den Rheinunfall einfach abzutun, und die weitergehende Schritte verlangten, wurden sogar als unverantwortliche Kritiker bezeichnet.
Die chemische Industrie lieferte dazu die sogenannten nüchternen Fakten. Was sei denn schon passiert? Ein paar hunderttausend tote Fische, einige biologisch tote Flußkilometer, kurzfristig lokale Schwierigkeiten in der Trinkwasserversorgung. Wer kann denn da schon von Katastrophe reden?
Doch dieses Mal ist das Szenario halbherziger, letztlich nur symbolischer Maßnahmen und pressewirksamer Verdrängungen nicht aufgegangen. Die Kette der weiteren Rheinvergiftungen und vor allem die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit fragwürdigen Flußeinleitungen führten nach dem Brand bei Sandoz sozusagen stichflammenartig ins Bewußtsein, daß das Risiko der chemischen Industrie weitaus größer ist, als wir das in der Vergangenheit zugestanden haben.
Für uns ist unbezweifelbar, daß eine moderne Industriegesellschaft nicht ohne Restrisiken existieren kann. Es ist auch klar, daß die chemische Industrie und ihre Produkte für unser Leben unverzichtbar sind. Aber die entscheidende Frage muß lauten - und die Politik muß sich ihr stellen -: Welche Risiken können wir verantworten, und wie wollen wir im Interesse des Umwelt- und Lebensschutzes mit diesen Risiken umgehen?
({3})
Der Rhein ist der zweite große Naturbereich nach dem Wald, bei dem wir diese Frage nicht glaubwürdig haben beantworten können.
Diese Feststellung gilt nicht nur wegen der spektakulären Rheinvergiftungen, sondern auch und gerade wegen der alltäglichen Verschmutzungen. Ich erinnere beispielsweise an Ciba-Geigy mit seiner ungeheuren Einleitung von Atrazin. Dieser Stoff ist an der deutsch-holländischen Grenze nicht mehr in erhöhter Konzentration festgestellt worden. Warum nicht? Weil die alltägliche Einleitung von Agrochemikalien so hoch ist, daß diese Einleitung von Atrazin die Konzentration der Schadstoffe im Rhein gar nicht mehr wesentlich erhöhen konnte. Das ist die alltägliche Rheinvergiftung.
Dasselbe gilt hinsichtlich der Tatsache, daß die Aktivkohlefilter bei der Wasseraufbereitung am Rhein heute oft nur noch 50 bis 90 % der Schadstoffe zurückhalten können. Gleichzeitig steigen die Kosten für die Aufbereitung immer mehr. Das sind die alltäglichen Rheinvergiftungen, die wir angesichts dieser dramatischen Fälle nicht vergessen dürfen.
Müller ({4})
Die dritte Phase ist: Regierungserklärung; es wird die Verschärfung der Störfallverordnung angekündigt. Wir begrüßen das. Aber das Entscheidende fehlt, nämlich eine vorsorgende Chemiepolitik, eine konkrete, systematische Erfassung der chemischen Risiken und Verbote, wo sie notwendig sind.
Die vierte Phase ist dann der Opportunismus der FDP. Herr Baum wird erneut zum Gummibaum. Ein altes, ein bekanntes, aber der Umwelt wenig hilfreiches Bild.
({5})
Wir brauchen ein neues Chemiekonzept, mit dem die freigesetzten Risiken systematisch erfaßt werden: das Produktrisiko, das Entsorgungsrisiko und das Störfallrisiko. Daraus ist in dieser Debatte eine dreifache Schlußfolgerung zu ziehen.
Herr Abgeordneter, für drei Schlußfolgerungen reicht die Zeit nicht mehr.
Lassen Sie mich dann zum Abschluß nur sagen: Wir haben u. a. die Debatte auch deshalb verlangt, weil wir klarmachen wollen, daß die Bundesregierung weitergehend handeln muß. Es darf nicht sein, daß am Ende die Arbeitnehmer unter dem umweltpolitischen Versagen dieser Regierung auch noch mit der Gefährdung ihrer Arbeitsplätze bezahlen müssen. Deshalb müssen wir heute handeln.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Versuch, hier nachzuweisen, warum Sie eigentlich diese Aktuelle Stunde beantragt haben, ist nach wie vor als gescheitert zu betrachten. Wir wären dankbar, wenn Sie dies noch nachlieferten.
({0})
Jetzt zur Sache eines: Es ist doch völlig unangebracht, wenn Sie hier dem Minister Wallmann falsche Aussagen unterschieben - ich erinnere an Herrn Müller -, etwa die, die Zusage der chemischen Industrie sei ausreichend. Dies ist in dieser Form nicht gefallen, und das Handeln von Wallmann hat deutlich gemacht, daß er weit über das hinausgeht, was andere freiwillig zu tun bereit sind. Er hat dies schnell und entschlossen getan, weil er eine Politik der Vorsorge betreibt, nicht eine Politik der nachträglichen Reparatur, wie Sie es tun.
({1})
Ich sage hier noch einmal ganz deutlich: Man kann nicht in Nordrhein-Westfalen von Kooperation sprechen und sagen, daß man mit der Industrie kooperieren müsse,
({2})
und wenn auf der Bundesebene gleiches getan wird - Herr Rau hat dazu aufgefordert -, dann ist das auf einmal falsch. Oder haben Sie Ihr neu beschlossenes Umweltprogramm vergessen, Herr Kollge Vogel, jenes von Ihnen nachgeschobene Aktionsprogramm, in dem steht, daß Absprachen mit der Wirtschaft zu dem Maßnahmenkatalog gehören, den Sie für richtig halten? Das alles soll jetzt nur deshalb, weil Sie Ihr Versagen kaschieren wollen, auf einmal falsch sein? Das kann doch wohl nicht sein.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich mache hier noch einmal sehr deutlich: Die Bundesregierung treibt eine Politik der Vorsorge - Abfallvermeidung, Emissionsvermeidung -; das haben wir Ihnen nachgewiesen.
({4})
Wenn wir uns mit Ihrem Programm und mit Ihren Vorschlägen auseinandersetzen, dann lesen wir: weniger Verbrauch von Energie, sinkende Belastung der Luft, mit geringeren Risiken sinnvoll produzieren.
Diese Ziele verfolgt die Bundesregierung schon seit langem; daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.
({5})
- Das können wir nachweisen und belegen.
Dann erhebt sich die Frage: Was meinen Sie mit „sinnvoll produzieren"? Da hat sich der jetzt nicht anwesende Kollege Hauff hingestellt und gesagt, daß man das am „Prinzip des sozialen Nettonutzens" orientieren müsse. Wir haben Ihnen das widerlegt. Sie haben das nicht glauben wollen. Aber ich mache das einmal anhand eines Zitates eines Ihrer führenden Wirtschaftspolitiker deutlich. Als Minister Steger beim Hauptausschuß der chemischen Industrie über das Konzept der SPD sprach, sagte er, dieser beklage zu Recht, daß im SPD-Programm vom sozialen Nettonutzen die Rede sei, und fügte hinzu: Wissen Sie, halten wir uns doch nicht so lange dabei auf! Das war nun einmal ein Fehler, o. k.; aber jetzt gehen wir einmal zur Tagesordnung über. - So Ihr Minister vor der chemischen Industrie, und hier wollen Sie das als Vorsorgekonzept zur Rettung der Umwelt darstellen. Daran wird doch deutlich, daß Sie selbst nicht wissen, was Sie wollen. Wenn Sie etwas zum Ausdruck bringen, dementieren Ihre eigenen Wirtschaftsminister Sie selbst.
Wir haben hier allen Anlaß festzuhalten, daß die Bundesregierung nicht nur in der Vergangenheit - ich erinnere an das Abfallgesetz, das Emissionsschutzgesetz, die TA Luft - bewiesen hat, daß sie erfolgreich war, sondern daß sie auch jetzt zeigt, daß sie erstens über Gespräche die Chemie dazu bewegt hat, etwas zu tun. Wir werden den vorgelegten Maßnahmenkatalog der Chemieindustrie sehr sorgfältig prüfen und sehen, ob er den seinerzeit formulierten Vorstellungen entspricht. Und wir haben zweitens mit einem Katalog von 27 weiteren Maßnahmen deutlich gemacht - dieser Katalog wurde hier vorgelegt und besprochen -, daß wir alles tun werden, um jede weitere Gefährdung so weit wie möglich zu begrenzen. Wir haben nie gesagt, daß man einen jeden Unfall völlig ausschlie19840
Ben könne. Wer diese Erwartung wecken will, der täuscht bewußt.
Aber wir haben gesagt, daß das von uns verantwortete Handeln dahin geht, die Vorsorge so weit zu treiben, daß die Arbeitnehmer, die Menschen in diesem Land geschützt sind, daß sie sicher sein können, daß sie keine Angst haben müssen, während Sie mit Angst und Panikmache Wählerstimmen gewinnen wollen. Das ist unverantwortbar.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Baum, wenn Sie hier ausgeführt haben, daß Sie innerhalb der Koalition keinerlei Unterschied zu den hier diskutierten Fragen sehen, dann kann das nur entweder Opportunismus oder Substanzverlust bei Ihnen sein. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder mit Freude bemerkt, daß Sie beispielsweise gegenüber Graf Lambsdorff ein paar Positionen aufrechterhalten haben. Um so bedauerlicher ist es, daß Sie jetzt in der Phase, in der unsere Bevölkerung durch die Zerstörung, durch die Vergiftung des wichtigsten Gewässers der Bundesrepublik Deutschland tief beunruhigt ist, versuchen abzuwiegeln.
({0})
In welcher Situation sind wir denn draußen? Sie und wir, alle sind in einem Wahlkampf. Wir bekommen bedrückende Fragen der Bürger. Sie reden von „denen da in Bonn", die nichts zustande kriegen. Meine Damen und Herren, Sie reden pauschal von „denen da in Bonn".
({1})
In dieser Phase seriöse Antworten zu formulieren und nicht zu taktieren, das wäre die Aufgabe beispielsweise des umweltpolitischen Sprechers der FDP gewesen.
({2})
Herr Baum, wir können auf Aktionen der Vergangenheit hinweisen.
({3})
Ich erinnere daran, daß wir im Zukunftsinvestitionsprogramm - das ist heute schon fast vergessen - das Rhein-Bodensee-Programm gehabt haben, das damals in erheblichem Umfang durch Investitionen zur Verbesserung der Wasserqualität des Rheins beigetragen hat.
({4})
Dieses Programm ist ausgelaufen und wegen des Widerstands von Graf Lambsdorff nicht erneuert worden. Daran erinnere ich mich sehr, sehr genau.
({5})
Oder: Seit zwei Jahren liegt hier der Vorschlag vor,
durch ein Programm „Arbeit und Umwelt" die Altschäden bei unseren Gewässern zu beseitigen. Dieses Programm haben Sie abgelehnt, obgleich es vierhunderttausend Arbeitsplätze gebracht hätte.
Wir haben im letzten Jahr - vor allem Kollege Müller ({6}) hat sich da große Verdienste erworben - das Konzept zu einer neuen Chemiepolitik eingebracht. Es war wohl Ihre Jungfernrede zu diesem Thema, Herr Minister Wallmann. Nun zitiere ich einen Satz aus jener Jungfernrede im deutschen Parlament als Minister - es ging um Chemiepolitik -:
Ich füge hinzu: Es bedarf keiner neuen Gesetze, sondern weiterer konsequenter Anwendung der bestehenden Gesetze.
({7})
Wenige Tage, nachdem Sie Minister geworden waren, haben Sie unsere Chemiepolitik hier in diesem Hause abgelehnt, die durchgreifende Neuerungen auf diesem Gebiete gebracht hätte.
({8})
Meine Damen und Herren, der Rheinschutz verlangt einen handlungsfähigen Staat, klare Rahmenbedingungen, klare Normen, verläßliche Grenzen und Verbote auch dort, wo es weh tut. Es kommt darauf an, daß innerhalb dieser vom Staat gesetzten Grenzen ein Wettbewerb um bessere Produktionsverfahren und vernünftigere Produkte stattfindet. Ich will hier ganz klar sagen: Das Verhalten der chemischen Industrie in den letzten Jahren war destruktiv. Ich zitiere Ihnen nur die Reaktion der chemischen Industrie auf unser Programm zur Chemiepolitik:
Die chemische Industrie hält die Voraussetzungen des SPD-Papiers, das von einer schädlichen Chemisierung der Umwelt ausgeht, für unzutreffend. Die chemische Industrie kann mit ihren Stoffen bei Produktion und Anwendung sicher umgehen. Das beweist nicht zuletzt der hohe Sicherheitsstandard beim Arbeitsschutz. In der Statistik der Berufsgenossenschaften über Arbeitsunfälle rangiert die chemische Industrie an unterer Stelle.
Wer so verharmlost, ist meines Erachtens an der heutigen Situation schuld. Hören Sie als Bundesregierung auf, mit zu verharmlosen
({9})
und weiterhin so zu tun, als seien die Probleme im Griff.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Göhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Sie in der Debatte vom letzten Donnerstag auch ausweislich der Kommentare, die wir dazu in den Tageszeitungen lesen konnten, außerordentlich schlecht ausgesehen haben,
({0})
I haben Sie offenbar gemeint, Sie könnten heute morgen mit einer Aktuellen Stunde das Ganze noch einmal aufwärmen. Dabei ist bisher nur herausgekommen, daß Sie durch zwei oder drei Redner behaupten, es habe Widersprüchlichkeiten gegeben, ohne auch nur einen einzigen Beleg dafür zu nennen.
({1})
Herr Müller hat vorhin einen Versuch gemacht, indem er gesagt hat, in der ersten Phase der Diskussion nach dem Sandoz-Brand habe die Bundesregierung erklärt, es bedürfe keinerlei umweltrechtlicher Änderungen. Herr Kollege Müller, ich weiß nicht, ob Sie in der Sitzung des Umweltausschusses vier Tage nach dem Sandoz-Brand nicht da waren oder nicht zugehört haben. Dort hat der Vertreter der Bundesregierung - vier Tage nach dem Brand - bereits erklärt, es sei eine Überprüfung und Änderung der Störfallverordnung erforderlich. Da Sie immer über Ihren Antrag zur Chemiepolitik reden, möchte ich Sie mal darauf hinweisen: In Ihrem Antrag steht nicht ein Satz, nicht ein Wort zur Änderung des Störfallrechtes.
({2})
Deshalb haben Sie dem umfangreichen Katalog, den die Bundesregierung unverzüglich als Konsequenz aus diesem Vorfall vorgelegt hat, außer Ihren Katastrophengemälden überhaupt nichts entgegenzusetzen.
({3})
Zu den Debatten im Umweltausschuß, Herr Kollege Lennartz, möchte ich mal auf folgendes hinweisen: Wenn Sie jetzt so lautstark über eine neue Chemiepolitik reden,
({4})
dann frage ich mich, wo Sie eigentlich waren, als wir das im Umweltausschuß behandelt haben.
({5})
Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie alle dabeigewesen wären. Tatsache ist: Als wir in einer lange terminierten Sondersitzung des Umweltausschusses darüber geredet haben, waren ganze zwei Kollegen von Ihnen da - zwei.
({6})
Als wir das erstemal über den Sandoz-Brand im Umweltausschuß geredet haben, wie gesagt, vier Tage nach dem Vorfall,
({7})
haben Sie - darauf möchte ich hinweisen - diesen Vorfall völlig unterschätzt.
({8})
Sie haben dann zwar gleich am, ich glaube, Freitag jener Woche gefordert: „Wallmann hätte Krisenstab bilden müssen"; tatsächlich war es aber doch so, daß die zuständige Landesregierung, die von Ihnen getragene hessische Landesregierung, nicht einmal die nationale Rheinschutz-Kommission eingeladen hatte. Dazu mußte doch die Bundesregierung die hessische Landesregierung erst auffordern.
({9})
Sie werfen der Bundesregierung vor, sie habe nicht hinreichend informiert, sie müsse auf diesem Gebiet mehr tun, sich stärker einschalten. Tatsache ist, daß z. B. die hessische Landesregierung etwa über den Vorfall bei Hoechst die Bundesregierung nicht einmal informiert hat, und der zuständige hessische Staatssekretär - der von Ihnen geführten Landesregierung - erklärte im Umweltausschuß des Bundestages dazu, daß sei auch nicht notwendig gewesen; denn der Bund habe keinerlei Vollzugskompetenz auf diesem Gebiet. Das ist der Widerspruch, den es in der Tat gibt zwischen Ihren Worten und den Taten der Landesregierungen, in denen Sie vertreten sind.
({10})
Sie sagen, Bonn solle aktiv sein, und in Wahrheit kehren Sie die notwendigen Informationen, die Sie Bonn weitergeben müßten, unter den Teppich. Das ist der Tatbestand.
({11})
Gerade im Hinblick auf den Vorfall bei Hoechst ist das außerordentlich bemerkenswert.
Ich möchte daran erinnern - und ich kann mich nur auf Presseinformationen beziehen -, daß hier angeblich ein vorsätzliches Handeln vorgelegen haben soll. Ich selbst habe in der Umweltausschußsitzung den hessischen Staatssekretär gebeten, den Umweltausschuß bitte unverzüglich zu unterrichten, falls andere als die damals von ihm vorgetragenen Erkenntnisse vorliegen würden, weil seiner Meinung nach Fahrlässigkeit im Spiel gewesen sei, durchrosteter Kanister. Ich lese jetzt in den Zeitungen, es habe vorsätzliches Handeln gegeben. Offensichtlich ist dieser Widerspruch der Grund dafür, daß die hessische Landesregierung uns als Ausschuß und die Bundesregierung darüber nicht informiert.
({12})
Bevor Sie jetzt versuchen, Widersprüche zu erfinden: Werden Sie fertig mit den Gegensätzen zwischen Worten und Taten, die es in Ihrer eigenen Partei zu diesen Themen gibt.
Dr. Göhner Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Roth hat hier von dem Programm „Arbeit und Umwelt" gesprochen und meinte, daß damit die Umweltprobleme lösbar seien.
({0})
Ich verstehe eines nicht, Herr Kollege Roth: Wir haben gemeinsam das Abwasserabgabengesetz mit einem lupenreinen Verursacherprinzip verabschiedet.
({1})
Warum leugnen Sie eigentlich ihre eigenen Leistungen, die Sie gemeinsam mit uns in dieser Regierung unter dem Umweltminister Baum, den Sie heute hier verspotten, erbracht haben?
({2})
Warum machen Sie das eigentlich? Das Abwasserabgabengesetz in der Bundesrepublik ist international ein Maßstab. Davon wird überall auf der Welt abgeschrieben. Überall auf der Welt wird nach unserem Prinzip verfahren.
({3})
- Ich weiß ja, daß Sie sofort schreien wie ein wundgestochenes Tier, wenn Sie bei den falschen Taten ertappt werden. Aber ich glaube nicht, daß das das Problem ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich als ein Mann, der seit Jahrzehnten auf diesem Gebiet tätig ist, mal etwas sagen:
({4})
Wenn Sie nicht erkennen, daß das Abwasser von heute das Trinkwasser von morgen ist, muß man fragen, warum Sie eigentlich mit den Chemikalienunfällen ein politisches Geschäft betreiben wollen. Sie betreiben ein politisches Geschäft mit der Angst. Sie müßten ein politisches Geschäft mit der Sorgfalt betreiben. Wir brauchen mehr Sorgfalt in der Entwicklung der Technologie. Wir brauchen mehr Sorgfalt bei der Erstellung der Anlagen. Wir brauchen mehr Sorgfalt bei der Bedienung der Anlagen und bei der Überwachung. Und wir brauchen auch eine Philosophie, die unsere Behörden in der Zusammenarbeit mit den Betrieben auf eine neue Grundlage stellt. Wir haben viel zu viele Behörden, die in diesem Bereich mitmischen. Die Verantwortlichkeit wird von einer zur anderen Behörde delegiert, ohne daß eine Behörde für die eigentliche
Überwachung der gesamten Anlagen zuständig ist.
({5})
Warum bemühen wir uns eigentlich nicht gemeinsam, etwa die Wasserwirtschaftsämter zu beauftragen, mit einer Sonderabteilung dieses Problem zu lösen? Dort ist die personelle Infrastruktur vorhanden, die für die technische Überwachung notwendig ist. Dort ist das ganze Umfeld vorhanden, das wir von der fachlichen Qualifikation her brauchen, um in diesem Problem weiterzukommen.
Es ist doch nicht nur der Rhein. Beschäftigen wir uns einmal mit der Elbe, dann werden Sie sehen, welche Probleme wir nicht nur in der Tschechoslowakei, in der DDR und insbesondere bei uns in der Bundesrepublik bis hinauf nach Hamburg haben; denn das sind doch Dinge, die wir für meine Begriffe nicht so weiterlaufen lassen können.
({6})
- Wenn überall gemessen wird, Frau Kollegin, und Sie sagen: Dann kriegen die Leute erst Angst, dann nehmen Sie doch nicht zur Kenntnis, daß seit unserer gemeinsamen Regierung die Qualität der Abwässer insbesondere in der Bundesrepublik um ein Vielfaches zugenommen hat. Die Unfälle haben mit der Qualität des Abwassers nichts zu tun.
({7})
- Ich bin doch nicht gegen das Messen, Herr Stahl. Die Kollegin hat gemeint, daß man durch das Messen die Angst vermehrt. Eine solche Philosophie können Sie doch nicht aufstellen, sondern durch das Messen kann ich die Kontrolle verbessern, und dafür sind wir doch zu haben. Davon rede ich doch die ganze Zeit. Ich verstehe Sie überhaupt nicht. Wissen Sie, ich habe den Eindruck, daß Sie bewußt, ganz bewußt die Angst schüren, damit Sie ein politisches Geschäft daraus machen,
({8})
aber nicht, daß Sie wirklich mit der gebotenen Sorgfalt und mit der gebotenen Sensibilität an diese Geschichte herangehen. Ich bin immer zur Mitarbeit bereit, wenn wir um eine Aktion „Sorgfalt" kämpfen. Die Aktion „Sorgfalt" bei der Bedienung und bei der Überwachung der Anlagen ist das einzige, was wir machen können.
({9})
Wenn wir heute in der Lage sind, die ganze kontinuierliche Meßtechnik zu betreiben, könnten wir Tag und Nacht die Qualität der Abwässer messen und schreiben. Das wäre doch ein Punkt, wo wir tatsächlich zur Überwachung der Flußwasserqualitäten kommen; denn ich sage Ihnen eins: Wir werden
in zunehmendem Maße, gerade auch auf Grund der Altlasten, die die Grundwässer in einem Maße bedrohen, wo wir tatsächlich sehr schnell handeln müssen - ({10})
- Aber Herr Roth, das nehmen Sie doch selber nicht ernst.
({11})
- Wenn Sie sagen, daß der Herr Wallmann, der wenige Monate im Amt ist, versagt hat, als ob man in wenigen Monaten eine Problematik wie die Beseitigung der Altlasten lösen könnte, dann müssen Sie sich selber in die Ecke der Unglaubwürdigkeit hineinstellen lassen. Nein, wir brauchen eine Aktion „Sorgfalt", umfassende Schutzprogramme für das Grundwasser und für das Abwasser, weil das Abwasser das Trinkwasser von morgen ist.
({12})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sie werden verstehen, daß ich mich auf das konzentrieren möchte, was unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger draußen im Lande bewegt. Sie wollen kein kleinkariertes Geschimpfe,
({0}): Was haben Sie
denn in der letzten Debatte gemacht?)
sie wollen keine wechselseitigen Schuldzuweisungen, sondern sie wollen das hören, was diese Bundesregierung getan hat und was durch die sie tragende Koalition der Mitte geschehen ist, nämlich eine ruhige, vernünftige Politik. Das bedeutet hier in diesem Felde der Umweltpolitik in ganz besonderer Weise, daß wir Vorsorge zu treffen haben, daß wir alles tun, daß es zu Unfällen und Schäden überhaupt nicht erst kommt.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben immer klar und deutlich die bestehende Lage geschildert: Es gibt keine Verharmlosung, sondern es gibt nötige Differenzierungen. Man muß das ganze Bild zeichnen, man darf weder bagatellisieren, noch darf man Horrorgemälde entwerfen. Das haben wir so immer gehalten und dabei bleibt es.
Deswegen haben wir 27 Maßnahmen und Regelungen beschlossen. Ich glaube, es ist für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger von Bedeutung, daß wir dieses nüchtern darstellen. Zunächst einmal geht es um die beiden Anhänge zur Störfallverordnung, also um die sogenannten störfallrelevanten Anlagen, und um die Stoffe und Stoffgruppen. Das ist jenes, was 1979/80 von Herrn Kollegen Baum nicht durchgesetzt werden konnte, und zwar - meine Damen und Herren, ich sage das in aller Ruhe - insbesondere gegen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wie Sie wissen. Sie haben sich energisch dagegen gewehrt. Das wird jetzt ausgeweitet.
({2})
- Wir haben die Gesetze von Ihnen geerbt, und diese Gesetze, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir jetzt zu verschärfen, und zwar im Interesse besserer Vorsorge für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Das ist die Aufgabe.
({3})
Dieses, meine Damen und Herren, wird sich drittens auch in den §§ 3 bis 6 der Störfallverordnung auswirken. Da geht es um eine Konkretisierung. Wir werden z. B. dafür sorgen, daß es ein technisches Regelwerk gibt, das Materialgüte und -beschaffenheit vorgibt. Wir werden dafür sorgen, daß es nicht nur allenthalben Rückhalte- und Auffangbecken gibt, sondern wir werden beispielsweise auch dafür Sorge tragen, daß es eine betreiberunabhängige Überwachung gibt.
Wir werden beispielsweise dafür sorgen, daß die verschiedenen Schadstoffe voneinander zu trennen sind. Wir werden dafür sorgen, daß die Lagerung der einzelnen Schadstoffe nicht nur im einzelnen festgelegt wird, sondern daß die entsprechenden Angaben draußen bei einer zuständigen Behörde hinterlegt werden, damit, wenn es zu einem Schadensfall kommt, jederzeit darauf zurückgegriffen werden kann.
Gerade der allerletzte Störfall, der uns erst vor wenigen Tagen bekanntgeworden ist, lehrt, daß es richtig war, diese Maßnahme, die ich dem Kabinett vorgeschlagen habe und worüber ich hier im Deutschen Bundestag in einer Regierungserklärung berichtet habe, vorzusehen.
Es sind also ganz konkrete Maßnahmen, die wir vorsehen, die dazu führen, daß die chemischen Werke sicherer werden, daß die Unfallgefahr reduziert wird. Ich habe Ihnen vorgetragen von geschlossenen Kühlkreisläufen, von der Notwendigkeit, Sensoren einzubauen, damit nicht wie beispielsweise bei der BASF sechs Stunden lang gesucht werden muß, bis die Schadstelle überhaupt erkannt ist.
Meine Damen und Herren, ich habe im Ausschuß viereinhalb Stunden Rede und Antwort gestanden. Diejenigen, die dort gewesen sind, werden, wenn sie einigermaßen redlich sind, zugeben müssen, daß nicht eine einzige Frage unbeantwortet geblieben ist,
({4})
sondern nach viereinhalb Stunden war klar, daß sich diese Bundesregierung - und zwar ungeachtet der Frage, ob der einzelne Unfall weitergehende Konsequenzen hat als der andere - bewußt ist, daß nach Sandoz und allem was anschließend hier bei uns in der Bundesrepublik geschehen ist, die Gesetze, die unter der Verantwortung der SPD formuliert und verabschiedet worden sind, veränderungsbedürftig sind. Deswegen haben wir das Erforderliche getan.
({5})
Wir werden selbstverständlich auch die Meldepflicht nach § 11 der Störfallverordnung erweitern. Wir werden übrigens nicht allein auf den Begriff der Gemeingefahr abstellen, der in § 2 der Störfallverordnung definiert ist, sondern dann, wenn nicht unerhebliche Einwirkungen auf die Umwelt zu besorgen sind, muß in Zukunft bereits gemeldet werden.
Wir werden auch dafür sorgen, daß die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 5 der Störfallverordnung über die Grundanforderungen für betriebliche Alarm- und Gefahrenabwehrpläne neu erarbeitet werden.
Es besteht überhaupt kein Anlaß, meine Damen und Herren, es sich hier bequem zu machen, selbstgerecht zu werden. Es ist so, wie Herr Baum gesagt hat: An jedem Tag kommen gerade in unserer Zeit neue Erkenntnisse und übrigens auch neue technische Möglichkeiten hinzu. Das muß umgesetzt werden.
({6})
Ich bin dankbar für das, was Herr Dr. Laufs und Herr Dr. Göhner hier dargestellt haben. Ich füge schlicht und einfach hinzu: Jeder mag sich kritisch befragen, was er in dieser Zeit, vor allem ab dem 1. November, für die Umwelt getan hat.
Dann geht es natürlich um den Vollzug in den Ländern. Wir werden j a in wenigen Tagen eine Sonderkonferenz der Umweltminister von Bund und Ländern haben. Hier gibt es Defizite. Ich sage das überhaupt nicht anklägerisch. Ich sage das aber ganz kritisch an uns in Bonn: Wir haben überhaupt keinen Vollzug im Gewässerschutz. Wir erlassen Gesetze, wir erlassen Verordnungen, während die Länder sie ausfüllen müssen, was auch heißt, daß sie neue Stellen schaffen, mehr Geld zur Verfügung stellen und qualifiziertes Personal haben müssen. Das ist die Kehrseite der Medaille. Da soll sich bitte keiner hinstellen und sagen: Das ist alles so reinlich nach parteipolitischen Zugehörigkeiten und dergleichen mehr zu scheiden. Die Länder werden von uns in einer besonderen Art und Weise zunehmend mit Aufgaben belastet. Wenn wir dies so tun und wollen, müssen wir mit ihnen zusammenarbeiten, dann müssen wir das Gespräch suchen, damit aus dem Ganzen etwas wird.
({7})
Ich sage in aller Realistik - Herr Kollege Baum hat es j a vorhin vorgetragen -: Wie viele haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten darum bemüht, in diesem Bereich eine Kompetenz für den Bund zu bekommen? Das ist nicht geschehen.
Ich sage Ihnen im voraus: Auch unter dem Eindruck des Unglücks bei Sandoz mit seinen schweren Folgen für das Öko-System, insbesondere am Oberrhein, nach allem, was diese 15 Vorfälle auch bei uns an Nachdenklichkeit bewirkt haben, auch danach werden sich die Positionen der Länder nicht wesentlich verändern.
Herr Präsident, ich sehe, daß meine Redezeit zu Ende ist. Ich darf uns alle im Interesse der Umwelt, im Interesse der Gesundheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger bitten, nicht aufeinander zu schimpfen, sondern nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, um mehr Sicherheit, auch bei unseren Chemiewerken, herbeizuführen. Die Bundesregierung hat das Erforderliche getan.
({8})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, darf ich folgende Mitteilung zur Verlesung bringen:
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) zum Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Bard und der Fraktion DIE GRÜNEN
Notprogramm zur Schutzwaldsanierung der Alpenregion
- Drucksachen 10/2866, 10/6670 3. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1})
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Europäischer Rat vom 2J3. Dezember 1985 in Luxemburg
sowie zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Ergebnis des Europäischen Rates in Luxemburg am 2J3. Dezember 1985
- Drucksachen 10/4433, 10/4474, 10/6675 4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis 1986
- Drucksachen 10/5762, 10/6681 Präsident Dr. Jenninger
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung ({4})
- Drucksachen 10/5010,10/6677 6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Schulte ({6}), Tatge und der Fraktion DIE GRÜNEN
Energiesparprogramm für den Wärmemarkt
- Drucksachen 10/5976,10/6678 7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({7}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp der Rüstungsexporte nach Peru
- Drucksachen 10/5416, 10/6679 8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({8})
zu dem Antrag der Abgeordenten Vosen, Frau Dr. Hartenstein, Verheugen, Frau Blunck, Frau Dr. MartinyGlotz, Frau Schmedt ({9}), Sielaff, Catenhusen, Fischer ({10}), Grunenberg, Hansen ({11}), Dr. Kübler, Nagel, Stahl ({12}), Stockleben, Vahlberg, Brück, Duve, Dr. Ehmke ({13}), Frau Fuchs ({14}), Herterich, Jaunich, Dr. Jens, Jung ({15}), Meininghaus, Müller ({16}), Oostergetelo, Roth, Schäfer ({17}), Schluckebier, Frau Schmidt ({18}), Dr. Schmude, Tietjen, Voigt ({19}), Wolfram ({20}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Bericht der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Bericht „GLOBAL 2000"
- Drucksachen 10/2359, 10/6697 9. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({21}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Vorläufiger Stopp aller Atomtransporte
- Drucksachen 10/2333, 10/6689 10. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({22}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Eid, Auhagen und der Fraktion DIE GRÜNEN
zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kittelmann, Wissmann, Klein ({23}), Dr. Pinger, Lenzer, Höffkes, Echternach, Graf Huyn, Frau Geiger, Lattmann, Dr. Schwörer, Schwarz, Clemens, Dr. Unland, Kolb, Dr. Kunz ({24}), Dr. Jobst, Repnik, Weiß, Hornung, Hinrichs, Frau Roitzsch ({25}), Frau Dr. Hellwig, Jagoda, Dr. Stercken, Dr. Schroeder ({26}), Lowack, Hedrich, Kraus, Dr. Lammert, Reddemann, Magin, Ruf, Müller ({27}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Haussmann, Beckmann, Frau Seiler-Albring, Dr. Weng ({28}), Dr. Feldmann, Dr. Solms, Frau Dr. Segall, Dr. Rumpf, Dr.Ing. Laermann, Kohn und der Fraktion der FDP
Wettbewerbschancen der deutschen Wirtschaft im pazifischen Raum
- Drucksachen 10/3995, 10/5133, 10/5699, 10/6680 11. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({29}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation
- Drucksachen 10/1233, 10/6705 -
Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Außerdem liegt ein Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6709 zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor. Wie ich sehe, erheben die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gegen die Aufsetzung dieses Antrags keinen Widerspruch. Dann wird dieser Antrag zusammen mit Tagesordnungspunkt 42 in verbundener Beratung aufgerufen.
Gleichzeitig soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
- Drucksache 10/5734 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({30})
- Drucksache 10/6685 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Dr. Schwenk ({31})
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({32}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/6686 Berichterstatter:
Abgeordnete Echternach Frau Seiler-Albring
Esters
({33})
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes ({34})
- Drucksache 10/3544 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({35})
- Drucksache 10/6687 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Dr. Schwenk ({36})
({37})
c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes ({38})
- Drucksache 10/3557 19846
Präsident Dr. Jenninger
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({39})
- Drucksache 10/6687 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Dr. Schwenk ({40})
({41})
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({42}) zur Änderung der Geschäftsordnung ({43}) ({44})
- Drucksache 10/6687 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Dr. Schwenk ({45})
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 d 90 Minuten vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schulte ({46}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast möchte ich sagen: Wider Erwarten erscheint der 1. Ausschuß des Deutschen Bundestages, der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung doch noch in dieser Legislaturperiode im Plenum, und zwar gleich mit drei Vorlagen, die zur Abstimmung anstehen. Ich will mich im wesentlichen auf einige Bemerkungen zu den Verhaltensregeln beschränken, aber auch das Rechtsstellungsgesetz und die ausdrückliche Änderung der Geschäftsordnung spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Diese Vorlagen sind seit einiger Zeit interessiert von der Presse begleitet worden; es hat viele Leute gegeben, die sich darum bemüht haben. Für uns ist aber viel wichtiger: Bevor wir hier zu dieser Verabschiedung kommen, wie ich hoffe, hat es eine erhebliche Auseinandersetzung zwischen den Abgeordneten dieses Hauses gegeben. Ich muß dies so formulieren, weil man hier keine strengen Grenzen nach Fraktionen ziehen kann, was ich persönlich sehr begrüße.
Sie wissen, daß die Verhaltensregeln durch von uns als solches anerkanntes und erkanntes Fehlverhalten von Abgeordneten provoziert sind, wenn Geld im Spiele war, von dem wir glauben, daß es nicht angemessen und angeraten war, dieses in der politischen Arbeit anzunehmen. Ich muß darauf hinweisen, daß wir damit allerdings ein Feld eröffnet haben, dessen Breite und Tragweite von vornherein nicht ganz durchschaubar waren. Zunächst geht es doch einmal darum, daß wir der Öffentlichkeit klarmachen, welche Interessen die Abgeordneten hier im Deutschen Bundestag vertreten. Wir haben dafür ein Handbuch, und wir haben in diesem
Handbuch Darstellungen, die möglichst lückenlos zeigen sollen, woher der Abgeordnete kommt, was er getan hat, was er tut und wem er sich notfalls verpflichtet fühlt.
Nur, meine Damen und Herren, wenn es darum geht, dann möchte ich Ihnen an einem Beispiel erläutern, daß dies nicht in jedem Fall ausreichen kann. Greifen wir uns mal einen Abgeordneten heraus; ich schlage vor, den Abgeordneten Schulte ({0}). Wenn Sie dessen Vita im Handbuch des Deutschen Bundestages lesen, dann ist er als ein Vertreter des öffentlichen Dienstes ausgewiesen, und wenn man der landläufigen Meinung, die nun über Jahrzehnte hier verbreitet wird, folgt, dann kann das nichts anderes als ein typischer Lobbyist dieses öffentlichen Dienstes sein. Nur, verehrte Kolleginnen und Kollegen, kann ich mich in der nun fast 22jährigen Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag an keinen einzigen Fall erinnern, wo ich mich bewußt speziell für die Belange des öffentlichen Dienstes, etwa aus einer Interessen- oder Lobbyfunktion heraus, eingesetzt hätte. Ich sage dies, und ich bitte Sie, mir das zu glauben.
Etwas ganz anderes, was ich für außerordentlich wichtig, für mich persönlich sogar für elementar halte, steht in diesem Handbuch überhaupt nicht: Vom ersten Tage meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag an war ich ein ganz typischer Vertreter der Steinkohle und der Bergarbeiter. Das steht da nicht drin. Ich habe da keine Funktion, ich hatte natürlich keine Veranlassung, das dort unterzubringen. Es gab nicht mal eine Rubrik, in die ich das hätte hineinschreiben können. Man müßte also schon wissen - ich trage den Zusatz „Unna" -, daß es in Unna Kohle und natürlich sehr viele Bergarbeiter und ihre Familien gibt. Nun wird jeder sagen: Es ist doch selbstverständlich, solche Interessen wahrzunehmen, und das wird auch niemand bestreiten. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß es natürlich auch hier zumindest einen mittelbaren Bezug zu Vorteilen gibt; denn wenn ich, was ich für selbstverständlich halte, diese Interessen für Tausende von Arbeitsplätzen, für Zehntausende von Menschen wahrnehme, die davon betroffen sind, wahrnehme, dann doch sicherlich auch in der Erwartung, daß diese mich wählen und auch wieder-wählen. Da könnte sehr wohl jemand auf den Gedanken kommen, daß auch dies durchaus das Vertreten eines persönlichen Interesses ist. Ich mache nur auf diesen Punkt aufmerksam; es ist also sehr, sehr schwierig, hier in diesem Zusammenhang wirklich Abgrenzungen zu finden.
Nun hat es einige offenkundige Probleme gegeben, die uns auch veranlaßt haben, an diesem sehr schwierigen Werk zu arbeiten. Ich muß darauf aufmerksam machen: wenn nicht einige Kollegen - ich erlaube mir, sie auch wirklich mit Namen zu nennen - wie Herr Becker, Herr Bohl, Herr Wolfgramm, Herr Sauter und die Berichterstatter Herr Buschbom und Herr Schwenk so zäh in einer ununterbrochenen Rückkoppelung mit den Fraktionen wechselseitig den Versuch unternommen hätten, hier eine Vereinbarung herzustellen, dann würden wir heute mit diesem Tagesordnungspunkt nicht im Plenum sein.
Schulte ({1})
Dies gibt mir Veranlassung, an dieser Stelle darauf hinzuweisen - dieser Hinweis ist zu gleicher Zeit mit einer sehr herzlichen Bitte verbunden -, nicht zu glauben, man könne innerparlamentarisches Recht mit kleinen Mehrheiten verabschieden. Meine Damen und Herren und liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist nicht möglich, und zwar einmal von der Sache her nicht. Ich habe das einmal mit dem Zustand verglichen, daß zwei Fußballmannschaften auf dem Feld auflaufen und daß eine Mannschaft die Abseitsregeln anerkennt, die andere hingegen nicht. Wir haben ja hier im deutschen Bundestag selbst eine Fußballmannschaft. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß so etwas wirklich funktionieren kann. Wir brauchen also den Konsens, selbst wenn er noch so schwer zu erreichen ist. Darauf möchte ich doch in besonderem Maße hinweisen: Es wäre verhängnisvoll, wenn sich das Parlament der Aufgabe entziehen würde, die eigenen, internen Angelegenheiten zu regeln, und auf Richterrecht warten würde. Ich meine, dies wäre sehr bedenklich. Es würde zu gleicher Zeit nicht nur den Parlamentariern, sondern auch dem Gedanken der Parlamentarischen Demokratie Abbruch tun. Deshalb meine ganz herzliche Bitte an die Kolleginnen und Kollegen der kommenden Legislaturperioden, sich doch etwas intensiver um die eigenen Angelegenheiten zu bemühen. Ich werde mir erlauben, noch darauf hinzuweisen, welche Aufgaben jedenfalls der Ausschuß für Geschäftsordnung noch vor sich sieht.
Dieses spezielle Gesetz kann ich hier jetzt nicht erläutern. Es ist unmöglich. Wir haben sehr diffizile Regelungen. Aber das gibt mir Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß in der nächsten Legislaturperiode einige wichtige Aufgaben bestehen.
Zunächst, Herr Präsident, wird es dringend notwendig sein, daß nicht nur im Konsens mit Ihnen und allen anderen Mitgliedern des Präsidiums, sondern auch mit allen Fraktionen, den Vorsitzenden oder ihren jeweils Beauftragten, abgestimmte, überlegte Richtlinien erlassen werden. Dies ist ja auch vorgesehen. Dies kann nur im Konsens erfolgen, wenn das Ganze erfolgreich sein soll. Das ist zu gleicher Zeit auch die Aufforderung und die Bitte an alle Fraktionen, sich daran zu beteiligen. Anders wird das überhaupt nicht gehen. Wir müssen uns darüber im klaren sein.
Ich meine zum anderen, daß es notwendig ist, daß der Präsident einen Stab von verantwortlichen Beamten einsetzt, die auch Beratungsfunktionen übernehmen. Wahrscheinlich wird es notwendig sein, die Beratungsfunktion für die Kolleginnen und Kollegen des neuen Bundestages auch in den Fraktionen zu etablieren. Ich glaube, darum kommen wir nicht herum. Es wird nicht ausreichen, ein Merkblatt zu verfassen. Denn wenn Sie sich diese Bestimmungen im Detail durchlesen, dann werden Sie sehen, daß mancher zu Recht überfordert sein wird. Das liegt aber auch daran, daß wir uns natürlich bemüht haben, möglichst präzise, exakte und auch im einzelnen durchformulierte Regelungen zu finden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einen Gedanken einführen, der mich häufiger bewegt hat. Ich habe mich immer gefragt: Ist das, was wir hier gemacht haben, etwas spezifisch Parlamentarisches? Ist die Einführung von Verhaltensregeln eine spezielle Problematik, die Abgeordnete, Abgeordnete des Deutschen Bundestages betrifft, oder geht es hier mehr um ein gesellschaftliches Problem? Denn es geht doch darum festzustellen, wer Einfluß ausübt und wie dieser Einfluß zustande kommt. Da bin ich allerdings der Auffassung, daß nicht die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die in sehr seltenen Fällen unmittelbar exekutiv werden können, um etwas zu realisieren, diejenigen sein sollten, die in erster Linie angesprochen sind, sondern andere Kräfte in unserer Gesellschaft. Ich denke z. B. an die Exekutive, die in diesem Zusammenhang überhaupt noch nie angesprochen worden ist, und ich frage mich, ob der Abgeordnete eines Wahlkreises, auch wenn er noch so intensiv dort arbeitet, vielleicht auch beliebt und einflußreich ist, im Einzelfall nicht vielleicht doch weniger exekutive Kraft hat als ein Stadtbaurat, der letztlich entscheidet, was passiert. Ich bitte, dies mit zu überlegen. Ist dies so spezifisch?
({2})
- Ich habe diesen genannt, Herr Kollege Conradi. Es gibt sicherlich noch viele andere Möglichkeiten, auf Einflüsse hinzuweisen.
Ich will hier auch diesen etwas zweifelhaften Mut beweisen, auf die vierte Gewalt in diesem Staate hinzuweisen, die immer in der Lage ist, uns zu kritisieren und uns Vorhaltungen zu machen. Wir haben jetzt wieder in diesem Zusammenhang von der „weißen Salbe" dieses Gesetzes gelesen. Ich bitte übrigens, weiße Salbe nicht zu unterschätzen;
({3})
es gibt ja weiße Salbe, die sehr wohl wirksam sein kann.
({4})
Aber, meine Damen und Herren, ich würde meinen: Wer einen solchen Einfluß ausübt, soll sich dann auch ernsthaft die Frage stellen, ob er sich nicht gleichen oder ähnlichen Regeln unterstellt.
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Wenn dies ein gesellschaftlicher Prozeß ist - und ich würde meinen, daß das in einer Demokratie nicht ausgeschlossen sein kann -, dann darf sich das nicht auf Parlamentarier beschränken.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren und liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch andere Vorlagen. Wir haben das Siebte Gesetz vorgelegt, ein schwieriges Gesetz über die Rechtsstellung der Abgeordneten. All diese Vorlagen sind ja in einem langen und mühsamen Prozeß von der Rechtsstellungskommission des Ältestenrates vorberaten worden, aber sie kamen dann federführend an uns, an den Geschäftsordnungsausschuß. Wir haben uns natürlich berufen und verpflichtet gefühlt, diese Dinge alle noch einmal sorgfältig durchzube19848
Schulte ({6})
raten. Ich gehe davon aus, daß sich die nachfolgenden Redner auch diesem Problem noch widmen.
Unter dem Tagesordnungspunkt 3 - es sei mir vielleicht erlaubt, diesen kurz anzusprechen - werden wir dann noch eine ausdrückliche Änderung der Geschäftsordnung vornehmen, wobei einige sicherlich auch in die Versuchung kommen, zu sagen, dies sei ja nur ein Spiel mit Worten. Aber ich bitte Sie herzlich, hier auch unsere verehrte Kollegin Hamm-Brücher und ihre Mitstreiter in ihrem Wollen nicht falsch einzuschätzen und nicht zu unterschätzen. Ich habe jedenfalls mit Freude festgestellt, daß alle Mitglieder des Ausschusses die Bereitschaft hatten, diese Änderung der Geschäftsordnung ausdrücklich vorzunehmen.
Nun erlaube ich mir zum Schluß doch vielleicht - ich bin zwar von guten Freunden gewarnt worden, ich solle keine Abschiedsrede halten, weil diese hier ja schon zur Genüge gehalten worden sind -, eines noch anzufügen. Ich habe auch Dank auszusprechen, einmal insbesondere allen Kolleginnen und Kollegen, die diesem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung angehören. Denn sie alle sind dort verpflichtet und haben zur gleichen Zeit wichtige andere Funktionen oder wichtige andere Ausschußsitze wahrzunehmen. Das bedeutet im Einzelfall, daß wir immer in größter Verlegenheit waren, die Beratungskapazität zu bekommen, die wir dringend gebrauchten. Herzlichen Dank all denen, die sich dieser doppelten und manchmal dreifachen Mühe unterzogen haben. Wir haben ja auch manches Wochenende zu Hilfe genommen.
Ich möchte mich natürlich auch ganz herzlich bei dem Sekretariat, das jetzt von Dr. Kretschmer geleitet wird und früher vom jetzigen Direktor beim Deutschen Bundestag, Herrn Dr. Bäcker, geleitet worden ist, und allen Mitarbeitern bedanken. Denn ohne ihre intensive Arbeit wäre es nicht gelungen.
({7})
Es ist festgestellt worden, daß sich der Arbeitsanfall in diesem Ausschuß in den letzten Jahren um 100 % vermehrt hat. Eine Stellenvermehrung ist nicht vorgenommen worden.
Zuletzt, Herr Präsident - das ist vielleicht etwas ungewöhnlich -, erlaube ich mir, auch Ihnen herzlich zu danken. Denn Sie haben zu jeder Zeit für die schwierigen Aufgaben und die Probleme, die uns übertragen wurden, volles Verständnis gehabt und haben uns bei allen Bitten, die wir an Sie gerichtet haben, sehr unterstützt.
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Jetzt verabschiede ich mich von Ihnen und verwende einen hier nicht sehr häufig gehörten Ausdruck der Verabschiedung: Ich sage Ihnen allen - und meine das sehr ernst -, Ihnen allen und unserem Parlament ein herzliches Glückauf.
Danke schön.
({9})
Lieber Kollege Manfred Schulte, dies war Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag, dem Sie sechs Wahlperioden lang angehört haben. Der Verhandlungsgegenstand, zu dem Sie gesprochen haben, hat wesentlich unter Ihrer Mitwirkung Gestalt gewonnen. Die Neuordnung des Verhaltensrechtes, die Änderung des Abgeordnetengesetzes und die Änderung der Geschäftsordnung, die wir heute verabschieden werden, gehören zu den zahlreichen Vorlagen, die Sie, sehr geehrter Herr Kollege Schulte, in Ihrer 22jährigen Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag maßgeblich mitgeformt haben. Ich erinnere vor allem an die Neufassung unserer Geschäftsordnung im Jahre 1980. Als Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung haben Sie stets das verwirklicht, was Sie in den letzten Wochen immer wieder angemahnt haben: das Parlamentsrecht unter breiter Zustimmung des Bundestages fortzuentwickeln, um so den wichtigen Grundkonsens unter den Demokraten - wie Sie es ausgedrückt haben - zu bewahren und, wo immer möglich, zu festigen.
Bevor Sie den Vorsitz im 1. Ausschuß übernommen haben, haben Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion von 1967 bis 1975 mit großer Hingabe die parlamentarische Arbeit Ihrer Fraktion mitgeprägt und haben sich dabei Anerkennung auf allen Seiten des Hauses erworben.
Wir danken Ihnen, verehrter lieber Herr Kollege Schulte, für Ihren verdienstvollen Einsatz im Deutschen Bundestag und wünschen Ihnen persönlich eine glückliche, eine erfüllte Zukunft. Wir dürfen das Glückauf, das Sie eben für das Haus ausgesprochen haben, Ihnen persönlich zurückgeben.
Vielen Dank!
({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte für meine Fraktion zunächst Ihnen, verehrter Herr Kollege Schulte, insbesondere für die Arbeit in den vergangenen vier Jahren noch einmal recht herzlich Dank sagen. Es war, wie ich finde, ein sehr angenehmes Beratungsklima in den Ausschußsitzungen, und Sie haben durch Ihre hohen fachlichen und menschlichen Qualitäten uns immer wieder beeindruckt und auch unsere Beratungen gefördert. Sie haben, so kann ich sagen, nach dem Grundsatz gehandelt, daß die Gemeinsamkeit der Demokraten immer stärker sein muß als das Trennende, und deshalb auch unsererseits ganz herzlichen Dank und alles Gute für den weiteren Lebensweg!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns in diesem Hause vor zwei Jahren dazu entschlossen, die Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages zu überprüfen und zu verbessern, um die Unabhängigkeit der Mandatsausübung noch besser zu gewährleisten. Das war und ist unser politischer Wille. Wir wollen damit sicherstellen, daß sich der Mandatsträger am Gemeinwohl orientiert.
Ich glaube sagen zu können, daß unsere Beratungen doch gezeigt haben, daß die geltenden Verhaltensregeln eigentlich besser sind, als ihr Ruf gemeinhin ist. Natürlich hat es Veränderungen gegeben, und dem wollen wir j a auch Rechnung tragen, aber ich glaube, die Feststellung, die ich eben ausgesprochen habe, gilt es hier heute doch zu treffen, weil in der Öffentlichkeit oft ein wenig leichtfertig ein falsches Bild von Bedeutung und Sinn der geltenden Verhaltensregeln von interessierter Seite suggeriert worden ist. Ich möchte mich hier doch auch sehr entschieden gegen die Unterstellung wehren, die ich hin und wieder gehört habe, wir Abgeordneten hielten uns zu einem Großteil gar nicht an die selbst gegebenen Verhaltensregeln. Ich finde, das hinzunehmen, haben wir gar keinen Anlaß; im Gegenteil, wir können, glaube ich, als Abgeordnete dieses frei gewählten deutschen Parlaments durchaus mit einem gewissen Stolz sagen, daß wir erfolgreich Verantwortung für unser Land getragen haben und daß sich diese Leistungen nicht mit vordergründigen Argumenten und Bildern wegdiskutieren lassen.
Ich bin mir bewußt, daß das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Integrität des Deutschen Bundestages bei den Bürgern durchaus in einem hohen Maße von einer zufriedenstellenden Regelung und Praktizierung der Verhaltensregeln abhängt. Ich glaube, daß sich bei dem Bürger auch in dem Bewußtsein, daß diese Regeln eingehalten werden, durchaus das Vertrauen in unsere Grundordnung, in unsere Demokratie, in unseren Parlamentarismus weiter wird festigen lassen. Der Bürger hat ein Recht darauf, zu erfahren, welche Interessen der Abgeordnete wahrnimmt. Der Bürger muß auf die Integrität, Unbestechlichkeit und Unabhängigkeit der politisch Handelnden und der Institutionen vertrauen können. Deshalb ist in der Tat anzeigepflichtig zu machen, was die unabhängige Mandatsausübung beeinträchtigen kann.
Ich möchte zunächst noch einmal feststellen, daß wir hier einen gemeinsamen Antrag vorlegen, zumindest insoweit, als er - bei Ausnahme der GRÜNEN - im Ausschuß eine Mehrheit von CDU/CSU, FDP und SPD gefunden hat. Ich finde, das macht auch den Wert dieser Regelung aus, daß wir hier doch eine Übereinstimmung erzielt haben, die wir uns auch gerade kurz vor einer Bundestagswahl sozusagen nicht wegreden lassen sollten und die im Blick auf die Öffentlichkeit - und es sind j a auch wieder Zuschauer und Zuhörer heute hier - vielleicht doch einmal erwähnt werden sollte.
Lassen Sie mich jetzt noch auf einige Einzelheiten eingehen. Es war j a zunächst die Frage: gesetzliche Regelung, ja oder nein? Ursprünglich hatten wir zwei Gesetzentwürfe, wonach diese Verhaltensregeln in das Abgeordnetengesetz eingebaut werden sollten. Bei der Anhörung mußten wir erfahren, daß es doch erhebliche - auch rechtliche - Vorbehalte gegen eine solche Regelung gibt. Ich finde, wir haben einen guten Kompromiß gefunden, der dahin geht, daß wir einige Grundsatzvorschriften über die Pflichten der Abgeordneten und über die Regelung des Verfahrens bei Verstößen gegen die Verhaltensregeln in den § 44 a des Abgeordnetengesetzes aufgenommen haben, also insofern Konkretisierungen vorgenommen haben, weil bisher in § 44 a nur Stichworte über die Verhaltensregeln standen. Damit wird auch gewährleistet, daß diese Grundsätze über die Wahlperiode hinaus in Kraft bleiben. Dies ändert aber nichts daran, daß der Kern der Neuregelung im Geschäftsordnungsteil liegt und damit, glaube ich, die Möglichkeit gegeben ist, daß der Bundestag die ihm zugewiesene Alleinverantwortung für das Verhalten seiner Mitglieder selbständig steuern, angemessen überprüfen, geeignete Sanktionen ergreifen und flexibler - ein ganz wichtiger Punkt - auf neue Problemlagen reagieren kann. Ich glaube deshalb, daß diese Regelung sehr vernünftig ist und der Notwendigkeit der Selbstregulierung des Verhaltens der Mitglieder des Parlaments Rechnung trägt.
Die zweite wichtige Hürde war die Frage: Wer soll derjenige sein, der über Verstöße entscheidet? Wer soll derjenige sein, bei dem sozusagen alles zusammenfließt? Hier war in die Diskussion zunächst auch ein Ehrenrat - oder wie man das auch immer nennen will - gebracht worden. Wir haben uns dazu entschlossen, das doch beim Präsidenten des Deutschen Bundestages selbst festzumachen. Wir glauben, daß das auch eine vernünftige Regelung ist. Der Präsident hat das Vertrauen der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Er ist der prädestinierte Garant und Hüter für die Einhaltung dieser Verhaltensregeln. Wenn nachher sozusagen zur Sanktionierung der Feststellung des Präsidenten, daß ein Verstoß vorliegt, die Fraktionsvorsitzenden oder das Präsidium einbezogen werden, ist das, glaube ich, eine sachgerechte Regelung. Auch sie hat ja Übereinstimmung bei uns gefunden. Ich halte es für richtig, daß wir die ursprüngliche Idee, die zwar nicht von uns, aber von anderer Seite angestrebt wurde, einen Ehrenrat zu bilden, nicht weiter verfolgt haben.
Wir kamen dann zu der ganz schwierigen Frage: Wie sieht es mit den Anzeigepflichten aus? Was soll angezeigt werden, was nicht? Da haben wir eine, wie ich meine, gute Regelung gefunden: Wir haben geteilt in Tätigkeiten, die vorher schon ausgeübt wurden, und in Tätigkeiten, die während der Mitgliedschaft im Bundestag sozusagen neu aufgenommen werden. Der Grundgedanke ist eigentlich folgender: Was der einzelne Abgeordnete an beruflicher Lebensleistung oder an sonstigen Tätigkeiten sozusagen in den Bundestag mitbringt, kann eigentlich kaum zu einer Interessenkollision führen. Jedenfalls indiziert eine solche berufliche Lebensleistung weit weniger eine Interessenkollision als Tätigkeiten, die der Abgeordnete möglicherweise während der Mitgliedschaft im Bundestag aufnimmt; dann kann man eine Interessenkollision schon eher vermuten. Deshalb sind die Anzeigepflichten bei Tätigkeiten, die während der Mitgliedschaft im Bundestag aufgenommen werden, weiter gefaßt und bei Tätigkeiten, die schon vorher da waren, relativ eng belassen worden. Ich finde das sehr sachgerecht. Wir sind ja auch übereinstimmend zu diesem vernünftigen Ergebnis gekommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Gern.
Herr Kollege Bohl, können Sie der Öffentlichkeit erklären, wieso nach der jetzt vorgeschlagenen Regelung ein Lehrer etwa, der im Bundestag für eine Zeitung Aufsätze zu schreiben beginnt, dies und die Einkünfte daraus dem Präsidenten mitzuteilen hat, während ein Journalist, der im Bundestag seinen Beruf weiter ausübt und ebenfalls für eine Zeitung schreibt, die Einkünfte daraus dem Präsidenten nicht mitteilen muß?
Wenn Sie gestatten, komme ich darauf gleich. Das ist der nächste Punkt, um den es geht. Hier ging es zunächst darum, ob und in welchem Umfang Tätigkeiten anzeigepflichtig sind. Erst der nächste Schritt ist die Frage nach der Höhe des Einkommens. Das ist sicher eine wichtige Frage. Ich schneide sie sofort an. Vielleicht darf ich im Konzept bleiben.
Ich komme jetzt nämlich zu der Frage - und diese war eine große Hürde bei unseren Beratungen -: In welchem Umfang sind Einkünfte, die der Abgeordnete neben seinem Mandat bezieht, anzugeben? Ich glaube, es gibt keine Notwendigkeit, die Höhe aller Einkünfte anzugeben.
({0})
Es geht um die Offenlegung von Interessenkollisionen. Es geht nicht um die Befriedigung der Neugier mancher Zeitgenossen am finanziellen Niveau der Lebensleistung einzelner Abgeordneter. Das ist der entscheidende Satz, um den es hier geht. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht, das das Bundesverfassungsgericht erst vor kurzem entwickelt hat, gilt selbstverständlich für alle Bürger, auch für uns Abgeordnete. Es kann deshalb nicht hingenommen werden, daß, während ständig nach einer Verbesserung des Datenschutzes gerufen wird, der Abgeordnete ohne zwingende Notwendigkeit restlos alle persönlichen Daten offenlegen soll.
({1})
Wichtig scheint mir auch folgende Feststellung zu sein: Es ist gut und richtig, wenn Abgeordnete neben ihrem Mandat einen Beruf oder sonstige Tätigkeiten ausüben. Man sollte das nicht negativ zeichnen oder in ein unverdientes Zwielicht stellen. Wir wollen auch Abgeordnete, die gelebte und praxisnahe berufliche Erfahrung mit ihrem Mandat in den Deutschen Bundestag einbringen.
({2})
Zurück zur Eingangsfrage nach der Höhe der Einkünfte. Hier war, Herr Conradi, für uns eine wichtige Vorentscheidung, ob und wem wir diese Mitteilung über die Höhe der Einkünfte machen. Wir haben uns dafür entschieden, daß dies nur der Präsident selber sein soll. Hierfür war maßgebend - ich sage das in aller Deutlichkeit -, daß das Parlament aus gleichberechtigten Abgeordneten besteht und daß die Anzeigen, die auf Grund der Anzeigepflicht gemacht werden, einen geeigneten Vertrauensschutz verdienen. Angesichts der Struktur, der Zusammensetzung des Bundestages und der politischen Wirklichkeit im medienoffenen Bonn sollte Adressat solch sensibler Daten, so meine ich, in der Tat nur der Bundestagspräsident sein. Im übrigen darf Offenlegung nicht mit Öffentlichkeit verwechselt werden. Deshalb ist, so glaube ich, der Bundestagspräsident der richtige Adressat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege Bohl, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir aus der gemeinsamen Erfahrung im Flick-Untersuchungsausschuß, dessen Ergebnisse teilweise auch zu den Überlegungen geführt haben, die hier heute diskutiert werden, den Schluß ziehen müssen, daß es für den Bürger keine Transparenz bedeutet, wenn dem Präsidenten zusätzliche Einnahmen mitgeteilt werden, sondern daß es für den Bürger nur interessant ist, wenn er selbst erfährt, ob - und gegebenenfalls wofür - sein Abgeordneter zusätzliche Einnahmen erzielt?
({0})
Ich glaube nicht, Herr Kollege Struck, daß das, was Sie sagen, zwingend ist. Natürlich hat der Bürger ein Interesse daran;
({0})
das will ich nicht bestreiten. Aber ob es ein berechtigtes Interesse ist und ob die Abwägung zwischen dem Schutz des Abgeordneten und dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit sachgerecht vorgenommen würde, das ist die große Frage. Wir vertrauen mit unserer Regelung „Keine Veröffentlichung, aber Offenlegung gegenüber dem Präsidenten" darauf, daß diese Regelung eine geeignete Grundlage für die parlamentarische Selbstkontrolle dieses sensiblen Bereiches ist. Natürlich ist der Präsident bei der Entgegennahme der Informationen und dem, was er daraus dann macht, in einer besonderen Verantwortung.
({1})
- Aber entschuldigen Sie, natürlich hat der Präsident angesichts seiner Verantwortung auch das Recht, das Gespräch mit dem Betroffenen zu suchen und Einwirkungen vorzunehmen. Das sehen wir schon so, und das war bei uns im Ausschuß auch unstreitig. - Zurück zu der eigentlichen Frage: Ich glaube, diese Regelung, wonach Adressat der Präsident ist, hat entscheidenden Einfluß auf die Konstruktion gehabt: Welche Einkünfte sind wann und wie anzugeben und offenzulegen? Unter Zugrundelegung der Unterscheidung zwischen TätigBohl
keiten vor Annahme des Mandats und Tätigkeiten während der Ausübung des Mandats erscheint doch folgende Regelung vernünftig:
Erstens. Die beruflichen Einkünfte sind nicht anzugeben.
({2})
- Ich habe dazu eingangs Bemerkungen gemacht; ich will darauf verweisen. Aber vielleicht kann ich in der Diskussion darauf noch einmal eingehen.
Zweitens. Bei sonstigen Tätigkeiten außerhalb des beruflichen Feldes kommt es darauf an, ob die Tätigkeit während der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag aufgenommen wurde. Ist das der Fall, so ist auch die Höhe der Einkünfte ab einem Mindestbetrag gegenüber dem Präsidenten - und nur gegenüber diesem - anzugeben.
Drittens. Bei sonstigen Tätigkeiten - Herr Conradi, vielleicht haben Sie es nicht so genau gelesen -, die nach der Annahme der Kandidatur zum Deutschen Bundestag aufgenommen werden - auch eine Neuregelung -, gilt dies im Grunde genommen ebenso.
Viertens. Bei sonstigen Tätigkeiten, die vor der Annahme der Kandidatur und vor der Mitgliedschaft aufgenommen wurden, gibt es bezüglich der Höhe des Einkommens grundsätzlich keine Anzeigepflicht, allerdings mit einer ganz entscheidenden Ausnahme, die ich nun unter fünftens vortrage.
Fünftens. Bei Einkünften, die aus Tätigkeiten in Verbänden - im Sinne der Nr. 5 - oder aus Beratertätigkeiten - im Sinne der Nr. 6 - erzielt werden, muß auch deren Höhe angegeben werden, allerdings nur gegenüber dem Präsidenten. Das gilt im übrigen auch für neue Tätigkeiten oder Vermögensvorteile im Sinne der Nr. 8. In diesen Fällen ist die Anzeige, so möchte ich es formulieren, auch bezüglich der Höhe der Einkünfte gerechtfertigt, weil gerade die Höhe von Einkünften aus Verbandstätigkeit oder Beratertätigkeit eine mögliche Interessenkollision indizieren kann.
Meine Damen und Herren, ich gebe zu, daß das sicherlich eine sehr komplizierte Regelung ist; man muß sie sich wahrscheinlich zweimal, gegebenenfalls dreimal durchlesen. Aber es ist eben eine sehr, sehr schwierige Materie.
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Wenn man die Probleme sachgerecht lösen will und nicht mit Schlagworten billig und vordergründig darauf eingeht, dann muß man sich schon ins Detail hineinknien. Ich finde, wir haben doch eine vernünftige Abwägung vorgenommen.
Ich glaube, Herr Präsident, meine Damen und Herren, die vorliegende Neufassung beruht auf der Überlegung, daß der einzelne Abgeordnete in dem vor mir skizzierten Umfang auf Grund seiner parlamentarischen Aufgaben und Verpflichtungen diese Angaben machen sollte und muß, weil im Einzelfall eine Kollision seiner beruflichen oder persönlichen Bereiche mit den parlamentarischen Aufgaben und Pflichten möglich ist. Sie alle wissen, daß die Demokratien zur Lösung dieses Grundsatzkonfliktes, den es überall gibt, wo Parlamentarismus ist, unterschiedliche Regelungen entwickelt haben. Unsere Regelung, das Prinzip der Offenlegung privater Interessen, entspricht dem Öffentlichkeitsgebot des Grundgesetzes
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und ermöglicht Kontrolle durch den Präsidenten, das Parlament, die Öffentlichkeit und auch die Selbstkontrolle durch den betroffenen Abgeordneten.
Wir haben mit dieser Neufassung einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz der Privatsphäre einerseits, der natürlich dem Abgeordneten ebenfalls zusteht, und den Anforderungen andererseits gefunden, die sich aus der Tätigkeit des Abgeordneten im öffentlichen Bereich ergeben. Wir glauben, daß das eine sachgerechte Regelung ist. Wir bedanken uns für die konstruktive Mitarbeit bei den anderen Fraktionen und bitten um Zustimmung des Hauses zu dieser Regelung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem aber: Liebe Bürgerinnen und Bürger! Nach der Einführung der Verhaltensregelungen unter dem Eindruck des Falles Geldner im Jahre 1972, ihrer Ergänzung um ein Interessentenzahlungsverbot 1980 als Konsequenz aus dem Diäten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 steht heute, durch den Fall Barzel ausgelöst, der Abschluß eines dritten Regelungsvorhabens an.
„Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes", hat das Bundesverfassungsgericht vielversprechend im Diäten-Urteil formuliert. Allem guten Willen mancher an dem heute vorgelegten Kompromiß Beteiligten - ich erwähne vor allen Dingen den von mir hoch geschätzten Vorsitzenden des 1. Ausschusses, Manfred Schulte - zum Trotz entfaltet das auf dem vorweihnachtlichen Gabentisch des Bundestags liegende Werk nur wenig vertrauensbildende Wirkung. Zu Recht ist das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung auf Grund der Flick- und Parteispendenskandale und des dreisten Versuchs der Selbstbegünstigung durch eine Amnestie im Mai 1984 erschüttert. Um so notwendiger wäre es, heute Verhaltensregeln zu beschließen, die eindeutige Mängel beseitigen und ein möglichst wirksames Verfahren vorsehen, durch welches Verstöße festgestellt und öffentlich gemacht werden können.
Dieser Anforderung wird die Flick-Novelle bedauerlicherweise nicht gerecht. Bei dieser Novelle handelt es sich im doppelten Sinne des Wortes um Flickwerk. Ausgelöst durch die Bonner Ausstattungspraxis des Flick-Konzerns liefert die Altparteienkoalition von CDU/CSU, FDP und SPD nach lautstarken Ankündigungen von Selbstreinigung nur Flickwerk, statt gläserner Taschen für Abgeordnete, allenfalls Milchglas, statt des Versuchs ei19852
ner effektiven Kontrolle der Verhaltensregeln durch einen Abgeordnetenrat
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oder gar einen vom Parlament unabhängigen Ehrenrat die Großzügigkeit und Verschwiegenheit eines verständnisvollen Präsidenten. Die gefährliche Tendenz zum Funktionärsparlament wird durch diese Flick-Novelle jedenfalls nicht gebrochen.
In Übereinstimmung mit dem an der Anhörung des Geschäftsordnungsausschusses im Oktober 1985 beteiligten Sachverständigen Professor von Arnim sehe ich die zentrale verfassungsrechtliche Anforderung an Verhaltensregeln in dem Gebot, wirksame Vorkehrungen gegen Interessentenzahlungen an Abgeordnete zu treffen, also gegen das Übel, an Funktionsträger oder Angestellte von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden oder Gewerkschaften nicht selten nach der Wahl die bisherigen Bezüge neben den Abgeordnetendiäten weiterzuzahlen. Auch nach der Flick-Novelle bleibt bezüglich dieses sogenannten Lobbygeldprivilegs fast alles beim alten. Wen wundert es da noch, daß auch der Vorschlag unserer Fraktion für eine umfassende Offenlegung aller Einkünfte des Abgeordneten gegenüber einem Abgeordnetenrat - entsprechend dem ursprünglichen Vorschlag der SPD - und eine weitgehende Offenlegung gegenüber der Öffentlichkeit im Handbuch des Bundestages nie einer ernsthaften Prüfung unterzogen wurde?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert?
Ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen. Herr Kollege Lammert, ich bitte um Verständnis.
Wie kommentierte doch die „Süddeutsche Zeitung" bereits am 26. Juni 1986 zum damals in letzter Minute geplatzten Kompromiß treffend und auch heute noch passend:
Was nun nach langem Kreißen herausgesprungen ist aus dem Berg, ist eine hübsche Maus, die kaum einen beißen wird.
Im Anschluß an den Sachverständigen Professor Ellwein bezeichne ich diesen Altparteienkompromiß als ein Beispiel für symbolische Politik. Wir GRÜNE machen da nicht mit und lehnen diese Flick-Novelle ab.
({0})
Unsere Ablehnung erstreckt sich auch auf die Rechtsstellungsnovelle. Wir halten es für nicht vertretbar, die Rechtsstellung der Abgeordneten zu verbessern, wenn nicht gleichzeitig wirkliche Transparenz in die Einkünfte der Abgeordneten gebracht wird. Abgesehen von dieser grundsätzlichen Haltung bestehen gegen einige Regelungen große Bedenken.
Erstens. Im letzten Moment wurde in § 12 Abs. 5 eine Rechtsgrundlage für die Bereitstellung und Nutzung des gemeinsamen Informations- und
Kommunikationssystems des Bundestages geschaffen. Da es bisher keine fundierte Technikfolgenabschätzung unter Beteiligung der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, lehnen wir einen solchen gesetzgeberischen Schnellschuß ab. Am Umgang des Parlaments mit dem Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnik, insbesondere der Nutzung des ISDN-Netzes für seine eigene Arbeit, offenbart sich auf eindrucksvolle Weise die Unfähigkeit dieses Bundestages zu einer sozial verträglichen Gestaltung der vielfach geradezu revolutionären Folgen technischer Entwicklung.
({1})
Zweitens. In § 25 Abs. 4 richtet sich der Bundestag bei der Verbesserung der Hinterbliebenenversorgung nicht etwa an der Situation des normalen Bürgers, sondern am schlechten Beispiel der Überversorgung im Europäischen Parlament aus. Und natürlich wurde im Zusammenhang mit der gesetzesverbindlichen Klärung der inzwischen ausgeuferten Benutzung von Flugzeugen eine von mir im Ausschuß zur Erwägung gegebene Beschränkung vom Tisch gewischt. Statt dessen wird die uneingeschränkte Erstattung der höchsten Klasse vorgesehen. Wäre doch nur die Kontrolle der Exekutive auch erstklassig. Allzuoft bestätigt dieses ErsterKlasse-Status-Denken die Volksweisheit „Mehr scheinen als sein".
Drittens ist die von den GRÜNEN von Anfang an abgelehnte Besserbehandlung der Abgeordneten gegenüber dem normalen Bürger bei der Feststellung des Einkommens zur Ermittlung von Unterhaltspflichten oder bei der Zumessung einer Geldstrafe bezüglich der Berücksichtigung der Kostenpauschale erst auf Grund massiven öffentlichen Drucks aus der Rechtsstellungsnovelle verschwunden.
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Notwendig in diesem Zusammenhang ist eine Rücknahme der Pauschalabgeltung von Unkosten zugunsten einer Erstattung gegen Nachweis, wie es von den meisten Rechtswissenschaftlern gefordert wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen und vor allem liebe Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande, die Flick- und Parteispendenaffären haben nur die Spitze eines Eisberges sichtbar gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zur Parteienfinanzierung bedauerlicherweise der von den Bonner Altparteien zu verantwortenden Fehlentwicklung zu Quasi-Staatsparteien und der undemokratischen Spendenpraxis einflußreicher Gruppen der Gesellschaft keinen Einhalt geboten. Die Flick-Novelle, die wir heute verabschieden, bringt uns einer demokratischen Kontrolle wirtschaftlicher Macht, z. B. der an der Pflege der Bonner Landschaft in besonderem Maß beteiligten Banken und Versicherungen, keinen Schritt näher. Mit einer gestärkten grünen Fraktion werden wir uns im 11. Deutschen Bundestag dafür einsetzen, daß die Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten und des gesamten Parlaments gestärkt wird.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Buschbom.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nahezu eineinhalb Jahre hat sich der Geschäftsordnungsausschuß mit dem Parlamentsrecht befaßt, das wir heute ändern und ergänzen wollen. Der geplagte Berichterstatter, der in dieser Zeit viel Gelegenheit hatte, nachzudenken, sich zu wundern und auch manchmal zu streiten, ist natürlich versucht, sich in breiten Ausführungen von gehabter Qual zu erholen. Dennoch, ich werde diesem Versuche widerstehen und mich auf einige Bemerkungen über den Status des Abgeordneten, das Selbstverständnis des Bundestages, die Offentlichkeit des Parlaments, die Kontrollbefugnis des Souveräns sowie die Eigenkontrolle des Parlaments und ihre Grenzen beschränken.
Das Selbstverständnis des Bundestages ist, wie ich meine, noch erheblich unterentwickelt. Schon das Äußere des alten Plenarsaals zeigte das: unten die Parlamentarier, oben, etwas erhöht, die Regierung, ganz oben der Präsident, der zwar Primus, aber doch wohl inter pares ist. Gewiß, das alles sind Äußerlichkeiten, doch sie entbehren nicht der Symbolik. Schon das Äußere zeigt, daß Nummer 1 im Staate die Exekutive ist, obwohl sie vom Parlament gewählt und kontrolliert wird. Und wen von uns, sofern er einer Fraktion angehört hat oder noch angehört, die die Regierung stützt, hat nicht hin und wieder das Gefühl beschlichen, verlängerter Arm der Regierung zu sein? Das ist die eine Seite.
Eine andere Seite sind unsere Arbeitsbedingungen. Wenn ich an mein früheres Dienstzimmer in meinem alten Gericht denke und das mit meinem jetzigen Büro vergleiche, beschleichen mich Wehmut und mißbilligende Verwunderung.
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Jeder meiner Erstbesucher hält es einfach für ausgeschlossen, daß ein Vertreter des deutschen Volkes in einer solchen Enge zu arbeiten hat und dann auch noch seinen im Dienstzimmer mitarbeitenden Gehilfen hinauskomplimentieren muß, um mit seinem Besucher allein sein zu können.
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Meine Besuche bei anderen Parlamenten haben mich davon überzeugt, daß das unsrige jedenfalls insofern noch erheblicher Entwicklungshilfe bedarf.
Nun noch ein Letztes: Ich habe den Eindruck gewonnen, daß dieses Parlament Schwierigkeiten hat, seine eigenen Angelegenheiten selbstbewußt und unbefangen zu besorgen.
({2})
Geht es um eigene Dinge, schielt es mal nach den Medien, mal nach den Gerichten um Hilfe. Die Diskussion um die Berichte des Präsidenten über die Angemessenheit der Entschädigung entbehrte insbesondere nach dem Einzug der GRÜNEN nicht gewisser tragikomischer Elemente.
({3})
Auch das hier vorliegende Siebte Änderungsgesetz ist in dieser Beziehung beispielhaft. Es war vorgesehen, eine, wie ich meine, nicht verfassungskonforme und parlamentsfeindliche Rechtsprechung über die Kostenpauschale als Teil der Amtsausstattung ins Lot zu rücken. Doch diese Absicht steht jedenfalls heute nicht mehr zur Debatte, weil Sie, lieber Herr Kollege Vogel, sich als Führer der Opposition von dem Husten eines Ministerialrats haben anstecken lassen und die Kostenpauschale sogar öffentlich mit dem Versorgungsausgleich in Verbindung gebracht haben.
({4})
- Das war schon ziemlich schlimm, lieber Herr Emmerlich; da hat das nicht ganz so funktioniert.
Ich finde, es ist höchste Zeit, daß dieses Parlament seine Angelegenheiten selbstbewußter regelt und nicht wartet, bis das Bundesverfassungsgericht dazu aufgerufen wird oder gar Verwaltungsgerichte darüber entscheiden. Erste Verfahren dieser Art hat es bereits gegeben.
Nun zur Öffentlichkeit des Parlamentes. Ich bin froh, daß es gelungen ist, die Verhaltensregeln aus der Ebene eines förmlichen Gesetzes, wie die Entwürfe vorgesehen hatten, herauszulösen und wieder im wesentlichen als parlamentsinternes Recht zu verankern. Anderenfalls wäre nämlich das Bundesverfassungsgericht an die Stelle des Parlaments als Hüter seines Parlamentsrechts getreten.
({5})
Die Gefahr war groß. Zum Glück hat die Vernunft gesiegt, nachdem sich der Staub der Populismuskarawane etwas gesetzt hatte.
({6})
Hier haben die Sachverständigen meine von Anfang an vertretene Auffassung bestärkt, so daß es den Parlamentarischen Geschäftsführern Becker, Bohl und Wolfgramm etwas leichter geworden ist, ihre Fraktionen wieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Lieber Herr Mann, Sie haben vorhin schon von den Sachverständigen gesprochen und den Herrn von Arnim erwähnt. Ich hatte jedenfalls den Eindruck - in ihm bin ich auch von meinen anderen Kollegen bestärkt worden -, daß Herr von Arnim ein einsamer Rufer in dieser Sachverständigenanhörung gewesen ist. Er hat halt das gesagt, was Ihnen gefällt; die anderen haben das gesagt, was mir eher gefällt, und ich nehme für mich in Anspruch zu glauben, daß ich recht gehabt habe.
Die Erwähnung unserer Parlamentarischen Geschäftsführer, deren Verdienste die FAZ gestern gewürdigt hat und die in der Tat Dank und Anerkennung verdienen, verführt mich zu der folgenden beiläufigen Bemerkung. Wie kommt es eigentlich, daß die Berichterstatter, die für die Behandlung des ihnen zugewiesenen Verhandlungsgegenstandes zuständig und dem Parlament verantwortlich sind, nicht nur bei den Medien, sondern auch in der Eigenberichterstattung unseres Hauses so wenig Erwähnung finden?
({7})
Wird dieses Parlament nur von seinen Funktionären geprägt?
({8})
Sind wir hier in einem Exotenhaus?
Zurück zur Parlamentsöffentlichkeit. Für den Status des Abgeordneten und sein Verhältnis gegenüber seinem Souverän, dem deutschen Volk, sind die bekannten Vorschriften des Grundgesetzes maßgeblich. Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Der Abgeordnete darf nicht gehindert werden, sein Amt zu übernehmen und auszuüben.
({9})
Die Volksvertretung beinhaltet natürlich Öffentlichkeit als Kontrollmöglichkeit des Volkes, das die Staatsgewalt innehat. Diese Öffentlichkeit findet ihre Grenze in Art. 48 Abs. 2 des Grundgesetzes. Sofern nämlich die Öffentlichkeit durch eine Offenbarungspflicht erzwungen würde, die den Abgeordneten hinderte, sein Amt zu übernehmen oder auszuüben, wäre diese Offenbarungspflicht verfassungswidrig. Denn die Bürgerfreiheit des Abgeordneten in der Übernahme und Ausübung des Mandats erlaubt nur solche Einschränkungen, die für die Funktionsfähigkeit des Parlaments erforderlich sind, und verbietet alle Einwirkungen auf den Abgeordneten, die sich in seinem persönlichen oder sozialen Bereich nachteilig auf die Übernahme und Ausübung seines Mandats auswirken und einen solchen Druck ausüben können, daß sie die Übernahme oder Ausübung des Mandats verhindern. Hier sind wir mit den GRÜNEN ganz gewiß auseinander.
Zu diesen Einwirkungen dürften alle Offenbarungen gehören, die die private Sphäre des Abgeordneten und seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Tätigkeit im einzelnen betreffen oder ihn lediglich einer parlamentsinternen Kontrolle unterziehen sollen. Das bleibt für die dem Ältestenrat und dem Präsidium zugewiesenen Ausführungsbestimmungen zu bedenken.
Hier ist außerdem ein Problem aufgeworfen, das die Repräsentanz unseres Volkes in diesem Hause betrifft. Dem jetzigen Bundestag gehören nur noch 57 Angehörige sogenannter freier Berufe an: Rechtsanwälte und Notare, Ingenieure, Architekten. In der 9. Wahlperiode waren es etwa 30 solcher Angehörigen mehr. Im Gegensatz dazu wächst die Zahl derer, die aus der Beamtenschaft oder dem öffentlichen Dienst stammen, stetig. Das erklärt sich daraus, daß auf Grund der bestehenden Beamtengesetze bzw. Tarifverträge jedes Erwerbsrisiko durch die Annahme und Ausübung eines Mandats von dem Zeitpunkt an ausgeschlossen ist, an dem ein Vertreter dieser Berufsgruppe Mitglied des Bundestages wird.
({10})
Ich mache mir zwar keine Sorgen darüber, daß immer mehr Lehrer Parlamentarier werden, nach dem alten Satz: Das Haus ist mal voller, mal leerer, aber immer voller Lehrer; mit dem Prinzip demokratischer Repräsentanz dürfte es aber schwer vereinbar sein, wenn unser gewerblicher Mittelstand mehr und mehr aus dem Bundestag verschwände.
({11})
Einige wenige Sätze zur parlamentarischen Selbstkontrolle. Hier geht es um Sanktionen. Sanktionen für die Verletzung verfassungskonformer Offenbarungspflichten dürften nur gerechtfertigt sein, sofern sie für die Funktionsfähigkeit des Parlaments erforderlich sind. Dabei ist zu bedenken, daß das Parlament das ganze Volk in seiner Pluralität widerspiegelt und der Abgeordnete auch und sogar weitgehend Vertreter der Partikularinteressen seiner Wähler ist. Als solcher darf er zudem nach Art. 46 des Grundgesetzes wegen Äußerungen in Ausübung seines Mandats nicht verfolgt oder zur Verantwortung gezogen werden, sofern es sich nicht um verleumderische Behauptungen handelt. Dem Repräsentations- und Achtungsbedürfnis des Parlaments sind damit also auch Grenzen gesetzt.
Im Gegensatz zu Parlamenten, die so selbstbewußt sind, daß sie sogar selbstreinigende Mandatsaberkennungen praktizieren, kann nach unserem Verfassungsverständnis das einmal errungene Mandat durch Parlamentsinstitutionen weder aberkannt oder partiell - etwa durch Verbot von Stimmrechten - eingeschränkt werden. Nur derjenige, der das Mandat erteilte, kann die weitere Ausübung eines Mandats beeinflussen, nämlich das Volk bei der nächsten Wahl. Und das weiß auch jeder Abgeordnete. Dieses Wissen schärft sein Gefühl für die von ihm erwartete Vorbildhaftigkeit und seine Verantwortlichkeit dem ganzen Volk gegenüber.
({12})
Daher sind besondere Anforderungen an ihn nur scheinbar widersprüchlich in einer Republik, in der jeder vor Recht und Gesetz gleich ist.
Die rote Lampe leuchtet. Ich muß jetzt Schluß machen. Ich wollte mit Goethe enden.
({13})
Er hat uns etwa auf den Weg gegeben, lieber Herr Conradi:
Eines schickt sich nicht für alle! Sehe jeder, wie er's treibe,
({14})
Sehe jeder, wo er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle.
Auch wir haben erlebt, daß dieser Wahrheit Tribut zu zollen ist. Diese Probleme werden alle politisch gelöst; denn erlaubt ist nicht, was gefällt, sondern - um wiederum bei Goethe zu bleiben -: „Erlaubt ist, was sich ziemt". Und das gilt gleichermaßen, gut republikanisch, für alle.
Danke sehr, meine Damen und Herren.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Schwenk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Anlaß zu dem Sechsten Änderungsgesetz waren, wie schon erwähnt worden ist, die Vorkommnisse, die auch zum Flick-Untersuchungsausschuß geführt hatten. Die SPD-Fraktion hatte seinerzeit nachdrücklich die Forderung nach einer Verschärfung der Offenlegungspflichten der Abgeordneten wegen ihrer Einkommensverhältnisse gestellt; denn die bisherigen Anforderungen nach § 44a des Abgeordnetengesetzes, die 1980 eingefügt worden waren, und die Verhaltensregeln in der Geschäftsordnung reichten in der Tat nicht aus. Sie reichen nicht aus, weil sie nur entgeltliche Tätigkeiten ansprechen, weil sie Offenlegung der Höhe der Einkünfte, weil sie Offenlegung von Beteiligungen nicht fordern, weil sie das Verfahren der Ermittlung im Konfliktfall einschließlich der Bekanntgabe des Ermittlungsergebnisses durch den Bundestag selbst nicht regeln.
Außer den Anstößen aus der Flick-Untersuchung hat die Selbstverständnis-Debatte des Bundestages vom 20. September 1984 weitere Anregungen gegeben, die bislang geltenden Regeln im Abgeordnetengesetz und die anschließenden Verhaltensregeln zu verbessern, sprich: präzise zu machen, um den Einfluß von Geld auf Politik, genauer: auf das politische Handeln von Politikern, zu unterbinden.
Der republikanisch-demokratische Staat findet seine Legitimation in der von der Gewissensentscheidung getragenen Politikentscheidung. Er findet sein Vertrauen bei den Bürgern durch Einsichtigkeit der Politikentscheidung verbunden mit der Glaubwürdigkeit der Entscheidungsträger. Hier, Herr Kollege Mann, muß ich Sie daran erinnern, daß die Mehrzahl der Sachverständigen in unserer Anhörung einschließlich Herr Professor Ellwein gerade darauf hingezielt hat,
({0})
daß es um die persönliche Glaubwürdigkeit des Abgeordneten, seine durchgreifende Tätigkeit geht,
nicht aber immer nur um die Regeln, die ihn kontrollieren.
({1})
Dieses dürfen wir nicht vergessen.
Es gab einen Vorschlag, die Kontrolle der Abgeordneten dadurch zu erreichen, daß sie ihre Einkommensteuererklärungen hinterlegen sollten, damit sie erst im Verdachtsfall durch den Präsidenten geöffnet werden sollten, also wiederum ein Vorschlag, der nicht zur sofortigen Offenlegung, sondern zur späteren Verwendung führen sollte.
Wir haben also in dem von Ihnen gemeinten Sinne nichts gehört - vielleicht außer von Herrn von Arnim, und der war dann allein geblieben.
Ich möchte fortfahren, daß Fälle, die auch nur den Anschein erwecken, Politikentscheidungen seien durch Geldzuwendungen beeinflußt oder gar herbeigeführt worden, wie Gift wirken. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es nun allerdings der Anzeige der Einkommenverhältnisse der Mandatsträger, damit auch diejenigen, die sich nicht in dem von mir eben angezeigten Sinne verhalten wollen, doch wissen, daß sie nicht ohne Kontrolle sind und daß das eines Tages sehr zu ihrem Nachteil ausgehen kann. Die SPD-Fraktion wollte die Offenlegung sowohl der beruflichen als auch der zusätzlichen Einkünfte, die sich aus vielerlei Aufgaben und Tätigkeiten des Abgeordneten außerhalb des Parlaments ergeben können. Der Ablauf der Beratungen ist von anderen hier ausführlich geschildert worden. Ich will aber auch sagen: Es kann keinesfalls das Ziel sein, Abgeordnete aus ihren Berufen, aus außerparlamentarischen Aufsichts- und Leitungsfunktionen herauszudrängen. Es würde der Vielschichtigkeit des Parlaments schaden, gingen die mit solchen Tätigkeiten verbundenen Erfahrungen verloren. Durch die Offenlegungspflicht muß jedoch Vorkehrung getroffen werden, daß nicht Interessentenvertretungen bestehen oder aufgenommen werden, die ersichtlich dem Zweck einer durch Geldzuwendungen motivierten Einflußnahme dienen.
Beide Entwürfe, die von den Fraktionen eingereicht worden sind, wollten zunächst neue Verhaltensregeln in das Abgeordnetengesetz schreiben. Wir haben dann davon in Vollständigkeit Abstand genommen und nur die Grundregeln aufgenommen, die eigentlichen Bestimmungen in die Verhaltensregeln. Dieses innerparlamentarische Recht wirkt für die Abgeordneten, und es hat den Vorteil, daß es neuen Erkenntnissen leichter folgen kann, als wenn wir alles in die Gesetze hineinschreiben würden.
Bei aller Kritik, die vermutlich auch noch aus der SPD-Fraktion von einem anderen Redner geäußert wird, sagen wir: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es sollen in der kommenden Legislaturperiode neue Schritte versucht werden, damit wir auch wegen der ursprünglichen Einkommensverhältnisse Angaben über die Höhe erreichen. Denn auch von dieser Seite her können wir das Ansehen des Parlaments stärken.
Dr. Schwenk ({2})
Aber noch einmal: Nicht alleine die Offenlegung der Höhe und der Einkunftsarten wirkt, sondern das persönliche Verhalten, das Auftreten der Abgeordneten, ihre Arbeitsbereitschaft. Herr Mann, ich muß Ihnen dazu sagen: Einiges, was Sie als Kritik gesagt haben, kann ich durchaus nicht teilen. Wenn Sie sagen, Sie hätten die Benutzung des Flugzeugs verhindern wollen,
({3})
dann kann ich mich an eine sehr eigenartige Argumentation erinnern. Sie haben im Ausschuß gesagt: Damit wollen wir diejenigen schützen, die dauernd zu ihren Wahlkreisen fliegen wollen. Die sollen lieber hier arbeiten können. Eine solche Bewegungsfreiheitseinschränkung für Abgeordnete durch Verbot eines Verkehrsmittels halte ich nun wieder für grundgesetzwidrig.
({4})
Da bleiben Sie einmal bei Ihrer Linie, und versuchen Sie nicht, wie hier geschehen, die Diskussion auf ganz andere Gebiete auszudehnen. Das ist nicht gut.
Ein Punkt, der noch nicht angesprochen worden ist, der uns erhebliche Schwierigkeiten bereitet hat und an dem auch keiner vorbeikommt, ist: Wie halten wir es mit den beratenden Berufen? Soweit beratende Berufe nicht unter Schutz und Verpflichtung der Geheimhaltung gegenüber ihren Mandanten stehen, sind sie wie andere auch zu behandeln. Aber die Berufe, die ihr Beratungsgeheimnis wahren müssen, können nicht so gleichbehandelt werden, weil wir sonst in die Rechte Dritter eingreifen würden. Hier stehen wir vor der schwierigen Abwägungsfrage: Offenlegungspflicht oder Geheimhaltungsschutz, insbesondere in Hinblick auf Dritte. Wenn wir vor allem den Beruf des Advokaten nehmen, dürfen wir nicht verkennen, daß es in der Geschichte viele dieser Berufsvertreter gegeben hat, die aus ihrer parlamentarischen Tätigkeit heraus Interessenvertretungen, insbesondere Strafverteidigungen, für Verfolgte übernommen haben gegen einen Staat. Es wäre unsinnig, wenn wir diesen Persönlichkeitsschutz aufgeben würden zugunsten der Offenlegung. An dieser Klippe kommt keiner vorbei.
Wir haben ferner erreicht, daß die Offenlegung gegenüber dem Präsidenten erfolgt, eingebunden aber auch das Präsidium und die Fraktionsvorsitzenden sind. Dieses gab uns Sozialdemokraten die Möglichkeit, von dem ursprünglich vorgeschlagenen Abgeordnetenrat abzuweichen. Denn damit ist sichergestellt, daß alle Fraktionen eingebunden sind, daß also keine Fraktion von Findung und Entscheidung ausgeschlossen ist. Dieses sehen wir als einen wesentlichen Fortschritt an.
Mit dem, was hier vorgetragen worden ist, haben wir auch das Ergebnis von vor der Sommerpause verbessert. Ich bitte, dieses Gesetz so anzunehmen. Es hat in der SPD-Fraktion Zustimmung gefunden, wenngleich ich noch einmal betonen muß: Auch in der nächsten Legislaturperiode muß an diesem Gesetz - insbesondere am Teil Verhaltensregeln - gearbeitet werden, wie das Parlamentsrecht überhaupt ständig fortentwickelt, verbessert und den Erfordernissen angepaßt werden muß.
Das gilt auch für einige Punkte aus dem Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, insbesondere wegen der gesetzlichen Grundlage für die Fortentwicklung der Kommunikation. Der Abgeordnete muß aus dem Postkutschenzeitalter herauskommen können, indem er die gleichen Kommunikationsmittel zur Verfügung erhält, die andere Büros schon längst haben.
({5})
Wir können uns mittelalterliche Zustände nicht leisten angesichts der Aufgaben, die wir haben, angesichts der Arbeitsbelastungen, vor allem angesichts der Wichtigkeit, daß dieses Parlament allen Fortschritten - wirklichen und auch vermeintlichen Fortschritten - in der Gesellschaft, in der Industrie, in der Technik folgen und sie mit der notwendigen Gesetzgebung beantworten kann. Deshalb müssen wir einer ständigen Fortentwicklung das Wort reden.
Im übrigen waren in diesem Änderungsgesetz einige Lücken zu schließen. Es mußten Fragen des sozialen Schutzes der Hinterbliebenen verbessert werden; einige waren da echt zu kurz gekommen. Es mußten Verbesserungen für die Beitragszahlungen zu Krankenkassen und einiges andere mehr geschaffen werden.
Zu der von Ihnen, Herr Buschbom, angesprochenen Frage: Vorschläge im Zusammenhang mit der Verwendung der Amtsausstattung, die ja der Mandatsführung dienen soll, sind herausgenommen worden. Sie sollen zusammen mit anderen vielschichtigen Fragen gemeinsam geregelt werden, damit keinesfalls der Eindruck entsteht, daß Abgeordnete hier vorneweg für sich schon etwas rechtlich klarstellen wollen.
({6})
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte nochmals um Annahme der Vorlage.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
({0})
Herr Conradi, Sie haben schon genug eigene Märchen verbreitet; Sie kriegen heute keins.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn Sie es denn nun wollen, dann
Wolfgramm ({1})
werde ich Sie ein wenig einführen in die Entwicklung dieser ganzen Angelegenheit, denn mit Neuguinea fing alles an. 1896 hat sich nämlich ein Kollege im Reichstag, der mit einer Handelscompagnie verbunden war, die Waren nach Neuguinea lieferte, entschlossen, sich an einer Abstimmung über Reichslieferungen nicht zu beteiligen, weil er in diesem Zusammenhang befangen gewesen wäre. Damals fing alles an.
1927 ging es um Zündholzmonopole. Da hat man zum erstenmal überlegt, ob man Befangenheit bei Abgeordneten nicht gesetzlich regeln sollte.
({2})
Es gab damals im Reichstag eine sehr intensive Debatte. Es wurden auch Vorschläge gemacht. Ich habe sie alle hier. Wir wollen das heute aber nicht ausdehnen. Jedenfalls gab es damals gute Gründe, zu sagen: Wir wollen das nicht alles schriftlich und ganz sorgfältig und für jeden Fall regeln. Die Leute sind damals damit auch nicht so schlecht gefahren.
Es wurde schon vorgetragen, was sich inzwischen bei uns alles entwickelt hat.
({3})
Nun sind wir dabei, die Regeln weiter auszubauen. Ich meine, daß sich das, was wir im Augenblick vorlegen, sehen lassen kann. Es ist kompliziert, aber es zeichnet sich durch einen Kompromiß aus, den wir erreicht haben. Es ist ein Kompromiß aus zwei Gesetzentwürfen, einem von der SPD-Opposition und einem von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP. Beide Seiten haben einen getrennten Entwurf vorgelegt, weil die ersten Gespräche in der Rechtsstellungskommission erhebliche Unterschiede ergaben.
In sehr mühevollen und sehr engagierten Verhandlungen und Beratungen sind wir dann aufeinander zugegangen und haben nun einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt.
Übrigens hat das Hearing, das meine Fraktion beantragt hat, dazu erheblich beigetragen; wir haben dort eine Fülle von Unterstützungen und Erkenntnissen gewinnen können, die uns auf unserem Weg bestätigt haben. Wir haben Abstand genommen von einer Generalklausel, die vorher in der Überlegung war. Wir haben einen Ehrenrat zwar erwogen, dann aber festgestellt: Das Parlament muß diese Angelegenheiten selbst regeln. Es muß auch die Kraft dazu haben, das selbst zu regeln. Wir haben diese Kraft, das zu tun.
Wir haben von einer Fülle von Übertreibungen abgesehen, von der Abgabe der Steuererklärung, die da auch nicht hilfreich sein würde, bis zu der schließlich einmal aufgestellten Forderung nach dem gläsernen Abgeordneten, die nicht nur von Professor Schneider - mit Recht - verworfen worden ist.
Die einzigen, die daraus keine Lehre gezogen haben, Herr Kollege Mann, sind Sie und die GRÜNEN gewesen.
({4})
Sie haben dazu keine zusätzlichen Beiträge geleistet. Sie haben sich von Anfang an außerhalb dieser Beratung gestellt.
({5})
Sie haben sich auch außerhalb jeder Datenschutzregel gestellt. Das, was Sie verlangen, ist die Aufgabe jeglichen Datenschutzes. Es ist sehr interessant, einmal festzustellen, wie Sie das woanders, in anderen Ausschüssen, betreiben.
({6})
- Übrigens, Herr Ströbele, Sie machen eine ganze Menge unqualifizierter Zwischenrufe. Die GRÜNEN haben ja an sich selber eine Menge Forderungen gestellt, den gläsernen Abgeordneten zu verwirklichen. Sehr interessant, wie Sie das bei sich selbst verwirklichen.
({7})
Darf ich Ihnen einmal aus der „TAZ", einer Zeitung, die nicht zu meiner bevorzugten Lektüre gehört, etwas vorlesen?
({8})
Da steht zu lesen, daß Herr Christian Ströbele erklärt hat, man könne nicht einerseits gläserne Taschen für alle Abgeordneten fordern und sich dann an die selbst auferlegten Regelungen nicht halten. Wie steht es denn damit, Herr Kollege Schäubele?
({9})
- Ströbele natürlich. Im Baden-Württembergischen ist das „le" eine ganz freundliche Endsilbe, die Ströbele an sich nicht zusteht bei seinem Namen, denn so freundlich ist er ja nicht.
({10})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Fraktion DIE GRÜNEN seit 10 Uhr eine Pressekonferenz veranstaltet, bei der genau die Offenlegung, die Sie hier vermissen, mit allen Zahlen und mit allem, was Sie wünschen, erfolgt? Sie könnten daran teilnehmen.
Das hätten Sie dem Kollegen Herrn Mann erzählen müssen, als er seine Rede gehalten hat.
({0})
Wolfgramm ({1})
Er hätte dann eine ganz andere Rede halten müssen. Er hat die grüne Moral noch großartig vorgetragen. Herr Kollege Ströbele, wissen Sie, die Anforderungen, die Sie an andere richten und die Sie dann bei sich selbst nicht erfüllen,
({2})
vom Fliegen in der 1. Klasse oder der Nichtbenutzung der Flugzeuge, von der Nichtbenutzung der 1. Klasse der Bundesbahn, wie Sie vor Ihrem Einzug großartig getönt haben, über die Positionen Ihres großartigen Umweltministers, der dann das Gift, das er bei sich selber nicht lagern möchte, ins Ausland verschickt,
({3})
bis schließlich zu Ihren Äußerungen, daß Sie an einen Öko-Fonds abführen und dann feststellen, daß Ihre Mitglieder - jedenfalls große Teile davon - keinen Pfennig dafür spenden,
({4})
müssen Sie schon mal mit sich selbst ausmachen. Der ehrenwerte Rousseau hat davon einer sich selbst betrügenden Heuchelei gesprochen.
({5})
Ich möchte noch einmal festhalten: Wir haben bei unseren Verhaltensregeln eine Zäsur vorgenommen, nämlich zwischen Tätigkeiten unterschieden, die vor Annahme des Mandats, und solchen, die nach Annahme des Mandats ausgeübt werden. Ich halte das für eine grundsätzlich gute Zäsur. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch unser Gesetz und wird nur durch zwei Ausnahmen durchbrochen. Wir haben zum einen gesagt: Uns interessiert die Sache schon etwas früher, nämlich bei der Aufstellung als Kandidat. Wir haben da drei Positionen, u. a. Vorstandspositionen - auch Vorstandspositionen in ehrenamtlichen Gremien -, daran gebunden. Schließlich haben wir die Regeln noch verschärft, indem wir gesagt haben: Bei bestimmten Tätigkeiten - Verbandstätigkeit, Beratertätigkeiten und schließlich auch bei Vereinbarungen, die nach dem Auslaufen des Mandats eine neue Position garantieren - wollen wir das über die ganze Zeit hin wissen, also auch für die Zeit vor Beginn der Abgeordnetentätigkeit.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Suhr?
Ich möchte das zu Ende führen. Aber bleiben Sie bitte noch einen Augenblick stehen, Herr Kollege, wir werden gleich dazu kommen.
({0})
Der Präsident ist der Adressat der Informationen, die die Kollegen abgeben müssen. Er führt auch das Verfahren. Er unterrichtet die Fraktionsvorsitzenden. Alle Fraktionen sind also dabei beteiligt. Er veröffentlicht schließlich auch auf Wunsch des Betroffenen einen positiven Ausgang des Verfahrens. - Ein Wunsch übrigens, den Professor Hedergott bei der Anhörung sehr deutlich unterstrichen hat und dem wir gerne nachgekommen sind.
So, Herr Kollege, wenn Sie Ihre Frage noch im Auge und im Ohr behalten haben.
Herr Kollege Wolfgramm, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Fraktion der GRÜNEN in den letzten vier Jahren rund 5,5 Millionen DM Spenden aus den ihr eigentlich zustehenden Einkommen geleistet hat?
({0})
- Die Abgeordneten der Fraktion.
Wenn es so großartig ist, dann hätten Sie ja nicht Anlaß, jetzt extra, während das Plenum tagt, eine Pressekonferenz zu veranstalten und darüber zu reden, was Sie alles nicht eingehalten haben von Ihren Versprechungen. Sie müssen sich dabei schon an Ihren eigenen Maßstäben messen lassen.
({0})
Wir haben die nicht gesetzt, Sie haben die gesetzt, und Sie erklären hier, daß Sie Ausnahmen davon beanspruchen möchten.
({1})
So geht das nicht. Wenn man eigene Maßstäbe setzt, muß man sich selber daran halten.
({2}) Das ist der Punkt.
({3})
Sie haben in dieser ganzen Zeit zu den Dingen überhaupt nichts beigetragen. Wenn Sie mal intern eine Bilanz aufmachen, muß sie eine starke Depression bei Ihnen auslösen. Der Kollege Mann, dem ich bei der Beratung einiges zugetraut hätte - dazu ist er nach meiner Einschätzung fähig -, hat sich leider, weil Sie solche Beschlüsse haben, nur in Maximalforderungen ergangen, und er hat dabeigesessen und gehört, was andere für Beiträge geleistet haben, um dieses Werk voranzubringen. Sie haben nichts - gar nichts - dazu getan, um es voranzubringen, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Suhr?
Ich glaube, jetzt wollen wir mit der Fragerei mal Schluß machen; denn wir wollen auch zum Schluß der Rede kommen. An der Tatsache, daß sich die GRÜNEN nicht an ihre eigene Moral bzw. ihre eigenen Moralvorstellungen halten,
({0})
ändert das sowieso nichts mehr. Sie können dann
draußen der Presse mitteilen, welche Vorstellungen
Wolfgramm ({1})
Sie da noch entwickeln wollen, und diese wieder nicht einhalten.
({2})
Wie geht es jetzt in der Zukunft weiter? Wir haben einen wichtigen Punkt beim Abgeordnetengesetz, zweiter Teil, nicht behandelt, den Versorgungsausgleich. Den werden wir uns in der nächsten Legislaturperiode vornehmen. Das darf nicht der Diskontinuität unterliegen, ebenso wie die Vorstellungen des Kollegen Dr. Weng, auf die ich hier an dieser Stelle besonders hinweisen möchte, nicht der Diskontinuität unterliegen sollen, formal sicher, aber nicht inhaltlich. Wir werden diese Anträge gleich, wenn sich der Geschäftsordnungsausschuß des neuen Bundestages konstituiert hat, auf unsere Tagesordnung nehmen.
Jetzt möchte ich mich noch einer sehr angenehmen Pflicht entledigen. Manfred Schulte gibt seinen Vorsitz im Geschäftsordnungsausschuß ab, er legt sein Mandat im Deutschen Bundestag nieder, und es ist nicht nur Respekt, den ich ihm hier für die Freien Demokraten zollen möchte, es ist Dank, es ist auch die Zuneigung zu einem Vorsitzenden, der wirklich das, was ich mir unter „unparteiisch" vorstellen kann, engagiert zum Ausdruck brachte. Er hat sich unparteiisch engagiert, die Sache voranzutreiben.
({3})
Er hat wichtigen Anteil an dem Zustandekommen dieses Gesetzes, und ich meine, er kann auf Grund seiner Leistung und seiner Persönlichkeit dieses Haus ohne Bitternis verlassen. Das ist nicht jedem gegeben, aber er kann es tun. Ich wünsche mir, daß wir seinen Rat auch in den Hearings, die wir in der Zukunft haben werden, auf der anderen Seite oft hören werden. Ob wir ihn immer befolgen, lieber Manfred, ist eine andere Frage.
Ich darf aber auch einen herzlichen Dank an die Mitarbeiter sagen, Dr. Kretschmer, Herrn Nemitz und die anderen Kollegen, die mit nimmermüder Bereitschaft Ideen aufgenommen haben, die wir dann wieder verworfen haben, die wir dann wieder neu formuliert haben. Herr Nemitz hat das immer alles sorgfältig berechnet, was Herrn Bohl einmal zu der Anmerkung veranlaßt hat, daß man das wirklich nicht länger als 10 Minuten im Kopf behalten kann. Ich stimme ihm da zu, es ist wirklich sehr kompliziert. Die Regelungen sind tatsächlich kompliziert, und deswegen wird es ohne zusätzliche Kosten, wie Sie das im Gesetz sehen, auch nicht abgehen. Da steht nämlich: „Kosten: keine". Die Haushälter werden sich darauf einrichten müssen, daß da einige Planstellen eingestellt werden, damit das alles sorgfältig verarbeitet, abgehakt und vor allen Dingen beraten werden kann.
Nun möchte ich, weil es auch der Adventszeit entspricht, Ihnen eine kleine Anmerkung aus der Bibel nicht vorenthalten. Unter dem Psalm 1 ist das im Ersten Buch zu finden. Es heißt da:
Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht im Kreis der Spötter sitzt,
({4})
- das ist nicht auf Sie gemünzt, Herr Conradi; das wäre etwas zu anspruchsvoll, wenn Sie das auf sich beziehen wollten ({5})
sondern Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht ... Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen.
So wünsche ich das auch diesen Verhaltensregeln und bedanke mich für Geduld und Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier nicht für meine Fraktion, wenngleich einige Mitglieder meiner Fraktion meine Meinung teilen.
Der vorliegende Entwurf des Abgeordnetengesetzes und der Verhaltensregeln bringt zwar einige Verbesserungen, er erfüllt aber die hohen Forderungen nicht, die nach der Flick-Affäre 1984 erhoben wurden. Herr Geißler hat damals für die CDU den „Abgeordneten mit gläsernen Taschen" gefordert. Wo ist Herr Geißler heute? Warum spricht er hier nicht? Es ist kein guter Politikstil, in der Öffentlichkeit mit griffigen Formulierungen Aktivität vorzutäuschen, dann die Sache still zu beerdigen und zu hoffen, daß der Bürger das nicht merkt.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hat gesetzliche Vorkehrungen dagegen gefordert, daß Abgeordnete finanziell beeinflußt werden. Diesem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts entspricht § 9 der Verhaltensregeln nicht.
Auch die Anzeigepflicht für die Einkünfte ist höchst unbefriedigend geregelt. Von Öffentlichkeit ist da keine Rede mehr. Nur der Präsident darf erfahren, wer hier neben der Abgeordnetenentschädigung Geld von wem bekommt. Und selbst davon sind die Abgeordneten ausgenommen, die ihren Beruf weiter ausüben. Die Krankenschwester, der Installateur, die Lehrerin, der Feinmechaniker - das sind alles Berufsangaben aus unserem Handbuch - können ihren Beruf in der Regel nicht mehr neben dem Mandat ausüben und sind deshalb nicht gefährdet; aber der Architekt, der Journalist, der Betriebswirt und der Verleger können ihren Beruf sehr wohl neben dem Mandat ausüben und damit in Interessenkonflikte geraten. Es ist überhaupt nicht einzusehen, daß die Ausübung des gelernten Berufs von der Pflicht zur Anzeige der Einkünfte befreit.
({1})
Ich halte es für geradezu skandalös, daß die Rechtsanwälte völlig aus den Anzeigepflichten herausgenommen werden.
({2})
Meine Damen und Herren, der amerikanische Kongreß betrachtet die Anwaltstätigkeit seiner Mitglieder wegen der besonderen Interessenkonflikte sehr kritisch, und er hat sie besonders streng geregelt.
({3})
- Ich höre jetzt genau zu, wer hier Zwischenrufe macht. - Der Bundestag geht den entgegengesetzten Weg, Herr Kollege Kleinert: Weil die Rechtsanwälte besonders gefährdet sind, werden sie von sämtlichen Anzeigepflichten befreit. Wer als Anwalt in einer Miet- oder Strafsache tätig wird, der gerät damit noch nicht in einen Interessenkonflikt; das will doch hier niemand wissen, das ist doch nicht der Punkt. Es geht vielmehr um die anwaltliche Gutachter- oder Beratertätigkeit; und
({4})
diese bleibt hier außerhalb der Verhaltensregeln.
({5})
Es ist Augenwischerei, wenn behauptet wird, der Fall des Kollegen, der da über eine Frankfurter Anwaltskanzlei Bezüge der Firma Flick erhielt, sei mit den vorliegenden Verhaltensregeln abgedeckt. Das ist er eben nur, weil dieser Kollege kein zugelassener Rechtsanwalt war. Wäre er ein zugelassener Anwalt gewesen - wie etwa Graf Lambsdorff -, dann müßte er auch nach den neuen Regelungen weder diese Tätigkeit noch die Einkünfte daraus dem Präsidenten mitteilen.
({6})
Um was es geht, ist in der „Stuttgarter Zeitung" vom 25. Juli dieses Jahres auf Seite 1 nachzulesen.
({7})
- Sie werden jetzt zu Recht laut, weil ich gleich auf einen FDP-Abgeordneten komme. - Die Stuttgarter Zeitung hat damals über eine Pressekonferenz von Herrn Lambsdorff berichtet. Ich zitiere:
Lambsdorff richte sein Leben darauf ein, als FDP-Abgeordneter mit privatwirtschaftlichen Interessen
- das hätte ich im Protokoll gerne fett gedruckt unter Verstärkung seiner anwalts- und Vortragstätigkeit unabhängig arbeiten zu können.
({8})
Ein Schelm, dem sich dabei nicht Fragen aufdrängen: Wie hoch sind eigentlich die Tarife? Wird vorher oder nachher gezahlt? In bar oder mit Scheckkarte? Ich finde es schon eindrucksvoll, wie hier ein Abgeordneter den Grundsatz „Leistung soll sich lohnen" für sich praktiziert, und ich muß zugeben:
Adel verpflichtet. So offen wird das ja selten hier gesagt:
({9})
Wenn es „Liebe für Geld" gibt, warum soll es nicht auch „Politik für Geld" geben?
Herr Abgeordneter Conradi, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert?
Einen Moment muß er noch stehenbleiben.
Ich halte diese Haltung für ehrlicher als die Heuchelei der Konservativen.
Bitte.
Herr Kollege Conradi, glauben Sie ernsthaft, daß dieses Parlament die vernunfttreibenden Praxiskontakte entbehren kann und sich auf die Abgeordneten zurückziehen sollte, die beruflich nachweislich erfolglos sind?
({0})
Herr Kollege Kleinert, wir wollen keinesfalls auf die beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten von Abgeordneten verzichten, die auch als Mandatsträger ihren Beruf ausüben. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, daß Interessenkonflikte deutlich gemacht werden
({0})
und daß durch entsprechende Verhaltensregeln verhindert wird, daß ein Abgeordneter sein Mandat privatwirtschaftlich ausübt. So wie Herr Lambsdorff es versteht, war das Mandat nicht gedacht.
({1})
Herr Abgeordneter Conradi, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Bohl?
Nein.
({0})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Bohl, Sie haben recht. Sie haben meine auch zugelassen. Wenn der Herr Präsident es mir auf die Zeit nicht anrechnet, gerne.
Ich rechne es Ihnen nicht an.
Danke vielmals.
Herr Conradi, würden Sie mir denn zustimmen, daß der Fall, den Sie hier zu konstruieren versuchen, daß nämlich ein Abgeordneter während der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag eine Vortrags- oder Gutachtertätigkeit aufnimmt, durchaus zu der Schlußfolgerung führt, daß
auch er die Höhe seines Einkommens beim Präsidenten des Deutschen Bundestages angeben muß?
Es spricht vieles dafür, Herr Kollege. Ich erinnere mich an einen jungen Abgeordneten meiner Fraktion, der mit einer bestimmten Technologie befaßt war und mir, kurz nachdem er hierherkam, sagte, ein Industrieverband, der an dieser Technologie interessiert sei, habe ihm eine Gutachter- und Vortragstätigkeit angeboten zu Honoraren, die er für überhöht erachte. Ich habe ihm dann geraten, das nicht zu machen. Ich halte solche Fälle für durchaus gegeben.
({0})
- Nein, als Anwalt muß er das nicht angeben. Er muß es auch nicht angeben, wenn es in seine frühere Berufstätigkeit fällt. Sie müssen das dann schon einmal nachlesen.
({1})
- Eben, es war kein Anwalt. Aber wenn es einer wäre wie Sie, dann müßte er es j a nicht angeben, Herr Kleinert.
({2})
Ich bleibe dabei: Das Volk hat Anspruch darauf zu erfahren, ob und von wem und für was die von ihm gewählten Volksvertreter neben den Diäten Géld bekommen.
({3})
Ich bleibe dabei: Die übergroße Mehrheit dieses Hauses ist nicht käuflich. Aber leider gelingt es dieser Mehrheit nicht, Verhaltensregeln durchzusetzen, die Abhängigkeiten, Einkommen und Vermögen offenlegen und damit die Abgeordnetenbestechung erschweren und die Unabhängigkeit der Abgeordneten stärken. Die Tatsache, daß eine Minderheit von „Abgeordneten mit privatwirtschaftlichen Interessen" solche Verhaltensregeln bisher verhindern kann, schadet dem Ansehen des Parlaments und dem Ansehen der Republik.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war weder von meiner Fraktion für diese Debatte als Redner vorgesehen noch hatte ich die Absicht, zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort zu ergreifen. Aber mir ist unwohl bei dem Gedanken, daß es mit diesen Schlußbemerkungen in dieser Debatte sein Bewenden haben soll,
({0})
und zwar nicht deswegen, Herr Kollege Conradi, weil ich die Position nicht respektieren würde, die Sie hier bezogen haben, sondern weil ich nicht in Ordnung finde, daß Sie hier den Anspruch moralischer Überlegenheit für eine Position erheben, die auf ihre Zweckmäßigkeit in sehr sorgfältigen, sehr
langwierigen und, wie ich finde, auch sehr verantwortungsvollen Beratungen überprüft worden ist.
({1})
Sie haben, Herr Kollege Conradi - das halte ich Ihnen zugute -, an den Beratungen eben nicht teilnehmen können, die im Geschäftsordnungsausschuß über viele Monate zu diesem Thema stattgefunden haben.
Ich möchte deshalb nur noch einmal verdeutlichen, daß wir diese Diskussion auf der Basis von zwei Gesetzentwürfen der Koalition bzw. der Opposition begonnen haben, die in diesen Ausschußberatungen in einem erheblichen Umfang verändert worden sind, was die Gründlichkeit der Beratungen offensichtlich dokumentiert. Ich denke, es gehört auch zur Vollständigkeit der Beschreibung dieses Beratungsprozesses hinzu, daß sich wenige Monate nach der Eröffnung dieser Diskussion durch die Vorlage von Gesetzentwürfen der Fraktionen in dem Hearing, das der Ausschuß zu diesem Thema öffentlich durchgeführt hat, das öffentliche Interesse an diesem Thema darin ausgedrückt hat, daß so gut wie niemand von der Öffentlichkeit an diesen Beratungen noch Anteil nahm. So schnell wechseln die Konjunkturen in der Befassung mit diesem Thema und des Interesses an ihm.
Abschließend will ich darauf hinweisen, daß die überwiegende Mehrheit aller Gutachter, die uns bei diesem Hearing sachkundig machen sollten
({2})
- beispielsweise die GRÜNEN, wie die anderen Fraktionen auch -,
({3})
uns dringend vor gesetzlichen Regelungen dieser Materie mit dem Hinweis gewarnt hat, daß die bisherige Praxis eigentlich allenfalls eine stärkere Disziplin und Kontrolle, nicht aber eine gesetzliche Veränderung der Regeln zweckmäßig erscheinen lasse.
Danke schön.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, darf ich dem Hause mitteilen, daß die Abgeordneten Rudolf Bindig, Dr. Ingomar Hauchler, Michael Müller und Dr. Peter Struck jeweils eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben haben.*)
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung, zunächst über Tagesordnungspunkt 2 a: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Änderung des Abgeordnetengesetzes auf Drucksache 10/5734
*) Anlagen 2 bis 5
Präsident Dr. Jenninger
in der Ausschußfassung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
({0})
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 2 b und 2 c, und zwar über die Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Fraktion der SPD zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - betreffend die Verhaltensregeln - auf den Drucksachen 10/3544 und 10/35571
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6687 unter Nr. 1, diese beiden Gesetzentwürfe als Sechstes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes in der aus der Anlage 1 ersichtlichen Fassung anzunehmen.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Stimmenthaltung mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei einer Stimmenthaltung mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 2d ab, über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Änderung der Geschäftsordnung.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6687 unter Nr. 2, die Anlage 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der Fassung vom 2. Juli 1980 gemäß dem aus der Anlage 2 ersichtlichen Antrag des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung neu zu fassen und am 1. Februar 1987 in Kraft zu setzen.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
*) Zu Protokoll gegebene Rede des Abg. Schulte ({1}) siehe Anlage 6.
Ich rufe nun Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2})
zu dem Bericht der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform
zu den Anträgen zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu dem Entschließungsantrag zu dem Bericht der Ad-hoc-Kommission „Parlamentsreform"
zu dem Bericht der Enquete-Kommission „Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen; Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung" - zur Institutionalisierung einer Beratungskapazität für Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim Deutschen Bundestag
- Drucksachen 10/3600, 10/3725 ({3}), 10/3726 ({4}), 10/3727 ({5}), 10/3728 ({6}), 10/3729 ({7}), 10/3730 ({8}), 10/4740, 10/4218, 10/5844, 10/6688 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Lammert Dr. Schwenk ({9})
Dr. Kübler
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche für meine Fraktion, ich spreche aber auch für die überfraktionelle Initiative Parlemtentsreform, und ich hoffe, daß ich in der vorgesehenen Zeit das eine mit dem anderen verbinden kann.
110 Abgeordnete aus allen Fraktionen haben in dieser Legislaturperiode einen gelegentlich als provozierend empfundenen Anlauf zur Parlamentsreform versucht. Dabei ging es und geht es uns nicht um diese oder jene technische Änderung unserer Arbeitsabläufe, es geht uns vielmehr zuerst und vor allem um die grundsätzliche Besinnung auf unseren Verfassungsauftrag und um seine Ausgestaltung in der parlamentarischen Arbeit.
Unser nun bald 40jähriges Grundgesetz, meine Damen und Herren, setzt Verfahrens- und Verhaltensmaßstäbe für alle institutionellen, gesellschaftlichen und persönlichen Formen des Zusammenlebens. Es setzt sie auch für den Bundestag als Gesetzgeber, als die erste Gewalt im Staate. Mit dem Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes wird uns als Vertreter des ganzen Volkes ein klarer Auftrag erteilt. Wir sollen gewissenhaft persönliche Mitverantwortung tragen im Reden und Handeln, bei Wahlen und Abstimmungen, das heißt bei allem, was wir tun und lassen, ohne dabei an Aufträge und Weisungen gebunden zu sein.
So einfach und klar das ist, Kollegen, so unendlich schwer ist das zu praktizieren. Jeder von uns kann ein Lied davon singen, sein persönliches Lied, viele Lieder insgesamt. Meist tun wir das im stillen Kämmerlein. Wir empfinden unsere Unmündigkeit, unser Ungenügen, die Zwänge. Wie oft kapitulieren wir vor diesem unserem Verfassungsauftrag!
Unsere Frage lautet also: Wie wollen wir es mit dem Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes halten, ihn ignorieren, tabuisieren, wegstecken, wie es hier im Jargon heißt, das Grundgesetz in eigener Sache einfach nicht zur Kenntnis nehmen?
Ziel unserer Initiative war und ist es, eine offene Klärung herbeizuführen, das Spannungsverhältnis zwischen dem allbeherrschenden Art. 21 des Grundgesetzes und jenem darüber verkümmerten Verfassungsauftrag des Art. 38 offenzulegen und letzteren ehrlicher als bisher, konkreter als bisher und unbefangener bei der parlamentarischen Mitwirkung auszuüben.
({0})
Unser Ziel ist es nicht, meine Damen und Herren Geschäftsführer und liebe Freunde, die notwendige und unerläßliche Einbindung in unsere Fraktionen, wie sie aus dem Art. 21 abgeleitet wird, in Frage zu stellen oder gar ein Parlament von 520 Einzelkämpfern zu werden. Wohl aber ist es unser Ziel, durch die Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten den konstitutiven Auftrag des Grundgesetzes mit parlamentarischem Sinn und Leben zu erfüllen, die bisher nicht ausreichend praktizierte Kontrollfunktion des Parlaments zu stärken und damit das Ansehen der repräsentativen Demokratie insgesamt durch persönliches Engagement zu verbessern.
({1})
Meine Damen und Herren, der bisherige Abschnitt V der Geschäftsordnung - „Pflichte und Rechte der Abgeordneten" - dokumentiert in erschreckender Weise - lesen Sie ihn einmal nach - Ohnmacht und Unmündigkeit des einzelnen Abgeordneten. Im Einzelfall mag das im Hinblick auf unsere Inbeschlagnahme durch Art. 21 zu Spannungen führen, sie dürfen weder ignoriert noch wegsanktioniert werden, sie müssen vielmehr ausgehalten, wenn nötig, ausgetragen werden. Liebe Kollegen, das schadet nicht dem Ansehen unseres Parlaments, dies gereicht ihm immer zur Ehre.
In diesem Sinne ist die überfraktionelle Initiative Parlamentsreform im April 1984 mit 24 Vorschlägen angetreten, die ich aus Zeitgründen nicht wiederholen kann. Ich kann auch nicht alles wiederholen, was wir getan und versucht haben. Insgesamt aber haben wir das gesteckte Ziel leider nicht erreicht. Dabei scheiterte die Initiative nicht am offenen Widerstand, sondern am subtilen Management der im Hohen Hause Mächtigen. Mehr als einmal drohten alle Anstrengungen im Sande des Parlamentsgetriebes zu verlaufen. Der gescheiterte Versuch einer Kabinettsberichterstattung kommt einer schweren
Niederlage des Parlaments gegenüber der Regierung gleich.
({2})
Sie signalisiert unsere Schwäche und unser unzureichendes Selbstbewußtsein. Das darf nicht so bleiben.
Nun aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, winkt heute zu guter Letzt doch noch ein konkretes Ergebnis, nicht ein spektakulärer Durchbruch, wohl aber errichten wir mit der überfälligen Aufnahme des Wortlauts des Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes in unsere Geschäftsordnung doch einen ersten Meilenstein auf dem Wege zu einer Parlamentsreform.
Mit der Selbstverpflichtung zur Weiterarbeit in der nächsten Legislaturperiode geben wir, wie wir hoffen, ein deutliches Signal. Dann aber bitte weniger lustlos daran arbeiten, sondern zielstrebiger und gewissenhafter!
Sicher ist die nun vorgeschlagene Ergänzung der Geschäftsordnung noch kein Garantieschein für eine Neubesinnung auf unseren Verfassungsauftrag. Sie ist nicht mehr als ein Angebot, eine Herausforderung, für manche vielleicht ein Ärgernis oder gar eine Torheit. Eine Leerformel soll die Ergänzung bestimmt nicht sein. Dafür werden wir sorgen. Schon eher sollte sie eine Lehrformel für die Rechte und Pflichten des Abgeordneten werden. Vielleicht kann sie sogar zu einer traditionsbildenden Lernformel werden, trotz aller Mühsal dieses Vorhabens.
({3})
Ich gestehe, daß ich für das heutige Ergebnis dankbar und darüber froh bin, dankbar den Freunden und Mitstreitern, die trotz gelegentlicher Resignation und leider auch gelegentlicher Pression seitens der Fraktionsoberen durchgehalten haben, dankbar dem Vorsitzenden des Geschäftsordnungsausschusses und seinem Stellvertreter, Manfred Schulte und Norbert Lammert, dankbar auch den Skeptikern und den Kritikern unserer Bemühungen - durch sie haben wir viel dazugelernt -, dankbar einer am Thema Parlamentsreform zunehmend interessierten Öffentlichkeit und dankbar in dieser Stunde vor allem Rainer Barzel, ohne dessen Starthilfe und Unterstützung die Initiative Parlamentsreform das Licht der parlamentarischen Öffentlichkeit wohl kaum erblickt hätte.
({4})
Mein Wunsch, meine Hoffnung in dieser Stunde, Herr Präsident, meine Damen und Herren: wir sollten uns vornehmen, uns bis zum Jahre 1989, dem Jahr des 40jährigen Bestehens unseres Grundgesetzes und des Deutschen Bundestages, eine Parlamentsordnung zu schaffen, die aus dem Geist des Art. 38 Abs. 1 lebt, eine Ordnung, mit der wir dem an uns gerichteten Verfassungsauftrag besser als bisher gerecht werden können.
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist nun um mehr als zwei Minuten überschritten. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Beweisen wir doch gerade in eigener Sache Mut zum Grundgesetz! Ich zitiere noch Karl Carstens nach seiner Wahl zum Bundestagspräsidenten. Er sagte: Der Art. 38 Abs. 1 ist die Magna Charta unserer Parlamentsarbeit. Das Geheimnis aber der Wirkkraft der britischen Magna Charta ist eben, daß sie nicht nur bei festlichen Gelegenheiten beschworen wird, sondern daß sie im politischen Alltag lebendig ist, anwendbar und dadurch glaubwürdig wird. Das ist es, worauf wir uns mit der Übernahme des Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes in unsere Geschäftsordnung wirklich einlassen sollten.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwenk.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt umfaßt vier Themen, die alle einer breiteren Erörterung würdig gewesen wären. Aber, Frau Kollegin, genau das ist es, worüber wir immer wieder zu klagen haben, daß das Zeitbudget dieses Hauses so knapp ist, daß wichtige Punkte nicht so ausführlich behandelt werden können, wie wir das wünschen. Auch auf der heutigen Tagesordnung stehen zahlreiche weitere Punkte, zu denen eine Debatte durchaus angebracht wäre,
({0})
die aber nicht gehalten werden kann, weil die Parlamentswochen zu Ende gehen.
({1})
Wir stehen allerdings auch vor der Notwendigkeit,
insbesondere soweit wir Wahlkreisabgeordnete
sind, ..
({2})
Meine Damen und Herren! Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner.
... in unserem Wahlkreis zu sein, nicht etwa, um uns irgendwo zur Schau zu stellen, sondern um das Gespräch mit den Bürgern zu pflegen. Ich würde mich hier kaum von einem der vielen tüchtigen Regierungsbeamten unterscheiden können, wenn ich nicht den ständigen Kontakt mit den Bürgern meines Wahlkreises in vielfältiger Hinsicht hätte. Das ist durchaus sehr zeitraubend, und deshalb ist das Zeitbudget in diesem Parlament schwer zu erweitern.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch kurz über die Erfahrungen berichten, die wir vom Geschäftsordnungsausschuß auf unseren Auslandsreisen gesammelt haben, die zu Unrecht kritisiert worden sind. Denn wir haben die Pflicht, über die Grenzen zu sehen und in Erfahrung zu bringen, was andere tun. Dabei fiel mir auf, daß andere Parlamentarier eher unseren Rat bezüglich der Gestaltung der Beratungen suchten, als daß sie uns ihrerseits noch viele Ratschläge zur Neubelebung unserer Arbeit hätten geben können, soweit es nicht die Ausweitung der technischen Möglichkeiten betraf.
Dieses Haus ist nun einmal ein Arbeitsparlament. Wir sind manchmal zu sehr in Papier vertieft, aber wir bemühen uns, die Anforderungen der Zeit an uns zu erfüllen und mit den notwendigen Gesetzgebungsschritten zu antworten. Das sind Zwänge, denen wir unterliegen, so gern wir selbst alle - ich auch - mehr Zeit zur Debatte, auch mehr Zeit zur Ausschußberatung haben würden. Das heißt, daß Parlamentsreform eine ständige Aufgabe ist. Das muß allerdings auch heißen, daß der Bericht der Ad-hoc-Kommission neben den begleitenden Anträgen in der nächsten Legislaturperiode aufgegriffen werden muß. Ich empfehle: zu Beginn, solange neue Regierungsvorlagen das Parlament noch nicht „verstopfen".
Der Bundestag muß die Erkenntnisse, die technischen Ressourcen, die entwickelt werden, auch für sich selbst nutzbar machen, aber auch die Chancen und Risiken all dieser Entwicklungen einfangen. Deshalb will ich noch einmal mit Betonung darauf hinweisen, daß es ein Anliegen für uns ist, die Arbeit der Enquete-Kommission TechnologiefolgenAbschätzung fortzusetzen und den bisher aufgebauten Apparat zu erhalten, damit er nicht verlorengeht. Wir werden hierzu noch eine Erklärung abgeben, zu der mein Kollege Vahlberg noch das Wort nehmen wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird, gerne.
Ich rechne es Ihnen nicht an.
Danke.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege Schwenk, würden Sie mir zustimmen, daß es den Abgeordneten, die in den Fraktionen nicht in Funktionen tätig sind und die zusammen mit ihren Mitarbeitern in einem Zimmer arbeiten müssen, nicht zumutbar ist, noch diese neuen technischen Geräte, obwohl es notwendig ist, aufzustellen - denn sonst bleibt in den kleinen Räumen von 10 oder 12 Quadratmetern überhaupt kein Platz mehr -, und daß es besonders wichtig wäre, die Arbeitsverhältnisse der Abgeordneten zumindest räumlich erst einmal so auszugestalten, daß wir nicht so oder wesentlich schlechter als ein Amtsrat oder Obersekretär bei der Post oder bei der sonstigen Verwaltung dasitzen?
Herr Kollege, es gibt auch in den öffentlichen Diensten immer noch sehr viele beengte Raumverhältnisse. Aber jeder von uns weiß, daß es auch ganz andere Räumlichkeiten für Leute gibt, die mehr, weniger oder gleich viel Verantwortung und Arbeitslast zu tragen haben wie wir. Es ist dringend nötig, daß Räumlichkeiten hinzuDr. Schwenk ({0})
kommen, damit die Abgeordneten und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ungestört arbeiten können und nicht durch Schreibmaschinengeklapper, Telefongespräche und anderes mehr aufgehalten werden. Dadurch gehen viel Arbeitszeit und -kapazität verloren.
({1})
Hier gibt es einen Nachholbedarf. Das Parlament muß mit der gesamten Entwicklung der Gesellschaft Schritt halten können. Schritt halten. Sonst verselbständigen sich Entwicklungen, die wir dann nicht mehr verantworten könnten. Das ist ebenfalls eine ständige Aufgabe, der wir uns unterziehen müssen. Ich wünsche dem nächsten Bundestag dabei nicht nur Fleiß und Einsatz, sondern vor allem auch Erfolg.
Abschließend: Die Verbesserung, die hier für § 13 der Geschäftsordnung vorgeschlagen worden ist, begrüßen wir. Es muß immer wieder dargestellt werden, daß der Abgeordnete, die Abgeordneten dieses Hauses, das Parlament die Verantwortung für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung in diesem Land trägt. Dafür braucht der Abgeordnete die Unterstützung durch die Geschäftsordnung, gestützt auf unser Grundgesetz, damit er seine Aufgabe mit freiem Rücken wahrnehmen und vor der Geschichte auch bestehen kann.
Ich bitte, entsprechend zu beschließen. Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Rusche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist eine verbundene Debatte mit vier Themen, wir haben alle nur fünf Minuten zu reden. Ich möchte mich vorwiegend auf eines von diesen vier Themen konzentrieren.
Im Bundestagsbeschluß vom 20. April 1984, der zur Bildung der Ad-hoc-Kommission „Parlamentsreform" führte, heißt es u. a.:
Der Deutsche Bundestag hält es ... für erforderlich, seine Arbeitsweise und öffentliche Wirksamkeit als unmittelbar vom Volke gewähltes Verfassungsorgan zu verbessern.
Eine solch löbliche Einsicht wäre geeignet, den Bundestag von Jubelparlamenten aus Geschichte und Gegenwart, die zur Selbstkritik nicht willens oder nicht in der Lage sind bzw. waren, zu unterscheiden. Diese Einsicht dokumentiert aber auch ein gewisses Unbehagen; denn wann immer man mit Besuchergruppen oder mit Leuten im eigenen Wahlkreis spricht, so ist es um das Ansehen dieses Parlaments gar nicht so gut bestellt, wie das zur Debatte stehende Papier den Anschein gibt.
({0})
Der „Bild"-Zeitung-lesende Parlamentarier, der gähnend in einem gähnend leeren Plenarsaal hockt, der mit zahlreichen Privilegien ausgestattete Volksvertreter, dessen Volksnähe sich häufig auf die Eröffnung von Schützenfesten oder Weihnachtsbasaren beschränkt, wirkt auf den Wähler im günstigsten Falle provozierend. Im schlimmsten Falle aber verstärkt er die Einstellung - die in j ahrhundertelangen Erfahrungen mit den Trägern von Privilegien entstanden sind -: Die da oben machen eh was sie wollen. Dies ist ein Satz, der demokratischem Geist nicht nur zuwiderläuft, sondern die Verwirklichung von Demokratie grundsätzlich unmöglich macht.
Die eigentlichen Probleme liegen aber tiefer und sind von grundsätzlicher Natur. Solange der Bürger alle vier Jahre, das ist zumindest die Regel, ein Kreuzchen machen darf und dann für vier Jahre zum Beobachter der Szenerie wird, kann Demokratie nicht zum tragenden Bewußtsein der Bevölkerung werden. Zudem ist es ja mit dem Kreuzchen eine fatale Sache:
({1})
Wer einer Partei seine Stimme gibt, weil sie ihm wirtschaftliches Wohlergehen verspricht, muß noch lange nicht für Wettrüsten und Amerikahörigkeit sein. Wer durch seine Entscheidung bei der Wahl auf sichere Renten hofft, muß noch lange nicht mit dem Abbau sozialer Leistungen in anderen Gebieten einverstanden sein.
({2})
Wir fordern daher ein Mehr an direkter Demokratie, ein Mehr an unmittelbarer Einflußnahme der Bevölkerung auf die Entscheidungen des Bundestages und seiner Mitglieder. Wir denken hierbei an Volksentscheide, aber auch an eine Verpflichtung des Abgeordneten, seinen Wählern häufiger Rede und Antwort zu stehen und deren Entscheidungen im Parlament zu vertreten.
({3})
All dies kann man sich natürlich nur schwer vorstellen - in Sachen Parlamentsreform sind wir Vorreiter, mein lieber Herr Kollege ({4})
wenn man sich die Zusammensetzung dieses Parlaments anschaut. Das allgemein bekannte und auffällige Bild besteht darin, daß die überwiegende Mehrzahl der Parlamentarier Männer sind, zudem Männer mit Abitur bzw. abgeschlossenem Hochschulstudium.
({5})
Ein solches Parlament kann ja wohl unmöglich für sich in Anspruch nehmen, die Bevölkerung zu repräsentieren oder Sprachrohr der Bevölkerung zu sein. - Frau Berger, Sie fragen mich, was ich gegen Männer habe. Ich habe nichts gegen Männer, aber ich mag auch Frauen sehr gerne. Ich bin hier sehr gerne mit Frauen zusammen, viel lieber als mit manchen Männern.
({6})
Zu viele Gruppen bleiben ungehört durch diese Repräsentation oder sind gezwungen, darauf zu hoffen, daß ihre Interessen von anderen artikuliert werden, als wenn sie keine eigene Stimme hätten. Hier ist der Versuch der GRÜNEN, die vielfältig betroffenen Gruppen mit eigenen Vertretern ins Parlament zu schicken, ein nachahmenswertes Beispiel, obwohl die Akademikerflut auch bei den GRÜNEN sehr groß ist,
({7})
zu meinem Bedauern.
Eine andere Sache, in der die GRÜNEN auch versuchen, anders zu sein, ist das Berufspolitikertum: Über 100 Abgeordnete sind schon länger als acht Jahre im Amt, immerhin über 80 schon länger als zwölf Jahre. Wer zehn Jahre oder mehr in diesem „Raumschiff Bundestag" offen hat, der läuft Gefahr, längst jeden Bodenkontakt verloren zu haben.
({8})
Meine Fraktion bedauert, daß die Arbeit der Adhoc-Kommission - wie so vieles andere auch - in dieser Legislaturperiode keine abschließende und bessere Behandlung gefunden hat.
({9})
Wir drücken unser Bedauern aus. - Frau Hamm-Brücher, ich habe Ihre Initiative unterstützt.
Die katholische Fundamentaltheologie sagt, Ecclesia semper reformanda - die Kirche ist ständig zu reformieren.
({10})
Leider zeigt diese Einsicht in der katholischen Kirche nicht immer eine praktische Umsetzung. Ich hoffe aber, daß das in diesem Parlament irgendwann möglich sein wird.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bei der letzten Beratung dieses Tagesordnungspunktes leichtfertigerweise die Vermutung geäußert, daß sich der Umzug des Deutschen Bundestages ins Wasserwerk nachträglich vielleicht als der bislang durchgreifendste Beitrag zur Parlamentsreform herausstellen könnte. Ich gebe heute kleinmütig zu Protokoll, daß ich auch diese Hoffnung inzwischen fast aufgegeben habe; denn auch auf dieser „Studiobühne", die sich ja in der räumlichen Anordnung kaum von dem früheren Plenarsaal - außer im Maßstab - unterscheidet, wird nach wie vor zuviel geredet und zuwenig debattiert.
({0})
Deswegen wünsche ich mir sehr, daß diese Erfahrung bei dem Tagesordnungspunkt, den wir als nächsten gleich behandeln werden, einen gebührenden Stellenwert einnehmen möge.
Wir haben in dieser Legislaturperiode begonnen - nicht zuletzt dank des großen persönlichen Einsatzes von Rainer Barzel -, uns mit der Frage nach der Arbeitsweise des Bundestages in einer sehr viel grundsätzlicheren Weise zu befassen, als das in früheren Jahren der Fall war. Es ist zu Recht angemerkt worden, daß wir mit dieser selbst gesetzen Aufgabenstellung in dieser Legislaturperiode nicht zu Ende gekommen sind. Das kann aber insofern nicht überraschen, als es für diese Art von Aufgaben ein fixierbares Ende ohnehin nicht gibt. Insofern gibt der Geschäftsordnungsausschuß in seinem Bericht nur zu Protokoll - diese Überzeugung teilen wir sicher alle miteinander -, daß dies eine Daueraufgabe des Parlaments bleibt. Wir sollten uns gemeinsam vornehmen, die in dieser Legislaturperiode aufgenommenen Fragestellungen und begonnenen Aufgaben in der nächsten Legislaturperiode wieder aufzugreifen. Dabei möchte ich uns eigentlich auch ermuntern, eine Reihe der vorschnell abgebrochenen Experimente, mit denen wir in dieser Legislaturperiode begonnen hatten, erneut zur Diskussion zu stellen.
({1})
Ich will beispielhaft nur die Kabinettsberichterstattung nennen, die bei den wenigen Probeläufen in der Tat nicht überzeugend war. Das ist aber auf erkennbare Defizite sowohl auf der Seite der Exekutive wie auch der Legislative, wie auch der publizistischen Kommentierung dieses Vorgangs zurückzuführen.
Wir haben in dieser Legislaturperiode gleichwohl eine Reihe von Dingen erledigen können. Dazu gehört auch ein Punkt, der heute nicht auf der Tagesordnung steht, nämlich die Vorlage eines Gesetzentwurfes für das Verfahren von Untersuchungsausschüssen. Dieser Entwurf ist inzwischen als Gruppenantrag eingebracht worden. Seit vielen Jahren - um nicht zu sagen: seit Beginn des Deutschen Bundestages - gibt es die ständige Klage darüber, daß wir zwar laufend Untersuchungsausschüsse einsetzen, uns aber über die rechtlichen Voraussetzungen und Bedingungen der Arbeit dieser Ausschüsse bis heute untereinander nicht haben verständigen können. Ich glaube, daß hier ein wichtiger Diskussionbeitrag vorgelegt worden ist. Ich danke insbesondere - sicherlich auch im Namen der Kollegen des Geschäftsordnungsausschusses, die daran über zwei Legislaturperioden gearbeitet haben - den Mitgliedern des Präsidiums für ihre Bereitschaft, diesen Entwurf auch mit ihrer Unterschrift zu versehen.
Die Einsetzung eines neuen Untersuchungsausschusses heute abend böte eigentlich eine gute Gelegenheit, einmal abweichend vom bisherigen Verfahren den Beschluß zu fassen, auf dieser Basis die Arbeit des Untersuchungsausschusses durchzuführen.
({2})
- Sicher, wir reden hier doch über die Innovationsfreudigkeit des Parlaments im Umgang mit seinen eigenen Regeln. Deswegen wollte ich mir diese Bemerkung doch nicht verkneifen,
({3})
zumal die Regeln, auf die die Opposition bei ihrem Einsetzungsantrag, der heute abend behandelt wird, Bezug nimmt, genausowenig je Gesetz geworden sind wie der Antrag, den wir - ganz jung, über alle Fraktionen hinweg - vor wenigen Tagen im Deutschen Bundestag eingebracht haben.
Letzte Bemerkung: Wenn wir uns weiterhin der Aufgabe widmen, uns mit dem Parlament und seiner Arbeitsweise auseinanderzusetzen, sollten wir uns von der Vorstellung lösen - ich sage das deswegen bewußt, weil wir bei dieser Tagesordnung heute auch die Geschäftsordnung förmlich ändern -, das eigentliche Problem seien Rigiditäten in der Geschäftsordnung. Ich halte das für eine Fehleinschätzung. Ich sehe keine einzige Bestimmung in der Geschäftsordnung, die mich oder irgendeinen anderen Kollegen darin hindern würde, von der Verfassungsgarantie Gebrauch zu machen, Frau Hamm-Brücher, die im Grundgesetz steht: der Unabhängigkeit der Abgeordneten von Weisungen und Aufträgen.
({4})
Wir haben die Ergänzung der Geschäftsordnung um diesen Hinweis vorgeschlagen, weil in der Tat nicht einzusehen ist, warum das nicht auch Bestandteil der Geschäftsordnung sein sollte. Aber zu meinen, dadurch, daß man eine in der Verfassung ohnehin verankerte Bestimmung in der Geschäftsordnung wiederholt, verändere sich das Verhalten der Parlamentarier, das halte ich für eine Fehleinschätzung des eigentlichen Problems.
({5})
Deswegen empfehle ich uns: Laßt uns die Arbeit fortsetzen, laßt uns darüber nachdenken, wo wir tatsächlich Verfahrensweisen verändern müssen, wo wir vielleicht auch experimentieren müssen. Aber laßt uns dabei immer im Bewußtsein behalten, daß es letztlich auf unser persönliches Format ankommt und nicht auf die Formulierung dieser oder jener Bestimmung in der Geschäftsordnung.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 10/6688. der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6688 unter Nr. 1, den Bericht der Ad-hoc-Kommission „Parlamentsreform" zur Kenntnis zu nehmen.
Der Abgeordnete Vahlberg gibt eine persönliche Erklärung nach § 31 ab. Geben Sie diese Erklärung mündlich oder zu Protokoll?
({0}) - Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Erklärung zur Arbeit der Enquetekommission „Technologiefolgenabschätzung" abgeben. Ich werde zusammen mit den anderen Mitgliedern meiner Fraktion in der 11. Legislaturperiode beantragen, daß die Arbeit der Enquetekommission „Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen; Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung" fortgesetzt wird. Wir gehen auf Grund der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung davon aus, daß dies auch die anderen Fraktionen beabsichtigen. Insbesondere werden wir uns für die rasche Institutionalisierung einer ständigen Technikfolgenabschätzungs- und -bewertungskapazität in der Bundesrepublik einsetzen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Bericht der Ad-hoc-Kommission „Parlamentsreform". Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltung. Diese Empfehlung ist einstimmig angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 10/6688 unter Nr. 2 und 3 eine Änderung des § 13 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Wer dieser Änderung zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Ergänzung der Geschäftsordnung ist ebenfalls einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, zu den übrigen Anträgen und Empfehlungen zur Änderung der Geschäftsordnung verweise ich auf den Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 10/6688. Danach tritt der Ausschuß dafür ein, daß die Anliegen der Antragsteller in der kommenden Wahlperiode gründlich beraten und einer geeigneten Lösung zugeführt werden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Weng ({0}), Dr. Laufs, Kühbacher, Dr. Hirsch, Dr. Müller ({1}), Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Baum, Bredehorn, Broll, Dr. Feldmann, Dr. Friedmann, Gattermann, Grünbeck, Grüner, Dr. Haussmann, Hoffie, Kleinert ({2}), Kohn, Dr. Graf Lambsdorff, Möllemann, Nehm, Neuhausen, Purps, Schäfer ({3}), Frau Dr. Segall, Sieler, Frau Simonis, Dr. Solms, Suhr; später beigetreten: die Abgeordneten Lowack, Clemens, Dr. Schöfberger, Frau Dr. Hamm-Brücher, Immer ({4}), Borchert, Frau Eid, Frau Zutt, von Hammerstein, Pauli, Voigt ({5}), Frau Weyel ({6})
Vizepräsident Dr. Stücklen
Neubauten des Deutschen Bundestages
- Drucksache 10/5357 -
Überweisungsvorschlag: Ältestenrat
b) Beratung des Antrags des Abgeordneten Werner ({7}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Umbau des Plenarsaals des Deutschen Bundestages und weitere Bauplanungen im Bereich der Bundestagsgebäude
- Drucksache 10/5391 Überweisungsvorschlag: Ältestenrat
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunkts 4 a und b 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zwei kurze Vorbemerkungen.
Zum ersten: Ich spreche heute natürlich nicht für meine gesamte Fraktion. Das kann bei einem solchen Thema meines Erachtens auch nicht der Fall sein, bei dem jeder einzelne Abgeordnete seine persönliche Entscheidung treffen muß.
Zum zweiten: Ich spreche auch inhaltlich nicht für alle Kollegen, die den Antrag auf Drucksache 10/5357 unterschrieben haben. Unser gemeinsames Anliegen war, das Thema Neubeuten des Deutschen Bundestages entsprechend dem aus der 9. Wahlperiode vorliegenden Beschluß wieder zum Thema dieses Plenums zu machen und es damit aus den Kommissionen herauszuholen.
Ich bin allen Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar dafür, daß sie trotz gewisser Beeinflussungsversuche standgehalten haben und wir heute wenigstens einmal über unsere Vorstellungen diskutieren können. Das Thema wird auf der Tagesordnung auch des nächsten Bundestages bleiben, da unser im Antrag zum Ausdruck gebrachter Wunsch auf Abstimmung heute keine Entsprechung findet.
Man weiß ja, meine Damen und Herren, daß in kleinen Gremien bestimmte Vorstellungen eine Eigendynamik entwickeln können. Das ist auch hier der Fall gewesen. Aus der notwendigen Renovierung des alten Plenarsaals wurde ein recht großzügiger Neubau. Aus der Notwendigkeit einer gewissen Verbesserung der Zone um den Eingang II wurde ein großzügiges Eingangsbauwerk. Kosten dürfen keine Rolle spielen. Es ist - wenn ich das so sagen darf - auch sehr angenehm, mit anderer Leute Geld schöne Dinge zu planen.
({0})
Dann schien es auch noch wünschenswert, den Präsidentenflügel ganz abzureißen und durch einen repräsentativen Neubau an anderer Stelle zu ersetzen.
Ich meine, meine Damen und Herren, wir müssen künftig zwei Problemkreise bewältigen. Das sollte sich das Haus in seiner Gesamtheit auch in der kommenden Wahlperiode nicht nehmen lassen. Zuerst müssen wir uns fragen: Was ist baulich erwünscht? Meine Auffassung: Hier genügt die bauliche Restauration im alten Umfang und ein bescheidener konzeptioneller Umbau des Bereichs um den Eingang II. Der Präsidentenflügel kann und sollte ganz erhalten bleiben.
Zum zweiten stellt sich die Frage der Innengestaltung. Die etwas voreiligen Jubler beim Einzug ins Wasserwerk sind ruhig geworden. Ich erinnere mich gut, als es hieß: Hier werden wir nie mehr herauskommen. Die tägliche Praxis hier hat aber gezeigt, daß ein schnellstmöglicher Umzug in ein größeres Plenum notwendig ist.
Aber optimal war auch das alte Plenum nicht, meine Damen und Herren. Auch daran sollte man denken. Erinnern wir uns durchaus auch an die Mängel im alten Plenarsaal. Das Gedächtnis der Kollegen kann nicht so kurz sein, daß das alles schon vergessen wäre.
Ich meine, eine vernünftige Lösung liegt hier in der Mitte. Die Optik des alten Plenarsaals sollte erhalten bleiben. Er sollte aber trotzdem verkleinert werden. In den Randbereichen der Lobby sollten verbesserte Möglichkeiten zur Kommunikation sowohl der Abgeordneten untereinander als auch der Abgeordneten mit den Bürgern geschaffen werden. Denn - das wollen wir sicherlich gemeinsam und artikulieren es auch an vielen Stellen - dieses Parlament sollte nach innen und außen bestmöglich offen sein.
Daß der Umbau zügig und mit sorgsamem Umgang mit Steuermitteln, also sparsam erfolgen muß, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Herr Kollege Conradi, wenn Sie in der Baukommission gesagt haben, der Bundestag mache sich durch die imkompetente, wankelmütige und ängstliche Art, in der er das Vorhaben betreibe, immer lächerlicher,
({1}) so weise ich dies zurück.
({2})
Der Bundestag wird sofort entscheiden, wenn Ältestenrat und Baukommission die Entscheidungsgrundlagen erarbeitet haben und sie ordnungsgemäß vorliegen. Bei „ordnungsgemäß" ist eben auch an Haushaltsunterlagen zu denken. Man kann halt nicht stillschweigend einen flotten Abriß an eine Sache dranpacken, die bereits beschlossen war.
Dies ist meine Aufforderung an den Ältestenrat: umgehend mit Beginn der kommenden Wahlperiode die Entscheidungen der Mitglieder dieses Gremiums - aber des gesamten Deutschen Bundestages -, wie sie in der 9. Periode gewünscht war
Dr. Weng ({3})
und wie wir sie in der 10. auch wünschen, herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland braucht keinen Parlamentsbau, der irgendwelche Großmannssucht dokumentiert. Historisch gewachsen soll unser Parlament bescheiden und bürgernah sein.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Bundestag 1981 die große Neubauplanung beerdigte und beschloß, den alten Plenarsaal weiter zu nutzen, hat sich die Baukommission an die Arbeit gemacht, diesen Beschluß umzusetzen. Alsbald hat uns der Bauminister Gutachten unabhängiger Fachleute vorgelegt. Daraus ging hervor, daß der alte Plenarsaal weder den Vorschriften für Brandschutz noch denen für Versammlungsstätten und Arbeitsstätten entspricht. Der Bauminister hat uns schriftlich mitgeteilt, es bestehe eine „konkrete Gefahr". Wir müßten die Dachkonstruktion, die Seitenwände, die Tribünenkonstruktion und den Fußboden von Grund auf erneuern. Wir haben als Baukommission damals gesagt: Wenn das so ist, dann wollen wir uns als Parlament nicht über die Vorschriften und Gesetze hinwegsetzen, die für jeden anderen Bürger und Bauherrn dieser Republik gelten.
Außerdem wollen wir einiges verbessern: Wir wollen die alte, provisorisch auf dem Dach untergebrachte Klimaanlage im Untergeschoß neu bauen. Wir wollen das Untergeschoß hochwasserfest machen. Wir wollen das triste Erscheinungsbild des Plenarsaals verbessern und eine debattenfreundliche neue Sitzordnung schaffen. Schließlich wollen wir zur Stadt hin eine Eingangshalle bauen, damit unsere Besucher nicht wie bisher über die Hintertreppe in den Plenarsaal hineinstolpern.
({0})
Das alles, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir Ihnen in einem ausführlichen Bericht 1984
({1})
mit Alternativen und Kostenschätzungen vorgelegt. Alle Fraktionen haben ihn beraten, und aus den Beratungen ergab sich eine breite Mehrheit für eine grundlegende Erneuerung.
Später kamen drei Erweiterungen dazu:
Wir müssen die Küchenräume umbauen; einen mußten wir sogar schließen, weil er einsturzgefährdet war. Wir meinen: Wenn wir die Küchenräume umbauen, dann bauen wir auch dieses triste eingeschossige Restaurant neu.
Das zweite Problem: An den alten Plenarsaal wurde 1953 zum Rhein hin ein langweiliger Bürobau für Präsidium und für die Minister drangepappt. Was sollen wir mit dem machen? Wir schla gen vor, einen zweigeschossigen Pavillon, versetzt neben dem Plenarsaal, für das Präsidium und die Bundesminister zu bauen, die Lobby, die Wandelhallen um den Plenarsaal herumzuführen und damit dem Plenarsaal auch wieder eine Blickbeziehung zum Rhein zu geben.
Drittens: Der ursprünglich helle Plenarsaal von 1949, der an der Seite große Glaswände hatte, ist durch die eingebauten Tribünen so dunkel geworden, daß man ihn nur noch mit Kunstlicht benutzen kann. Deshalb schlagen wir vor: Wenn wir schon ein neues Dach bauen, wollen wir auch Tageslicht, Erleuchtung von oben.
({2}) - Einige brauchen sie besonders.
Diese drei Erweiterungen des Projekts hat der Ältestenrat genehmigt. Die Haushaltsunterlagen liegen seit Juli 1986 vollständig vor. Der Ältestenrat hat den Baubeginn für den Herbst 1986 beschlossen.
({3})
Deswegen sind mir die Forderungen des Antrags Weng unverständlich. Alle Fraktionen waren doch unterrichtet. In allen Fraktionen ist darüber geredet worden. Vielleicht waren Sie nicht dabei, Herr Weng? Die Haushaltsunterlagen liegen seit November 1985 im Haushaltsausschuß vor. Haben Sie sie mal angeschaut?
({4})
Statt die Unterlagen zu prüfen, hat der Abgeordnete Weng in „Bild am Sonntag" das Parlament des „Größenwahns" beschuldigt und behauptet, was wir hier vorhätten, würde - wörtlich - „weit mehr als 1 Milliarde DM" kosten. Als Apotheker versteht er was von Preisen.
({5})
Aber dies ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, Herr Weng, eine Anbiederung an die böse Tradition der deutschen Stammtischrechten,
({6})
die der Meinung ist - Zitat - „für diese Quatschbude ist jede Mark zu schade". Solche unseriösen Tatarenmeldungen schaden dem Ansehen des Parlaments.
({7})
Gewichtiger sind die Einwände des Denkmalschutzes. Jahrzehntelang hat der Denkmalschutz zu den unsäglichen An-, Um- und Verbauten des Bundeshauses geschwiegen. Was hier entstanden ist, haben Insider als die „Vereinigten Parlamentarischen Hüttenwerke zu Bonn am Rhein" bezeichnet. Dazu hat der Denkmalschutz nichts gesagt.
Aber fünf Monate vor Baubeginn hat das Rheinische Amt für Denkmalpflege das ganze Bundeshaus unter Denkmalschutz gestellt und erhebliche
Bedenken gegen das Projekt, gegen die Eingangshalle, ja sogar gegen die geplante neue Sitzordnung angemeldet. Damit haben die Denkmalschützer willkürlich den zufälligen Zustand des Bundeshauses 1986 als unveränderbar festgeschrieben. Tatsächlich ist das Bundeshaus 30 Jahre lang immer wieder umgebaut und verändert worden. Zum Beispiel ist der heutige Plenarsaal nicht der historische Plenarsaal von 1949, wie die GRÜNEN offenbar glauben; denn der hatte keine seitlichen Tribünen, der hatte hohe, große Glaswände, durch die das Licht in ihn fiel,
({8})
durch die man sogar den Rhein sehen konnte. Die Regierung und der Bundesrat saßen damals turmhoch über dem gemeinen Volk der Abgeordneten. Und an der Rückwand waren, wie es sich einer föderalistischen Republik geziemt, die Wappen der Länder und nicht dieser etwas dicklich geratene Adler.
({9})
Man kann auch ein solches Denkmal nach § 9 des Denkmalschutzgesetzes von Nordrhein-Westfalen verändern. Die Veränderung ist zu genehmigen, wenn ein überwiegendes Interesse das verlangt. Deshalb muß der Bundestag selbst entscheiden, ob er an einem zeitgemäßen, debattenfreundlichen, gut gestalteten Plenarsaal mit einer Eingangshalle interessiert ist.
Nun hat es im Frühjahr eine seltsame schwarzgrüne Chaoskoalition gegeben.
({10})
- Aber ja! Herr Dr. Dregger und ein Wegrücker der GRÜNEN haben gemeinsam wenige Wochen vor Baubeginn ein neues Gutachten darüber verlangt, ob man den Plenarsaal nicht doch „baukonservatorisch" erhalten könne. Dazu braucht man kein Gutachten. Natürlich - wir Techniker können alles - können Sie es machen, aber der Gutachter hat schon in seinem Zwischenbericht gesagt: Das wird wesentlich teurer und wesentlich langwieriger, denn selbst dann muß man große Teile des Baus abreißen und ersetzen. Die Verantwortung für die Verzögerung und die Mehrkosten trägt diese schwarz-grüne baukonservative Koalition.
Ich halte dagegen: Das Bundeshaus ist kein Museum. So wichtig unsere 40jährige Parlamentsgeschichte ist: Die Zukunft dieses Parlaments, die hoffentlich länger als 40 Jahre dauert, ist wichtiger, und es wäre absurd, unsere Parlamentsgeschichte in Form eines Saales zu mumifizieren.
({11})
Eine lebendige Gesellschaft schafft sich die Räume,
die sie braucht. Dabei verändert sie auch Baudenkmale, so wie das in den vorangegangenen Jahrhunderten mit vielen Baudenkmalen geschehen ist.
({12})
- Auch Sie, Herr Ströbele, sind da in der Tradition der deutschen Stammtischrechten, die immer der Meinung ist: Jede Mark für die Volksvertretung ist zuviel.
({13})
Da werden die Verbindungslinien von den GRÜNEN zu einem Teil des deutschen Rechtspopulismus deutlich.
({14})
- Das dieses Parlament hier für seine Debatten und in seinen Büroräumen Arbeitsbedingungen fordert, die seiner Aufgabe entsprechen, ist nicht Selbstbedienung, sondern entspricht der Selbstachtung der Organe dieser demokratischen Republik.
({15})
Ich frage mich manchmal, ob es die verbreitete Angst vor der Zukunft ist, die dazu führt, daß die Vergangenheit bei uns derzeit derartig glorifiziert und museal verherrlicht wird.
Der 10. Bundestag hat nach 15jähriger Planungszeit und fast 50 Millionen DM Planungskosten nicht die Kraft zur Entscheidung für die Neubauten gehabt. An uns, den Sozialdemokraten, hat es nicht gelegen.
({16})
- An uns hat es nicht gelegen, Herr Kollege.
({17})
- 1981 hat es auch an uns gelegen, ich korrigiere mich: Die große Neubauplanung ist auch am Widerspruch unserer Fraktionsführung und am Desinteresse der damaligen Bundesregierung gescheitert. Darüber soll kein Streit sein; aber daß es im 10. Bundestag - das habe ich gesagt, Herr Kollege Beckmann, als Jurist sind Sie ja sicher genau - zu keiner Entscheidung gekommen ist, lag nicht an den Sozialdemokraten. Wir waren bereit, uns für die Neu- und Umbauten zu entscheiden. Wir hoffen, daß im 11. Bundestag eine vernünftige Entscheidung getroffen wird, damit nicht gilt, was 1907 zur Paulskirche gesagt wurde - Herr Präsident, das möchte ich zum Schluß noch zitieren dürfen -:
Die Baugeschichte der Paulskirche ist eine vollständige Farce. Seit 1784 streiten sich Rat und Bürgerschaft fast ohne Aufhören herum, ob bloß eine Reparatur der alten Kirche genüge oder ein Neubau entstehen solle, wo er zu stehen komme, welchen Grundriß er haben, welchen Baumeister man zuziehen solle. In alles mischen sich die Kollegien, j a, zuletzt selbst die Handwerker ein. Alles in allem eine tolle KoConradi
mödie des altbackenen Spießbürgertums, deren Resultat eine grenzenlose Verschleppung ist.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten diese Diskussion mit der Nüchternheit und Seriosität führen,
({0})
die diesem Thema angemessen sind. Ich darf in diesem Zusammenhang einmal aus dem Brief eines immerhin noch einigermaßen prominenten Sozialdemokraten an uns vorlesen, der uns im Oktober geschrieben hat:
Der Plenarsaal darf in der Tat nicht abgerissen werden. In ihm haben die großen historischen Auseinandersetzungen um die Bundesrepublik und die Zukunft der Deutschen stattgefunden.
({1})
Hier wurden die wegweisenden Entscheidungen für unsere staatliche und gesellschaftliche Ordnung getroffen.
Soweit Herr Ruhnau in seinem Brief an uns. Ich habe ihn nur pars pro toto vorgelesen, um deutlich zu machen, daß es natürlich schon eine ganz entscheidende Frage ist, ob und unter welchen Umständen und zu welchen Bedingungen man diesen Plenarsaal abreißt.
Auch wir sagen ja nicht: Das ist unter keinen Umständen denkbar, sondern auch wir betrachten es durchaus als eine Möglichkeit, daß dieser Plenarsaal leider Gottes der Spitzhacke zum Opfer fallen muß.
Allerdings - und das muß hier deutlich gesagt werden - sind wir bei unseren früheren Einlassungen dazu davon ausgegangen, daß dort mehr oder weniger nur noch baufällige Substanz vorhanden ist. Das ist uns auch von der Verwaltung und von allen möglichen, die sich sonst dazu erklärt haben, immer wieder gesagt worden.
Wir haben - und das war der Anlaß für das Stoppzeichen, das wir gegeben haben - zu Beginn des Jahres gehört: So ist das ja gar nicht; man kann durchaus bei Einsatz entsprechender technischer und finanzieller Mittel zu einer sogenannten baukonservativen Lösung kommen.
Daraufhin haben wir gesagt: Wenn das so ist, dann wollen wir das noch einmal überprüfen, dann laßt uns doch noch einmal untersuchen, ob das möglich ist.
Der Bericht dazu liegt nun sozusagen als Zwischengutachten vor. Zu unserer Überraschung besagt das Gutachten nicht: Es ist alles morsch, es muß abgerissen werden, sondern das Gutachten sagt: Unter gewissen Bedingungen ist es möglich, die Tragfähigkeit ist durchaus gegeben, wenn man nicht zusätzliche Belastungen schafft usw.
Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich möchte, bevor ich diese wirklich schicksalsträchtige Entscheidung auch als Fraktion - ({2})
- Ich halte diese Entscheidung für unseren Parlamentarismus für durchaus von schicksalhafter Bedeutung. Das muß ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Sie mögen da anderer Meinung sein; für mich aber ist dies offenkundig.
Bevor diese schicksalsträchtige Entscheidung getroffen wird, möchte ich gern wissen, zu welchen Bedingungen eine baukonservatorische Lösung möglich ist. Ich verstehe gar nicht, warum wir diese Frage nicht beantwortet bekommen sollen. Es ist doch vernünftig und sachgerecht, vor unserer Entscheidung zu wissen: Zu welchen Bedingungen ist eine baukonservatorische Lösung möglich?
Wenn die Bedingungen völlig aus dem Ruder laufen, wenn die Voraussetzungen finanziell schlicht und einfach abwegig sind, dann werden wir letztlich auch zu einem Abriß nicht nein sagen.
({3})
Aber diese Frage soll unserer Meinung nach jetzt erst entschieden werden, wenn das Schlußgutachten Schlaich und Partner vorliegt.
Ich muß ganz offen sagen: Ich finde es eigentlich gut, daß uns die Bevölkerung und nicht nur einzelne hier vor Augen führen, daß dieser Bundestag - oder besser gesagt: dieses Bundeshaus - durchaus als geschichtsträchtiger Ort empfunden wird, daß er angenommen wird als Stätte der Demokratie, unserer jungen Demokratie hier in dieser Republik, daß sich die Menschen mit diesem Bundeshaus identifizieren.
Wegen dieses hohen Symbolwerts sollten wir uns den Abriß nicht leichtmachen, sondern ernsthaft überprüfen, ob andere Lösungen möglich sind.
({4})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal? - Bitte sehr.
Herr Bohl, ist Ihnen klar, daß es eine Konsequenz dessen, was die baukonservatorische Lösung bedeuten würde, schon gibt, die jedem klar sein kann, nämlich daß das erneut lange Planungszeiträume bis zur Vorlage für den Haushaltsausschuß bedeutet, daß also nicht gebaut und nicht verändert wird, und daß neue zusätzliche Planungskosten entstehen, von denen ich meine, sie sind in den Sand gesetzt?
({0})
Es ist völlig richtig, daß wir eine Verzögerung von einem Jahr in Kauf nehmen müssen.
({0})
- Von einem Jahr. Das halte ich in der Tat für vertretbar. Ich sage mit Deutlichkeit: Lieber hier ein Jahr länger sitzen, wenn es drüben eine vernünftige baukonservatorische Lösung gibt,
({1})
als jetzt abzureißen, denn dann können wir uns gar nicht mehr anders entscheiden.
({2})
Damit unsere Position klar ist: Wir begrüßen, daß die Bürger dieses Bundeshaus so annehmen und sich damit identifizieren. Wir sind der Meinung, daß sehr sorgfältig geprüft werden muß, was wir jetzt tun. Dafür ist Voraussetzung zu wissen: Zu welchen Bedingungen ist eine baukonservatorische Lösung nötig? Ist sie zu halbwegs vernünftigen Bedingungen möglich, sollten wir uns für eine solche baukonservatorische Lösung entscheiden. Dabei gebe ich Ihnen zu, daß der Gesichtspunkt Parlamentsreform, Anordnung der Stühle etc., dann neu durchdacht werden muß. Sollte sich herausstellen, daß das nicht zu halbwegs vernünftigen Bedingungen möglich ist, werden wir uns auch nicht der Ursprungsplanung entgegenstellen, nämlich Abriß und eine mehr oder weniger völlige Neukonstruktion.
({3})
Aber begrüßen würden wir es, wenn eine baukonservatorische Lösung möglich würde.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Werner ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Laufe der 10. Wahlperiode dieses Hohen Hauses wurden in der Baukommission des Ältestenrates erhebliche Ausweitungen von Beschlüssen des vorhergehenden 9. Deutschen Bundestages angestrebt. Von ursprünglich geschätzten etwa 8 Millionen DM für Renovierungen kam man bis zu 87 Millionen DM für diverse Um- und Neubauten, darunter auch für einen neuen Präsidialbau.
({0})
Bei den ständigen Planungserweiterungen drohte man aus unserer Sicht sozusagen das Kind mit dem Bade auszuschütten: Der Respekt vor dem Erhaltenswerten, Herr Kollege Conradi, ging verloren. Der Denkmalschutz wurde weit unterbewertet. Die GRÜNEN blieben lange Zeit die einzige politische Kraft, die sich dem widersetzte. Mein Vorgänger in der Baukommission, der Architekt Walter Sauermilch,hat sich frühzeitig gegen die Abriß-Euphorie der anderen gewandt. Die Gründe dafür lese ich
Ihnen einmal mit einem Satz aus der Begründung unseres Ihnen vorliegenden Antrages vor:
Wir betrachten es als grotesk, wenn der Ältestenrat auf der einen Seite das einzige wirklich historische Gebäude der jüngeren Parlamentsgeschichte dieser Republik abreißen lassen will, während andererseits gleichzeitig für 60 Millionen DM ein höchst fragwürdiges Projekt „Haus der Geschichte" in der Nähe verwirklicht werden soll.
({1})
Es geht da nicht so sehr um die Bauhaus-Architektur des Bundestagsgebäudes, sondern es geht um die Parlamentsgeschichte dieser Republik. Diejenigen, die sich als erste um diesen Gesichtspunkt bemühten, haben sich als die wahren Konservativen erwiesen, nämlich wir GRÜNEN.
Eines Tages gab es ein denkwürdiges Gespräch der Fraktionsvorsitzenden über die Bauplanung. Da war plötzlich auch Herr Dr. Dregger als Sprecher der CDU ein Befürworter der jetzt so genannten baukonservatorischen Lösung.
Diejenigen, die weiterhin den Abriß des Plenarsaales wollten und wollen, sprachen flugs von einer schwarz-grünen Koalition. Aber ich denke, Herr Conradi, Sie müssen sich sagen lassen, daß es in Wahrheit Ihre lange verfolgten, doch letztlich nicht tragfähigen Lösungen waren, die Verzögerungen und Verteuerungen verursacht haben.
Der Antrag des Kollegen Dr. Weng ({2}) und der anderen Mitunterzeichner wird von uns befürwortet. Er wird die sogenannte baukonservatorische Lösung für den Plenarsaal bringen können. Er beinhaltet auch die ohnehin nötige neue Beschlußfassung über die Neuplanung des Präsidialbaus.
Der Antrag der GRÜNEN-Fraktion geht ja weiter: Wir wollen weitere Planungsbeschlüsse vor allem von der Führung einer Selbstverständnisdebatte in diesem Hause abhängig machen. In diesem Haus wird Politik gemacht; Politik macht man durch Anträge. Aber das ist es nicht allein. Es ist auch eine politische Kultur nötig. Die zeigt sich nicht zuletzt in der Architektur eines Parlaments.
({3})
Ich will die 30-Minuten-Debatte nicht in die von uns gewollte Selbstverständnisdebatte umwandeln. Aber ich möchte doch einmal mit einem Beispiel den Zusammenhang zwischen politischer Kultur und politischer Architektur deutlich machen. Ich greife damit etwas auf, was beim vorletzten Tagesordnungspunkt Kollege Buschbom schon einmal angesprochen hat: Der Souverän, das Volk, sitzt da oben auf der Zuschauertribüne; wir, die von diesem Volk gewählten Abgeordneten, sitzen hier unten. Wir unsererseits wählen eine Regierung, bestehend aus Ministern - das Wort Minister wird immer noch verdolmetscht mit „Diener" -, die aber nicht unterhalb von uns, sondern höher sitzen.
({4})
Werner ({5})
Die Aufgabe eines gewählten Parlaments ist die Kontrolle der Regierung und ihrer Exekutivorgane. Wenn aber die Architektur des Parlaments das so gar nicht erkennen läßt, kann sich das Verhältnis im Bewußtsein der Beteiligten leicht ins Gegenteil verkehren, dann kann ein Angehöriger der Regierung leicht einmal glauben, es sei z. B. sein gutes Recht, eine Fraktion dieses Hauses bespitzeln zu lassen, wie das Herr Spranger mit den GRÜNEN tat, womit er ein Höchstmaß an politischer Kulturlosigkeit bewies.
({6})
- Wir wollen das Gebäude erhalten, wir wollen eine Selbstverständnisdebatte über dieses Parlament, und wir wollen, daraus folgernd, Architekturgestaltungen ableiten.
Ich will nicht so weit gehen wie manch ein optimistischer Architekt, der allein durch gute Gestaltung von Bauwerken glaubt, einen guten Geist in die darin tätigen Menschen sozusagen einimpfen zu können, aber ich denke, daß die Gestaltungsmöglichkeiten für ein Parlament auf dem Ergebnis von Debatten zum eigenen Selbstverständnis eines Parlaments basieren müssen. Ich wünsche dem nächsten, dem 11. Deutschen Bundestag, daß er Gelegenheit zu dieser notwendigen Debatte finden wird.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daniels.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorab Herrn Kollegen Werner fragen, ob er auf Grund seiner Bernerkungen über das Verhältnis von Wählern und Gewählten denn vorschlagen möchte, die Bundesregierung und den Bundesrat demnächst in einer Art Orchestergraben vor dem Parlament unterzubringen.
({0})
Aber nun zu dem Gegenstand angemessenen, ernsthaften Betrachtungen zurück! Meine Damen und Herren, die geplanten Umbauten und Neubauten des Deutschen Bundestages sind auch von großer Bedeutung für die städtebauliche Gesamtkonzeption des Parlaments- und Regierungsviertels. Mit Recht erwarten die Bürger und auch die Offentlichkeit gerade hier vom Deutschen Bundestag besondere städtebauliche Qualität.
Auf der Grundlage des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom Juni 1981 hat deshalb der Bund gemeinsam mit der Stadt Bonn eine städtebauliche Konzeption entwickelt, die auf den alten Standort des Plenarsaals und auf dessen neuen Eingang zur Görresstraße hin ausgerichtet ist. Die mehreren hunderttausend Besucher, die wir glücklicherweise im Jahr haben, sollen in Zukunft nicht mehr - Herr Conradi hat es schon gesagt - durch einen Hintereingang und über Hintertreppen in den Plenarsaal geführt werden, sondern sie sollen alle - wie auch die Staatsbesucher - diesen neu gestalteten Eingang zur Görresstraße hin benutzen. Alle Gebäude sollen sich in ihrer Höhe und auch in ihrem Maßstab in die gewachsene Struktur der Stadt einfügen. Sie sollen Bescheidenheit mit Würde verbinden. Dabei soll auch der Gestaltung der Straßen, der Plätze und der öffentlich zugänglichen Freiflächen, die ja ein Erlebnisraum für Bürger und Besucher sind, die gleiche Bedeutung wie der Architektur der Gebäude beigemessen werden.
Diese städtebauliche Konzeption ist unabhängig davon, ob wir uns in der nächsten Legislaturperiode dazu entscheiden, den Plenarsaal lediglich zu erneuern oder ihn abzureißen und wieder aufzubauen.
Die Stadt Bonn hat auch ihre städtebaulichen Planungen im Vertrauen auf die Beständigkeit der Beschlüsse des Deutschen Bundestages auf diese städtebauliche Konzeption ausgerichtet, nachdem wir ja vorher eine völlige Umplanung des Deutschen Bundestages schon einmal erlebt hatten. Ich möchte deshalb hier an die städtebauliche Verantwortung des Bundestages appellieren, an dieser Konzeption nun auch festzuhalten und sie so schnell wie möglich zu verwirklichen.
({1})
Meine Damen und Herren, aus Anlaß des 30. Jahrestages des ersten Zusammentritts des Deutschen Bundestages hat der damalige Bundestagspräsident, der auch heute das Präsidium leitet, vor diesem Hause ausgeführt - ich zitiere mit seiner Genehmigung -: „Nur ein Staat, der durch eine würdige Selbstdarstellung Selbstachtung zum Ausdruck bringt, erfreut sich der Hochachtung und Zuneigung seiner Bürger." Der Deutsche Bundestag ist dabei in besonderer Weise das Aushängeobjekt im Schaufenster der Bundesrepublik Deutschland, „das zum Eintritt einlädt oder eben auch nicht". Dies sind Worte des Hamburger Bürgermeisters Weichmann bei einem Kolloquium, das von der damaligen Bundesregierung für die Planungen des Ausbaues der Bundeshauptstadt veranstaltet worden ist.
Sorgen wir dafür, daß dieses Aushängeobjekt einen würdigen Eindruck von der Bundesrepublik Deutschland vermittelt!
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Es ist vorgeschlagen worden, die Anträge auf den Drucksachen 10/5357 und 10/5391 an den Ältestenrat zu überweisen.
({0})
Gibt es weitere Vorschläge? - Dies ist nicht der Fall. Das Haus hat es dann so beschlossen.
Vizepräsident Stücklen
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Enwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Freie Hansestadt Bremen sowie Freie und Hansestadt Hamburg
- Drucksachen 10/6393, 10/6426 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
- Drucksache 10/6646 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({2}) Dr. Weng ({3})
Wieczorek ({4})
Dr. Müller ({5})
({6})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf sollen die vier Küstenländer auf der Grundlage von Art. 104 a Abs. 4 Grundgesetz Finanzhilfen des Bundes zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft erhalten. Wir schlagen vor, daß der Bund hierfür 1987 und 1988 insgesamt 300 Millionen DM zur Verfügung stellt.
Ich will bei dieser Gelegenheit noch einmal kurz die Entwicklungen und Gründe darlegen, die diese Initiative veranlaßt haben.
Wie Sie alle wissen, ist die Küstenregion durch die Zuspitzung der schweren Schiffbaukrise besonders hart betroffen. Es handelt sich um eine weltweite Strukturkrise, die in fast allen Schiffbauländern zu erheblichen Kapazitätseinschränkungen und dem Verlust von Arbeitsplätzen führt. Im Grunde ist dieses Thema nicht neu. Wir haben bereits seit Anfang der 70er Jahre eine Verschlechterung der Situation im Schiffbau, aber die letzten fünf Vierteljahre haben nun zu einer dramatischen Steigerung dieser Krise geführt.
Die Gründe sind weltweite Überkapazitäten bei nur geringen Neubauaufträgen, damit im Zusammenhang eine erhebliche Ausweitung der Staatshilfen bei ausländischen Konkurrenten, verhältnismäßig hohe Personal- und Lohnnebenkosten bei deutschen Werften im Vergleich zu wichtigen Konkurrenten, vor allem auch neuen Konkurrenten wie Korea, die mit etwa der Hälfte der Kosten produzieren und anbieten.
Nach wie vor steht der deutsche Schiffbau international in wichtigen Bereichen weit vorne. Der technologische Standard und die Arbeitsleistung sind hoch, aber die gegenwärtige Situation erfordert auch bei uns erhebliche Kapazitätsanpassungen. Für die Werftstandorte ergeben sich daraus beträchtliche Belastungen.
Unsere Verantwortung als Bundesgesetzgeber für eine ausgewogene Wirtschaftsentwicklung im ganzen Bundesgebiet und für die betroffenen Menschen erfordert, daß wir den norddeutschen Ländern bei der Bewältigung der strukturellen Anpassungsprozesse helfen. Wir wollen daher den Küstenländern Finanzhilfen für wichtige Investitionsmaßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur bewilligen. Gerade die kleineren und mittleren Werftstandorte in der Randlage, die überwiegend in strukturschwachen Gebieten liegen, bedürfen einer besseren Infrastruktur, auch noch einer besseren Verkehrsanbindung. Das ist eine Voraussetzung dafür, daß neue zukunftssichere Unternehmen mit Arbeitsplätzen gewonnen werden können.
Die Länder haben uns Investitionsprojekte vorgeschlagen, an denen sich der Bund mit 65% der Kosten beteiligen wird. Die geplanten Vorhaben, vor allem Straßenneubauten, Ausbau von Hafenanlagen und Bereitstellung von Gewerbeflächen, erleichtern den notwendigen Strukturwandel. So kann dieser Anpassungsvorgang für die betroffenen Menschen erträglicher gestaltet werden.
Ziel unserer finanziellen Hilfe ist es, die betroffenen Länder in die Lage zu versetzen, daß sie wieder Anschluß an die Wirtschaftskraft im übrigen Bundesgebiet finden. Verfassungsrechtlich ist es zulässig, auch Hamburg mit in diese Regelung einzubeziehen. Hamburg ist ebenso wie die anderen Länder von der Werftenkrise betroffen und erhält deshalb die gleiche Unterstützung wie die gesamte Region.
Ich will auch zu der Diskussion im Bundesrat hier unterstreichen: Anschlußforderungen anderer Länder, die auch Strukturprobleme haben, lassen sich nach meiner Auffassung aus den vorgesehenen Hilfen nicht ableiten. Bundeshilfen nach Art. 104 a des Grundgesetzes können nur ausnahmsweise und befristet in einer ganz besonders schwierigen Situation in Frage kommen. Wir haben das hier - auf Initiative der Bundesregierung entsprechend befristet - auch für das Saarland im Hinblick auf die dort besonders zugespitzten Stahlprobleme entschieden.
Zu kritischen Äußerungen der SPD vor Ort will ich gleich sagen: Dies ist die erste Bundesregierung, die überhaupt Art. 104 a zur Lösung oder jedenfalls zur Hilfe bei der Lösung so schwieriger Regionalstrukturprobleme initiativ einsetzt. Das hat es bei unseren sozialdemokratischen Vorgängern überhaupt nicht gegeben.
({0})
Meine Damen und Herren, das Finanzhilfegesetz wird durch regionale Maßnahmen ergänzt. Der Bund-Länder-Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" hat auf Vorschlag der Bundesregierung am 5. November 1986 folgende Sondermaßnahmen für diese Länder beschlossen: Das ursprünglich bis Ende 1987 befristete Sonderprogramm zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in
der Arbeitsmarktregion Bremen wird bis Ende 1989 verlängert. Der Bund und das Land Bremen stellen hierfür jeweils 40 Millionen DM bereit.
Für die Schiffsbauregionen Schleswig-Holstein und Niedersachsen werden bis Ende 1989 zusätzliche Haushaltsmittel zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in Höhe von 160 Millionen DM - 80 Millionen DM vom Bund und 80 Millionen DM von den Ländern - zur Verfügung gestellt. Ich begrüße es, daß diese Entscheidung mit der Zustimmung der Mehrheit der Bundesländer möglich war.
Natürlich bleibt nach unserer bundesstaatlichen Ordnung die Hauptverantwortung für die wirtschaftspolitischen Entscheidungen in der Küstenregion bei den Bundesländern. Auch sie müssen erhebliche Zusatzlasten in ihre Haushalte aufnehmen.
Schließlich will ich daran erinnern: Wir haben auch durch Initiativen aus dem Parlament und dem Haushaltsausschuß eine weitere Verbesserung der Reeder- und Werftenhilfe vorgenommen. Die Mittel sind erheblich höher als in den Jahren 1980 oder 1981. Die Probleme sind auch ernster geworden. Aber natürlich haben wir auch schon die Diskussion in der Region, ob die Hilfen für die Werften in einem Verhältnis zu dem stehen, was wir für andere Wirtschaftszweige tun, die Sorgen haben.
Wir werden schließlich - auf Grund von Absprachen mit der Bundesanstalt für Arbeit ist das gewährleistet - im Interesse der Arbeitnehmer das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium der Bundesanstalt an den Werftstandorten auch für berufliche Fortbildung und Umschulung einsetzen.
Wir haben die Initiative früh ergriffen. Die Abstimmungsgespräche mit den Ländern haben etwas länger gedauert, als wir uns das wünschten. Aber der Bundesrat hat nun im ersten Durchgang dem Gesetzentwurf zugestimmt. Ich möchte Sie deshalb bitten, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu billigen, damit wir den Werftstandorten, vor allem auch den dort lebenden Menschen, rasch helfen können.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Metz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich kurz eine Vorbemerkung machen? Herr Präsident, der seinerzeit amtierende Präsident hatte mich in diesem Bundestag bereits verabschiedet, weil sowohl er als auch ich dachten, das sei meine letzte Rede.
({0})
Dies, Herr Präsident, ist nun aber wirklich ganz bestimmt meine letzte Rede; das verspreche ich.
Geben Sie keine Versprechungen, von denen Sie nicht ganz sicher sind, daß Sie sie auch halten können!
({0})
Meine Damen und Herren! Die Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Bereitstellung der Finanzhilfen an die vier norddeutschen Küstenländer ist im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages einvernehmlich verabschiedet worden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt diese Hilfe für die Küste ausdrücklich.
Wir hatte ja in letzter Zeit - man muß wohl sagen: leider zu oft - Veranlassung, über Probleme der deutschen Küstenregion, insbesondere des Schiffbaus, zu sprechen. Der Herr Bundesfinanzminister hat das soeben noch einmal im einzelnen dargestellt. Schiffbau, Schiffahrt und Fischerei sind nun einmal die Wirtschaftszweige, die die Wirtschaft des Küstenraumes traditionell prägen und die sich gleichzeitig auf Grund des weltweiten Umbruchs der Rahmenbedingungen dieser Wirtschaftssektoren in einem langanhaltenden Anpassungsprozeß befinden.
Die Bundesregierung hat in der Begründung des Gesetzentwurfs ausführlich die einzelnen ökonomischen Kriterien wie Wirtschaftswachstum, Beschäftigungslage sowie Steuer- und Investitionskraft dargelegt, Kriterien, die eben deutliche Anzeichen für eine sich im Vergleich zum übrigen Bundesgebiet mindernde Wirtschaftskraft erkennen lassen. Weil das so ist, unterstützen wir die Absicht der Bundesregierung, den Küstenländern mit Finanzhilfen nach Art. 104 a des Grundgesetzes zu helfen, durch wirtschaftliche Impulse außerhalb der Problembranchen die Strukturschwäche der Wirtschaft des Küstenraumes zu überwinden.
Nun gibt es natürlich, wie das in solchen Fällen immer ist, Landesregierungen und andere, die dieses Hilfsprogramm zwar begrüßen, aber mit der Höhe nicht ganz zufrieden sind und es gern noch ein bißchen stärker und deutlicher hätten. Das ist ja auch nicht verwunderlich; es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. Darum will ich doch noch einmal an die Entstehungsgeschichte dieses Programms erinnern:
Die Wirtschaftsminister bzw. -senatoren Hamburgs, Niedersachsens, Schleswig-Holsteins und Bremens kamen zusammen, und stellten einen Finanzbedarf fest. Sie kamen zu dem Schluß, der Bedarf an öffentlichen Mitteln - wohlgemerkt, nicht an Bundesmitteln, sondern an öffentlichen Mitteln - betrage 850 Millionen DM. Als der bremische Wirtschaftssenator Lenz anschließend vor die Presse ging, münzte er diesen festgestellten Bedarf flugs in eine Forderung an den Bund um. Ja, so einfach ist das: Man kommt zusammen, stellt einen Finanzbedarf fest, sagt, man selber sei natürlich überfordert, und schließt daraus messerscharf, dann müsse Bonn wohl das Geld hergeben.
Der Bund hat diesen Wunsch der Länder nicht voll, sondern nur zu einem Teil erfüllt, aber ich will einmal die Frage stellen: Wie soll das sonst auch
gehen? Soll denn die Politik in Zukunft so betrieben werden, daß Länderminister Bedarf feststellen und der Bundesfinanzminister jeweils das Geld zur Verfügung stellt? Auch der Bund verschuldet sich; auch der Bund muß - wir haben ja gerade die Haushaltsberatungen hinter uns - noch auf viele Jahre sparsam wirtschaften. Die Küste wird zur Zeit - ich sage: aus guten Gründen - vorrangig bedient, und ich denke, Bonn eignet sich nicht als Prügelknabe einzelner Landesregierungen, die ja in ihrem eigenen Verantwortungsbereich nun auch nicht in jedem einzelnen Falle mit den Ergebnissen ihrer Politik immer ganz glänzend dastehen.
Erlauben Sie mir noch einen Einschub: Es hat sich ja weitgehend eingebürgert, daß die oder der Abgeordnete, der sich für seinen örtlichen Bereich besonders einsetzt und besonders viel herausholt, zu Hause als ein besonders erfolgreicher Abgeordneter gilt. Dabei pflegt man herunterzuspielen, daß dieser Erfolg normalerweise auf Kosten von irgend jemand anderem zustande kommt. Ich habe mich an diesem Spiel genauso beteiligt wie manche anderen, die ich hier sehe.
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Vielleicht muß man sich und anderen bisweilen in Erinnerung rufen,
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daß die Bürgerinnen und Bürger nie nur Bürger ihres Wohnortes sind, sondern zugleich ja immer auch Bundesbürger, wie Bundestagsabgeordnete ja immer auch zugleich Interessenwahrer der ganzen Bundesrepublik Deutschland sein sollen und auch sind. So ist das eben auch bei den Finanzhilfen für die Küstenregion.
Wir teilen die Bewertung der Bundesregierung, daß bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Gewährung der Finanzhilfen die Küstenregion als Einheit betrachtet werden muß. Die Stadtstaaten und die sie umgebenden Flächenstaaten sind wie städtische und umliegende ländliche Regionen in den übrigen Bundesländern auf vielfältige Weise wirtschaftlich und in ihrer Infrastruktur miteinander verflochten und gegenseitig aufeinander angewiesen. Es ist deshalb notwendig, bei einer Strukturanalyse auf die Defizite in der Wirtschaftskraft des Gesamtraumes hinzuweisen und nicht einzelne Teilgebiete herauszunehmen. Teilbereiche wie die Stadtstaaten dürfen nicht isoliert betrachtet und wegen ihrer stärkeren städtischen Wirtschaftskraft von Strukturhilfen ausgeschlossen werden. Das ist dankenswerterweise ja auch nicht geschehen.
Der gerade verabschiedete Bundeshaushalt 1987 enthält an vielen Stellen Hilfen für den Norden, gerade auch für den Werftenbereich. Weitergehende Forderungen konnten nicht nur aus Gründen des Bundeshaushalts, sondern auch wegen einsetzenden Murrens anderer Bundesländer nicht erfüllt werden.
Meine Damen und Herren, das vorliegende Maßnahmenpaket ist ein wichtiger Beitrag zur Modernisierung der wirtschaftlichen Struktur des Küstenraums, zur Abfederung des Anpassungsprozesses in der Werftindustrie, und zwar Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen. Daher stimmen wir diesem Gesetzentwurf sehr gerne zu.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die norddeutsche Region hat die Schiffbau- und Zulieferindustrie tatsächlich eine herausragende Bedeutung. Tausende von Arbeitnehmern finden hier Arbeit und leider fast nur hier Arbeit. Nicht einmal mehr ein Unternehmen wie MBB, das mit einem zukunftsträchtigen Produkt wie dem Airbus eigentlich die Arbeitsplatzlücke füllen sollte, kann heute garantieren, daß es in München oder in der norddeutschen Region Arbeitsplätze auf Dauer anbieten kann.
Weil wir sehen, daß dies die einzigen Möglichkeiten für die norddeutsche Region sind, hat die SPD sich immer dafür ausgesprochen, daß wir Hilfen zur Verfügung stellen, damit dort Regionalpolitik und Strukturpolitik betrieben werden kann, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist. Das hat uns übrigens auch nie gehindert, für das Saarland zu sprechen. Das hat uns auch nie gehindert, für die Region in Nordrhein-Westfalen zu sprechen, wo Kohle- und Stahlstandorte mit denselben Problemen zu kämpfen haben wie wir in Norddeutschland. Die Arbeitslosigkeit nimmt allerdings in Schleswig-Holstein und in der norddeutschen Region langsam bedrohliche Ausmaße an: 15% in Rendsburg, 15% in Lübeck, 15 % in Kiel, 17 % in Flensburg, 20 % in Emden und nicht sehr viel weniger in Bremen und Bremerhaven. Und die, die einen Arbeitsplatz haben, können nicht einmal sicher sein, daß sie ihn behalten werden; und die, die heute einen Arbeitsplatz haben, können nicht sicher sein, daß ihre Kinder dort morgen einen Ausbildungsplatz finden, und die, die dort einen Arbeitsplatz haben, können nicht sicher sein, daß sie anständige Löhne bekommen werden, wenn hier in Bonn dauernd dafür gestritten wird, daß die Löhne nach unten korrigiert werden müßten.
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Allein seit der Wende sind in Kiel bei den Howaldtswerken 2 500 Arbeitnehmer, die in der Werft geschuftet haben, die sich für ihre Werft kaputtgemacht haben, entlassen worden. Hätte die Bundesregierung die Aktivitäten, die sie unternommen hat, um das illegale Waffengeschäft mit dem Regime in Südafrika in Gang zu bringen, dafür eingesetzt, um die Arbeitsplätze in Bremen oder in Kiel aufrechtzuerhalten, wäre den Arbeitnehmern mehr geholfen worden.
({1})
1983 ist die AG Weser in Bremerhaven kaputtgegangen. Niemand von Ihnen hat sich darüber aufgeregt. Die 4 000 Arbeitnehmer in Kiel, die knapp
1 000 in Rendsburg, die knapp 40 000 in der gesamten Republik, die noch heute einen Arbeitsplatz auf den Werften haben, müssen jetzt fürchten, daß beispielsweise in Rendsburg die Anschlußaufträge im Mai vorbei sein werden, daß auch in Flensburg die Atempause nur für ein halbes Jahr ist, und nicht einmal in Kiel ist sicher, daß dort eine dauerhafte Konzeption gefunden worden ist. Es ist meiner Meinung nach beinahe schon ein Skandal, wenn sich die Bundesregierung bei einer Strukturkrise, die ja weder die Region noch die Arbeitnehmer, ja nicht einmal mehr die Manager zu verantworten haben, darauf zurückzieht, dies müsse nun „von unten" gelöst werden.
Das Lohnargument, Herr Dr. Stoltenberg, finde ich langsam einen Quatsch.
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Selbst wenn Sie den Lohn auf Null setzen würden, ist bei der weltweit geringen Nachfrage nach Schiffen kein einziger Schiffsneubau in irgendeine deutsche Werft zu ziehen. Wenn die Nachfrage nicht da ist, kriegen Sie es auch nicht zum Nulltarif gebaut.
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Ob Sie dem Einzelhandel in Schleswig-Holstein, der vom Weihnachtsgeschäft sehr viel weniger als beispielsweise der in Süddeutschland mitbekommen hat, einen großen Gefallen damit tun, daß Sie nun auch die Löhne kürzen, wage ich zu bezweifeln.
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Mit 300 Millionen DM sollen in zwei Jahren in vier norddeutschen Küstenländern Arbeitsplätze geschaffen werden. Das reicht hinten und vorn nicht aus. Es hat obendrein den Nachteil, daß es ein Programm, das Sie damit machen wollen, nicht gibt. Was nützen denn Gewerbeflächen. In jeder Kommune, in Ihrem Wahlkreis, Herr Dr. Stoltenberg, Rendsburg und Eckernförde, gibt es Gewerbeflächen. Nur, es steht nichts drauf. Sie können natürlich den Arbeitnehmer auf die Gewerbefläche führen und ihm zeigen, wie schön sie ist. Es nützt ihm nichts, wenn kein Betrieb darauf ist, wo er einen Arbeitsplatz finden kann.
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Noch mehr Gewerbefläche, noch mehr Gewerbegebiet - das ist übrigens nicht nur in Rendsburg und Eckernförde so -, wo ja dann der Wettlauf zwischen den Kommunen stattfindet, wer wen zum Nulltarif in seine Kommune zerrt - ich bitte Sie, sich doch mal das Beispiel Ikea zwischen Schleswig-Holstein, Kaltenkirchen und Hamburg anzugucken -, ist nun wirklich nicht das, was wir dort oben brauchen.
Wir brauchen neue Programme, die uns beispielsweise vorschlagen, wie neue Technologien nach Schleswig-Holstein gebracht werden können, wie durch die Zusammenarbeit mit Industrie- und Handelskammer, mit Universitäten, mit den Arbeitnehmern, mit den Betriebsräten, mit den Arbeitgebern, mit den Wirtschaftsministerien etwas gemacht werden kann, was sich am Ende in Arbeitsplätzen niederschlägt. Wir brauchen Umschulung und Fortbildung, die nicht in Arbeitslosigkeit führen, sondern wo der Arbeitnehmer weiß, daß er, wenn er umgeschult und fortgebildet ist, irgendwo einen dauerhaften Arbeitsplatz finden wird, der seiner neuen Qualifikation gemäß ist. Welche Diversifizierung soll denn im Norden stattfinden, und wo soll sie stattfinden?
Richtig ist natürlich, daß zum ersten Mal eine Bundesregierung nach Art. 104a des Grundgesetzes einen Vorschlag macht. Nur, ich finde diesen Vorschlag nicht so berauschend. Denn es ist ein sehr schwieriges und sehr unflexibles Instrument, das obendrein Begehrlichkeiten in anderen Ländern weckt. Bayern hat ja schon angemeldet, daß es nächstes Jahr auch so ein „Bonnsche" haben will.
Es paßt nicht in Ihr marktwirtschaftliches Konzept, als Staat etwas zu machen, das schnell und direkt wirkt. Und es paßt nicht in Ihr marktwirtschaftliches Konzept zu definieren, was unter au-Ben-, sicherheits- und technologiepolitischen Gesichtspunkten an Werftenkapazität zumindest erhalten bleiben muß und was darüber hinaus in Ersatzarbeitsplätze umstrukturiert werden muß.
Ihr einziger Vorschlag neben der Anwendung des Art. 104 a - wir sind dankbar, daß es Gott sei Dank wenigstens etwas gibt - ist, daß Sie die sozialen und die regionalen Folgen den Arbeitnehmern aufdrücken, indem Sie zuerst fordern, daß sie weniger Lohn bekommen und sich dann nach einem neuen Arbeitsplatz, möglichst in Baden-Württemberg umsehen. Dann sind die Länder freundlichst aufgefordert, sich etwas einfallen zu lassen, als ob es - es fällt mir beinahe schwer, das zu sagen - ein Problem der schleswig-holsteinischen Regierung wäre, daß auf den schleswig-holsteinischen Werften keine Schiffe mehr gebaut werden. Was man ihr auch sonst anlasten kann, das kann man der schleswigholsteinischen Regierung nicht anlasten, übrigens auch nicht der Hamburger Regierung, auch nicht der von Bremen und auch nicht der von Niedersachsen.
An den Werftstandorten sind Wissen und Können bei den Arbeitnehmern vorhanden. Es gibt auch Aufgaben, die der Staat, die Länder, die Kommunen zu bewältigen hätten. Von der Umweltsanierung bis zur Versorgung mit sanfter Energie, von Off-Shore-Technik bis zu Kläranlagen ist genau das auf dem Markt vorhanden, was wir brauchen. Rohrleger, Schweißer, Elektrotechniker, Zimmerleute, die Schiffe bauen können, können beispielsweise auch Kläranlagen bauen. Man muß es nur wollen und politisch durchsetzen können. Dann kann man Arbeitsplätze schaffen.
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Es kommt im Grund genommen nur darauf an, politisch das Signal zu setzen, daß diese Fähigkeiten nicht in Arbeitslosigkeit münden, sondern in sinnvoll genutzte und gesellschaftlich gewollte Arbeit umgesetzt werden. Dazu muß man nicht nach Art. 104a des Grundgesetzes kleckern, sondern man
muß klotzen und große Programme aufnehmen, damit schnell geholfen werden kann.
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Wenn die Küste erstmals „Land unter" ist, sind die Rettungsversuche noch teurer.
Zufriedenstellend ist das nicht, was hier heute vorgeschlagen ist. Dennoch stimmen wir zu, weil wir nicht das Gefühl haben, wir könnten Sie noch bewegen, etwas Besseres zu machen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 300 Millionen DM gewährt der Bund in den nächsten beiden Jahren zur Stärkung der Wirtschaftskraft, der Wirtschaftsstruktur in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen sowie in Hamburg und Bremen. Die FDP unterstützt und begrüßt diese Entscheidung.
Dieses Geld muß jetzt effektiv und sinnvoll ausgegeben werden. Ich wünsche mir dabei ein gemeinsames Vorgehen der betroffenen Flächenländer und Stadtstaaten. Denn die Strukturprobleme machen nicht an den jeweiligen Landesgrenzen halt. Das gilt für die Wirtschaftsprobleme im Küstenraum genauso wie für das Abwandern von Unternehmen und das Nichtvorhandensein von Arbeitsplätzen. Es wäre eine Illusion zu glauben, daß das Süd-Nord-Gefälle, das sich in den letzten zehn Jahren herauskristallisiert hat, mit der in Aussicht gestellten, aber zeitlich begrenzten Finanzspritze in sein Gegenteil verkehrt wird. Das einst blühende Norddeutschland wird seine geschwächten Wirtschaftsbereiche von gestern durch diese Mittel nicht kurzfristig gesunden können. Tatsache ist, daß der Norden auf Grund seiner Wirtschaftsbranchen vom weltwirtschaftlichen Strukturwandel härter getroffen wird als der Süden und in der Anpassung bisher nicht sehr erfolgreich war.
Die Folgen sind die anhaltende wirtschaftliche Stagnation und die höhere Arbeitslosigkeit als im Bundesdurchschnitt. Noch entspricht eine Zweiteilung der Bundesrepublik Deutschland in einen wirtschaftlich abgeschlagenen Norden und einen erfolgreichen Süden nicht der Wirklichkeit. Dies soll und darf auch in Zukunft nicht so sein. Deshalb stellen wir Finanzmittel zur Verfügung, nicht um Sterbehilfe zu leisten, sondern um die Wirtschaft anzukurbeln, um neue Impulse zu geben. Der Wachstumskurs, den die Sachverständigen in ihrem Herbstgutachten für die Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen haben und der ihrer Meinung nach auch weiter anhalten wird, darf nicht nördlich der Mainlinie zu Ende sein.
Natürlich hat diese Regierung gewisse Schwierigkeiten bei Subventionen, die diese Mittel j a sind. Ich meine, das ist auch gut so. Das schreibt sich die FDP gern auf ihre Fahnen. Genauso wie wir dagegen sind, daß ein Konzern wie Mercedes-Benz Finanzhilfen bekommt, sind wir auch dagegen, Millionensummen strukturkonservierend auszugeben. Beides geht zu Lasten des leistungswilligen Mittelstandes. Die Zuwendung von Finanzmitteln kann nie eine Dauerlösung zur Beseitigung von Problemen sein. Die Wirtschaft muß aus eigener Kraft wieder auf die Beine kommen. Die 300 Millionen DM sollen dabei richtungweisend ausgegeben und nicht als Beginn einer Dauersubvention verstanden werden. Dabei appelliere ich an die Verantwortlichkeit der Länderregierungen für einen sinnvollen Verwendungszweck, für zukunftsorientierte Investitionen.
Rosarote Zeiten lassen sich für Niedersachsen und Schleswig-Holstein selbst in Wahlkampfzeiten nicht heraufbeschwören. Ich sehe da in der nächsten Legislaturperiode ein hartes Stück Arbeit auf uns zukommen: um der Werftenkrise Herr zu werden, um eine Weichenstellung in der Agrarpolitik vorzunehmen - denn die Agrarproduktion hat ja in den Küstenländern noch überproportionale Bedeutung -, um die Arbeitsplätze vieler Menschen zu sichern und um neue für Erwerbswillige zu schaffen.
Die Misere bei den Werften und im Schiffbau läßt sich kurz dahin zusammenfassen, daß es zu viele Schiffe und zu wenig Ladung gibt.
({0})
Ich kann mich nicht an eine größere Krise als an die derzeit vorhandene erinnern. Werften und Schiffahrt sind von existentieller Bedeutung für den Wirtschaftsraum der Küste. Überkapazitäten müssen aber sinnvoll abgebaut werden, wenn keine Nachfrage vorhanden ist, oder die Unternehmen müssen sich umorientieren, z. B. im Spezialschiffbau tätig werden oder Aufträge aus anderen Bereichen übernehmen, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Einige wenige haben es geschafft, sich rechtzeitig umzuschauen und umzustellen.
Die FDP ist der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland als eine der führenden Handelsnationen auf eine angemessene, qualitativ-hochwertige und leistungsfähige Handelsflotte auf privatwirtschaftlicher Grundlage nicht verzichten darf. Dazu müssen aber zuallererst internationale Wettbewerbsverzerrungen und nationale Sonderbestimmungen aus der Welt geschaffen werden.
Der Abbau von Überkapazitäten muß langsam erfolgen und darf nicht sich selbst überlassen bleiben. Die schwierige Arbeitsmarktsituation im Küstenbereich ist unmittelbar mit der Werftenkrise verbunden. Wir brauchen Ersatzarbeitsplätze für diejenigen, die aus dem Werftenbereich ausscheiden müssen. Um einen Arbeitsplatz auszufüllen, braucht man heute mehr denn je Qualifikation. Manch ein Unternehmen, das sich an das örtliche Arbeitsamt wendet, um einen Facharbeiter einzustellen, wird enttäuscht, da auf diesem Sektor ein ausgesprochener Mangel besteht. Wichtig ist, daß von Rationalisierung und Konkursen betroffene Arbeitnehmer rechtzeitig und unbürokratisch auf eine neue Erwerbstätigkeit vorbereitet werden, und zwar durch
praxisnahe Ausbildungswege. Das Statistische Jahrbuch weist leider aus, daß der Anteil von hohen Qualifikationen im Norden unter dem Bundesdurchschnitt liegt, während er im Süden zumindest bei den technischen Berufen überdurchschnittlich ist.
Neben der Werftenkrise und der hohen Arbeitslosigkeit ist ein dritter Indikator der norddeutschen Wirtschaftsstruktur zu nennen: die Landwirtschaft. Die ländlichen Räume sind auf die klassische landwirtschaftliche Produktion ausgerichtet, ohne die das ganze Wirtschaftsgefüge - Zulieferer, Händler, Abnehmer - keine zentrale Säule mehr hätte. Die anhaltende Einkommenskrise und der anhaltende Strukturwandel in der Landwirtschaft bei wachsenden Überschüssen können uns nicht glauben machen, daß gerade dieser Sektor etwas zum wirtschaftlichen Aufschwung in Norddeutschland beitragen könnte.
Was ist zu tun? Wir Liberalen wollen unsere erfolgreiche Wirtschaftspolitik fortsetzen. Sie muß ergänzt werden durch eine leistungsorientierte Steuerreform, durch einen gezielten Abbau von strukturverkrustenden Subventionen, durch größere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Ich bin davon überzeugt, daß die wachstumsorientierte Politik dieser Bundesregierung auch dem Norden zugute kommen wird.
Die Verkehrsinfrastruktur muß in den marktfernen Küstenbereichen verbessert werden, damit die Entfernungen schrumpfen und die Attraktivität ländlicher Regionen steigt. Günstige Verkehrswege sind das A und O für die Ansiedlung neuer Unternehmen. Neben der Bestandspflege leistungsfähiger ansässiger Unternehmen muß die Technologieförderung vorangetrieben werden. Ohne zukunftsorientierte Betriebe ist keine wirtschaftliche Dynamik zu erwarten. Bei einer solchen Politik wird es gar nicht erst zu dem Gegensatz fortschrittlicher Süden/rückschrittlicher Norden kommen.
Wir Liberalen wollen Zukunft durch Leistung. Dies werden wir in der nächsten Legislaturperiode durch die Weiterführung einer vernünftigen Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik unter Beweis stellen, damit Norddeutschland wieder Aufwind erhält.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 300 Millionen DM für die strukturschwache Küste, das hört sich erst einmal ganz gut an. Sicher denkt so mancher norddeutsche Finanzsenator oder Finanzminister: Das ist besser als gar nichts. Und überhaupt: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Allerdings nur ein Blick aus dem Fenster verrät uns, daß diese 300 Millionen DM bestenfalls den Charakter einer Ablaßzahlung haben.
Da fließen zur Zeit tonnenweise giftige Stoffe den Rhein herunter. Sie sammeln sich in der Nordsee, die in den nächsten Jahren in den küstennahen
Bereichen umkippen wird, wenn nicht sofort etwas geschieht. Ich frage mich: Wieviel Geld wollen Sie denn bezahlen, wenn beispielsweise die 30 000 Menschen, die allein auf den ostfriesischen Inseln vom Fremdenverkehr leben, arbeitslos werden, weil es keine saubere Nordsee mehr gibt. Das ist doch der Wahnsinn, der hier eigentlich geschieht.
({0})
Ich bin dafür, daß Norddeutschland die 300 Millionen DM bekommt. Wenn aber gleichzeitig nichts geschieht, was dagegenwirkt, daß die Nordsee die Müllkippe der Nation wird,
({1})
und wenn auf diese Art und Weise eine ganze strukturschwache Gegend noch weiter kaputtgemacht wird, dann macht das für mich keinen Sinn mehr. Dann sind das nur noch Ablaßzahlungen bzw. dann ist es nichts anderes, als daß man versucht, vielleicht sein Gewissen zu beruhigen. Wirksam zur Erhaltung der Küste und zur Erhaltung der Nordsee wird es nicht sein.
({2})
Ich befürchte auch stark, daß zwar mit diesen 300 Millionen DM etwas Beschäftigung geschaffen wird und daß vielleicht die durch eine völlig verfehlte Strukturpolitik der Vergangenheit defizitären Kassen von Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein etwas aufgefüllt werden. Aber gegen die Strukturkrise an der Küste und die dortige Arbeitslosigkeit wird es insgesamt wenig helfen. Viel früher schon hätte man erkennen müssen, daß allein die Hoffnung auf einen neuen SchiffbauBoom noch lange keine Aufträge für deutsche Werften schafft. Ich frage mich, was eigentlich entlang der Küste passiert und was in Hamburg und insbesondere in Bremen passiert, wenn der Airbus nicht weitergebaut wird. Dann sind die qualifizierten Arbeitskräfte, die dort arbeiten auch noch zusätzlich arbeitslos. Das Problem wird sich noch weiter verschärfen. Man liest heute ja schon in der „Süddeutschen Zeitung", daß Herr Strauß offensichtlich bereits Politik gegen die Küste in dieser Sache macht.
Viel früher, meine ich, hätte man den Hinweis der IG Metall ernst nehmen können, daß auf Werften auch anderes produziert werden kann als Schiffe.
({3})
Die IG Metall hat sehr früh darauf hingewiesen. Es ist ein Versagen der Verantwortlichen an der Küste, aber auch im Bund, weiterhin eine Strukturpolitik betrieben zu haben, die die alten Strukturen erhält und keine neuen schafft. Das ist das Problem der Strukturkrise an der Küste.
({4})
Größte Befürchtungen habe ich auch, wenn ich höre, daß Geld in Infrastrukturmaßnahmen gesteckt werden soll. Das geht in die Richtung: Steuergelder in Beton verwandeln. Der größte ökonomische und strukturpolitische Fehler ist es, einer Entwicklung hinterherzulaufen, die woanders schon auf ihrem Höhepunkt ist. Das ist wie mit dem Ha19880
Dr. Müller ({5})
sen und dem Igel: daß norddeutsche Gemeinden plötzlich Gründerzentren und Technologieparks aufbauen, die natürlich nicht florieren. Nein, richtiger wäre es, in die Zukunft zu investieren.
Für die ländlich strukturierten Gebiete in Norddeutschland bedeutet das, daß endlich der Weg gefunden werden muß in eine ökologische verträgliche Anbauweise. Es muß Schluß damit sein, daß die Landwirtschaft wegen der Überdüngung der größte Naturvernichter in Norddeutschland ist und daß die Landwirte dafür auch noch Subventionen kassieren.
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Existenzsicherung für kleinere und mittlere Betriebe und härteste Umweltauflagen sind hier gefragt. - Sie rufen dazwischen, das sei falsch.
({7})
- Von der rechten Seite ist der Zwischenruf gekommen. Sie haben ihn leider nicht gehört; das kann ja einmal passieren.
({8})
- Nein, das ist nicht der Fall. Ich kann Ihnen das Manuskript gerne zeigen.
Haben Sie „falsch" gerufen? - Haben Sie. Danke schön. Gut, dann haben wir das geklärt.
Geben Sie doch endlich einmal zu, daß wir in Norddeutschland, insbesondere in Niedersachsen, wo man vom Schweinegürtel spricht, ein riesiges Gülleproblem haben.
({9})
Bedenken Sie, daß es in Niedersachsen mehr Schweine als Niedersachsen gibt.
({10})
Das ist doch wirklich ein Zeichen dafür, daß hier Massenproduktion stattfindet, die mit der Natur nicht verträglich ist.
({11})
Schluß muß auch sein mit der gescheiterten Strategie der Nachindustrialisierung entlang der Flüsse mit Chemiewerken wie ICI und dergleichen.
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- Wenn Sie jetzt auch noch dazwischenrufen, das sei beleidigend gegenüber den Niedersachsen,
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dann bedenken Sie bitte, daß das Schwein, wenn es natürlich gehalten wird, ein sehr sauberes Tier ist.
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Wenn die Küste eine Chance in der Zukunft haben soll, dann ist es angesichts der vielen qualifizierten Arbeitskräfte, die es ja in Norddeutschland gibt, erforderlich, hier eine Kombination von Ökologie auf der einen Seite und modernster Computertechnologie auf der anderen Seite zu praktizieren. Abfallregelungssysteme, sanfte Chemie auf der Basis computergeregelter biologischer Verfahren, solare Wasserstoffenergiewirtschaft, angepaßte Technologien für die Dritte Welt - das sind wirklich Chancen für Norddeutschland in der Zukunft. Das gilt hingegen nicht für das, was Sie machen: Steuergelder in Beton verwandeln bzw. alte Strukturen erhalten.
Was die Küste braucht, sind also keine sporadischen Ausgleichszahlungen, sondern längerfristige Konzepte, zu denen die Landesregierungen in Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein bislang j a nicht fähig waren.
Ein guter Ansatzpunkt war dagegen das Konzept der IG Metall. In diesem Konzept werden den strukturschwachen Branchen wenigstens zukunftsträchtige Bereiche gegenübergestellt. Diese Anregungen sind nie aufgenommen worden; von Ihnen vielleicht deswegen nicht, weil sie von der IG Metall gekommen sind. Wir GRÜNEN haben diese Anregungen ernstgenommen. Wir glauben, daß das wirklich einmal Vorschläge sind, zu denen man sagen kann: Das sind Überlegungen von unten, die wissenschaftlich abgesichert sind. Zu Recht wird in dem Vorschlag der IG Metall auch betont, daß in einer ökologisch orientierten Industrie für Norddeutschland eine Zukunft liegt. Ich finde, das ist ein wichtiges Ergebnis der Auseinandersetzungen innerhalb der Gewerkschaften.
Das Ziel der Finanzhilfen des Bundes sollte sein, die Wirtschafts- und Gewerbestruktur in den Regionen der norddeutschen Küstenländer umfassend aufzubauen und zu stärken. Es geht darum, das Vakuum wieder aufzufüllen, das durch eine jahrzehntelange verfehlte Industrialisierungspolitik an der Küste verursacht worden ist. Angesichts der Probleme, vor denen die Küstenregionen stehen - da ist das Arbeitsplatzproblem als erstes zu nennen -, käme es darauf an - gerade wenn man so etwas wie ein Nord-Süd-Gefälle zugrunde legt -, in Norddeutschland den ersten Schritt zu machen und dafür dann auch für umweltverträgliche Industrien Finanzhilfen zu geben. Ich bin sicher, daß Derartiges eine Zukunft hat, und ich bin mir sicher, daß Derartiges in Norddeutschland auch Arbeitsplätze schaffen würde.
Um zum Schluß zu kommen: Von all denen, die sich eigentlich darum kümmern müßten, hat nur die IG Metall Vorschläge für die Küstenregion gemacht. Hier wurde erstmals versucht, Ökologisches ernst zu nehmen, ein Konzept gegen eine veraltete Struktur zu entwickeln und damit auch das Arbeitsplatzproblem in Norddeutschland ernst zu nehmen. Bedenken Sie bitte: Wir haben in Norddeutschland Arbeitsamtsbezirke mit 30 % Arbeitslosigkeit. Dies führt zu einer Erpreßbarkeit der Region, die wir hier, glaube ich, noch gar nicht richtig einschätzen. Finanzhilfen sollten, mit guten Konzepten verbunden, die Region aus dieser Erpreßbarkeit befreien. Das wäre eine Politik, die uns die Chance gäbe, in der Zukunft in Norddeutschland wirklich etwas zu schaffen und aus der unseligen Konkurrenz um Industrieansiedlung herauszukommen. Die AbgeordDr. Müller ({15})
nete Simonis hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß wir ein großes Überangebot an industrialisierten Flächen haben, daß aber auf ihnen nichts passiert. Diese Konkurrenz ist von der ökologischen Seite her sehr gefährlich und kann dazu führen, daß die restlichen die Natur erhaltenden Bestände, die wir in Norddeutschland noch haben und die für die Attraktivität Norddeutschlands wichtig sind, zusätzlich zerstört werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf in der Fassung der Regierungsvorlage anzunehmen.
Ich rufe die §§ 1 bis 8, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Eine Reihe von Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN.
({0})
Damit sind die einzelnen Vorschriften des Gesetzentwurfs mit großer Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Lesung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. Damit ist das Gesetz mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die sofortige Stillegung von Atomanlagen in der Bundesrepublik Deutschland ({1})
- Drucksache 10/1913 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 10/5574 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Warrikoff Dr. Hirsch
Schulte ({3})
({4})
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schily, Schulte ({5}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Illegale Plutoniumverarbeitung in Hanau - Drucksachen 10/5160, 10/5772 -
c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes betr. die Änderung vom 27. September 1984 der Satzung der Internationalen Atomenergie-Organisation
- Drucksache 10/6600 Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({6})
- Drucksache 10/6674 Berichterstatter:
Abgeordnete Schwarz Verheugen
Fischer ({7})
({8})
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6707 und 10/6708 sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/6717 und 10/6726 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurden eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 6 a bis c und ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tatge.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der sechs Wochen nach Tschernobyl erarbeitete Bericht des Innenausschusses ist ein Dokument der Uneinsichtigkeit und der Unbelehrbarkeit. Wie heißt es in dem Bericht auf Seite 3:
Zur Begründung der Ablehnung des Gesetzentwurfs war seitens der Fraktion der CDU/CSU hervorgehoben worden, diese sei in keiner Weise der Auffassung, daß es sich bei der Kernenergie um eine Energieform für eine Übergangszeit handle, sondern daß dies die große Energieform der Zukunft sein werde.
Natürlich wollten auch die Genossen von der Sozialdemokratie dem nicht nachstehen und sekundierten:
Eine solche sofortige Stillegung sei aus der Sicht der Fraktion der SPD gegenwärtig nicht durchführbar. Wegen des hohen Sicherheitsstandards der Kernkraftwerke der Bundesrepublik Deutschland könne die Kernenergie nach Auffassung der Fraktion der SPD für eine Übergangszeit genutzt werden.
Meine Damen und Herren von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD, ich fordere Sie heute auf, Stellung zu nehmen zu diesem Bericht des Innenausschusses und zu sagen, ob Sie - zumindest nach Tschernobyl - in der Einschätzung der Frage der Atomenergie wenigstens etwas dazugelernt haben.
({0})
Schon im Jahre 1984 haben wir mit unserem Gesetzentwurf über die sofortige Stillegung der Atomanlagen in der Bundesrepublik Deutschland aufgezeigt, daß ein sofortiger Ausstieg möglich ist, finanziert werden kann und selbstverständlich mit einer ökologischen Optimierung der fossilen Kraftwerke verknüpft sein muß.
({1})
Ökologische Optimierung bedeutet, daß über die Vorschriften der Großfeuerungsanlagen-Verordnung der Bundesregierung hinaus alle machbaren Schritte ergriffen werden, um die Belastung durch Schwefeldioxid und Stickoxid zu verringern. Der Einsatz von Erdgaskraftwerken ist möglich und notwendig. Darüber hinaus gibt es viele Einzelmaßnahmen, die zu einer Reduzierung beitragen könnten.
Was treibt eigentlich die Bundesregierung, so frage ich Sie, zu einer derartig sturen Haltung, wie dies in der Frage der Wiederaufbereitungsanlage zu erkennen ist? Gegenüber einer großen Mehrheit der Bevölkerung in der Oberpfalz, aber auch in der gesamten Bundesrepublik Deutschland wollen Sie dieses Projekt realisieren. Sie greifen zu zerstörerischen, illiberalen Maßnahmen, führen Polizeiverstärkung statt Politikveränderung durch, befürworten Versammlungsverbote für die Bundeskonferenz der Anti-AKW-Bewegung für ganz Bayern und wollen mit Polizeiknüppeln vor Ort die Menschen am gewaltfreien Widerstand hindern. Jeder weiß oder kann wissen, daß dieses Projekt ökologisch verheerend, sicherheitstechnisch in höchstem Maß bedenklich, volkswirtschaftlich unsinnig und selbst für die laufenden Atomkraftwerke als unnötig erachtet wird.
({2})
Worum geht es also der Bundesregierung, worum geht es Herrn Strauß? Jenseits der Kontroverse über das Motiv für den Bau des Zehnmilliardenprojekts in Wackersdorf ist eines unstrittig: Wiederaufbereitungsanlagen sind militärische Schlüsseltechnologien, die ausschließlich für militärische Zwecke zur Abtrennung des Bombenplutoniums entwickelt wurden. Noch heute ist jede moderne Atomwaffe auf eine Plutoniumabtrennung mittels WAA angewiesen. Sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien und in der Sowjetunion wird die Wiederaufarbeitungstechnik für zivile und militärische Zwecke eingesetzt, in den USA zur Zeit ausschließlich für militärische Zwecke.
In der Tat besteht nach wie vor eine Ablehnung des Atomwaffensperrvertrages durch große Teile der CDU/CSU. Der Vertrag läuft im Jahre 1995 aus. Genau dann soll im übrigen die Wiederaufarbeitungsanlage in Betrieb gehen. Ihnen geht es anscheinend um einen ganz anderen Zweck, als Sie im Deutschen Bundestag und vor der Öffentlichkeit immer darlegen. Denn wenn Sie sich von politischen, ökonomischen, technischen Argumenten leiten lassen würden, müßten Sie diese Technologie und die Wiederaufarbeitungsanlage ablehnen. Aber wie sagte schon Schopenhauer: Aller Eigensinn beruht darauf, daß sich der Wille an die Stelle der Erkenntnis gedrängt hat.
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Wir fordern in unserem heutigen Antrag die Bundesregierung auf, die Plutoniumfabrik Alkem in Hanau sofort zu schließen und den dort Beschäftigten durch Umschulungsbeihilfen eine neue berufliche Perspektive zu eröffnen.
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Die Schließung der Firma Alkem ist der erste, überfällige Schritt zur Beendigung der Plutoniumwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland.
Alle neuen Studien und Fakten, die im Zusammenhang mit der Atomenergie bekanntwerden, belegen, daß ein Ausstieg dringend geboten ist. So sagt die Studie der „Union of concerned science" über Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich: Atomkraftwerke der Babcock-&-Wilcox-Linie wie der Reaktor in Mülheim-Kärlich sind - ich zitiere - „von sich aus störanfälliger als andere Druckwasserreaktoren". Die gesamte Studie beschäftigt sich mit den konstruktionsbedingten Schwachstellen dieses Reaktortyps. Kritisiert werden von den Wissenschaftlern die einzigartigen Dampferzeuger und die relativ klein dimensionierten Druckbehälter, die deshalb ungewöhnlich störanfällig seien. Während in den anderen Reaktortypen vier Dampferzeuger eingebaut sind, hat der Atommeiler Mülheim-Kärlich im Erdbebengebiet des Neuwieder Beckens nur zwei der viel zu klein ausgelegten Erzeuger. Diese Studie belegt eine alte Forderung der rheinland-pfälzischen GRÜNEN, daß erstens Mülheim-Kärlich stillgelegt bleiben muß und, möchte ich hinzufügen, ein Abriß sofort einzuleiten ist.
({5})
Ein weiterer Beleg für die Gefährdung durch Atomkraftwerke stellt die Untersuchung des TÜV Norddeutschland über die Ereignisabläufe bei einem Super-GAU in den Atomkraftwerken Stade, Brokdorf, Krümmel und Brunsbüttel dar. Aus der bereits 1985 fertiggestellten TÜV-Untersuchung und der Bewertung dieses Berichts durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit vom 13. August 1986 geht hervor: Für die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel, die einzigen bisher untersuchten Siedewasserreaktoren, muß bei den drei wahrscheinlichsten Störfallabfolgen mit einem Bruch des Sicherheitsbehälters innerhalb von 3 bis 21 Stunden gerechnet werden.
({6})
Alle Katastrophenschutzpläne basieren jedoch auf der Hoffnung, daß die Reaktorkuppel wenigstens 48 Stunden dicht bleibt. In dem 25-km-Radius um Brunsbüttel leben ca. 200 000 Menschen, um Krümmel 450 000 Menschen. Wer diese Reaktoren weiter betreibt, gefährdet die Gesundheit, die Sicherheit und das Leben all dieser Menschen.
({7})
Zu begrüßen ist, daß zumindest der Hamburger Energiesenator Jörg Kuhbier und Fritz Varenholdt die zumindest vorläufige Abschaltung aller SiedeTatge
wasserreaktoren in der Bundesrepublik gefordert haben.
({8})
Ganz unglaubwürdig wirkt allerdings die Sozialdemokratie mit ihrem Beschluß, innerhalb von zehn Jahren auszusteigen. Entweder, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, Atomkraftwerke sind gefährlich, stellen ein unmeßbares Risiko dar - dann muß man sofort aussteigen - oder die Risiken sind vertretbar - dann kann man diese Reaktoren zehn Jahre laufen lassen oder sogar noch länger. Das übliche sozialdemokratische Sowohl-Als-auch gibt es in diesem Zusammenhang nicht; denn wie heißt es in dem Zwischenbericht der SPD-Kommission „Sichere Energieversorgung ohne Atomkraft" - ich zitiere -:
Das ungelöste Entsorgungsproblem belastet unsere Nachwelt und verringert ihre Möglichkeiten, ihre Lebensumstände in Zukunft selbst noch zu wählen. Sie muß mit der Hypothek hochradioaktiver Substanzen auf unbegrenzte Zeit leben. Diese Hypothek darf nicht noch weiter vergrößert werden.
Eine Vergrößerung des Atommüllberges jedoch läßt sich nur dann vermeiden, wenn die Atomanlagen kurzfristig abgeschaltet werden. Eine Verlängerung der nuklearen Energieversorgung bis 1997, wie Sie es wollen, wird den Atommüllberg vervielfachen. Und zu Recht schreibt Ihre Kommission über die Atomkraft - ich zitiere -:
Ihr Risiko hat gegenüber fast allen anderen Technologien eine grundlegend andere Qualität, weil das Ausmaß eines Unfalls räumlich und zeitlich unabsehbar ist.
Wenn dies für alte und neue Atomkraftwerke gleichermaßen gilt, ist es widersprüchlich und kaum verantwortbar, wenn Sie nicht die Abschaltung, sondern lediglich eine erneute Sicherheitsprüfung für alle Atomkraftwerke fordern.
Im übrigen weist Ihre Kommission ebenso auf die Gefahren der Bombenherstellung und den militärischen Einsatz hin.
Wie schrieb Erich Mühsam, extra der deutschen Sozialdemokratie gewidmet:
War einmal ein Revoluzzer, im Zivilstand Lampenputzer; ging im Revoluzzerschritt mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: „Ich revolüzze!" Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr, kam sich höchst gefährlich vor.
({9}) Und zum Ende sagt er:
Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen, kann kein Bürger nichts mehr sehen. Laßt die Lampen stehn, ich bitt! - Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!
Doch die Revoluzzer lachten, und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich fort und weinte bitterlich.
Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben: nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, hier Gedichte vorzutragen,
({0})
und auch nicht, irgendwelche Lampen und andere Gegenstände zu putzen. Leider ist es nicht möglich, in einer Redezeit von zehn Minuten diese Themen so vertieft zu behandeln, wie sie es eigentlich verdient hätten. Aber ich glaube, man kann mit einer gewissen Betrübnis feststellen, daß doch immer wieder nicht nur von der Fraktion DIE GRÜNEN, sondern leider auch - und das macht die Sache natürlich etwas spannender und gewichtiger - von den Sozialdemokraten
({1})
diese Themen hier vorgebracht werden.
({2})
- natürlich, Herr Kollege, das gehört auch ins Parlament ({3})
- machen Sie sich keine Sorgen, mich werden Sie wiedersehen -, obwohl hier in diesem Parlament und in den Ausschüssen, mehrfach in Aktuellen Stunden, in der Debatte zu Großen Anfragen, in der Fragestunde alle diese Themen wirklich schon in extenso abgehandelt worden sind. Der Innenausschuß hat sich in einer Sondersitzung am 20. Februar mit dieser Thematik beschäftigt. Es hat eine Aktuelle Stunde etwa zu der Hanauer Problematik - der Kollege Reuter wird hiernach sprechen, er hat sich daran auch beteiligt - am 7. November 1986 gegeben. Noch am 5. November 1986 hat auch der Hessische Landtag darüber debattiert. Der Ministerpräsident des Landes Hessen, Herr Börner, hat zum Beispiel erklärt, daß die Betriebe dort auf einer völlig legalen Grundlage arbeiten. Ich weiß nicht: Was wollen Sie eigentlich? Warum bringen Sie immer wieder diese alten Ladenhüter hier herein?
Sie reichern das auch noch an mit drei Entschließungsanträgen, zu denen ich ganz kurz Stellung nehmen will; wir werden sie natürlich ablehnen. Der eine Antrag der GRÜNEN bezieht sich auf die Stillegung der Siedewasserreaktoren. Die Reaktorsicherheitskommission hat nach Tschernobyl am 18. Juni 1986 ganz klar gesagt: Es besteht kein Handlungsbedarf. Die Siedewasserreaktoren - ich
habe mich eben bei Herrn Bundesminister Dr. Wallmann noch einmal durch Rücksprache versichert
({4})
- waren ausdrücklich in diese Überlegungen einbezogen.
Meine Damen und Herren, die SPD aber hat hier in diesen beiden anderen Entschließungsanträgen wieder einmal unter Beweis gestellt, welch einen Eiertanz sie uns hier in der Energiepolitik vorführt
- mir fällt kein passenderer Ausdruck ein -, welch einen bemerkenswerten Slalomlauf sie in der Zeit von etwa von Dohnanyi über Hauff, über Matthöfer bis hin zu Andreas von Bülow zurückgelegt hat.
({5})
Meine Damen und Herren, Sie wissen ja, was passiert, wenn man beim Slalomlauf ein Tor
({6})
ausläßt. Sie haben da mehrere Tore ausgelassen.
({7})
- Da ist der Ball etwas größer. - Dann landet man entweder irgendwo im Wald oder man wird nachher disqualifiziert, falls man das Ziel erreichen sollte. Sie werden das Ziel nicht erreichen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dieser nur kurzen Redezeit beginnen, indem ich zunächst etwas zu der Satzungsänderung der IAEO vom 27. September 1984 sage. Es geht hier ganz konkret um die Aufnahme der Volksrepublik China in den Gouverneursrat dieser Organisation. Die CDU/CSU begrüßt dies ausdrücklich. Wir betrachten die Volksrepublik China auch im Rahmen der Regelungen des Nichtverbreitungsvertrages bei der zivilen Nutzung der Kernenergie als einen wichtigen Partner der internationalen Staatengemeinschaft. Wir begrüßen die Aufnahme der Volksrepublik China in dieses Vertragswerk als ständiges Mitglied im Gouverneursrat.
({8})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun einmal die Position der Union in der noch verbleibenden Zeit deutlich machen und damit auch gleichzeitig in der gebotenen Kürze zu den Entschließungsanträgen und zu den Großen Anfragen bzw. Anträgen, die hier heute zur Beratung anstehen, Stellung nehmen. Die ausreichende Versorgung mit Energie zu bezahlbaren Preisen - das wissen Sie alle - ist Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum, für Vollbeschäftigung, humanere Gestaltung der Arbeitswelt, Erhaltung des sozialen Netzes, Sicherung der politischen Stabilität und der zivilisatorischen Erleichterungen unseres Lebens. Eine ausreichende Energie- und Rohstoffversorgung ist damit die Grundvoraussetzung zur Sicherung unserer Existenz. Bei der Entscheidung über die Form der Energiegewinnung hat eine ständige Güterabwägung zwischen den Vorteilen und möglichen Risiken einer Technik im Vergleich zu anderen Techniken stattzufinden.
({9})
- Nein, das tun wir nicht, Herr Kollege Schäfer; das wissen Sie viel besser, daß das nicht der Fall ist. Es ist den Formen der Energieversorgung Vorrang einzuräumen - ich fasse das noch einmal zusammen -, die die Umwelt am geringsten belasten, die ein Höchstmaß an technischer Sicherheit bieten,
({10})
die preisgünstig und damit wirtschaftlich sind, die die Energieversorgung ausreichend und langfristig garantieren.
({11})
- Darauf kommt es nicht an, Herr Kollege, ob Sie das glauben oder nicht. Mit Ihrem Unglauben können wir leben.
Leben und Gesundheit der Menschen haben absolute Priorität vor allen sonstigen Interessen. Daran hat auch diese Bundesregierung nie einen Zweifel gelassen.
Gemessen an diesen Kriterien ist die friedliche Nutzung der Kernenergie - jetzt können Sie alle aufspringen und die Hüte schwenken, wenn Ihnen danach zumute ist - zur Zeit unverzichtbar und auf Grund einer verantwortungsbewußten Güterabwägung auch moralisch gerechtfertigt.
({12})
Eine Energieversorgung ohne jede Umweltbelastung ist nach dem gegenwärtigen Stand der Technik grundsätzlich nicht möglich.
({13})
Die derzeitige Luftverschmutzung, die ihre Auswirkungen z. B. in der Schädigung der Wälder zeigt - heute plötzlich kein Thema mehr -, ist vorwiegend auf die Nutzung fossiler Brennstoffe in den Feuerungsanlagen der Industrie und auch der privaten Verbraucher zurückzuführen.
({14})
Wirksamstes Mittel zur Bekämpfung dieser Belastungen und zur Verbesserung der Umweltbedingungen ist also eine Politik der Verringerung des Einsatzes fossiler Brennstoffe.
({15})
Ein Verzicht auf Kernenergie und deren Ersatz durch andere Energieformen würden aber auch in der Bundesrepublik Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Der Anstieg der Produktionskosten deutscher Unternehmen, die Erhöhung von Steuern und Zinsen wären die Folge und würden langfristig Arbeitsplätze, wirtschaftliches Wachstum, soziale Sicherheit und technischen Fortschritt gefährden.
Kernenergie sichert die Energieversorgung, die zur Zeit durch neue Formen der Energiegewinnung
nicht gewährleistet werden kann, obwohl die Bundesregierung - ich weise auf die Bemühungen des BMFT hin - hier durchaus am Ball ist und auch hier versucht, das forschungspolitisch Mögliche auszuschöpfen.
Heutige Generationen, meine Damen und Herren, dürfen sich nicht über Recht und Anspruch kommender Generationen hinwegsetzen.
({16})
Sie dürfen bei schnell wachsender Weltbevölkerung und noch stärker steigendem Energie- und Rohstoffbedarf nicht auf Kosten künftiger Generationen die nur begrenzt verfügbaren fossilen Naturrohstoffe erschöpfen.
({17})
Auch in einigen Schwellenländern und industriellen Ballungsgebieten der Dritten Welt kann Kernenergie wesentlich zur Lösung der Energie- und damit auch der Wirtschafts-, Ernährungs- und Umweltprobleme beitragen. Dies ist deshalb besonders wichtig, weil sich die Bevölkerungszahl in den Entwicklungsländern in den nächsten 20 Jahren verdoppeln wird.
({18})
Kernenergie sichert und schafft Arbeitsplätze nicht nur bei Kraftwerksbauern, bei Zulieferern und der Bauindustrie, sondern durch ein international konkurrenzfähiges Strompreisniveau auch in der gesamten Wirtschaft.
({19})
Durch die verminderte Notwendigkeit des Ölimports trägt sie zur Stärkung unserer Außenhandelsbilanz bei. Ein Verzicht auf Kernenergie würde die Chancen einer wichtigen Zukunftstechnologie vernichten.
({20})
Der Störfall von Tschernobyl, meine Damen und Herren, ist kein Beleg für etwa nicht beherrschbare Risiken der Kernenergie,
({21})
sondern vielmehr Ausdruck einer nicht verantwortlich gehandhabten Nutzung einer modernen Technologie, bei der höchster Sicherheitsstandard nicht Vorrang vor anderen Interessen hatte.
In unserem Land ist Kernenergie heute eine kalkulierbare, beherrschbare und vertretbare Technik.
({22})
Ständige Aufgabe ist die Weiterentwicklung der Sicherheit. Darüber hinaus müssen durch weitere
Forschungsanstrengungen die Voraussetzungen geschaffen werden, das höchstmögliche Maß an Reaktorsicherheit weltweit verbindlich zu machen. Kernkraftwerke sollten wie in der Bundesrepublik Deutschland z. B. über mehrere unterschiedlich wirkende und voneinander unabhängig arbeitende Sicherheitssysteme verfügen.
({23})
Jedes dieser Sicherheitssysteme muß allein sicherheitstechnisch für mögliche Störfälle ausreichend sein.
Meine Damen und Herren, gerade diese Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und auch der Bundesumweltminister,
({24})
hat sich in dem Bemühen, die internationale Staatengemeinschaft zu mehr Verantwortlichkeit, zu höheren Sicherheitsstandards zu bringen, obwohl das im Verkehr mit anderen Staaten extrem schwierig zu erreichen ist, besonders engagiert und mit Erfolg bemüht. Dafür danken wir dieser Bundesregierung und insbesondere auch Herrn Bundesumweltminister Dr. Walter Wallmann.
({25})
Wie isoliert Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sind, darf ich noch einmal kurz an zwei Punkten deutlich machen. Ich stimme ausnahmsweise dem Kollegen Tatge von der Frakktion DIE GRÜNEN zu, der hier gesagt hat: Wenn es sich um eine so gefährliche Technologie handelt, wie Sie das den Leuten immer weismachen wollen, das muß sofort abgeschaltet werden, dann kann das nicht auch nur noch weitere 14 Tage geduldet werden.
({26})
- Wir sind nicht der Meinung, damit das klar ist. Das habe ich, so glaube ich deutlich gemacht.
({27})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist überschritten.
Das zweite, was ich sagen möchte: Ich verweise auf eine Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die ganz eindeutig die friedliche Nutzung der Kernenergie auch mit ihren Zukunftschancen weiterhin in der Öffentlichkeit klargemacht hat.
Herr Abgeordneter, dies war ein ordentlicher Schlußsatz.
Jawohl, Herr Präsident, vielen Dank, das sollte es auch sein.
({0})
Ich mußte mich einer Bewertung enthalten, wie Sie sicher gemerkt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion zeigt ja das altgewohnte Bild: auf der einen Seite diejenigen, die alles schon besser wußten und von Anfang an wußten, wie alles sein muß,
({0})
auf der anderen Seite die Uneinsichtigen nach dem Motto „Augen zu und durch".
({1})
- Das Leben, die Welt sind viel komplizierter, als
Sie es aus Ihrer ostfriesischen Heimat her kennen.
({2})
Bereits bei der ersten Lesung des sogenannten Atomsperrgesetzes habe ich in meiner Rede am 8. November 1984 darauf hingewiesen, daß die Forderung eines sofortigen Abschaltens aller kerntechnischen Anlagen utopisch und unrealistisch sei.
({3})
Mit einer verantwortbaren seriösen Politik hat dieser Gesetzentwurf nichts zu tun. Die Gründe hierfür kann ich wegen der gebotenen Kürze nicht mehr im einzelnen darlegen. Wir hatten aber auch im Ausschuß hinlänglich Gelegenheit, das zu erörtern. Ich bedaure außerordentlich, daß der Kollege Schulte ({4}) von den GRÜNEN heute nicht anwesend sein kann. Von hier aus meine besten Genesungswünsche.
({5})
Genauso falsch wie die Forderungen der GRÜNEN ist auf der anderen Seite auch die Haltung der CDU/CSU und FDP! Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, argumentieren und handeln so, als hätte es Harrisburg und Tschernobyl nicht gegeben.
({6})
Aber gerade diese Ereignisse haben gezeigt, daß ein so harmlos klingender Begriff wie Restrisiko nicht nur eine nicht faßbare theoretische Größe darstellt, sondern praktisch erlebbar, d. h. uns alle bedrohende Wirklichkeit werden kann.
In Harrisburg war es nicht die Klugheit der Betreiber oder die Beherrschbarkeit des Störfalles, was die Menschheit vor einer großen Katastrophe bewahrt hat. Es war eigentlich vielmehr die Schlauheit des Materials, was eine Kernschmelze verhindert hat. Die Katastrophe von Tschernobyl hat dann in ihren Auswirkungen uns alle erreicht.
Im Lichte dieser Erkenntnis wollen wir Sozialdemokraten eine sichere Energieversorgung ohne Kernenergie. Mit großer Geschlossenheit haben wir deshalb auf unserem Parteitag in Nürnberg den Beschluß gefaßt, einen geordneten Ausstieg aus der Kernenergie zu organisieren.
({7})
Dies bedeutet eine Neuorientierung der gesamten
Energiepolitik. Im Bewußtsein unserer Verantwortung auch für kommende Generationen halten wir
es für nicht mehr verantwortbar, die Menschen den atomaren Risiken, egal ob zivil oder militärisch, auszusetzen.
Wir haben uns im Gegensatz zu den GRÜNEN hierbei einen Zeitraum von zehn Jahren vorgestellt.
({8})
Von uns aus werden wir alles tun, damit auch in diesem Zeitraum eine Energieversorgung ohne Atomkraft für unser Land verwirklicht wird.
Ich weiß, daß diese zehn Jahre manchem zu lang erscheinen. Andere dagegen sagen, er sei zu kurz, um dieses Ziel zu erreichen. Ich kann nur feststellen, daß uns eine Diskussion über den Zeitraum nicht weiterbringt.
({9})
Vielmehr ist es wichtig, dafür zu sorgen, daß bald mit dem Ausstieg begonnen wird. Das ist unsere Zielrichtung.
({10})
Es geht hierbei um mehr, als nur den Strom, der jetzt aus der Atomkraft kommt, in Zukunft durch Kohle, Gas oder Öl zu ersetzen. Wir stellen vier Forderungen an eine Reform des Energiesystems: Energie sparen, möglichst wenig Energie verschwenden, die Umweltbelastungen so weit wie möglich vermeiden und abbauen, die erneuerbaren Energiequellen zu den Hauptträgern des zukünftigen Energiesystems zu machen, vor allen Dingen aber auch der Nachwelt die Wahl der Lebensform zu belassen, ihre Entscheidungsfreiheit offenzuhalten und sie in ihrer Lebensweise möglichst wenig festzulegen.
Sicher wird sich ein Ausstieg aus der Kernenergie auch auf die Arbeitsplätze auswirken, lieber Herr Kollege Lenzer. Man muß aber auch wissen, daß die Kernenergie die kapitalintensivste und arbeitsplatzärmste Technik ist, die es gibt.
({11})
Unsere neue Energiepolitik ohne Atomkraft schafft auf Dauer per Saldo auch neue Arbeitsplätze. Wir werden uns dafür einsetzen, daß jeder in der Atomwirtschaft Beschäftigte einen neuen Arbeitsplatz erhält. Sie wissen genausogut wie ich, daß Prognos und RWI ermittelt haben, daß in der gesamten Wirtschaft 30 000 bis maximal 60 000 Arbeitsplätze verlorengehen, wenn wir aus der Kernenergie aussteigen. Dieser Verlust wird mehr als ausgeglichen, denn Experten haben ermittelt und geschätzt, daß zwischen 200 000 und 400 000 neue Arbeitsplätze mit einer Politik der Energieeinsparung, der Nutzung umweltfreundlicher Kohletechnik und einer erneuerbaren Energiequelle auf Dauer geschaffen werden können.
Eine neue Energieversorgung ist ohne einen neuen energierechtlichen Rahmen nicht durchsetzbar. Hierbei sind eine ganze Anzahl von Gesetzesänderungen notwendig. Ich will hier nur beispielReuter
haft das Atomgesetz nennen, aber auch das Energiewirtschaftsgesetz. Dafür braucht man eine Mehrheit in den Parlamenten, und dafür werben wir Sozialdemokraten.
Ich will noch in der gebotenen Kürze zu der illegalen Plutoniumverarbeitung in Hanau, zu Ihrem Antrag hier kommen. Es gibt Einigkeit unter allen Fraktionen, daß es ein unmöglicher Zustand ist, daß 15 Jahren nach Verabschiedung der Dritten Atomnovelle noch kein einziges Genehmigungsverfahren in Hanau zu Ende gebracht werden konnte.
({12})
Ich darf in diesem Zusammenhang hier auch einmal darauf verweisen, daß der neue Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Wallmann,
({13})
am 7. November 1986 ebenfalls darauf hingewiesen hat, daß dieser Zustand nicht länger hinnehmbar ist.
({14})
Wenn das so ist, dann kann ich doch nur an die Bundesregierung appellieren,
({15})
endlich ein Gesetz vorzulegen, eine Novelle zum Atomgesetz mit klaren, berechenbaren und einhaltbaren Fristen.
({16})
Das war versäumt worden, und das muß die Regierung machen.
Die hessische Landesregierung - meine Damen und Herren, da kann ich Sie und auch Sie, Herr Dr. Laufs, im vorweihnachtlichen Trubel beruhigen - wird sich mit Sicherheit nach Recht und Gesetz bei der Bewertung der dort zu behandelnden Genehmigungsverfahren richten.
({17})
Man muß es nicht erwähnen, nur wenn Sie das permanent immer in Frage stellen, muß ich das hier sehr deutlich sagen.
({18})
Sie können davon ausgehen, daß das Land Hessen alle bestehenden Gesetze strikt beachten wird.
({19})
Auch hier sollten Sie, meine Damen und Herren, unserem Entschließungsantrag zustimmen.
Ich möchte allerdings um Entschuldigung bitten, daß sich jetzt im Getriebe der Vielzahl von Entschließungsanträgen ein kleiner Fehler eingeschlichen hat.
({20})
- Ich gehöre nämlich zu denen, die auch den Mut haben, einmal einen Fehler zuzugeben, im Gegensatz zu Ihnen. Ich möchte Sie sehr herzlich bitten, das zu korrigieren. Unter Ziffer 1 muß es heißen: „Der Deutsche Bundestag stellt fest: Durch die 3. Novelle des Atomgesetzes im Jahre 1975 ist für die" - dann muß gestrichen werden: „Genehmigungssituation der", und dann geht es weiter - „Hanauer Nuklearbetriebe eine neue Genehmigungssituation entstanden".
Dann will ich an diejenigen bei den GRÜNEN, die alle beim Lesen unseres Entschließungsantrages schon glänzende Augen hatten,
({21})
hier sagen: Es muß im zweiten Absatz von Ziffer 3 nicht „31. 12. 1986" sondern „31. 12. 1996" heißen.
Schönen Dank, meine Damen und Herren.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung der Satzung der Internationalen Atomenergie-Organisation zu und lehnt die Anträge der Sozialdemokraten und der GRÜNEN, die hier behandelt werden, ab.
Meine Damen und Herren, in dem Entwurf der Sozialdemokraten, der uns kürzlich zugeleitet worden ist, findet sich im Kapitel „Lösungen" ganz am Schluß ein interessanter Satz. Da heißt es: „Die Betriebsräte werden bei der Realisierung des Schutzziels beteiligt." Wir haben erlebt, wie sie beteiligt werden: mit massiven Demonstrationen der Betriebsräte der Energieversorgungsunternehmen gegen ihre Energiepolitik, die sich von ihren Gewerkschaften im Stich gelassen fühlen und die um ihre Arbeitsplätze fürchten.
({0})
Es gibt in Fragen der Energiepolitik eben auch Einsichtigere, als Sie sie darstellen.
({1})
Meine Damen und Herren, was ist nach der Katastrophe von Tschernobyl - ich würde das nicht nur als einen Störfall bezeichnen - zu tun? Ganz sicherlich ist es notwendig, daß wir erneut die Sicherheitseinrichtungen unserer Kernkraftwerke überprüfen und daß wir wie nach Harrisburg, wenn sich Änderungsnotwendigkeiten ergeben, diese durchführen. Dabei gilt, daß Sicherheit den Vorrang vor Wirtschaftlichkeit hat. Wir glauben, daß wir alles tun, was für die Sicherheit getan werden muß, und daß wir dies in der Vergangenheit getan haben,
aber niemand sollte jeder Überprüfung und jeder Verbesserung im Wege stehen. Wir müssen internationale Sicherheitsvereinbarungen treffen und auf deren Einhaltung und Durchsetzung dringen. Wir können das übrigens nicht, wenn wir aussteigen. Wir werden in dieser Diskussion dann kein Wort mehr mitzureden haben.
Die FDP und ich selber auch haben die friedliche Nutzung der Kernenergie immer als unter dem Stichwort Übergangsenergie stehend gesehen.
({2})
- Ja, z. B. der Zeitpunkt, den der Bundespräsident für das Umsteigen von einer großen Technologie auf eine andere genannt hat, nämlich 50 bis 70 Jahre, scheint uns realistisch zu sein, Herr Schäfer.
Wir sehen im Augenblick noch nicht, wo sich eine Ersatzlösung in Form einer problemloseren und leichter zu gewinnenden Energieform anbietet. Daß Alternativen entwickelt werden sollen, daß die Einsparung sicherlich noch in dem einen oder anderen Punkt verbesserungsfähig ist, obwohl wir hier - im Weltmaßstab - vorbildlich gewesen sind, will ich gar nicht bestreiten. Es geht um die Frage des Zeitraums. Meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, Sie können ja nicht sagen, dies sei kein ernsthaftes Thema, wenn Sie in Ihren Gesetzentwurf einen Stichtag, nämlich den 31. Dezember 1996, hineinschreiben und in einigen Bereichen das sofortige Abschalten durch SPD-Landesregierungen fordern, natürlich überall dort, wo kein Kernkraftwerk steht, wo man den Strom aus Kernkraftwerken bezieht, die in anderen Bundesländern stehen. Das gilt für Hamburg, für Bremen und das Saarland.
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß diese Vorschläge, die Ihrer Energiepolitik neuerdings zugrunde liegen, umweltpolitisch unverantwortlich sind. Ich nenne nur die Stichworte: Verbrennen der fossilen Brennstoffe, vermehrter Einsatz von Kohle, keinerlei Rücksichtnahme mehr auf die Entwicklungsländer, wenn fossile Brennstoffe von allen Industrieländern herangezogen werden müssen. Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, welche Auswirkungen das auf das Preisniveau hat?
Wir halten das, was Sie vorschlagen, auch energiepolitisch für unrealistisch.
Hat sich irgend etwas an der Energieversorgungssituation der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der zweiten Hälfte der 70er Jahre, als wir gemeinsam Antworten gefunden haben, geändert?
({3})
- An der Energieversorgungssituation der Bundesrepublik Deutschland hat sich überhaupt nichts geändert. Hören Sie bitte zu, bevor Sie j a schreien. -Wir sind und bleiben importabhängig. Wir sind und bleiben ein Land, das keine eigenen Primärenergiereserven hat, mit Ausnahme der teuren Steinkohle.
({4})
Das heißt: Wir müssen unsere Versorgung diversifizieren. Wir müssen das unter geographischen und gleichzeitig auch politischen Gesichtspunkten tun. Ich erinnere an das Erdgas-Röhren-Geschäft, das wir zusammen verteidigt und durchgesetzt haben.
({5})
- Natürlich ist das richtig.
Wir müssen außerdem alle Energiearten einsetzen, die uns zur Verfügung stehen und zur Verfügung stehen können. Dazu gehört - auch das war gemeinsame Erkenntnis - die friedliche Nutzung der Kernenergie. So empfiehlt es uns die Internationale Energieagentur; so empfiehlt es uns der einstimmige Beschluß der UNO-Vollversammlung; der Kollege Lenzer hat ihn erklärt. Sie müssen sich doch etwas dabei denken, meine Damen und Herren, wenn alle Entwicklungsländer in der UNO-Vollversammlung einstimmig für die friedliche Nutzung der Kernenergie votieren.
({6})
Was gibt es denn bei Ihnen, meine Damen und Herren, für Auffassungen zu dieser Frage? Sie sagen: in zehn Jahren aussteigen. Sie wissen ganz genau, daß man in zehn Jahren aus einer Großtechnologie in der Bundesrepublik Deutschland schon deswegen nicht aussteigen kann, weil die Genehmigungsverfahren für die Einrichtung einer neuen Technologie acht bis zehn Jahre benötigen, so daß dieser Zeitraum völlig unrealistisch ist. Die Rahmenbedingungen dafür haben wir selber aus vielen guten Gründen geschaffen. Also müssen wir auch mit ihnen leben und können sie nicht beiseite pakken,
({7})
wenn es uns aus irgendwelchen anderen Gründen nicht paßt.
Im übrigen wiederhole ich, meine Damen und Herren: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine einzige Primärenergie; das ist die deutsche Steinkohle.
({8})
Der Konsens, meine Damen und Herren, den wir gemeinsam gefunden haben und der in einem Bundesstaat die einzige Lösungsmöglichkeit für eine vernünftige Handhabung des Energieproblems ist, der Konsens des Jahres 1979, gefunden unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler, unter einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten des Kohlelandes Nordrhein-Westfalen, wird von Ihnen
in Frage gestellt, weil Sie die Kombination von Kohle und Kernenergie heute ablehnen.
({9})
Ich habe vor zwei Tagen eine hochinteressante Podiumsdiskussion in Essen, in der Mitte des Ruhrgebiets, gehabt. Unser Kollege Adolf Schmidt war auf dem Podium; die Energieversorgungsunternehmen waren im Saal; der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister war auf dem Podium. Die Konsequenzen aus Ihrer Energiepolitik für das Wirtschaftsland Bundesrepublik Deutschland, für das Industrieland Nordrhein-Westfalen, die Herr Jochimsen dort darstellen und auf Fragen erläutern mußte, sind so verheerend, daß Sie mit diesen Konsequenzen ganz dicht an grüne Politik herangerückt sind.
Herr Lennartz, wenn ich Ihr Kopfschütteln sehe, dann empfehle ich Ihnen, noch einmal den RWE-Brief nachzulesen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vosen.
Nein, ich habe nur noch zwei Minuten Zeit; es tut mir leid.
Dieser Konsens, den wir seinerzeit gefunden haben, war und ist die Grundlage für den Jahrhundertvertrag. Der Jahrhundertvertrag ist die Grundlage für die Kohleverstromung. Eine andere Sicherheit der Arbeitsplätze im Kohlebergbau als auf diese Weise können Sie nicht schaffen. Über die Stahlindustrie ist das nicht möglich. Was ich hier vortrage, ist alles unsere gemeinsame Politik gewesen, von der Sie aus opportunistischen Gründen nichts wissen wollen.
({0})
Das Datum heißt bei Ihnen in Wahrheit nämlich nicht 31. Dezember 1996. Die Jahreszahl heißt nicht zehn Jahre, sondern die einzige Zahl, die Sie in dem Zusammenhang interessiert, heißt 25. Januar 1987. Darum geht es Ihnen.
({1})
Das Ergebnis dessen, was Sie vorschlagen und was Sie wollen, braucht man ja nur in Ihren Papieren nachzulesen. Im Energiepapier des Herrn Hauff, meine Damen und Herren, steht wörtlich der Satz - das muß man sich angesichts der Diskussion, die wir in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zu dem Thema hatten, einmal vorstellen -: „Wir brauchen eine begrenzte Öffnung für Importkohle." - Wenn Sie den Wettbewerb zwischen der Importkohle und der deutschen Kohle eröffnen, ist der deutsche Steinkohlenbergbau in ganz kurzer Zeit am Ende. Sie werden nichts mehr daran ändern können.
Eine, meine Damen und Herren, von den Ländern gemeinsam mitgetragene deutsche Kohlepolitik kann auf Dauer nur dann erwartet werden, wenn auch andere Energienutzungen neben der Kohle, nämlich auch Kernenergie einschließlich Entsorgung, von allen Ländern mitgetragen werden. Das ist ein Zitat aus der Wirtschaftsministerkonferenz vom 20. September 1985. Es wurde mit Zustimmung des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Jochimsen, SPD, formuliert. Das ist kaum ein Jahr her. Sie wechseln Ihre Ansichten häufiger als Ihre Kleidung.
({2})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, Herr Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche hier auch im Namen von Herrn Bundesminister Dr. Wallmann, der wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit in diesem Augenblick auf einen eigenen Beitrag, der sonst natürlich fällig gewesen wäre, verzichten möchte.
({0})
Forderungen zum Ausstieg aus der Kernenergie, sei es kurzfristig, wie in dem von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Atomsperrgesetzes vorgesehen, sei es mittelfristig, wie in dem Entwurf der Sozialdemokraten, sind ja Gegenstand der Diskussion in den vergangenen Monaten gewesen. Die Bundesregierung hat zu diesen Forderungen in ihrem Energiebericht eindeutig Stellung bezogen. Wir halten weiterhin die weitere Nutzung der Kernenergie auf der Grundlage des hohen deutschen Sicherheitsstandards für verantwortbar, und wir sind der Meinung, daß auf den Einsatz der Kernenergie in absehbarer Zukunft aus energiepolitischen Gründen nicht verzichtet werden kann.
Der Energiebericht, auf den ich mich beziehe, hat die wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile der friedlichen Nutzung der Kernenergie im einzelnen dargelegt.
({1})
Umweltentlastung, Schonung der begrenzt vorhandenen fossilen Ressourcen auch und vor allem im Interesse der Entwicklungsländer,
({2})
Verminderung von Klimarisiken, kostengünstige Stromerzeugung im Interesse von Wachstum und Beschäftigung sowie die Nutzung der Kernenergie als moderne Technologie sind die entscheidenden Gründe.
Meine Damen und Herren, der Schock auf Grund der Katastrophe von Tschernobyl hat niemanden von uns unberührt gelassen, sondern uns alle tief erschüttert. Hier gibt es keinen Unterschied zwischen den Gefühlen der Bevölkerung und dem, was uns hier im Deutschen Bundestag oder in der Bundesregierung bewegt. Aber, meine Damen und Her19890
ren von den Sozialdemokraten, wer heute vor dem Hintergrund dieses konkreten Ereignisses das Restrisiko für unvertretbar hält, der muß auch vor die Bevölkerung treten und sagen, daß wir gemeinsam dieses Restrisiko gekannt haben und es in sehr langen Diskussionen in der Vergangenheit angesichts unseres Sicherheitsstandards für vertretbar gehalten haben.
({3})
- Und zwar auf der Basis unserer Technik!
Ich hätte Verständnis für Ihren Standpunkt, wenn etwa durch die Katastrophe von Tschernobyl für unsere Sicherheitsstandards Schlußfolgerungen notwendig gewesen wären, die gezeigt hätten, daß „Tschernobyl" auch bei uns geschehen könnte. Aber die eingehende Untersuchung
({4})
- ja, die eingehende Untersuchung der Vorfälle von Tschernobyl auf der Grundlage sehr dezidierter Darlegungen der Sowjetunion
({5})
hat doch deutlich gemacht, daß jedenfalls bei dieser Katastrophe von Tschernobyl keine Sicherheitsstandards berührt worden sind, die bei uns eine Korrektur des Sicherheitsstandards erforderlich machen.
({6})
Deshalb wäre es, so meine ich, ein Gebot der Ehrlichkeit gegenüber der Bevölkerung, daß sich die Sozialdemokraten dazu bekennen, daß sie das Restrisiko für vertretbar gehalten und mit uns in der friedlichen Nutzung der Kernenergie
({7})
eine große Chance für uns alle gesehen haben und daß sie mit uns gemeinsam die Verantwortung für diese Entscheidungen tragen. Das halte ich für ein Gebot der Ehrlichkeit in dieser Diskussion.
({8})
Wir haben im Energiebericht eingehend dargelegt, warum die Alternative des massiven Einsatzes fossiler Energien für die Bundesregierung nicht akzeptabel ist und warum weder verstärkte Energieeinsparungen noch der Bereich der regenerativen Energien - bei aller Unterstützung, die die Bundesregierung beiden Bereichen gewährt - brauchbare Alternativen zur Nutzung der Kernenergie darstellen. Wir halten es für unvertretbar, der Kernenergie eine Absage zu erteilen, ohne über eine in bezug auf Sicherheit, Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit bessere Versorgungsalternative zu verfügen.
({9})
Niemand kann heute verläßlich vorhersagen, wie lange wir für unsere Energieversorgung auf Kernenergie angewiesen sind. Wir halten es daher für falsch, den Ausstieg aus der Kernenergie festschreiben zu wollen und mit starren Regelmechanismen Problemlösungen per Gesetz zu dekretieren, wie die beiden Gesetzentwürfe es tun, ohne damit auch nur einen kleinen Schritt in Richtung auf Gewinnung erneuerbarer anderer Energiequellen zu tun, denn das läßt sich leider nicht mit Gesetzen machen.
({10})
Die Bundesregierung wird sich weiterhin um den so wichtigen Konsens in der Energiepolitik bemühen, und ich fordere Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, auf oder bitte Sie, nicht in der Dekretierung des Ausstiegs die Chance zu sehen, sondern mit uns gemeinsam national und international die Möglichkeiten der Gewinnung erneuerbarer Energien und ihr Vorantreiben auch mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen, neue Wege aufzuzeigen und dabei die Bundesregierung durchaus auch unter Druck zu setzen, damit sie diese Wege geht und die Finanzmittel, die dafür notwendig sind, zur Verfügung stellt. Das ist der richtige Weg, um die Kernenergie auch als eine Übergangsenergie möglich zu machen. Diese Position könnte den Konsens mit den Sozialdemokraten in der Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie wieder ermöglichen.
({11})
Wir sind der Meinung, daß um diesen Konsens weiter gerungen werden muß, denn es steht in dieser Frage mehr auf dem Spiele
({12})
als der kurzfristige Wahlerfolg, den Sie hier offensichtlich im Auge haben.
({13})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache und bitte um Aufmerksamkeit. Ich darf die Kollegen bitten, sich auf ihre Plätze zu begeben, weil wir eine Reihe von Abstimmungen vor uns haben.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6 a, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN über die sofortige Stillegung von Atomanlagen in der Bundesrepublik Deutschland auf Drucksache 10/1913. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die §§ 1 bis 9, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6717 ab. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen
Vizepräsident Westphal
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -({0})
Dann ist der Entschließungsantrag - von den Fraktionen der CDU/CSU und der GRÜNEN - abgelehnt.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6 b, und zwar zu den Entschließungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6707 und 10/6708. Zu beiden Entschließungsanträgen ist namentliche Abstimmung verlangt.
Bevor ich dazu aufrufe, möchte ich bekanntgeben, daß zu dem Antrag auf Drucksache 10/6707 schriftliche Erklärungen zur Abstimmung zu Protokoll gegeben worden sind, und zwar von den Abgeordneten Renate Schmidt ({1}), Duve, Lambinus, Vahlberg, Lutz und Dr. Schöfberger*).
Wir stimmen zunächst über den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/6707 namentlich ab. Meine Damen und Herren, das Verfahren ist bekannt.
Ich eröffne die Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 10/6707. -
Ich darf den Kollegen sagen, daß es uns möglich ist, beide Abstimmungen nacheinander durchzuführen, da wir genügend Urnen zur Verfügung haben. Ich bitte also, in der Nähe zu bleiben. -
Ist noch ein Abgeordneter im Saal, der seine Stimme nicht abgegeben hat, dies aber zu tun wünscht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Urnen auszuwechseln, damit wir die zweite Abstimmung sogleich einleiten können. ") Ich bitte, mir dann Bescheid zu geben. Alle Schriftführer sind gebeten, im Saal zu bleiben und zur Auszählung zur Verfügung zu stehen.
Meine Damen und Herren, die Urnen sind ausgewechselt. Wir kommen zur nächsten namentlichen Abstimmung, und zwar über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6708.
Die Abgeordnete Frau Odendahl hat nach § 31 Abs. 2 der Geschäftsordnung erklärt, daß sie an der Abstimmung nicht teilzunehmen wünscht.***)
Das Verfahren ist bekannt. Ich eröffne die Abstimmung. -
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat und dieses zu tun wünscht? -
*)Anlage 7
**) Bekanntgabe des Ergebnisses und Abstimmungsliste Seite 19893 A
***) Weitere Erklärungen siehe Anlage 8
Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.*)
Ich wäre jetzt für Ihre Aufmerksamkeit dankbar. Der Präsident ist eine Weile mit einer Reihe von Vorlagen befaßt, die keine Debatten erfordern, aber bei denen Abstimmungen notwendig sind.
Ich muß aber zunächst einmal bei der Beendigung des Tagesordnungspunktes 6 a bis c noch den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 10/6726 aufrufen. Wir stimmen darüber ab. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist der Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 6 c, den Gesetzentwurf der Bundesregierung betreffend die Änderung der Satzung der Internationalen Atomenergie-Organisation auf Drucksache 10/6600. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 und 8 auf:
7. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschließung vom 12. Oktober 1978 zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Dezember 1972 über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen
- Drucksache 10/5102 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
- Drucksache 10/6703 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstensen ({3}) Jansen
({4})
8. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zusatzprotokoll vom 15. März 1978 zum Europäischen Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht
- Drucksache 10/3434 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5})
- Drucksache 10/6672 -
*) Bekanntgabe des Ergebnisses und Abstimmungsliste siehe Seite 19895 B
Abgeordnete Lowack Schmidt ({0})
({1})
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 7, internationales Übereinkommen betreffend Meeresverschmutzung auf Drucksache 10/5102. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen worden.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 8, internationales Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht auf Drucksache 10/3434. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieses Gesetz ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zerlegungsgesetzes ({2})
- Drucksachen 10/306, 10/6671 -Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
- Drucksache 10/6671 Berichterstatter:
Abgeordnete von Schmude Dr. Spöri
({4})
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind auch diese aufgerufenen Vorschriften einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Errichtung einer Stiftung ReichspräsidentEbert-Gedenkstätte
- Drucksache 10/6215 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5})
- Drucksache 10/6642 -
Berichterstatter: Abgeordnete Broll Duve
b) Bericht des Haushaltsausschusses
({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/6655 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Riedl ({7}) Kühbacher
Frau Seiler-Albring
Dr. Müller ({8})
({9})
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6701 sowie ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD auf Drucksache 10/6727 vor.
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Abgeordnete Ströbele aber wünscht nach § 31 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben. Er hat das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe im Innenausschuß gegen die Errichtung der Stiftung ReichspräsidentEbert-Gedenkstätte gestimmt. Ich gedenke, das auch hier zu tun.
Ich habe auf Anraten des Kollegen Duve aus der SPD-Fraktion einen Änderungsantrag für meine Fraktion formuliert und eingebracht, mit dem sichergestellt werden soll, daß mit dieser Stiftung bzw. der Gedenkstätte nicht der Reichspräsident Friedrich Ebert gefeiert wird, sondern eine umfassende Diskussion und Auseinandersetzung mit dem politischen Wirken und mit der Person des Reichspräsidenten; aber auch etwa mit dem Wirken des langjährigen Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Deutschen Reichstag stattfinden kann und daß dafür die Voraussetzungen in dem Stiftungsgesetz geschaffen werden. Ich bitte Sie deshalb, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Nur dann könnten wir dem Antrag auf Errichtung der Stiftung zustimmen.
Lieber Herr Ströbele, Sie wollten eine Erklärung zu Ihrer eigenen Abstimmung abgeben. Das „Unser Antrag" entsprach wieder einmal nicht der Bestimmung der Geschäftsordnung.
({0})
Ich gebe Ihnen inzwischen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen AbVizepräsident Westphal
Stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6707 bekannt. 405 Kollegen haben ihre Stimmkarte abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben gestimmt 23 Abgeordnete, mit Nein 382. Es hat keine Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 404; davon
j a: 24
nein: 380
Ja
DIE GRÜNEN
Auhagen
Bastian
Frau Borgmann
Frau Dann
Fischer ({1}) Fritsch
Frau Kelly
Lange Mann
Dr. Müller ({2}) Rusche
Schmidt ({3})
Senfft Ströbele
Tatge
Vogel ({4}) Volmer
Werner ({5}) Werner ({6}) Frau Zeitler
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Bayha
Dr. Becker ({7}) Frau Berger ({8}) Dr. Berners
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({9})
Dr. Bötsch
Bohlsen
Boroffka
Braun Breuer Broll
Brunner
Bühler ({10}) Buschbom
Carstens ({11}) Carstensen ({12}) Clemens
Daweke Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dolata
Doss
Echternach Engelsberger
Erhard
({13}) Feilcke
Fellner
Frau Fischer Fischer ({14}) Francke ({15})
Dr. Friedmann
Funk
Ganz ({16})
Frau Geiger
Dr. von Geldern
Gerlach ({17})
Glos
Dr. Göhner Dr. Götzer Günther
Dr. Häfele
Hauser ({18}) Hauser ({19}) Hedrich
Helmrich Dr. Hennig Hinrichs Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({20}) Dr. Hornhues
Hornung Horstmeier Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({21})
Dr. Jahn ({22})
Dr. Jobst
Jung ({23})
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy
Keller
Kittelmann
Klein ({24})
Dr. Köhler ({25}) Dr. Köhler ({26}) Kraus
Dr. Kreile Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({27}) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Lemmrich
Link ({28}) Link ({29}) Lintner
Löher
Lohmann ({30}) Dr. h. c. Lorenz
Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Dr. Möller
Müller ({31}) Müller ({32}) Müller ({33})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Pesch
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({34}) Rode ({35}) Frau Rönsch
({36}) Frau Roitzsch
({37}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({38}) Rühe
Ruf
Sauer ({39})
Sauer ({40}) Saurin
Sauter ({41}) Sauter ({42}) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({43}) Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer
Schmitz ({44}) Schneider
({45}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({46}) Schulhoff
Dr. Schulte
({47}) Schultz ({48}) Schulze ({49}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({50}) Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Stockhausen Straßmeir
Strube
Stutzer
Tillmann
Dr. Todenhöfer Dr. Unland
Vogel ({51})
Vogt ({52})
Dr. Voigt ({53})
Dr. Voss
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner ({54}) Frau Will-Feld Wilz
Wimmer ({55}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann ({56}) Dr. Wörner
Dr. Wulff
Zierer
SPD
Dr. Ahrens
Amling Dr. Apel Bachmaier
Bamberg Berschkeit
Bindig
Frau Blunck
Brandt
Brück
Büchler ({57})
Dr. von Bülow
Buschfort Collet
Frau Dr. Däubler-Gmelin Delorme
Dr. Diederich ({58}) Dreßler
Duve
Dr. Ehmke ({59})
Dr. Ehrenberg
Dr. Enders
Esters
Ewen
Fischer ({60}) Fischer ({61})
Frau Fuchs ({62}) Gansel
Gerstl ({63})
Gilges
Glombig Dr. Haack
Haase ({64})
Haehser
Hansen ({65})
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Vizepräsident Westphal Heistermann
Heyenn
Hiller ({66}) Dr. Holtz
Horn
Frau Huber Ibrügger
Immer ({67}) Jahn ({68})
Dr. Jens
Junghans
Jungmann
Kirschner
Kisslinger
Klein ({69}) Dr. Klejdzinski Kolbow
Dr. Kübler
Kühbacher Kuhlwein
Lambinus
Lennartz
Leonhart
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löffler
Lohmann ({70})
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Meininghaus Menzel
Dr. Mitzscherling Möhring
Müller ({71}) Müller ({72})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nehm
Neumann ({73}) Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo Paterna
Dr. Penner Porzner
Poß
Purps
Ranker
Rapp ({74}) Reimann
Frau Renger Reuter
Rohde ({75})
Schäfer ({76}) Schanz
Dr. Scheer
Schluckebier
Dr. Schmidt ({77}) Schmidt ({78})
Frau Schmidt ({79}) Schmitt ({80})
Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner
Schröer ({81}) Schulte ({82})
Dr. Schwenk ({83})
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling Dr. Spöri
Damit ist der Antrag abgelehnt worden.
Jetzt sind wir bei Tagesordnungspunkt 10. Wir haben die Erklärung gehört und können nun zur Abstimmung kommen. Ich lasse zuerst über die hierzu vorliegenden Änderungsanträge abstimmen. Dann erfolgt der Aufruf der Einzelvorschriften.
Wer stimmt für den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6701? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/6727? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit angenommen worden.
Ich rufe die §§ 1 bis 15, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen worden.
Wir können unmittelbar in die dritte Beratung eintreten, obwohl in der zweiten Beratung ein Änderungsantrag angenommen worden ist, wenn sich zwei Drittel der Anwesenden dafür aussprechen. Ich sehe keinen Widerspruch? - Ich kann wohl davon ausgehen, daß niemand widerspricht. Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen worden.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Europäischen Charta vom 15. Oktober 1985 der kommunalen Selbstverwaltung
- Drucksache 10/6086 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({84})
- Drucksache 10/6661 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Blank Dr. Nöbel
({85})
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
({86})
- Ich darf einmal zwischendurch sagen: Wenn es Wahlkampfbesprechungen geben muß, dann bitte außerhalb des Plenarsaals. Herr Kollege Geißler, dies ist wirklich kein Sitzungsraum für Besprechungen dieser oder jener Art. Ich wäre dankbar, wenn Sie entweder an den Abstimmungen teilnehmen oder die Besprechungen an anderer Stelle führen.
Stahl ({87})
Stobbe
Stockleben Dr. Struck Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm
Frau Traupe Urbaniak Vahlberg
Dr. Vogel Vogelsang
Voigt ({88})
Walther
Wartenberg ({89}) Weinhofer
Weisskirchen ({90})
Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wiefel
von der Wiesche Wischnewski
Witek
Dr. de With Wolfram
({91})
Würtz
Zeitler
Frau Zutt
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Beckmann Bredehorn Cronenberg ({92})
Eimer ({93})
Engelhard Ertl
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck Grüner
Dr. Hirsch Hoppe
Kohn
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger
Dr. Rumpf Schäfer ({94})
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Weng ({95}) Wolfgramm ({96})
fraktionslos Eickmeyer
Vizepräsident Westphal
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieses Gesetz einstimmig angenommen worden.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Absolutes Überflugverbot über chemischen und atomaren Anlagen
- Drucksache 10/5977 ({97}) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5977 ({98}) stimmt, den bitte ich, das Handzeichen zu geben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich kann Ihnen zwischendurch das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6708 mitteilen. 391 Stimmen wurden abgegeben, davon keine ungültigen; mit Ja haben 24 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 365 Abgeordnete. Es hat 2 Enthaltungen dabei gegeben.
Damit ist auch dieser Entschließungsantrag abgelehnt worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 390; davon
ja: 24
nein: 364
enthalten: 2
Ja
DIE GRÜNEN
Auhagen
Bastian
Frau Borgmann
Frau Dann
Fischer ({99}) Fritsch
Frau Kelly
Lange Mann
Dr. Müller ({100}) Rusche
Schmidt ({101})
Senfft Ströbele
Tatge
Vogel ({102}) Volmer
Werner ({103}) Werner ({104}) Frau Zeitler
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Frau Augustin Austermann Bayha
Dr. Becker ({105}) Frau Berger ({106}) Dr. Berners
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens
Böhm ({107})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Boroffka Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler ({108}) Buschbom Carstens ({109})
Carstensen ({110}) Clemens
Dr. Daniels Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dolata
Doss
Echternach Engelsberger
Erhard
({111}) Feilcke
Fellner
Frau Fischer
Fischer ({112}) Francke ({113})
Dr. Friedmann
Funk
Ganz ({114})
Frau Geiger
Dr. von Geldern
Gerlach ({115})
Glos
Dr. Göhner Dr. Götzer Günther
Dr. Häfele
Hauser ({116}) Hauser ({117}) Hedrich
Helmrich Dr. Hennig Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({118}) Dr. Hornhues
Hornung Horstmeier Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({119})
Dr. Jahn ({120})
Dr. Jobst
Jung ({121})
Kalisch
Keller
Kittelmann
Klein ({122})
Dr. Köhler ({123}) Dr. Köhler ({124}) Kraus
Dr. Kreile Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({125}) Lamers
Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich
Link ({126})
Link ({127})
Lintner
Löher
Lohmann ({128})
Dr. h. c. Lorenz
Louven Lowack Maaß
Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Dr. Möller
Müller ({129})
Müller ({130})
Müller ({131})
Nelle
Frau Dr. Neumeister
Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Pesch
Pfeffermann
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Rawe
Reddemann
Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl ({132})
Rode ({133})
Frau Rönsch
({134})
Frau Roitzsch
({135})
Dr. Rose Rossmanith
Roth ({136})
Rühe
Ruf
Sauer ({137})
Sauer ({138})
Saurin
Sauter ({139})
Sauter ({140})
Dr. Schäuble
Scharrenbroich
Schartz ({141})
Schemken
Scheu
Schlottmann
Schmidbauer
von Schmude
Schneider ({142})
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({143}) Schulhoff
Dr. Schulte
({144}) Schultz ({145})
Schulze ({146})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing Seiters Spilker Spranger Dr. Sprung
Dr. Stark ({147})
Vizepräsident Westphal
Dr. Stercken Stockhausen Straßmeir Strube
Stutzer
Tillmann
Dr. Unland
Vogel ({148})
Vogt ({149})
Dr. Voigt ({150})
Dr. Voss
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner ({151}) Frau Will-Feld
Wilz
Wimmer ({152}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann ({153}) Dr. Wörner
Würzbach Dr. Wulff
Zierer
SPD
Dr. Ahrens Amling
Dr. Apel
Bachmaier Bamberg
Berschkeit Bindig
Brandt
Brück
Büchler ({154}) Dr. von Bülow
Buschfort Collet
Frau Dr. Däubler-Gmelin Delorme
Dr. Diederich ({155}) Dreßler
Dr. Ehmke ({156})
Dr. Ehrenberg
Dr. Enders Ewen
Fischer ({157}) Fischer ({158})
Frau Fuchs ({159}) Gerstl ({160})
Gilges
Dr. Haack Haase ({161})
Haehser
Hansen ({162}) Frau Dr. Hartenstein Hauck
Heistermann Dr. Holtz
Horn
Frau Huber Ibrügger
Immer ({163}) Jahn ({164})
Dr. Jens
Junghans Kastning
Kirschner Kisslinger
Klein ({165})
Kolbow
Dr. Kübler Kühbacher Lambinus Lennartz
Leonhart
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löffler
Lohmann ({166})
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Meininghaus Menzel
Dr. Mitzscherling Möhring
Müller ({167})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nehm
Neumann ({168})
Dr. Nöbel Oostergetelo Paterna
Dr. Penner Porzner
Poß
Purps
Ranker
Rapp ({169}) Reimann
Frau Renger Reuter
Rohde ({170})
Schäfer ({171}) Schanz
Dr. Scheer Schluckebier
Dr. Schmidt ({172}) Schmidt ({173})
Frau Schmidt ({174}) Schmitt ({175})
Dr. Schmude Dr. Schöfberger
Schröer ({176}) Schulte ({177})
Dr. Schwenk ({178})
Dr. Soell
Dr. Sperling Dr. Spöri
Stahl ({179})
Stobbe
Dr. Struck Frau Terborg Tietjen
Frau Dr. Timm
Frau Traupe Urbaniak Vahlberg
Dr. Vogel Vogelsang
Voigt ({180})
Walther
Wartenberg ({181}) Weinhofer
Weisskirchen ({182}) Dr. Wernitz
Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wiefel
von der Wiesche Wischnewski
Witek
Dr. de With Wolfram ({183}) Würtz
Zeitler
Frau Zutt
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Beckmann
Cronenberg ({184}) Eimer ({185}) Engelhard
Ertl
Dr. Feldmann Gallus
Gattermann Genscher
Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Hoppe
Kohn Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({186})
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Weng ({187}) Wolfgramm ({188})
fraktionslos Eickmeyer
Enthalten
SPD
Müller ({189}) Schreiner
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({190}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tatge, Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN
Beteiligung der Deutschen Bundesbahn an der Finanzierung des Nahverkehrsverbundes Rhein-Neckar
- Drucksachen 10/5179, 10/6262 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
Beschlußfassung
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Zur Abstimmung wünscht der Abgeordnete Tatge eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abzugeben. - Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muß zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort ergreifen und mein Abstimmungsverhalten erklären. Ich werde diesem Antrag zustimmen.
Ich trage das deswegen hier noch einmal vor, weil im Ausschuß für Verkehr den Kollegen falsche Informationen gegeben worden sind. Der Kollege Daubertshäuser hat gesagt im Verkehrsausschuß, daß die zweite Stufe der Finanzierung des RheinNeckar-Nahverkehrsverbundes gesichert sei. Das ist nicht der Fall.
({0})
Ich müßte auch festhalten, daß wir vor kurzem ein Gespräch mit den Oberbürgermeistern der Region hatten,
({1})
zu dem alle Kollegen der SPD und der CDU aus der
Region eingeladen waren. Bei diesem Gespräch waren aber nur der Kollege Reimann und ich anwe-
send; der Kollege Weiskirch ließ sich durch eine Sekretärin vertreten. Insbesondere die Kollegen der CDU möchte ich hier kritisieren, den Kollegen Magin und auch Herrn Kohl, den dies betrifft.
Es ist aus Gerechtigkeitsgründen nicht einsehbar, daß mehrere Nahverkehrsverbünde finanziert werden, nicht aber der Nahverkehrsverbund Rhein-Neckar, nur weil 1983 ein Kabinettsbeschluß gefaßt worden ist. Deswegen meine Kritik und die nochmalige Erwähnung. Ich hätte auch die Bitte an die anwesenden Kollegen von der CDU und von der SPD - letztere haben ja einen eigenen Antrag eingebracht, weshalb ich auch nicht verstehen kann, warum sie unseren Antrag ablehnen -, unserem Antrag zuzustimmen. Die Begründung dafür habe ich eben gegeben.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5179 abzulehnen. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungsunkt 14, den ich hiermit aufrufe:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0})
zu den Unterrichtungen durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz
aa) Sechster Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({1})
bb) Siebenter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({2})
- Drucksachen 10/877, 10/2777, 10/6583 - Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wernitz
Fellner ({3})
Dr. Hirsch
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Achter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({4})
- Drucksache 10/4690 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({5})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für Forschung und Technologie Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 14a, und zwar über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/6583. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf die Unterrichtungen durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Zu Tagesordnungspunkt 14b schlägt der Ältestenrat die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 10/4690 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor; welches Schicksal sie dort erleiden wird, ist jedem von Ihnen klar. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? ({6})
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({7})
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
- Drucksache 10/6500 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schwenk ({8})
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 10/6500 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
a) Beratung der Übersicht 14 des Rechtsausschusses ({9}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 10/5475 -
b) Beratung der Ubersicht 15 des Rechtsausschusses ({10}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 10/5476 -
c) Beratung der Übersicht 16 des Rechtsausschusses ({11}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 10/5679 -
d) Beratung der Ubersicht 17 des Rechtsausschusses ({12}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 10/6191 -
Vizepräsident Westphal
e) Beratung der Übersicht 18 des Rechtsausschusses ({13}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 10/6640 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({14}) zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 933/82, 2 BvR 1746/82, 2 BvR 1747/82, 2 BvR 1800/82, 2 BvR 237/83
- Drucksache 10/6662 Berichterstatter: Abgeordneter Helmrich
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Übersichten 14 bis 18 des Rechtsausschusses - Punkte 16 a bis 16e der Tagesordnung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf den Drucksachen 10/5475, 10/5476, 10/5679, 10/6191 und 10/6640, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in den vorgenannten Drucksachen aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich stelle keinen Widerspruch fest. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung zu Punkt 16 f der Tagesordnung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu den dem Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht auf Drucksache 10/6662. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen, denn Enthaltungen kann ich nicht feststellen.
Ich rufe die Punkte 17 bis 38 der Tagesordnung sowie die Zusatzpunkte 2 bis 10 zur Tagesordnung auf:
17. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({15}) zum Antrag der Fraktion der SPD
Kampf gegen staatlich sanktionierten Mord
- Drucksachen 10/978, 10/6461 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Geiger Neumann ({16}) Frau Dr. Hamm-Brücher
18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({17}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung.
Zweite Fortschreibung des Berichts über die Förderung des Einsatzes von Elektrofahrzeugen
- Drucksachen 10/5823, 10/5980 Nr. 1.12, 10/6458 Berichterstatter: Abgeordneter Amling
19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({18}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/143/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger
- Drucksachen 10/5706 Nr. 27, 10/6459 Berichterstatter: Abgeordneter Pauli
20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tatge, Werner ({20}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Förderung des ökologischen Weinbaus durch die Gewährung von Umstellungsbeihilfen und die Einrichtung eines Beratungsmodells
- Drucksachen 10/4578, 10/6401 Berichterstatter: Abgeordneter Hornung
21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({21}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Konzept zur Reduzierung der Getreideüberschüsse durch freiwilligen Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden als Alternative zu geplanten Flächenstillegungen
- Drucksachen 10/3627, 10/5787 Berichterstatter: Abgeordneter Paintner
22. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({22}) zu dem Antrag des Abgeordneten Werner ({23}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Aufnahme von Getränken mit mehr als 1,2 v. H. Alkohol in die Lebensmittel- Kennzeichnungsverordnung und Erweiterung um die Pflicht zur mengenmäßigen Kennzeichnung der Zusatzstoffe
zu dem Antrag der Abgeordneten Werner ({24}), Tatge und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verbot von Kaliumhexacyanoferrat ({25}) und Asbestfiltern bei der Weinerzeugung
zu dem Antrag der Abgeordneten Tatge, Werner ({26}) und der Fraktion DIE GRÜNEN)
Flaschenimport von Wein - Verbot von Weinimport in Tankwagen
Vizepräsident Westphal
zu dem Antrag der Abgeordneten Werner ({27}), Tatge und der Fraktion DIE GRÜNEN)
Mengenmäßige Kennzeichnung von Weinmischungen und -verschnitten einschließlich Art und Weise der Süßreserve
zu dem Antrag der Abgeordneten Tatge, Werner ({28}) und der Fraktion DIE GRÜNEN)
Verbot des Einsatzes von ausländischem Deckrotwein
zu dem Antrag der Abgeordneten Tatge, Werner ({29}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Eindeutige Kennzeichnung der Herkunft von Sekt
zu dem Antrag der Abgeordneten Tatge, Werner ({30}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verbesserung der Verbraucherinformation bei Wein durch Erweiterung der Pflichtangaben für die Weinetikettierung
zu dem Antrag der Abgeordneten Tatge, Werner ({31}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Ausdehnung des Prüfungsverfahrens von Wein auf Pestizidrückstände und Schwermetalle sowie Kupfer und Arsen
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Schmidt ({32}), Delorme, Ibrügger, Jaunich, Dr. Klejdzinski, Müller ({33}), Müller ({34}), Sielaff, Frau Weyel, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Neuordnung des Weinrechts
zu dem Antrag der Abgeordneten Schartz ({35}), Susset, Frau Will-Feld, Kroll-Schlüter, Dolata, Dr. Hoffacker, Freiherr von Schorlemer, Hornung und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rumpf, Bredehorn, Paintner und der Fraktion der FDP
Kontrolle ausländischer Weine
- Drucksachen 10/3680, 10/4570, 10/4571, 10/4572, 10/4573, 10/4574, 10/4575, 10/4576, 10/5324, 10/5361, 10/6473 Berichterstatter: Abgeordneter Sielaff
23. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({36}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Einstellung der Bauarbeiten zur Kanalisierung der Saar
- Drucksachen 10/3348, 10/5805 Berichterstatter: Abgeordneter Pauli
24. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({37}) zu dem Antrag des Abgeordneten Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN
Erhalt der Bundesbahnstrecke Lauffen am Neckar - Leonbronn
- Drucksachen 10/5952, 10/6253 Berichterstatter: Abgeordneter Lemmrich
25. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({38}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Achtundneunzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -- Drucksachen 10/6132, 10/6446 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Mitzscherling
26. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({39}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Steinhauer, Frau Renger, Frau Fuchs ({40}), Glombig, Dr. Schmude, Büchner ({41}), Amling, Bamberg, Buschfort, Buckpesch, Bernrath, Dreßler, Egert, Hauck, Heyenn, Jaunich, Klein ({42}), Lohmann ({43}), Kirschner, Lambinus, Lutz, Dr. Müller-Emmert, Dr. Nöbel, Dr. Penner, Peter ({44}), Reimann, Schreiner, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche, Zander, Dr. Kübler, Meininghaus und der Fraktion der SPD
Förderung des Sports für behinderte Mitbürger
- Drucksachen 10/2518, 10/6100 Berichterstatter:
Abgeordnete Clemens Frau Steinhauer
27. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({45})
zu dem Antrag der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Dr. von Bülow, Collet, Dr. Ehrenberg, Jung ({46}), Junghans und der Fraktion der SPD
Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht ({47})
- Drucksachen 10/2843, 10/5704 Berichterstatter: Abgeordneter Wissmann
28. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({48})
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Müller ({49}), Vogel ({50}), Tatge und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vizepräsident Westphal
Haushaltspolitische, ökologische und entwicklungspolitische Risiken der Ausfuhrbürgschaften
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Müller ({51}), Vogel ({52}), Tatge und der Fraktion DIE GRÜNEN
Haushaltspolitische, ökologische und entwicklungspolitische Risiken der Ausfuhrbürgschaften
- Drucksachen 10/5047, 10/5072, 10/5698 Berichterstatter:
Abgeordnete Roth ({53}) Dr. Weng ({54})
Dr. Müller ({55})
29. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({56}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zollager
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Freizonen und Freilager
- Drucksachen 10/4184 Nr. 17, 10/5234 Berichterstatter:
Abgeordnete Jäger ({57}) Dr. Struck
30. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({58}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 83/181/EWG zur Festlegung des Anwendungsbereichs von Artikel 14 Abs. 1 Buchstabe d der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Mehrwertsteuerbefreiung bestimmter endgültiger Einfuhren von Gegenständen
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 68/297/EWG zur Vereinheitlichung der Vorschriften über die abgabenfreie Einfuhr des in den Haupttreibstoffbehältern der Nutzkraftfahrzeuge enthaltenen Treibstoffes
- Drucksachen 10/5980 Nr. 2.41, 10/6580 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Struck Uldall
31. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({59})
zur Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung „Hochschulpolitische Zielsetzungen der Bundesregierung und Förderung der Drittmittelforschung"
zum Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Wisniewski, Frau Männle, Frau Pack, Daweke,
Nelle, Rossmanith, Schemken, Schulze ({60}), Graf von Waldburg-Zeil und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Neuhausen, Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Eimer ({61}), Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Frau Dr. Segall und der Fraktion der FDP
Programm zur Weiterqualifizierung von Wissenschaftlerinnen durch die Einrichtung von Forschungsstellen ({62}) auf Zeit
- Drucksachen 10/3782, 10/5785, 10/6590 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wiesniewski Kuhlwein
32. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({63}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Errichtung von Widerspruchsausschüssen bei der Bundesanstalt für Arbeit
- Drucksachen 10/442, 10/6605
Berichterstatter: Abgeordneter Günther
33. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({64}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 14 23 Tit. 671 01 - Leistungen des Bundes nach dem Arbeitsplatzschutzgesetz -- Drucksachen 10/6295, 10/6660 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Weng ({65}) Frau Traupe
34. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({66}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Geänderter Vorschlag für eine sechzehnte Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: Gemeinsame Regelung für bestimmte Gegenstände, die endgültig mit der Mehrwertsteuer belastet worden sind und von einem Endverbraucher eines Mitgliedstaates aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt werden
- Drucksachen 10/6198 Nr. 3.11, 10/6683 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Meyer zu Bentrup Poß
35. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({67}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur
Koordinierung der Rechts- und VerwalVizepräsident Westphal
tungsvorschriften über die Sanierung und Liquidation der Kreditinstitute
- Drucksachen 10/4983 Nr. 51, 10/6692 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. von Wartenberg Dr. Wieczorek
36. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({68}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren ({69}) bezüglich der Anlagepolitik bestimmter OGAW
- Drucksachen 10/5980 Nr. 2.42, 10/6693 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. von Wartenberg Dr. Wieczorek
37. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({70}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Einführung einer Stillhaltevereinbarung im Bereich der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuern
- Drucksachen 10/4583 Nr. 4, 10/6673 Berichterstatter:
Abgeordneter Vogel ({71})
38. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({72}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Eigenmittel von Kreditinstituten
- Drucksachen 10/6198 Nr. 3.10, 10/6694 Berichterstatter:
Abgeordnete Schlatter Dr. von Wartenberg
Zusatzpunkt 2:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({73}) zum Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Bard und der Fraktion DIE GRÜNEN
Notprogramm zur Schutzwaldsanierung der Alpenregion
- Drucksachen 10/2866, 10/6670 Berichterstatter: Abgeordneter Brunner
Zusatzpunkt 3:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({74}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Europäischer Rat vom 2J3. Dezember 1985 in Luxemburg sowie zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Ergebnis des Europäischen Rates in Luxemburg am 2./3. Dezember 1985
- Drucksachen 10/4433, 10/4474, 10/6675 Berichterstatter:
Abgeordnete Schwarz Brück
Zusatzpunkt 4:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({75}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis 1986
- Drucksachen 10/5762, 10/6681 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Todenhöfer
Dr. Scheer
Schäfer ({76})
Frau Borgmann
Zusatzpunkt 5:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({77}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung ({78})
- Drucksachen 10/5010, 10/6677 Berichterstatter:
Abgeordneter Wolfram ({79})
Zusatzpunkt 6:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({80})
zu dem Antrag der Abgeordneten Schulte ({81}), Tatge und der Fraktion DIE GRÜNEN
Energiesparprogramm für den Wärmemarkt
- Drucksachen 10/5976, 10/6678 Berichterstatter:
Abgeordneter Wolfram ({82})
Zusatzpunkt 7:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({83})
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Vizepräsident Westphal
Stopp der Rüstungsexporte nach Peru
- Drucksachen 10/5416, 10/6679 Berichterstatter: Abgeordneter Lattmann
Zusatzpunkt 8:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({84})
zu dem Antrag der Abgeordneten Vosen, Frau Dr. Hartenstein, Verheugen, Frau Blunck, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Schmedt ({85}), Sielaff, Catenhusen, Fischer ({86}), Grunenberg, Hansen ({87}), Dr. Kübler, Nagel, Stahl ({88}), Stockleben, Vahlberg, Brück, Duve, Dr. Ehmke ({89}), Frau Fuchs ({90}), Herterich, Jaunich, Dr. Jens, Jung ({91}), Meininghaus, Müller ({92}), Oostergetelo, Roth, Schäfer ({93}), Schluckebier, Frau Schmidt ({94}), Dr. Schmude, Tietjen, Voigt ({95}), Wolfram ({96}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Bericht der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Bericht „GLOBAL 2000"
- Drucksachen 10/2359, 10/6697 Berichterstatter:
Abgeordnete Boroffka Stahl ({97})
Zusatzpunkt 9:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({98}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Vorläufiger Stopp aller Atomtransporte - Drucksachen 10/2333, 10/6689 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Warrikoff Reuter
Zusatzpunkt 10:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({99})
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Eid, Auhagen und der Fraktion DIE GRÜNEN
zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kittelmann, Wissmann, Klein ({100}), Dr. Pinger, Lenzer, Höffkes, Echternach, Graf Huyn, Frau Geiger, Lattmann, Dr. Schwörer, Schwarz, Clemens, Dr. Unland, Kolb, Dr. Kunz ({101}), Dr. Jobst, Repnik, Weiß, Hornung, Hinrichs, Frau Roitzsch ({102}), Frau Dr. Hellwig, Jagoda, Dr. Stercken, Dr. Schroeder ({103}), Lowack, Hederich, Kraus, Dr. Lammert, Reddemann, Magin, Ruf, Müller ({104}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Haussmann, Beckmann, Frau Seiler-Albring, Dr. Weng ({105}), Dr. Feldmann, Dr. Solms, Frau Dr. Segall, Dr. Rumpf, Dr:Ing. Laermann, Kohn und der Fraktion der FDP
Wettbewerbschancen der deutschen Wirtschaft im pazifischen Raum
- Drucksachen 10/3995, 10/5133, 10/5699, 10/6680 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Mitzscherling
Eine Aussprache ist für die soeben aufgerufenen Punkte nicht vorgesehen. Ich werde daher die Beschlußempfehlungen zu den einzelnen Tagesordnungspunkten der Reihe nach zur Abstimmung aufrufen und, soweit es möglich oder zweckmäßig ist, Abstimmungen zusammenfassen. Ich hoffe, damit sind Sie einverstanden.
Wir kommen zu Punkt 17 der Tagesordnung, zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 10/6461 zum Antrag der Fraktion der SPD „Kampf gegen staatlich sanktionierten Mord". Wer für diese Beschlußfempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Punkt 18 der Tagesordnung, zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/6458. Die Beschlußempfehlung betrifft den Bericht über die Förderung des Einsatzes von Elektrofahrzeugen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wer stimmt - Punkt 19 der Tagesordnung - für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu einer Vorlage der Europäischen Gemeinschaft auf Drucksache 10/6459? Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen zu Punkt 20 der Tagesordnung, zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/6401. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Förderung des ökologischen Weinbaus auf Drucksache 10/4578 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt - Punkt 21 der Tagesordnung - über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/5787 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Reduzierung der Getreideüberschüsse auf Drucksache 10/3627 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.
Vizepräsident Westphal
Wir kommen nunmehr zu Punkt 22 der Tagesordnung, zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 10/6473 zu Anträgen im Zusammenhang mit dem Weinrecht.
Der Abgeordnete Tatge hat um eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung gebeten. Bitte, nehmen Sie das Wort.
Erlauben Sie mir, einige Punkte dazu zu sagen, was mein Abstimmungsverhalten begründet. Ich stimme diesen Anträgen zu. Ich erwähne das deswegen noch einmal ausdrücklich, weil z. B. der Ausschuß für Familie, Jugend und Gesundheit nach der Forderung seines Vorsitzenden, Herrn Hoffacker, nach einem Reinheitsgebot für Wein u. a. einstimmig beschlossen hatte,
({0})
ein Verbot des Imports von Wein in Tanklastzügen durchzuführen. Wir haben diesen Antrag eingebracht. Ich war selber dort und habe ihn begründet. Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit den Stimmen der Vertreter von SPD und CDU/CSU
({1})
seinen ursprünglichen Beschluß aufgehoben. Das ist für mich absolut unverständlich und unbegründet, da die Situation die gleiche wie nach dem Diethylenglykolskandal ist. Sie stellt nach wie vor eine Schädigung der kleineren und mittleren Winzer dar.
Mir wurde im Ausschuß gesagt - ich kritisiere das hier sehr stark -, man könnte das nicht richtig kontrollieren. Das entspricht meiner Meinung nach nicht der Wahrheit.
({2})
Ich glaube eher, daß die Vertreter von CDU/CSU wie auch von SPD einem bestimmten Druck aus bestimmter Richtung nachgegeben haben.
Ebenso ist für mich unverständlich, wieso Sie z. B. beim Bereich des Kaliumhexacyanoferrats, das eine Cyanidverbindung ist, bei der Blausäure entstehen kann, nicht zugestimmt haben, daß das aus dem Weingesetz herausgenommen wird. Diese Dinge müßten Sie auch in Zukunft den Verbrauchern noch erklären.
Wir kommen zur Abstimmung.
Wer für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6473 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 23 ab, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/5805. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN über die Einstellung der Bauarbeiten zur Kanalisierung der Saar auf Drucksache 10/3348 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden.
Wir stimmen über Tagesordnungspunkt 24 ab, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/6253. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Erhaltung der Bundesbahnstrecke von Lauffen am Neckar bis Leobronn auf Drucksache 10/5952 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen worden.
Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 25 ab, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/6446. Der Ausschuß empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung zur Anderung der Einfuhrliste auf Drucksache 10/6132 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.
Wir stimmen über Tagesordnungspunkt 26 ab, die Beschlußempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung des Sports für behinderte Mitbürger auf Drucksache 10/6100. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Damit kann ich feststellen: Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen worden.')
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 27, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/5704. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD zur Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht auf Drucksache 10/2843 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 28 ab, die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/5698 hinsichtlich der Risiken der Ausfuhrbürgschaften. Der Ausschuß empfiehlt unter den Buchstaben a) und b), den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5047 und den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5072 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die Beschlußempfehlungen mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 29 ab, die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu Zollvorlagen auf Drucksache 10/5234. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
*) Zu Protokoll gegebene Rede siehe Anlage 9
Vizepräsident Westphal
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 30, die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 10/6580. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf die Mehrwertsteuerbefreiung bestimmter Einfuhren von Gegenständen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 31, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 10/6590. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf einen Bericht der Bundesregierung zur Hochschulpolitik und einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Weiterqualifizierung von Wissenschaftlerinnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen nunmehr über den Tagesordnungspunkt 32 ab, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 10/6605. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf den Bericht der Bundesregierung zur Errichtung von Widerspruchsausschüssen bei der Bundesanstalt für Arbeit. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Wir stimmen jetzt über den Tagesordnungspunkt 33 ab, die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer überplanmäßigen Ausgabe auf Drucksache 10/6660. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 34 bis 38, die Beschlußempfehlungen des Finanzausschusses zu einer Reihe von Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft. Ich lasse über die Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 10/6683, 10/6692, 10/6693, 10/6673 und 10/6694? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlungen sind einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 2, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, Notprogramm zur Schutzwaldsanierung der Alpenregion, auf Drucksache 10/6670. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen nunmehr über Zusatztagesordnungspunkt 3 ab, und zwar über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 10/6675. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf einen Antrag der Fraktion der SPD sowie auf einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Luxemburg am 2. und 3. Dezember 1985. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 10/4433 und 10/4474 für erledigt anzusehen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Zusatztagesordnungspunkt 4 ab, die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 10/6681. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf einen Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 5, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung auf Drucksache 10/6677. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über Zusatztagesordnungspunkt 6 ab, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, Energieprogramm für den Wärmemarkt, auf Drucksache 10/6678. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 7, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/6679. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Stopp der Rüstungsexporte nach Peru. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über Zusatztagesordnungspunkt 8 ab, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/6697. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf einen Antrag der Fraktion der SPD zu den Konsequenzen aus dem Bericht „Global 2000". Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit bei einigen Enthaltungen angenommen worden.
Vizepräsident Westphal
Wir stimmen über Zusatztagesordnungspunkt 9 ab, die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/6689. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum vorläufigen Stopp aller Atomtransporte. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung ? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 10, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/6680. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf einen Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zu einer Großen Anfrage zu den Wettbewerbschancen der deutschen Wirtschaft im pazifischen Raum. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
- Drucksache 10/6684 Wir kommen zuerst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Vogelsang auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz, nach der in der Grundlagenforschung öffentliche Mittel zunehmend durch Großprojekte gebunden würden, die manchmal eher außenpolitische Rücksichten als forschungspolitischen Notwendigkeiten zu folgen scheinen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Vogelsang, Ihre Frage 1 beantworte ich wie folgt. Großprojekte der Grundlagenforschung werden ausschließlich auf Empfehlung der Wissenschaft durchgeführt. Sie werden von Wissenschaftlern vieler Länder genutzt und zunehmend in internationaler, insbesondere europäischer Zusammenarbeit verwirklicht. Außenpolitische Gesichtspunkte spielen bei Großprojekten der Grundlagenforschung nur begrenzt, z. B. bei der Standortwahl, eine Rolle; sie sind jedenfalls nicht projektentscheidend.
Zusatzfrage, Herr Vogelsang.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung gegenteiliger Auffassung ist, als Sie vom Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz dargelegt worden ist?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, die ich Ihnen hier dargelegt habe.
Weitere Zusatzfrage, Herr Vogelsang.
Herr Staatssekretär, welche Schußfolgerungen will denn die Bundesregierung aus den Behauptungen von Herrn Prof. Berchem ziehen?
Die Bundesregierung läßt sich davon leiten, daß sie mit den wissenschaftlichen Einrichtungen, mit den wissenschaftlichen Verbänden und Organisationen auch künftig gemeinsam die forschungspolitische Landschaft plant und entwickelt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinksi.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die Bundesregierung lasse sich davon leiten, daß sie das fördert, was Wissenschaftler vorschlagen. Darf ich die Bundesregierung fragen, ob sie auch eine eigene Meinung hat.
Die Bundesregierung bringt immer eigene Meinungen in den größeren Diskussionsrahmen der sogenannten science community, wie man heute neudeutsch sagt, ein. Man kommt selbstverständlich auch in internationaler Rückkoppelung gerade bei Großprojekten nach längerer Diskussion teilweise zu den folgenden Entscheidungen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, Ihr Minister hat heute morgen bekanntgegeben, daß der Bund, d. h. das Bundesforschungsministerium, sich bis 1993 mit 518 Millionen DM an Eureka beteiligen werde. Wie groß ist der Anteil für die Hochschulforschung, die vom BMFT im Grundlagenbereich gefördert wird, und wird sich durch diese Beteiligung des Bundes an Eureka möglicherweise eine Verschiebung weg von der Hochschulforschung hin zu anderen Forschungseinrichtungen ergeben?
Herr Kollege, die Hochschulforschung ist ja zunächst einmal nicht die Domäne des Bundesministers für Forschung und Technologie. Er fördert insbesondere Großgeräte. Die Bundesregierung trägt auch einen Anteil, und zwar über das BMBW, wie Sie wissen, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und beim Hochschulbau. Im Rahmen dieser hier geplanten und vorgesehenen Ausgaben wird es keine Verschiebung geben.
Aber mit Sicherheit gibt es auch in der Wissenschaft immer wieder neue Schwerpunkte, die ausdiskutiert werden müssen, die letztendlich auch von den wissenschaftlichen Organisationen gemeinsam festgelegt werden können.
Dabei ist es selbstverständlich, daß man letztendlich immer die Frage der zur Verfügung stehenden Mittel diskutiert. Daß hier natürlich die eine oder andere Gruppe meint, sie könnte noch mehr davon gebrauchen, liegt in der Natur der Sache.
Ihre konkrete Frage, wieviel Prozent davon an die Hochschulforschung gehen, kann ich Ihnen aus dem Stand nicht beantworten. Ich gehe auch davon aus, daß das auch heute nicht bis ins Detail ausdiskutiert ist. Aber ich kann Ihnen diese Auskunft zu gegebener Zeit gerne zukommen lassen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Odendahl.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Hochschulen angeregt, sich an dem amerikanischen SDI-Projekt zu beteiligen?
Nein. Das ist eine Angelegenheit der Hochschulen selber. Wenn sich eine Hochschule beteiligt, wird man selbstverständlich seitens der Bundesregierung keine Einwendungen machen. Aber das ist eine Frage der jeweiligen Einrichtung.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Frage des Kollegen Klejdzinski geantwortet, die Bundesregierung komme teilweise zu gleichen Entscheidungen. Was tut die Bundesregierung mit dem anderen Teil?
Frau Kollegin, ich habe nicht so geantwortet, sondern ich habe gesagt, daß zu gemeinsamen Entscheidungen gefunden wird.
({0})
- Nein.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß an der Hochschule in Aachen SDI-Forschung betrieben wird?
Nein.
Meine Damen und Herren, das waren die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Der Abgeordnete von Hammerstein hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 2 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatssekretär Karwatzki zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Frau Weyel auf:
Hat die Bundesregierung die Absicht, die Studie Ketting/Praag „Schwangerschaftsabbruch - Gesetz und Praxis im internationalen Vergleich", Tübinger Reihe 5, Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie ({0}) zu veröffentlichen und den Mitgliedern des Deutschen Bundestages zur Verfügung zu stellen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Weyel, der Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie e. V. am 18. Januar 1985 die Genehmigung erteilt, die Studie von Ketting/Praag „Schwangerschaftsabbruch - Gesetz und Praxis im internationalen Vergleich" zu veröffentlichen. Das Ministerium hat eine begrenzte Anzahl von Exemplaren dieser Veröffentlichung. Ich bin gerne bereit, Ihnen, wenn Sie es möchten, eines zur Verfügung zu stellen.
Zusatzfrage, Frau Weyel.
Frau Staatssekretärin, hält es die Bundesregierung nicht für angemessen, angesichts der ständig weitergeführten Diskussion um die Probleme um § 218 diese Schrift, die ja einmal auf Anforderung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit erstellt wurde, doch allen Abgeordneten zur Kenntnis zu bringen und sie auch in die Diskussion in den zuständigen Ausschüssen einzuführen?
Der zuständige Ausschuß hat sich bereits mit der Untersuchung befaßt. Sie ist diskutiert worden. Ich weiß nicht, Frau Kollegin Weyel, ob wir allen nicht interessierten Kollegen ohne weiteres eine so teure Studie zur Verfügung stellen können oder sollen. Wir haben noch einige Exemplare für die, die sie gerne möchten. Sie bekommen sie hundertprozentig heute noch. Im übrigen könnten wir im Rahmen des jetzigen Haushaltsplans keine weiteren ankaufen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Frau Weyel.
Frau Staatssekretärin, vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß sich in der öffentlichen Diskussion manchmal auch Kollegen zu Wort melden, bei denen man die Sachkunde nicht in vollem Umfang voraussetzen oder bejahen kann. Halten Sie es dann nicht für zweckmäßig, einem größeren Kreis von Kollegen vielleicht wenigstens ein paar Auszüge zur Kenntnis zu geben?
Frau Kollegin Weyel, dieser Meinung bin ich nicht. Ich hatte eben bereits gesagt: Wir sind bereit, interessierten Kollegen das Material zur Verfügung zu stellen. Wir haben einen hervorragenden Wissenschaftlichen Dienst, so daß man dort die Dinge abrufen kann. Ich glaube nicht, daß die Regierung diese Aufgabe übernehmen muß.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Frau Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß die Bundesregierung diese Hilfe nicht übernehmen muß, darf ich Sie als Abgeordneter des Deutschen Bundestages fragen, ob Sie es nicht für notwendig erachten, den Mitgliedern des Deutschen Bundestages die Hilfe zu geben, damit ein Thema, auch wenn es unterschiedlich interpretiert und vorgetragen wird, dementsprechend durchaus dazu beitragen könnte zu versachlichen, oder anders formuliert: Halten Sie das Argument, das Sie vorbringen, wirklich für richtig, die Regierung könne diese Exemplare nicht ankaufen und deswegen könne sie die Studie den Mitgliedern des Bundestages nicht zur Verfügung stellen?
Nein, Herr Kollege, das habe ich nicht gesagt. Wenn es nun so sein sollte, daß es einen Beschluß gibt, wonach alle Abgeordneten dies wünschen, müssen wir das im Rahmen eines Nachtragshaushalts für den nächsten Haushalt anmelden, damit das Geld überhaupt zur Verfügung steht. Das und nichts anderes ist die sachliche und richtige Auskunft.
Der Abgeordnete Rusche, der die Frage 4 gestellt hat, ist nicht im Saal; die Frage kann also nicht beantwortet werden.
Ich danke der Staatssekretärin für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Herr Staatssekretär Dr. Wagner steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 5 des Abgeordneten Stiegler soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Eigen auf:
Welche Mengen haltbargemachtes Fleisch - konserviert und tiefgefroren - werden aus Polen importiert, und auf welche Weise ist dieses Fleisch auf eine mögliche Verstrahlung zum Schutz des Verbrauchers untersucht worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden 9 194 Tonnen haltbar gemachtes Fleisch aus Polen importiert; das sind 14 Prozent weniger als im gleichen Vorjahreszeitraum. Besonders stark rückläufig waren diese Bezüge im Mai bis September gegenüber dem Vorjahreszeitraum und hier insbesondere bei gefrorenem Rindfleisch.
Fleischerzeugnisse aus Polen werden von den Zollstellen nur im Einvernehmen mit den Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder zum freien Verzehr abgefertigt. Diese Behörden werden entsprechend der mit den zuständigen Bundesressorts abgestimmten Weisung des Bundesministers der Finanzen zuvor eingeschaltet, um die einzuführenden Erzeugnisse zu untersuchen. Nach den vorliegenden Unterzeichnungsergebnissen ist bisher kein Fall bekannt geworden, in dem der Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm Cäsium 134/137 überschritten worden ist. Die bei den stichprobenweise durchgeführten Untersuchungen der Lebensmittelüberwachungsbehörden festgestellten Werte lagen bei den Fleischsendungen regelmäßig unter 100 Becquerel pro Kilogramm. Als Höchstwert wurde bei tiefgefrorenem Wildschweinfleisch ein Wert von 199 Becquerel pro Kilogramm Cäsium festgestellt.
Eine Zusatzfrage, Herr Eigen.
Kann ich Ihrer Aussage, Herr Staatssekretär entnehmen, daß, wenn von Mai bis September sehr viel weniger importiert worden ist, jetzt ein enormer Schub aus Polen eingesetzt hat, um möglicherweise für das Jahr 1986 doch noch über das Maß von 1985 hinauszukommen?
Herr Abgeordneter, dieses können Sie meinen Aussagen nicht entnehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, haben Ihnen die Länder auf Ihr Befragen hin versichern können, daß die Untersuchungen tatsächlich in der nötigen Dichte durchgeführt worden sind? Merkwürdigerweise kommt offensichtlich alles, was aus Polen herauskommt, nur in die Bundesrepublik. Bei der nächsten Frage werde ich Ihnen da etwas nachweisen können.
Herr Abgeordneter, die Länder haben uns mitgeteilt, daß die Untersuchungen in der üblichen Dichte stattgefunden haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, wie viele Proben wurden von diesen 9 100 Tonnen genommen?
Die genaue Zahlenangabe bin ich gerne bereit Ihnen schriftlich zuzuweisen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Horstmeier.
Herr Staatssekretär, sehen Sie für diesen Sachverhalt einen Handlungsbedarf in der deutschen Gesetz- oder Verordnungsgebung?
Im Augenblick nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hornung.
Herr Staatssekretär, ist gewährleistet, daß solches Fleisch auch nicht über die Deutsche Demokratische Republik in die Bundesrepublik eingeführt wird?
Nach unseren Erkenntnissen gehe ich davon aus, daß dies gewährleistet ist.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Herr Staatssekretär, können Sie die übliche Menge der Proben etwas genauer beziffern?
Ich habe bereits in einer Antwort auf eine Zusatzfrage darauf hingewiesen, daß ich diese Frage gern schriftlich beantworten will.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß Sie uns hier heute Weihnachtsmärchen erzählen?
({0})
Da müßte ich hier doch feststellen, daß diese Frage mit Weihnachten nichts zu tun hat.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Eigen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Rosenkohl und anderes Gemüse aus Polen importiert, mit deutscher Etikettierung versehen wird, und auf welche Weise wurde auch dieses Gemüse auf eine mögliche Verstrahlung zum Schutze des Verbrauchers untersucht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesregierung ist bekannt, daß Rosenkohl und anderes Gemüse aus Polen importiert wird, ersterer im allgemeinen im Zeitraum Oktober bis Dezember. Der Anteil dieser Einfuhren aus Polen an den gesamten Gemüseeinfuhren der Bundesrepublik Deutschland ist mit jährlich rund 1 % allerdings gering.
Nach den Feststellungen des Bundesamtes für Ernährung und Forstwirtschaft, das für die Einfuhrkontrollen nach EG-Qualitätsnormen und gesetzlichen Handelsklassen für frisches Obst und Gemüse zuständig ist, werden bei den Einfuhren von Rosenkohl und anderem Gemüse aus Polen die hierfür geltenden Kennzeichnungsbestimmungen für das Ursprungsland und gegebenenfalls das Anbaugebiet oder die nationale gebietliche oder örtliche Bezeichnung regelmäßig eingehalten.
Im übrigen unterliegt die Überwachung solcher Vorschriften nach den Bestimmungen des Handelsklassengesetzes den nach Landesrecht zuständigen Behörden.
Der Bundesregierung liegen keine Informationen von den Ländern vor, inwieweit Verstöße gegen die geltenden Kennzeichnungsbestimmungen bei Gemüse mit Herkunft aus Polen festgestellt und gegebenenfalls als Ordnungswidrigkeit nach § 7 des Handelsklassengesetzes geahndet wurden.
Bei aus Polen eingeführtem Gemüse wurden im Rahmen der stichprobenweisen Untersuchungen durch die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder meist weniger als 10 Bq/kg Cäsium ermittelt.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, als Sie über das Fernsehen in Kenntnis gesetzt wurden, daß Manipulationen mit Etiketten und mit Verpakkungsmaterial den Verbraucher täuschen sollten, damit er annehmen sollte, daß es deutsches Gemüse sei, haben Sie da Nachforschungen betrieben, ob so etwas angehen kann?
Herr Abgeordneter, wir haben Ihre Anfrage zum Anlaß genommen, sehr nachdrücklich bei den zuständigen Länderbehörden nachzufragen, und wir haben von den Ländern hierzu keine Auskünfte erhalten.
Jetzt kommt noch einmal Herr Eigen dran.
Herr Staatssekretär, gerade neuerdings ist bekanntgeworden, daß Preiselbeeren aus Polen nach Norwegen verfrachtet werden, dort in eine neue Verpackung mit norwegischem Material kommen und dann in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden. Können Sie dieser Sache einmal so nachgehen, wie es in diesem Fall im Interesse des Verbraucherschutzes notwendig ist?
Die Bundesregierung ist gerne bereit, die Mitteilung, die Sie soeben gemacht haben, aufzugreifen und ihr nachzugehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, welcher Anteil der Einfuhren aus Polen nicht nur vom Gemüse, sondern auch von Waldfrüchten, Beeren und Pilzen wurde auf Radioaktivität untersucht und mit welchen Ergebnissen?
Ich bin gerne bereit, Ihre Anfrage schriftlich zu beantworten.
Frau Weyel, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für wahrscheinlich, daß Leute, die Verstöße gegen das Lebensmittelrecht begehen, dies vorher den Ländern mitteilen, und halten Sie es unter diesem Aspekt eigentlich für zweckmäßig, daß die Bundesregierung bezüglich der von Herrn Eigen angesprochenen Verstöße bei der Landesverwaltung nachfragt?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es nicht nur für wahrscheinlich, sondern auch für dringend geStaatssekretär Dr. Wagner
boten, daß die zuständigen Länderbehörden die Tatbestände, die Sie hier angesprochen haben, genauestens überprüfen.
Bitte schön, Herr Hornung.
Herr Staatssekretär, wir wissen, daß vermehrt in Dosen verpacktes Gemüse im Rahmen von Kompensationsgeschäften aus dem Ostblock zu uns kommt, weil insbesondere auch unsere Verpackungsindustrie einen sehr großen Markt im Ostblock, vor allem auch in Polen, aufgebaut hat. Ist gewährleistet, daß wir aus anderen Ostblockstaaten über die bestehenden Verträge hinaus keine zusätzlichen Lieferungen an Gemüse und Früchten in solchen Verpackungen, wie sie Herr Eigen genannt hat, hereinbekommen?
Nach den mir vorliegenden Informationen muß ich davon ausgehen, daß dies gewährleistet ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Vosen.
Herr Staatssekretär, was mich so ungemein beeindruckt, ist die tiefe Sorge meines Kollegen Eigen und der anderen Kollegen von der CDU/CSU wegen der Folgen des Reaktorunfalls in Tschernobyl. Ich nehme an, daß diese Kollegen aus der tiefen Sorge heraus, daß so etwas vielleicht bei uns geschehen kann, diese Fragen an Sie richten und ihren ganzen Zweifel an der Kernenergie in diese Fragen nach den Folgen hineingelegt haben. Ich frage Sie, welchen Eindruck Sie haben: Ist es andererseits vielleicht Konkurrenzdenken, das darauf basiert, daß Produkte aus Polen die Absatzmöglichkeiten deutscher Gemüsesorten schmälern könnten? Halten Sie das für Konkurrenzdenken, oder halten Sie das für die tiefe Sorge auf Grund der Folgen von Tschernobyl?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat keinen Anlaß, sich über die Motive, die die einzelnen Abgeordneten bei ihren Fragestellungen bewegen, Gedanken zu machen.
Nun muß man sagen: Er hat gut geantwortet.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da Sie gerade erklärt haben, daß die Bundesregierung grundsätzlich keinen Anlaß hat, darüber nachzudenken, was Abgeordnete fragen,
({0})
frage ich Sie: Hat denn die Bundesregierung einen Anlaß, wenn der Herr Eigen bezogen auf den polnischen Rosenkohl die Frage stellt, auch über den belgischen Rosenkohl nachzudenken?
Zunächst einmal, Herr Abgeordneter, darf ich Ihnen versichern, daß die Bundesregierung immer nachdenkt, wenn Abgeordnete fragen. Ich darf Ihnen versichern, daß wir selbstverständlich auch einen solchen Sachverhalt, den Sie hier eben angesprochen haben, gerne aufgreifen wollen.
So, nun denken wir einmal über etwas anderes nach. Die Frage 8 des Abgeordneten Schmidt ({0}) wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe jetzt die Frage 40 des Abgeordneten Emmerlich auf:
Wegen welcher Straftatbestände wird ermittelt, und laufen auch Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 13 Störfall-Verordnung und § 41 Wasserhaushaltsgesetz?
Ich muß hinzufügen: Sie wird nur verständlich, wenn man die Frage 39, die jedoch beim Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz steht, ebenfalls liest. Wir versuchen es trotzdem in dieser Reihenfolge. Es ist eine Folge der Arbeitsteilung der Ministerien.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister der Justiz wird die Frage nach der Zahl der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen die genannten Unternehmen beantworten. Das ist bereits gesagt worden. In diesen Fällen laufen Ermittlungen wegen Begehung des Straftatbestandes des § 324 des Strafgesetzbuches ({0}). In einem der Fälle wird zugleich wegen § 330 des Strafgesetzbuches ({1}) und § 230 des Strafgesetzbuches ({2}) ermittelt.
Störfälle im Sinne der Störfall-Verordnung sind hier nicht gegeben, so daß Ordnungswidrigkeitsverfahren nach § 13 der Störfall-Verordnung nicht eingeleitet werden können. Für den Vollzug von § 41 des Wasserhaushaltsgesetzes sind ausschließlich die Länder zuständig. Der Bundesregierung liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Informationen über die Durchführung von Verfahren nach § 41 des Wasserhaushaltsgesetzes vor. Gegebenenfalls fehlt es an einer gesonderten Verfolgung als Ordnungswidrigkeit, weil die Handlung gleichzeitig als Straftat zu bewerten ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Emmerlich.
Herr Staatssekretär, ist die Tatsache, daß keine Verfahren nach § 13 der Störfall-Verordnung laufen, darauf zurückzuführen, daß diese Störfall-Verordnung den Tatbeständen, mit denen wir es hier zu tun haben, nicht Rechnung trägt und daß infolgedessen die Störfall-Verordnung nach Auffassung der Bundesregierung geändert werden muß?
Herr Abgeordneter, ich hatte zunächst einmal darauf hingewiesen, daß dort, wo Strafgesetze greifen, Ordnungswidrigkeiten nicht verfolgt werden. Zum zweiten bestätige
ich Ihre Aussage, die in Ihrer Anfrage zum Ausdruck kommt, daß die Bundesregierung der Ansicht ist, daß die Störfall-Verordnung tatsächlich erweitert werden muß. Dies hat die Bundesregierung in den letzen Wochen auch mehrfach erklärt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Wann, Herr Staatssekretär, kann mit dieser auch nach der Auffassung der Bundesregierung notwendigen Veränderung der Störfall-Verordnung gerechnet werden?
Zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Auf jeden Fall im Verlauf des nächsten Jahres.
Eine Zusatzfrage, Herr Hornung.
Meine Frage steht vor dem Hintergrund, daß sich ja die Verseuchung des Rheins von früheren Zeiten bis in die heutige Zeit vermindert hat, daß hier allerdings noch wesentliche Maßnahmen zu ergreifen sind. Ist der Bundesregierung bekannt, daß auch aus den Zeiten vor dem 6. März 1983 staatsanwaltschaftliche Verfahren eingeleitet worden sind, um die Gewässergüte des Rheins zu überprüfen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, daß auch vor diesem Zeitpunkt selbstverständlich Strafverfahren eingeleitet worden sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Hält denn, Herr Staatssekretär, die Bundesregierung angesichts der aufgetretenen Rheinvergiftungen die in § 13 der Störfallverordnung vorgesehenen Sanktionen für ausreichend?
Ich habe bereits in meiner Antwort auf eine Zusatzfrage zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung die Störfallverordnung grundlegend überprüfen und novellieren wird. Im Rahmen dieser Überprüfung und Novellierung wird auch § 13 eine Rolle spielen.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes brauche ich nicht aufzurufen, weil die Fragen 17 des Abgeordneten Dr. Nöbel, 18 des Abgeordneten Waltemathe, 19 des Abgeordneten Gansel, 20 des Abgeordneten Hiller ({0}) und 21 der Abgeordneten Frau Blunck schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister Möllemann steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 22 des Abgeordneten Stobbe auf:
Treffen Pressemeldungen vom 3. Dezember 1986 zu, wonach der Frankfurter Flughafen als Umschlagplatz für amerikanische Waffenlieferungen an den Iran benutzt wurde?
Herr Stobbe, die Pressemeldungen, nach denen auf dem Frankfurter Flughafen Waffensendungen aus Flugzeugen der israelischen Gesellschaft El Al in Maschinen der Iran Air umgeladen worden sein sollen, sind durch die zuständigen deutschen Zollbehörden geprüft worden. Die Prüfung hat keine Ergebnisse erbracht, die auf eine derartige Benutzung des Flughafens hindeuten.
Eine Zusatzfrage, Herr Stobbe.
Herr Staatsminister, da Sie aber nicht ausschließen können, daß ein solches Geschäft dennoch über den Flughafen Frankfurt abgewickelt wurde, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung angesichts der großen Bedeutung, die diese Frage in der amerikanischen Öffentlichkeit hat, und angesichts der wiederholten Neutralitätsbekundungen der Bundesregierung gegenüber den kriegführenden Parteien Iran und Irak bei der amerikanischen Administration in Washington vorstellig geworden, um sich nach dem Wahrheitsgehalt dieser Pressemeldungen zu erkundigen?
Zunächst, Herr Kollege Stobbe: Die Neutralität, von der Sie sprechen, besteht unverändert fort. Darauf legen wir auch großen Wert.
Wir konnten nicht anders, als in diesem Falle die zuständigen deutschen Behörden zu beauftragen, Ihrer Frage nachzugehen, zumal uns das natürlich auch selber interessierte. Das Ergebnis dieser Überprüfungen ist - ich hätte das auch kürzer fassen können - ein Nein. Ich habe das hier nicht offenlassen wollen, sondern habe etwas ausführlicher geantwortet. Nach unserem Kenntnisstand sind die Abwicklungen, die in der Frage angesprochen werden, nicht erfolgt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, halten Sie es angesichts der deutsch-amerikanischen Freundschaft nicht doch für geboten, sich dann, wenn eine große Organisation eine solche Mitteilung macht, die dann zu der entsprechenden Pressemitteilung führt, bei der amerikanischen Administration danach zu erkundigen, ob nicht doch etwas daran wahr sein könnte?
Wenn Sie das für einen zusätzlich notwendigen Weg halten, will ich gerne zusagen, daß wir das tun.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da Sie ja wissen - ({0})
- Entschuldigung, Herr Staatsminister! Na ja, die Hierarchie ist manchmal schwierig. - Da der Frankfurter Flughafen aus einem zivilen und einem amerikanischen militärischen Teil besteht, frage ich Sie, ob Sie diese Aussage auch für den letzteren Teil bestätigen können.
Das kann ich, und zwar mit der gleichen Begründung, logischerweise nicht machen. Ich nehme an, daß Herr Stobbe mit einer Zusatzfrage in diese Richtung deutete, und habe ja bereits zugesagt, dieser Frage nachzugehen.
({0})
Im übrigen, Herr Kollege, steht in meinem Dienstpaß: Parlamentarischer Staatssekretär mit dem Recht, den Titel „Staatsminister" zu führen. Insofern haben Sie recht und nicht recht.
({1})
Trotzdem hat er sich nicht nett benommen!
Jetzt rufe ich Frage 23 des Abgeordneten Stobbe auf:
Wenn ja, war die Bundesregierung durch die Vereinigten Staaten von Amerika von diesem Vorgang unterrichtet, und wie bewertet sie ihn rechtlich und angesichts ihrer wiederholten Neutralitätsbekundungen gegenüber den kriegführenden Parteien Iran und Irak politisch?
Herr Stobbe, da ich Ihre erste Frage nach dem jetzigen Kenntnisstand mit Nein beantworten mußte, entfällt die Antwort auf die zweite Frage, aber ich sage ausdrücklich zu, daß Ihrer Zusatzanregung entsprochen werden wird.
Aber wenn Sie eine Zusatzfrage stellen wollen, haben Sie das Recht dazu.
Herr Staatsminister, könnten Sie dann dem Deutschen Bundestag auch sagen, welche Haltung die Bundesregierung gegenüber der amerikanischen Administration in diesen Gesprächen einnehmen wird?
Es geht um die Aufklärung eines Sachverhalts, und ich bitte Sie, zu verstehen, daß ich, bevor der nicht aufgeklärt ist, hypothetische Fragen nicht beantworten möchte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, noch einmal die Frage: Wenn es so wäre, daß Waffen in deutschen Einrichtungen umgeladen worden sind oder werden, würden Sie vom Grundsatz her sagen, daß die Bundesregierung dagegen protestieren würde?
Auf hypothetische Fragen gehe ich nicht ein.
Frage 24 der Abgeordneten Frau Blunck soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 25 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Auf Grund welcher Unterlagen kann die Bundesregierung die Aussagen des Bundesministers des Auswärtigen bestätigen, daß die Sowjetunion 20 Millionen Menschen als Opfer während des Zweiten Weltkrieges zu beklagen hatte, und damit die Auskunft widerlegen, daß die Zahl von Stalin anders wiedergegeben worden ist?
Herr Kollege Dr. Hupka, gemäß den Angaben im „Großen Ploetz" ({0}) - dieser Teil ist im übrigen von Herrn Professor Andreas Hillgruber verfaßt worden - betrugen die sowjetischen Verluste im Zweiten Weltkrieg 20,6 Millionen Menschen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Jeder ermordete, jeder erschossene Soldat ist ein ermordeter oder erschossener Soldat zuviel. Aber ist die Bundesregierung bereit, einer Veröffentlichung nachzugehen, derzufolge in der „Prawda" eine andere Zahl genannt worden sein soll?
Wenn Sie mir das konkreter angeben würden, j a. Im übrigen, bei den 20,6 Millionen Toten habe ich alle zusammengefaßt, unabhängig davon, ob sie Soldaten oder Zivilisten waren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich dann der Bundesregierung mitteilen, daß hier in einer Leserzuschrift in der Zeitung „Die Welt" Bezug genommen wird auf die „Prawda" vom 14. März 1946 und auf eine Einlassung von Stalin?
Sie durften das mitteilen, aber das war keine Frage, Herr Dr. Hupka.
({0})
Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche Einzelheiten sind der Bundesregierung über das politische, militärische und wirtschaftliche Engagement der DDR in Kambodscha bekannt, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Dr. Hupka, die DDR unterhält diplomatische Beziehungen mit der von Vietnam eingesetzten Regierung der Volksrepublik Kampuchea, der Regierung Heng Samrin. In Phnom Penh unterhält sie eine Botschaft.
Der Handel zwischen der DDR und Kambodscha belief sich 1985 auf insgesamt 2,6 Millionen Rubel. Damit ist die DDR der drittgrößte Handelspartner Kambodschas nach der Sowjetunion mit insgesamt 100 Millionen Rubel und der Tschechoslowakei. Die DDR liefert Industrieprodukte und bezieht Rohstoffe wie Hölzer, Kautschuk und landwirtschaftliche Produkte.
Die Entwicklungshilfe der DDR betrug 1985 15 Millionen DM-Ost.
Die DDR ist im Gesundheitswesen mit der Schulung von Personal aktiv.
1985 studierten 135 kambodschanische Stipendiaten in Ost-Berlin und in der DDR. Militärische Aktivitäten der DDR in Kambodscha sind nicht bekannt.
Zusatzfrage, Dr. Hupka.
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß dann die Entwicklungshilfe ausschließlich für die Vorhaben seitens der kambodschanischen Regierung benutzt wird, die sich auf die Wirtschaft Kambodschas beziehen und nicht etwa für militärische Maßnahmen zur Unterdrükkung des Volkes?
Das ist natürlich sehr schwer zu überprüfen, Herr Kollege Dr. Hupka. Das weiß ich nicht.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Sie haben sich auf die wirtschaftliche Hilfe, auf die Entwicklungshilfe und auch auf Studentenaustausch bezogen. Gibt es keine Angaben über militärische oder polizeiliche Unterstützung dieses Gewaltregimes in Kambodscha durch die DDR?
Wie gesagt, militärische Aktivitäten sind uns nicht bekannt. In größerem Umfange nehmen wir sie mit den Mitteln, die man hat, sehr wohl wahr, wenn sie sich hier irgendwo abspielen. In diesem Falle sind sie uns nicht bekannt. Es könnte daran liegen, daß der eine oder andere Staat, der sich dort auch sehr um das Land kümmert, das gar nicht wünscht. Ob im Bereich der inneren Sicherheit, der Polizei- und Sicherheitsdienste, die DDR aktiv ist, kann ich nicht ausschließen, aber auch darüber liegen uns keine bestätigten Erkenntnisse vor. Ich persönlich habe nach dem, was ich dazu von den zuständigen Stellen gelesen habe, den Eindruck, daß auch hier das eine oder andere Land, das näher dran ist, gar nicht so sehr daran interessiert ist, daß die DDR zu starken Einfluß gewinnt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen. Ich danke dem Herrn Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Abg. Kuhlwein auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz anläßlich der 150. Plenarsitzung der Rektorenkonferenz am 3./4. November 1986 in Bonn, nach der die Ersatzinvestitionen, die Folgekosten und die Kosten für den laufenden Betrieb in den Hochschulen weit hinter dem Nötigen zurückblieben, und welche Möglichkeiten sieht der Bund, hier angesichts der ebenfalls vom Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz festgestellten finanziellen Überforderung der Länder stärker zu helfen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, Herr Kollege Kuhlwein, die Bundesregierung hat in den vergangenen vier Jahren die Finanzierung für den Ausbau der Hochschulen deutlich verbessert und auf eine solide finanzielle Grundlage in der mittelfristigen Finanzplanung gestellt. Allein der Bund hat in diesem Zeitraum hierfür über 4,7 Milliarden DM aufgewandt.
Auch Ausgaben für die Erneuerung der Bausubstanz sowie für die Beschaffung von Großgeräten sind hiermit finanziert worden. Auf diesem Wege ist die Mehrzahl der zu Beginn der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau im Jahre 1969 vorhanden gewesenen Einrichtungen erneuert worden. Die erforderlichen Bundesmittel für die Modernisierung der vorhandenen Bausubstanz sowie für die Ausstattung mit Großgeräten werden auch in Zukunft im Rahmen der jeweiligen Haushaltsansätze zur Verfügung stehen. Nach der geltenden Rechtslage hat die Bundesregierung jedoch keine Möglichkeit, sich darüber hinaus an der Finanzierung der übrigen Kosten zu beteiligen.
Wie Professor Berchem befürchtet die Bundesregierung, daß einzelne Länder sowohl bei der Finanzierung der Investitionen für den Hochschulbau als auch bei der Finanzierung der Folgekosten auf Grund ihrer Finanzlage Schwierigkeiten haben werden. Bei der gegebenen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern hat, wie Sie wissen, die Bundesregierung gegenwärtig aber keine Möglichkeit zu helfen.
Zusatzfrage, Herr Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, in der mittelfristigen Finanzplanung bis Ende der 80er Jahre werden die für den Hochschulbauanteil des Bundes veranschlagten Mittel erheblich zurückgefahren, weil die Neubauvorhaben bis dahin zu einem beträchtlichen Teil abgewickelt sein werden. Wäre es da nicht besser, wenn sich der Bund auch an anderen Kosten der Hochschulen, insbesondere an Folgekosten, beteiligen würde? Und meint die Bundesregierung nicht, daß man auch einmal prüfen sollte,
erforderlichenfalls die Gesetzeslage zu ändern, um dies möglich zu machen?
Bei der gegebenen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern hat die Bundesregierung keine Möglichkeit, sich an den Folgekosten zu beteiligen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, da Sie eingeräumt haben, daß der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz mit seiner Klage oder mit seiner Kritik an der Entwicklung möglicherweise recht hatte, frage ich: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Situation an den Hochschulen, was die Sachausstattung und die Renovierungsinvestitionen angeht, zu verbessern?
Herr Kollege Kuhlwein, das habe ich in meiner Antwort gesagt. Sowohl bei den Erneuerungsinvestitionen als auch bei der Großgeräteausstattung wird sich die Bundesregierung wie bisher im Rahmen der Ausbaupläne nach dem Hochschulbauförderungsgesetz mit 50 % an der Finanzierung beteiligen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Odendahl.
Herr Staatssekretär, halten Sie denn aus bildungspolitischer Sicht eine bessere Finanzausstattung der Länder für erforderlich, damit die Länder insbesondere im Hochschulbereich ihren Verpflichtungen nachkommen können?
Frau Kollegin Odendahl, ein Teil der Länder ist sehr wohl in der Lage, den Verpflichtungen nachzukommen. Das ist auch eine Frage, welche Prioritäten die Länder setzen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Da Sie, Herr Staatssekretär, soeben auf die Länder verwiesen haben, frage ich: Wie wäre es denn, wenn der Bund selber mit einem Sonderprogramm versuchen würde, die vom Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz aufgezeigten Probleme zu lösen?
Herr Kollege Weisskirchen, die Bundesregierung hat die Möglichkeit, im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes und der dort vorgesehenen Maßnahmen zu helfen. Dazu bedarf es keines Sonderprogramms, sondern der entsprechenden Finanzausstattung auch in den einzelnen Ländern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Vogelsang.
Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung und der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz in der Beurteilung übereinstimmen, sieht dann die Bundesregierung nicht die Einheitlichkeit der Lebensbedingungen gefährdet? Oder besteht nicht die Gefahr, daß die Einheitlichkeit gefährdet wird?
So weit würde ich in der Beurteilung, Herr Kollege Vogelsang, nicht gehen. Ich habe soeben auf eine Zusatzfrage gesagt, daß hier auch die Frage nach den Prioritäten in den einzelnen Ländern aufgeworfen ist und daß vor allem dort die Überlegungen einsetzen sollten - übrigens in allen Parteien.
({0})
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Kuhlwein:
Stimmt die Bundesregierung der Aussage des Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz zu, nach der sich die Betreuungsrelationen, also das Verhältnis von wissenschaftlichem Personal zu Studenten, ständig verschlechtert und inzwischen wieder die Niedrigstwerte der Überfüllungskrise Anfang der 60er Jahre erreicht habe?
Die Zahl der Stellen für das wissenschaftliche Personal an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland ist im Jahr 1986 nach den Ermittlungen des Wissenschaftsrats mit 80 800 auf einen zuvor nicht erreichten Höchststand gestiegen. Insgesamt hat die Stellenzahl gegenüber 1960 um mehr als 400 % zugenommen. Zu keiner Zeit gab es an den deutschen Hochschulen mehr wissenschaftliches Personal als heute.
Die erhebliche Erhöhung des Anteils der Studienanfänger am jeweiligen Altersjahrgang und die Verlängerung der Verweilzeiten der Studenten an den Hochschulen haben die Zahl der Studenten gegenüber 1960 aber ebenfalls vervierfacht. Eine insgesamt günstigere Relation besteht, wenn man nicht die Gesamtzahl, sondern die Zahl der Studienanfänger mit der Zahl des wissenschaftlichen Personals in Beziehung setzt.
Die Situation ist darüber hinaus in den einzelnen Ländern und Fachrichtungen sehr unterschiedlich, so daß stark überfüllte Fächer heute Fächern mit guter Personalausstattung gegenüberstehen.
Diese Situation hat ihre eigentliche Ursache in der von allen Parteien unterstützten Politik, die Hochschulen für die geburtenstarken Jahrgänge offenzuhalten, und ist zum Teil auch Folge der Verlängerung der Studienzeiten. Da die Zahlen der Studienanfänger seit 1984 zurückgehen, wird sich die Gesamtsituation in den nächsten Jahren dort verbessern, wo die Länder den Abbau der Überlast nicht zum Anlaß nehmen, die Zahl der Stellen in den Hochschulen entsprechend zu vermindern.
Zusatzfrage, Herr Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Ländern durch die finanzielle Förderung von Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu helfen, zum einen die nächsten Jahre der Überlast zu be19914
I stehen, zum anderen aber angesichts der Altersstruktur der Hochschullehrer gleichzeitig auch den Zugang zur Hochschullehrerlaufbahn in allen Fächern offenzuhalten?
Herr Kollege Kuhlwein, diese Frage ist in einer der nachfolgenden Hauptfragen enthalten. Bitte, seien Sie damit einverstanden, daß ich diese Frage dann im Zusammenhang mit jener Frage beantworte.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort auf meine Frage 10 entnehmen, daß die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf sieht, oder wird die Bundesregierung, was die Betreuungsrelation angeht - zumindest in den nächsten Jahren werden wir es noch mit relativ hohen Studentenzahlen zu tun haben -, irgendwelche Initiativen ergreifen?
Die Bundesregierung sieht sehr wohl Handlungsbedarf. Aber dieser Handlungsbedarf muß sich in der vorgegebenen Kompetenzverteilung vollziehen.
Herr Vogelsang, bitte.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, dem Fragesteller eine Übersicht über die Betreuungsrelation in den ein-
) zelnen Fächern zukommen zu lassen?
Pfeifer, Pari. Staatssekretär: Das ist möglich.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Herr Staatssekretär, da Politik-bekanntermaßen nicht nur aus Gesetzesinitiativen, sondern auch aus Appellen, Besprechungen usw. besteht, wie diese Bundesregierung und Ihr Haus das in der Vergangenheit besonders im Bereich der Berufsausbildung bewiesen haben, frage ich: Was tut denn diese Bundesregierung, um den Handlungsbedarf, den auch Sie sehen, wirklich offensiv zu erörtern und dann zu entsprechenden Schlußfolgerungen zu kommen?
Herr Kollege Kastning, im Jahre 1982 haben wir beim Ausbau der Hochschulen eine Situation vorgefunden, die dadurch gekennzeichnet war, daß nicht ein einziger Neubau begonnen werden konnte, es sei denn, die Länder sind bereit gewesen, diesen Neubau vorzufinanzieren.
({0})
Das heißt: Der Hochschulbau war in einem desolaten Zustand. Das erste, was wir gemacht haben, war, daß wir den Hochschulbau wieder auf eine solide Finanzierungsgrundlage gestellt haben, damit die Länder überhaupt wieder Spielraum bekamen, auch in anderen Bereichen Finanzierungen vorzunehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben von einer soliden Finanzierungsgrundlage im Hochschulbau gesprochen. Das hört sich zwar immer gut an, aber können Sie mir einmal erklären, was an der Art, wie Sie es umgestellt haben, solide ist?
({0})
Wir haben - das habe ich soeben gesagt - allein in den letzten vier Jahren im Etat des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft 4,7 Milliarden DM für den Hochschulbau zur Verfügung gestellt und damit erreicht, daß der Bund alle erforderlichen Neubauvorhaben wieder mitfinanzieren konnte und heute in einer Situation ist, in der er sogar Finanzierungen anbieten kann, während einzelne Länder Schwierigkeiten haben, ihren Anteil an der Finanzierung zu tragen. Deswegen müßten Sie die Frage beispielsweise an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen richten.
({0})
Jetzt kommt die Frage 11 des Abgeordneten Kastning:
Teilt die Bundesregierung die Befürchtung des Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz, die Überlast, die nach dem „Öffnungsbeschluß" der Regierungschefs von 1977 den Hochschulen vorübergehend zugemutet werden sollte, könnte auf Dauer festgeschrieben werden und zurückgehende Studentenzahlen würden möglicherweise nicht für die Verbesserung der Qualität in Forschung und Lehre genutzt, sondern zum Anlaß für großangelegte Einsparprogramme genommen werden?
Herr Kollege Kastning, der Bundesregierung sind die Befürchtungen der Hochschulen für die Zeit nach der Überlast bekannt. Sie hat Verständnis für die Sorgen der Hochschulen, daß nicht nur die Überlastmittel gestrichen werden, sondern weitergehende Stellenstreichungen erfolgen. Die Bundesregierung ist mit der Westdeutschen Rektorenkonferenz der Auffassung, daß nur die Uberlastmittel zur Disposition stehen und im übrigen die durch die abnehmenden Studentenzahlen freiwerdenden Kapazitäten zur Verbesserung der Qualität von Forschung und Lehre genutzt werden sollten. Die Bundesregierung hat aus diesem Grunde bei der Rahmenplanung innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" stets darauf gedrängt, daß die Länder für die gemeinsam zu schaffenden Studienplätze die entsprechende Personalausstattung zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung vertraut darauf, daß die Länder diese Zusagen auch künftig einhalten werden.
Herr Kastning, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen konkrete Einsparprogramme bekannt, und - wenn ja - wie beurteilen Sie diese?
Herr Kollege Kastning, ich kenne aus Presseberichten immer wieder geäußerte Klagen einzelner Hochschulen über Einsparungsüberlegungen in einzelnen Ländern, nicht in allen Ländern. Ich möchte dazu eines aus der Sicht der Bundesregierung sehr deutlich feststellen: Wenn die Studienanfängerzahlen zurückgehen, dann hat das zur Konsequenz, daß in den nächsten Jahren die Hochschulen von der Überlast entlastet werden. Das kann aber für die Länder nicht Anlaß sein, bei den Personalstellen mehr einzusparen als das, was sich aus der Finanzierung der Überlast ergibt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kastning.
Herr Staatssekretär, ich darf davon ausgehen, daß Ihr Haus sehr wohl auch Einzelinformationen zumindest aus Haushalten der Länder usw. bekommt. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, sich in Zukunft diese Länderhaushalte etwas konkreter anzusehen, um zu sehen, wo über das Maß hinaus eingespart werden soll, und das auch zum Besprechungsgegenstand in den einschlägigen Gremien zu machen.
Herr Kollege Kastning, die Bundesregierung hat hier keine Aufsicht über die Länder. Sie wissen aber so gut wie ich, daß beispielsweise das Thema Personaleinsparung an den Hochschulen ein in den Hochschulen von Nordrhein-Westfalen zur Zeit bestimmendes Thema ist.
({0})
Das ist der Unterschied.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Ich möchte ausdrücklich wieder auf die Verantwortung des Bundes kommen, Herr Staatssekretär.
({0})
Nachdem Sie sich vorhin in einer Anwort auf meine Frage so sehr viel darauf zugute gehalten haben, Sie hätten die Hochschulbauförderung wieder konsolidiert, wollte ich die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll und vernünftig wäre, das Volumen des nun erreichten Anteils der Hochschulbauförderung durch den Bund in einer Größenordnung von einer Milliarde DM für die Hochschulen insgesamt auch bis zum Ende der 80er Jahre zu erhalten, und ob es nicht sinnvoll wäre, daß Sie Überlegungen anstellen, wie man diese Mittel auch den Hochschulen in ihren Schwierigkeiten zugute kommen lassen kann.
Herr Kollege Kuhlwein, wir hatten im Jahre 1985 beim Hochschulbau Ist-Ausgaben in der Größenordnung von 1,035 Milliarden DM. Wir haben im Haushalt 1987 1,03 Milliarden DM eingesetzt. Das entspricht in etwa den IstAusgaben des Jahres 1985. In der mittelfristigen Finanzplanung sind die Ansätze so vorgesehen, daß der Ausbau der Hochschulen wie im Rahmenplan vorgesehen, erfolgen kann.
({0})
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Zuständigkeiten hin und her. Wenn ich es richtig sehe, gibt es ja eine Bund-Länder-Konferenz. Welche Initiativen hat die Bundesregierung z. B. in der BundLänder-Konferenz eingeleitet, um die von der Westdeutschen Rektorenkonferenz und ihrem Präsidenten befürchtete Entwicklung zu verhindern?
Frau Kollegin, ich habe eben in der Antwort auf die Hauptfrage des Kollegen Kastning darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung bei der Rahmenplanung innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" stets darauf gedrängt hat, daß die Länder für die gemeinsam zu schaffenden Studienplätze die entsprechenden Personalausstattungen zur Verfügung stellen und daß die Bundesregierung darauf vertraut, daß die Länder die entsprechenden Zusagen auch einhalten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, wenn es tatsächlich so ist - Sie lassen das ja durch Ihre Antworten auch erkennen -, daß hier ein Problem existiert, das 1977 durch die Regierungschefs der Länder gemeinsam mit dem Bundeskanzler einer zum damaligen Zeitpunkt richtigen Lösung zugeführt worden ist, frage ich Sie: Können Sie denn nicht sagen, daß die Bundesregierung im Angesicht der wachsenden Probleme des unterschiedlichen Verhaltens der Bundesländer bereit ist, jetzt einen ähnlichen Appell wie damals, 1977, zustande zu bringen?
Pfeifer, Parl. 'Staatssekretär: Das wird sicher auch bei der nächsten Rahmenplanung ein Thema sein. Wir haben das übrigens selbstverständlich auch bei den Rahmenplanungen aufgegriffen, die in diesem Jahr verabschiedet worden sind. Ich habe darauf hingewiesen.
Jetzt kommen wir zur Frage 12 des Abgeordneten Kastning:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz, der angesichts der Tatsache, daß nach neuesten Untersuchungen z. Z. nur noch jeder sechste oder siebte Habilitierte die Chance der Berufung auf eine Professoren-Dauerstelle hat, die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses als nahezu katastrophal einschätzt und ruinösen Wettbewerb statt Qualitätsauswahl auf diesem Sektor feststellt?
Herr Kollege Kastning, die Bundesregierung hat in den zurückliegenden Jahren zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses vor der Habilitation eine Reihe von
wirksamen Maßnahmen getroffen. Ich erinnere nur an die Promotionsförderung der Begabtenförderungswerke, an das Postdoktoranden-Programm, an die Neuregelungen für die Personalstruktur im Hochschulrahmengesetz und das Zeitvertragsgesetz.
Die in der Frage dargestellte Situation betrifft den wissenschaftlichen Nachwuchs nach der Habilitation. Daß die Berufsaussichten wesentlich schlechter geworden sind, liegt zum einen daran, daß die Zahl der Habilitationen stark gestiegen ist, nachdem bei Habilitationen Bedarfserwägungen immer mehr in den Hintergrund getreten sind. Vor allem ist hier aber von Bedeutung, daß wegen der gegenwärtigen Altersstruktur bei den Professoren zuwenig freie Professorenstellen zur Verfügung stehen. Hieran kann der Bund nichts ändern. Die Ausweisung von Professorenstellen in den einzelnen Hochschulen fällt in die Zuständigkeit der Länder.
Der Bund beteiligt sich allerdings an der Finanzierung des Heisenberg-Programms. Im Rahmen dieses Programmes, das zunächst bis 1988 fortgeführt werden soll, stehen insgesamt 750 Stipendien für Habilitierte zur Verfügung, von denen rund 530 in Anspruch genommen worden sind.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung auf Realisierung des sogenannten Fiebiger-Plans gedrängt, um für habilitierte Nachwuchskräfte die Berufschancen zu verbessern. Leider hat bisher nur ein Teil der Länder die vorgeschlagenen Stellen geschaffen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kastning.
Ich schließe aus Ihrer Antwort, daß eigentlich auch Sie in tiefer Sorge sind, was diesen Problembereich angeht. Darf ich daraus gleichzeitig schließen, daß Sie zwar auf Leistungen, die wir als Minimalprogramm bezeichnen, hinweisen, aber es für die Zukunft dabei belassen wollen?
Herr Kollege Kastning, die Sorge teile ich natürlich. Aber nicht zuletzt deswegen hat die Bundesregierung in der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung das getan, was übrigens auch Herr Kollege Weisskirchen von der Bundesregierung erwartet hat, wie er eben in einer Zusatzfrage zum Ausdruck gebracht hat.
Wir drängen darauf, daß die Vorschläge des Vizepräsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz - bekannt unter der Überschrift Fiebiger-Plan - nicht nur in einem Teil der Länder, sondern möglichst in allen Ländern realisiert werden, und zwar in einer Form, die nicht so aussieht, daß nur Stellen umgeschichtet bzw. zusätzliche Stellen in anderen Bereichen wieder eingespart werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kastning.
Ist Ihnen vielleicht aufgefallen, Herr Staatssekretär, daß Sie meist auf die Verantwortung anderer verweisen, daß wir hier aber danach fragen, was denn in Zukunft darüber hinaus getan werden müßte? Sind Sie nicht auch der Meinung, daß das auch weiterhin ein zentraler Punkt der Wissenschaftspolitik des Bundes sein muß?
Herr Kollege Kastning, das Ausbringen von Personalstellen an den Hochschulen ist keine Kompetenz des Bundes. Bisher ist völlig unbestritten gewesen, daß wir in diesem Bereich nur über das Heisenberg-Programm helfen können. Eine andere Möglichkeit gibt es bei der bestehenden Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht. Wenn Sie die Bundesregierung auffordern wollen, daß wir Personalstellen bei den Hochschulen schaffen sollen, dann ist das in keiner Weise durch die Kompetenz gedeckt, die der Bund hat.
Zusatzfrage, Herr Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß eine ausreichende Ausstattung der Hochschulen mit Sachmitteln und Personalstellen für die Entwicklung der Wissenschaft und damit auch für die Entwicklung der Bundesrepublik überhaupt überlebensnotwendig ist? Und sieht die Bundesregierung nicht auch eine Möglichkeit darin, durch eine Initiative, wie sie Bundeskanzler Helmut Schmidt 1977 ergriffen hat, bei allen Ministerpräsidenten, in allen Bundesländern auf den Stellenwert der Hochschulen für die deutsche Entwicklung deutlich hinzuweisen und dadurch zu einer entsprechenden gemeinsamen Initiative zu kommen?
Herr Kollege Kuhlwein, ich teile Ihre Ansicht, wie Sie sie im ersten Teil Ihrer Frage formuliert haben. Gerade deshalb hat die Bundesregierung dieses Thema auch in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung in der von mir geschilderten Weise - und nicht ohne Erfolg - auf die Tagesordnung gesetzt. Ein Teil der Länder realisiert ja den Fiebiger-Plan.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogelsang, bitte schön.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß es eigentlich sehr bedauerlich ist, daß wir als Staat auf den Nutzen so vieler wissenschaftlicher Kapazität verzichten müssen, weil wir nur jeden sechsten oder siebten Habilitierten adäquat einsetzen können?
Herr Kollege Vogelsang, diese Meinung teile ich. Die Bundesregierung unterstützt deshalb nachdrücklich die Feststellung einzelner Ministerpräsidenten, daß die Sicherung der Qualität von Forschung und Lehre eine ständige Erneuerung des wissenschaftlichen Personals voraussetzt. Die heutige Erneuerungsquote liegt deutlich unter der wünschenswerten Quote von 4 %. Angesichts dieser Lage halte ich es durchaus für notwendig, daß Bund und Länder gemeinsam überParl. Staatssekretär Pfeifer
legen, wie im Rahmen des qualitativen Ausbaus der Hochschulen durch geeignete Maßnahmen eine ausreichende Erneuerungsquote gesichert werden kann.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hornung.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung nur in der Sicherung von Dauerstellen für Professoren die Möglichkeit, daß die Wissenschaft den entsprechenden Nachwuchs erhält, zumal in der Frage 12 der Wettbewerb nicht als eines der wichtigsten Kriterien gesehen wird?
Herr Kollege Hornung, ich habe in der Antwort auf die Hauptfrage des Kollegen Kastning ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung in großem Umfang für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses vor der Habilitation Initiativen ergriffen hat. Neben den Mitteln für die Deutsche Forschungsgemeinschaft stehen hierfür allein im Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft jährlich rund 100 Millionen DM zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, wenn es schon genügend Probleme gibt, die man, wie Sie richtig sagen, gemeinsam mit den Ländern anpacken kann, warum hat dann eigentlich der Bundeskanzler, Herr Dr. Kohl, nicht eine Initiative ergriffen, um seinen Beitrag dazu zu leisten?
Herr Kollege Weisskirchen, ich habe eben bereits gesagt, daß wir in den dafür zuständigen und auch von den Regierungschefs der Länder eingerichteten politischen Entscheidungsgremien dieses Thema mehrfach - und nicht ohne Erfolg - besprochen haben.
({0})
Das Grundproblem besteht doch darin, daß einzelne Länder den Überlegungen beispielsweise des Fiebiger-Plans bisher nicht gefolgt sind, so daß das nicht ein Problem aller Länder, sondern lediglich ein Problem eines Teiles der Länder ist.
Zusatzfrage von Frau Odendahl.
Herr Staatssekretär, wenn bei den Professoren an den Hochschulen ein Stau entstanden ist und die Bundesregierung dieses sehr wohl erkennt: Ließe sich vielleicht eine Lösung finden - wie dies bei der Bundeswehr schon gehandhabt wird - im Rahmen der Frühpensionierung? Wie weit sind die Überlegungen Ihres Ministeriums in dieser Richtung gediehen?
Frau Kollegin Odendahl, ich bin nicht dafür, das Thema der Frühpensionierung aufzugreifen, sondern ich meine, daß hier die Vorschläge, die Herr Fiebiger gemacht hat, die richtigeren Vorschläge sind.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.*)
Wir kommen nun zur Fortführung der normalen Tagesordnung.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Sammelübersichten 194 und 195 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen zu erweitern. Diese Sammelübersichten sollen nach Punkt 43 der Tagesordnung zur Beratung ohne Aussprache aufgerufen werden.
Weiter ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung einer Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu Entschließungsanträgen der Fraktion der GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4719, 10/4720 und 10/6223 zu erweitern. Diese Vorlage soll heute am Schluß unserer Tagesordnung aufgerufen werden.
Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun den Punkt 39 der Tagesordnung sowie den Zusatzpunkt 11 zur Tagesordnung auf:
39. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sozialbericht 1986
- Drucksachen 10/5810, 10/6704 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Scharrenbroich Lutz
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Fuchs ({1}), Lutz, Buschfort, Delorme, Dreßler, Egert, Fiebig, Gilges, Glombig, Hauck, Heyenn, Jaunich, Kirschner, Frau Dr. Lepsius, Müller ({2}), Peter ({3}), Reimann, Frau Schmidt ({4}), Schreiner, Sielaff, Sieler, Frau Steinhauer, Urbaniak. Weinhofer, von der Wiesche, Witek, Wolfram ({5}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbei-
*) Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen zum Plenarprotokoll 10/256 abgedruckt.
Vizepräsident Westphal
tern und Angestellten ({6})
- Drucksache 10/3983 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({7})
- Drucksache 10/6595 Berichterstatter: Abgeordneter Pöppl
({8})
c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern ({9})
- Drucksache 10/2633 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({10})
- Drucksache 10/6603 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Faltlhauser
({11})
d) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Lutz, Frau Fuchs ({12}), Bachmaier, Frau Blunck, Buschfort, Catenhusen, Delorme, Dr. Diederich ({13}), Dreßler, Egert, Fiebig, Frau Fuchs ({14}), Gilges, Glombig, Frau Dr. Hartenstein, Hauck, Heyenn, Frau Huber, Immer ({15}), Jaunich, Jung ({16}), Kirschner, Dr. Kübler, Kuhlwein, Frau Dr. Lepsius, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller ({17}), Frau Odendahl, Peter ({18}), Reimann, Frau Renger, Frau Schmedt ({19}), Frau Schmidt ({20}), Schreiner, Sielaff, Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Urbaniak, Weinhofer, Frau Weyel, von der Wiesche, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Teilzeitbeschäftigten
- Drucksache 10/2559 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({21})
- Drucksache 10/6591 Berichterstatter:
Abgeordnete Seehofer Dreßler
Cronenberg ({22}) Bueb
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({23}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/6606 Berichterstatter: Abgeordneter Strube
({24})
e) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausweitung der Rechte der Jugendvertretungen und zur Weiterentwicklung in Jugend- und Auszubildendenvertretungen
- Drucksache 10/4520 ({25}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({26})
- Drucksache 10/6594 Berichterstatter: Abgeordneter Dreßler
({27})
f) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Bueb, Frau Wagner und der Fraktion DIE GRÜNEN
Armut und Sozialhilfe in der Bundesrepublik Deutschland ({28})
- Drucksachen 10/4503, 10/4504, 10/6055 -
g) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Zeitler, Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN
Arbeit und Armut in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 10/5524, 10/6634 -
h) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Fuchs ({29}), Amling, Bachmaier, Frau Blunck, Buschfort, Catenhusen, Delorme, Dr. Diederich ({30}), Dreßler, Egert, Fiebig, Frau Fuchs ({31}), Glombig, Gilges, Frau Dr. Hartenstein, Hauck, Heyenn, Frau Huber, Immer ({32}), Jaunich, Kirschner, Dr. Klejdzinski, Kretkowski, Dr. Kübler, Kuhlwein, Frau Dr. Lepsius, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller ({33}), Frau Odendahl, Peter ({34}), Reimann, Frau Renger, Frau Schmedt ({35}), Frau Schmidt ({36}), Schreiner, Sielaff, Sieler, Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Urbaniak, Waltemathe, Weinhofer, Frau Weyel, von der Wiesche, Witek, Wolfram ({37}), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Vizepräsident Westphal
Auswirkungen der schrankenlosen Zulassung von befristeten Arbeitsverträgen und Teilzeitarbeit des Beschäftigungsförderungsgesetzes
- Drucksachen 10/5937, 10/6555 -
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dreßler, Lutz, Frau Fuchs ({38}), Buschfort, Egert, Glombig, Heyenn, Kirschner, Müller ({39}), Menzel, Peter ({40}), Reschke, Reimann, Schreiner, Sieler, Frau Steinhauer, Urbaniak, Vosen, Weinhofer, von der Wiesche, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Mißbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung
- Drucksache 10/6195 - Zusatzpunkt 11:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({41}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation
- Drucksachen 10/1233, 10/6705 Berichterstatter:
Abgeordnete Keller Kirschner
Cronenberg ({42})
Hierzu liegen Änderungsanträge und Entschließungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6713, 10/6719 und 10/6731 vor. Nach einer Vereinbarung des Ältestenrats sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({43}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Sozialbericht 1986 hat die Bundesregierung eine überzeugende Bilanz ihrer Sozial- und Gesellschaftspolitik in der 10. Wahlperiode des Deutschen Bundestages vorgelegt. Auch der Bericht über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation verzeichnet weitere Fortschritte bei der Eingliederung der Behinderten in Arbeit, Beruf und Gesellschaft. Diese Fortschritte und die von der CDU/CSU und FDP gemeinsam beschlossenen Maßnahmen und Gesetzgebungsvorhaben erscheinen in einem besonders hellen Licht, wenn man sich die ökonomische und soziale Ausgangslage vor vier Jahren ins Gedächtnis zurückruft.
({0})
Im Herbst 1982 hatte die sich seit Jahren schwelende Wirtschafts- und Sozialkrise dramatisch zugespitzt. Die Alarmzeichen häuften sich. Das reale Bruttosozialprodukt sank um 1 %. Die Realeinkommen von Arbeitnehmern und Rentnern schrumpften. Die Preissteigerungsrate war mit 5,4 % unerträglich hoch. Die Beschäftigungslage verschlechterte sich in dramatischer Weise. 1982 hatten wir einen Rekordverlust von 435 000 Arbeitsplätzen zu beklagen.
Ein tiefgreifender und von vielen Experten nicht für möglich gehaltener Wandel hat sich in den vier Jahren unserer Regierungsverantwortung vollzogen. Im vierten Jahr eines ununterbrochenen Aufschwungs wächst unsere Wirtschaft mit einer Jahresrate von rund 2,5%. Die Preise liegen um 1% unter dem Vorjahresstand. Mit über 4% verzeichnen wir jetzt den stärksten Anstieg der Nettorealeinkommen der Arbeitnehmer seit 13 Jahren.
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Die Zahl der Beschäftigten liegt um rund 280 000 über dem Vorjahresstand. Einen weiteren Zuwachs von jahresdurchschnittlich 230 000 hat uns kürzlich der Sachverständigenrat für 1987 vorausgesagt.
Auch die Rentner können sich in diesem und im nächsten Jahr eines realen Kaufkraftzuwachses erfreuen. Renten und Sparguthaben sind heute vor dem enteignenden Zugriff der Inflation geschützt. Unser Sozialstaat steht wieder auf gesicherten Fundamenten. Realistischer Optimismus prägt heute das Meinungsklima in unserem Land.
({2})
Meine Damen und Herren, das Leben meiner Generation ist wahrlich geprägt von den Krisen unseres Jahrhunderts, von den Erfahrungen der Inflation, der Massenarbeitslosigkeit, des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkrieges und der Zerstörung Deutschlands. Vor diesem düsteren Hintergrund stelle ich heute mit Genugtuung und ruhiger Zufriedenheit fest: Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland haben wir gemeinsam diesen Staat aufgebaut, mit einem System der sozialen Sicherheit, das im internationalen Vergleich an der Spitze rangiert und das nie zuvor in der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte einen höheren Leistungsstand aufwies.
({3})
An diesem Werk haben Christdemokraten, Sozialdemokraten und Freie Demokraten mit unterschiedlichen Akzenten mitgebaut. Alle großen Sozialgesetze, die unserem Gemeinwesen ihren Stempel aufgedrückt haben, sind von uns verabschiedet worden. Meine Bitte und Mahnung ist, dieses gemeinsame Erbe zu bewahren und es nicht mit herabsetzenden und falschen Schlagworten wie „Zerstörung des Sozialstaates" zu entwerten.
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Die Anpassung einzelner Sozialleistungen unter Beachtung sozialer Kriterien wie Familienstand oder Bedürftigkeit bei Wahrung der sozialen Grundsubstanz ist kein „sozialpolitischer Kahl19920
Müller ({5})
schlag" und schon gar nicht ein „Rückfall in spätkapitalistische Zeiten", wie es die Opposition heute der deutschen Öffentlichkeit glauben machen will.
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Es handelt sich vielmehr um notwendige Umbauten im Interesse der Lebensfähigkeit unseres Sozialstaates.
Wenn unsere Sozialpolitik weiter ihre friedensstiftende, ausgleichende und integrierende Wirkung für breite Schichten unseres Volkes behalten soll, dann müssen sich auch zukünftig wieder alle dieses parlamentarische System tragenden Parteien um ein tragfähiges Fundament sozialpolitischer Gemeinsamkeiten bemühen.
({7})
Wenn jemand dem Deutschen Bundestag 25 Jahre lang angehört hat, wird man ihm sicherlich erlauben, den engen zeitlichen Rahmen der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode zu verlassen und einige grundsätzliche Ausführungen zu machen, die über das Thema Sozialbericht 1986 hinausweisen. Als Parlamentarier und christlich-sozialer Gewerkschaftler habe ich beharrlich darum geworben, möglichst viel christlich-soziales Gedankengut in die praktische Politik meiner Fraktion und auch in die Gewerkschaften einfließen zu lassen. Die gro-Ben arbeits- und sozialrechtlichen Reformwerke, etwa die große Rentenreform, die Montanmitbestimmung, die Verankerung der vorbeugenden Arbeitsmarktpolitik im Arbeitsförderungsgesetz tragen die Handschrift der Christlich-Sozialen.
({8})
Eine meiner ersten Presseerklärungen als frischgebackener Abgeordneter enthielt die Mahnung an meine Fraktion, daß das Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft groß geschrieben werden müsse.
({9}) Diese Mahnung hat gewirkt.
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Ich will sie am Ende meiner politischen Laufbahn an alle die Politik gestaltenden Kräfte wiederholen: In einer sich dynamisch wandelnden Industriegesellschaft kann es keinen reformerischen Stillstand geben. Es bedarf ständiger sozialpolitischer Anstrengungen, um Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten auszugleichen oder doch wesentlich abzumildern. So gesehen gibt es keine Grenze des Sozialstaates. Es gibt nur wechselnde Prioritäten und einen vernünftigen Pragmatismus, der das Soziale immer mit dem ökonomisch und finanziell Machbaren zu verknüpfen weiß.
({11})
Eine Sozialpolitik ohne Augenmaß - das hat uns die jüngere Vergangenheit gelehrt - ist die eigentliche Gefahr für den Sozialstaat. Wer das Leistungsvermögen einer Volkswirtschaft überfordert, der erschüttert die finanziellen Fundamente der sozialen Sicherheit. Die Sozialpolitik muß sich auch immer der Tatsache stellen, daß letztlich die gleichen Arbeitnehmer, die mit sozialen Leistungen bedacht werden, diese mit ihren Sozialabgaben und Steuern finanzieren müssen.
({12})
Eine für den einzelnen Menschen wirklich hilfreiche, ihn nicht entmündigende Sozialpolitik ist eine schwierige Gratwanderung. Eine jenseits des Materiellen liegende Entwicklung macht mir Sorgen. Der erreichte materielle Wohlstand unseres Volkes täuscht darüber hinweg, daß in weiten Bereichen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens Mitmenschlichkeit, persönliche Anteilnahme und individuelle Zuwendung verlorengegangen sind. An die Stelle des persönlichen, den ganzen Menschen fordernden Einsatzes ist weitgehend die genormte Sachleistung eines anonymen Trägers der Daseinsvorsorge getreten. Diese wachsende Versachlichung, Funktionalisierung und Spezialisierung mitmenschlicher Beziehungen in der Massengesellschaft des modernen Industriestaates hat zur sozialen Vereinzelung und zur Vereinsamung vieler Menschen geführt. Sie hat auch in vielen Menschen die bedenkliche Auffassung reifen lassen, nicht mehr persönlich für das Schicksal ihrer Mitmenschen verantwortlich zu sein. Die Solidarität mit dem einzelnen, oft leidenden Menschen ist vielfach abgelöst worden von einer zwar unverzichtbaren, aber zwangsläufig abstrakten Solidarität der kollektiven Sicherungssysteme.
Mehr denn je brauchen wir die Stärkung der kleinen Netze. Sie fordern uns zu Mitmenschlichkeit heraus, damit wir Solidarität und Mitverantwortung für den anderen wieder persönlich erleben können. Von der Stärkung der Familie bis hin zur sozialen Selbstverwaltung spannt sich hier ein breites Handlungsfeld.
Viele Arbeitnehmer sind in den letzten Jahren Opfer des dynamischen Strukturwandels unserer Wirtschaft geworden. Sie haben ihren Arbeitsplatz verloren. Besonders die älteren, gesundheitlich angeschlagenen und längerfristig Arbeitslosen können von uns erwarten, daß wir ihnen unsere aktive Hilfe zuteil werden lassen. Diese Problemgruppen bilden heute den harten Kern der Arbeitslosigkeit. Sie dürfen nicht ins soziale Abseits gestellt werden.
Arbeitslosigkeit ist - ich zitiere den Bundeskanzler - nicht nur ein wirtschaftliches Problem, ihre Beseitigung ist ein Gebot der Menschlichkeit. Den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit kann keine Regierung allein gewinnen. Die schrittweise Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung bleibt eine Gemeinschaftsleistung aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte, und auch die Gewerkschaften und Arbeitgeber haben ihren solidarischen Beitrag zu leisten.
({13})
Politische Versprechungen, die den großen Wurf eines arbeitsmarktpolitischen Durchbruchs in Aussicht stellen, sind trügerisch. Sie müssen an der Realität scheitern. Nur die Fortsetzung der jetzt
Müller ({14})
seit vier Jahren praktizierten Politik der tausend kleinen Schritte kann in einem zähen, mühsamen Grabenkampf die Arbeitslosigkeit besiegen. Dazu gehören Phantasie und Mut ebenso wie langer Atem und Prinzipientreue.
Die Bundesregierung, allen voran Arbeitsminister Blüm, hat keinen Anlaß, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen.
({15})
Niemals zuvor in der Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland ist in der zu Ende gehenden Wahlperiode das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium derart massiv zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingesetzt worden. Nie zuvor hat der Gesetzgeber schneller, effektiver und großzügiger auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes reagiert. Beispielhaft nenne ich die Erfolge der Qualifizierungsoffensive dieses und des letzten Jahres. Nach rund 265 000 Menschen in 1982 treten in diesem Jahr eine halbe Million Menschen in Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung und Umschulung ein. Als einer derer, die das Arbeitsförderungsgesetz von 1969 gestalten durften, bin ich froh über diese Erfolge produktiver Arbeitsmarktpolitik.
({16})
Sozialpolitische Herausforderungen verpflichten zum Zusammenrücken und nicht zum künstlichen Parteienstreit. Ich stelle mit großer Genugtuung fest, daß über wichtige Kernelemente der Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung Einvernehmen unter den demokratischen Parteien dieses Hauses herrscht.
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Dazu gehört vor allem die Wahrung des Grundsatzes der lohnbezogenen dynamischen Rente. Dieses Prinzip sichert die Qualität der Rente als Lohn für Lebensleistung. Es schützt die Rente vor ihrer Denaturierung als staatliche Versorgungsleistung. Die demokratischen Parteien müssen der Versuchung widerstehen, den Versicherungscharakter der Rente anzutasten. Nichts wäre schädlicher für das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit ihrer Renten als eine staatliche Versorgungsleistung, deren Höhe den Schwankungen tagespolitischen Ermessens ausgeliefert ist.
({18})
Wenn es in der nächsten Wahlperiode gelingt, durch eine modifizierte Rentenformel die gleichgewichtige Steigerung der Renten und der verfügbaren Arbeitseinkommen langfristig zu sichern, leistet der Gesetzgeber einen entscheidenden Beitrag zur inneren Stabilität unseres sozialen Gemeinwesens. Die Qualität der Altersrente wird die Nagelprobe dafür sein, ob wir ungeachtet der sich tiefgreifend wandelnden demographischen Rahmenbedingungen imstande sind, ein freiheitliches, gegliedertes und der individuellen Lebensleistungen des einzelnen gerecht werdendes Alterssicherungssystem zu erhalten.
Bei der Beratung einer gemeinsam getragenen Strukturreform werden sie allerdings zu beherzigen haben: Alt und jung leben in der Solidarität der Generationen. Ein umlagefinanziertes dynamisches Rentensystem ist in hohem Maße gefährdet, wenn nicht mehr eine ausreichende Zahl von Kindern heranwächst, die später einmal die Alterslast der bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Generationen tragen.
({19})
Es muß nachdenklich stimmen, daß die Bundesrepublik Deutschland als eine der reichsten Industrienationen immer noch das Land mit der niedrigsten Geburtenrate der Welt ist.
({20})
Unsere Geburtenstatistik erscheint mir als ein Dokument der Kurzsichtigkeit unserer Gesellschaft.
({21})
Lebensangst, die die seelischen und finanziellen Belastungen fürchtet, die die Erziehung von Kindern nun einmal mit sich bringt, verdrängt bei vielen jungen Ehepaaren den vorhandenen Wunsch nach Kindern. Die Kleinstfamilie mit einem Kind droht zur Regelform der ältesten und beständigsten Form menschlichen Zusammenlebens zu werden.
Wenn wir der Gefahr entgehen wollen, eine auch geistig stagnierende und rückwärts gewandte Gesellschaft zu werden, müssen wir wieder stärker als bisher die Werte schützen, die der Familie Ordnung, Menschenwürde, Gesundheit und Glück sichern, wie dies Papst Pius XII einmal zutreffend formuliert hat. Auch das Grundgesetz fordert dies von uns.
Ich rede hier keiner neuen Bevölkerungspolitik das Wort. Wichtig ist, daß bei uns ein Klima geschaffen wird, das der Erziehung von Kindern zu verantwortungsbewußten und tüchtigen Erwachsenen eine größere soziale Anerkennung schenkt als bisher. Die steuerliche Verbesserung des Familienlastenausgleichs, die Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht und das Erziehungsgeld für Väter und Mütter, wie von der Bundesregierung und der Parlamentsmehrheit beschlossen, sind eine notwendige, aber noch nicht ausreichende Bedingung einer zukunftsorientierten Familienpolitik.
({22})
Familienpolitik muß auf einer Ethik gründen, die unsere Verantwortung für die Zukunft einschließt; denn hier entscheidet sich langfristig das Schicksal unseres Gemeinwesens als eines auf Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit und Solidarität aufbauenden freiheitlichen sozialen Rechtsstaats.
({23})
Als christlich-sozialer Politiker und Sohn der Kolpings-Familie möchte ich mich mit einem Zitat
Müller ({24})
Adolf Kolpings aus dem Jahre 1851 von Ihnen verabschieden. Es hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Es ist mein persönlicher Wunsch an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages:
Zerbrecht euch die Köpfe über die beste Staatsmaschinerie, wie ihr wollt. Erfindet Gesetze, welche in ihrer klugen Berechnung das ganze Altertum beschämen. Solange nicht das Familienleben der übrigen Gesellschaft Würde und Halt gibt, den Geist erweckt, in dem eure Gesetze erst Leben empfangen, werdet ihr Wasser in ein Sieb treiben.
({25})
Herr Abgeordneter Müller, nach Ihrer letzten Rede verabschieden wir Sie nach einem langen erfolgreichen Mitarbeiten hier in diesem Parlament und danken Ihnen für Ihre Mitarbeit. Wir geben Ihnen alle unsere guten Wünsche mit auf Ihren weiteren Lebensweg.
({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier sprach ein honoriger Mann, der die Politik seiner Fraktion in den Höhen, aber auch in den Tiefen tapfer mit vertreten hat. Das mindert unseren Respekt vor dem Kollegen Adolf Müller nicht. In seinen langen Parlamentsjahren war er ein fairer Partner und ein achtenswerter politischer Gegner.
({0})
Lieber Adolf, wir sehen Dich nur ungern scheiden. Unsere guten Wünsche begleiten Dich in Deinem neuen Lebensabschnitt.
({1})
Meine Damen und Herren, zur Debatte steht der Sozialbericht 1986 und damit das Meisterstück einer mit Zahlen gespickten Desinformationspolitik.
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Darauf setzen Sie nun eine Jubelentschließung, die in ihrer peinlichen Selbstbeweihräucherung ahnen läßt, daß mit ihrer Hilfe eine ganze Menge Unrat unter den Teppich gekehrt werden soll. Es kann Ihnen nämlich nicht daran liegen, einzugestehen, daß die Bürger die mit ihrer Stimme 1983 die Wende möglich machten, heute tüchtig dafür blechen müssen.
Für den Rentner schaut das in Zahlen so aus: Den Durchschnittsverdiener mit 40 Versicherungsjahren kostet Ihre Politik Monat für Monat 133,68 DM. Um so viel höher wäre heute seine Rente, wenn das 1982 gültige Rentenrecht auch heute noch bestehen würde. Um stattliche 1 307,76 DM im Jahr haben Sie diesen Rentner gebracht. Ich fürchte, das rührt Sie noch nicht einmal.
({3})
So etwas steht nicht in Ihrem Sozialbericht.
Es steht auch nicht die junge Mutter drin, die an Mutterschaftsurlaub bzw. Erziehungsgeld trotz Korrektur glatte 600 DM deshalb einbüßt, weil man Sie ans Ruder gelassen hat.
Daß der Kündigungsschutz für die werdende Mutter dank Ihrer empörenden Ausweitung des befristeten Arbeitsvertrages zur Makulatur verkommen ist, finde ich nirgendwo im Bericht.
Keine Zeile verschwenden Sie an den Arbeitslosen, der, ausgehend von einem früheren Nettoeinkommen von 1 500 DM, heute nur noch eine Arbeitslosenunterstützung von 945 DM im Monat bekommt, 75 DM weniger als noch 1982. Die Wende hat diesen Arbeitslosen glatte 900 DM im Jahr gekostet.
({4})
Ich höre schon den Einwand, Sie hätten dafür die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängert. Herr Kollege Cronenberg, es wäre ja noch schöner gewesen, wenn Sie das nicht getan hätten. Seit Sie am Ruder sind, verlängert sich nämlich die Dauer der Arbeitslosigkeit mit jedem Jahr um einen Monat. Ober eine Million Arbeitnehmer sind schon länger als ein Jahr arbeitslos. Jährlich werden es 80 000 mehr. Über 320 000 Betroffene haben schon seit über zwei Jahren keine Arbeit. Finde ich dazu eine würdigende Zeile in Ihrem Bericht - nein! - oder ein Wort der Betroffenheit darüber, daß nur noch ein Drittel der registrierten Arbeitslosen Arbeitslosengeld, nur noch 63 % überhaupt eine finanzielle Zuwendung erhalten? Nichts davon kann ich, kritisch gewürdigt, lesen.
({5})
Sie verstecken all das im Grunde hinter dem Paravent Ihrer Lobhudeleien. Die legen Sie dann dem Parlament in Form einer Entschließung vor.
({6})
Wo entdecke ich die kritische Würdigung der Tatsache, daß Ihre Politik den Bezieher von Krankengeld - beispielsweise in Höhe von 1 500 DM - monatlich 173 DM kostet, weil Sie es für richtig gehalten haben, von diesem Krankengeld Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge einzuziehen? Ein Sonderopfer von 2 076 DM im Jahr von diesem Personenkreis: Weiß Gott, die falsche politische Entscheidung zu Ihren Gunsten ist vielen Menschen in unserem Lande teuer zu stehen gekommen.
({7})
Sie ist den Schülern teuer zu stehen gekommen, denen Sie das Schüler-BAföG raubten, den Studenten, denen Sie das Abenteuer hoher Verschuldung zumuteten, um die geringer Begüterten vom Hochschulstudium nach dem Motto aussperren zu können: Auf die Hochschule gehört nur der Hochbegabte und mein Kind, weil ich es mir leisten kann.
Teuer für die Schwerbehinderten wurde die falsche Wahlentscheidung gleich dreifach: erstens dadurch, daß Sie ihnen einen Tag Zusatzurlaub klauLutz
ten, zweitens durch die Aushöhlung des besonderen Kündigungsschutzes durch den Zeitvertrag, drittens dadurch, daß Sie die Freifahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Kauf einer Wertmarke von 120 DM abhängig machten. Wahrlich, die teuerste Freifahrt seit Cäsar! Aber den Römern hätte man damit nicht kommen dürfen.
({8})
Die Arbeitnehmer, die Sie 1983 ans Ruder ließen, haben damals sicher nicht damit gerechnet, daß das solche finanziellen Konsequenzen haben würde. Ihre Politik hat dazu geführt, daß die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen seit der Wende um 164 Milliarden DM angestiegen sind.
({9})
Nach Steuerabzug sind das immerhin 154 Milliarden DM. Die Arbeitnehmereinkommen stiegen in der gleichen Zeit nominell um 139 Milliarden DM. Netto verblieben den Arbeitnehmern aber nur 53 Milliarden DM.
({10})
Das ist Umverteilungspolitik par excellence, Frau Fuchs.
({11})
Sie machen sich noch nicht einmal die Mühe, sich deswegen zu rechtfertigen.
({12})
Noch ein Beispiel, weil es gerade aktuell ist: Sie haben sich am Weihnachts- und Urlaubsgeld vergriffen und dieses voll der Sozialversicherungspflicht unterworfen. Wie sieht das aus? Der Arbeitnehmer mit einer Gratifikation von 2 000 DM muß im Vergleich zu 1982 41,10 DM mehr abführen, derjenige mit einer Gratifikation von 2 500 DM hat 181,60 DM mehr Abzüge, und der mit 3 000 DM Gratifikation zahlt 454,75 DM drauf. Erst bei den Besserverdienenden mit einer Sonderzuweisung von 5 500 DM und mehr setzt Ihre Fürsorge wieder ein.
({13})
Dieser Personenkreis hat keinen Mehrabzug zu beklagen. Finde ich dafür eine Begründung in Ihrem Sozialbericht? Natürlich nicht.
({14})
Es gibt auch keine Rechtfertigung, oder haben Sie eine, Herr Jagoda?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, wenn das nicht auf meine Zeit angerechnet wird, Herr Präsident.
Ja, ich werde aufpassen. - Bitte schön, Herr Jagoda.
Herr Kollege Lutz, können Sie der Öffentlichkeit bestätigen, daß zu Ihrer Regierungszeit derjenige, der 5 000 DM im Monat verdient hat, für das 13. Monatsgehalt überhaupt keinen Pfennig Versicherungsbeiträge und Arbeitslosenversicherungsbeiträge gezahlt hat? Warum machen Sie uns das zum Vorwurf?
Sie haben durch die Zwölftelung der Gratifikation den Übelstand eingeführt, den ich jetzt zu beklagen habe.
({0})
Sie hätten ja die Verantwortung gehabt, diesen Personenkreis mit einzubeziehen. Man könnte zynisch sagen, Herr Jagoda, es sei schon immer etwas teurer gewesen, einen schlechten politischen Geschmack zu haben. Nun sehen wir es j a.
({1})
Diese und die vielen anderen empörenden Einschnitte, die Sie zu verantworten haben, würden sich ja möglicherweise noch rechtfertigen lassen, wenn sie a) sozial gerecht vorgenommen worden wären, wenn Sie b) frei werdende Mittel dazu eingesetzt hätten, mehr Beschäftigung zu erreichen, oder wenn dies c) zu einer Konsolidierung des sozialen Sicherungssystems geführt hätte. Auf allen drei Feldern haben Sie versagt. Ihre Einschnitte waren empörend unsozial, Sie hatten keine Perspektive, und die Konsolidierung des Gesamtsystems steht aus.
Warum ist das so? Sie haben die frei werdenden Mittel dafür verwandt, Ihre Umverteilungspolitik von unten nach oben zu finanzieren. Sie haben die Schwergewichte wieder in Richtung auf mehr Rüstung verschoben, und das muß irgendwo von irgendwem wieder bezahlt werden. Drittens ist Ihre Politik der passiven Hinnahme von Massenarbeitslosigkeit ein sträflicher, ein haarsträubend teurer finanzieller Luxus. 55 Milliarden DM kostet sie uns in diesem Jahr; das sind 55 000 Millionen oder über 150 Millionen DM an jedem Tag, an dem man Sie regieren läßt, oder 1 900 DM in jeder Sekunde, in der Sie am Ruder sind. Diese Last tragen wir alle. Sie gefährdet unseren Sozialstaat, sie lähmt die politische Gestaltungsmöglichkeit, sie führt zu immer neuen Kürzungsaktionen. Wenn Sie nicht so hirnverbrannt ideologisch vernagelt wären, dann würden Sie den Verlustbringer Nr. 1, die Massenarbeitslosigkeit, bekämpfen.
({2})
Aber genau das tun Sie nicht. Sie lehnen sich däumchendrehend zurück
({3})
und vertrauen auf die sogenannten Selbstheilungskräfte des Marktes. Als sie 1983 nicht griffen, haben Sie gesagt, 1984 ist es soweit, als es 1984 nicht klappte, haben Sie gesagt, 1985 ist es soweit. Jetzt,
1986, vertrösten Sie auf das Ende dieses Jahrzehnts. Wann endlich, frage ich, leisten Sie Ihren Offenbarungseid?
Ihre Beschäftigungspolitik ist gescheitert,
({4})
Ihre Gesundheitspolitik verdient diesen Namen nicht, Ihre Rentenpolitik hat keine Perspektive, Ihre Familienpolitik endet in einem Desaster.
({5})
Es wird Zeit, Sie, meine Herren, in den Vorruhestand zu entlassen. Da Sie nämlich zur Umkehr nicht fähig sind, werden andere, werden wir die Wende der Wende zu vollziehen haben.
Wir werden die öffentlichen Investitionen verstärken und die Finanzkraft der Gemeinden verbessern,
({6})
unser Sonderprogramm „Arbeit und Umwelt" wird für die dringend notwendigen Investitionskosten auf dem Umweltsektor sorgen, und auf diesem Feld werden wir 400 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.
({7})
Wir werden die Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit durch den gezielten Ausbau von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, von Umschulung und Qualifizierung abbauen. Wir werden die Finanzkraft der kleinen und mittleren Unternehmen verbessern, weil hier die am ehesten zu aktivierenden Beschäftigungsreserven stecken. Wir werden die Spitzenverdiener mit Einkommen von 120 000 DM und mehr zur Finanzierung der Beschäftigungspolitik heranziehen.
({8})
- Herr Jagoda, zum Ende der Legislaturperiode könnten Sie sich eigentlich auch noch auf dem üblichen Niveau ausdrücken, aber Sie schaffen es schon wieder.
({9})
- Ich habe sein Einkommen nicht, natürlich nicht, aber ich frage mich, was das mit dem Sozialbericht zu tun hat.
({10})
Er enthält nämlich kein Kapitel über Herrn Lappas.
Die ungerechtfertigten Leistungskürzungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe werden wir zurücknehmen. Wir werden die Anspruchsvoraussetzungen sowie die Bedingungen für den Bezug von Leistungen verbessern. Wir werden das Schüler-BAföG wiederherstellen und für das Studenten-BAföG ein tragbares Mischsystem von Darlehen und Zuschuß einführen.
Für berufstätige Mütter wird das Mutterschaftsurlaubsgeld von uns auf die alte Höhe zurückgeführt.
({11})
Das allgemeine Erziehungsgeld werden wir durch einen Elternurlaub für abhängig beschäftigte Eltern ergänzen.
({12})
Der Kündigungsschutz für werdende Mütter wird ebenso wiederhergestellt wie wir durch eine Reform des Familienlastenausgleichs dafür sorgen werden, daß dem Staat ein jedes Kind unabhängig vom Einkommen seiner Eltern gleich viel wert ist: 100 DM für das erste, 200 DM für das zweite, 300 DM für das dritte und alle weiteren Kinder.
({13})
Wir werden die Rentenversicherung auf ein solides finanzielles Fundament stellen und das Babyjahr für alle Mütter einführen, weil wir nicht durch irgendwelche Stufenpläne den Tod von 1 Million Mütter
({14})
vor dem Bezug von Leistungen zynisch einkalkulieren, wie Sie das offensichtlich tun.
Die finanziellen Belastungen, die der Rentenversicherung erwachsen, werden wir gerecht auf Beitragszahler, Staat und Rentner verteilen. Wir werden dafür sorgen, daß sich die Einkommen der Aktiven und der Rentner gleichgewichtig entwickeln und über einen Wertschöpfungsbeitrag erreichen, daß auch in einer automatisierten Wirtschaft das soziale Sicherungssystem finanzierbar bleibt.
({15})
- Herr Lohmann, ich würde Ihnen sehr raten, sich daran zu erinnern, daß Ihr Arbeitsminister der Meinung ist, die Rentenreform sollte eine gemeinsame Anstrengung dieses Hauses sein. Die Rentenreform verträgt dümmliche Zwischenrufe nicht.
({16})
Wir wollen im Gesundheitswesen über den Ausbau der Selbstbeteiligung oder der Stärkung der Selbstverantwortung der Versicherten, wie Sie das nennen, keine unsinnigen Patientenbestrafungsaktionen zulassen.
({17})
Wir werden nicht die drei Karenztage in der Lohnfortzahlung für Arbeiter und Angestellte einführen, wie Sie das vorhaben,
({18})
sondern wir werden die Kostenexplosion durch die Beschränkung der Marktmacht der Anbieter an der Quelle beschränken.
({19})
Und wir werden die Wähler darüber aufklären, was es heißt, wenn Bundeskanzler Kohl als Ziel seiner Politik die Senkung der Lohnnebenkosten ausgibt. Wo soll denn gesenkt werden? Senkung der Lohnnebenkosten heißt Abbau der Sozialleistungen. Sie wollen diesen Sozialstaat weiter demontieren.
Wir werden deutlich machen, daß dieses dumme, absurde und törichte Kanzlerwort sehr ernst gemeint war und sich in Ihrer Politik niederschlagen würde, wenn man Sie ließe.
Wir, meine Damen und Herren, werden für eine Politik der Perspektive, des Ausgleichs und der Gerechtigkeit stehen - alles Elemente, die in Ihrer Regierungszeit abhanden gekommen sind. Wir werden dem arbeitenden Menschen die Würde zurückgeben, die Sie ihm genommen haben.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Sozialbericht 1986 beschreibt die Maßnahmen und Vorhaben der Gesellschafts- und Sozialpolitik.
({0})
Hieraus lassen sich auch die Probleme unserer Gesellschaft ablesen. Wenn Sie so wollen, sensibilisiert uns dieser Bericht; er soll uns zum Nachdenken bringen, denn wer könnte schon behaupten, wir lebten in einer problemlosen Welt, in einer problemlosen Gesellschaft?
Aber mit Fug und Recht kann man behaupten, daß sich das Umfeld für diese Gesellschaft verbessert hat. Auch dies beweist der Sozialbericht.
Mein lieber Egon Lutz, wir haben es nicht, wie immer behauptet wird, mit wachsender Armut zu tun.
({1})
- Mein lieber Egon Lutz, es muß eine völlig andere Welt sein, in der Sie leben, die Sie uns hier soeben geschildert haben.
Dankenswerterweise hat Ihr Fraktionskollege, der SPD-Abgeordnete Schöfberger, am Wochenende - und ich meine - mit Recht die SPD gewarnt. Er hat ihr den Ratschlag gegeben, sich nicht sozusagen argumentativ in einer selbstgestrickten Scheinwelt zu bewegen.
({2})
Das hat der Kollege Lutz hier mustergültig vorgeführt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich lasse das zu unter der Voraussetzung, daß -
Das ist klar. Sie haben das Wort, Herr Lutz.
Herr Kollege Cronenberg, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß alle Zahlen, die ich genannt habe, auf amtlichen Zahlen basieren?
({0})
Mein lieber Kollege Lutz, die dort genannten Zahlen
({0})
sind im Einzelfalle - ich kann das so schnell nicht nachrechnen - möglicherweise richtig.
Im übrigen will ich das an dem Beispiel der Rentenversicherung verdeutlichen. Da sind, wenn ich es richtig im Kopf habe, 133 DM weniger Rente genannt worden. Das unterstellt doch, die Renten hätten um 133 DM mehr erhöht werden müssen. Das widerspricht sogar dem SPD-Parteiprogramm. Denn in diesem steht richtigerweise zu lesen, daß die Renten nicht netto stärker steigen können als das Arbeitnehmereinkommen. Das wäre nämlich der Fall gewesen, wenn die Renten um 133 DM mehr erhöht worden wären. Außerdem, mein lieber Egon Lutz, möchte ich daran erinnern: Wir befinden uns hier im Wasserwerk, wenn auch in einem leeren Wasserwerk. Der Egon Lutz gehört nach nebenan ins Pumpenhaus; da kann er dann seine Politik weiterbetreiben; dort wird gepumpt.
({1})
Ich möchte wirklich den Sozialdemokraten allen Ernstes raten, die Ratschläge des Abgeordneten Schöfberger zu beherzigen.
Daß wir mehr Beschäftigung haben, daß wir Preisstabilität haben, daß wir Wirtschaftswachstum haben und daß wir Haushaltskonsolidierung haben,
({2})
das ist ja nicht vom Himmel gefallen, das ist das Ergebnis von Bürgerfleiß und von einer richtigen und guten Politik. Das haben wir ohne zusätzliche Steuern und ohne zusätzliche Abgaben erreicht, wie dies die Oppositionsparteien immer wieder vorschlagen. Wir haben sogar Schulden zurückgezahlt, Zinsen bezahlt und weniger neue Schulden aufgenommen.
({3})
- Alles dies, Frau Präsidentin, lasse ich gerne zu unter der Bedingung, daß mir Frage und Antwort nicht angerechnet werden.
Bitte schön, eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Cronenberg, sind Sie bereit, dem Deutschen Bundestag zu bestätigen, daß die mittelfristige Finanzplanung des Bundesfinanzministers definitiv ausweist, daß wir zur Zeit und in den nächsten Jahren die höchsten Lohnsteu19926
erquoten für Arbeitnehmer registrieren, die jemals in der Bundesrepublik Deutschland gezahlt worden sind?
({0})
Es ist richtig, daß wir unerträglich hohe Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuersätze haben. Deswegen treten wir konsequent für eine ordentliche Steuersenkung auch beim Eingangssteuersatz ein. Der Vorschlag von Egon Lutz, wir sollten den mittleren Betrieben mehr Eigenkapital beschaffen,
({0}) ist richtig.
Das werden wir sogar realisieren, indem wir die Steuerbelastung senken, wie sich das gehört. Vernünftiger Politik müßten Sie eigentlich zustimmen; da müßten Sie eigentlich klatschen.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?
Gut, aber dann machen wir Schluß.
Also, Herr Dreßler, noch eine Zusatzfrage.
Herr Kollege Cronenberg, sind wir beide uns jetzt darüber einig, daß Sie meine Anfrage an Sie gerade ausdrücklich bejaht haben?
({0})
Ich habe das ja nicht bestritten.
({0})
Ich sage ja: Die Lohnsteuern sind zu hoch; das ist völlig richtig. Ich sage auch: die Lohnnebenkosten sind zu hoch.
({1})
Ich will Ihnen einmal folgendes sagen: Wenn die Arbeit zu teuer wird - das wissen Sie -, dann werden die Arbeitsmöglichkeiten geringer, dann sind die Chancen für Arbeit geringer, dann sind die Einnahmen in der Sozialversicherung weitaus geringer. Genau dies wollen wir nicht.
Ich möchte die Aufmerksamkeit des Kollegen Dreßler auf folgendes lenken:
Geht man davon aus, daß höhere Arbeitskosten tendenziell die Nachfrage nach Arbeitskräften seitens der Unternehmen schwächen,
({2})
so ergeben sich hieraus insgesamt für Beschäftigung und wirtschaftliches Wachstum negative Folgen. Richtig sind deshalb Maßnahmen zur Senkung der Sozialversicherungskosten und der Steuern.
Meine Damen und Herren, das war nicht, wie man vermuten könnte, ein Zitat aus dem FDPWahlprogramm - da gehörte es natürlich hinein -, sondern ein Zitat des sozialistischen Präsidenten der EG-Kommission, Delors. Das sollten Sie sich merken, lieber Herr Kollege Dreßler! Wenn Sie eine solche Politik machten, müßten wir um unsere Mehrheit fürchten, aber solange Sie den Unsinn, den der Kollege Lutz hier eben verkündet hat, zum Inhalt Ihrer Politik machen, können wir der Sache in aller Ruhe entgegensehen.
({3})
Meine Damen und Herren, ein wenig Erfolg haben wir ja auch gehabt. Wir senken die Rentenversicherungsbeiträge um ein halbes Prozent, obwohl die Renten um 3 % - netto, frei verfügbar - steigen.
(Glombig [SPD]: Und ihr erhöht den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung erneut
um 0,3%9
Dabei wird sogar die Liquiditätsreserve größer. Meine Damen und Herren, das sind Erfolge! Herr Bundesarbeitsminister, ich wünschte mir, wir wären in der Arbeitslosenversicherung genauso erfolgreich gewesen, denn dann hätten wir auch dort Beitragssenkungen geplant. Aber wie dem auch sei, ob wir nun die Beiträge in der Arbeitslosenversicherung senken oder die Bezugszeit des Arbeitslosengeldes verlängern
({4})
oder beides tun, in jedem Falle ist es besser, wir streiten uns über die Verteilung von Überschüssen, als daß wir uns darüber streiten müssen, wie wir Defizite finanzieren.
({5})
Nun kommen Sie natürlich mit der Krankenversicherung. Das ist mir völlig klar. Dieses Thema macht auch mir großen Kummer, keine Frage. Die Frage ist aber, wie wir die Probleme lösen, ob mit mehr Dirigismus und mit mehr Bürokratie, so daß wir schwedische oder englische Verhältnisse bekommen, oder ob wir unser freiheitliches Gesundheitssystem mit Therapiefreiheit und mit freier Arztwahl erhalten können.
({6})
In der Tat,
({7})
ich persönlich bin der Meinung, daß die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle überprüft werden muß. Das habe ich in der alten Koalition gesagt, und das sage ich in dieser ebenso. Ich hoffe, daß ich bei den jetzigen Kollegen mehr Erfolg als bei den alten Kollegen habe.
({8})
Mehr kann ich dazu nicht sagen.
({9})
Cronenberg ({10})
Aber wir brauchen - ({11})
- Frau Präsidentin, würden Sie den Versuch unternehmen, mir ein wenig Ruhe zu verschaffen?
Meine Damen und Herren, wir müssen den Mut haben, in der gesetzlichen Krankenversicherung dafür Sorge zu tragen, daß die Menschen auch durch materielle Anreize zu vernünftigen Verhaltensweisen wenn nicht verführt, so doch mindestens veranlaßt werden. Damit kein Irrtum entsteht: Die Maßnahmen müssen sozial vertretbar und sozial tragbar sein. Deswegen haben wir immer deutlich gemacht, daß für uns zusätzliche Beiträge nicht die Lösung des Problems sind.
({12})
Wir wollen nicht ein zusätzliches Inkasso, sondern Selbstbeteiligung, und zwar nicht nur beim Versicherten, sondern auch das materielle Interesse bei den Leistungserbringern wecken. Das halten wir für ein wirksames Instrument, um die Betragssteigerungen, die zu befürchten sind, einigermaßen in Grenzen zu halten.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Sozialbericht 1986 ist, genau genommen und bei fairer und ehrlicher Betrachtung, ein Erfolgsbericht. Dies sollten Sie zugeben.
({13})
Ich gebe zu, daß das eine oder andere verbessert werden kann. Darüber kann und muß man in der nächsten Legislaturperiode reden.
({14})
Das ist sinnvoller und vernünftiger, als, wie der Kollege Lutz es eben getan hat, den Menschen hier und draußen einzureden, sie lebten in einem Tal des Jammers, die Armut werde von Tag zu Tag größer,
({15})
die Renten seien unsicher, der Wirtschaft gehe es ganz schlecht, und entsetzlich düstere Zeiten stünden uns bevor. So ein Bild ist hier gemalt worden!
Nein, meine Damen und Herren, wir alle, auch Sie, leben in einem ordentlich regierten Land
({16})
in dem die allermeisten Menschen fleißig und erfolgreich ihr Brot verdienen. Wir werden dafür sorgen, daß das so bleibt. Je erfolgreicher wir das tun, desto eher können wir die unbestritten vorhandenen sozialen Probleme lösen. Dafür brauchen wir ordentlich arbeitende Menschen, die ordentlich Beiträge abführen
({17})
und nicht zuviel Steuern zahlen, also keine Überbelastung bei den Abgaben, und dazu brauchen wir
nicht mehr und nicht weniger als ein paar ordentliche Reformen,
({18})
wie wir sie in unserem Programm entwickelt haben.
Trotz der vielen Zwischenrufe bedanke ich mich für Ihre Geduld. Herzlichen Dank!
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren von der nun ausscheidenden Regierung,
({0})
ausnahmsweise möchte ich mit einem Kompliment an Sie anfangen.
({1})
Sie haben den Zeitpunkt für die Debatte des von Ihnen „Sozialbericht" genannten Dokuments goldrichtig gewählt. In der letzten Sitzungswoche zwischen Nikolaus und Weihnachten präsentieren Sie ihn als Geschenk an das Wahlvolk, jedoch ohne ihn mit dem zugehörigen Etikett „Vorsicht Mogelpakkung" zu versehen; denn dann wären wir vor der plump-dreisten Unterstellung gewarnt: Geht es der Wirtschaft gut, geht es allen gut.
({2})
Wirtschaftlichen Aufschwung setzen Sie mit mehr Wohlfahrt gleich, ein absoluter Schwachsinn. So führen z. B. die erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung der Rheinverseuchung nach der üblichen Rechenweise zu einer Steigerung des Bruttosozialprodukts, obwohl die Unfälle der chemischen Industrie tatsächlich eine Minderung der Wohlfahrt darstellen und eigentlich vom Bruttosozialprodukt abgezogen werden müßten.
Der Sozialbericht 1986 enthält keinerlei Angaben darüber, daß die ökologischen und sozialen Folgekosten der Industrie- und Wachstumsgesellschaft heute mit 300 bis 400 Milliarden DM beziffert werden müssen. Für diese Regierung ist das natürlich kein Anlaß zur Beunruhigung. Zur Finanzierung der Folgeschäden werden vor allem die sozial Schwächeren herangezogen. So stiegen die Lohnsteuereinnahmen des Staates zwischen 1970 und 1984 um sage und schreibe 290 %. So müssen rund 50 % der Arbeitnehmer infolge von Umweltverseuchung und Arbeitsstreß vorzeitig in Rente gehen. So steigt infolge des schlechten Gesundheitszustands der Bevölkerung permanent der Krankenversicherungsbeitrag. Sofern überhaupt ein Wachstum auch von Sozialausgaben festgestellt werden kann, geht es auf das Konto von Arbeitslosigkeit.
Während das Wirtschaftswachstum beschworen wird, wird gleichzeitig der Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt - die Sozialleistungs19928
quote - drastisch heruntergefahren. Betrug sie 1982 noch 32,8 %, Herr Lohmann, so liegt sie heute bei nur noch 31 % und soll bis 1990 auf 29 % heruntergefahren werden. Im Klartext heißt das: es werden zwischen 1982 und 1990 allein durch die Kürzung der Sozialleistungsquote 350 Milliarden DM dem Sozialbereich entzogen.
Auch die von Ihnen vorgenommene Gleichung, derzufolge durch die wiederangekurbelte Wirtschaft die Massenerwerbslosigkeit abgebaut werden kann, geht nicht auf. Sie geht vor allem dann nicht auf, wenn man betrachtet, welche Beschäftigung hier zusätzlich geschaffen worden ist. Es handelt sich dabei in erheblichem Maße um sogenannte geringfügige Beschäftigung, also um sozialrechtlich wenig oder nicht abgesicherte Teilzeitarbeit, um Beschäftigungen, die kein existenzsicherndes Einkommen gewährleisten.
Als spezielle Errungenschaft Ihrer Sozial-, Arbeits- und Wirtschaftspolitik preisen Sie natürlich auch die wiedergewonnene Preisstabilität an. Davon würden alle profitieren, so Originalton Blüm, Rentner, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosengeldbezieher und Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.
({3})
Nur, Herr Arbeitsminister Blüm, wer kein existenzsicherndes Einkommen zur Verfügung hat, dem hilft auch die Preisstabilität nicht weiter. Daß sich in der Bundesrepublik während Ihrer Regierungszeit die Zahl derjenigen vermehrt hat, die als arm zu bezeichnen sind, dieses Faktum können Sie nicht allein dadurch aus der Welt schaffen, daß das Problem „Armut" in diesem Sozialbericht überhaupt nicht genannt wird.
({4})
Wenn Sie sich gleichzeitig damit brüsten, daß die Bundesrepublik Deutschland einer der leistungsfähigsten „Sozialstaaten" sei, dann muß ich gestehen, ich kann Ihrer Logik nicht folgen oder, was wohl wahrscheinlicher ist, wir haben recht unterschiedliche Auffassungen vom Sozialstaat.
Die von Ihnen vorgenommenen Kürzungen in der Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung, die Verschlechterung bei den Sozialleistungen für Behinderte und Erwerbsunfähige, die Ausweitung der Unterhaltsverpflichtung für nichteheliche Gemeinschaften sowie die Verschärfung der sozialen Kontrollmechanismen bezeichnen Sie als Konsolidierung der sozialen Sicherungssysteme. Finanzpolitisch mag das ja noch angehen, und sie werden ihre Wirksamkeit nicht verfehlt haben. Aber sozialpolitisch haben Sie hier den übelsten Raubbau an den sozial Schwachen begangen.
Nun haben DIE GRÜNEN mit einer Reihe von Großen Anfragen zu „Armut und Sozialhilfe", „Armut und Arbeit" und „Arbeitslosigkeit und Lage der Erwerbslosen" den Verantwortlichen für die Sozial-und Wirtschaftspolitik dieser Regierung die Gelegenheit geboten, die Dinge auch einmal aus einer anderen Perspektive beleuchten zu müssen.
({5})
Danach ist Armut für die Bundesregierung nach wie vor ein individuelles Problem, entweder durch individuelle Problemlagen bedingt oder gar individuell selbst verschuldet. Der Begriff der „Ausgrenzung" ist ihr fremd. Daß es eine Politik der Ausgrenzung aus dem sozialen Sicherungssystem gegeben hat, weist sie als ungerechtfertigte Unterstellung zurück.
Nach wie vor wird in den Antworten der Bundesregierung die Auffassung vertreten, daß das derzeitige Niveau der Sozialhilfe ausreichend ist, daß an der Lohnabstandsklausel festzuhalten sei, auch wenn die Bezugsgröße der unteren Lohngruppen nicht konkretisiert werden kann, daß auch in Zeiten hoher Massenerwerbslosigkeit an dem Arbeitsanreizargument festgehalten werden müsse,
({6})
daß die Androhung der Leistungskürzung oder Streichung nach § 25 BSHG bei Verweigerung von „zumutbarer Arbeit" im Rahmen der sogenannten zusätzlichen und gemeinnützigen Arbeit rechtmäßig sei, daß die Zumutbarkeit im Rahmen der Sozialhilfe anders zu definieren sei als im Arbeitsförderungsgesetz, daß, wer von Steuergeldern leben wolle, eben bestimmte Ansprüche an den Sozialstaat nicht mehr einklagen könne, daß es keinen Grund gebe, den Kreis der unterhaltspflichtigen Verwandten einzuengen, auch wenn darin die Hauptursache der sogenannten verschämten Armut, d. h. der Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfe, zu sehen sei.
Das altbekannte Mißbrauchsargument wird aufgewärmt, ebenso die keineswegs neue Maxime: Wer nicht arbeitet - unterstellt wird dabei: nicht arbeiten will -, soll auch nicht essen! Aber: Auch wer arbeitet, hat nicht in jedem Fall Anspruch auf ein existenzsicherndes eigenes Einkommen, zumal wenn die betreffende Person eine Frau ist.
In ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage „Arbeit und Armut in der Bundesrepublik" bestreitet die Bundesregierung nicht, daß Frauen nach wie vor, auch wenn sie erwerbstätig sind, die Hauptlast der unbezahlten Hausarbeit tragen, daß Frauen den größten Teil der ehrenamtlichen Arbeit zum Nulltarif leisten, daß Frauen im Erwerbsarbeitssektor nach wie vor schlechtere Aufstiegschancen haben, daß Frauen so gut wie gar nicht in leitenden Positionen vertreten sind, daß sie ausschließlich in den unteren Lohngruppen überrepräsentiert sind, daß sie niedrigere Sozialleistungen beziehen, daß sie letztlich alleine die negativen Konsequenzen der angeblich auch von der Regierung angestrebten Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tragen haben.
Es verwundert auch nicht, daß diese Bundesregierung die derzeit mit dem Modebegriff der Flexibilisierung angelaufene tiefgreifende UmstruktuBueb
rierung des Arbeitsmarktes positiv interpretiert. Teilzeit-Erwerbsarbeit in allen möglichen Varianten wird als den Wünschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäße Flexibilisierung hingestellt. Die damit einhergehende Arbeitsintensivierung, Entrechtung und nichtexistenzsichernde Entlohnung wird Schlichtweg als für die Betreffenden von vornherein einschätzbar und kalkulierbar hingenommen.
Die in der Anfrage von uns benutzte Bezeichnung „ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse", die sich auf die mangelnde sozial- und arbeitsrechtliche Absicherung und die geringfügige Entlohnung in diesen Beschäftigungsformen bezieht, wird als sachlich und rechtlich nicht gerechtfertigt zurückgewiesen. Die soziale und existenzielle Absicherung über die Familie, sprich hier den Mann, wird als gegeben vorausgesetzt. Die in der Folge davon auch nicht existenzsichernde Absicherung im Falle von Erwerbslosigkeit, im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit wird von der Regierung nicht einmal als Problem anerkannt.
({7})
Im Gegenteil: Die Frauen werden noch als die großen Gewinnerinnen des derzeitigen geringfügigen Beschäftigungszuwachses hingestellt.
Insgesamt entdeckt die Bundesregierung keine Lücken im sozialen Sicherungssystem und keine strukturelle geschlechtsspezifische Benachteiligung.
Wenn es unbefriedigende Einkommenssituationen gibt, so müssen sich die Betroffenen - so steht es im Bericht - eben damit abfinden, daß sie zu den sogenannten Problemgruppen gehören. Als letztes Auffangnetz gibt es ja immer noch die Sozialhilfe, und so lautet das Resümee der derzeitigen sozialpolitischen Regierungsbilanz.
({8})
Für die Einführung einer existenzsichernden Grundsicherung in die Sozialhilfe, bei Arbeitslosigkeit und in das Rentenwesen, die mit der Armut in dem angeblich so leistungsfähigen Sozialstaat endlich aufräumen würde, sieht die Bundesregierung jedenfalls keine Notwendigkeit.
Eine Bemerkung noch zum Schluß: Wir hatten im Ausschuß gesagt, daß es gut wäre, wenn der Kanzlerkandidat der SPD auf dieser Bank sitzen und mit uns hierüber diskutieren würde.
({9})
Was ist geschehen?
({10})
Im Ausschuß wurde gesagt: Der Kanzlerkandidat
hat es nicht notwendig, sich hier mit der Sozialpolitik auseinanderzusetzen. Ich sage: Euer Kanzlerkandidat ist ein Feigling.
({11})
Manchmal glaube ich, über Geschmacklosigkeit kann man nicht streiten. Muß es immer sein, daß Sie mich herausfordern, zu überlegen, ob ich Ihnen nun einen Ordnungsruf erteile oder nicht? Also, ich kann wirklich nicht mehr verstehen, daß Sie hier immer solche Art von Reden führen müssen wie diese letzte.
({0})
- Ja, okay. Aber ich bringe hier zum Ausdruck, daß ich so etwas in diesem Hause nicht gut finde.
({1})
- Ja, es lohnt sich auch wirklich nicht mehr.
So, meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Stutzer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Für einen Sozialpolitiker ist es ein Glücksfall, wenn er in seiner letzten Rede am Ende dieser Legislaturperiode noch etwas zu dem Sozialbericht 1986 sagen darf, zu einem Sozialbericht, von dem Sozialdemokraten am Ende ihrer Regierungszeit noch nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Dieser Sozialbericht ist der Opposition unbequem, weil er ungeschönt deutlich macht, daß es eine soziale Demontage nicht gegeben hat.
({0})
Die Opposition versucht nun, den Sozialbericht als eine regierungsfreundliche Propagandaschrift abzuqualifizieren. Nur, meine Damen und Herren, das nimmt ihr heute niemand mehr ab. Denn es zählen allein die Fakten.
Wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit werde ich mich nur mit dem Arbeitsmarkt befassen: zum einen, weil die Arbeitslosigkeit uns alle hier bedrückt, zum anderen, weil die Opposition uns vorwirft, keine aktive Arbeitsmarktpolitik betrieben zu haben.
({1})
Die Opposition weiß genau, daß wir heute weniger eine konjunkturelle als vielmehr eine strukturelle Arbeitslosigkeit bei einem regional und branchenbedingt gespaltenen Arbeitsmarkt haben. Es gibt kein Patentrezept - das zeigt auch ein Blick ins Ausland -, diese Arbeitslosigkeit so schnell zu beseitigen, wie wir uns das alle wünschen.
Während die Sozialdemokraten jetzt wieder ihre alte Arbeitsmarktpolitik - nur in einem neuen Gewande - anbieten, mit der sie schon einmal ge19930
scheitert sind - so hatte die SPD in der Vergangenheit für 17 Beschäftigungsprogramme mehr als 50 Milliarden DM ausgegeben
({2})
mit dem Ergebnis, daß sich die Arbeitslosigkeit in der Ara Brandt/Schmidt vervierzehnfacht hat; ich wiederhole: vervierzehnfacht -, ist festzustellen, daß der wirtschaftliche Aufschwung, wie von der Opposition immer wieder behauptet wird, am Arbeitsmarkt keineswegs vorbeigegangen ist.
({3})
So hat die Zahl der Erwerbstätigen seit 1984 um rund 600 000 zugenommen,
({4})
und die Zahl der Kurzarbeiter hat sich um rund eine Million verringert.
({5})
Der Bestand an offenen Stellen hat sich seit 1983 - saisonbereinigt - kontinuierlich erhöht,
({6})
und die Arbeitslosenzahl, verehrte Frau Kollegin Fuchs,
({7})
wird erstmals wieder seit 1979 die Arbeitslosenzahl des Vorjahres unterschreiten. Das sind nicht nur Erfolge der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung, sondern das ist auch der Erfolg einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, wie sie der Sozialbericht ausweist.
Ich frage Sie: Ist es eine soziale Demontage, wenn der Mittelansatz für eine aktive Arbeitsmarktpolitik 1986 mit rund 11,5 Milliarden DM um 70 % über dem Niveau von 1982 liegt.
({8})
Ist es soziale Demontage, wenn bis Ende 1986 460 000 Arbeitnehmer eine berufliche Qualifizierungsmaßnahme begonnen haben und damit annähernd 200 000 oder 75 % mehr als 1982?
({9})
Ist es soziale Demontage, wenn sich die Zahl der ABM-Beschäftigten jahresdurchschnittlich auf über 100 000 erhöht hat, eine Verdreifachung gegenüber 1982? Ist es soziale Demontage, wenn Ende September 1986 über 135 000 oder 21,8 % weniger arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren als im September 1983 gemeldet waren?
({10})
- Ist es soziale Demontage, wenn 1985 rund 30 000
Arbeitnehmer - hören Sie richtig zu, Kollege Dreßler - unter 25 Jahren in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt waren,
({11})
das sind nämlich 275 % mehr als im Jahre 1982? Ist es soziale Demontage, wenn die soziale Sicherungsfunktion der Arbeitslosenversicherung deutlich verbessert wurde? Ich darf Sie hier, um nur ein paar Beispiele zu nennen, an die zweimalige Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes insbesondere für ältere Arbeitslose erinnern oder aber an die geschaffene Möglichkeit, nach Vollendung des 58. Lebensjahres Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zu beziehen, ohne daß sich der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen muß.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Glombig?
Bitte schön, ja.
Bitte, Herr Glombig.
Herr Kollege Stutzer, haben Sie nicht eine Frage vergessen? Ich glaube, Sie haben sie vergessen. Ich will diese Frage jetzt einmal stellen in der Hoffnung, daß Sie sie beantworten. Ist es soziale Demontage, daß das Arbeitslosengeld für Arbeitslose ohne Kinder von 68 % auf 63 %
({0})
und daß die Arbeitslosenhilfe für Arbeitslose ohne Kinder von 58 % auf 56 % heruntergesetzt worden ist? Ist das soziale Demontage oder nicht?
Sehr verehrter Herr Kollege Glombig, das ist keine soziale Demontage, aber ich komme im Rahmen meiner Ausführungen noch dazu.
({0})
Wir haben nämlich mehr Geld bei den Leistungsverbesserungen ausgegeben, als im Rahmen der Konsolidierung gerade beim Arbeitslosengeld eingespart worden ist.
({1})
Wir haben, Herr Kollege Glombig, die Anrechnungsbeiträge bei der Arbeitslosenhilfe erhöht. Was hatten Sie getan? Sie hatten seit 1969 nichts getan.
({2})
Sie hatten trotz einer hohen Inflationsrate diese Freibeträge festgeschrieben.
({3})
Wir haben sie erhöht. Ich meine auch, das ist keine
soziale Demontage. Oder aber die Einschränkung
der Möglichkeit, die individuelle Bemessung der ArStutzer
beitslosenhilfe auf Grund der Arbeitsmarktlage abzusenken, auch daran hatten die Sozialdemokraten nicht gedacht.
Es ist schlicht die Unwahrheit wenn von der Opposition behauptet wird - und diese Frage klang hier soeben wieder an -, es sei im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit nur konsolidiert worden, es seien das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe für Ledige und Alleinstehende heruntergesetzt worden. Die Wahrheit ist, daß durch bedeutsame Leistungsausweitungen und leistungsverbessernde Rechtsänderungen per Saldo, Herr Kollege Glombig, rund eine Milliarde DM - ich wiederhole: eine Milliarde DM - mehr an Ausgaben ermöglicht wurde, als im Interesse der Konsolidierung zunächst eingespart werden mußte.
({4})
Aus zeitlichen Gründen muß ich davon Abstand nehmen, Ihnen hier diesen ganzen Katalog vorzutragen.
Der Sozialbericht macht deutlich, daß die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung mehr bewirkt hat, als die richtigen Rahmenbedingungen für das Wirtschaftswachstum herzustellen, wenngleich sich auf dem Arbeitsmarkt ohne Wirtschaftswachstum - und das sage ich insbesondere an die Adresse der GRÜNEN - nichts bewegt.
({5})
Aber Wirtschaftswachstum allein reicht nicht aus. So bleibt trotz der aufgezeigten Erfolge noch viel zu tun. Die Bundesregierung wird, wenn sie am 25. Januar 1987 bestätigt wird - woran ich keinen Zweifel habe -, auch in der nächsten Legislaturperiode ihre aktive Arbeitsmarktpolitik fortsetzen.
({6})
Erlauben Sie mir am Ende noch ein persönliches Wort, das mir am Herzen liegt. Es macht Freude, mit und für den Arbeitsminister Norbert Blüm zu arbeiten;
({7})
das nicht nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil er eine erfolgreiche Sozialpolitik macht, sondern vor allem auch deshalb, weil er uns allen als Mensch und Kollege - und das über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg ({8})
ein Vorbild ist.
({9})
Es hat aber auch Freude gemacht, im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu arbeiten, und zwar trotz der starken Arbeitsbelastung. Daran hat auch der Ausschußvorsitzende Eugen Glombig mit seiner Fairneß und seinem Humor einen gehörigen Anteil.
({10})
Wir haben in diesem Ausschuß sehr hart gerungen. Die unterschiedlichen politischen Meinungen prallten knallhart aufeinander. Und doch stimmte in diesem Ausschuß - von Ausnahmen abgesehen, die wir sehr schnell vergessen wollen - das Klima. Kameradschaft und hier und da sogar auch Freundschaft zwischen den Mitgliedern der Fraktionen prägten das Bild, wenngleich ich mir in manchen politischen Fragen mehr ein Miteinander als ein kompromißloses Gegeneinander gewünscht hätte.
So freue ich mich, daß es am Ende dieser Legislaturperiode beim Bericht über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation wenigstens mit den Sozialdemokraten wieder einmal zu einem Miteinander gekommen ist. Allerdings macht es mich betroffen, daß sich DIE GRÜNEN diesem interfraktionellen Antrag nicht angeschlossen haben.
({11})
Und was, wie ich finde, noch viel schlimmer ist, Herr Kollege Bueb: daß sich die GRÜNEN nicht einmal an der Beratung beteiligt haben.
({12})
Hier zeigen die GRÜNEN ihr wahres Gesicht. Jeder Behinderte sollte bei seiner Stimmabgabe daran denken.
({13})
Ein Miteinander sollte es auch bei den großen Reformvorhaben in der nächsten Wahlperiode - ich denke insbesondere an die Strukturreform der Rentenversicherung - geben. Das erwartet die überwiegende Mehrheit der Bürger von den Politikern.
Zu einer erfolgreichen Sozialpolitik gehören Herz und Verstand. Wenn dann interfraktionell auch noch das Arbeitsklima stimmt, ist mir um die Zukunft unserer Sozialpolitik nicht bange.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Dr. Blüm.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Stutzer hat in seiner letzten Rede vor dem Bundestag so geredet, wie er seit vielen, vielen Jahren im Bundestag gearbeitet hat: sachlich und engagiert. Ich glaube, wir alle sind ihm zu Dank verpflichtet.
({0})
Wir kommen an das Ende dieser Legislaturperiode. Bei der ungeheuren Arbeitslast, die die Sozialpolitiker zu bewältigen hatten, fragt es sich, was denn die Hauptnenner waren, die unserer Politik sozusagen Gestalt geben. Ich nenne drei Kennzeichen für das, was wir wollten und getan haben: Solidität, Sensibilität und Solidarität.
Solide Sozialpolitik: Sie richtet sich an ganz einfachen Erfahrungen aus, die jedermann zur Verfügung stehen: Du darfst nicht mehr ausgeben, als du einnimmst. Die Sozialdemokraten haben heute in ihrer Argumentation wieder ein Musterbeispiel dafür geliefert, wie es nicht sein soll. Erstens beschweren Sie sich, wir hätten zuviel gespart, und kurz danach beschweren Sie sich zweitens, die Beiträge seien zu hoch. Es zeigt sich: Sie beherrschen die einfachen Faustregeln nicht, die in der privaten Haushaltsführung wie auch im Staat gelten: Du kannst nur - ich wiederhole mich - so viel ausgeben, wie du einnimmst. Wer es anders will, der führt diesen Staat, den Sozialstaat, in die Unfinanzierbarkeit.
13 Jahre lang ist in der Sozialpolitik mehr ausgegeben worden, als eingenommen wurde. 13 Jahre lang kannte die Rentenversicherung nur eine Bewegung: abwärts. Sie hatte Jahr für Jahr weniger Rücklagen. Das ist das Ergebnis, wenn man mehr ausgibt als einnimmt. Die Bundesanstalt für Arbeit hatte 1983 ein Defizit in Höhe von 14 Milliarden DM ins Haus stehen; 1982 waren es 7 Milliarden DM. Das ist das Ergebnis, wenn man mehr ausgibt als einnimmt.
Wer bezahlt eine solche Politik? Eine solche Politik - das ist meine These auch am Ende dieser Legislaturperiode - wird zuerst und zuletzt von den kleinen Leuten bezahlt. Schuldenpolitik ist Politik gegen die kleinen Leute.
({1})
Wenn die Wende, die hier so attackiert worden ist, nicht gekommen wäre, hätten wir 1983 50 Milliarden DM an Schulden gehabt. Das wären 130 Millionen DM pro Tag, 5 Millionen DM pro Stunde, 1 500 DM pro Sekunde gewesen. Jetzt noch zahlen wir für die Hinterlassenschaft dieser Regierung pro Sekunde 1 015 DM nur an Zinsen. Pro Sekunde über 1 000 DM an Zinsen! Jetzt frage ich Sie - vielleicht beantwortet Herr Kollege Dreßler diese Preisfrage -: Wird irgendein Sozialhilfeempfänger auch nur eine Mark von diesen Zinsen bekommen? Die Zinsprofiteure, um in Ihrer Sprache zu sprechen, sind nicht die kleinen Leute, sondern diejenigen, die dem Staat Geld leihen konnten. Pro Sekunde über 1 000 DM für die Zinsen der Schuldenpolitik, die Sie, Herr Dreßler, uns hinterlassen haben!
({2})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?
Bitte schön!
Herr Arbeitsminister, ich entnehme Ihrer Darstellung, daß die Regierung aus Gründen finanzieller Unsicherheit so hat handeln müssen, wie sie gehandelt hat. Können Sie mir dann erklären, warum diese Bundesregierung sozusagen innerhalb von 48 Stunden 42jährige Offiziere - in der Blüte ihrer Jahre - in den vorzeitigen Ruhestand schickt und warum diese Bundesregierung vor der Europawahl 1984 innerhalb von weiteren 48 Stunden 20 Milliarden DM zur Unterstützung großer Landwirte in der mittelfristigen Finanzplanung bereitstellen konnte?
({0})
Herr Dreßler, habe ich Sie richtig verstanden, wollen Sie mit dieser Frage, mit der Frühpensionierung von Soldaten Ihre Schuldenpolitik erklären?
({0})
Ich kann nur sagen: Wer einen solchen miserablen Haushalt hinterlassen hat, ist nicht fähig, uns Nachhilfeunterricht zu geben, der hat seine Hausaufgaben nicht erfüllt.
({1})
Meine Damen und Herren, ich will auch das Ergebnis für die kleinen Leute darstellen. Was ist das Ergebnis der soliden Sozialpolitik? Das Ergebnis der soliden Sozialpolitik ist die größte Preisstabilität seit 35 Jahren,
({2})
die größte reale Einkommenssteigerung für Arbeitnehmer seit 15 Jahren, die größte reale Rentensteigerung seit acht Jahren. Das ist das Ergebnis solider Sozialpolitik nach vier Jahren unserer Regierungstätigkeit.
({3})
Da das große Wort vom „Raubbau an Sozialhilfeempfängern" gefallen ist - habe ich das richtig gehört? -,
({4})
will ich ein paar Zahlen nennen. Die reale Einkommensentwicklung betrug 1982 für Sozialhilfeempfänger minus 4,2 %, 1983 noch minus 1,9%. Das waren reale Einkommensverluste für Sozialhilfeempfänger. Dagegen hatten sie 1985 ein Plus - ich rede jetzt von der Kaufkraft - in Höhe von 3,2% und 1986 in Höhe von 4,9%. Wer hat den Sozialhilfeempfängern geholfen? Nicht Ihre Redensarten, sondern unsere solide Sozialpolitik hat den armen Leuten in unserem Staat geholfen.
({5})
Das zweite Stichwort lautete: sensibel. Meine Damen und Herren, wir sind möglicherweise alle in Gefahr, Sozialpolitik nur bei großen Zahlen zu betreiben, nämlich immer dann politische Aufmerksamkeit zu erzeugen, wenn hunderttausend, eine Million, zwei Millionen Menschen betroffen sind. Nein, sensible Sozialpolitik muß sich auch um kleine Gruppen kümmern, auch um diejenigen, die nicht protestieren können, die sich nicht bemerkbar machen können. Deshalb will ich am Ende dieser
Legislaturperiode nicht nur von den großen Reformen reden, sondern auch ein paar Beispiele für sensible Sozialpolitik geben.
Wir haben das Opferentschädigungsgesetz novelliert, die Stichtagsregelung beseitigt und damit den Opfern von Verbrechen neue soziale Hilfen gewährt. Das sind nicht Millionen von Bürgern. Aber wer in Not ist, wem dieses Schicksal widerfahren ist, für den ist es relativ belanglos, ob er seine Not mit zehn, zehntausend oder einer Million teilt. Wir haben auch Sozialpolitik für die, die in Not sind, gemacht, ohne daß sie protestiert haben, ohne daß sie öffentlich Aufmerksamkeit erzeugten.
Soziale Kälte. Wir haben die arbeitslosen Jugendlichen wieder ins Kindergeld hineingenommen. Auch das ist keine Zahl, die überwältigend ist und Schlagzeilen füllt. Soziale Kälte werfen Sie uns vor. War es denn soziale Warmherzigkeit, daß die sozialliberale Koalition für einen 19jährigen, der keinen Lehrplatz gefunden hat, der keine Arbeit gefunden hat, kein Kindergeld mehr gezahlt wurde? Wir von der CDU/CSU und FDP haben es wieder gegeben.
({6})
- Und die Krankenversicherung. ({7})
Ich gebe nur ein paar Beispiele für eine sensible Sozialpolitik. Orthopädische Versorgung. Wir haben die Zuschüsse für die orthopädische Versorgung der Behinderten um 35% erhöht. Auch das kann ich in Zahlen sagen.
({8})
Bisher gab es einen Zuschuß von 3 500 DM. Jetzt gibt es einen Zuschuß von 4 800 DM. Ist das Raubbau? Ist das Hartherzigkeit? Das ist eine Sozialpolitik nicht nur mit Augenmaß, sondern auch mit Herz.
Wir haben Frauen, die bisher vor der Tür der Rentenversicherung stehenblieben, weil sie die 15 Jahre Beitragszahlung nicht zustandegebracht haben, durch Senkung der Wartezeit einen Anspruch auf Altersrente verschafft, den sie bisher nicht hatten. Das ist sensible Sozialpolitik.
Zur sensiblen Sozialpolitik gehört auch, auf neue Fragen neue Antworten zu suchen. Könnte es nicht sein, meine Damen und Herren, daß wir die Arbeitslosigkeit nicht einfach nur kollektiv, in statistischen Großzahlen sehen dürfen, sondern die Einzelschicksale betrachten müssen?
({9})
Wir müssen darauf achten, daß kein neuer Konflikt in unser Sozialsystem zwischen Arbeitsbesitzern und Arbeitslosen kommt. Die Verteidigung von Schutzrechten ist nur dann gerechtfertigt, wenn diese Schutzrechte alle umfassen. Zum Schutz gehört, daß diejenigen, die draußen sind, überhaupt erst wieder in die Erwerbsarbeit hineinkommen. Auch das ist Sozialpolitik.
({10}) Das ist Brückenbau für die, die draußen sind.
Ich will das Schicksal vieler Arbeitsloser jetzt nicht mit statistischen Kämpfen darstellen. Wir wollen hinter allen Zahlen nie das Einzelschicksal vergessen. Aber für eine Form von Geschmacklosigkeit halte ich schon jenes Flugblatt sozialdemokratischer Frauen, wo es heißt: „Frauen, stürmt die Arbeitsämter! Meldet euch arbeitslos! Gehen Sie auch dann zum Arbeitsamt, wenn Sie keine Hoffnung auf die Vermittlung eines Arbeitsplatzes oder auf Leistung des Arbeitsamtes haben. Boxen Sie sich in die Arbeitslosenstatistik."
({11})
Meine Damen und Herren, wollen Sie mit Statistik kämpfen,
({12})
hinweggehen über das Einzelschicksal? Wollen Sie Tausende, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, mit denen gleichstellen, die Sie in die Arbeitslosenstatistik hineinboxen müssen? Wir wollen niemanden in die Arbeitslosenstatistik hineinboxen. Wir wollen denen helfen, die unverschuldet hineingekommen sind.
({13}) Das ist unsere Politik.
Nun komme ich zum dritten großen Problemkreis, zur Solidarität. Die gilt zuerst allen, die Arbeit suchen. Denn keine Unterstützung - und sei sie noch so hoch - macht das Recht auf Arbeit vergessen. Deshalb bin ich froh, daß auch das zur Wende gehört: daß nach Arbeitsplatzverlusten jetzt wieder Arbeitsplätze geschaffen werden.
({14})
Gestatten Sie? - Herr Kollege Reimann.
Herr Minister, ich hörte mehrfach aus Ihrem Munde, daß die Arbeitslosigkeit zurückgegangen sei und daß es mehr Arbeitsplätze gebe: Können Sie mir dann mal erklären, warum Sie die Arbeitslosenversicherungsbeiträge erhöhen?
Ja. Das machen wir deshalb - ich bedanke mich für die Frage -, um den Arbeitslosen, die lange arbeitslos sind, noch mal das Arbeitslosengeld verlängern zu können. So sind wir.
({0})
Sie sehen: Wir wollen das Geld - das ist nun wirklich den Ball vors Tor gespielt - aus Solidaritätsgründen.
Und um noch eines richtig darzustellen, weil auch diese Zahl vorhin hier bezweifelt wurde; ich bestätige noch einmal, was der Kollege Stutzer schon gesagt hat: Wir mußten, Herr Kollege Glombig - das war schmerzhaft -, das Arbeitslosengeld von 68 auf 63 % für die Arbeitslosen ohne Kinder kürzen; aber die Verlängerung der Gewährung des Arbeitslosengeldes für diejenigen, die von der Arbeitslosig19934
keit am schwersten betroffen sind, für die Dauerarbeitslosen, hat sehr viel mehr Geld gekostet, als die ganze Kürzung gebracht hat.
({1})
Wir haben in der Arbeitslosenversicherung 2 Milliarden DM gespart, und wir haben die Leistungen um 3,4 Milliarden DM verbessert. Es bleibt Ihr Betriebsgeheimnis, dies als Sozialabbau zu bezeichnen.
({2})
Herr Bueb - auch die Frage aus der Diskussion beantworte ich -,
({3})
humane Arbeit, Arbeitnehmer schützen: Wir haben die Gefahrstoffverordnung geschaffen, den Schutz im Betrieb gegenüber gefährlichen Stoffen verbessert, in den jüngsten Tagen noch die Verordnung für die Lagerung gefährlicher Stoffe verbessert.
({4})
Wir haben die Röntgenverordnung verbessert. In der Tat ist die Gesundheit der Arbeitnehmer ihr höchstes Gut. Und sie wird von uns geschützt und verteidigt.
({5})
Aber - ich komme zum Ausgangspunkt zurück - es muß ein finanzierungsfähiger Sozialstaat sein. In den Jahren 1970 bis 1982 stiegen die Bruttolöhne um 136%. In derselben Zeit stiegen die Sozialleistungen um 210%. Da muß man doch gar nicht höhere Mathematik studiert haben, um zu erkennen: Wenn die Sozialleistungen schneller steigen als die Löhne, sinkt der Nettolohn, bis er Null erreicht hat. Und dann können wir das System auf Krankenschein umstellen.
({6})
Wenn wir in der Sozialpolitik sparen - ich sage es noch einmal -, sparen wir doch nicht für die Millionäre, sondern für Millionen von Arbeitnehmern, die diesen Sozialstaat finanzieren.
Um das mit dem Weihnachtsgeld noch mal darzustellen: Die Bezieher kleiner Einkommen haben immer Sozialabgaben von ihrem Weihnachtsgeld zahlen müssen. Diejenigen mit Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze haben sie zu Ihrer Zeit nicht gezahlt und zu unserer Zeit nicht gezahlt. Allerdings bekommen sie auch nichts. Das ist ganz im Sinne der sozialen Gerechtigkeit: Keine Abgaben, keine Leistungen. Allerdings haben wir denen, die einen Slalom fahren, sich durch geschickte Auszahlung Solidarpflichten entziehen konnten, die Tür zugemacht. Wir machen keine Sozialpolitik für die Cleveren.
({7})
Ich will zur Krankenversicherung nur so viel sagen: Auch mich beschwert es - und deshalb sind wir auch noch nicht am Ende unserer Arbeit -, daß die Beiträge steigen werden. Aber die Sozialdemokraten sind nun wirklich nicht als Lehrmeister geeignet. In ihrer Zeit stiegen die Beiträge von 8 auf 12%.
({8})
Im Moment sind wir, von 12 % kommend bei 12,3% angelangt. Das ist zu hoch. Aber wer den Karren gegen den Baum gefahren hat - ich wiederhole mich -, der eignet sich nicht als Fahrlehrer für die künftige Strecke.
({9})
Wir haben noch große Aufgaben. Aber ich will meinerseits darstellen, damit es keine Verwechslungen gibt: Karenztage in der Lohnfortzahlung wird es mit Norbert Blüm nicht geben.
({10})
Ich stelle das also noch mal klar, damit es da keinen Zweifel gibt. Ich kenne noch aus eigener Erfahrung die Zeit, wo Arbeiter Karenztage hatten, kein Geld während der Krankheit bekamen, während Angestellte weiterbezahlt wurden. Wenn die Lösung sein sollte: dann auch Karenztage für Angestellte, dann frage ich aber auch: Wie ist das mit den Beamten? Entweder Karenztage für alle oder niemand. Da wir bei Beamten auch aus verfassungsrechtlichen Gründen dies nicht einführen können, werden wir diesen Weg nicht gehen können - jedenfalls nicht mit mir und der CDU/CSU.
({11})
Lassen Sie mich zum dritten Stichwort, Subsidiarität, kommen: Meine Damen und Herren, vielleicht entscheidet sich an dieser Stelle in der Tat, wo die Unterschiede zwischen zwei Lagern liegen, zwischen Ihrem und unserem. Solidarität - ich kann mir überhaupt keine Gesellschaft ohne Solidarität vorstellen - ist unverzichtbar für den Sozialstaat. Die Frage ist nur, ob Solidarität immer staatlich veranstaltet werden muß, ob sie kollektiv sein muß, oder ob Solidarität nicht durch Subsidiarität gegliedert werden muß. Deshalb: An der Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips scheiden sich die unterschiedlichen Wege zwischen Sozialismus, Sozialdemokraten und uns. Wir sind nicht für die staatlich kollektivierte Solidarität, sondern wir sind für die Solidarität, die bei den kleinen Gemeinschaften beginnt; und da haben wir nicht geredet, sondern gehandelt: 10 Milliarden DM in einer Legislaturperiode in diesem Jahr allein mehr für die Familie.
Eigentumspolitik in Arbeitnehmerhand - auch ein Stück sozialer Sicherheit, und zwar sozialer Sicherheit nicht nur durch die großen Apparate. Merken Sie nicht alle, daß geradezu eine Sehnsucht nach Geborgenheit durch die Gesellschaft geht, nicht nach mehr Schaltern, mehr Formularen, mehr Genehmigungsbehörden?
({12})
Wir wollen, wenn wir sagen: weniger Staat, nicht
mehr Einsamkeit, sondern mehr Familie, mehr
Nachbarschaft. Das ist die Solidarität, die wir bevorzugen.
({13})
Deshalb gehört dazu auch Tarifautonomie: Nicht der Staat soll alles regeln, deshalb Marktwirtschaft, weil wir glauben, daß die Staatswirtschaft immer eine Bonzenwirtschaft ist.
({14})
Dafür haben Sie in den letzten Jahren genügend Beispiele geliefert.
({15})
Ich bleibe dabei, daß unsere Sozialpolitik an Personalität, an der personalen Verantwortung der Menschen ausgerichtet bleibt, daß wir nicht einen Staat wollen, der uns rund um die Uhr, von der Wiege bis zur Bahre begleitet. Selbst- und Mitverantwortung, das ist das Kennzeichen einer christlich verantwortbaren Sozialpolitik. Die Welt ist verbesserungsfähig, aber sie ist nie perfekt ins Ideal zu bringen. Zwischen Verbesserungsfähigkeit und Ideal, in diesem Abstand liegen die Chancen von Freiheit und Verantwortung. Wir bleiben dieser Sozialpolitik treu, nicht mit dem Anspruch, keine Fehler zu machen, nicht mit dem Anspruch, daß wir am Ziel wären. Die Politik der Ideologen ist die Politik der ideologischen Knallfrösche, der Böller, der Leuchtraketen, und sie lassen als Kennzeichen zurück: laute Geräusche, grelle Lichter und schlechten Geruch. Anschließend ist die Nacht wieder so dunkel wie sie vorher war.
({16})
Damit komme ich zu Adolf Müller, zu einem Beispiel einer christlich verantwortbaren Sozialpolitik. Lieber Adolf, als Freund und Kollege möchte ich dir für ein Vierteljahrhundert in diesem Parlament Dank sagen. Christliche Sozialpolitik, nicht nur im Lehrbuch, sondern durch personelles Engagement - dafür stehst du, dafür bleibst du unser Vorbild. Du bist ein Sohn Adolf Kolpings, des großen Mannes der christlichen Soziallehre. Deshalb soll mein letztes Wort an dich ein Wort sein, das uns allen Richtschnur bleibt, ein Wort Adolf Kolpings, was auf dich paßt:
Wahr soll sein Herz sein, wie sein Wort sein, wahr soll sein Streben sein und seine Arbeit, wahr und echt all sein Wort und Werk, wo das der Fall ist, da muß ihn jedermann achten.
Ich möchte mich bei dir, lieber Adolf, und der Generation bedanken, die unseren Sozialstaat groß und stark gemacht hat, worauf wir weiter bauen. Wir haben ihn nicht heute geschaffen, wir verdanken ihn Männern aus allen Parteien.
({17}) - Männern und Frauen, ich erwähne ausdrücklich: Männern und Frauen. Nur, Adolf Müller ist ein Mann.
({18})
Deshalb wollte ich ausdrücklich dir, Adolf, Dank sagen und dich auch als ein Vorbild für die Sozialpolitik der Zukunft bezeichnen.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch nach der Rede des Bundesarbeitsministers bleibt festzustellen, daß er noch nicht einmal den Versuch gemacht hat - woher sollte er auch! -, das Zahlenmaterial, was der Kollege Egon Lutz sozusagen als Vorwurf an diese Bundesregierung hier eingebracht hat, in einem einzigen Punkt zu widerlegen.
({0})
Das ist die Quintessenz aus den Reden von Koalitionspolitikern und aus den Reden des Arbeitsministers.
Zusammengefaßt ergibt sich daraus nach wie vor, daß in keinem anderen Bereich der letzten vier Jahre die Politik so tiefe Spuren hinterlassen hat
({1})
wie in der Sozialpolitik. Die Massenarbeitslosigkeit verharrt auf Rekordniveau. Für viele Arbeitslose ist die neue Armut zur bitteren Wirklichkeit geworden. Durch eine beispiellose Umverteilung von unten nach oben wurden Millionäre beglückt, aber die Arbeitnehmer geschröpft wie nie zuvor.
({2})
Mit anderen Worten: Reichtum lohnt sich, Arbeit wird bestraft. Die Regierung hat durch eine massive Einschränkung von Arbeitnehmerrechten, den Abbau betrieblicher Mitbestimmung und die Aushöhlung des gewerkschaftlichen Streikrechts den sozialen Frieden wie keine andere Bundesregierung vor ihr aufs Spiel gesetzt.
({3})
Diese Regierung hat instabile Beschäftigung und Leiharbeit gefördert und das Heuern und Feuern propagiert. Sie hat § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes geändert und das Kräfteverhältnis zugunsten der Unternehmerverbände verschoben.
({4})
Dies ist die Bilanz einer Regierung und einer Koalition, deren größere Partei sich „christlich" nennt, aber mit christlicher Nächstenliebe hat das alles nichts zu tun. Dies ist eine Ellenbogenpolitik für Einzelinteressen und gegen die Mehrheit. Es ist eine Sozialpolitik ohne Herz, eine Politik der sozialen Kälte.
({5})
Was die Arbeitnehmer von dieser Regierung erwarten können, erleben sie in diesen Tagen mit ihrem Weihnachtsgeld. Noch nie in der Geschichte der Republik ist den Arbeitnehmern so wenig übriggeblieben wie in diesem Jahr.
({6})
Mußte ein verheirateter Durchschnittsverdiener im Jahre 1982 27 % Lohnsteuer und Sozialbeiträge auf sein Weihnachtsgeld zahlen, so werden ihm in diesem Jahr 38% abgezogen.
({7})
Wer als Alleinstehender durchschnittlich verdient und genausoviel Weihnachtsgeld bekommt, dem werden 50 % Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abgezogen. Das ist die Sozialpolitik à la Kohl und Blüm. Das bleibt nach wie vor ein Skandal.
({8})
Dieser Weihnachtsgeldskandal hat Methode. Noch nie zuvor war die Steuer- und Abgabenlast für die Arbeitnehmer so hoch wie jetzt. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, daß der Kollege Cronenberg das soeben regierungskoalitionsamtlich bestätigt hat.
Die Regierung treibt die Arbeitnehmer in den Lohnsteuer- und Abgabenstaat, um Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Millionäre zu finanzieren.
({9})
Immer mehr Menschen spüren, wohin diese Politik führt. Sie merken, daß konservatives Ellenbogendenken Solidarität verdrängt und unsere Gesellschaft spaltet.
({10})
Es wird höchste Zeit, daß die soziale Gerechtigkeit wieder zur Meßlatte der Politik gemacht wird.
({11})
Der noch amtierende Bundesarbeitsminister hat bei der Lösung der großen Aufgaben des Ministeriums sträflich versagt. Weder beim Abbau der Massenarbeitslosigkeit noch bei der langfristigen Sicherung der Renten und der Neuordnung des Gesundheitswesens war dieser Minister seiner Aufgabe gewachsen.
({12})
Norbert Blüm hat sich für eine Politik der gesellschafts- und verteilungspolitischen Wende mißbrauchen lassen. Die Konzepte haben die Arbeitgeberverbände, haben Graf Lambsdorff und Herr Bangemann geschrieben. Aber Herr Blüm hat sie Punkt für Punkt ausgeführt.
({13})
Die Arbeitgeberverbände können mit diesem Minister wirklich zufrieden sein.
({14})
Wer den letzten Jahresbericht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände liest, stellt fest: Sie sind es auch.
({15})
Das alles ficht den Bundesarbeitsminister nicht an. Wie sonst ist es zu verstehen, daß dieser Sozialbericht vor lauter Jubelarien nur so strotzt?
({16})
Ihr Sozialbericht, Herr Blüm, ist ein beispielloses Pamphlet der Verdrängung und Schönfärberei. Mit seriöser Sozialpolitik hat das nichts zu tun.
({17})
Dabei besteht für regierungsamtlichen Jubel und Schönfärberei überhaupt kein Anlaß.
({18})
Trotz wirtschaftlich günstiger Entwicklung bleibt die Massenarbeitslosigkeit unser Hauptproblem.
({19})
Wenn nicht bald etwas geschieht, werden wir bis in die 90er Jahre über 2 Millionen Arbeitslose haben.
Ihnen scheint der leichte Rückgang um magere 70 000 in diesem Jahr zu reichen.
({20})
Sie freuen sich über eine gute Konjunktur und über einen leichten Anstieg der Beschäftigtenzahlen und verdrängen dabei das Hauptproblem der Massenarbeitslosigkeit. Sie haben sich - das ist die Wahrheit - mit der Massenarbeitslosigkeit abgefunden.
({21})
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die wichtigste Maßnahme ist und bleibt die Arbeitszeitverkürzung. Ich kann nur hoffen, daß inzwischen auch der Bundeskanzler und seine Regierung den beschäftigungspolitischen Wert der Arbeitszeitverkürzung begriffen haben.
({22})
Die dummen und törichten Stellungnahmen des Jahres 1984 dürfen sich in diesem Jahr nicht wiederholen. Solange wir Massenarbeitslosigkeit haben, brauchen wir eine solidarische Unterstützung bei Arbeitslosigkeit.
({23})
Es ist, auch wenn Sie es mit Ihren Einkommensklassen verdrängen, eine neue Armut vorhanden. Wer wie der Bundeskanzler behauptet, daß die neue Armut eine Erfindung des sozialistischen Jetsets sei, war nie beim Deutschen Roten Kreuz, war nie bei der Arbeiterwohlfahrt und war auch nie bei der Caritas. Die neue Armut ist kein Schlagwort von Sozialdemokraten und Gewerkschaften: Sie ist bittere soziale Wirklichkeit.
Deswegen sagen wir: Die Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit müssen den Arbeitslosen schleunigst zurückgegeben werden.
({24})
Dieses Geld ist den Arbeitslosen durch Leistungskürzungen und den Arbeitnehmern durch Beitragssteigerungen abgenommen worden. Dieses Geld gehört nicht Herrn Stoltenberg und auch nicht Herrn Blüm.
({25})
Deshalb müssen wir die unsozialen Leistungskürzungen in der Arbeitslosenversicherung zurücknehmen und die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer weiter verlängern. Das ist das soziale Gebot der Stunde.
({26})
Das Gebot der Stunde ist auch, den sozialen Frieden in unserem Lande zu erhalten und ihn dort wiederherzustellen, wo er Schaden genommen hat. Ohne Not hat die Regierung mit der Änderung des § 116 den schwersten Sozialkonflikt der letzten Jahre vom Zaun gebrochen. Wir kämpfen darum, daß dieses Gesetz nach dem 25. Januar wieder rückgängig gemacht wird.
({27})
Wir kämpfen dafür, daß das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz wieder aufgehoben wird.
({28})
Wer befristete Arbeitsverträge schrankenlos zuläßt, wer die Leiharbeit ausweitet, wer umstrittene Formen der Teilzeitarbeit wie Job-sharing oder Kapovaz salonfähig macht, fördert nicht die Beschäftigung, sondern arbeits- und sozialrechtliche Grauzonen.
({29})
Er fördert, daß Stammarbeitsplätze zugunsten sozial ungeschützter Arbeitsverhältnisse vernichtet werden.
Norbert Blüm war es vergönnt, im dritten Drittel des 20. Jahrhundert Arbeitsverträge möglich zu machen, die folgende Passagen beinhalten: Die Arbeitszeit ist variabel zwischen 0 Uhr und 24 Uhr. Datum: 1986. Oder: Bei sechsmonatiger Beschäftigung kann die Kündigung täglich ausgesprochen werden. Datum: 1986. Die vernichtenden Untersuchungen der Betriebsräte weigert sich der Arbeitsminister anzuerkennen. Man fragt sich, woher Herr Blüm dennoch seine Hurra-Zahlen hat, mit denen er das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz karnevalistisch lobpreist.
({30})
Herr Blüm, Tatsache ist: Sie haben den politischen Bluff zur Methode erkoren. Das ist die einfache Wahrheit.
({31})
Sie ignorieren die fatalen Folgen Ihres „Entlassungsförderungsgesetzes" und kommen uns mit Sprüchen: Lieber befristet beschäftigt als unbefristet arbeitslos.
({32})
Tatsache ist, daß inzwischen 1,8 bis 2 Millionen Arbeitnehmer nur befristete Arbeitsverträge haben und daß sich die Zahl der Zeitverträge im Laufe der letzten zwei Jahre verdoppelt hat.
({33})
Sie haben mit der schrankenlosen Zulassung von befristeten Arbeitsverträgen im Ergebnis den Kündigungsschutz ausgehöhlt:
({34})
Statt bisher sechs Monate können die Arbeitgeber nunmehr 18 Monate Probezeit vereinbaren. Die Folgen - mehr Angst, mehr Unsicherheit, mehr Anpassungsdruck und auch mehr Duckmäusertum - sind bei den Betroffenen spürbar.
Wir fordern, daß das Heuern und Feuern in den Betrieben und der schleichende Umbau des Arbeitsmarktes endlich beendet werden.
({35})
Wir brauchen nicht weniger Rechte und weniger Mitbestimmung in der Arbeitswelt, sondern mehr Rechte zur sozialen Gestaltung und technischen Entwicklung.
({36})
Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen präsentiert die SPD ein sozialpolitisches Kontrastprogramm zur Wendepolitik dieser Regierung. Mit unserem Gesetzentwurf zum Schutz der Teilzeitbeschäftigten wollen wir endlich mit deren Benachteiligung Schluß machen. Wir wollen die notwendige arbeits- und sozialrechtliche Absicherung schaffen, damit Teilzeitbeschäftigung endlich eine gleichwertige Beschäftigungsform wird.
({37})
Herr Blüm spricht so gerne von der bornierten Gesellschaft, die die einen zur Nullarbeit und die anderen zur Vollarbeit zwinge. Dann beklagt er die Verkalkung der Arbeitszeit. Meine These ist: Für mich ist der borniert, der die Teilzeitarbeit wieder als Arbeitsverhältnis zweiter Klasse behandelt.
({38})
Wir brauchen natürlich mehr Teilzeitarbeit, aber nur mit voller arbeits- und sozialrechtlicher Absicherung.
({39})
Wer Teilzeitbeschäftigten diesen Schutz nicht gibt, will sie als Stiefkinder des Arbeitsmarktes und als Beschäftigungspuffer erhalten. Das ist für uns unannehmbar.
Unser Gesetzentwurf zeigt, wie die Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten verhindert und be19938
sonders belastende Beschäftigungsformen wie Kapovaz und Jobsharing verhindert werden können, und unser Entwurf macht endlich Schluß mit der unsozialen Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung. Allen Teilzeitbeschäftigten muß endlich bei Arbeit und im Alter Schutz gewährt werden, sie müssen abgesichert sein. Wer ihnen diesen Schutz versagt, der steht nicht auf der Seite der Teilzeitbeschäftigten.
({40})
Im Interesse der Arbeitnehmer liegt auch der SPD-Entwurf zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte.
({41})
Wer heute noch an den unterschiedlichen Fristen für Arbeiter und Angestellte festhalten will, der pflegt nichts anderes als ein historisches Relikt. Die Abgeordneten der CDU/CSU und FDP haben in den Ausschußberatungen keinen einzigen sachlichen Grund anführen können,
({42})
warum es denn bei diesen unterschiedlichen Kündigungsfristen bleiben soll, und trotzdem haben Sie unseren Gesetzentwurf niedergestimmt.
({43})
Sowohl das Verfassungsgericht als auch das Bundesarbeitsgericht haben den Gesetzgeber angemahnt, die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten zu beseitigen. CDU/CSU und FDP verweigern sich dieser Aufgabe und zeigen einmal mehr, auf wessen Seite sie stehen.
Noch Ende letzten Jahres wurde auch in Ihren Reihen Klage darüber geführt, daß die Jugendvertretung in den Betrieben ausblutet. Immer weniger Jugendliche nehmen an den Jugendvertreterwahlen teil, und inzwischen können die Jugendvertretungen nur noch für einen kleinen Teil der Auszubildenden sprechen. Wir haben mit unserem Gesetzentwurf diesen unhaltbaren Zustand beseitigen wollen. Auch davon wollen CDU/CSU und FDP nichts wissen; Sie feilen lieber an ihren Plänen, die einheitliche Interessenvertretung im Betrieb zu zerschlagen.
Nicht nur die Arbeitgeberverbände, auch die Pharmaindustrie kann sich weiter auf Sie verlassen. Unser Gesetzentwurf zum Arzneimittelversorgungsrecht will endlich die Voraussetzungen für vertragliche Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und der Pharmaindustrie schaffen. Wir wollen der Ausplünderung des Gesundheitswesens einen Riegel vorschieben; aber auch hier haben Sie die Vernunft im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung niedergestimmt.
({44})
Sie wollen die Versicherten lieber mit weiteren Selbstbeteiligungen zur Kasse bitten. Ich sage Ihnen: Wer über die notwendigen Strukturreformen im Gesundheitswesen nicht nur Sprüche klopft,
muß die Stellung der Krankenkassen gegenüber den Leistungsanbietern stärken.
({45})
Mit unserem Antrag zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Mißbrauchs der Leiharbeit verlangen wir, daß der Sumpf der Leiharbeit endlich trockengelegt wird. Dieser Menschenhandel hat mittlerweile kriminelle Formen angenommen. Praktiken wie im Frükapitalismus sind an der Tagesordnung. Wer den Mißbrauch der Leiharbeit und die illegale Beschäftigung beseitigen will, muß endlich für die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen sorgen.
({46})
Die öffentliche Entrüstung über die Mißstände, die Günter Wallraff aufgezeigt hat, darf keine politische Eintagsfliege bleiben.
({47})
- Sie rufen hier gerade dazwischen, ich redete nicht über dieses Land. Ich will Ihnen jetzt einmal vorlesen, was auf der Grundlage Ihrer Gesetze Leihfirmen im Jahre 1986 anbieten - ich zitiere -:
Viele der in den vergangenen fetten Jahren angehäuften Privilegien für Ihre Mitarbeiter werden bei uns ausgeschaltet. Das ebnet Ihnen den Weg, Schritt für Schritt eine Annäherung an unsere Personalhandhabung zu erlangen.
({48})
Die Vorteile einer Zusammenarbeit mit unserem Unternehmen lassen sich in jeder Beziehung rechnen: keine Arbeitskleidung, keine Pausen, keine Reinigung der Arbeitskleidung, keine Kantinenzuschüsse, keine Fahrgeldzuschüsse, keine Kosten für Jubiläen und Hochzeiten, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Urlaubs- und Weihnachtsgelder, keine Altersversicherung, keine Vorruhestandsregelung.
({49})
Das sind die Ergebnisse Ihrer Politik, und darüber amüsieren Sie sich noch. Sie sollten sich schämen, meine Damen und Herren.
({50})
Ihre Haltung zu unseren Initiativen zeigt, was darunter zu verstehen ist, wenn Ihr Generalsekretär von einer Durchsetzungswahl spricht, wenn er von der Bundestagswahl redet. Jeder sollte sich im klaren darüber sein, was da durchgesetzt werden soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Eine Sekunde, Herr Blüm.
Es soll die Abkehr von einem Gesellschaftsmodell durchgesetzt werden, das nach unserer Auffassung
in vielen Bereichen auf einen Ausgleich der Interessen angelegt war, Herr Blüm. Sie treten mit Ihrer Politik dafür ein und haben die Voraussetzungen für das Modell einer gnadenlosen Ellenbogengesellschaft geschaffen.
({0})
Bitte schön.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blüm.
Herr Abgeordneter Dreßler, haben Sie den Arbeitgeber, den Sie gerade schildern, angezeigt, denn er hat in mehreren Punkten gegen das Gesetz verstoßen? Herr Dreßler, was haben Sie als Gewerkschafter gegen diesen Arbeitgeber, den Sie gerade attackiert haben, getan?
({0})
- Ich habe doch das Gesetz gemacht.
Herr Minister oder in dieser Situation besser: Herr Abgeordneter, Ihrer Frage entnehme ich, daß Sie erstens noch nicht einmal wissen oder wissen wollen, daß es auf der Grundlage Ihrer Gesetzgebung solche Zustände gibt, weil Sie die Sensibilitätsschwelle gesenkt haben.
({0})
Ihre Gesetzgebung hat die Sensibilitätsschwelle gesenkt, und das sind die Folgen. Sie verlangen von der Opposition, daß sie Anzeigen macht. Ich sage Ihnen: Wenn das das Ergebnis Ihrer Politik ist, wenn Gesetze gemacht werden, die die Sensibilitätsschwelle senken und dann SPD-Abgeordnete aufgefordert werden, Verstöße beim Gesetzgeber oder bei den Gerichten anzuzeigen, dann ist das eine merkwürdige Arbeitsteilung, Herr Abgeordneter Blüm.
({1})
Zum zweiten. Selbstverständlich haben wir die notwendigen Schritte eingeleitet, um solchen Machenschaften entgegenzutreten. Ich bedaure in diesem Parlament nur, daß Sie, Herr Blüm, und die Mitglieder Ihrer Fraktion sich weigern, solche Zustände überhaupt anzuerkennen. Das ist der Skandal!
({2})
Deshalb sage ich Ihnen zum Schluß: Die Sozialdemokraten wollen nicht, daß wenige ihre Interessen durchboxen. Wir wollen nämlich, daß es eine Zukunft für alle gibt, Herr Blüm.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über Punkt 39 a der Tagesordnung, und zwar zunächst über die hierzu vorliegenden Änderungsanträge.
Wer für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6731 zu stimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6719 zu stimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 10/6704 zum Sozialbericht 1986. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über Zusatzpunkt 11 der Tagesordnung ab, und zwar über die Beschlußempfehlung zu dem Bericht der Bundesregierung über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation auf Drucksache 10/6705. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 39b der Tagesordnung, den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes auf Drucksache 10/3983. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf ist mit Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 39 c der Tagesordnung, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zum Arzneimittelversorgungsrecht auf Drucksache 10/2633. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Punkt 39 d der Tagesordnung, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zum Schutz der Teilzeitbeschäftigten auf Drucksache 10/2559. Der Ausschuß empfiehlt diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe die Art. 1 bis 11, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei19940
Vizepräsident Frau Renger
chen. - Gegenprobe! - Mit der Mehrheit der Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung hier ebenfalls die weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 39e, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Ausweitung der Rechte der Jugendvertretungen und zur Weiterentwicklung in Jugend- und Auszubildendenvertretungen auf Drucksache 10/4520 ({0}). Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 39 h, und zwar über den hieran vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6713.
Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 39 i, den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Mißbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung auf Drucksache 10/6195.
Wer stimmt diesem Antrag zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
({1})
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Einhaltung des SALT II-Abkommens
- Drucksache 10/6627 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6734 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Todenhöfer.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU lehnt den vorliegenden Antrag der SPD ab, weil er wie die gesamte sozialdemokratische Sicherheits-und Abrüstungspolitik nach Helmut Schmidt völlig einseitig gegen die Vereinigten Staaten gerichtet ist und weil er die Kausalität des sowjetischen Verhaltens für die amerikanische SALT II-Entscheidung bewußt außer acht läßt.
({0})
Wir glauben der SPD einfach nicht mehr, daß es ihr mit ihrem Antrag wirklich um SALT II geht. Wenn die Sorge der SPD wirklich dem SALT II-Vertrag gelten würde, dann hätte die SPD in den letzten Jahren doch ständig gegen die SALT II-Verstöße durch die Sowjetunion protestieren müssen.
({1})
Warum haben die SPD und die GRÜNEN nicht protestiert, als die Sowjetunion 90mal durch die Aufstellung von 90 SS-25-Atomraketen gegen den SALT II-Vertrag verstieß? Warum haben die SPD und die GRÜNEN nicht protestiert, als die Sowjetunion anfing, in vertragswidriger Form die Telemetrie-Daten ihrer Raketentests zu verschlüsseln? Wo war der Protest der SPD und der GRÜNEN, als die Sowjetunion ihr Großradar in Krasnojarsk aufstellte und damit eindeutig gegen den ABM-Vertrag verstieß? Hier haben Sie geschwiegen; Sie haben beide Augen fest zugedrückt.
({2})
Das ist das selbe Szenario wie bei der Nachrüstung. Zur SS 20 haben Sie ebenfalls geschwiegen. Ihr lautstarker Protest begann erst, als die Pershing kam. Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht, daß Sie sich mit diesem einseitigen Verhalten de facto zum Verbündeten der sowjetischen Aufrüstungspolitik machen?
Die CDU/CSU bedauert nachdrücklich die Entwicklung, die dazu geführt hat, daß der nicht ratifizierte SALT II-Vertrag an den Vertragsverstößen der Sowjetunion vorläufig gescheitert ist.
({3})
Ebenso nachdrücklich begrüßt die CDU/CSU jedoch die Erklärung des amerikanischen Präsidenten vom 27. Mai, nicht mehr strategische Waffensysteme zu stationieren als die Sowjetunion.
Die SPD und die GRÜNEN aber fragen wir: Warum haben Sie sich nicht der westlichen Allianz angeschlossen, als diese mehrfach an die Sowjetunion appelliert hat, die Begrenzungen von SALT II einzuhalten, um den SALT II-Vertrag zu retten? Warum haben Sie nicht mäßigend auf die sowjetische Führung, Ihren „Sicherheitspartner", eingewirkt, zu dem Sie doch angeblich so gute Beziehungen haben?
({4})
Warum haben Sie zu den ständigen schweren Vertragsverstößen der Sowjetunion immer wieder geschwiegen? Die Antwort liegt leider auf der Hand: Der SPD und den GRÜNEN geht es offenbar gar nicht in erster Linie um SALT II, sondern vor allem um wahltaktische Überlegungen. Die SPD und die GRÜNEN haben in den letzten Wochen und Monaten in der Abrüstungs- und Sicherheitspolitik - und nicht nur dort - eine Strategie entwickelt, die darauf ausgerichtet ist, der staunenden deutschen
Öffentlichkeit möglichst jeden Tag ein neues Katastrophenszenario vorzuführen. Die SPD und die GRÜNEN haben sich zu den Katastrophenstaubsaugern der Nation entwickelt.
({5})
Daß die GRÜNEN sich als Katastrophenstaubsauger wohlfühlen würden, hat niemanden in diesem Hause gewundert. Aber daß sich die Partei Kurt Schumachers und Helmut Schmidts eines Tages an den Krisenmasochismus der GRÜNEN anhängen würde, ist für viele Bürger unseres Landes eine herbe Enttäuschung. Die SPD ist, seit sie Helmut Schmidt ausgegrenzt hat, in atemberaubender Geschwindigkeit zur Partei der außen- und sicherheitspolitischen Unkalkulierbarkeit und Unzuverlässigkeit geworden.
({6})
Seit dem Nürnberger Parteitag gibt es kaum mehr eine Frage, in der sich die Abrüstungspolitik der SPD noch von der der Sowjetunion unterscheidet. Die SPD macht sich damit, um ein Wort des großen alten Sozialdemokraten Karl Mommer aufzugreifen, zum trojanischen Esel der sowjetischen Außenpolitik.
({7})
Meine Damen und Herren, die SPD behindert die Abrüstungspolitik der Bundesregierung auf massive Weise,
({8})
weil sie der Sowjetunion ständig das gefährliche Signal gibt, sie könne deutsche Abrüstung unter einer SPD-geführten Bundesregierung zu niedrigeren Preisen als unter einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung bekommen.
Die Abrüstungspolitik der SPD des Jahres 1986 ist keine Sicherheitspolitik mehr, sondern Unsicherheitspolitik. Wenn diese Unsicherheitspolitik der SPD im Falle einer rot-grünen Mehrheit zur offiziellen Politik unseres Landes würde, wären unser Land und die westliche Allianz nicht mehr verteidigungsfähig. Dies werden wir nicht zulassen!
({9})
Die CDU/CSU wird weiter alles tun, um tiefgreifende und überprüfbare Abrüstung bei unverminderter Sicherheit beider Seiten zu erreichen. Bundeskanzler Kohl hat in den vier Jahren seiner Amtszeit in der Abrüstungspolitik mehr erreicht als die SPD in 13 Jahren. Ich nenne hier nur vier Beispiele: erstens den 1983 erfolgten völkerrechtlichen Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Vertrag über das Verbot aller biologischen und Toxinwaffen; zweitens die Zusage der USA, bis 1992 alle in der Bundesrepublik Deutschland gelagerten chemischen Waffen ersatzlos abzuziehen;
({10})
drittens die Reduzierung der Zahl der Atomgefechtsköpfe in der Bundesrepublik Deutschland auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren;
({11})
viertens die Verabschiedung des KVAE-Schlußdokuments in Stockholm, das in entscheidenden Punkten auf Initiativen der deutschen Bundesregierung zurückgeht.
Meine Damen und Herren, die SPD hat in der Abrüstungspolitik 13 Jahre lang geredet; wir haben gehandelt.
({12})
Sie haben Abrüstungspolitik gemacht nach dem Motto: „viel Worte, wenig Taten - Sozialdemokraten".
({13})
Nach Reykjavik stehen wir erstmals vor der realistischen Chance drastischer Reduzierungen der nuklearen Offensivpotentiale beider Großmächte. Die in Reykjavik von beiden Seiten in Aussicht genommene und weiterhin geplante 50%ige Reduzierung der strategischen Waffen z. B. würde die Frage der Weiterbeachtung der SALT-II-Oberbegrenzung völlig gegenstandslos machen.
({14})
Die CDU/CSU tritt daher mit großem Nachdruck für diese 50 %ige Reduzierung der interkontinentalstrategischen Atomwaffen ein. Das ist mehr Abrüstung, als die SPD in ihrer gesamten Regierungszeit jemals zu fordern gewagt hat. Eine 50%ige Reduzierung der interkontinentalstrategischen Waffen ist echte Abrüstung
({15})
und nicht nur die Festschreibung hoher Obergrenzen, die der Sowjetunion seit dem Abschluß des SALT-II-Vertrages 1979 die Produktion von über 4 000 zusätzlichen Atomgefechtsköpfen ermöglicht haben,
({16})
ohne daß der SALT-II-Vertrag dadurch tangiert wurde.
Wir sind optimistisch, daß das westliche STARTbrüstungskonzept, das drastische Rüstungsreduzierungen vorsieht, mehr Erfolg haben wird als das SALT-Konzept der bloßen Begrenzung von Rüstungszuwächsen. Wir werden weiter darum ringen, daß es im nuklearen, aber auch im konventionellen Bereich zu substantiellen Rüstungsverringerungen und zu einem echten Gleichgewicht kommt mit dem Ziel, den Frieden auf einem erheblich niedrigeren Niveau der Waffen zu stabilisieren.
Wenn wir nicht nur ein nukleares Gleichgewicht, sondern als Europäer auch ein konventionelles Gleichgewicht fordern,
({17})
dann deshalb, weil wir nicht weniger, sondern weil wir mehr Abrüstung wollen als die SPD und die GRÜNEN,
({18})
und weil wir sicherstellen wollen, daß auch in Zukunft nicht nur nukleare Kriege, sondern auch konventionelle Kriege in Europa unführbar bleiben.
Das Schicksal hat den Bürgern unseres Landes über 40 Jahre Frieden in Freiheit geschenkt. Es gibt kein höheres Gut auf dieser Erde. Es ist daher unsere Pflicht, dafür zu kämpfen, daß nicht nur unsere Generation, sondern auch die kommenden Generationen in unserem Lande in Frieden und in Freiheit leben können. Wir akzeptieren - anders als die SPD und die GRÜNEN - keine Experimente mit dem Frieden. Es darf in Europa nie wieder Krieg geben, weder einen nuklearen Krieg noch einen konventionellen Krieg. Dazu stehen wir und dafür kämpfen wir.
Ich danke Ihnen.
({19})
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, erlauben Sie mir einige wenige Dankesworte an unseren Kollegen Hugo Collet, der nach 17 Jahren heute wahrscheinlich das letztemal auf diesem Stuhl als Schriftführer sitzt, nach 21 Jahren Parlamentsarbeit.
({0})
Er hat eine Menge Parlamentsreform gemacht. Ich erinnere nur an die Lose-Blatt-Sammlung. Ich erinner daran, wie er dafür gesorgt hat, daß die Abgeordnetenmitarbeiter eingestellt werden konnten. Er hat dafür sehr gekämpft. Ich darf sagen, er hat wirklich mit Herz und Seele an der Politik und an diesem Parlament gehangen. Ich hoffe, lieber Hugo, du bleibst uns auch in Zukunft gewogen. Alles Gute!
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Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Voigt ({2}).
Frau Präsident! Den Dankesworten an Hugo Collet kann ich mich gerne anschließen. Dankesworten an Herrn Todenhöfer hätte ich mich nicht anschließen können. Es fällt mir immer auf, daß, wenn Sie so emphatisch von Abrüstung reden, Sie wahrscheinlich Aufrüstung meinen.
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Und wenn Sie schon die Anträge der SPD nicht lesen, dann sollten Sie vielleicht einmal die Rede des Senators Biden lesen, der in seiner Kritik an der amerikanischen Administration und ihren Entscheidungen in bezug auf SALT II noch viel heftiger und grundsätzlicher ist als die SPD.
Die SALT-Verträge sind der vertragliche Ausdruck einer Phase, während deren beide Weltmächte sich um sicherheitspolitische Stabilität bemühten. Ohne sicherheitspolitische Stabilität zwischen den beiden Weltmächten wachsen die Kriegsgefahren. Wer diese Verträge antastet, gefährdet nicht nur die sicherheitspolitische Stabilität zwischen den beiden nuklearen Weltmächten, sondern er erschüttert auch den Boden für eine zukünftige friedenspolitische und abrüstungspolitische Zusammenarbeit zwischen Ost und West insgesamt. Eine Bundesregierung und eine Regierungskoalition, die dies dulden, werden friedenspolitisch unglaubwürdig.
Mit dem SALT I-Vertrag und dem SALT-Prozeß insgesamt zogen die USA und die Sowjetunion die richtige Konsequenz aus der Kuba-Krise. Sie sahen damals der Gefahr der wechselseitigen nuklearen Bedrohung und Vernichtung ins Auge und zogen daraus die Folgerung der vertraglichen Zusammenarbeit. So entstand aus der Einsicht in die gemeinsame Gefährdung das Konzept der gemeinsamen Sicherheit, das Ziel der Sicherheitspartnerschaft. Die erste Phase der Entspannungspolitik konnte beginnen.
Eine Bundesregierung, die der Aufkündigung des SALT II-Vertrags nicht widerspricht, kann nicht glaubwürdig für eine neue Phase der Entspannungspolitik eintreten.
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Wer hinter die SALT-Verträge zurückfällt, ist unfähig, neue Seiten der Zusammenarbeit in den OstWest-Beziehungen aufzuschlagen.
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Die Geschichte der Ost-West-Beziehungen vor dem SALT-Vertrag war die Geschichte des kalten Krieges, der Kuba-Krise und der Berlin-Krisen. In diese Zeiten wollen wir nicht zurück. Aber der Kollege Todenhöfer bekannte sich auch heute nicht - jedenfalls nicht ausdrücklich - zum SALT-Vertrag, wenn man genau hinhörte.
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Wer den SALT II-Vertrag nicht verteidigt, gefährdet die Errungenschaften der ersten Phase der Entspannungspolitik. Wer so handelt, handelt gegen die elementarsten Interessen der deutschen Außenpolitik.
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Ich erinnere mich sehr genau: Als Helmut Schmidt den NATO-Doppelbeschluß vereinbarte, hatte er vor - und ließ das auch in dem Beschluß festhalten -, daß, aufbauend auf dem SALT II-Vertrag und dem SALT-Prozeß, im Rahmen eines SALT III-Abkommens das Problem der Mittelstrekkenrüstung einer abrüstungspolitischen Lösung zugeführt werden sollte. Eine Bundesregierung, die zuläßt, daß die vertraglichen Obergrenzen des SALT II-Vertrags durch mehr Rüstung nach oben überschritten werden, muß sich den Vorwurf gefalVoigt ({5})
len lassen, daß ihre Abrüstungsreden nur Aufrüstungshandeln verschleiern sollen.
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Dies gilt für alle Teile der Bundesregierung. Denn auch bei den Liberalen ist es so, daß ihr liberales Reden in Wirklichkeit konservatives Handeln der Bundesregierung insgesamt nur verschleiert und damit vertuscht.
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Bis vor kurzem haben alle Parteien im Bundestag außer den GRÜNEN sich zum SALT II-Vertrag bekannt.
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Noch im Juni dieses Jahres hat die Regierungskoalition einem entsprechenden Antrag zugestimmt. Darin heißt es, daß der SALT II-Vertrag ein Vertrag beiderseitiger Zurückhaltung ist und daß die Vereinbarung neuer Rüstungskontrollabkommen erschwert wird, wenn diese bestehenden Regelungen aufgegeben werden.
Ich frage die Parteien der Regierungskoalition: Gilt das noch? Todenhöfer hat dazu nichts gesagt. Und wenn es gilt: Warum haben Sie heute nicht einen gemeinsamen Antrag vorgelegt, in dem Sie ihre damalige Auffassung wiederholen? Und warum stimmen Sie nicht unserem Antrag zu, in dem genau diese Aufforderung an die beiden Weltmächte gerichtet wird? Wenn Sie zum gemeinsamen Handeln mit uns unfähig sind, warum machen Sie nicht deutlich und bekennen sich offen dazu, daß Ihre außenpolitische Handlungsunfähigkeit mit einer innenpolitischen und wahltaktischen Doppelzüngigkeit gepaart wird, bei der die FDP eine Gruppe des Wählerklientel ansprechen soll, während Todenhöfer und die CDU/CSU eine andere Gruppe des Wählerpotentials ansprechen sollen?
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Ich frage die Bundesregierung, was sie gemacht hat, als bereits im Juni bekannt wurde, daß der 131. Langstreckenbomber der Vereinigten Staaten für die Aufnahme von Marschflugkörpern geplant sei. Was hat sie gemacht, um dem Beschluß des Bundestages Geltung zu verschaffen? Warum hält die Bundesregierung heute mit ihrer Kritik zurück, wenn die USA offensichtlich das Gegenteil von dem tun, was die Bundesregierung, der Bundestag insgesamt noch vor wenigen Monaten gefordert hat? Ist es nicht so, daß wir hier noch am Tage, bevor die Vereinigten Staaten ihren Beschluß öffentlich bekanntgaben, eine Debatte über den Haushalt des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers hatten und die Bundesregierung, den Bundeskanzler und den Bundesaußenminister in dieser Debatte aufforderten, sich für den SALT II-Vertrag einzusetzen, beide aber schwiegen? Haben beide geschwiegen, weil sie nichts wußten, oder haben sie geschwiegen, weil sie alles wußten?
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Oder behaupten Sie immer noch, daß Sie von der Reagan-Administration über alle Entscheidungen vorher konsultiert werden? Wurden Sie vor dieser Entscheidung konsultiert, oder ist es in Wirklichkeit so, daß die Bundesregierung in den USA überhaupt nicht mehr gefragt wird, bevor die USA Entscheidungen treffen? Hat die Bundesregierung jeglichen Einfluß verloren, oder hat sie ihren Einfluß zugunsten des SALT II-Vertrages überhaupt nicht ausgeübt?
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Der Vertreter der Bundesregierung, Manfred Wörner, hat bei der Tagung der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel zur Verletzung des SALTII-Abkommens geschwiegen. Caspar Weinberger, der Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten, hat ausdrücklich gesagt, daß er von Manfred Wörner auf den SALT II-Vertrag nicht angesprochen worden sei.
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Was Manfred Wörner im Anschluß an diese Tagung in Brüssel in einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk zu sagen gehabt hat, beschränkte sich darauf, daß er meinte, es bestehe doch die Möglichkeit zu einer Einigung über eine drastische Reduzierung der nuklearen Offensivwaffen zwischen der Sowjetunion und den USA in der Zukunft - genau wie Herr Todenhöfer heute. Ist es nicht wieder einmal so, daß - genauso wie vor den vergangenen Bundestagswahlen - mit dem Hinweis auf mögliche Abrüstungsschritte nach den Wahlen jetzige Aufrüstungsplanungen verschleiert werden sollen? Ist es nicht wieder einmal so, daß mit dem Hinweis darauf, daß die Welt möglicherweise einmal nuklearwaffenfrei werden könnte, daß möglicherweise eine drastische Reduzierung der Nuklearwaffen vereinbart werden könnte, jetzt eine neue Nachrüstung bei den Kurzstreckenwaffen, bei den Mittelstreckenwaffen vorbereitet wird, nämlich bei denjenigen Mittelstreckenwaffen, die mit dem F-111-Bomber der Vereinigten Staaten gekoppelt sein sollen? Und spricht nicht Caspar Weinberger in einem Interview mit der „Welt" sogar davon, daß jetzt ergänzend zu dem amerikanischen SDI ein europäisches SDI geplant sein soll? Ist es nicht so, daß derjenige, der jetzt ein europäisches SDI plant, in Wirklichkeit voraussetzt, daß es bei den Kurzstreckenwaffen und den Mittelstreckenwaffen überhaupt keine Abrüstung geben wird?
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Denn ein europäisches SDI macht - wenn überhaupt - nur dann eine Logik, wenn diese Kurz19944
Voigt ({14})
und Mittelstreckenwaffen weiter modernisiert und ausgebaut werden.
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War es nicht so, daß die Bundesregierung durch Manfred Wörner in Brüssel - im vollen Bewußtsein, daß SDI die Abrüstungsverhandlungen zwischen der Sowjetunion und den USA gegenwärtig blockiert - das SDI-Konzept unterstützt hat? Ist es nicht so, daß sich die Bundesregierung durch ihre Sprecher, wenn sie gegenüber der Friedensbewegung spricht, zum SDI-Konzept des amerikanischen Präsidenten bekennt mit dem Argument, es sei legitimiert, weil es die nukleare Abschreckung überflüssig machen könnte, und daß die gleiche Bundesregierung es intern immer wieder als Erfolg anpreist, wenn sie die amerikanische Regierung zu einem Bekenntnis zur nuklearen Abschreckung bewegt hat?
Diese Bundesregierung redet doppelzüngig und doppeldeutig: Sie redet gegenüber den Wählern nach Abrüstungsgesichtspunkten, und sie redet gegenüber dem amerikanischen Verbündeten nach Aufrüstungsgesichtspunkten.
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Ihre Kritik, die sie durch Helmut Kohl am amerikanischen Präsidenten und seinem Verhalten in Reykjavik geäußert hat, war j a eine aufrüstungspolitische Kritik. Denn sie hat den amerikanischen Präsidenten in seinem Verhalten in Reykjavik mit dem Verhalten von Chamberlain gegenüber Hitler verglichen. Sie hat ihm Weichheit vorgeworfen. Sie hatte die Sorge, daß nukleare Abrüstung vereinbart werden könnte. Sie war in Wirklichkeit froh, daß SDI als Hinderungsgrund erhalten blieb und nukleare Abrüstung verunmöglicht hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat in den letzten Monaten mit einer Abrüstungsrhetorik Abrüstungsfurcht verschleiert.
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Man muß von einer Kette von abrüstungspolitischen Vorbehalten der Bundesregierung sprechen. Sie hatte Angst vor der Null-Lösung. Sie hatte Angst vor der C-waffen-freien Zone in Mitteleuropa. Sie hatte Angst vor einem atomwaffenfreien Korridor. Nun hat sie auch Angst vor einer Verständigung über eine Null-Null-Lösung oder einen völligen Verzicht auf die strategischen Offensivwaffen.
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In Wirklichkeit wäre eine Einigung in Reykjavik der erste Schritt zu einer völligen nuklearen Abrüstung gewesen. Die Bundesregierung hat dieser Einigung Knüppel zwischen die Beine geworfen.
Wir haben die Bundesregierung gedrängt, in der Abrüstungspolitik kompromißbereiter zu sein und alle Möglichkeiten auszuloten. Die Bundesregierung hat sich nicht auf diese Chancen zur Gemeinsamkeit berufen. Sie nutzt gegenwärtig auch nicht die Chance, daß SPD und Regierungskoalition gemeinsam für eine Einhaltung der Obergrenzen beim SALT II-Vertrag eintreten können.
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Als sich die sowjetische Führung vor einigen Wochen dafür aussprach, daß eine neue Seite in den deutsch-sowjetischen Beziehungen aufgeschlagen würde, als die Regierungszeitung „Iswestija" lange Passagen einer Rede von Helmut Kohl veröffentlichte, um deutlich zu machen, daß sie trotz des Wahlkampfes an einer Verbesserung der deutschsowjetischen Beziehungen interessiert war, haben wir der Sowjetunion nicht Einmischung in den Wahlkampf zugunsten der CDU vorgeworfen, weil uns die Verbesserung unserer Beziehungen mit unseren osteuropäischen Nachbarn wichtiger als kurzfristige wahltaktische Vorteile ist. Was Sie aber machen, ist, um kurzfristiger wahltaktischer Vorteile willen, um den rechten Rand einzusammeln, unsere Beziehungen zu unseren osteuropäischen Nachbarn aufs Spiel zu setzen.
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Das ist das eigentlich Problematische und Besorgniserregende an dem gegenwärtigen Zustand der Bundesregierung.
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Wenn Sie den Mut aufbringen würden, auch gegenüber dem amerikanischen Präsidenten unser Interesse an der Einhaltung des SALT II-Vertrages deutlich zu machen, dann würden wir Sie nicht als antiamerikanisch diffamieren. Wir geben Ihnen durch unsere Unterstützung für den SALT II-Vertrag die Möglichkeit für außenpolitisches Handeln. Sie nutzen diese Möglichkeit nicht. Traurig und beschämend ist Ihre außenpolitische Untätigkeit, Ihre außenpolitische Handlungsunfähigkeit und Ihr abrüstungspolitisches Nichtstun. Sie haben den Frieden mit immer weniger Waffen versprochen. Ihr Handeln aber wird zunehmend von aufrüstungspolitischem Bestreben bestimmt.
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Diese Bundesregierung ist zu einem Hindernis für Abrüstungspolitik geworden. Sie versucht, diesen Zustand - genau wie vor den vergangenen Wahlen, als sie von Zwischenlösungen sprach, die unmittelbar nach den Wahlen kommen sollten - jetzt zu verschleiern. Sie versucht, mit zweierlei Zungen in Richtung auf zweierlei Wählergruppen zu reden. Diese Doppelzüngigkeit müssen wir in den kommenden Wochen entlarven und aufklären.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Voigt, nachdem offensichtlich die Horrorbilder in der WirtschaftsSchäfer ({0})
politik nicht mehr ziehen, beginnen Sie heute, ein neues Kapitel in Richtung Wahlkampf aufzuschlagen, indem Sie nunmehr Horrorvisionen im Hinblick auf die Absichten der Bundesregierung zur Abrüstung darstellen. Das wird nicht verfangen, fürchte ich. Insofern sollten Sie den Versuch gar nicht weiter fortsetzen.
Wenn Sie uns vorwerfen - auch das ein Wort zu Ihnen -, wir seien nicht immer konsultiert worden, muß ich Ihnen sagen: Wären wir vor dem Iran-Waffengeschäft des amerikanischen Präsidenten konsultiert worden, hätten Sie, könnte ich mir vorstellen, heute die Einsetzung eines zweiten Untersuchungsausschusses beantragt. Das wollten wir vermeiden. Seien Sie gelegentlich froh, daß wir nicht immer konsultiert worden sind!
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Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den vorliegenden Antrag der SPD ab, weil er polemisch formuliert ist und dadurch der Sache nicht dient; weil er unsachliche Kritik an der Bundesregierung enthält, z. B. die Aufforderung, man müsse entschiedener als bisher auf die amerikanische Regierung einwirken; weil kein Wort über eine zukunftsweisende Politik darin steht, nämlich die bloße Rüstungskontrollmaßnahme SALT durch echte Abrüstung - etwa die in Reykjavik in Aussicht genommene und von Herrn Voigt beschworene 50 %ige Reduzierung der Nuklearwaffen - gegenstandslos zu machen.
Es gibt keinen Zweifel an der Bundesregierung, auch wenn er von Ihnen immer wieder ausgesprochen wird. Wir haben die amerikanische Regierung immer wieder gedrängt, trotz offenkundiger sowjetischer Verstöße gegen SALT II - Herr Todenhöfer hat davon gesprochen - bis zur Erreichung solcher abrüstungspolitischen Ziele, wie sie ja von uns gewollt werden, an diesem SALT II-Vertrag festzuhalten; übrigens in Übereinstimmung mit unseren wichtigsten Partnern im Westen, in der NATO, aber auch in Übereinstimmung mit dem amerikanischen Kongreß. Ich selbst habe nach einem Gespräch mit mehreren amerikanischen Senatoren, das wir, Herr Voigt, gemeinsam in Frankreich vor einiger Zeit geführt haben, auf deren Bitte hin noch im November die Bundesregierung aufgefordert, noch einmal alles zu tun, um eine offizielle und damit einseitige Aufkündigung dieses Abkommens durch Präsident Reagan aufzuhalten. Meines Wissens hat die Bundesregierung dieser Bitte im Gegensatz zu dem, was Sie unterstellen, entsprochen.
Wer die Ausführungen des amerikanischen Präsidenten vom 27. Mai dieses Jahres gründlich gelesen hat, muß wissen, daß Reagan darin zwar die Sowjetunion aufgefordert hat, bis zum Herbst dieses Jahres konstruktive Schritte zu unternehmen, um die bestehende Situation der Verletzung des Vertrages zu ändern - was zu einer neuen Überlegung der amerikanischen Seite führen würde -, daß der Präsident in derselben Erklärung SALT II aber auch ein - ich zitiere - „zutiefst fehlerhaftes Abkommen" genannt hat, weil es nach seiner Ansicht eine bedeutende Aufrüstung statt einer Waffenreduzierung kodifiziert habe. Überdies sei es niemals ratifiziert worden und de facto am 31. Dezember 1985 erloschen. Statt dessen sprach sich Präsident Reagan für eine 50 %ige Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen und für ein Interimsabkommen für die nuklearen Mittelstreckenwaffen aus.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß der Deutsche Bundestag in einer Resolution vom 5. Juni dieses Jahres nachdrücklich für eine Weiterbeachtung der SALT II-Begrenzungen eingetreten ist, und zwar auf beiden Seiten, und das amerikanische Repräsentantenhaus ebenfalls im Juni dieses Jahres mit der Mehrheit von 256 zu 145 Stimmen eine entsprechende Resolution angenommen hat. Für die Haltung des Präsidenten gegenüber dieser Entscheidung des Repräsentantenhauses ist die anschließende Erklärung seines Sprechers Larry Speakes bezeichnend, der sagte, der Präsident habe seine Entscheidung getroffen, das Haus könne tun, was es wolle. Daß der Präsident die Resolution des Deutschen Bundestages freundlicher beurteilt hätte, wage ich danach zu bezweifeln.
Aber es mögen gute Gründe für die Entscheidung des US-Präsidenten sprechen, der ausdrücklich weitergehenden Abrüstungsmaßnahmen den Vorzug vor der Einhaltung einer bloßen Rüstungsbegrenzungsmaßnahme wie SALT II gegeben hat und auf solche Vereinbarungen drängt. Der Präsident hat auch die Notwendigkeit der Modernisierung seines luftgestützten Abschreckungspotentials glaubhaft begründet mit einer inzwischen erfolgten sowjetischen Modernisierung durch die Aufstellung der SS 25, die nach seiner Auffassung SALT II entscheidend verletzt hat.
Es ist jedoch eine fragwürdige Methode - insofern sind Ihre Vorwürfe völlig unbegründet, Herr Voigt; wir bleiben bei unserer Auffassung -, einerseits SALT II aufzukündigen und neue Waffen zu installieren, andererseits der völligen Abschaffung aller atomaren Waffen in Reykjavik das Wort zu reden. Die psychologische Wirkung auf die NATOBündnispartner, aber auch auf den amerikanischen Kongreß scheinen den Präsidenten dabei nicht interessiert zu haben. Die Glaubwürdigkeit des amerikanischen Präsidenten hat, so fürchte ich, natürlich durch diese Maßnahme gelitten. Ich sage das sehr bewußt im Hinblick auf das enorm negative Echo dieser Maßnahme in der westlichen Presse, in der japanischen, auch in der amerikanischen Presse und die Stellungnahme aller unserer Verbündeten.
„Bedauerlich". Der holländische Außenminister van der Broek hat „politisch unglücklich" gesagt. Der Sprecher der britischen Regierung und - ich darf daran erinnern - auch die Bundesregierung haben deutlich gemacht, daß es weiterhin ihre Ansicht ist - deuteln wir bitte nicht daran herum! -, daß die SALT-Vereinbarung weiterhin von beiden Seiten beachtet werden sollte. Der frühere amerikanische Verteidigungsminister Mc Namara hat vor einigen Wochen einmal gesagt - ich halte das für ein recht interessantes Zitat -, eine SALT-Aufkündigung als Antwort auf sowjetische Verstöße wäre so, als wollte man den Anstieg der Kriminalität mit der Abschaf19946
Schäfer ({0})
fung der Strafgesetze beantworten. Nach seiner Auffassung wäre es richtig gewesen - ich teile seine Meinung -, die vorhandenen diplomatischen Kanäle uneingeschränkt zu nutzen, um Streitigkeiten und Auseinandersetzungen mit Moskau zu regeln.
Meine Damen und Herren, der Kommentator von „Le Monde" hat in diesen Tagen die mehr und mehr um sich greifende Meinung über die derzeitige amerikanische Regierung mit den Worten zusammengefaßt: Durch die Iran-Affäre - jetzt im Hinblick auf die Rüstung - fällt es einem immer schwerer, die Logik der amerikanischen Politik noch zu begreifen. Wir bedauern diese Entwicklung.
Meine Damen und Herren, auch der Antrag von Ihnen, der Antrag der SPD, würde, selbst wenn er angenommen würde, nichts an dieser Gegebenheit ändern. Wir lehnen ihn ab, weil unserer Entschließung vom 5. Juni 1986, zu der die FDP auch heute noch steht, nichts hinzuzufügen ist. Ich zitiere:
Die Vereinbarung neuer Rüstungskontrollabkommen wird erschwert, wenn bestehende Regelungen aufgegeben werden.
Das ist nach wie vor unsere Auffassung. Alle Versuche, das jetzt ins Zwielicht zu ziehen, werden scheitern. Im übrigen, Herr Kollege Voigt, werden der neue amerikanische Kongreß mit dem neuen amerikanischen Senat, der anders zusammengesetzt ist, durch Begrenzung des Budgets die Möglichkeit haben, die Rückgängigmachung dieser Entscheidung herbeizuführen.
Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß es guttut, bis zu den Abkommen, die wir alle wünschen, die bestehenden Verträge einzuhalten. Hat man Beschwernisse mit seinem Partner, dann setze man sich mit ihm zusammen und bemühe sich darum, diese Beschwèrnisse auszuräumen; aber man kündige nicht einseitig, weil es psychologisch von schlechter Wirkung ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie an diesen Ausführungen irgend etwas zu kritisieren haben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lange.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, haben Sie zunächst einmal vielen Dank für dieses idyllische Bild einer Wertegemeinschaft, in der man sich gemeinsam an einen Tisch setzt und Lösungsvorschläge erarbeitet. Unser Problem ist nur, daß wir dieses Bild nicht teilen. Sie haben hier eine Wunschvorstellung geliefert; insofern haben Sie an der Sache vorbeigeredet, weil Sie einfach die Abläufe dessen, was hier wirklich passiert, nicht zur Kenntnis genommen haben oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Nun noch ein Wort zu Ihnen, verehrter Herr Kollege Voigt. Ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen, hier zu sagen, die GRÜNEN seien die einzige Partei, die sich gegen SALT II gewendet hat. Wir sehen allerdings ein Problem in Verträgen, wie es bei der Formulierung von SALT II geschehen ist, daß nämlich gewisse Verträge erst Aufrüstungsmechanismen in Gang setzen. Das war der Fall. Dennoch haben wir inzwischen natürlich erkannt, daß SALT II im Laufe der vergangenen Jahre durchaus sehr sinnvolle Handlungen nach sich gezogen hat.
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Insofern stehen wir dem sehr, sehr differenziert gegenüber.
Aber ich möchte zu dem kommen, was im Grunde genommen heute hier die wichtigste Position gewesen ist. Es war die von Herrn Todenhöfer. Ich behaupte, daß Herr Todenhöfer hier den doch verunglückten Versuch gemacht hat, die Kausalität des Endes von substantiellen Abrüstungsschritten umzudrehen und sozusagen die Opfer zu Tätern und die Täter zu Opfern zu machen. Er hat uns vorgeworfen - über die SPD möchte ich hier nicht reden; sie hat sich da selbst zu verteidigen -, wir hätten uns nicht gegen die Vertragsverletzungen der Sowjetunion gewandt. In diesem Zusammenhang hat er die SS 25, Krasnojarsk und die Verschlüsselung der Telemetriedaten genannt. Auf welchem Niveau das ist und wie ernst das zu nehmen ist, was Herr Todenhöfer sagt, möchte ich gern anhand einer sachlichen Feststellung hier nachweisen.
Im SALT II-Vertrag steht wörtlich, und zwar in Art. 15 Abs. 3, in der zweiten Absprache:
Jeder Vertragspartei steht es frei, im Verlauf der Erprobung verschiedene Methoden der Übertragung telemetrischer Informationen einschließlich ihrer Verschlüsselung zu verwenden.
Herr Todenhöfer wirft der Opposition vor, daß sie sich nicht gegen die Auffassung der Sowjetunion gewandt hat, die im Moment glaubt, Telemetriedaten verschlüsseln zu müssen. Das ist kein Grund, dagegen zu protestieren, wenn es hier Interpretationsspielräume gibt. Das können Sie der Opposition nicht vorwerfen. Ich bitte Sie, doch nicht eine so billige Wahlpropaganda zu betreiben, in der Hoffnung und in der Gewißheit, daß sich die Bevölkerung draußen in den sachlichen Einzelheiten nicht auskennt. So kann man das natürlich nicht machen.
Meine Damen und Herren, die Bewertung von SALT II muß doch ganz anders lauten. Es geht nicht darum - das ist auch ein Fehler im SPD-Antrag -, daß dieser SALT II-Vertrag im materiellen Bereich irgendeine Bedeutung hat. Im Gegenteil: Er hat Aufrüstungsschübe bewirkt. Seine Bedeutung liegt vielmehr im psychologischen Bereich. Der SALT IIVertrag war eine Instanz - ich spreche: war -, vor der sich die Supermächte rechtfertigen mußten, wenn sie an Gefährdungen oder Verletzungen erinnert wurden. Das heißt, das Interesse an Abrüstung und an Rüstungskontrolle konnte hier nachgewiesen, Versprechungen konnten hier eingeklagt werden. Insofern ist es ein Unterschied, ob ein nicht ratifiziertes Abkommen verletzt wird und dann darüber diskutiert wird oder ob es von einer Seite einLange
seitig aufgekündigt wird. Das ist das Problem, über das wir heute zu sprechen haben. Daran sollten wir uns auch in der Debatte hier erinnern.
Ich möchte an die CDU wirklich die Bitte richten, doch offen und ehrlich zu sein und sich endlich der ehrlichen Argumentation der Amerikaner hier in der bundesdeutschen Öffentlichkeit anzuschließen und zu sagen, daß man an der Abrüstung im Moment kein Interesse hat und daß man alle Hebel in Bewegung setzt, um irgendwelche Barrieren, die Aufrüstungsschritten im Wege stehen, zu beseitigen. Es würde ein Stück mehr politische Kultur in diesem Lande bedeuten.
Zum Ende noch ein Wort an Sie, Herr Genscher, als Leiter der Abteilung Dialog, Entspannung und Zusammenhang in der Bundesregierung. Ich formuliere hier im Sinne des Harmel-Berichts. Es gibt auch noch die andere Abteilung Verteidigungsfähigkeit oder Aufrüstung mit anderen Direktoren, die da heißen: Dregger, Strauß, Wörner, Todenhöfer. Wenn ich mir das in einem Bild vorstelle, dann muß ich sagen: Die Innenausstattung des zuletzt genannten Büros wird immer komfortabler, und Ihr Büro, Dialog und Entspannung, wird immer mehr zur Rumpelkammer. Mir tut das leid, weil ich die Bemühungen von Ihnen um Dialog und Entspannungsbereitschaft durchaus würdige. Aber ich muß Sie am Ende dieses Jahres und am Ende dieser Legislaturperiode fragen: Wie ist eigentlich Ihre Bilanz?
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Wo ist Ihr Einfluß geblieben? Was ist für Sie im Bereich von konkreten Abrüstungsschritten festzustellen? Werden Sie in Washington, in Moskau und anderswo als Außenminister überhaupt ernstgenommen?
Eine andere Frage habe ich an Sie noch zum Schluß. Ich anerkenne Ihre Rhetorik, die Sie bisher an den Tag gelegt haben. Sie als Anhänger des Dialogs haben in der Tat offensichtlich Irritationen - in unserem Sinne positiv - in diese Bundesregierung hineingetragen. Nur frage ich mich: Wie kann es dann sein, welchen Dialog meinen Sie, wenn ein wichtiger Mann von Ihnen, Ihr Leiter im Planungsstab im Auswärtigen Amt, der Herr Seitz, an Sie 1982 geschrieben hat - dieser Mann ist meines Wissens noch nicht entlassen worden -, man solle sich im Umgang mit den USA folgender Erklärungsmuster bedienen? Hier darf ich ihn zitieren. Er schrieb an Sie:
Auf mehr Verständnis - in den USA, meint er dürften wir treffen, wenn wir die gegenwärtige Kernaufgabe der Verteidigungs- und Ostpolitik darin sehen, den Frieden in einer Situation zu erhalten, in der die Sowjetunion als längerfristige Perspektive den unaufhaltbaren Abstieg vor sich sieht.
Es geht darum, to manage the decline of the Soviet
Empire. Auf deutsch: Es geht darum, den Niedergang des sowjetischen Imperiums zu managen.
Wenn das der Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt so an Sie formuliert, dann frage ich mich: Was ist Ihre Politik in der Realität, und was ist Ihre Rhetorik? Ich denke, daß man in Zeiten, wo Wahlkampf getrieben wird - Wahlkampf heißt auch Aufklärung -, diesen Hintergrund einmal in aller Öffentlichkeit diskutieren sollte. Ich denke, in diesem Licht ist das Bemühen der Bundesregierung insgesamt von allen sie tragenden Parteien zu sehen.
Ich behaupte nach wie vor, daß konkrete Abrüstungsschritte im Sinne einseitiger Abrüstung, im Sinne einer Blockauflösungsstrategie und im Sinne von Dialog und Entspannung der bessere Weg sind als irgendwelche Taktierereien und subtile Formen, die Bevölkerung zu täuschen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition hat die Chance nicht genutzt, vor einer wichtigen Tagung der NATO-Außenminister einen Beitrag zur gemeinsamen Politik des Bündnisses zu leisten. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, unmittelbar vor dieser Tagung die SALT IIProblematik im Zusammenhang zwischen West und Ost zu lösender Abrüstungsprobleme zu behandeln.
Die Bundesregierung tritt unverändert für eine Weiterbeachtung der SALT-Vereinbarungen durch beide Vertragspartner ein.
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SALT II bietet einen kooperativen Rahmen für eine Politik der beiderseitigen Zurückhaltung, auch wenn der Vertrag, wäre er ratifiziert worden, schon Ende 1985 ausgelaufen wäre. Alle Verbündeten der USA haben bei der NATO-Außenministerkonferenz in Halifax im Frühjahr dieses Jahres diese Auffassung vertreten.
Die Bundesregierung hält sich dabei an die Entscheidung des Deutschen Bundestages vom 5. Juni 1986, in der es heißt:
Der Deutsche Bundestag tritt für eine Weiterbeachtung der SALT II-Begrenzungen als Rahmen für eine Politik der beiderseitigen Zurückhaltung ein. Die Vereinbarung neuer Rüstungskontrollabkommen wird erschwert, wenn bestehende Regelungen aufgegeben werden.
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Der Deutsche Bundestag hofft, daß auch die Sowjetunion durch ihr Verhalten die Voraussetzungen dafür schafft, daß dieser kooperative Rahmen erhalten bleiben kann.
Dieser Haltung des Deutschen Bundestages fühlt sich die Bundesregierung unverändert verpflichtet.
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Die SALT-Vereinbarungen haben dem ungehemmten Wachstum strategischer Potentiale entgegengewirkt und eine wichtige Ausgangsbasis für weiterreichende Reduzierungsverhandlungen gebildet. Die in diesen Vereinbarungen entwickelten Instrumente zur Zusammenarbeit und Konsultation zwischen den USA und der Sowjetunion dienen der Vertrauensbildung im strategischen Bereich. Meine Unterhaltungen mit dem amerikanischen Außenminister in England und die morgen beginnende NATO-Außenministerkonferenz in Brüssel boten und bieten die Möglichkeit, unsere Haltung zu SALT II darzulegen.
Ich darf im übrigen, meine Kollegen von der SPD und von den GRÜNEN, daran erinnern, daß Präsident Reagan schon am 27. Mai dieses Jahres erklärt hat, die USA würden weiterhin an einer Politik der Zurückhaltung festhalten und auf keinen Fall die Zahl der sowjetischen strategischen Systeme und der sowjetischen Sprengköpfe auf ballistischen Raketen überschreiten.
Wir treten auch dafür ein, daß bestehende Zweifel an der Einhaltung von SALT II durch die Sowjetunion ausgeräumt werden und die strikte Einhaltung von Rüstungskontrollabkommen durch alle Beteiligten sichergestellt wird. Die Sowjetunion hat die Verantwortung, durch ihr Verhalten zur Beseitigung von Unklarheiten über die Einhaltung von Rüstungskontrollvereinbarungen beizutragen. In diesem Zusammenhang geht die sowjetische Erklärung vom 8. Dezember, die Bestimmungen des SALT II-Vertrages vorläufig einhalten zu wollen, in die richtige Richtung, wenn sich das sowjetische Verhalten tatsächlich daran orientiert.
Festzuhalten, meine Damen und Herren, ist aber auch, daß SALT II für uns nie ein Endpunkt der Rüstungskontrolle war. Bei allen Konsultationen, die es in dieser Frage unter den Bündnispartnern gegeben hat, waren wir uns immer darüber einig, daß unser übergeordnetes gemeinsames Ziel drastische Reduzierungen der strategischen Offensivpotentiale beider Großmächte sein muß und bleiben muß.
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Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Vereinbarungen zwischen den beiden Großmächten, ihre strategischen Nuklearpotentiale entscheidend zu reduzieren, die Frage der Weiterbeachtung der SALT-Obergrenzen gegenstandslos werden lassen. Jetzt kommt es darauf an, in erfolgsorientierten Verhandlungen in Genf auf den in Reykjavik erreichten Annäherungen aufzubauen und sich auf das Naheliegende und Machbare zu konzentrieren, nämlich auf weitreichende Reduzierungen der strategischen Offensivwaffen und auf ein Mittelstrekken-Abkommen.
Die Bundesregierung begrüßt, daß die Begegnung in Reykjavik die Aussichten auf drastische Reduzierungen im Bereich strategischer Offensivwaffen verbessert hat. Beide Seiten bekennen sich zum Ziel einer 50 %igen Reduzierung ihrer Potentiale innerhalb von fünf Jahren. Sie haben sich schon auf einen konkreten Rahmen für den Abbau von Abschußvorrichtungen und Sprengköpfen geeinigt.
Meine Damen und Herren, ich frage mich, wo es vor dem Hintergrund dieser Annäherung gerechtfertigt sein kann, daß die Opposition davon spricht, daß sich in Sachen Abrüstung in den letzten vier Jahren nichts getan habe?
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Auch in den noch offenen Fragen, z. B. in der Verifikation, haben sich die Standpunkte angenähert. - Herr Kollege Stobbe, soll ich Ihnen noch mal vortragen, daß wir uns in der Tat mit den Vereinigten Staaten verständigen konnten, daß Anfang der 90er Jahre die chemischen Waffen hier beseitigt werden? Ist das nichts,
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nachdem wir lange Zeit auf eine gemeinsame Festlegung eines solchen Datums gewartet haben? Und ist es nichts, daß wir als Westen durch die Entscheidung von Montebello einseitig eine große Zahl taktischer Atomsprengköpfe von deutschem Territorium beseitigt haben? Das war ein Schritt zur Entnuklearisierung, den wir lange angestrebt haben und jetzt durchsetzen konnten.
Die europäische Abrüstungskonferenz ist doch ein beachtlicher Fortschritt im Bereich der Rüstungskontrolle. Seien wir doch ehrlich: Vor einem Jahr haben wir alle gezweifelt, ob wir in Stockholm tatsächlich zu einem Ergebnis kommen würden. Daß es erreicht worden ist, ist das Resultat einer geschlossenen, festen und konstruktiven Haltung des westlichen Bündnisses, das seine Entsprechung in einer offenen Position der Sowjetunion gefunden hat, die in der Frage der Verifikation in der Tat eine neue Position eingenommen hat.
Meine Damen und Herren, Verständigung muß auch erreicht werden über weitere Abrüstungsschritte nach diesen fünf Jahren. Die Bundesregierung erkennt an, daß es zwischen strategischen Offensiv- und Defensivwaffen einen natürlichen wechselseitigen Zusammenhang gibt. Wir sind der Auffassung, daß drastische Reduzierungen der Offensivwaffen Einfluß auf Umfang und Notwendigkeit erforderlicher Defensivsysteme haben müssen. Bei der Weltraumthematik müssen daher alle Anstrengungen unternommen werden, um einvernehmliche, kooperative, die Sicherheitsinteressen beider Seiten berücksichtigende Lösungen zu finden.
Dabei kommt der strikten Anwendung des ABMVertrages und einer restriktiven Auslegung eine entscheidende Bedeutung zu. Waffentechnologische Entwicklungen dürfen keine ungesteuerte Eigendynamik entfalten. Sie müssen vielmehr politisch beherrschbar bleiben und in kooperative Lösungen einmünden.
Für uns Europäer steht der Abschluß eines Abkommens zur Beseitigung der sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckensysteme im VorderBundesminister Genscher
grund. Auf dem Wege zur weltweiten Eliminierung dieser Kategorie von Nuklearwaffen wollen wir die Chancen nutzen, die sich für den Abbau der Bedrohung Europas durch Mittelstreckenwaffen eröffnet haben. Die Bundesregierung unterstützt deshalb die in Reykjavik erreichte Einigung, die amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenflugkörper größerer Reichweite in Europa völlig zu beseitigen und ihre Dislozierung in Asien bzw. in den USA auf 100 Gefechtsköpfe zu begrenzen.
Meine Damen und Herren, es entspricht der Logik sicherheitspolitischer Stabilität, daß die Mittelstreckensysteme kürzerer Reichweite in Folgeverhandlungen einbezogen werden, um das Entstehen neuer Grauzonen zu verhindern. Deshalb halten wir es für unverzichtbar, die Verhandlungen darüber nach Abschluß eines INF-Abkommens unverzüglich fortzuführen. Deshalb muß auch in ein solches INFAbkommen eine solche konkrete Weiterverhandlungsverpflichtung aufgenommen werden. Nur, meine Damen und Herren von der SPD, war es nicht so, daß Sie bereit waren, sich mit mehr als 300 sowjetischen Mittelstreckensprengköpfen zufriedenzugeben und abzufinden, wenn wir auf die Nachrüstung verzichtet hätten? Jetzt ist es tatsächlich im Gespräch, und es ist diese Annäherung in Reykjavik erzielt, nämlich eine gänzliche Beseitigung der sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckenraketen für Europa.
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Das ist ein erheblicher Fortschritt, den Sie nicht voraussehbar, nicht für erreichbar hielten. Wir halten ihn für erreichbar, wir werden an dieser Position weiter festhalten.
({7})
Meine Damen und Herren, dieses schrittweise Vorgehen, wie ich es dargestellt habe, folgt dem NATO-Doppelbeschluß, der vorsieht, die Rüstungskontrollbemühungen zunächst auf die besonders bedrohliche Waffenkategorie der landgestützten Mittelstreckenraketen größerer Reichweite zu konzentrieren.
Die Chancen, die nunmehr im Bereich der nuklearen Abrüstung bestehen, erfordern verstärkte Anstrengungen, ein stabiles Kräftegleichgewicht bei den konventionellen Streitkräften herzustellen. Es besteht kein Zweifel: In Europa ist das konventionelle Kräfteverhältnis unausgewogen, zu unseren Lasten.
Ziel künftiger Verhandlungen im konventionellen Bereich muß es sein, auf beiden Seiten einen Zustand herzustellen, bei dem die Streitkräfte allein am Erfordernis der Verteidigung ausgerichtet sind. Das Ziel der Kriegsverhinderung, der Verhinderung sowohl eines atomaren wie eines konventionellen Krieges, ist und muß auch für uns unverrückbar bleiben.
Fortschritte in der nuklearen Rüstungskontrolle geben auch den Verhandlungen über ein weltweites Verbot chemischer Waffen eine noch größere Bedeutung. Auch hier müssen wir alles dafür tun, daß die noch offenen Fragen geregelt werden, damit endlich die Menschheit, und, meine Kollegen von der SPD: die ganze Menschheit und nicht nur Europa, von der Geißel dieser furchtbaren Waffen befreit werden kann.
({8})
Sowohl in den bilateralen als auch in den multilateralen Rüstungskontrollforen ist die Bundesregierung an baldigen substantiellen Ergebnissen interessiert. Solche Ergebnisse verbreitern die Basis zu weitreichender Zusammenarbeit, die dem friedlichen Zusammenleben der Völker dient. Ergebnisse sind möglich, wenn sich alle Beteiligten von der Einsicht leiten lassen, daß ausgewogene Rüstungskontrollabkommen ein Zugewinn auch an Sicherheit für alle bedeuten. Die Bundesregierung wird in diesem Sinne ihre Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik konsequent fortsetzen.
({9})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6734. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6627 ab. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Männle, Frau Verhülsdonk, Frau Augustin, Frau Berger ({0}), Frau Dempwolf, Frau Fischer, Frau Krone-Appuhn, Frau Dr. Neumeister, Frau Pack, Frau Rönsch ({1}), Frau Roitzsch ({2}), Frau Will-Feld, Frau Dr. Wisniewski und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Cronenberg ({3}), Frau Dr. Segall, Eimer ({4}), Kohn, Dr. Hirsch, Baum, Beckmann, Frau Seiler-Albring, Dr. Haussmann, Neuhausen, Dr.-Ing. Laermann, Wolfgramm ({5}) und der Fraktion der FDP
Situation der Frauen in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 10/5817, 10/6340 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Innenausschuß ({6})
Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Vizepräsident Frau Renger
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung zur Finanzierung von Frauenhäusern
- Drucksache 10/2527 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({7})
- Drucksache 10/4688 -
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Männle
bb) Bericht des Haushaltsausschusses
({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/4717 Berichterstatter:
Abgeordnete Rossmanith Waltemathe
Dr. Müller ({9})
({10})
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({11}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Frage, ob bundesgesetzliche Grundlagen zur Finanzierung von Frauenhäusern geschaffen werden können
- Drucksachen 10/291, 10/4688 -
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Männle
d) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Blunck, Bachmaier, Catenhusen, Frau Dr. Czempiel, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Diederich ({12}), Egert, Frau Fuchs ({13}), Frau Fuchs ({14}), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer ({15}), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller ({16}), Frau Odendahl, Peter ({17}), Frau Renger, Frau Schmidt ({18}), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz
- Drucksache 10/156 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({19})
- Drucksache 10/4945 Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Verhülsdonk
({20})
e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Dann, Frau Zeitler, Frau Hönes und der
Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Benachteiligung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen ({21})
- Drucksache 10/6137 -
f) Beratung der Großen Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN
Auswirkungen der neuen Informations- und
Kommunikationstechnologien auf die Lebens- und Arbeitswelt von Frauen ({22})
- Drucksachen 10/4025, 10/4026, 10/6129 -
g) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Einsetzung einer Kommission „Mehr Frauen in den Deutschen Bundestag"
- Drucksache 10/5190 -
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Zeitler, Frau Dann und der Fraktion DIE GRÜNEN
Frauen und Erwerbstätigkeit
- Drucksache 10/4444 -
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Frau Fuchs ({23}), Jaunich, Kuhlwein, Lutz, Schäfer ({24}), Bachmaier, Frau Blunck, Catenhusen, Dr. Diederich ({25}), Egert, Frau Fuchs ({26}), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer ({27}), Dr. Kübler, Frau Dr. Lepsius, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller ({28}), Frau Odendahl, Peter ({29}), Frau Renger, Frau Schmedt ({30}), Frau Schmidt ({31}), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Wolfram ({32}), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Rücknahme der Eingriffe in Chancen und Rechte von Frauen
- Drucksache 10/3894 -
j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({33}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag
- Drucksachen 8/4156, 10/358 Nr. 58, 10/4985 -
Berichterstatter: Abgeordneter Pohlmann
Vizepräsident Frau Renger
k) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag über gleiches Entgelt für Männer und Frauen ({34})
- Drucksache 10/6501 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({35})
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({36})
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
zur Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Fuchs ({37}), Roth, Frau Renger, Frau Blunck, Frau Dr. Czempiel, Frau Fuchs ({38}), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Frau Luuk, Frau Dr. MartinyGlotz, Frau Matthäus-Maier, Frau Odendahl, Frau Schmedt ({39}), Frau Schmidt ({40}), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Frau Zutt, Bachmaier, Catenhusen, Dr. Diederich ({41}), Dreßler, Egert, Glombig, Ibrügger, Immer ({42}), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lutz, Dr. Mitzscherling, Peter ({43}), Rohde ({44}), Dr. Soell, Stiegler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Frauenarbeitslosigkeit
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Fuchs ({45}), Roth, Lutz, Frau Schmidt ({46}), Egert, Frau Steinhauer, Dr. Jens, Bachmaier, Frau Blunck, Catenhusen, Frau Dr. Czempiel, Dr. Diederich ({47}), Dreßler, Frau Fuchs ({48}), Gilges, Glombig, Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer ({49}), Jung ({50}), Frau Luuk, Dr. Kübler, Kuhlwein, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller ({51}), Frau Odendahl, Peter ({52}), Frau Schmedt ({53}), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Dr. Steger, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
zur Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Fuchs ({54}), Roth, Frau Renger, Frau Blunck, Frau Dr. Czempiel, Frau Fuchs ({55}), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Frau Luuk, Frau Dr. MartinyGlotz, Frau Matthäus-Maier, Frau Odendahl, Frau Schmedt ({56}), Frau Schmidt ({57}), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Frau Zutt, Bachmaier, Catenhusen, Dr. Diederich ({58}), Dreßler, Egert, Glombig, Ibrügger, Immer ({59}), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lutz, Dr. Mitzscherling, Peter ({60}), Rohde ({61}), Dr. Soell, Stiegler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Frauenarbeitslosigkeit
- Drucksachen 10/1236, 10/1283, 10/6602 -
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Steinhauer
m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({62})
zu dem Bericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 5. Mai 1977
- Drucksache 8/305 - Drucksachen 8/4461, 9/124, 10/358 Nr. 79, 10/5623 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Schmidt ({63})
n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Weltfrauenkonferenz in Nairobi
- Drucksache 10/3888 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({64})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
o) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften , an den Rat für einen Entwurf einer Entschließung betreffend ein mittelfristiges Programm der Gemeinschaft ({65}) zur Chancengleichheit der Frauen
- Drucksache 10/5627 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({66})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Hierzu liegen Entschließungsanträge sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/6715, 10/6716 und 10/6725 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunktes 41 90 Minuten vorgesehen. Gibt es da Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
({67})
- Aber die Qualität wird es ausmachen, nehme ich an. - 90 Minuten sind akzeptiert.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Männle.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, die Frauen sind das A und O, wie Sie es eben gerade vorgelesen haben. Sehr geehrte Damen und Herren! Heute früh wurde einiges zur Parlamentsreform gesagt. Die Frauen der CDU/CSUFraktion, die weiblichen Abgeordneten und die Regierungsmitglieder, wollen in dieser Debatte die Forderung umsetzen und beschränken sich deshalb in ihren Redebeiträgen auf fünf Minuten. Aus acht Einzelaspekten wird sich am Ende das Konzept unserer Frauenpolitik ergeben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Große Anfrage zur Situation der Frauen in der Bundesrepublik, ausgearbeitet von der Frauengruppe der CDU/CSU-Fraktion, sollte den Ist-Stand der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau beschreiben und die Perspektiven, die Vorstellungen und Pläne der Bundesregierung zum Abbau noch vorhandener Defizite aufzeigen.
Mit der Antwort der Bundesregierung, aufbauend auf einem umfangreichen Datenmaterial, wird aufgezeigt, welche Fortschritte wir auf dem Gebiet der Frauenpolitik erreicht haben. Vergleicht man die Antwort mit den Forderungen der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft", dem Bericht, den wir heute nach drei Legislaturperioden zum Abschluß bringen, dann sieht man deutlich, welche Fortschritte wir erreicht haben. Benachteiligungen, insbesondere der Mütter, wurden abgebaut. Neue arbeitsmarktpolitische Möglichkeiten wurden gesetzlich geschaffen. Insbesondere wurde das öffentliche Bewußtsein sogar weltweit - auf der Weltfrauenkonferenz in Nairobi - für Belange der Frauen geschärft.
Haben wir heute nicht eine erhöhte Sensibilität auch in so heiklen Fragen wie Gewalt gegen Frauen? Hat sich nicht der Sprachgebrauch deutlich verändert? Diskutieren nicht die Medien, aber auch Verbände und die Parteien Strategien zur Verstärkung des Frauenanteils im öffentlichen Leben?
Viel ist geschehen, aber einiges bleibt sicher noch zu tun. Auch das Bewußtsein der Frauen selbst hat sich im Laufe der Diskussion entscheidend geändert. Sie wollen nicht mehr Adressat von Politik sein; sie wollen selbst mitgestalten.
Aber über das Wie gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen. Einige fordern starre gesetzliche Regelungen. Das vorliegende Antidiskriminierungsgesetz der GRÜNEN, in dem eine Frauenbürokratie aufgebaut werden soll, ist ein typisches Beispiel dafür. Quotierung ist das alles überlagernde Schlagwort. Starre Quoten haben einen künstlichen, willkürlichen und oft auch zwanghaften Charakter, und Sonderstellungen der Frauen qua ihres Geschlechts, auch wenn sie durch vergangene Ungleichbehandlung begründbar erscheinen, könnten die Legitimität geschlechtsspezifischer Maßstäbe verfestigen und könnten meines Erachtens zum Bumerang für Frauen werden.
Wir, die Unionsfrauen, wollen die Defizite hinsichtlich der Frauenbeteiligung aufspüren und zur Beseitigung dieser Defizite den Frauen dann eine gewisse Bevorzugung einräumen, wenn das Reklamieren und Einfordern von Rechten nachhaltig ungehört bleibt. Weiblichkeit allein kann aber kein Qualifikationsmerkmal sein. Wir wollten doch geschlechtsspezifische Auswahlkriterien überwinden. Nun sollen sie plötzlich auf uns selbst angewandt werden.
Stand in der frauenpolitischen Diskussion der 50er, der 60er und der 70er Jahre die Vorstellung im Mittelpunkt, daß Frauen dann ihre Gleichberechtigung erreicht haben, wenn sie den Männern gleich sind, wenn sie sich dem Lebens- und Arbeitsstil von Männern angepaßt haben - eine Position, die vornehmlich von der SPD vertreten wurde und die wir nie geteilt haben -, so spielt heute das Prinzip Weiblichkeit eine ganz entscheidende Rolle in einer nicht leisen Teilöffentlichkeit. Weiblichkeit wird zur neuen moralischen Instanz erhoben. Die Frau wird quasi zur Retterin für eine verfahrene gesellschaftliche Situation.
Ich denke, daß wir mit einer solchen Anschauung die Probleme der Frauen in unserer Gesellschaft überfrachten. Wir überfordern die Frauen. Wir überhöhen ihre Position und schließen, was für uns Unionsfrauen wichtiger ist, die Männer aus der Gestaltung und Verantwortung aus. Dies wollen wir nicht. Die Lösung all dieser Fragen ist eine gemeinsame Aufgabe von Mann und Frau. Wir haben in unserem Programm Wege für eine neue Partnerschaft gewiesen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hönes.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Daß eine Frauendebatte zu nicht weniger als 13 Anträgen bzw. Vorlagen auf ganze 90 Minuten angesetzt ist,
({0})
- noch schlimmer - besagt vielleicht mehr über den Stellenwert, der der Situation von Frauen in der Politik beigemessen wird, als alle statistischen Daten dies vermögen.
({1})
Das Antidiskriminierungsgesetz der GRÜNEN ist eine umfassende und überfällige Antwort auf die Tatsache, daß Frauen die Mehrheit der Bevölkerung sind, eine Mehrheit, die trotz des Benachteiligungsverbotes des Grundgesetzes nach wie vor in allen gesellschaftlichen Bereichen gegenüber Männern diskriminiert wird und die von wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen so gut wie ausgeschlossen ist.
Seit 1970 liegt die Erwerbslosenquote von Frauen im Jahresdurchschnitt über der der Männer. Im ersten Halbjahr 1986 waren laut Bundesanstalt für Arbeit 10,6 % Frauen gegenüber 8,8 % Männern erwerbslos. Diejenigen Frauen, die einen Arbeitsplatz haben, müssen sich immer noch weit billiger verkaufen als ihre männlichen Kollegen. So verdienen vollzeitbeschäftigte Arbeiterinnen in der Industrie im Durchschnitt 41,2% weniger, weibliche AngeFrau Hönes
stellte in Industrie und Handel 35,4 % weniger als ihre männlichen Kollegen.
Für die jüngste Frauengeneration droht das berufliche Aus gleich vor der Berufsausbildung: 1984 waren zwei Drittel aller nichtvermittelten Ausbildungsplatzsuchenden Mädchen. Von den 1 232 Mädchen, die sich am Modellversuch „Mädchen in Männerberufen" beteiligten, ging anschließend jedes zweite leer aus.
Fortgesetzte Diskriminierung von Frauen bei der Berufsausbildung, in der Erwerbsarbeit und bei Beförderungen sowie die alleinige Zuständigkeit für Haus- und Erziehungsarbeit zum berühmten Gotteslohn haben die Armut von Frauen in unserer reichen Bundesrepublik in den letzten Jahren weiter verschärft. So hatten 1981 knapp zwei Drittel aller Frauen ab 15 Jahre kein ihre eigene Existenz sicherndes Einkommen über 800 DM. Teilzeitarbeit und Ausfälle durch unbezahlte Erziehungsarbeit führen zu Rentensätzen für Frauen, die weit unter den Sozialhilfesätzen liegen. Im Klartext heißt das: Frauen leisten zwei Drittel der gesamtgesellschaftlichen Arbeit, werden aber nur für ein Drittel bezahlt.
Diese krasse Benachteiligung von Frauen basiert auf jahrhundertealten gesellschaftlichen Strukturen, geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und Rollenzuweisung, die keineswegs der derzeitigen Bundesregierung anzulasten sind. Verdienst der jetzigen Bundesregierung ist vielmehr, daß sie seit der Wende zielstrebig dafür gesorgt hat, daß sich an der Unterdrückung von Frauen auch ja nichts ändert.
({2})
Mit der Legalisierung kapazitätsorientierter Arbeitszeiten, des Jobsharings, der Heimarbeit und mit der Ausweitung der befristeten Arbeitsverträge ist es Ihnen im Rahmen des Beschäftigungsförderungsgesetzes gelungen, vielen Frauen die Perspektive auf eine partnerunabhängige Existenzsicherung durch ein sozial abgesichertes Arbeitsverhältnis nachhaltig zu verbauen. Gut ein Jahr nach Inkrafttreten dieses Gesetzes steht bereits fest, daß hauptsächlich Arbeitnehmerinnen vom Abschluß befristeter Arbeitsverträge betroffen sind. Welches Ziel verfolgt denn das Erziehungsgeld, das nur denjenigen Frauen winkt, die ihre abgesicherte Arbeit ohne Arbeitsplatzgarantie aufgeben? Das kann nur den Zweck verfolgen, die Frauen aus der geschützten Erwerbsarbeit zu verdrängen, ohne ganz auf ihre geschätzte Zuarbeit zu verzichten, aber bitte schön unterhalb der Versicherungspflichtigkeit.
Meine Damen und Herren, aus der dramatischen Situation der Mädchen und Frauen auf dem Ausbildungs- und Erwerbsarbeitsmarkt kann es nur eine wirksame Konsequenz geben: Wir brauchen keine koketten Appelle an Arbeitgeber, wir brauchen aber auch keine unverbindlichen Richtlinien oder gar unverschämte Durchhalteparolen an die individuelle Durchsetzungsfähigkeit der Frauen. Wir fordern mit unserem Antidiskriminierungsgesetz die 50%ige Quotierung aller Ausbildungs- und Erwerbsarbeitsplätze, aller Ämter und Funktionen für Frauen, weil sie uns zustehen, meine Damen und Herren, und weil dies historisch längst überfällig ist.
({3})
Wie dieses Ziel Zug um Zug zu verwirklichen ist, haben wir in unserem Quotierungsgesetz sehr genau ausformuliert. Arbeitgeber, die weiterhin bei Einstellungen und Beförderungen Frauen diskriminieren, müssen anders als bisher in Zukunft mit empfindlichen Sanktionen zu rechnen haben. In den Genuß von öffentlichen Mitteln dürfen sie nur dann kommen, wenn sie Pläne vorlegen und auch umsetzen, die die tägliche Arbeitszeit an die Bedürfnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Kindern anpassen. Frauen sind bei Einstellungen und Beförderungen sowie bei inner- und außerbetrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen so lange zu bevorzugen, bis sie bei allen Stellen und Laufbahnen, in allen Lohn- und Gehaltsstufen und auch in allen Leitungsfunktionen, meine Damen und Herren, zu mindestens 50 v. H. vertreten sind. 50% Anwältinnen, Ingenieurinnen, Politikerinnen und Abteilungsleiterinnen wird es natürlich nur geben können, wenn endlich auch die unentgeltlichen Arbeitsleistungen im Haushalt und in der Kindererziehung gleichermaßen auf Frauen und Männer verteilt werden. Deshalb haben wir in der Generalklausel unseres Gesetzentwurfs Arbeitgeber und öffentliche Träger dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Gesellschaft und Familie aufzuheben. Allem voran ist hier natürlich die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit Voraussetzung für eine Umverteilung der Familienarbeit.
({4})
So gravierend die materielle und berufliche Diskriminierung von Frauen heute ist, sie ist bei weitern nicht der einzige Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Geringschätzung. Das wohl düsterste Kapitel in der Realität von Mädchen und Frauen ist das der sexuellen Belästigung, die physische, psychische und sexuelle Gewalt gegen Frauen. Die läßt sich zwar nicht durch Gesetze aus der Welt schaffen. Körperliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen wird es so lange geben, wie sie von Männern als potentielle Lustobjekte betrachtet werden, als der selbstverständlichen Verfügungsgewalt von Männern unterworfene Objekte ohne eigenes sexuelles Selbstbestimmungsrecht.
({5})
Mit unserem Antidiskriminierungsgesetz kann und muß beendet werden, daß sich für eine Vielzahl vergewaltigter Frauen an das Trauma der Vergewaltigung das Trauma des Vergewaltigungsprozesses anschließt. Es muß endlich mit einer Prozeßpraxis Schluß sein, in der das Opfer durch demütigende Fragen vielfach auch noch zu Täterin verkehrt wird.
({6})
Wir haben deshalb in unserem Antidiskriminierungsgesetz die sexuelle Selbstbestimmung der Frau zum schützenswerten Rechtsgut erhoben, das ebenso durch Ehemänner und Freunde, ebenso
19954 Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Frau Hönes
durch orale und anale Penetration wie durch die vaginale verletzt werden kann und somit auch bestraft werden muß.
Zur notwendigen und überfälligen Beseitigung frauenfeindlicher Paragraphen - es gibt deren so viele, daß ich sie hier nicht alle aufzählen kann - gehört selbstverständlich auch die ersatzlose Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch.
({7})
Dieser Paragraph hat in seiner gut hundertjährigen Geschichte nachweislich nie sein vorgebliches Ziel erfüllt, ungeborenes Leben zu schützen, er hat noch nie, egal, in welcher Schärfe er formuliert war, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche gesenkt, sondern nur dazu geführt, wohlhabende Frauen ins Ausland, arme dagegen in die Illegalität und die Hände von Kurpfuschern zu treiben.
Im übrigen wurde in allen Variationen des § 218 immer säuberlich unterschieden, welches ungeborene Leben denn überhaupt schützenswert ist. Waren im Nationalsozialismus nichtarische und erbkranke Feten vom Abbruchverbot ausdrücklich ausgenommen, so gewährt der Staat auch heute im Rahmen der eugenischen Indikation eine großzügige Frist von 22 Wochen. Das heißt: Behinderte Embryonen werden offenbar für nicht schützenswert gehalten.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
({0})
- Die haben Sie leider schon verbraucht. Es tut mir furchtbar leid. Sie wissen, daß Sie an sich nur acht Minuten haben. Ich bitte also, zum Schluß zu kommen.
Während sich die Unions-Frauen mit ihrer Ablehnung von Quoten auch weiterhin bei jeder Listen- und Gremienwahl in ihrer eigenen Partei blamieren werden, ziehen die GRÜNEN erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik mit mehr als 60 % weiblicher Abgeordneter in den nächsten Bundestag. Sie, meine Herren auf der Regierungsbank, und auch Sie, Frau Süssmuth, haben zwar derzeit noch die Macht, Ihre frauenfeindliche Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Familienpolitik fortzuführen, aber diskutiert wird in der Republik längst über anderes.
({0})
Ich komme zum Schluß. War Quotierung vor zwei Jahren noch ein Fremdwort - ich sage es, auch wenn Sie es nicht hören mögen -, so gibt es heute schon die ersten Gewerkschaftsbeschlüsse zur Quotierung aller Ausbildungsplätze.
({1})
Es machen immer mehr Frauen in der Bundesrepublik ernst mit der Forderung nach der Hälfte der bezahlten Arbeit und der gesellschaftlichen Macht, aber höchstens der Hälfte von Heim und Herd, und
wir haben mit unserem Antidiskriminierungsgesetz gezeigt, wie dies zu verwirklichen ist. Daran werden auch Sie über kurz oder lang nicht vorbeikommen, meine Damen und Herren.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Pack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ziel, die Gleichberechtigung von Frauen in allen Lebensbereichen durchzusetzen, sind wir nach dem Versagen sozialistischer Frauenpolitik unter der alten Männerherrlichkeit von Helmut Schmidt in den ersten vier Jahren unserer Regierungsverantwortung ein gutes Stück nähergekommen.
({0})
In der beruflichen Bildung, auf die ich mich hier beziehen möchte, ist für Frauen viel getan worden.
Erstens. Der Zuwachs an Ausbildungsstellen ist in den letzten Jahren zu 75,4 % Mädchen zugute gekommen. Das heißt: Von der Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation haben vor allem Mädchen profitiert.
Zweitens. Der Konzentration von Frauen auf einige wenige Berufe mußte durch zusätzliche Angebote an informationstechnischer Bildung begegnet werden, damit Frauen überhaupt die Möglichkeit erhalten, in Männerdomänen vorzustoßen. So belegen die von uns durchgeführten Modellversuche, daß z. B. für junge Frauen eine gewerblich-technische Ausbildung sehr wohl möglich ist. 86 % der Frauen, die in diesen Modellversuchen eine Ausbildung begonnen hatten, haben nicht nur an Gesellenprüfungen teilgenommen, sondern über 98 % haben diese Prüfung auch bestanden.
Drittens. Wir haben ebenso verschiedenste Modellversuche durchgeführt, die die unterschiedlichen Bedingungen der beruflichen Wiedereingliederung von Frauen ermitteln und uns ein Instrumentarium an die Hand geben, wie wir die berufliche Wiedereingliederung gezielt fördern können.
Viertens. Der Frauenanteil ist in einzelnen Ausbildungsbereichen zwischen 1980 und 1984 deutlich gestiegen, so im Handwerk von 22,4 % auf 24,7 %, in der Landwirtschaft von 25,1 % auf 31 % und im öffentlichen Dienst leider nur von 42,2 % auf 43,7 %. Leider aber ist das Nachfrageverhalten junger Frauen hinsichtlich der Breite des Berufsspektrums immer noch unbefriedigend. In 15 von Frauen am stärksten frequentierten Berufen werden ca. 70 % aller jungen Frauen ausgebildet.
Fünftens. Um so erfreulicher ist, daß das Interesse junger Frauen an gewerblich-technischen Berufen ebenfalls zugenommen hat. 1984 wurden 7,7 % aller weiblichen Auszubildenden in diesem Bereich ausgebildet. 1977 waren es noch 2,5 %. Weibliche Auszubildende gibt es mittlerweile auch in den Berufen Feinblechner und Fahrzeugpolsterer. In der Berufssparte der Schriftsetzer und Druckvorlagenhersteller stieg der Frauenanteil von 15 % auf 50 %.
Sechstens. Wesentliches Ziel unserer Politik ist,
daß Frauen zunehmend neue qualifizierte Tätigkeitsfelder in Berufen der Informations- und Kommunikationstechnik eröffnet werden. So fördern wir Fernlehrgänge, die die Frauen auf diese zukunftsorientierten Tätigkeiten vorbereiten. Dazu zählen vor allem die Ausbildung zur Software-Assistentin, zur Kommunikationsássistentin und zur Computer-Integrated-Manufacturing-Assistentin.
Siebtens. Wichtig war, daß im Anschluß an eine Ausbildung, z. B. zunehmend im gewerblich-technischen Bereich, eine qualifizierte Beschäftigung nicht durch arbeitsrechtliche Schutzvorschriften blockiert wird. Hier haben wir eine ganze Reihe von Beschäftigungsverboten und -beschränkungen aufgehoben.
Achtens. Die von uns beschlossenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wirken sich besonders positiv für Frauen aus. So ist der Anteil der Frauen bei Neueintritten in berufliche Weiterbildungsmaßnahmen von 84 805 im Jahre 1982 auf 137 000 im Jahre 1985 angestiegen. Die Gesamtzahl der eintretenden Frauen hat sich im gleichen Zeitraum um 61,5%
erhöht. Der Anteil der Frauen in Fortbildungsmaßnahmen hat sich verdoppelt, d. h. 1982 waren es rund 66 000, und jetzt sind es 112 000.
Diese von mir genannten Entwicklungen sind Resultat der Politik dieser Bundesregierung für junge Frauen. Unsere Politik hat Erfolge gezeitigt. Da wir den technischen Fortschritt, eingebettet in die Zielsetzung der humanen Ausgestaltung unserer Gesellschaft, bejahen,
({1})
liegt mir sehr viel daran, daß wir in der nächsten Legislaturperiode verstärkter noch als bisher Frauen für zukunftsorientierte, qualifizierte Berufe ausbilden werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, Zukunftsverweigerer wie Sie sind für eine zukunftsorientierte Frauenpolitik Gift.
({2})
Sie blockieren die Zukunft, wir gestalten die Zukunft, auch und gerade für Frauen. Am 25. Januar heißt die Alternative: Zukunftsverweigerung oder Zukunftsgestaltung.
Ich bedanke mich.
({3})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tatsache allein, daß heute über 16 Vorlagen zu debattieren ist, denke ich, macht deutlich, daß in der Frauenpolitik ein wichtiger Akzent gesetzt worden ist, und zwar von allen, die Vorlagen eingereicht haben: sowohl die Bundesregierung als auch die Koalitionsfraktionen und die Oppositionsfraktionen SPD und GRÜNE. Allein die Tatsache, daß hier ein starkes Frauenaufgebot von allen Fraktionen des
Hauses aufgebracht wird, dokumentiert, daß die Fraktionen selber entschlossen sind, auch in der Zukunft richtige Akzente zu setzen.
Allerdings finde ich es ein bißchen bedauerlich, daß hier nur Frauen reden. Denn ich denke, das, was wir hier bereden, geht nicht nur uns an. Ich möchte vermeiden, daß in irgendwelchen Fraktionen der Eindruck entstünde, bei der Durchsetzung dessen, worum es uns, wie ich glaube, gemeinsam geht, nämlich mehr Chancengleichheit für Frauen, seien Männer nicht beteiligt.
({0})
Ich habe mir deshalb überlegt, ob ich meine Redezeit nicht mit einem Kollegen teilen sollte. Denn es ist ja bekannt, daß in der FDP für die Frauenpolitik im Ausschuß nach wie vor Norbert Eimer zuständig ist. Aber Norbert Eimer hat mir gesagt, ich sollte das heute einmal allein machen. Er hat also abgewinkt, denn - so sagt er - es gibt ein paar Dinge, die hier zu sagen sind, weil sich die Frauenpolitik der FDP ein bißchen von dem unterscheidet, was vor allem SPD und GRÜNE machen, und die wahrscheinlich besser zu sagen sind, wenn ich das hier tue. Außerdem hat er gesagt, er habe volles Vertrauen, daß das Defizit an Chancengleicheit für Frauen so dargestellt wird, daß es nicht gegen die Männer, sondern nur mit den Männern abgebaut werden kann. Das, denke ich, ist auch eine wichtige Unterscheidung zu vielem von dem, was wir in dem Beitrag von Frau Hönes heute gehört haben.
({1})
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage von CDU/CSU und FDP über die Situation von Frauen und Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland zeigt ja sehr deutlich, insbesondere im Bereich der Bildung, was sich in den letzten 15 bis 20 Jahren in der Bundesrepublik verändert hat. Ich denke, es kann gar nicht hoch genug gewertet werden, daß noch nie so viele Mädchen wie heute eine abgeschlossene Schulbildung und eine abgeschlossene Ausbildung in der Bundesrepublik hatten.
({2})
- Also, wissen Sie, ich kann mich nicht erinnern, daß die Sozialdemokraten jemals alleine die Verantwortung in der Bundesrepublik Deutschland getragen hätten.
({3})
- Ach Gott, Ingrid, von mir hast du immer gehört, daß ich zu allem stehe, was damals in der sozialliberalen Koalition gemeinsam gemacht worden ist.
({4})
Ich wollte außerdem gerade ansetzen und Frau Huber, die nach mir ja noch sprechen wird, sagen: Wir haben, so denke ich, in diesem Bereich gut zusammengearbeitet, und ich bin ganz sicher, daß vieles von dem, was damals angelegt worden ist, jetzt auch sehr gut weitergeführt wird. Ich komme darauf an einer anderen Stelle wieder zu sprechen.
Gleichberechtigungspolitik ist in der Tat keine Aufgabe, die an einem Tag erledigt werden kann.
Meine Damen und Herren, zurück zur Bildung: Es ist wirklich nachdrücklich zu begrüßen, daß sich der Bildungsgrad der Frauen und Mädchen erheblich erhöht hat. Es hat noch nie so viele Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen gegeben wie heute. Ich höre mit großem Bedauern, daß die Einschreibequoten von Mädchen an den Universitäten zurückgehen.
({5})
- Ich weiß nicht, mit wieviel Mädchen Sie gesprochen haben. Ich kenne eine ganze Menge, denen eine falsche Bescheidenheit eingeredet worden ist, und zwar nach dem Motto, es gebe weniger Chancen für Mädchen, und dies nicht wegen BAföG, sondern weil der Arbeitsmarkt problematisch sei. Dies ist falsch. Das zeigt die Statistik ganz eindeutig. Es kommt auf den Grad der Qualifikation an, vor allen Dingen bei der Einstellung nach einer vernünftigen Ausbildung. Es gilt also wirklich, der falschen Bescheidenheit entgegenzuwirken, denn Bildung ist Daseinsvorsorge, sowohl für Männer wie für Frauen.
Zur Lohndiskriminierung, die Sie, Frau Hönes, angesprochen haben: Zweifellos ist noch festzustellen, daß es in Bereichen Ungleichbehandlung bei der Entlohnung von Frauen gibt. Aber hier haben die Tarifvertragspartner ihre Aufgabe. Sie haben sie nach meiner Auffassung unzureichend wahrgenommen. Das richtet sich auch an die Adresse der Gewerkschaften, die bisher nicht ausreichend dafür gesorgt haben, daß auch tatsächlich eine gleiche Bewertung der Belastungen an Arbeitsplätzen durchgeführt wird.
({6})
Hier gilt es also wirklich, einen Appell an die Tarifvertragsparteien zu richten, den Appell, umzudenken und auch damit Ernst zu machen, was DGBGewerkschaften ja immer zu tun vorgeben, nämlich eine Politik für Frauen zu machen.
({7})
Die Frage des ungleichen Lohnniveaus wird sich aber mit Sicherheit in den nächsten Jahren neu stellen, und allein die Tatsache, daß mehr Frauen höhere Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse haben, wird zu Änderungen führen. Daß heute das Lohnniveau der Frauen durchschnittlich noch so sehr viel niedriger liegt, ist natürlich auch darauf zurückzuführen, daß im Moment bei den arbeitenden Frauen der Ausbildungsstand im Durchschnitt schlechter ist als bei den Männern.
Wenn wir uns die Entwicklung des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren vor Augen führen, müssen wir sehen, daß Frauen am Zuwachs der Arbeitsplätze überproportional teilgenommen haben. Ich denke, daß das schon auf das Beschäftigungsförderungsgesetz zurückzuführen ist, das von Ihnen hier eben angegriffen worden ist. Das Beschäftigungsförderungsgesetz hat zweifellos dazu geführt, daß mehr Teilzeitarbeitsplätze angeboten worden sind, und hat zweifellos dazu geführt, daß mehr Jobsharing angeboten worden ist und daß auch mehr befristete Arbeitsverträge abgeschlossen worden sind. Wir haben keinen genauen Überblick darüber, wie hoch der Anteil befristeter Arbeitsverträge tatsächlich ist. Es gibt dazu bisher von der Bundesanstalt für Arbeit noch keine konkreten Zahlen, aber ich denke, es steht völlig außer Frage, daß der Anteil der befristeten Arbeitsverträge in die Höhe gegangen ist.
({8})
- Frau Huber, auf Ihre Reaktion habe ich gewartet! Ich sage nicht „leider", denn es ist völlig klar, daß von den Frauen, die heute einen befristeten Arbeitsvertrag haben, viele noch immer auf der Schwelle zum Arbeitsmarkt stünden und keine Arbeit hätten, wenn sie nicht eine befristete Arbeit bekommen hätten.
({9})
Ich möchte dazu einen, wie ich glaube, völlig unverdächtigen Kronzeugen zitieren.
({10})
In einer Umfrage der IG Textil und in einer Umfrage der IG Metall haben die befragten Betriebsräte zu Protokoll gegeben, daß sie damit rechnen, daß mindestens 60 bis 70% der befristeten Arbeitsverträge, die nach dem 1. Mai 1985 abgeschlossen worden sind, in Dauerarbeitsverhältnisse übergeführt werden, und das bedeuet doch nichts anderes, als daß sich unsere Erwartungen ganz genau erfüllt haben. Die befristeten Arbeitsverträge sind die Brücke in den Arbeitsmarkt für Frauen, die sonst keine Chance auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätten. Deshalb sagen wir: Wir stehen dazu; die Politik ist vernünftig gewesen. Die besten Kronzeugen sind tatsächlich diese beiden DGB-Gewerkschaften.
({11})
Wir haben in der nächsten Legislaturperiode sicherlich in einem Punkt noch eine Menge zu tun, nämlich die Bedingungen für Frauen für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu verbessern. Wir wissen, daß sich die Lebenspläne von Frauen ändern. Wir wissen, daß sich viel mehr Frauen als früher wünschen, Erwerbsarbeit und Familienarbeit miteinander in Einklang zu bringen, insgesamt mehr als 70%. Aber wir wissen eben auch, daß etwa 50% der Frauen zumindest für die Zeit, in der die Kinder klein sind, zu Hause bleiben möchten. Wir müssen also, um auch die Wünsche dieser Frauen ernst zu nehmen, bessere Bedingungen für den Wiedereinstieg schaffen.
Wir - CDU/CSU und FDP - haben in dieser Legislaturperiode gemeinsam einen ganz wichtigen Einstieg geschafft. Wir haben mit der 7. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes ein paar Strukturen in die Förderung der Bundesanstalt für Arbeit eingebaut, die es Frauen erleichtern, die Ausbildung
nach der Familienphase in Angriff zu nehmen und damit ihren Wiedereinstieg vorzubereiten.
Ich denke, das ist ein wichtiger Punkt gewesen, aber er kann nicht der einzige sein. Was wir brauchen, sind für diesen Zweck besonders konzipierte Wiedereinstiegsausbildungen; denn es ist völlig klar, daß Frauen nur dann eine Chance haben, mit Jüngeren, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben, zu konkurrieren, wenn sie den gleichen Wissensstand, den gleichen Erfahrungsstand aufweisen. Darum müssen wir uns in der nächsten Legislaturperiode kümmern.
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, wo nach meiner Auffassung der Gesetzgeber gefordert ist. Das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz ist ja einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof unterzogen worden. Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, daß es nicht gegen EG-Recht verstößt, wenn die deutschen Gerichte bei der Entschädigungsregelung für abgewiesene Frauen großzügig verfahren, d. h. den Spielraum des Gesetzes voll ausschöpfen. Das haben die Gerichte am Anfang auch getan. Wenn Frauen unter Verstoß gegen das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes nicht eingestellt worden sind, haben einige Gerichte - sehr wenige - auf eine Entschädigung von mehreren Monatsgehältern erkannt. Die Gerichte gehen allerdings mehr und mehr dazu über, nur Kostenersatz zuzugestehen. Das halte ich für völlig unzureichend. Ich denke auch, daß das letztlich dem EG-Recht widerspricht, und meine, daß hier der Gesetzgeber gefordert sei.
({12})
- Das ist, Frau Lepsius, nicht immer so gewesen. Es hat am Anfang ein paar Arbeitsgerichtsverfahren gegeben, die tatsächlich zunächst mit sechs Monatsgehältern, dann mit fünf Monatsgehältern geendet haben.
Zu den Sozialdemokratinnen und ihren Anträgen, die hier vorliegen. Sie beziehen sich im wesentlichen auf die berufstätige Frau. Das scheint mir auch logisch zu sein; denn die berufstätige Frau steht nach wie vor im Mittelpunkt der Überlegungen der SPD. Die SPD wird da immer wieder von ihrer eigenen Ideologie eingeholt, die sich ja schlicht von Bebel und seiner Sicht des Frauenproblems ableiten läßt. Die SPD zielt darauf ab, in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen, daß eine Frau wirtschaftlich unabhängig sein muß. Das ist zweifellos, wenn sie das will, ein wichtiges Ziel. Aber ich denke, daß dadurch, auch im öffentlichen Ansehen alle die diskriminiert werden, die einen anderen Lebensweg für sich wählen, nämlich den, wenn sie sich entweder ausschließlich oder zumindest für einen Teil ihres Lebens um die Familie, um die Kindererziehung kümmern. Wir wollen nicht, daß hier dieser Teil der Gesellschaft aus unseren Überlegungen ausgeschlossen wird, so wie Sie es in Ihren Anträgen weitgehend tun.
({13})
Die GRÜNEN haben ein Antidiskriminierungsgesetz vorgelegt. Das mag ja gerade für jemanden, der aus der FDP kommt und nach wie vor daran hängt, ein Antidiskriminierungsgesetz zu schaffen, auf den ersten Blick verlockend aussehen.
({14})
- In der Tat, wenn man anfängt, dieses Gesetz zu lesen, und eine Generalklausel nach der anderen findet, dann kommen einem sehr schnell die Verfassungsbedenken.
Im Hauptteil des Gesetzes vermögen wir Ihnen allerdings nun wirklich nicht zu folgen. Quotierungen von 50 % überall im Leben, wie Sie sie vorsehen, halten wir für viel zu schematisch. Das halten wir für einen Irrweg. Denn letztlich wird es dazu führen, wiederum Frauen bestimmte Denkschemata vorzugeben, nach denen sie sich entscheiden sollen.
({15})
Das aber wollen wir nicht.
({16})
Wissen Sie: Ich kann gut damit leben, daß nicht 50% der Kraftfahrzeugmechanikerlehrlinge Mädchen sind. Ich möchte, daß es leichter wird, daß Mädchen auch in Männerberufen Eingang finden. Das ist der Grund, weshalb wir nach wie vor das Modellprogramm „Mädchen in Männerberufe" haben.
({17})
Wir werden nach dem Auslaufen selbstverständlich überlegen, was wir weiter tun können, um diesen Weg zu fördern, damit es leichter möglich wird, daß sich Mädchen eben nicht mehr nur für traditionelle Berufe entscheiden, sondern Wege gehen, die bisher nicht üblich waren. Aber bitte nicht so schematisch wie die Quotierung! Das wird sich als ein Irrweg erweisen.
({18})
Das wird sich als ein Irrweg auch überall dort erweisen, wo es um Aufstiegsförderung geht. Denn es gilt nach wie vor, daß Quotierung letztlich dazu führt, daß Leistung eben nicht mehr gewertet wird, sondern nur noch die Tatsache, Frau zu sein. Leider Gottes wird die Tatsache, Mann zu sein, dann nicht negativ gewertet.
All das bringt uns dazu, zu sagen: Wir wollen Frauenförderpläne, denn das sind die flexiblen Instrumente, die wir brauchen. Wir wollen Frauenförderpläne mit konkreten Zielvorgaben, mit Instrumenten
({19})
- das haben wir nicht abgelehnt! -, die dazu führen, daß Frauen an Beförderungslehrgängen teilnehmen können und daß auf ihre häusliche Situation eingegangen wird, an Beförderungslehrgängen, die letztlich zu einer besseren Verteilung von Chancen in unserer Gesellschaft führen. Aber die Grundbedingung für uns bleibt: Freiwillig müssen diese Entscheidungen sein. Wir wollen Frauen nicht in Denkschemata pressen. Wir wollen sie nicht zu ei19958
nem Leben veranlassen, das ihren Wünschen und Vorstellungen eigentlich nicht entspricht.
({20})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hochschulen sind ein Bereich des öffentlichen Lebens, in dem Frauen besonders unterrepräsentiert sind.
Das gilt nicht für Studentinnen. Der Anteil der Studentinnen ist mit 38 % aller Studierenden erfreulich hoch. Und, Frau Adam-Schwaetzer, der steigende Prozentsatz der Studienanfängerinnen - von 37,8 % in 1983 auf 39,7 % in 1985 gewachsen - zeigt, daß das Interesse der Frauen an einer Hochschulausbildung ungebrochen ist. Nur insgesamt geht die Zahl der Studienanfänger zurück. Das muß man sehr differenzierend sehen und auch sagen.
Die amtlichen Statistiken zur Hochschulausbildung und zur Bundesausbildungsförderung weisen ferner nach - das ist angesichts gegenteiliger Behauptungen der Opposition besonders wichtig -, daß Frauen auch die Förderung nach dem BAföG prozentual ebenso wie die männlichen Studierenden in Anspruch nehmen. Denn im Jahr 1985 betrug der Anteil weiblicher Studierender ungefähr 37 %, der Anteil geförderter weiblicher Studierender war mit 37,2 % der Gesamtzahl aller Studierenden sogar noch etwas höher.
Diese fast gleich großen Werte im Hinblick auf die Ausbildungsförderung von Frauen und deren Hochschulbesuchsbeteiligung belegen eindeutig, daß die Bundesausbildungsförderung nicht geschlechtsspezifisch wirkt. Es ist wichtig, das in der gegenwärtigen Situation festzustellen.
Aber die Zahl der Professorinnen, Assistentinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen anderer Art ist nach wie vor beschämend gering - um hier den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu zitieren. Die C-4-Professuren sind zu 97,5 % mit Männern und nur zu 2,5 % mit Frauen besetzt.
Diese mangelnde Repräsentanz von Frauen unter den Hochschullehrern veranlaßte das Parlament und die Regierung zu frauenfördernden Maßnahmen in verschiedenen Gesetzen und parlamentarischen Initiativen:
Erstens. Das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen enthält besondere Vorschriften zur Verlängerung des Anstellungsverhältnisses wissenschaftlicher Mitarbeiterinnen im Fall der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen sowie bei Beurlaubung nach dem Mutterschutzgesetz.
Zweitens. Das Hochschulrahmengesetz verpflichtet die Hochschulen, bei der Erfüllung aller ihrer Aufgaben auf die Beseitigung der für Wissenschaftlerinnen bestehenden Nachteile hinzuwirken. Die Bundesländer sind zur Zeit dabei, diesen Globalauftrag durch Maßnahmen umzusetzen.
Das Hochschulrahmengesetz sieht ferner vor, befristete Anstellungen im Beamten- und Angestelltenverhältnis bei Mutterschaft, Kindesbetreuung und Angehörigenpflege zu verlängern, wenn das gewünscht wird.
Von besonderer Bedeutung für Wissenschaftlerinnen ist die Einführung der Hochschuldozenturen, die in Ausnahmefällen gerade auch für Frauen auf Dauer vergeben werden sollen. Die Bundesländer sind dringend gebeten, diese Möglichkeit extensiv zu nutzen, um einen gerechten Ausgleich dafür zu schaffen, daß Frauen erheblich größere Schwierigkeiten als Männer haben, einen Ruf auf eine Professur zu erhalten. In der Stellungnahme zum Bundesbesoldungsgesetz und zu den hochschulpolitischen Zielsetzungen werden diese Anliegen des Deutschen Bundestages noch einmal bekräftigt.
Das heute verabschiedete Programm zur Weiterqualifizierung von Wissenschaftlerinnen durch die Einrichtung von Forschungsstellen auf Zeit sieht vor, zusätzliche Positionen für habilitierte Frauen zu schaffen, die Dauerstellen als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen innehaben. Ihnen soll dadurch selbständige Forschungsarbeit ermöglicht werden. Es sollte angestrebt werden, daß während der Dauer der Beurlaubung dieser Wissenschaftlerinnen weibliche Nachwuchskräfte zu ihrer Vertretung herangezogen werden, damit das Programm vermehrt für weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs sorgen kann. Die frauenfördernde Effektivität des Programms ließe sich so verdoppeln.
Diese Bilanz zeigt, meine Damen und Herren, daß in dieser Legislaturperiode auch im Bereich der Hochschulpolitik an der Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frauen aktiv gearbeitet worden ist.
({0})
Das Wort hat Frau Dr. Wilms, Minister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es besteht Einvernehmen zwischen uns darüber, daß zur Durchsetzung der Gleichberechtigung und zur Realisierung der von der Bundesregierung angestrebten Wahlfreiheit für Frauen eine Verbesserung von Bildung und Ausbildung der Frauen gehört. Wir können mit Befriedigung feststellen, daß das Allgemeinbildungsniveau bei den Frauen erfreulich gestiegen ist. Die Mädchen haben heute einen adäquaten Anteil an den Besuchern und Absolventen der allgemeinbildenden Schulen. Ich gehe davon aus, daß sich diese Tendenz weiter fortsetzt.
Wir haben soeben auch gehört, daß der Anteil der Studentinnen gestiegen ist. Bei der Gelegenheit darf ich noch einmal zurechtrücken: Die Zahl der Studienanfänger insgesamt nimmt ab, der Anteil der Studentinnen an der Gesamtzahl der Studienanfänger dagegen hat leicht steigende Tendenz. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal unterstreichen, was Frau Kollegin Wisniewski gerade gesagt hat, daß auch der Anteil der BAföG-Empfängerinnen
unter den Studenten gleichbleibend bis leicht ansteigend ist.
({0})
Verehrte Frau Kollegin, Sie können Statistiken nicht umdrehen.
({1})
- Meine Damen und Herren, ich werde mir erlauben, Ihnen Unterlagen meines Ministeriums zukommen zu lassen.
({2})
Meine Damen und Herren, was uns beschäftigt und uns weiter beschäftigen muß, ist die Tatsache, daß sich unsere Mädchen nach wie vor nur wenigen Berufen zuwenden. Oder, um es umgekehrt zu sagen: Das Berufsspektrum für junge Frauen ist noch zu gering. Die Bundesregierung ist deshalb mit der Kultusministerkonferenz, mit der Bund-LänderKommission für Bildungsplanung und mit der Bundesanstalt für Arbeit in einen Gedankenaustausch und einen Arbeitsaustausch eingetreten, um die Berufsberatung und die Berufsinformation unserer jungen Frauengeneration für das kommende Jahr zu verbessern. Dies scheint mir ein entscheidender Punkt zu sein.
Weiterhin müssen wir - hier sind entsprechende regionale Projekte bereits in Vorbereitung und Planung - die positiven Ergebnisse der Modellversuche „Frauen in gewerblich-technischen Berufen" umsetzen, bekanntmachen. Die positiven Ergebnisse sind bei Betrieben, bei den Eltern, in den Schulen zu wenig geläufig.
Und, Frau Kollegin Hönes, auch dies muß ich Ihnen sagen: Von den 1 200 Frauen aus den Modellversuchen sind heute zwei Drittel im erlernten Beruf tätig. Auch diese Zahl steht fest und ist nicht aus der Welt zu schaffen.
({3})
Weiterhin steht fest - auch dies ist ohne Zweifel richtig -, daß unsere jungen Frauen zum Teil noch größere Schwierigkeiten haben, eine Ausbildungsstelle zu gewinnen, den Sprung von der Schule in den Beruf zu schaffen. Wir haben gerade deshalb die Berufsvorbereitungslehrgänge für Mädchen finanziell ausgeweitet, und wir haben dafür Sorge getragen, daß den jungen Frauen in den Berufsvorbereitungslehrgängen Inhalte angeboten werden, die ihnen neue Berufe eröffnen, insbesondere technisch orientierte Berufe. Wir stehen mit den Industrie- und Handelskammern im Gespräch, daß die Teilnehmerinnen solcher Berufsvorbereitungslehrgänge bevorzugt in Lehrverträge übernommen werden und daß, wenn es angängig ist, die Absolvierung eines solchen Berufsvorbereitungslehrgangs auch auf die Lehrzeit angerechnet wird, so daß wir hier für die Mädchen eine gute Hilfe haben.
Lassen Sie mich als letztes erwähnen - und ich glaube, auch dies ist wichtig -, daß wir im Rahmen des Benachteiligtenprogrammes einen besonderen Schwerpunkt „Junge Frauen" gesetzt haben. Im Ausbildungsjahr 1985/86 sind 9 500 junge Frauen in diesem Programm in Ausbildung. Die Ausweitung dieses Programmes auf 407 Millionen DM für 1987 kommt überwiegend jungen Frauen zugute, und zwar gerade auch in arbeitsmarktpolitischen Defizitregionen, so daß wir hier mehreren tausend jungen Frauen und Mädchen helfen können, den Weg in den Beruf zu finden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es besteht sicher auch Einvernehmen, daß es keine Patentlösung, kein einfaches Schema gibt, um die Berufs-und Ausbildungssituation zu verbessern, daß wir viele, viele Mosaiksteinchen aneinandersetzen müssen, um eine bessere Situation der jungen Frauen in Bildung und Ausbildung zu erreichen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Karwatzki.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zukunftserwartungen von Mädchen und jungen Frauen heute unterscheiden sich wesentlich und ganz entschieden von den Vorstellungen ihrer Mütter. Die traditionellen Unterschiede in der Erziehung zwischen Mädchen und Jungen sind zwar noch nicht ganz beseitigt, aber doch im Abklingen. In ihren eigenen Lebenserwartungen und -planungen haben sich Mädchen und Jungen stark angenähert.
Wir, die Christlichen Demokraten, sehen und unterstützen diesen Wandel des Selbst- und Rollenverständnisses junger Frauen, für die Arbeit und Beruf heute von ungleich größerem Gewicht sind als für ihre Mütter. Unsere Bemühungen zielen deshalb darauf ab, die Wahlfreiheit der Frauen zwischen Familie und Beruf zu fördern. Dazu gehört dann allerdings auch auf der anderen Seite die gerechtere Arbeitsteilung innerhalb der Familie. Dazu kann der Staat nur sehr begrenzt etwas tun; denn er hat die Privatsphäre der Bürger zu respektieren.
({0})
- Das ist richtig, da sind wir uns einig, Herr Kollege Gilges. Wir wollen die jungen Frauen nicht an Kinder und Küche festbinden, wie uns manchmal unterstellt wird. Wir machen ihre Hausfrauentätigkeit aber auch nicht madig, wie das gelegentlich im Umfeld der Frauenbewegung geschieht. Wir wollen sie nicht zu Arbeit und Beruf drängen. Wir diskriminieren aber auch keine Frauen, die ihre Entfaltung im Berufsleben suchen. Deshalb ist auch vor der manchmal zu hörenden Polemik gegenüber Doppelverdienern zu warnen. So verständlich solche Stimmen angesichts der Arbeitslosen sind: Wer die Doppelverdiener abschaffen will, trifft in aller
Regel ganz einseitig die Frauen, er nimmt den Mädchen einen wesentlichen Teil ihrer Zukunftsperspektiven.
({1})
Ursula Männle sagt ja, daß wir acht Facetten haben. Ich habe die der Familie übernommen. Für uns ist die Familie Lebens- und Erziehungsgemeinschaft und damit der wichtigste Ort persönlicher Geborgenheit und der Sinnvermittlung. Familie muß im Mittelpunkt einer Politik stehen, die auf Freiheit, Eigenverantwortung, Mitmenschlichkeit und Vorrang der Person vor Ideologien ausgerichtet ist.
Die Familie ist für uns tragendes Fundament einer solidarischen und menschlichen Gesellschaft. Mit der Entscheidung, die Familie in den Mittelpunkt ihrer Gesellschaftspolitik zu stellen, trägt die Bundesregierung den Erfordernissen der Zukunft Rechnung. Wenn in unserem Land immer weniger Kinder geboren werden und immer weniger Kinder in Familien zu verantwortungsbewußten Mitbürgern in unserer Gesellschaft heranwachsen, hat unser Land keine Zukunft mehr.
Es gab und es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie Menschen ihr Familienleben gestalten können. Deshalb muß Familienpolitik für unterschiedliche Ausprägungen von Familienleben offen sein. Staatliche Familienpolitik kann sich nicht nur auf die Kernfamilie von Eltern und Kindern konzentrieren, sie muß ebenso ein Zusammenleben mehrerer Generationen im Blick haben. Familienpolitik kann deshalb auch nicht festlegen, wie die Mitglieder einer Familie ihre Aufgaben untereinander aufteilen sollten.
So, wie viele junge Menschen das längst getan haben, muß auch der Staat in seiner Familienpolitik davon ausgehen, daß es keine festen Rollenzuschreibungen für die Aufgaben in der Familie mehr geben kann. Politik für die Familie muß daher Politik für Männer und Frauen, für Kinder und Jugendliche, für Erwachsene und ältere Menschen sein.
Meine Damen und Herren, wenn für uns alle gilt, daß Kinderlärm Zukunftsmusik ist, dann - das ist meine Meinung - wird es uns auch in Zukunft gutgehen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende der Legislaturperiode reden wir noch einmal über die Frauen - ohne Fernsehen am späten Abend, so ein bißchen unter uns. Das sind wir schon gewöhnt.
Wir haben eine große Tagesordnung. Aber die 16 Punkte dieser Tagesordnung sind noch kein Merkmal der Qualität und des Fortschritts in der Frauenpolitik.
({0})
Wir haben alle miteinander Fragen gestellt, wir haben Appelle losgelassen. Wir haben Antworten erhalten. Liebe Frau Süssmuth, wir haben Ihre Antworten sehr genau gelesen. Ich möchte mit dem Volksmund sagen: Alles zusammen macht den Kohl nicht fett.
({1})
Nun aber im Ernst: Die Chancen und die Wertschätzung, die die Mädchen und Frauen bei uns im 20. Jahrhundert erfahren haben, liest man am besten am Schicksal unserer alten Frauen ab. Natürlich geht es in unserem Lande nicht allen gleich. Aber Millionen alter Frauen büßen heute mit kleinsten und kleinen Renten dafür, daß sie als Mädchen geringere Berufschancen und als Frauen keine Einkommen hatten.
({2})
Ihr Unglück resultiert ja weniger aus einem Mangel an Sozialleistungen in diesem Lande. Daran liegt es nicht. Ihr Unglück resultiert aus der prinzipiell ungleichen Situation von Frauen und Männern,
({3})
aus den härteren Bedingungen, die Frauen vorfinden, und aus den schlechteren Lebenschancen des einen Geschlechts.
Dieses Geschlecht kämpft seit hundert Jahren um Gleichberechtigung und zieht immer noch den kürzeren. Wer am Ende der 10. Legislaturperiode die Stirn hat zu behaupten, daß sich die Lage der Frauen gebessert und die Zukunft erhellt habe, ist entweder blind oder aus Parteiräson opportunistisch.
({4})
Denn wer wie die CDU/CSU den Müttern Erziehungsgeld gibt, damit sie ihren Beruf aufgeben, spaltet die Frauen in zwei Lager.
({5})
Das ist ja wohl auch die Absicht, die dahinter steht.
({6})
- Wir haben überhaupt nichts gegen Hilfen für die Familie. Wir wollen sie auch. Aber wir finden es merkwürdig, daß Sie hier erklären, Sie wüßten, daß sich die Vorstellungen von Jungen und Mädchen angenähert hätten, und gleichzeitig den Frauen das Erziehungsgeld nur geben, wenn sie ihren Beruf aufgeben. Die armen Fabrikarbeiterinnen mit den kleinsten Einkommen, die arbeiten müssen, bekommen nichts. Und den Alleinerziehenden geben Sie auch nichts.
({7})
Familienpolitik, so hat der verstorbene CDU-Arbeitskreisvorsitzende Haimo George in dieser Legislaturperiode gesagt, dürfe ruhig etwas kosten,
vorausgesetzt, die Frauen verschwänden vom Arbeitsmarkt.
({8})
Wer aber nicht verschwinden kann, weil das Einkommen eben so klein ist, daß zwei nötig sind, oder wer allein erzieht und sonst keinen Ernährer hat, wer darauf angewiesen ist, der kriegt kein Erziehungsgeld. 20 % aller bundesdeutschen Familien werden von einer Frau ernährt. Haben Sie eigentlich an die gedacht, oder haben Sie die vergessen?
({9})
- Wir haben das Mutterschaftsurlaubsgeld eingeführt, und Sie haben das gekürzt.
({10})
Diese Frauen bekommen weniger als das Erziehungsgeld. Die wahre Motivation, die dahintersteht, zeigt sich darin, daß Sie das Mutterschaftsurlaubsgeld nicht wieder auf den alten Stand angehoben haben.
({11})
- Ja, es gibt immer mehr Leute.
Die CDU/CSU hat dank der harten sozialen Kürzungen der letzten Jahre in diesem Jahr, 1986, Geld gehabt, um den Familien ein bißchen zurückzugeben.
({12})
- Darauf werde ich gleich noch kommen. - Wir haben festgestellt, daß die Hilfen für die Familien uns willkommen sind; das haben wir oft genug gesagt. Wir haben nichts gegen Hilfen für Familien. Aber die CDU/CSU und mit ihr die FDP hat die historische Chance verpaßt, mit einer ungebrochenen Kombination von Beruf und Familie den Weg in die Zukunft zu bereiten, statt mit ein paar Silberlingen den Frauen den Arbeitsplatz abzukaufen, damit sie nicht den Männern im Wege stehen.
({13})
Frauen lassen leider immer noch so etwas mit sich machen, auch konservative Politikerinnen und sogar jene von der FDP, die früher mit uns an der vordersten Front in der Frauenpolitik gestanden haben. Ich bedauere das.
({14})
Gewiß, ich muß ehrlich sagen: Auch wir waren, was die Frauenpolitik betrifft, nicht am Ziel. Aber das Zeitalter einer selbstverständlichen Gleichstellung von Mann und Frau war doch wenigstens in Ansätzen erkennbar.
({15})
Wenn die Regierung in diesem Monat in der Antwort auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen lobend hervorhebt, wie doch die Bildungschancen und -abschlüsse der Mädchen gestiegen sind - der hohe Ausbildungsstand selbst der arbeitslosen Frauen wird da hervorgehoben -, dann frage ich: Wie wäre das alles denn ohne BAföG und Bildungsreform möglich gewesen,
({16})
die heute ja so überflüssig sind? Sie können zehnmal sagen, daß sich die Zahlen, wenn man das relativ betrachtet, ganz gut ausnehmen. Absolut ist die Zahl der Studentinnen um 10 % gesunken.
({17})
Sprechen Sie doch einmal mit den Eltern und mit den Mädchen! Dann sehen Sie, wie schwer die Ausbildungsfrage heute wiegt, da die Eltern wieder so viel beisteuern müssen und es so schwer ist, Nebenjobs zu finden, um sich über Wasser zu halten.
({18})
Der Mutterschaftsurlaub, die Unterhaltsvorschußkassen, der Kinderkrankenurlaub - das waren doch wichtige konkrete Schritte und Hilfen zur Lebensgestaltung.
({19})
Nun sind sie auf einmal nicht mehr so wichtig. Auch die Reform des Scheidungsrechts, vor allem des Scheidungsfolgenrechts, und des § 218 StGB - das waren doch Lebenshilfen für bedrängte Frauen, die im Zweifelsfall, im Konfliktfall früher allein das Risiko trugen. Sich ihrer anzunehmen - wir erinnern uns noch an die Debatten -,
({20})
fiel den Konservativen hier sehr schwer und fällt vielen auch heute noch schwer. Wir lehnen eine totale Streichung des § 218 ab; aber wir wünschen nicht, daß eine Regelung, die sich bei unterschiedlichen Auffassungen in der Folge doch als erträglich erwiesen hat, wieder zurückgedreht wird.
({21})
Was das Scheidungsfolgenrecht betrifft, so mußte sich die Regierung erst heute vom Deutschen Richterbund sagen lassen, daß es erstaunlich sei, ein Gesetz zu beschließen, nach dem abgeschlossene Verfahren wieder aufgenommen werden können. Er fragt, wie man es heute mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit halte.
({22})
Meine Meinung ist, daß Frauen, die die Politik brauchen - darum geht es hier j a -, nicht in der Gartenlaube einer neuen Mütterlichkeit üben. Sie brauchen auch kein Geschwätz von der sanften Macht, sondern sie wollen Hilfen und Chancen und Gleichberechtigung haben.
({23})
Aber weil sie das noch nicht haben, meine Damen und Herren, und keine wirklich organisierte Macht darstellen, hat man sie bei den sozialen Kürzungen
der letzten Wahlperiode auch am meisten geschröpft. Wohngeld, BAföG, Mutterschaftsgeld, Rente, Sozialhilfe: Überall ging es an ihr Portemonnaie. Am schlimmsten war es bei den Alleinerziehenden.
({24})
Die Familienmütter mit den kleinen Einkommen mußten zusehen, wie das Kindergeld, das in unserer Regierungszeit um über 15 Milliarden DM aufgestockt wurde, nun eingefroren wird - es beträgt nur noch 14 Milliarden DM -, zugunsten einer Kinderfreibetragsregelung, bei der der Generaldirektor 150 % mehr hat als der Pförtner.
({25})
- Das Zweieinhalbfache. Wir haben auch unsere Berechnungen angestellt.
Rentnern wurde der Kinderzuschlag gestrichen. Aber der Finanzminister hat Geld für Steuererleichterungen, die dem Spitzenverdiener 50mal soviel bringen wie dem Hilfsarbeiter.
({26})
Dieser Hilfsarbeiter hat doch auch Familie und Kinder. Die Familienverbände - wir haben das nicht vergessen - verfaßten ein Notprogramm für die Familie. Das war vorher noch nicht da. Das geschah zu Recht. Denn die Kürzung der Sozialleistungen fiel ausgerechnet in die Periode, wo die Reallöhne kräftig sanken.
({27})
- Der hat immer gesagt, er wünscht nicht, daß seine Kinder beim Kinderfreibetrag und in der Steuer bevorzugt werden.
({28})
Alles zusammengenommen haben die vergangenen vier Jahre bei uns keiner einzigen Rentnerin Vorteile gebracht. Die neue Hinterbliebenenregelung wurde von der Rechtskoalition so gestaltet, daß die Frauen alles das bezahlen, was die Männer kriegen.
({29})
Durch die Verschärfung der Voraussetzungen auf Anspruch einer Erwerbsunfähigkeits- oder Berufsunfähigkeitsrente fielen viele Frauen aus diesen Renten heraus. Das war der dickste Sparposten des Herrn Blüm.
({30})
Eine Milliarde DM macht das. Das war das Hauptopfer der Frauen für die Regierung Kohl. Der Kanzler sagte im alten Plenarsaal - ich saß dort und werde es nie in meinem Leben vergessen -: Es geht wieder aufwärts; die Opfer haben sich gelohnt.
- Die Opfer haben sich aber nicht für die gelohnt, die sie gebracht haben!
({31})
Nun betrachten wir die neue Großtat, das Kindererziehungs- oder Babyjahr. Das war schon 1972 von uns im Bundestag beschlossen, wurde aber im Bundesrat zugunsten einer besseren Sonderausgabenregelung für Besserverdienende kaputtgemacht. Ich bin damals im Steuerbereich tätig gewesen. Ich werde das nicht vergessen. Das Babyjahr ist damals zu Fall gebracht worden. Die älteren Frauen hätten schon seit 1972, also 14 Jahre, einen Babyzuschlag kriegen können. Sie müssen auch wissen, warum sie das nicht gekriegt haben.
Wie sieht nun die neue Gerechtigkeit aus? 25 DM pro Kind,
({32})
vorausgesetzt, man hat einen eigenen Rentenanspruch, wurden für die jüngeren Mütter beschlossen, die erst nach 1980 in die Rente wuchsen oder hineinwachsen werden. Die älteren Mütter, gerade die mit vielen Kindern wurden übergangen. Man hat gehofft, sie würden das still hinnehmen, wie gewohnt. Aber endlich hat der Protest der Trümmerfrauen die Regierung daran erinnert, daß man Moral nicht nur predigen, sondern auch einhalten muß.
({33})
Nun ist eine Vierstufenregelung herausgekommen.
({34})
- Besser immer, aber unser Zuschlag war für alle Mütter. Das möchte ich hier doch einflechten.
Ihre Stufenregelung bedeutet, daß ab Oktober 1987 die Frauen, die vor 1906 geboren sind, hinzugenommen werden. Die, die dazwischenliegen, die Jahrgänge 1906 bis 1921, kommen erst im Laufe von vier Jahren dran. Das heißt, eine Mutter von 65 Jahren kriegt jetzt einen Kinderzuschlag, wenn sie einen eigenen Rentenanspruch hat, aber ihre Nachbarin mit 66 Jahren muß noch vier Jahre warten.
({35})
Ich weiß nicht, ob das verfassungsgemäß ist.
({36})
- Die fällt genau in die letzte Kategorie derer, die 1990 noch aufgenommen werden. Wir haben das, was auf dem Tisch liegt, durchgeguckt. Es ist eine schäbige Stufenregelung.
({37})
Bestreiten Sie doch nicht, daß es eine Stufenregelung ist, die gerade diese zuletzt bedenkt!
({38})
- Mit dieser These können Sie prima herumreisen. Das ist natürlich immer so. Jede kleinste Lösung ist besser als überhaupt keine. Aber wir wollen die Frauen nicht immer auf dem allerkleinsten Nenner halten.
({39})
- Die ganze Regelung ist ungeheuer kompliziert.
({40})
Viele Frauen wissen noch nicht, daß sie aus der Zuschlagsregelung rausfallen. Es fallen gemeinerweise sogar die Hausfrauen raus, die sich freiwillig nachversichert haben, als wir die Rentenversicherung aufgemacht haben.
({41})
Unsere Alten stellen heute fast 20% der Bevölkerung. Zwei Drittel davon sind Frauen. 70 % von ihnen leben allein. Eine hat an unsere Fraktion geschrieben, sie habe dank der Politik viel durchlitten, Krieg, Arbeitslosigkeit, Inflation, Flucht usw. Dank mangelnder politischer Entscheidungen gehöre sie zu der größten Gruppe aller armen Deutschen, den armen alten Frauen, die sich oft schämen, zum Sozialamt zu gehen.
({42})
Frauen leben viermal so oft von Sozialhilfe wie Männer, Frau Kollegin. Sie haben die schlechtesten Wohnungen - darüber gibt es eine Untersuchung - und leben in der größten Isolation.
({43})
Und man muß von diesen alten Frauen reden, damit unsere jungen Frauen von heute niemals solche alten Frauen werden.
({44})
Aber dazu trägt das Erziehungsgeld nichts bei. Dieses Alimentierungsmodell mit Berufsverbot verfestigt die alten Rollen.
({45}) Es nützt nur der Arbeitsmarktstatistik.
Frauen- und Familienpolitik ist Gesellschaftsund nicht Beihilfepolitik.
({46})
Aber als wahre Gesellschaftspolitik ist sie eben unbequem. Deshalb wird sie von der Regierung auch nicht durchgesetzt.
({47})
- Nun werden Sie mal nicht persönlich! Ich habe das in meiner ganzen Amtszeit stets unterlassen. - Also, ich sage, was ich denke. In meinem politischen Leben habe ich viele Fehler gemacht. Aber eines nehme ich für mich in Anspruch: daß ich hier und
anderswo immer gesagt habe, was ich auch glaube, Frau Kollegin.
({48})
Die Frauen wollen und müssen aus dem Zubrotverdienerimage raus. Sie betrachten ihre Bildungs-und Ausbildungszeit als Lebensgrundlage, als Anspruchsgrundlage, nicht als Konzession an das zweitrangige Geschlecht.
Der Arbeitsmarkt hat sie in den letzten Jahren natürlich nicht gerade ermutigt. Die Arbeitslosigkeit bei Frauen ist gewachsen, obwohl in einigen Bereichen neue Arbeitsplätze für Frauen angeboten worden sind, keine besonders guten Plätze! Die Arbeitslosigkeit hat im Sommer dieses Jahres den höchsten Stand nach zehn Jahren erreicht. Die Regierung hat eigentlich so viel nicht dagegen getan.
({49})
Frauenarbeitslosigkeit wird doch von vielen konservativen Männern, weniger von den Frauen, als nicht schlimm empfunden.
({50})
Ich habe in meinem Leben oft gehört, daß sie gesagt haben, die Arbeitslosigkeit sei gar nicht echt, sei viel zu hoch, weil es sich um so viele Frauen handle. - In Wahrheit ist die Arbeitslosigkeit zu niedrig angesetzt, weil viele enttäuschte Mädchen und Frauen schon gar nicht mehr zum Arbeitsamt gehen, um sich registrieren zu lassen.
({51})
Unter den Arbeitslosen sind viele junge Frauen. Die sind zu 49, ... % qualifiziert. Die Männer sind zu 50, ... % qualifiziert. Ein Unterschied ist kaum noch da. Sie sind also nicht weniger qualifiziert als die Männer. Das möchte ich hier sagen, weil es vorhin anders gesagt worden ist. Aber die Umschulungsangebote entsprechen nach meiner Meinung immer noch viel zuwenig den arbeitslosen Frauen und ihren Bedürfnissen.
Im gewerblich-technischen Bereich wollen wir in Nordrhein-Westfalen ein Programm für arbeitslose junge Frauen machen, die nach einer solchen Ausbildung keine Anschlußbeschäftigung finden. Viele dieser Versuche sind fehlgeschlagen. Ich bedaure das. Ich sage Ihnen: Die Politik muß mehr Nachdruck auf die Förderung dieser Dinge legen, sie darf nicht bloß installieren, sondern muß auch aufpassen, daß das hinterher klappt.
({52})
52 % aller Arbeitsplätze sind in diesem Bereich. Die sind zu 92 % von Jungen und Männern besetzt. Da sieht man, wo die Chancen sind und wie die Mädchen ausgeschlossen sind.
In der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Koalition werden die häufigsten Frauenberufe genannt, die Berufe mit der höchsten Frauenquote. Nun hören Sie mal zu: Sprechstundenhelferin, Körperpflegerin, Oberbekleidungsnäherin, Kindergärtnerin, Hausmädchen. Aber dann berich19964
tet die Regierung auf Seite 9 eben dieser Antwort wörtlich:
Eine völlige Umorientierung der Berufswünsche der Mädchen und jungen Frauen ... ist nicht zu erwarten und wäre auch nicht wünschenswert.
({53})
Deshalb ist es notwendig, die Dienstleistungsberufe den neuen Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen.
Was weiß die Regierung schon von den Berufswünschen der Mädchen? Die können sich doch nur artikulieren innerhalb der Palette, die ihnen das Arbeitsamt anbietet.
({54})
In der Tat hat sich die Regierung bemüht, die Anpassung zu unterstützen, auf Kosten der Frauen. Flexibilisierung heißt das neue Zauberwort. Wer flexibel ist, der weiß nicht genau, wann und wie oft er Arbeit hat und wieviel er letztlich verdient. Aber er, meistens sie, lebt auf Abruf. Eines weiß sie ganz genau: Was sie so schlecht kalkulieren kann, rechnet sich gut für das Unternehmen.
({55})
Was für ein wunderbarer Marktpartner ist doch die Frau: als Käuferin umworben, als Arbeitskraft von der unaufdringlichen Flexibilität, die nicht stört, sondern sparen hilft, indem sie sich aufs Lückenfüllen beschränkt oder auf traute Heimcomputerplätze aus ist. Bescheiden, billig und angepaßt, so haben Frauen wieder Chancen.
Die Regierung tat ein übriges mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz, mit den neuen befristeten Arbeitsverhältnissen; wir sehen das ganz anders als die Regierung. Wir sehen das sehr kritisch und nicht als die Chance der Frauen. Wir sehen das geradezu umgekehrt.
({56})
Ohne Mutter- und Behindertenschutz arbeiten die Frauen hier auf unsicherer Grundlage. Man möchte meinen: Das Wort Beschäftigungsförderung ist geradezu unangebracht für ein solches Gesetz. Man kommt sich doch vor, als hätte man die Zeit 50 Jahre und mehr zurückgedreht.
Mir hat ein Wirtschaftsmann gesagt: Seien Sie doch froh, nun werden doch Frauen leichter eingestellt. Ja, aber auch leichter entlassen, sogar bei Schwangerschaft. Das ist das Glanzstück der Regierung Kohl: Arbeit als minderwertiges Sonderangebot für solche, die nach so etwas greifen müssen.
({57})
- Das ist abzuwarten, was da herauskommt.
({58})
- Ja, warten Sie einmal ab! Ich kann das jetzt nicht nachprüfen, was die IG Metall sagt, aber ich bin sehr skeptisch.
Dann erzählen Sie hier etwas von den Frauen, die in den Beruf zurückkehren wollen: Wer längere Zeit unterbrochen hat und Klinkenputzen geht, hat ja fast keine Chance. Ich habe mit solchen Frauen geredet, ich weiß nicht, wer noch. Viele versuchen jetzt, wieder Anschluß zu finden. Aber wo finden sie Anschluß? Unter dem Niveau ihres erlernten Berufes. Das ist ja eigentlich nicht das, was sie sich vorgestellt haben. Hier ist wirklich ein großes Feld für Politik, aber nicht mit Flexibilisierung und Zeitvertrag.
Die versprochene Wende auf dem Arbeitsmarkt ist ausgeblieben, aber die Wende im Arbeitsvertragsrecht ist gekommen - ein schwerer Schlag gegen den mühseligen Versuch, Chancengleichheit und Gleichberechtigung wirklich durchzusetzen. Wie ernst das jetzt gemeint ist, zeigt die Tatsache, daß die Mahnung des Europäischen Gerichtshofes, die EG-Gleichberechtigungsrichtlinie nun endlich hier in der Bundesrepublik umzusetzen, einfach übergangen und nur mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit von Gerichten beantwortet wird. Es gibt in der Tat zwei Urteile des Landesarbeitsgerichts Köln, die den Frauen Recht gesprochen haben. Aber diese Urteile sind noch in der Revision. Es wäre besser, wir hätten ein anständiges Gesetz.
({59})
Frau Süssmuth hat auf dem Gewerkschaftstag der IG Textil ihre Solidarität mit den Frauen bekundet. Man möge ihr alle Sorgen mitteilen, hat sie dort gesagt. Als die Mitteilung Ende März dieses Jahres kam und über die negativen Auswirkungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes für Frauen dann in der Frankfurter Rundschau in diesem Zusammenhang etwas später aufgenommen wurde, hat Frau Süssmuth ihrem Kollegen Blüm schriftlich versichert, sie habe keinen Anstoß zu einer Untersuchung über die negativen Auswirkungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes gegeben. Das ist ein trauriges Lehrstück.
({60})
Schöne Reden nützen nichts. Frau Minister, man muß für seine eigenen Thesen auch kämpfen.
({61})
Ein Etikett macht noch lange nichts aus. Ein Etikett, auch am Ministerium, ist nur so schön wie die Wahrheit, die dahintersteht.
({62})
Die Situation in der Bundesrepublik hat sich in den letzten vier Jahren grundsätzlich nicht gebessert, trotz Erziehungsgeld und trotz der von uns abgeschriebenen und sicher lobenswerten Frauenförderungspläne. Der Bund ist aber hier erstaunlicherweise nicht mit gutem Beispiel vorangegangen. Jetzt im Moment fehlt es nicht am Geld. Nach meiner Meinung fehlt es mehr am politischen Willen. Mangel an Weitblick und Erkenntnis kann es auch nicht sein, dazu haben wir viel zu oft über alles dieses hier diskutiert. Die Frauen waren wieder einmal stille Opfer des größten sozialpolitischen Sparprogramms der Regierung, das wir je hatten. Sie
wurden vielfach vom Arbeitsmarkt verdrängt und unter minderen Bedingungen eingestellt, mit Risiko beladen. Das fängt schon bei den Mädchen und ihrer Ausbildungssuche an. Zu Weihnachten sind immer noch 45 000 Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Es sind viele, viele Mädchen. Ihre Vorstellungen von der Kombination von Beruf und Familie haben jetzt keine Chance. Im Gegenteil: So kurz vor dem Ende des Jahrhunderts und dem Beginn eines neuen Jahrtausends, meine Damen und Herren, würde ich furchtbar gern über Lichtblicke reden. Aber es gibt eigentlich eher düstere Aussichten, wenn sich diese konservative Politik fortsetzt.
({63})
- Und wenn Ihnen die Tränen kommen. Die Tränen kommen vor allen Dingen den Frauen, die Sie so behandelt haben. Sie kaschieren mit Lockprämien, was Sie mit den Frauen wirklich machen. Aber die SPD wird sagen, was sie denkt. Sie meint es mit der Chancengleichheit von Männern und Frauen ernst. Auch wenn das noch lange dauert: Man muß auf dem richtigen Wege bleiben.
({64})
Frau Kollegin Huber, Sie haben, wenn ich das richtig sehe, Ihre letzte Rede in diesem Hause gehalten. Nach fünf Legislaturperioden verlassen Sie den Deutschen Bundestag. Fünfeinhalb Jahre davon waren Sie als Ministerin tätig. Ihre streitbare Rede eben hat bewiesen, daß Ihr Engagement ungebrochen vorhanden ist und daß Sie engagiert für Ihre politischen Ziele eintreten.
Ich darf Ihnen dafür - ich hoffe, unabhängig davon, ob der Inhalt der Rede umstritten war - im Namen des ganzen Hauses danken. Ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft Gesundheit, Glück und persönliche Zufriedenheit.
({0})
Herr Präsident, ich möchte mich dafür bedanken, daß mir ein Präsident des Bundestages heute zum zweitenmal für meine letzte Rede dankt. Ich hatte vorige Woche auch schon das Vergnügen. Aber ich freue mich, daß ich heute noch einmal habe sprechen können, und wünsche diesem Hause in Zukunft gute und engagierte Debatten.
({0})
Danke schön, Frau Abgeordnete Huber. Im Sauerland hätte man gesagt: Doppelt gemoppelt hält besser.
Nun darf ich Frau Abgeordnete Verhülsdonk bitten, das Wort zu nehmen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
Entschuldigen Sie bitte, Frau Abgeordnete. Herr Abgeordneter Müller, darf ich Sie bitten, die nötige Ruhe herzustellen. - Danke schön.
Frau Verhülsdonk, nun haben Sie das Wort.
Frau Kollegin Huber, ich finde es persönlich schade und traurig, daß Sie sich mit einer unsachlichen, die Wirklichkeit verzerrenden Rede hier aus dem Deutschen Bundestag verabschieden.
({0})
Ich hatte eigentlich immer ein anderes Bild von Ihnen. Deswegen tut es mir leid. Ich konnte eben nicht klatschen, als Ihnen der Präsident gedankt hat.
({1})
Ich könnte jetzt natürlich eine Retourkutsche starten und Sie fragen, was Sie in der Zeit Ihrer Zugehörigkeit zum Bundeskabinett für die Frauen getan haben. Aber ich will das gar nicht tun.
({2})
Ich will zurückkehren zu der Sachlichkeit, mit der meine Kolleginnen die einzelnen Bereiche der Frauenpolitik behandelt haben.
({3})
Die Opposition will den Frauen einreden, diese Regierung verschlechtere die Situation gerade der erwerbstätigen Frauen. Aber es zeigt sich deutlich: Auch diese Angstkampagne zieht nicht. Die Frauen kehren in großer Zahl in den Beruf zurück. Sie vertrauen der erfolgreichen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung.
({4})
Noch nie war der Anteil der erwerbstätigen Frauen so groß wie heute, und dieser Trend setzt sich fort. Frauen aus der sogenannten stillen Reserve, die während der Regierungszeit der SPD keinen Sinn mehr darin sahen, nach einem Arbeitsplatz zu suchen, finden jetzt wieder Arbeit. Sie haben richtig erkannt, daß diese Koalition neue Chancen eröffnet hat.
Ich nenne nur drei wichtige Punkte: Erstens, Erziehungsurlaub mit Kündigungsschutz, übrigens für Väter und Mütter; zweitens, 80 % des Zuwachses der Zahl der Beschäftigten der Jahre 1984 und 1985 entfallen auf Frauen; drittens, durch die Novellierungen des Arbeitsförderungsgesetzes und durch das Beschäftigungsförderungsgesetz wurde speziell zugunsten der Frauen der Zugang zu beruflichen Förderungsmaßnahmen erleichtert. So lag die Zahl der Frauen, die einen Fortbildungs- oder Umschulungskurs begannen, 1985 mit 137 000 um gut 20 000 höher als 1984 und um 52 000 über dem Wert von 1982, also zu Ihrer Regierungszeit. Dabei waren
dreiviertel der neuen Teilnehmerinnen vorher arbeitslos.
Das Beschäftigungsförderungsgesetz - es ist übrigens auf fünf Jahre befristet - hat neue Rahmenbedingungen für die Einstellung von Arbeitslosen gesetzt, um Beschäftigung zu fördern. Ich sage ganz offen: Dieses Gesetz ist kein Antifrauengesetz.
({5})
Es soll Chancen schaffen und nicht abbauen. Ich fordere alle Arbeitgeber auf, dieses Gesetz nicht mißzuverstehen und es nicht zu mißbrauchen. Dieses Gesetz soll Beschäftigung erleichtern. Es darf aber Arbeitsplätze nicht in sozial ungesicherte umwandeln. Wir Frauen in der CDU/CSU werden die Auswirkungen genau prüfen und es nicht zulassen, daß Frauenarbeitsplätze sozial deklassifiziert werden.
Teilzeitarbeit und flexiblere Arbeitszeiten werden von Frauen immer mehr als humaner Ausweg angesehen, um Familie und Beruf besser aufeinander abzustimmen. Über 200 000 Frauen suchen Teilzeitarbeitsplätze, aber das Angebot ist erschrekkend mager. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen ihre Reserve gegenüber flexibleren Arbeitszeiten abbauen.
Die Tarifparteien können viel dazu beitragen, daß Familie und Beruf wieder versöhnt werden. Warum sollen Arbeitszeitverkürzungen und Teilzeitarbeitsplätze nicht vor allem Müttern und Vätern zugute kommen, die kleine oder behinderte Kinder zu versorgen haben, die aber beide in der Arbeitswelt bleiben wollen?
Die dritte industrielle Revolution schafft sicherlich zusätzliche Probleme, vor allem in traditionellen Frauenberufen. Das wollen wir gar nicht übersehen. Aber die Überzeichnung der Probleme hilft den Frauen nicht weiter. Sie müssen ermutigt werden, sich dem Prozeß der technologischen Veränderungen zu stellen. Wer ihnen Angst einredet, schafft die Voraussetzungen dafür, daß sie Opfer dieser Entwicklung werden.
Ich meine, daß wir in der nächsten Legislaturperiode das Arbeitsrecht, also Sozialrecht, Arbeitsschutzrecht und Betriebsverfassungsrecht sorgfältig daraufhin überprüfen müssen, ob es für den Schutz aller Arbeitnehmer, also Männer und Frauen, angesichts der neuen Technologien ausreicht.
Abschließend will ich sagen: Die Bilanz der Regierungspolitik für die berufstätigen Frauen ist von vielen ganz praktischen Schritten gekennzeichnet - ich habe nur wenige nennen können -, um den Frauen neue Chancen in der Arbeitswelt zu eröffnen und ihre Stellung auf dem Arbeitsmarkt zu stabilisieren. Uns ist hier noch nicht der große Durchbruch gelungen. Wir sind aber auf dem richtigen Wege. Es gibt immer mehr Chancen für die Frauen. Das ist nicht wenig. Sie konnten das am Ende Ihrer Legislaturperiode nicht sagen.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hoffmann ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Bundesrepublik Deutschland gibt es fast eine Million mitarbeitender Ehefrauen und weiblicher Familienangehöriger in Handwerk, Einzelhandel und Dienstleistungsberufen, darüber hinaus die bedeutende Gruppe der Bäuerinnen, die gemeinsam mit ihren Männern Tag für Tag eine hohe Arbeitslast tragen, und schließlich die selbständigen Frauen, die als Unternehmerinnen in der Bundesrepublik tätig sind und viele Arbeitsplätze anbieten und sichern. Mit diesen drei Gruppen von Frauen im Mittelstand will ich mich heute in meinem Kurzbeitrag befassen.
Eine Umfrage von Frau Professor Noelle-Neumann zur Lage der mitarbeitenden Ehefrauen in den mittelständischen Betrieben hat gezeigt, daß trotz hoher Arbeitslast und Doppelarbeit in Haushalt, Familie und im Beruf des Ehemannes diese Frauen Freude an ihrer Aufgabe haben. Sie nehmen ihre verantwortungsvolle Arbeit gerne wahr. Ein positives Element ist vor allem die Zusammenarbeit mit dem Ehemann, die die Verbundenheit mit gemeinsamen Interessen unterstützt. Ferner ist positiv hervorzuheben, daß Wohnung und Arbeitsplatz in den meisten Fällen unter einem Dach vereint sind, so daß die Kinder Vater und Mutter bei der Arbeit erleben, was leider bei den Außer-HausBerufstätigen nicht der Fall ist. Diese Frauen haben eine 70- bis 90-Stunden-Woche und können sich meistens nur eine Woche Urlaub im Jahr leisten. Sie haben große Probleme bei der Alterssicherung, und bei der beruflichen Fortbildung sind sie auf besonders zeitgerechte Angebote angewiesen.
({0})
Ich erinnere hier an die Kammern, die eine Vielzahl sinnvoller Fortbildungsmöglichkeiten für sie anbieten.
Ein großer Erfolg der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Bundesregierung ist die Einführung des Erziehungsurlaubs, der in dieser Legislaturperiode für alle Frauen durchgesetzt wurde. Bei der Lösung des Mutterschaftsurlaubsgeldes der SPD-geführten Regierung haben nur die außer Haus berufstätigen Frauen dieses bekommen, während die mitarbeitenden Ehefrauen und Bäuerinnen leer ausgingen. Dieses haben wir korrigiert.
({1})
Jetzt bekommen auch die mittelständischen Frauen und die Hausfrauen das Erziehungsurlaubsgeld genauso wie die abhängig Tätigen.
Die Landfrauen tragen die gleiche Last wie die mitarbeitenden Ehefrauen. Sie entwickeln eine ebenso große Arbeitsfreude und erbringen gemeinsam mit ihren Männern hohe Leistungen für unsere Gesellschaft: gesunde Ernährung, Sicherung der Autarkie in der Lebensmittelversorgung, Produktion kostengünstiger Lebensmittel, die erheblich zu unserer Preisstabilität beitragen. Sie tragen
Frau Hoffmann ({2})
gemeinsam mit ihren Männern die großen Sorgen und Probleme der bäuerlichen Familienbetriebe.
({3})
Ich selbst habe von Anbeginn meiner parlamentarischen Tätigkeit den Kontakt mit den Landfrauen kontinuierlich gehalten und eng mit ihnen zusammengearbeitet.
Ein nach Jahren in Erfüllung gegangener Wunsch des Landfrauenverbandes war folgender: Der Altersgeldanteil wird an Frauen und Männer nunmehr getrennt überwiesen.
({4})
so daß die ältere Bäuerin eigene Geldmittel zur Verfügung hat. Auch hier hat die Bundesregierung gehandelt. Die Landfrauen haben nun ein Anrecht auf einen Anteil von einem Drittel des dem Ehemann zustehenden Altersgeldes, und dies seit dem 1. Januar 1986.
({5})
- Sie scheinen die Situation dieser Frauen überhaupt nicht zu kennen, sonst würden Sie hier nicht lachen.
({6})
Wichtig ist vor allem, daß in der kommenden Legislaturperiode in der häuslichen Pflege entweder eine steuerliche Entlastung oder eine direkte finanzielle Hilfe für diese Frauen erzielt wird. Zu der häuslichen Pflege der älteren Familienangehörigen sind diese Landfrauen nämlich vertraglich verpflichtet, und sie haben diese Leistung, die sie zusätzlich zu ihrer hohen Arbeitslast tragen, bisher in keiner Weise honoriert bekommen.
In der Bundesrepublik Deutschland sind heute ca. 600 000 selbständige Unternehmerinnen tätig. Sieht man einmal von gewissen Schwankungen in den einzelnen Bundesländern ab, so waren Frauen bisher an jeder dritten Firmengründung beteiligt. Nach statistischen Berechnungen hat es im vergangenen Jahr insgesamt ca. 319 000 Neugründungen gegeben. Der Anteil der Frauen an diesen Neugründungen betrug mehr als 100 000. Ich bitte die Unternehmerinnen hier, zu dem Mut zur Selbständigkeit auch den Mut hinzuzufügen, mehr Frauen einzustellen, mehr jungen Mädchen die Chancen der Ausbildung zu geben und mehr Frauen die Chance zu eröffnen, in führende Positionen aufzurücken.
({7})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur wenige Minuten Zeit und wollte eigentlich etwas anderes sagen, aber nach der Rede von Antje Huber, der früheren Familienministerin, möchte ich mich ihrer Arbeit widmen. Diese Rede hat mich sehr beeindruckt, und ich glaube, daß es gerade nach den ein bißchen nicht fairen Zwischenrufen von Ihrer Seite, meine Damen und Herren, wichtig ist, einmal daran zu erinnern: Antje Huber ist 1969 in dieses Parlament gekommen. Dann folgten die 13 Jahre sozialliberaler Koalition. Was ist in diesen 13 Jahren auf dem Gebiet der Gleichberechtigung von Mann und Frau alles geschehen? Reform des Eherechts, Reform des Namensrechts, Reform des Ehescheidungsrechts, der Versorgungsausgleich. Früher war es nach einer Ehescheidung so, daß derjenige, der erwerbstätig war, in der Regel der Mann, die gesamten Rentenansprüche mitnahm. Wir haben das geändert. Es ist die wirkliche Anerkennung der Hausfrauentätigkeit, wenn die Frau nach der Ehe die Hälfte der Rentenansprüche mitnehmen kann. Ich nenne weiter die Reform des Nichtehelichenrechts, ein gleich hohes Kindergeld für alle statt steuerlicher Kinderfreibetrag,
({0})
Öffnung der Rentenversicherung für die Hausfrauen, fünf Tage Urlaub bei der Krankheit eines Kindes. Wer weiß, wie es ist, wenn kleine Kinder morgens plötzlich krank sind und man seine eigene Krankheit nehmen muß, weil man nicht in den Betrieb oder ins Büro kann, der kann das alles ermessen.
Oder ich nenne die Reform des § 218, die Verbesserung der Bildungschancen für Mädchen und, Antje Huber, speziell mit deinem Namen verbunden, die Einführung der Unterhaltsvorschußkassen, damit die Mütter nicht noch hinter den Männern herlaufen mußten, wenn das Geld nicht kam.
({1})
Und ich nenne die Einführung des Mutterschaftsurlaubsgesetzes im Jahre 1978.
Vieles von dem, was die alte sozialliberale Koalition gemacht hat, wird der Vergessenheit anheimfallen. Doch ich glaube, daß neben der Entspannungs- und der Sozialpolitik die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau der historische Fortschritt dieser alten Koalition war.
({2})
Wenn man so will, ist das Patriarchat im Recht in diesen 13 Jahren abgeschafft worden.
Gerade meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich muß das einfach sagen, weil viele von Ihnen nicht mehr mitbekommen haben, wie das vor 20 Jahren war, wie verkrustet die Verhältnisse unter der alten Adenauer-Regierung waren. Ich glaube, diese wichtige Neuerung verbindet sich auch mit Namen wie Antje Huber.
Frau Süssmuth, Sie sind ja eine der Nachfolgerinnen von Antje Huber. Wir begrüßen, daß sich in der CDU/CSU der Ton in bezug auf Dinge wie Frauenhäuser, Gewalt in der Familie, die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau ganz sicher geändert hat, seitdem sie Ministerin sind. Aber was wir Ihnen vorwerfen, ist: Sie haben so viel durch das Kabinett passieren lassen, was den Frauen und den Familien geschadet hat.
({3})
Sie durften nicht zulassen, daß das Babyjahr nur für Frauen unter 65 Jahren gewährleistet wurde. Und wenn Herr Stoltenberg dann sagt, er habe kein Geld: Ich bin Finanzpolitikerin. Man kann nicht immer Geld für alles haben. Ich würde ihn unterstützen, wenn das stimmt.
({4})
Wer aber Geld für Subventionen an die Großagrarier hat, und wer allein über eine halbe Milliarde DM für die Frühpensionierung von 45 Jahre alten Offizieren ausgibt, der darf nicht sagen, er habe kein Geld für die Trümmerfrauen.
({5})
Sie durften nicht zulassen, daß der Kündigungsschutz für erwerbstätige Mütter verschlechtert wird, daß wieder Kinderfreibeträge bei der Steuer statt des gleich hohen Kindergeldes eingeführt werden mit der Folge, daß Höchstverdiener für ihre Kinder zweieinhalbmal so viel Steuerentlastung erhalten wie Normalverdiener.
Sie durften nicht zulassen - Sie waren noch nicht Ministerin, aber Sie hätten es einführen können -, daß das Schüler-BAföG bis heute nicht wieder eingeführt worden ist.
({6})
Sie durften das Beschäftigungsförderungsgesetz nicht zulassen. Sie durften nicht die Verschlechterung der Erwerbsunfähigkeitsrente für Hausfrauen und Mütter zulassen - nicht bei den Erwerbstätigen; die haben keine Verschlechterung.
Frau Süssmuth, Sie durften auch folgendes nicht zulassen: Sie bemühen sich in der CDU gerade mit viel Mühe darum, daß der Anteil der Frauen im Deutschen Bundestag bei Ihnen vielleicht mit viel Mühe von 19 % auf 20 % steigt. Wir von der SPD werden im nächsten Deutschen Bundestag statt mit 22 mit mindestens 44 Frauen vertreten sein, und das ist gut.
({7})
Wir fordern das Babyjahr für die Trümmerfrauen über 65 Jahre, das gleich hohe Kindergeld für alle, die Wiedereinführung des Schüler-BAföG, die Rücknahme des Beschäftigungsförderungsgesetzes. Wir fordern verbindliche Frauenförderpläne im öffentlichen Dienst. Wir fordern die Wiedereinführung der vorher vorhandenen Erwerbsunfähigkeitsrente. Wir fordern eine bundeseinheitliche Frauenhausfinanzierung durch ein einheitliches Gesetz. Da wir nicht erwarten können, daß Sie das tun, kämpfen wir am 25. Januar um eine eigene Mehrheit.
Liebe Antje Huber, du hast im letzten Satz gesagt: Man muß auf dem richtigen Wege bleiben. Das nehmen wir, die SPD, als Aufgabe für die Zukunft mit in die nächste Legislaturperiode.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat Frau Professor Süssmuth, Minister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es rutscht kein Pult herunter, und die Fensterreden und das Geklatsche können nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir konsequent bei schwieriger Finanz- und Arbeitsmarktlage die Situation der Frauen nicht verschlechtert, sondern schrittweise verbessert haben.
({0})
Ich komme zu den Taten. Ich denke, daß es eine entscheidende Tatsache ist, daß wir kontinuierlich und konsequent fortschreiten. Es geht nicht, daß in der Frauenpolitik verfassungswidrige Forderungen gestellt und daß Behauptungen aufgestellt werden, die die glatte Unwahrheit beinhalten.
({1})
Dazu möchte ich folgendes sagen. Zunächst als Prämisse: In der Tat ist es uns wichtig, daß durch Frauenpolitik nicht eine weitere Polarisierung zwischen den Geschlechtern voranschreitet und daß sich die Frauenpolitik nicht gegen Kinder wendet. Ich denke, daß das eine Einheit bildet und auch als solche gesehen werden müßte. Ich möchte allerdings Frau Huber fragen: Wenn ich es nicht wüßte, daß Sie von Gesetzen sprechen, die Sie selbst gemacht haben, z. B. das Mutterschaftsurlaubsgesetz, könnte man denken, es spricht jemand darüber, der das Gesetz nicht kennt. Wo war denn im Mutterschaftsurlaubsgesetz ein Recht zur Ausübung der Erwerbstätigkeit? Wo war im Mutterschaftsurlaubsgesetz eine Beteiligung der Männer?
({2})
Wo war im Mutterschaftsurlaubsgesetz ein Kündigungsschutz, den Sie durch den Bundesrat gebracht haben?
({3})
Wenn es ein Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub gibt, der heute die Väter beteiligt - es sind inzwischen 6 000; im ersten Halbjahr waren es 3 000; also, der Anteil wächst -, der den Frauen Teilzeitarbeit ermöglicht, ein Gesetz, das gerade die Alleinerziehenden dadurch stützt, daß das Erziehungsgeld nicht gegen die Sozialhilfe, gegen Wohngeld oder BAföG verrechnet wird, dann hat dieses Gesetz entscheidende Verbesserungen gegenüber dem Mutterschaftsurlaubsgesetz gebracht.
({4})
Ich halte es für eine unredliche politische Aussage, wenn Gesetze in dieser Weise als frauenfeindlich oder gar familienfeindlich deklariert werden.
({5})
Sie kennen aus Ihrer Erhebung bei den Bezirkskrankenkassen den Anteil der Frauen, die Ihr Gesetz damals in Anspruch genommen haben. Wenn ich Ihnen heute sage, daß 96% der Anspruchsberechtigten Leistungen aus dem ErziehungsgeldgeBundesminister Frau Dr. Süssmuth
setz in Anspruch nehmen, dann kann unser Gesetz nicht so sein, wie Sie es hier im Bundestag dargestellt haben.
({6})
Sie haben gefragt: Wie sieht der Abbau der Kindergeldansätze im Etat aus? Frau Huber, Sie wissen sehr wohl, daß 1968 ein Geburtenrückgang einsetzte, der Jahr für Jahr den Etat im Bereich Kindergeld dezimiert hat. Sie wissen genausogut wie ich, daß die freiwerdenden Beträge dem allgemeinen Finanztopf anheimfallen und weder von Ihnen noch von uns einfach für andere Leistungen genommen werden können. Was soll es, wenn Sie dann sagen, diese Mittel seien nicht genutzt worden? Sie selbst haben das Kindergeld kürzen müssen, weil Sie das Geld nicht mehr hatten.
({7})
- Es war nicht zu hoch, sondern es hat Frau Huber gar veranlaßt, ihren Rücktritt einzureichen, weil sie damit nicht einverstanden war. Ich denke: Wahrheiten sollten Wahrheiten bleiben.
({8})
Wenn Sie hier erneut erklären, daß wir Kinderfreibeträge eingeführt haben: Wir wollen keine Politik, die Beihilfepolitik für die Familie wäre oder gar soziale Fürsorge, sondern Leistungsanerkennung.
({9})
Ich muß Ihnen sagen: Die Beträge, die Sie für die Kinder in Aussicht stellen, haben wir den Familien zum größten Teil schon in dieser Legislaturperiode gewährt. So brauchen die Familien auf Ihre Versprechungen nicht zu warten.
({10})
Sie haben beklagt, daß so viele Mädchen - ({11})
- Es tut mir leid! Es wäre j a wohl eine Zumutung, das heute noch zu tun.
({12})
- Sie wissen genau, daß die Redezeit seit Viertel nach sieben überzogen ist.
({13})
Meine Damen und Herren,
({0})
es ist das Recht des Redners, es abzulehnen, Zwischenfragen zu beantworten. Ich bitte darum, das zu respektieren und die notwendige Ruhe herzustellen.
Frau Minister, Sie haben das Wort.
({1})
Ich möchte Ihnen weiter sagen, daß die Konzentrierung der Mädchen in wenigen Berufen nicht eine Erscheinung ist, die 1982 oder gar 1984 aufgetreten ist. Wir versuchen konsequent, eine Umorientierung der Mädchen zu erreichen.
({0})
Wenn Sie erklären, daß Sie das Programm „Mädchen in Männerberufen" aufgelegt haben, sollten wir bei aller positiven Bewertung auch sagen, daß damit ein Programm für Mädchen in Männerberufen, die die Männer verlassen, gefahren wird. Deswegen erscheint es mir wichtig, endlich, nachdem so viel Zeit vergangen ist, die Mädchen auf den Umgang mit neuen Technologien zu orientieren.
({1})
Sie hingegen bekämpfen doch die neuen Technologien als fortschrittsfeindlich.
({2})
Frau Abgeordnete Blunck, Sie haben nicht das Wort. Das Wort hat die Frau Ministerin. Ich bitte Sie, sich ein wenig zurückzuhalten.
({0})
Die ständige Beschwörung der Heimarbeitsplätze für Frauen ist eine Fiktion. Sie wissen, daß wir selbst in Forschungsprogrammen nicht einmal 50 auffinden können. Was soll diese Vernebelung?
Ich bestreite nicht, daß wir hier nicht nur über Leistungen sprechen, sondern auch über bestehende Benachteiligungen der Frauen, Benachteiligungen in den Familien und in den Erwerbstätigen-rollen, aber die Lohndiskriminierung hat eine lange Geschichte, nicht eine kurze, und die erhöhte Frauenarbeitslosigkeit hat eine lange Geschichte, nicht eine kurze.
({0})
In dieser schwierigen Phase, vor der in allen vorausgegangenen Perioden dieses Jahrhunderts Frauen massenhaft vom Arbeitsmarkt verdrängt wurden, haben wir zum erstenmal in der Geschichte nicht eine Verdrängung der Frauen vom Arbeitsmarkt wie bisher, sondern eine Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit
({1})
sowie eine erhebliche Zunahme der Bildungsanstrengungen von Frauen und eine Zunahme des
Wiedereinstiegs in den Beruf zu verzeichnen. Wenn wir von diesen Tatbeständen ausgehen, gilt es in der nächsten Legislaturperiode, so denke ich, den Konflikt zwischen Familie und Beruf weiter zu entschärfen. Ich sage Ihnen: Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sind Instrumente nicht zur Unterdrückung der Frauen, sondern zu mehr Selbstbestimmung der Frauen. Vielleicht nehmen wir das miteinander ernst.
Eines möchte ich noch ausdrücklich sagen: Wie verträgt sich das Eintreten für die ersatzlose Streichung des § 218, Frau Hönes, mit Ihrer sonstigen Position des Schutzes von Umwelt, Tieren und Leben?
({2})
Für mich ist das oberste Gebot in der Frauenpolitik, daß wir Anwälte und Anwältinnen des Lebens bleiben.
({3})
Nur dadurch werden wir glaubwürdig. Das gilt sowohl für das ungeborene als auch für das geborene Leben. Ich bin in der Tat der Meinung, daß wir Frauen einen ganz besonderen Auftrag im Bereich von Umwelt, Gesundheit und Energiepolitik haben, aber dies nicht, indem wir gleichzeitig sagen: § 218 verschwindet. Damit ist für mich keinerlei Glaubwürdigkeit gegeben.
({4})
Wenn Sie fragen, wo meine Taten bleiben und wo das Engagement für die älteren Frauen ist, so muß ich Ihnen sagen, daß ich maßgeblich daran mitgewirkt habe, daß wir gemeinsam mit anderen Frauen und Sozialpolitikern die Regelung zur Anrechnung von Erziehungszeiten für ältere Frauen auf den Weg gebracht haben.
({5})
Hören wir endlich auf mit der zynischen Aussage, daß diese Frauen immer älter werden. Ja, 1970 oder 1975 waren diese Frauen weit jünger als heute, aber sie haben von all den Jahren nicht profitiert. Ich finde es mehr als problematisch, daß wir in bezug auf die älteren Frauen so gegeneinander zu Felde ziehen.
({6})
Die CDU muß Sie fragen, wo denn Ihre Leistungen für die älteren Frauen in einer so langen Regierungszeit waren.
({7})
- Also, das ist die immer erneute Entschuldigung, daß Sie das 1972 versucht haben. Sie hatten dann noch zehn Jahre, in denen Sie das erneut hätten versuchen können.
({8})
Ich denke, daß es bei der Frage der Antidiskriminierung sicherlich eine Reihe von gemeinsamen
Punkten gibt. Ich bleibe dabei, wir werden mit Frauenförderungsplänen, auch mit dem, was wir parteilich durchsetzen, unsere Anteile auch in der Politik konsequent verbessern. Unsere Bilanz kann sich sehen lassen.
({9})
Meine Herren, meine Damen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir können mit der Abstimmung beginnen.
Wir kommen zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 41 b, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN zur Errichtung einer Stiftung zur Finanzierung von Frauenhäusern. Er liegt Ihnen auf Drucksache 10/2527 vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4688 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen. Ich rufe die §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthalten? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften abgelehnt. Über den Gesetzentwurf braucht also nach unserer Geschäftsordnung nicht mehr weiter abgestimmt zu werden.
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6716 ab. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 41 c, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4688 unter Nr. 1 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 41 d, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Sicherstellung der Gleichstellung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz. Er liegt Ihnen auf Drucksache 10/156 vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4945 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD abzulehnen. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine weitere Beratung.
Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 10/4945 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Entschließung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Entschließung angenommen.
Vizepräsident Cronenberg
Zum Tagesordnungspunkt 41 e schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlage auf Drucksache 10/6137 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der Fall; dann gilt das als beschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 41 g, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5190. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer lehnt ihn ab? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der SPD ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 41 h, Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN - Frauen und Erwerbstätigkeit - auf Drucksache 10/4444. Wer stimmt für diesen Antrag?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der SPD ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 41 i. Es handelt sich um den Antrag der Fraktion der SPD - Rücknahme der Eingriffe in Chancen und Rechte von Frauen. Er liegt Ihnen auf Drucksache 10/3894 vor. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Wir stimmen über den Tagesordnungspunkt 41 j ab, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 10/4985. Die Beschlußempfehlung bezieht sich auf den Bericht der Bundesregierung über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen hinsichtlich der Anwendung des Art. 119 des EWG-Vertrages. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
- Dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.
Zu Tagesordnungspunkt 41 k schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlage auf Drucksache 10/6501 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Weitere Vorschläge werden aus dem Haus nicht gemacht. Dies gilt als beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 411, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 10/6602: Der Ausschuß empfiehlt, die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/1236 und 10/1283 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Wir stimmen über den Tagesordnungspunkt 41 m ab, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6725. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 10/5623 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Zu den Tagesordnungspunkten 41 n und 410 schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/3888 und 10/5627 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Weitere Vorschläge werden aus dem Haus nicht gemacht. Die Überweisung ist beschlossen.
Wir stimmen über den zu Tagesordnungspunkt 41 n vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6715 ab. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses
- Drucksache 10/6659 und den heute morgen aufgesetzten Tagesordnungszusatzpunkt:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- Drucksache 10/6709 - auf.
Mir ist soeben mitgeteilt worden, daß der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zurückgezogen worden ist.
({0})
Zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD und für einen Redebeitrag hat der Abgeordnete Gansel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion beantragt, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Er soll die politische und juristische Verantwortung der Bundesregierung bei den verbotenen Lieferungen von Unterlagen für den U-Boot-Bau nach Südafrika untersuchen.
Es geht dabei nicht um die Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen, auch wenn wir bei ihnen unvermeidliche Untersuchungen werden anstellen müssen. Wir werden dabei behutsam sein, weil wir Arbeitsplätze schützen wollen, an denen zu zivilem Nutzen und für die militärische Notwendigkeit unserer eigenen Sicherheit anständig gearbeitet wird. Arbeitnehmer müssen wir vor den Folgen der Verfehlungen einiger Spitzenmanager und Politiker schützen. Herr Stoltenberg muß es verantworten, daß in dem Bundesunternehmen heute eine Führungskrise offen ausgebrochen ist, die er seit 18 Monaten hat schwelen lassen.
Es geht auch nicht um die Südafrikapolitik dieser Bundesregierung. Sie hat sich in ihrer Unehrlichkeit und Doppelbödigkeit selber entlarvt.
({0})
Bei einer Bundesregierung, die öffentlich an Menschenrechte appelliert, aber heimlich militärische Zusammenarbeit mit einem brutalen Regime sucht, das die Mehrheit im eigenen Land nicht wählen lassen will, das ihr die fundamentalen Menschenrechte abspricht, nur weil sie eine andere Hautfarbe hat, bei einer solchen Politik ist nicht eine Untersuchung, sondern eine Änderung notwendig.
({1})
Es geht auch nicht um die Waffenexportpolitik. Die Waffenexporte der vergangenen Jahre waren umstritten, jedenfalls bei uns - bei Ihnen nie -, aber sie waren rechtlich immer zulässig. Bei dem Südafrikageschäft geht es aber um einen Rechtsbruch. Es geht um die Verantwortung der Chefs des Bundeskanzleramts, der Bundesminister Wörner, Bangemann und vor allen Stoltenberg. Und es geht um den Bundeskanzler selbst. Wir warten seit der Haushaltsdebatte, seit 14 Tagen auf Antworten auf die Frage, warum der Bundeskanzler sich mehrmals und über längere Zeit für ein Rüstungsgeschäft eingesetzt hat, von dem er gewußt hat oder bei dem ersten Gespräch erfahren haben muß, daß es rechtmäßig nicht abgewickelt werden konnte, weil es nach deutschem und internationalem Recht verboten ist. Das Gesetze aber nicht nur das Volk, sondern ebenso die Regierung binden, gehört zum Kernbestand des Rechtsstaates.
({2})
Der Bundeskanzler hat in der Aktuellen Stunde vor einer Woche die Regierungsbank verlassen, um sich auf der parlamentarischen Hinterbank Dekkung zu suchen.
({3})
Er hat auf bohrende Fragen eisern geschwiegen. Das ist eine Mißachtung des Parlaments.
({4})
Der Bundeskanzler darf sich nicht wundern, wenn das von vielen als Eingeständnis seiner Verstrikkung in den Gesamtkomplex der illegalen Waffenlieferung gewertet wird. Es ist sein Recht, zu schweigen, wenn er sich durch eine Antwort selbst belasten könnte. Ein deutscher Bundeskanzler sollte vor dem Deutschen Bundestag nicht weniger Rechte haben als die Berater des amerikanischen Präsidenten vor dem amerikanischen Kongreß.
({5})
Aber: Es ist die Pflicht des Parlaments, Regierungsaffären aufzuklären und die zu hören, die zu Aussagen bereit sind - in der Bundesrepublik nicht weniger als in den USA.
Vier Minister und vier Staatssekretäre haben nicht erklären können, warum nach 18 Monaten immer noch ermittelt wird, immer noch Akten hin-und hergeschoben werden, Zwischenberichte angefordert werden, Überlegungen hinsichtlich neuer Gutachten angestellt werden. Und nichts geschieht, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
({6})
Die Federführung dafür liegt seit Mitte 1985 beim Bundesfinanzminister Stoltenberg. Er kann uns Ende 1986 immer noch nicht sagen, welche Unterlagen von welchem U-Boot-Typ an Südafrika geliefert worden sind. Jeder Soldat und jeder zivile Mitarbeiter der Bundeswehr, der auch nur ein einziges Blatt einer VS-Sache offen herumliegen läßt oder an Dritte weitergibt, bekommt Schwierigkeiten mit dem Staatsanwalt oder zumindest mit seinem Vorgesetzten, und das muß j a wohl auch so bleiben.
({7})
Deshalb gehört es zu den ungelösten Rätseln dieser Affäre, daß die Staatsanwaltschaft nicht wegen des Verdachtes der Preisgabe militärischer Geheimnisse eingeschaltet worden ist, obwohl Konstruktionsunterlagen für eine der modernsten Seekriegswaffen zentnerweise an eine Fremde Macht verschoben worden sind.
({8})
- Ich weiß es sehr genau. Seien Sie vorsichtig mit Ihren Zwischenrufen; Sie werden auch noch viel erfahren. ({9})
Es hätte dann aber Ermittlungen, Vernehmungen, Beschlagnahmen, Durchsuchungen usw. geben müssen, und der Skandal wäre nicht erst zwei Monate vor einer Bundestagswahl öffentlich geworden.
Herr Präsident, wir werden uns im Untersuchungsausschuß bemühen, so schnell wie möglich Antworten zu finden. Vordringlich ist dabei die Beweissicherung. Die Bundesregierung kann die Arbeit des Untersuchungsausschusses durch eine lükkenlose und widerspruchsfreie Dokumentation des Skandals und durch personelle und juristische Maßnahmen auch schnell beenden, wenn Sie es kann.
({10})
Wir sind bereit, bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages und auch im neuen Bundestag zu arbeiten, wenn eine Fortsetzung der Untersuchung unvermeidlich ist. Sie haben diese Untersuchung herausgefordert; wir nehmen die Herausforderung an.
({11})
Wir werden im übrigen die Änderungsanträge der GRÜNEN, die unseren Antrag in einigen Punkten konkretisieren, akzeptieren. Das gehört zum guGansel
ten Stil; denn Untersuchungsausschüsse sind Minderheitenrechte.
({12})
Herr Präsident, wenn ich meine Redezeit überschritten habe, dann bitte ich Sie, mir das im nächsten Bundestag abzuziehen.
Danke sehr.
({13})
Für die Erwartung, daß ich auch im nächsten Bundestag hier oben als Präsident sitze, bedanke ich mich.
({0})
Der guten Ordnung halber möchte ich darauf hinweisen, daß der Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6737 nicht zurückgezogen, sondern ebenfalls Gegenstand der Beratung hier ist.
({1})
- Okay, das zur Vermeidung von Mißverständnissen.
Nun hat der Abgeordnete Seiters das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird in der Parlamentsgeschichte wohl ein einmaliger Vorgang bleiben, daß am vorletzten Plenartag der Wahlperiode und sechs Wochen vor der Bundestagswahl ein Untersuchungsausschuß eingesetzt werden soll.
({0})
Und der Kollege Vogel hat mit allem Pathos, dessen er fähig ist, behauptet, dies habe mit dem Wahlkampf nichts zu tun. Herr Vogel, ich empfehle Ihnen einen Blick in die heutige Tagespresse. Natürlich ist dies Wahlkampf. Dies ist sogar Wahlkampfspektakel. Nur, in der verzweifelten Situation, in der Sie sich befinden,
({1})
wird Ihnen dieses auch nicht mehr helfen.
({2})
Womit wir es wirklich zu tun haben, kann man schon den Daten der beiden Anträge entnehmen, die uns heute vorliegen: Der erste ist eine Woche alt, der zweite stammt von gestern; der erste von den GRÜNEN, der zweite von der SPD. Die Sozialdemokraten haben sich nach langem, innerem Ringen wieder einmal, wie schon beim ersten Untersuchungsausschuß und vielen anderen parlamentarischen Aktivitäten, nachträglich ins Kielwasser der GRÜNEN begeben
({3})
nach dem Motto, wie es kaum zutreffender wie kürzlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hätte formuliert werden können: „Die GRÜNEN schlagen den Takt, und die Roten rudern mit." Das ist die Situation. Das ist ja überhaupt Ihr Problem,
({4})
daß Sie meinen, ständig diesen absurden Wettlauf mit den GRÜNEN anstellen zu müssen, um die Gunst der linken Klientel in der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Es ist nur bedauerlich, daß dieser Wettlauf Sie nunmehr auch zu einem für jedermann offenkundigen Mißbrauch
({5})
eines der wichtigsten parlamentarischen Instrumente treibt, ohne Rücksicht auf die Interessen unserer Republik. Der Versuch von GRÜNEN und SPD, der Bundesregierung illegale Waffengeschäfte mit Südafrika zu unterstellen, ist bereits in der gemeinsamen Sitzung des Wirtschaftsausschusses und des auswärtigen Ausschusses gescheitert.
({6})
Es hat keinen Antrag zur Genehmigung zum Export von U-Boot-Konstruktionsplänen gegeben. Es ist auch keine Genehmigung erfolgt. Als der Bundesregierung bekannt wurde, daß Teile von Konstruktionszeichnungen ungenehmigt an Südafrika geliefert worden waren,
({7})
ist ein rechtlich-förmliches Verfahren gegen die Firmen eingeleitet worden.
({8})
Die Prüfung durch die dafür zuständigen Stellen läuft.
Das Ergebnis dieser Prüfung will die SPD-Fraktion nicht abwarten. Ihr Antrag zeigt ebenso wie die Rede des Kollegen Gansel und mehrere öffentliche Stellungnahmen in den letzten Tagen: Sie nehmen die rechtliche Würdigung im einzelnen bereits vorweg und spicken und vermischen sie mit Verdächtigungen, mit Unterstellungen und mit Diffamierungen
({9}) gegenüber Mitgliedern der Bundesregierung.
({10}) Das ist der Sachverhalt.
Seiters
Eine Zeitung vom heutigen Tage hat geschrieben: „Fröhlicher Wahlkrampf - Nun kommen U-Boote zum Einsatz."
({11})
Die Zeitung erinnert an das Buch von SPD-Wahlkampfleiter Glotz über seine Partei mit dem Titel „Die Beweglichkeit des Tankers" und fügt hinzu, die erwiesen sich immer schon als lohnende Opfer in U-Boot-Kriegen.
({12}) Eine andere Zeitung sagt:
In früheren U-Boot-Tagen nannte man das einen „Kreisläufer": Der abgeschossene Torpedo schlug wegen irgendwelcher technischer Mängel einen Kreis und traf das eigene Boot.
({13})
Mit anderen Worten: Meine Damen und Herren, Sie sollten aufpassen, daß sich auch dieses Unternehmen nicht als Rohrkrepierer für die Sozialdemokraten erweist; denn eines ist ganz sicher: Wenn überhaupt jemand in der Opposition aus diesem UBoot-Untersuchungsausschuß Nutzen zieht, dann allenfalls die GRÜNEN, mit Sicherheit nicht die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.
({14})
Wir nennen beide Anträge überflüssig. Wenn wir uns bei dem Antrag der SPD der Stimme enthalten,
({15})
dann geschieht dies nur aus unserem Respekt, Herr Kollege Vogel, vor dem in der Verfassung garantierten Minderheitenrecht
({16})
auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, den die SPD heute in Anspruch nimmt. Wir sehen der Arbeit dieses Ausschusses mit großer Gelassenheit entgegen.
({17})
- Ja, das haben wir aber schon gesagt, bevor Sie das beschlossen haben, Herr Vogel. Sie haben ja lange Zeit dafür in Anspruch genommen.
({18})
Ich weise jedoch auch hier darauf hin, daß ganz zwangsläufig die Folge dieses SPD-Antrages sein wird, daß nunmehr auch die Waffenexportgeschäfte und Rüstungslieferungen in der Regierungszeit der SPD-Kanzler Brandt und Schmidt öffentlich erörtert werden.
({19})
Wenn diese Diskussion kommt, Herr Kollege Vogel, dann wird sie unter der Überschrift „Doppelmoral und Scheinheiligkeit" geführt werden.
({20})
Auch der heutige Antrag der SPD beweist: Sie haben politisch nichts mehr zu bieten. Mit solchen künstlichen Aufgeregtheiten, wie Sie sie hier produzieren, können Sie Ihre dramatischen Kompetenzverluste bei der Mehrheit unserer Bürger nicht ersetzen.
({21})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben den Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsauschusses zur U-Boot-Affäre gestellt, weil wir die militärische Aufrüstung des Apartheidstaates durch die Bundesregierung für ein Verbrechen an der Menschheit halten und klären wollen, wie Mitglieder dieser Bundesregierung in die illegalen Waffengeschäfte mit dem Apartheidregime verwickelt sind. Wir wollen schnelle Aufklärung. Wir wollen nicht, daß noch mehr Spuren verwischt werden.
Wir freuen uns, daß sich die SPD nach einigem Zögern dieser Initiative angeschlossen hat. Zu dem von der SPD vorgelegten Antrag komme ich noch.
Daß sich ein Untersuchungsausschuß mit Rüstungsexporten an das südafrikanische Apartheidregime beschäftigen wird, ist für alle engagierten Menschen, die sich seit Jahren mit dem Thema bundesdeutscher Rüstungsexporte befassen, ein wichtiges Ereignis. DIE GRÜNEN werden alles daransetzen, daß an diesem einen Beispiel einmal die ganze Grauzone des Rüstungsexports, die ganzen legalen und illegalen Praktiken, die zwischen den Beteiligten gang und gäbe sind, durchleuchtet werden.
Wenn es gelingt, an diesem einen Beispiel aufzuklären, wie der übliche Alltag von Sondierungsgesprächen, von inoffiziellen Voranfragen, von gegenseitigen Hilfestellungen zwischen Rüstungsexporteuren und amtlichen Stellen läuft, welche Drittländer in welcher Form eingeschaltet werden, welche Umgehungsgeschäfte stattfinden, vor allem aber auch, wie eng möglicherweise die Kooperation mit den staatlichen Stellen der Republik Südafrika ist, dann wäre das ein wichtiger Beitrag, um derartige Geschäfte in Zukunft zu verhindern, zumindest aber weiter zu erschweren.
Der Eindruck, der sich aufdrängt, ist doch der, daß die Regierungsstellen Teil eines Waffenschieberringes sind, der mit ganz erheblicher Phantasie versucht, die bestehenden Gesetze zu umgehen. Dieser Verdacht ergibt sich aus dem einfachen Umstand, daß es in der ganzen Frage von U-Boot-Lieferungen wirklich überhaupt nichts zu prüfen und zu sondieren gab. Alle Beteiligten wußten von Anfang an, wie die Rechtslage ist. In der Außenwirtschaftsverordnung heißt es in § 45 - ich zitiere -:
Der Genehmigung bedürfen ... die Weitergabe von nicht allgemein zugänglichen Kenntnissen an Gebietsfremde, die in der Republik Südafrika und Südwestafrika ansässig sind, soweit ... die Kenntnisse die Fertigung oder Instandhaltung der in ... der Ausfuhrliste genannten Waren betreffen.
Was kann der Ausschuß in den verbleibenden Wochen dieser Legislaturperiode noch leisten? Herr Vogel von der SPD hat das schon richtig formuliert: Es geht vor allem darum, jetzt schnell die Akten sicherzustellen, die in den Ministerien, im Kanzleramt, im Amt für gewerbliche Wirtschaft in Eschborn, in den beteiligten Firmen HDW und IKL liegen. Nach unserem Willen wird es auch noch mehrere Zeugenanhörungen geben müssen. Die Chefs der Firmen, Nohse und Ahlers, die Herren Schrekkenberger, Zoglmann, Stoltenberg, Strauß und Kohl müssen gehört werden. Uns ist klar, daß die Unions-Mehrheit im Ausschuß das verhindern kann. Grund wird nicht der Wahlkampf sein, sondern es muß einiges vertuscht werden.
Herr Kohl hat neulich auf seinen Wahlveranstaltungen selbstgefällig berichtet, Südafrika interessiere niemanden. Da sollte er aber nicht so sicher sein. Noch gibt es in diesem Lande so etwas wie politische Moral und ein Verantwortungsgefühl der Menschen gegenüber dem unterdrückten Volk von Südafrika.
({0})
Wenn die Zeugenvernehmungen in den nächsten Wochen verhindert würden, wäre das auch eine Mißachtung von Rechten und Pflichten einer parlamentarischen Minderheit. Was ein Untersuchungsausschuß macht, welche Zeugen er wann vernimmt, darüber zu entscheiden, darf nicht Sache der Regierung sein. Wir werden sehr genau verfolgen, ob CDU/CSU und FDP hier der Versuchung unterliegen, ihre Macht zu mißbrauchen, oder ob sie wenigstens den Mut haben, eine faire und zügige Untersuchung der gegen sie erhobenen Vorwürfe zu ermöglichen.
({1})
Wir GRÜNEN haben unseren Antrag zurückgezogen und statt dessen Änderungsanträge zum Antrag der SPD vorgelegt. Allerdings hat der SPDntrag eine große Schwäche ({2})
deswegen unsere Änderungsanträge -, die eine umfassende Aufklärung erschweren könnte. Wir meinen, es muß auch gefragt werden, was denn tatsächlich geliefert wurde. Es ist ja völlig unklar, ob nur Blaupausen geliefert wurden. Gehörten nicht auch U-Boot-Teile dazu? Gibt es Koppelgeschäfte mit Drittländern? Verbergen sich hinter den genehmigten Ausfuhren nach der Außenwirtschaftsverordnung Rüstungsgüter, die mit dem U-Boot-Skandal in Verbindung stehen? Diese Fragen müssen geklärt werden. Deswegen unsere Änderungsanträge! Wir wollten Sie um Zustimmung bitten, aber wir
haben schon gehört, daß die SPD ihnen zustimmen wird. Dafür herzlichen Dank!
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wir können dem Antrag der SPD-Fraktion nicht zustimmen. Es gibt zwar eine Tradition in diesem Hause, Untersuchungsausschüsse, die von der qualifizierten Mehrheit gemäß Art. 44 des Grundgesetzes beantragt werden, einvernehmlich einzusetzen; aber in diesem Fall, Herr Dr. Vogel, verbietet dies die politische Redlichkeit. Zwei Tage vor Schluß der Legislaturperiode
({0})
einen Untersuchungsausschuß zu beantragen, ist unseriös.
({1})
Was soll denn ein Untersuchungsausschuß, von dem der Antragsteller selbst erklärt, daß er seine Arbeit in dieser Wahlperiode nicht mehr beenden könne?
({2})
- Ihnen, Herr Kollege Ehmke, geht es nur um vordergründiges Wahlkampfspektakel, und zwar in der Verkleidung eines Untersuchungsausschusses.
({3})
Aber damit wird - das gebe ich zu bedenken, meine Damen und Herren -
Herr Abgeordneter Müller! Ruhe, Ruhe!
Damit wird zugleich wie schon im Spionage-Ausschuß wiederum auf Antrag der SPD-Fraktion das Enquete-Recht des Parlaments nachhaltig entwertet.
({0})
Dieser Untersuchungsausschuß ist überflüssig wie ein Kropf.
({1})
Eine politische Klärung der Grundsatzpositionen in der Rüstungspolitik ist durch ihn auch nicht zu erwarten. Meine Partei hat zuletzt auf ihrem Bundesparteitag in Hannover das Prinzip der restriktiven Rüstungspolitik eindeutig bekräftigt. Nach diesem Prinzip ist auch von den beiden zuständigen FDP-Ministern in dieser Bundesregierung, Dr. Mar19976
tin Bangemann und Hans-Dietrich Genscher, gehandelt worden.
({2})
Eine schnellstmögliche Aufklärung, ob einzelne Unternehmen in strafbarer Weise Rüstungsgüter an die Republik Südafrika geliefert haben, ist sicherlich notwendig. Das bestreitet niemand. Meine Fraktion hat dies auch nachdrücklich gefordert, und zwar in völliger Übereinstimmung mit dem Koalitionspartner.
({3})
Wir sagen: Gegebenenfalls sind die notwendigen Konsequenzen mit aller Schärfe zu ziehen. Darüber gibt es keinen Zweifel. Aber die entsprechenden Verfahren sind durch die dafür zuständigen Organe der Verfolgungsbehörden einzuleiten.
Es ist der SPD-Fraktion, die sich oft als besonders rechtsstaatlich brüstet - mit einem ehemaligen Justizminister an der Spitze -, vorbehalten, wiederum, wie schon beim Flick-Ausschuß, die Arbeit der zuständigen Ermittlungsbehörden durch einen parallelen Untersuchungsausschuß zu gefährden.
({4})
Haben Sie denn wiederum die Hoffnung, das Ermittlungsergebnis durch den Untersuchungsausschuß in Ihrem Sinne beeinflussen zu können?
({5})
Außerdem sind doch die maßgeblichen Fakten schon bekannt.
({6})
Die Bundesregierung - Herr Kollege Seiters hat eben mit Recht darauf hingewiesen - hat ja in den Sitzungen der Ausschüsse dieses Hauses eingehend, detailliert über alle Aspekte berichtet.
({7})
- Herr Kollege Gansel, als erste Andeutungen über mögliche illegale Blaupausen-Exporte in einem Gespräch mit dem Bundeswirtschaftsminister fielen, hat dieser umgehend die notwendigen Schritte zur Aufdeckung dieses Vorganges eingeleitet. Es gibt kein Anzeichen dafür, daß Mitglieder der Bundesregierung den betroffenen Firmen irgendwelche Zusagen gemacht oder diese in Aussicht gestellt haben könnten.
({8})
Die beiden meiner Fraktion angehörenden Bundesminister, die mit der Angelegenheit befaßt waren, Außenminister Genscher und Bundeswirtschaftsminister Bangemann, der für die Genehmigungserteilung zuständig gewesen wäre, und die Mitglieder der Bundesregierung insgesamt haben in aller Klarheit und mit aller Entschiedenheit bekräftigt, daß sie zu keinem Zeitpunkt den Export von Rüstungsgütern nach Südafrika befürwortet haben. Daß diese betroffenen Firmen keinen Antrag gestellt haben, beweist, daß sie diese Erklärungen richtig verstanden haben. Die einzigen, die das nicht verstehen wollen, sind Sie, Herr Gansel, und die SPD. Dies alles zum Gegenstand eines Untersuchungsausschusses machen zu wollen, ist an den Haaren herbeigezogen. Die Bevölkerung wird sich hiervon nicht täuschen lassen und Ihren Antrag als traurigen Schlußpunkt einer schon heute gescheiterten Wahlkampfkampagne durchschauen.
Vielen Dank.
({9})
Meine Damen und Herren, nachdem der Antrag der GRÜNEN zurückgezogen worden ist, lasse ich erst einmal über den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/6737 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag bei Enthaltung der CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen zu dem Antrag der SPD auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses auf Drucksache 10/6709, und zwar mit der Änderung, die wir eben beschlossen haben. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag bei Enthaltung der CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich kann damit feststellen, daß gemäß Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes der Untersuchungsausschuß eingesetzt ist.
Ich rufe die Punkte 43 a bis 431 auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 177 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6248 -
b) Beratung der Sammelübersicht 183 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6354 -
c) Beratung der Sammelübersicht 189 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6575 -
d) Beratung der Sammelübersicht 193 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6644 -
e) Beratung der Sammelübersicht 155 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/5677 -
Vizepräsident Cronenberg
f) Beratung der Sammelübersicht 166 des Petitionsausschusses ({5}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6060 -
g) Beratung der Sammelübersicht 174 des Petitionsausschusses ({6}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6184 -
h) Beratung der Sammelübersicht 182 des Petitionsausschusses ({7}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6353 -
i) Beratung der Sammelübersicht 186 des Petitionsausschusses ({8}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6429 -
j) Beratung der Sammelübersicht 192 des Petitionsausschusses ({9}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6643 -
k) Beratung der Sammelübersicht 194 des Petitionsausschusses ({10}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6728 -
1) Beratung der Sammelübersicht 195 des Petitionsausschusses ({11}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/6729 Hierzu liegen eine Reihe von Änderungsanträgen der Fraktion der SPD sowie der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5944, 10/6695, 10/6696, 10/6702, 10/6710 bis 10/6712 sowie 10/6735 und 10/6736 vor.
Meine Damen und Herren, es ist im Ältestenrat zu den Punkten 43 a bis 43d eine gemeinsame Beratung mit drei Runden à 5 Minuten vereinbart worden.
Bevor wir damit beginnen, wollen wir im Präsidium den Wechsel vornehmen.
({12})
Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Petition, die wir jetzt behandeln, dürfte hier im Plenum gar nicht mit einem solchen Mehrheitsvotum des Ausschusses, wie es vorliegt, behandelt werden. Wenn der Petitionsausschuß seinem Auftrag gerecht werden will, dann müßte er das Begehren des Petenten zu seinem eigenen Anliegen machen. Statt dessen werden hier formale Gründe eines gerichtlichen Verfahrens vorgeschoben, um eine Petition wie eine heiße Kartoffel fallenzulassen, und das nicht etwa, weil das Begehren falsch ist, sondern weil der Bundesminister der Verteidigung geschützt werden soll, auch um den Preis der Preisgabe des Kontrollrechts des Petitionsausschusses.
Es soll ein Exempel von seiten des Verteidigungsministers an einem Soldaten statuiert werden, als Warnsignal gegen andere, die das eigenständige politische Denken nicht am Kasernentor abgeben und die sich wie der Hauptmann, um den es hier geht, ihrer Verantwortung und Fürsorge gerecht werden und sich ihren Rekruten gegenüber entsprechend verhalten. Es kann nicht ein einziger Beweis von seiten der Vorgesetzten und des Bundesministers der Verteidigung für ein Dienstvergehen von Hauptmann Fechner erbracht werden. Der Antrag auf Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens, das der Petent gegen sich selbst beantragt hatte, wurde vom Kommandeur der 10. Panzerdivision mangels Tatverdacht abgelehnt. Auch nach weiteren umfangreichen Untersuchungen mußte der Kommandierende General des 2. Korps die Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens ebenfalls ablehnen. Da man keine Beweise gegen den Offizier finden konnte, versuchte man es mit schwammigen Bemerkungen wie: wegen mangelnder Dienstaufsicht und Fürsorge gegenüber den Rekruten. Dieses Verfahren zeigt, auf was für schwachen Füßen die Behauptungen stehen; denn im Gegensatz zu einem disziplinargerichtlichen Verfahren, in dem die Dienstverfehlung des Offiziers nachgewiesen werden müßte, wurde ein strenger Verweis verhängt, also eine einfache Disziplinarmaßnahme, weil es hierbei nach der Rechtsauffassung in der Bundeswehr genügt, daß der Disziplinarvorgesetzte von der Schuld des Untergebenen überzeugt ist. Wenn eine Versetzung aber in Verbindung mit den bekanntgewordenen Vorwürfen ausgesprochen wird, diese Vorwürfe aber durch eine einfache Disziplinarmaßnahme geahndet werden, ist es schlechterdings nicht mehr möglich, hier eine Trennung zwischen den Vorwürfen und der neutralen Verwaltungsmaßnahme einzuhalten. Die ganze Bundeswehr weiß natürlich, daß dies eine Strafversetzung ist.
Ich verweise darauf, daß diese Argumentation in derselben Weise auch bei der Kießling-Affäre angewendet worden ist. Auch die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ist eine wertneutrale Verwaltungsangelegenheit. Da man aber auch diese Maßnahme mit einem Vorwurf, bei Kießling mit dem Vorwurf der Homosexualität, verbunden hatte, kann eine solche Maßnahme nicht mehr als wertneutral betrachtet werden. Das Ministerium hat nach unserer Auffassung aus der Kießling-Affäre nichts gelernt. Es arbeitet leider in demselben Stil weiter.
Es trifft zu, daß das Soldatengesetz auf Grund der Erfordernisse des Dienstes gesetzliche Einschränkungen für Soldaten vorsieht. Wenn 20 Soldaten erklären, daß sie sich an ihr Gelöbnis beim Einsatz von A-, B- und C-Waffen nicht gebunden fühlten, so ist es zwar die Aufgabe des nächsten Disziplinarvorgesetzten, zu untersuchen, aber es ist seine Entscheidung, wie er dies ahndet. Wenn der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte nicht mit der Entscheidung des nächsten Disziplinarvorgesetzten einverstanden ist, kann er den Fall an sich ziehen und selbst eine Untersuchung und Ahndung vornehmen.
In diesem Fall wird dem Hauptmann von vornherein eine Mitschuld an dem Verhalten seiner Untergebenen zugewiesen. Der Vorwurf, daß er tatenlos zugesehen habe, ist durch nichts berechtigt und belegt. Im übrigen ist es äußerst zweifelhaft, ob man Fragen zu politischen Grundsätzen, die für den gesamten Bestand der Bundesrepublik und ihrer Bevölkerung Folgen haben können, mit disziplinaren Maßnahmen lösen kann oder ob es nicht besser wäre, solche Probleme in offener Form zu diskutieren. Mit Strafmaßnahmen kann man zwar die Soldaten disziplinieren und deren Meinung unterdrükken, man kann aber nicht deren Meinung ändern. In dieser schwierigen Frage hat nicht der Petent versagt, sondern die militärische Führung der Bundeswehr.
({0})
Sie hat keine Antwort auf die drängenden Fragen und Zweifel, die die Bevölkerung an der bestehenden Strategie mit dem Einsatz von taktischen Nuklearwaffen - und das schließt den Ersteinsatz durch die NATO auf bundesrepublikanischem Boden ein - hat. Angesichts dieser schwierigen Frage ist es außerdem ein Verstoß gegen die Grundsätze der Personalführung, der Inneren Führung, zu versetzen. Eine Versetzung hat nur aus dienstlichen Gründen zu erfolgen. Die Gründe für diese Versetzung liegen aber im politischen Bereich. Hier wird die Meinungsfreiheit unterdrückt.
Wir beantragen deshalb Zurücküberweisung an den Petitionsausschuß.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Anträge der SPD-Fraktion zu den beiden ersten Petitionen werfen eine wichtige Grundsatzfrage über die Behandlung bestimmter Petitionen im Petitionsausschuß auf. In beiden Fällen sind nämlich mehrere Gerichtsverfahren anhängig. Die Frage ist, wann und wie der Petitionsausschuß sich in solche schwebenden Verfahren einschalten kann. Wir haben dabei bisher im Ausschuß den ungeschriebenen und, wie ich glaube, zwingenden Grundsatz gehabt, daß wir das nur dann tun, wenn entweder das Anliegen des Petenten offenkundig begründet ist oder dem Petenten das Abwarten einer Gerichtsentscheidung nicht zumutbar ist. Nur dann kommt eine Einmischung in schwebende Verfahren in Frage.
({0})
Wie ist die Sachlage hier? Im ersten Fall geht es gleich um zwei schwebende Gerichtsverfahren. Ein Hauptmann der Bundeswehr beschwert sich über seine Versetzung an einen anderen Standort. Ich will hier sehr bewußt zur Sache selbst, zu dieser Versetzung, gar nicht Stellung nehmen, sondern darauf hinweisen, daß das Bundesverwaltungsgericht über einen Antrag dieses Petenten auf einstweiligen Rechtsschutz gegen diese Maßnahme negativ entschieden hat. Ein solches Verfahren mit
Bezug auf einstweiligen Rechtsschutz bedeutet, daß das Gericht eine sogenannte summarische Prüfung vornimmt, also prüft, ob das Anliegen offenkundig berechtigt ist. Wenn ja, erfolgt einstweiliger Rechtsschutz. Hier hat das Bundesverwaltungsgericht negativ entschieden. Bleiben wir bei dem Grundsatz des Petitionsausschusses, daß wir uns in schwebende Verfahren nur dann einschalten, wenn das Anliegen des Petenten offenkundig begründet ist, scheidet dieser Grund schon einmal aus. Denn ich meine nicht, daß sich der Petitionsausschuß hier sogar sozusagen an die Stelle des Bundesverwaltungsgerichtes setzen und erklären darf: Wir sehen die Frage, ob offenkundige Begründetheit vorliegt, anders.
Die Frage, ob dem Petenten ein Abwarten der gerichtlichen Entscheidung zuzumuten ist, ist im Falle eines Soldaten, eines Beamten bei einer Versetzung ohne weitere dienstliche Nachteile, meine ich, ebenfalls zweifellos so zu beantworten: Es ist zumutbar.
Ihr Anliegen, diese Petition nun an den Petitionsausschuß zurückzuverweisen, dann den Petenten anzuhören, weitere Beteiligte im Petitionsausschuß anzuhören, Akteneinsicht vorzunehmen, bedeutet, daß Sie diesen Petitionsausschuß zu einem gerichtsähnlichen Verfahren veranlassen wollen. Ich bitte in allem Ernst, zu bedenken, ob dies eine angemessene Möglichkeit ist, die Chancen des Petitionsausschusses zu nutzen, oder ob wir hier nicht eher einem Mißbrauch des Petitionsausschusses Vorschub leisten. Wir werden deshalb Ihren Antrag ablehnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte für unsere Fraktion dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen. Auch wir sind der Auffassung, daß hier im Petitionsverfahren entsprechend dem Antrag der SPD-Fraktion im Ausschuß eine Anhörung stattfinden soll. Herr Kollege Dr. Göhner, das hat überhaupt nichts damit zu tun, daß dieses Parlament, daß diese Volksvertretung nicht selbstverständlich schwebende Verfahren und dann vor allen Dingen die Ergebnisse von Gerichtsverfahren respektiert. Aber die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt entbindet dieses Parlament nicht von der Verpflichtung, auf der Grundlage einer Petition dem Anliegen des Petenten nachzugehen und z. B. zu prüfen, ob hier nicht nach unserer Bewertung offenkundig von den Disziplinarmaßnahmen in nicht sachgerechter Weise Gebrauch gemacht worden ist. Dafür liegen hier sehr, sehr viele Anhaltspunkte vor.
Der Kollege Kirschner hat zu Recht auch auf die Art und Weise der Behandlung des Petenten im Vergleich zu einem in den Medien sehr bekanntgewordenen 4-Sterne-General hingewiesen. Ich denke, es geht hier sozusagen exemplarisch um die Fragen - insofern begrüße ich es außerordentlich, daß der
Kollege Würzbach und die Vertreter des Verteidigungsministeriums hier heute anwesend sind; das ist bei Beratungen über Sammelübersichten des Petitionsausschusses sonst leider nicht der Fall -: Wie weit geht Meinungsfreiheit in der Bundeswehr? Wie sieht es heute, im Jahre 1986, mit den Grundsätzen der Inneren Führung bei unserer Bundeswehr aus? Wie werden abweichende Meinungen gegenüber der politischen Führung verhandelt? Denn, Herr Kollege Kirschner, Sie haben in einem Schriftsatz zu Recht darauf hingewiesen, daß der Betroffene, um den es hier geht, zumindest damals eine Auffassung vertreten hat, die zwei Drittel der Bundeswehrsoldaten teilen, die es nämlich mit ihrem Eid nicht in Einklang bringen können, den Einsatz von ABC-Waffen als Soldaten der Bundeswehr, die die Aufgabe haben, die eigene Bevölkerung zu schützen, zu planen und im Ernstfall auch vorzunehmen. Da besteht auch eine Verbindung zu der folgenden Petition.
Ich denke, es geht um die sehr ernste Frage, inwieweit auch die Bundeswehr tatsächlich noch einer demokratischen Kontrolle unterliegt. Ich glaube nicht, Herr Kollege Dr. Göhner, so ernst ich Ihre Ausführungen auch nehme, daß wir als Parlament es uns so einfach machen und sagen können: Grundsätzlich greifen wir überhaupt nicht mehr ein. Ich glaube, daß wir da eine ganz wichtige Kontrollfunktion wahrzunehmen haben. Nach dem, was hier in den Unterlagen für mich nachvollziehbar geschildert ist, muß der Petitionsausschuß entsprechend dem Antrag der Kollegen der SPD-Fraktion hier weiter tätig werden, ungeachtet dieser Gerichtsverfahren.
Ich denke also, der Bürger in Uniform sollte nicht etwas sein - das richte ich vor allem an die rechte Seite des Hauses und ganz besonders an die Vertreter der Hardthöhe -, was man in schönen, feierlichen Reden beschwört, sondern etwas, was auch in der alltäglichen schwierigen Praxis Gültigkeit hat, auch wenn es darum geht - ich stelle mich jetzt einmal ganz auf Ihren Standpunkt -, Ordnung in der Bundeswehr herzustellen. Dieser wunderschöne Grundsatz der Inneren Führung und vom Bürger in Uniform muß immer Gültigkeit haben.
Wir haben den starken Verdacht, daß die Versetzung, um die es hier geht, nicht diesen Grundsätzen entspricht. Deswegen stimmen wir dem Antrag der SPD-Fraktion zu.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es ist schon ganz interessant zu sehen, welche Differenzen zwischen den Auffassungen der Oppositionsparteien und den Auffassungen der Koalitionsparteien bestehen.
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- Das Recht des parlamentarischen Gebrauchs ist selbstverständlich.
Entscheidend ist doch, daß die Opposition zwei Dinge nicht wahrhaben will: Erstens will sie nicht wahrhaben, daß man ein gerichtliches Verfahren abzuwarten hat, bevor sich der Petitionsausschuß damit befassen kann.
({1})
Zweitens will sie die politischen Fragen, die dieser Petition mehr noch als die ganzen disziplinarrechtlichen Fragen zugrunde liegen, nicht von den sachlichen Fragen trennen. Ich kann nur noch einmal Herrn Göhners Aussage wiederholen: Es ist einfach nicht eine Angelegenheit des Petitionsausschusses, zum Verfahren, zur Dauer und zum Ergebnis eines Gerichtsprozesses Stellung zu nehmen oder gar Einfluß auf ihn zu nehmen. Genausowenig sollte er auf die Prozeßparteien einwirken, höchstens dann, wenn es ganz dringend ist. Der Petitionsausschuß sollte sich da heraushalten.
Gerade für die erste Petition - wir kommen nachher zu der zweiten Petition, die fast ähnlich gelagert ist - ist symptomatisch, daß sich die Friedensinitiative Tuttlingen zum Sprecher und zum Vertreter des Hauptmanns Fechner gemacht hat. Man muß feststellen, daß abgesehen von diesem formalen Aspekt, daß es wegen des laufenden Gerichtsverfahrens dem Petitionsausschuß eigentlich verwehrt ist, sich mit dieser Sache zu befassen, die Friedensinitiative Tuttlingen die Frage nach dem Recht des Staatsbürgers in Uniform usw. geradezu in den Mittelpunkt der Petition gestellt hat.
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Eben fielen auch wieder die Begriffe Meinungsfreiheit in der Bundeswehr, Stil der Inneren Führung. Das steht im Petitionsausschuß nicht zur Debatte.
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Das wäre eine Sache, die man hier debattieren sollte. Aber es ist keine Petition im Sinne von Art. 17 des Grundgesetzes. Darum schließt sich die FDP dem Beschluß des Petitionsausschusses an und sieht die Petition in diesem Sinne als erledigt an.
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Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 43 b.
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- Hier ist verabredet worden, daß die Abstimmungen nachher zusammen erfolgen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch diese Petition ist aus dem Bereich des Bundesministers der Verteidigung. Es gibt auch hier eine Parallele.
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- Der Herr Ministerialrat Dr. Schneider ist von hier. Bekanntlich ist das nicht mein Wahlkreis.
({1})
- Wir haben hier eine Abmachung. Die Frau Vorsitzende weist immer wieder darauf hin, daß wir Petitionen aus dem eigenen Wahlkreis selber behandeln sollen, weil wir darüber am besten Bescheid wüßten.
Aber ich will jetzt einmal auf die Parallelität hinweisen.
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- Sie sind doch schon x-mal in der Presse genannt worden. Hier geht es nicht um Datenschutz. Wäre dies der Fall, hätte ich mich daran gehalten. Da ja in der Öffentlichkeit dieses schon diskutiert wurde, besteht auch ein Interesse daran.
Ich möchte, wenn vorher immer darauf hingewiesen wird, daß wir uns nicht einschalten sollten, wenn irgendwelche Verfahren laufen, erst einmal feststellen, daß der Petitionsausschuß von Fall zu Fall entschieden hat, ob er auf den Bund als Prozeßpartei einzuwirken hat. Dies möchte ich klar und deutlich feststellen.
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Zum zweiten, Frau Kollegin Dr. Segall: In beiden Fällen haben die beiden Petenten gegen sich selbst ein Disziplinarverfahren beantragt. In beiden Fällen ist es abgelehnt worden. Wenn in beiden Fällen eine Versetzung bzw. die Wegnahme eines Referats erfolgt, kann doch der Petitionsausschuß dann, wenn sich die Petenten an ihn wenden, nicht sagen, das ginge ihn nichts an.
Lassen Sie mich deutlich sagen: Diese Petition, die wir jetzt beraten, ist eine Petition, von der ich meine, daß sie eigentlich überflüssig sein müßte. Eigentlich müßte der Deutsche Bundestag diesem Petenten einen zusätzlichen Orden verleihen, wie er dem Petenten vom Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes, unserem ehemaligen CDU-Kollegen Prinz zu Sayn-Wittgenstein, für sein Eintreten in dieser Sache, worauf sich diese Petition bezieht, verliehen worden ist. Wir müssen dem Petenten dankbar sein, daß er uns auf den Widerspruch zwischen dem von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten, jedoch bis heute vom Bundestag noch nicht ratifizierten Zusatzprotokoll zu der Genfer Konvention von 1949 einerseits und der Einsatzdoktrin der Bundeswehr im Verteidigungsfall andererseits sensibilisiert hat.
Diese Petition dürfte nicht die Petition eines einzelnen sein, sondern sie sollte das Anliegen der gesamten Legislative sein. Es ist bedauerlich - ich sage dies wirklich ohne Häme und ohne Schärfe; dies ist ein ehrliches Anliegen -, daß die Mehrheit des Petitionsausschusses diese Petition aus formalen Gründen - wie vorher in dem anderen Fall - wegen eines anhängigen Gerichtsverfahrens, das der Petent wegen der Wegnahme des bisher von ihm geleiteten Völkerrechtsreferats angestrengt hat, nun als erledigt betrachtet. So wird das Petitionsrecht wirklich nicht in dem Sinne genutzt, wie wir es vom Gesetz her tun könnten.
Sie, die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, haben sich leider die Argumentation des Bundesverteidigungsministers zu eigen gemacht. Das Bundesverteidigungsministerium - das möchte ich auch mit aller Deutlichkeit sagen - hat nach unserer Auffassung sehr kurzsichtig und nur in militärischen Sachzwängen reagiert. Da der Petent kein Gehör fand, hat er am 28. April 1980 an den Bundeskanzler und an den Deutschen Bundestag eine Petition gerichtet, in der er darauf hinweist, daß infolge unzureichender Unterrichtung weder die Abgeordneten des Bundestages noch die Mitglieder des Bundessicherheitsrates in die Lage versetzt worden seien, zu erkennen, daß die Nuklearstrategie mit Hilfe des beabsichtigten Nuklearvorbehaltes rechtlich nicht abgesichert werden könne. Die Haltung des Petenten erfuhr Anerkennung und ausdrückliche Bestätigung durch den damaligen außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unseren inzwischen verstorbenen Kollegen Dr. Alois Mertes. Dies möchte ich ausdrücklich erwähnen.
Der Petent ist noch einmal durch einen entsprechenden Brief des damaligen Staatsministers beim Bundeskanzler, Herrn Dr. Philipp Jenninger, bestätigt worden, der ihm am 26. Oktober 1982 u. a. mitgeteilt hat, daß mit der Petition der maßgebliche Zweck erreicht sei, nämlich die „erstrebte Wissenserweiterung und Bewußtseinsschärfung der Adressaten". Dies möchte ich ausdrücklich in den Raum stellen.
Deshalb sollten wir diese Petition so ernst nehmen, wie sie ist. Ich möchte an Sie appellieren - das ist ein Appell, den wir wirklich ernst nehmen sollten -, diese Petition an den Petitionsausschuß zurückzuverweisen, damit er sich noch einmal sachkundig macht. Dies ist unsere Bitte an Sie. Ich bitte Sie, dieses wirklich noch einmal zu überlegen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat Herr Dr. Göhner.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Natürlich kann sich der Petitionsausschuß ausnahmsweise auch in einem schwebenden Gerichtsverfahren mit der Sache befassen, auf den Bund als Prozeßpartei einwirken, aber nur dann, wenn eine offenkundige Begründetheit des Anliegens vorliegt und/oder dem Petenten Abwarten der Entscheidung nicht zuzumuten ist. Hier in diesem Fall haben zwei Gerichte über die Frage zu Rate gesessen, ob das Anliegen des Petenten offensichtlich begründet ist: ein Verwaltungsgericht und ein Oberverwaltungsgericht. Sie haben festgestellt, die Umsetzung sei Rechtens - so das OVG ausdrücklich. Können wir uns jetzt an die Stelle dieser Gerichte setzen und sagen: Wir beurteilen diese - in diesem Fall - Rechtsfrage aber ganz anders? Ich bitte Sie, zu bedenken, was passiert, wenn wir so verfahren. Jeder Bürger, der sich von einem Gericht ungerecht behandelt fühlt, kommt zu uns und sagt: Petitionsausschuß, hör mich an - Sie fordern ja die Anhörung des Petenten im Ausschuß -; wir wollen, daß der Ausschuß das überprüft. - Wir müssen,
meine ich, als Petitionsausschuß unsere Überprüfungsmöglichkeiten von Gerichtsentscheidungen wirklich auf die Fälle beschränken, die wir gemeinsam im Auge haben. Wir hatten auch in dieser Legislaturperiode einen solchen Fall, einen Härtefall, wo es eine Gesetzeslücke gab. Aber ich meine, wir dürfen nicht generell zur Überprüfung von Gerichtsentscheidungen kommen.
In diesem Fall nun zur Sache selbst, so wie das Oberverwaltungsgericht dies nicht ohne Grund festgestellt hat: Es geht um die Versetzung eines Referatsleiters ohne dienstliche Nachteile. Die Funktionsfähigkeit des Referats wird wiederhergestellt. Der Betroffene ist nicht mehr in der Zwangslage, gegen seine eigene Überzeugung einen bestimmten Teil seines früheren Referates vertreten zu müssen. Er bekommt einen zusätzlichen anderen Zuständigkeitsbereich. Dies ist, meine ich, sowohl von der Sache als auch vom Verfahren her in Ordnung.
Ich möchte darauf hinweisen, daß Sie, verehrte Kollegen von der SPD-Fraktion, in beiden Anträgen, die Sie uns hier vorlegen, in der Begründung den Versuch machen, den Sachverhalt darzustellen. In beiden Fällen lassen Sie - ich nehme an, bewußt - die Hinweise auf die schwebenden Gerichtsverfahren weg. Ich finde das nicht in Ordnung. Ich meine, wenn wir dazu übergehen wollen, in diesen Fällen schwebende Gerichtsverfahren zu begleiten, in sie einzugreifen - durch Einfluß auf den Bund als Prozeßpartei -, muß gerade dies besonders begründet werden; es darf nicht zum Regelfall werden.
({0})
- Ich würde gern, Frau Präsidentin, diese Zwischenfrage des Kollegen Hansen zulassen.
Herr Kollege Hansen, bitte, Sie haben das Wort.
Herr Dr. Göhner, würden Sie einem juristischen Laien vielleicht darin zustimmen, daß es ein großer Unterschied ist, ob ein Petent ein Gerichtsverfahren gegen sich selbst beantragt hat oder ob der Dienstherr ein Gerichtsverfahren gegen ihn beantragt hat?
Herr Kollege Hansen, in diesem Fall geht es darum, daß eine Maßnahme des Dienstherrn erfolgt ist - Neuzuordnung der Referate - und der Petent dagegen Rechtsschutz begehrt hat. Im Verfahren betreffend einstweiligen Rechtsschutz wurde das in zwei Instanzen abschlägig beschieden. Das Hauptverfahren ist noch anhängig. Es geht jetzt um die Frage, ob wir uns in dieses schwebende Verfahren einmischen wollen, ob wir auf den Bund als Prozeßpartei einwirken wollen. Wir sehen uns nicht in der Lage, entgegen dem Oberverwaltungsgericht zu sagen: Obwohl ihr nach summarischer Prüfung zu dem Ergebnis kommt, die Umsetzung sei berechtigt, sehen wir das als Petitonsausschuß anders. - Wir würden uns damit - noch dazu bei dem Verfahren, das Sie uns empfehlen: Anhörung des Betroffenen, Akteneinsicht - zu einer gerichtsähnlichen Institution aufschwingen. Ich hielte dies verfassungspolitisch für I äußerst bedenklich.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Juristen haben es so an sich, daß sie mit den formalen Argumenten die Auseinandersetzung um die Inhalte sehr oft ausschließen oder sehr erschweren. Ich glaube, hier liegt auch ein Problem. Ich wiederhole mich, Herr Kollege Dr. Göhner: Das, was zur Unabhängigkeit der Justiz gesagt worden ist, findet sicherlich auch unsere Zustimmung. Nur müssen wir uns fragen: Wie machen wir als Parlament über den Petitionsausschuß von unseren parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten Gebrauch? Sie haben selbst gesagt: Im Einzelfall entscheidet der Ausschuß. - Hier geht es, anders als im vorherigen Fall, darum, ob ein Petent - dafür spricht sehr viel - wegen zweier Petitionen, die er an dieses Parlament gerichtet hat, Nachteile erleidet.
({0})
Es ist eine Grundfrage, wie ernst wir das Petitionsrecht nehmen. Denn wenn Bürgerinnen und Bürger befürchten müssen - auch wenn sie hohe Beamte sind -, daß sie Nachteile wegen einer Petition erleiden, dann wird diesem Grundrecht im Grunde genommen der Boden unter den Füßen weggezogen, Herr Kollege.
({1})
- Das hat den Nachteil, daß uns dann freie Petitionen nicht mehr erreichen werden, daß eine Art Schere im Kopf besteht.
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Jetzt will ich Ihnen einen zweiten Gesichtspunkt nennen, Herr Kollege.
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Wir haben z. B. in der Vergangenheit, in unserer Geschichte, glaube ich, viel zu sehr darunter zu leiden gehabt,
({4})
daß Beamte, auch Richter, Juristen vor allen Dingen, immer wieder das getan haben, was von ihnen von oben erwartet worden ist, daß sie nicht remonstriert haben, daß sie nicht den Vorgesetzten gesagt haben: Das ist Unrecht; da machen wir nicht mit. Deswegen kommt gerade der Auseinandersetzung mit jemandem, der den Mut besitzt, in einer solch heiklen Frage, über die - der Herr Kollege Würzbach kann das bestätigen - wir ja auf Grund der Gesetzesinitiative der GRÜNEN mehrfach in diesem Parlament sehr kontrovers diskutiert haben, deswegen kommt einer solchen Initiative eines Be19982
amten ganz besondere Bedeutung zu. Sie wollen hier - diesen Verdacht habe ich zumindest - ein Exempel statuieren.
({5})
- Aber bitte, ich möchte die Zwischenfrage des Kollegen zulassen.
Das wäre nett. - Herr Göhner, bitte.
Herr Kollege, welchen persönlichen oder auch dienstlichen Nachteil hat der Petent nach Einreichung seiner Petition?
Herr Kollege, das habe ich im Ausschuß bereits gesagt. Rein verwaltungsrechtlich ist mit dem eleganten Ändern der Völkerrechtsabteilung und der Seerechtsabteilung im Verteidigungsministerium kein Nachteil entstanden, aber es ist ganz klar - das wissen Sie vielleicht noch besser als ich -, daß, wenn jemand, der an verantwortlicher Stelle eine so wichtige Abteilung bearbeitet hat, statt der Völkerrechtsabteilung hier Seerecht und irgendwelche Schadensfälle, so wichtig das auch sein mag, zu bearbeiten hat, das als ein Nachteil empfunden wird. Sie haben doch die Akten gelesen. Wenn ich mir den Vermerk über das Gespräch mit Herrn Dr. Ermisch ansehe, dann ergibt sich, daß hier ganz bewußt auch die Haltung eines Beamten, der nicht das tut, was sein Vorgesetzter von ihm erwartet, mit Nachteilen bedacht wird.
({0})
Ich denke, dagegen müssen wir als Petitionsausschuß, wenn wir als Parlament uns ernst nehmen, uns wehren.
({1})
- Der Nachteil ist, daß der Petent eine andere Abteilung übernommen hat.
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- Natürlich, er hat eine andere Abteilung übernommen.
Seine Bedenken werden übrigens nicht ernst genommen. Ich wollte das eigentlich an dieser Stelle nicht erörtern. Es ist eine äußerst problematische Begründung, wenn Herr Ermisch z. B., glaube ich, vor dem Unterausschuß, der da zuständig ist, ausgeführt hat: Die Bundesrepublik Deutschland kann nicht daran interessiert sein, eine für die Glaubwürdigkeit der Bündnisstrategie schädliche Unsicherheit über die Frage der Vereinbarkeit mit dem Zusatzprotokoll entstehen zu lassen. Dieses Protokoll hätte eigentlich im nachhinein gar nicht ratifiziert, gar nicht unterzeichnet werden sollen, und es wird deswegen seit Jahren nicht ratifiziert, bzw. es wird über die Nuklear-Erklärung nachgedacht.
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- Das hat sehr wohl mit der Petition zu tun. Das ist hier sozusagen eine Petition auf der Grundlage zweier Petitionen, die diesen Beamten bei der Führung der Hardthöhe in Mißkredit gebracht haben. Ich finde, wenn dieser Beamte hier einen Nachteil erleidet, dann sind wir als Parlament gefordert.
({4})
Das kann das Gericht nämlich nicht leisten. Das würde über die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte hinausgehen. Dann sind wir als Parlament gefordert, hier diesen Beamten dabei zu unterstützen. Das ist die politische Verantwortung dieses Parlaments, wenigstens nach unserem Verständnis. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Fraktion zu.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Vielleicht können wir uns ein bißchen unterhalten, wie wir es normalerweise im Ausschuß auch machen. Das wäre vielleicht ganz nett. Da hören wir uns eigentlich doch recht aufmerksam zu.
Es geht hier wieder einmal um diese Trennung zwischen dem rein Formalen und dem Inhaltlichen. Bei dem Formalen ist es doch wieder wirklich so: Warten wir doch erst einmal ab, wie ein Gericht darüber entscheidet, ob diese Versetzung nach Umbildung der Referate wirklich eine Benachteiligung ist. Auch für mich gilt da - ich bin zwar kein Jurist
- eben dieser Grundsatz, daß wir in schwebende Verfahren nicht eingreifen sollen und daß wir auch eigentlich nicht befugt und dazu beauftragt sind, Gerichtsentscheidungen zu überprüfen. Das ist das eine Thema.
Das andere Thema ist die Ursache für die Petition. Da frage ich mich manchmal, auch bei anderen Anträgen, die wir in den Petitionsausschuß kriegen: Wozu sitzen wir eigentlich hier als Abgeordnete, und wozu sitzen die Parteien hier,
({1})
wenn Leute mit solchen dringenden Anlässen den Petitionsausschuß bitten müssen, sich dieser Dinge anzunehmen? Warum können sie nicht zu Ihnen, zu mir, zu Ihnen kommen
({2})
und sagen: Also, da ist doch etwas nicht in Ordnung; dafür mußt doch nicht nur du dich, sondern dafür muß sich eigentlich auch deine Partei einmal einsetzen? Warum müssen sie da den Petitionsausschuß anrufen?
Sie lassen eine Zwischenfrage von Herrn Hansen zu?
Ja.
Herr Hansen, eine Zwischenfrage. Bitte schön.
Frau Kollegin Dr. Segall, ist die FDP bereit, dieses Petititionsverfahren, wenn das Gerichtsverfahren abgeschlossen ist, hier wieder aufzugreifen?
({0})
Ja, selbstverständlich. Ja, aber natürlich.
Die sachlichen Probleme, die dieser Petition und dem ganzen Vorgang zugrunde liegen, müssen hier von uns allen und nicht bloß unter Ausschluß der Öffentlichkeit im Petitionsausschuß diskutiert werden. Da gehören sie hin.
({0})
- Gerade umgekehrt. Das Petitionsrecht entartet doch dazu, daß Beschlüsse, die hier diskutiert werden sollten oder bereits diskutiert worden sind, wieder in den Petitionsausschuß kommen, in der Hoffnung, es dann wieder neu aufzurollen.
({1})
Aber dieses Thema ist noch nicht diskutiert worden. Es wäre also Angelegenheit der Parteien, daß sie das dann einmal als Antrag hierherbringen.
Danke.
({2})
Meine Damen und Herren, jetzt kommt zu Tagesordnungspunkt 34 c und folgende die letzte Runde.
Der Abgeordnete Vahlberg hat das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr gut, daß wir noch Gelegenheit finden, die Petition Oberjettenberg hier zu diskutieren, die uns ja jetzt seit etwa zwei Jahren begleitet hat, die intensiv diskutiert worden ist, bei der wir eine Ortsbesichtigung durchgeführt haben und die eigentlich so klar ist, daß sie hier einvernehmlich verabschiedet werden könnte, wie ich meine.
Es handelt sich dabei um die Verlegung des Standortübungsplatzes von Bad ReichenhallKirchholz nach Oberjettenberg, einem Gebiet am Kienberg. Die Bundeswehr betreibt die Verlegung dieses Standortübungsplatzes seit jetzt 17 Jahren, weil sie mit der Fläche am Kienberg nicht zufrieden ist, weil sie angeblich nicht ausreicht.
Nun handelt es sich beim Oberjettenberg um ein Gebiet, das im Alpenschutzpark, im Naturschutzpark Berchtesgaden, liegt und ökologisch außerordentlich wertvoll ist. Es gibt dort Birkenwälder; es gibt dort Schneeheide; es gibt artgeschützte Orchideen dort; es gibt den seltenen Hermelin dort; Schneehuhn und Schneehase kann man dort antreffen; es ist von den Naturschutzbehörden als ein ökologisch ausgesprochen wertvolles Gebiet bezeichnet worden.
Das Interessante ist, daß nun vor Ort eigentlich alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte gegen die Verlegung des Standortübungsplatzes nach Oberjettenberg sind. Die Kirchen sind dagegen; die Naturschutzverbände sind dagegen; der Alpenverein ist dagegen; alle Parteien, auch die CSU, sind dagegen, daß verlegt wird. Ja, sogar Franz Josef Strauß, mit dem ich manchmal politisch nicht einig gehe, ist der Auffassung, daß der Standortübungsplatz nicht nach Oberjettenberg kommen soll, und hat ein ergänzendes Raumordnungsverfahren gefordert. Herr Pöppl, der Bayerische Landtag hat sich einstimmig entsprechend erklärt. Ich meine, daß es aus all diesen Gründen möglich sein muß, die Bundeswehr dazu zu bewegen, doch weiterhin Kirchholz zu beüben und auf Oberjettenberg zu verzichten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Vahlberg, ist Ihnen noch geläufig, daß der Bayerische Landtag und der von Ihnen angezogene Ministerpräsident des Freistaates Bayern eine ergänzende Anhörung nur für den Fall gefordert haben, daß Kirchholz verlegt werden soll?
Herr Kollege Pöppl, der bayerische Ministerpräsident will nicht, daß Oberjettenberg beübt wird, und in dem Kompromißvorschlag, der jetzt vom Ausschuß mit Ihrer Mehrheit durchgesetzt wird, wird Oberjettenberg durchaus beübt, zwar nicht entsprechend der alten Forderung, die die Bundeswehr vorgetragen hat
({0})
- das ist richtig -, aber es wird dort geübt, und unsere Befürchtung ist ganz einfach, daß dort zum einen das nicht realisiert werden kann, was die Bundeswehr will - denn im Kompanierahmen wird man auf diesen Teilflächen östlich der Erprobungsstelle nicht üben können - und daß dies zum anderen möglicherweise ein Brückenkopf ist, von dem aus die Bundeswehr dann zwar friedlich, aber eben doch den gesamten Oberjettenberg erobern könnte.
({1})
Auch aus diesem Grunde sind wir der Meinung, daß diese östlich der Erprobungsstelle liegenden Flächen nicht beübt werden sollten.
Was die alte Forderung der Bundeswehr anlangt, die ja noch nicht vom Tisch ist - sie ist noch nicht vom Tisch; nach Aktenlage ist das, Frau Berger, nach wie vor die Forderung der Verteidiger -, wäre es so - wir haben uns ja anläßlich einer Ortsbesichtigung davon überzeugt -, daß dann, wenn man dort den Schutzwald und die Wassereinzugsgebiete abzieht, von den 250 ha nur 55% übrigbleiben und das Gelände, das beübt werden kann, nicht größer ist als Kirchholz.
Darüber hinaus bleibt es ein Geheimnis der Bundeswehr, wie die Freiflächen zustande kommen sollen, die nämlich fünffach kleiner sind als am Kirchholz, die Freiflächen, die gebraucht werden, wenn im Kompanierahmen geübt werden soll, was ja auch der Kompromißvorschlag nicht zuläßt.
Aus all diesen Gründen sollte es, so meine ich, dabei bleiben, daß die Bundeswehr Kirchholz beübt. Die Gebirgsjäger sind stolz auf ihren hervorragenden Ausbildungsstand. Das wird bei jeder Gelegenheit betont. Es war schon zur Zeit der Reichswehr so, daß die Gebirgsjäger hervorragend ausgebildet waren, von Narvik bis Kreta. Das ist auch heute so. Deshalb macht es, so meine ich, wenig Sinn, jetzt diese östlich der Erprobungsstelle liegenden Flächen zusätzlich zu beüben.
Wir sind der Auffassung, daß die Petition in allen Punkten berücksichtigt werden sollte. Wir sind der Meinung, daß das Staatsziel Umweltschutz, das auf unsere Initiative hin dankenswerterweise in die bayerische Verfassung aufgenommen worden ist, Herr Pöppl, natürlich gewisse Folgerungen haben muß, wenn es nicht eine papierne Angelegenheit bleiben soll. Da müssen viele Interessen zurückstehen, und in diesem Falle sollte das Interesse der Bundeswehr zurückstehen. Wir meinen also, daß die Petition in allen Punkten Berücksichtigung finden sollte.
Schönen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Pöppl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein unwürdiges Spiel, das die Opposition hier mit der Regierungskoalition zu treiben versucht.
({0})
- In der Tat! Das hat der Herr Vahlberg hier gerade vorgeführt. Sie versuchen nämlich, uns mit der Behauptung in die Ecke zu stellen, wir wollten Landschaftsschutz, Umweltschutz usw. nicht beachten, wir wollten etwas durchsetzen, was sich einseitig gegen die Umwelt richte. Sie sind so unseriös, daß Sie das grundgesetzliche Gebot der Landesverteidigung, das ebenso Verfassungsrang hat wie das landesrechtliche Gebot des Umweltschutzes, hier nicht mehr einführen. Sie sprechen nur von Umweltschutz. Das haben Sie die ganze Zeit so gepflogen. Deswegen ist es nicht seriös, wenn Sie hier eine Regelung vorschlagen, die mit einer Alles-odernichts-Politik zu tun hat.
({1})
Ich glaube, meine Damen und Herren, so können wir nicht vorgehen.
Herr Kollege Vahlberg, ich stimme Ihnen aber zu, auch die Regierungskoalition ist gegen eine Verlegung von Kirchholz. Da sind wir ganz gleicher Meinung. Jetzt wird es sich, wenn Sie darüber abstimmen, erweisen, ob Sie bereit sind, unserem Vorschlag zuzustimmen. Wenn Sie nicht zustimmen, dann haben Sie sich zugleich von der Landesverteidigung abgemeldet, das ist die klare Geschichte.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Pöppl?
Natürlich, sehr gerne.
Schönen Dank, Herr Pöppl. Sie haben eben gesagt, wir machen eine Politik des Alles oder Nichts. Das kann ja wohl nicht wahr sein, denn wir akzeptieren natürlich, daß die Bundeswehr weiter auf dem Gelände Kirchholz übt.
Stellen Sie bitte eine Frage, Herr Kollege.
Nehmen Sie zur Kenntnis oder akzeptieren Sie, Herr Pöppl, daß wir die Landesverteidigung natürlich bejahen und auch dafür sind, daß die Gebirgsjägerbrigade 23 weiterhin -
Sie begründen. Welche Frage stellen Sie nun eigentlich?
Ob Herr Pöppl mir zustimmt.
Sie haben ja eben geredet, Herr Kollege. Da haben Sie das ja bereits alles gesagt.
Vahlberg: Na gut, okay, dann lassen wir es dabei.
Sie haben zum Thema Landesverteidigung überhaupt nichts gesagt. Diese zwei Dinge müssen Sie gegeneinander abwägen. Dies ist eine Güterabwägung, die Sie treffen sollten. Die haben Sie nicht getroffen, das ist genau der Punkt.
Unser Thema im Petitionsausschuß war, das Grundanliegen der Petenten zu behandeln, daß nämlich Kirchholz nicht verlegt wird. Dies haben wir positiv behandelt. Deswegen können Sie sich auch nicht mit Ausflüchten auf den Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern und auf den Landtagsbeschluß berufen und sich damit wohl nicht recht in Szene setzen, Herr Kollege Vahlberg. Ich sage es hier noch einmal, weil ich jetzt das Wort habe: Der Landtagsbeschluß lautet dahin, wenn Sie es in der Akte noch einmal nachlesen wollten, daß nur dann hilfsweise eine nochmalige Anhörung gewünscht wird, wenn eine Verlegung von Kirchholz nach Oberjettenberg vorgesehen ist. Dies sieht jedenfalls die Mehrheit des Petitionsausschusses nicht vor. Wir sind an die äußerste Grenze der Zumutbarkeit gegangen, die unter den bestehenden rechtlichen Kriterien realistisch gefordert wird und realisierbar ist.
Ich muß schon sagen, wenn ich an die Auffassung der Fraktion DIE GRÜNEN denke und, Herr Kollege Mann, Richter außer Diensten, an das, was Sie in Ihrem Brief geschrieben haben - das ist schon eine eigenartige Rechtsauffassung, wenn Sie hier
meinen, daß Rechtspositionen durch Zeitablauf beseitigt würden.
({0})
Sie schreiben wortwörtlich, daß nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen nach langer Zeit eine derart weitreichende Planung nicht mehr vollzogen werden darf. Also, ich muß sagen, das ist schon etwas sonderbar. Sie haben ja schon mehrfach besondere Rechtsauffassungen in diesem Bereich geäußert. Aber ich muß schon sagen, jeder Prozeßhansel kann auf diese Weise erreichen, daß dann das, was vorher Rechtens war, nicht mehr gelten soll.
({1})
Wir von der Regierungskoalition - da darf ich mit für die FDP sprechen - sind der Auffassung, daß auf die Verlegung von Kirchholz verzichtet werden sollte.
({2})
- Die Regierungskoalition hat dies im Petitionsausschuß mit ihrer Mehrheit gemeinsam so beschlossen. Es konnte zu keiner Zeit widerlegt werden - und das ist doch auch ein Punkt, den Sie mal beachten sollten -, daß der Standortübungsplatz Kirchholz zu klein und nur eingeschränkt nutzbar ist. Das haben Sie eigentlich überhaupt irgendwo vergessen. In den Änderungsanträgen der SPD und der GRÜNEN heben Sie auf die alten Behauptungen ab, obwohl sie längst widerlegt sind.
({3})
- Im Antrag der GRÜNEN. Es ist ungeheuer, jawohl.
Ich glaube, wir haben mit unserem Lösungsvorschlag in der Tat dazu beigetragen, Landschaft und Privateigentum in erheblichem Umfange in Schutz zu nehmen. Gegenüber dem von der Bundesregierung beabsichtigten Konzept wird die Inanspruchnahme von Privatgrund um 60 % reduziert und auf den östlichen Teil beschränkt, von dem ohnehin kein vernünftiger Mensch mehr behaupten kann, es handle sich um eine unberührte Landschaft. Zudem soll den Eigentümern auf Wunsch gleichwertiges Ersatzland bereitgestellt werden, so daß Existenzgefährdungen ausgeschlossen sind. Schließlich legen wir, die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, besonderen Wert darauf, daß auf die Inanspruchnahme des übrigen Gebiets durch Aufhebung der Bezeichnungsverfügung in Abstimmung mit der Bayerischen Staatsregierung auf Dauer verzichtet wird. Dann ist dieses Thema - das ich akzeptiere
- vom Tisch.
Herr Kollege, könnten Sie zum Ende kommen?
Ja. Ich komme zum Ende. - Ich glaube, daß die Meldung der „Süddeutschen Zeitung", die hier erscheint, wohl die Autorität des Petitionsausschusses nicht ins rechte Licht rückt. Herr Kollege Vahlberg, Sie sollten darauf vertrauen - ich habe Signale dafür -, daß das, was der Petitionsausschuß beschlossen hat, in die Tat umgesetzt werden kann.
Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Behandlung der Petition zur Verlegung des Standortübungsplatzes der Bundeswehr vom Kirchholz in Bad Reichenhall nach Oberjettenberg durch die gegenwärtige Mehrheit des Bundestages ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Unfähigkeit staatlicher Bürokratie, aber auch der derzeitigen Mehrheit im Bundestag, begangene Fehler zu erkennen und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Im Fall Oberjettenberg wird diese weit verbreitete Lernunfähigkeit zu einem umweltpolitischen Skandal ersten Ranges, Herr Kollege Pöppl. Kein politisch Verantwortlicher kann sich heute, im Spätherbst 1986, noch damit herausreden, er wisse nichts vom Sterben des Bergwalds und von der Schutzwaldfunktion. Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen: Fahren Sie mal wieder nach Oberjettenberg! Die Petenten und die Bürgerinnen und Bürger draußen im Land, auf die Sie sich so gern berufen, erwarten von ihren gewählten Volksvertretern, daß aus der ökologischen Katastrophe des Waldsterbens politische Konsequenzen gezogen werden. Ihr angeblicher Kompromißvorschlag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, nämlich eine nur teilweise Verlegung des Übungsplatzes nach Oberjettenberg unter Beibehaltung des bisherigen Platzes im Kirchholz, zeigt ein weiteres Mal, daß Sie zu durchgreifenden Konsequenzen nicht fähig sind.
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- Also, Frau Präsidentin, ich finde das hier ziemlich unzumutbar; aber ...
Was ist denn passiert, um Gottes willen?
Es ist ein fauler Kompromiß, weil dadurch auch eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Schutzwaldfunktion des Bergwaldes,
({0})
der Nutzung der teilweise Jahrhunderte bestehenden Bauernhöfe sowie des Fremdenverkehrs einträte.
Die Behandlung der Petition Oberjettenberg zeigt jedoch nicht nur Ihr umweltpolitisches Versagen. Es wird vielmehr auf erschreckende Art und Weise wieder einmal auch deutlich, wie wenig der Petitionsausschuß und dieses Palament bereit sind,
die Befugnisse zur Korrektur von Fehlern der Regierung und der Verwaltung wahrzunehmen.
({1})
Die auf das Jahr 1968 zurückgehende Planung eines Standortübungsplatzes in Oberjettenberg in einem der schönsten und ökologisch wertvollsten Landschaftsschutz- und Naherholungsgebiete des Berchtesgadener Landes war von Anfang an, Herr Kollege Dr. Göhner, eine Fehlplanung. Die Initiative zu dieser Planung ging nicht von der Bundeswehr aus.
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Vertreter der Bundeswehr - hören Sie mal gut zu! - bezeichneten diese Planung selber als Notlösung. Der Petitionsausschuß konnte sich bei einem Ortstermin im Oktober 1985 davon überzeugen, daß Oberjettenberg aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht als Übungsplatz geeignet ist.
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Es ist nun hohe Zeit, und durch die Petition hat der Bundestag die Möglichkeit, Frau Berger diese offensichtliche Fehlplanung endlich zu korrigieren.
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Nach unserer Auffassung reicht der gegenwärtige Standortübungsplatz im Kirchholz für die Übungszwecke der Bundeswehr aus,
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zumindest wenn auf der Reither Alpe zusätzliche Übungsmöglichkeiten geschaffen werden. Keinesfalls, Herr Pöppl, kann heute noch, nachdem in der bayerischen Verfassung der Umweltschutz als Staatsziel verankert worden ist, Oberjettenberg ohne ein ergänzendes Anhörungsverfahren nach dem Landbeschaffungsgesetz und ohne ein neues Raumordnungsverfahren als Übungsplatz genutzt werden. Der sogenannte Kompromißvorschlag ist in Wirklichkeit ein Kniefall gegenüber dem Bundesverteidigungsminister, der nicht begriffen hat, daß Belange der Bundeswehr keinen Vorrang vor Naturschutz und Erhaltung des Lebensraums der Oberjettenberger Bergbauern haben.
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Ich möchte abschließend aus einem Schreiben eines dieser Bergbauern an die Vorsitzende des Ausschusses zitieren. Der mit „Hilferuf eines bayerischen Bergbauern" überschriebene Brief
({7})
beginnt wie folgt - ich zitiere -:
Seit 15 Jahren kämpfen wir schon gegen die Verlegung des Standortübungsplatzes von Kirchholz nach Oberjettenberg und um die Erhaltung unserer Heimat. Es wird wohl niemanden geben, der sich in unsere Lage versetzen
und ermessen kann, was es bedeutet, wenn man 35 Jahre den seit über 400 Jahren bestehenden elterlichen Hof bewirtschaftet und mit jedem Quadratmeter Grund und Boden verwachsen ist, 15 Jahre mit der Ungewißheit leben muß, eines Tages von dieser geliebten Heimat vertrieben zu werden.
So weit dieser Bergbauer.
Die Mehrheit dieses Parlaments versagt heute zu meinem tiefen Bedauern gegenüber diesem Hilferuf. Wir GRÜNEN werden uns trotz dieser Fehlentscheidung weiter mit Nachdruck dafür einsetzen, daß die Bergbauern von Oberjettenberg auch nicht auf schleichendem Wege, worauf Ihr fauler Kompromiß hinausläuft, von der Bundeswehr von ihren Höfen vertrieben werden.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hinsichtlich der Verlegung des Truppenübungsplatzes aus Bad Reichenhall-Kirchholz nach Oberjettenberg hat sich der Ausschuß die Arbeit nun wirklich nicht leicht gemacht. Ein fast zweijähriges Ringen um einen Kompromiß muß j a schließlich irgendwann einmal ein Ende haben. Viele Ortsbesichtigungen und persönliche Gespräche haben - so sehen wir von der FDP das - der Diskussion aber auch die Schärfe genommen.
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Insoweit ist es nicht ganz richtig, Herr Mann, wenn Sie hier noch Türme aufbauen, die eigentlich gar nicht mehr da sind.
({1})
- Oh j a, selbstverständlich. - Insoweit ist die Arbeit des Petitionsausschusses unseres Erachtens auch erfolgreich gewesen.
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Wir Freien Demokraten lehnen - genau wie auch die CDU, wie Sie - die ursprüngliche Planung des Verteidigungsministeriums ab. Das ist doch eine gemeinsame Basis. Die ursprüngliche Planung, die Maximalforderung steht überhaupt nicht mehr zur Debatte.
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Unsere Kompromißlinie liegt dort, wo die Grundanliegen formuliert wurden: Erhaltung von Kirchholz und Teilinanspruchnahme von Oberjettenberg. Damit wird drei Forderungen der Petenten Rechnung getragen:
Erstens. Natur und Landschaft werden nur in begrenztem Rahmen und in vertretbarem Maß in Anspruch genommen. Die Belange des Schutzes von
Bergwäldern können weitgehend berücksichtigt werden. Schutzwälder leiden, Herr Mann, im übrigen oft mehr unter dem Fremdenverkehr und den Ski-Touristen als unter gelegentlichen Übungen von Gebirgsjägern.
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Die Belange des Natur-, Landschafts- und Wasserschutzes sind weitgehend gewahrt.
Zweitens. Bergwanderer werden von der Maßnahme nur im Rahmen der Zumutbarkeit betroffen. Der Massentourismus wird überhaupt nicht berührt, so daß auch keine Einbußen beim Fremdenverkehr zu befürchten sind.
Drittens. Die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe beurteilen den Kompromiß sehr unterschiedlich: Während die einen mit der Landabgabe und der Abfindung mit Ersatzland oder mit Geldabfindungen einverstanden sind, stimmen die anderen diesem Kompromiß nicht zu. Immerhin werden 60 % des Besitzes und des Eigentums langfristig geschützt.
Die Bundeswehr, deren Begehren wir immer sehr kritisch gegenüberstehen - sehr kritisch! -,
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deren Belange in einem dichtbesiedelten Lande aber ebenfalls berücksichtigt werden müssen, hat verschiedene Nachteile in Kauf zu nehmen: Erstens. Sie kann nur den östlichen Teil des Oberjettenbergs in Anspruch nehmen. Hier befinden sich bereits ein Steinbruch mit Dolomitabbau und ein E-Werk. Die Bundeswehr kann also nicht, wie ursprünglich verlangt, auch den westlichen Teil benutzen. Der Schutzwald im Westteil wird demnach überhaupt nicht berührt.
Zweitens. Die Bundeswehr muß ihren Übungsbetrieb auf zwei Plätze verteilen, was sicherlich erhebliche Erschwernisse mit sich bringt. Bei Ausbildung im Kompanierahmen muß die Bundeswehr sogar auf einen dritten Platz ausweichen.
Für die FDP gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß unser Kompromißvorschlag vom Verteidigungsminister akzeptiert wird. Eine Demokratie lebt vom Kompromiß. Meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, keine Partei kann ihre Maximalforderung durchsetzen. Das gilt auch für die Petenten. Darauf zu beharren, Herr Kirschner, hieße ja letzten Endes, die Freiheit und Entfaltung der anderen einzuschränken.
Der Petitionsausschuß hat darüber zu wachen, daß die Freiheitsräume in einem komplizierten Staatswesen und in einem dicht besiedelten Land gegeneinander abgewogen werden und gewahrt bleiben. Dies ist vielleicht, Frau Vorsitzende Berger, eine der vornehmsten Aufgaben des Petitionsausschusses.
({6}) Extrempositionen lassen wir nicht gelten.
Sollte die Bundesregierung - und jetzt komme ich wirklich zum letzten Satz; ich kann es nicht länger hinziehen ({7})
diesem Beschluß nicht voll entsprechen, wird der Bundesminister der Verteidigung dem Petitionsausschuß die Gründe hierfür persönlich erläutern müssen. - Ich hoffe, wir haben inzwischen die Mehrheit.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe um das Wort gebeten, um zu den drei Petitionen, die der Petitionsausschuß heute hier im Plenum behandelt, die alle drei unser Ressort, das Verteidigungsministerium, betreffen, kurz einige Gedanken von seiten der Bundesregierung vortragen zu dürfen.
Ich möchte vorweg, Frau Kollegin Berger, Ihnen und allen Mitgliedern des Petitionsausschusses sagen - eine Selbstverständlichkeit eigentlich -, daß die Beschlüsse des Petitionsausschusses bei uns im Ministerium - um mit unserer Sprache zu sprechen - eine ganz hohe Autorität besitzen und für uns natürlich Leitlinie für das Verhalten sind.
({0})
Ich begrüße sehr, daß die Sprecher der Koalitionen respektvoll im Interesse der Petenten, aber auch möglicher Zeugen - die sind nicht erwähnt worden - Rücksicht darauf nehmen, daß Verfahren anhängig sind und wir hier nicht in öffentlicher Debatte - ob wir dies wollen oder nicht, wir täten dies - da in irgendwelche Meinungsbildung eingreifen dürfen.
Ich habe zu der ersten und zweiten Petition nicht länger etwas zu sagen. Wir schließen uns der Argumentation an. Ich glaube, wir tun gut daran zu warten, bis in den Gerichten Recht und Urteil gesprochen wurde.
Zu dem Übungsplatz in Oberjettenberg: Eine Bundeswehr, ein Bataillon, das nicht üben kann, das könnten wir abschaffen, das brauchen wir nicht. Wer übt in seiner Umgebung so behutsam, wie es gerade Gebirgsjäger tun? Gebirgsjäger sind dort in der Landschaft auch mit den Familien zu Hause und fühlen sich mit der Natur, der Umwelt, den Gegebenheiten heimisch verbunden, gerade in diesen Gegenden. Aber auch diese müssen üben. Sie müssen vor der Haustür üben können und nicht jeden morgen mit irgendwelchen Bussen oder anderen Verkehrsmitteln sonstwohin transportiert und zurückgefahren werden. Es muß vor der Tür der Kasernen, wo wir die Soldaten stationiert haben, geübt werden.
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Hier haben wir uns jahrelang um Kompromisse bemüht, haben uns Selbstbeschränkungen aufer19988
legt, haben natürlich auf den Übungsplätzen solche Bereiche behütet, beschützt und ausgeklammert, die der Kollege der SPD hier erwähnte, wo sich schätzenswerte Pflanzen und Tiere angesiedelt haben, oft als letzte Refugie.
Ich begrüße den Vorschlag des Petitionsausschusses und sage hier noch einmal für die Regierung zu: Wir werden uns daran halten.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 43 a, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6735. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wüscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Er ist mit Mehrheit abgelehnt.
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Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6248 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 43b, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6736. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6354 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 43c, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6702. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6712? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6575 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 43d, und zwar über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6644. Nur zur Anmerkung: Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Abgeordnete Vogel ({1}) eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung abgegeben. *)
*) Anlage 10
Wer der Beschlußempfehlung, die ich eben aufgerufen habe, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 43 e, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5944. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/5677 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 43f, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6710. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6060 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 43 g, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6696. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6184 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 43h, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6711. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6353 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 43i und 43 j, die Sammelübersichten 186 und 192 des Petitionsausschusses. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 10/6429 und 10/6643? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dies mit großer Mehrheit angenommen.
Vizepräsident Frau Renger
Jetzt kommen wir zu den bereits aufgerufenen Tagesordnungspunkten 43 k und 431, der Beratung der Sammelübersichten 194 und 195 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen auf den Drucksachen 10/6728 und 10/6729. Hierfür ist keine Aussprache vorgesehen. Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen sind die Beschlußempfehlungen angenommen.
Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 44 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN
Friedliche Lösung des Eritrea-Konflikts
- Drucksachen 10/5130, 10/5878 Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6695 und 10/6714 vor. Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Eid.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Es freut mich, daß gerade heute, am Tag der Menschenrechte, die Debatte über den Eritrea/Äthiopien-Konflikt geführt wird; denn im Falle Eritreas wird eines der grundlegendsten Rechte für ein ganzes Volk in gravierender Weise verletzt, nämlich das Recht auf Selbstbestimmung. Die Verletzung dieses Rechtes ist Ursache für einen nunmehr 25 Jahre anhaltenden Krieg.
Im äthiopisch besetzten Teil Eritreas finden wir eine gewissenlose Kolonialherrschaft, die mit brutaler Gewalt die wehrlose Zivilbevölkerung unterdrückt. Trotz dieser untragbaren Situation hielt es bis heute keine der Bundesregierungen und keine der im Bundestag vertretenen Parteien für notwendig, sich des Schicksals des eritreischen Volkes anzunehmen. Insofern ist es ein historisches Ereignis, daß heute zum ersten Mal im Deutschen Bundestag über diesen Konflikt debattiert wird. Anlaß hierfür ist die Große Anfrage der GRÜNEN.
Die Antwort ist allerdings mehr als unbefriedigend, und ich vermag nicht zu beurteilen, ob es an schlichter Unwissenheit oder an taktischen Erwägungen liegt, daß so oberflächlich geantwortet wird. Sollten dadurch etwa die diplomatischen Beziehungen zu der äthiopischen Militärregierung nicht gefährdet werden?
Kern der Regierungsargumentation ist, daß es sich beim Eritrea/Äthiopien-Konflikt um eine interne Angelegenheit handele, in die sich die Bundesrepublik nicht einmischen könne. Die Fakten allerdings sprechen dagegen.
Eritrea entstand als solches erst durch die italienischen Kolonialisten und war bis 1941 italienische Kolonie. Nach weiteren Jahren unter britischer Verwaltung wurde Eritrea im Gegensatz zu anderen ehemaligen afrikanischen Kolonien das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit nicht gewährt. Statt dessen beschlossen die Vereinten Nationen 1950 eine Föderation mit Äthiopien, obwohl sich bei den im Jahre 1947 in Eritrea stattfindenden Wahlen eine kleine, aber deutliche Mehrheit für die Unabhängigkeit Eritreas aussprach. John Forster Dulles machte die Hintergründe dieser UN-Entscheidung deutlich. Er sagte - ich zitiere -:
Der Gerechtigkeit halber müßte der Wille des eritreischen Volkes berücksichtigt werden, aber die strategischen Interessen der USA und Überlegungen zu Weltsicherheit und Weltfrieden zwingen dazu, eine Verbindung des Landes mit unserem Alliierten Äthiopien zu unterstützen.
Am 14. November 1962 schließlich erklärte Äthiopien die Föderation für null und nichtig und verleibte sich Eritrea als 14. Provinz ein. Nach verschiedenen völkerrechtlichen Analysen muß diese Annexion als eindeutig illegal und als eine Verletzung eines UN-Beschlusses angesehen werden.
Einer friedlichen Lösung des Eritrea-Konflikts wurde bislang wegen strategischer Interessen der Supermächte ausgewichen. Ihre Intervention in der jüngsten Geschichte ist das größte Hindernis zur Lösung des Konflikts. Mit der riesigen Militärhilfe aus der Sowjetunion führt heute Äthiopien den mörderischen Krieg gegen das eritreische Volk. Mit großen Nahrungsmittellieferungen versuchen die westlichen Länder wieder Einfluß auf Äthiopien zu gewinnen.
Lassen Sie mich zum Schluß einen weiteren Aspekt in diesem Zusammenhang nennen. In den Jahren 1984/85 wurde die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit auf die gravierende Hungersnot und die Notwendigkeit, Hilfe zu leisten, gelenkt. Es ist unsere Pflicht, diese Aufmerksamkeit auch auf die Wurzeln der Hungersnot zu lenken. In Äthiopien werden 45% des Etats für Verteidigung und Sicherheit ausgegeben. Mit 300 000 Soldaten besitzt Äthiopien eine der größten Armeen Afrikas.
Zum Schluß möchte ich alle in diesem Hause bitten: Kommen wir der Forderung des Vorsitzenden der Labour Party in Großbritannien, Neil Kinnock, nach, der folgendes sagt:
Während wir um Hilfe für die eritreische Bevölkerung bitten, müssen wir gleichzeitig an die Überwindung der Ursachen dieses Überlebenskampfes gehen. Wir alle sollten uns verpflichtet fühlen, diesen Krieg endlich zu beenden.
Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu!
Frau Präsidentin, eritreische Flüchtlinge, die hier in der Bundesrepublik leben, möchten zurück in ihre Heimat. Dies haben sie in einem Appell an die Mitglieder des Bundestages und der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht und dafür 3 000 Unter19990
schriften gesammelt. Erlauben Sie, daß ich in Vertretung der Eritreer der Bundesregierung diesen Appell überreiche.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Seiters hat eben gesagt: Was soll eine Debatte um diese Zeit zu diesem Thema eigentlich noch bewirken? Wollen wir nicht lieber die Reden zu Protokoll geben? Ich habe dem Kollegen Seiters geantwortet, das möge aus technischen, taktischen und sonstigen Überlegungen vielleicht sinnvoll sein. Aber ich glaube, wer sich einmal im Ernst zumindest ein wenig mit Not, Elend und Tod von Hunderttausenden in Eritrea beschäftigt, der kann auf diese fünf Minuten nicht verzichten, so kurz diese Zeit auch sein mag.
Über zehntausend Menschen aus Eritrea haben in unserem Lande Asyl gefunden. Ich finde gut, was in einem Brief, den wir in diesen Tagen erhalten haben, stand. Ich will das einmal sagen, weil es angesichts anderer Debatten vielleicht einmal zu Nachdenklichkeit in vielerlei Beziehung anregt. Dort stand: Wir, die Flüchtlinge aus Eritrea, die in der Bundesrepublik Deutschland Asyl gefunden hatten, danken dem deutschen Volk und der deutschen Regierung dafür, daß man uns in ihrem Lande als Gäste aufgenommen hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies muß für uns Verpflichtung sein, sich diesem Thema zuzuwenden. Die Scheinwerfer sind immer häufiger auf andere Themen gerichtet. Es gibt viele Probleme auf dieser Erde, die selten das Scheinwerferlicht unseres Interesses finden. So bin ich für diese fünf Minuten dankbar, dankbar, daß wir wenigstens fünf Minuten Zeit haben, uns mit der Lage in Eritrea zu beschäftigen.
Ich hoffe und gehe davon aus, daß wir uns, weil alles das, was hier anzusprechen wäre, nicht angesprochen werden kann, was zu erörtern ist, nicht erörtert werden kann und weil auch die Frage: Was kann man tun? - die eigentlich bewegende Frage für Politiker - in dieser Stunde, zu dieser Zeit, nicht mehr hinreichend durchdiskutiert werden kann und weil ich leider sicher bin, daß das Problem, wenn wir uns nach dem 25. Januar so oder in anderer Zusammensetzung hier wiederfinden, nicht gelöst sein wird, danach erneut und vielleicht ein wenig intensiver und ausführlicher mit dem Problem dieser Region beschäftigen.
Frau Kollegin Eid, Sie haben einiges gesagt, was mir gefallen hat, und einiges, was mir weniger gefallen hat. Ich kann Ihnen das jetzt angesichts der Zeit nicht im einzelnen argumentativ auseinanderlegen. Aber dies will ich Ihnen doch sagen: Ich glaube, es ist notwendig, einmal sorgfältig zu erörtern: Was können wir denn angesichts der unglaublichen Kompliziertheit der Probleme, der vielen Implikationen - Sie haben es sehr vereinfacht dargestellt - tun, welche Chance haben wir denn eigentlich?
Wenn wir Ihren Antrag und den der SPD ablehnen, ist einer der Gründe, daß wir meinen, es ist erforderlich, sich vorher sorgfältiger darüber zu unterhalten, zu genaueren Überlegungen zu kommen, auch deutlicher zu benennen, was wir können und wen wir in den Ring einfordern. Zu sagen, die Bundesregierung habe nichts getan, gehört zu den Platten, die eine Opposition immer ablaufen lassen muß. Aber darüber nachzudenken, was man denn tun könnte, um zu Frieden in Eritrea zu kommen, den Menschen Not, Elend, Hunger und Tod zu ersparen, ist lohnend.
Ich sage mit Blickrichtung auf die SPD, daß wir Ihren Antrag u. a. auch deshalb ablehnen, weil Sie davon ausgehen - und das gehört fast schon zum Ritual, das alles ineinanderzumengen -: Die Weltmächte sind es mal wieder. So einfach ist es nicht.
Wer das Leid der Eritreer beklagt, muß auch dazusagen, wer einer der wesentlichen Verursacher des Problems ist, von wem die Waffen stammen, mit denen geschossen wird.
({0})
Es muß deutlich werden, wer dafür verantwortlich ist. Ich will hier nicht in einfache Formeln ausweichen. Aber während wir den Hungernden geholfen haben - Frau Eid, Sie haben gesagt: um Äthiopien einzukaufen; ich finde das, entschuldigen Sie bitte, eine wenig faire Beschreibung dessen, was wir zum Teil gemeinsam beschlossen und was Hunderttausende, Millionen von Deutschen getan haben, um Elend und Not in Äthiopien zu lindern -, während wir also versucht haben, wenigstens die gröbste Not zu lindern, so unzulänglich das auch war, liefen parallel dazu die Schiffe mit Hammer und Sichel ein und haben Panzer und Waffen geliefert.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden die Anträge ablehnen, nicht weil wir nicht Frieden in Eritrea wollten, nicht weil wir nicht die Lösung für ein komplexes Gebilde von Problemen wollten, sondern weil wir glauben, daß sie der Situation nicht hinreichend gerecht werden.
Wir sollten uns in diesen letzten Minuten des parlamentarischen Geschehens des 10. Deutschen Bundestages vornehmen, uns im nächsten Deutschen Bundestag ein wenig mehr Zeit für diese Frage zu nehmen, sorgfältiger zu argumentieren, sorgfältiger zu analysieren und sorgfältiger zu überlegen, was wir denn tun können. Ich bitte also um Verständnis, wenn wir die Anträge ablehnen.
Ich möchte nur noch eines deutlich machen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir wollen Frieden in Eritrea.
Wir sollten uns also abschließend vornehmen, es beim nächstenmal mit unseren Entschließungsanträgen besser zu machen, als wir es dieses Mal hingekriegt haben.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Holtz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Schade, daß die CDU/CSU hier in dieser ganz wichtigen Frage kneift.
({0})
Eritrea ist Schauplatz von Afrikas längstem Krieg. Seit einem Vierteljahrhundert kämpfen Eritreer nach der einseitigen Annexion ihres Landes durch Äthiopien gegen äthiopische Regierungstruppen um Selbstbestimmung.
({1})
Meine Fraktion findet es gut, daß der Bundestag über die Eritrea-Frage - und sei es auch am Ende dieser Legislaturperiode - diskutiert. Ich bin dankbar, daß Sie gesagt haben: Wir wollen die Diskussion in der neuen Legislaturperiode fortsetzen. Und ich bin dankbar, daß wir durch diese Diskussion aber auch schon heute die Chance eröffnen, diesen vergessenen Krieg wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit hineinzubringen.
Wenn Hunger, Elend und Leid mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft überwunden werden sollen, ist eine sofortige Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen unabdingbar, so wie dies Willy Brandt bereits 1984 gefordert hat.
({2})
- In der Tat. Ich hoffe doch, daß Sie nicht irgendwo Kriegshetzer sind.
Uns Sozialdemokraten reicht nicht, was die Bundesregierung bislang in dieser Frage getan hat, dokumentiert in der zum Teil äußerst dünnen Antwort auf die Große Anfrage.
Wir wissen, daß das Ende des Krieges die Voraussetzung für eine friedliche politische Lösung des Eritrea-Konfliktes wäre. Eine solche Lösung würde es dann den vielen tausend Eritreern, die auch in der Bundesrepublik leben, den Flüchtlingen ermöglichen, in ihre Heimat zurückzukehren.
In einem kurzen Beitrag kann man nicht die völkerrechtliche Situation in allen ihren Aspekten behandeln. Wir meinen allerdings, daß man eine gerechte und friedliche Lösung der Eritrea-Frage auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts und der Prinzipien der Organisation der Afrikanischen Einheit finden muß.
Wir fordern die Bundesregierung auf, entsprechende internationale und regionale Initiativen zu unterstützen. Wie wir für Deutschland nicht in der Lage sind hic et nunc Vorschläge für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes zu unterbreiten, die für alle akzeptabel wären, dürfen wir aber auch nicht glauben, als Bundesrepublik für andere Konfliktfelder in der Welt immer eine Lösung parat zu haben. Deshalb meinen wir: Auf dem Verhandlungswege ist zu klären, in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt das Selbstbestimmungsrecht für Eritrea zu verwirklichen ist.
Das Selbstbestimmungsrecht und die Achtung der Menschenrechte stehen in einer engen wechselseitigen Beziehung zueinander. Deshalb sollte die Bundesregierung gegenüber Äthiopien auf die Einhaltung der Menschenrechte dringen, insbesondere auch im Zusammenhang mit den Umsiedlungsaktionen.
Leider sieht Ihr Antrag, wie wir meinen, die Eritrea-Frage viel zu isoliert. Zur friedlichen Beilegung des Eritrea-Konflikts ist es von größter Bedeutung, daß sich die Supermächte - jeder weiß, wie involviert die Sowjetunion ist, jeder kennt die geopolitischen Interessen der USA - zurückhalten und aus dem Konflikt am Horn von Afrika nicht einen Schauplatz des Ost-West-Konflikts machen. Geschähe dies, so wären die Chancen für eine friedliche Lösung auf absehbare Zeit vertan. Setzen sie sich aber beide für eine friedliche Lösung ein, käme dies mit Sicherheit auch den anderen Konflikten am Horn von Afrika zugute.
Auf dem Feld der humanitären Hilfe könnte die Bundesrepublik am schnellsten zu einer Linderung der Notlage der Bevölkerung beitragen. Entscheidend kommt es darauf an, daß die Hilfsgüter die notleidende Bevölkerung in Eritrea auch erreichen. Deshalb sollte sich die Bundesregierung geeigneter, auch eritreischer Hilfsorganisationen bedienen.
Langfristig ist es nötig, daß Maßnahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Äthiopien ergriffen werden. Der Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat einmütig am 7. November 1984 gefordert, daß man besonders auf die Beseitigung der Ursachen für die Hungerkatastrophe die Anstrengungen konzentrieren muß. Ich meine, daß dies in diesem Zusammenhang auch ganz wichtig ist.
Die SPD hat ihre Forderungen und Auffassungen zum Eritrea-Konflikt in einem Entschließungsantrag niedergelegt, für den wir die Zustimmung erbitten.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Holtz, hier kneift niemand. Wir haben eine klare Position. Für die FDP sind zwei Dinge selbstverständlich: unser Eintreten für nationales Selbstbestimmungsrecht, auch für die Rechte ethnischer Minderheiten, und vor allem humanitäre Hilfe für die Hungerregionen dieser Welt. Es bedarf keiner Aufforderung an die Bundesregierung, in diesem Sinne tätig zu werden. Ich denke, daß das Engagement unseres Außenministers hier über jeden Zweifel erhaben ist.
({0})
Es sollte auch Einigkeit darüber bestehen, daß es eine Übertragung des Ost-West-Konfliktes auf die Dritte Welt nicht geben darf und daß wir unseren Einfluß dahin gehend geltend machen müssen, daß wir eine solche Entwicklung verhindern. Niemand
darf schweigen angesichts der Tausenden von Toten und Hunderttausenden von Flüchtlingen.
Selbstverständlich befürworten wir eine friedliche Lösung dieses Konflikts. Eine Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzung ist auch unabdingbare Voraussetzung für eine Bewältigung des Hungers in dieser Region.
Was die Bundesregierung und mit ihr die EG-Staaten wollen, ist klar. Richtschnur unserer Politik ist die Erklärung der Außenminister der Zwölf vom 21. Juli 1986, in der die betroffenen Regierungen zur friedlichen Lösung interner Konflikte und zur Respektierung der Menschenrechte aufgefordert werden. Es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung ebenso wie die Gemeinschaft als Ganzes bereit ist, beim wirtschaftlichen Aufbau zu helfen. Dies gilt auch für die Wiedereingliederung der vielen Flüchtlinge.
Worum es hier und heute geht, ist doch nicht, eine neue Resolution zu verfassen. Worum es geht, ist, eine möglichst effektive humanitäre Hilfe für die zu leisten, die hungern.
({1})
- Frau Eid, tiefschürfende Untersuchungen, ob es sich hier um einen Nationalitätenkonflikt oder um ein Relikt der Kolonialzeit handelt, helfen jetzt doch nicht weiter.
({2})
Es hilft den Menschen auch wenig, wenn wir uns darüber auslassen, ob hier die Sowjetunion oder ihre Hilfsmächte die Hand im Spiel haben oder welche geostrategische Bedeutung das Horn von Afrika hat.
Was die praktische Hilfe anlangt, Frau Eid, kann sich diese Bundesregierung sehen lassen.
({3})
1985 haben wir 6,5 Millionen DM für humanitäre Soforthilfe für diese Region bereitgestellt, 1986 noch einmal 6,5 Millionen DM, im wesentlichen als Hilfe für die Flüchtlinge aus Eritrea. Hinzu kommt für diese beiden Jahre eine Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 4,3 Millionen DM.
({4})
- Natürlich war dieser Betrag auch für die Flüchtlinge aus Eritrea.
Herr Holtz, natürlich ist es entscheidend, daß diese Hilfe ankommt. Da stimmen wir überein. Unter diesem Gesichtspunkt wählen wir ja auch die Mittlerorganisationen für die Weiterleitung unserer Hilfe an die notleidenden Menschen aus. Die internationale Anerkennung, die das Internationale Rote Kreuz sowie der Hohe Flüchtlingskommissar genießen, spricht an sich für unsere Wahl. Es gibt aber keine absolute Sicherheit; das wissen wir.
({5})
Aber Beweise für Ihre Behauptung, Frau Eid, daß unsere Hilfsgüter zweckentfremdet werden, liegen nicht vor. Sie haben sie nicht vorgelegt.
({6})
Natürlich kann man bei der Kontrolle der Mittelverwendung nicht sorgfältig genug sein. Da stimme ich Ihnen gern zu. Aber wir sehen derzeit keinerlei Veranlassung, unsere Mittel, wie von den GRÜNEN und der SPD beantragt, umzuleiten.
Lassen Sie mich zum Schluß wiederholen: Es bedarf keiner Aufforderung an die Bundesregierung, Hilfe - ich betone: effektive Hilfe - für die notleidenden Menschen in Eritrea zu leisten. Das ist für uns selbstverständlich. Deshalb lehnen wir beide Anträge ab.
({7})
Ich stimme zu, Herr Kollege Hornhues: Wir sollten uns im 11. Deutschen Bundestag mit diesem wichtigen Thema noch einmal befassen und diese Diskussion fortsetzen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat Staatsminister Dr. Stavenhagen.
Frau Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat ihre Haltung zur Eritrea-Frage in der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN dargelegt.
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Ich kann mich daher heute auf einige ergänzende Bemerkungen beschränken.
Für den Eritrea-Konflikt wie für alle anderen Konflikte gilt bei der Bundesregierung als oberste Maxime das Gewaltverbot. Die Bundesregierung lehnt Gewalt, gleichgültig von wem sie angewandt wird, strikt ab. Sie wird daher im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterhin auf eine Beendigung der Kampfhandlungen und auf eine politische Lösung des Konflikts drängen.
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Sie hält sich dabei an die Regeln des Völkerrechts, die die Achtung der Souveränität der Staaten vorschreiben und die Einmischung in innere Angelegenheiten verbieten. Jedes andere Verhalten würde die Bundesregierung ihrer Möglichkeit berauben, im politischen Dialog auf eine friedliche Konfliktlösung hinzuwirken.
Die Bundesregierung unterstützt die zivilen Opfer dieses Konflikts. Sie arbeitet dabei mit internationalen Hilfsorganisationen wie dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes und dem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zusammen,
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die wirksame und zugleich unparteiische Hilfe leisten.
Zu den Programmen dieser beiden Oraganisationen, die sowohl eritreischen Flüchtlingen im Sudan als auch Opfern des kriegerischen Konflikts in Eritrea selbst zugute kommen, hat die Bundesregierung Erhebliches geleistet. Herr Kollege Feldmann hat auf diese Leistungen dankenswerterweise bereits hingewiesen.
Ursache dafür, daß der Konflikt noch immer andauert, ist das Beharren beider Seiten auf militärischen Lösungen. Politische Lösungsansätze hatten dadurch bisher keine Chance.
In einer solchen Situation ist nach unserer Auffassung alles zu vermeiden, was eine der beiden Seiten in ihrer starren Haltung nach militärischer Lösung noch bestärken könnte.
Die Vorschläge der GRÜNEN zielen auf eine Aufwertung der EPLF ab. Eine solche Aufwertung würde nach Einschätzung der Bundesregierung die Positionen der beiden Konfliktparteien noch unnachgiebiger machen. Die Aussichten für eine friedliche Streitbeilegung würden noch geringer.
Gegen eine politische Aufwertung der EPLF spricht, daß sich diese Organisation gegen andere politische Gruppierungen in Eritrea nur in einem lange andauernden Machtkampf und unter Anwendung von Gewalt durchgesetzt hat und infolgedessen nicht als legitimer Vertreter der Bevölkerung Eritreas angesehen werden kann.
Auch die Argumentation mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker kann nicht überzeugen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort ausgeführt hat, nicht gleichbedeutend mit einem Recht ethnischer Minderheiten auf staatliche Unabhängigkeit. Im übrigen kann auch von einem eritreischen Volk nur bedingt gesprochen werden, da im heutigen Eritrea wenigstens acht verschiedene ethnische Gruppen leben.
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Vor allem aber wäre eine Aufwertung der EPLF auch politisch falsch. Sie würde mit Gewißheit dazu führen, daß sich die Haltung der äthiopischen Regierung noch mehr verhärtet.
Die Bundesregierung hält aus diesen Gründen an ihrer bisherigen Haltung fest, durch geduldiges diplomatisches und politisches Bemühen auf ein Ende der Gewalt und auf eine politische Konfliktlösung hinzuwirken. In dieser Haltung befindet sie sich in voller Übereinstimmung mit ihren europäischen Partnern. Die Probleme der Region am Horn von Afrika einschließlich der Eritrea-Frage sind Gegenstand der regelmäßigen Beratungen und Abstimmungen der zwölf Regierungen im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit gewesen. Unsere Haltung ist insofern Teil einer gemeinsamen Politik der Zwölf.
Sichtbarer Ausdruck dieser Gemeinsamkeit ist die Erklärung der zwölf Außenminister über Äthiopien und das Horn von Afrika vom 21. Juli dieses Jahres. In dieser Erklärung haben die Europäer mit Nachdruck die friedliche Lösung interner Konflikte und die Achtung der Menschenrechte in dieser Region angemahnt und ihren Willen bekundet, dort weiterhin eine aktive Rolle zu spielen.
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Die Bundesregierung wird es ihrerseits nichts an Engagement fehlen lassen,
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wenn es darum geht, dieser europäischen Haltung Nachdruck zu verleihen und sie, wo dies im Interesse der Menschen geboten ist, weiterzuentwikkeln.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6695. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6714 ab. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe den heute nachmittag aufgesetzten Zusatztagesordnungspunkt auf:
Beratung einer Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Fischer ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
- Drucksache 10/4719 zur Großen Anfrage der Abgeordneten Bindig, Duve, Dr. Holtz, Jungmann, Klose, Dr. Kübler, Lambinus, Frau Luuk, Meininghaus, Neumann ({1}), Pauli, Sielaff, Waltemathe, Frau Zutt und der Fraktion der
SPD
- Drucksachen 10/3111, 10/4715 - Menschenrechtspolitik der Bundesregierung
zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
- Drucksache 10/4720 zur Großen Anfrage der Abgeordneten Bindig, Duve, Dr. Holtz, Jungmann, Klose, Dr. Kübler, Lambinus, Frau Luuk, Meininghaus, Neumann ({2}), Pauli, Sielaff, Walthemathe, Frau Zutt und der Fraktion der SPD
- Drucksachen 10/3111, 10/4715 19994
Vizepräsident Frau Renger
Menschenrechtspolitik der Bundesregierung
- Drucksache 10/6223 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Die Abgeordneten Neumann ({3}) und Fischer ({4}) haben ihre Ausführungen zu diesem Punkt zu Protokoll gegeben.*)
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/6223 zuzustimmen wünscht, den
*) Anlage 11 bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. Dezember 1986, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.