Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/4/1986

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatzordnungspunkt 1 auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zu Geschäftsbeziehungen von bundeseigenen Unternehmen zur Republik Südafrika Die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Simonis.

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir wissen, daß der Herr Bundeskanzler einige Minuten später kommt, wollen wir mit dem Bereich des Herrn Finanzministers anfangen. Seit dem Sommer 1984 gibt es nach Presseberichten des Kanzleramtsministers Schäuble vom 28. November 1986 Versuche des Ingenieurbüros Lübeck, Politiker und Ressorts für den Verkauf von U-Booten oder Konstruktionsplänen nach Südafrika zu gewinnen. Wer mit wem gesprochen hat, kann er nicht genau sagen. Aufzeichnungen gebe es nicht. Wir wissen inzwischen, wer mit wem gesprochen hat: Herr Zoglmann, ehemaliger FDP-Abgeordneter, dann zur CSU übergetreten, hat mit dem Verteidigungsminister und mit dem Bundesminister für Wirtschaft gesprochen. Der Bundeskanzler hat mit Herrn Strauß gesprochen, dem Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, wo weder die Werft noch das Ingenieurbüro liegen. Der Wirtschaftsminister hat mit dem Außenminister gesprochen. Der Außenminister hat mit dem Bundeskanzler gesprochen, und dies gleich zweimal, ({0}) obgleich doch schon beim ersten Mal hätte klar sein dürfen, wie die Rechtslage ist. Nur mit dem Eigentümer der Werft, dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und jetzigen Bundesminister der Finanzen, Herrn Dr. Stoltenberg, hat niemand gesprochen. So Herr Dr. Stoltenberg. ({1}) Der Bundesminister der Finanzen erfährt erst durch Informationen des Bundeswirtschaftsministers, daß Teillieferungen und Konstruktionspläne für U-Boote an das Regime in Südafrika geliefert worden sind. Dies ist seine Erklärung vor dem Deutschen Bundestag. Er gibt seine Information an die Oberfinanzdirektion in Kiel weiter, ohne den Außenminister zu informieren, ohne den Miteigentümer zu unterrichten, ohne den Aufsichtsrat zu unterrichten, ({2}) ohne den Verteidigungsminister auf möglichen Geheimnisverrat hinzuweisen. So jedenfalls der Bundesfinanzminister in seinen Einlassungen vor den Ausschüssen. Und so erfahren denn die erstaunte Öffentlichkeit, der Miteigentümer, das Parlament, die Beamten, die restlichen Kabinettsmitglieder aus der Presse, daß irgendwo irgend etwas auf Grund gelaufen sein muß. Der einzige, der offensichtlich Bescheid weiß, ist der Ministerpräsident des Freistaates Bayern. So nachzulesen in der „Bild"-Zeitung. Vom Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens erfährt die Öffentlichkeit dessen Version: „Alter Hut", „nichtgenehmigungspflichtiges Geschäft". Nur den Aufsichtsrat, dessen Vorsitzenden, die Eigentümer unterrichtet der Vorstandsvorsitzende nicht. Daß ein Verfahren gegen ihn läuft, weiß er zwar, sagt er aber niemandem. Sagt der Bundesfinanzminister. ({3}) Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, daß zu den verschiedensten Zeiten auf den verschiedensten Ebenen Informationen ausgewertet und weitergegeben wurden, und nur der Eigen19630 tümer, der Bundesfinanzminister, weiß rein gar nichts! ({4}) Und es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, daß ein Unternehmen, das sich zu 100 % in öffentlicher Hand befindet, aus dem Pretoria-Geschäft nach Presseberichten mehr als 40 Millionen DM erhält, diese verbucht, ausbucht und zurück-überweist, ohne daß der zuständige Ressortchef oder der Aufsichtsrat je davon erfahren. Warum hat das niemand gemerkt? Diese Millionen tauchen doch auf den Konten nicht wie der Halleysche Komet auf. Und als man es merkte: Was hat man dagegen unternommen? Der Bundesfinanzminister wird vom Verkauf der Blaupausen unterrichtet, einem eindeutigen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz und das Völkerrecht. Er erfährt davon und läßt sich weder vom Aufsichtsratsvorsitzenden noch vom Vorstand unterrichten, und dies 15 Monate lang. ({5}) Es wird fünfzehn Monate lang geprüft, obgleich doch eigentlich - so jedenfalls der Vorstandsvorsitzende - alles ganz klar, weil nichts verboten sei. Kann es tatsächlich sein, daß alle nicht gewußt haben, daß sie sich von Anfang an außerhalb der Legalität bewegten? Könnte es nicht vielmehr so sein, daß alle abtauchen, Spuren verwischen, vertuschen, Verteidigungslinien errichten und U-Boot spielen, und dies fünfzehn Monate lang? ({6}) Fünfzehn Monate lang hält es niemand für nötig, den Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein zu unterrichten, der sich zu Recht wie ein dummer Schuljunge vorkommt. ({7}) Soviel „diskrete" und „dezente" Zurückhaltung widerspricht nicht nur allen Lebenserfahrungen, sie widerspricht auch den Kontrollpflichten, die der Aufsichtsrat gegenüber der Geschäftsleitung hat, und den Informationspflichten, die die Geschäftsleitung gegenüber dem Aufsichtsrat hat. Soviel Zurückhaltung erregt in der Öffentlichkeit Aufsehen, führt zu Spekulationen und Diskussionen, schadet dem Ruf des Unternehmens und gefährdet Arbeitsplätze, weil die Dritte Welt nicht Staaten mit Aufträgen unterstützen will, die ihrerseits das Unrechtsregime in Südafrika unterstützen. Weil soviel dezente Zurückhaltung eigentlich nicht der Beweis für Rechtsstaatlichkeit ist, sondern Fragen nach der Rechtmäßigkeit aufwirft, ist der Bundesminister gefragt, hier zu antworten. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({0}). ({1})

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine ganz kleine Bemerkung zu Beginn. ({0}) Frau Kollegin Simonis, Sie haben einen sehr eigenartigen Eigentumsbegriff, wenn Sie davon ausgehen, daß bei einem bundeseigenen Unternehmen der Finanzminister der Eigentümer sei. ({1}) Meine Damen und Herren, wir debattieren folgenden Tatbestand: Die Bundesregierung hat keine Exporte von U-Booten, U-Boot-Teilen oder U-BootKonstruktionszeichnungen in die Republik Südafrika genehmigt. ({2}) Eine solche Genehmigung ist von der interessierten Firma auch nicht beantragt worden. Es wurden lediglich Anfragen gestellt ({3}) in Form von - wie Bundesminister Schäuble dies gestern in der gemeinsamen Sitzung des Wirtschaftsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses nannte - sondierenden Gesprächen. ({4}) Als die Bundesregierung von nicht genehmigten Lieferungen von Konstruktionszeichnungen erfuhr, hat sie sofort die notwendigen rechtlichen Schritte eingeleitet. ({5}) Das Verfahren ist anhängig. Bei diesem Vorgang, bei dem ich auf seiten der Bundesregierung nicht die geringste Inkorrektheit erkennen kann, ({6}) versucht nun die SPD mit der liebenswürdigen Hilfe ihrer grünen Freunde ({7}) einen Skandal zu konstruieren, ({8}) mit Verdächtigungen, Unterstellungen und der Dramatisierung solcher Selbstverständlichkeiten wie der häufigen Gesprächskontakte zwischen Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Strauß, also Klein ({9}) den Vorsitzenden der beiden großen Koalitionsparteien. ({10}) Strauß hat - lassen Sie mich das in aller Sachlichkeit feststellen - nie einen Hehl daraus gemacht, daß er die Boykottpolitik gegenüber Südafrika für den falschen Weg hält, um dort die Apartheid abzuschaffen und gerechte demokratische Verhältnisse herzustellen. ({11}) - U-Boote am Kap, Herr Kollege Verheugen - auch dies muß nüchtern zu konstatieren erlaubt sein -, wären zumindest nicht gegen westliche Sicherheitsinteressen gerichtet, bestimmt aber keine Instrumente zur Stabilisierung des Apartheid-Systems. ({12}) Das der Bundeskanzler folglich eine solche Anfrage prüfen ließ, auch vor dem Hintergrund der Krisensituation in der deutschen Werftindustrie, war nach meiner Meinung eine bare Selbstverständlichkeit. Die Prüfung zeitigte ein negatives Ergebnis. Bleiben also die nicht genehmigten Lieferungen von Blaupausen. Wie das zu bewerten und zu ahnden ist, wird das noch in Gang befindliche Verfahren ergeben. Doch warne ich auch hier vor Vorverurteilungen. ({13}) Denn erstens scheint schon jetzt festzustehen, daß geheimhaltungswürdige Unterlagen nicht geliefert wurden. Zweitens könnte sich herausstellen - Herr Kollege Wischnewski, Sie fixieren mich gerade so -, ({14}) daß solche Vorablieferungen auch zu Zeiten der früheren Bundesregierung praktiziert wurden, ({15}) die dann allerdings im Gegensatz zu dieser Bundesregierung ({16}) nachträgliche Genehmigungen erteilt hat. ({17}) Drittens würde ich von den Managern eines bundeseigenen Unternehmens, an dessen Spitze nach mir vorliegenden Informationen ein Sozialdemokrat steht, ({18}) nicht das Bild gewissenloser Geschäftemacher zeichnen. ({19}) Vor diesem Hintergrund halte ich auch das Wort vom außenpolitischen Schaden, Herr Kollege Mischnick, für unzutreffend. Wer hier das nicht von der Bundesregierung zu verantwortende Fehlverhalten einer Firma ohne Rücksicht auf außenpolitischen Schaden zu einer gegen die Bundesregierung gerichteten Kampagne aufzubauschen trachtet, sind die Sozialdemokraten. ({20}) - Wieviel Wahlkampfverzweiflung, Herr Kollege Vogel, spricht aus diesem untauglichen Versuch, mit dem alten Diffamierungsrezept ({21}) - ich denke an die Lockheed-Verleumdung, die Mieten-Lüge oder die Verrats-Kampagne -, eine aus gutem Grunde demotivierte SPD in Wahlkampfstimmung zu versetzen. ({22}) Bei der deutschen Arbeitnehmerschaft werden Sie damit keinen Eindruck machen. ({23})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Herrn Bundesminister der Finanzen das Wort.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausgangsfrage für diese Aktuelle Stunde bezieht sich auf die Rolle, die Situation bundeseigener Unternehmen oder Unternehmen mit Bundesbeteiligung im Hinblick auf außenwirtschaftliche Beziehungen, hier besonders zur Republik Südafrika. Ich will eingangs sagen, daß selbstverständlich für bundeseigene Unternehmen oder Unternehmen mit Bundesbeteiligung die Rechtsvorschriften gelten, vor allem auch in außenwirtschaftlichen und außenpolitischen Fragen. ({0}) Und man kann zu Recht im Deutschen Bundestag erwarten, daß Unternehmen, die dem Bund gehören oder an denen er beteiligt ist, mit besonderer Sorgfalt in außenpolitisch und außenwirtschaftlich sensiblen Bereichen diese Vorschriften beachten. ({1}) Ich gehe davon aus, daß Ihnen allen bekannt ist, daß die Howaldtswerke-Deutsche Werft eine Tochter des bundeseigenen Salzgitter- Konzerns sind, mit einer Beteiligung des Landes Schleswig-Holstein von etwas über 25 %. ({2}) - Es ist jedenfalls diese Klarstellung, glaube ich, angebracht. Im übrigen, meine Damen und Herren, gelten auch für Unternehmen, die dem Bund gehören oder an denen der Bund beteiligt ist, die Vorschriften des Gesellschaftsrechts im Hinblick auf Verantwortlichkeiten des Vorstandes, des Aufsichtsrats, der Gesellschafterversammlung. Ich sage es deshalb, weil bei einer ernsthaften und fairen Erörterung diese abgestuften Verantwortlichkeiten beachtet werden müssen. ({3}) Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß jeder der Eigentümer, in diesem Falle Salzgitter oder das Land Schleswig-Holstein oder, über die Verantwortung im Hinblick auf den Salzgitter-Konzern, auch der zuständige Bundesminister, jede Einzelentscheidung eines Vorstandes kontrollieren kann und daß ein mögliches Fehlverhalten, ({4}) falls es sich endgültig erweist, automatisch die politische Verantwortung des Eigentümers berührt. ({5}) Meine Damen und Herren, zu dem Sachverhalt will ich das bekräftigen, was ich hier bereits am Freitag gesagt und gestern in einer ausführlichen Erörterung den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses näher erläutert habe. ({6}) Nach der Unterrichtung durch den Bundeswirtschaftsminister im September vergangenen Jahres, daß hier möglicherweise gegen Recht und Gesetz verstoßen worden ist - ich sage noch einmal: es war die erste Information, die mich und meine zuständigen Mitarbeiter im Hinblick auf einen möglichen Rechtsverstoß erreicht hat -, haben wir das Verfahren vollkommen korrekt entsprechend den Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes eingeleitet. Ich übernehme dafür die Verantwortung. Aber ich will, um die Gewissenhaftigkeit unseres Vorgehens zu unterstreichen, sagen, daß ich selbstverständlich zu dieser Frage, was jetzt zu veranlassen ist, das Votum der zuständigen Abteilung und des zuständigen Staatssekretärs, erfahrener und rechtskundiger Beamter, eingeholt habe und daß wir auf Grund dieser eindeutigen Rechtslage den Vorgang an die Oberfinanzdirektion Kiel mit der Auflage, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen, gegeben haben. Ich glaube, auch die gestrige Diskussion hat erbracht, daß die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens ernsthaft nicht in Zweifel gezogen werden kann. Die nächste Frage, die Frau Simonis hier noch einmal aufgeworfen hat, ist, ob es richtig war, ob es angemessen war, andere im politischen Bereich oder auch im Gesellschaftsbereich, also den Aufsichtsrat insgesamt oder den Mitgesellschafter, das Land Schleswig-Holstein, nicht zu informieren. Dazu muß ich auch hier im Plenum des Bundestages unterstreichen ({7}) - lassen Sie mich doch wirklich einmal im Zusammenhang ruhig sprechen -: Nach den Informationen, also dem Vorgang, der uns vom Bundeswirtschaftsminister zuging, war erkennbar, daß möglicherweise zwei Unternehmen betroffen waren, das private Ingenieurbüro in Lübeck und die in öffentlichem Besitz befindliche HDW. Den Anstoß für die Ermittlungen zunächst beim Wirtschaftsminister, dann bei uns bot eine Intitiative und eine Mitteilung des privaten Ingenieurbüros. Es ist deshalb auch verständlich - dies kann ich ohne Bruch der Vertraulichkeit in einem schwebenden Verfahren sagen -, daß auch die Oberfinanzdirektion im Rahmen ihrer Ermittlungen sich zunächst mit der Situation und dem möglichen Fehlverhalten im privaten Ingenieurbüro beschäftigt hat. Jedenfalls war es so, daß ich als parlamentarischer Minister zum Zeitpunkt der Befassung ({8}) - lassen Sie mich doch einmal ausreden, Herr Gansel -, keinerlei Anhaltspunkte hatte, welcher Personenkreis wirklich für ein mögliches Fehlverhalten verantwortlich war, ob die Verantwortlichen des einen oder des anderen oder beider Unternehmen. ({9}) Allein diese Situation verbot nach meiner Überzeugung aus rechtsstaatlichen Gründen, Informationen an Gremien zu geben, ohne den Personenkreis exakt beschreiben zu können. Das muß als Ergebnis der Ermittlungen herausgestellt werden, wer Verantwortung trägt. Im übrigen lag mir daran - auch das will ich hier im Deutschen Bundestag sagen -, jeden Anschein einer politischen Einwirkung zu vermeiden. ({10}) Die Vorgänge der letzten Tage nach den ersten spektakulären Presseveröffentlichungen unterstreichen das. Heute kann man in einer großen Zeitung lesen, daß es eine vertrauliche Aufzeichnung des mir persönlich nicht bekannten leitenden Geschäftsführers des Lübecker Ingenieurbüros gibt, die dem Bundesminister der Finanzen zugeleitet worden sei. Ich habe vorgestern abend in der Tat ({11}) - nein, es ist nicht so, daß man da „Papierkorb" sagen kann - mit der Überschrift „Streng vertraulich - Für Bundesminister Stoltenberg" eine Aufzeichnung des genannten Herrn Nohse, den ich nicht kenne, erhalten. Ich habe dann gestern nachmittag gehört, daß diese Aufzeichnung über die Agenturen läuft. Da muß ich mich natürlich schon fragen: ({12}) Wer will hier eigentlich auf dieses Verfahren durch unbewiesene Schutzbehauptung einwirken, meine Damen und Herren? ({13}) Für mich ist dieser merkwürdige Vorgang eine Unterstreichung, daß es richtig war, sich als verantwortlicher Bundesminister nicht ansprechen zu lassen, nicht hinzunehmen, daß auf Interventionen gedrängt wird, möglichst zu vermeiden, ({14}) daß durch eine öffentliche Kulisse des Meinungsdrucks und gezielter Fehlinformation die ordnungsgemäße, rechtsstaatliche Abwicklung dieses Verfahrens durch die Oberfinanzdirektion beeinträchtigt werden könnte. ({15}) Ich will als letztes - auch mit Blick auf die Uhr - zum Thema „politische Sondierungen" sagen: Es ist richtig, daß in Verbindung mit der Übergabe der Unterlagen durch den Bundeswirtschaftsminister es in diesen Unterlagen im Herbst vergangenen Jahres einen Hinweis auf Gespräche im Bundeskanzleramt gab. Ich habe, weil es diesen Hinweis gab, mit dem Herrn Kollegen Schäuble gesprochen. Ich habe, weil in diesen Unterlagen auch der Name des Staatssekretärs Professor Schreckenberger auftaucht, ihn darauf angesprochen. Ich will hier sagen, daß Herr Professor Schreckenberger, nachdem ich ihn darauf angesprochen habe, mir mit einem Schreiben - jetzt will ich nur einmal kurz sehen, welchen Datums es ist - vom 22. Oktober 1985 mitgeteilt hat - ich zitiere die entscheidenden Sätze -. Ich teile dies Mitte Juni 1984 Herrn Nohse auf dessen Bitte hin auch Herrn Ahlers telefonisch mit. Herr Nohse drängte am Telefon sehr auf eine baldige Antwort, da sonst die in Frage stehenden Geschäftsbeziehungen gefährdet seien. Ich wies darauf hin, daß eine Stellungnahme aus dem Bundeskanzleramt eine Entscheidung der zuständigen Stelle nicht ersetzen könne. Diese alleine sei imstande, eine verbindliche Entscheidung darüber zu treffen, ob und unter welchen Voraussetzungen die gewünschte Ausfuhr zulässig sei. ({16}) Es gab keine Zusage oder eine Billigung des beabsichtigten Exportgeschäfts oder eine ähnliche in diese Richtung gehende Äußerung. Dies aus dem Schreiben des Staatssekretärs Professor Schreckenberger. ({17}) - Ich habe den Termin hier schon vorgetragen. Ich will ihn gern noch einmal sagen: 22. Oktober 1985. ({18}) - Ich habe doch den Vorgang geschildert, Herr Vogel. Ich habe es auf Grund eines Hinweises in dem mir übersandten Vorgang des Wirtschaftsministers für notwendig, für richtig gehalten, nicht nur mit dem Chef des Kanzleramtes, sondern auch mit Professor Schreckenberger zu sprechen. Er hat mir dann diese schriftliche Stellungnahme übersandt, die ich heute auch deshalb zitiere, weil heute eben in Verbindung mit dem erwähnten anderen Papier andere Behauptungen über die Gesprächsabläufe mit ihm gegeben werden. Meine Damen und Herren, ich möchte hier feststellen: Wie immer man diese Vorsondierungen bewertet, sie waren offensichtlich nicht so ermutigend, daß es überhaupt zu einem formellen Antrag gekommen ist. ({19}) Ich bitte, die Methode der Unterstellungen, der Abqualifizierungen und der Diffamierungen zu unterlassen und sich auf eine ernsthafte Klärung des Sachverhalts zu konzentrieren. ({20})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Vor ein paar Wochen behauptete der Bundeskanzler hier an dieser Stelle, daß er die bessere Südafrikapolitik verträte, nämlich Dialogbereitschaft, den Weg der Evolution und nicht den emotionalen Weg der anderen, die für Boykottmaßnahmen einträten. Heute sind wir klüger: Dieser Bundeskanzler ist tief in das Südafrikarüstungsgeschäft verstrickt. ({0}) Er selbst soll laut Presseberichten den Verkauf von U-Bootplänen ermöglicht haben, dies gegen die geltenden Gesetze und gegen das UNO-Rüstungsembargo. Um hier Klarheit zu bekommen, fordern wir GRÜNEN die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses noch in dieser Legislaturperiode. ({1}) Die gestrigen Sitzungen der Ausschüsse sollten auch den Zweiflern in der SPD-Fraktion gezeigt haben: Freiwillig wird die Bundesregierung keinerlei Auskünfte über ihre Mitwisser- und Mittäterschaft bei den U-Bootgeschäften geben. Wieviel dabei geheim bleiben soll, zeigt die Meldung der „Bild"-Zeitung von heute: Im Auftrag des Bundeskanzlers hat der damalige Kanzleramtsstaatssekretär Schrekkenberger die Lübecker Firma IKL ermutigt, den Vertrag mit Südafrika zu erfüllen. ({2}) Wir wollen dies im Untersuchungsausschuß klären lassen: Welcher Vertrag ist hier eigentlich gemeint? Ein Rüstungsgeschäft dieser Größenordnung und dieser strategischen Bedeutung wird doch niemals ohne die Zustimmung der jeweiligen Regierung abgewickelt. ({3}) Eine Gelegenheit, das Abkommen zu unterzeichnen, war das Zusammentreffen des Bundeskanzlers mit dem südafrikanischen Premier Botha im Juni 1984, nur einen Monat vor der SchreckenbergerIntervention. Der Untersuchungsausschuß soll klären, ob das U-Bootgeschäft bei diesem Treffen im Mittelpunkt stand. Schreckenberger notierte damals: Noch Ende der Sommerferien werden die Genehmigungen erteilt. ({4}) Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an die Äußerung seines Nachfolgers vor der Bundespressekonferenz. Schäuble sagte: Am Anfang der Sondierungen, also zum Zeitpunkt des Botha-Besuchs und vorher, sei nicht die Rede von Blaupausen gewesen. Damals sei es um die gesamte Palette gegangen, von kompletten U-Booten über U-Bootteile bis hin zu Konstruktionszeichnungen. ({5}) Hat Herr Schreckenberger im Auftrag des Bundeskanzlers die Genehmigung für diese gesamte Palette in Aussicht gestellt? Wir möchten wissen: Was wurde tatsächlich genehmigt und was wurde tatsächlich geliefert? Mit der bisherigen Version, es seien nur Blaupausen geliefert worden, und die seien für Südafrika wertlos, geben wir uns nicht zufrieden. ({6}) Denn warum sollte Südafrika 46 Millionen DM für etwas völlig Wertloses bezahlen, und welchen Sinn macht diese Blaupausenlieferung überhaupt, wenn nicht auch gleich U-Bootteile mitgeliefert werden? Die Darstellungen der Bundesregierung sind widersprüchlich. ({7}) Der Außenminister behauptet, das Rüstungsgeschäft sei vom Bundessicherheitsrat abgelehnt worden, der Kanzleramtsminister behauptet, dort sei es nie verhandelt worden. Die „Kieler Nachrichten" schreiben, das Ganze sei im Bundeskabinett gewesen. Schäuble sagt, dort sei es natürlich nicht gewesen. ({8}) Wer sagt hier die Unwahrheit? Wer möchte hier was und warum vertuschen? Schließlich die entscheidende Frage: Warum gibt es eigentlich Dutzende von Sondierungsgesprächen auf höchster Regierungsebene über einen Zeitraum von zwei Jahren, wenn allen klar war, daß das geplante Geschäft illegal sein würde? ({9}) Was wurde denn da besprochen? Die einzige Erklärung ist: Es wurde verzweifelt nach einem Weg gesucht, das Geschäft mit Unterstützung der Bundesregierung unter Umgehung des Embargos durchzuführen. ({10}) Der Skandal ist: HDW ist ja kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren wurden mit Unterstützung der Bundesregierung Polizeihubschrauber, Gewehre, Raketenschnellboote und andere Waffen nach Südafrika geliefert. ({11}) Wer so handelt, macht sich der Beihilfe zum Mord schuldig. Wer akzeptiert, daß Messerschmitt-Bölkow-Blohm Hubschrauber und - jetzt im Originalton von LeGrange - zur Bekämpfung von Aufständen eingesetzt werden sollen, steht zu Recht am Pranger der Weltöffentlichkeit. ({12}) Ein Untersuchungsausschuß zu HDW in dieser Legislaturperiode wäre die einzige Antwort, die der Bundeskanzler und seine Mitwisser verstehen würden. Die Offentlichkeit wartet auf die schnelle und gründliche Aufklärung des Skandals, nicht nur die Öffentlichkeit bei uns, sondern vor allem auch die Öffentlichkeit in Afrika und in den anderen Ländern der Dritten Welt. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mir eine Aufzählung all der Debatten ersparen, die wir in den letzten Monaten und Jahren zum Thema Geschäftsbeziehungen deutscher Unternehmen zu Südafrika in diesem Hohen Hause geführt haben. ({0}) Aber hier, wie auch sonst beim Rüstungsexport, zeigt sich, wie es um die Zuverlässigkeit der SPD steht. ({1}) Sie handeln getreu der Devise: Was kümmert mich mein Geschwätz von 1982! Als die SPD die politischen Grundsätze über den Rüstungsexport ({2}) über den Export von Kriegswaffen ({3}) unter dem Bundekanzler Helmut Schmidt beschlossen hat, - ({4}) - Wir werden heute nachmittag beim Thema Kriegswaffenexport noch dazu Stellung nehmen, Herr Dr. Vogel. ({5}) - Herr Vogel, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nicht pausenlos dazwischenbrüllen würden. ({6}) Sie spielen sich immer als Schulmeister der Nation auf, aber Ihr parlamentarischer Stil ist verheerend, Herr Vogel. ({7}) - Hören Sie doch mal mit der Brüllerei auf, Herr Wischnewski; Sie sind auch nicht besser als Ihr Fraktionsvorsitzender. ({8}) Im Falle Südafrika gibt es für die FDP eine ganz klare Position, an der sich im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, überhaupt nichts geändert hat. Für den Export sensibler Güter nach Südafrika gibt es vielfältige Bestimmungen, aus denen sich die unveränderte Haltung der Bundesregierung eindeutig ergibt. Durch UNO-Resolutionen, durch EG-Beschlüsse und auch durch deutsche Rechtsvorschriften ist die Ausfuhr sensibler Güter nach Südafrika untersagt. ({9}) Die gesetzlichen Bestimmungen, die für die deutschen Unternehmen gelten, gelten selbstverständlich auch für bundeseigene Unternehmen. ({10}) Die FDP hat nicht nur zu Südafrika allgemein eine klare Haltung, sondern auch zu dem heute bereits mehrfach erwähnten Geschäft der HDW mit Südafrika, welches das eigentliche Thema dieser Aktuellen Stunde darstellt. Wenn sich herausstellen sollte, daß tatsächlich Blaupausen nach Südafrika verkauft worden sind, ({11}) wäre dies klar und eindeutig ein illegales Geschäft. Ich will den Untersuchungen, Herr Kollege Gansel, überhaupt nicht vorgreifen. Hier müssen erst einmal die zuständigen Behörden alle Einzelheiten ermitteln. Wenn dieser Vorgang nachgewiesen wird, dann müssen die Schuldigen bestraft und personelle Konsequenzen gezogen werden. Das gilt ohne Ansehen der Person. ({12}) Natürlich dürfen diese Konsequenzen kein golden handshake sein, sondern müssen die gebührenden Sanktionen für einen eindeutigen Gesetzesverstoß sein. Das ist unsere Überzeugung, Herr Gansel. Daran werden wir uns halten. ({13}) - Ja, Herr Kollege Gansel, das wird im Rahmen der von Ihnen mitbeschlossenen Gesetze geschehen. Für uns Liberale bietet der Fall HDW überhaupt keinen Anlaß, von unserer klaren Haltung gegenüber Südafrika abzugehen. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß sich alle beteiligten FDP-Minister in dieser Angelegenheit absolut gesetzestreu und in Übereinstimmung mit den politischen Grundsätzen dieser Bundesregierung verhalten haben. Sie haben jederzeit nicht nur gegenüber der betroffenen Firma, sondern auch in ihren politischen Äußerungen keinen Zweifel an der entschiedenen Ablehnung eines derartigen Geschäftes mit Südafrika aufkommen lassen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten sich davor hüten, den möglichen Fall HDW ({14}) für eine politische Stimmungsmache gegen den Bau und gegen die Lieferung von U-Booten an ausländische Staaten zu nutzen. Als Sie noch mit in der Regierung waren, war Ihnen das Schicksal der Werftarbeiter auf den norddeutschen Werften nicht gleichgültig. ({15}) Damals galt die von Helmut Schmidt ausgegebene Devise: Was schwimmt, das läuft. - Heute stehen Sie nicht mehr in der Regierungsverantwortung. Deshalb handeln Sie im wahrsten Sinne des Wortes verantwortungslos. Wir stehen nach wie vor zu den politischen Grundsätzen, die in der SPD-geführten Bundesregierung 1982 beschlossen worden sind. Diese Grundsätze, die international zu den restriktivsten gehören, die es überhaupt gibt, sind der richtige Rahmen für Rüstungsgeschäfte bundeseigener Unternehmen. Geschäfte mit der Republik Südafrika - das möchte ich abschließend bemerken, meine Damen und Herren - darf es in diesem Umfang nicht geben. Wer dagegen verstößt, handelt illegal, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Vielen Dank. ({16})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Gansel. ({0})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um einen Skandal zur Klärung zu bringen. Es handelt sich dabei nicht um einen HDW-Skandal. Bei diesem Unternehmen sind 4 000 Menschen beschäftigt und nur wenige hundert im U-Boot-Ex19636 port. Sie haben mit dem Skandal nichts zu tun, außer daß er sie trifft. Auch im Interesse ihrer Arbeitsplätze, im Interesse der Absatzchancen ihres Unternehmens für zivile Exporte in der ganzen zivilisierten Welt verlangen wir von der Bundesregierung Auskunft über einen Skandal, der ein Skandal dieser Bundesregierung ist. ({0}) Wir fragen, warum sich Mitglieder der Bundesregierung für ein von Anfang an rechtswidriges Waffengeschäft mit Südafrika engagiert haben, warum seine Durchführung nicht verhindert werden konnte, warum es so lange dauert, bis Konsequenzen gezogen werden: Bestrafung der Schuldigen, Schutz des Unternehmens und Schadensbegrenzung für die deutsche Außenpolitik. Wir verlangen Antwort von der Bundesregierung, warum sie die deutsche und internationale Offentlichkeit getäuscht hat, warum sie vor dem Bundestag in einer Regierungserklärung verkündet, ({1}) daß sie das gegen Südafrika verhängte Embargo des UN-Sicherheitsrates strikt einhält, während der Bundeskanzler gleichzeitig die Lieferung von Kriegswaffen in sondierenden Gesprächen befürwortet. ({2}) Herr Bundeskanzler, im Juni 1984 haben Sie den Premierminister der Republik Südafrika, Herrn Botha, empfangen. Das war ein umstrittener Besuch. Von vielen Seiten waren Sie aufgefordert worden, Herrn Botha die kalte Schulter zu zeigen. Sie haben dem entsprochen, indem Sie in Gegenwart des Fernsehens das Sofa aus dem Empfangsraum entfernen ließen, auf dem Sie sich sonst mit hochrangigen Besuchern fotografieren lassen. ({3}) Das war eine peinliche Szene, und von den vielen peinlichen Szenen, die Sie der deutschen Politik beschert haben, wird diese wahrlich unvergeßlich bleiben. ({4}) Die „Frankfurter Allgemeine" schrieb dazu - ich zitiere -: Die „Feinheiten" des Protokolls, mit denen die Unterkühlung bei dem Empfang sichtbar gemacht werden sollte, sind zurückzuführen auf den Druck, den Vertreter der beiden Kirchen und die Gegner der Apartheidspolitik in allen politischen Lagern vor dem Besuch Bothas ausgeübt haben. Das Kommuniqué der Bundesregierung zu diesem Empfang erschien 14 Tage später und war wesentlich freundlicher. Der Druck war ja auch erst einmal weg, Herr Kohl. Das Kommuniqué endete mit dem Hinweis, daß dringende Anliegen erörtert worden seien. Heute wissen wir, welche dringenden Anliegen damals erörtert worden sind. Der Kalender verrät es, aber nicht nur der Kalender. ({5}) Was haben Sie, Herr Kohl, mit Herrn Botha in sondierenden Gesprächen eigentlich geklärt? ({6}) Ich weiß, warum ich Sie danach frage, und Sie wissen das auch. ({7}) Haben Sie nicht mit Herrn Botha über die Lieferung von U-Booten oder von Blaupausen für den U-Boot-Bau gesprochen, und haben Sie sie nicht in Aussicht gestellt? Hat Herr Botha nicht anderen, so aufgewärmt, davon berichtet? Haben Sie also für die deutsche und internationale Öffentlichkeit ein schäbiges Theater inszeniert: vor dem Vorhang Stehplätze für die Apartheidsgegner und hinter dem Vorhang das Sofa für Waffenbrüder? ({8}) Jetzt, wo der Vorhang weggezogen worden ist, wo der Applaus des Publikums ausbleibt, will der Herr Regisseur nur noch Zuschauer sein und setzt sich ins Publikum, hat nicht den Mut, auf die Regierungsbank zu gehen? ({9}) Ist Herr Strauß deshalb so erbittert, weil der Reinfall an ihm hängenbleiben soll? Warum haben Sie die Lieferung von U-Booten an Südafrika, die gegen das Völkerrecht und das innerdeutsche Recht verstößt, insgeheim befürwortet? ({10}) Hatten Sie eigentlich nach der Aufdeckung des Schwarzmarktgeschäftes ein Motiv, persönlich etwas zu unternehmen? Haben Sie persönlich etwas unternommen? Fürchteten Sie, daß Ihre eigene Rolle ans Licht kommen würde, und waren Sie deshalb unfähig, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden? ({11}) Warum eine so schlechte und unehrliche Politik „weiter für Deutschland"? ({12}) Wer in den USA rechtswidrige Waffenlieferungen an Regime im Geheimen befürwortet, die er in der Öffentlichkeit boykottiert, muß gehen. ({13}) Und in der Bundesrepublik? Sie können nicht zurücktreten, Herr Bundeskanzler, weil Sie glauben, alles aussitzen zu können. ({14}) Aber sie müssen antworten. Sie waren noch nie so gefragt wie heute, ({15}) und deshalb gehören Sie - noch - auf die Regierungsbank! Hierher, und Antwort gegeben! ({16})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde die Art, in der der Kollege Gansel hier gesprochen hat, ({0}) in der Tat sehr hilfreich, weil Sie deutlich gemacht hat, daß es Ihnen offensichtlich nicht um Aufklärung geht, sondern um Wahlkampfinszenierung. ({1}) Denn, meine Damen und Herren, wir haben gestern in der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse Klarheit bekommen über die wichtigsten Fragen, die gestellt worden sind. ({2}) Erstens: Es gab keinerlei offizielle Anträge. Zweitens: Es gab zu keinem Zeitpunkt Exportgenehmigungen der Bundesregierung für die Lieferung von U-Booten oder von Konstruktionsplänen. ({3}) Drittens: Nachdem die Lieferung von Konstruktionszeichnungen oder Teilen davon bekanntgeworden ist, ist sofort ein förmliches rechtliches Verfahren gegen die Firma eingeleitet worden. Meine Damen und Herren, bis jetzt gibt es von Ihrer Seite keinerlei überzeugendes Argument gegen diese Verfahrensweise der Bundesregierung. Aber die Absicht, die hinter Ihrem Vorgehen steht, ({4}) ist natürlich klar: Sie wollen versuchen, einen Eindruck zu erwecken, der nicht den Tatsachen entspricht. Herr Gansel will versuchen, den Bundeskanzler in die Nähe des südafrikanischen Apartheidsregimes zu bringen. ({5}) Ich sage Ihnen: Wir lassen uns von Ihnen nicht in diese Ecke drängen, ({6}) weil es für christliche Demokraten keine Gemeinsamkeit mit der Politik der Rassentrennung gibt und auch nicht geben wird, auch nicht in der Zukunft. ({7}) Herr Vogel, Herr Wischnewski und Herr Apel: Wenn Sie wegen Waffengeschäften Kritik üben, bitte ich doch einmal anzufangen, vor der eigenen Tür zu kehren. Ich finde es unglaubwürdig, wenn man vor jungen Menschen, vor jungen Christen in den Kirchen steht und so tut, als hätte man die Absicht, keine Waffen zu liefern, obwohl man damals selber für Waffenlieferungen an diktatorische Regime in Südamerika, in Argentinien, in Chile und in Peru mitverantwortlich ist. Hören Sie doch endlich mit Ihrer Scheinmoral auf, Herr Vogel. ({8}) Gestern hat eine große deutsche Zeitung in einem Kommentar geschrieben: Der Kanzler hat nie Husarenritte im Waffengeschäft befürwortet. Er blieb behutsam, er hat sich weitreichenden Forderungen auch in der eigenen Koalition widersetzt. ({9}) Dann heißt es, ganz interessant für Sie, Herr Vogel: Aber die SPD sollte bedenken: Es war Kohl, der die von dem Sozialdemokraten Helmut Schmidt 1977 erteilte Genehmigung für vier U-Boote für Iran zurückgezogen hat. ({10}) Es war auch Kohl, der die Zusage Schmidts an die Saudis, den Paradepanzer Leo II zu liefern, rückgängig machte. ({11}) Hören Sie endlich mit dieser doppelbödigen Moral auf! ({12}) Die Absicht ist offenkundig: Sie sind unter Druck, Sie spüren die Folgen des von sozialdemokratischen Spitzenfunktionären mitverantworteten Neue-Heimat-Skandals, ({13}) und Sie versuchen jetzt, sozusagen ein Gegenszenario aufzubauen. Die Bürgerinnen und Bürger sind klüger, als Ihre Wahlkampfstrategen vermuten. ({14})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wissmann, Ihre moralische Entrüstung ist doch nur gespielt gewesen und hat mit den Tatsachen, wie sie damals waren, überhaupt nichts zu tun. Oder wollen Sie behaupten, daß Graf Lambsdorff als Wirtschaftsminister bei der Genehmigung der Geschäfte Rechtsbrüche begangen hat, wie das hier der Fall ist? ({0}) Es steht eindeutig fest -- das hat der Finanzminister deutlich gemacht -, daß es sich bei diesem Geschäft um einen Rechtsbruch handelt. Es bleibt nur noch festzustellen, inwieweit die Bundesregierung in diesen Rechtsbruch mit einbezogen ist. Über zwei Jahre haben Sondierungsgespräche stattgefunden, wie man das heute so schön nennt. An den Sondierungsgesprächen waren der Bundeskanzler, der Verteidigungsminister, der Wirtschaftsminister, Ministerpräsident Strauß und der Kanzleramtsminister beteiligt. Sie meinen, Sie hätten mit diesem Skandal nichts zu tun? ({1}) Am 6. Juni 1984 hat der Bundesaußenminister im Deutschen Bundestag für die Bundesregierung erklärt, daß derjenige, der wegen einer Rüstungszusammenarbeit mit Südafrika Vorwürfe erhöbe, dies wider besseres Wissen tue. „Wer sie erhebt, sollte, wenn er das hier im Deutschen Bundestag tut, die Kraft haben, die Beweise dafür vorzulegen, und sich nicht auf allgemeine Erklärungen beschränken." ({2}) Das hat Genscher gesagt. Heute liegen die Beweise auf dem Tisch, daß es Rüstungszusammenarbeit gegeben hat. Die Herren geben es doch zu. Diese Erklärung wurde zu dem Zeitpunkt abgegeben, als die Koalitionspartner des Außenministers, Herr Kohl und Herr Strauß, sogenannte Sondierungsgespräche führten und hinter dem Rücken des Außenministers die Geschäfte mit Herrn Botha zumindest besprochen haben. Herr Außenminister oder Herr Staatsminister, ich frage Sie: Wann wollen Sie die Anfrage der Oberfinanzdirektion Kiel beantworten, in welcher Weise die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört worden sind? Was tun Sie zur außenpolitischen Schadensbegrenzung? Wann wollen Sie den Sanktionsausschuß der UNO informieren, wie es seit Sommer 1985 Ihre Pflicht ist? ({3}) Wir wissen, Herr Klein, daß die Stahlhelmfraktion der Unionsparteien das Regime in Südafrika unterstützt und militärische Zusammenarbeit befürwortet. ({4}) Sie führen dafür strategische Gründe an. Aber noch heute gilt, was mein Kollege Verheugen in der damaligen Debatte gesagt hat. ({5}) „Lassen Sie mich zu Botha," so sagte er, „ein Letztes sagen: Dieser Mann und seine Regierung wollen den Eindruck erwecken, sie seien im südlichen Afrika ein Vorposten der westlichen Freiheit. Aber es rechtfertigt die unmenschliche Politik Südafrikas nicht, daß sie außerdem noch antikommunistisch ist. Wir wollen für diese Politik nicht in Anspruch genommen werden. Südafrika ist kein Vorposten der Freiheit, sondern das Grab der Freiheit ({6}) und der Menschenwürde vieler Millionen." Was haben eigentlich der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesverteidigungsminister in diesem Zusammenhang im Bereich der Sicherheit, für den sie hier und nicht im fernen Südafrika verantwortlich sind, gemacht? In welchem Bereich haben sie ihrem Auftrag, den Geheimschutz sicherzustellen, überhaupt Rechnung getragen? Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung versucht, Nebel zu werfen, abzutauchen, wie es im U-Boot-Milieu angemessen ist, aber wir werden dafür sorgen, daß die deutsche Öffentlichkeit über diesen Skandal aufgeklärt wird. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind hier Zeugen eines wirklich ganz billigen Wahlkampftheaters, das Sie, meine Damen und Herren von der SPD, und Sie, Herr Gansel, an allererster Stelle hier veranstalten. Das muß einmal mit aller Deutlichkeit festgestellt werden. Hier ist folgendes festzustellen: Der Bundeskanzler hat hundertprozentig korrekt gehandelt. ({0}) Die Bundesregierung hat hundertprozentig korrekt gehandelt und Sie versuchen hier mangels anderer sachlicher Argumente, ein Wahlkampftheater zu veranstalten. ({1}) Sie benutzen hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, zwei Reizworte, die Sie immer wieder aus Ihren Taschen hervorholen, nämlich Südafrika und Rüstungsexport. Wenn Sie nun glauben, dies beides auch noch vereinen zu können, dann, so meinen Sie, können Sie hier billige Emotionen gegen die Bundesregierung wecken. ({2}) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir das einmal sachlich analysieren, ergibt sich, daß Sie zu beiden Gebieten, weder zu Südafrika noch zu Rüstungsexporten, irgend etwas zu bieten haben. Sie haben auf beiden Gebieten keinerlei Konzeption, ({3}) die zu einer vernünftigen, sachgerechten und friedlichen Politik beiträgt. ({4}) - Das werde ich gleich sagen. Es ist völlig richtig, daß wir für Rüstungsexporte in sachgerechter und verantwortungsbewußter Form sind. ({5}) Ich zitiere Ihren Kanzlerkandidaten Rau, den j a einige von Ihnen am liebsten gar nicht mehr hören würden. Herr Rau sagt, Rüstungsexport in Länder, wo die Menschenrechte verletzt werden, sei problematisch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein durchaus beachtenswerter Grundsatz, aber was haben Sie denn gemacht? Herr Kollege Wissmann hat es j a gerade erwähnt: ({6}) Sie haben nach Argentinien, Sie haben nach Chile, Sie haben nach Peru geliefert, und Sie haben die Genehmigungen erteilt, für den Iran U-Boote herzustellen. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt entrüsten Sie sich über die U-Boote, die weder genehmigt noch geliefert worden sind. Das sind doch die Tatsachen. ({8}) Also, billiger geht es nicht. Aber ich möchte Ihnen etwas sagen: Es ist durchaus legitim, Überlegungen anzustellen, wo auch und gerade durch Rüstungsexporte die Situation weltpolitisch stabilisiert werden kann. ({9}) Wir tragen die Grundsätze von 1982, die damals unter Ihrer Regierung formuliert worden sind mit, und wir haben sie mitgetragen. Nur, meine Damen und Herren, sie müssen in vernünftiger und verantwortungsbewußter Weise ausgelegt werden. ({10}) - Und gesetzestreu, selbstverständlich! Deswegen wird ja auch alles untersucht, was nicht gesetzestreu ist. Südafrika ist nun einmal ein strategischer Brennpunkt. ({11}) Es ist für uns entscheidend wegen der Rohstoffe, es ist für uns entscheidend wegen der Seewege. ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist durchaus vertretbar, hier Überlegungen anzustellen. ({13}) Im übrigen, so kann ich nur sagen, kann eine vernünftige Rüstungsexportpolitik, z. B. auch nach Saudi-Arabien - Sie haben das erwähnt -, ein Beitrag zur weltpolitischen Stabilisierung sein. Wir können mit Rüstungsexport in Länder, auf die wir hinsichtlich unentbehrlicher Rohstoffe angewiesen sind, unsere politische und wirtschaftliche Basis sichern. Wir können unsere Optionen für den Anlagenbau in den betroffenen Ländern wahren und sichern. Rüstungsexport ist schließlich auch notwendig, um Forschung und Entwicklung, die ständig gebotene Modernisierung der Waffensysteme und die Verbilligung der Waffenproduktionsserien zu ermöglichen. Dies wissen Sie alles, meine Herren von der SPD. Nur weil jetzt der Wahlkampf nahe ist, versuchen Sie mit Effekthascherei und mit Polemik von diesen vernünftigen Grundsätzen abzulenken, die Sie selbst auch beachten würden, wenn Sie je wieder an die Regierung kommen sollten. ({14}) Aber das wird noch lange genug dauern. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}). ({1}) Schäfer ({2}): ({3}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als in der vorigen Woche bekannt wurde, daß es offensichtlich einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und gegen das Außenhandelsgesetz gegeben hat, habe ich sofort den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses angerufen, und wir waren uns einig, daß wir diese Angelegenheit bei der nächsten Sitzung des Ausschusses sofort zu besprechen hätten. Herr Gansel, Sie gaben gerade eine Pressekonferenz; ich habe sozusagen praktisch gehandelt. ({4}) Schäfer ({5}) Wir haben gestern dazu ausführlich Gelegenheit gehabt: ({6}) Drei Bundesminister und der Staatssekretär im Finanzministerium, ergänzt heute durch die Rede des Herrn Bundesfinanzministers, also vier Bundesminister haben Stellung genommen. ({7}) Ich betone: Minister der FDP und der CDU. Meine Damen und Herren, wer dies gestern gehört hat, der kann nicht solche abenteuerlichen Behauptungen aufstellen, wie Sie, Frau Eid, nämlich der Bundessicherheitsrat habe sich mit dieser Angelegenheit befaßt. Dazu gab es ja überhaupt keine Veranlassung. Der Bundessicherheitsrat konnte sich ja nicht damit befassen, weil gar kein Antrag gestellt war. Bevor Sie hier Behauptungen aufstellen, bitte ich Sie doch: Nehmen Sie erst einmal an den Sitzungen teil, in denen Ihnen Minister Auskunft geben. Das haben Sie nicht getan. ({8}) Meine Damen und Herren, folgendes ist festgestellt worden - ich darf es noch einmal wiederholen, weil Wiederholungen vielleicht ganz gut sind; sie prägen sich ein und helfen uns allen, den wahren Sachverhalt herauszustellen -: Erst einmal ist gestern ganz deutlich geworden, daß zwar ein inoffizieller Vorstoß irgendwelcher Leute, die dieses Unternehmen zu vertreten haben, in Bonn beim Bundeswirtschaftsminister erfolgt ist, daß dieser Vorstoß aber schon in den Anfängen gescheitert ist. Punkt zwei. Es ist daraufhin kein Antrag auf Genehmigung einer Ausfuhr solcher Güter bei der Bundesregierung gestellt worden. ({9}) Insofern konnte er nicht genehmigt werden. Als der Verdacht aufkam - das ist gestern auch gesagt worden -, daß illegal geliefert worden ist, hat der Bundeswirtschaftsminister sofort gehandelt. ({10}) Der Bundesfinanzminister als zuständiger Ressortminister ist informiert worden; er wiederum hat die notwendigen Schritte eingeleitet. Der Fall ist nicht beendet. Sie wissen, daß er bei der zuständigen Oberfinanzdirektion in Kiel anhängig ist. Wir warten auf das Ergebnis, ({11}) und dann wird sich herausstellen, ob es dann noch ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz gibt. Das ist gestern auch gesagt worden. Das kann ja noch erfolgen. Herr Verheugen, es gibt Veröffentlichungen, in denen Sie den Vorgang sehr dramatisch dargestellt haben, auch mit Hinweis auf eine Zeitung, die Sie sonst nicht sonderlich schätzen. Mich wundert übrigens, daß sich die Kollegen von den GRÜNEN hier plötzlich auch auf „Bild" berufen. Das ist eine ganz neue Entwicklung. Ich stelle fest: Sie sind in Ihrer politischen Bildung weitergekommen. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir am Ende dieses Verfahrens natürlich eine politische Frage stellen müssen, die ich auch gestern schon im Ausschuß gestellt habe, nämlich die Frage, ob die Relation zwischen Bußgeldern, die möglicherweise verhängt werden, und Gewinnen, die möglicherweise illegal gemacht worden sind, vielleicht einer gesetzlichen Überprüfung unterzogen werden muß. Das heißt, wir müssen bei diesem Verfahren die Frage stellen, ob die Relationen ausreichend sind, ob ein Bußgeld für ein illegales Geschäft genügt, das natürlich, wenn es erfolgt ist, unser Ansehen schwer geschädigt hat. ({12}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen. Es ist immer etwas schwierig, wenn man hier in der Position ist, zwischen denen zu stehen, die sich als Moralisten bezeichnen, Herr Gansel, und Politik angeblich ausschließlich - ({13}) - Nein, es ist keine. Aber wissen Sie: Zuviel Moral oder gar Theologie in der Politik können schädlich sein, wenn sie penetrant vorgetragen werden. ({14}) Ich hatte meinen Satz noch nicht zu Ende geführt. Wir stehen zwischen denen, die hier so tun, als hätten sie die Moral gepachtet, ({15}) und denen, die glauben, alles nur unter geopolitischen Gesichtspunkten erörtern zu müssen. Ich glaube, wir müssen hier ganz deutlich machen - lassen Sie mich das zum Schluß sagen -: Für die FDP-Bundestagsfraktion und für die FDP als Partei wird es eine Veränderung unserer Einstellung gegenüber Waffenexporten nicht geben. ({16}) Wir werden sie weiterhin sehr restriktiv fahren, meine Damen und Herren. Wer auch immer glaubt, aus diesem oder jenem Grund andere Vorstellungen durchsetzen zu können, wird das mit uns nicht machen können. Vielen Dank. ({17})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich im vergangenen Jahr in einem Gespräch in Pretoria zum erstenmal darauf hingewiesen worden bin, daß mit Billigung der deutschen Bundesregierung U-Boot-Pläne nach Südafrika geliefert worden seien, ({0}) habe ich gesagt: Ich gehe diesem Vorwurf nicht nach, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß an der Spitze der Bundesrepublik Deutschland Waffenschieber sitzen. ({1}) Diese Hinweise haben sich inzwischen aber zu etwas ganz anderem verdichtet, nämlich zu dem Vorwurf, daß mit Wissen und Billigung, ja sogar - wie heute ein Beteiligter aussagt - unter Aufforderung der Bundesregierung unter Bruch bestehender Gesetze und internationaler Verpflichtungen Waffen nach Südafrika geliefert worden sind. Das ist der Punkt, über den wir heute reden. Es geht nicht um die Frage, an wen, Herr Abgeordneter Kohl, in der Vergangenheit Waffen geliefert worden sind, sondern es geht darum, ob Ihre Regierung das Recht eingehalten hat oder wissentlich und willentlich das Recht gebrochen hat. ({2}) Das ist auch die Antwort auf das, was Herr Beckmann und Herr Wissmann uns hier in einer wirklich etwas argumentationsschwachen Art und Weise, ablenkend vom Thema, vorzuführen versucht haben. Wenn Sie, Herr Beckmann, Hinweise auf Entscheidungen der früheren Bundesregierung haben, daß Rüstungsgeschäfte unter Verletzung des bestehenden Rechts von der damaligen Regierung genehmigt worden sind, dann haben Sie als Staatsbürger die Pflicht, zur Staatsanwaltschaft zu gehen und das anzuzeigen. ({3}) Ich wundere mich allerdings, daß gerade Sie eine solche Sehnsucht nach dem Staatsanwalt verspüren sollen. Das finde ich doch einigermaßen erstaunlich. ({4}) Bisher wurde zugegeben, daß „sondiert" worden ist. Meine Damen und Herren, was heißt denn hier „sondiert"? In der richtigen Sprache, die wir hier anwenden müssen, heißt das: Es ist monatelang ausbaldowert worden, ({5}) ob es möglich ist, die Gesetze dieses Landes zu umgehen. Herr Abgeordneter Dr. Kohl, ich frage Sie, was tun Sie denn, um Ihren Mitarbeiter Herrn Schrekkenberger vor diesem Vorwurf zu schützen, den Sie heute in der Ihnen nahestehenden „Bild"-Zeitung lesen können, daß er andere zu einer strafbaren Handlung aufgefordert hat? ({6}) Wo ist denn Ihre Anzeige? Wo ist Ihre Aufforderung, diesen Vorwurf zurückzunehmen? Nun will ich Ihnen sagen, was in dieser skandalösen Affäre noch alles an Fragen offen ist. ({7}) Sie können bisher nicht einmal sagen - Sie behaupten lediglich etwas -, was geliefert worden ist. Sie können oder wollen nicht sagen, wann geliefert worden ist. ({8}) Sie können und wollen nicht sagen, wer wann wieviel bezahlt hat. Sie können und wollen nicht sagen, wohin das Geld geflossen ist und wo es geblieben ist. Sie können und wollen nicht sagen, welche Provisionen gezahlt worden sind. ({9}) Sie können und wollen nicht sagen, welche Rolle der frühere CSU-Abgeordnete Zoglmann dabei gespielt hat. ({10}) Sie können und wollen nicht sagen, warum der Geheimnisbruch in dieser Affäre nicht untersucht wird. Sie können oder wollen nicht sagen, warum die Staatsanwaltschaft nicht eingeschaltet worden ist. ({11}) Sie können oder wollen nicht sagen, warum Sie nicht sofort das Ansinnen, deutsche Gesetze zu brechen, mit einem klaren und definitiven Nein beantwortet haben. ({12}) Herr Abgeordneter Kohl, Sie können und wollen offenbar nicht sagen, was Sie mit Ihrem Gast aus Südafrika, Herrn Botha, nachdem das Sofa herausgetragen worden war, besprochen haben. Sofa raus, U-Boot rein - ist es das gewesen? ({13}) Wir erwarten vollständige Aufklärung, und zwar noch jetzt. ({14})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pohlmeier.

Dr. Heinrich Pohlmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Reden der Kollegen Gansel und Verheugen ist auch für die deutsche Öffentlichkeit eindeutig klar, daß Sie hier ein skan19642 dalöses Wahlkampftheater inszenieren. Um nichts anderes geht es Ihnen heute morgen. ({0}) An Fakten ist die SPD und sind die GRÜNEN offenbar nicht interessiert. ({1}) Diese Fakten, soweit sie die parlamentarische Behandlung dieses Themas betreffen, sind gestern vormittag in einer über dreistündigen Sitzung der beteiligten Ausschüsse und nachmittags im Haushaltsausschuß dargelegt worden. Was der Herr Verheugen hier gefragt hat, kann nur nach dem Erkenntnisstand der Ermittlungsbehörden beantwortet werden. Darauf warten wir, darauf vertrauen wir. Dann ist alles auf dem Tisch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat seit 1963 keinerlei Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen nach Südafrika erteilt. Diese Bundesregierung hält sich penibel an die Resolution 418 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen von 1977. ({2}) Es wird also weder deutsche U-Boote noch Bauteile, noch Blaupausen, noch andere Waffensysteme an die Südafrikanische Union geben. ({3}) Wenn es um die Lieferung von Großwaffensystemen in weite Teile der Welt geht, dann ist die Regierung Helmut Kohl wesentlich restriktiver, als es die Regierung Schmidt je gewesen ist. Die Regierung Helmut Schmidt hat in der Zeit von 1970 bis 1981 für folgende U-Boot-Typen und Zielländer Liefergenehmigungen erteilt. Von der UBoot-Klasse TR 1700 an Argentinien drei Boote und drei Lieferlizenzen, ({4}) vom U-Boot-Typ 209 Baureihe 1500 an Indien zwei Boote und zwei Lizenzen, U-Boot-Reihe 209 Baureihe 1400 an Indonesien zwei Boote, von der Baureihe 1300 des gleichen Typs an Brasilien, Chile, Ecuador, Indonesien je zwei Boote, ({5}) von der Baureihe 1200 an Argentinien und Kolumbien je zwei Boote, an Peru sechs Boote. ({6}) - Ich beanstande das nicht, ({7}) aber Sie sollten sich daran erinnern, wie Sie mit Rüstungsexporten in Ihrer Regierungszeit umgegangen sind. ({8}) Die jetzige Bundesregierung verhält sich im Vergleich zu allen anderen Ländern, die Rüstungsgüter produzieren, außerordentlich zurückhaltend. Wir haben die konsequenteste Gesetzgebung und Kontrolle für den Rüstungsexport. ({9}) Herr Verheugen, wir weisen in aller Form zurück, daß Sie hier von Waffenschiebereien der Bundesrepublik Deutschland gesprochen haben. ({10}) Mit allem Nachdruck verwahren wir uns auch gegen alle Versuche, daß Sie uns, diese Bundesregierung und diese Koalition, in eine Ecke mit der Apartheidregierung Südafrikas stellen wollen. ({11}) In zahlreichen Debatten hier im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen haben wir unser Ziel klargemacht, auf einen friedlichen, gewaltlosen Wandel in Südafrika hinzuwirken. Das bedeutet, daß es mit unserer Unterstützung keine rüstungspolitische Zusammenarbeit mit dieser Regierung geben wird. Natürlich könnte man sagen, U-Boote können nicht in Soweto eingesetzt werden, aber sie würden natürlich eine Stützung dieses Regimes bedeuten, und deswegen ein klares Nein. Nach unserer Meinung ist ein Handelsboykott falsch. Er trifft wirklich vornehmlich nur die Schwarzen, er trifft die Armen in diesem Lande. Deswegen haben wir das nicht für richtig gehalten. SPD und GRÜNE, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch in dieser Frage wieder einmal einträchtig hier in diesem Saal beisammen, blasen einen Popanz auf, um über ihre Unfähigkeit hinwegzutäuschen, wirkliche Themen in diesem Wahlkampf zu nennen und sich darüber mit uns auseinanderzusetzen. ({12})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde heute morgen hat einen dürftigen Vorwand und einen ernsten Anlaß. Der dürftige Vorwand ist die Suche nach einem vermeintlichen Skandal, und der ernste Anlaß ist die verzweifelte Suche der Opposition nach einem Wahlkampfthema. ({0}) Diese Suche ist legitim, sie ist auch ganz offensichtlich notwendig, aber sie wird genauso ergebnislos bleiben wie die zahlreichen Blindflüge, die wir in den vergangenen Wochen in diesem Zusammenhang hier im Haus bereits erlebt haben. ({1}) Meine Damen und Herren, das Thema, um das es hier geht, ist viel zu ernst, als daß es sich für solche billigen Wahlkampfkalkulationen eignen würde. Deswegen halte ich wie meine Kollegen noch einmal fest: Diese Regierung und diese Koalition stehen zum Grundsatz einer restriktiven Handhabung von Waffenexporten aus Überzeugungen, die wir nahezu ausnahmslos alle miteinander teilen. ({2}) Die Richtlinien für die restriktive Handhabung von Waffenexporten, Herr Kollege Gansel, sind vor dem Regierungswechsel formuliert worden, und sie werden seit dem Regierungswechsel auch tatsächlich so gehandhabt. Sie würden, Herr Kollege Gansel, vermutlich zusammen mit dem Junggenossen Verheugen Ihren Altkanzler Helmut Schmidt auf Sänften in evangelische Kirchentage hereintragen, wenn er die Art der Handhabung dieser Richtlinien tatsächlich praktiziert hätte, die wir seit dem Regierungswechsel nachweisen können. ({3}) Sie haben doch sozialdemokratische Finanzminister nach Saudi-Arabien geschickt, um einen völlig aus den Fugen geratenen Haushalt mit von dort in Höhe von mehreren Dutzenden Milliarden aufge) nommenen Krediten wieder halbwegs ins Lot zu bringen, und Sie haben dafür die Lieferung von Leo II in Aussicht gestellt. ({4}) Anschließend ist der Bundeskanzler, den Sie hier heute angreifen, nach Saudi-Arabien gereist und hat für jedermann nachlesbar im Kommuniqué klargestellt, daß es eine solche Lieferung nicht geben wird. ({5}) Meine verehrten Kollegen von der Opposition, unter Helmut Schmidt sind U-Bott-Lieferungen an südamerikanische Staaten nicht sondiert, sondern vereinbart worden. ({6}) Und diese Bundesregierung hat Verfahren gegen Firmen und Ingenieurbüros wegen des Verdachts einer illegalen Behandlung dieser sehr seriösen Materie eingeleitet. Das ist der fundamentale Unterschied in der Behandlung dieses Themas. ({7}) Deswegen kann ich Ihnen nur allen Ernstes empfehlen, die Scheinheiligkeit einzustellen, mit der Sie dieses Thema nun seit Wochen behandeln. ({8}) Wir werden, wie wir das in den vergangenen Tagen und Wochen begonnen haben, immer da, wo es einen Anlaß gibt, nachzuforschen, ob die von uns gewollten Prinzipien in der Handhabung einer so sensiblen Materie nicht mit der notwendigen Sorgfalt beachtet oder gar willentlich, mutwillig unterlaufen werden, mit aller notwendigen Ernsthaftigkeit diesen Verdachtsmomenten nachgehen. Gerade die Beratungen gestern in den betroffenen Ausschüssen haben den Nachweis gebracht, daß diese Bundesregierung in sämtlichen mit der Materie befaßten Ministerien genau dieser Verpflichtung nachgekommen ist, lange bevor die Presse oder die Opposition sie zu einer solchen Vorgehensweise aufgefordert hätte. ({9}) Deswegen, verehrter Herr Kollege Gansel: Wenn Sie auch nach dieser Diskussion mit der Ihnen eigenen Gemütsmischung von Resignation und Trotz vor die deutsche Presse treten, um mitzuteilen, auch diese Diskussion habe zur Aufklärung der Sachverhalte leider nichts beigetragen, dann vergessen Sie bitte nicht, hinzuzufügen, daß sie zur Aufklärung der Wahlkampfstrategie der SPD und ihrer nahezu peinlichen argumentativen Verlegenheit eine ganze Menge bewirkt hat. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren! Ausweislich des Stenographischen Protokolls hat der Abgeordnete Verheugen den Abgeordneten Klein ({0}) einen Flegel genannt. Ich rufe Sie wegen dieser Äußerung zur Ordnung, Kollege Verheugen. ({1}) Die Aktuelle Stunde ist beendet. ({2}) - Ich fahre in der Tagesordnung erst dann fort, wenn sich die Heiterkeit gelegt hat. Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, habe ich einige amtliche Mitteilungen zu verlesen. Für den verstorbenen Kollegen Milz hat Abgeordneter Horstmeier mit Wirkung vom 3. Dezember 1986 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den uns bereits aus früheren Wahlperioden bekannten Kollegen herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit. ({3}) Der Abgeordnete Tischer ist am 2. Dezember 1986 aus der Fraktion DIE GRÜNEN ausgeschieden. Er wird dem Deutschen Bundestag als fraktionsloses Mitglied angehören. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt. Präsident Dr. Jenninger 1. Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zu Geschäftsbeziehungen von bundeseigenen Unternehmen zur Republik Südafrika 2. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Vorsorge gegen Chemieunfälle 3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes betr. die Änderung vom 27. September 1984 der Satzung der Internationalen Atomenergie-Organisation - Drucksache 10/6600 -Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Sport und Gewalt - Drucksache 10/6610 -Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte - Drucksachen 10/6392, 10/6418 -Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Einheitliche Europäische Akte - Drucksachen 10/6414, 10/6663 -Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu den Verfahren für die Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte in den nationalen Parlamenten und zur Verwirklichung der Europäischen Union - Drucksache 10/6454 - 8. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikel 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung und zur Änderung der Bundesärzteordnung, des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde und der Reichsversicherungsordnung - Drucksachen 10/6394, 10/6637 -9. Aktuelle Stunde Einsatz des Bundesgrenzschutzes bei der verbotenen Anti-Atomkraftwerk-Konferenz am 29./30. November 1986 in Regensburg Dabei soll gleichzeitig, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Darüber hinaus haben die Fraktionen vereinbart, Punkt 4 a bis n der Tagesordnung in verbundener Debatte mit der Regierungserklärung zu beraten. Punkt 3 der Tagesordnung soll daher erst nach der Fragestunde um 15 Uhr aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5}) aa) zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Wex, Daweke, Dr. Mikat, Graf von Waldburg-Zeil, Nelle, Frau Rönsch, Schemken, Strube, Frau Dr. Wisniewski, Frau Männle, Rossmanith, Kalisch, Weiß, Dr. Althammer, Frau Dr. Hellwig, Dr. Hornhues, Linsmeier, Dr. Kunz ({6}), Dr. Sterk-ken, Dr. Lammert, Bohl, Dr. Kreile, Dr. Daniels, Dr. Rose, Jung ({7}), Dr. Olderog, Dr. Faltlhauser, Lowack, Austermann, Frau Verhülsdonk, Jagoda, Dr. Becker ({8}), Schwarz, Frau Roitzsch, Niegel, Clemens, Pohlmann, Deres, Wimmer ({9}), Magin, Dr.-Ing. Kansy, Müller ({10}), Broll, Dr. Möller, Haungs, Ruf, Dr. Hackel, Echternach, Dolata, Frau Geiger, Schulze ({11}), Schreiber, Müller ({12}), Carstensen ({13}), Graf Huyn, Dr. Hüsch, Ganz ({14}), Werner, Wilz, Tillmann, Dr. Blank, Dr. Marx, Herkenrath, Hanz ({15}), Buschbom, Maaß, Dr. Pohlmeier, Hornung, Zierer, Zink, Höffkes, Baum, Neuhausen, Dr. Feldmann, Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Schäfer ({16}), Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Rumpf und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Kulturförderungspolitik der Bundesregierung zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Duve, Bachmaier, Bernrath, Büchner ({17}), Catenhusen, Conradi, Egert, Gansel, Kühbacher, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller ({18}), Frau Odendahl, Rapp ({19}), Schröer ({20}), Schulte ({21}), Sielaff, Toetemeyer, Wartenberg ({22}), Frau Weyel, Wolfram ({23}), Frau Zutt und der Fraktion der SPD Kulturpolitik bb) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Duve, Bachmaier, Bernrath, Büchner ({24}), Catenhusen, Conradi, Egert, Gansel, Kühbacher, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller ({25}), Frau Odendahl, Rapp ({26}), Schröer ({27}), Schulte ({28}), Sielaff, Toetemeyer, Wartenberg ({29}), Frau Weyel, Wolfram ({30}), Frau Zutt und der Fraktion der SPD Kulturpolitik - Drucksachen 10/2262, 10/2279, 10/5836 - Berichterstatter: Abgeordnete Duve Weiß b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({31}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1986 hier: Einzeplan 06 Präsident Dr. Jenninger - Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern -- Drucksachen 10/4348, 10/5697 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Friedmann Kühbacher Dr. Weng ({32}) Dr. Müller ({33}) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Duve, Conradi, Frau Dr. Lepsius, Catenhusen, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Diederich ({34}), Egert, Heimann, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller ({35}), Dr. Penner, Schröer ({36}), Schulte ({37}), Sielaff, Toetemeyer, Wartenberg ({38}), Frau Weyel, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Errichtung eines Deutschen Historischen Museums in Berlin und eines Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn - Drucksache 10/5099 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({39}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß d) Beratung des Antrags des Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN Pläne der Bundesregierung, ein „Deutsches Historisches Museum" in Berlin und ein „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn zu errichten - Drucksache 10/5394 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({40}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß e) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Errichtung eines „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn und eines „Deutschen Historischen Museums" in Berlin - Drucksache 10/6268 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({41}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß f) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ströbele, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung der Kulturpolitik in Berlin ({42}) - Drucksachen 10/4518, 10/5833 Zu dem Tagesordnungspunkt 2 a liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6615 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunktes 2 a bis f zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Daweke.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist die zweite Debatte über Kulturpolitik, die wir in dieser Wahlperiode führen. Es ist auch die zweite überhaupt, die der Deutsche Bundestag in seiner Geschichte führt. Das ist einerseits traurig genug. Es ist andererseits im Grund genommen spiegelbildlich zu der Entwicklung zu sehen, die die Bundesrepublik Deutschland insgesamt genommen hat. Nach dem Krieg waren wir zuerst damit beschäftigt, den Wiederaufbau zu sichern, Wohlstand aufzubauen, eine Industriegesellschaft zu formen. Es kam hinzu, daß Kultur vor allem als eine elitäre Angelegenheit, als eine Spezialistenbeschäftigung gesehen wurde. Das hat sich gründlich geändert. Kultur ist von den Rändern wieder in die Mitte des Interesses gerückt. Ursachen dafür sind - so sehe jedenfalls ich es - zum einen ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Kultur in unserer Bevölkerung und zum anderen die Möglichkeiten, die eine Gesellschaft wie die unsere bietet. Die Industriegesellschaft macht Freiräume für Kultur möglich. Sie schafft auch die materiellen Voraussetzungen für Kultur. Die Deutschen beginnen, das zu nutzen. Ich will dafür ein paar Beispiele geben. Die Zahl der Kulturpreise ist von 1978 bis 1985 von 825 auf 1 329 gestiegen. 1986 werden etwa 61 Millionen Menschen deutsche Museen besuchen. In Deutschland musizieren 6 Millionen Menschen. Das Anwachsen der Zahl der soziokulturellen Zentren spricht eine deutliche Sprache. Diese großartige Beschäftigung der Deutschen mit der Kultur spiegelt sich auch in der volkswirtschaftlichen Bedeutung ganzer Branchen wider. So ist der Endverbrauchsumsatz im Buchhandel zur Zeit 8 Milliarden DM wert. 1,6 % des Bruttosozialprodukts werden im Musikbereich erwirtschaftet. Die beschäftigungspolitische Bedeutung etwa der bildenden Kunst ist nicht zu unterschätzen. Im übrigen hören wir von einer großen Zahl von Ministerpräsidenten, daß sie Kultur auch als Standortfaktor beurteilen, d. h. die Frage von Wirtschaftsförderung und Kultur in Verbindung bringen. Es ist also so, daß wir Kultur im Grunde genommen als Investition ansehen müssen. Kulturpolitik ist Zukunftssicherung mit hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung. Unsere Auffassung ist, daß das nicht von selbst läuft. Der Staat sollte die Kultur nicht machen, aber die Bedingungen setzen, wie sich Kultur in den Ländern und den Kommunen entfalten kann. Kultur ist zuerst Sache des Bürgers. So habe ich gestern auch die Mitteilung aus der KMK verstan19646 den, die darauf hinwies, daß in der Bundesrepublik Deutschland Kultur weitgehend in Kommunen stattfindet. Die Kommunen sind auch die Hauptfinanziers von Kulturarbeit. Dann folgen die Länder und mit ganz weitem Abstand - mit 1,7 % der Ausgaben - der Bund. Wo also ist die Aufgabe des Bundes zu sehen, wenn es schon nicht die klassische Aufgabe der Finanzierung ist? Ich denke, wir müssen die Rahmenbedingungen ansprechen und dann - der Bundesfinanzminister ist nicht mehr hier - natürlich auch das Steuerrecht, das wir kulturfreundlich gestalten müssen. Wir überlegen in unserer Fraktion, ob und wie wir in der nächsten Periode etwa die Befreiung des Kulturbesitzes von der Vermögensteuer erreichen können, ({0}) wie wir Sonderausgaben für Kunstanschaffungen einrichten können. Ob das möglich sein wird, steht dahin, weil wir an sich Subventionen abschaffen wollen. Aber es ist eine wichtige Frage. Wir wissen, daß der Bundeskanzler das Stiftungsrecht als einen zentralen Punkt betrachtet. Genauer müßte man eigentlich sagen: das Stiftungssteuerrecht. Die Frage ist, ob wir nicht ein Modell aus Frankreich übernehmen können, das dort ausgerechnet der sozialistische Präsident geschaffen hat. Nach dem Tode von Picasso schuf er die Möglichkeit, die Erbschaftsteuer auch durch Hingabe von Kunst an den Staat zu zahlen. Nur auf diese Art und Weise sind die Franzosen an die wunderbaren Picassos gekommen, die heute neben dem Louvre ausgestellt werden. Es ist inzwischen bei uns gang und gäbe, daß jeder sagt - auch Herr Rau in jeder Wahlkampfrede -, daß das Steuerrecht ungerecht ist und man es deshalb ändern muß. Ich will hinzufügen: Unser Steuerrecht ist auch einfallslos. Wenn wir 1988 eine Steuerreform machen wollen, die greift, dann muß sie auch pfiffig sein. Sie muß solche Freiräume schaffen, die die Möglichkeit bieten, daß Menschen selbst aktiv werden. Ich glaube jedenfalls, daß das ein zentraler Punkt für die nächste Wahlperiode werden wird. Wir sind bis jetzt zugegebenermaßen nur in Ansätzen darangegangen. Das hängt auch ganz wesentlich damit zusammen, daß die Priorität in der letzten Periode auf der Haushaltssanierung lag. Es gibt auch andere Bereiche, wo wir aktiv werden können. Ich nenne beispielsweise das Thema Mäzenatentum und frage, ob es nicht sinnvoll wäre, ähnlich der Honorierung hervorragender Ausbildungsleistungen - der Bundespräsident vergibt in Zusammenarbeit mit den Kammern eine Urkunde - hervorragende Mäzene in unserer Gesellschaft zu fördern. Ich glaube, daß denen daran wesentlich mehr liegt als etwa an der Frage, wie hoch der Steuersatz ist. Eine solche Anerkennung wäre als psychologische Voraussetzung wichtig. Die Anerkennung durch die Gesellschaft, die die Mäzene heute haben, entspricht nicht der hohen Bedeutung, die sie in der Kulturgesellschaft haben. Ein weiterer Hinweis. Wenn man über Europa redet, muß man zugeben, daß wir große Schwierigkeiten haben, etwa Kunstwerke der Franzosen hier auszustellen oder umgekehrt bildende Kunst nach Frankreich zu bringen. Das ist nicht so sehr eine Frage des zu entrichtenden Zolls, es ist weitgehend eine Frage des behördlichen Aufwands, den man treiben muß, eine Frage der Versicherungspolicen, der Bürokratie, die da stattfindet. Es ist ein unbefriedigender Zustand, ({1}) der sich in den letzten Jahren nicht geändert hat. Das muß man monieren und in der Europäischen Gemeinschaft dringend dafür sorgen, daß es, wenn wir schon allesamt von Kultur in Europa reden, auch möglich ist, daß wir Austausch von Kulturgütern in Europa haben. ({2}) Zwei weitere Hinweise: Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, im Kulturbereich weitere Preise zu stiften. Wenn das geschieht, geschieht es weitgehend nicht durch den Staat. Ich habe j a eben die Zahl von über 1 300 Kulturpreisen genannt. Aber vielleicht könnten wir doch an den Gedanken herangehen, ob es nicht für eine besondere Leistung einen staatlichen Kulturpreis, etwa der Bundesrepublik, geben sollte. Wir haben, als wir dieses Thema diskutierten, gehört, daß von diesen Kulturpreisen Frauen weitgehend ausgeschlossen sind, und zwar deshalb, weil Frauen, wenn sie nach der Familienphase beginnen, Kunst zu produzieren, sich kulturell zu engagieren, meist über 35 sind und es bei fast allen Preisen eine Altersgrenze von 35 Jahren gibt. Wäre nicht zu überlegen, ob wir, wenn wir so etwas anfingen, gerade für diese Gruppe oder auch für alle anderen, die später, sozusagen von der Seite her, in kulturelle Aktivitäten einsteigen, etwas tun sollten? Eine letzte Bemerkung in dem Zusammenhang: Herr Bundeskanzler, wir haben als Parlament beschlossen, eine Silbermünze zu prägen. Sicherlich wird der Finanzminister wissen, daß das 40 Millionen DM bringt, aber im Grunde genommen haben wir als Parlament noch nicht befunden, was mit dem Geld gemacht werden soll. Ich fände es schade, wenn das in den großen Steuertopf, den großen Topf der staatlichen Einnahmen, einginge. Wäre es nicht eine Idee, dieses Geld gezielt für die Kulturförderung einzusetzen? Mit 40 Millionen DM können Sie in der Kulturpolitik Welten bewegen. ({3}) In vielen anderen Bereichen der Politik geht das nicht - das gebe ich zu -, aber in der Kulturpolitik kann man damit Welten bewegen. Ich gebe das nur mal zu Protokoll. Vielleicht kann man sich in Zukunft, wie der eine Kollege in der vorigen Debatte, auch einmal selber zitieren. Da ist doch immer das Schönste. Letzter Punkt, den ich nennen will, weitgehend an die Länder gerichtet. Wenn wir feststellen, daß sich so viele Menschen für Kultur interessieren, geht es doch um die Frage: Wie entsteht eigentlich Interesse bei der jüngeren Generation? Stichwort: Lesen. Oder: Museen. Wie wird man an solche Kulturgüter herangeführt? ({4}) - Eben nicht. Aber auch nicht durch das andere Fernsehen. Wenn Sie sich manchen Quatsch von „ARD" und „ZDF" gelegentlich angucken, werden Sie feststellen, daß das keine Frage von Kabel- oder Antennenempfang ist. Das ist ein Problem dessen, was die Leute abfragen. ({5}) Das ist doch gerade der Punkt, Herr Conradi. Es stellt sich die Frage: Wie führe ich an die Kultur heran? Da wäre doch wirklich einmal zu überlegen, ob man nicht beispielsweise in den Schulen den Anteil der Kultur im Unterricht noch stärker fördern könnte. Wir haben gut ausgebildete Leute, die vor der Tür stehen. Die Frage ist: Wie kann Hänschen etwas lernen, was Hans nicht mehr lernen kann? ({6}) Es ist zwar so, daß auf diesem Gebiet in den Ländern etwas geschieht. Aber die entscheidende Frage bleibt: Wie kann man Musiker, Schriftsteller, bildende Künstler mehr einsetzen, so daß sie ihre Kunst den jungen Leuten in den Schulen überbringen? Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß kommen. Wir werden nachher noch Herrn Glotz hören. Ich hörte, Sie werden reden. Darauf freue ich mich, Herr Glotz. Sie sollten vielleicht etwas erklären, was ich bei Ihnen als einem, der sich seit langer Zeit mit Kulturpolitik und insbesondere auch mit Medienpolitik beschäftigt, nachgelesen habe. Sie haben gesagt, es sei wichtig, daß die SPD die kulturelle Hegemonie wiedererlange. ({7}) - Nein, nein, er hat gemeint: Hegemonie. Das haben wir schon sorgfältig nachgeprüft. ({8}) Herr Glotz, wenn Ihre Auffassung von Kulturpolitik die ist, daß man seine Macht und die Mehrheit gebrauchen müsse, um Kultur etwa im Sinne von SPD zu machen, haben wir hier natürlich einen riesigen Widerspruch zwischen dem, wie Sie Kulturpolitik begreifen, und dem, wie wir Kulturpolitik begreifen. ({9}) Wir wollen Hegemonie der Kultur und nicht eine kulturelle Hegemonie. ({10}) Wir wollen die Freiräume schaffen, damit sich Kultur entfalten kann, aber nicht politische Vorgaben machen, was Kultur ist oder wie sich Kultur zu entfalten hat. Das muß die Kulturgesellschaft selber leisten. Das leistet sie auch selber. Die Kulturpolitik ist die beste, die Kultur sich frei entfalten läßt. Würden Sie vielleicht gleich noch einmal erklären, was Sie mit „kultureller Hegemonie" wirklich meinen? Heißt das, daß im Grunde genommen meine Beobachtung richtig ist, daß sich ein Hilmar Hoffmann nur unter Wallmann entfalten konnte und daß ein Peymann in Bochum - bei absoluter Mehrheit der SPD - weinend den Saal verlassen hat, während er sich etwa in Stuttgart unter Rommel pudelwohl gefühlt hat? Wenn Sie das unter „kultureller Hegemonie" verstehen, nämlich Druck ausüben, Kultur machen, so, wie das im Präsidium bei Ihnen beschlossen wird oder in der BGAG - das weiß ich nicht; das ist ja ungefähr das gleiche -, dann haben wir in der Tat einen großen Widerspruch, den man aufklären muß. Ich sage Ihnen, die Länder, die von der Union geführt werden - ein Ministerpräsident sitzt hier, der das seit zehn Jahren erfolgreich macht; andere tun es in Berlin -, sind ausweislich daran interessiert, diese Hegemonie gerade nicht zu erreichen. Ich halte dies für einen wichtigen Punkt, weil er das Grundverständnis von Politik im Kulturbereich deutlich macht. Ich sage noch einmal: Unser Verständnis wäre das nicht. Ich glaube, daß wir mit unserem Ansatz, nämlich Rahmenbedingungen zu setzen, die Kultur sich entfalten zu lassen, richtig liegen. Das ist die Aufgabe vor allem für die nächsten vier Jahre. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast auf den Monat genau vor zwei Jahren haben wir hier im Bundestag zur Kultur debattiert. Seit diesem November 1984 ist Heinrich Böll, unser Nobelpreisträger für Literatur, gestorben, hat uns die Sängerin Elisabeth Grömer verlassen, der Schriftsteller Huber Fichte, der Maler und bildende Künstler Joseph Beuys. Und vor zwei Tagen ist Ingeborg Drewitz, Mitbegründerin des Verbandes deutscher Schriftsteller, in Berlin bestattet worden. Sie alle waren Repräsentanten unserer deutschen Kultur. All diese Künstler, die namhaften und die vielen weniger namhaften, haben sich an dieser Republik gerieben. Herr Präsident, meine Damen und Herren, wie leben die Künstler und Intellektuellen in unserer Wirtschaftsgesellschaft, welche Rolle nehmen sie in der parlamentarischen Demokratie ein? Auch darum geht es bei der Kulturpoltik. Sind sie Ornament und Instrument des Staates und der Wirtschaft, ausgehaltene und manchmal erbetene Sinnstifter für Leute, die nach absoluten Wahrheiten suchen? Tragen ihre Arbeiten zu einer freien, kritischen Diskussion bei? Stiften sie gar Staatsidentität, oder sind sie kritische Begleiter des demokratischen Gesellschaftsprozesses, fähig, Toleranz und Aufklärung zu festigen, nicht bereit, den Bedarf an kultureller Legitimation des Staates zu bedienen? Die Frage also: Was ist Politik, die der Kunst und Kultur dienen soll, in der Demokratie, steht für uns Sozialdemokraten ganz oben. Auch autoritäre Staaten betreiben Kulturförderungspolitik, auch diktatorische Staaten können Künstler und Künste fördern. Die freie Meinung aber, der radikale Ausdruck der eigenen und unabhängigen Kraft, auch der skeptische Blick auf ungerechte Machtverhältnisse, auf Heuchelei und falsche Töne, die Entlarvung des Irrtums und der Lüge, das alles ist nur möglich auf dem Fundament eines gelebten republikanischen Patriotismus. ({0}) Das alles ist aber auch nur möglich, wenn der Stolz auf unsere Verfassung nicht erstickt wird durch Polizisten, die Demonstranten einkesseln, durch Bundeskanzler, die ihr Amt dazu verwenden, Kulturinstitute der Dümmlichkeit und Frechheit zu bezichtigen, und durch Innenminister, die Filmzensur betreiben wollen. ({1}) Republikanischer Verfassungsstolz stellt sich nur ein, wenn die Würde demokratischer Tugenden gewahrt bleibt, wenn die humanistische Aufklärung verteidigt wird. ({2}) Eine demokratisch gewählte Regierung, die das kritische Kabarett eines Gerhard Polt, eines Dieter Hildebrandt, die das Fernsehprogramm eines Rudi Carrell glaubt verhindern zu können, die das Mittel der Einschüchterung mißliebiger Journalisten einsetzt, vergreift sich am Geist der Demokratie. ({3}) Vom Klima der Einschüchterung muß sich insbesondere die Sensibilität der Künstler getroffen fühlen. Meine Damen und Herren, Kulturpolitik fragt auch danach: Wie leben Künstler in unserem Kulturstaat? Da werden Preise verliehen, Stipendien vergeben. Städte, Länder und Bund mühen sich, Künstler zu fördern. Galerien übernehmen die Werke junger Maler. Schallplattenfirmen bieten Verträge an. Es ist ein verwirrendes Geflecht von engagierten, zuweilen auch halbherzigen Bemühungen entstanden, die Existenz der schreibenden, malenden, musizierenden, dramatischen und filmischen Zünfte gerechter zu sichern. Trotz der großen Leidenschaft, mit der viele Bürger und Mitarbeiter der öffentlichen Hand versuchen, die Künstler zu stützen, ist deren Lage nach wie vor grundsätzlich unbefriedigend; denn z. B. 95% der bildenden Künstler können vom Verkauf ihrer Arbeiten nicht leben und müssen ihren Unterhalt mit einem Brotjob verdienen. Das ist nicht immer Kunsterziehung, die Schule oder die Volkshochschule, das ist häufig das Taxi, der Hilfsjob am Bau. Wer immer versucht, die schwierigen Lebens-und Berufsformen der Künstler den Steuer-, Betriebs- oder Sozialfachleuten zu erklären, hat neben viel gutem Willen eines feststellen können: In unserer steuerlich und sozialpolitisch geordnete und definierte Welt paßt die Künstlerexistenz nur schwer, häufig gar nicht hinein. ({4}) Verwundert schaut der Finanzbeamte hinter seinem Schreibtisch auf: Eine solche unständig-ständige Existenz von Menschen, die jahrelang kein Bild verkaufen und dann plötzlich zehn davon und in den mageren Jahren auch noch anerkannt werden wollen als berufsausübend und nicht als Hobbykünstler, eine solche Existenz ist kaum von dieser Steuerwelt. Oder der engagierte Sozialpolitiker: Was, da gibt es Leute, die brauchen eine soziale Grundsicherung ohne beizeiten in Kassen eingezahlt zu haben, nur weil ihre Texte, ihre Bilder, ihre Flötentöne zur Zeit weniger gefragt sind! Meine Damen und Herren, wir sollten hier im Bundestag gemeinsam feststellen, Herr Daweke: Es hat bisher nur den einen Versuch eines großen Wurfs gegeben: Künstlersozialversicherung - eine Schwerstgeburt damals, zuletzt nur durch mutigen Kaiserschnitt ins Leben gerufen. Heute sind dort bereits 25 000 Künstler versichert, weitere, vermutlich 10- bis 20 000, werden noch dazukommen. Aber anstatt daß alle gemeinsam die von niemandem bestrittenen Kinderkrankheiten beseitigen, muß sich das kaum geborene Kind gegen die Klage beim Bundesverfassungsgericht behaupten; denn noch heute will die CDU in Gestalt des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Dr. Vogel, der Künstlersozialversicherung den Garaus machen. ({5}) Die Künstlerexistenz steht quer zu unserer Systematik der Erwerbstätigkeit, zu unserer Definition der Arbeitslosigkeit und der Arbeitsunfähigkeit. Künstler wollen arbeiten, sie können arbeiten, nur können sie häufig nicht davon leben. Nach wie vor fehlt das schlüssige Konzept. Der vor zwei Jahren groß angekündigte Steuerbericht des Finanzministers zu Kulturfragen ist ausgeblieben. Anscheinend ist der Minister an dieser Aufgabe gescheitert. Einen ganzen bunten Paradiesgarten an Maßnahmen hatte die Union den Künstlern versprochen. Aus dem Stoltenberg ist ein Mäuslein gekrochen: die Ausdehnung des Übungsleiterfreibetrages auf weitere Nebentätigkeiten im künstlerischen Bereich und der Ankauf von Werken lebender Künstler. Nach wie vor werden Musiker, die in der Regel eine 15jährige Ausbildungszeit oder mehr hinter sich haben und die gezwungen sind, ihre Fertigkeit lebenslang weiter zu verbessern und zu trainieren, als Musiklehrer nach IV b bezahlt, also weit unter jedem Akademikertarif. Die hier im Bundestag so glänzend vertretene Juristenzunft, konfrontiert mit solchen Ausbildungszeiten und Weiterbildungszwängen, hätte sich selbst bestimmt einen Sondertarif nach B 9 geschaffen. Nein, wir haben noch keine stabil gezimmerte Brücke hin zu einer sozialen Grundsicherung der Künstler, hin zu einer steuerlichen Behandlung, die den Mut hätte, den Verfassungsauftrag des Kulturstaates ernst zu nehmen; darüber täuschen auch Kunstausstellungen in der Parlamentarischen Gesellschaft und Konzerte in Beethovens Bonner Halle nicht hinweg. Lassen Sie uns - ich richte das an alle Parteien, auch an meine eigene - -im nächsten Bundestag gemeinsam eine solche Brücke bauen! Auch meine Partei hat Schwierigkeiten damit, auch Sie, Herr Baum, trotz Ihres interessanten Konzepts, auch Sie, Herr Daweke. Sie sollten aufhören, Versprechungen zu machen, Luftschlösser zu bauen. ({6}) Sie sollten statt dessen mit uns um die Stabilisierung des einen Grundpfeilers, der Künstlersozialversicherung, kämpfen. Ein Blick hinter die Dekorationskulisse einer selbstgerechten Kulturpolitik: Seit Jahren versuchen wir, die Hilfe für alte bedürftige Künstler, für die das Künstlersozialversicherungswerk zu spät kam, anzuheben.. Als sogenannten Ehrensold des Bundespräsidenten erhalten diese Künstler zur Zeit - nicht einmal alle - monatlich ca. 580 DM. Selbst der Versuch, diesen Betrag auf 750 DM anzuheben, wurde vom Haushaltsausschuß abgelehnt und auf das Jahr 1988 verschoben. Ich befürchte, mancher alte Künstler wird das vielleicht nicht mehr erleben. 1973 hatte Ingeborg Drewitz zu dem damals veröffentlichten Autorenreport geschrieben: Er - der Report ersetzt das Image des Dichters durch das Bild eines sozial schwachen, im Alter ungeschützten Mitbürgers, der so lange lebt wie andere, bis zuletzt arbeitet und häufig als armer Hund stirbt. Wie sieht sie nun aus, die kulturpolitische Bilanz der Rechtskoalition? Was ist mit dem geistig-moralischen Wendemantel passiert, den Sie, Herr Bundeskanzler, dieser Republik hatten umlegen wollen, der Sie dann im Streit mit Ihrem Vorgänger auch noch geistige Führerschaft versprochen hatten? Sie haben Irrlichter für Leuchtmarken ausgegeben, und viele sind Ihnen in die Sümpfe des machtpolitischen Rechtspopulismus gefolgt. ({7}) - Warten Sie ab. - Das ist der Bezirk, in den der geistig-moralische Wendeführer uns hat führen wollen. Ein gerader Weg ist erkennbar, ohne Millimeter Abweichung, von Herrn Zimmermanns kalkulierter Ablehnung der Achternbusch-Förderung, der Veränderung der Filmförderungsrichtlinien, ({8}) der Abschaffung eines Unterausschusses für Kunst und Kultur im Parlament bis hin zu jenem nun gar nicht mehr erstaunlichen Faksimile, das die „Süddeutsche Zeitung" am 29. November veröffentlicht hat, diesem Kulturpolitischen Sechszeilenjuwel, datiert vom 10. Juli, mit dem die Reise des Kabarettisten Gerhard Polt nach Skandinavien als „Frechheit und Dümmlichkeit" des veranstaltenden Goethe-Instituts durch den Bundeskanzler getadelt wird. Gewiß, die Bundesregierung hat die selbstverwalteten Kunstfonds weitergeführt, die sie als Erbe der sozialliberalen Koalition übernommen hatte. Aber das kleine Briefchen des Kanzlers schlägt jeder Kulturförderung ins Gesicht. ({9}) Es bleibt ja nicht beim Briefchen. Wozu Franz Josef Strauß immerhin noch 60 Seiten Redemanuskript benötigt hatte, macht der Kanzler mit sechs Zeilen: ({10}) Einschüchterung und Gängelung, Wende in der Auswärtigen Kulturpolitik! ({11}) - Das ist auch beim Bundeskanzler manchmal kabarettreif; das gebe ich gerne zu. Dutzende von Beamten scheinen mit dem Vorgang Gerhard Polt beauftragt worden zu sein. Zum Schluß bleibt dann übrig: Goethe-Institute werden sich weniger leicht trauen, deutsche Kabarettisten einzuladen. Wir wollen sie von dieser Stelle aus ermuntern, das trotzdem zu tun. ({12}) Ausländische Goethe-Instituts-Besucher sollen trotz Helmut Kohl und Franz Josef Strauß auch weiter etwas zu Lachen haben. Druck erzeugt oft flinke Willfährigkeit. Ein Brief genügt, und Ihr neuer Mann bei Inter Nationes preßt alle 400 Filme dieser weltweit operierenden Mittlerorganisation in ein denunziatorisches und kunstfeindliches Raster unter der Überschrift: Wie positiv stellt der einzelne Film den Kohl-Staat dar? ({13}) Kunst und Kultur als Dekoration, als Ornament und Instrument der Wendepolitik - das wollen Sie fördern, aber den freien Disput, die unerläßliche Auseinandersetzung wollen Sie gängeln. Ein Wort zu den öffentlich-rechtlichen Medien. Die Union treibt die Privatisierung der elektronischen Medien voran. Die dramatische Verschiebung des kulturellen Maßstabs hat begonnen. Der neue Maßstab ist der Anteil der Gesamtbevölkerung, der eine Sendung hört oder sieht. Eine Autorenlesung, obwohl sie von über 10 000 Menschen gehört wird, wird bei den Sendern kaum noch gemessen; ja, sie gilt inzwischen zynisch als Programm für die Taubstummenanstalt. Eine Fernsehsendung, die über 1 Million Menschen gesehen haben, wird ebenso zynisch als Programm für Blindenanstalten bezeich19650 net. Der minderheitenfeindliche Geist wird hier doppelt deutlich. Die Einschaltquote des Fernsehens verändert alle Veranstaltungsmaßstäbe unserer Kulturnation. Wichtige Wortsendungen werden gekappt und gekürzt; künstlerische Ausdrucksformen im Hörfunk sterben aus. Die Einschaltquoten-Kultur überläßt der Werbung die Maßstäbe. Auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten beugen sich diesem Druck. Erst hat die Union sie gemeinsam mit den konservativen Zeitungen sturmreif geschossen, ({14}) dann hat sie fast alle entscheidenden Personalstellen besetzt, und jetzt betreiben diese Leute die Selbstkommerzialisierung der Sender. ({15}) Ich beschreibe Tendenzen. Natürlich gibt es dagegen Widerspruch und Widerstand, aber auch zunehmende Unempfindlichkeit. Die Unterhaltung, nicht die Auseinandersetzung ist das Elixier des politisch gewollten rechten Zeitgeistes. Daran labt sich, wer die neue Sinnstiftung auf- und vorbereitet. Davon leben die neuen Rechtsintellektuellen: eine Kultur der Gedächtnislosigkeit, der zerschnittenen Erinnerungsfäden, des tagtäglichen Vergessens ist die Voraussetzung dafür, daß die akademischen Softwareproducer für den Zeitgeist arbeiten können. Als nationale Aufgabe von europäischem Rang hat der Bundeskanzler die geplanten Geschichtsmuseen in Bonn und Berlin bezeichnet. Was sollen eigentlich solche Sprechblasen? Wer verleiht europäische Ränge? Wer stiftet nationale Aufgaben? Geschichtliche Identität sei den Deutschen abhanden gekommen - so heißt es -, sie müsse rasch wieder gefunden oder gestiftet werden, sonst drohe uns Unheil. Zugleich wird festgestellt, daß es großes Interesse an der Geschichte gebe. In der Tat: Die behauptete Geschichtslosigkeit existiert nicht. Ich bin stolz darauf, daß die Mitglieder in fast jedem Ortsverein meiner Partei Geschichtsforschung betreiben. ({16}) Wie kommen Sie von der Union eigentlich dazu, die Sie sich der Geschichte der Deutsch-nationalen unter ihren Vorgängern und ihrer folgenschweren Irrtümer auf so denkfaule Weise zu entledigen trachten, Sozialdemokraten und den Linken in diesem Lande Lehrstunden in Geschichte geben zu wollen? In vielem ist die Geschichtsdebatte ein schmerzlicher Rückschritt hinter eine in der Bundesrepublik leidvoll bereits erarbeitete eigene Identität, die stolz ist auf ihre Verfassung, gerade weil sie den Nationalstaat überwunden hat. Günter Gaus hat in seinem neuen Buch „Die Welt der Westdeutschen" seinen Patriotismus, ja, sein Nationalgefühl beschrieben. Er hat von der vielfach genarbten Haut aus den Erfahrungen des Landes, zu dem man nolens volens gehöre, gesprochen. Wer die Schriften dieses ersten Vertreters in der DDR aufmerksam liest, bekommt Lehrstunden in Patriotismus, die ihn wappnen gegen falsches Nationalbewußtsein, gegen Historiker, die im balladenhaften Melodram Geschichte beschwören, als habe man es mit der Alabasterstatue eines attischen Bildhauers zu tun. ({17}) - Sehen Sie, Herr Kollege Weiß, Sie sind im Innenausschuß für Kultur zuständig. Wenn man sich bemüht, auch sprachlich diesem Gegenstand gerecht zu werden, dann machen Sie sehr, sehr dumme Zwischenrufe. ({18}) Verfassungspatriotismus ! Jürgen Habermas und der von Ihnen so gerne für sich mißbrauchte Richard Löwenthal haben auf der von uns veranstalteten Anhörung zum Berliner Historischen Museum gemeinsam diesen Begriff akzeptiert. Enthält er doch unsere ganze Geschichte: Die verfaßte Republik, das ist doch nicht irgendein Homunkulus, im Care-Paket über den Atlantik geschickt. Solch Patriotismus ist stolz auf die Kämpfe um eine wirkliche Republik, die sich nicht zynisch auf formale Abläufe, auf den Buchstaben des Rechtsstaates, sondern auf den Geist der Verfassung beruft. Verfassungspatriotismus heißt, stolz auf unser Land zu sein, nicht im gefährlichen Rückgriff auf die Etsch und die Memel, auf die Maas und auf den Belt, stolz auf die gelebte, erfahrene und verarbeitete Geschichte. ({19}) Sie, Herr Bundeskanzler, bestärken häufig eine politische Kultur der Gedächtnislücken, ja, der Erinnerungslosigkeit. Erinnerung ist präzis, hat Namen und Adresse. Sie verheimlicht nicht, sie weicht nicht zurück, und sie grenzt unangenehme Mahner nicht aus. Falsch war es, wenn manche Kritiker das Thema des Films von Bernhard Sinkel über die IGFarben mit Dallas verglichen haben. Da hat ein persönlich betroffener Autor bis zur peinlichen Schmerzgrenze die Fähigkeit des Industrie-Großbürgertums zur brutalen Arisierung aufgedeckt. Die Jüngeren wollen auch heute noch wissen: Was hat es für unseren Bundeskanzler bedeutet, als er erfuhr, daß sein väterlicher Freund - ich spreche von Herrn Dr. Ries, einem erfolgreichen Unternehmer der chemischen Industrie - während des Dritten Reiches zu eben den Arisierern und zu jenen gehört hatte, die auch die Sklavenarbeit der Lagerinsassen ausgebeutet hatten. ({20}) - Das ist Geschichte, und so reagieren Sie, wenn Sie von uns Geschichte abfordern wollen. Unser Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat in verschiedenen Reden versucht, historisch präzis zu sein, im Brechtschen Sinne Namen und Adresse auch unserer Missetaten und deren Opfer zu nennen. Es ist nicht nur peinlich, es ist in höchstem Maße unerträglich, wie Sie die national und international wichtigste Rede, die in Ihrer Amtszeit in unserem Lande gehalten wurde, nicht wirklich zur Kenntnis nehmen. ({21}) Herr Dr. Dregger und Sie selbst werden nicht müde, das „Deutschland-Magazin" zur fast wichtigsten Plattform Ihrer Verlautbarungen zu machen. Ich habe mir die letzten Jahrgänge durchgelesen. ({22}) Sie versuchen, den deutsch-nationalen rechten Rand zur politischen Mitte unserer Republik zu machen. Im „Deutschland-Magazin" haben Sie erklärt, das Museum in Berlin solle eine Stätte der Selbstbesinnung und Selbsterkenntnis sein. Die Diskussion um die Behauptung der Geschichtslosigkeit spiegelt sehr viel weniger Selbstbesinnung, sondern den Mangel an kultureller Selbstgewißheit. Wer den unsäglichen Rechtsaußen Kurt Ziesel zu seinem Reisebegleiter macht und zugleich behauptet, Kurt Tucholsky sei seine Reiselektüre, weiß nicht, wovon er redet, und vor allem nicht, wer er ist. ({23}) Ein solcher Mann sollte sich nicht anmaßen, durch die Stiftung von nationalen Museen Identität schaffen zu wollen. Meine fundamentale Kritik an Ihrer Kanzlerschaft richtet sich weniger gegen die Ihnen vorgeworfenen Peinlichkeiten als vielmehr gegen Ihren banalen Mangel an kultureller Selbstgewißheit. ({24}) Ich befürchte, daß solcher Mangel auch der Grund für die sonst kaum verständliche Historiker-Diskussion der letzten Monate ist. Was wollen die Herren eigentlich? Da wird eine Haltung des „40Jahre-sind-genug" und „Wir-wollen-doch-endlichmal-sehn,-wie-böse-andere-auch-sein-können" sichtbar, so, als gelte es, ein 40jähriges Versailler oder Potsdamer Selbstbesinnungsdiktat abzuschütteln. Ich wiederhole: Was die Herren Nolte und Fest da geritten haben, kann ich nur mit Mangel an historischer Selbstgewißheit erklären. ({25}) Vielleicht wird inzwischen auch ein erbärmlicher Neid gegenüber der angeblichen Normalität der anderen Nationen erkennbar. Sie, Herr Bundeskanzler, haben im Wahlkampf eine Kampagne begonnen, die vom Stolz auf das kündet, was Sie grenzübergreifend „Deutschland" nennen. Herr Bundeskanzler, das ist kein Stolz auf unser Deutschland, auf die schmerzliche und präzise Wirklichkeit unseres Vaterlandes, sondern das ist die Selbstzufriedenheit mit dem Bild, das Sie sich und anderen von Deutschland vormachen. ({26}) - Das ist richtig. ({27}) - Herr Kollege, es gab im Reichstag eine Bestimmung aus dem Jahre 1876, derzufolge man nicht ablesen durfte. Wir werden heute ja sehen, ob der Bundeskanzler und andere Kollegen frei sprechen. ({28}) Wir werden das nächste Jahr die Peinlichkeit erleben, daß ein tief im Bausumpf der Stadt verstrickter amtierender Bürgermeister den Grundstein mit Ihnen gemeinsam legen wird, der nur noch darauf vertraut, daß die Menschen eben keine Erinnerung, kein Gedächtnis mehr haben. Nein, Kulturpolitiker und Museumsgründer sollten ein Wort von Peter Rühmkorf ernst nehmen: „Ein beinahe zwanghaftes Bedürfnis nach Wahrheit hat den Entwicklungsverlauf der Sprachkunst begleitet, und wo man den Dichtern das Wort abschnitt, konnte man sicher sein, daß es den demokratischen Freiheiten ganz allgemein an die Gurgel ging." ({29})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts des Minutendiktates, unter dem wir stehen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als einiges abzulesen. Ich meine, daß eine der wichtigsten Rahmenbedingungen dafür, daß sich Kunst und Kultur in unserem Land frei entfalten können, das Klima von Freiheit und Toleranz ist, das auch das Ungewohnte, das Ungewöhnliche, das Unverständliche und das Utopische gelten läßt. Wir sollten uns daran erinnern, daß die Freiheit der Kunst durch die Verfassung garantiert ist. Es sollte auch nur der Anschein vermieden werden, daß staatliche Organe diese Freiheit antasten. Der Einsatz von 700 Polizisten im März 1986 mit dem Auftrag, in 285 Läden des Bertelsmann-Buchclubs nach einem Werk von Henry Miller zu suchen, überschreitet diese Grenze. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften urteilt zunehmend rigider und gibt mir Anlaß zur Kritik. ({0}) Die Freiheit der deutschen Künstler in unseren Goetheinstituten ist auch nicht durch irgendeine parteipolitische Auffassung von angeblichen deutschen Interessen begrenzt, meine Damen und Herren! ({1}) Auch das Abschalten von Fernsehsendungen und Maulkorberlasse gegen Schülerzeitungen sind keine Zeichen gelassener Toleranz selbstbewußter Demokraten. ({2}) Ich nenne diese Beispiele, meine Damen und Herren, weil Demokraten sich immer wieder gegen Bedrohungen der Freiheit wenden müssen. Ich nenne sie nicht, Herr Duve, weil ich etwa der Meinung wäre, das sei typisch für die Bundesrepublik Deutschland. Das ist es nicht. ({3}) Karl R. Popper, der große zeitgenössische Philosoph, hat in seinem Buch über die offene Gesellschaft nachdrücklich dafür plädiert, daß sich die Politiker auf den Kampf gegen „die Übel dieser Welt" beschränken. Sie sollten nicht versuchen, „höhere Werte" zu erkämpfen. Politik kann also in keiner Weise Sinngeber für Kunst sein. Sie ist auch nicht dazu berufen, Kultur zu definieren. ({4}) Der Staat hat lediglich im Sinne einer Staatszielbestimmung die Aufgabe, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern. Damit hat er schon eine sehr wichtige, noch nicht erfüllte Aufgabe. Das haben wir heute früh schon gehört. ({5}) Wir begrüßen, daß die Bundesregierung mit dem gemeinsamen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, der von Ihrem, Herr Duve, gar nicht so weit entfernt ist, neue Akzente beim Ausbau des Kulturstaats gesetzt hat und weiter setzen will. Herr Bundeskanzler, die Beantwortung der beiden Großen Anfragen durch Ihre Regierung ist eine hervorragende Voraussetzung für die Weiterführung dieser Kulturpolitik. ({6}) Ich möchte mich dafür ausdrücklich bedanken, auch bei den Beamten im Innenministerium. Welche Bedeutung hat die Kultur heute für die Menschen? Der Bundespräsident sagte bei der Eröffnung des Nannen-Museums in Emden, einer großartigen Stiftung, wie es in den letzten Jahren ja viele gegeben hat - ich nenne die Sammlung Ludwig oder die Sammlung Hacks in Ludwigshafen -: „Kunst ist ein ganz eigener und produktiver Zugang, um das Leben zu verstehen und es zu ermöglichen." Der leider viel zu früh verstorbene Liberale Rolf Schroers hat es so ausgedrückt: „Kultur hilft dem Menschen zu sich selbst, indem sie ihn der Welt der Zwecke enthebt." Der Wunsch vieler Menschen, nicht nur im Beruf und im materiellen Sinne Erfolg und Lebenserfüllung zu finden, drückt sich in einem wachsenden Hunger nach Kultur in jeder Form aus. Indikatoren sind die Besuchszahlen unserer Museen: 500 000 im Museum Ludwig in drei Monaten, ein starkes Interesse auf dem Kölner Kunstmarkt, immer noch unverändert hohe Zuwendung zum gedruckten Wort, zum Buch, auch ein starkes Leseinteresse bei der jungen Generation, wachsendes Interesse an der Musik. Dies ist offenbar ein Gegengewicht zu den „Fertiggerichten des elektronischen Zeitalters", wie Nannen das ausgedrückt hat. Die Menschen wollen wieder eigene Kreativität und Phantasie entfalten. Kunst ist kein Luxus, Kunst ist für alle da. Alle Bürger sollen ermutigt werden, sich mit Kunst zu befassen, und sie sollen die Möglichkeit dazu erhalten. Die FDP hat auf ihrem Parteitag in diesem Jahr ein umfassendes Kulturprogramm beschlossen, das sie unter die Zielsetzung „Neue Chancen kultureller Lebensgestaltung" stellt. Das Programm ist von diesen Grundüberlegungen geprägt. Es ist ein umfassendes Programm. Es enthält sehr konkrete Forderungen für die Wahlplattform meiner Partei. Ich glaube, daß es in dieser Form ohne Beispiel ist. Wir befassen uns in diesem Programm mit der Kulturpolitik im engeren Sinne, mit den Wechselwirkungen zwischen Kultur und Wirtschaft, mit der auswärtigen Kulturpolitik, mit den Bedingungen für eine kulturfreundliche Medienstruktur. Ich teile Ihre Bedenken, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihren kulturellen Auftrag im Lichte der Einschaltquoten nach hinten drängen. Ich frage mich: Warum müssen kulturell anspruchsvolle Sendungen so spät, erst nachts, gesendet werden? Denken wir doch auch einmal an die Menschen in der DDR, die nur diese Form haben. ({7}) Wir wollen den Stellenwert der Kulturpolitik in unserer Gesellschaft anheben und der Tendenz entgegentreten, die Politik für den Fortschritt in unserer Gesellschaft auf den technischen und wirtschaftlichen Bereich zu beschränken. Wir befassen uns in unserem Programm auch mit dem kulturellen Auftrag der Bildungspolitik und mit der „Politischen Kultur". Wir wollen eine Gleichstellung von Kunst und Kultur mit anderen Lebensbereichen, wie z. B. der Wissenschaft, erreichen. Wir sind der Meinung, daß der Kulturstaat nach dem Selbstverständnis des Grundgesetzes, insbesondere auch im Steuer-, Sozial- und Urheberrecht, im Wirtschafts- und im Baurecht, auf kulturelle Regelungen zu achten hat. Die Förderung der Kunst, insbesondere durch die Länder und Gemeinden, ist eben keine Subvention, deren Abbau marktwirtschaftliche Grundsatztreue gebietet. ({8}) Ohne staatliche Förderung ist in vieler Hinsicht ein Kulturleben in unserem Lande eben nicht möglich. Die Theater bekommen allein über 1 Milliarde DM an staatlichen Zuwendungen. Wir müssen dafür sorgen, daß sich die Kulturförderung in den Haushalten von Ländern und Gemeinden behauptet. Im Bundeshaushalt behauptet sich die Kulturförderung. Die Steigerungsraten sind beachtlich. Der Anteil der Kultur an den Gesamthaushalten darf auf keinen Fall reduziert werden. Ich möchte einige wichtige Elemente unseres Programms darstellen. Die unter unserem maßgeblichen Einfluß eingerichteten Fonds zur Förderung von Kunst, Literatur und Musik haben sich sehr gut bewährt. Sie sollten in der Selbstverantwortung der Kulturorganisationen fortgeführt werden. Wir brauchen zusätzliche Fonds für die „Freie Kulturarbeit" und die „Darstellenden Künste". ({9}) Beim Aufbau einer Kulturstiftung des Bundes und der Länder ist darauf zu achten, daß wirkliches Stiftungsvermögen entsteht und daß Entscheidungen nicht nur durch Ministerialbeamte, sondern auch durch den künstlerischen Sachverstand gefällt werden. Vorhaben der Existenzgründung im Bereich von Kunst und Kultur sind zu verstärken. Die Förderung des künstlerischen Nachwuchses bedarf unserer Aufmerksamkeit. Einer besseren Förderung bedürfen auch die Künstler der mittleren Generation. Hier gibt es Altersgrenzen, die diese ausschließen. Die Urheberrechtsreform ist insbesondere im Hinblick auf die schnelle Ausbreitung neuer Medien und Kommunikationstechniken weiterzuführen. Wo es an verbindlichen tariflichen und vertraglichen Grundlagen mangelt, sind die Bemühungen um ein Urhebervertragsrecht zu verstärken. Die Preisbindung im Buchhandel ist unerläßlich. Öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken dürfen nicht das Opfer von Sparmaßnahmen werden. Die Bemühungen von Bund und Ländern um die musisch-künstlerische Bildung der Schüler und Jugendlichen auf allen Bildungsstufen sind fortzusetzen. Auch außerhalb der Schulen müssen neue Möglichkeiten künstlerischer Betätigung geschaffen werden. Bei Stadtplanung und Architektur sind künstlerische Gesichtspunkte stärker zu berücksichtigen. Der Bund sollte, Herr Schneider, wenn er selbst Fördermittel vergibt, einen bestimmten Betrag für die künstlerische Gestaltung aussetzen. ({10}) Auch neue Formen kultureller Initiativen, wie z. B. Zentren freier Kulturarbeit, sind zu unterstützen. Das Steuerrecht hat eine zentrale Bedeutung; darauf wurde schon hingewiesen. Es muß der Bedeutung von Kunst und Kultur Rechnung tragen. Die heutigen steuerlichen Rahmenbedingungen entsprechen nicht der besonderen Bedeutung, die wir Kunst und Kultur beimessen. ({11}) Sie entsprechen auch nicht den besonderen Bedingungen, unter denen Künstler arbeiten. Kunst und Künstler sind immer noch gegenüber anderen Bereichen steuerlicher Förderung benachteiligt. Hier besteht ein Nachholbedarf. ({12}) Im einzelnen fordern wir hier: Erstens. Der Kunstbesitz soll vollständig von der Vermögensteuer befreit werden. Wir haben j a in dieser Legislaturperiode einen Schritt gemacht; der weitere, meine ich, muß folgen. Das Steueraufkommen ist lächerlich gering. Aus Furcht vor staatlicher Erfassung wird Kunstbesitz oft noch im Verborgenen gehalten. Nachlässe wandern ins Ausland. Ein Sammler leistet etwas für die Kunst, meine Damen und Herren, sei es, daß er alte Kunst aufbewahrt und pflegt oder daß er zeitgenössische Kunst kauft. ({13}) Zweitens. Es soll ein Sonderausgabenfreibetrag für den Erwerb von Originalkunstwerken lebender Künstler ausgebracht werden; wir stellen uns vor: in der Höhe von 1 000 DM für Ledige und 2 000 DM für Verheiratete, und zwar für den Erstverkauf. Dies ist eine zentrale Forderung, die unser Parteitag in Mainz noch einmal bestätigt hat, übrigens mit den Stimmen der Steuerpolitiker. Von einem solchen steuerlichen Impuls wird eine große Wirkung ausgehen, meinen wir. Wir sind überzeugt, daß die Bürger in größerem Umfang als heute Originalkunstwerke kaufen würden, und zwar über diesen Betrag hinaus. Der zeitgenössischen Kunst würde damit geholfen. Der Ausfallbetrag bei den Steuern beträgt nach der Berechnung des BMI 15 bis 20 Millionen DM. Dem stehen Steuereinnahmen bei Künstlern und Kunsthändlern gegenüber. Ich sehe auch nicht ein, meine Damen und Herren, daß es Sonderausgabenfreibeträge gibt, wenn man einen Steuerberater hinzuzieht oder Versicherungen abschließt. Wir fragen uns, warum dieses wirksame Stimulans nicht zur Kunstförderung eingesetzt werden sollte. Dies ist wirklich Hilfe zur Selbsthilfe. ({14}) Drittens. Im Bereich der Einkommensteuer sind die Voraussetzungen für die Anerkennung abzugsfähiger beruflicher Aufwendungen zu verbessern. Kunstpreise und Stipendien sollten von der Einkommensteuer bis zu einer bestimmten Wertobergrenze befreit sein. Verbesserungen sind auch im Bereich der Erbschaftsteuer notwendig, und - darauf möchte ich besonders hinweisen - das Stiftungsrecht ist so zu verbessern, daß privates Mäzenatentum verstärkt wirksam werden kann. Insbesondere sind auch die Vorschriften über die Gemeinnützigkeit stiftungsfreundlicher anzuwenden. Wir wünschen, daß die Stiftungen eine eigene Spendenbescheinigungskompetenz erhalten und nicht beschwerliche Umwege gehen müssen. Das gilt auch für die Fördervereine unserer Museen beispielsweise. Hier muß Bürokratie abgebaut werden. ({15}) Wir erwarten, daß der Finanzminister dieses Memorandum zum Steuerrecht des Deutschen Kulturrates - darauf weisen wir in unserer gemeinsamen Entschließung hin - positiv prüft. Letztlich fragen wir uns, meine Damen und Herren, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, einen ermäßigten Steuersatz für wissenschaftliche, künstlerische und schriftstellerische Nebentätigkeit unter neuen Bedingungen wiedereinzuführen. Wir wollten damals die Chefärzte, Professoren und Ministerialbeamte treffen, und wir haben eine Vielzahl von ehrenamtlich Tätigen im Musikbereich, im Bereich der Volksbildung getroffen. Dies ist nicht beabsichtigt. Die Funktionsfähigkeit zahlreicher Einrichtungen im Kultur- und Medienbereich wird beeinträchtigt. ({16}) Der Steuerausfall ist auch hier nicht hoch; er beträgt etwa 25 bis 40 Millionen DM. Der Kulturstaat wird auch an den sozialen Bedingungen gemessen, unter denen seine Künstler leben. Das Künstlersozialversicherungsgesetz muß ausgebaut werden. Die Arbeit der freien Unterstützungsfonds ist wichtig. Die Künstlerhilfe des Bundespräsidenten muß ausgebaut werden. Das geschieht ja jetzt auch. Die Gründung einer Stiftung „Künstler in Not" geben wir zu bedenken. ({17}) Noch einige Bemerkungen zur auswärtigen Kulturpolitik. Wir plädieren für einen freien Austausch von Kulturgütern innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Zahlreiche bürokratische Vorschriften behindern heute noch den Austausch von Kulturgütern. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für eine Fortsetzung des KSZE-Prozesses gerade auf dem Gebiet der kulturellen Zusammenarbeit einzusetzen und das Kulturabkommen der beiden deutschen Staaten weiter mit Leben zu erfüllen. Zum Haus der Geschichte wird mein Kollege Beckmann sprechen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß auch mich der Historikerstreit der letzten Wochen und Monate sehr irritiert hat. Er ist ja jetzt durch korrigierende Äußerungen der Professoren Nolte und Habermas etwas zurückgenommen. Ich meine, daß wir hier auch unsere Freunde im Ausland irritiert haben. Vor einigen Tagen hat Christian Meier in der „FAZ" gefordert ({18}) ich schließe mich dieser Forderung an -, daß es notwendig ist, ein gemeinsames Grundverständnis der deutschen Geschichte in einer offenen, von Liberalität geprägten Auseinandersetzung zu entwikkeln. Da, sagt er, gibt es keine Eigentumsansprüche auf bestimmte Teile der deutschen Geschichte. Ich meine, wir müssen eine offene Diskussion über beide Museen führen. Die ganze Vielfalt der Auffassungen zu unserer Geschichte muß zum Ausdruck kommen. Die Bundesrepublik darf sich um Gottes Willen nicht nur selbst betrachten, sondern sie muß sich einordnen in die europäischen und weltweiten Zusammenhänge. ({19}) Ich frage mich: Wer vermag überhaupt ein verbindliches Geschichtsbild für die Bundesrepublik Deutschland, für Deutschland zu entwickeln? Etwas tröstlich sind die Äußerungen von Professor Boockmann in der „FAZ", der Besucher eines Museums nehme ohnehin nur das Einzelstück, aber nicht die Konzeption auf. Meine Damen und Herren, auch hier wäre es wichtig, noch einmal an Popper zu erinnern, wenn er sagt: Die Geschichte selbst - und ich meine hier natürlich die Geschichte der Machtpolitik und nicht die nichtexistente Geschichte der Entwicklung der Menschheit - hat weder einen Sinn oder ein Ziel. Aber wir können uns entschließen, ihr, der Geschichte, beides zu verleihen. Wir können sie zu unserem Kampf für die offene Gesellschaft machen. ({20}) Ich werde das Konzept daran messen, wie viele Beweise des Kampfes für die offene Gesellschaft in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dort deutlich werden. ({21}) Mit dieser zweiten Kulturdebatte des Deutschen Bundestages seit seinem Bestehen sind wir, meine ich, alle miteinander einen guten Schritt weitergekommen. Die Entschließung der Koalitionsfraktionen ist eine gute Grundlage. Sie sollten sich überlegen, meine Damen und Herren von der Opposition, ob Sie sich dieser Entschließung anschließen. Ich bedanke mich für die Vorarbeiten der Bundesregierung. Wir werden gemeinsam - dessen bin ich sicher - in der nächsten Legislaturperiode mit einigen wichtigen Entscheidungen weitere Schritte auf diesem Felde machen. Danke. ({22})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ludwig Börne hat vor 150 Jahren über Heinrich Heine, den er überhaupt nicht mochte, gesagt: Heine bringt in alles Liebe, in die Wissenschaft, in die Literatur, in die Politik, in die Philosophie, in die Theologie und in die Freundschaft. Es wäre j a nichts daran auszusetzen, wenn er es mit Maß täte, doch Herr Heine hält kein Maß. Liebe mit Maß, ist das nicht Liebe gezähmt und zugerichtet auf eine abgestandene Moral? Und Kunst mit Maß: Ist das nicht gezähmte Kunst, berechenbar gemachte Kunst für das Herstellen von Identitäten mit der gerade opportunen Ideologie und Ordnung? Ist das nicht mißbrauchte Kunst? Darum geht es uns in unserem Diskussionspapier zur Kulturpolitik, wenn wir gegen die Formel der SPD „Kunst braucht Freiräume" - die ja heute auch von der CDU vertreten wird - setzen: „Kunst braucht jede, alle Freiheiten." Kunst mit einem ihr genau zugemessenen, begrenzten Maß: Das ist es gerade nicht, was in eine demokratische Gesellschaft paßt. Ich will das am Beispiel „Kunst am Bau" zu erläutern versuchen. Vor unseren öffentlichen Gebäuden haben die Künstler ihre Freiräume. Ein Bild, eine Plastik oder ein Brunnen sind die Reverenz der öffentlichen Hände an die Kunst im Kulturstaat. Davor und dahinter steht dann das Amt, zumeist zu Beton und Glas gewordener Frust der BeamtenBauherren. Dabei war das einmal ganz anders gedacht mit den 2 bis 3% der Bausumme für Kunst am Bau, wie uns der Vorsitzende des Deutschen Kulturrates, Herr Oltmanns, letzte Woche erklärt hat. Nicht Bild oder Plastik, sondern Honorar für die Künstler sollte aus den Prozenten gezahlt werden, für Künstler, die beim öffenlichen Bauen mit einbezogen werden sollten, bei der Planung, bei der Auswahl der Materialien, bei der Ausführung, überall, von Anfang bis Ende. Ein solches maßloses Mitgestalten hätte unseren Innenstädten vielleicht ein Gesicht, vielleicht ein unverwechselbares Gesicht gegeben, sie künstlerischer und damit bewohnbarer und menschlicher gemacht. Die vorliegende Beschlußempfehlung der Koalitionsfraktionen enthält zwar auch Anerkennenswertes und Bemerkenswertes, sie beschränkt sich aber darauf, am Ist-Zustand herumzulaborieren. Zum Problem der neuen Medien z. B. enthält die Beschlußempfehlung nur ein paar Bemerkungen dazu, daß es notwendig sei, mehr zu lesen, aber nichts davon, daß diese neuen Medien - auch Herr Baum hat dazu heute nichts gesagt - die kreativen Kräfte lähmen, zum Leben aus zweiter Hand verführen ({0}) und da Anpassung provozieren, wo menschliche Kräfte und Widerstand heute noch notwendiger sind als je zuvor. ({1}) Ich will Ihnen nicht vorenthalten, was Goethe zum Fernsehen gesagt hat: ({2}) Dummes Zeug kann man viel reden, kann es auch schreiben. Es wird alles beim alten bleiben. ({3}) Dummes Zeug aber, vors Auge gestellt, hat ein magisches Recht. Weil es die Sinne gefesselt hält, bleibt der Geist stets ein Knecht. Jede Auseinandersetzung mit den Problemen unseres Bildungssystems wird in der Beschlußempfehlung ebenfalls vermieden. Weil Sie so stolz sind - das kam heute bei den Ausführungen des Kollegen Baum wieder heraus - auf die Millionen von Besuchern der Kunstmuseen, wird der mit viel Geld betriebene Museismus nicht hinterfragt. Sie lassen Häuser bauen - etwa die Staatsgalerie in Stuttgart oder das Museum Ludwig in Köln -, in denen die Bilder fast keine Rolle mehr spielen. ({4}) In ihnen realisiert sich das Konzept einer Kultur als Spektakel. ({5}) - Auf die 500 000 komme ich gleich. Nicht die Bilder als Ausdruck der Hoffnung und der Probleme der Menschheit zählen, sondern das „kollektive Ritual", wie Umberto Eco den massenhaften Besuch der Museen in den letzten Jahren beschreibt. Museumsbesuche - wie häufig der Kirchenbesuch - sollen den in der Masse sprachlosen und stummen Zuschauer glauben machen, er lebe durch das ihm suggerierte gemeinsame Ritual. Ist das Ihre Neubestimmung der Rolle des Individuums in der Gesellschaft? ({6}) Für die Sinnkrise in der Gesellschaft bieten Sie nur Ersatzlösungen an, mit viel Geld und mit viel Kulturbeamten inszenierte Freizeitkultur: Freizeit statt Arbeit, Kultur statt Arbeit, die Trennung der Politik von der Muse, das Vertreiben der Anstrengung der Arbeit aus der Kunst, die Trennung der Arbeit vom Singen, Malen und Reden. Die Künstler müssen sich in Ihre kulturpolitischen Konzeptionen einpassen, wollen sie Anspruch auf soziale Sicherheit und auf soziale Vorsorge haben. ({7}) Kulturpolitik muß alle Freiheiten eröffnen, Künstler zur Asozialität, zu anarchistischem Handeln ermutigen, anstatt sie unter Kuratel zu stellen. Kulturpolitik muß den Künstlern jeden Raum eröffnen, damit sie sich einmischen können. Wir fordern eine Offensive der Sinne und als Sofortmaßnahme erstens, daß alle Kunsterzieher, Kunstlehrer und alle Künstler die Möglichkeit erhalten müssen, zu lehren und ihre Fähigkeiten und Erkenntnisse weiterzugeben. Wir können es uns nicht leisten, auf das Wirken der Künstler zu ver- L) zichten. Jeder muß malen oder ein Instrument spielen lernen können. Dafür müssen wir alle Geld aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellen. Zweitens. Für die künstlerische Betätigung eines jeden, der es möchte, müssen die sachlichen und räumlichen Voraussetzungen geschaffen werden. In eine demokratische soziale Gesellschaft paßt nicht, daß sich nur Begüterte einen Lehrer für künstlerische Fähigkeiten oder einen Raum zum Musizieren leisten können. Die entsprechenden Angebote der Volkshochschule sind meistens nach wenigen Tagen überfüllt und vergriffen. ({8}) Drittens. Die von den Künstlern selbst verwalteten Fonds wie etwa der Musikfonds des Musikrats müssen erweitert und für andere Kunstbereiche ebenfalls geschaffen werden. So haben wir nach Beratungen mit Theaterleuten in den Haushaltsberatungen für das Jahr 1987 die Einrichtung eines Fonds für darstellende Künste beantragt, was aber von allen anderen Fraktionen abgelehnt worden ist. Insofern sind die Beteuerungen hier, solche Fonds müßte man erhalten, unterstützen und ausbauen, nichts als Gerede. So stellen wir uns das Verhältnis von Künstlern und Staat in der Zukunft vor: Die Gesellschaft stellt die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung, und die Künstler bestimmen in Selbstverwaltung über ihre Verwendung. Aber diese Debatte heute betrifft j a nicht nur die Kulturpolitik der Bundesregierung und die Beschlußempfehlung der Koalitionfraktionen dazu, sondern - obwohl sich der Innenausschuß ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat; das ergibt sich auch aus der Beschlußempfehlung - bezieht sich auch auf die Errichtung der historischen Museen in Berlin und in Bonn. Lassen Sie mich dazu einige Bemerkungen anfügen. Das Deprimierendste, was ich in diesem Deutschen Bundestag erlebt habe, war einerseits, daß die anderen Parteien und die Bundesregierung ganze Gruppen von Verfolgten, die von den deutschen Nazis verfolgt worden sind, ein Jahr lang hingehalten haben und diesen Verfolgten gestern jede Hoffnung auf eine angemessene Versorgung noch in dieser Legislaturperiode genommen haben. ({9}) Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite bauen dieselben für Hunderte von Millionen Mark pompöse Häuser, in denen sie deutsche Geschichte, auch die Geschichte dieser Verfolgten, aufbereiten, wegsperren und ausstellen wollen. Das ist für mich unerträglich. Und während Bürgerinnen und Bürger in West-Berlin versuchen, eine eigenständige entwicklungsfähige Politik und Rolle für die Stadt West-Berlin zu finden, baut die Bundesregierung am Rande von West-Berlin ohne Rücksicht auf die heutigen politischen Realitäten der Stadt ein repräsentatives Monument, um Groß-Berlin eine neue Mitte zu geben. ({10}) Aber bei dem Deutschen Historischen Museum in Berlin geht es um mehr. Der Sinnkrise in der Gesellschaft wollen Regierung und Regierungskoalition begegnen durch die Renaissance des deutschen Nationalbewußtseins, durch Etablierung einer neuen deutschen nationalen Identität. Das Deutsche Historische Museum in West-Berlin und das Haus der Geschichte in Bonn sind die Instrumente dafür. Mit den neuen Geschichtsmuseen wird eine nationale Identität erfunden und deutsche Geschichte zugleich umgeschrieben. Neokonservative Auffassungen und Hoffnungen vom Obrigkeitsstaat mit den hehren Werten Gehorsam, Pflichterfüllung, Anpassung werden geschmackvoll aufbereitet, Geschichte neu interpretiert und so für den politischen Tagesgebrauch zugerichtet. ({11}) In diese nationale Identität, die nach Meinung des Bundeskanzlers - das sagt er ja hier immer wieder - Optimismus ausstrahlen, sinnstiftend wirken und die Bevölkerung zur Identifizierung einladen soll, paßt die nationalsozialistische Barbarei der jüngsten deutschen Geschichte aber nicht. In den Museen soll deshalb die Erinnerung an die Verbrechen der deutschen Nazis weggesperrt und in ihrer Einmaligkeit und Ungeheuerlichkeit aus dem täglichen Bewußtsein der Bundesdeutschen getilgt werden. ({12}) Die Verantwortung der Deutschen soll vom Tisch. Es soll vergessen gemacht werden, daß Millionen deutscher Soldaten, Herr Dregger, Hausfrauen, Angestellte und Beamte Stützpunkte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen gewesen sind. ({13}) Auf dem Hintergrund einer Geschichtsdebatte, in der Auschwitz durch den Archipel GULag zu erklären und zu bagatellisieren versucht wird, zeigen die Äußerungen des Bundeskanzlers das Muster, wie die Entsorgung unserer deutschen Geschichte aussehen soll. Mit dem Wort von der „Gnade der späten Geburt" wird die Distanz zu dem Geschehen geschaffen, um dann scheinbar unberührt, unbelastet und damit als quasi objektiver Beobachter über diese Geschichte reden und urteilen zu können. So legitimiert hat der Kanzler dann begonnen, die Täter - zunächst die kleinen, die nur Verführten - in die bundesdeutsche Normalität zurückzuholen und wieder gesellschaftsfähig zu machen, mit dem Staatsakt in Bitburg beispielsweise, mit der Unterstützung des österreichischen Mitläufers der Nazis Waldheim oder mit dem geplanten nationalen Mahnmal für die Täter und Opfer am Rhein. ({14}) Der Goebbels-Gorbatschow-Vergleich zeigt, der Kanzler ist von den PR-Fähigkeiten des Propagandaministers der Nazis fasziniert. ({15}) Gerade wenn man davon ausgeht, was der Bundeskanzler ja immer wieder behauptet, daß er Gorbatschows Ehre nicht kränken wollte, dann zeigt seine Bemerkung ({16}) - „um das auf den Punkt zu bringen" -, daß das Positive an dem, was die Nazis getan haben, wieder anerkannt, wieder verfügbar und wieder benutzbar gemacht werden soll. ({17}) Wir lehnen diesen Mißbrauch der deutschen Geschichte ab, wir lehnen das Umgehen mit der deutschen Geschichte als Staatstheater ab, weil wir das Umgehen mit dem deutschen Nationalsozialismus, das alltägliche Erinnern, die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und zu trauern, für eine wesentliche Voraussetzung für eine demokratische Entwicklung in der Bundesrepublik ansehen. Deshalb haben wir eine Streitschrift mit dem Titel „Wider eine Entsorgung der deutschen Geschichte" initiiert und gestern vorgelegt, deshalb unterstützen wir lokale Geschichtswerkstätten überall in der Bundesrepublik Deutschland und Gedenkstätten wie die in Salzgitter-Drütte, deren Finanzierung die Bundesregierung gerade soeben verweigert hat, und Geschichtswerkstätten in anderen Städten der Bundesrepublik oder etwa die Gedenkstätte in Esterwegen. Danke sehr. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Duve, erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zu Ihren Ausführungen. Bemerkenswert fand ich bei dem, was Sie sagten, eigentlich, daß Sie mit so viel Akribie und offensichtlich auch Mühe eine solche Summe von Diffamierungen und Beleidigungen zu Papier gebracht haben und dann mit großer Emphase hier vortrugen. Ich frage mich: Was soll eine Auseinandersetzung über die Kulturlandschaft der Deutschen, wenn der erste Sprecher der deutschen Sozialdemokratie, die hier ganz gewiß ein großes Erbe zu verwalten hat, nichts anderes anzubieten hat, als sozusagen ex cathedra alle, die anders denken - das ist doch ein Stück Pluralismus der Kulturlandschaft, das damit angesprochen und verweigert wird -, abzulehnen ({0}) und mit einer Überheblichkeit und Arroganz zu diffamieren, die schwer zu überbieten ist? ({1}) Das war doch eigentlich das einzig Bemerkenswerte an Ihrer Rede. Das zweite ist schon nur noch eine Fußnote: Wenn Sie mich als Person im Zusammenhang mit anderen zitieren, dann schöpfen Sie bitte nicht aus trüben Quellen, sondern vergewissern Sie sich, mit wem ich in meinem Leben persönliche, freundschaftliche Beziehungen hatte und mit wem nicht! ({2}) Ich will das nicht weiter vertiefen; Sie wissen, aus welcher Quelle Sie schöpfen. Sie sind ja selbst in diesem Bereich bemüht. Deswegen will ich mir versagen, weiter etwas dazu zu sagen. ({3}) Nur, mit dem intellektuellen Anspruch, mit dem Sie sich gern umgeben, hat Ihre Aussage überhaupt nichts zu tun. ({4}) Meine Damen und Herren, die Kollegen Baum und Daweke haben eine Reihe von Hinweisen gegeben, die ich kurz aufnehmen darf. Ich glaube, das Wichtigste ist - und ich hoffe, daß wir uns wenigstens an dem Punkt hier im Saal einig sind - beim Zuspruch, den wir heute zu diesem Thema insgesamt unter den Kollegen des Hohen Hauses finden -: Wir müssen als Bundesrepublik Deutschland deutlicher machen, daß diese Bundesrepublik nicht nur aus Erfolgsdaten der Wirtschaft, der Ökonomie besteht, sondern daß das, was Kernstück der heutigen Debatte ist, mindestens genauso wichtig ist in der Ausstrahlung des Landes, in der Fähigkeit, eine menschliche, j a menschlichere Gesellschaft, eine offenere, eine sensiblere Gesellschaft zu bauen. ({5}) Ich begrüße diese Debatte ausdrücklich, weil ich glaube, daß wir im Verhältnis zu unseren eigenen Bürgern, und hier nicht zuletzt im Verhältnis zu den jungen Leuten, zur jungen Generation einen ganz erheblichen Nachholbedarf haben, und wir haben diesen auch nach draußen. Ich glaube nicht, daß es auf die Dauer gutgehen kann, wenn die Bundesrepublik vor allem - ganz gewiß ist es wünschenswert, daß dies auch so ist - als große Export- und Handelsnation, als eine moderne Industriegesellschaft, wie man zu sagen pflegt, begriffen wird, aber nicht auch als ein Land, dessen Kulturlandschaft nach innen und nach außen gerichtet Beiträge zur Menschlichkeit und zum Frieden leisten kann. Ich hoffe, daß wir uns in der nächsten Wahlperiode in jenen Bereichen, die notwendigerweise die Kasse berühren - nachdem wir ein gutes Stück auf dem Weg der Konsolidierung vorangekommen sind - endlich das eine oder andere - ich will es einmal so formulieren - „leisten" können, was überfällig ist. ({6}) Ich will das an einem Beispiel deutlich zu machen versuchen. Ich bin fest entschlossen, mit den Kollegen und Freunden in der Koalition in der nächsten Legislaturperiode die Große Steuerreform in Angriff zu nehmen. Große Steuerreform heißt für mich, zwar auch die ökonomischen Dinge zu sehen, aber eben nicht nur die ökonomischen Dinge. Wenn wir an eine Große Steuerreform gehen, müssen wir bei der Gelegenheit einmal das Gesamtgebäude der Republik betrachten und uns fragen, zu welchem Ende wir hier Politik gestalten wollen. Das setzt beispielsweise - ich will dieses Beispiel bringen - für mich voraus, daß wir im Zusammenhang mit der Großen Steuerreform Fragen wie Kunstbesitz und Stiftungsrecht betrachten und zu Konsequenzen kommen. Ich kann aus meiner Überzeugung nur sagen, daß das jetzige Stiftungsrecht in jeder Weise kontraproduktiv ist, ({7}) weil es eine ganze Menge Leute dazu verleitet, Kunstbesitz illegal zu halten. Es ist wider die menschliche Natur - ich will auch das hier sagen -, daß Freude an solchem Besitz an andere weiterzugeben und zu vermitteln, unterbunden wird. Wir stehen ja im Augenblick in der Situation - man kann das doch so aussprechen -, daß eine ganze Generation, die nach 1945 die Republik aufgebaut hat und zum Teil zu beträchtlichen Vermögen gekommen ist - die viel etwa auch in Kunst investiert hat -, abtritt, und daß man hier sehr wohl - wir haben ja Beispiele hier gehört - weit mehr an Motivation von seiten des Staates geben könnte, solchen Besitz dann in den Bereich der öffentlichen Hand - es werden überwiegend kommunale Einrichtungen sein, Landeseinrichtungen, gelegentlich auch Bundeseinrichtungen - zu geben. Ich glaube, wir sollten aus den langen Erfahrungen der Amerikaner in diesem Sektor - die wir natürlich nicht in allen Fällen übernehmen können - einmal lernen. Wenn Sie z. B. ins Guggenheim-Museum gehen, finden Sie eine ganze Menge Hinweise, die wir auch auf unser Feld übertragen können. Ich will schon jetzt seitens der Bundesregierung dem Hohen Haus, vor allem den interessierten Kollegen, das Angebot machen, daß wir uns rechtzeitig zusammensetzen. Ich glaube, die Zeit ist reif - um es einmal so zu formulieren -, daß wir jetzt hier ein neues Kapitel aufschlagen. Das wird zum Wohl des ganzen Landes sein. ({8}) Das wird auch nach meiner festen Überzeugung zum Wohl der lebenden Künstler sein. Herr Duve, was Sie hier zum Teil gesagt haben, hält den Realitäten natürlich nicht stand. ({9}) Entschuldigung, Herr Duve. Hätten Sie eine andere Kassenlage hinterlassen, hätte ich in dieser Legislaturperiode gern mehr getan. ({10}) Sie können nicht hierher kommen und die Konsolidierung einfordern und diese und jene Initiative im wirtschaftlichen Bereich, die wir ja mit großem Erfolg vorgenommen haben, und gleichzeitig - ({11}) Aber, Herr Duve, von Kommunalpolitik verstehen Sie überhaupt nichts. Sonst könnten Sie jetzt nicht die Gemeindefinanzen in diesem Zusammenhang bringen. Die Gemeinden sind im Augenblick die allerletzten, die Sie hier zur Finanznot im Rahmen der öffentlichen Hand erwähnen können. ({12}) Aber ich möchte dieses Angebot noch einmal machen. Ich hoffe, daß es - wenn der Rauch der Schlacht vorbei ist - möglich ist, in einem vernünftigen Gespräch auch in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments, an dem ich mich in diesem Fall gerne selbst beteiligen will, zu Lösungen zu kommen, die uns in unseren gemeinsamen Vorstellungen voranbringen. ({13}) - Aber, Herr Kollege Duve, Sie wissen doch, daß die Herausforderung für einen Künstler, von seiner Kunst zu leben, zu allen Zeiten auch soziale Probleme aufgeworfen hat. Sie können doch nicht einfach so tun, ({14}) als sei hier ein völlig neues Problem in der Gesellschaft entstanden. Das sind Ihre Versprechungen, die Sie natürlich nicht einhalten können. Im übrigen kann ich nur sagen: Dort, wo der reale Sozialismus existiert, ist in diesem Zusammenhang auch die Kreativität zu hinterfragen - ({15}) - Es ist in der Tat ein Argument, daß das hinterfragt werden kann. ({16}) Meine Damen und Herren, ich habe mich heute vor allem wegen der Auseinandersetzung und der Diskussion um die Fragen der Geschichte unseres Landes zu Wort gemeldet. Unsere gemeinsame Kultur und Geschichte ist für mich und für uns ein festes Band für die Einheit der Nation. ({17}) Das gemeinsame Erbe unserer Kultur ist uns anvertraut, damit wir es an die nächste Generation weitergeben können. Nation ist natürlich mehr als nur die Gemeinsamkeit von Kultur, Geschichte und Sprache, aber die Teilung des Landes hat viele andere Gemeinsamkeiten beschnitten. Mauer und Stacheldraht trennen Familien und Freunde. Das Leben unserer Nation ist in eine unnatürliche Bahn gezwungen: politisch und wirtschaftlich und nicht zuletzt kulturell. Aber ich füge auch hinzu: Solange die Spaltung dauert, so lange ist die Teilhabe an der einen deutschen Kultur - es gibt eben nur die eine deutsche Kultur - vielleicht das stärkste Band gemeinsamer Identität aller Deutschen. Wir wollen aus diesem Grund vielfältige kulturelle Kontakte mit den Deutschen in der DDR. Lange nicht alles, was wir uns wünschen, konnte bisher erreicht werden. Aber ich denke, das neue Kulturabkommen bietet eine große Chance zu mehr Gemeinsamkeit. Es schützt, ja es fördert die bereits bestehenden Kontakte und erleichtert den Ausbau zu mehr Zusammenarbeit. Wir begreifen dieses Abkommen nicht als einen Endpunkt einer Entwicklung - ich will dies ausdrücklich unterstreichen -, sondern als einen guten Ausgangspunkt für Verbesserungen, für mehr kulturellen Austausch. Unabhängig von der Form staatlicher Organisation ist Deutschland stets zuerst Kulturnation. Weil dies so ist, ist die Pflege der Kultur auch eine nationale Aufgabe. Unser Grundgesetz will ausdrücklich den Kulturstaat. Längst hat sich unser Land viel weiter als Kulturgesellschaft entwickelt, als es mit dem allgemein üblichen Etikett von der Industrienation gesagt werden kann. Freiheitlicher Staat bewährt sich in kultureller Vielfalt, in Pluralismus. Daraus erwächst auch Anziehungskraft. Eine wichtige Voraussetzung nach unserer Verfassungsordnung ist dabei der Kulturföderalismus. Er bietet eine große Chance, daß Kulturpolitik, daß kulturelles Schaffen auf regionale Besonderheit eingestellt werden kann. Es ist durchaus die Frage zu stellen - ich stelle diese Frage als überzeugter Föderalist -, ob wir in der Entwicklung der letzten Jahre im Verhältnis zwischen Bund und Ländern - das gilt übrigens auch für das Verhältnis von Ländern zu Gemeinden - diesem Anspruch hinreichend gerecht wurden. Kunst und Kultur sind seit langem nicht mehr Anliegen einer elitären Schicht. Sie sind Bestandteil im Lebensalltag unseres Volkes. Die Renaissance des Geschichtsbewußtseins nicht zuletzt und gerade bei jungen Menschen - übrigens diesseits und jenseits der Mauer - zeigt, wie lebenskräftig der Wille zur Selbstfindung ist. Die historische Standortbestimmung, die die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR suchen, darf jedoch nicht in falscher Idylle verweilen oder gar eine Rechtfertigung irgendwelcher Ideologie sein. Wir Deutschen können uns unserer Geschichte nicht entziehen. Wir bekennen uns zu den schrecklichen und dunklen Kapiteln genauso. Wir bagatellisieren sie überhaupt nicht. Wir wissen, was in deutschem Namen anderen Völkern Schreckliches angetan wurde. Aber gerade weil wir uns dem nicht entziehen, dürfen wir auch dankbar sein - das hat gar nichts mit Nationalismus zu tun - für das andere, deutlich sichtbare großartige Erbe unseres Volkes. Zu unserer Geschichte gehört eben beides. Wer nach Weimar kommt, kann dort nicht nur in die Gruft zu Goethe und Schiller gehen, sondern in wenigen Autominuten auch hinauffahren zum Konzentrationslager und zur Erinnerungsstätte Buchenwald. Beides ist deutsche Geschichte. Deutsche Geschichte ist eben auch Luther und Kant, Dürer und Cranach, Heinrich Heine und Albert Einstein. Deutsche Geschichte ist das 19. Jahrhundert mit dem Hambacher Fest und der Paulskirche, mit der Reichsgründung unter Bismarck, ({18}) ist der Erste und der Zweite Weltkrieg, der 20. Juli. - Wenn Sie das Sozialistengesetz nennen, dann müssen Sie auch den Kulturkampf erwähnen; aber ich mache hier keine Vorlesung über die Gebrechen der deutschen Geschichte. Warum haben Sie eigentlich einen so verengten Blickwinkel? ({19}) Herr Kollege Duve, Sie möchten doch gerne einer der Repräsentanten einer großen Tradition des intellektuellen Lagers in der deutschen Sozialdemokratie sein. Aber keiner von denen, die zu Bebels Zeiten oder in der Weimarer Republik für diesen Geist in der SPD standen, hat doch so verkürzt und verengt gedacht. Sie können doch die Dokumente nachlesen. Sie sind doch einer von denen, die für sich in Anspruch nehmen, darüber zu lesen - ({20}) - Können Sie nicht mehr eine nüchterne Auseinandersetzung zu einem Thema ertragen, ohne einfach dazwischenzuschreien? Hier geht es doch jetzt gar nicht um die Lautstärke, sondern um die Kraft der Argumente. ({21}) Niemand in Deutschland hat das Recht, für seinen Teil der gespaltenen und geteilten Nation nur die guten Erinnerungen der Geschichte zu reservieren, die schlimmen und die bösen aber den Nachbarn zuzuschieben. Und wir haben das in der Geschichte der Bundesrepublik auch nie getan. ({22}) Ich brauche nur an die Diskussion zur Wiedergutmachung zu erinnern, um ein Beispiel dafür zu geben, daß das alle Demokraten in der Bundesrepublik so dachten und handelten. Und ich füge hinzu: Wer Luther feiert, wird auf die Dauer dem christlichen Gewissen seine Achtung nicht verweigern dürfen. Wer Friedrich den Großen würdigt, der sollte seinen Leitspruch beherzigen, daß jeder nach seiner Fasson glücklich werden solle. ({23}) Und wer Goethe einbürgern will, der darf nicht das Erbe der Aufklärung ausschlagen. ({24}) Daß sich jetzt die politische Führung der DDR wieder stärker auf die deutsche Geschichte besinnt, hat besondere Motive: Weil der real existierende Sozialismus die Menschen nicht anspricht, soll die kommunistische Einparteienherrschaft durch eine einseitige Inanspruchnahme deutscher Geschichte abgestützt werden. ({25}) Wir dürfen deutsche Geschichte und Kultur nicht denen überlassen, die Sie mißbrauchen wollen. Wir wollen nicht, daß die Menschen manipuliert werden. Wir wollen, daß sie ihre eigene Überzeugung, ihr eigenes Bild gewinnen, wer wir Deutsche sind und wo wir in der Kontinuität der Geschichte stehen. Das ist ja auch die Anfrage gerade aus der jungen Generation. Mit zwei Initiativen will die Bundesregierung dieses Nachdenken über unsere Geschichte fördern. In Berlin wird ein Deutsches Historisches Museum errichtet. Es soll der ganzen deutschen Geschichte gewidmet sein. Als Beitrag des Bundes zum 750. Geburtstag der Stadt werden wir 1987 den Grundstein dafür legen. Beim Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn steht vor allem die Zeit nach 1945 im Mittelpunkt. Ich denke, es ist doch überfällig, die Geschichte unseres Staates im Zusammenhang darzustellen, - des Staates, den die Deutschen wollten, die sich nach der Katastrophe des Nationalsozialismus frei entscheiden durften. Meine Damen und Herren, bei allen Diffamierungen dieser Projekte: In beiden Fällen geht es nicht darum, ein quasi amtliches Geschichtsbild zu vermitteln. Ein solches Bild gibt es in einer freien Gesellschaft nicht. In Bonn und Berlin soll deutsche Geschichte so dargestellt werden, daß sich unsere Bürger darin wiedererkennen - auch in der kontroversen Auseinandersetzung wiedererkennen. Offene und kontroverse Deutungen über die Vielfalt dieser Zeit müssen selbstverständlich möglich sein - ja das ist, wenn Sie so wollen, ein Stück der Grundidee dieser Vorhaben. Die Bundesregierung hat mit den Vorarbeiten hervorragende Historiker und Museumsfachleute betraut. Sie arbeiten, wie sich jeder überzeugen kann, unabhängig, ohne Vorgabe zu Inhalt und Form. Ich möchte allen, die mitwirken, herzlich danken. Lassen Sie mich angesichts mancher Kontroverse hinzufügen: Beiden Projekten tut eine intensive öffentliche Debatte gut, wenn sie an der Sache orientiert ist. ({26}) Als Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzung, Verleumdung oder Diffamierung sind diese Projekte überhaupt nicht geeignet. ({27})) - Und im übrigen, Herr Abgeordneter Duve, ist kritische Mitarbeit allemal ertragreicher als eine schlichte Verweigerung. Keine Regierung kann und darf - und für mich darf ich sagen: will - eine bestimmte Geschichtsauffassung diktieren. Der freiheitliche Staat kann sich nicht als Richter der Kunst verstehen. „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei", so heißt es kategorisch im Art. 5 unseres Grundgesetzes. Das ist doch ein wichtiger Ertrag des Lernens aus der Geschichte, aus der Erfahrung der Nazi-Barbarei. In diesen Wochen erscheint mit Unterstützung der Bundesregierung eine Dokumentation über Malerei und bildende Kunst, die vom Hitler-Regime als „undeutsch" und „entartet" denunziert und verfemt wurden. Die Publikation ist Tribut und ein ehrendes Andenken an die Künstler der äußeren und inneren Emigration und ihre Kunst, die sich nicht vom Geist der Barbarei ersticken ließ. Kulturelle Entwicklung braucht den Streit der Meinungen, den Wettstreit der Ideen, auch die Konkurrenz von Lebensvorstellungen. Wir wollen dabei - das ist hier richtig gesagt worden, ich will es unterstützen - nicht nur an künstlerische Spitzenleistungen denken, sondern wir brauchen auch die breite kulturelle Entfaltung. Immer mehr Menschen sind bereit, teilweise beachtliche Teile ihres Einkommens kulturellen Bedürfnissen zu widmen. Immer mehr Menschen wollen künstlerisch selbst tätig werden. Es ist doch nicht wahr, daß das Fernsehzeitalter dies alles erstickt hat. Die Motivation ist, wenn Sie etwa in Jugendmusikschulen gehen, doch überdeutlich zu erkennen. ({28}) Die Menschen wollen schöpferisch tätig sein - beim Musizieren, beim Malen, beim künstlerischen Gestalten, in Theatergruppen, in der Literatur. Die Renaissance der Lyrik, die totgesagt war, ist ein Beispiel. Wer dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse war, konnte dies an vielen beispielhaften Vorstellungen deutlich sehen. Die Ausgestaltung unserer Kulturgesellschaft, meine Damen und Herren, ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben. Kultur darf nicht in Nischen verbannt werden, sie muß die Wirklichkeit des Landes durchdringen. Hier bieten sich Perspektiven einer Weiterentwicklung unserer wissenschaftlichtechnischen Zivilisation. Sie kann jenseits der Grenzen ihrer zweckrationalen Verfaßtheit vom Pluralismus der Lebensformen und -entwürfe menschlicher gestaltet und vielfältig bereichert werden. Paul Tillich hat Kultur einmal gekennzeichnet als das „vom Menschen inszenierte symbolische Universum". Gerade so - als eine sinngebende Gestaltungskraft - geht vom kulturellen Schaffen große Faszination aus. Vor allem in einer modernen, sehr viel mehr egalitären, von Nummern und Daten beherrschten Welt spricht das die Menschen an. Wo es dabei um Kunstförderung im engeren Sinn geht, sollten für uns zwei Kriterien bestimmend sein: die Kreativität der Kunst und der notwendige Freiraum, den Kunst braucht. Das heißt, ein klares Bekenntnis zum Pluralismus. Wer ex cathedra für sich und seine Meinung in Anspruch nimmt, daß diese oder jene Richtung oder Qualifikation die einBundeskanzler Dr. Kohl zig mögliche ist, versagt bei dieser entscheidenden Herausforderung einer offenen Gesellschaft. ({29}) Dabei gilt freilich auch: Kunst wird zur Kultur, wenn sie Menschen fesselt. Sie verlöre ihren Sinn, wenn sie die Menschen gar nicht mehr ansprechen wollte und nur zum Selbstzweck geraten würde. Bei der staatlichen Kunstförderung - das war zu allen Zeiten, in allen Kulturepochen ein besonderes Problem - geht es immer auch um die richtige Balance zwischen Maß und Wagnis. ({30}) - Sind Sie eigentlich gar nicht mehr in der Lage zuzuhören? Das ist doch nun wirklich kein Thema, das man kontrovers behandeln sollte. ({31}) Wir hören Ihnen doch auch zu, wir hören Ihre Beleidigungen, Ihre Diffamierungen. ({32}) Sie müssen es doch wenigstens einmal ertragen, daß hier in einer ruhigen Weise zu einem Thema gesprochen wird. Sie können j a andere Meinungen dazu haben. Kultur läßt sich nur mit Aufgeschlossenheit bewahren, auch gegenüber den Zeitgenossen. Kultur ist auch das Angebot zur Selbstdarstellung unserer Nation im Ausland. Wir wollen diese Chance auf keinen Fall auslassen. Dazu gehört, daß wir auch neue Wege der Förderung unserer Muttersprache gehen. Wer in der auswärtigen Kulturpolitik die Pflege der eigenen Muttersprache vernachlässigt, kann auf die Dauer die Kultur des Landes nicht richtig darstellen. Wir wollen deshalb in der nächsten Legislaturperiode vor allem jenseits unserer Grenzen eine groß angelegte Aktion zur Förderung der deutschen Sprache einleiten. Aber auch in den Schulen unseres Landes ist sicherlich noch mehr Pflege der Sprache am Platze. Ob im Ausland oder bei uns selbst: Bei der Kulturpolitik geht es nicht um anonyme Institutionen, es geht überhaupt nicht um abstrakte Theorien. Kulturpolitik muß den Menschen als zentralen Bezugspunkt haben - seine personale Entfaltung, seine Gestaltungskraft und auch die schöpferische Entwicklung der Gesellschaft selbst. Meine Damen und Herren, ich möchte uns alle einladen, in der nächsten Legislaturperiode - wie ich hoffe, unter insgesamt günstigeren materiellen Bedingungen - auf diesem Weg ein wesentliches Stück voranzukommen. Es sind noch 14 Jahre bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Es wäre eine großartige Sache, wenn am Ende dieses Jahrhunderts, das so viel Not und Elend sah, wir im freien Teil unseres Vaterlandes, in der Bundesrepublik, einen ganz wesentlichen Schritt nach vorn machen, einen wesentlichen Beitrag dazu leisten können, daß auch die Kulturlandschaft der Deutschen nach innen und außen ein Werk des Friedens ist. ({33})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte ausdrücklich sagen, ich finde es richtig und auch dankenswert, daß der Bundeskanzler in der Kulturdebatte des Bundestages selbst das Wort ergriffen hat. Ich kann auch manchem von dem zustimmen, was Sie gesagt haben. Nur, zu der Art, wie Sie auf Zwischenrufe des Kollegen Duve, aber auch anderer reagiert haben, erlauben Sie mir die Bemerkung: Selbstbewußtsein ist für unsereinen ja notwendig, wenn es aber von Selbstgerechtigkeit überwuchert wird, kann es einem auch schaden. ({0}) Ich bin dem Kollegen Baum sehr dankbar, daß er das Wort „politische Kultur" in den Mund genommen hat. Sie konnten den Begriff in Ihrer Rede allerdings nur abhaken, ohne darauf einzugehen. Ich möchte das in ein paar Sätzen tun. Meine Behauptung ist: In einer Gesellschaft, in der gewachsene politische Milieus wie die Arbeiterschaft oder auch das katholische Bürgertum schwächer werden, in der auch geistige Traditionen schwächer werden, beispielsweise die Bindungskraft religiöser Deutungsmuster, geraten wir immer stärker in die Gefahr des Populismus. Wir geraten in die Gefahr, daß die Verständigung von Menschen in Institutionen, beispielsweise in Parteien und Gewerkschaften, gering geachtet wird, daß sich eine Verachtung der sogenannten Apparate einschleicht und dann, Herr Daweke, der wirkungsvolle Appell als Politik verstanden wird, den strategische Eliten über die Medien direkt an das Volk senden, und an die Stelle von mühsamer Meinungs- und Willensbildung in zahllosen Gruppen und Kreisen einer Gesellschaft, die vielfältig gegliedert ist, die direkte Ausbeutung von Ängsten und Glückserwartungen von Menschen tritt. ({1}) Damit hier keiner glaubt, ich spräche nur in einer Richtung, möchte ich sagen, es gibt einen rechten autoritären Populismus, es gibt auch einen linken Populismus, und selbstverständlich sind wir alle in Gefahr, einem solchen Populismus zu verfallen. ({2}) - Damit Sie wissen, was ich meine, nehme ich ein Beispiel, Herr Kollege. Rechter Populismus ist es zum Beispiel, wenn der jetzige Umweltminister ({3}) als Frankfurter Oberbürgermeister kurz vor seiner Wahl sich selbst eine feste Hand in der Ausländerpolitik bescheinigte. Er bediente sich Ressentiments und Vorurteile verunsicherter Bürger zum Zweck der Machterhaltung. Das gefährdet politische Kultur. ({4}) Aber es gibt auch linken Populismus. Ihn beschreibt beispielsweise der jüdische Schriftsteller und Wissenschaftler Micha Brumlik. Er schildert die Widerstandsbewegung - wie er das nennt - in den hessischen Gemeinden Walldorf/Mörfelden gegen die Startbahn West. Er beschreibt, daß es neben jungen Leuten auch ältere gegeben hat, Rentner im Lodenmantel, wohlsituierte Bürger, die sich da beteiligt haben, die im Hüttendorf geholfen haben. ({5}) Er schreibt dann wörtlich, und das möchte ich Ihnen zitieren: Etwa zu dem Zeitpunkt, als sich das endgültige Ende dieser Bewegung abzuzeichnen begann, strandete in Walldorf eine größere Gruppe osteuropäischer Roma, also von Zigeunern. Ein Teil der Walldorfer Bevölkerung, der sich aktiv am Widerstand gegen das Bauvorhaben engagiert hatte, zumal ältere Menschen, engagierte sich nun in rassistischer und hetzerischer Weise für den sofortigen Abzug der Roma. ({6}) Vereinzelte Versuche, in der linken oder alternativen Presse auf diesen Skandal hinzuweisen, verliefen im Sande. Das Geschehen wurde von jüngeren, aktiven Mitgliedern der Startbahnbewegung vertuscht. Zudem fiel auf, daß die sonst so kritische liberale Presse nicht nachhakte. Man wollte sich die Omi, die stets mit Henkelmann und Thermosflasche ins Feld gezogen war, nicht madig machen lassen. ({7}) - Herr Kollege Ströbele, Sie nicken mit dem Kopf. Wem immer das gefällt oder nicht, auch unter den GRÜNEN: Hier wird die mühsam aufgebaute politische Kultur der Bundesrepublik angefressen, verletzt und im Zweifelsfall auch zerstört. ({8}) - Ich freue mich, daß Sie mir völlig recht geben und hoffe, daß Sie diesen Standpunkt in Ihrer Partei auch überall durchsetzen, Herr Kollege Ströbele. Ich will mich an den Kollegen Daweke wenden, der mich auf das Thema der kulturellen Hegemonie angesprochen hat. Das ist ja noch schlimmer, als Sie es dargestellt haben, Herr Daweke: Der Begriff stammt nicht von mir, sondern von dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci. ({9}) Ich gebrauche ihn immer ganz positiv. Das ist sozusagen die Übersetzung dessen, was der Bundeskanzler mit den der großbürgerlichen Sprache etwas nachempfundenen Worten die „geistig-politische Führung" nennt. Sie haben vollkommen Recht: Diese geistig-politische Führung kann nicht dadurch ausgeübt werden, daß das Präsidium der SPD oder das Präsidium der CDU Stichworte gibt und die von anderen aufgenommen werden. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das haben wir nie in Anspruch genommen! Das stimmt doch gar nicht!) - Nein, ich antworte auf das, was Herr Daweke gesagt hat. Ich hoffe, daß Sie das nicht in Anspruch genommen haben. Geistig-politische Führung kann nur dadurch ausgeübt werden, daß eine freie Kommunikation in der Gesellschaft stattfindet, in der Künstler eine besondere Rolle spielen. Ich würde uns allen sogar vorhalten, daß wir doch häufiger mal Stichworte aus dieser Diskussion viel zu spät aufnehmen und als Politiker viel zu wenig darauf reagieren. Insofern also läßt sich nicht mit dem Begriff operieren, daß die Politik die Kultur dominiere. Damit wende ich mich direkt an den Bundeskanzler. Herr Bundeskanzler, was ich an Ihrer Politik kritisiere, fasse ich in diesem Zusammenhang in dem Wort „Geschichtspolitik" zusammen. Es wird immer deutlicher - so behaupte ich -, daß Sie in den letzten Jahren bewußt die Tabugrenze gesenkt haben, ({0}) um durch populistische Ansprache den rechten Wählerrand besser zu erreichen. ({1}) Der Besuch bei der schlesischen Landsmannschaft, nach dem Sie das unsägliche Motto „Schlesien ist unser" erfunden hatten, war, wie sich heute herausstellt, kein Zufall. Von den fragwürdigen Äußerungen zur eigenen Geschichte, zur Gnade der späten Geburt bis zu dem in diesem Haus nun ausreichend diskutierten Vergleich von Gorbatschow mit Goebbels zieht sich eine Linie: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland riskiert Schaden für die auswärtige Politik und Schaden für die politische Kultur im Inneren, um auch noch den letzten rechten Wähler für die CDU/CSU zu erreichen. ({2}) Herr Bundeskanzler, Sie rufen damit Geister, die Sie nicht mehr loswerden, von denen keiner von uns weiß, ob man sie loswerden kann. Leute wie Schönhubers Republikaner bekämpft man nicht dadurch, daß man ihnen nach dem Mund redet, sondern daß man ihnen widerspricht. ({3}) Ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler noch einmal auf den Satz ansprechen, mit dem Sie in Israel „von der Gnade der späten Geburt" gesprochen haben. Ich weiß, daß Sie kein Antisemit sind, aber ich war betroffen, als ich Sie gerade in diesem Land so selbstbewußt den Satz aussprechen hörten: Wir haben unsere Lektion gelernt. Als Sie dann auf einer Pressekonferenz den erstaunten Israelis erläuterten, wie man in Bonn mit der deutschen Geschichte umzugehen gedenke, nämlich nach vorne lernen, da war ich nicht mehr nur betroffen. Was heißt denn das, Herr Bundeskanzler? Heißt das, daß die, die nach vorne lernen, nun nicht mehr zurückschauen sollen? Haben Sie wie Franz Josef Strauß die ewige Vergangenheitsbewältigung - das ist eine echte Frage, keine rhetorische - als gesellschaftspolitische Dauerbüßeraufgabe - letzte Rede auf dem CSU-Parteitag - auch satt? Wir reden hier von politischer Kultur, und ich sage Ihnen offen: Nach Ihrer Reise nach Israel war ich nicht mehr nur betroffen, sondern an manchen Stellen auch beschämt. ({4}) Die Bürger der Bundesrepublik, so muß der Populist Kohl damals in Israel gedacht haben, haben die Büßerpose satt: Willy Brandt ist in die Geschichte eingegangen durch das Niederknien im Warschauer Getto. Ich werde der erste sein, der zur Normalität zurückkehrt, ({5}) ich, der Katholik Helmut Kohl, Jahrgang 1930, unschuldig am Schweigen der Mitläufer Hitlers und unschuldig an den Morden Hitlers. ({6}) Sie, Herr Bundeskanzler, wollten das Kains-Mal tilgen, die Kette der Geschichte brechen. Sie wollten gesund, normal und selbstbewußt sein und dabei noch ein wenig Eindruck bei einem bestimmten Teil der rechten Wähler machen. ({7}) Sie haben historische Schuld auf sich geladen, indem Sie in der Rolle des Kanzlers den Bann gelöst und die Tabugrenze gesenkt haben. Wenn heute von Fellner bis zum Bürgermeister von Korschenbroich wieder antisemitisch dahergeplappert wird, tragen Sie daran Mitschuld, Herr Bundeskanzler Kohl. ({8}) Ich weiß, daß Sie sich immer als Kanzler der Mitte bezeichnen, und ich denke auch nicht daran, Sie in die rechte Ecke zu stecken. ({9}) Den Begriff „Stahlhelm" haben nicht wir erfunden, den haben Sie erfunden. Ich bin nur der Meinung, daß es eine der wichtigen Aufgaben der deutschen Politik ist, den „Stahlhelm" von Dregger bis Todenhöfer zu isolieren. ({10}) Aber gut, Sie gehören nicht zu dieser Gruppierung, Herr Bundeskanzler. Sie würden sich wohl auch nicht wie Ihr Innenminister das Preußenschild einer Landsmannschaft verleihen lassen, das irgendwann vorher dem Großadmiral Dönitz als dem Stellvertreter Hitlers verliehen worden ist. ({11}) Aber Sie lassen solche Tendenzen zu, Herr Bundeskanzler, statt sie zu isolieren. In diesem Opportunismus liegt die Gefahr für die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland. ({12}) Die Bundesrepublik hat in die Gemeinschaft der freien Völker zurückgefunden, als Konrad Adenauer und Charles de Gaulles sich in der Kathedrale von Reims die Hand reichten und als Willy Brandt im Warschauer Getto niederkniete. Diesen Kredit verspielt heute eine Regierung, deren Außenministerium - jetzt rede ich von der Zeit kurz vor Bitburg - dem amerikanischen Präsidenten anläßlich eines offiziellen Besuchs hier bei uns in der Bundesrepublik empfohlen hat, ein Konzentrationslager zu meiden. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das ist doch gar nicht wahr!) Im Bestreben, auch eine kleine Minderheit unverbesserlicher Deutscher als Wähler zu behalten, gefährden Sie und die von Ihnen getragene Regierung das Ansehen der deutschen Demokratie im Ausland und gefährden auch die politische Kultur in diesem Land. ({0}) Der Populismus mag wirksam sein, und die Gefahr, in Populismus zu verfallen, bedroht uns alle. Wir sollten gegen diese Bedrohung versuchen, an der Tradition der Aufklärung, wie der Bundeskanzler heute zu Recht zitiert hat, festzuhalten. Ich rede nicht von Konfliktlosigkeit, ich rede von Streit. Aber es gibt auch einen aufklärenden Streit, einen Streit, der die Bürger aufklärt. Es wäre gut, wenn es uns gelingen würde, solchen Streit in der Bundesrepublik Deutschland zu führen. ({1}) - Herr Kollege Lammert, ich bin gleich zu Ende, dann dürfen Sie sich hier äußern. Ich schließe mit zwei skeptischen Sätzen eines großen deutschen Autors, ({2}) der dazu noch den Vorteil hat, wie andere Autoren sein ganzes Leben lang Demokrat gewesen zu sein, nämlich Heinrich Mann. Er hat 1945, noch beeindruckt oder fast betäubt von den 12 Jahren Nationalsozialismus, gesagt: Der einzelne lebt kurz; vollendete Verwandlung erlebt er selten. Eher wird er zuletzt noch Zeuge eines Rückfalls in längst widerlegte Zustände. Ich stelle eindeutig klar: Es droht kein neuer autoritärer Staat, kein neuer Faschismus; ({3}) aber eine zweite Restauration, ein zweites oder drittes Biedermeier wäre auch ein Rückfall. Ich will Ihnen sagen: Die Sozialdemokratie wird gegen einen solchen Rückfall in längst widerlegte Zustände mit aller Kraft ankämpfen, und das nicht nur in kulturpolitischen Debatten! ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist notwendig, drei kurze Bemerkungen zu Behauptungen des Herrn Abgeordneten Glotz zu machen. Erstens: Herr Abgeordneter Glotz, Sie haben die Unwahrheit gesagt. Die Bundesregierung - weder das Auswärtige Amt, noch ich, noch sonst irgend jemand - hat nicht im Sinne dessen, was Sie eben hier gesagt haben, dem amerikanischen Präsidenten vor seinem Besuch in Bitburg den Rat oder die Empfehlung gegeben, ein Konzentrationslager nicht zu besuchen. Das genaue Gegenteil ist der Fall. ({0}) Bei der Planung der damaligen Reise habe ich selbst Vorschläge mit dem Weißen Haus besprochen. Andere Behörden waren in diesem Zusammenhang überhaupt nicht aktiv. Je nach dem Ablauf des Besuches war zur Auswahl gestellt, entweder das Konzentrationslager in Dachau zu besuchen - dies wäre geschehen, wenn er einen Besuch in München einbezogen hätte - oder das Konzentrationslager in Bergen-Belsen, das j a dann bekanntlich besucht wurde. Alle anderen Behauptungen sind falsch. ({1}) - Aber das ist doch überhaupt nicht wahr! Sie können doch nicht eine Behauptung aufstellen, die einfach nicht stimmt! Ihre Quellen sind falsch. Im Zusammenhang mit Bitburg werden ja bewußt, auch entsprechend den Intentionen Ihrer eigenen Partei und anderer Kräfte, gerade im jetzigen Wahlkampf Falschmeldungen verbreitet; ich brauche nur bestimmte Druckerzeugnisse von dieser Woche zu lesen! - Das ist die erste Feststellung. Bitte lassen Sie das sein! Ich will es hier ausdrücklich noch einmal namens der Bundesregierung dementieren. Zweitens: Sie haben eine Menge Bemerkungen mit Blick nach rechts und rechtsaußen gemacht. Ihr Kollege, der vorher sprach, sprach von „deutschnational". Das berührt mich nicht. Es ist ein Teil Ihres Wahlkampfkonzeptes. Aber ich will hier als Vorsitzender der Christlich Demokratischen Union unterstreichen: Ich brauche von niemandem Nachhilfeunterricht im Hinblick auf den Standort der Christlich Demokratischen Union Deutschlands in der deutschen Politik! ({2}) Christliche Demokraten waren wie Sozialdemokraten, wie Kommunisten und viele andere in den Konzentrationslagern und Gefängnissen des Dritten Reiches. Wenn Sie den Gründungsaufruf des Reichsverbandes der Christlich Demokratischen Union vom Juni 1945 nachlesen, ({3}) werden Sie feststellen, daß eine ganze Reihe der Persönlichkeiten, die diesen Aufruf unterschrieben haben, direkt aus dem Konzentrationslager, aus den Todeszellen von Plötzensee oder aus dem Zuchthaus Brandenburg gekommen sind. Der erste Vorsitzende des Reichsverbandes der Christlich Demokratischen Union, Andreas Hermes, ist den Schergen Hitlers in Plötzensee nur durch einen Zufall gerade noch entkommen. Bitte unterlassen Sie das, sonst müssen wir uns mit Ihnen in sehr viel intensiverer Weise über dieses Thema unterhalten. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ja, bitte.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundeskanzler, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich mit keinem Wort die Geschichte der Union angegriffen habe, auch nicht die Opfer, die christliche Politiker im Nationalsozialismus gebracht haben, sondern daß ich die aktuelle Politik angegriffen habe, die Reaktion von Ihnen und Ihrer Regierung, in der jetzigen Situation das Preußenschild für Friedrich Zimmermann - heute, nicht 1945?

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Aber Herr Abgeordneter, wenn Sie eben zugehört hätten, wüßten Sie, daß ich Sie und Ihren Vorredner angesprochen habe. Nicht Sie, sondern Ihr Vorredner sprach von „deutschnational". Meine Antwort ging in diesem Zusammenhang an Ihren Vorredner, Herrn Duve. Aber ich bin gerne bereit, das noch aufzunehmen, was Sie jetzt in die Debatte einbringen. Denn weder die Christlich Demokratische noch die Christlich-Soziale Union hat sich vom Gesetz des Anfangs ihrer Geschichte entfernt. Was soll eigentlich die dauernde Nennung des Namens von Franz Josef Strauß? Das ist ein Mann, der in den Jahrzehnten seines politischen Lebens bei all dem, was Sie kontrovers empfinden - er ist ja nun ganz gewiß einer, der Kontroversen eher herbeiführt, als daß er sie schlichtet - ({0}) - Gut, das ist j a bekannt; das weiß er selbst. Aber eines können Sie ihm bei all Ihrer Gegnerschaft doch nicht bestreiten: Er stand im Dritten Reich als ein junger Mann auf der anderen Seite. Er hat nach dem Dritten Reich einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, daß wir deutsche Demokratie bekommen haben. Jeder Angriff gegen Strauß in der Weise, wie er hier von Ihnen verübt wird, erregt beispielsweise in Jerusalem allgemeines Gelächter, denn dort weiß jeder, was dieser Mann für die Gründung und Entwicklung des Staates Israel getan hat. ({1}) Lesen Sie bitte, weil Sie von Schlesien und von der schlesischen Landsmannschaft gesprochen haben, meine Rede dort nach und nicht nur das, was Sie gerne daraus machen wollten. Ich habe vor der schlesischen Landsmannschaft eine Rede gehalten, die selbst in den offiziellen Organen der kommunistischen Führung Polens Zustimmung gefunden hat. Man kann zweierlei machen: Man kann wie Sie eine ganze Gruppe der Bevölkerung über ein Jahrzehnt lang diffamieren und ausgrenzen. ({2}) Es wäre ja Ihre Sache gewesen - die Sache der Herren Brandt und Schmidt -, auch auf die Vertriebenenverbände zuzugehen und ihre Arbeit zu würdigen, ({3}) denn Sie haben sich ja einen Teil Ihrer Chancen, 1969 überhaupt an die Macht zu kommen, mit Ihren falschen Schwüren von damals gegenüber den Vertriebenen erworben. ({4}) Ich habe damals, 1969, als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz zu diesem Thema nicht anders gesprochen als hier und heute. Deswegen brauchen wir darüber jetzt nicht zu sprechen. Jetzt will ich zu dem sehr persönlichen Wort kommen, das Sie gesprochen haben. ({5}) Ich habe lange genug geschwiegen. Herr Glotz, Sie sind ja nicht einer, der irgendwie daherredet. Wir haben ja gerade über Ihr jüngstes Buch einen Briefwechsel gehabt. Warum sind Sie in einer solchen Weise intellektuell unredlich? Sie wissen doch, daß diese Darstellung des Zitats von der „Gnade der späten Geburt" nicht stimmt. Sie haben doch hervorragende Beziehungen zu Ihren politischen Freunden in der Arbeiterpartei in Tel Aviv und in Jerusalem. Sie können doch einmal mit Shimon Peres darüber sprechen. ({6}) - Das haben Sie mit Sicherheit nicht, denn sein Zeugnis ist mit Sicherheit nicht das, was Sie öffentlich wider besseres Wissen ablegen. Seine Mitarbeiter waren bei jener Diskussion dabei. Es war eine Diskussion mit über 30 Abgeordneten der Knesset. Es war übrigens eine Diskussion, bei der niemand Anstoß an meinen Äußerungen genommen hat, denn die Diskussion hat einen ganz anderen Verlauf genommen. Um was ging es denn in dieser Diskussion? - Es ging um die Frage, ob es in Deutschland wiederum die Gefahr eines Neonazismus gebe. Das war die Ausgangsposition. In dieser Diskussion habe ich die Meinung vertreten, die ich auch heute noch vertrete, daß es neben einem minimalen Prozentsatz von Leuten in der deutschen Gesellschaft - das ist für mich immer mehr eine Frage der Medizin als der Politik gewesen ({7}) keine wirkliche Gefahr gibt, daß wir aber ein Stück Geschichtslosigkeit in manchen Gruppen haben, die versucht haben und versuchen, die Erfahrung und das Erlebnis der Geschichte des Dritten Reiches zu verdrängen, wobei die Alteren die Hauptschuld tragen. In diesem Zusammenhang habe ich, auf meine Person bezogen, gesagt - dazu stehe ich; ich bleibe dabei -, daß Menschen aus meiner Generation - Jahrgang 1930 -, die 1939, mit neun Jahren, den Kriegsbeginn und 1945, mit 15 Jahren, das Kriegsende erlebt haben, eine Pflicht haben. Diese Pflicht erwächst aus der Tatsache, daß ich zu jung war, um selbst in eigene Schuld zu geraten, und zu alt war, um etwa die Erlebnisse nicht zu machen, die wir alle gemeinsam machen mußten, die ich z. B. in meinem Elternhaus, in meinem persönlichen Umfeld, gemacht habe. In diesem Zusammenhang sagte ich - dazu stehe ich -, daß die Gnade der späten Geburt - ({8}) - Das behauptet Herr Gaus wie so vieles. Im übrigen ist es mir völlig egal, wenn Herr Gaus das gleiche Zitat gebraucht. Hier geht es doch nicht um intellektuelle Spielerei. Begreifen Sie denn überhaupt nicht, um was es in der Sache geht? Das ist doch eigentlich schade. ({9}) Ich bekannte mich zur Pflicht meiner Generation, die das Dritte Reich noch erlebt hat, ohne selbst in Schuld zu geraten, die aber schon alt genug war, um Erfahrungen zu haben. Ich habe bespielsweise noch eine Erinnerung - damals als 8jähriger - an die Reichskristallnacht. Ich habe meine Erfahrungen mit dem Kriegsbeginn. Ich sehe vor mir die ersten Flüchtlinge und Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges, südpfälzische Bauern, die über unsere Rheinbrücke nach Mannheim gezogen sind. Ich habe die Erfahrungen - wie viele hier im Saal - aus den Bombennächten. Wir - diese Generation insonderheit - sind doch dann aus diesem Krieg herausgegangen, indem wir mit anderen zusammen sagten: Nie wieder! „Gnade der späten Geburt" heißt doch Auftrag, heißt Auftrag gegenüber den jungen, die Erfahrungen weiterzugeben, die wir noch machen mußten, und heißt gegenüber der älteren Generation - das ist jetzt ein entscheidender Punkt, Herr Glotz, ein ganz entscheidender Punkt -, daß wir jenen widerstehen, die ganz pauschale Urteile abgeben. Ich habe mich in der Debatte leidenschaftlich gegen Kollektivschuld gewandt. Ich habe damals darauf hingewiesen, daß sich der, der Kollektivschuld verhängt, letztlich in rassistische und auch in nazistische Kategorien begibt, daß man nicht pauschal ein ganzes Volk ins Abseits stellen kann. Das hat dort große Zustimmung gefunden. Ich habe mich oft und lange mit Shimon Peres über dies Thema unterhalten. Warum - Sie wissen doch genau, wie es wirklich war - versuchen Sie nun, in der Propaganda gemeinsam mit anderen aus wahltaktischen, vordergründigen Überlegungen ein solches Thema in parteipolitische Münze umzumünzen? An sich sind wir doch Leute, hier in der SPD genauso wie in der CDU oder in der FDP oder in der CSU, die aus dieser Generation kommen und den gleichen geschichtlichen Auftrag haben. Das ist doch um Gottes willen keine parteipolitische Frage. Es ist doch eine Frage an unsere Generation im Verhältnis zu unseren eigenen Kindern, daß wir historische Erfahrungen weitergeben, daß wir fähig sind, aus der Geschichte zu lernen. Ich bin doch mit François Mitterrand nach Verdun gegangen, um zu dokumentieren, daß Deutsche und Franzosen aus der Geschichte gelernt haben. Ich bin aus dem gleichen Grund mit Ronald Reagan nach Bitburg gegangen, auch auf die Gefahr hin, daß das einige mißverstanden haben, weil es eben kein pauschales Urteil gibt. Lesen Sie doch im Nachgang zu Bitburg nach, was zu einer frühen Zeit Kurt Schumacher zu jungen SS-Soldaten gesagt hat. Deswegen hat doch Kurt Schumacher nicht pauschal die SS sozusagen freigesprochen von ihrer früheren Schuld, sondern er hat das getan, was ein vernünftiger Mann, der in schrecklicher Weise am eigenen Leib erlebt hat, was Geschichte des Nationalsozialismus bedeutet hat, um der Zukunft und des inneren Friedens des Landes willen tun mußte. Deswegen bitte ich Sie ganz einfach - es wird vielleicht wenig Erfolg haben, aber ich sage es trotzdem noch einmal; es hat nichts mit meinem Amt zu tun -: Daß wir im Umgang mit dem politisch Andersdenkenden, mit dem politischen Gegner angreifen, das ist in Ordnung. Im Wahlkampf wird auch gehobelt, und da fallen Späne. Da sind wir nicht besser als Sie oder umgekehrt. Ich nehme mich dabei überhaupt nicht aus. Aber in einer so zentralen Frage, die sozusagen ein Herzstück unserer politischen Existenz in diesem Jahrhundert berührt, finde ich, sollten wir redlicher und fairer miteinander umgehen. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Dr. Vogel. ({0}) Ministerpräsident Dr. Vogel ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es sehr gut, daß der Bundestag heute zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode über Kultur, über Kulturpolitik und Kulturförderung debattiert. Es ist erstaunlich, daß der Bundestag das vor dieser Legislaturperiode kein einziges Mal getan hat. Denn hier ist ganz offensichtlich eine Grundfrage und Zukunftsfrage angesprochen. ({2}) Ich glaube, daß die Kulturdebatte, die wir führen, in der Tat nicht ein schönes Beiwerk ist und zwischen der vorher geführten Diskussion über die UBoot-Frage und der nachfolgenden über die Chemie nur gerade so nebenbei erledigt werden kann. Ich halte sie vielmehr für zentral wichtig für unsere zukünftige Orientierung. Ich finde es bemerkenswert, daß der Bundeskanzler selbst in diese Debatte eingegriffen hat. Ich finde es bemerkenswert, daß sein Beitrag zu einer derartigen Diskussion über unser Geschichtsverständnis geführt hat. Ich bitte aber einige erregte Damen und Herren links von mir um Verständnis, daß dies eine Frage ist, an der sich die Länder in der Diskussion beteiligen möchten, gnädige Frau, ({3}) und daß ich deswegen von dem mir zugestandenen Recht hier zu sprechen, auch Gebrauch mache. ({4}) Denn, verehrte Frau Kollegin, das Verhältnis zu unserer Geschichte ist doch nicht eine Frage, die nur von Mitgliedern des Bundestages zu diskutieren ist; sie muß doch genauso auch aus der Sicht des Bundesrates beleuchtet werden. Meine Damen und Herren, die Diskussion, der Wortwechsel soeben zwischen Herrn Glotz und dem Herrn Bundeskanzler hat doch in der Tat gezeigt, daß hier eine neue Ortsbestimmung der Gegenwart notwendig ist. Der Streit zwischen Nolte, Hillgruber, Habermas und einer Fülle anderer Autoren, die einem dabei einfallen, hat dies doch in den letzten Wochen deutlich gemacht. Herr Glotz, 40 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist es an der Zeit, sich darüber klar zu werden, ob Ministerpräsident Dr. Vogel ({5}) wir tatsächlich die Befassung mit der deutschen Geschichte in einer merkwürdigen Bewußtseinsspaltung ausschließlich auf den unheilvollen Weg zum Zweiten Weltkrieg beschränken wollen ({6}) oder ob wir bereit sind, solchen Vorwürfen, wie Sie sie soeben erhoben haben, Herr Glotz und vor allem auch Herr Duve, noch einmal einen Augenblick nachzugehen. Herr Glotz, der Vorwurf ist doch nicht zu halten, und er geht in der Sache völlig fehl. Man kann nicht alles, nur weil in sieben Wochen Bundestagswahlen sind, jetzt unter extremen Wählergesichtspunkten sehen. ({7}) - Ach, Herr Duve, ({8}) wissen Sie, mir ist die Debatte, die wir hier führen, zu ernst, ({9}) als daß Ihre Zwischenrufe eine Antwort verdienen. ({10}) - Ich habe ihn doch nicht hier in den Saal getragen, sondern der, der dem Bundeskanzler vorwirft, sein Geschichtsverständnis nach irgendeiner extremen Splittergruppe der Politik auszurichten. Das ist doch der Anlaß meiner Kritik. ({11}) Es geht mir in der Tat darum, sagen zu dürfen, daß man im Jahre 1986 froh und dankbar darüber ist, 50 oder 54 Jahre alt zu sein und die Chance zu haben, Politik gestalten zu dürfen und nicht die Frage beantworten zu müssen, was man getan hätte, wenn man in der nationalsozialistischen Zeit in diesem Alter gewesen wäre. Ich weiß nicht, ob ich fähig gewesen wäre, zu denen zu gehören, die Gott sei Dank Widerstand geleistet haben. Ich weiß das nicht, und ich bin dankbar, daß ich diese Frage in der letzten Konsequenz nie gestellt bekommen habe, meine Damen und Herren. ({12}) Ich bin dankbar, daß ich heute hier über diese Frage sprechen kann und mir nicht Rechenschaft geben muß, ob ich damals den Mut gehabt hätte, so zu verfahren, wie Väter und Mütter Ihrer politischen Partei und meiner politischen Partei damals Gott sei Dank verfahren sind. Ich meine, es ist nicht zulässig, so zu tun, als habe es 1933 und seine Folgen nicht gegeben. Ich meine aber, es ist auch nicht zulässig, ein Bild der deutschen Geschichte zu zeichnen, die nicht auch das mit einbezieht, was vor 1933 zur deutschen Geschichte gehört. ({13}) - Herr Duve, ich bin gerne bereit, die Debatte mit Ihnen fortzusetzen, wenn Sie sich wieder etwas beruhigt haben. ({14}) - Dort kann ich es leider nicht sagen, weil Sie dem dortigen Parlament nicht angehören. Ich muß schon hierher gehen, um es sagen zu können. ({15}) Meine Damen und Herren, es sind die Länder, die einen Großteil der Kulturzuständigkeiten haben und die übrigens auch über 90 % der Ausgaben für Kultur zusammen mit den Gemeinden tragen. Ich will die finanziellen Leistungen des Bundes nicht geringschätzen, aber sie können ihre Wirksamkeit nur entfalten, weil die Länder und die Kommunen die Basisförderung leisten. Hans Maier hat bei der Debatte vor zwei Jahren hier vom täglichen Brot, das die Länder beisteuern, und von der Schokolade, die der Bund hinzugibt, geredet. ({16}) Ich glaube, in der Tat ein richtiges Bild. Es ist unbestritten, daß die Länder lange Zeit - zu lange Zeit - nicht willens und manchmal auch nicht in der Lage waren, das wahrzunehmen, was frühere Bundesregierungen „gesamtstaatliche Repräsentanz" genannt haben. Ich habe den Eindruck, die Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern wäre noch geraume Zeit so weitergeführt worden, hätte der Bund nicht vor allem in den späten 70er Jahren seine kulturpolitischen Aktivitäten erheblich verstärkt, und zwar nicht nur dort, wo er, dem Grundgesetz folgend, dazu auch berechtigt ist. Heinrich Böll - Sie haben ihn j a vorhin erwähnt - hat einmal gesagt - mit Erlaubnis des Präsidenten darf ich ihn zitieren -: „Einer, der mit der Kunst zu tun hat, braucht keinen Staat." Ich bin nicht der Meinung von Heinrich Böll, sondern ich - und ich denke: wir alle - bejahe grundsätzlich die staatliche Förderung von Kunst und Kultur. Auch die allermeisten Künstler erwarten sie. Die Abgrenzung zwischen Bund und Ländern war jahrelang von verfassungsrechtlichen Differenzen beeinflußt. Auf Initiative der Länder - wir haben das nachdrücklich unterstützt - soll jetzt endlich eine Kulturstiftung gegründet werden, an der der Bund mitwirkt. Ich hoffe, daß wir noch in diesem Jahr das entsprechende Abkommen unterzeichnen können. Diese Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, Kunst und Kultur von nationalem Rang zu fördern und zu bewahren. Sie wird damit die Aufgaben übernehmen, die bisher häufig vom Bund wahrgenommen Ministerpräsident Dr. Vogel ({17}) wurden, z. B. die Förderung des Erwerbs für die deutsche Kultur besonders wichtiger und bewahrenswürdiger Zeugnisse. Auf diesem Gebiet - ich denke etwa an das Evangeliar Heinrichs des Löwen oder an die Sammlung Hirsch - haben alle Bundesregierungen viel Gutes getan, wofür man ausdrücklich danken sollte. Ich bin der Überzeugung, daß durch die Stiftung und durch das geplante Abkommen der Länder mit der Bundesregierung eine Form der Kooperation zwischen Bund und Ländern gefunden wird, die überregional und national wirksam wird, die außerdem auch noch verfassungskonform sein wird. Mit der Kulturstiftung wird das entscheidende Organ der Länder bei der Mitwirkung an den von der Bundesregierung geplanten kulturellen Einrichtungen geschaffen. Ich begrüße es, daß der Bund hier neue, bedeutsame Akzente setzen will. Ich begrüße es, daß der Herr Bundeskanzler bereits 1982, also ganz am Anfang und vor den Wahlen, vorgeschlagen hat, ein Haus der Geschichte zu errichten. Ich erwarte, daß diese Ausstellungsstätte einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis der historischen Bezüge, der grundlegenden Werte und der Institutionen unseres Staates leisten wird. Die Länder haben den Wunsch, in gleicher Weise wie der Bund im Kuratorium mitzuwirken. Der Plan eines Deutschen Historischen Museums in Berlin hat zu einer außerordentlich kontroversen Diskussion geführt. Im Mittelpunkt vieler Diskussionen standen das verfassungsrechtliche Problem der Trägerschaft und auch die konzeptionelle Frage dieses Museums. Ich halte die vorhin hier diskutierte Frage des Geschichtsverständnisses für die zentrale Frage, weil ich es für notwendig halte, daß wir mit unserer ganzen Geschichte leben. Deswegen halte ich auch den Gedanken des Deutschen Historischen Museums in Berlin für richtig. Was die Kompetenzfrage zwischen Bund und Ländern betrifft, bin ich sicher, daß wir ebenso eine Lösung finden werden wie für das Haus der Geschichte oder für die geplante Kunst- und Austellungshalle hier in Bonn. Unser Grundgesetz hat die Kulturförderung aus gutem Grund dezentral und subsidiär gestaltet. Es hat dabei den Kommunen, den Ländern, dem Bund, aber auch Privaten unterschiedliche und oft komplementäre Aufgaben zugewiesen. Der Bund hat die Zuständigkeit in der auswärtigen Kulturpolitik, im Steuerrecht und im Sozialrecht. Herr Duve, alle zwei Jahre sprechen Sie mich hier wegen der Künstlersozialversicherung an. Es trifft nicht zu, daß das Land Rheinland-Pfalz dagegen geklagt hat. Sie sagen das zwar immer wieder, aber Sie verwechseln leider eine Stellungnahme eines Landes zu einer Klage anderer in Karlsruhe mit einer Klage selbst. Lieber Herr Duve, wenn alle Aussagen, die Sie hier gemacht haben, so oberflächlich belegt sind wie diese Aussage, dann kann ich nur sagen, waren Sie nicht gut vorbereitet heute, und dann haben Sie die Debatte nicht sehr ernst genommen. Ich meine, man wird doch wohl noch zwischen einer Stellungnahme und einer Klage zu einem Gesetz unterscheiden können; aber ich bin nicht ganz sicher, daß es Ihnen um diese Unterscheidung geht. ({18})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ministerpräsident Dr. Vogel ({0}): Ja, bitte.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ministerpräsident, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es mir darum ging, hier sehr klarzumachen, daß Rheinland-Pfalz in dieser von Ihnen so bezeichneten Stellungnahme eben den Klägern inhaltlich und in der Substanz beigetreten ist? Ministerpräsident Dr. Vogel ({0}): Herr Kollege, ich lege Wert darauf festzustellen, daß im Protokoll von vor zwei Jahren eine falsche Aussage von Ihnen steht und das Sie heute wiederum eine falsche Aussage gemacht haben. Ich stelle sie jetzt noch einmal richtig, damit Sie in Zukunft wissen, daß das, was Sie sagen, falsch ist. ({1}) Ich habe den Eindruck, daß Ihre Vorwürfe auch in anderem Zusammenhang so oberflächlich sind, daß sie nicht wirklich treffen, sondern nur verletzen sollen; das kann doch nicht der Sinn der Debatte hier sein.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Ministerpräsident, wir möchten das Recht, das Ihnen nach dem Grundgesetz zusteht, nicht einschränken, aber Ihre Fraktion signalisiert mir, daß die für Sie vorgesehene Zeit schon deutlich überschritten ist. Ich mache nur darauf aufmerksam. Ministerpräsident Dr. Vogel ({0}): Verehrter Herr Präsident, ich werde mich Ihrem Wunsch beugen, ({1}) mich kurz zu fassen, obwohl ich in diesem Hause leider keine Fraktion habe, sondern nur die Kollegen des Bundestages, ({2}) weil ich als Mitglied des Bundesrates hier spreche. ({3}) Mir geht es, meine Damen und Herren, darum, daß wir die zunehmende Bedeutung von Kultur und Kulturpolitik erkennen und die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund intensivieren. Dafür gibt es einige wichtige Felder. Dafür gibt es die Felder der Kulturdenkmäler, dafür gibt es die Felder der Kulturabkommen, insbesondere das Abkommen mit der DDR; dafür gibt es beispielsweise die deutsch-französiche Zusammenarbeit. Ich meine, meine Damen und Herren, wir sollMinisterpräsident Dr. Vogel ({4}) ten diese gemeinsamen Möglichkeiten nützen. Sie sollten im Deutschen Bundestag nicht den Eindruck haben, daß die Länder aus föderalem Widerspruch Ihnen Schwierigkeiten in den Weg legen wollen, sondern sollten ausdrücklich wissen, daß wir mit unseren Möglichkeiten Ihre Bestrebungen unterstützen und verstärken wollen, weil die kulturelle Vielfalt der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen europäischen Ländern kein Nachteil, sondern ein wesentlicher Vorteil ist. ({5}) Dies sollte bei der Verwirklichung auch genützt werden. In einem Zeitpunkt, wo andere Länder wie Frankreich und England den Weg zur Dezentralisierung gehen, wäre es völlig falsch, wenn wir begännen, den Förderalismus in die umgekehrte Richtung zu entwickeln. Aus diesem Grunde erhoffe ich mir, das in allen Fragen, die hier angesprochen worden sind, auch in der Frage der Diskussion um das Geschichtsbewußtsein, die Diskussion fortgeht. Aber, meine Damen und Herren, sie kann nur geführt werden, wenn sie mit den Ländern geführt wird, weil sie nur geführt werden kann, wenn sie auch über die Schulen geführt wird. Das ist die Voraussetzung dafür, daß wir das, was heute umrissen worden ist, auch tatsächlich erreichen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Lepsius.

Dr. Renate Lepsius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung von 1982 hat der Bundeskanzler eine Sammlung zur deutschen Geschichte seit 1945 angekündigt. Das bisherige Vorgehen der Bundesregierung bei der Gründung der beiden Museumsprojekte, des Hauses der Geschichte in Bonn und des Historischen Museums in Berlin, zeichnet sich durch bürokratischen Aktionismus aus, durch den das ganze deutsche Parlament - nicht etwa nur die Oppositionsfraktion der SPD - in betrüblicher Weise an den Rand gedrängt worden ist. ({0}) Für uns Sozialdemokraten ist dies ein alarmierender Vorgang. Auch die Mehrheitsfraktionen, die diese konservative Regierung tragen, hätten allen Anlaß gehabt, einen unmittelbaren und direkten parlamentarischen Einfluß auf diese Projekte zu nehmen. Sie haben dies nicht getan. ({1}) Erst vor vier Wochen, buchstäblich in letzter Minute, haben Sie sich zu einem Antrag aufgerafft, ({2}) vier Jahre lang, von Oktober 1982 bis Oktober 1986, haben Sie geruhsam zugesehen, wie Regierung und Bürokratie ungestört gehandelt haben. Sie haben mit Ihren Unterlassungen nur den Verdacht unterstrichen, daß die Regierung durch Ihre Museumspolitik bestimmte nationalkonservative Geschichtsbilder verordnen will. ({3}) Die Bundesregierung hat im August 1986 einen Gesetzentwurf zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte" vorgelegt, ohne daß zuvor das Parlament auch nur einmal Gelegenheit zur Erörterung dieses Vorhabens bekommen hätte. ({4}) Dies halte ich für einen verächtlichen Umgang mit dem Parlament. ({5}) Da muß sich die Regierung nicht wundern, wenn sich die SPD nicht als Feigenblatt einer Regierungsstiftung hergeben will und vorerst keine Parlamentarier für das Kuratorium benannt hat. Es handelt sich um die Geschichte des deutschen Volkes in den Grenzen der Bundesrepublik, in der historischen Ausweitung und Vielfalt der gesamten deutschen Geschichte. Durch den raschen administrativen Zugriff vollendete Tatsachen zu schaffen, das offenbart wohl die Absicht der Wendeakteure, daß derjenige, der Geschichte besetzt, auch das Bewußtsein von ihr und damit die Zukunft bestimmen soll. Keine der Fraktionen hat sich mit diesen Museumsprojekten so ernsthaft befaßt, wie das die SPD getan hat. ({6}) Von Anbeginn haben Sozialdemokraten gesagt: Wir wollen weder eine regierungsamtliche Geschichte, noch gehört die Geschichte der Regierung. ({7}) -Ich wiederhole j a nur, was wir mal gesagt haben; vielleicht kann man darüber Verständigung erzielen. ({8}) Die SPD-Fraktion hat unter Leitung von Freimut Duve die erste öffentliche Anhörung bereits im Mai 1984 durchgeführt. Dabei ging es um das wissenschaftliche Gutachten für die Errichtung des Bonner Hauses der Geschichte. Ich möchte anfügen, daß einige unserer Forderungen, insbesondere die Einbeziehung der Geschichte des Nationalsozialismus und alternativer sozialer Bewegungen, von den Wissenschaftlern aufgegriffen worden sind; aber insgesamt gesehen wurden die Forderungen der SPD, die wir auch in einer Entschließung formuliert hatten, von dieser Regierung in den Wind geschlagen. So hatten wir gefordert, daß die Planungen vom größtmöglichen Konsens getragen werden, daß der Bundestag selbst in die Verantwortung einbezogen werden muß. Wir hatten, um einen Parteienstreit zu vermeiden, die Einschaltung des Herrn Bundespräsidenten bei der Berufung eines Gründungsausschusses gefordert und übrigens auch das Angebot für einen pragmatischen Kompromiß für die inhaltlichen, letztlich wissenschaftlichen und kontroversen Fra19670 gen offeriert. Die Bundesregierung ist über diese Forderungen hinweggeschritten, es hat keinerlei parlamentarisches Entgegenkommen gegeben, die Wendeakteure haben durchgeschaltet. Der Entwurf für ein Stiftungsgesetz berücksichtigt weder die Kritik aus Reihen der Wissenschaftler noch die Vorstellungen der SPD. So kann man, meine ich, mit einer großen Oppositionspartei nicht umspringen. ({9}) Was, liebe Kollegen, ist dabei herausgekommen? Das Parlament wurde so behandelt, als ob wir unmündige Volksschüler wären, denen die Bürokratie einmal zeigt, wie man ein Haus der Geschichte baut. Dazu stelle ich fest: Die Strukturvorstellungen für das Haus sind irrig, das Kuratorium ist ein Wasserkopf, der Direktor ist eine Fehlkonstruktion ersten Ranges, er ist an keinerlei Kompetenzen des wissenschaftlichen Beirats gebunden, und der wissenschaftliche Beirat ist entmachtet; er hat eine reine Feigenblattfunktion. ({10}) Wir Sozialdemokraten wollen aber gerade die wissenschaftliche Kontrolle stärken und dadurch die Legitimation der Organe erhöhen. Unser Vertrauen setzen wir in die wissenschaftliche Diskussion untereinander und die Beteiligung der Öffentlichkeit, so daß auch einmal getroffene Entscheidungen durch neue Erkenntniszusammenhänge revidierungsfähig sind. Erst dadurch werden wir ein lebendiges Historisches Museum bekommen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, dieses ganze Hauruckverfahren mit seinen administrativen Vorgaben von Satzungen und Stiftungsurkunde zurückzunehmen. Wir fordern sie auf, ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren einzuleiten und durchzuführen. Dies ist die wesentliche Voraussetzung dafür, daß das Museum in Bonn auf den richtigen Weg kommt und daß es eine angemessene Organisationsbasis und eine erhöhte Legitimation erhält. ({11}) Gott sei Dank spielen Museen keineswegs eine so große Rolle bei der Wahrnehmung des geschichtlichen Selbstverständnisses des deutschen Volkes, wie die Identitätssucher und Identitätsstifter uns immer wieder weismachen wollen. ({12}) Heute stehen wir freilich vor einer völlig neuen Situation. Seit Bitburg werden Täter und Opfer auf eine Ebene gestellt. ({13}) Heute kann gefragt werden: War Auschwitz keine deutsche, sondern eine asiatische Tat? ({14}) - Dies haben Wissenschaftler doch gefragt! Seit Hillgrubers Buch über zweierlei Untergang können der 20. Juli 1944 als eine bloß gesinnungsethische Tat relativiert, aber die militärischen Aktionen der deutschen Wehrmacht im Osten als verantwortungsethisch verklärt werden. ({15}) Führende Politiker und rechte Intellektuelle haben sich weit über den Streit der Historiker hinaus zusammengetan. Sie haben den demokratischen Nachkriegskonsensus, der antifaschistisch begründet war, aufgekündigt. Vor diesem Hintergrund können wir auch die Kontroverse um die Häuser zur Geschichte nicht nur in der Wissenschaft und der Historikerschaft führen. Ich halte die Vorstellung für unverantwortlich, man müsse die deutsche Geschichte wieder in Ordnung bringen und müsse eine künstlich konstruierte, j a ausgewählte Geschichte anbieten, die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Ausrottung des europäischen Judentums relativieren, um damit der Bundesrepublik eine neue nationale Identität zu geben. Erlauben Sie mir zum Schluß eine persönliche Bemerkung. Ich trete mit dem Ende dieser Wahlperiode aus den Reihen der Bundestagsabgeordneten in die Reihen der Bürger zurück. ({16}) - aber natürlich! -, ({17}) als ehemalige Abgeordnete des Bundestages, dem anzugehören ich die Ehre hatte. ({18}) Ich habe 1933, damals noch nicht sechs Jahre alt, in der letzten Märzwahl an der Hand meines Vaters das Wahllokal besucht. Er sagte mir damals: Dies sind die letzten freien Wahlen. - Dieses Erlebnis hat sich mir durch die Nazizeit, die Naziverbrechen und das Verschwinden unseres jüdischen Freundeskreises bis hin zum Verstecken einer Jüdin tief eingeprägt. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß 40 Jahre nach dem Ende der Diktatur der Nationalsozialismus verharmlost und die Einmaligkeit deutscher Verbrechen am europäischen Judentum von Politikern und von Historikern bestritten werden könnten. ({19}) Die fortschreitende Enttabuisierung des Antisemitismus macht mir tiefe Sorgen. Für unsere politische Kultur wird damit das Grundverständnis bei der Gründung der Bundesrepublik in Frage gestellt, die moralischen Selbstverständlichkeiten in der Gründungsphase in der Bundesrepublik. Ich komme zum Schluß. Die große Leistung der Gründungsgeschichte der Republik bestand darin, daß alle Demokraten durch die Verstrickung in Schuld nicht gelähmt wurden, sondern aus dieser Schuldverstrickung die Kraft zum Aufbau einer lebendigen Demokratie bezogen haben. Ich möchte Sie bitten: Ich hoffe, daß sich das Parlament dieser gemeinsamen moralischen Wurzeln bewußt bleiben wird - auch in Zukunft, wenn ich dem Parlament nicht mehr angehöre. ({20})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Lepsius, ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, Ihnen für Ihre Arbeit im Hause zu danken, und wünschen Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute. ({0}) Das Wort hat nun der Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der holländische Philosoph Johan Huizinga hat einmal wie folgt definiert: ({0}) Geschichte ist die geistige Form, in der sich eine Kultur über ihre Vergangenheit Rechenschaft gibt. ({1}) Nichts anderes wollen wir Liberale mit der Errichtung eines „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn und eines „Deutschen Historischen Museums" in Berlin: Rechenschaft geben über unsere, über die deutsche Geschichte, über die Geschichte wohlgemerkt beider Teile Deutschlands. Wir wollen uns Rechenschaft darüber ablegen, wie wir unsere Geschichte verstehen und wie wir zu unserer Geschichte stehen, was wir unternommen haben und was wir noch unternehmen werden, um die Erfahrungen deutscher Geschichte wachzuhalten und weiterzugeben. Diesen Zweck haben das Haus der deutschen Geschichte in Bonn und das Deutsche Historische Museum in Berlin. Dieser übergeordnete Gedanke hat dieses Vorhaben bestimmt. Wer allerdings glaubt, diesen ernsthaften und von unabhängigen Fachleuten begleiteten Versuch - ich sage bewußt: Versuch -, die deutsche Geschichte objektiv und verantwortungsbewußt darstellen zu wollen, als nationalistische oder gar chauvinistische Staatsgeschichtsschreibung diffamieren zu können, dem sei eine ganz klare Absage erteilt. Wir werden es nicht zulassen, daß die Opposition mit diesem Bestreben nach einer möglichst objektiven Vergangenheitsdarstellung ihr Wahlkampfsüppchen kocht. ({2}) Wir werden nicht zulassen, daß dieses Thema dazu benutzt wird, der Bevölkerung einzureden, die Bundesregierung verfolge mit diesem Objekt nationalistische Tendenzen. ({3}) Dies wird angesichts der vorgesehenen Konzeption der Museen der Intention der Planer nicht gerecht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Beckmann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich unsere Kritik an der Regierungsplanung vor allem darauf richtet, daß bei so wichtigen Dingen, die etwas mit der nationalen Identität und mit unserem Selbstverständnis zu tun haben, das Parlament in angemessener Weise beteiligt werden muß?

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Duve, ich stelle gar nicht in Abrede, daß auf allen Seiten dieses Hauses eine angemessene Beteiligung des Parlaments dringend gewünscht wird. Sie findet auch statt, z. B. dadurch, daß die Fraktionen des Bundestages im Kuratorium vertreten sein können. ({0}) Wenn Sie daran nicht teilnehmen, ist das Ihre eigene Angelegenheit. ({1}) Die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion beteiligen sich parlamentarisch in diesem Kuratorium. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie dem folgen würden. ({2}) Ich will Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren von der SPD. Wir sind es nicht, die hier neue Gräben aufreißen, wie es polemisch in Ihrer Presseerklärung heißt, sondern Sie sind es, die versuchen, mit diesem Thema weitere Gemüter zu erhitzen. Sie sind es - ich habe das eben gesagt -, die die Mitarbeit im Kuratorium der Stiftung des Hauses der Geschichte aus in meinen Augen völlig nichtigen Gründen abgelehnt haben. Sie sind diejenigen, die den anfangs bestehenden Konsens in diesem Punkt - ich glaube, aus wahltaktischen Gesichtspunkten - aufgekündigt haben. Ich glaube, Sie sind die eigentlichen Grabenkämpfer in dieser Angelegenheit. Ich will das hier gar nicht weiter dramatisieren. ({3}) Ich will Ihnen aber sagen, daß wir auch weiter daran interessiert sind, ein gemeinsames Konzept aller Parteien des Deutschen Bundestages für dieses Vorhaben zu erarbeiten. ({4}) Beispiele politischer Kultur, die wir eben hier von Ihrem Sprecher Herrn Glotz gehört haben, sind in diesem Zusammenhang allerdings nicht sehr ermutigend, Herr Kollege Duve. Ich sage trotzdem: Wir brauchen den parteiübergreifenden Konsens. Wir brauchen die Mitarbeit aller demokratischen politischen und gesellschaftlichen Gruppen, um die not19672 wendige Akzeptanz für dieses Vorhaben zu erreichen. Den andauernden Meinungsstreit insbesondere zwischen den Historikern sehen wir Liberale nicht als schädlich, sondern vielmehr als fruchtbar an. Aber ich sage Ihnen auch: Wir werden es nicht zulassen, daß durch das Verhalten weniger der Wunsch der überwiegenden Mehrheit nach einer derartigen Aufarbeitung der deutschen Geschichte zunichte gemacht wird. Dabei wollen wir kein verbindliches Geschichtsbild vermitteln. Wir Liberalen wünschen uns eine Darstellung unserer Geschichte weder aus der linken Perspektive noch aus der rechten. Konsens, ({5}) Herr Kollege Duve, in unserem Volke kann nur von der Mitte her entstehen. Und dafür werden wir Liberale uns einsetzen. ({6}) Ein letztes Wort noch zu dem Vorwurf, wir würden diese beiden Vorhaben mit zu großer Eile behandeln und einige Interessengruppen außen vor lassen. Beides ist falsch. Hektik und Eile sind hier fehl am Platze. ({7}) Nichts wäre schädlicher, als mit einem übereilten und unausgereiften Konzept an diese Sache heranzugehen. ({8}) Aber - meine Kollegen von der SPD, freuen Sie sich nicht zu früh - Eile ist auch nicht zu verwechseln mit guter Organisation und Vorbereitung der Entscheidungsfindung. Dies sind nämlich notwendige Voraussetzungen für die inhaltliche Arbeit an dem Konzept der Projekte und hat mit Hektik und übereilten Beschlüssen überhaupt nichts zu tun. Zum Vorwurf, wir hätten nicht alle Gruppen, die ihr Interesse an Mitarbeit signalisiert haben, mit in den Entscheidungsprozeß der Gremien einbezogen, folgendes: Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Wir waren und sind bemüht, allen gesellschaftlichen Kräften Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, und werden darüber hinaus die Betroffenen auch noch weiter anhören, damit wir ein repräsentatives Meinungsbild erhalten. Diejenigen, die nicht mit Sitz und Stimme in den Gremien vertreten sind, sollen wissen, daß wir zwar glauben, alle Gruppen berücksichtigt zu haben, aber dennoch natürlich nicht allen Einzelinteressen gerecht werden können. Dies hätte auch die Funktion und Arbeitsfähigkeit dieser Gremien in Frage gestellt. Meine Damen und Herren, der Dichter Friedrich von Hardenberg, besser bekannt als ({9}) Novalis, hat uns für die Bewältigung, aber auch für den Gebrauch der Geschichte folgendes mit auf den Weg gegeben: An die Geschichte verweise ich euch. Forscht in ihrem belehrenden Zusammenhang nach ähnlichen Zeitpunkten und lernt den Zauberstab der Analogie zu gebrauchen. Das ist es, so meine ich, was wir tun sollten: aus der Geschichte lernen und nicht darüber nachdenken, wie sie zu allfälligen politischen Zwecken am besten zu gebrauchen ist. ({10}) Vielen Dank. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte gern auf die zweite Intervention des Bundeskanzlers unmittelbar geantwortet. Die Umstände und die Geschäftsordnung haben das nicht erlaubt. Deswegen muß ich es jetzt leider in Abwesenheit des Herrn Bundeskanzlers tun. ({0}) Der Herr Bundeskanzler hat sich Nachhilfeunterricht geschichtlicher Art verbeten und auf die Gründer der Union hingewiesen, die aus den Reihen des Widerstands hervorgegangen sind. Das ist sein gutes Recht, und wir respektieren insbesondere die Männer und Frauen in den Reihen der CDU, die aus dem Widerstand hervorgegangen sind. ({1}) Ich erlaube mir allerdings die Frage, ob nicht manche dieser Männer und Frauen verwundert wären, wenn sie heute Äußerungen und Gegenstand des Streits hören und miterleben könnten. Aber genauso wie sich der Bundeskanzler Nachhilfeunterricht verbeten hat, so verbitte ich mir Nachhilfeunterricht, der den Sozialdemokraten erteilt werden soll. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Boroffka?

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0}) - Ich möchte jetzt die wenigen Minuten im Zusammenhang und in einem Ton antworten, der dem Ernst des Gegenstandes angemessen ist. Wir verbitten uns diesen Nachhilfeunterricht, und wir verbitten uns mit noch größerer Entschiedenheit Zweifel am Patriotismus der deutschen Sozialdemokraten. ({1}) Wenn an die Gründerinnen und Gründer demokratischer Parteien erinnert wird, dann erinnern wir an Otto Wels und seine historische Rede im März 1933, als die Sozialdemokraten als einzige - als einzige! - das Nein zum Ermächtigungsgesetz auch in der Abstimmung zum Ausdruck gebracht haben. ({2}) Der Herr Bundeskanzler hat uns Diffamierung von Vertriebenen vorgehalten. Ich muß das zurückweisen. Wir haben die Vertriebenen nicht diffamiert. Wir haben bei ihrer Eingliederung mitgeholfen. Ich erweise auch von dieser Stelle aus - wie es viele meiner Vorgänger getan haben - den Vertriebenen großen Respekt dafür, daß sie 1950 durch ihre Erklärung ein für allemal auf Gewalt verzichtet haben. ({3}) Wir wenden uns nicht gegen die Vertriebenen. Aber wir fragen, ob es klug ist, daß einige die Vertriebenen jetzt wieder dafür gewinnen wollen, alte Wunden aufzureißen, etwa in der Grenzfrage. ({4}) Meine Damen und Herren, selbst aus Ihren Reihen wird doch der Wiederaufnahme des Grenzstreits widersprochen. ({5}) Sie können, wenn wir das geschlossen tun, das doch nicht als Diffamierung der Vertriebenen kennzeichnen. ({6}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich habe für meine Person der Deutung, die der Bundeskanzler hier dem Wort von der Gnade der späten Geburt gegeben hat, mit Aufmerksamkeit und, wie ich hinzufüge, mit Respekt zugehört. Diese Deutung, die er heute an dieser Stelle gegeben hat, steht im Einklang mit einem Wort, das Theodor Heuss bald nach Gründung der Bundesrepublik als erster Bundespräsident gesprochen hat, und zwar mit dem Blick auf Israel. Er hat gesagt, und wer wollte dem nicht zustimmen: Es gibt keine kollektive Schuld des deutschen Volkes. Aber es gibt eine kollektive Scham über das, was geschehen ist. ({7}) Mit diesem Gedanken stand die Deutung, die der Bundeskanzler heute seinem Wort gegeben hat, in Einklang. Dies ist ja auch eine Deutung, die die Einmaligkeit der begangenen Verbrechen in keiner Weise in Zweifel zieht. Wenn der Bundeskanzler sagt, daß er aus der Sicht des Mannes spricht, der im Jahr 1930 geboren ist, dann sage ich aus der Sicht des Mannes der 1926 geboren ist, daß ich dieser Deutung im Heuss'schen Sinne meinen Respekt und meine Zustimmung nicht versagen kann. ({8}) Aber wenn das so ist, dann richte ich an den Bundeskanzler die dringende Bitte, dem entgegenzutreten, was mit diesem Heuss'schen Wort und dieser Deutung, die er dem Satz gegeben hat, unvereinbar ist. Dann muß er auch denen offen entgegentreten, die sagen, die Pazifisten seien am Konzentrationslager Auschwitz schuld gewesen. ({9}) Dann muß er denen entgegentreten, die andeuten, unser Volk hätte in seiner jetzigen Zusammensetzung nicht nur aus den Jahren von 1933 bis 1945, sondern auch aus den Jahren davor nichts mehr zu lernen. ({10}) Dann muß er auch denen entgegentreten, die immer unverhüllter sagen, der Unterschied zwischen Tätern und Opfern in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sei nicht mehr relevant und müsse immer weiter in den Hintergrund treten. Das ist damit unvereinbar. ({11}) Ich sage dies deutlich: Hier muß der Bundeskanzler dann die Konsequenz ziehen, auch hinsichtlich der gefährlichen Entwicklung von Gedanken, den Hitlerschen Verbrechen seien andere und noch viel schlimmere vorausgegangen, und Hitler sei eigentlich nur der Nachahmer dessen gewesen, was andere vor ihm getan haben. Das ist ein Zugang zur Beschäftigung mit unserer Geschichte, der mit dieser Deutung nicht in Einklang steht. Darum bitte ich den Bundeskanzler, diesem laut und deutlich entgegenzutreten. ({12}) Im Widerspruch gegen solche Entwicklungen ist Gemeinsamkeit möglich. In der Relativierung Hitlerscher Verbrechen ist sie nicht möglich. ({13}) Im Umgang mit unserer Geschichte ist keine Gemeinsamkeit möglich auf dem Boden der Ideen, die das Deutschland-Magazin entwickelt. Es ist aber Gemeinsamkeit möglich auf der Grundlage der historischen Rede des Bundespräsidenten. Darum schließe ich mit der Bitte, daß wir dieses Stück Gemeinsamkeit, das wir diesem Manne verdanken, hüten und es nicht immer mehr und immer leichtfertiger beschädigen, indem wir schon den unverhüllten Widerstand gegen diese Gedanken zulassen. Ich appelliere im Bewußtsein unserer Geschichte an Sie, daß wir über alle Gegensätze hinweg auf dem Boden dieser Rede auch zur Gemeinsamkeit finden. ({14})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, das Bemühen der Geschäftsführer aller Fraktionen, den Zeitplan einigermaßen einzuhalten, ist sehr groß. Wir haben die für diesen Debattenteil vorgesehene Redezeit deutlich überschritten. Deswegen haben mich die Geschäftsführer aller Fraktionen gebeten, in Abweichung von unserer Geschäftsordnung das Haus um die Zustimmung zu bitten, daß die Rede des Abgeordneten Werner ({0}) zu Protokoll gegeben wird.*) Ich nehme an, *) Anlage 2 Vizepräsident Cronenberg daß das Haus keine Einwendungen dagegen hat, und sehe das so als beschlossen an. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 2 a, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6615. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses ab. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 10/5836 unter Ziffer 1, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/2262 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5836 unter Ziffer 2 weiter, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Ihnen auf Drucksache 10/2279 vorliegt, abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung - der Ablehnung also - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 2 b, und zwar über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 10/5697 unter Ziffer 1, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4348 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen worden. Zu den Tagesordnungspunkten 2 c bis 2 e schlägt Ihnen der Ältestenrat Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/5099, 10/5394 und 10/6268 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir müssen noch über eine weitere Empfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/5697 unter Ziffer 2 - das ist eine Entschließung - abstimmen. Wer der Annahme dieser Entschließung auf Drucksache 10/5697 unter Ziffer 2 - ({1}) - Einen Moment. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 10/5697 unter Ziffer 1, den Entschließungsangtrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4348 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer wünscht das abzulehnen? - Enthaltungen? - Keine. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen. Ich hoffe, daß nunmehr alles in Ordnung ist. ({2}) - Nicht? Herr Abgeordneter Vogel, bitte sehr.

Axel Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002376, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, mir liegt jetzt die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5697 vor. Da heißt es: Der Bundestag wolle beschließen: 1. Der von der Fraktion der SPD eingebrachte Entschließungsantrag in der Drucksache 10/4348 wird abgelehnt. Die Abstimmung darüber haben wir jetzt durchgeführt. Dann steht dort noch: 2. Die Bundesregierung wird aufgefordert, - ab dem Haushaltsjahr 1988 die laufende Unterstützung für Künstler auf 750 DM monatlich anzuheben; ... Dann folgen zwei weiter Punkte, die Verbesserungen für die Künstler beinhalten. Dem würden wir natürlich zustimmen, so daß über diese Entschließung gesondert abgestimmt werden muß.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie haben völlig recht. Wir müssen in der Tat über Ziffer 2 noch abstimmen. ({0}) Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5697 unter Ziffer 2 die Annahme der Entschließung. Nunmehr lasse ich darüber abstimmen und bedanke mich dafür, daß Sie hier eine Kontrollfunktion wahrgenommen haben. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer wünscht abzulehnen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Teil sogar einstimmig angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf: 4. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Müller ({1}), Frau Fuchs ({2}), Dr. Hauff, Jaunich, Lutz, Frau Schmidt ({3}), Urbaniak, Reimann, Antretter, Bachmaier, Frau Blunck, Buschfort, Catenhusen, Delorme, Dreßler, Duve, Egert, Fiebig, Gilges, Glombig, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Hauck, Heyenn, Immer ({4}), Jansen, Kiehm, Kirschner, Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Lennartz, Frau Dr. Lepsius, Frau Dr. Martiny-Glotz, Menzel, Meininghaus, Müntefering, Peter ({5}), Schäfer ({6}), Frau Schmedt ({7}), Schreiner, Sielaff, Stahl ({8}), Frau Steinhauer, Wartenberg ({9}), Weinhofer, Frau Weyel, von der Wiesche, Witek, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Vizepräsident Cronenberg Krebsrisiko am Arbeitsplatz - Drucksachen 10/3811, 10/5767 - b) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Chemiepolitik: Umwelt und Krebs ({10}) Grundsätze, Situation und Entwicklungstendenzen, Forschung, toxikologische Konzepte und Praktiken - Drucksache 10/5158 - c) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Chemiepolitik: Umwelt und Krebs ({11}) Rechtliche Handhabung, krebspolitische Fehlleistungen und Krebsbekämpfung als Teil umfassender gesellschaftspolitischer Konzeptionen - Drucksache 10/5159 - d) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schulte ({12}), Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜNEN Chemiepolitik: Blei in der Umwelt - Besondere Gefährdung der kindlichen Gesundheit - Drucksachen 10/3877, 10/6629 - e) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Müller ({13}), Frau Dr. MartinyGlotz, Dr. Hauff, Bachmaier, Frau Blunck, Duve, Dr. Emmerlich, Fischer ({14}), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Immer ({15}), Jansen, Kiehm, Kißlinger, Dr. Kübler, Lennartz, Meininghaus, Müller ({16}), Frau Odendahl, Schäfer ({17}), Schmitt ({18}), Stahl ({19}), Stiegler, Urbaniak, Wartenberg ({20}), Frau Weyel, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Umwelt- und Verbraucherschutz - Drucksachen 10/4563, 10/6630 - f) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Müller ({21}), Jaunich, Dr. Hauff, Frau Blunck, Duve, Frau Dr. Hartenstein. Dr. Hauchler, Kiehm, Lambinus, Frau Dr. Martiny-Glotz, Immer ({22}), Schäfer ({23}), Frau Schmidt ({24}), Schreiner, Stahl ({25}), Wolfram ({26}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Gesundheit und Umwelt - Drucksachen 10/5023, 10/6631 - g) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Blunck, Ibrügger, Dr. Jens, Kretkowski, Müller ({27}), Frau Odendahl, Schmitt ({28}), Dr. Schwenk ({29}), Frau Weyel, Wolfram ({30}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Bessere Kontrolle von Lebensmitteln - Drucksachen 10/5830, 10/6545 - h) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Novellierung der Trinkwasserverordnung entsprechend der Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Krebserzeugende Umwelteinflüsse" des „Gesamtprogramms zur Krebsbekämpfung" der Bundesregierung - Drucksache 10/5921 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({31}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({32}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Schutz vor unzumutbarem Verkehrslärm - Drucksachen 10/3654, 10/5777 - Berichterstatter: Abgeordneter Haungs j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({33}) zu dem Antrag der Abgeordneten Müller ({34}), Duve, Dr. Hauff, Frau Fuchs ({35}), Dr. Schmude, Bachmaier, Frau Blunck, Egert, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Immer ({36}), Jaunich, Kißlinger, Dr. Kübler, Lennartz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müntefering, Rappe ({37}), Reimann, Schäfer ({38}), Frau Schmidt ({39}), Stahl ({40}), Stiegler, Frau Terborg, Urbaniak, Frau Weyel, Ibrügger, Meininghaus, Müller ({41}), Wolfram ({42}), Schmitt ({43}) und der Fraktion der SPD Gefährlichkeit von Formaldehyd - Drucksachen 10/2791, 10/6578 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Augustin k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({44}) zu dem Antrag der Abgeordneten Vosen, Frau Dr. Hartenstein, Verheugen, Frau Blunck, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Schmedt ({45}), Sielaff, Catenhusen, Fischer ({46}), Grunenberg, Hansen ({47}), Dr. Kübler, Nagel, Stahl ({48}), Stockleben, Vahlberg, Brück, Duve, Dr. Ehmke ({49}), Frau Fuchs ({50}), Herterich, Jaunich, Dr. Jens, Jung ({51}), Meininghaus, Müller ({52}), Oostergetelo, Roth, Schäfer ({53}), Schluckebier, Frau Schmidt ({54}), Dr. Schmude, Tietjen, Voigt ({55}), Wolfram ({56}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Bericht der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Bericht „GLOBAL 2000" - Drucksache 10/2359 - 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Vizepräsident Cronenberg Technologie ({57}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Programm „Umweltforschung und Umwelttechnologie" 1984 bis 1987 - Drucksachen 10/1280, 10/6002 Berichterstatter: Abgeordnete Boroffka Stahl ({58}) Dr.-Ing. Laermann m) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Leitlinien der Bundesregierung zur Umweltvorsorge durch Vermeidung und stufenweise Verminderung von Schadstoffen ({59}) - Drucksache 10/6028 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({60}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Umwelt '85 Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen auf allen Gebieten des Umweltschutzes - Drucksache 10/4614 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({61}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Zusatzpunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Vorsorge gegen Chemieunfälle Zu den Tagesordnungspunkten 4 f und 4 n liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/6616 und 10/6632 vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. Ich erteile dem Bundesminister für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit das Wort.

Dr. Walter Wallmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002415

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Baseler Brandunglück mit seinen schweren Folgen hat die Gefährdung unserer Umwelt und die Gefahren für die Menschen in unserer Industriegesellschaft überdeutlich gemacht. Die Regierung Kohl hat die Vorsorge in den Mittelpunkt ihrer Umweltpolitik gestellt und entsprechend gehandelt, mit bemerkenswertem Erfolg, wie ich hinzufüge. ({0}) Der Unfall bei Sandoz in Basel hat uns die Notwendigkeit, uns vor allem und in erster Linie an dem Gesichtspunkt der Vorsorge zu orientieren, überdeutlich vor Augen geführt. In Konsequenz der Erfahrungen, die wir sehr leidvoll gemacht haben, darf es eben nicht nur um Teilaspekte, nicht nur um Einzelmaßnahmen gehen, sondern wir müssen ein Gesamtkonzept entwickeln. Deswegen habe ich als erstes Ergebnis dem Bundeskanzler und dem Kabinett einen Maßnahmenkatalog vorgestellt. Die Bundesregierung hat mich beauftragt, die Umsetzung der darin enthaltenen Regelungen sofort zu beginnen. Es geht vor allem darum, Vorsorge dafür zu treffen, daß Betriebspannen, Störfälle und Unfälle soweit wie nur irgend möglich verhindert werden, daß sie gar nicht erst eintreten. Der Katalog enthält konkrete Vorschläge erstens für Störfälle beim Gewässerschutz, zweitens im Chemikalien- und besonders im Pflanzenschutzmittelrecht, drittens im Bereich der Gewässerökologie und viertens im ganzen Sektor der internationalen Aktivitäten, der dort notwendigen Maßnahmen, namentlich in der EG, in der Gemeinschaft der Rheinanliegerstaaten und in der OECD. Zunächst, meine Damen und Herren, zu den vorgesehenen Maßnahmen im Störfallrecht: Hier ist der Regelungsbedarf besonders dringend. Wir werden erstens die Liste sogenannter störfallrelevanter Anlagen im Anhang I der Störfallverordnung ausweiten. Die Schwellenwerte der erfaßten Anlagen müssen gesenkt weden, und wir werden diese Werte senken. Dadurch werden künftig erheblich mehr Anlagen von der Verordnung erfaßt werden, als es bis jetzt der Fall ist. Zweitens. Wir werden die Stoffliste im Anhang II der Verordnung ausweiten. Hierzu gehören insbesondere die wassergefährdenden und zum Teil krebsgefährdenden Stoffgruppen und Stoffe. Vor Abschluß weiterer Untersuchungen, die natürlich geleistet werden müssen, werden wir folgende Stoffe durch eine umgehend in Angriff zu nehmende Novellierung in die Liste aufnehmen: a) noch nicht erfaßte Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln, z. B. Atrazin, b) noch nicht erfaßte Quecksilberverbindungen, c) Benzol, d) Vinylchlorid. Übrigens, falls der Einwand kommen sollte, der letztgenannte Stoff sei doch bereits enthalten, weise ich darauf hin: eben nicht im Hinblick auf Gewässerschutz. Ich mache überhaupt keinen Vorwurf, ich stelle nur fest: Diese Verordnung mit ihren beiden Anhängen war vor allem ja zur Luftreinhaltung vorgesehen. Die Notwendigkeit der Gewässerreinhaltung stand damals nicht im Mittelpunkt der Diskussionen und Entscheidungen, die zu treffen waren ({1}) und dann 1979 und 1980 getroffen worden sind. Deswegen sagte ich, Herr Kollege Baum: nicht im Mittelpunkt. Drittens. Wir werden allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Konkretisierung der Sicherheitsanforderungen gemäß den §§ 3 bis 6 der Störfallverordnung erlassen. Übrigens, Herr Kollege Baum, ich habe nachgelesen, daß es darüber schon seinerzeit große Diskussionen gegeben hat, wie es zu konkretisieren sei, angefangen von Kühlkreisläufen bis hin zu irgendwelchen anderen Maßnahmen. So wie seinerzeit die Stoffliste, also der Anhang II, nicht nach Ihren Vorstellungen ausgeweitet werden konnte, so war das auch hier. Wir wollen das festhalten, meine Damen und Herren. Viertens. Wir werden die Meldepflicht nach § 11 der Störfallverordnung auf Betriebsstörungen mit geringerem Gefahrenpotential erweitern. Künftig werden also auch solche Vorfälle gemeldet werden müssen, die zu nicht unerheblichen Umwelteinwirkungen führen können, etwas, was jetzt in der Verordnung nicht enthalten ist. Im Augenblick geht es lediglich um die Gemeingefahr, so wie sie in § 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung genannt ist. Fünftens. § 9 der Störfallverordnung wird dahin gehend ergänzt, daß die in den Sicherheitsanalysen enthaltenen Stofflisten bei den zuständigen Behörden der Länder abrufbereit hinterlegt werden müssen, also nicht nur in den Unternehmungen. Die Situation, wie wir sie bei Sandoz gehabt haben, daß wir vier Tage lang warten mußten, bis wir die Schadstofflisten erhalten haben, darf sich nicht wiederholen. ({2}) - Das ist Unsinn, was Sie da sagen. Das ist doch eigentlich unter Ihrer Würde, solch dummes Zeug zu erzählen. Was kann denn hier die Bundesrepublik dazu, wenn dort eine Telex-Nummer geändert worden ist und deswegen Nachfragen der internationalen Warnzentrale in Mannheim keine Beantwortung erfahren! Das ist doch nicht Schuld der Bundesrepublik Deutschland. Machen Sie sich doch nicht lächerlich! Sechstens. Wir werden eine allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 5 der Störfallverordnungen über die Grundanforderungen für betriebliche Alarm- und Gefahrenabwehrpläne erarbeiten. Siebtens. Gemeinsam mit den für den Vollzug zuständigen Ländern - ich unterstreiche das: es sind ausschließlich die Länder zuständig - werden wir prüfen, ob im Hinblick auf Ableitungen in Wasser, Boden und Luft bei besonders kritischen Anlagen eine betreiberunabhängige Überwachung einzuführen ist. ({3}) Wir sind und bleiben der Auffassung, daß dort, wo besondere Gefahrenquellen vorhanden sind, eine solche betreiberunabhängige Überwachung vorhanden sein muß. Achtens. Wir werden am 16. und 17. Dezember hier in Bonn eine Zusammenkunft der Umweltminister haben. Ich habe dazu angeregt. ({4}) Wir werden dabei auch die Fragen des Vollzuges, vor allem der wasserrechtlichen Vorschriften, mit den Ländern zu erörtern haben. - Wenn Sie von den GRÜNEN zurufen: zu spät!, füge ich hinzu: so wie bei der nationalen Rheinschutzkommission, wo ich Ihren Parteifreund Herrn Fischer aus Hessen auffordern und bitten mußte, endlich die Sondersitzung einzuberufen. Das ist die Wahrheit. ({5}) Ja, da ist sehr viel zu sagen: Z. B. sind wir über den Vorfall bei der Firma Hoechst aus Hessen von Ihrem Umweltminister nicht informiert worden. ({6}) Wir haben von seinem Staatssekretär im Umweltausschuß erfahren müssen, nachdem es große Erklärungen durch Herrn Fischer gegeben hatte, daß es keinerlei Anlaß zur Alarmierung gegeben habe und wir deswegen nicht informiert worden seien, im übrigen auch deswegen nicht, weil wir keine Vollzugskompetenz hätten. Meine Damen und Herren, außerdem geht es um wirksamere Entdeckung, Verfolgung und Ahndung von Umweltkriminalität, z. B. durch eine bessere Ausstattung der Polizeien, namentlich der Wasserschutzpolizeien in den Ländern. Aus Zeitgründen will ich jetzt auf Fragen des Haftungsrechts im einzelnen nicht eingehen. Ich will nur so viel sagen, meine Damen und Herren: Für uns steht die Verhinderung von Störfällen und von Unglücken im Vordergrund. Im übrigen empfehle ich die Broschüre „Bürgerinformationen: Straftaten gegen die Umwelt" Ihrer Lektüre. Sie wurde von dem damaligen Justizminister Dr. Hans-Jochen Vogel herausgegeben. In ihr wird im einzelnen zu Recht dargestellt, daß man in einem eigenen Abschnitt die verschiedenen umweltrelevanten Straftatbestände eingeführt hat. ({7}) Das sind die Vorschriften der §§ 324 bis 330 d StGB. Ja, sehen Sie, ich gehöre nicht zu denjenigen, die erklären, die einen hätten gar nichts getan und die anderen alles. Ich gehöre nicht zu denen, die erklären, auf der einen Seite gebe es nur Charakter und auf der anderen nur Bösartigkeit. Das überlasse ich Ihnen, meine Damen und Herren. So werden wir mit der Sache nicht fertig! Die Menschen draußen erwarten von uns, daß wir in der Sache handeln! ({8}) Ich möchte das nur erwähnen, weil in diesen Strafvorschriften Strafandrohungen von in der Regel fünf Jahren, in Einzelfällen von bis zu zehn Jah19678 ren Haft vorgesehen sind. In der Regel ist der Versuch strafbar. Wer behauptet, hier seien, vom Strafrahmen her gesehen, Kavaliersdelikte aufgeführt, irrt sich oder sagt bewußt etwas Falsches. Daß meines Wissens immer wieder die Kleinen verfolgt werden, die irgendwo einen Liter Altöl einkippen, während die Großen, wenn sie denn gefaßt werden, mit einer Geldbuße oder Geldstrafe wegkommen, ist eine völlig andere Angelegenheit, die ich verurteile, meine Damen und Herren. Aber die Zuständigkeit liegt bei den Strafverfolgungsbehörden, also bei den Ländern. Niemand soll so tun, als gäbe es die gesetzlichen Grundlagen nicht. Sie sind zu Ihrer Regierungszeit eingeführt worden, meine Damen und Herren von der SPD. Bitte sagen Sie das in diesem Zusammenhang. ({9}) - Ich komme darauf zurück. Neuntens. Wir werden das Chemikaliengesetz novellieren. Hier ist vor allem eine Möglichkeit zu schaffen, um besser und leichter als bisher eingreifen zu können und Verbot und Beschränkungen für Chemikalien herbeizuführen. Zehntens. Jene Pflanzenschutzmittel, die übrigens noch zu 20 % toxisch sind, müssen soweit wie nötig und möglich ersetzt werden. ({10}) Elftens. Wir werden ein ökologisches Beobachtungs- und Überwachungssystem für den Rhein einrichten. Wir haben übrigens auch einen Anschluß an die internationale Alarmierung vorgesehen. Dies werden wir zum Beispiel für das Umweltbundesamt, für das Bundesgesundheitsamt und vergleichbare Bundesbehörden sofort veranlassen. Zwölftens. Wir werden den unabhängigen Sachverstand in der Störfallkommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der Umweltsicherheit verstärken. Ich habe es bereits zum Ausdruck gebracht und sage es noch einmal hier: Es geht gar nicht darum, die Sachkunde und die Zuverlässigkeit derjenigen, die als Vertreter der chemischen Industrie und der Anlagenhersteller auftreten, in Frage zu stellen, sondern darum, nicht einmal den Anschein eines Verdachts von Kollisionen zwischen Sicherheitsanforderungen - und diese Sicherheitsanforderungen stehen obenan - und wirtschaftlichem Interesse entstehen zu lassen. Dreizehntens. Wir unterstützen zahlreiche Aktivitäten internationaler Organisationen zur Verbesserung der internationalen Vorsorge gegen Chemieunfälle. Ich muß es mir aus Zeitgründen versagen, im einzelnen darauf einzugehen. Vierzehntens. Wir prüfen, ob eine weitergehende Gefährdungshaftung als bisher erforderlich ist. Wir schießen hier nicht aus der Hüfte. Wir sagen nicht ganz schnell: So wird es gemacht. Hier sind vielmehr verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zu bedenken. Wir haben eine interministerielle Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums und des Bundesumweltministeriums eingesetzt. Wir haben, wie Sie wissen oder wissen sollten, diese Gefährdungshaftung ja bereits etwa in den §§ 25 ff. des Atomgesetzes und z. B. in § 22 Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes. Die Novellierung der Störfallverordnung ist vordringlich. Von 1980 bis jetzt, also in rund sieben Jahren, wurden den zuständigen Behörden 14 Störfälle im Sinne der Störfallverordnung gemeldet. Seit dem 25. Juni 1986 haben wir bis jetzt - augenblicklicher Stand - in immer kürzeren Abständen von insgesamt 15 Vorfällen erfahren. Nur der Brand bei der Firma Sandoz wäre in Deutschland nach unserem geltenden Recht unter die Störfallverordnung gefallen. In allen anderen Fällen handelt es sich nicht um Störfälle im Sinne der Störfallverordnung. Ich gehe übrigens davon aus, daß es derartige Vorfälle, wie sie jetzt bekannt geworden sind, wie wir sie beklagen und die uns beunruhigen, in jedem Jahr in der Vergangenheit mindestens hundertmal - wahrscheinlicher sind zweihundertmal und mehr - gegeben hat. Die Öffentlichkeit hat aber selten davon erfahren. Es bestand in aller Regel auch keine Notwendigkeit, z. B. die Behörden davon zu informieren. Das bisher geltende Recht - nun wende ich mich an Sie, meine Damen und Herren von der SPD -, das j a aus der Zeit der Regierung Schmidt stammt, erlaubt es nicht, gegen derartige Vorfälle, wie wir sie jetzt erlebt haben, rechtlich vorzugehen und Maßnahmen zu ergreifen. Auch das ist die Wahrheit. Dies muß festgestellt werden, damit das Bild wirklich stimmt. Es gibt überhaupt keinen Anlaß, irgendwo irgend etwas zu verharmlosen. Ich halte aber auch gar nichts von pauschalen Verurteilungen. Wir sind verpflichtet, wahrheitsgemäß zu berichten, sachgerecht zu urteilen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. In diesen Zusammenhang gehört allerdings auch die Feststellung, daß die organischen Belastungen unserer Flüsse mit Abwässern aus der Chemie in den vergangenen 15 Jahren um 90 % zurückgegangen sind. Auch dies sollten wir anerkennen und durchaus dankbar feststellen. Dazu gehört auch die Feststellung, daß die Menge der Schwermetalle im Abwasser deutlich abgesunken ist. Eine ganze Menge also an Daten, die wir als erfreulich berichten können, so daß wir sagen können: Wir sind in den vergangenen Jahren schon vorangekommen, aber nicht weit genug. Jede gesellschaftliche Gruppe, auch die Industrie, hat einen Anspruch auf eine ehrliche, aber zugleich auch auf eine kritische und schonungslose Bewertung. Deswegen gilt der Satz: Sandoz hat - schlimm genug - in den vergangenen Wochen einmal, aber nicht ständig stattgefunden. Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen der Strafverfolgungsbehörden erfüllen die Vorfälle in der Bundesrepublik Deutschland keine Straftatbestände. Auch hier wird ein Eindruck erweckt, der der Wirklichkeit nicht entspricht. Herr Hauff, Sie haben am 29. November, wie ich der Presse entnehmen konnte, wie folgt formuliert: „Was am Rhein passiert ist, sind Verbrechen und müssen entsprechend behandelt werden." Ich glaube, es ist ganz deutlich geworden, daß die Regierung, die sie tragende Koalition der Mitte und ich selbst an keiner Stelle irgend etwas zu verharmlosen oder zu bagatellisieren versuchen. Wir müssen deswegen jene gesetzlichen Änderungen vornehmen, die ich soeben dargestellt habe. ({11}) - Nur dieser Satz noch zu Ende.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, ich muß das Haus darauf aufmerksam machen, daß Sie eine Erklärung abgeben. Nach § 27 unserer Geschäftsordnung sind Zwischenfragen nicht zugelassen. Dr. Wallmann; Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Dann macht er vielleicht einen Zwischenruf. Ich antworte dann gerne. Ich stelle fest: Solche Aussagen sind keine nüchterne und sachliche Information; denn da werden doch ganz andere Assoziationen hervorgerufen. Die Regierung Kohl und die sie tragende Koalition hat Gesetze und Verordnungen sowie die Zusammensetzung von Gremien von der im wesentlichen von Ihnen gestellten Bundesregierung und Mehrheit im Bundestag übernommen. Ich frage die SPD, wenn sie nun so unendlich vieles beklagt: Warum hat sie die Störfallverordnung von 1980 eigentlich nicht schärfer gefaßt? Warum ist die Ausweitung der Stofflisten unterblieben? ({0}) Ich frage die SPD, warum sie die Störfallkommission nicht ausschließlich mit Wissenschaftlern und unabhängigen Experten besetzt hat. Sie wissen doch selbst, in welcher Weise wir hier von Ihnen verdächtigt werden, und zwar völlig unsinnig, ({1}) wir seien in einer unzulässigen Nähe zur Industrie. Sie werfen uns vor, wie die Kommissionen, die Reaktorsicherheitskommission oder die Störfallkommission, besetzt sind. Wir haben deren Besetzung nicht verändert. Es sind die gleichen Persönlichkeiten. - Ja, Sie werden aufgeregt; ich merke es. Meine Damen und Herren, ich sage nur: Jeder mag sich sein eigenes Urteil bilden. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage die SPD auch, warum sie die von ihr regierten Bundesländer, in denen sich ja genauso Vorfälle ereignen wie in anderen Ländern, die nicht von der SPD regiert werden, Länder, die die ausschließliche Vollzugskompetenz haben, nicht einmal erwähnt, wenn es solche Vorfälle gibt, und so tut, als sei die Bundesregierung dafür zuständig. Ich frage die SPD: Warum werfen Sie mir, warum werfen Sie dieser Koalition der Mitte oder der Bundesregierung vor, daß wir Kooperationsvereinbarungen mit Industrieverbänden schließen, wenn z. B. einen Tag, bevor ich das für die Bundesregierung getan habe, das Land Nordrhein-Westfalen den gleichen Vertrag, die gleiche Vereinbarung mit eben diesem Verband der Chemischen Industrie geschlossen hat? ({3}) Haben Sie vergessen, daß Ihr Kanzlerkandidat, Herr Rau, mich schriftlich und in aller Öffentlichkeit aufgefordert hat, ({4}) ich möge doch bitte schön eine solche Vereinbarung schließen. Dann habe ich sie geschlossen, und dann sagen Sie: Nein, das ist nicht genug. ({5}) Nein, meine Damen und Herren, wir werden das eine wie das andere tun. Wir werden Gebote und Verbote verschärfen, wo dies geboten ist. ({6}) Wir werden gleichzeitig, meine sehr verehrten Damen und Herren, dort, wo über Vereinbarungen Fortschritte erzielbar sind, diese Vereinbarungen treffen. Meine Damen und Herren, ich weiß von maßgeblichen Mitgliedern der Belegschaftsvertretungen, der Personalräte, daß diese freiwilligen Vereinbarungen nicht nur von der Manager-, sondern auch von der Arbeitnehmerseite gewünscht werden, weil diese Arbeitnehmer natürlich nicht nur ein vitales Interesse, angefangen beim Arbeitsschutz bis hin zur Sicherheit ihrer Arbeitsplätze, daran haben, daß ihre Unternehmungen wirtschaftlich, also mit Gewinn, arbeiten, sondern auch daran, daß sie sicher sind. Das gilt nicht nur für die Menschen in der Fabrik, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger draußen, die dort wohnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin ja bereit, über alles mit Ihnen zu diskutieren. Ich behaupte überhaupt nicht, daß wir alles wüßten. ({7}) Vielleicht gibt es Notwendigkeiten der Ergänzung und Hinweise. Wir werden sie gerne aufnehmen, meine Damen und Herren. Nur: Wir müssen dann auch schon darauf aufmerksam machen, was diese Koalition der Mitte und diese Bundesregierung geleistet haben. Sie hören das nicht gerne, ich weiß das. ({8}) Herr Hauff, was haben Sie z. B. über den Katalysator gesagt, als er als eine Möglichkeit eingebracht werden sollte, um all den schweren Belastungen, die von Fahrzeugen herrühren, entgegenzuwirken? Ich denke daran, was wir durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung mit der Reduzierung von Schwefeldioxid in den nächsten Jahren - jetzt schon 20% bis abschließend 75% - oder was wir bei der Entstickung geleistet haben. Ich will das gar nicht im einzelnen aufzählen. Ich will sagen: Die Leistungen dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition in der gesamten Umweltpolitik, angefangen vom Gewässerschutz über Luftreinhaltung bis hin zum Bodenschutz, übertrifft bei weitem, meine Damen und Herren alles, was Sie nicht nur nicht geleistet haben, sondern was Sie auch nur als Zielvorstellungen entwickelt haben. ({9}) Es ist eine erfolgreiche Politik. ({10}) - Verehrter Herr Abgeordneter Stahl, ich bin dankbar für die Zwischenbemerkung. Ich sage das, was ich hier schon vor einer Woche erklärt habe: Ich behaupte doch gar nicht, daß Sie nichts geleistet haben; so töricht bin ich nicht. Ich sage Ihnen: Wenn ich Sie heute sehe, wie Sie sich aus den Entscheidungen, die Sie selbst einmal getroffen haben. fortstehlen wollen und die Menschen vergessen machen wollen, wer die Verantwortung z. B. für die beiden Listen im Anhang der Störfallverordnung, ({11}) wer z. B. die Verantwortung für die Novellierung des Atomgesetzes 1975 zu tragen hat, ({12}) dann machen Sie es sich bequem. So sind Sie, meine Damen und Herren von der SPD. Da wird mit dem Finger hingezeigt. Die Wahrheit ist leider - wie ich aus den Akten weiß, und ich sage es hier vor dem Deutschen Bundestag in aller Deutlichkeit -, daß sich der Kollege Baum bei seinen Zielen in der Umweltpolitik mehr als einmal nicht hat durchsetzen können, weil Sie ihn daran gehindert haben. Das ist die Wahrheit. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, bitte nicht alle auf einmal, einer nach dem anderen mit den Zwischenrufen!

Dr. Walter Wallmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002415

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat keine Zweck, über Entscheidungen, die man selbst getroffen hat, immer dann zu lamentieren, wenn man aus der Regierungsverantwortung ausgeschieden ist. Politiker, die die Sorgen und die Ängste der Bürger ernst nehmen, die die Schwierigkeiten sehen, dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen. An der Sachlichkeit - meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal, und ich werde es Ihnen immer wieder sagen - und an der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die unabhängig von Zeitgeist und Modetrends geboten sind, erweist sich die Qualität von Politik, aber auch von Politikern. Nicht das Beklagen und das Diffamieren von Maßnahmen und Entscheidungen, die man selbst getroffen hat, sondern eine Umweltpolitik, die sich zuallererst - ich sage noch einmal: zuallererst - an der Sicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, an unserer Umwelt orientiert, ist die Aufgabe, die wir zu bewältigen haben. Zu der bisher erfolgreichen Politik dieser Bundesregierung gibt es keine Alternative. ({0}) Aber, meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Wir werden uns deswegen nicht bequem in den Sessel zurücklehnen, sondern unsere Anstrengungen weiter fortsetzen - zum Nutzen der Menschen, für die wir Verantwortung tragen und für die wir zu handeln haben. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Es ist nun einmal so, daß die Menschen durch aktuelle Störfälle sensibler werden, bekannte der Umweltminister Walter Wallmann gestern vor der Bundespressekonferenz. Der Minister kündigte weiter sachgerechte Konsequenzen aus den jüngsten Chemieunfällen an und verwunderte mit der Feststellung, er lege größten Wert auf die Vorsorge vor solchen Giftunfällen. Die nicht abreißende Kette von Störfällen in den vergangenen Tagen und Wochen und die Reaktion unserer Bevölkerung haben gezeigt, daß das Vorsorgeprinzip in der Chemiepolitik wirklich durchgesetzt werden muß. Unsere Bevölkerung kann angesichts der Schadensdimensionen nicht mehr mit der Philosophie des Restrisikos abgespeist werden. ({0}) Der Störfall scheint bei uns zum Normalfall zu werden. Nicht nur in den von den Chemieunfällen direkt betroffenen Bevölkerungskreisen - ich habe gelesen, es gebe 24 Millionen Einwohner am Rhein -, sondern die gesamte Bevölkerung hat einen Anspruch auf konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Störfällen. Es reicht nicht aus, daß sich die Bundesregierung nach der fatalen Informationspolitik der vergangenen Wochen, die die Bevölkerung in unangenehmer Weise an die Zeit von Tschernobyl erinnert haben dürfte, auf wahltaktische Ankündigungen in der Chemiepolitik beschränkt und bald darauf zur Tagesordnung übergeht. Herr Minister Wallmann, Sie kündigten eine Ausweitung der Störfallverordnung an. ({1}) In der Tat ist die Störfallverordnung, die 1980 in Kraft getreten ist, ergänzungsbedürftig. Aber ich gestatte mir doch die Frage an Sie: Warum haben Sie dann eigentlich den Antrag der Sozialdemokraten vom 13. November 1986 abgelehnt, mit dem wir die Störfallverordnung fortzuschreiben gedachten und um Vollzugsdefizite zu beseitigen? Wie paßt das eigentlich zusammen mit Ihrer heutigen Rede, Herr Minister? ({2}) - Natürlich, abgelehnt. - Die Kriterien, nach denen giftige Stoffe in die Störfallverordnung einbezogen werden, sind zu überprüfen. Es reicht nicht aus, nun auch die wassergefährdenden Stoffe in die Liste der Störfallverordnung aufzunehmen. Die Liste sollte neben den wassergefährdenden Stoffen auch die krebserzeugenden Stoffe und die minder giftigen, giftigen bis sehr giftigen Stoffe enthalten. Wir können nicht erst aktiv werden, wenn sich die zerstörerischen Wirkungen dieser Stoffe in der Praxis gezeigt haben. Die Belastungen der Menschen durch eine verseuchte Umwelt, insbesondere jetzt am Rhein, haben die Grenze des Erträglichen erreicht. Zu einer umfassenden Chemiepolitik und zu einer Novellierung der Störfallverordnung gehört aber auch die Gewährleistung vollständiger Informationen über Produkte und Lagerbestände sowie über die Art der Lagerung im Rahmen einer internationalen Störfallplanung. In der Bundesrepublik gibt es Hunderte von Chemielägern, auch im landwirtschaftlichen Bereich und im Handel, die bis jetzt noch nicht erfaßt sind. Hier lauern Gefahrenherde, über deren Existenz und Ausmaß die Behörden bisher kaum etwas wissen und auf die wir wahrscheinlich erst aufmerksam werden, wenn sich die Giftunfälle ereignet haben. Wir meinen aber auch, wir müssen schon bei der chemischen Produktion beginnen: Überprüfung des Umfangs der Produktpalette und der Produktionsverfahren; Verzicht auf bestimmte gefährliche Produkte; Förderung von Produkten und Herstellungsverfahren, die eine möglichst geringe Belastung für die Beschäftigten und für die Umwelt ausweisen; Förderung von Produkten, deren Entsorgung mit geringeren Gefahren verbunden ist; Erforschung und konsequente Eindämmung der Entstehung hochgiftiger Nebenprodukte; verstärkte Forschung in die Ersatzstoffe; Ausbau des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in der chemischen Industrie; Verstärkung der sächlichen und personellen Ausstattung der Gewerbeaufsicht; Vergrößerung der Kontrolldichte, insbesondere auch der kleineren Betriebe. Es ist aber auch nicht mehr von der Hand zu weisen, daß neben einer staatlichen Aufsicht und einer freiwilligen Selbstüberwachung der chemischen Industrie die Arbeitnehmer der chemischen Industrie - früher waren es die Unfallvertrauensleute, heute sind es die Sicherheitsbeauftragten - in die Überwachung einbezogen werden müssen. Sie müssen beteiligt werden. ({3}) Meine Damen und Herren, es hat sich doch erwiesen, daß durch die Beteiligung der Arbeitnehmer am Arbeitsschutz die Zahl der Arbeitsunfälle drastisch gesunken ist. Die Vermeidung von Störfällen dient generell auch diesem notwendigen Arbeitsschutz. Wir sind für die Ausweitung der Rechte der betrieblich Beauftragten, der Sicherheitsbeauftragten. Wir sind für eine Ausweitung auf Abwasser, auf Luft, auf Abfall, und zwar in einer rechtlich abgesicherten Position des Betriebsverfassungsrechts. Meine Damen, meine Herren, es liegt doch im unmittelbaren Interesse der Arbeitnehmer selbst, Unfälle zu vermeiden. Die Unternehmer oder die Kapitaleigner bringen in der Regel ihr Kapital in das Unternehmen ein; der Arbeitnehmer bringt seine Gesundheit ein und bei einem tödlichen Unfall - sein Leben. Da ist doch ein wichtiges Interesse der arbeitenden Menschen an der Unfallverhütung vorhanden. In dem Konzept für Umwelt- und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik, das wir entwickelt haben, haben wir Eckwerte für die verstärkte Beteiligung der Arbeitnehmer gefordert. Ich sage hier auch, damit es nicht falsch wiedergegeben wird: Es liegt mir nichts daran, die Leistungen der chemischen Industrie gering zu schätzen. Die chemische Industrie hat ohne Zweifel sehr viel für die Menschen geleistet. Es liegt mir auch nichts daran, trotz der letzten Giftkatastrophen die gesamte chemische Industrie zu kriminalisieren. Nein! Aber bei aller Bereitschaft zum Dialog mit den Vertretern der chemischen Industrie sollte doch ein deutlicheres Wort als in den letzten Wochen gesprochen werden. ({4}) Die Interpretation des Umweltschutzes darf nicht mehr nur den Vorstandsetagen der chemischen Industrie überlassen werden. ({5}) Wenn von seiten der Industrie immer wieder auf die hohen Umweltinvestitionen verwiesen wird, die übrigens notwendig sind, um in dieser Gesellschaft zu überleben - meist wird vergessen, das hinzuzufügen -, dann ist es legitim, auch einmal auf die außerordentlich hohen Gewinne der chemischen Industrie hinzuweisen, die sie auch weiter befähigen, Investitionen im Bereich der Umweltschutzpolitik zu tätigen. ({6}) Es muß doch, verdammt nochmal möglich sein, noch mehr zu investieren, damit die Menschen und die Umwelt nicht auf der Strecke bleiben. Die Bevölkerung gewinnt zunehmend den Eindruck, daß wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr loswerden. Diesen Eindruck dürfen Politiker nicht bestärken. Herr Minister, beweisen Sie unseren zu Recht verängstigten Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland in den noch verbleibenden Wochen Ihrer Legislaturperiode, daß es Ihnen nicht mehr nur um Ankündigungen geht, sondern daß Sie bereit sind, eine vorsorgende Chemiepolitik politisch durchsetzen. Wie sagten Sie eben hier am Rednerpult? Ich möchte Ihre Formulierung übernehmen: die Menschen warten darauf, daß gehandelt wird. Nun handeln Sie auch, Herr Minister! ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich meine, daß die 27 Positionen, die im Maßnahmenkatalog der Bundesregierung zur Vorsorge gegen Chemieunfälle aufgeführt sind, deutlich machen, daß die Koalition diese Probleme nicht gering einschätzt; daß wir uns hier bemühen, aus den Erfahrungen mit diesen Unfällen das zu tun, was nötig ist, auch das zu tun, was zukünftig nötig ist. Ich habe eben mit Aufmerksamkeit der Rede meines Vorredners zugehört. Herr Wallmann, ein großes Problem in unserem Bereich liegt darin, daß die Länder ihre Kompetenzen hier nicht an den Bund abgeben wollen. Wir haben 18 Behörden allein im Wasserbereich, die sich mit dem Vollzug der Rahmengesetzgebung beschäftigen und die sich dann natürlich auch mit dem Vollzug der jeweiligen Ländergesetze beschäftigen. Daß das nicht ohne Reibungsverluste vor sich geht, daß das überhaupt nicht ohne Abstimmungsprobleme vor sich geht, daß es dann zu einem Kompetenzwirrwarr, nicht nur -gerangel, sondern Kompetenzwirrwarr kommt, das kann sich ja wohl jeder vorstellen, der sich mit solchen Materien beschäftigt. Deswegen fordere ich die Länder hier auf: Wenn Sie hier solche Positionen vertreten, dann geben Sie die Kompetenz an den Bund ab. Es geht hier nicht darum, daß sich der Bund ohne Sinn und Verstand eine zusätzliche Kompetenz anreichern will, sondern darum, daß wir in der Sache besser, klarer und vernünftiger vorankommen. ({0}) Der Bund hat hier nur die Rahmenkompetenz. Wir haben uns, Herr Kollege Schäfer, bei dem Abwasserabgabengesetz lange über diese Problematik unterhalten. Wir haben damals schon, und zwar, wenn ich recht sehe, alle Seiten dieses Hauses, gesagt, daß es ohne die Vollkompetenz des Bundes nicht gehen kann. Das Wasserrecht ist ein traditionell außerordentlich zersplittertes Recht. Es ist an Gemeinderechte, an Länderrechte und an Einzelrechte gebunden. Hier hilft nur die Möglichkeit eines klaren Kompetenzrechts. Hier hilft nur die Möglichkeit, daß wir endlich zu einem klaren Vollzug kommen. Ich möchte hier noch einmal die Länder herzlich auffordern, daß sie ihre Positionen nicht nur auf Europa aufbauen, sondern daß sie im Inland auch die Positionen bereitstellen, die wir wirklich benötigen. ({1}) Der Bürger wird kein Verständnis dafür haben, daß sich im Bereich der Kompetenzen nachher schließlich Vollzugsdefizite auf diese Weise ergeben, wie wir sie jetzt haben. Ich fordere deswegen auch den Bundesminister für Umweltschutzfragen ganz intensiv, ganz freundschaftlich auf, sich hier in den Streit mit den Ländern zu begeben und hier die Kompetenzen anzufordern, die der Bund braucht, um für den Bürger eine sichere Position im Wasservollzug, in der Wasserqualität sicherzustellen. ({2}) Die Vollzugsdefizite haben sich bei der Anhörung zur Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes deutlich gezeigt. Der Erfahrungsbericht zum Abwasserabgabengesetz ist eine nachlesenswerte Dokumentation über die Vollzugsdefizite der Länder. Ich wundere mich wirklich, daß sich die Länder nicht hier herstellen und sagen, wie sie sich die Sache vorstellen wollen. Wir haben ganz unterschiedliche Ausführungen bei der Frage des Vollzugs des Abwasserabgabengesetzes. Das hessische Ausführungsgesetz z. B. bezeichnet es als bedenklich, daß sogenannten Altanlagen generell Abgabenfreiheit gewährt wird. Schleswig-Holstein erhebt erst gar keine. Wir wissen, in welchen Abständen kontrolliert wird: die einen vielleicht einmal im Monat, die anderen zweimal im Jahr. Das ist alles ein riesiger Wirrwarr. Ich meine, darin liegt ein besonderer Punkt, und die freien Demokraten werden hier auch nicht locker lassen, die Länder immer wieder auf diese Position aufmerksam zu machen. ({3}) Wir gehen über das eben von mir beschriebene Maßnahmenpaket der Bundesregierung noch hinaus. Über diesen Vollzug des Wasserrechts in der Vollkompetenz halten wir noch einmal fest: Es kann nicht 18 verschiedene Behörden geben, es muß in einer Hand liegen. Wir halten fest, daß wir gern bereit sind, die Frage einer Umweltschutzpolizei zu prüfen, aber mit einer Vollkompetenz, nicht mit einer Polizei, die den Namen nicht verdient, sondern mit einer Vollkompetenz für eine solche Einrichtung. ({4}) Ich meine, daß sie nötig ist und gebraucht wird. Ich erwähne hier noch einmal ausdrücklich die Überprüfung des Warn- und Alarmplans für den Rhein. Rauchwarner, Sprinkleranlagen und Auffangbecken sind dabei wirklich keine Scherze, sondern wir brauchen sie wirklich, und zwar auch für andere Bereiche, nicht nur für die am Wasser liegenden Betriebe, sondern auch für Chemikalienlager und Produktionsstätten an anderer Stelle, um auch dort in Zukunft Unfälle zu verhüten. Weiter sind zu nennen: Sicherheitsüberprüfung aller Lager- und Produktionsstätten, vollständige Wolfgramm ({5}) Bestandsaufnahme über die Lagerung und Produktion von Chemikalien. Aber jedes Recht, jedes Gesetz ist nur so gut, wie es auch eingehalten wird, und dazu müssen wir über die sicher begrüßenswerte Selbstkontrolle eine eigene staatliche Kontrolle verstärken. Wir müssen auch den Ländern hier sagen: Wer nun dem Bund die Konsequenzen verweigert, wer also mit dafür sorgt, daß hier keine klare Linie gefunden werden kann, der muß dann wenigstens in seiner Kontrollfunktion ausreichend und genau vorgehen. Auch da haben wir eine Fülle zu bemängeln: Es gibt keine Ausweisung von Wasserschutzgebieten in ausreichendem Maße für die Trinkwasserversorgung, es fehlen überall wasserwirtschaftliche Rahmenpläne. Das Bundesgesetz schreibt vor, daß für die Entwicklung der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse notwendige wasserwirtschaftliche Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Wo sind die Bewirtschaftungspläne für die großen Flüsse, auch für die mittleren Flüsse? Das ist alles Ländersache, wo die Länder auftreten und sagen müssen: Wir müssen diese Pläne vorlegen. Sonst müssen sie die Kompetenz eben abgeben, wenn sie unfähig sind, diese Pläne rechtzeitig und sorgsam vorzulegen. ({6}) Ich bin nicht glücklich darüber, daß wir bei dem jetzt am Freitag zu verabschiedenden Abwasserabgabengesetz nicht die zusätzliche Anhebung der Abgabe erreichen konnten. ({7}) - Lieber Herr Kollege, wir haben lange darüber gesprochen. Wir meinen, es ist ein zusätzlicher Weg, zu einer besseren Gewässergüte zu kommen. Wir brauchen nicht nur den Anreiz, wir brauchen auch den Druck bei der Schere. Beides muß zusammenkommen, und dazu gehört, daß nicht eine schon seit 1976 begonnene Abwasserabgabe festgeschrieben wird. Dazu gehört auch die Aufnahme von Ammonium, Stickstoff und Phosphat in das Abwasserabgabenrecht. ({8}) Dazu gehört aber auch, daß die Chancen der neuen Technologie genutzt werden. Ich fordere die SPDOpposition auf, in ihren Ländern auch mit dafür einzutreten. ({9}) - Gehen Sie bitte in die Länder, lieber Kollege, und sagen Sie den Ländern, daß sie sorgsam mit der neuen Technik umgehen müssen! ({10}) Wir stellen fest, daß die neuen Meßgeräte bei den Kommunen zu 90 % nicht in Ordnung sind. Das ist allerdings bei der Wirtschaft besser, und deswegen stellen wir auch fest, daß diese Störfälle mit den neuen Meßgeräten sehr viel genauer und sehr viel sorgsamer festzuhalten sind. ({11}) Für uns gilt, daß wir die Staatszielbestimmung „Umweltschutz" im Grundgesetz nach wie vor fordern. ({12}) - Sie hätten das damals mit uns leicht haben können, wenn Sie uns zugestimmt hätten, Herr Kollege Hauff. Das ist nun ein bißchen vergebliche Liebesmüh, dieser Sache nachzuweinen. Sie hätten sich eher besinnen müssen. ({13}) Die Umkehr des Denkens in der Opposition ist ja wirklich manchmal phänomenal. Aber vielleicht denken Sie manchmal noch an Überlegungen von früher und machen das wieder gut, wozu Sie sich damals nicht haben durchringen können. Ich möchte noch ein Wort zu der Frage sagen, wie der Schutz der Umwelt im Strafgesetzbuch geregelt ist. Wir haben 1980 den Strafrahmen angehoben. Wir haben auch deutlich gemacht, daß das kein Kavaliersdelikt mehr ist. Wir werden hier zu prüfen haben, ob dieser Strafrahmen ausreicht. ({14}) - Wir werden das ernsthaft prüfen. Ich will hier auch ein klares Wort zu der Haltung der Verantwortlichen der betroffenen Chemiebetriebe sagen. Es ist schon merkwürdig, daß, wenn eine sensibilisierte Öffentlichkeit in diesen Störfällen nun keine spaßigen Angelegenheiten mehr feststellen kann, nun den betroffenen Firmen nicht offen und deutlich die Fakten auf den Tisch legen. Da sagt dann der eine Betrieb - ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung" -, das in der stark färbenden Emulsion enthaltene PVC sei völlig ungefährlich, und es sei auch nur ein Kilogramm eingeleitet worden, und muß sich dann von dem entsprechenden Abteilungsleiter des Ministeriums vorhalten lassen, es sei nicht nur ein Kilogramm, sondern es seien sieben, und Vinylchlorid sei ein relativ gefährliches Gift. Ich zitiere das nur als einen der vielen Punkte, die wir da erlebt haben. Die Chemie wird große, sehr große Anstrengungen machen müssen, um das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. ({15}) Wir möchten beides tun. Wir möchten den Staat mit der entsprechenden Kontrollfunktion verstärken; wir möchten aber auch die Industriebetriebe sehr ermutigen, das ihre zu tun um sicher vorzusorgen, damit diese Störfälle, die sich inzwischen fast zu Normalfällen ausgeweitet haben, beendet werden. Mit Anmerkungen jedenfalls, daß man früher eigentlich viel mehr Gift eingeleitet habe und daß es an sich so giftig auch nicht sei, ist der Sache nicht beizukommen. Übrigens finde ich es in die19684 Wolfgramm ({16}) sem Zusammenhang sehr verdienstvoll, wenn ein nicht ganz unbekannter Industrieller wie von Benningsen-Foerder sagt: Die Ökologie ist heute der dritte Produktionsfaktor neben Kapital und Arbeit. Ich meine, daß das die Betriebe, die betroffen sind, so sehen müßten. Vorbeugung, Erkennung und Ahndung, diese drei Faktoren müssen über dem stehen, was wir in diesem Bereich in Zukunft hier beschließen und tun wollen. Es gilt, in einer groß angelegten Aktion Sorgfalt zusammen mit den Bundesländern die Vollzugsdefizite auf dem Wassersektor abzubauen. ({17}) Weiter geht es um eine ungeschminkte Bestandsaufnahme der Umsetzung des bisherigen Bundesrechts durch die Länder. Der Bund muß Vollzugsdefizite ({18}) im Bereich des Umwelt- und des Chemikaliengesetzes und des Wasserhaushaltsrechts abbauen. Aber der Abbau allein reicht nicht aus. Ich sage noch mal: Die Kompetenz für den Bund muß her. Das gilt auch, wenn man bedenkt, daß wir in diesem Bereich nicht nur eine TA Luft und auch eine TA Abfall haben dürfen, sondern auch eine TA Wasser. - Herr Kollege Schäfer, Sie werden ja noch Gelegenheit haben, die Polemik hier etwas zu spitzen. Ich will Ihnen das nicht vorwegnehmen. Mir ist das Thema zu ernst. Es geht hier nicht um Polemik. Es geht darum, wie wir der Umwelt, dem Bürger helfen können. ({19}) - Wenn Sie von „aufregend" reden, dann sollten Sie mal mit Ihrem Minister Fischer, den Sie ja hier als besonders großartig darstellen, ein Wörtchen reden. Einen so erfolglosen Umweltminister haben wir in der ganzen Bundesrepublik überhaupt noch nicht gehabt, noch nicht mal bei den SPD-Ländern. ({20}) Wer ist denn der Vorsitzende der Deutschen Kommission zur Reinerhaltung des Rheins? Wann ist die denn einberufen worden? Eine Woche danach! Und nicht nur in Krisensituationen passiert das, das macht der Herr Minister Fischer auch sonst so. ({21}) Wer schafft denn das ganze Dioxin ins Ausland? Wer muß sich das denn von den Österreichern vorhalten lassen? ({22}) Wer will denn immer noch, obwohl schwerste Umweltbedenken bestehen, den Sondermüll in die Deponie Schönberg schaffen? ({23}) -Ja, ja. ({24}) - Aber bitte, Herr Kollege.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie können eine Zwischenfrage stellen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke Ihnen. - Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die Dioxinstaubabfälle, mit denen in Hessen Probleme bestehen, in anderen Bundesländern, auch in den Bundesländern, in denen Sie Verantwortung tragen, unmittelbar und direkt in den Hausmülldeponien abgelagert werden? ({0})

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe im Ohr, Herr Kollege, daß Ihr Herr Minister Fischer ({0}) eine großangelegte Aktion gegen diese Dioxinabfälle gestartet hat. Herausgekommen ist, daß er die Sachen nach Österreich geschickt hat. ({1}) Umweltschutz ist das nicht, was Sie mit diesem Operettenumweltschutzminister nach außen darstellen. Schein ist das, nicht Sein. ({2}) Ich sage Ihnen, er wird auch in der Frage Schiffbruch erleiden, den Transport von Sondermüll nach Schönberg zu betreiben. Er will ja alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Vielleicht sieht er sich einmal in Hessen um, wo er die Sachen ordentlich, sicher und zuverlässig deponieren kann. Die Gewässergütekarte sollte in einigen Jahren zeigen, daß wir mit unseren Maßnahmen Erfolg haben. Wir brauchen notwendige und harte Maßnahmen für den Schutz der Umwelt. Die FDP wird sich diesen notwendigen harten Maßnahmen nicht nur nicht verschließen, sie wird an der Spitze derselben marschieren. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hönes.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Heuchelei einiger der Kollegen hier ist wirklich unerträglich. ({0}) Das ist doch absolut lächerlich. Herr Umweltminister Wallmann, sie waren in keiner Weise überzeugend, ({1}) auch wenn Sie sich hier eine sehr souveräne Haltung geben. ({2}) Erinnern Sie sich daran, Herr Minister, daß Sie es waren, der beim Amtsantritt von dem Umweltminister Fischer angekündigt hat, daß Sie eine Klage beim Staatsgerichtshof anstrengen wollen? - Sicher, das haben Sie angekündigt. Warum? Herr Fischer ist so verantwortungsvoll, dioxinhaltige Stäube und Schlacken aus Müllverbrennungsanlagen nicht auf Hausmülldeponien zu entsorgen, sondern auf gesonderten Deponien. Das haben Sie ihm damals vorgeworfen; Sie haben sogar mit Klage gedroht. Sie haben überhaupt kein Recht, auf dem Umweltminister herumzuhacken. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich habe nur kurz Zeit. ({0}) -- Ja, Sie haben recht. Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, das war ein sehr schlichter Stil, bitte j a, ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Hürland, Sie haben nun die Möglichkeit.

Agnes Hürland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000976, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hönes, können Sie mit bitte erklären, was Sie unter „Staatsgerichtshof" verstehen? Ich denke, es ist wohl notwendig, daß das hier erklärt wird, sonst könnten Mißverständnisse entstehen. ({0})

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, Sie wissen genau, was das ist. ({0}) Das ist das hessische Verfassungsgericht. ({1}) In einem Interview mit dem „Spiegel" beklagte das Vorstandsmitglied der Firma Sandoz Hans Winkler das große öffentliche Aufsehen, das Chemiekatastrophen hervorrufen. Er sagte: Im modernen Leben, in dieser Zivilisation gibt es ja sehr viele Risiken. Denken Sie nur an den Straßenverkehr. Dort ... gibt es . .. fast eine Gewöhnung. Daß es 1 000 Tote im Verkehr gegeben hat, wird zur Kenntnis genommen, aber in der Chemie, wo solche Ereignisse sehr selten sind, werden die ganz anders beachtet. Solche Sätze, meine Damen und Herren, machen uns angst. Was der Automobilindustrie recht ist, soll den Chemiekonzernen billig sein. Je mehr Unfälle, desto größer der Gewöhnungseffekt, desto geringer der Protest der Bevölkerung: Das ist die furchtbare Logik eines Industriezweiges, dem die Zerstörung der Umwelt und die Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung Geschäftsgrundlage für Milliardengewinne ist. Die Chemie kann sich dabei der Unterstützung einer Bundesregierung sicher sein, Herr Wallmann, deren Handlungsmaxime seit je von den Bilanzen der Unternehmen bestimmt wird. ({2}) Bei einer Festrede auf der Mitgliederversammlung der chemischen Industrie am 7. November, also eine Woche nach der Katastrophe von Basel, machte Kanzleramtsminister Schäuble seinen Hofknicks vor den wirklichen Mächtigen im Lande. Er gehe davon aus, „daß die Unternehmen in Zukunft ebenso wie in der Vergangenheit schon aus Eigenverantwortung für sichere Produktionsanlagen sorgen und auf Grund ihrer Herstellerverantwortung Stoffe, die wegen ihrer Auswirkungen auf Mensch und Umwelt als problematisch erscheinen, in ihren Verwendungszwecken und Verwendungsarten beschränken oder gar nicht in Verkehr bringen". ({3}) Es bedarf schon eines großen Maßes an Zynismus, meine Damen und Herren, angesichts der Serienanschläge der chemischen Industrie auf unsere Umwelt solche Unterwürfigkeitserklärungen abzugeben. ({4}) Es lohnt sich, darüber nachzudenken, was Minister Schäuble meinte, als er am Schluß seiner Rede sagte - und ich zitiere wieder -: Wir Deutschen haben der Menschheit große Beiträge erbracht, nicht zuletzt durch unsere chemische Industrie. Es gibt keinen Grund zu verzagen, aber es gibt viele Gründe für uns, weiterzuarbeiten. Ich weiß, die deutsche Chemie ist dazu bereit. ({5}) Und Sie sollen wissen: die Bundesregierung auch. Im Ersten Weltkrieg, meine Damen und Herren, bescherte die chemische Industrie der Menschheit das Gift Gelbkreuz. Im Zweiten Weltkrieg produzierte die IG Farben Zyklon B, an dessen Wirkungen Millionen Juden in den Gaskammern der Nazis qualvoll starben. In den 60er Jahren verdiente die Chemieindustrie Millionen an dem Präparat Contergan. Die Holzschutzmittelgeschädigten bezahl19686 ten die Unverzagtheit der chemischen Industrie mit ihrer Gesundheit. 1986 gibt es 5 000 Altlastdeponien in der Bundesrepublik. Wie viele von ihnen Dioxin und andere Ultragifte enthalten, ist noch gar nicht bekannt. In Dortmund-Dorstfeld wurden Bewohner einer Neubausiedlung krank. Sie hatten, ohne es zu wissen, ihre Häuser auf eine giftige Mülldeponie gebaut. - Diese Liste über die Beiträge der chemischen Industrie zum Wohle der Menschheit ließe sich endlos fortsetzen. Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, weiß von den Gefahren der Chemie. Wenn sie aber handelt, dann vornehmlich nicht, um diese Gefahren zu beseitigen oder auch nur zu vermindern, Herr Umweltminister, sondern um zu beschwichtigen, zu verharmlosen und abzuwiegeln. Wo es um den Schutz der Chemie vor den Sorgen und Protesten der Bevölkerung geht, ist die Bundesregierung zu erschreckender Brutalität fähig. ({6}) Auf eine Große Anfrage der GRÜNEN zur Gesundheitsgefährdung von Kindern durch Blei antwortete die Bundesregierung u. a. wie folgt - ich zitiere -: Da Säuglinge im ersten Lebensjahr sehr schnell wachsen, vermindern sie durch Bildung neuer Körpermasse ihre relative Belastung mit Schwermetallen. ({7}) Meine Damen und Herren, die betroffenen Säuglinge können sich gegen solche geistige Beihilfe zur Körperverletzung noch nicht wehren, ihre Eltern schon - und ich hoffe, nicht nur mit dem Stimmzettel. ({8}) Meine Damen und Herren, in diesem politischen Zusammenhang muß der Maßnahmenkatalog, den der Bundesumweltminister heute morgen vorgelegt hat, untersucht und bewertet werden. Zum einen enthält er Punkte wie die Novellierung der Störfallverordnung, die die GRÜNEN schon vor Wochen gefordert haben, die damals aber als industrie-, wachstums- und wohlstandsfeindlich abgelehnt worden waren. Nun ist es sicher besser, ein Minister handelt zu spät als gar nicht - und sei es nur auf Grund von öffentlichem Druck und aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen, Herr Wallmann. EG-weit gibt es 100 000 gemeldete Umweltchemikalien. Davon gelten mindestens 10 000 als gefährlich. In Herrn Wallmanns Störfallverordnung sind bisher 350 erfaßt und nach seiner „radikalen Neufassung", Herr Kollege, vielleicht 450. ({9}) Lagerschuppen wie der von Sandoz, der am 1. November brannte und den Rhein-GAU auslöste, fallen überhaupt nicht unter diese Verordnung, die Sie jetzt als solch einen Fortschritt feiern wollen. ({10}) Wenn dann noch das Prunkstück dieser Maßnahmen darin bestehen soll, daß die künftige Störfallkommission nicht mehr aus Vertretern der Chemieindustrie zusammengesetzt werden soll, sondern aus sogenannten unabhängigen Experten, dann ist Mißtrauen angesagt, meine Damen und Herren. ({11}) Aus unabhängigen Experten bestand auch die Strahlenschutzkommission, die nach Tschernobyl Kleinkindern Milch als unbedenklich empfahl, deren Verseuchung über der zulässigen Jahresdosis lag. Was jetzt not tut, ist die Bildung der von uns geforderten Entgiftungskommission, der außer Vertretern aller Parteien Wissenschaftler des Öko-Instituts, der Katalyse-Gruppe und auch sachkundige Bürgerinnen und Bürger aus Umweltschutzgruppen angehören müssen. Die Qualität Ihres Maßnahmenbündels, Herr Wallmann, läßt sich aber auch an dem ablesen, was alles fehlt: So fehlt z. B. das eigentlich Selbstverständlichste von der Welt, ein Akteneinsichtsrecht für die Bürgerinnen und Bürger. ({12}) Meine Damen und Herren, eine Delegation der GRÜNEN war vorgestern bei Bayer Leverkusen. Bayer ist der größte Pestizidhersteller der Welt. Bayer leitet täglich 50 t Schwermetall in den Rhein. Bayer besitzt 12 Großanlagen, in denen mit wassergefährdenden Stoffen hantiert wird. Laut Verordnung über Umgang, Lagerung und Abfüllung wassergefährdender Stoffe aus dem Jahre 1976 sind diese Anlagen genehmigungspflichtig. Bei Bayer ist gerade eine dieser zwölf Anlagen genehmigt, bei fünf von ihnen läuft das Genehmigungsverfahren, bei den restlichen sechs wurde bisher noch gar nichts unternommen. Wir haben vom Vorstand der Bayer-Werke stellvertretend für die deutsche Chemieindustrie Akteneinsicht verlangt, Akteneinsicht in die Emissionserklärungen: Von welcher Art, Beschaffenheit und Menge sind die Stoffe, die täglich in den Rhein gelangen; welche dieser Einleitungen sind nach dem heute gültigen Gesetz nicht genehmigt; wie stark ist das Grundwasser unterhalb des Bayer-Geländes verseucht? Wir verlangen weiterhin Akteneinsicht in die Stoffstrombilanzen. Wir verlangen Akteneinsicht in die Bilanz der nicht meldepflichtigen Betriebsstörungen von 1981 bis heute. Und wir verlangen von der Bayer AG eine verbindliche Erklärung darüber, in welchem Zeitraum problematische Stoffklassen, z. B. Chloraromate, Pestizide, PVC, chlororganische Lösemittel, durch umweltverträgliche Stoffe ersetzt werden. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete - Frau Hönes ({0}): Sofortiger Produktionsstopp und Vermarktungsstopp fordern wir für PeFrau Hönes stizide, die in der EG nicht mehr zugelassen sind, aber bis heute in Länder der Dritten Welt verkauft werden. ({1}) - Wenn Sie sich einen Moment gedulden würden

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Problem ist nur - Frau Hönes ({0}): Die Bayer-Werke haben uns diese Einsicht verweigert, obwohl wir 24 Stunden unter sehr liebevoller Bewachung durch den Werkschutz darauf gewartet haben. Offenbar fürchtet die chemische Industrie nichts mehr als die Offenlegung des von ihr angehäuften Gefahrenpotentials. ({1}) Nichts fürchtet diese Bundesregierung offenbar mehr als den Konflikt mit der chemischen Industrie, der nötig wäre, um genau diese zur Offenlegung zu zwingen. Herr Minister Wallmann, die Aufnahme bisher nicht registrierter Gifte in die Störfallverordnung ist kein Umweltschutz. Umweltschutz beginnt da, wo diese Gifte aus unserer Umwelt wirklich verschwinden, ({2}) dadurch, daß man sie verbietet, und dadurch, daß Schritte auf einen Umbau der Produktion in Richtung auf eine sanfte, naturverträgliche Chemie unternommen werden. ({3}) Dies ist nur unter demokratischer Teilhabe der Bevölkerung und gegen die Gewinninteressen der Chemieindustrie zu erreichen. Dies haben die letzten Wochen gezeigt. Deshalb rufen wir alle Bürgerinnen und Bürger zur „Aktion Brückenschlag" auf allen Rheinbrücken von Basel bis Rotterdam am 14. Dezember auf. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, selbst wenn die Frau Abgeordnete Hönes den guten Willen hätte, eine Zwischenfrage zuzulassen, ihre Redezeit ist deutlich abgelaufen. Ich kann Ihnen also die Möglichkeit gar nicht mehr geben. ({0}) - Das ist nun wirklich beim besten Willen nicht möglich. Sie hat ihre Redezeit so überschritten. Nun hat das Wort der Abgeordnete Laufs. ({1}) - Nein, aber Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie haben sie deutlich überschritten. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs. ({2}) Herr Abgeordneter Dr. Laufs, Sie haben das Wort. Ich bitte das Haus, die notwendige Ruhe zu halten.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den von der Bundesregierung vorgelegten Katalog zur Umweltsicherheit in der Chemie. Von der chemischen Industrie muß und kann erheblich mehr an Sicherheit gegen Störfälle und Unfallfolgen verlangt werden als in der Vergangenheit. ({0}) Menschliche Gesundheit und Umwelt haben Vorrang vor reinen Wirtschaftsinteressen. Die Chemie ist gefordert. Wir werden weitreichende Verbesserungen der Sicherheitstechnik durchsetzen. Wir werden nicht das geringste Risiko auf uns nehmen, wenn es um einwandfreies Trinkwasser geht. Das müssen die Menschen, die mit Trinkwasser aus dem Rhein versorgt werden, wissen. Alle Vorsorgemaßnahmen sind richtig, wenn die Gefahrenlage nicht sicher abgeschätzt werden kann, mag sie sich später als noch so klein herausstellen. Zum Beispiel wurden beim Störfall der BASF zwei Tonnen 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure in den Rhein eingeleitet. Die höchste Konzentration dieser Chemikalie wurde bei Mainz mit 46 Mikrogramm pro Liter gemessen, was bei Koblenz einem Wert von 25 Mikrogramm pro Liter entspricht. Nach einer Bewertung der Arbeitsgruppe Toxikologie in der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist für Erwachsene die tägliche Einnahme von 7 Milligramm unschädlich. ({1}) Um diese Menge zu erreichen, hätte man in Mainz 150 Liter, in Koblenz 280 Liter Rheinwasser täglich zu sich nehmen müssen. ({2}) Trotzdem, Vorsicht und Vorsorge der Wasserwerke waren völlig richtig, weil unsere Ansprüche an das Trinkwasser extrem hoch sind. ({3}) Es stellt sich aber die Frage, was die nordrhein-westfälischen Behörden bewogen hat, über zahlreiche Rundfunkmeldungen der Bevölkerung zu empfehlen, am Rhein die Hunde anzuleinen und Kinder vom Fluß fernzuhalten. Auch mit den Instrumenten der Warnung und Alarmierung muß behutsam umgegangen werden, wenn sie nicht stumpf werden sollen. Die Häufung der Störfälle am Rhein in diesen Wochen ist schon bemerkenswert. Es müssen alle denkbaren Ursachen untersucht werden, auch vorsätzliches Handeln kann dazu gehören. In diesem Jahr wurden bis gestern im Bundesgebiet 609 politisch motivierte Anschläge auf öffentliche Einrich19688 tungen, Industrieanlagen, Hochspannungsmasten, Eisenbahnen und Forschungsinstitute, also auf die Infrastruktur unserer Industriegesellschaft, verübt. ({4}) Wer will ausschließen, daß wir nicht auch in der Chemie mit Sabotage und terroristischen Anschlägen sogenannter militanter Autonomer und der Roten Zellen rechnen müssen? ({5}) - Das müssen gerade Sie sagen, Herr Ströbele. - Unsere Maßnahmen zur besseren Bekämpfung dieser militanten Gruppen sind auch in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. ({6}) Meine Damen und Herren, die SPD hat heute einen Umweltschutzentschließungsantrag eingebracht. Selten wurden so viele Verdrehungen, unbewiesene Behauptungen und Politladenhüter in einem Papier versammelt gesehen. Die EntschlieBung ist der peinliche Versuch der SPD, den GRÜNEN den Rang als Umwelthektiker abzulaufen. ({7}) Es ist falsch, daß die Umweltpolitik der 70er Jahre gegen die CDU/CSU erkämpft werden mußte. Das gesamte geltende Umweltrecht ist mit den Stimmen der Union im Bundestag geschaffen worden. Erst seit 1983 hat die Opposition, nämlich SPD und GRÜNE, unsere Umweltpolitik, die zur Verschärfung praktisch aller Umweltgesetze führte, abgelehnt. Es ist falsch, daß es am Rhein nur eine Schrekkensbilanz gibt. Die Gewässergüte des Rheins hatte sich in den vergangenen zehn Jahren, von diesem schrecklichen Sandoz-Unglück abgesehen, sehr verbessert.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Laufs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe nur noch zwei Minuten. Danke. 550 Rheinkilometer sind durch ständige Einleitungen nur noch mäßig belastet. 50 Kilometer des früher sehr stark verschmutzten Rheins konnten um zwei Gewässergüteklassen angehoben werden, auch in Nordrhein-Westfalen gerade in den 80er Jahren. Wir sind deshalb j a so empört über die Folgen des schweren Chemieunglücks in der Schweiz. Es ist falsch, daß die Maßnahmen zur Schadstoffminderung beim Kraftfahrzeugverkehr gescheitert sind. Die Nachfrage nach Katalysatoren und Nachrüstsätzen ist so groß geworden, daß es derzeit Lieferschwierigkeiten gibt. An 11 000 Tankstellen kann man heute bleifrei tanken. Eines ist allerdings richtig, Herr Kollege Hauff, die SPD hat dafür nichts getan, als sie regierte. Herr Kollege Hauff, am 15. Juli dieses Jahres haben Sie noch öffentlich eingestanden, daß auch Sozialdemokraten häufig umweltpolitische Ziele im Konflikt mit wirtschaftlichen Interessen zurückgestellt haben. Bewußtsein und Handeln blieben hinter den umweltpolitischen Notwendigkeiten zurück, sagten Sie. Jetzt ohne Verantwortung kommen von Ihnen die großen verbalen Kraftakte. Was soll denn hier dieser prahlerische Hinweis auf die freiwilligen Emissionsminderungspläne in Nordrhein-Westfalen und Hessen? ({0}) Meinen Sie wirklich, daß Borken in Hessen und vor allem Ibbenbüren schon vergessen sind? Für 1987/1988 hatte Herr Rau dort einen Jahresausstoß von 1 700 t Stickoxid versprochen. Inzwischen sind das 34 000 t in zwei Jahren. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die zum 1. Juli 1983 von uns erlassen wurde - verzeihen Sie, daß das so lange gedauert hat, aber man hätte sie ja 13 Jahre früher erlassen können -, ({0}) Herr Kollege Hauff, hat bis heute schon bewirkt, daß ein Drittel der Kraftwerksleistung entschwefelt ist. In wenigen Jahren werden wir mit dem Schwefelausstoß wieder dort sein, wo Deutschland vor 100 Jahren war. ({1}) Richtig ist, daß wir von CDU/CSU und FDP noch nicht alle umweltpolitischen Ziele erreicht haben. ({2}) Deshalb wollen wir auch weiter regieren. Erfolgreiche Umweltpolitik braucht über die Tagespolitik hinaus Stetigkeit und wissenschaftliche Gründlichkeit. Kampagnen, Angstmache und grüne Happenings am Rhein lösen nichts. ({3}) Die Regierung aus Union und FDP wird unsere natürlichen Lebensgrundlagen wirksam schützen und sichern. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein. Ich hoffe, daß sich das Haus ein wenig ruhiger verhalten wird, als es bei dem Vorredner der Fall war.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist verständlich, wenn eine Bundesregierung sechs Wochen vor dem Wahltag versucht, in einer umweltpolitischen Debatte eine auf Hochglanz polierte Bilanz vorzulegen. Es ist nicht fair, Herr Kollege Laufs, wenn Sie, anstatt zur Sache zu reden, Ablenkungsmanöver veranstalten ({0}) und so tun, als ob Teile der Umweltverbände in die Nähe von Terroristen zu rücken wären. ({1}) Weiterhin ist es nicht verzeihlich, Herr Kollege Laufs, die Unwahrheit zu sagen, z. B. über 13 Jahre Umweltpolitik der sozialliberalen Regierung. ({2}) Sie waren seit 1976 im Bundestag wie ich auch. Ich bin gerne bereit, mit Ihnen ein mehrstündiges Kolloquium zu veranstalten und Unterlagen darüber auf den Tisch zu legen, was war. ({3}) - Sie wissen es. Wenn Sie aber versuchen, eine scheinbar sehr umfangreiche Leistungsbilanz vorzulegen ({4}) - ich bitte um Ruhe; der Herr Präsident hat darum gebeten -, dann müssen Sie sich auch gefallen lassen, meine Damen und Herren von der Koalition, daß wir eine noch viel umfangreichere Unterlassungsbilanz dagegenhalten. ({5}) Auf dem umweltpolitischen Unterlassungskonto dieser Regierung stehen nämlich dicke Minusposten, z. B. das wegen zu schwachbrüstiger Maßnahmen nicht gebremste Waldsterben, z. B. die Katalysatorpleite von Luxemburg, ({6}) z. B. das mißlungene Abfallgesetz, das die Einwegverpackungsflut nicht stoppt, sondern vermehrt, z. B. das verstümmelte Bundesnaturschutzgesetz ohne Verbandsklage, ohne Änderung der Landwirtschaftsklausel, ohne wirksamen Artenschutz ({7}) - jetzt hören Sie auch mal zu -, z. B. das in der Schublade verschwundene Bodenschutzkonzept, ({8}) mit dem Sie den rasanten Landschaftsverbrauch eindämmen wollten, z. B. das Null-Resultat bei der Altlastensanierung. ({9}) Meine Damen und Herren, Fazit: mehr Versäumnisse als Erfolge! ({10}) Eine engagierte Politik für die Umwelt müßte anders aussehen. An konstruktiven Vorschlägen der Opposition, ({11}) an wissenschaftlicher Zuarbeit hat es wahrlich nicht gefehlt. Es hat gefehlt am politischen Willen; das ist die Wahrheit. ({12}) In ihren Leitlinien zur Umweltvorsorge vom September 1986, die heute zur Debatte stehen, erklärt die Bundesregierung, ihre Umweltpolitik sei darauf gerichtet, „Tiere, Pflanzen und Ökosysteme auch um ihrer selbst willen zu schützen". Sehr schön! ({13}) - Herr Schmidbauer, Sie sollten auch mal zuhören. ({14}) Aber zur gleichen Zeit streichen die Vertreter der Regierungsparteien aus der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes zwei wichtige Wörtchen. Da hieß es nämlich in § 1: Natur und Landschaft seien nicht nur als Lebensgrundlagen des Menschen, sondern auch „an sich" schützenswert. Diese zwei Wörtchen wurden von Ihnen eliminiert, herausoperiert. Worte und Taten? ({15}) Wie sagte doch der Bundespräsident am 7. Oktober vor der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen: „Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst willen schützen, wird sie uns erlauben zu leben." Der Bundespräsident hat recht. ({16}) Herr Umweltminister Wallmann hat hier einen langen Katalog von Maßnahmen aufgeblättert, mit denen er künftige Katastrophen wie die Rheinverseuchung verhindern will. Ich frage nur, Herr Minister: Warum erst jetzt? Den allergrößten Teil dieser Maßnahmen hatten wir bereits in unserem Konzept für eine umweltverträgliche Chemiepolitik vorgeschlagen. Dieses Konzept wurde abgelehnt. ({17}) Wir hatten am 13. November in diesem Haus einen Entschließungsantrag mit konkreten Forderungen vorgelegt. ({18}) Auch dieser wurde in Bausch und Bogen abgelehnt. Das ist nämlich die Wahrheit. ({19}) - Keine Grundsätze, konkrete Vorschläge, Herr Göhner. - Dennoch: Wenn diese Maßnahmen in wirksame, ernstgemeinte Vorschriften umgesetzt werden bis hin zu Produktionsverboten, haben Sie unsere Unterstützung; nicht aber, wenn sie wieder aufgeweicht und mit tausend Schlupflöchern und Ausnahmeregelungen versehen werden. Sie wollen morgen das Abwasserabgabengesetz verabschieden. Frage: Warum haben Sie die Abwasserabgabe nicht drastisch erhöht, wie wir dies beantragt hatten? ({20}) Vielleicht, verehrter Herr Kollege Laufs, können Sie das morgen noch reparieren. Solange es nämlich billiger bleibt, nicht nur verschmutzte Abwässer, sondern auch Giftfrachten in die Flüsse zu leiten, so lange wird dies eben getan. Da nützen alle wohlklingenden Appelle nichts. Sie sagen in Ihren Leitlinien, Produzenten und Verbraucher möchten sich doch, bitte schön - Zitat - „ihrer Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit bewußt sein". Klingt es angesichts der jüngsten Vorgänge nicht nach gerade wie Hohn, wenn die Bundesregierung kühl verkündet, die Marktwirtschaft diene dem Umweltschutz am besten, weil man auf die „Eigeninitiative" der Wirtschaft setzen könne? Die Eigeninitiative der Chemieriesen bestand doch wohl darin, möglichst viel an Reingewinn für ihre Unternehmen herauszuwirtschaften ({21}) und möglichst wenig für Sicherheits- und Umweltschutzmaßnahmen auszugeben. Wie hätte es sonst sein können, daß nicht einmal automatische Alarm-und Abschaltvorrichtungen in den Kühlsystemen eingebaut waren, in denen giftige Stoffe, wie das Herbizid 2,4 D oder Dichlorbenzol, gekühlt wurden. Die Sicherheitsvorkehrungen müßten dem „Stand der Sicherheitstechnik" entsprechen: § 3 der Störfall-Verordnung. Keine Rede davon. Zum Thema Meldepflichten schreibt die StörfallVerordnung vor - ich zitiere wörtlich -: Der Betreiber hat der zuständigen Behörde unverzüglich mitzuteilen: 1. den Eintritt eines Störfalls oder 2. eine Störung des bestimmungsgemäßen Betriebs, bei der der Eintritt eines Störfalls nicht offensichtlich auszuschließen ist. So in Kraft gesetzt von der Regierung Helmut Schmidt im Juni 1980, von den Ländern aber nicht vollzogen. Denn was haben die Verantwortlichen bei BASF, bei Bayer, bei Hoechst und auch bei Sandoz getan? Sie haben erst ein Viertel der Wahrheit zugegeben, dann ein Drittel, dann die Hälfte, bis endlich nichts mehr zu verheimlichen war. Jetzt werden Entschädigungen angeboten. Das ist sicher nötig, aber wer bezahlt den Tod eines Flusses, die Zerstörung eines Ökosystems? BASF hatte 1985 einen Jahresumsatz von 44 Milliarden DM und einen Reingewinn in Milliardenhöhe. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich habe nichts dagegen, daß Betriebe Gewinne machen, ({22}) damit Investitionen ermöglicht werden und damit Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden. Aber ich habe sehr wohl etwas dagegen, Herr Kollege Schmidbauer, daß Supergewinne mit unverantwortlichen Risiken für Natur und Umwelt erkauft werden. ({23}) Die Politik hat die Aufgabe, klare und, wenn es sich um Gifte handelt, knallharte Vorschriften zu erlassen und sie auch durchzusetzen. Herr Minister Wallmann, Sie werden nicht nur die Störfallverordnung, sondern auch Ihre Leitlinien zur Umweltvorsorge noch einmal überprüfen müssen. Sonst verdienen sie den Namen „Vorsorge" nicht. In diesen Leitlinien kommt die Bundesregierung nämlich auf Katzenpfötchen daher. Nehmen wir das Kapitel „Instrumente". Sie verspricht, nicht auf Ge- und Verbote zu verzichten - einverstanden. Sie verspricht auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die schon längst überfällig ist. ({24}) Sie setzt aber auf wirtschaftliche Anreize, auf Selbstverpflichtungen, auf Zusagen der Produzenten, auf Information, Beratung und Umwelterziehung. Das ist weiße Salbe, Herr Minister! ({25}) Oft genug haben sich in der Vergangenheit freiwillige Vereinbarungen als stumpfe Waffen erwiesen. Wie lange noch wollen Sie darauf bauen? Angesichts der Umweltnotstände - der sterbende Wald und der vergiftete Rhein sind ja nur zwei besonders dramatische Beispiele - reichen Streicheleinheiten nicht mehr aus. Hier ist politischer Handlungsbedarf gegeben, und zwar dringender! ({26}) Wir fordern ein neues Haftungsrecht: Wer Umweltschäden anrichtet, muß auch dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn keine absichtlich schuldhaften Handlungen nachgewiesen werden können. Andere Länder wie Japan haben mit der verschuldensunabhängigen Haftung im Umweltrecht gute Erfahrungen gemacht. Wir fordern weiter eine drastische Erhöhung der Strafen für Umweltsünder, denn Umweltzerstörung ist kein Kavaliersdelikt. Aber wir wollen nicht, daß gerade im Umweltstrafrecht nach dem Motto „Die Kleinen hängt man, und die Großen läßt man laufen" verfahren wird. Für so gravierende Vorgänge wie die der letzten Wochen genügt die Einstufung als Ordnungswidrigkeit nicht. Hier müssen Straftatbestände geschaffen werden! ({27}) Schließlich brauchen wir eine Ökopolizei, um die Chancen zu vermindern, bei Umweltkriminalität unerkannt davonzukommen. Um das Gefahrenpotential an der Quelle zu verringern, müssen endlich alle diejenigen giftigen Stoffe verboten werden, für die heute schon unschädliche Ersatzstoffe vorhanden sind. Wir fordern Umweltabgaben, denn Umweltverschmutzung darf es nicht zum Nulltarif geben. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat ihren Umweltbericht 1985 vorgelegt. Sie findet sich darin außerordentlich gut. Aber selbst die inzwischen schon zum Ritual erhobene Behauptung, man habe einen entscheidenden Schritt - „Durchbruch" heißt es - in der Luftreinhaltung durch die Einführung des schadstoffarmen Autos getan, macht die bedrückende Wirklichkeit nicht besser. Herr Minister, der Umweltbericht 1985 ist nicht unter Ihrer Federführung, sondern unter der Ihres Vorgängers entstanden. Dieser Bericht ist streckenweise eine Litanei nicht eingelöster Ankündigungen. ({28}) Wir haben leider erleben müssen, daß der frühere Umweltminister Zimmermann ein Umfallminister war. Schlimmstes Beispiel hierfür ist das Beispiel Katalysatordebakel. Wir können uns keine weiteren Umfallaktionen leisten!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, ich muß Sie darauf machen, daß Sie Ihre Redezeit deutlich überschreiten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt zum Abschluß kämen.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort zu Ende. - Wir können uns keine weiteren Umfallaktionen leisten, weder in der Bundesrepublik noch in der EG noch im internationalen Bereich. Zur Debatte stünde auch der von Ihnen abgeschmetterte Antrag zum Thema „Global 2000". Aber diesen kann ich nicht mehr abhandeln. Nur einen Satz will ich dazu noch sagen: Nationale, EG- und internationale Umweltpolitik gehören eng zusammen. Es ist auch für den Bundestag insgesamt eine Schande, daß wir die Problematik „Global 2000" verdrängen, und daß Sie es im Ältestenrat geschafft haben, daß mit in diese Debatte hineinzupacken. Als ob die Pestizide, die bei uns verboten sind, aber weiter produziert und exportiert werden ...

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, meine Geduld ist jetzt wirklich zu Ende. Sie sind so deutlich über der Redezeit! Das ist schon ein gewisser Mißbrauch meiner Großzügigkeit.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

... nicht wieder als Bumerang zu uns zurückkämen! Das ist unerträglich. Die Politik hat das zu unterbinden. Dazu müssen Sie sich noch einiges einfallen lassen, Herr Minister! Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. - Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Geduld. ({0}) - Das war nötig, Herr Schmidbauer.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Wittmann aus Tännesberg.

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einige Bemerkungen zu meinen Vorrednern machen. Frau Hönes, ich wäre an Ihrer Stelle sehr vorsichtig, wenn Sie die Koalitionsparteien und den Minister mit dem Wort „Heuchelei" kennzeichnen. Ich glaube, Sie sollten bei sich selber einmal ein bißchen nachsehen, wo die Heuchelei ist. Ich habe es leider nicht mehr überprüfen können, halte es aber einfach nicht für richtig, daß Bayer wie sie sagen, täglich 50 t Schwermetalle in den Rhein einleitet. Es wäre aber sicher typisch für Ihre Handlungsweise in der Öffentlichkeit, daß Sie durch falsche oder verdrehte Zahlen versuchen, Emotionen zu wecken. ({0}) Ein Zweites: Wenn wir uns gemeinsam - da meine ich sowohl die Koalitionsfraktionen als auch die SPD im Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bemühen, Probleme - wie ein neues Naturschutzgesetz, wie z.B. die Gesetze, die morgen verabschiedet werden, das Abwasserabgabengesetz oder das Gesetz über die Strahlenschutz-vorsorge - zu lösen, glänzen Sie mit Abwesenheit. Sie könnten einen guten Beitrag zum Umweltschutz leisten, indem Sie weniger Papier produzierten, damit unsere Bäume geschont würden, und dafür mehr im Ausschuß sachlich mitarbeiteten. ({1}) Frau Kollegin Hartenstein, ich hätte fast das Wort des Kollegen Schmidbauer aus einer der letzten Plenarsitzungen aufgegriffen, der gesagt hat: „Es geht an die Schmerzgrenze." Ich glaube, daß das was Sie mit dieser Polemik gesagt haben, wirklich ein bißchen an die Schmerzgrenze gegangen ist. Wenn Sie vom Naturschutzgesetz gesprochen haben, muß ich Sie daran erinnern, daß bei den Worten „die Natur an sich zu schützen" auch ganz große Bedenken aus Ihren Reihen gekommen sind. ({2}) - Fragen Sie Ihren Kollegen Immer ({3}), der in dieser Frage auf mich zugegangen ist und gerade zu diesem Punkt eine ausführliche Diskussion gewünscht hat. ({4}) Wittmann ({5}) - Frau Kollegin Blunck, ich könnte dies vielleicht in einer Gegenüberstellung klären. Herr Immer hat erst vor kurzem über diese Sache mit mir gesprochen. Wir wären an sich j a bereit gewesen, das aufzunehmen. Wir haben aber auf Grund der noch nicht vollendeten Diskussion in dem Bereich diese Dinge hinausgeschoben. Wir haben aber im Biotopschutz bahnbrechende Neuerungen eingebaut. ({6}) Wenn Sie, Frau Kollegin Hartenstein, von der Landwirtschaftsklausel sprechen, muß ich Ihnen eines sagen: Uns geht es im Umweltbereich nicht um Aktivismus in allen möglichen Gesetzen, sondern um sinnvolle Regelungen, die letztlich unserer Umwelt und der Zukunft des Menschen weiterhelfen. ({7}) Ein weiterer Aspekt, den ich noch ansprechen möchte; ist das Abwasserabgabengesetz. Es ist sicher morgen an der Zeit, darüber zu reden. Aber eines möchte ich Ihnen sagen: Wir haben genau das gemacht, was machbar ist, nämlich die Schwellenwerte ab 1989 eingeführt und dafür gesorgt, daß für all diejenigen, die in unserer Industrie keinen Umweltschutz betreiben wollen, erheblich höhere Abgaben kommen. Daß wir die Abgaben, wie es Herr Wolfgramm gesagt hat, nicht gleich für das nächste Jahr erhöht haben, hängt letztlich damit zusammen, daß wir es unseren kommunalen Gebietskörperschaften nicht zumuten können, innerhalb weniger Wochen alle Satzungen und Bescheide zu ändern. Die letzten Vorfälle am Rhein haben bewiesen, daß die Bundesregierung im Bereich der Umweltpolitik handlungsfähig ist. Dies zeigt schon allein die Tatsache, daß der hessische Umweltminister nach den Sandoz-Unfällen den verzweifelten Versuch gemacht hat - Sie können sich vielleicht an die Ausschußsitzungen erinnern -, wenigstens formale Fehler bei der Bewältigung des Unfalles durch die Bundesregierung zu finden. Die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung sind eine geeignete Grundlage für weitere - ({8}) - Frau Blunck, vielleicht muß ich jetzt doch noch unterbrechen und Sie darauf hinweisen: Ich bin schon bei einem anderen Punkt meiner Rede. Wir können das ein anderes Mal fortsetzen. Wir haben hier also erhebliche Voraussetzungen für die Bewältigung der Probleme geschaffen. Wir haben aber nicht erst reagiert, als die Unfälle passiert waren. ({9}) Ich möchte deshalb auf drei Unterlagen verweisen, die heute unter vielen zur Beratung anstehen: das Programm „Umweltforschung und Umwelttechnologie" 1984 bis 1987, den Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen auf allen Gebieten des Umweltschutzes und vor allem die Leitlinien zur Umweltvorsorge. Wir haben damit das getan, was im Umweltschutz notwendig ist. Wir haben nicht jeden Tag ein neues Theme zum Thema des Tages gemacht, sondern wir haben eine langfristige Perspektive geschaffen und damit echte Vorsorgepolitik gemacht. Wir haben bewiesen, daß wir in der Lage sind, das Ordnungsrecht dort einzusetzen, wo es notwendig ist. Wir werden auch im Bereich der Umweltverträglichkeit noch einiges zu tun haben. Wir werden aber auch auf die freien Kräfte der Sozialen Marktwirtschaft und die verantwortlichen Kräfte setzen und werden weiterhin freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie abschließen. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluß kommen.

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen letzten Satz, Herr Präsident. Die Frau Kollegin Hartenstein hat auch etwas überzogen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter Wittmann, wenn es denn auch wirklich der letzte Satz ist.

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein letzter Satz zu dem vorliegenden Entschließungsantrag der SPD „Gesundheit und Umwelt", der letztlich nur eine Wiederholung der von der Bundesregierung bereits eingeleiteten Maßnahmen enthält. Gerade in diesem Bereich ist ein wesentlicher Aspekt nicht berücksichtigt, nämlich daß eine Umweltpolitik auch eine vernünftige Umwelterziehung beinhaltet. Wenn wir heute wissen, daß der Grund für Krebs zu 80 % aus dem persönlichen Verhalten jedes einzelnen resultiert, d. h. also, aus den Ernährungsgewohnheiten, aus dem Sonnenbaden, aus dem Nikotin usw., dann wissen wir, daß gerade die Umwelterziehung ein wesentliches Faktum unserer Politik sein muß.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Wittmann, wir haben offensichtlich sehr unterschiedliche Vorstellungen über einen Satz.

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb bin ich überzeugt, daß mit unserer Politik nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die Lebensqualität steigen wird. Ich bedanke mich. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich verständlich, daß angesichts der Ereignisse der letzten Wochen hier das Thema Rheinverschmutzung im Mittelpunkt steht. Das ist richtig. Ich will dennoch auf einen anderen Aspekt der 14 Einzelpunkte, die hier bei diesem TagesordnungsMüller ({0}) punkt zur Beratung anstehen, intensiver eingehen, nämlich auf das Thema „Umwelt und Gesundheit". Das ist auch deshalb wichtig, weil die Ereignisse der letzten Wochen auch wieder deutlich gezeigt haben, daß unsere Politik eigentlich von Vergiftung zu Vergiftung hinterherläuft, daß wir aber zu dem, was wir eigentlich betreiben müssen, nämlich zu einem systematischen, vorsorgenden und langfristig angelegten Schutz, nur wenig kommen. Das gilt gerade für einen Punkt, der mit im Mittelpunkt des Umweltschutzes steht, nämlich den Schutz der Gesundheit. ({1}) Ich sehe hier Alarmsignale auf uns zukommen, bei denen wir nicht warten dürfen, bis dann ähnliche Vergiftungen, ähnliche Unfälle passieren, ({2}) wie wir sie jetzt wieder in einer sehr brutalen Form mit dem Rhein erlebt haben. Deshalb ist es wichtig, besonders auch im Zusammenhang mit den Rheinvergiftungen, über andere umweltpolitische Gefahren, die auf uns zukommen, zu reden und deutlich zu machen, daß wir hier alle gemeinsam Verantwortung zur Schadensabwehr tragen. ({3}) Für mich ist es ein Problem, das es bislang in der umweltpolitischen Diskussion zu wenig Beachtung findet, welchen Zusammenhang es zwischen umwelttoxikologischen Problemen und der menschlichen Gesundheit gibt. Dies muß meines Erachtens in der Zukunft weitaus mehr Aufmerksamkeit finden, vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß Umweltgifte sehr langfristig auf die menschliche Gesundheit wirken und zu sehr langfristigen Veränderungen führen, wobei die Gefahr besteht, daß kurzfristige Reparaturen und Schadensbegrenzungen nicht mehr möglich sind; zweitens, aber auch unter dem Gesichtspunkt, daß gerade bei der Gesundheitspolitik eine isolierte Betrachtung einzelner Umweltbereiche und einzelner Stoffe oft nicht weiterhilft; und drittens, daß aus einer Vielzahl Untersuchungen hervorgeht, daß Umweltgifte neben der genetischen Disposition und persönlichem Fehlverhalten ein entscheidender Faktor für bestimmte Krankheiten ist. Ich will hier nicht Statistik gegen Statistik stellen, denn ich glaube nicht, daß diese gesundheitlichen Schäden monokausal nachweisbar sind. Es gibt vielmehr eine Fülle von unterschiedlichen Ursachen. Eine der entscheidenden Ursachen ist aber zweifellos der Anstieg der Umweltbelastungen. Zu einer vorbeugenden, vorsorgenden Gesundheitspolitik gehört untrennbar, Umweltbelastungen zu reduzieren und ihre Ursachen zu beseitigen. Aber man darf eben nicht nur auf die anderen Probleme hinweisen, in der Umweltpolitik aber nur unzureichend handeln. ({4}) Sehen wir stärker diesen Zusammenhang, dies ist die Aufgabe, vor der die Politik steht. Für die Gesundheitspolitik und den Gesundheitsschutz muß man zwei in bezug auf unsere Umweltpolitik entscheidende Tatsachen feststellen. Die erste ist: Die bisherige Umweltpolitik reagiert meistens sehr kurzatmig. Sie ist nicht langfristig angelegt. Trotz gewachsenen Umweltbewußtseins haben wir die Umweltzerstörung zwar abgemildert, aber ihre Entwicklung nicht umgedreht. Der zweite Tatbestand ist: Die Umweltpolitik blieb bisher im Kern auf Schadensbegrenzung reduziert. Sie ist also auf eine nachträgliche Reparatur der Umwelt angelegt. Sie ist bei der Komplizität von verschiedenen Ursachen aber nicht in der Lage, einen vorbeugenden Schutz zu gewährleisten. Aus all dem ergibt sich, daß wir gerade bei dem Thema Gesundheitspolitik sehen müssen, daß es heute eine Reihe von Faktoren gibt - dazu gehören zweifellos Streßbelastungen; dazu gehören zweifellos veränderte Lebensweisen; dazu gehört aber auch und ganz zentral die steigende Zahl von Umweltvergiftungen -, die die Gesundheit anders und weitreichender gefährden, als das in der Vergangenheit der Fall war. Das müssen wir ernster nehmen, als das bisher der Fall war. ({5}) Wir müssen sehen, daß der Wald langfristig stirbt - nicht durch ein Ereignis - und daß der Mensch auch ein biologisches System ist, das durch langfristige Entwicklungen gefährdet ist. ({6}) Das bedeutet, daß wir vorbeugend handeln müssen und eine aktive Gestaltung erforderlich ist. Dies steht in Widerspruch zu der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage „Gesundheit und Umwelt". Die Bundesregierung schreibt hier: „Konsequenzen für ein politisches Handeln können erst" - ich betone: erst -„gezogen werden, wenn gesicherte Erkenntnisse vorliegen, d. h. wenn allseitige wissenschaftliche Überprüfungen stattgefunden haben." Wir streiten überhaupt nicht ab, daß es notwendig ist, die wissenschaftliche Arbeit zu verstärken. Wir stellen dem aber entgegen, daß es eine Vielzahl von Hinweisen gibt, die plausibel machen, daß es einen engen Zusammenhang zwischen Umweltgiften und Gesundheitsgefährdungen gibt. ({7}) - Wenn dies aber so ist, dann gibt es eine Verantwortung, zukunftsorientiert zu handeln. Das heißt: Handeln nach Verdachtsmomenten zur Gefahrenabwehr. Das ist das Entscheidende. ({8}) Das gilt besonders, wenn meine Ausgangsthese stimmt, daß die Veränderungen im biologischen System sehr langfristig ablaufen. Dann ist es eben nicht mehr möglich, erst nach Kenntnis der Schäden zu handeln. Im Gegenteil: Dann ist auch die Reparatur erst langfristig möglich. Gerade wenn Müller ({9}) das so ist, muß unsere Devise heißen: vorbeugendes Handeln und Handeln hin auf Verdachtsmomente. ({10}) Das ist ein Grundsatz, der hier in der Bundesrepublik zu kurz kommt. Wir stellen für den Bereich der Gesundheitspolitik fest, daß die statistisch-epidemiologische Forschung, gerade was den Zusammenhang zwischen Umwelt und Gesundheit betrifft, unterentwickelt ist. Wir stellen fest, daß wir zu wenig über langfristige Wirkungsketten im Verhältnis Natur - Mensch wissen. Wir stellen fest, daß gerade angesichts der Komplexität der Einflußfaktoren eine vorbeugende Politik notwendig als schützende Vorsichtsmaßnahme ist. Dies ist besser, als zu warten, bis der Schadensfall eingetreten ist und uns überrascht. Wir sagen darüber hinaus, daß das Risiko nicht nur allgemein, auf den typischen „Durchschnittsmenschen" ausgerichtet werden darf. Die einzelnen Menschen und damit die einzelnen gesundheitlichen Systeme reagieren sehr spezifisch auf Umweltbedingungen. Diese Reaktionen stehen beispielsweise im Zusammenhang mit sozialen Faktoren, mit regionalen Faktoren, mit dem Alter und mit vielen anderen Bedingungen. Das heißt, auch da können keine einheitlichen wissenschaftlichen Standards vorgegeben werden, sondern es ist erforderlich, vor allem Vorbeugung zum Gesundheitsschutz zu betreiben. ({11}) Ich erinnere hier daran, daß die Regionalgruppe Europa der Weltgesundheitsorganisation in ihrem Gutachten „Gesundheit 2 000" dazu aufgefordert hat, radikale Veränderungen durchzuführen, damit wir nicht in eine Gesundheitskrise geraten. Sie nennt insbesondere zwei entscheidende Veränderungen, die notwendig sind. Das erste ist: Wir müssen die veränderten Erscheinungsbilder von Krankheiten ernster nehmen. - Dazu mache ich gleich noch eine Bemerkung. Das zweite ist: Wir müssen aufhören zu glauben, wir könnten Krankheiten auf einer stets höheren Stufe immer wieder mit neuen medizinischen Wundermitteln beseitigen. ({12}) Beides sind nach Auffassung der Weltgesundheitsorganisation Irrwege. Ich teile diese Auffassung. Wenn man konsequente Umwelt- und Gesundheitspolitik betreibt, geht es auch darum, die Arbeits- und Produktionsweisen insgesamt zu ändern und von vornherein systematisch die Umwelt und den Gesundheitsschutz einzubeziehen. Zum Schluß will ich die Problematik bezüglich der veränderten Erscheinungsbilder von Krankheiten an einem Punkt verdeutlichen. Ich sehe mit Sorge, daß es Hinweise gibt, daß die menschliche Immunabwehr zur Schwachstelle des Gesundheitsschutzes wird. Wir wissen, daß das menschliche Immunsystem ein komplexes System ist, das auf die unterschiedlichen Einflüsse etwa wie ein fahrendes Auto reagiert, bei dem man je nachdem mehr oder weniger Gas geben muß. Wir erleben heute zwei zentrale Fehlreaktionen: Zum einen eine Zunahme von Überreaktionen. Das äußert sich in Allergien, Pilzwachstum und anderen Krankheiten, deren Zunahme von den Gesundheitsämtern registriert wird. Es gibt die zweite Störung: daß das Immunsystem unzureichend reagiert. So ist die Zunahme von Infekten und von Grippe- und Erkältungskrankheiten zu erklären. Wir müssen diesen Zusammenhang ernst nehmen, weil das bedeutet, daß die äußere Schutzbarriere des Menschen auf Grund der Einflüsse der Umwelt schwächer wird. Das bedeutet, daß das Körpersystem immer weniger mit den Umweltgiften „fertig" wird. Damit werden beim Menschen Krankheiten gefördert, die gefährlich sind. Ich erwähne beispielsweise die Zunahme von Krebs, von Herz-Kreislauf-Schädigungen, von Muskulaturschwächen und von Nervenschädigungen usw. Nehmen Sie diesen Zusammenhang ernster. Es gibt in der Zwischenzeit aus den USA Studien über diesen Zusammenhang. Es gibt wichtige immunologische Forschungsergebnisse, die diesen Zusammenhang als sehr begründet erscheinen lassen. Daraus müssen wir als politisch Verantwortliche auch hier Konsequenzen ziehen. Wir sollten nicht erst warten, daß beim Menschen dasselbe passiert wie jetzt beim Rhein. Schönen Dank. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen zu Beginn noch einmal ganz deutlich festhalten, daß diese Bundesregierung, daß dieser Bundesminister Wallmann eine Politik der Umweltvorsorge betreibt. Er führt sie fort - das sage ich mit Betonung -; er beginnt nicht jetzt erst damit. Walter Wallmann führt entschlossen und entschieden die Politik der Umweltvorsorge, der Zukunftsvorsorge, der Risikovorsorge fort. Herr Müller, es ist doch ein Plagiat, wenn Sie inhaltlich die von dieser Bundesregierung vorgelegten Leitlinien zur Umweltvorsorge hier zitieren und sie dann als Aufforderung an die Bundesregierung wiedergeben. Sie haben doch Gedanken für Gedanken aus diesen Leitlinien hier vorgetragen und die Bundesregierung aufgefordert, dies vorzulegen. Das liegt vor, Herr Müller; nehmen Sie das zur Kenntnis. Daran ist gearbeitet worden. Wir müssen uns von Ihnen nicht erst zum Arbeiten auffordern lassen. ({0}) Sie haben den Grundgedanken geäußert, Schadstoffe zu vermeiden, sie erst gar nicht entstehen zu lassen. Haben Sie denn das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die TA Abfall, das Abfallbeseitigungsgesetz nicht mitbekommen? Im AbfallbeseitigungsDr. Lippold gesetz steht die Formulierung „Vermeidung" vor „Beseitigung". Auch im Bundes-Immissionsschutzgesetz steht: erst vermeiden, die Schadstoffe gar nicht erst entstehen lassen. Dort ist die Rede vom integrierten Umweltschutz. Herr Müller, ich möchte Ihnen noch folgendes sagen - das tue ich selten -: Selbst die GRÜNEN attestieren Ihnen, daß Ihr Strohfeuerprogramm „Arbeit und Umwelt", das Sie vorgelegt haben, ein Reparaturprogramm ist, daß es keinen vorsorgenden Umweltschutz darstellt. ({1}) - Ich kann es aus Ihrer eigenen Presseerklärung zitieren, Frau Hönes. Es ist ganz einfach so, wie ich es hier sage. ({2}) Ich muß jetzt gar nicht den ganzen Katalog dessen aufzählen, was wir gemacht haben: von der Großfeuerungsanlagen-Verordnung über das Bundes-Immissionsschutzgesetz, über die TA Luft bis hin zum Abfallbeseitigungsgesetz, dem Wasserhaushaltsgesetz und dem Abwasserabgabengesetz. Das alles sind Maßnahmen, die greifen und die auf Vermeidung zielen. ({3}) Auch im Chemikaliengesetz ist es so. Es ist gehandelt worden. Nehmen Sie doch den Katalog, den die Bundesregierung, den Bundesminister Wallmann hier vorgelegt hat. Da ist das drin, was Sie haben wollen. Sie vermissen es; aber da ist alles drin. Wir brauchen uns von Ihnen nicht auffordern zu lassen. Ich zitiere nur einige Maßnahmen: Ausweitung der Liste störfallrelevanter Anlagen, Ausweitung der Stoffliste, Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Konkretisierung der Sicherheitsanforderungen. Ich könnte das jetzt über 35 Punkte fortsetzen, um deutlich zu machen, mit welcher Entschiedenheit hier vorgegangen ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Und nun noch ein Wort zur Kollegin Hartenstein, weil das ja nicht einfach so im Raume stehenbleiben kann. Frau Hartenstein hat vorhin von der Katalysatorpleite gesprochen und hat dabei hinübergeschaut zu dem früheren Minister Hauff. Recht hat sie getan, denn da gehört der Vorwurf hin. ({0}) 1972 war die damalige Bundesregierung im Amt, Herr Hauff hätte handeln können. Nur, Herr Hauff hat nicht gehandelt, bis 1982. Während andere Länder dies vorangetrieben haben, hat Herr Hauff zugesehen und nicht gehandelt. Seltsamerweise fällt ihm dann, wenn er in der Opposition ist, ein, daß man auch handeln könnte. Ich glaube, das ist zu spät, da müssen Sie früher wach werden, ({1}) damit hier etwas passiert. Wer den Einstieg in das Katalysatorauto verschlafen hat, kann unsere heutigen Erfolge nicht einfach leugnen wollen. Dazu fehlt Ihnen jedwede Berechtigung. Wir gehen doch auch auf noch eins hinaus. In langwierigen Verhandlungen ist erreicht worden - und das ist ein Verdienst von Minister Wallmann, der keine 100 Tage braucht, um sich warm zu laufen, und kein dreiviertel Jahr wie der hessische Umweltminister Fischer -, ({2}) daß im kommenden Jahr möglich werden wird, daß wir verbleites Normalbenzin vom Markt nehmen. Ihre Rezepte waren doch völlig falsch, im nationalen Alleingang das verbieten zu wollen. Da wären wir auf die Nase gefallen. Nichts wäre gelaufen. Aber mit diesen falschen Rezepten sind Sie draußen hausieren gegangen, um Stimmen zu fangen, nicht um die Sache weiterzubringen, was nötig gewesen wäre, sondern um Stimmen zu fangen. Das ist doch der Punkt. Sie betreiben keine Sachpolitik, sondern Sie schauen danach, wo man mit Emotionen bei der Bevölkerung, wo man mit Ängsten operieren kann. ({3}) Da stört Sie die Sache überhaupt nicht. Da sagen Sie an einem Tag Verbot der Braunkohlekraftwerke, weil die Emissionen schädlich sind, zum Waldsterben führen und die Kinder am Pseudokrupp sterben, und dann sagen Sie am nächsten Tag: Weg mit der Kernkraft, Kohlekraftwerke wieder ans Netz, Schadstoffe wieder raus, ({4}) als ob das nicht zum Waldsterben führen würde und als ob die Kinder dann nicht mehr Pseudokrupp bekommen würden. Deshalb ist das dort genauso wie hier. Hier wird - und deshalb sagen Sie ja immer „sofort handeln" - sofort gehandelt. ({5}) Aber ich glaube, es ist kein Fehler, daß dieser Minister im Gegensatz zum hessischem Umweltminister zunächst einmal die klaren sachlichen Voraussetzungen schafft, damit begründet und sachlich richtig entschieden werden kann. Das ist im wahren Interesse aller. Das ist auch im Interesse des Umweltschutzes. Eine noch so schnell eingeführte falsche Maßnahme ist schädlicher als eine kurze sachliche Prüfung und jetziges Handeln. ({6}) Das hat der Minister getan, und dafür danken wir ihm. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich kann also die Aussprache schließen. Wir kommen zur Abstimmung. Wir kommen zunächst zum Tagesordnungspunkt 4f, und zwar zu dem hierzu vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Vizepräsident Cronenberg 10/6616. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt. Zu den Tagesordnungspunkten 4 h, 4 m und 4 n schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/5921, 10/6028 und 10/4614 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - Weitere Vorschläge werden aus dem Hause nicht gemacht; dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6632 zu Tagesordnungspunkt 4 n ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt. ({0}) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 4 i, Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/5777. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3654 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Wir stimmen jetzt über den Tagesordnungspunkt 4 j ab, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 10/6578. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2791 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie zum Tagesordnungspunkt 4 k konnte nicht mehr rechtzeitig vorgelegt werden. Somit erübrigt sich eine Abstimmung. Wir kommen damit zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 41. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/6002 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit überwiegender Mehrheit ist die Beschlußempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag sowie dem Zusatzprotokoll vom 20. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über den Binnenschiffsverkehr - Drucksache 10/6113 - Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({1}) - Drucksache 10/6460 Berichterstatter: Abgeordneter Buckpesch ({2}) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist das Gesetz angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({3}) - Drucksache 10/5862 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) - Drucksache 10/6540 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Nöbel Krey ({5}) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Das Gesetz ist damit angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7, 8 sowie den Zusatzpunkt 3 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. März 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und St. Vincent und den Grenadinen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 10/6479 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({6}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. April 1986 zwischen der Vizepräsident Cronenberg Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bulgarien über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 10/6480 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({7}) Auswärtiger Ausschuß Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes betr. die Änderung vom 27. September 1984 der Satzung der Internationalen AtomenergieOrganisation - Drucksache 10/6600 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({8}) Ausschuß für Forschung und Technologie Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/6479, 10/6480 und 10/6600 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 bis 12 auf. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({9}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung ({10}) des Rates über die Nahrungsmittelhilfepolitik und -verwaltung und zur Aufhebung der Verordnung ({11}) Nr. 3331/82 - Drucksachen 10/6001 Nr. 2.3, 10/6266 Berichterstatter: Abgeordnete Brück Dr. Pohlmeier Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({12}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe bei Kap. 15 02 Tit. 685 02 des Haushaltsjahres 1986 ({13}) - Drucksachen 10/6155, 10/6471 Berichterstatter: Abgeordnete Rossmanith Waltemathe Dr. Müller ({14}) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({15}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Eisenbahnkonzept für den Schienenverkehr von und nach Berlin - Drucksachen 10/3901, 10/6469 Berichterstatter: Abgeordnete Schulze ({16}) Heimann Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({17}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des Bundesministers für das Post-und Fernmeldewesen über die Erschließung des Zonenrandgebietes im Bereich des Post-und Fernmeldewesens - Drucksachen 10/2660, 10/6468 Berichterstatter: Abgeordnete Stiegler Dr. Kunz ({18}) Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 9, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Drucksache 10/6266. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung angenommen. Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 10 ab, die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/6471. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 11, und zwar zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/6469. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen hat, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Keine Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Hierzu gibt es, glaube ich, eine persönliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Schierholz, die wir zu Protokoll genommen haben*). Wir stimmen nunmehr über den Tagesordnungspunkt 12 ab, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/6468. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -Gegenprobe! - Einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu der kurzen Mittagspause. Wir setzen die Sitzung um 14 Uhr mit der Fragestunde fort. Ich bedanke mich für Ihre Geduld. *) Anlage 3 Vizepräsident Cronenberg Die Sitzung ist unterbrochen. ({19})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksachel0/6593 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Sprung steht zur Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Schreiner auf: Ab wann und zu welchen Preisen ist mit dem Bezug von Strom durch die Badenwerk AG aus dem französischen Atomkraftwerkskomplex Cattenom zu rechnen?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Schreiner, zwischen der Badenwerk AG und der Electricité de France ({0}) besteht seit 1979 ein Vertrag, auf Grund dessen der Badenwerk AG Strombezugsrechte in Höhe von je 5% der Leistung der Kernkraftwerksblöcke Cattenom I und II von je 1 265 MW gegen Übernahme von 5% der Kosten der Errichtung und des Betriebs dieser beiden Blöcke eingeräumt sind. Block I hat inzwischen den Probebetrieb aufgenommen. Der regelmäßige Strombezug wird nach der industriellen Inbetriebnahme und Übergabe an den Besteller EdF aufgenommen und hängt damit vom Verlauf des Probebetriebes ab. Die Strombezugsrechte des Badenwerks hinsichtlich der während des Probebetriebs erzeugten elektrischen Energie werden entsprechend den Vereinbarungen der Beteiligten im Rahmen des Verbundbetriebes ausgeglichen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner. Bitte.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, welche Primärenergien in Baden-Württemberg sollen denn durch den künftigen Bezug in der von Ihnen genannten Größenordnung von Strom aus dem Atomkraftwerkkomplex Cattenom ersetzt werden?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Schreiner, da dieser Vertrag bereits im Jahr 1979 zwischen der Badenwerk AG und der EdF abgeschlossen worden ist, werden damals Überlegungen über die weitere Marktentwicklung angestellt worden sein. Die Badenwerk AG ist offenkundig der Auffassung, daß für diesen Strom Absatz vorhanden ist. Ob dafür andere Kapazitäten aus der Produktion herausgenommen werden müssen, kann ich nicht sagen. Ich gehe aber davon aus, daß das nicht der Fall ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann die Bundesregierung denn ausschließen, daß durch den künftigen Erwerb von Cattenom-Strom in Baden-Württemberg die Stromlieferungen aus saarländischer Steinkohle in Zukunft negativ berührt werden?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Schreiner, es handelt sich hier um 5% zweier Blöcke von je 1 265 MW. Dies ist eine vergleichsweise geringe Menge.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage von Herrn Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist zu befürchten, daß weitere Interessenten und Abnehmer aufkreuzen, und wird die Bundesregierung alles tun, vor allem in Brüssel, um zu verhindern, daß subventionierter französischer Kernenergiestrom in die Bundesrepublik kommt und heimische Braun- und Steinkohle verdrängt?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Wolfram, uns liegen keine Informationen vor, wonach andere Energieversorgungsunternehmen der Bundesrepublik beabsichtigen, Strombezugsrechte aus Cattenom zu erwerben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, zu der Frage, zu welchem Preis aus Cattenom geliefert wird, haben Sie bisher überhaupt noch nichts gesagt. Vielleicht könnten Sie dazu noch eine Anmerkung machen, und sind Sie mit mir der Ansicht, daß die Lieferung von Strom auf Grund von Kernkraft aus Frankreich die Kohlevorrangpolitik, der Strom aus Steinkohle in der Bundesrepublik Deutschland, elementar in Frage gestellt wird?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Jens, zur ersten Frage. Ich habe darauf hingewiesen, daß der Vertrag zwischen der Badenwerk AG und der EdF - Übernahme von 5% der Leistung der beiden Blöcke - gegen Übernahme von 5% der Kosten der Errichtung und des Betriebes eingeräumt wird. Dies ist die Angabe über den Preis. Darf ich die zweite Frage die Sie gestellt haben, noch einmal hören, Herr Jens?

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die zweite Frage lautete, ob durch die Lieferung von Strom aus Frankreich die Verstromung der deutschen Steinkohle in Frage gestellt wird.

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Jens, ich darf darauf hinweisen, daß dieser Vertrag - ich wiederhole es - im Jahre 1979 abgeschlossen worden ist. Wenn Sie also der Meinung sind, daß diese Gefahr heute bestehen könnte, hätten Sie damals rechtzeitig auf die Gefahr hinweisen können. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker ({0}).

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie steht eigentlich die Bundesregierung zu den Liberalisierungsplänen der EG-Kommission, insbesondere zu den Plänen des Herrn Mosar?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Becker, vom Jahre 1992 an werden wir einen vollständigen, umfassenden Binnenmarkt haben. Dann wird es auch für Stromlieferungen keine Grenzen mehr geben. Dann werden Bezüge auch aus anderen Ländern möglich sein. Allerdings möchte ich gleich deutlich machen, daß es für die deutschen EVUs die Verpflichtung aus dem Jahrhundertvertrag gibt. Sie ist auch nach 1992 einzuhalten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Electricité de France einen Schuldenberg von 214 Milliarden FF in 1985 hat und daß deshalb der Verdacht besteht, daß jeglicher Stromexport, den sie betreibt, vom französischen Steuerzahler subventioniert wird und dies auch künftig nicht mit der Entwicklung hin zu einem europäischen Binnenmarkt vereinbar ist? Dr. Sprung Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ähnliche Zahlen sind uns bekannt. Ich habe eine leicht höhere Zahl vorliegen. ({0}) Aber ich würde nicht den Schluß ziehen, daß sich daraus ergibt, daß der Strom subventioniert wird. Im Gegenteil: Bei einer so hohen Schuldenlast kann man davon ausgehen, daß ein Unternehmen alles tun wird, um einen Preis zu erzielen, der die Kosten deckt. Im übrigen gibt es für diese Behauptung, die hin und wieder zu hören ist, keine Anhaltspunkte oder gar Beweise. Ausgangspunkt für diese Behauptung sind in der Regel die im Vergleich zur Bundesrepublik um 20% bis 30% niedrigeren Kosten für die Erzeugung von Nuklearstrom in Frankreich. Hierfür gibt es andere plausible Gründe. Ich will sie Ihnen gerne nennen, wenn Sie sie hören möchten. ({1}) - Da ist einmal das hohe Maß an Standardisierung eines Reaktortyps zu erwähnen mit mehreren Blök-ken an einem Standort, was ganz gewiß entsprechend kostendegressiv wirkt. Dann ist aber auch darauf hinzuweisen, daß Frankreich für diesen Bereich ein etwa um 35% niedrigeres Lohnniveau aufweist als die Bundesrepublik.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).

Hans Werner Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die eben hier in der Frage apostrophierte Vorstellung des EG-Kommissars Mosar, die in der Tat eine Infragestellung der Subventionierung der europäischen Kohle beinhaltete, durch nachträgliches Einwirken der Bundesregierung bei der EG-Kommission als solche zurückgewiesen worden ist und damit auch die Erlaubnis seitens der EG-Kommission, eine nationale Kohlepolitik zu betreiben, wiederum gewährleistet ist? ({0})

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Das liegt voll auf der Linie unserer wirtschaftspolitischen Vorstellungen. So ist von unserer Seite aus verfahren. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, weil Sie eben davon gesprochen haben, daß die niedrigeren französischen Lohnkosten eine Rolle spielen: Können Sie mir bitte sagen, welchen Anteil die Lohnkosten bei der Kernenergie haben?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Ich kann Ihnen diese Frage im Augenblick nicht beantworten. Ich weiß nicht, welchen Anteil die Lohnkosten haben. Aber der Anteil ist vor allem bei diesem Prozentsatz nicht so gering, daß er sich nicht auf die Preise der Kilowattstunde auswirken wird. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiber.

Werner Schreiber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie noch einmal bestätigen, daß sowohl Planung wie Bau von Cattenom wie auch der von Ihnen eben erwähnte Vertrag des Badenwerks voll in die Zeit der sozialliberalen Koalition hineingefallen sind?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Ich habe, Herr Kollege, dreimal das Jahr 1979 erwähnt. Ich tue es jetzt ein viertes Mal: Dieser Vertrag ist im Jahre 1979 abgeschlossen worden, ({0}) unter der Verantwortung der sozialliberalen Koalition ({1}) wenn es so etwas gibt - denn es ist j a ein Vertrag zwischen zwei Unternehmen gewesen, der abgeschlossen worden ist -, dann unter der Verantwortung unserer Vorgängerregierung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe Frage 31 des Herrn Abgeordneten Schreiner auf: Über welche Trassenführung ist mit dem Bezug von Strom durch die Badenwerk AG aus dem französischen Atomkraftwerkskomplex Cattenom zu rechnen, und in welcher Höhe wird der Atomkraftwerkskomplex Cattenom vom französischen Staat subventioniert? Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Schreiner, nach Mitteilung der Badenwerk AG gehen die Vertragspartner auf Grund der Netztopologie davon aus, daß der Strombezug aus Cattenom über drei Verbundleitungen im badisch-elsässischen Raum sowie zusätzlich über den Verbund Frankreich-Schweiz erfolgt. In einem Verbundnetz wie dem westeuropäischen Stromverbund, in dem die elektrischen Netze von zwölf Ländern mit einer Kraftwerksleistung von über 220 000 MW zusammengeschaltet sind, stellt sich der Lastfluß ungeachtet von Unternehmens- oder Landesgrenzen und wirtschaftlichen Abmachungen auf Grund physikalischer Gesetze ein. Gewollte Stromaustauschgeschäfte zwischen Verbundpartnern kommen durch Einstellungen der Netzregler der verschiedenen Gesellschaften zustande. Der im Rahmen der Strombezugsrechte der Badenwerk AG aus Cattenom tatsächlich bezogene Strom muß deshalb keineswegs in Cattenom produziert sein, sondern kann durchaus aus grenznäheren französischen Kraftwerken im elsässischen Raum stammen. Im übrigen liegen der Bundesregierung keine Informationen vor, wonach die Errichtung des Kernkraftwerks Cattenom vom französischen Staat subventioniert worden ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, welche staatlichen Zuständigkeiten auf welcher Ebene sind im Fall von Atomstromimporten berührt?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Schreiner, ich bin jetzt nicht ganz sicher, ob es so etwas wie eine staatliche Zuständigkeit gibt. Zunächst einmal sind es die Unternehmen, die Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die diese Verträge abschließen und auch die Importe vornehmen, wobei sie ihre Verpflichtungen, die sie insbesondere der Bundesregierung gegenüber eingegangen sind - über den Jahrhundertvertrag -, natürlich voll wahrzunehmen haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da Sie soeben mit Blick auf die Preisgestaltung durch die Betreibergesellschaft Electricité de France angemerkt haben, die Gestehungskosten lägen etwa 20 bis 30 % unter dem deutschen Niveau, und dies mit verschiedenen Hinweisen zu begründen versucht haben, frage ich Sie, ob Sie sich auch vorstellen können, daß die niedrigeren Gestehungskosten auch damit zu tun haben, daß in den französischen Atomkraftwerken in einigen Bereichen deutlich andere, schlechtere Sicherheitsstandards gelten? Beispielsweise ist Cattenom nicht gegen Flugzeugabstürze ab einer Tonnage von 5,7 t aufwärts gesichert. ({0}) - Wieso? Das ist unglaublich.

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, ich darf darauf hinweisen, daß dieses Thema den Bundestag schon häufiger beschäftigt hat. Dazu ist auch Entsprechendes von seiten der Bundesregierung erklärt worden. Ich darf darauf verweisen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie können Sie und die Bundesregierung, für die Sie sprechen, erklären und vertreten, daß es zu Ihrer Politik gehöre, deutsche Exporte nach Frankreich wegzunehmen und damit Arbeitsplätze bei uns zu gefährden, und gleichzeitig sehenden Auges zulassen, daß französischer Überschußkernenergiestrom in die Bundesrepublik kommt und den von mir eben geschilderten Effekt noch verstärkt?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Wolfram, wir nehmen keine deutschen Exporte nach Frankreich weg. Das ist die erste Bemerkung, die ich machen wollte. Ich weiß nicht, aber Sie haben es wahrscheinlich anders gemeint, als Sie es ausgedrückt haben. Zum zweiten: Ich habe auf die Dimension aufmerksam gemacht. 1 265 MW mal zwei, davon 5 %. Herr Kollege Wolfram, ich habe noch eine andere Zahl genannt. Vor dem Hintergrund von 220 000 MW, die sich im Verbundnetz befinden, relativiert sich sicherlich erstens die Zahl von 5 % und zweitens auch Ihre Aussage.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage des Abgeordneten Müller ({0}).

Hans Werner Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, halten Sie es grundsätzlich für möglich, ob jetzt oder nach 1992, nach der Einführung des europäischen Binnenmarktes, an den Binnengrenzen innerhalb der EG überhaupt Stromabschottungen vorzunehmen?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Müller, das wird nicht möglich sein, weil die vertraglichen Vereinbarungen dies dann nicht mehr ermöglichen. Aber noch einmal: Ich weise immer wieder darauf hin, daß es Verpflichtungen der deutschen EVUs gibt, die so etwas wie eine Versorgungssicherheit, insbesondere eine Sicherheit für den Absatz deutscher Kohle, beinhalten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie hatten vorhin gesagt, daß die Zahl 214 Milliarden FF - wenn ich das richtig im Kopf habe - Schulden für die staatliche Elektrizitätsversorgungsgesellschaft in Frankreich zu gering sei. Können Sie mir freundlicherweise den genauen Betrag der bestehenden Schulden dieser staatlichen Gesellschaft sagen? Können Sie mir freundlicherweise auch sagen, wie denn dieser Schuldendienst bedient werden soll?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Jens, ich kann von einer Größenordnung sprechen. Ich habe eine Zahl, die ist ein wenig höher. Bei 220 Milliarden FF liegt diese Größenordnung. Ich glaube aber, den Kopf darüber, wie sie diesen Schuldendienst aufbringen will, muß sich schon die EdF zerbrechen. Das kann die Bundesregierung wirklich nicht tun. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Fragen 32 und 33 werden auf Wünsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Frage 34 wird auf Grund der Richtlinien zur Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit ist Ihr Geschäftsbereich beendet. Schönen Dank, Herr Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Herr Staatsminister Vogel steht zur Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Soell auf: Wen hat der Bundeskanzler mit seiner in der „Monitor"Sendung vom 21. Oktober 1986 wiedergegebenen Äußerung „Heidelberger Pöbel" anläßlich des Festaktes zur Sechshundertjahrfeier der Universität Heidelberg am 18. Oktober 1986 gemeint?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Soell, die von Ihnen zitierte Äußerung hat der Bundeskanzler, um dies klarzustellen, nicht etwa im Rahmen des Festaktes der Universität Heidelberg abgegeben. Es war vielmehr eine persönliche Bemerkung, zu der sich der Bundeskanzler veranlaßt gesehen hatte, als er ein Stück des Weges zu diesem Festakt zu Fuß zurücklegte. Diese Bemerkung, die Sie zitiert haben, richtete sich weder gegen die Stadt Heidelberg - dies liegt eigentlich schon auf der Hand; denn dieser Stadt gehören die besonderen Sympathien des Bundeskanzlers, der dort selbst einmal studiert hat -, noch richtete sie sich etwa pauschal gegen Heidelberger Bürger, Jugendliche oder Studenten. Sie bezog sich vielmehr ausschließlich auf das Verhalten einer Reihe einzelner Personen gegenüber Gästen, die am Universitätsjubiläum teilnehmen wollten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Weshalb hat der Bundeskanzler, der sich heute morgen in der kulturpolitischen Debatte des Bundestages so vehement gegen Pauschalurteile gewandt hat, selbst zum Instrument der pauschalen Diffamierung gegriffen? Weshalb war er nicht bereit, dies mit dem Ausdruck des Bedauerns später zurückzunehmen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Soell, ich nehme an, daß Sie damit schon die Antwort auf Ihre zweite Frage haben möchten? Sonst müßte ich Sie auf die zweite Frage verweisen.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, den zweiten Teil der Frage können Sie zurückstellen. Den ersten Teil jedenfalls möchte ich beantwortet haben.

Not found (Gast)

Darf ich dann noch einmal, damit ich präzise antworten kann, um die Formulierung des ersten Teils bitten?

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Weshalb hat der Bundeskanzler, der sich heute morgen in der kulturpolitischen Debatte des Bundestages noch einmal sehr vehement gegen Pauschalurteile gewandt hat, selbst zum Instrument der pauschalen Diffamierung gegriffen?

Not found (Gast)

Ich habe gerade ausgeführt, daß der Bundeskanzler sich nicht pauschal geäußert hat.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben Sie noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist dem Bundeskanzler bekanntgewesen, daß, wie nachher der Bundespräsident in seiner Festansprache ausführte, sich ein Großteil der Studenten von den Veranstaltungen anläßlich der Sechshundertjahrfeier ausgeschlossen fühlte und deswegen vielleicht Anlaß zur Demonstration sah?

Not found (Gast)

Ich weiß nur, daß 250 Studenten zu dieser Veranstaltung eingeladen waren. Da es sich um einen geschlossenen Raum gehandelt hat, war es sicherlich notwendig, daß die Veranstalter auch darauf sahen, daß die verschiedenen Gruppen, die an diesem Festakt teilnehmen wollten, angemessen beteiligt waren. Im übrigen müßten Sie diese Frage aber an die Veranstalter richten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe jetzt Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Soell auf: Welche Gründe haben den Bundeskanzler dazu veranlaßt, sich auf diese Weise zu äußern?

Not found (Gast)

Herr Kollege Soell, in Heidelberg wurden am Universitätsjubiläum teilnehmende Gäste - ich betone hier das Wort Gäste - in diesem Zusammenhang, den ich vorhin erwähnt habe, lautstark johlend und lärmend empfangen. Nur das Verhalten dieser einzelnen, die dieses Verhalten zutage gelegt haben, hat der Bundeskanzler beim Namen genannt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, hat der Bundeskanzler auch nur einen Gedanken darauf verschwendet, daß er mit diesem Pauschalurteil auch viele hundert Heidelberger Bürgerinnen und Bürger getroffen hat, nicht nur die Studenten, die er offensichtlich treffen wollte, Bürger, die den Einzug der Festgäste in die Heiliggeistkirche nur beobachten und die keineswegs demonstrieren wollten?

Not found (Gast)

Zunächst einmal muß man die Umstände sehen, wie diese Äußerung bekannt19702 gemacht worden ist, auch wie sie aufgenommen worden ist. Ich will das nur erwähnen. Zum zweiten habe ich bereits deutlich darauf hingewiesen, daß es dem Bundeskanzler ferngelegen hat, etwa die Heidelberger Bürger oder auch nur eine größere Menge der Heidelberger Bürger anzusprechen. Er hat sich ausschließlich auf diejenigen bezogen, die sich in der von mir geschilderten Verhaltensweise dort an die Gäste - nicht etwa nur an den Bundeskanzler -, die zu diesem Festakt hingingen, gewandt haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, kann ich aus Ihrer Nebenbemerkung entnehmen, daß der Bundeskanzler nicht in der Lage ist, mit Mikrophonen, die ihm hingehalten werden, umzugehen, oder muß ich nicht daraus schließen, daß er sehr gewollt hier einmal mehr seinen sehr losen Umgang mit der Sprache an den Tag gelegt hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege Soell, die letzte Verallgemeinerung ist sicher überhaupt nicht zulässig. Zum zweiten müßte auch Ihnen bekannt sein, daß man nicht jedes Mikrophon, das einem in die Nähe gehalten wird, auch zur Kenntnis nehmen kann. Ich will das nicht näher kennzeichnen, aber dies ist j a wohl mit diesem Vorgang auch verbunden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Ab, geordneter Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, muß in Zukunft immer, wenn jemand johlt und lärmt - das könnten ja gelegentlich mal Kollegen der CDU/CSU-Fraktion sein - davon ausgegangen werden, daß der Bundeskanzler sie mit den entsprechenden Begriffen bezeichnet? ({0})

Not found (Gast)

Ich erlebe ja auch hier, wie z. B sonst besonders angesehene Kollegen reagieren, wenn sie mit Zwischenrufen konfrontiert sind. Das kann man immer nur aus der Situation heraus beurteilen. Im übrigen möchte ich sagen, es sind alle Menschen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da der Herr Bundeskanzler, wie Sie meinen, keine Pauschalurteile abgibt, paßt das in die Reihe seiner Beurteilungen von Staatsmännern benachbarter Nationen, wenn er Vergleiche anstellt?

Not found (Gast)

Herr Kollege Oostergetelo, Sie sind ja aus einer Umgebung, in der man vielleicht nicht immer so genau differenziert; das mag sein. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es sich hier um einen ganz bestimmten Vorgang handelt und daß ich ausschließlich zu diesem Vorgang hier heute Stellung genommen habe und überhaupt keine Veranlassung habe, mich zu weiteren Anfragen, die in einen solch weiten Rahmen gestellt sind, zu äußern.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie bereit, dem Herrn Bundeskanzler den Jakobus-Brief zu lesen zu geben, in dem man die Stelle finden kann, in der davon die Rede ist, daß die Zunge das kleinste Glied des Menschen sei, aber das größte Unheil anrichten könne? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Fiebig, ich kann mir denken, daß Sie dieses Wort zum Anlaß nehmen, Ihre nächste Predigt vorzubereiten - dies ist j a durchaus möglich -, nur habe ich keinen Grund, irgendwelche besonderen Lektüren zu empfehlen. Ich sehe dazu keine Notwendigkeit.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Vielleicht könnten wir das in die Plenarsäle hängen. Herr Kollege Stockhausen hat sich noch gemeldet.

Karl Stockhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wie würden Sie die moralische Entrüstung der Kollegen der SPD bewerten im Hinblick auf die Äußerung von Herrn Börner in Hessen bezüglich der GRÜNEN?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich wäre jetzt natürlich versucht, dazu etwas zu sagen, aber ich muß mich an die Geschäftsordnung halten und an die Fragen, die hier eingereicht sind. Allein das verbietet es mir, jetzt etwas dazu zu sagen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Dann danke ich Ihnen für die Beantwortung der Fragen und rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus steht zur Beantwortung zur Verfügung. Frage 35 des Herrn Abgeordneten Oostergetelo: Wie weit sind zwischenzeitlich die Pläne der Bundesregierung in bezug auf ihre inhaltliche Ausgestaltung und unter dem Gesichtspunkt ihrer EG-weiten Durchsetzung gediehen, durch eine weitere Kürzung der 1984 festgelegten Milchquoten gegen Entschädigung die Überschüsse im Milchbereich zu reduzieren, und welche Erfolgsaussichten mißt die Bundesregierung diesem Plan zu?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat ihre Vorstellungen zur Lösung der aktuellen Milchmarktprobleme schriftlich und mündlich eingebracht. Diese Vorstellungen sehen eine vorübergehende obligatorische Stillegung von Referenzmengen gegen einen Einkommensausgleich vor. Dabei hat sich die Bundesregierung nicht abschließend auf die Höhe des Prozenzsatzes der stillzulegenden Quoten sowie auf die Höhe des Einkommensausgleichs festgelegt. Letzterer muß jedoch ausreichend sein. Die Bundesregierung hat sich bei ihren Vorstellungen davon leiten lassen, daß es letztlich billiger ist, praktisch nicht verwertbare Überschüsse nicht entstehen zu lassen. Die Verhandlungen in Brüssel zeigen, daß die Vorstellungen der Bundesregierung in zunehmendem Maße Anklang finden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn es zu dieser Kürzung mit diesem Ausgleich kommen sollte, wäre das nicht doch so zu verstehen, daß sie in eine endgültige Kürzung mündet?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die Bundesregierung geht davon aus, daß es zunächst eine vorübergehende obligatorische Stillegung ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage!

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn es zu einer Kürzung kommt, sei sie auch nur vorübergehend, ist die Bundesregierung dann auch bereit, einen Teil dieser Mengen jenen Jungbauern zu geben, die jetzt überhaupt keine Chance haben, einzusteigen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, wenn es nach dem Plan der Bundesregierung geht, werden überhaupt keine Mengen frei, weil nämlich diese Mengen dem einzelnen Landwirt erhalten bleiben, der dafür einen entsprechenden Einkommensausgleich bekommt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Boroffka.

Peter Boroffka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bedeutet die Absicht, die Produktion zu drosseln und dafür einen Ausgleich zu zahlen, die Festlegung des politischen Grundsatzes, daß sich Nichtleistung endlich auch lohnen soll?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich glaube, man muß davon ausgehen, daß wir uns in der Agrarpolitik angesichts der Überschußproduktion tatsächlich diesem Grundsatz nähern müssen, ob es sich nun um die Milchproduktion handelt oder darum, Flächen aus der Produktion herauszunehmen, was auch diskutiert wird, wenn wir den bäuerlichen Familienbetrieb erhalten wollen bzw. für jene, die ausscheiden, einen vernünftigen Übergang schaffen wollen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, haben Sie nach Ihren bisher gemachten Äußerungen die Hoffnung, daß im Agrarministerrat schon in der nächsten Woche ein Beschluß in der Richtung gefaßt wird, damit wir möglichst schnell mit dieser Maßnahme beginnen können?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Das ist der Wunsch der Bundesregierung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Wortmeldung dazu. Dann die Frage 36 des Abgeordneten Oostergetelo: Kann die Bundesregierung gemäß ihr vorliegender Informationen bestätigen, daß es seit Einführung der Quotenregelung im Milchbereich zu einem starken Anstieg der völligen Produktionsaufgabe bei milcherzeugenden Betrieben gekommen ist, und ist die Bundesregierung bejahendenfalls bereit, angesichts dieser mittelbaren Folge von Quotierungsmaßnahmen zum Schutz der Klein- und Mittelbetriebe in der Milchproduktion Betriebe bis zu einer Anlieferung von 100 000 Kilogramm von der erneuten Kürzung auszunehmen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, seit Einführung der Garantiemengenregelung Milch im April 1984 ist die Anzahl der Milchkuhhalter um 34 500 oder um 9,2 % auf 342 000 gesunken. In dieser Zahl ist eine große Anzahl von Nebenerwerbslandwirten enthalten. Der durchschnittliche jährliche Rückgang betrug 4,6%. Demgegenüber gaben vor Inkrafttreten der Garantiemengenregelung jährlich rund 4 % der Milchkuhhalter ihre Erzeugung auf. Der Anstieg ist auf die große Beteiligung der Milcherzeuger an den Milchrentenaktionen zurückzuführen. Wenn die Bundesregierung in Brüssel mit ihrem Anliegen Erfolg hat, die Referenzmengen gegen einen Einkommensausgleich stillzulegen, stellt sich diese Frage nicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage des Abgeordneten Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie es denn als Erfolg bezeichnen, wenn z. B. im Lande Niedersachsen 10% aufgegeben haben, wir aber jetzt mehr Milch haben als vorher?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die Situation ist natürlich in bezug auf die Durchführung der Quotenlösung insgesamt und das, was jetzt vorgenommen wird, völlig anders zu bewerten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sie sind auf die zweite Hälfte meiner Frage nicht eingegangen. Können wir davon ausgehen, daß Betriebe mit einer Milchproduktion unter 100 000 Litern, die in Existenznot geraten, wenn es nicht Nebenerwerbsbetriebe mit gutem Nebeneinkommen sind, von der Kürzung ausgeschlossen werden?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich habe den letzten Teil Ihrer Frage eindeutig beantwortet, nämlich mit dem Satz: Wenn die Bundesregierung in Brüssel mit der Stillegung der Quote und mit einem vollen Einkommensausgleich Erfolg hat, stellt sich diese Frage nicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie mit mir der Meinung, Herr Staatssekretär, daß durch diese Form mit dem nebenherlaufenden Herauskaufen von Quoten durch die Europäische Gemeinschaft ja gerade er19704 reicht werden kann, daß nicht differenziert werden muß, weil diese Quote nur auf Zeit stillgelegt wird?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Es ist unsere Hoffnung, daß das so sein wird. Im Augenblick ist die Herauskaufaktion sehr gedämpft. Sie hat in den letzten Tagen etwas angezogen, entspricht aber in keiner Weise dem, was wir erwartet haben; aber hoffentlich wird das so, wie Sie meinen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, schließen Sie die Kürzung der Quote bei Betrieben mit unter 20 Kühen damit nicht aus?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht, wobei ich immer voraussetzen muß, daß wir mitten in den Verhandlungen stehen und wir noch nicht einmal wissen, ob nächste Woche in Brüssel abgeschlossen werden kann, und es nach unserem Memorandum eine Entscheidung gibt, dann bleibt jedem Betrieb seine Quote erhalten. Die Kürzung bezieht sich auf einen eventuell prozentual festzulegenden Satz. Bei dieser Kürzung bekommt er für jedes Kilo einen entsprechenden Einkommensausgleich. Das heißt, nach dieser Kürzung, die vorübergehend sein soll, bleibt die Einkommenssituation bei der Gesamtmenge so, wie sie war und damit erhalten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Fragen 37 und 38 werden auf Wunsch des Fragestellers, Abg. Jäger ({0}), schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Eigen auf: Kann die Kommission der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen der vorjährigen Beschlüsse ohne neuen Beschluß des Ministerrates die Mitverantwortungsabgabe für Getreide wie hoch erhöhen, und was wird die Bundesregierung gegebenenfalls dagegen unternehmen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, für die Festlegung der Höhe der Mitverantwortungsabgabe für Getreide ist allein der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft zuständig. Der Abgabensatz gilt jeweils für ein Wirtschaftsjahr. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft kann von sich aus keine Änderung dieses Satzes für die Mitverantwortungsabgabe vornehmen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat das alleinige Vorschlagsrecht. Wie wird sich die Bundesregierung verhalten, wenn die Kommission über die Mitverantwortungsabgabe sozusagen durch die Hintertür eine Preissenkung durchführt?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, das Vorschlagsrecht der Kommission ist unbestritten. Nun kann ich hier in einer Fragestunde des Deutschen Bundestages keine Antwort in bezug auf Entscheidungen geben, die vor uns stehen, da wir noch nicht einmal wissen, welches Gesamtpaket die Kommission für die nächste Agrarpreisrunde vorlegen wird und ob in dem Zusammenhang dann entsprechende zusätzliche Maßnahmen eingebaut werden. Das muß zunächst einmal abgewartet werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, Herr Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie, Herr Staatssekretär, mit mir der Meinung, daß, wenn jetzt schon in den Agrarfachzeitschriften über dieses Thema, in welcher Weise die Kommission die Mitverantwortungsabgabe für Getreide in ihrem Vorschlag nach oben schieben will oder wird, diskutiert wird, höchste Alarmstufe gegeben ist und rechtzeitig mit anderen Ländern Verhandlungen aufgenommen werden müssen, daß so etwas im Ministerrat nicht möglich ist?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, Sie dürfen versichert sein, daß die Bundesregierung laufend im Kontakt mit allen übrigen Ländern der EG ist, um so schwerwiegende Fragen, wie Sie sie hier aufgeworfen haben, zu diskutieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Stockhausen, eine Zusatzfrage.

Karl Stockhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie meine Meinung bestätigen, daß Mitverantwortungsabgaben, gleich welcher Art, indirekte Preissenkungen darstellen, und liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie hoch der Aufwand bei der „aufnehmenden Hand" - Handel und Genossenschaften - gewesen ist - und was unter dem Strich herauskommt?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, den ersten Teil Ihrer Frage kann ich so pauschal nicht mit Ja beantworten, daß Mitverantwortungsabgaben, gleich welcher Art, immer Preissenkungen bedeuten. Gesetzt den Fall, bei den Preisverhandlungen würden die Preise, bevor man die Mitverantwortungsabgabe in irgendeinem Bereich einführt, entsprechend erhöht und die Mitverantwortungsabgabe würde nur einen Teil der Preiserhöhung abschöpfen, so würde das keine Preissenkung bedeuten. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Darüber wie es dieses Mal funktioniert, liegen uns noch keine endgültigen Zahlen vor. Daß es nur mit Schwierigkeiten funktioniert und daß wir das nicht gewollt haben, was wir dieses Mal mit der Mitverantwortungsabgabe „aufgebrummt bekommen haben" - ich muß es so ausdrücken -, versteht sich von selbst. Wir versuchen, bei der nächsten Preisrunde eine vernünftigere Lösung bei der Mitverantwortungsabgabe zu bekommen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie die Mitverantwortungsabgabe aufgebrummt bekommen haben, frage ich Sie: Sind Sie denn mit mir der Meinung, daß das Einlegen eines Vetos seitens Ihres Ministers zumindest in dieser Frage den Landwirten nichts Positives gebracht hat?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ich glaube, daß Sie mit mir der Meinung sind, daß zum jetzigen Zeitpunkt - schon seit einigen Monaten - im Zeichen der Ratifizierung der Europäischen Akte die Zeit der Vetos vorbei ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Dazu gehört allerdings dieser Bereich nicht. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe auf die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Eigen: Wie soll nach den Beschlüssen des Finanzministerrates vom 27. November 1986 in Brüssel der Abbau der Agrarüberschußläger im Wert von ca. 20 Milliarden DM durchgeführt werden?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, der Haushalt 1987 zeigt in der Tat Deckungslücken und somit wenig Spielraum, um zusätzliche Absatzmaßnahmen zu finanzieren. Im Rahmen der 2. Lesung des EG-Haushaltsentwurfs 1987 des Budgetrates wurde Einigkeit erzielt, im EAGFL, Abt. Garantie, eine neue Linie ({0}) „pro memoria" aufzunehmen. Sie lautet: „Maßnahmen, die nach Überprüfung der Lage hinsichtlich der Einschränkung der Überschußproduktion und der Reduzierung der Lagerbestände zu treffen sind." Mit dieser neuen Haushaltslinie werden zwar noch keine neuen Mittel für die Reduzierung der Lagerbestände bereitgestellt. Sie ist jedoch ein Ansatzpunkt für künftige Maßnahmen, wenn die Mittel durch Einsparungen aufgebracht werden können. Der Abbau der Uberschußläger ließe sich in einem mehrjährigen Zeitraum teilweise durch Maßnahmen finanzieren, wie sie die Bundesregierung zur Sanierung der Agrarmärkte und Sicherung der Einkommen vorgeschlagen hat und wie sie zum Teil auch in die sozio-ökonomischen Vorschläge der EG-Kommission eingegangen sind. Hierzu gehören vor allem das Marktentlastungsprogramm zur zeitlich begrenzten Stillegung ganzer Betriebe und das Flächenstillegungsprogramm über Grünbrache. Bei ihrer Verwirklichung wären mit einer deutlichen Rückführung der Produktion von Getreide, Milch und Rindfleisch auch erhebliche Einsparungen für die Gemeinschaft verbunden. Ferner hat die Bundesregierung in einem Memorandum die befristete Stillegung von Milchreferenz-mengen mit Ausgleichszahlungen für die Erzeuger vorgeschlagen, um die strukturellen Überschüsse abzubauen und weiteren Bestandsaufbau zu verhindern. Da die Verwertungskosten weit höher sind als die erforderlichen Ausgleichszahlungen, wäre eine erhebliche Verringerung der Kosten zu erzielen. Mit den Einsparungen aus diesem Maßnahmen könnte ein wesentlicher Abbau der Überschußläger finanziert werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Kollege Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hat der Finanzministerrat auch darüber diskutiert, wann und ob man die Anhebung der Mehrwertsteueranteile für Brüssel von 1,4 auf 1,6 % vornehmen will, wie es sich schon einmal in Fontainebleau abgezeichnet hat?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Darüber kann ich keine Auskunft geben, Herr Kollege. Die Frage müssen Sie an den Finanzminister richten. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Alles kann der Herr Parlamentarische Staatssekretär auch nicht wissen. ({0}) Dann haben Sie eine zweite Frage.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hat man auch über einen Vorschlag diskutiert, den Sie draußen auch als Möglichkeit angesprochen haben, daß nämlich die Europäische Gemeinschaft vorübergehend weitere Kredite aufnehmen sollte, um mit diesem Überschuß fertig zu werden, zumal wir wissen, wie sehr diese Überschüsse die gesamten öffentlichen Haushalte, aber auch das Ansehen der Landwirtschaft in der Gesamtbevölkerung belasten und Preisverbesserungen unmöglich machen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, auch darüber kann ich keine Ausführungen machen. Ich habe die von Ihnen angesprochene Möglichkeit draußen in Versammlungen meiner Partei vorgestellt; meine Partei hat diese Forderung erhoben. Alles andere müssen Sie, wie gesagt, den Finanzminister selbst fragen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Oostergetelo, eine Zusatzfrage.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie es finanzpolitisch für sehr seriös halten, Kredite auf Produkte aufzunehmen, die schon auf Kredit lagern?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich halte es für müßig, hier en detail über diese Fragen zu diskutieren. Man kann sich sehr wohl vorstellen, daß das, was wir in der EG haben, eine Art von Krediten ist, daß man nämlich die Produkte herausnehmen kann und dann in einem Stufenplan über mehrere Jahre hinweg an die Banken zurückzahlt. Das wäre eine Art Kredit, wie er bisher nicht zulässig gewesen wäre, wenn die Läger gleichzeitig geräumt werden. Ich glaube, das kann man nicht im Rahmen dieser Fragestunde diskutieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Brück möchte noch eine Zusatzfrage stellen. 19706 Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Brück ({0}): Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Forderung nach Mehreinnahmen von der Gemeinschaft damit begründet wird, daß es bei den Agrarprodukten eine Kostenexplosion gibt?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, es ist eine Tatsache, daß die finanzielle Lage, so wie sie ist, mit durch die gewaltigen Überschüsse verursacht ist, die wir im Agrarbereich haben. Es geht wohl kein Weg daran vorbei, diese Dinge in neue Bahnen zu lenken. Das erfordert, daß vorübergehend höchstwahrscheinlich höhere Geldmittel eingesetzt werden, um dann endgültig in eine Situation zu kommen, in der man mit den Problemen besser als heute fertig wird, wenn man auf der anderen Seite dabei den bäuerlichen Familienbetrieb in Europa nicht gefährden will.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage des Abgeordneten Becker ({0}).

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort zweimal darauf verwiesen, daß die Frage an den Finanzminister gerichtet werden soll. Herr Eigen hat aber doch die Bundesregierung gefragt. Das waren doch reine Finanzfragen. Sind Sie mit mir der Auffassung, daß der Finanzminister sie dann auch hier hätte beantworten müssen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich habe die Frage, so wie sie gestellt wurde, einwandfrei beantwortet. Wenn aber der Herr Kollege wissen will, was in den Gesprächen und bei den Verhandlungen alles besprochen worden ist, so sehe ich mich außerstande, dazu eine Antwort zu geben. Das ist das Problem. Es ist nicht etwa so, daß ich nicht in der Lage gewesen wäre, Herr Kollege, beim Finanzminister rückzufragen, was dort gelaufen ist, wenn die Frage so gestellt worden wäre. Ich sehe mich aber außerstande, aus dem Stegreif eine Antwort zu geben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nun ist wirklich alles geklärt. Die Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Tietjen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Die Frage 43 der Frau Abgeordneten Schmidt ({0}) wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Fragen 44 und 45 der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius werden entsprechend den Richtlinien behandelt. Der Verteidigungsminister braucht daher an dieser Stelle nicht zu antworten. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki steht zur Beantwortung zur Verfügung. Die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Antretter, die Frage 48 des Abgeordneten Dr. Weng ({1}) und die Frage 49 der Frau Abgeordneten Schmidt ({2}) werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe dann die Frage 50 des Abgeordneten Fiebig auf: Trifft es zu, daß das Bundesgesundheitsamt beabsichtigt, den Leiter des zur Zentralabteilung gehörenden Referats J ({3}) ({4}) zum Leitenden Regierungsdirektor ({5}) zu befördern, und wird damit eine der 57 vom Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages bewilligten naturwissenschaftlichen Planstellen zweckentfremdet? Bitte schön, Frau Staatssekretär.

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Fiebig, das Bundesgesundheitsamt hat mit Bericht vom 5. September 1986 vorgeschlagen, den Regierungsdirektor Dr. Karl-Theodor Lieser zum Leitenden Regierungsdirektor zu ernennen und ihn in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 16 einzuweisen. Zuständig für die Entscheidung über den Vorschlag des Bundesgesundheitsamtes ist das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit als oberste Dienstbehörde. Die Prüfung des Beförderungsvorschlages ist noch nicht abgeschlossen. Bereits jetzt ist durch schriftliche Verfügung des Ministeriums sichergestellt, daß eine der für den Arzneimittelbereich bewilligten Planstellen für eine eventuelle Beförderung nicht in Anspruch genommen werden kann.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretär, in der vergangenen Woche hat es am Donnerstag eine Fernsehsendung gegeben, „Gesucht wird eine Todesursache", in der das Bundesgesundheitsamt mit Vorwürfen bedacht wurde. Frau Staatssekretärin, sind Sie sich darüber im klaren, daß die Personalpolitik beim Bundesgesundheitsamt im Zusammenhang damit, daß der Haushaltsausschuß des Bundestages naturwissenschaftliche Planstellen bewilligt hat, sehr in die Kritik kommen könnte, und wie gedenken Sie diesen Vorwürfen zu begegnen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Fiebig, das sind zwei Paar Schuhe. Das erste steht gar nicht im Zusammenhang mit Ihrer Frage. Zum anderen: Ich habe ja ausgeführt, daß wir verfügt haben, daß keine Stelle aus diesem Bereich genommen werden darf.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Die Frage 51 des Abgeordneten Rusche wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe Frage 52 des Abgeordneten Weinhofer auf: Vizepräsident Frau Renger Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus den Untersuchungsergebnissen des Kölner Instituts für angewandte Umweltforschung „Katalyse", daß der Dioxan-Anteil in Haarwaschmitteln und Duschgels im Gegensatz zu den geforderten Grenzwerten der sogenannten MAK-Liste des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 26. August 1986 steht?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Weinhofer, die vom Institut für Umweltforschung „Katalyse" in Köln festgestellten Restmengen an Dioxan, die als Nebenprodukte bei der Herstellung von Rohstoffen in Haarshampoos und Duschgels gelangen können, sind nach gegenwärtiger Kenntnis gesundheitlich unbedenklich. Dies steht nicht im Gegensatz zu der Bewertung von Dioxan in der Atemluft am Arbeitsplatz, die von der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe vorgenommen und deren Ergebnis in der sogenannten MAK-Liste berücksichtigt wird. Danach darf die Atemluft am Arbeitsplatz höchstens 180 mg Dioxan pro Kubikmeter Luft enthalten. Vorsorglich hat jedoch die Bundesregierung die Untersuchungsergebnisse zum Dioxangehalt in Haarwaschmitteln und Duschgels zum Anlaß genommen, die betroffene Wirtschaft aufzufordern, Restgehalte an Dioxan in kosmetischen Mitteln soweit wie möglich zu vermeiden und dioxanfreie Ersatzstoffe zu verwenden, soweit solche bereits zur Verfügung stehen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weinhofer.

Karl Weinhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002452, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretär, ist die Bundesregierung dahin gehend initiativ geworden, daß z. B. das Bundesgesundheitsamt sämtliche jetzt auf dem Markt befindlichen und frei erhältlichen Haar-wasch- und Körperpflegemittel auf Bestandteile untersucht hat, die a) bedenklich und b) auch krebserregend sein könnten oder im Verdacht stehen, derartigen Stoffklassen zugerechnet werden zu können?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege, wir sind dafür nicht zuständig. Ich kann Ihnen aber sagen, daß diese Arbeit von den Ländern und durch die Länder geleistet wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Weinhofer.

Karl Weinhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002452, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Welche Möglichkeiten sieht Ihrer Meinung nach, Frau Staatssekretär, die Bundesregierung, durch Kenntlichmachung derartiger Stoffe eine verbraucherfreundliche Politik zu betreiben, also insbesondere bei den von mir erwähnten Körperpflegemitteln eine Kenntlichmachung vorzusehen oder durchzusetzen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege, diese Dinge sind ja Verunreinigungen, die Sie zu Recht beklagen. Diese kann man ja im Vorfeld nicht erkennen, und man kann auch nicht vorschreiben, daß sie kenntlich gemacht werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rusche.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, welche giftigen Stoffe außer Dioxan sind Ihnen im Zusammenhang mit Haarwaschmitteln denn noch bekannt, die ähnlich krebserregend und gefährlich sind?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Diejenigen, die bekannt sind, sind alle verboten. Insofern gehe ich davon aus, daß weitere noch nicht bekannt sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Boroffka.

Peter Boroffka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wo gibt es denn Unterlagen darüber, daß Dioxan, ein in jedem chemischen Labor gebräuchliches Lösungsmittel, krebserzeugend sei?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Ich kenne solche Unterlagen nicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel ({0}).

Axel Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002376, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben ja gesagt: Weil das Verunreinigungen sind und man sie vorher nicht kennt, kann man darüber auch keine Angaben machen. Nun ist es ja wohl klar, daß man sich, wenn man sich Gedanken darüber macht, mit welchen Stoffen irgendwelche Haarwaschmittel oder Duschgels oder etwas anderes belastet sind, auch Gedanken macht, welche Verunreinigungen auftreten könnten, und daß man dann selbstverständlich für solche Verunreinigungen Grenzwerte festgelegt, die nicht überschritten werden können, oder daß man generell ein Verbot vorsieht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Und wie ist die Frage?

Axel Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002376, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht auch hier angebracht wäre, sich darüber Gedanken zu machen und doch Grenzwerte festzulegen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Das ist jetzt kein Widerspruch. Grenzwerte gibt es ohnehin. Ich habe gesagt: Im Bereich der Verunreinigungen, die man im Vorfeld nicht feststellen kann, können Sie auch keine Grenzwerte setzen. Vom Prinzip her gibt es bei all diesen Stoffen Grenzwerte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.

Horst Fritsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000600, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, ob es in Haarwaschmitteln auch Formaldehyd gibt?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Formaldehyd gehört ja zu den Stoffen, die kenntlich gemacht werden müssen. Ich gehe davon aus, da wir bisher eine solche Information nicht haben, daß Formaldehyd dort nicht enthalten ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Weinhofer auf. Vizepräsident Frau Renger Welche wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse hat das Bundesgesundheitsamt dazu bisher veröffentlicht, und welche kausalen Zusammenhänge ergeben sich möglicherweise aus stattgefundenen Tierversuchen, die auf den Menschen übertragbar sind?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Das Bundesgesundheitsamt hat sich in einer Pressemeldung vom 19. September 1986 zur gesundheitlichen Bewertung von Dioxan in Haarshampoos geäußert. Darin hat das Amt mitgeteilt, daß es die festgestellten Mengen an Dioxan in bestimmten Shampoos nach Beratung durch eine wissenschaftliche Sachverständigenkommission als gesundheitlich unbedenklich ansieht. Im Tierversuch habe die Verabreichung wesentlich größerer Mengen an Dioxan im Trinkwasser Krebs erzeugt. Es sei anzunehmen, daß die Stoffwechsel- und Ausscheidungsmechanismen der Tiere bei diesen hohen Dosierungen überlastet waren. Die Mengen an Dioxan, die nach Anwendung kosmetischer Mittel vom Menschen aufgenommen werden könnten, würden um mehrere Zehnerpotenzen unter der Dosis liegen, die im Tierversuch keine biologischen Veränderungen mehr hervorriefen. Trotz dieser Kenntnisse sollte auch nach Auffassung des Bundesgesundheitsamts aus grundsätzlichen Erwägungen im Interesse der Gesundheitsvorsorge der Gehalt an Dioxan in kosmetischen Mitteln gesenkt oder das Auftreten des Stoffes ganz vermieden werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Weinhofer? ({0}) - Keine Zusatzfragen. Frage 54 des Herrn Abgeordneten Immer ({1}) soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Danke schön, Frau Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Weng ({2}), die Fragen 56 und 57 des Herrn Abgeordneten Becker ({3}), die Fragen 58 und 59 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst, die Fragen 60 und 61 des Herrn Abgeordneten Böhm ({4}), die Fragen 62 und 63 des Herrn Abgeordneten Hinsken sowie die Fragen 64 und 65 des Herrn Abgeordneten Zierer werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 66 und 67 des Herrn Abgeordneten Gansel sowie Frage 68 der Abgeordneten Frau Simonis werden auf Grund der Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 69 und 70 des Herrn Abgeordneten Heistermann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit komme ich zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe Frage 75 des Herrn Abgeordneten Boroffka auf: Bedeutet der in Artikel 2 Buchstabe a des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit vorgesehene „Austausch von Informationen" auch den gegenseitigen Anschluß an Datenbanken oder vergleichbare Informationssysteme, und welche Datenbanken bzw. Informationssysteme würden mit welchen Anschlüssen ({5}) gegebenenfalls beteiligt? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege Boroffka, Ihre Frage 75 beantworte ich wie folgt. Der in Artikel 2 Buchstabe a des noch nicht in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit erwähnte Austausch von Informationen soll die Form der angestrebten Zusammenarbeit umschreiben. Wenngleich primär an den Austausch von Aufzeichnungen oder Veröffentlichungen über Forschungs- und Entwicklungsvorhaben beider Länder und ihre Ergebnisse gedacht wird, ist im Falle einer erfolgreichen Entwicklung der Zusammenarbeit auch ein gegenseitiger Anschluß an Datenbanken oder vergleichbare Informationssysteme möglich. Konkrete Vorstellungen bestehen hierzu jedoch noch nicht und werden auch in naher Zukunft nicht aktuell werden. Zur Regelung des gegenseitigen Zugangs zu Datenbanken bzw. Informationssystemen bedarf es besonderer Vereinbarungen in Ausfüllung dieser Abkommensnorm, die Art und Umfang des Zuganges dann im einzelnen bestimmen müssen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Boroffka, bitte.

Peter Boroffka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist denn wenigstens sichergestellt, daß die Systeme im Blick auf einen zukünftigen möglichen gegenseitigen Anschluß schon heute möglichst weitgehend kompatibel gestaltet werden?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Das ist in keiner Weise sichergestellt, weil es auf diesem Feld keine Kooperation, keine Zusammenarbeit gibt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Frage 76 des Herrn Abgeordneten Engelsberger soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe Frage 77 des Herrn Abgeordneten Fischer ({0}) auf: Vizepräsident Frau Renger Wie viele Einrichtungen im Bereich Forschung und Entwicklung ({1}) im Bundesgebiet wurden von der Bundesregierung 1960 bzw. 1986 ganz oder teilweise finanziert, und wie viele haben davon ihren Sitz im Saarland?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege Fischer, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Nach dem Bundesbericht Forschung I aus dem Jahre 1965 wurden 162 Einrichtungen im Bereich Forschung und Entwicklung vom Bund gefördert. Von diesen Einrichtungen hatte keine ihren Sitz im Saarland. Nach dem Faktenbericht 1986 werden 212 Einrichtungen bzw. Einzelinstitute der Max-PlanckGesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft im Bereich Forschung und Entwicklung vom Bund gefördert. Das Fraunhofer-Institut für zerstörungsfreie Prüfverfahren hat seinen Sitz in Saarbrükken.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fischer.

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie vielleicht einmal sagen, wie viele Arbeitsplätze in den angesprochenen Instituten bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Vergleich zu anderen Bundesländern, aufgeschlüsselt nach der Bevölkerungszahl, geschaffen worden sind?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das ist nicht in der Frage enthalten.

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege, diese Zahlen habe ich natürlich nicht gegenwärtig, aber ich kann sie Ihnen selbstverständlich zusammenstellen lassen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, bitte.

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär Probst, ist die Bundesregierung bereit, das Saarland in wichtigen Zukunftsbereichen wie Umwelttechnologie, nichtnukleare Energietechnik und energiesparende Technologien, Informations- und Kommunikationstechnologien und Materialforschung durch Nutzung ihrer Instrumente zu unterstützen?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Aber selbstverständlich ist die Bundesregierung dazu bereit, wie sie dazu auch bei anderen Ländern bereit ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die Zahlen, die Sie eben genannt haben, in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, wenn man die Bevölkerungszahlen miteinander vergleicht?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege, es ist eine alte Streitfrage - das heißt, es ist eigentlich keine Streitfrage -, ob sich wissenschaftliche Schwerpunkte jeweils regional nach der Bevölkerungsstärke ausrichten sollen. Es ist eine Erfahrung, daß für die Ansiedlung einer Kapazität eine wissenschaftliche Infrastruktur vorhanden sein muß. Bei ansonsten gleich vorhandener Infrastruktur können regionale Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Wo immer sich der Bundesminister für Forschung und Technologie fachlich in der Lage sieht, regionale Vorteile gelten zu lassen, z. B. in schwächer strukturierten Gebieten, tut er dies.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Boroffka.

Peter Boroffka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß im Ausschuß für Forschung und Technologie stets grundsätzliche Übereinstimmung darüber bestand, daß Forschungspolitik und Strukturpolitik zwei verschiedene Politikbereiche sind und daß der Bundesminister für Forschung und Technologie seine Projekte nach Sachgesichtspunkten und nicht nach Bevölkerungszahlen vergeben soll?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Ich kann beides in vollem Umfang bestätigen, Herr Kollege.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie auch bestätigen, nachdem diese regierungsamtliche Entlastungsfrage kam, daß die Länder Baden-Württemberg und Bayern vornehmlich mit Forschungsaufträgen aus ganz bestimmten Bereichen bedacht werden?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Nicht nur die Länder Baden-Württemberg und Bayern, sondern auch andere Bundesländer - Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen - werden mit den spezifischen Aufträgen versehen, ({0}) die dort sinnvollerweise ausgeführt werden können, weil dort die Infrastrukturen vorhanden sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Fischer auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, im Rahmen der überregionalen Forschungsförderung darauf hinzuwirken, daß die sich aus der geographischen Lage des Saarlandes in der Mitte Europas und den bereits vorhandenen Forschungsvorleistungen ergebenden Möglichkeiten voll genutzt werden, um die Entwicklung der grenzüberschreitenden und europäischen Forschungskooperation in einem „Europa der Forscher" zu fördern?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege Fischer, Ihre Frage 78 beantworte ich wie folgt. Im Rahmen der gemeinsamen Forschungsförderung durch Bund und Länder steht die Bundesregierung Initiativen des Saarlandes zur Gründung von Forschungseinrichtungen aufgeschlossen gegenüber. Dabei ist bei Einrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft die Eigen19710 verantwortung dieser Forschungsorganisationen zu respektieren. Auch im übrigen bemüht sich die Bundesregierung, den Besonderheiten des Saarlandes bei der überregionalen Forschungsförderung soweit wie möglich Rechnung zu tragen. Die EG-Initiative eines Europas der Forscher will die wissenschaftliche Zusammenarbeit innerhalb Europas voranbringen. Die Bundesregierung unterstützt die Zielsetzungen, die Mobilität der Forscher in Europa zu erhöhen und die regelmäßige Kooperation von Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen über die Ländergrenzen hinweg zu gewährleisten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fischer.

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, die Ansiedlung welcher Projekte im Rahmen von Eureka ist denn auf Grund der Tatsache, daß es zwischen den saarländischen Universitäten und Forschungseinrichtungen auf der einen Seite und den französischen Universitäten auf der anderen Seite schon eine enge Kooperation gibt, an der Saar geplant?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege, der Vorschlag für Eureka-Projekte kommt nicht aus dem Bereich des Bundesministers für Forschung und Technologie, sondern im wesentlichen aus der Wirtschaft, in erheblichem Umfang aber auch aus den Bereichen der Universitäten und der Länder. Es entzieht sich jetzt meiner Kenntnis, ob es derartige Ansinnen auch aus dem Bereich des Saarlandes gibt. Aber ich kann Ihnen auch dies nachreichen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage.

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß im Haushalt des Bundesforschungsministers Gelder für Eureka eingestellt worden sind, und zwar zu wenig, nämlich 40 Millionen DM - der französische Forschungsminister hat über 300 Millionen DM eingestellt -, so daß ich jetzt Schwierigkeiten habe, Ihre Antwort überhaupt zu verstehen, wenn nämlich die Gelder im Haushalt des Bundesforschungsministers eingestellt sind?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Der Bundesforschungsminister unterstützt selbstverständlich Eureka-Projekte, gleichgültig, woher sie kommen, wenn sie in den Rahmen des Gesamtprojekts passen. Dafür sind die Gelder auch vorgesehen. Nur, in eigener Initiative oder sozusagen auf eigene Rechnung führt der Bundesforschungsminister keine Eureka-Projekte durch; die müssen ja eine Rückkoppelung haben. Eureka-Projekte können nur Sinn haben, wenn es eine gemeinsame europäische Anstrengung gibt, möglicherweise im Bereich der staatlichen Vorsorge und Infrastruktur, aber im wesentlichen der wirtschaftlichen Kooperation; das ist das eigentliche Ziel von Eureka.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich, da Sie gerade ausgeschlossen haben, daß vom Bundesforschungsminister Eureka-Projekte unmittelbar gefördert werden, davon ausgehen, weil Sie zusätzlich für die Forschungskoordinierung im Bereich von 14 20 zuständig sind, daß dort eine Reihe von Eureka-Projekten angesiedelt sind, wo Sie an sich zuständig sind, was zumindest die Koordination betrifft?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege, Sie haben mich vielleicht mißverstanden. Ich habe nicht gesagt, daß der Bundesminister nicht selber fördert; nur, auf eigene Rechnung führt er nicht selbst, nicht allein Projekte durch. Selbstverständlich sind Gelder eingeplant, die sozusagen als Projektmittel den Unternehmern oder auch denjenigen zufließen, die Träger solcher Initiativen sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Danke schön, Herr Staatssekretär. Die Fragestunde ist damit beendet. Die noch ausstehende Beantwortung von Fragen wird schriftlich erfolgen.*) Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung zu erweitern um die Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) a) zum Antrag der Abgeordneten Büchner ({1}), Lambinus, Amling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sport und Umwelt b) zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Sicherung des Sports als Teil einer lebenswerten Umwelt - Drucksachen 10/3650, 10/4074, 10/6563 - Die Vorlagen sollen heute abend zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 4 aufgerufen werden. Einverstanden mit der Erweiterung der Tagesordnung? - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 3 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes - Drucksache 10/5863 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 10/6475 - *) Die Antworten werden im Plenarprotokoll 10/254 als Anlagen abgedruckt

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Dr. Nöbel Broll bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/6543 Berichterstatter: Abgeordnete Löher Dr. Weng ({1}) Frau Traupe ({2}) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes ({3}) - Drucksache 10/5958 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) - Drucksache 10/6474 - Berichterstatter: Abgeordnete Broll Dr. Nöbel bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/6544 Berichterstatter: Abgeordnete Löher Dr. Weng ({6}) Frau Traupe ({7}) Zu Tagesordnungspunkt 3 b liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6611 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b 30 Minuten vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ganz.

Johannes Ganz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000634, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heute in zweiter und dritter Lesung zu beratenden Gesetzentwürfe werden sicher nicht nur aus Zeitgründen verbunden debattiert, sondern auch deshalb, weil sie in sachlichem Zusammenhang stehen. In beiden Fällen geht es um Fürsorgemaßnahmen, die vorzunehmen auch wir als Parlament gegenüber unseren Soldaten verpflichtet sind. Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes wurde am 2. Oktober 1986 in erster Lesung beraten und an die Ausschüsse überwiesen. Wir, die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, bedanken uns bei den Kolleginnen und Kollegen der mitberatenden Ausschüsse, insbesondere des federführenden Innenausschusses, für die zügige Beratung, die es ermöglicht hat, diesen Entwurf heute, also nach zwei Monaten Vorarbeit, als Gesetz zu verabschieden. Im Vergleich zum Entwurf haben die Ausschußberatungen keine wesentlichen Änderungen erbracht, so daß ab 1. Januar 1987 der Wehrsold in allen Wehrsoldgruppen um 1 DM täglich und die besondere Zuwendung, sprich das Weihnachtsgeld, von derzeit 310 auf 340 DM angehoben werden. Gleiches gilt natürlich entsprechend § 35 des Zivildienstgesetzes auch für Zivildienstleistende. Die Mehrausgaben des Bundes nach diesem Gesetz - das beklagen wir nicht - belaufen sich für die Jahre 1987 und 1988 jeweils auf rund 110 Millionen DM. Die Geldbezüge der wehrpflichtigen und wehrübenden Soldaten sind schon immer entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung periodisch angehoben worden. Insoweit könnte man zur Tagesordnung übergehen, wenn das Gesetz nicht heute schon Vorsorge für das Jahr 1989 treffen würde. Wir beschließen schon heute eine weitere, und zwar strukturelle, Anhebung der Wehrsoldtagessätze um Beträge zwischen 2 und 6 DM ab 1. Juni 1989, eine Verdoppelung des Verpflegungsgeldes und ein Entlassungsgeld für alle W18er von 2 500 DM ebenfalls ab diesem Zeitpunkt. Der Mehraufwand wird sich dadurch 1990 im Vergleich zu 1986 auf rund 470 Millionen DM belaufen. Beide Maßnahmen, die Erhöhungen ab nächstem Jahr und die Festlegung heute schon für 1989, zeigen, daß sich diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen ihrer Verantwortung gegenüber unseren Soldaten sehr bewußt sind und insbesondere bemüht sind, die Interessen der Soldaten stetig, verläßlich, berechenbar und nachvollziehbar zu wahren und sie nicht Wechselbädern auszusetzen, wie es beispielsweise 1981 geschehen ist. Damals hat die SPD-Regierung auch den Wehrsold erhöht, aber gleichzeitig die Sparzulage gestrichen und die Bemessungsgrundlage zur Rentenversicherung auf 70 % abgesenkt. ({0}) Die Erhöhung hat Sie 110 Millionen DM gekostet, die Streichung und Senkung aber 416 Millionen DM eingebracht. Das ist die Wahrheit. Der Herr Kollege Steiner hat anläßlich der Einbringungsrede am 2. Oktober eine zeitgerechte Erhöhung des Wehrsoldes eingeklagt. Er sollte bitte einmal die Abstände vergleichen, die in Ihrer Regierungszeit zwischen den Änderungen lagen; diese waren ein bis eineinhalb Jahre länger als in unserer Zeit, obwohl die Inflationsrate damals nicht wie heute bei Null, sondern bei 5 % und darüber lag. ({1}) Soweit zum Wehrsoldgesetz! Ganz ({2}) Der von der SPD-Fraktion eingebrachte Änderungsentwurf zum Soldatenversorgungsgesetz, den wir ebenfalls am 2. Oktober in erster Lesung beraten und den Ausschüssen überwiesen haben, konnte die Zustimmung der Ausschüsse nicht finden, und zwar nicht deswegen, weil man den Handlungsbedarf bestritten hätte, sondern erstens deshalb, weil das im Entwurf aufgegriffene Problem der Zahlung von Übergangsgeld im Falle einer Rehabilitationsmaßnahme auf Grund eines Gesundheitsschadens, der nicht Folge einer Wehrdienstbeschädigung ist, nicht von der Frage der Absicherung längerdienender Soldaten gegen Arbeitslosigkeit losgelöst werden kann, und zweitens deshalb, weil eine Fülle von Detailfragen wie beispielsweise die Abgrenzung der nachwirkenden Fürsorgepflicht des Dienstherren oder die Frage der Präzedenzwirkung auf andere Bereiche in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht abschließend behandelt werden konnte. Im übrigen hat die SPD die Beratung selbst erschwert, ja, unmöglich gemacht, weil sie im Verteidigungsausschuß einen kompletten Entwurf eines Gesetzes zur Absicherung Längerdienender gegen Arbeitslosigkeit auf den hier in Rede stehenden Gesetzentwurf draufgesattelt hat. ({3}) Wir mußten also von der weiteren Beratung absehen, weil die geschäftsmäßigen Voraussetzungen zur Behandlung im Ausschuß wegen des Fehlens der ersten Beratung dieses Fragenkomplexes im Plenum nicht gegeben waren. Noch einmal: Es liegt mir fern, die Redlichkeit der SPD-Initiativen anzuzweifeln. In diesem Fall sind Ihre Anliegen auch unsere; das wissen Sie. Sie wissen aus den Ausschußberatungen auch, daß wir es gern gesehen hätten, wenn diese Probleme noch vor Ende dieser Legislaturperiode gelöst worden wären. ({4}) Wir mußten allerdings einsehen, daß ein Durchpeitschen, ein Stricken mit heißer Nadel, der Sache nicht dienlich gewesen wäre. ({5}) Nachdem sowohl der Verteidigungsausschuß als auch der Haushaltsausschuß in Entschließungen, die zusammengefaßt bei der dritten Lesung des Haushalts auch im Plenum angenommen wurden, die Regierung aufgefordert haben, die Frage der Absicherung gegen Arbeitslosigkeit und andere damit im Zusammenhang stehende Fragen durch Einbringung eines Gesetzentwurfs zu lösen, und die Bundesregierung ihrerseits ihre Bereitschaft dazu bekundet hat, bin ich sicher, daß dies zu Beginn der kommenden Legislaturperiode geschehen wird und daß wir so, und zwar frühzeitig, zu vernünftigen Lösungen kommen werden, die zum 1. Januar 1987 greifen können. ({6}) Zum Schluß dieser Legislaturperiode darf ich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen mit Genugtuung feststellen, daß wir auf dem Wege mit dem Ziel, unsere Verteidigungsbereitschaft zu stärken und unsere Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr zu fördern, ein gutes Stück vorangekommen sind. ({7}) Dafür möchte ich der Bundesregierung, insbesondere Herrn Bundesverteidigungsminister Dr. Wörner und seinem Haus, herzlich Dank sagen. ({8}) Unser besonderer Dank gilt aber auch unseren Soldaten und den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr für all das, was sie zur Wahrung des Friedens in Freiheit in dieser Zeit für uns geleistet haben. Sie können davon ausgehen, daß wir in der nächsten Wahlperiode zügig das aufnehmen, beraten und zum Abschluß bringen werden, was in dieser Wahlperiode aus Zeitgründen und anderen Gründen nicht möglich war. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heistermann. ({0})

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Verabschiedung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes und die Verabschiedung des Neunten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes wäre eine gute Gelegenheit gewesen, unter Beweis zu stellen, wie dieses Parlament die Sorgen und die Nöte der Soldaten zu lösen gedenkt. Daß dem nicht so ist, Kollege Ganz, dafür trägt die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP die alleinige Verantwortung. Während der gesamten 10. Wahlperiode haben wir feststellen müssen, daß außer leeren Sprechhülsen keine für die Soldaten relevanten Lösungen im sozialen Bereich durchgesetzt wurden. Wir verkennen nicht, daß es im Detail Verbesserungen gegeben hat, aber die großen Würfe sind dieser Regierung nicht gelungen. Schon das Weißbuch der Bundesregierung von 1983 enthielt keine einzige Silbe zum Personal der Bundeswehr und der Bundeswehrverwaltung. Wer gehofft hatte, diese Bundesregierung würde mit dem Weißbuch 1985 konkretere Ausführungen machen, sah sich erneut enttäuscht. Anfang 1986 war es wiederum die SPD-Bundestagsfraktion, die die Vorlage eines Berichtes zur sozialen Lage der Soldaten anfordern mußte. Ende April legte dann das Ministerium eine sechsseitige synoptische Darstellung von Leistungen und Verbesserungen vor, von denen die meisten erst ab 1989 wirksam werden sollen. Die Flucht in Versprechungen war auch hier der Ausweg; zu mehr war diese Regierung nicht fähig. Lassen Sie mich kritisch feststellen: Diese Regierung hat keine Konzeption für die Menschen in der Bundeswehr. Sie bleibt Gefangener von Rüstungsdenken und Beschaffungsvorhaben. In den Haushaltsverhandlungen für 1984 hatten wir am 6. Dezember 1983 einen Gesetzentwurf zur Anhebung des Wehrsoldes mit Wirkung vom 1. Januar 1984 eingebracht. Er wurde abgelehnt. Aber immerhin konnten wir erreichen, daß der Wehrsold zum 1. Oktober 1984, sechs Monate früher als geplant, erhöht wurde. In den Verhandlungen für den Haushalt 1986 hatten wir beantragt, den Wehrsold am 1. Oktober 1986 erneut zu erhöhen. ({0}) Auch dieser Antrag wurde abgelehnt. Auch hier können wir erfreut feststellen, daß es unserem Drängen zu verdanken ist, daß der Wehrsold zum 1. Januar 1987 erhöht wird. ({1}) Die SPD-Bundestagsfraktion - hören Sie gut zu! - wird den Verbesserungen des Wehrsoldes zum 1. Januar 1987 und zum 1. Juni 1989 sowie des Entlassungsgeldes zum gleichen Zeitpunkt zustimmen. Wir stimmen deshalb zu, weil damit sozialdemokratische Forderungen erfüllt werden. Politisch bleibt aber festzuhalten: Es war schon blamabel, wie sich diese Regierungskoalition bei den Anträgen der SPD-Bundestagsfraktion zur Erhöhung des Wehrsoldes verhalten hat. Ausdrücklich hebe ich aber hervor, daß wir die beabsichtigte Wehrdienstverlängerung auf 18 Monate ablehnen. Diese Entscheidung werden wir revidieren. ({2}) Für die SPD-Bundestagsfraktion darf ich in diesem Zusammenhang erklären: Die längere Dienstzeit der Zivildienstleistenden rechtfertigt ein höheres Entlassungsgeld. Die entsprechenden Gesetzesinitiativen werden wir zu Beginn der neuen Wahlperiode einleiten. Noch beschämender ist, daß sich diese Regierungskoalition außerstande sah, unserem Gesetzesvorhaben zuzustimmen, das den Soldaten auf Zeit, die wegen eines Gesundheitsschadens, der nicht Folge einer Wehrdienstbeschädigung ist, einer beruflichen Rehabilitation bedürfen, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses das zur Sicherung des Lebensunterhalts notwendige Übergangsgeld in entsprechender Anwendung des § 59 des Arbeitsförderungsgesetzes zu gewähren. Für Soldaten, die infolge eines Gesundheitsschadens den erlernten Beruf nicht mehr ausüben oder das gesteckte Berufsziel nicht verwirklichen können, ist eine befriedigende berufliche Eingliederung nur mit Hilfe von berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation möglich. Der finanzielle Jahresbedarf beträgt hierfür ca. 3 Millionen DM. Die Koalition sieht sich außerstande, diese Mittel bereitzustellen. Wenn es aber um die Beschaffung von Panzern, Flugzeugen oder Fregatten geht, dann sind Milliardenbeträge vorhanden. Mit dieser Relation vor Augen kann man erkennen, wie die soziale Wirklichkeit in dieser Koalition aufgehoben ist. ({3}) Mit großer Bitterkeit, Kollege Ganz, kann man da nur feststellen: Der Dank des Vaterlandes ist euch gewiß. Welche Gefühle müssen sich wohl bei einem betroffenen Soldaten einstellen, wenn er hört, daß der Haushaltsausschuß die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs mit der Auflage verbunden hat, daß die Bundesregierung bei der nächsten Änderung der Soldatenversorgung eine Regelung zu treffen habe, die dem SPD-Gesetzentwurf in der Drucksache 10/5958 Rechnung trägt? Wenn es noch eines Beweises für den Vorwurf der sozialen Kälte, die von dieser Regierungskoalition ausgeht, bedurft hätte: Hier wird er gerade exemplarisch geliefert. ({4}) Ebenso auf Ablehnung stieß unser Gesetzentwurf auf Absicherung ausscheidender Soldaten auf Zeit gegen Arbeitslosigkeit. Trotz mehrfacher gemeinsamer Beschlüsse des Verteidigungsausschusses war diese Regierung und Koalition nicht in der Lage, gesetzgebungsmäßig aktiv zu werden. Kollege Ganz, seit 1982 haben wir gemeinsame Beschlußlagen. Bis heute sind Sie nicht in der Lage gewesen, einen eigenen Gesetzentwurf oder eine Regierungsvorlage auf den Tisch zu legen. Peinlichkeiten an Peinlichkeiten mußten wir im Verteidigungsausschuß registrieren. Reihenweise fielen die Koalitionsabgeordneten um, als sie sich zu ihren eigenen Beschlüssen bekennen sollten, allen voran die FDP-Abgeordneten, ({5}) die ihre Zustimmung zu Beschaffungsvorhaben gerade von der Lösung dieses Problemes abhängig gemacht hatten. ({6}) Die Soldaten auf Zeit, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, wurden wiederum bitter enttäuscht. Sie überläßt man lieber der Sozialhilfe, und das nach Jahren treuer Diensterfüllung. Wir ersparen Ihnen auch hier den Vorwurf nicht, in der Truppe und auf Verbandstagungen nichts anderes als leere Sprechblasen verkündet zu haben. Die Soldaten können sich auf Ihr Wort nicht mehr verlassen. Sie haben in den letzten vier Jahren erfahren, wie ihre sozialen Belange und die ihrer Familien bei Ihnen aufgehoben sind. Ihre praktische Politik widerlegt Ihre Aussage, der Mensch habe im Mittelpunkt aller Politik zu stehen. Sie gehen mit dem Schicksal vieler Menschen unverantwortlich um. Auch ein SPD-Antrag, der auf die soziale Sicherung der Beamtenanwärter gegen Arbeitslosigkeit abzielt, verfiel der Ablehnung. Ihre Parole „Weiter so" muß bei den betroffenen Personen wie eine Ver19714 höhnung ihrer persönlichen Lebenssituation ankommen. Die von uns gestellten Anträge bleiben auf der Tagesordnung. Mit großer Genugtuung haben wir die Beschlüsse der Wehrpflichtigentagung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes zur Kenntnis genommen. Mit uns gemeinsam sind die Wehrpflichtigen gegen eine Verlängerung des Wehrdienstes. Sie wollen, daß beim Wehrsold der Taschengeldcharakter aufgegeben wird und ein Mindestgehalt anzustreben ist. Das sind Positionen, mit denen sich das neue Parlament auseinanderzusetzen hat. Den Soldaten in der Bundeswehr und ihren Familien versichern wir, daß wir Sozialdemokraten sie bei der Lösung ihrer sozialen Probleme nicht alleine lassen. ({7}) Unfähigkeit und soziale Kälte haben zukunftweisende Lösungen für viele Soldaten verhindert. Diese Koalition ist ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden. Sie hat schlicht und einfach versagt. ({8}) - Deshalb, Kollege Ganz und Kollege Wilz, werden die Bürger dieses Landes diese Politik auch entsprechend bewerten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedaure außerordentlich, daß in der Rede des Kollegen Heistermann von den Gemeinsamkeiten der Arbeit des Verteidigungsausschusses nichts, aber auch gar nichts mehr zu spüren war. ({0}) Herr Kollege Heistermann, in Anknüpfung an etwas, was Sie in Ihrer Rede gesagt haben, sage ich Ihnen: Die Soldaten der Bundeswehr können nur mit Verbitterung feststellen, daß die SPD-Fraktion dieses Hauses zu der Zeit, als Sie den Verteidigungsminister gestellt haben, mit Wehrsolderhöhungen und Verbesserungen der sozialen Lage der Soldaten weit zurückhaltender war, als Sie das heute hier versucht haben erkennen zu lassen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich darf die Frage stellen: Wird nicht angerechnet?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Natürlich nicht.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ronneburger, stimmen Sie mir vielleicht in der Auffassung zu, .. . ({0}) Ronneburger ({1}): Vermutlich nicht.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

... daß in dieser Periode erhebliche Mittel für zusätzliche Waffenkäufe bereitgestellt wurden - ich denke an 35 ECR-Tornado, 150 Leo 2 usw., was Milliardenbeträge waren - und daß die Koalition nicht in der Lage war, 50 oder 60 Millionen DM für die Verbesserung der sozialen Lage der Soldaten bereitzustellen?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich kann Ihnen aus zwei Gründen nicht zustimmen: erstens, weil auch in den vergangenen Jahren, Herr Kollege Dr. Klejdzinski, als wir noch in einer Koalition zusammensaßen, Entscheidungen über Waffenbeschaffungen mit Ausgaben in Milliardenhöhe getroffen worden sind und zugleich von Ihrer Seite die Anregung gefehlt hat, ähnliches zu tun, wie wir es in dieser Legislaturperiode getan haben, ({0}) nämlich für die soziale Situation der Soldaten entscheidende Verbesserungen einzuführen - im Gegensatz zu dem, was der Kollege Heistermann hier gesagt hat. Zum zweiten, Herr Kollege Klejdzinski, kann ich Ihnen nicht zustimmen, weil es erstmals möglich gewesen ist auf Drängen der FDP-Fraktion und hier vor allen Dingen Frau Seiler-Albrings die 50 Millionen DM in den Haushalt einzustellen. die erforderlich sind, um die Absicherung ausscheidender Zeitsoldaten gegen Arbeitslosigkeit durchzusetzen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Es wird nicht angerechnet.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine. Ich bitte darum, daß das dann die letzte ist.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ronneburger, ist meine Kenntnis richtig, daß Sie und der Kollege Feldmann im Verteidigungsausschuß erklärt haben, Sie stimmten dem Beschaffungsvorhaben nur zu, wenn gleichzeitig das Problem der Arbeitslosigkeit bei ausscheidenden Zeitsoldaten gelöst werde, .. .

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

... daß dies einstimmig im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages beschlossen wurde und wir gemeinsam die Regierung aufgefordert haben, einen Gesetzentwurf vorzulegen, damit noch in dieser Legislaturperiode die Entscheidung getroffen werden könnte?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, daß ich es bedaure, daß zwar der Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden wird, aber genauso entschieden und deutlich sage ich Ihnen: Die 50 Millionen und die 11 Millionen DM stehen im Haushalt. Wir werden diese Leistungen, für die wir uns gemeinsam eingesetzt haben, für das ganze Jahr 1987 erbringen. Das ist die Situation. Gestatten Sie mir zu den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen einige kurze Bemerkungen. Am Ende der Legislaturperiode, im Gegensatz zu dem, Herr Heistermann, was offenbar Ihre Auffassung ist, bedeutet es für mich tatsächlich ein wenig Genugtuung, nach der letzten Wehrsolderhöhung 1984 in ungewöhnlich kurzem Abstand - wenn ich auf die Vergangenheit zurücksehe -, heute über die erneute Anhebung des Wehrsoldes zum 1. Januar 1987 sprechen zu können; dies vor allem deswegen, weil wir mit dieser Wehrsolderhöhung dem immer wieder betonten programmatischen Ziel der Freien Demokraten, auch bei den Streitkräften den Menschen tatsächlich im Mittelpunkt zu sehen, einen kleinen Schritt nähergekommen sind. Dies ist ja nur eine einzige Maßnahme in einem ganzen Bündel, das in der 10. Legislaturperiode für den einzelnen Soldaten durchgeführt worden ist - hier vielleicht nur eine gerade eben spürbare Anerkennung. Aber lassen Sie mich auch das hier einmal so deutlich sagen: Wir geben lieber eine Mark direkt ins Portemonnaie des Soldaten, als daß wir sie, wenn auch zögernd und widerstrebend, für erneute Waffenbeschaffungen ausgeben. Für die ab 1989 notwendig werdende verlängerte Grundwehrdienstzeit sind weitere finanzielle Verbesserungen vorgesehen. Ich will das im einzelnen hier nicht darstellen, genauso, wie meine Zeit nicht ausreicht, um die einzelnen Maßnahmen, Herr Kollege Heistermann, die Sie bestritten haben, der letzten Legislaturperiode hier im einzelnen zu nennen. Auf einen Punkt aber will ich deutlich eingehen: Bei dem Entlassungsgeld sind in den Beratungen Fragen nach einer relativen Benachteiligung der Ersatzdienstleistenden aufgeworfen worden. Ich sage dazu: Das Gesetz trifft zu dieser Frage keine endgültige Entscheidung. Der Bundestag hat sich bei der Verlängerung der Wehrdienstzeit ausdrücklich vorbehalten, die Länge des Zivildienstes zu dem Zeitpunkt zu regeln, wenn diese Entscheidung ansteht, und bis dahin Erfahrungen auszuwerten sowie in Anhörungen von Betroffenen und Sachverständigen eine gute Grundlage für diese Entscheidung zu finden. Eines sei hier sehr deutlich gesagt: Ebenso, wie wir uns um die Herstellung der Wehrgerechtigkeit bemühen, müssen wir uns auch um Gerechtigkeit innerhalb der Dienstverpflichtungen der jungen Menschen in unserem Staat, aber auch zwischen den einzelnen Formen des Dienstes bemühen. Die FDP-Fraktion wird deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen. Der zweite Punkt, der heute im Zusammenhang erörtert wird, der Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes, der von der SPD-Fraktion eingebracht worden ist, hätte eigentlich von derselben Fraktion zurückgezogen werden müssen. Er umfaßt ja nur Regelungen für einen kleinen Bereich. Dieser kleine Teilbereich greift uns für eine Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes zu kurz. Bei einer Änderung wollen wir das Problem arbeitsloser Zeitsoldaten ebenfalls regeln. In ihrem geschäftsordnungswidrigen Versuch, die erste Lesung mit einem sogenannten Änderungsantrag zu umgehen, hat die SPD-Fraktion nachträglich zu erkennen gegeben, daß sie ihren eigenen Entwurf, über den wir heute sprechen, für unvollständig hält. Ich sage noch einmal: Wir haben die notwendigen Mittel eingestellt. Wir werden ab 1. Januar des nächsten Jahres Leistungen für die betroffenen Soldaten erbringen können. Wir werden das durchführen, was wir - auch Ihnen, Herr Kollege Heistermann, sage ich es noch einmal - spätestens seit Ende der 70er Jahre vielleicht gemeinsam hätten machen müssen, als nämlich die Arbeitslosigkeit ausscheidender Soldaten zu einem Problem wurde, was es in den Jahren zuvor nicht war. Das Soldatenversorgungsgesetz hat uns zu einer gesetzlichen Regelung aufgefordert. Wir sollten jetzt gemeinsam darangehen, diese gesetzliche Regelung so schnell wie möglich zu schaffen, um unseren Soldaten zu zeigen, daß wir uns um ihr Schicksal allerdings bekümmern. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Rusche.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An einem der letzten Sitzungstage in der 10. Legislaturperiode führen wir nun die Debatte zur zweiten und dritten Lesung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes und des Neunten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes. An unserer Meinung hat sich seit der ersten Lesung dieser Gesetze nichts geändert. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß es sich hierbei um eine Erhöhung handelt, die unsere Jungs bei der Bundeswehr und im Zivildienst mehr als verdient haben. Meine Fraktion wird daher sowohl der Wehrsolderhöhung als auch der Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes zustimmen. Wenn die Leute in der nächsten Zeit schon mehr Kriegsdienst und noch mehr Zivildienst machen müssen, dann sollten sie wenigstens auch etwas mehr Geld bekommen, das wir immer noch für viel zuwenig halten. ({0}) Bei der ersten Lesung zu diesen Gesetzen meinte der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach - er ist heute leider nicht hier; anscheinend ist es ein Kollege von ihm - feststellen zu können, daß die GRÜNEN und ich als Redner den Dienst der Soldaten und Zivildienstleistenden nicht anerkennen. Dem möchte ich hier noch einmal energisch widersprechen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die Einstimmigkeit im Ausschuß zur Reduzierung der Dienstzeitbelastung und zur Besserstellung der sozialen Lage der Soldaten. Schon der Ab19716 geordnete Vogt ({1}) - Sie erinnern sich sicher - bemerkte in seiner Rede vom 28. März 1985 anläßlich der Debatte über die Antwort auf die Große Anfrage der SPD zur sozialen Lage der Soldaten in den Streitkräften, daß wir uns für humane, würdige und soziale Lebensbedingungen der Soldaten und ihrer Angehörigen mit Nachdruck einsetzen. ({2}) Meine Damen und Herren, daran hat auch die Rotation nichts verändert. ({3}) Das ist ein Beweis der kontinuierlichen Politik der GRÜNEN. ({4}) - Hören Sie zu! Außerdem sprach Herr Würzbach in seiner damaligen Rede vom „großzügigen Taschengeld", das ein Gefreiter ab Juni 1989, wenn dieses Gesetz voll in Kraft getreten ist, mit 500 DM im Monat bar haben wird. Dem Herr Würzbach ist offensichtlich entgangen, daß es sich bei den Menschen, die zum Kriegsdienst eingezogen werden, bzw. bei den Zivildienstleistenden ({5}) - darüber können wir uns gerne streiten, ich sage Kriegsdienst -, die oft genug als billige Arbeitskräfte mißbraucht werden, um erwachsene Menschen handelt und nicht um Kinder, die man mit einem Taschengeld zufriedenstellen kann. ({6}) Es ist und bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein. Daran ändern auch die beschwichtigenden Reden von Herrn Würzbach nichts. Um es kurz zu machen - das Parlament hat in den wenigen Tagen, die wir noch zur Verfügung haben, jede Menge aufzuarbeiten -: Wir sind gegen Aufrüstung, wir sind gegen eine Aufblähung und Erweiterung der Bundeswehr, wir sind gegen eine zunehmende Militarisierung des Zivildienstes. ({7}) - Die Bundesregierung, das Kabinett, der Herr Wörner. ({8}) Aber selbstverständlich sind wir dafür, daß die Menschen, die unter den gegenwärtigen Bedingungen Kriegsdienst und Zivildienst leisten müssen, einen höheren finanziellen Ausgleich bekommen. Ich danke. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 a, den Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 10/5863 - in der Ausschußfassung. Ich rufe Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen ist der Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 b, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5958. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe Art. 1 dieses Gesetzentwurfes auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/6611 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen jetzt über Art. 1 des Gesetzentwurfs der SPD ab. Wer diesen Art. 1 anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Ich rufe Art. 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen sind auch diese Vorschriften und damit der gesamte Gesetzentwurf mit Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 5 bis 7 auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte - Drucksachen 10/6392, 10/6418 Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({0}) - Drucksache 10/6663 Berichterstatter: Abgeordnete Schwarz Brück Schäfer ({1}) und Frau Kelly ({2}) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses Vizepräsident Frau Renger ({3}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Einheitliche Europäische Akte - Drucksachen 10/6414, 10/6663 Berichterstatter: Abgeordnete Schwarz Brück Schäfer ({4}) und Frau Kelly Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu den Verfahren für die Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte in den nationalen Parlamenten und zur Verwirklichung der Europäischen Union - Drucksache 10/6454 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 60 Minuten vorgesehen. - Kein Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.

Heinz Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002125, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Koalition der Mitte wurde die Debatte über das Ziel der Europäischen Union wieder dynamisiert. Obwohl die Regierung Kohl erst neun Monate im Amt gewesen war, gelang ihr mit der Erklärung von Stuttgart eine neue Ära im Reformprozeß der Europäischen Gemeinschaft. ({0}) In dem Treffen von Stuttgart wurde das Mögliche erreicht. Mit zukunftsweisenden Vorschlägen wurde Selbstvertrauen zurückgewonnen; Europa hatte wieder eine Perspektive. Ich beschreibe nur einmal die Lage. Die Gemeinschaft befand sich in einer Phase der politischen und wirtschaftlichen Stagnation, und Stagnation ist Rückschritt. Der Haushalt benötigte dringend eine Sanierung. Es gab keine europäische Konzeption für den Umweltschutz. Der Agrarmarkt war über Jahre hinweg falsch strukturiert worden. ({1}) Unter deutscher Präsidentschaft erhielt die EG wieder realistische Ziele. Stuttgart war der Grundstein für eine neue Etappe. ({2}) Was dort eingeleitet wurde, konnte in Fontainebleau umgesetzt werden und mündete in die Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte. In der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 9. Dezember 1985 wurde das Ereignis von Luxemburg treffend beschrieben. Ich zitiere: Die zwölf Regierungschefs haben einen guten Teil dessen vollbracht, was sich realistischerweise erhoffen ließ. Sie bewegten sich von Anfang an diesseits illusionärer Vorstellungen und verzichteten auf deklamatorische Leerformeln. Meine Damen und Herren, in Luxemburg ist der Reformprozeß der EG nicht abgeschlossen worden; dank der Initiative der deutschen Regierung hat er dort erst begonnen. Auf dieser Grundlage wird die fortschreitende Einigung Europas zur Wahrung der großen Gleichgewichte der Welt beitragen. Die Einführung von Mehrheitsentscheidungen beendet das unselige Einstimmigkeitsprinzip. Das Hauptziel der Akte, die Durchsetzung des Binnenmarktes bis 1992, rückt damit sehr nahe. Zweifellos ist die Einheitliche Europäische Akte der bedeutendste Schritt zur Europäischen Union seit dem Abschluß der Römischen Verträge. Zum erstenmal ist es gelungen, einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag über die politische Einigung der EG zustande zu bringen. Fazit: Europa ist ein gutes Stück vorangekommen. Meine Damen und Herren, die Gemeinschaft ist ein Binnenmarkt von 320 Millionen Verbrauchern. Um in Zukunft unsere Stellung auf dem Weltmarkt zu stabilisieren, um unseren Wohlstand und unsere wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben und um neue Arbeitsplätze zu schaffen, brauchen wir realistische Konzepte. Darum geht es bei der Europäischen Akte mit ihrer Verwirklichung des Binnenmarktes. Der europäische Binnenmarkt ist eine Waffe gegen die Arbeitslosigkeit. Er bietet die Möglichkeit, international an der Spitze zu bleiben. Will sich Europa mit den Großen messen, so geht das nur auf gemeinschaftlicher kontinentaler Ebene. Um einen wirtschaftlichen Führungsanspruch zu behaupten, brauchen wir eine effiziente Forschungs- und Technologiepolitik. Der Gemeinschaft ist es gelungen, diese einzubringen und gesondert in der Akte zu formulieren. Die EG verfügt über Finanzmittel und ein riesiges Potential an menschlichem Know-how. ({3}) Erst der koordinierte Einsatz, die gemeinsame Zielvorgabe und die Harmonisierung der unterschiedlichen Strategien in Wissenschaft und Technik geben der Entwicklung neue Kraft und neue Impulse. Das Europäische Parlament erhält endlich mehr Rechte und mehr Verantwortung. Natürlich hätten wir als Parlamentarier unseren Kollegen in der Gemeinschaft mehr Mitwirkungsrechte gewünscht. Alle realistisch Denkenden unter uns wissen aber, wie schwer bei zwölf Verhandlungspartnern allein ein Minimalkonsens erreicht werden kann. Bundeskanzler Helmut Kohl hat recht, wenn er die europäische Politik in dieser Zeit als Politik der kleinen Schritte bezeichnet. Wir in der Union sind keine Instrumentalisten, sondern Realisten. Wir wollen institutionellen Fortschritt nicht um seiner selbst willen. ({4}) Ich erwarte, daß die stärkere Einbeziehung des Europäischen Parlaments dazu führt, über 1992 hinaus seine vollen demokratischen Befugnisse zu erhalten. Nur dann, wenn das demokratisch gewählte Parlament seine klassischen Felder - Gesetzgebung, Haushalt und Kontrolle der Exekutive - erhält, werden die getroffenen Entscheidungen zum Willen des Volkes. Ich las in einer großen deutschen Tageszeitung in diesen Tagen, ({5}) mit welchen Richtlinien sich der Ministerrat zu beschäftigen hat - entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich jetzt beim Vorlesen verspreche -, und zwar war da von dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über hinter dem Führersitz montierte Umsturzvorrichtungen mit zwei Pfosten für Schmalspurzugmaschinen mit Luftbereifung" die Rede. Ins Deutsche übersetzt: Die Beamten der Kommission haben zum Schutz der Fahrer kleiner Traktoren - um nichts anderes handelt es sich dabei - eine hundertseitige Richtlinie ertüftelt. ({6}) Dies sollte uns Mahnung sein, daß mehr Europa nicht gleichzeitig mehr Bürokratie bedeuten darf. ({7}) Was wir brauchen, ist ein Europa der Bürger und nicht der Bürokraten. ({8}) Außenpolitisch wird die Europäische Politische Zusammenarbeit durch die Akte auf eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage gestellt. Mit diesem entscheidenden Fortschritt erhält die Stimme Europas mehr politisches Gewicht in der Welt. Dies ist der Weg zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Ohne gemeinsame Verteidigungspolitik im Rahmen des Atlantischen Bündnisses bleibt die Europäische Union unvollständig. Dem Europäischen Parlament muß dabei einmal die Verantwortung zukommen, im Rahmen seiner Kompetenz gemeinsame europäische Sicherheitsinteressen herauszuarbeiten. Nur im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik kann das Ziel einer deutschen Wiedervereinigung in freier Selbstbestimmung erreicht werden. Die Aufnahme des Umweltschutzes in EG-Zuständigkeit ist Grundlage für eine internationale Solidarität in der Bekämpfung von Umweltschäden. In der Umweltpolitik ist unsere Regierung der Aktivist Europas. Umweltpolitik ist zu einer umfassenden Umweltvorsorge zu entwickeln. Sie muß aus einem Guß getrieben werden. Nötig war deshalb eine internationale Strategie. Der Reaktorunfall in der kommunistisch regierten Sowjetunion und Vorfälle der letzten Woche haben dies gezeigt. Dabei rufen wir nicht nach Zentralismus, sondern nach Subsidiarität - ein Grundprinzip der Union. Die Väter des Grundgesetzes haben das Spannungsfeld von föderativem Prinzip, staatlicher Einheit und dem Ziel eines Vereinten Europas zum Leitmotiv der Präambel erhoben. Deshalb wird die Regierung den zentralistischen Tendenzen entgegenwirken, die in Länderzuständigkeiten eingreifen. Das Beharren auf dem Einstimmigkeitsprinzip in den Ratsbestimmungen in dieser Frage hat es bewiesen. Meine Damen und Herren, Europapolitik betrifft selbstverständlich auch die Kompetenzen der Bundesländer. Deshalb wurde die Beteiligung der Länder in das Gesetzgebungsverfahren eingebaut. Wir sind stolz, als einziges Land in der EG eine ausgeprägte föderale Ordnung zu besitzen. Ich begrüße die Auffassung der Bundesregierung, die Mitwirkung der deutschen Länder in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft als verbesserungsfähig anzusehen. Die Entscheidungsprozesse in europäischen Angelegenheiten sind nicht einfach. Ich verstehe die Haltung der Bundesregierung, ihre verfassungsmäßig garantierte außenpolitische Handlungsfähigkeit zu bewahren. Gleichzeitig ist sie bemüht, den Konsens mit den Ländern zu erreichen. Als ehemaliger Minister eines Bundeslandes und Bewürworter des Föderalismus bin ich davon überzeugt, daß es der Bundesregierung gelingt, die Kompetenzen der Länder zu wahren und gleichzeitig eine rasche flexible Außenpolitik in Brüssel fortzuführen. Als Mitglied dieses Hohen Hauses erwarte ich von der Regierung, daß sie auch ohne entsprechende gesetzliche Regelungen den Bundestag schnell über europäische Vorgänge informiert, nicht nur auf Anfrage des Parlaments, sondern auch aus eigener Initiative. ({9}) Meine Damen und Herren, unser Ziel bleibt die Europäische Union. Gerade für unsere junge Generation bietet ein geeintes, freies und demokratisches Europa eine faszinierende Perspektive. Die Regierung hat mit Entschlossenheit den richtigen Schritt getan. Ich bin zuversichtlich, daß das Gesetz über die Einheitliche Europäische Akte am 1. Januar 1987 in Kraft tritt. Unsere Regierung ist der Motor eines Europas der Bürger. Deshalb stimmen wir der Vorlage der Bundesregierung zu. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt zahlreiche Felder, auf denen unsere politischen Positionen einander deutlich gegenüberstehen. Die Europapolitik ist eines der Felder, auf denen wir wenigstens in der Zielsetzung übereinstimmen, darin nämlich, daß der Prozeß der europäischen Einigung so lange voranschreiten muß, bis wir die Europäische Union tatsächlich verwirklicht haben. Trotz aller Fortschritte, die die Europäische Gemeinschaft seit Inkrafttreten der Römischen Verträge gemacht hat, sind wir von diesem Ziel noch immer weit entfernt. Gewiß, die Gemeinschaft umfaßt heute zwölf Länder mit 320 Millionen Einwohnern; ihr Bruttosozialprodukt ist höher als das der Vereinigten Staaten von Amerika und bei weitem höher als das der Sowjetunion. Wäre die Gemeinschaft bereits eine wirkliche Union, stünde sie in der Staatengemeinschaft der Welt nach der Einwohnerzahl hinter China und Indien an der dritten Stelle der Weltrangliste und nach ihrer Wirtschaftskraft sogar an der ersten Stelle. Ihr politisches Gewicht bleibt heute indes deutlich hinter dem zurück, was diese Zahlen als möglich erscheinen lassen. Nach wie vor sind wir von den Schwankungen des Dollarkurses abhängiger, als wir sein müßten, wenn wir schon eine einheitliche europäische Währung hätten. ({0}) Nach wir vor bleibt unser Einfluß auf die weltpolitische Entwicklung spürbar hinter dem zurück, den wir nehmen könnten, wenn wir wirklich mit einer Zunge sprächen. Nach wie vor verhandeln die Supermächte in Genf vor allem über unser Schicksal, ohne daß Europa mit am Tisch als Partner dieser Gespräche säße. ({1}) Wir haben auch die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft, die sich schon jetzt in der Gemeinschaft bieten. Der einheitliche Binnenmarkt besteht nur auf Teilgebieten. Die Mittel der Gemeinschaft werden im Übermaß, zu über 75%, für eine Agrarpolitik beansprucht, deren Ergebnisse von Jahr zu Jahr unsinniger erscheinen. Gemeinschaftliche Anstrengungen zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit in Europa kommen schon wegen der übermäßigen Konzentration der finanziellen Ressourcen auf die Agrarpolitik über bescheidene Anfänge nicht hinaus. Es ist j a richtig, Herr Kollege Schwarz, daß die Gemeinschaft ein Mittel gegen die Arbeitslosigkeit wäre; aber wir machen einen völlig unzulänglichen Gebrauch von diesem Mittel, vor allem aus finanziellen Gründen. ({2}) Ähnliches, meine sehr verehrten Damen und Herren, gilt für die gemeinschaftlichen Anstrengungen auf dem Gebiet der Sozialpolitik, der Regionalpolitik, der Technologiepolitik und des Umweltschutzes. Auch eine effiziente gemeinschaftliche Sicherheitspolitik existiert noch nicht in ausreichendem Maße, wenn auch erfreulicherweise in der Diskusssion gewisse Fortschritte zu erkennen sind. Vor allem entbehrt das Europäische Parlament nach wie vor der Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte, die für nationale Parlamente ganz selbstverständlich sind. ({3}) Dieses Europäische Parlament ähnelt - dies ist kein Wort der Kritik an den Mitgliedern des Parlaments - insoweit eher den konsultativen Körperschaften des Vormärz im letzten Jahrhundert als einer Volksvertretung modernen Zuschnitts. Die Völker der Gemeinschaft sind sich dieser Defizite durchaus bewußt. Die Europamüdigkeit, von der häufig die Rede ist und von der auch die Besetzung des Hauses und - entschuldigen Sie, Herr Staatsminister - der Regierungsbank Zeugnis ablegt ({4}) hat hier ihre wichtigste Ursache. ({5}) Ich sage j a gar nicht, daß zu unserer Zeit mehr dagewesen wären, aber ich konstatiere einfach das Bild des Hauses. ({6}) - Wenn sich die Herrschaften darüber geeinigt haben, wer in diesem Punkt besser war, wiederhole ich die Feststellung: Auch das Bild, das das Haus heute bietet, spiegelt ein Stück von dieser Europamüdigkeit wider. Die üppig wuchernde europäische Bürokratie vermag diese Defizite nicht auszugleichen. Diese Bürokratie führt eher zu jenen sklerotischen Zuständen, zu jener „Euro-Sklerose", die jede Dynamik lähmt, ja mitunter geradezu erstickt. Wenn ich von Bürokratie rede, meine ich nicht den Präsidenten der Kommission, der gerade in den letzten beiden Tagen gezeigt hat, daß er der Dynamik in europäischen Angelegenheiten durchaus fähig ist. Das Europäische Parlament hat diese Gefahren erkannt. Der vom Parlament vorgelegte Entwurf eines Vertrages zur Schaffung einer Europäischen Union, der sogenannte Spinelli-Entwurf, ist ein kühner Versuch, die Verkrustungen zu durchbrechen. Wir sind bereit, an seiner Verwirklichung mitzuarbeiten. Deshalb haben wir Sozialdemokraten - wenn ich richtig sehe, als erste Fraktion in diesem Hause - eine positive Stellungnahme zu diesem Entwurf abgegeben. Bedauerlicherweise hat die Bundesregierung die Beratungen dieses Vertragsentwurfs im Deutschen Bundestag nicht beschleunigt und gefördert, sondern eher verzögert. Auch von der Union, von der CDU/CSU, kamen zu dem Entwurf mehr Bedenken als Anstöße. Wir bedauern das. Es wäre gut, wenn künftig alle Seiten des Hauses konstruktiver an der Stellungnahme des Deutschen Bundestages zu diesem Entwurf mitarbeiten würden. ({7}) Auch die Regierungen der Mitgliedsländer haben in den vergangenen Jahren den Zustand der Ge19720 meinschaft beklagt und einen neuen Anlauf versprochen. Der Herr Bundeskanzler ging dabei in seinen Ankündigungen ganz besonders weit. Am 27. Juni 1985 hat er im Deutschen Bundestag gesagt: Ich halte es für ganz undenkbar, daß wir beim nächsten Wahlgang zum Europäischen Parlament, - von dem trennen uns nicht mehr sehr viele Jahre bei dem wir die Bürger Europas auffordern, in freier, geheimer und direkter Wahl zur Wahlurne zu gehen, das Parlament, was seine Kompetenzen betrifft, in dem gleichen Zustand sehen, wie wir ihn heute feststellen müssen. Und - die Wendung kommt uns bekannt vor -! Ich halte das für gänzlich unerträglich. So schloß der Bundeskanzler. ({8}) Was er uns jetzt unter dem anspruchsvollen Titel Einheitliche Europäische Akte zur Ratifizierung vorlegt, bleibt weit hinter diesen Ankündigungen zurück. ({9}) Es bewegt sich an der untersten Grenze des Akzeptablen. Das sind die Hauptmängel des Vertragswerkes: Erstens. Die vorgesehene Frist für die Schaffung des Binnenmarktes ohne Grenzen bis 1992 hat nur deklaratorische Bedeutung. Ihre Überschreitung bleibt rechtlich folgenlos. Für besonders wichtige Gebiete, nämlich für den Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und für die Steuerharmonisierung, gilt auch weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip. Zweitens. Die Währungsunion wird zwar als Ziel genannt. Die bestehenden nationalen Zuständigkeiten werden aber nicht angetastet und angepaßt, sondern ausdrücklich respektiert. Also auch die Zuständigkeit der Deutschen Bundesbank, die bekanntlich der Währungsunion von allen in Betracht kommenden Stellen am stärksten widerspricht. Also wird auch hier alles beim alten bleiben. ({10}) Drittens. Auf dem Gebiet der Forschung und der Technologie bleibt Eureka außerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Im Bereich der Umweltpolitik wird das Einstimmigkeitsprinzip festgeschrieben. Außerdem wird die gemeinschaftliche Umweltpolitik ausdrücklich dahin eingeschränkt, daß sie sich nicht auf die einzelstaatliche Politik der Nutzung der Energieressourcen auswirken darf. Vor allem aber ist die Funktion des Europäischen Parlaments kaum gestärkt worden. An rechtssetzenden Entscheidungen, also an dem, was bei uns die Gesetze oder zustimmungsbedürftige Verordnungen sind, ist das Europäische Parlament so wie bisher nur geringfügig oder gar nicht beteiligt. Die Europäisierung einer Aufgabe, also ihre Überführung aus dem nationalen Bereich auf die europäische Ebene, bedeutet also gleichzeitig eine Entdemokratisierung, eine Entparlamentarisierung. Denn was der Bundestag und die nationalen Parlamente an Zuständigkeiten verlieren, geht nicht auf das Europäische Parlament, sondern auf den Ministerrat, also auf die Exekutive, über. Jede Oberleitung ist also gleichzeitig eine Art Ermächtigungsgesetz, ({11}) nicht im schlimmen Sinne der 30er Jahre, sondern im Sinne der Einschränkung der Rechte der Volksvertretung. Das ist ein undemokratischer und unparlamentarischer Vorgang. Wir wissen: Für dieses wenig befriedigende Ergebnis ist die Bundesregierung nicht allein verantwortlich. Es sind zwölf Mitgliedsländer. Aber die Bundesregierung, Herr Staatsminister, war während der Verhandlungen nur selten bei der europäischen Vorhut. Oft genug hat sie gebremst, wo sie hätte antreiben oder mit gutem Beispiel vorangehen können. Unvergessen ist auch die Tatsache, daß die Bundesregierung in einer kritischen Phase der Verhandlungen erstmals in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft für die Bundesrepublik ein Veto eingelegt hat, also gerade das Instrument benutzt hat, dessen Abschaffung sie angeblich mit solchem Nachdruck betreiben wollte. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister, es ist auch kein Ruhmesblatt, daß die Bundesregierung die Ratifizierung so lange hinausgezögert hat und wir nun auch beim Ratifizierungsprozeß zur europäischen Nachhut gehören. Meine Herren, die Verständigung mit den Bundesländern, die jedenfalls in der zweiten Reihe erfreulich stark vertreten sind, aber auch in der ersten Reihe - es gibt ein Übergewicht hier auf der Bundesratsseite; es ist unausgewogen -, ({12}) die uns jetzt präsentiert wird, hätte auch schon im Frühjahr erzielt werden können. Inhaltlich geht diese Verständigung doch nicht wesentlich über die Vereinbarungen hinaus, die Helmut Schmidt 1979 als Bundeskanzler mit Johannes Rau, dem damaligen Präsidenten des Bundesrates, getroffen hat. ({13}) Sie hebt diese Vereinbarung nur von der Ebene einer Regierungsabrede auf die Ebene der Gesetzesnorm. Der föderale Charakter der Bundesrepublik wird sicherlich damit in besonderer Weise unterstrichen. Dem muß nach Meinung der Sozialdemokraten entsprechen, daß die Länder von ihren Beteiligungsrechten, die nun in Gesetzesform verbrieft sind, nicht nur einen bundesfreundlichen, sondern auch einen betont europafreundlichen Gebrauch machen. ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Fraktion hat die Vor- und Nachteile des Vertragswerks sorgfältig abgewogen. Wir sind dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß ein Nein das europapolitische Gewicht der Bundesrepublik schwächen und den Einigungsprozeß mehr behindern als fördern würde. Wir verkennen auch die - allerdings, wie wir meinen, geringen - Fortschritte nicht, die sich aus dem Vertragswerk bei richtiger Handhabung ergeben können. Deshalb stimmt meine Fraktion dem Ratifizierungsgesetz zu. In einem gesonderten Antrag machen wir allerdings deutlich, was nach unserer Ansicht geschehen muß, um tatsächlich voranzukommen. Stillstand bedeutet gerade im europäischen Prozeß Rückschritt. Wieder ist ein solcher Stillstand, meine Damen und Herren, auch für den europäischen Gipfel in London am kommenden Wochenende, am 5. und 6. Dezember 1986, zu befürchten. Die Anzeichen mehren sich nämlich. Jetzt, nach den Interviews, die Herr Delors gestern gegeben hat, kann man schon gar nicht mehr von Anzeichen reden, sondern es steht schon fest, daß die zentralen Probleme der Gemeinschaft, nämlich die Finanzsituation und die Agrarpolitik, wieder einmal vertagt werden sollen. Herr Delors führt darüber bittere Beschwerde. Daß er sagt, die Kommission fühle sich von den Regierungschefs behandelt, als wenn es sich um Schulbuben handele, ist auch kein sehr erfolgverheißender Auftakt für diesen Gipfel. Wir wollen - so wiederhole ich - als Sozialdemokraten keinen Stillstand in Europa. Wir wollen den europäischen Fortschritt. Denn wir sagen, daß dieses Europa noch immer eine weltumspannende Aufgabe hat. Europa kann auf die weltpolitische Entwicklung ausgleichend und mäßigend einwirken. Europa kann helfen, Hunger und Elend in der Welt zu überwinden. Europa kann auch Konfrontation mildern und Zusammenarbeit voranbringen. Europa hat mit den Vereinigten Staaten von Amerika die Überzeugung gemeinsam, wie eine Gesellschaft demokratisch und rechtsstaatlich verfaßt sein soll und wo die Grenze staatlicher Macht gegenüber dem Individuum und seinen Rechten verlaufen sollte. Aber dieses Europa teilt mit der Sowjetunion und den Völkern Osteuropas die Erfahrung, was es bedeutet, wenn das eigene Land vom Krieg überzogen und verwüstet wird. Eine Erfahrung, die - ich sage: erfreulicherweise - Amerika in seiner kurzen Geschichte von 200 Jahren erspart geblieben ist. Um diese Aufgabe, die ich hier umreiße, zu erfüllen, muß Europa nicht zur Supermacht werden. Es muß nur sein wirtschaftliches Gewicht, seine geistigen Traditionen und seine geschichtlichen Erfahrungen einbringen, Erfahrungen, die es im Laufe von mehr als 2 000 Jahren auch aus Fehlern und aus blutigen Tragödien gewonnen hat. Es muß endlich zur Einheit finden. Zur Erreichung dieser Einheit müssen wir, wenn dieses Ratifizierungsgesetz verabschiedet ist, unverzüglich einen neuen und drängenden Anlauf nehmen. Ich danke Ihnen. ({15})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf. ({0})

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tatsache, daß es die Einheitliche Europäische Akte gibt, ist ein Erfolg unserer Regierungspolitik. ({0}) Die letzten Jahre haben nämlich gezeigt - Sie sollten mit Ihrem Hohngelächter aufhören -, daß wir bei der Weiterentwicklung der Gemeinschaft zur Europäischen Union an Grenzen gestoßen sind. Nun ist der Römische Vertrag um die in der Akte genannten Bereiche geändert und ergänzt worden, nämlich Verwirklichung des Binnenmarktes bis 1992, Festigung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft, Einbeziehung der Bereiche Forschung, Technologie, Umwelt in den Vertrag, Straffung des Beschlußverfahrens im Rat und Erweiterung der Rechte des Europäischen Parlaments. Meine Damen und Herren, die Akte führt die Europäische Politische Zusammenarbeit, die EPZ, mit der Europäischen Gemeinschaft zusammen. ({1}) Dies ist ein Erfolg auch unseres Außenministers, dessen seinerzeitige Initiative mit dem italienischen Amtskollegen Colombo - die Genscher-Colombo-Initiative - der erste Baustein hierzu war. ({2}) Wir begrüßen es deshalb, wenn es nun doch gelingt, auch in der Bundesrepublik die Akte noch vor dem 1. Januar 1987 zu ratifizieren. Wir bedauern aber, daß dies nicht eher möglich war, obwohl die Europa-Kommission des Bundestages bereits Vorarbeit geleistet hatte. Wir bedauern auch, daß die Ausschüsse des Bundestages nicht länger Zeit hatten, sich mit dieser wichtigen Materie zu beschäftigen. Das Ratifikationsverfahren hat - für manchen unerwartet - zu einer Reihe von rechtlichen Fragen im Verhältnis des Bundes zu den Ländern geführt. Professor Eschenburg hat hierzu einen sehr lesenswerten Artikel in der „Zeit" veröffentlicht und mit Sorge auf die drohende Gewichtsverlagerung zwischen den Bundesorganen hingewiesen. Die europapolitischen Entscheidungen werden für die Bundesregierung in Zukunft schwieriger, meine Damen und Herren. ({3}) Wir Liberalen bedauern dies außerordentlich. Es ist in höchstem Maße politisch bedenklich, wenn in den Bundesländern eine Nebenaußenpolitik - zum Teil gegen die Bundesregierung - veranstaltet wird. ({4}) Es gibt ja heute fast kein Bundesland mehr, das nicht seine eigene Vertretung in Brüssel hätte. Leider hat das SPD-geführte Hamburg diesen einmaligen Reigen eröffnet. Insofern, Herr Vogel, haben Sie hier vorhin einige Krokodilstränen vergossen. Wir Freien Demokraten erklären an dieser Stelle nochmals mit allem Nachdruck: ({5}) Das Grundgesetz hat der Bundesregierung das Monopol der Außenpolitik zuerkannt. ({6}) Nur die Bundesregierung vertritt demnach die Bundesrepublik Deutschland nach außen, nicht die Bundesländer. Natürlich wäre es töricht zu leugnen, daß durch die europäische Integration auch Interessen und Kompetenzen der Länder berührt werden. Deshalb waren die Länder ja auch schon bisher im Entscheidungsprozeß vertreten. Es gab und es gibt auch Mitspracherechte im Vorfeld der politischen Entscheidungen. Nach wie vor besteht das Angebot des Auswärtigen Amtes, statt der Errichtung eigener Büros in Brüssel Länderbeauftragte in die dortige Ständige Vertretung zu entsenden. Es darf nicht passieren, daß die europäische Integration durch unkontrollierte oder gar konkurrierende Länderaktivitäten gelähmt oder blockiert wird. Die Bundesländer hatten schon auf nationaler Ebene Schwierigkeiten, sich zu einigen. Ich erinnere an die Bildungspolitik und an die jüngst gescheiterte gemeinsame Medienpolitik. Schließlich ist noch ein weiterer Punkt zu beachten. Gerade wir als Parlamentarier - Herr Vogel hat mit Recht darauf hingewiesen - müssen sehen, daß die Nebenaußenpolitik der Bundesländer zu einer Entparlamentarisierung der Politik führt. Durch die Mitsprache des Bundesrates schwindet die Verantwortlichkeit der Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag, wobei aber gleichzeitig kein Zuwachs von Kompetenzen der Länderparlamente zu verzeichnen ist. Meine Damen und Herren, die Einheitliche Europäische Akte ist in ihrer Substanz trotzdem eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Europäischen Union. All denen, die sich mehr gewünscht haben, müssen wir sagen: mehr konnte auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs nicht erreicht werden. Die Akte bietet uns einen erweiterten Handlungs-getroffen werden, z. B. im Bereich der Grenzkontrollen, bei der Annäherung der Steuersätze - übrigens ist die Große Steuerreform, die die Bundesregierung vorhat, ein wichtiger Schritt in diese Richtung und Gestaltungsspielraum, der nun politisch genutzt werden muß. Gelegenheiten dafür gibt es viele. Der Wirtschaftsministerrat zu Beginn dieser Woche war ein erfreulicher Auftakt. Die notwendigen Entscheidungen zur Erreichung des Binnenmarkts bis 1992 können nun leichter, nämlich mit Mehrheit, ({7}) - Sie sind ein Kleiner -, ({8}) bei der Freigabe des Kapitalverkehrs, bei einem gemeinsamen Dienstleistungsmarkt, bei der Angleichung nationaler Normen und Standards und nicht zuletzt bei der europaweiten Ausschreibung öffentlicher Aufträge. Ich hoffe sehr, daß im Verlauf dieses Prozesses das uns fast schon zur Gewohnheit gewordene Bild der Zerstrittenheit und der Entscheidungsblockaden in Europa zurückgedrängt wird zugunsten einer entschlossenen und einer handelnden Gemeinschaft. Auch auf die Bundesrepublik Deutschland kommen in diesem Zusammenhang in den nächsten Jahren eine Reihe von entscheidenden Fragen zu, die auch eine konsistente und glaubwürdige Haltung notwendig machen. Zum Beispiel: Wie ernst wird es uns dann sein mit einer Reform des europäischen Agrarmarktes? Meine Damen und Herren, die deutsche Landwirtschaft hat bisher unter zu wenig Europa mehr gelitten als unter zuviel Europa. Hätten wir schon einen Gemeinsamen Markt mit einheitlichen Steuern, Normen, veterinärpolizeilichen Bestimmungen und ohne versteckte Subventionen gehabt, dann gäbe es in der Agrarpolitik auch heute schon weniger Probleme. Was wird politisch unternommen gegen die vielbeschworene Agrarlastigkeit des EG-Haushalts? Vorschläge zur Trennung der Haushalte und einer Regionalisierung liegen ja auf dem Tisch der Kommission. Sind wir bereit zu akzeptieren - ich zitiere den Bundeskanzler -, „daß nur ein vernünftiger und gerechter Interessenausgleich zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten auf Dauer Bestand hat"? Und sind wir dann bereit anzuerkennen, daß die Bundesrepublik nur ein Partner ist, wenn auch ein sehr wichtiger, unter 12 Mitgliedern der Gemeinschaft? Die anderen verfolgen gerade uns mit besonderer Aufmerksamkeit und sehen uns als beispielgebend an, sowohl im guten wie im schlechten Sinne. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Abfolge von Ankündigungen, Krisen und neuen Bekenntnissen darf nicht zum Pulsschlag der europäischen Einigung werden. Die Akte, der wir zustimmen, muß ein neuer Anfang sein. Danke sehr. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Auhagen.

Hendrik Auhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000064, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie viele Strukturentscheidungen sind in der Vergangenheit hier leichtfertig gefällt worden, die heute noch schwer auf uns lasten? Wie viele von Ihnen, liebe Kollegen, bereuen heute nicht den Sog von Sachzwängen im Gefolge solcher Strukturentscheidungen wie z. B. durch die Atomenergie oder die Landwirtschaftpolitik? Angesichts dieser Erfahrung ist es schlimm, wie beiläufig die abschließende Behandlung hier durchgezogen wird; denn bei der Einheitlichen Europäischen Akte handelt es sich um eine der folgenschwersten Entscheidungen dieses Parlaments. Meine Damen und Herren, für die Erfahrenen unter Ihnen ist klar: Zur Durchsetzung politischer Ziele sind Absichtserklärungen weniger wichtig als reale Handlungsmöglichkeiten. Solche realen Handlungsmöglichkeiten, insbesondere für eine soziale und ökologische Politik, werden durch die Europäische Akte aufgegeben. Die wichtigsten Kritikpunkte sind für uns daher: Verstärkung der Sachzwänge durch die Vollendung des Binnenmarkts und der Demokratieverlust. Außerdem sehen wir die Gefahr, daß jedenfalls manche Leute, insbesondere in der CDU, den Gedanken haben, aus der Europäischen Gemeinschaft den zweiten nuklearen Pfeiler der NATO zu machen, was wir strikt ablehnen. Um zum ersten Punkt zu kommen: Die Vollendung des Binnenmarktes ist vor allen Dingen aus zwei Gründen zu kritisieren. Es wird zu einer Verstärkung der Sachzwänge kommen mit der Folge, daß ökologische Standards nicht deklamatorisch, aber faktisch reduziert werden. Nun werden Sie einwenden: Die Einheitliche Europäische Akte garantiert höhere nationale Umweltstandards einzelner Mitgliedstaaten. In der Theorie ist das positiv. Sehen Sie sich aber die Praxis an. Was passiert, wenn ein einzelnes Land höhere Standards z. B. bei Lebensmitteln hat, dann aber durch Vollendung des Binnenmarktes die Grenzen abgeschafft werden, wenn es keine Grenzkontrollen gibt? Nehmen wir ein Beispiel. Die Bestrahlung von Lebensmitteln ist bei uns im Gegensatz zu anderen EG-Ländern weitgehend verboten. Wie aber soll dieses Prinzip durchgehalten werden, wenn bestrahlte Lebensmittel ohne Grenzkontrollen - denn nach 1992, es wird ein bißchen später sein, wird es keine Grenzkontrollen bei der Durchsetzung der Europäischen Akte mehr geben - hereinkommen? Wie sollen diese höheren Standards kontrolliert werden? Das Ergebnis wird sein, daß die ausländischen Hersteller Konkurrenzvorteile haben, weil sie sich nicht an die höheren Standards zu halten haben. Daraus folgt dann bei uns auch ohne europäische Rechtsverpflichtung der Sachzwang für inländische Produzenten, Druck auf die Regierung auszuüben, diese einheimischen Standards auf EG-Niveau anzugleichen, um nicht Konkurrenznachteile zu erleiden. Das zweite Argument. Ein vollendeter Binnenmarkt bedeutet den Verzicht auf das auch von der SPD geschätzte Instrument der indirekten Steuern für ökologische und soziale Ziele; denn unterschiedliche indirekte Steuern sind in einer EG ohne Binnengrenzen nicht möglich. ({0}) Meine Damen und Herren, Sie sind lebensfremd, wenn Sie glauben, daß jemand noch Zigaretten in Deutschland kaufen wird, wenn er die Zigaretten in Holland oder Frankreich für die Hälfte des Preises bekommt. So wird die Praxis aussehen. ({1}) Insofern werden wir drastischen Handlungsverlust haben, was nationale Regulierungen angeht, bei Verbrauchsteuern oder bei der Energiesteuer, die Sie bei „Arbeit und Umwelt" auch verlangen, ({2}) oder z. B. bei einem Instrument, das für eine Reform der Landwirtschaftspolitik sehr wichtig ist, nämlich die Stickstoffabgabe. So wurde im Finanzausschuß von dem Vertreter der Bundesregierung erklärt, eine Stickstoffabgabe wäre in der Bundesrepublik zwar jetzt gesetzlich noch möglich, würde aber der Vollendung des Binnenmarktes entgegenstehen. Damit werden die Sachzwänge schon deutlich, auf die wir hinkommen. Der Binnenmarkt wird seine Dynamik entfalten, die Konkurrenzmechanismen des Marktes werden Druck auf die einzelnen Regierungen ausüben, und der politische Handlungs- und Gestaltungsspielraum der Parlamente wird drastisch reduziert sein. Auf der anderen Seite - und das ist unser weiterer Kritikpunkt, auch der Kritikpunkt der SPD - sehen wir die Gefahr einer Entdemokratisierung. Die nationalen Parlamente verlieren Kompetenzen; aber diese Kompetenzen gehen nicht auf das Europäische Parlament über, jedenfalls nicht in nennenswertem Maße. Statt dessen wird der Einfluß der Regierungen Europas stärker werden. Diese Entdemokratisierung lehnen wir entschieden ab. ({3}) Da liegt auch der Widerspruch bei Ihnen von der SPD. Sie kritisieren in Ihrem Antrag auch diese Entdemokratisierung, kommen dann aber zum Schluß dahin, daß Sie dieser Europäischen Akte doch zustimmen. Lassen Sie mich zum Abschluß erklären: Wir GRÜNEN sind für eine enge europäische Zusammenarbeit zur Lösung der dringenden Umwelt- und Sozialprobleme. Wir GRÜNEN sind für eine wirkliche Solidarität der reichen Länder Europas mit den armen Ländern Europas, aber wir sprechen uns hier ganz eindeutig gegen ein Europa der Sachzwänge aus, gegen ein Europa der Regierungen. Das ist für uns kein Fortschritt, das ist für uns ein Rückschritt. Darum lehnen wir die Europäische Akte ab. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Staatsminister im Auswärtigen Amt Stavenhagen. ({0})

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung ist im Moment auf dem Podium vertreten, und Herr Kollege Schreckenberger verstärkt mich. ({0}) Meine Damen und Herren, ich bin dankbar, daß hier wieder die Bedeutung der Einheitlichen Europäischen Akte für die europäische Integration gewürdigt worden ist. Diese Akte stellt den Stand der Integration dar. Es ist das erreicht worden, was im Kreise der Zehn - und jetzt seit 1. Januar dieses Jahres der Zwölf - integrationspolitisch möglich war. Es ist aber auch ein wichtiger Schritt voran auf dem Weg zur Europäischen Union. Ich begrüße, Herr Dr. Vogel, daß Sie die Übereinstimmung in der europapolitischen Zielsetzung hier unterstrichen haben. ({1}) Nicht begrüßen kann ich natürlich Ihre Kritik an der Bundesregierung, denn ich halte sie nicht für begründet. Wir haben mit dem Gipfel von Stuttgart - dem Stuttgarter Paket - über Fontainebleau bis zu Mailand einen geraden Weg vorgezeichnet, der in die Regierungskonferenz einmündete und an dessen Ende die Einheitliche Europäische Akte steht. Wir waren, wie Sie wissen, in all diesen Jahren Motor und haben die Dinge vorangebracht. ({2}) - Herr Kollege, wenn Sie das Veto ansprechen, so ging es um das Geltendmachen vitaler Interessen. Das ist möglich. Sie sind wiederholt vorher schon geltend gemacht worden, insbesondere im Kreis der Ständigen Vertreter. ({3}) - Das ist im Vertrag nicht enthalten, ist aber respektiert worden. ({4}) Wenn alle zur vollen Einhaltung der Verträge zurückkehren, dann sind wir einen großen Schritt voran. Es ist j a auch das Ziel der Einheitlichen Europäischen Akte, mit Mehrheitsentscheidungen eine neue europäische Dynamik auszulösen. Herr Dr. Vogel, ich halte auch die Kritik von Herrn Delors nicht für berechtigt. ({5}) - Herr Dr. Vogel hat es hier erwähnt. Es ist in Fontainebleau eindeutig festgelegt worden, daß, bevor neue Beschlüsse gefaßt werden können, die Kommission Bericht zu erstatten hat über die Haushaltsdisziplin, über die Entwicklung der Finanzen, über Agrarfragen, über das Strukturproblem. Dies wird die Kommission tun, aber nicht vor dem Rat. Es ist nur sinnvoll, daß man auf Grundlage der Überlegungen und Vorschläge der Kommission diskutiert, nicht aber umgekehrt. Mit der Vollendung des Binnenmarktes bis 1992 haben wir ein politisches Ziel gesetzt. Es ist in der Tat richtig, daß es keine rechtliche Automatik gibt. Aber die Einheitliche Europäische Akte enthält einen Überprüfungszeitpunkt, zu dem der Erfolg bei der Vollendung des Binnenmarktes überprüft werden soll, woraus dann die Mitgliedstaaten die entsprechenden Schlüsse zu ziehen haben. Die Gemeinschaft hat viel erreicht, beweist ihre Vitalität, hat in diesem Jahr große Herausforderungen angenommen: die Integration Spaniens und Portugals, die Straffung der Entscheidungsverfahren, wie sie in der Einheitlichen Europäischen Akte vorgesehen sind, die Verstärkung der demokratischen Dimension. Wir haben immer wieder unsere Haltung zu den Mitwirkungsrechten des Europäischen Parlaments klargemacht, haben auch weitergehende Vorschläge unterbreitet, die nicht konsensfähig waren. Wenn nun aber beklagt wird, daß das Europäische Parlament noch nicht mehr Mitwirkungsrechte hat, als sie in der Einheitlichen Europäischen Akte enthalten sind, dann ist, Herr Dr. Vogel, ein Blick auf Ihre Schwesterpartei in Dänemark natürlich auch notwendig, die j a entschieden gegen weitere Rechte für das Europäische Parlament eingetreten ist. ({6}) Dies ist - das hat die Bundesregierung wiederholt erklärt - ein Zwischenschritt, was die Rechte des Europäischen Parlaments angeht. Wir wollen, hierauf weiter aufbauend, dem Europäischen Parlament die vollen demokratischen Funktionen übertragen. Die für die Zukunft der Gemeinschaft in der Tat entscheidende Frage lautet: Wie können wir auf Gemeinschaftsebene eine vollwertige Demokratie entwickeln? Dazu genügt eben nicht nur die mittelbare demokratische Legitimation des Rates der Europäischen Gemeinschaften durch die nationalen Parlamente. Die Europäische Akte dokumentiert, aber auch die Entschlossenheit der Mitgliedstaaten, die demokratische Entwicklung voranzubringen. In der Übergangsphase kommt es auf eine enge Zusammenarbeit der Regierungen mit den nationalen gesetzgebenden Körperschaften an. Deswegen gibt es seit 1957 das Unterrichtungsverfahren nach Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen. Bundestag und Bundesrat werden laufend über Entwicklungen in der Gemeinschaft unterrichtet. Die Unterrichtung erfolgt vor Beschlußfassung im Rat der Gemeinschaft, soweit durch solche Beschlüsse in der Bundesrepublik Deutschland gesetzgeberische Akte notwendig werden oder unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird. Diese Regelung gilt uneingeschränkt weiter. Nicht nur das Zuleitungsverfahren, sondern auch andere aktuelle Unterrichtungen sowie die umfänglichen halbjährlichen Integrationsberichte belegen die bisStaatsminister Dr. Stavenhagen herige Praxis der Unterrichtung. Die Bundesregierung wird auch künftig Bundestag und Bundesrat aktiv über alle wichtigen Entwicklungen in der Gemeinschaft informieren. Sie wird die Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat bei ihren Entscheidungen über gemeinschaftspolitische Fragen berücksichtigen. Insofern hat der Bundestag keine andere Stellung als der Bundesrat. Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder gilt allerdings eine Besonderheit. Hier ist die Bundesregierung durch den Verfassungsgrundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens verpflichtet, auf die Belange der Länder in besonderem Maße einzugehen. Diesem Zweck diente bereits der Briefwechsel des Bundeskanzlers mit dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz von 1979. Der wesentliche Inhalt dieser Regelungen soll nunmehr auf Wunsch des Bundesrates in das Zustimmungsgesetz aufgenommen werden. Die Bundesregierung hat hierfür in ihrer Gegenäußerung Formulierungen vorgeschlagen, die den Ländern entgegenkommen, aber zugleich die verfassungsmäßig garantierte außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung wahren. Auch mit dieser Regelung ist die Bundesregierung wie bisher in der Lage, die Entscheidungen der Gemeinschaft rasch und wirksam mitzugestalten. Auf dieser Grundlage können Bund und Länder im Gesamtinteresse der Bundesrepublik Deutschland konstruktiv und vertrauensbewußt zusammenarbeiten und gemeinsam dazu beitragen, daß die Ziele der Einheitlichen Europäischen Akte vereinbarungsgemäß verwirklicht werden. Ich bitte Sie deshalb, entsprechend dem Beschlußvorschlag des federführenden Auswärtigen Ausschusses dem Gesetzentwurf mit dieser Ergänzung zuzustimmen. Die Europäische Akte ist unabdingbare Voraussetzung für künftige Fortschritte in den zentralen Bereichen europäischer Integration, die Vollendung des Binnenmarktes, die Wirtschafts- und die Währungspolitik, für Forschung und technologische Entwicklung und auch für den grenzüberschreitenden Umweltschutz. Die Europäische Politische Zusammenarbeit erhält eine völkerrechtliche Verbindlichkeit und wird intensiviert. Die innere, aber auch die äußere Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft werden entscheidend gestärkt. Und, Herr Dr. Vogel, es ist überhaupt keine Frage, daß hier noch mehr zu tun bleibt. Europa muß lernen, außenpolitisch mit einer Stimme zu sprechen und seine Interessen mit einer Stimme einzubringen. Die positiven Elemente der Europäischen Akte werden in dem Entschließungsantrag der Opposition nicht angemessen gewürdigt. Vision und Maximalziele einer Europäischen Union sollten uns weder zu wirklichkeitsfremder Euphorie noch zu pessimistischer Resignation veranlassen. Die Europäische Akte ist das Ergebnis einer Politik des Augenmaßes, die zum heutigen Zeitpunkt das Bestmögliche erreicht hat. In fünf Mitgliedstaaten haben die Parlamente bereits entschieden. Auch in den übrigen Mitgliedstaaten wird das Ratifikationsverfahren bis zum Jahresende abgeschlossen. Ich bedanke mich dafür, daß sich hier abzeichnet, daß eine große Mehrheit des Hauses diesem Gesetz zustimmen wird. Damit kann die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der Gemeinschaft leisten. Schönen Dank. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einheitlichen Europäischen Akte auf den Drucksachen 10/6392 und 10/6418. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei sechs Gegenstimmen ist das Gesetz mit großer Mehrheit angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung in Zusatzpunkt 6. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6663 unter Nr. 2, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6414 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen worden ist. Zu Zusatzpunkt 7 wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 10/6454 an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Ich rufe den Punkt 13 auf: a) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung und Finanzierung eines Friedensfonds - Drucksache 10/5420 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Finanzausschuß Verteidigungsausschuß Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Nickels, Frau Schoppe, Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Siebenunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({1}) - Drucksache 10/1694 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({2}) Verteidigungsausschuß c) Beratung der Sammelübersicht 157 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/5740 - Vizepräsident Stücklen d) Beratung der Sammelübersicht 180 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6251 - e) Beratung der Sammelübersicht 185 des Petitionsausschusses ({5}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6428 Zu Punkt 13c der Tagesordnung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6617 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Punkte 13a bis 13e der Tagesordnung 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fritsch.

Horst Fritsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000600, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf meiner Fraktion zur Errichtung und Finanzierung eines Friedensfonds ist im Spannungsfeld zwischen Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes, der die Gewissensfreiheit der Bürger und Bürgerinnen garantiert, und dem fiskalischen Grundsatz angesiedelt, nach dem die einzelnen Steuerpflichtigen nicht über die Verwendung ihrer Steuerleistungen selbst bestimmen können. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, in einem für die Verdeutlichung konsequenten Friedenswillens entscheidenden Punkt den Raum der einzelnen, entsprechend ihrem Gewissen handeln zu können, zu erweitern. ({0}) Es geht also nicht - um jedes Mißverständnis von Anfang an auszuräumen - um einen Steuerboykott, sondern um die Möglichkeit, den Anteil an der Steuerschuld, der dem Anteil der Militärausgaben am Gesamthaushalt entspricht, einer Verwendung für nichtmilitärische Zwecke zuführen zu können. ({1}) Wir GRÜNEN antworten mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes auf die Gewissensnot einer zunehmenden Zahl von Menschen, die ihre unmittelbare Verantwortung für den Frieden auch auf diese Weise zum Ausdruck bringen wollen. ({2}) Ein solcher Friedensfonds in der Form eines nichtrechtfähigen Sondervermögens des Bundes mit eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung sowie der Kontrolle der Verwendung der Mittel durch einen Ausschuß des Deutschen Bundestages soll die Aufgabe haben, folgende Ziele und Projekte zu fördern und finanziell zu unterstützen: erstens innerstaatliche und internationale Institutionen, die sich mit Fragen des Weltfriedens und der friedlichen Konfliktlösung befassen, zweitens Forschungsarbeiten für nichtmilitärische und gewaltfreie Lösungen internationaler Konflikte, drittens internationale Konferenzen, die dem Frieden und der Abrüstung dienen, einschließlich des dazugehörigen internationalen Erfahrungs- und Meinungsaustauschs, viertens innerstaatliche und internationale Institutionen, die sich mit Entwicklungshilfepolitik befassen, fünftens Verbesserungen der Gesundheits-, Wohlfahrts- und Bildungssysteme sowie der Wirtschaftsstruktur in Entwicklungsländern, sechstens Hilfsprogramme für die Zivilbevölkerung in Ländern mit Kriegs-, Kriegsfolge- oder Katastrophenschäden sowie für Flüchtlinge und Vertriebene, siebentens Programme zur Friedenserziehung und Entwicklungshilfepolitik, achtens Programme für die Umstellung von Betrieben und die Umschulung von Beschäftigten bei Verlagerung von militärischer auf zivile Produktion und schließlich neuntens die Information der Öffentlichkeit über die Aktivitäten des Friedensfonds. ({3}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, eine zunehmende Zahl von Menschen begreift, daß sie die Sache des Friedens - übrigens auch des Friedens mit der Natur - und die Sache der Gerechtigkeit in die eigenen Hände nehmen müssen; denn es ist zu offensichtlich geworden, daß die Herrschenden zur Herstellung und zur Bewahrung von Frieden und Gerechtigkeit nicht in der Lage sind. Ich füge hier in aller Deutlichkeit hinzu: Ich habe manchmal den Eindruck, als seien sie dazu auch nicht willens. ({4}) Eine zunehmende Zahl von Menschen - nicht nur hier in der Bundesrepublik, sondern in aller Welt - erkennt, daß in vielfältiger Weise Zeichen des Friedens und konsequente Schritte auf dem Weg zum Frieden das Gebot der Stunde sind, und - das ist die neue Qualität - sie wollen die Verantwortung für die Zeichen und Schritte auch selbst übernehmen. ({5}) Dieser Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, ist ein weiterer Anstoß meiner Fraktion und vieler Initiativen im Lande, der sich ausbreitenden Kultur eines unnatürlichen Todes die Kraft des Gewissens entgegenzusetzen. Ich danke schön. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schroeder.

Dr. Conrad Schroeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002075, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Annahme des Gesetzentwurfes der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einrichtung eines sogenannten Friedensfonds wäre ein erster kräftiger Schritt zur Entmachtung unseres Parlamentes, des frei gewählten höchsten Souveräns in unserem Land. ({0}) - Hören Sie doch vielleicht erst mal zu. Ein erheblicher Teil der Steuereinnahmen unterläge künftig nicht mehr der freien, ungebundenen Verfügung des Bundestages. Das Königsrecht des Dr. Schroeder ({1}) Parlaments, den Etat aufzustellen, wäre im Kern ausgehöhlt. Durch eine Zwangsfestlegung eines Teils der Einkommensteuer auf einen Sonderfonds würden auch Länder- und Gemeindehaushalte in ihren Anteilen beschnitten und damit auch Länder-und Kommunalparlamente in ihren Haushaltsrechten zurückgedrängt. ({2}) Das Grundgesetz und die Verfassungen der einzelnen Bundesländer weisen die Entscheidung über die Verwendung der staatlichen Einnahmen nicht dem einzelnen Bürger zu, sondern den frei gewählten Volksvertretungen in Bund, Ländern und Gemeinden. ({3}) Mit der Feststellung und Verabschiedung der öffentlichen Haushalte vollziehen die Parlamente einen Auftrag der Wähler, darüber zu entscheiden, ob und wie für einzelne Aufgaben Finanzmittel eingesetzt werden sollen. ({4}) Das Wesen der Demokratie erfordert, daß die von einer parlamentarischen Mehrheit getragene Politik, wenn auch nicht von allen gutgeheißen, so doch zumindest von jedermann respektiert wird und für alle Bürger festgelegte Pflichten auch allgemein erfüllt werden. Hier kann weder einzelnen Personen noch Gruppen ein Sonderstatus eingeräumt werden, ohne unsere demokratische Grundordnung in einem Kernbereich auszuhöhlen. Steuern dienen der Deckung des allgemeinen staatlichen Finanzbedarfs und werden voraussetzungslos geschuldet. Es gibt weder eine „Rüstungsteuer" noch eine „Friedensteuer". Es gibt auch keinen „Rüstungsanteil" und auch keinen „Friedensanteil" am Steueraufkommen. Schon der Ansatz der Fraktion der GRÜNEN ist hier falsch. ({5}) Unsere Verfassung verbietet nämlich einen Angriffskrieg. Damit gibt es auch keine Finanzierung zur Vorbereitung eines Angriffskrieges. Die von den GRÜNEN vorgeschlagene Aufteilung der Steuereinnahmen führt auch zu einer Diskriminierung der Bürger, die gesetzestreu nach den allgemeinen Verpflichtungen weiter an die Finanzämter zahlen, und denen, die sich durch eine einfache persönliche Erklärung von der allgemeinen Steuerzahlung loskaufen ({6}) und sich mit ihrem Sonderstatus noch das Mäntelchen eines angeblich ethisch und moralisch höherwertigen Verhaltens umhängen. Art. 4 des Grundgesetzes kann die Gesetzesinitiative der GRÜNEN ebenfalls nicht unterstützen. Dieses Grundrecht schützt den einzelnen allein davor, gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen zu werden. Gegen das Steuerzahlen schützt dieser Grundgesetzartikel nicht. ({7}) Die GRÜNEN wollen einen Weg beschreiten, mit dem Entscheidungen einer Mehrheit der Wähler durch den Hintereingang partiell rückgängig gemacht werden. Sie wollen ihre Auffassung über Verteidigungsausgaben gegenüber und neben dem Parlament durchsetzen. Die Initiative ihrer Fraktion ist aber nicht nur rechtlich unhaltbar und politisch falsch, sondern kann sich auch gerade gegen die Initiatoren dieses Gesetzentwurfs als ein Bumerang erweisen: Wenn jeder künftig seine Steuern nach subjektiven Erwägungen und nach eigenem Gutdünken zahlen könnte, wäre bald für viele Aufgaben unserer Gesellschaft, die lebensnotwendig, aber häufig nicht immer populär sind, kein Geld mehr vorhanden. Dem Steuerboykott gegen Verteidungsausgaben würden weitere folgen, wobei der Beifall sicher nicht immer von der gleichen Seite des Hauses käme: Steuerboykott gegen die Nutzung der Kernenergie, Steuerboykott gegen Straßenbau oder auch Steuerverweigerung, um einen Schwangerschaftsabbruch nicht mehr mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Das Budgetrecht des Parlaments darf nicht paralysiert werden. Es hat seine guten Gründe und hat sich in der Vergangenheit bestens bewährt. Dabei muß es auch bleiben. ({8}) Der Gesetzentwurf der GRÜNEN ist untauglich, um die von Ihnen angeschnittenen Probleme zu lösen. ({9}) Der Überweisung werden wir, wie vorgeschlagen, zustimmen. Wir hoffen, daß Sie in den Ausschußberatungen von unseren Argumenten überzeugt werden. Danke schön. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zum Gesetzentwurf zur Errichtung und Finanzierung eines Friedensfonds: In einer parlamentarischen Demokratie entscheidet das Parlament über die Verwendung der Staatseinnahmen. Würde dem einzelnen Bürger die Möglichkeit eingeräumt, die Verwendung seiner Steuern für bestimmte Zwecke auszuschließen, so fiele die Entscheidung über die Ausgabenpolitik und damit über die Gesamtpolitik nicht durch das Parlament und nicht in einem demokratischen Verfahren. ({0}) Das Mehrheitsprinzip würde aufgegeben. Damit verlöre die Demokratie ihre Handlungsfähigkeit. Bei Verlust der Handlungsfähigkeit wäre die Demokratie nicht lebensfähig. ({1}) Richtig ist, daß die Gewissensfreiheit in Art. 4 des Grundgesetzes garantiert ist und daß insbesondere niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf. Die Gewissensfreiheit des einzelnen Bürgers wird nicht verletzt, wenn die Staatseinnahmen für Zwecke verwendet werden, die mit seinem Gewissen nicht vereinbar sind. Eine aktive Friedens- und Abrüstungspolitik ist so dringend erforderlich wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Von ihr hängt mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fortexistenz der Welt ab. Eine aktive Friedens- und Abrüstungspolitik kann durch einen Friedensfonds, der die in § 2 des Gesetzentwurfes aufgeführten Ziele und Projekte fördert und finanziell unterstützt, durchaus unterstützt werden. Die Mittel eines solchen Fonds müssen jedoch aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt werden. Die Leistungsfähigkeit eines solchen Friedensfonds dürfte nicht von den Zufälligkeiten abhängen, die dem Finanzierungsmodell des vorliegenden Gesetzentwurfes anhaften. ({2}) Im übrigen dürfen keine Illusionen darüber entstehen, daß die entscheidenden Bedingungen für eine aktive Friedens- und Abrüstungspolitik durch die Errichtung eines Friedensfonds nicht geschaffen werden, daß der Prozeß der Friedenssicherung und der Abrüstung letztlich nur ein beiderseitiger sein kann und daß dabei die Souveränität und die Freiheit auch der kleinen und mittleren Staaten gewährleistet bleiben müssen. Zweitens. Zum Gesetzentwurf zur Streichung von Art. 96 Abs. 2 des Grundgesetzes. Art. 96 Abs. 2 des Grundgesetzes erlaubt es dem Bund, Wehrstrafgerichte als Bundesgerichte zu errichten. Durch Streichung des Art. 96 Abs. 2 würde dem Bund diese Befugnis zur Errichtung von Wehrstrafgerichten als Bundesgerichten zwar genommen. Das, wenn ich es richtig sehe, eigentliche Anliegen des Gesetzentwurfes, die Errichtung von Wehrstrafgerichten überhaupt unmöglich zu machen, wäre allerdings nicht erreicht. ({3}) Denn nach Art. 101 des Grundgesetzes können Gerichte für besondere Sachgebiete, also auch Wehrstrafgerichte, eingerichtet werden, dann allerdings nicht als Bundesgerichte, sondern als Landesgerichte. Art. 96 Abs. 2 ist Teil der in den 50er Jahren eingeführten Wehrverfassung. In den Ausschußberatungen hatte die SPD damals die Auffassung vertreten, daß man soweit wie möglich auf Wehrstrafgerichte verzichten solle. Jedenfalls müsse ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet sein. Der Gerichtsherr der alten Militärgerichtsbarkeit dürfe in keiner Form wiederkehren. Die Richter müßten unabhängig sein und die Befähigung zum Richteramt haben. Auch die Wehrstrafrichter sollten nach der Forderung der SPD durch Richterwahlausschüsse gewählt werden. Die SPD hat sich damals mit ihren rechtsstaatlichen Forderungen weitgehend durchgesetzt. Bei der Frage, ob im Verteidigungsfall eine Wehrstrafgerichtsbarkeit erforderlich ist, lassen wir uns von zwei Erwägungen leiten: 1. Strafbare Handlungen von Soldaten dürfen auch im Verteidigungsfall nicht straflos bleiben. 2. Es muß sichergestellt werden, daß Soldaten für Straftaten wie jeder andere Staatsbürger in einem rechtsstaatlichen Verfahren und vor Gerichten zur Verantwortung gezogen werden, die hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit und ihrer fachlichen Qualifikation anderen Gerichten nicht nachstehen. Diesen Gesichtspunkten wird am ehesten Rechnung getragen, wenn die ordentlichen Gerichte für die Soldaten zuständig sind, und zwar auch im Verteidigungsfall. Die Erreichbarkeit der ordentlichen Gerichte läßt sich auch im Verteidigungsfall in ähnlicher Weise sicherstellen wie die etwaiger Wehrstrafgerichte. Das gilt um so mehr, als die Bundeswehr einen reinen Verteidigungsauftrag hat und weitreichende Angriffsoperationen in weit entfernt liegenden schwer erreichbaren Gebieten nicht stattfinden. Ich bin darüber hinaus der Auffassung, daß es nicht angeht, eine Wehrstrafgerichtsbarkeit durch den gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53a, 115e des Grundgesetzes nach Eintritt des Verteidigungsfalles einzurichten. Drittens. Zu den Petitionen: 1. Wir sind der Auffassung, daß der zivile Ersatzdienst so, wie das in Art. 12 a des Grundgesetzes vorgesehen ist, notwendig und richtig ist, um die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung zu dokumentieren und um eine gleiche Belastung für Wehrdienstleistende und Wehrdienstverweigerer herbeizuführen. Der Zivildienst muß allerdings so ausgestaltet sein, daß Zivildienstleistende nicht zu Aufgaben herangezogen werden, die der Bundeswehr gestellt sind. 2. Den staatlichen Zugriff auf privates Eigentum im Verteidigungsfall für Zwecke der Landesverteidigung halten wir für zulässig und geboten. Art. 4 des Grundgesetzes wird dadurch nicht berührt. Aus diesen Gründen unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses in den Drucksachen 10/6428 und 10/6251. 3. Die Petitionen, die auf Drucksache 10/5740 aufgeführt sind, müssen nach unserer Auffassung - wir haben zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses einen Änderungsantrag eingebracht; der Herr Präsident hat darauf hingewiesen - als Material an die Bundesregierung verwiesen werden. Zu den Verfassungsbeschwerden gegen die Verurteilungen wegen sogenannter Sitzblockaden nach § 240 StGB haben vier von acht Richtern des Bundesverfassungsgerichts die Auffassung vertreten, daß diese Verurteilungen aus zwei Gründen verfassungswidrig sind.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Emmerlich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Göhner?

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn nicht angerechnet wird, sehr gerne.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Emmerlich, können Sie mir bitte erklären, warum Ihre Fraktion hier einen solchen Antrag stellt, im Ausschuß aber, wo dies sehr ausführlich beraten worden ist, einen solchen Antrag nicht stellt?

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz einfach, weil die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts damals noch nicht bekannt war. Zu den Verfassungsbeschwerden gegen die Verurteilungen wegen sogenannter Sitzblockaden als Nötigung nach § 240 StGB haben vier von acht Verfassungsrichtern. die Auffassung vertreten, daß diese Verurteilungen - ich wiederhole das hier gern noch einmal für Sie, Herr Göhner - aus zwei Gründen verfassungswidrig sind, nämlich weil der Gewaltbegriff von den Gerichten in verfassungswidriger Weise ausgelegt und weil in verfassungswidriger Weise die Verwerflichkeit angenommen worden sei. Auch 28 Strafrechtsprofessoren haben die Auffassung vertreten, daß die Verurteilungen gegen die Verfassung verstießen. ({0}) Angesichts dieser Sachlage erscheint es nicht gerechtfertigt, Verurteilungen für gewaltfreie - ich betone: gewaltfreie - Sitzblockaden, die vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durchgeführt worden sind, aufrechtzuerhalten und noch nicht abgeschlossene Verfahren weiter zu betreiben. Die Bundesregierung soll nach unserer Auffassung prüfen, wie eine dementsprechende Regelung unter Einbeziehung der Bundesländer erreicht werden kann. Bei rechtskräftigen Verurteilungen kommt insbesondere eine Begnadigung in Betracht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Fraktion der GRÜNEN auf Errichtung und Finanzierung eines sogenannten Friedensfonds ist nach meiner Meinung ein klassisches Beispiel für die grüne Methode, ein allseits gewünschtes Ziel von hoher moralischer Qualität in spektakulärer und unseriöser Weise für ihre politischen Ziele zu vermarkten. ({0}) Stellen wir uns doch einmal vor, wir würden der Zweckbindung von Steuereinnahmen auf Grund persönlicher Gewissensentscheidungen in diesem Falle zustimmen. Woher nehmen wir denn anschließend das Recht, dieses anderen Steuerzahlern, deren Gewissen durch andere Zahlungen aus dem Bundeshaushalt möglicherweise ebenfalls belastet wird, zu verweigern? Oder reklamieren Sie das Recht auf Gewissensentscheidung nur für diejenigen, die Ihre Politik unterstützen? Sind diejenigen, für welche die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland eine Voraussetzung für ein Leben in Freiheit sind, gewissenlos? Soll die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, die Finanzierung der Forschung im Umweltbereich, die Finanzierung von Bildung und Wissenschaft, um nur einige zu nennen, getrost den anderen, die so freundlich sind, überlassen werden? Besonders ärgerlich und unseriös, meine Damen und Herren, ist aber der Anspruch, mit der Bildung eines Friedensfonds den Frieden sicherer zu machen. Wenn ich mir § 2 Ihres Entwurfes ansehe, unter dem Sie die Aufgaben dieses Fonds auflisten, komme ich zu dem Schluß, daß ein Teil der Forderungen wie die Verbesserung der Gesundheit, Wohlfahrt und Bildungssysteme und Wirtschaftsstrukturen in Entwicklungsländern oder Hilfsprogramme für die Zivilbevölkerung in Ländern mit Kriegs-, Kriegsfolgen- oder Katastrophenschäden sowie für Flüchtlinge und Vertriebene bereits heute mit erheblichen Bundesmitteln, also aus dem Geld der Steuerzahler, finanziert wird, daß der andere Teil ihrer Forderungen aber eine nur mühsame Bemäntelung staatlicher Finanzierungswünsche grüner Organisationen und Gruppierungen ist. Hier fällt mir ein: Was würden Sie eigentlich dazu sagen, wenn Steuerzahler aus Gewissensgründen die Finanzierung politischer Aktivitäten Ihrer Partei, Herr Mann, aus Bundesmitteln - die gibt es ja nicht zu knapp - mit dem Hinweis verweigern würden, daß diese Aktivitäten gegebenenfalls zu Erfolgen führen, welche die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden? ({1}) Die FDP steht seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland für eine Außen- und Deutschlandpolitik, die für unser Land in der Mitte Europas seit 40 Jahren ein Leben und eine Zukunft in Frieden und Freiheit gestaltet. Wir werden diese Politik fortsetzen und daran festhalten, daß im Zeitalter der atomaren Bedrohung zur Politik der gleichgewichtigen Abrüstung, der Entspannung und der Zusammenarbeit im Sinne des Harmel-Konzepts keine Alternative vorhanden ist. Meine Damen und Herren, Entspannung erschöpft sich aber nicht in einem Zustand, der nicht Krieg bedeutet. Vielmehr ist Entspannungspolitik ein Prozeß ständigen Bemühens, Spannung durch Bildung von Vertrauen und Zusammenarbeit abzubauen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang abschließend auf ein Zitat verweisen, das Professor Bartoszewski bei der Verleihung des Friedensprei19730 ses des Deutschen Buchhandels im Oktober dieses Jahres gesprochen hat. Ich zitiere: Nie wurde in Europa so viel wie heute vom Frieden gesprochen, von der Notwendigkeit des Friedens, von der Verteidigung des Friedens, von der Friedensliebe. Manchmal drängt sich die Angst auf, daß in der Flut von Äußerungen und Deklarationen, Beschwörungen und Parolen zu diesem Thema der wahre - also der tiefere - Sinn des eigentlichen Begriffes verlorengeht. Es entsteht geradezu der Verdacht, daß es in vielen Fällen mehr um eigene Ruhe und Bequemlichkeit geht als um den Frieden und daß der Begriff des Friedens ein Gegenstand der Manipulation geworden ist. Wir bedienen uns seiner immer häufiger, aber wir denken immer seltener über die Bedingungen nach, die zu erfüllen sind, um Frieden zu einem gemeinsamen Begriff für die gesamte zivilisierte Menschheit zu machen. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Ihr Friedensfonds dient diesem Ziel nicht. Er würde die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen und den Frieden unsicherer machen. ({2}) Zu den Petitionen, die in der Tagesordnung unter den Punkten 13c, 13d und 13e angeführt sind, möchte ich die Zustimmung meiner Fraktion zu den Empfehlungen des Petitionsausschusses erklären. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Laut Präambel des Grundgesetzes hat das deutsche Volk für die Bundesrepublik Deutschland dieses in dem Bewußtsein beschlossen, „dem Frieden der Welt zu dienen". Wir GRÜNEN sind der Meinung, daß der friedens- und abrüstungspolitische Auftrag des Grundgesetzes, wie er etwa in der Präambel, im Art. 4 oder in den Art. 24 bis 26 zum Ausdruck kam, erst noch der Verwirklichung und Umsetzung bedarf, auch wenn durch massive Grundgesetzänderungen in den Jahren 1956 und 1968 - Wehrgesetzgebung, Notstandsgesetzgebung - dieser Auftrag aus dem Jahre 1949 pervertiert und auf den Kopf gestellt worden ist. Aus diesem Grunde haben die GRÜNEN in den vergangenen Monaten in ihrer Arbeit im Deutschen Bundestag Leitsätze zur Friedensstaatlichkeit entwickelt, die mit konkreten Maßnahmen zur Entmilitarisierung unserer Gesellschaft einhergehen. Wir brauchen Abrüstung auch im Innern. ({0}) Wir sind der Zielsetzung der Gewaltfreiheit verpflichtet, und damit der Abschaffung vorhandener Gewaltstrukturen, was auch den Abbau des staatlichen Gewaltmonopols beinhaltet. ({1}) Als pazifistische Partei unterstützen wir all diejenigen Menschen, die sich für friedensfördernde Gesellschaftsstrukturen und gegen die Einbeziehung in den militärischen Apparat zum Teil unter großen persönlichen Opfern engagieren. ({2}) Dieser Hintergrund verbindet jene vier Anträge, davon drei zu Petitionen, die außer dem, was der Kollege Fritsch bereits ausgeführt hat, heute noch auf der Tagesordnung stehen und zu denen ich leider nur einige sehr kurze Anmerkungen machen kann. Erstens. Wir setzen uns für die Abschaffung der Möglichkeit ein, wonach der Bund für die Streitkräfte Wehrstrafgerichte als Bundesgerichte und - ich füge hinzu, Herr Emmerlich - auch als Landesgerichte errichten kann. Diese Sondergerichte sind überflüssig wie ein Kropf, friedenspolitisch schädlich und justizpolitisch ein Greuel. ({3}) Das weitere bitte ich Sie, Herr Engelhard, in dem hervorragenden Buch von Ulrich Vultejus „Kampfanzug unter der Robe" nachzulesen. Wir sind voll einig mit den „Richtern und Staatsanwälten für den Frieden", die diesen Kalte-Kriegs-Plänen, die bei Ihnen in der Schublade liegen, eine Absage erteilen. ({4}) Zweitens. Unsere Solidarität gilt denjenigen, die aus Gewissensgründen an Blockaden von Militäreinrichtungen teilgenommen haben oder teilnehmen, auf deren Gelände neue Massenvernichtungswaffen stationiert werden sollen. Wir sollten der Bundesregierung zu erwägen geben, die Teilnehmer an solchen Friedensblockaden zu amnestieren. Drittens. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, auch das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, ist für uns ein hohes Gut. Für uns GRÜNE ist es höhenwertig als die verfassungsrechtlich eingeräumte Möglichkeit zur militärischen Landesverteidigung. Nehmen Sie doch bitte die im JFFG-Ausschuß am 29. Januar 1986 zur Problematik der totalen Kriegsdienstverweigerung geäußerten Argumente von Kirchen, von Rechtsanwälten und von den KDV-Organisationen ernst, denjenigen Gerechtigkeit und nicht lange und teilweise verfassungswidrig mehrfache Haftstrafe nur für eins zukommen zu lassen, nämlich dafür, daß sie ihr Gewissen in Anspruch nehmen und jegliche militärische Pflichtleistung ablehnen. Viertens. Um eine Gewissensentscheidung geht es auch im Falle jener Petition der Inhaberin einer Schreinerei im Hunsrück - wo ist Herr Rumpf? nicht mehr da -, die sich als Bürgerin, Unternehmerin und Pazifistin weigert, ihren Lkw im Krisen-und Kriegsfalle für militärische Zwecke zur Verfügung zu stellen. ({5}) Wir GRÜNEN unterstützen sie nachdrücklich in ihrer Haltung und sind der Auffassung, daß das geltende Recht - in diesem Fall das BundesleistungsDr. Schierholz Besetz - auf ihre Gewissensbedenken Rücksicht nehmen muß, und nicht umgekehrt. ({6}) Wir können nicht akzeptieren, wenn staatliche Ansprüche - hier verbrämt mit den wie immer nicht näher bezeichneten „Erfordernissen der militärischen Landesverteidigung" - bis in die Privatsphäre und sogar, meine Damen und Herren von der Koalition, hier in die unternehmerische Freiheit einbrechen, nur um dem langen Arm militärischer Interessen schon jetzt Geltung zu verschaffen. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung kann auch - lesen Sie dazu mal nach, was Herr Geißler im Jahr 1959 dazu geschrieben hat - nicht außer Kraft gesetzt werden. Deswegen ist das Anliegen der Petentin aus der Schreinerei im Hunsrück nur allzu berechtigt: Sie kommt aus christlicher Überzeugung zu dem Entschluß, den Lkw ihrer Schreinerei für militärische Zwecke nicht zur Verfügung zu stellen. ({7}) Dies gilt doppelt, weil gegenwärtig im Hunsrück bekanntlich die eigentliche Zentrale des Todes - so Oskar Lafontaine - für die Bundesrepublik mit der Vernichtungskapazität von mindestens 1 000 Hiroshima-Bomben angelegt wird, nämlich die Todesbasis in Hasselbach, die Zehntausende von Bürgerinnen und Bürgern gerade aus jener Region am 11. Oktober an der Großdemonstration der Friedensbewegung hat teilnehmen lassen. Alle diese Beispiele zeigen: Militärische Interessen und sogenannte Sicherheitsbedürfnisse, die wir nicht akzeptieren können, sind längst in den Kern bundesdeutscher Staatsraison vorgerückt. Sie stellen dort aus unserer Sicht das Grundgesetz auf den Kopf, jedenfalls den Auftrag von 1949. Um so dringlicher ist es, den vorgestellten Elementen des Entmilitarisierungsprogramms der GRÜNEN im Bundestag zuzustimmen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein paar knappe Anmerkungen zu den Petitionen, die auf der Tagesordnung stehen. Angekündigt waren Änderungsanträge der GRÜNEN, die nicht vorliegen. Es liegt jedoch ein Antrag der SPD-Fraktion zu einer Petition vor, zu der sie bei der Beratung im Ausschuß nicht einmal das Wort genommen hat. Ich stelle das nur fest, weil ich mich frage, ob wir uns nicht doch bei einer sinnvollen Beteiligung an der Arbeit des Ausschusses solche Debatten im Plenum sparen könnten. Zur Sache selbst. In einer der Petitionen geht es um die Amnestie für alle Straftaten, die im Zusammenhang mit Friedensdemonstrationen begangen worden sind. Ich billige den GRÜNEN ja zu, daß sie sich mit ihren Anträgen - wohlgemerkt: im Ausschuß - konsequent an ihr Bundestagswahlprogramm gehalten haben. Dort steht das alles drin, was diese drei Petitionen betrifft, nämlich die Forderung der GRÜNEN nach Streichung sämtlicher Verteidigungsausgaben, selbstverständlich auch nach Abschaffung der Wehr- und Zivildienstpflicht, und außerdem wollen Sie die Gewaltstraftaten legalisieren bzw. für solche eine generelle Amnestie. ({0}) Herr Kollege Schierholz, wenn Sie hier soeben von der Notwendigkeit einer Abrüstung im Inneren gesprochen haben, dann, denke ich, sollte es so sein, daß die Abrüstung bei sogenannten Friedensdemonstrationen beginnt, bei denen aber vielfach Gewaltstraftaten, Nötigungen und Gewalt gegen Personen oder Sachen vorkommen. ({1}) Besonders bemerkenswert ist allerdings auch folgendes: Bei der zweimaligen Beratung dieser Petition im Petitionsausschuß hat sich zunächst der geschätzte Kollege Mann von der Fraktion DIE GRÜNEN als Berichterstatter sehr engagiert. Er ist, wie wir nachträglich erfahren haben - auf unsere Hinweise hin hat er die Berichterstattung dann auch abgegeben -, selbst von einem solchen Strafverfahren betroffen. Wenn man berücksichtigt, daß mittlerweile eine Reihe von Abgeordneten der Fraktion DIE GRÜNEN von solchen Strafverfahren, um deren Amnestie es hier geht, betroffen ist, liegt natürlich der Verdacht nahe, daß mit dieser Petition eine Art Selbstbegünstigung beabsichtigt war. ({2}) Zum zweiten. In einer anderen Petition wird gefordert -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber besonders gerne. Bitte.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Recht schönen Dank, Herr Göhner. - Weil Sie diesen harten Vorwurf erhoben haben, möchte ich Sie doch fragen, ob Sie nicht bereit sind, der Öffentlichkeit über die wahren Zahlenverhältnisse Aufschluß zu geben, also eine Antwort - die Angaben lagen dem Petitionsausschuß vor - auf die Frage zu geben, wie viele Abgeordnete der GRÜNEN und wie viele sonstige junge Menschen nach § 240 des Strafgesetzbuches verurteilt worden sind. ({0})

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schierholz, ich weiß im Moment lediglich, daß der Kollege Mann davon betroffen ist, der als Berichterstatter Ihrer Fraktion im Ausschuß diese Petition vertreten hat. Im Ausschuß ist gesagt worden, daß eine Reihe von weiteren Abgeordneten Ihrer Fraktion davon betroffen ist. Sie wissen das sicherlich besser als ich. ({0}) - Liebe Kollegen, die Anzahl derer, die in Ihrer Fraktion von solchen Strafverfahren betroffen sind, kennen Sie doch besser als ich. Das ist doch gar keine Frage. ({1}) Die zweite Petition, um die es geht, betrifft - man mag es kaum glauben - die Gewissensfreiheit des Art. 4 für Sachen. Da wird in einer Petition die Gewissensfreiheit für Lkw gefordert. ({2}) Ich will den sachlichen Kern gar nicht verniedlichen. Das, was Gegenstand der Petition war, war ausdrücklich Art. 4 des Grundgesetzes auf Sachen zu erstrecken. Da muß ich nun wirklich sagen: So etwas kann man einer Regierung auch nicht einmal als Material überweisen. Die dritte Petition betraf den Wehrdienst und den Zivildienst. ({3}) Die Fraktion der GRÜNEN will, daß Totalverweigerer die Möglichkeit haben, auch keinen Zivildienst leisten zu müssen. Okay, das ist konsequent. Sie wollen weder Wehrpflicht noch Zivildienstpflicht. Das enttarnt Ihre heuchlerische Kritik an der erfolgreichen Neuregelung des Rechtes der Wehrdienstverweigerung. ({4}) Ihnen geht es nicht darum, irgendwelche guten, tragbaren Verfahren bezüglich der Anerkennungen von Wehrdienstverweigerern zu haben, sondern Ihnen geht es darum, alle Verteidigungsausgaben abzuschaffen, ({5}) die Wehrpflicht und deshalb auch den Zivildienst abzuschaffen. Deshalb engagieren Sie sich für den Totalverweigerer. Herr Kollege, Sie wissen offenbar nicht, was Gegenstand der Petition ist. Gegenstand der Petition ist eben auch Ihre Forderung, der sich Ihre Partei ja anschließt, den Zivildienst selbst abzuschaffen. Das ist zwar konsequent, aber mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht für meine Fraktion und will meine abweichende Meinung in Sachen Friedensfonds kurz darlegen. ({0}) Ich habe als Student vor über 30 Jahren nachts im Radio die große Debatte des Bundestages über die Kriegsdienstverweigerung gehört. Ich habe die Ernsthaftigkeit dieser Debatte nie vergessen. Diese Debatte und die gemeinsam gefundene Regelung für das Recht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und für den Ersatzdienst sind wichtige Fakten in der Geschichte unserer Republik, auch wenn das Bundesverfassungsgericht in der Zwischenzeit den klaren Wortlaut des Grundgesetzes „Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen" verbogen hat. ({1}) Heute, 30 Jahre später, hängt die Fähigkeit zur Kriegsführung nicht so sehr davon ab, daß junge Männer bereit sind, den Wehrdienst zu leisten, vielmehr hängt sie viel stärker von der Technik und ihrer Finanzierung ab. Man sieht das am Beispiel der USA, die keinen Wehrdienst und damit auch kein Problem der Kriegsdienstverweigerung haben, deren Kriegsführungsfähigkeit vielmehr eine Folge enormer technischer Investitionen ist. Deshalb verweigern nicht nur viele junge Männer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe und wollen statt dessen einen Ersatzdienst leisten, sondern wollen andere Bürgerinnen und Bürger aus Gewissensgründen die Finanzierung der Kriegsführung mit ihren Steuern verweigern und statt dessen eine Ersatzsteuer für friedliche Zwecke entrichten. Ich habe in den letzten Jahren mehrfach mit diesen Leuten diskutiert. Ich nehme ihre Gewissensnot ernst. Ich wehre mich dagegen, daß man sie mit der Standardformel der deutschen Bürokratie „Das haben wir noch nie so gemacht; da könnte ja jeder kommen" abtut. ({2}) Der Hinweis von Frau Seiler-Albring, als nächstes könne ein Bürger unter Berufung auf sein Gewissen fordern, daß er durch Steuerzahlung nicht zum Straßenbau oder zur Kernenergie beitrage, geht fehl, denn das Grundgesetz erlaubt es dem Bürger nur an einer einzigen Stelle, sich aus Gewissensgründen der staatlichen Verpflichtung zu entziehen: ({3}) Er kann den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern und dafür einen Ersatzdienst leisten. Ist es denn so abwegig, zu fordern, daß ein Bürger analog zu diesem Grundrecht auch den Kriegsdienst mit der Steuer verweigern und dafür eine friedliche Ersatzsteuer leisten darf? ({4}) Die Frage kann man auch nicht einfach mit dem Hinweis auf das Wahlrecht, auf die repräsentative ) Volksvertretung und auf das Budgetrecht des Parlaments abtun. ({5}) - Der Grundrechtskatalog ist abschließend. Aber er verbietet es nicht, eine solche Regelung zu schaffen. Dazu gibt es eine gute Arbeit von Professor Preuss. ({6}) Ich meine, es stünde dem frei gewählten Parlament einer freien, demokratischen Republik gut an, sich mit dieser Frage ernsthaft auseinanderzusetzen. ({7}) Wir können das in dieser Legislaturperiode nicht mehr. Ich hoffe aber, daß wir diesen Gesetzentwurf in der 11. Legislaturperiode mit der gleichen Ernsthaftigkeit und Verantwortung beraten, mit der der 3. Deutsche Bundestag das Problem der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen beraten und entschieden hat. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile dem Herrn Bundesminister der Justiz das Wort.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der ) Wehrstrafgerichtsbarkeit bedarf der Untersuchung und Klärung. Dies allerdings wird nicht auf dem Wege erfolgen können, wie sich dies die GRÜNEN mit ihrem Antrag auf Verfassungsänderung vorstellen. Denn hier werden sehr gewissenhafte Überlegungen voranzugehen haben. Nun hat ja der Vertreter der SPD in diesem Zusammenhange eine Meinung kundgetan, sich ansonsten aber stark zurückgehalten, und dies ist auch gut so. Denn wenn hier darauf hingewiesen wurde, daß die Bestimmung 1956 in das Grundgesetz aufgenommen wurde, so setze ich hinzu: Seit 1962 wurde sodann im Bundesministerium der Justiz darangegangen, einmal Entwürfe zu fertigen, sodann auch personell vorzusorgen, um, wenn es zu den Ausführungsgesetzen kommt, auch tatsächlich schon personell präsent sein zu können. Das ist eine sehr konsequente und sehr richtige Linie, die hier über die Jahre verfolgt worden ist. Als ich im Herbst 1982 ins Amt kam, regte sich dann plötzlich in einer Reihe von Bundesländern Widerstand, ({0}) Widerstand unter den Sozialdemokraten, die weithin nicht mehr wahrhaben wollten, was sie über die Jahrzehnte hier selbst in Gang gesetzt und praktiziert haben. Wie immer es sein mag, ich denke, es ist an der Zeit, gewissenhaft darüber nachzudenken, ob von Art. 96 Abs. 2 des Grundgesetzes Gebrauch gemacht werden soll oder nicht. Zu diesem Zwecke haben wir vor, eine hochrangig besetzte Kommission unter Einbeziehung der Fraktionen dieses Hauses einzusetzen, ({1}) die sich dieser Aufgabe zuwenden soll. Ich bitte nur um Verständnis: Die dazu laufenden Überlegungen halten schon einige Zeit an. Wir haben es aber aus gutem Grunde nicht für gut gehalten, dies jetzt, im Herbst, einhergehend mit dem Wahlkampf zur Bundestagswahl, parallel zu veranstalten. Da ist es dann schon eine bessere Sache, die Bundestagswahl abzuwarten und sodann allerdings mit dieser Kommission zügig an die Arbeit zu gehen, um die Voraussetzungen zu schaffen, anschließend zu Entscheidungen kommen zu können.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ströbele?

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung und ist Ihr Haus bereit, bei den Erörterungen über Wehrstrafgerichte zu berücksichtigen, was ich Ihnen in meiner Großen Anfrage - gemeinsam mit meiner Fraktion - zur NS-Justiz mitgeteilt habe, nämlich, daß die Wehrmachtsgerichte und die Wehrmachtsobergerichte im Zweiten Weltkrieg - das ist von Ihnen ja auch bestätigt worden - etwa 16 000 Todesurteile gegen Wehrmachtsangehörige verhängt haben, von denen 90% vollstreckt worden sind, und daß im Gegensatz dazu alle anderen Staaten, die im Zweiten Weltkrieg beteiligt waren, nicht mehr als 200 - 16 000 zu 200 - Todesurteile vollstreckt haben und daß das eine Hypothek ist, die uns eigentlich davon abhalten sollte, solche Gerichte und eine solche Maschinerie wieder in Gang zu setzen?

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Abgeordneter Ströbele, dies war eine sehr lange Frage, die ich sehr kurz beantworten kann. Ich wende mich mit aller Entschiedenheit dagegen, daß Sie den Versuch unternehmen, das, was im Dritten Reich geschehen ist, zu transferieren und gedanklich auf das zu übertragen, was in unserer Verfassung steht, ({0}) was 1956 dort unter der sehr gewissenhaften und ernst zu nehmenden Erwägung Eingang gefunden hat: Wie können wir sicherstellen, daß innerhalb der Bundeswehr in jeder Situation rechtsstaatliche Ordnung gewährleistet ist? Aber mich wundert nicht, daß Sie dies versuchen, weil j a Ihr Fraktionskollege Herr Schierholz hier schon einiges von den Kalten-Kriegs-Plänen, die in den Schubladen des Bundesministeriums der Justiz abgelegt seien, vom Abbau des staatlichen Gewaltmonopols und ähnlichem zum besten gegeben hat. Ich sage Ihnen: Uns trennen hier Welten, und wir werden den Rechtsstaat - wie immer wir in dieser Frage letztlich ent19734 scheiden - sicherstellen. Dessen dürfen Sie ganz sicher sein. ({1}) Ich mache eine kurze Bemerkung zur Frage der Amnestieforderung für die Teilnehmer an Sitzblokkaden. Wir müssen zunächst einmal feststellen, daß das Bundesverfassungsgericht mit den Stimmen aller acht Richter in seinem Urteil vom 11. November festgestellt hat, daß das Verhalten bei Sitzblockaden sowohl rechtswidrig als auch strafwürdig im Sinne der Ahndungswürdigkeit ist. ({2}) Dann allerdings trennen sich die Wege. Aber mit der erforderlichen Mehrheit jener vier Stimmen ist § 240 des Strafgesetzbuches vom Bundesverfassungsgericht klar bestätigt worden. Nur, ich sage Ihnen: Viel entscheidender in diesem Zusammenhang ist dies: Die Frage einer Amnestie, über die man nachdenken kann, zielt immer auf einen Tatbestand, bei dem die einzelnen Taten, die begangen und abgeurteilt worden sind, Bestandteil eines Gesamtvorganges sind, der in sich zeitlich abgeschlossen ist. Dann kann man über die Frage der Amnestie nachdenken. Genau dies ist aber hier nicht der Fall, denn schon beim Bundesverfassungsgericht, aber auch bei allen sonst sich bietenden Gelegenheiten ist lautstark, klar und unmißverständlich erklärt worden: Was immer ein Gericht da entscheide, man werde weitermachen; man werde die Sitzblockaden fortsetzen; ({3}) man halte sich für gezwungen, dies zu tun, und, wie immer das Gericht entscheide - Herr Kollege Dr. Emmerlich, so ist gesagt worden -, das werde das Verhalten bei künftigen Aktionen nicht beeinflussen können. Unter diesem Aspekt ist derzeit kein Platz, dem Gedanken einer Amnestie näherzutreten. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Zu Tagesordnungspunkt 13 a und 13 b schlägt der Ältestenrat die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/5420 und 10/1694 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 13 c der Tagesordnung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6617. Wer dem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 13 c ab. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/5740 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir stimmen jetzt über die Tagesordnungspunkte 13 d und 13 e ab. Wer für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6251 stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - bei einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6428 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes - Drucksache 10/4587 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 10/6142 Berichterstatter: Abgeordnete Fellner Dr. Nöbel ({1}) b) Beratung der Sammelübersicht 169 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6102 - c) Beratung der Sammelübersicht 179 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6250 - d) Beratung der Sammelübersicht 172 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6182 - e) Beratung der Sammelübersicht 173 des Petitionsausschusses ({5}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6183 - f) Beratung der Sammelübersicht 178 des Petitionsausschusses ({6}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6249 - Vizepräsident Stücklen g) Beratung der Sammelübersicht 187 des Petitionsausschusses ({7}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6573 - h) Beratung der Sammelübersicht 188 des Petitionsausschusses ({8}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6574 - i) Beratung der Sammelübersicht 190 des Petitionsausschusses ({9}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6576 - j) Beratung der Sammelübersicht 191 des Petitionsausschusses ({10}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/6577 Zu einigen Sammelübersichten des Petitionsausschusses liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6618 bis 10/6622 sowie 10/6633 und 10/6664 vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 14 a bis j und eine Redezeit von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" - mit diesem irreführenden und der Wirklichkeit hohnsprechenden Motto ist die Bundesregierung seinerzeit angetreten. Denn nähme sie es ernst, würde sie nicht nur wirksame Abrüstungsschritte bei Waffen und Soldaten in Angriff nehmen, sondern auch Frieden schaffen mit immer weniger militärischer Infrastruktur. Doch das Gegenteil ist der Fall: 200 neue Munitionsdepots in den 80er Jahren in der Bundesrepublik, Erweiterung von Truppenübungsplätzen, Bau zahlreicher militärischer Ersatzübergänge über Flüsse, eine unerträgliche Tief- und Tiefstfluglärmbelästigung der Bevölkerung, neue Rekorde bei Großmanövern usw. usw. All dies zeigt: Unser Land wird nicht auf den Frieden vorbereitet, sondern infrastrukturell auf den Krieg präpariert. Dies beweisen die Haushaltsziffern, die den Bürgerinnen und Bürgern größtenteils vorenthaltene Planung des BMVg und nicht zuletzt die Hunderte von Bürgerprotesten, die den Petitionsausschuß und andere aus allen Teilen des Landes erreichen. Ein Grundübel bei diesen Fragen sind die geltenden rechtlichen Grundlagen, insbesondere das Landbeschaffungsgesetz und das Schutzbereichsgesetz. Wir GRÜNEN bleiben vollständig bei unserem Anliegen: Das Landbeschaffungsgesetz muß aufgehoben werden. Es ist ein Militärprivilegierungsgesetz, das mit seinen Wurzeln ins Jahr 1935 zurückreicht und im Geiste des Obrigkeitsstaates ohne wirksame Einspruchs- und Gegenmaßnahmen der Betroffenen die Landnahme für militärische Zwecke ermöglicht. Dieses Gesetz muß weg! ({0}) Umweltpolitische Belange ziehen dabei automatisch den kürzeren; die Gepflogenheiten des zivilen Planungsrechts, also weitreichende Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kommunen, bleiben auf der Strecke. Wir sind also mit dem Beratungsergebnis der zuständigen Ausschüsse unzufrieden und werden ihre Beschlußempfehlungen ablehnen. Unsere Alternative im Rahmen des grünen Entmilitarisierungsprogrammes ist: Das Landbeschaffungsgesetz muß aufgehoben werden; die zivilen Planungs- und Enteignungsbestimmungen reichen völlig aus. Dahinter verbirgt sich natürlich eine andere Wertentscheidung, nämlich, daß endlich einmal Gesichtspunkte von Natur- und Umweltschutz in diesem unserem Lande Priorität genießen müssen, bevor der unersättliche Landfraß für militärische Zwecke zum Zuge kommt. ({1}) Aus diesem Grunde auch unterstützen wir die Bürgerinitiativen bei Schnaittach, die sich aus Gründen des Umwelt- und Naturschutzes, aus gesundheitspolitischen Erwägungen und raumordnungspolitischen Gesichtspunkten gegen die Errichtung eines weiteren Korpsdepots wenden. Aus demselben Grunde auch unterstützen wir die Bürgerinitiativen rechts und links der Weser im Landkreis Verden an der Aller. Der im Petitionsausschuß erzielte Kompromiß stellt uns deshalb nicht zufrieden, weil er widersprüchlich ist und insbesondere das Verteidigungsministerium - wo ist es eigentlich? - einmal mehr die Karten nicht auf den Tisch des Hauses, des Petitionsausschusses, gelegt hat. Wird nämlich der militärische Ersatzübergang bei Ahausen-Bollen tatsächlich gebaut, dann hat dies langfristige Folgen für den Straßenzustand der K 1, für die Ortsdurchfahrt und für das Ortsbild Bollen, für eine Pappelallee nach Bremen-Mahndorf, insgesamt für eine erhebliche Beeinträchtigung von Umwelt und Naturschutz. Wir haben diese Gesichtspunkte im Ausschuß ja sehr ausführlich und sorgfältig - auch von Ihrer Seite - erörtert; nur, Frau Berger, auch weil Sie mir zustimmen, ({2}) diesem Kompromiß trauen wir nicht; der muß erst noch seine Tragfähigkeit erweisen. Von daher danken wir den Bürgerinitiativen und fordern sie auf: Bleibt dort hart, bleibt bei eurer Auffassung, daß dieser militärische Ersatzübergang nicht gebaut werden darf! ({3}) Das Weitere, Herr Schlottmann, entnehmen Sie bitte unserem qualifizierten Änderungsantrag, der vom Präsidium leider von fünf auf zwei Seiten zusammengestrichen wurde. In unserem Entmilitarisierungsprogramm sprechen wir uns dafür aus, aus naturschutz- und umweltpolitischen Erwägungen heraus für einen Stopp aller weiteren militärischen Infrastrukturpläne und -projekte in der Bundesrepublik einzutreten. Das beinhaltet insbesondere auch, daß wir das NATOInfrastrukturprogramm, das Anfang der 80er Jahre noch knapp neun Milliarden DM betrug, Ende der 80er Jahre aber plötzlich 22 Milliarden DM, schärfstens ablehnen. ({4}) 1969, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion - wenn Sie die Ehre haben, mal zuzuhören -, ({5}) hat Gustav Heinemann gesagt, nicht der Krieg solle vorbereitet werden, sondern der Frieden ist der Ernstfall. Sorgen wir mit den Bürgerinitiativen dafür, daß in diesem Parlament hier und heute endlich eine Politik in diesem Sinne betrieben wird! Schönen Dank. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hedrich.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne Zweifel gibt es einen gewissen Konflikt zwischen den Belangen der Verteidigung und denen des Umweltschutzes. Ohne Zweifel gibt es Fälle, in denen die Errichtung militärischer Anlagen Eingriffe in unsere Natur und Belästigungen der Bürger zur Folge hat. Aber ohne Zweifel ist auch die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes der Überzeugung, daß die Bundeswehr als Instrument der Friedenssicherung unverzichtbar ist ({0}) und die Verteidigung unseres freiheitlichen Rechtsstaates gewisse Einschränkungen notwendig macht. Gerade aber deshalb werde ich das Gefühl nicht los, der Vorstoß der GRÜNEN bezüglich der Abschaffung des Landbeschaffungsgesetzes zielt nicht auf die Stärkung der Bürgerinteressen und hat auch wenig mit dem vorliegenden Anliegen der Petenten aus Ahausen und Bollen zu tun; vielmehr liegt die Stoßrichtung offen auf der Hand. Der Bundeswehr soll die Erfüllung ihres Auftrags, Frieden und Freiheit zu sichern, schwergemacht werden. ({1}) Wer außerdem versucht, die Bundeswehr in die Ecke der Umweltzerstörer zu drängen, der sollte sich wenigstens einmal die Mühe machen, die Aufstellung „Bundeswehr und Umweltschutz" durchzulesen, ({2}) die übrigens den bezeichnenden Titel hat „Große Sauerei auf dem Truppenübungsplatz", was einen Hinweis auf die Bundeswehr als großen Heger und Pfleger des Wildbestandes zuläßt. Ich möchte darauf verweisen - schauen Sie sich einmal die Seite 24 an -: Jährlich wächst die Waldfläche auf Bundeswehrgeländen durch Aufforstung um 185 Hektar. Wer hier behauptet, jährlich würde die Bundeswehr über das Landbeschaffungsgesetz Tausende von Hektar hinzugewinnen, der spricht einfach die Unwahrheit. Herr Kollege Dr. Schierholz, der Parlamentarische Staatssekretär hat Sie schon bei der Einbringung dieses Gesetzes eines Besseren belehren müssen. ({3}) Gerade die zur Entscheidung vorliegende Petition zum geplanten Bau einer militärischen Ersatzübergangsstelle über die Weser im Landkreis Verden macht nach unserer Auffassung deutlich, wie wirksam das bestehende Gesetz ist. Gerade aufgrund des nach den Gesetzen erforderlichen Anhörungsverfahrens hat die niedersächsische Landesregierung scharfe Auflagen z. B. bezüglich der Landschaftspflege erlassen. Der Petitionsausschuß hat sich selbst durch eine Besichtigung vor Ort von den Problemen noch einmal überzeugen können. Wenn darüber hinaus in einem bestimmten Zusammenhang ein Bürger sagt: ich bin mit der Trassierung einverstanden, und ich bin bereit, Gelände abzugeben, so halte ich es für kein korrektes Verfahren, mit Bürgern umzugehen, wenn ihm dies als Gewinnsucht unterstellt wird. Ich gebe zu, daß in diesem Bereich nicht alles so geklärt worden ist, wie wir uns das gewünscht haben. Da dies der Fall ist, hat der Petitionsausschuß auch vorgeschlagen, die Petition insoweit der Bundesregierung zur Berücksichtigung mit dem Ziel zu überweisen, daß nach der Fertigstellung der Ersatzübergangsstelle bei Übungen auf keinen Fall Kettenfahrzeuge eingesetzt werden dürfen. Im übrigen soll die Petition dem BMVg als Material überwiesen werden. Des weiteren sollten wir uns einmal bei der Schaffung von Übungsmöglichkeiten für unsere Bundeswehr mit den Interessen der Soldaten und ihrer Familien beschäftigen. Natürlich ist z. B. Fluglärm eine unangenehme Sache und eine unangenehme Belästigung. Aber soll denn nun alles nach Kanada, alles nach Italien oder zukünftig nach Konya in der Türkei verlagert werden? Soll überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden, daß Soldaten wochenlang von ihren Familien getrennt sind, von den finanziellen Kosten einmal ganz zu schweigen? Wer es mit der Sicherheit in unserem Lande ernst nimmt, der wird sorgfältig abwägen: Militärische Übungen sind kein Selbstzweck. Der Bürger hat Anspruch darauf, daß Belästigungen ein erträgliches Maß nicht überschreiten, der Soldat aber hat in gleicher Weise Anspruch auf den Respekt für seinen schwierigen Dienst. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit weitaus mehr als einem Jahrzehnt plant das Bundesministerium der Verteidigung in der Nähe Bremens den Bau einer militärischen Ersatzübergangsstelle über die Weser. An dieser Planung wird trotz ihrer militärischen Unsinnigkeit und trotz der Bedenklichkeit wegen erheblicher Eingriffe in Natur und Landschaft und der damit verbundenen Beeinträchtigung von Wohn- und Erholungsgebieten festgehalten. Erstens. Es gibt schon mehrere schon ausgebaute, für Panzerverkehr zugelassene und geeignete Übergangsstellen über die Weser zwischen Bremen und Nienburg. Der Petitionsausschuß hat sich im April dieses Jahres bei Ortsbesichtigungen - aus der Luft und zu Lande, darf ich sagen - selbst ein Bild davon machen können. ({0}) - Auf dem Wasser auch. Zweitens. Die Stadt Achim, der Landkreis Verden und die niedersächsische Landesregierung haben massive und erhebliche Bedenken gegen den Bau einer weiteren Übergangsstelle ausgerechnet in einem Gebiet erhoben, wo Baumaßnahmen das ökologische Gleichgewicht stören und durchzuführende Übungen zu einer erheblichen Beeinträchtigung von Wohnbevölkerung und einem Erholungsgebiet mit Campingplatz führen werden. ({1}) Drittens. In einem Raumordnungsverfahren nach niedersächsischem Landesrecht sind derart erhebliche Auflagen gemacht worden, daß der angeblich zu verfolgende militärische bzw. verteidigungspolitische Sinn in sein Gegenteil verkehrt wird. So dürfen am rechten Weserufer nur ausnahmsweise und bis zu zweimal jährlich Lastfahrzeuge mit bis zu 12t die für 3,5t zugelassene Kreisstraße befahren. Kettenfahrzeuge werden nicht zugelassen. Am linken Weserufer müssen Zufahrtswege inklusive Durchstechung eines Weserdeichs erst mit erheblichem Aufwand geschaffen werden. Es kann also in keinem Fall in Friedenszeiten das geübt werden, was in einem Verteidigungsfall angeblich erforderlich werden könnte. Viertens. Das Motiv des Verteidigungsministers, an einer völlig unsinnigen und gegen die eigene Bevölkerung gerichteten Planung festzuhalten, kann deshalb nur in einer halbherzigen Sturheit liegen. Halbherzig ist sie deshalb, weil der Verteidigungsminister entweder tatsächlich die Auflagen schlucken will, die das ganze Vorhaben militärpolitisch unsinnig machen, oder aber darauf spekuliert, daß schon nach der ersten durchgeführten Übung mit Schwerlastfahrzeugen die auf Ophusen-Achimer Stadtgebiet liegende Kreisstraße 1 des Landkreises Verden in einen solchen erbarmungswürdigen Zustand versetzt wird, daß sie sofort und dann panzergerecht ausgebaut werden muß, was wiederum die Auflagen obsolet macht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird: ja.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wir werfen damit immer den Zeitplan über den Haufen. Wenn die Frage ganz kurz ist: bitte!

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist kurz, Herr Waltemathe. Wie werten Sie es denn als Parlamentarier, daß das Verteidungsministerium offensichtlich nicht die Absicht hat, jetzt gleich in der Debatte noch zu den Punkten Stellung zu beziehen, und daß von daher die Unklarheit für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger offensichtlich noch zunehmen wird?

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als Parlamentarier, Kollege Schierholz, werte ich die Macht des Parlaments so, daß, wenn wir den Petitionen Rechnung tragen, das eine Weisung an den Verteidigungsminister ist. Er kann das, auch wenn er jetzt hier nicht anwesend ist, dann immer noch zur Kenntnis nehmen und davon ablassen, diese unsinnige Planung tatsächlich durchzuführen. ({0}) Stur ist er deshalb, weil sich längst herausgestellt hat, daß ein Weser-Übergang an dieser Stelle, wenn er denn je notwendig war, es heute jedenfalls nicht ist. ({1}) Fünftens. Petitionen sind von je einer Bürgerinitiative auf dem linken und auf dem rechten Weserufer eingereicht worden. Diesen Initiativen gehören CDU-Mitglieder, SPD-Mitglieder und Mitglieder der GRÜNEN an, ({2}) aber überwiegend selbstverständlich parteipolitisch nicht gebundene Bürgerinnen und Bürger. Ihre Eingaben sind in vollem Umfang berechtigt. Wenn dieses Parlament das Volk vertreten will, sollte es sich nicht von einer Militärbürokratie gängeln lassen, ({3}) nur weil einmal vor 11/2 Jahrzehnten irgendwelche Planungsbeamten glaubten, eine Idee zu haben. Deshalb beantrage ich namens der SPD-Bundestagsfraktion, die Petitionen zur vollen Berücksichtigung an die Bundesregierung zu überweisen. ({4}) Zum Schluß beantrage ich im übrigen für die SPD-Fraktion, die SPD-Anträge zu den Sammelübersichten 172, 173, 178 und 190 anzunehmen und die Petitionen zur Berücksichtigung zu überweisen. Bei der Abstimmung über den Änderungsantrag der GRÜNEN zu Sammelübersicht 179 werden wir uns der Stimme enthalten; dem Änderungsantrag der GRÜNEN zu Sammelübersicht 191 werden wir zustimmen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Dr. Schierholz, das Landbeschaffungsgesetz bleibt. Sie selber haben sich damit anscheinend abgefunden. Denn in der Beschlußempfehlung und im Bericht des Innenausschusses lese ich unter „B. Lösung": Ablehnung des Gesetzentwurfs. Prüf- und Berichtsbitte an die Bundesregierung ... Einstimmigkeit im Ausschuß bei Enthaltung seitens der Fraktion DIE GRÜNEN. Sie nehmen also anscheinend Ihren eigenen Antrag nicht so ernst, daß Sie dafür besonders streiten. ({0}) Also: Das Landbeschaffungsgesetz bleibt. Auch Ihre Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit sind unbegründet, darf ich Ihnen hier sagen. Sie würden damit in Karlsruhe keinen Erfolg haben können. ({1}) Es bleibt, die Belange der Verteidigung zu erhalten. Das wollen wir tun. Aber wir nehmen natürlich auch die Sorgen von Bürgern über die hohe Belastung durch übende Truppen ernst. ({2}) Deswegen meine ich, daß der Innenausschuß recht hat, wenn er sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit die Beteiligung und die Information der Gemeinden in dem Anhörungsverfahren nach § 1 des Landbeschaffungsgesetzes erweitert und verbessert werden können, besonders für den Fall, daß der Bundesminister der Verteidigung von dem Votum oder dem Beschluß der jeweiligen Gemeinde abweicht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Wolfgramm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, gerne.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Wolfgramm, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß z. B. im Städtetag sehr ernsthaft gefordert wird, nicht nur die Informationen der Kommunen zu verbessern, sondern auch ihre Mitwirkungsrechte in Verfahren nach dem Landbeschaffungsgesetz zu erweitern?

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege, ich hatte eben von Beteiligung und Information der Gemeinden gesprochen. Die Beteiligung schließt die Mitwirkung ein. ({0}) - Herr Kollege Schierholz, wenn Sie meine Rede nachlesen, werden Sie das alles ordnungsgemäß auffinden. Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie sich diese Frage schenken können. Aber Sie hätten auch einen Blick in das Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 11. April 1986 werfen können. Auch da steht, was wir berücksichtigen wollen, nämlich: Die Berücksichtigung der Belange der Gemeinden gehört zu den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen. - Wir Freien Demokraten wollen nach sorgfältiger Prüfung diese Dinge verbessern. Im übrigen möchte ich anmerken, daß wir die Petition der Bundesregierung als Material überweisen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nach § 29 Abs. 3 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Kirschner das Wort.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich deshalb zur Geschäftsordnung gemeldet, weil ich auf etwas hinweisen möchte. Ich weiß, daß die Beratung über die Vorlagen unter Tagesordnungspunkt 14a bis j im Ältestenrat auf Grund der Fülle der anstehenden Vorlagen einstimmig festgelegt wurde. ({0}) Ich möchte aber darauf aufmerksam machen - ich glaube, das ist für die Arbeit des Petitionsausschusses und für die Bürger auch angemessen -, daß das, was unter dem Tagesordnungspunkt „Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes" läuft, nichts mit den folgenden Petitionen zu tun hat. Bestenfalls die Petitionen, zu denen gerade die Kollegen gesprochen haben, und die nächste Sammelübersicht gehören noch dazu, weil es dort um Maßnahmen der Bundeswehr geht. Zwei Änderungsanträge, die wir gestellt haben, betreffen die Milch-Garantiemengen-Verordnung. Des weiteren beantragen wir, das Tierschutzrecht dem neuen Umweltministerium zuzuordnen, eine eigenständige Organisationseinheit der Oberpostdirektion Stuttgart am Standort Tübingen zu belassen und Arzneimittelversuche in Pflegeeinrichtungen zu verbieten. Ich meine, in Zukunft sollte nicht mehr so verfahren werden. Das muß ein einmaliger Vorgang bleiben. Dies liegt im Interesse der Ernsthaftigkeit der Behandlung von Petitionen. ({1}) - Herr Kollege Bohl, wenn Sie sagen, wir beschäftigen damit das Plenum, dann muß ich Ihnen entgegenhalten: Sie nehmen die Petitionen wohl nicht so ernst wie die Kollegen im Petitionsausschuß, die ich jetzt im Auge habe. ({2}) - Ich habe das ausdrücklich gesagt, Herr Kollege Schlottmann. Ich möchte aber trotzdem auf den § 112 der Geschäftsordnung hinweisen: Beschlußempfehlung und Bericht des Petitionsausschusses. Dort heißt es: Die Berichte werden gedruckt, verteilt und innerhalb von drei Sitzungswochen nach der Verteilung auf die Tagesordnung gesetzt; sie können vom Berichterstatter mündlich ergänzt werden. Von diesem Recht machen wir Gebrauch. Ich bitte darum, daß wir in Zukunft entsprechend berücksichtigt werden. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort nach § 31 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Collet. ({0})

Hugo Collet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht gleich schimpfen, Herr Kollege Bohl! - Ich habe mich zu Wort gemeldet, um Ihnen mitzuteilen, daß ich an der Abstimmung über die elf Drucksachen mit 42 Seiten zum Punkt 14 der Tagesordnung nicht teilnehme. Wenn Sie mich fragen, warum, ({0}) sage ich Ihnen: weil ich nicht weiß, was drinsteht. ({1}) Sie werden nun vielleicht sagen: Dann hättest du das lesen sollen. ({2}) Sie werden das nicht sagen; Sie kennen das. Aber vielleicht werden es die Damen und Herren da oben auf der Tribüne oder der Souverän, der Bürger zu Hause, sagen. Hier habe ich die Sitzungsunterlagen dieser Woche - ich war gerade noch draußen und habe die letzte Zugabe geholt -, ({3}) mit 1395 Seiten auf 107 Drucksachen. ({4}) - Das hat meine Mitarbeiterin gezählt. ({5}) Sie hat alle Drucksachen nach der Tagesordnung zusammengetan. Das trage ich hier nun vor, weil ich meine, irgendwann sollten wir auch einmal darüber nachdenken, wie wir das machen und was wir hier machen. ({6}) Ich bin am Montagabend hier angereist - ich hatte noch zwei Termine im Wahlkreis, Sie kennen das -, bin dann ins Büro gegangen und war noch bis halb zwei dort. ({7}) Am Dienstag gab es Sitzungen von Arbeitsgruppe, Arbeitskreis, Fraktion und abends eine Veranstaltung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen. Am Mittwoch tagten Ausschüsse, ich war Schriftführer hier und hatte noch einen weiteren Termin. Und nun gibt es für Donnerstag und Freitag diese Drucksachen. ({8}) Wenn man also überlegt, meine sehr verehrten Damen und Herren, ergibt sich: Wir stimmen über Dinge ab, die wir nicht kennen. ({9}) Ist dies ein Vorwurf? Nein. Ich mache das ja auch 21 Jahre mit. Dies ist kein Vorwurf; dies ist ein Anstoß zum Nachdenken, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich weiß um den Entscheidungszwang im Interesse der Dinge, die da weitergehen müssen. Aber überlegen Sie einmal, welchen Vorsprung, welchen Einfluß dadurch die Exekutive hat. Es geht ja nicht immer nur um politische Entscheidungen, die im Kabinett getroffen werden. Nur wenige Beamte wissen dann, was da jetzt eigentlich als Vorlage liegt, und wir alle heben dazu die Hand. Ich erinnere daran, wie das heute mittag vor der Mittagspause war. Es war geradezu eine Abstimmungsguillotine, die da bedient wurde. ({10}) Und dann sagt auch noch der Präsident, der auch nicht weiß, was da drinsteht, worüber er abstimmen läßt - -({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter - Collet ({0}): Es war nicht der jetzt amtierende Präsident. ({1}) Der Präsident bezieht sich also auf die Vorlagen, die wir nicht hier haben. Wir haben ja keine Tische, und deshalb liegen die Vorlagen seit wir ins Wasserwerk umgezogen sind, draußen im Vorraum; sie sind gar nicht alle in die Mappe hineingelegt wor19740 den, wie ich festgestellt habe, als ich die Tagesordnung zur Hand nahm, weil schon damit gerechnet wird, daß wir sie gar nicht holen können, weil sie uns vom Schoße fallen, wenn wir sie alle hier mit hineinnehmen; wir müßten dann zwischen den Papieren auf der Erde herumsuchen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, wir müssen erneut darüber nachdenken, wie wir an dieses Problem herangehen. ({3}) Es ist eine Herausforderung an Politikwissenschaftler und Parlamentsreformer, eine Herausforderung an uns alle. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist keine Erstaufführung. Im Jahre 1971 habe ich den gleichen Vorgang - nicht an diesem, sondern am Rednerpult im Altbau - zur Sprache gebracht. ({5}) Ich gebe jetzt als Ausscheidender noch einmal den Hinweis. Demnächst werde ich Gelegenheit haben, im Rahmen der Aktivitäten der Ehemaligen daran mitzuarbeiten. Vielleicht kann ich dann den noch hier Arbeitenden einen Vorschlag unterbreiten. Ich werde an der Abstimmung nicht teilnehmen. Ich darf mich bedanken. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Collet, nachdem Sie mich freundlicherweise von denen ausgenommen haben, die nicht diese mehreren tausend Seiten gelesen haben, ({0}) bedaure ich sehr lebhaft, daß Sie nicht mehr an der Bereinigung dieser Angelegenheit und der Überwindung dieser Schwierigkeiten im nächsten Bundestag teilnehmen können. Es wird also den in den 11. Deutschen Bundestag wiederkehrenden oder neu in ihn einziehenden Abgeordneten überlassen bleiben, hier einen vernünftigen Weg zu finden. Aber keinesfalls haben Sie widersprochen, daß die Petitionen im Petitionsausschuß im einzelnen mit großer Gewissenhaftigkeit und großer Gründlichkeit behandelt worden sind, ({1}) daß die Beschlußempfehlungen zu den meisten Petitionen im Petitionsausschuß einstimmig verabschiedet worden sind und die strittigen Petitionen hier im Bundestag aufgerufen und behandelt worden sind, so daß also der Gründlichkeit auch bei einer so großen Zahl von Petitionen im Bundestag Genüge getan worden ist. Die Petenten draußen im Lande können sicher sein, daß ihre Petitionen hier gründlich beraten und ernst genommen werden. ({2}) Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 14 a, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4587. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 10/6142 unter Ziffer 1, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die §§ 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einige Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist dieser Gesetzentwurf entsprechend der Ausschußempfehlung abgelehnt. Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 10/6142 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Wonach schauen Sie, Herr Schierholz? ({3}) Darf ich noch einmal wiederholen: Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 14b, und zwar zuerst über die hierzu vorliegenden Änderungsanträge. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6664 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({4}) - Das braucht nicht mit einem Hurra begleitet zu werden. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6618 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Mit Mehrheit abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6102 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Wir stimmen jetzt über den Tagesordnungspunkt 14c ab. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6250? Ich bitte um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 14d, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6619. Wer dem Änderungsantrag zuzustimVizepräsident Stücklen men wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6182 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Wir stimmen nunmehr über Tagesordnungspunkt 14e ab, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6620. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6183 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit angenommen. Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 14f ab, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 10/6621. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Mit Mehrheit abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6249 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 14 g und 14 h. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6573? Ich bitte um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Gegenstimmen. Bei einigen Enthaltungen angenommen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6574. Ich bitte um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Wir stimmen jetzt über den Tagesordnungspunkt 14i ab, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6622. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieser Antrag abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6576 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen. Wir stimmen nunmehr über Tagesordnungspunkt 14j ab, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6633. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6577 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe auf - ({5}) - Wissen Sie, beim Präsidium ist man Schwerstarbeit gewohnt. Eine amtliche Mitteilung: Der Ältestenrat hat in seiner heutigen Sitzung folgende Empfehlung ausgesprochen: In Abweichung von § 77 Abs. 1 der Geschäftsordnung sollen Gesetzentwürfe und Anträge, die nach dem 12. Dezember 1986 eingehen, nicht mehr gedruckt werden, wenn sie in der laufenden Wahlperiode nicht mehr auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt werden und am Ende der Wahlperiode nach § 125 der Geschäftsordnung als erledigt gelten. Diese Regelung gilt nicht für Große Anfragen, die ebenso wie Kleine Anfragen und schriftliche Einzelfragen weiterhin gedruckt und behandelt werden sollen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist damit so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gansel, Amling, Bachmaier, Bahr, Bernrath, Bindig, Frau Blunck, Brück, Büchner ({6}), Catenhusen, Collet, Conradi, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Duve, Dr. Ehmke ({7}), Dr. Emmerlich, Fischer ({8}), Fischer ({9}), Frau Fuchs ({10}), Gerstl ({11}), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heistermann, Hiller ({12}), Dr. Holtz, Horn, Frau Huber, Immer ({13}), Jahn ({14}), Jungmann, Kiehm, Kißlinger, Klein ({15}), Dr. Klejdzinski, Klose, Kühbacher, Kuhlwein, Lambinus, Löffler, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Neumann ({16}), Dr. Nöbel, Frau Odendahl, Paterna, Peter ({17}), Rapp ({18}), Frau Renger, Reuter, Roth, Schäfer ({19}), Schanz, Dr. Scheer, Schlaga, Frau Schmidt ({20}), Dr. Schmude, Schröer ({21}), Schulte ({22}), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Steine:, Stiegler, Stobbe, Toetemeyer, Verheugen, Voigt ({23}), Waltemathe, Wartenberg ({24}), Weisskirchen ({25}), Westphal, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der Vizepräsident Stücklen SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Kriegswaffenkontrolle - Drucksache 10/3342 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({26}) - Drucksache 10/4275 - Berichterstatter: Abgeordneter Lattmann bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({27}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/4276 Berichterstatter: Abgeordnete Glos Dr. Weng ({28}) Frau Simonis Dr. Müller ({29}) ({30}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({31}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Sicherung der Kriegswaffenkontrolle - Drucksachen 10/6091, 10/6445 Berichterstatter: Abgeordneter Lattmann Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Altestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 15a und 15b 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Gansel. ({32})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, von diesem Pult aus Hugo Collet ein Dankeschön zu sagen. Schließlich hat er mir 1972 die ersten Ratschläge für das Überleben als Abgeordneter gegeben. Hugo Collet selbst ist ein vorbildlicher und tapferer Parlamentarier gewesen. ({0}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir beraten heute in letzter Lesung den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Sicherung der Kriegswaffenkontrolle. Wir haben diesen Gesetzentwurf am 14. Mai 1985 im Bundestag eingebracht. Durch den vor einer Woche offenbar gewordenen illegalen Transfer von Rüstungstechnologie nach Südafrika hat dieser Gesetzentwurf eine aktuelle und die überzeugendste Begründung erhalten. Nach unserem Gesetzentwurf sollen Konstruktionszeichnungen für Kriegswaffen auch wie Kriegswaffen behandelt werden, wenn sie aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden. ({1}) Das würde z. B. bedeuten, daß ein rechtswidriger Export von Blaupausen nach Südafrika nicht mehr als Ordnungswidrigkeit deklariert werden könnte, als ob es sich dabei um eine Übertretung der Straßenverkehrsordnung handeln würde. Solche Taten sollen nach unserer Vorstellung als das bestraft werden, was sie sind, nämlich als Vergehen oder Verbrechen. ({2}) In der gestrigen gemeinsamen Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Wirtschaftsausschusses aus Anlaß des illegalen Rüstungsgeschäfts mit Südafrika hat sich die Kollegin Hamm-Brücher darüber empört, daß es überhaupt möglich ist, ein illegales Waffengeschäft als Ordnungswidrigkeit einzustufen, so daß das Bußgeld bei der Kalkulation des Gewinnes vorher kalt lächelnd abgezogen wird; Sie haben recht, Frau Kollegin. Nach unserem Gesetzentwurf machen sich auch diejenigen strafbar, die als Amtsträger, z. B. als Regierungsmitglieder, rechtswidrige Waffengeschäfte durchführen oder pflichtwidrig nicht verhindern oder vorbereiten oder dazu anstiften. Wir halten es für ein Gebot der politischen Hygiene, daß Haftung und Schuld nicht voll auf diejenigen abgewälzt werden, die in Unternehmen der Privatwirtschaft oft in totaler Abhängigkeit von den Aufträgen oder Genehmigungen der Bundesregierung rechtswidrigen Kriegswaffenexport betreiben. Dieses Thema ist also von geradezu brennender Aktualität. ({3}) Mit dem Gesetzesantrag, von dem wir wissen, daß er in dieser Legislaturperiode ein Entwurf bleiben wird - das sind nur einige Seiten Papier, das ist nur tote Materie - verbindet sich für mich das Bild zweier Menschen, die jeweils als Typus für diesen Antrag zur Kontrolle des Kriegswaffenexports und für die Antragsteller, die Sozialdemokraten, und für mich persönlich privat und politisch Bedeutung haben. Professor Carlo Schmid, einer der Großen in der Geschichte meiner Partei, einer der Väter des Grundgesetzes, wäre gestern 90 Jahre alt geworden. Carlo Schmid ist der Art. 26 des Grundgesetzes zu verdanken. ({4}) Ich zitiere diesen Artikel, der Carlo Schmid mehr ehrt, als es jede Jahreswürdigung kann. Art. 26 des Grundgesetzes: Handlungen, die geeignet sind und in der Ab-sicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesonGansel dere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. ({5}) Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Dieses Bundesgesetz ist das Kriegswaffenkontrollgesetz, über das wir heute diskutieren. Daß wir - Zitat -... eine klare und unklausulierte Erklärung abgeben, daß in Deutschland keine Kanonen mehr gebaut werden sollen, nicht nur für uns, sondern auch für andere nicht ... - so sagte es Carlo Schmid 1949 in den Beratungen des Parlamentarischen Rates -, ist der Sinn dieses Grundgesetzartikels. Damals konnte sich noch niemand Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland und eine eigene Bundeswehr vorstellen. Die Bundeswehr ist heute ein Faktum und auf lange Sicht für uns Deutsche unverzichtbar. Ich gehöre zu denen, die in dieser Bundeswehr zwei Jahre gedient haben, sozusagen an Kanonen, die für uns wieder gebaut worden sind. Daß es in der Bundesrepublik Deutschland Waffen für die Bundeswehr und für die Streitkräfte unserer Verbündeten gibt und daß sie hier hergestellt werden, ist militärisch sinnvoll, wenn es politisch kontrolliert wird. Wirtschaftlich ist es zumindest problematisch, in vielen Fällen sogar gefährlich. ({6}) Nützlich ist es jedenfalls, sich klarzumachen, daß die deutsche Industrie und Exportwirtschaft ihre größten Erfolge erzielt hat, als wir die Intelligenz, Kreativität, Solidität und Zuverlässigkeit unserer Wissenschaftler, Arbeiter und Ingenieure auf die Produktion nichtmilitärischer Güter verwandten. ({7}) Dies ist übrigens auch heute noch ein Wettbewerbsvorteil der Japaner auf den internationalen Märkten. Wir müssen keine Kanonen für andere bauen, sagte Carlo Schmid. Unser Gesetzentwurf läßt Waffenexporte nur noch für Staaten genehmigungsfähig, die mit uns verbündet sind oder denen wir politisch besonders verbunden sind. Die Länderliste, die wir vorschlagen umfaßt 24 Staaten die als Mitgliedstaaten der OECD rechtsstaatlich und demokratisch verfaßt sind, keine Menschenrechte verletzen und von denen als leistungsfähige Industriestaaten Waffen nicht dadurch bezahlt werden, daß man wie in manchen Entwicklungsländern den Armen das Brot dafür wegnimmt. Sie liegen alle nicht in Spannungsgebieten. Aus anderem aktuellen Anlaß sage ich deshalb auch, nachdem von Kriegswaffenlieferungen nach Saudi-Arabien und nach Israel wieder die Rede ist: Beide Länder scheiden für uns aus. Wir wollen keine Waffenlieferungen in den Nahen Osten und keine Waffenlieferungen in Spannungsgebiete. ({8}) Heute erscheint die „Frankfurter Rundschau" mit der Überschrift - ich zitiere -: „CSU macht sich für mehr Rüstungsexporte stark - Krise der Werften Genscher angelastet". ({9}) Die lang dauernde Krise der Werften ist nicht Genscher anzulasten. Sie ist auch nicht dieser Bundesregierung anzulasten, auch nicht der Regierung, die davor amtiert hat. Die Krise unserer Werften beruht auf Strukturveränderungen in dem, was Weltwirtschaftsordnung genannt wird, aber in Wirklichkeit ein ziemliches Chaos ist. Ich weiß deshalb auch, daß Planung nur beschränkt funktionieren kann. Daß die Manager vor allen Dingen auf den Großwerften Ruhe hielten, anstatt etwas zu unternehmen, daß sie darauf vertrauten, mit Altem, mit schon entwickelten und eingeführten Produkten, und zwar mit Kriegswaffen, auf dem Exportmarkt sich behaupten zu können, anstatt Neues zu entwikkeln und sich neue Märkte friedlich zu erobern, das ist die eigentliche Krise der Werften. ({10}) Die Verantwortung aller Bundesregierungen ist, daß sie das zugelassen und zum Teil sogar noch gefördert haben. Die Folgen dieser Politik müssen viele tausend Werftarbeiter in diesem Jahre erleiden, weil auch in anderen Ländern Waffen produziert und verkauft werden sollen. Weil zugleich die Kaufkraft der Abnehmerländer nachgelassen hat, weil insgesamt der Konkurrenzkampf Opfer fordert, müssen jetzt auch Arbeitnehmer im sogenannten Sonderschiffbau - ein Tarnbegriff für Kriegsschiffbau - entlassen werden. Da verbindet sich dieser Gesetzentwurf für mich mit dem Bild eines Mannes, der die Sozialdemokratie und die Arbeiterbewegung genauso repräsentiert wie Carlo Schmid, der mein väterlicher Freund war. Ich denke an meinen Freund Werner Grob aus Kiel von den HDW aus Gaarden-Süd, IG Metaller, SPD-Mitglied und ein guter Kumpel. Er hat 20 Jahre lang als Schiffbauwerker bei HDW gearbeitet. Ich habe ihn kennengelernt, als ich einmal zwei Wochen im Dock arbeitete. Später wurde er zum Sonderschiffbau abgeteilt, weil er tüchtig war und gut verdienen wollte. Er hat beim Bau der UBoote für Argentinien, Peru und Indien mitgearbeitet. Seine letzte Arbeit war, weil es schon damals auch im Kriegsschiffbau wenig zu tun gab, um das Dock, in dem die Chile-U-Boote lagen, einen Zaun zu bauen, der verhindern sollte, daß protestierende Studenten sie noch einmal besetzen könnten. 19744 Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode Gansel Werner Grob hat in der Werft in 20 Jahren keinen Tag wegen Krankheit gefehlt. Er hat zwei leichte Arbeitsunfälle gehabt. Schließlich hat es ihn ein drittes Mal erwischt, und zwar schwerer. Während des Krankenhausaufenthalts wurde ihm von der Werft mitgeteilt, daß er entweder seinen Auflösungsvertrag unterschreiben oder damit rechnen müsse, ohne Abfindung - ich setze das in Anführungsstriche - „freigesetzt" zu werden. Ich habe ihm raten müssen zu unterschreiben. Das war vor zwei Jahren. Heute ist er 54 Jahre alt und ABM-Kraft bei der Arbeiterwohlfahrt in Kiel. Sein Schicksal steht für viele. An sie denke ich und mit mir mancher von uns aus der SPD, wenn wir die Parole hören „Arbeitsplätze durch Rüstungsexport" - als ob es da niemandem um Gewinne ginge oder um die Tarnung einer neudeutschen Anmaßung von Weltpolitik. ({11}) Von Arbeitsplätzen und Arbeiterschicksalen verstehen wir mehr als andere. ({12}) Uns ist bekannt, daß Defizite beim Handelsschiffbau eine Zeitlang mit Überschüssen aus dem Kriegsschiffbau ausgeglichen worden sind. Dabei haben die Großwerften übrigens manche kleine Werft, die zu einer solchen betrieblichen Subventionierung des Handelsschiffbau nicht in der Lage war, kaputtgemacht oder in die Gefahrenzone gebracht. Bei HDW sind in den letzten beiden Jahren bei Kriegsschiffsexporten Verluste erzielt worden, die weit über 100 Millionen DM hinausgehen. ({13}) Der Werftkoordinator der schleswig-holsteinischen Landesregierung, ein ehemaliger Finanzminister aus dem Kabinett Stoltenberg, hat zu diesen beiden Jahren festgestellt, der Sonderschiffbau habe den defizitären Handelsschiffbau subventionieren sollen - ich zitiere aus der Denkschrift -: Auf Grund außerordentlicher Ereignisse im Sonderschiffbau und einer insgesamt erfolgreichen Tätigkeit im Handelsschiffbau ist ein reziproker Verlauf eingetreten. Das bedeutet auf gut deutsch: Der Handelsschiffbau hat den Kriegsschiffbau subventioniert - unglaublich, aber wahr, einmalig und wohl kaum wiederholbar. Es wäre auch betriebs- und volkswirtschaftlich unsinnig und Verschwendung von Steuergeldern. Für die Küste wie auch für die ganze Bundesrepublik gilt: Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen ist eine Aufgabe, die nicht den sogenannten Selbstheilungskräften der Wirtschaft überlassen werden kann. ({14}) Wir Sozialdemokraten bestehen auf der staatlichen Mitverantwortung. Die Küste braucht dabei ein besonderes Beschäftigungsprogramm, das private Initiativen wieder ankurbelt und wirtschaftliche Zukunftschancen schafft. Zusammen mit Heide Simonis und Horst Jungmann habe ich dazu vor ziemlich genau zehn Jahren Vorschläge gemacht, die kaum öffentliche Gelder erfordern, sondern die - in Anführungszeichen - nur eine andere Politik bedeuten würden. Für den staatlich dirigierten Rüstungsbereich haben wir vorgeschlagen: Erstens. Die Schaffung neuer oder die Erweiterung vorhandener Rüstungskapazitäten muß vermieden werden. Zweitens. Für Unternehmen, die sich von Rüstungsaufträgen abhängig gemacht haben, müssen im Interesse der Beschäftigten auch bereits entschiedene Beschaffungsvorhaben zeitlich gestreckt werden. Drittens. An solche Unternehmen sind gezielt und bevorzugt Staatsaufträge für nichtmilitärische Produkte zu vergeben, wenn dadurch vorhandene Rüstungskapazitäten umgestellt werden. ({15}) Viertens. Rüstungsunternehmen sollen über die langfristige Planung von Beschaffungsvorhaben rechtzeitig informiert werden. Das ist wichtig: Diese Informationen müssen die Arbeitnehmer in gleicher Weise wie die Arbeitgeber erhalten. Fünftens. Staatliche Forschungs- und Entwicklungsaufgaben für nichtmilitärische Produkte müssen gezielt an Unternehmen vergeben werden, die sich von der Rüstung auf zivile Projekte umstellen wollen. ({16}) Es gehört zu dem, was mich auf unsere Gewerkschaften stolz macht, daß sich gewerkschaftliche Arbeitsgruppen darangemacht haben, in ihrer Freizeit alternative Produkte zu entwickeln, z. B. bei den MAK in Kiel, die hochbezahlte Manager in ihrer Dienstzeit nicht zustande bringen. ({17}) - Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen, Herr Kollege? ({18}) Sechstens. Da sich die Rüstungsproduktion in wenigen Regionen der Bundesrepublik konzentriert und dort besondere Probleme schafft, sind regionale Wirtschafts- und Strukturräte auch in diesem Zusammenhang von Interesse. Siebtens. Es ist eine der wichtigsten Voraussetzungen von Konversion und langfristiger Arbeitsplatzsicherung, daß in der Rüstungsproduktion klare und unmißverständliche RahmenbedingunGansel gen im gesetzlichen Bereich bestehen, die der Industrie sagen, was sie darf und was sie nicht darf. Das alles gehört zur Zielsetzung unseres Gesetzentwurfes. Uns geht es auch dabei um Arbeitsplätze. Er hat aber vor allem außenpolitische Bedeutung. Bei der Reduzierung des Kriegswaffenexportes in Länder außerhalb des Bündnisses wird unsere Sicherheit, die sich ja nach dem Grundgesetz auf die Verteidigung des Territoriums der Bundesrepublik beschränkt, in keiner Weise tangiert. Gewiß reichen die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik über den Geltungsbereich auch des NATOVertrages hinaus. Wir haben aber als Lehre aus unserer Geschichte darauf verzichtet, sie militärisch zu verfolgen. Kriegswaffenexporte dürfen nicht zum Ersatz für deutsche Soldaten außerhalb des Bündnisses werden. Wer an dieser Grundentscheidung unserer Verfassung festhalten will, kann nun aber auf dem Felde der Reduzierung und Kontrolle der Kriegswaffenexporte leichter als anderswo den Nachweis für die Glaubwürdigkeit unserer Rüstungskontrollpolitik liefern. Das wird der Soldat in der Bundeswehr genauso verstehen wie die Frau in der Friedensbewegung. Die Kontrolle und Reduzierung der Kriegswaffenexporte ist von uns selbst machbar. Darüber kann im Deutschen Bundestag entschieden werden. Das ist ein Test auf die Glaubwürdigkeit unserer sonntäglichen Abrüstungsreden. Das ist auch ein Test für unsere Gewissen. ({19})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Lattmann.

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe Verständnis dafür, daß ein Kollege, in dessen Wahlkreis Werften sind, bei diesem Thema einen langen Exkurs über Arbeitsplätze bei Werften veranstaltet und dabei ziemlich ins Eiern gerät. Wenn Sie sich im übrigen als besonders zuständig für Arbeitsplatzprobleme bezeichnen, wird dies ja durch eindrucksvolle Zahlen belegt. In Ihrer Terminologie würde das wahrscheinlich „Minusschaffung" heißen, was Sie in Ihrer Verantwortung veranstaltet haben. Aber Sie werden gestatten, daß ich von diesem Exkurs auf den Gesetzentwurf und den Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, zurückkomme. Ziel dieses Antrages soll es sein, die Kontrolle des Handels mit Kriegswaffen zu verbessern. Ich möchte an einigen Punkten untersuchen, ob dieser Entwurf dem Anspruch gerecht wird und welche sonstigen Folgen er hat. Da wird eine Ausweitung der Kriegswaffenliste vorgeschlagen. Im übrigen, Herr Kollege Gansel, das, was Sie bezüglich Konstruktionszeichnungen beschrieben haben, ist j a überwiegend schon geltendes Recht. Diese Begründung an dieser Stelle ist also überflüssig. Das, was Sie ansonsten zu diesem Punkt fordern, kann eigentlich keine Unterstützung finden. ({0}) Es würde bedeuten, daß der Kriegswaffenbegriff des Kriegswaffenkontrollgesetzes aufgegeben würde, ({1}) mit der Folge - warten Sie ab - das steht ausdrücklich darin -, daß auch zivil verwendbare Gegenstände oder Substanzen dem Genehmigungsverfahren dieses Gesetzes unterworfen würden. Das könnte im Zweifelsfall vom Lkw bis zum Zahnstocher reichen; denn all das wäre natürlich auch militärisch verwendbar. Nun gibt es, hoffe ich, überhaupt keinen Zweifel und keinen Dissens darüber, daß die ökonomischen Gesichtspunkte bei dieser sensiblen Frage nicht an erster Stelle stehen dürfen. Aber es kann dann wohl auch nicht der Sinn einer solchen Aktion sein, daß die deutsche Exportwirtschaft in einem erheblichen Umfang behindert wird, und zwar in einem Bereich, wo sie im Grunde überhaupt nichts mit Waffenlieferungen zu tun hat. ({2}) Der zweite Punkt. Sie fordern eine Beschränkung des Exports von Kriegswaffen in bezug auf die OECD-Staaten. Dies ist, Herr Gansel, sachlich nur schwer zu begründen. Auch die Zugehörigkeit zur OECD kann, wie Sie wissen, durchaus Fragen aufwerfen. Es war doch die SPD, die beispielsweise zum OECD-Mitglied Türkei eine Reihe solcher Fragen gestellt hat. Andererseits gibt es zahlreiche Drittländer, gegen die ebensowenig Bedenken bestehen wie gegenüber OECD-Staaten und denen man ein Recht auf und ein Bedürfnis zur Verteidigung doch wohl nicht absprechen kann, wie auch wir uns dies nicht absprechen lassen. Oder wollen Sie fordern, daß in solchen Fällen andere liefern sollten? Das wäre doch wohl eine doppelte Moral, die wir hier im Ernst nicht fordern können. Nein, wir wollen es bei der Einzelfallprüfung belassen, weil nur diese sicherstellt, daß auch im Einzelfall der Sache entsprechend und gerecht entschieden werden kann. Im übrigen bringt die Beschränkung auf OECDStaaten ein weiteres Problem mit sich. Es würde Kooperationen mit anderen NATO-Ländern erschweren, wenn nicht unmöglich machen, weil sich diese unseren Beschränkungen natürlich nicht anschließen würden. Das hätte die Folge, daß bei kostenaufwendigen Produktionen die Bundesrepublik teure Alleingänge unternehmen müßte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, darf ich Sie als Mitglied der Nordatlantischen Versammlung daran er19746 innern, daß die Versammlung wie übrigens auch die Versammlung der Westeuropäischen Union beschlossen hat, in der Waffenexportpolitik gemeinsame Kriterien zu entwickeln, die verhindern, daß Waffen in Spannungsgebiete und an Staaten, die den Terrorismus fördern geliefert werden? Widerspricht das nicht genau dem, was Sie eben gesagt haben? ({0})

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ganz im Gegenteil. Ich begrüße diese Bemühungen ausdrücklich. Ich weise Sie darauf hin, daß wir in der Bundesrepublik schon einen bedeutenden Schritt, übrigens mit Ihrer Hilfe, weiter sind, daß nämlich all das, was dort gefordert ist, bei uns schon geltendes Recht darstellt. ({0}) Sie fordern in einem dritten Punkt die Einrichtung eines Beauftragten für die Kriegswaffenkontrolle. Wir haben im Wirtschaftsausschuß in einer im übrigen sehr sachlichen und außerordentlich guten Diskussion schon erfahren, daß hier erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Ich muß dies hier im einzelnen nicht erläutern. ({1}) - Das ist völlig korrekt. Im übrigen sind in Ihrem Gesetzentwurf erhebliche Mängel durch unpräzise Formulierungen festzustellen, wenn es beispielsweise heißt: „die Verwendung finden können" oder „bei denen sich aus den Umständen ergibt", und bei verschiedenen anderen Formulierungen mehr. Dies ist als Definition für Kriegswaffen ungeeignet, da es nicht oder kaum nachprüfbar ist. Ich komme von daher zu dem Ergebnis, daß der von Ihnen vorgelegte Entwurf eine Reihe von Mängeln aufweist, daß er an wichtigen Stellen unpräzise ist, daß er teilweise auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt und deshalb kaum geeignet ist, das vorgegebene Ziel zu verwirklichen. Deshalb haben Sie, wenn ich das nicht völlig falsch verstanden habe, Herr Gansel, mit Ihrem Antrag „Sicherung der Kriegswaffenkontrolle" selber die Konsequenzen daraus gezogen, der sich nur noch auf die Beschränkung auf OECD-Staaten bezieht. Alle anderen Punkte kommen in diesem Antrag nicht mehr vor. Aus meiner Sicht ist dies eine stillschweigende Zurücknahme des Gesetzentwurf s. ({2}) Wir werden aus den genannten Gründen den Gesetzentwurf und diesen Antrag ablehnen. Das entbindet uns natürlich nicht einer auch zukünftigen kritischen Beobachtung des Kriegswaffenexports und der Kriegswaffenkontrolle und gegebenenfalls eines Nachdenkens über notwendige Änderungen. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sind Sie dann bereit, auch namens der CDU/CSU-Fraktion, für die sie hier sprechen, einmal klar und eindeutig zu dem Bericht Stellung zu nehmen, der heute in der „Frankfurter Rundschau" steht, auf den Herr Gansel schon hingewiesen hat und der unter der Überschrift steht: „CSU macht sich für mehr Rüstungsexporte stark"?

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, ich habe schon an anderer Stelle - ich komme gleich noch einmal dazu - deutlich gemacht, daß die CDU/CSU auf der Grundlage der gesetzlichen Regelung in der Bundesrepublik steht und wir dafür eintreten werden, daß diese nicht nur in Deutschland, sondern möglichst weltweit Anwendung findet. ({0}) Ich habe hier also insofern keinen Nachholbedarf. ({1}) Bei der von mir soeben angesprochenen kritischen Beobachtung, die zukünftig auch von uns immer wieder zu leisten ist, dürfen wir natürlich nicht übersehen, daß wir mit dem Kriegswaffenkontrollgesetz und den politischen Grundsätzen vom 5. Mai 1982 weltweit die strengsten Richtlinien auf diesem Gebiet haben. Im übrigen sind diese Richtlinien - ich muß Sie nicht darauf hinweisen - von Ihnen geschaffen worden. Wenn Sie sie jetzt kritisieren, dann ist das natürlich zuallererst Kritik an sich selbst. ({2}) - Moment, seien Sie ganz ruhig. - Nun ist gegen Selbstkritik nichts zu sagen. Nur: Man muß sie dann auch als solche ausgeben und darf nicht den Eindruck zu erwecken versuchen, als wolle oder könne man andere an den Pranger stellen. Nun könnte es sein - das entnehme ich aus Ihren Zwischenrufen -, daß Sie weniger die gesetzlichen Grundlagen als deren Handhabung kritisieren. Es ist in vielen Diskussionen und Debatten auch hier im Hause nachgewiesen worden, daß die Handhabung unter dieser Bundesregierung, unter der Regierung Helmut Kohl, restriktiver ist als unter ihrer Vorgängerregierung. Insofern geht auch dieser Vorwurf ins Leere. ({3}) Wir teilen die Kritik der SPD nicht, und zwar auch deshalb nicht, weil ein internationaler VerLattmann gleich zeigt, daß die von Ihnen erhobenen Forderungen von keinem unserer wichtigen Partnerländer erfüllt werden, von denen des Ostens ganz zu schweigen. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf Frankreich, wo François Mitterrand im Jahre 1981 ähnliche Forderungen erhob, wie Sie das heute tun. Nach dem Regierungswechsel waren alle diese Forderungen jedoch vergessen, weil man natürlich gemerkt hatte oder längst wußte, daß sie in der Praxis nichts taugen. Es scheint jedoch in sozialistischen Kreisen auch bei uns die Vermutung oder möglicherweise sogar die Gewißheit zu geben, daß man mit solchen Parolen und Themen Stimmen gewinnen kann. Wir erleben das jetzt schon seit Monaten. Einmal überspitzt gesagt: Jede rostige Kugel, die irgendwo auftaucht, wird hier in den Bundestag gerollt, in der Hoffnung, man könne daraus einen Glücksbringer für bevorstehende Wahlen machen. ({4}) Das Theater, das Sie um die Blaupausen für Südafrika angezettelt haben, läßt kaum einen anderen Schluß zu. Nicht Aufklärung und Sachdiskussion sind das Ziel, sondern Stimmungsmache. Dies wird deutlich, wenn man verschiedene Erklärungen der letzten Zeit liest oder hört. ({5}) Kein Geringerer als J.R., Johannes Rau, hat im Deutschlandfunk die Begründung dafür geliefert. Er sagte, er wolle mit Stimmungen Stimmen gewinnen. Genau das ist der Punkt. Das ist im übrigen wohl auch nicht ganz unverständlich, wenn man in der Sache derart wenig zu bieten hat. Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, ich fordere uns alle auf, von diesem Weg abzulassen. Das Thema ist zu sensibel und zu ernst, als daß man es in die partei- oder wahlpolitische Auseinandersetzung einführen könnte. Lassen Sie uns mit aller Sorgfalt dafür Sorge tragen, daß auch in Zukunft eine restriktive Handhabung gewährleistet bleibt und so Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abgewendet wird. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kritisch auseinandersetzen muß man sich beim Thema der Rüstungsexporte natürlich im wesentlichen mit der rechten Seite des Hauses, die es in den letzten Jahren geschafft hat, die Bundesrepublik zu einer der vier führenden Nationen im Bereich der Rüstungsexporte zu machen. Da Sie, Herr Gansel, und Ihre Kolleginnen und Kollegen aber einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, möchte ich den kritisch diskutieren. Wir würdigen natürlich, daß Sie implizit versuchen, von Ihrer eigenen offensiven Rüstungsexportpolitik in den 70er Jahren Abschied zu nehmen. Wir würdigen auch, daß Sie für Ihre Partei bestimmte Positionen festklopfen wollen, weil es auch bei Ihnen ein Gezerre darum gibt, wieviel exportiert werden soll, ob mehr oder weniger. Ich kenne kaum einen in der Sozialdemokratie, der völlig auf Rüstungsexporte verzichten wollte, wie es die GRÜNEN tun. Wir haben deshalb einige sehr kritische Anmerkungen zu Ihrem Gesetzentwurf zu machen, die es uns dann auch verbieten, diesem Entwurf zuzustimmen. ({0}) Dieser Entwurf bezieht sich auf Kriegswaffen im engeren Sinne. Er läßt den gesamten Bereich der Waren von strategischer Bedeutung außer acht. Sie wissen, daß diese Waren eines der größten Probleme im Rahmen der Rüstungsexporte darstellen. Ich darf Sie daran erinnern - dies ist auch eine verspätete Replik auf den Bundesaußenminister Genscher, der im ZDF-Hearing über Außenpolitik steif und fest behauptet hat, die Bundesrepublik profitiere nicht am Iran-Irak-Krieg ({1}) und stelle hier fest: Der Irak transportiert seine Panzer auf Tiefladern der Firma Blumenhardt aus Wuppertal. Dafür benutzt er Zugmaschinen von MAN und von FAUN. Der Iran transportiert seine Panzer auf Tiefladern von Titan aus Appenweier und von der Firma Kässbohrer, Ulm. Im Iran stehen Waffenfabrikationsanlagen noch aus der Schah-Zeit, und zwar von der bundeseigenen Firma Fritz Werner aus Industrieausrüstungen Geisenheim in Hessen, einer Firma, die neben anderen Waffentechniken dort in Lizenz auch Heckler & KochGewehre herstellt. Beide, Iran und Irak, benutzen Elektronik der Firma AEG und Militärtransporter von Daimler. Insoweit profitiert die Bundesrepublik ganz deutlich am Golfkrieg. ({2}) Solche Faktoren sind in Ihrem Gesetzentwurf ausgeblendet, Herr Gansel. ({3}) Deshalb halten wir ihn für unzureichend. Ein zweites Problem stellen Ihre Länderliste und Ihre Konzentration der Rüstungsexporte, die Sie generell erlauben wollen, auf OECD-Staaten dar; denn verbieten wollen Sie das j a nur Ländern der Dritten Welt. Die Frage ist aber immer die des Endverbleibs. ({4}) Sie wissen genauso wie wir, Herr Gansel, daß über OECD-Staaten bundesdeutsche Waffen oder Lizenzen in Bereiche der Dritten Welt exportiert werden. Sie wissen, daß die Exocet-Raketen, die etwa auch im Golfkrieg durch den Irak eingesetzt werden, mit Elektronik von Messerschmitt-Bölkow-Blohm ausgerüstet sind. Insoweit werden bundesdeutsche Bei19748 träge zu der internationalen Rüstungsspirale auch in der Dritten Welt geleistet.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich kann nachempfinden, daß es Ihre Strategie ist, lieber „Weiter so" mit der Union zu gehen - das paßt jetzt in die Richtung -, statt zur Kenntnis zu nehmen, was im Gesetzentwurf steht. ({0}) Ich möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, daß in unserem Gesetzentwurf glasklare Regelungen für den Endverbleib enthalten sind und daß unser Gesetzentwurf auch Fertigungsunterlagen, Know-how, für Kriegswaffen und für Produktionsmittel zur Herstellung von Kriegswaren umfaßt. Haben Sie das wirklich zur Kenntnis genommen?

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Gansel, ich bestreite generell, daß es möglich ist, den Endverbleib zu kontrollieren, wenn Sie einmal an Italien oder an Spanien exportieren. Wir wissen doch seit dem RheinmetallProzeß, daß z. B. Maschinenkanonen über Italien an Saudi-Arabien geliefert werden oder über Spanien an Argentinien. Deshalb glauben wir nicht, daß diese Problematik überhaupt gesetzlich zu lösen ist. ({0}) - Auf die andere Frage, die strategische Frage, mit wem machen wir es, gehe ich zum Schluß meiner Rede ein. Ich bitte insoweit um Geduld. - Deshalb sehen wir hier eine der wesentlichsten Lücken dieses Gesetzes. Die dritte Frage ist die der Durchsetzbarkeit. Diese Frage gebe ich an Sie zurück. Sie schlagen u. a. vor, daß die Stelle eines Beauftragten eingerichtet wird, der sich darum kümmern soll, wie die Praxis der Rüstungsexporte denn im einzelnen gehandhabt wird. ({1}) Für unsere Begriffe ist dies also eine sehr zahnlose Instanz, Kollege Bindig, und Ihr Zwischenruf nach der Transparenz zeigt mir eigentlich, daß Sie unserem Antrag hätten zustimmen müssen, der gefordert hat, daß sämtliche Rüstungsexporte offengelegt werden. ({2}) Dem Antrag haben Sie aber nicht zugestimmt. Wir sind der Auffassung, daß tatsächlich nur die Mobilisierung des öffentlichen Drucks in der Lage ist, in der Bundesrepublik ein politisches Klima zu erzeugen, durch das die Bundesregierung gezwungen wird, restriktiv vorzugehen, nach unserer Meinung jegliche Rüstungsproduktion und jeglichen Rüstungsexport völlig abzubauen. Aber ohne diesen öffentlichen Druck geht es nicht. Wir brauchen in diesem Falle ausnahmsweise mal keine neuen Gesetze, weil das Außenwirtschaftsgesetz restriktiv genug formuliert ist. Die Frage ist immer der politische Wille. ({3}) Sie können ja faktisch Ihr Gesetz auch nur zur Anwendung bringen, falls Sie in irgendeiner Konstellation an der Macht wären. Aber dann frage ich Sie: Wenn Sie schon die Macht haben, dieses Gesetz umzusetzen, wieso setzen Sie dann nicht erheblich weitergehende Politikformen durch, nämlich den Export vollständig zu verbieten? Dieses Gesetz schreibt tatsächlich eine gewisse Restriktion vor; ({4}) aber auf der anderen Seite öffnen Sie sich dadurch für den Fall einer Regierungspolitik doch wieder Hintertürchen, um nicht eine vollständig restriktive Politik etwa im Sinne der GRÜNEN zu machen, die fordern, daß Rüstungsexporte vollständig gestoppt werden. ({5}) Das ist die Forderung, für die wir plädieren - auch nach Frankreich. Wir plädieren für eine Konversionsforschung, für eine völlige Umrüstung der Rüstungsbetriebe auf zivile Produktion. ({6}) Dies sind Gründe, warum wir uns von der Sache her bei Ihrem Antrag der Stimme enthalten werden. Den Abstimmungsvorschlägen der einzelnen Ausschüsse können wir allerdings auch nicht zustimmen; die lehnen wir dann ab. Danke. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Volmer, ich habe Ihren Ausführungen mit relativ großem Interesse gelauscht; aber all diese Dinge, die Sie hier im Namen der GRÜNEN vortragen, wären natürlich wesentlich glaubwürdiger gewesen, wenn Sie uns auch erklärt hätten, wie Sie und Ihre Freunde bei den GRÜNEN sich selbst im Zusammenhang mit dieser Problematik verhalten. Ich erfahre, daß Ihre Europaparlamentsabgeordnete Frau Brigitte Heinrich wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ({0}) zu 21 Monaten Haft verurteilt worden ist. Sie verfügte über Tretminen und Handgranaten und stand in Verbindung mit terroristischen Kreisen. ({1}) Zu diesen Dingen haben Sie hier überhaupt nichts erklärt. Sie machen uns hier den blauen Himmel vor und erzählen den Menschen im Lande, im Himmel sei Jahrmarkt. In Wirklichkeit machen Sie ganz andere Dinge, die sehr handfest sind und die auch zu strafrechtlichen Folgen führen. Wissen Sie, damit verlieren Sie jegliche Glaubwürdigkeit. Auch wenn Sie aus Gelsenkirchen kommen und ich aus Essen, muß ich sagen: Ich kenne viele Leute im Ruhrgebiet, mit denen Sie sich nicht vergleichen können. ({2}) Meine Damen und Herren, den Gesetzentwurf der SPD zur Sicherung der Kriegswaffenkontrolle wird die FDP ablehnen. Dieser Gesetzentwurf ist überflüssig, wäre schädlich für die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland, ist zudem verfassungsrechtlich bedenklich und zeigt schließlich auch die Unfähigkeit der SPD, die in der Regierungszeit von Helmut Schmidt vereinbarte Linie der Außen- und Sicherheitspolitik einzuhalten. Dieser Gesetzentwurf stellt eine öffentliche Anbiederung an grüne Vorstellungen eines vollständigen Verzichts auf Rüstungsherstellung und Rüstungsexport dar ({3}) und offenbart damit unmißverständlich, was von den zugegebenermaßen immer weniger werdenden Stimmen in der SPD zu halten ist, die eine Zusammenarbeit mit den GRÜNEN nach der Bundestagswahl ablehnen. Das muß ich hier mal klar sagen. Der Gesetzentwurf der SPD ist also überflüssig. Die von der SPD mitbeschlossenen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom April 1982 stellen Anforderungen, die zu den strengsten in der Welt gehören. Die Bundesregierung handhabt diese Grundsätze seit je in sehr restriktiver Weise. Daran hat sich nichts geändert, und daran wird sich nichts ändern, solange meine Fraktion Regierungsmitverantwortung trägt. Vollmundige Erklärungen des Erbprinzen eines süddeutschen Ministerpräsidenten können wir daher ganz beruhigt auf sich beruhen lassen. ({4}) Wir nehmen Sie als Ausdruck jugendlicher Hitzköpfigkeit, Herr Kollege Gansel, und daher gelassen zur Kenntnis. Wir stehen nach wie vor zu der Forderung der Bundesregierung, bei den Vereinten Nationen ein zentrales Register für Waffenexporte und Waffenimporte einzuführen. Trotz aller Widerstände halten wir an diesem Vorschlag fest. Die Behauptung von dem angeblich ungewöhnlich weiten Ermessensspielraum bei der Genehmigung von Rüstungsexporten ist deshalb nichts weiter als die erfolgreiche Verdrängung der eigenen Vergangenheit und der früheren Regierungsverantwortung der SPD. Herr Kollege Gansel, das ist mir bei Ihrer Rede eben sehr eindringlich klargeworden. Es tut mir einfach leid. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bindig, Herr Kollege?

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte darum.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Sie fragen, warum Sie nur auf UN-Ebene ein Waffenregister fordern, statt hier schon einmal mit einer entsprechenden Veröffentlichung als Beispiel zu beginnen?

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir haben überhaupt keinen Anlaß, Herr Kollege, von der Politik, die wir seit vielen, vielen Jahren, auch in den Zeiten gemeinsamer Regierungsverantwortung, verfolgen, abzugehen. Damals haben wir alle diese Dinge, die wir sehr restriktiv gehandhabt haben, gemeinsam verantwortet. Sie brauchen überhaupt keine Scheu zu haben, sich zu dem zu bekennen, es sei denn, Sie wollen die erfolglose Linie Ihrer Partei, die Sie seit der Abkehr von Helmut Schmidt verfolgen, fortsetzen. Dazu kann ich Sie nicht beglückwünschen. Ich bedaure das außerordentlich. ({0}) Meine Damen und Herren, durch Hunderte von Anfragen in den letzten zwei Jahren ist die Haltung der Bundesregierung zum Export von Rüstungsgütern in diesem Hause immer wieder dargelegt worden. Das Parlament ist dadurch immer wieder auch in allen Einzelheiten unterrichtet worden. Alle Versuche, die restriktive Haltung der Bundesregierung in diesem Punkte anzuzweifeln, sind dabei klar und eindeutig widerlegt worden. Alles deutet darauf hin, daß diese restriktiven Vorschriften in der Praxis greifen. Wo Umgehungsversuche festgestellt worden sind, sind diese entweder verhindert oder geahndet worden. So war es im Fall der Firma Rheinmetall, und möglicherweise wird es bei HDW nicht anders sein. Das angebliche Problem eines zügellosen Kriegswaffenexports besteht also nicht. Darum zielt auch der Gesetzentwurf der SPD ins Leere. Auch der larmoyante Vortrag von Herrn Gansel hat uns hier nicht zu neuen Erkenntnissen verholfen, verehrter Herr Kollege. ({1}) Sie können sich das auf Ihrem Videorecorder noch einmal anhören und Ihre eigene Darstellungskunst überprüfen. Der Gesetzentwurf, den wir hier vorliegen haben, schadet den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland. Wir können den Ländern der Dritten Welt nicht von vornherein absprechen, was wir für uns selbst in Anspruch nehmen: das Bedürfnis, sich gegen Bedrohung von außen zu sichern. Ein generelles Verbot für den Export von Kriegswaffen in Länder, die nicht der OECD angehören, würde den außenpolitischen Handlungsspielraum der Bundesregierung auf problematische Weise einengen. ({2}) Die Einbeziehung auch zivil verwendbarer Gegenstände und Substanzen in die strengen Regeln des Kriegswaffenkontrollgesetzes würde die betroffene Wirtschaft strangulieren und die zeitgerechte Belieferung der Bundeswehr und der Bündnispartner kaum noch zulassen. ({3}) - Sie wollen die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen, Herr Gansel. Ich sage Ihnen eines: ({4}) Wenn Sie den Menschen erzählen, im Himmel sei Jahrmarkt, werden Sie auf der Erde nichts mehr haben. Das ist das Problem, über das wir hier reden. ({5}) Ihre Vorstellungen würden auch das Ende der Kooperationsfähigkeit der Bundeswehr bei Rüstungsbeschaffungen bedeuten. Besonders bei den kostenaufwendigen Rüstungsgütern ist die Kooperation mit andern NATO-Partnern die wirtschaftlich und verteidigungspolitisch vorteilhafteste Form der Beschaffung. Die Bundeswehr müßte nach Ihrem Antrag darauf verzichten. Im Schiffsbau ist ohne Export, Herr Kollege Gansel - und Sie kommen von der Küste -, eine geeignete Basis für die Eigenproduktion nicht gewährleistet. Wir wollen keine Rüstungspolitik nach Arbeitsplatzgesichtspunkten. ({6}) Dies ist auch in den politischen Grundsätzen klargestellt. ({7}) Uns ist aber auch das Schicksal der Werftarbeiter nicht gleichgültig. ({8}) - Aber, meine Damen und Herren von der SPD, gehen Sie doch in die Werften an den norddeutschen Küsten ({9}) und verkünden Sie dort, die Arbeitnehmer sollten stempeln gehen, weil keine Schiffe für Drittstaaten mehr gebaut würden! Das wäre wenigstens ehrlich. Ihr Gesetzentwurf stößt in mehrfacher Weise auch auf verfassungsrechtliche Bedenken. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Volmer?

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Vielen Dank. - Ich habe darauf übrigens in der ersten Lesung am 23. Mai hingewiesen. Die vorgeschlagene Erweiterung des Kriegswaffenbegriffs ist so unbestimmt, daß der Umfang der Strafbarkeit nicht mehr konkret erkennbar wäre. Die Einrichtung eines parlamentarischen Beauftragten für Kriegswaffenkontrolle wäre allenfalls durch eine Grundgesetzänderung möglich. Selbst dann bleiben Zweifel, da hiermit ein weitgehender Eingriff in den Kernbereich der Exekutivgewalt vorgenommen würde, jedenfalls bei den in den Gesetzentwurf vorgesehenen umfangreichen Rechten des Beauftragten. Ein Klagerecht gegen Mitglieder der Bundesregierung hat nicht einmal der Bundestag. Wieso kann es einem von ihm Beauftragten zuerkannt werden? Als Alternative hat die SPD die Kontrollbefugnisse des Parlaments in Einzelfällen vorgeschlagen. Sie verstoßen jedoch in gleicher Weise gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und sind deshalb abzulehnen. ({0}) Mit diesem Gesetzentwurf hat die SPD - ich sage: leider - endgültig die gemeinsame parlamentarische Basis beim Rüstungsexport verlassen. ({1}) Die politischen Grundsätze, die unter dem Kanzler Helmut Schmidt im April 1982 beschlossen wurden, sind auch heute die Grundlage für die restriktive Genehmigungspolitik der Bundesregierung. In der Außen- und Sicherheitspolitik hat die SPD mit der Partei von Helmut Schmidt heute leider nur noch den Namen gemeinsam. Er ist zur leeren Worthülse geworden. ({2}) Die SPD hat längst den Boden praktikabler und realistischer Politik verlassen und sich auf die fruchtlose Suche nach grüner Anbiederung begeben. ({3}) Als die SPD noch Regierungsverantwortung trug, hatte sie keine Bedenken gegen den Export von Sonderschiffen. ({4}) Empfänger deutscher Lieferungen waren so problematische Länder wie die Militärdiktatur in Argentinien, das Obristenregime in Griechenland, die Militärjunta in der Türkei, Chile, Peru, Kolumbien und Venezuela - in damaliger Zeit alles andere als Musterbeispiele westlicher Demokratie. ({5}) - Es ist pure Heuchelei, Herr Kollege Vogel, und die selbstgerechte Pose des Weltsittenrichters, Herr Vogel, wenn die SPD dies jetzt alles vergessen maBeckmann chen will und sich zum Obertugendapostel aufspielt. ({6}) Ich sage zum Schluß: Wir halten an den bewährten Grundsätzen der restriktiven Rüstungsexportpolitik fest. Wir halten an den Grundsätzen, die wir 1982 mit Ihnen zusammen beschlossen haben, fest. Wir werden die praktischen Probleme damit lösen. Wir lehnen den Entwurf, den die SPD heute opportunistischerweise vorlegt, ab. Wir werden uns weiterhin sehr um Kriegswaffenexportkontrolle bemühen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Bangemann.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Plenum dieses Hauses hat schon vor etwa einem Jahr den Gesetzentwurf der SPDFraktion diskutiert. Danach haben in den Ausschüssen Beratungen stattgefunden. Jetzt liegt uns nicht nur der Gesetzentwurf vor, sondern auch noch ein kürzlich vorgelegter Antrag, der sich ausschließlich mit dem Teilaspekt der Sicherung der Kriegswaffenkontrolle befaßt. Das ist ein bemerkenswertes Verfahren, aus dem man vermutlich den Schluß ziehen könnte, daß die Beratungen in den Ausschüssen der SPD-Fraktion deutlich gemacht haben, daß es eine ganze Reihe von rechtlichen Bedenken gegen den Gesetzentwurf gibt, die tatsächlich durchgreifen. Das gilt z. B. für den Vorschlag, einen Beauftragten des Deutschen Bundestages für die Kriegswaffenkontrolle zu bestellen. Denn abgesehen von den ebenfalls wichtigen Einzelfragen - auf die ich jetzt nicht eingehen kann - fehlt einem solchen Beauftragten in jedem Fall die rechtliche Grundlage. Wenn überhaupt, müßte man eine Grundgesetzänderung vornehmen. Auch die Befugnisse, die der Entwurf dem Beauftragten zubilligt, sind verfassungsrechtlich nicht zulässig. Das hat sich in den Beratungen der Ausschüsse eindeutig ergeben. Ich möchte hier daran erinnern. ({0}) - Auch eine Mehrheitsmeinung kann eine eindeutige Klärung von Rechtsfragen bedeuten, Herr Kollege Gansel. ({1}) - Das habe ich auch nicht gesagt. Ich habe gesagt: kann. Wenn Sie mir mit der Aufmerksamkeit zuhören würden, die ich Ihren Ausführungen immer widme, dann könnten Sie solche Zwischenrufe unterlassen. ({2}) Meine Damen und Herren, ich möchte mich jetzt auf den Antrag konzentrieren, den die SPD-Fraktion zusätzlich vorgelegt hat und der zum Ziel hat, den Export von Kriegswaffen auf die Mitgliedstaaten der OECD zu beschränken. Als die mit der SPD gebildete Bundesregierung 1982 die jetzt geltenden rüstungsexportpolitischen Grundsätze ausarbeitete und beschloß, stellte sich schon damals die Frage nach Kriegswaffenexporten in Länder, die nicht entweder der NATO angehören oder NATO-Ländern gleichgestellt sind. Auch diese Frage war damals zu entscheiden. Das Kriterium „NATO- oder ihnen gleichgestellte Länder" entspricht mehr oder weniger dem OECD-Kriterium. Die damalige Bundesregierung hat sich aus guten Gründen diesem Kriterium nicht angeschlossen. Auch nach der Beratung des vorliegenden Antrags in den Ausschüssen gibt es überhaupt keine neuen Gesichtspunkte, die dafür sprechen könnten, zu einer anderen Beurteilung als 1982 zu kommen. Wesentlich sachgerechter als die Festlegung von Länderlisten - das zeigt die Praxis der früheren Regierungen, und das zeigt die Praxis dieser Regierung - ist die Einzelfallentscheidung. Auf diese Weise kann man auf die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls eingehen. Es kann durchaus auch außerhalb der OECD-Länder ein legitimes Selbstverteidigungsinteresse eines Empfängerlandes vorliegen. Wer wollte das bestreiten? Denn nicht nur OECD-Länder können für sich in Anspruch nehmen, sich verteidigen zu wollen. Das können auch Länder außerhalb der OECD. In diesem Rahmen kann auf der Grundlage von Gesetz und rüstungsexportpolitischen Grundsätzen die Forderung des SPD-Antrags durchaus berücksichtigt werden, nämlich die Beschränkung der Ausfuhr auf Länder, die „nicht in Spannungsgebieten liegen, demokratisch verfaßt sind und die Menschenrechte respektieren". Das kann man mit den vorhandenen Bestimmungen ohne weiteres abdekken. Die Schnittlinie OECD sorgt in Wahrheit gar nicht für klare Verhältnisse. Die Erfahrung zeigt, daß eine solche Begrenzung nicht durchgehalten werden kann. Wir berücksichtigen bei solchen Entscheidungen zu Recht auch außenpolitische Interessen der Bundesrepublik. Wie wollen Sie einem Land außerhalb der OECD-Liste klarmachen, daß es keine Waffen bekommen kann, während ein Land das nach der OECD-Liste Empfängerland sein könnte, das aber durchaus keine anderen Merkmale als ein Land außerhalb dieser Liste aufweist, also das völlig gleiche Verhältnisse bietet, Waffen bekommen kann? Das ist unverständlich. Das hat schon damals dazu geführt, daß wir neben den beiden klaren Gebieten, Herr Gansel, die Länder, in die wir ohne jeden Zweifel liefern können, NATOMitglieder oder ihnen gleichgestellte Länder, und die Länder der Liste, die nicht beliefert werden können, was man auch überprüfen muß, einen großen Bereich von Einzelfallentscheidungen haben, der uns erlaubt, diese Entscheidungen richtig zu treffen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Ja, bitte sehr.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sinn der Länderliste ist doch, zu ermöglichen, daß der Bundestag durch einen Mehrheitsbeschluß ein Land auf die Liste setzen oder von der Liste nehmen kann. Dies ist für uns ein Verfahren zur Ermöglichung der parlamentarischen Kontrolle.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Mischen Sie bitte nicht die beiden Gesichtspunkte durcheinander, Herr Gansel. Wenn Sie es mit dieser Liste machen, Herr Gansel, so daß eines rauf- und eines runterkommt, wird das außenpolitisch noch schlimmer. Dann hätten Sie Aufsteiger- und Absteigerländer. Dann müßten Sie Ländern, die aus der Liste herausgenommen würden, außenpolitisch offiziell erklären, warum das geschieht. ({0}) - Wir treffen in einer Einzelfallentscheidung dann eine Negativentscheidung, die wir in der Öffentlichkeit nicht begründen müssen. ({1}) - Wir begründen eine negative Entscheidung dann, wenn uns das Parlament dazu zwingt. Sie wissen ganz genau, Herr Kollege: Über hundert Anfragen haben wir hier im Hause beantwortet. Aber es ist doch außenpolitisch ein wesentlicher Unterschied, wenn ich eine Liste von Ländern habe, die ich sozusagen anerkenne, und dann, wenn ich ein Land von dieser Liste streiche, das in aller Öffentlichkeit und hier begründen muß. Das ist ein Verfahren, bei dem man außenpolitisch nur Porzellan zertrümmern kann. ({2}) Außerdem möchte ich auch daran erinnern: immer, wenn Sie, Herr Gansel, versuchen, in emphatischen und manchmal lyrischen Passagen Ihre väterlichen Freunde zu beschwören, ({3}) merkt man, daß Sie einem Problem ausweichen wollen. Daß das Problem des Sonderschiffbaus und die Frage, ob nun Arbeitsplätze verlorengehen oder nicht, je nachdem, wie man den Sonderschiffbau behandelt, von Ihnen nicht klar und einfach dargestellt werden kann, hat hier jeder gemerkt; denn das ist doch nun wohl logisch: Entweder Sie treffen eine Einzelfallentscheidung und können dabei durchaus in Übereinstimmung mit demokratischen Kriterien ein Kriegsschiff bauen, wodurch Sie Arbeitsplätze erhalten, oder Sie haben eine Liste von OECD-Ländern, auf der dieses Land nicht steht, und können dieses Schiff nicht bauen, wodurch Sie Arbeitsplätze verlieren. Diesem klaren Dilemma versuchen Sie auszuweichen, indem Sie in lyrischen Tönen von väterlichen Freunden reden. Das ist die Wahrheit. ({4}) Meine Damen und Herren, auch das Problem der Zulieferungen an einen OECD-Kooperationspartner ist der SPD durchaus bekannt. Auch diese Regelung würde in keiner Weise eine Änderung, eine Erleichterung der bestehenden Situation bringen; denn die Frage des Endverbleibs würde sich in diesen Fällen genauso stellen wie heute. Das würde überhaupt nichts ändern. Natürlich wirft der Antrag der SPD auch die generelle Frage auf: Wie restriktiv ist und muß unsere Rüstungspolitik sein? Tatsache ist, meine Damen und Herren - und ich stelle das hier noch einmal fest, auch vor dem Hintergrund der ausführlichen Debatten, die über diesen Fall in den vergangenen Tagen geführt worden sind -: Erstens. Die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Kriegswaffenexporte ist unverändert gering. Der Anteil an der gesamten Warenausfuhr betrug 1981 bis 1985 knapp 0,5%, und zwar 1981 0,44%, 1983 0,74%, als Höchstwert, und 1985 wieder 0,27 %. Übrigens ist der Höchstwert, Herr Gansel - wenn ich Sie daran erinnern darf -, entstanden, weil wir in dem Jahr besonders viele Kriegsschiffe geliefert haben. Zweitens. Das Verhältnis der Lieferungen in NATO-Länder einschließlich der gleichgestellten Länder zu Lieferungen in Nicht-NATO-Länder beträgt im Durchschnitt der Jahre zwar ein Drittel zu zwei Dritteln. Von den Lieferungen in Nicht-NATOLänder - das sind in etwa auch Nicht-OECD-Länder - in Höhe von jährlich etwa 1,4 Milliarden DM entfielen jedoch 90% auf Schiffe. Das heißt, wir liefern schon heute in die Länder, die nicht NATOLänder oder ihnen gleichgestellt sind, im wesentlichen eigentlich nur Schiffe. ({5}) - 90 %. Wir waren uns ja immer einig darüber, Herr Gansel, daß das Arbeitsplätze an der Küste erhält. Wenn Sie das ändern wollen, dann erklären Sie das doch bitte einmal ihrem väterlichen Freund an der Küste. Drittens. Die Bundesrepublik Deutschland liegt im internationalen Vergleich nach wie vor an fünfter Stelle, und zwar mit 3,9% Anteil am weltweiten Waffentransfer, nach dem Stockholmer Institut mit 3,4 %; das unterscheidet sich nicht wesentlich. Das, meine Damen und Herren, stellt das Problem in die richtige Dimension: Hier wird eine Diskussion geführt, die, gemessen an dem, was auf der übrigen Welt passiert, auch von Verbündeten, die mit uns zusammenarbeiten, nun wirklich ein Problem betrifft, das man in dieser Weise nicht behandeln kann. Deswegen und weil wir dazu verfassungsrechtliche und politische Gründe haben, lehnt die Bundesregierung den Gesetzentwurf und den Antrag der SPD-Fraktion ab. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 15 a, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3342 betreffend. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Hirsch erbeten.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir bekommen in diesen Tagen eindrucksvollen Anschauungsunterricht darüber, zu welchen katastrophalen Folgen der Export von Kriegswaffen selbst für eine Weltmacht führen kann. Auch in der Bundesrepublik erfahren wir, welche politischen Folgen für das Verhältnis der Bundesrepublik zu den Ländern der Dritten Welt durch unbedachte Handlungen entstehen können. Man kann zwar bei manchen Einzelheiten des von der SPD vorgelegten Gesetzentwurfes unterschiedlicher Meinung sein, ob sie wirklich gelungen sind; so z. B. die Festlegung einer schematischen Länderliste oder die Ausweitung der Kriegswaffenliste auf Gegenstände, die auch im zivilen Bereich verwendet werden. Trotzdem ist ernsthaft nicht zu bestreiten, daß sowohl in der früheren Koalition mit Wissen und Wollen des damaligen Bundeskanzlers wie in der jetzigen Koalition der direkte und über Kooperationen indirekte Export von Kriegswaffen immer weiter ausgedehnt worden ist. Das gilt auch für den Export in Länder, in denen Diktaturen bestehen, Menschenrechte vorsätzlich verletzt werden, in Gebiete, in denen Kriege geführt werden, und in Regionen, in denen jedenfalls deutsche Waffenhändler weder jetzt noch in Zukunft etwas zu suchen haben. Dem Außenminister möchte ich für seine klare und eindeutige Haltung in dieser Frage meinen ausdrücklichen Dank aussprechen. ({0}) Der Deutsche Bundestag ist für diese Entwicklung mitverantwortlich, weil er die Heimlichkeit der Genehmigungsverfahren duldet und sich scheut, sich an der Kontrolle der Kriegswaffenexporte zu beteiligen. ({1}) Nach der gegenwärtigen Rechtslage gibt es zwar die Möglichkeit, wegen einer verweigerten Exportgenehmigung die Gerichte anzurufen. Es gibt aber weder eine parlamentarische noch eine gerichtliche Kontrolle, also überhaupt keine Kontrolle, in welchem Geist die jeweilige Bundesregierung das Kriegswaffenexportgesetz handhabt und ob sie über die darin enthaltenen zwingenden gesetzlichen Grenzen hinausgeht oder nicht. Diesen Zustand halte ich für verfassungswidrig. ({2}) Er ist angesichts der wirtschaftlichen, politischen und moralischen Folgen des zunehmenden Kriegswaffenexportes auch nicht länger zu verantworten. Wer die Welt mit seinen Waffen vollstopft, wird mit dafür verantwortlich gemacht werden, wenn diese Waffen gebraucht werden. ({3}) Der Gesetzentwurf führt Ansätze zu einer größeren Öffentlichkeit der Genehmigungspraxis ein und ermöglicht eine parlamentarische Kontrolle. Das Argument des Wirtschaftsausschusses, man könne einen Kontrollbeauftragten ohne Änderung des Grundgesetzes nicht einführen, ist formal. Wir könnten die Verfassung ja entsprechend ergänzen. Da es zur Zeit keinen besseren oder weiterführenden Vorschlag der Koalition gibt, werde ich dem Gesetzentwurf der SPD zustimmen. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort nach § 31 der Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Tendenziell schließe ich mich der Erklärung meines Kollegen Burkhard Hirsch an. Ich habe meinen grundsätzlichen Dissens in Sachen einer so formulierten restriktiven Rüstungsexportpolitik, die weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart besonders restriktiv war, bereits in der sozialliberalen Koalition wiederholt öffentlich bekanntgegeben. Daran hat sich nichts geändert. Mir scheint allerdings, daß grundsätzliche Überlegungen beim Entwurf der SPD einfach nicht ausgereift sind, z. B. die Frage der Listen. ({0}) - Ich war mit diesen Fragen nicht befaßt. ({1}) - Das hat mit dem Staatsminister überhaupt nichts zu tun. Ich habe mich wiederholt in öffentlichen Sitzungen und Kundgebungen gegen den Rüstungsexport nach Saudi-Arabien ausgesprochen. ({2}) - Ich war als Staatsminister nicht im Kabinett. ({3}) - Keine Spur. Sie kennen wohl die Geschäftsordnung der Bundesregierung nicht genau, Herr Kollege Sauter. Jedenfalls war das so und ist das so und wird das, solange ich Parlamentarierin bin, auch bleiben. Meine Erfahrung des Zweiten Weltkriegs hat mich gelehrt, daß zumindest die Frauen den Grundsatz „Frieden schaffen mit immer weniger Waffenex19754 port" vertreten müssen und auch hier im Parlament vertreten sollen. ({4}) Ich sehe das Grundproblem in der parlamentarischen Kontrolle, nicht in der parlamentarischen Genehmigung; das wäre in der Tat eine Verwischung zwischen Exekutive und Legislative. Die parlamentarische Kontrolle ist schon deshalb notwendig, um auch der Bundesregierung in schwierigen Fällen etwas rascher bewußt werden zu lassen, daß eine Kontrolle, wenn sie hier ausgeübt wird, unter Umständen zu Beanstandungen führen kann. Das wäre z. B. in dem heute früh diskutierten Fall sehr positiv und sehr nützlich gewesen. Ich werde also nicht wie Herr Hirsch zustimmen, sondern werde mich aus den genannten grundsätzlichen Überzeugungen meiner Stimme enthalten. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist mit Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 15b, und zwar die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/6445. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6091 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Strafverfahrensänderungsgesetzes 1984 ({0}) - Drucksache 10/1313 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 10/6592 Berichterstatter: Abgeordnete Bachmaier Eylmann ({2}) Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Strafgerichte sind, ohne daß man zu Verallgemeinerungen greifen sollte, überlastet, jedenfalls in weiten Bereichen belastet. Die Kriminalität ist in den letzten Jahren gestiegen. Dem entspricht es, daß z. B. von 1975 bis 1984 die Neuzugänge bei den Amtsgerichten um 34 % zugenommen haben. Der Deutsche Richterbund hat darauf noch in den letzten Tagen hingewiesen. Nicht nur wegen dieser starken Belastung der Justiz dauern viele Strafverfahren zu lange, das hängt vielmehr häufig auch damit zusammen, daß unser Strafverfahrensrecht gewisse Schwierigkeiten bietet, mit Mammutverfahren, wie sie sich zum Teil bei umfangreichen Wirtschaftsstraftaten entwickeln, in angemessener Zeit zu Rande zu kommen. Bestrebungen für Vereinfachung und Beschleunigung des Strafverfahrens hält man gern das Schlagwort entgegen, es dürfe mit dem Angeklagten kein kurzer Prozeß gemacht werden. Dabei haben aber die Angeklagten bei uns wahrlich keinen Grund, sich darüber zu beklagen, daß ihr Fall in einer zu kurzen Frist entschieden würde. Im Gegenteil: Die Verfahrensdauer ist gerade für den betroffenen Bürger häufig unzumutbar lang. Ein Prozeß ist keineswegs um so fairer, je länger er dauert, abgesehen davon, daß jede verhängte Strafe um so weniger bewirkt, je länger sie nach erfolgter Tat auf sich warten läßt. Zur Qualität staatlicher Rechtgewährung gehört es vielmehr, daß sie so zügig und schnell erfolgt, wie es die Prinzipien eines rechtsstaatlichen Verfahrens zulassen, aber auch erfordern. Dazu will die heute zur Verabschiedung anstehende Strafprozeßnovelle beitragen. Sie hat eine recht lange Vorgeschichte. Am Anfang stand eine von der Landesjustizverwaltung schon 1981 und 1982 zusammengestellte Auflistung von 112 Änderungsvorschlägen, die insbesondere den Anwälten einen derartigen Schrecken einjagte, daß sie fortan nur noch von der Horrorliste sprachen. Der damalige Justizminister Schmude ließ sie zu einem Referentenentwurf zusammenstreichen, in dem noch so Merkwürdigkeiten standen wie die Institution eines Ersatzverteidigers und der auch die völlige Abschaffung der Sprungrevision vorsah. Nach der Wende wurde der Entwurf überarbeitet und im April 1984 eingebracht. Im Rechtsausschuß haben wir ihn zunächst zurückgestellt, weil es uns zweckmäßig erschien, dieses Entlastungsgesetz etwa zeitgleich mit dem Opferschutzgesetz zu verabschieden, das auch wichtige Änderungen der Strafprozeßordnung enthält. In den letzten Monaten ist der Entwurf sorgfältig beraten worden. Wir haben ihn auch noch in einigen, nicht unwesentlichen Punkten geändert. Mit dem vorliegenden Ergebnis können die Anwälte - ursprünglich die schärfsten Kritiker der Vereinfachungsbestrebung - sicherlich zufrieden sein. Rechtsstaatliche Verfahrensprinzipien werden nicht tangiert, Rechte der Angeklagten nicht beeinträchtigt, sondern zum Teil beim Recht der notwendigen Verteidigung sogar noch ausgebaut. Die Landesjustizministerien hatten sicherlich sehr viel weitergehende Vorstellungen, aber auch sie werden zugeben, daß eine ganze Reihe von Vorschriften dieses Entwurfs geeignet sind, Strafverfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen. Ich nenne nur die Ausweitung der Möglichkeiten, Geldstrafen ohne Hauptverhandlung durch Strafbefehle zu verhängen, was für den betroffenen Bürger auch noch den begrüßenswerten Effekt hat, daß ihm die Prozedur einer Hauptverhandlung erspart wird. Meine Damen und Herren, die Koalition kann mit diesem Gesetz einen weiteren Punkt ihres rechtspolitischen Programms abhaken, das sie sich für diese Legislaturperiode vorgenommen hatte. Der Deutsche Richterbund, der noch vor wenigen Tagen die Untätigkeit des Gesetzgebers im Bereich der Justizentlastung beklagte, hat die richterliche Tugend der Geduld vermissen lassen. Er hätte das Ende dieser Legislaturperiode abwarten sollen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Bachmaier.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute bei der abschließenden Beratung dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1984 zustimmen, dann tun wir dies nicht aus der Überzeugung heraus, daß dem Gesetzgeber hier ein besonders großer Wurf gelungen sei. Die nach den Beratungen des Rechtsausschusses nunmehr noch verbliebenen Teile der ursprünglichen Gesetzesvorlage sollen dort weiterhelfen, wo der Strafprozeß durch den Wandel der Verhältnisse in Schwierigkeiten geraten ist. Wir meinen, daß die einzelnen Novellierungen einen sinnvollen Beitrag dazu darstellen, ein rechtsstaatlich einwandfreies Strafverfahren auch in Zukunft zu gewährleisten. In den Beratungen im Rechtsausschuß ist es gelungen, die Teile der Gesetzesnovelle aus dem Entwurf zu entfernen, durch die in die gewachsenen Rechte der Angeklagten eingegriffen und rechtsstaatliche Grundsätze in Mitleidenschaft gezogen worden wären. Wesentliche Teile der heute zu verabschiedenden Novelle gehen im übrigen noch auf Vorarbeiten zurück, die unter den Justizministern Vogel und Schmude durchgeführt worden sind. ({0}) - Wesentliche Teile, die heute zu verabschieden sind, habe ich gesagt. Bitte genau zuhören! Das Zuhören scheint ja wohl nicht die Stärke der Parlamentarier in dieser Abendstunde zu sein. Auch wenn es zu begrüßen ist, das das Strafbefehlsverfahren nunmehr auch für den Beschuldigten leichter handhabbar ist und in Zukunft weniger Risiken in sich birgt als bisher, auch wenn es sinnvoll und richtig ist, daß der Beschuldigte stärkere Mitwirkungsbefugnisse bei der Bestimmung seines Pflichtverteidigers erhält, auch wenn es sinnvoll ist, das Mehrfachverteidigungsverbot einzuschränken, um nur einige Beispiele zu nennen, bleibt die vorhandene Novelle Stückwerk und ist weit davon entfernt, den Strafprozeß so gründlich zu reformieren, wie dies mittlerweile notwendig geworden ist. Meine Damen und Herren! Besonders bedauerlich ist die Tatsache, daß es der Bundesregierung bis heute noch nicht einmal gelungen ist, aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. Dezember 1983 die strafprozessualen Konsequenzen zu ziehen, die auf Grund dieses wegweisenden Urteils zwingend geboten sind. Bis zum heutigen Tage liegt uns kein Gesetzentwurf vor, durch den das Strafverfahrensrecht den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichtes entsprechend novelliert werden kann. Noch ein Wort, sehr verehrter Herr Bundesjustizminister, zu Ihrer Ankündigung vom 29. September 1986, eine Große Strafverfahrensreformkommission einzuberufen. Wir finden es grundsätzlich gut und richtig, daß auf breiter Basis all die Reformbestrebungen erörtert werden sollen, die es schon seit einiger Zeit aus Wissenschaft und Praxis gibt. Grundlegende Reformvorstellungen gibt es zum Beispiel über den Ablauf der Hauptverhandlung, das gesamte notleidende, dringend reformbedürftige Untersuchungshaftverfahren und auch darüber, in welcher Weise wohl am sinnvollsten von den Gerichten auf strafbares Verhalten reagiert wird. Eine so grundlegende Reform des Strafverfahrensrechtes kann allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf möglichst breiter Konsensbasis angelegt ist. Dazu gehört selbstverständlich auch, daß alle im Parlament vertretenen Kräfte an dieser Arbeit möglichst frühzeitig beteiligt werden. Es ist nicht gut, sehr geehrter Herr Minister, daß Sie es bis zum heutigen Tage versäumt haben, es unterlassen haben, die SPD-Bundestagsfraktion in die Vorbereitungsarbeiten zur Bildung einer Großen Strafverfahrensreformkommission mit einzubeziehen. Wenn es Ihnen tatsächlich ernst ist, unser geltendes Strafverfahrensrecht zu reformieren, dann kann dieses Vorhaben nur dann gelingen, wenn damit zügig begonnen wird und neben Wissenschaft und Praxis auch alle parlamentarischen Kräfte von Anfang an beteiligt werden. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! StVÄG heißt das, worüber wir jetzt zu beschließen haben. Das muß ich doch einmal ganz kurz bemerken, weil mir auch im Laufe des heutigen Tages immer wieder gesagt worden ist: Was mag das nur heißen? Soll man nicht schon bei der Kurzbezeichnung eines Gesetzes damit anfangen, wenigstens in etwa den Gegenstand kenntlich zu machen, über den zu sprechen man sich anschickt? StPO-Novelle wäre deutlicher gewesen, es wäre auch deshalb besser gewesen, weil es deutlich gemacht hätte, daß es sich hier um eine von sehr vielen StPO-Novellen Kleinen handelt, die im Laufe der Jahre an uns vorbeigezogen sind, an denen wir uns mehr oder weniger unlustig, lustig allerdings nie, beteiligt haben und bei denen wir der Meinung sind: Irgendwann muß ja ganz zwangsläufig aus naturwissenschaftlich-logischen Gründen der Punkt kommen, an dem man aus diesem Schwamm kein Wasser mehr herausquetschen kann. ({0}) Wenn immer wieder die Idee auftaucht, es müsse an der StPO etwas geändert werden, weil wir zu wenig Richter für zu viele und zu lange Prozesse haben, und wenn dann immer wieder das geschundene Verfahrensrecht herhalten muß, damit der Gesetzgeber Aktion vorweist, während an ganz anderen Stellen etwas getan werden müßte, dann ist das zutiefst bedauerlich. Das alles wäre besser zum Ausdruck gekommen, wenn man gesagt hätte - ich mache einmal eine Schätzung -: 27. StPO-Novelle. Ich weiß nicht, ob das dann stimmt, aber so etwa in der Richtung muß das wohl sein. Herr Engelhard - das ist von meinem Herrn Vorredner, vom sehr geschätzten Kollegen Bachmaier, eben zutreffend berichtet worden - hat tatsächlich nach Herrn Vogel und Herrn Schmude einen so großen Teil der Vorschläge aus dieser StPONovelle herausgebracht, bevor er sie wieder eingebracht hat, ({1}) daß es uns etwas leichter gefallen ist, heute zuzustimmen, als uns das bei den Entwürfen leicht gefallen wäre, deren Urheber Sie soeben hier zur Heiterkeit Ihrer anwesenden Kollegen und Parteifreunde genannt haben. Mir ist sehr wohl aufgefallen, wie diese Ihre Übung, die Amtsvorgänger noch ins Bild zu bringen, in Ihren Reihen mimisch aufgenommen worden ist. Ich habe das genossen. Deshalb weiß ich so gut, was wir Herrn Engelhard verdanken, der uns bei der Wiedereinbringung zu Beginn der Legislaturperiode wenigstens einiges erspart hat. Im übrigen haben wir noch einiges Weitere aus diesem Gesetzentwurf gänzlich einverständlich entfernt, weil es wirklich nicht angeht, Schwierigkeiten der Justiz auf dem Rücken der Angeklagten auszutragen. Es ist zwar modisch geworden, von „Prozeßbeteiligten" zu sprechen und ganz in vornehmes Dunkel zu hüllen, wer eigentlich gemeint ist bei einschränkenden Bestimmungen. Ich bin dafür, daß wir in deutlicher und somit liberaler Weise sagen, wer gemeint ist. Der Angeklagte und damit natürlich auch sein Verteidiger muß die Rechte haben. Diese dürfen nicht über das erträgliche Maß hinaus eingeschränkt werden. Wir erleben in diesen Tagen, wie ein sehr hochverdienter Kollege - nicht daß ich das für eine gerichtsverwertbare Tatsache halten würde, aber immerhin halte ich es für gerichterwägenswert -, nämlich unser Kollege und Freund Egon Franke, nachdem er ein Jahr zu Lasten seiner Gesundheit und auch zu Lasten der Gesundheit seiner Familie durch ein öffentliches Verfahren gehetzt worden ist, von der Staatsanwaltschaft, die die Anklage erhoben hat, zum Schluß gesagt bekam: Das tut uns leid, wir haben uns wohl geirrt; wir beantragen Freispruch. - So ist ein einjähriges Verfahren gegen einen verdienten Mann, einen 70jährigen Politiker nicht aus der Welt zu schaffen, daß man zum Schluß sagt: Wir haben uns wohl geirrt und beantragen Freispruch. So einfach ist das nicht mit einem Prozeß, der ein ganzes Jahr gedauert hat. So kommen die Verfahren in die Welt, die dann hinterher die Justiz belasten. Es ist geradezu unglaublich, wie hier gemeint wird: Ach, gehen wir doch mal in die Hauptverhandlung, gucken wir doch mal, was bei unseren Vermutungen so herauskommt; vielleicht findet sich in der Beweisaufnahme noch etwas, was uns in der Ermittlung nicht so ganz gelungen ist. - So kann man als Staatsanwalt nicht an die Sache herangehen, und schon gar nicht unter dem Gesichtspunkt: Ich bin doch ein ganz feiner Mann, weil ich gegen die Großen entschiedener vorgehe als gegen die Kleinen. Hier sind nur Rückschlüsse auf die Verfahren möglich, die gegen die Kleinen in genau der gleichen Weise abgewickelt werden. Diese Rückschlüsse drängen sich geradezu auf. Dazu muß man wissen, daß wir ein anderes Recht haben als die Angloamerikaner. Das ist kürzlich in anderem Zusammenhang erörtert worden; es wird morgen wahrscheinlich noch einmal erörtert werden. Wir haben nun einmal die Verpflichtung des Staatsanwalts, das Belastende und das Entlastende gleichermaßen zu berücksichtigen. Ich bitte nun allerdings sehr darum, daß man sich daran hält, bevor man den Gesetzgeber angeht, eine Entlastung der Gerichte durch Gesetze zu bewerkstelligen, die bei der Entlastung wahrhaftig nicht über den Punkt hinausgehen dürfen, an dem wir heute angekommen sind. Mit uns findet in dieser Richtung nichts mehr statt. Wir rechnen darauf, daß die prozeßbeteiligten Staatsanwälte und Richter jetzt ihr Teil beitragen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nur noch vier Minuten? Das kann nicht sein.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Fünf Minuten haben Sie.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mit dem vorliegenden Entwurf 1984, der heute nach über zweieinhalb Jahren als Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 beschlossen wird, soll die Strafjustiz entlastet werden, ohne daß die rechtsstaatlich erforderlichen Garantien beeinträchtigt werden. Um von vornherein Mißverständnisse auszuschließen: Die drastisch gestiegene Geschäftsbelastung der Strafjustiz im letzten Jahrzehnt ist eine rechtspolitische Herausforderung ersten Ranges. Weitere Personalvermehrungen sind bei einer Zahl von 3 646 Staatsanwälten und 13 039 Richtern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Jahre 1984 für eine grundsätzliche Problemlösung ungeeignet, womit ich die allzu kurzsichtige und einseitig fiskalisch orientierte Personalpolitik der Landesjustizminister nicht gutheiße. Notwendig ist zunächst einmal eine gründliche Bestandsaufnahme der Ursachen der gestiegenen Geschäftsbelastung. Dazu bietet die Große Anfrage der SPD-Fraktion eine gute Gelegenheit, die leider nicht genutzt wurde. Die jetzige Novelle 1987 ist zwar gegenüber der Horrorliste erheblich abgespeckt und wurde auch im Rechtsausschuß weiter entschärft. Entgegen der erklärten Absicht des Gesetzgebers führt sie jedoch zu weiteren Beschränkungen von Strafverfahrengrundsätzen und zum Abbau von Verteidigerrechten, ohne daß bei allen vorgesehenen Maßnahmen die Entlastungswirkung sichergestellt wäre. Die von der 57. Justizministerkonferenz im September 1986 hergestellte Verbindung einer Zustimmung zum Opferschutzgesetz unter der Bedingung der Verabschiedung des Strafverfahrensänderungsgesetzes ist rechtspolitisch ebenfalls alles andere als überzeugend. Schließlich setzt die Novelle die bedenkliche Tendenz einer Strafprozeßreform in Raten fort. Seit Anfang der 70er Jahre wurden in der über 100 Jahre alten Strafprozeßordnung verschiedene punktuelle Änderungen vorgenommen. Überstürzte gesetzgeberische Aktivitäten wie bei der sogenannten Antiterrorismusgesetzgebung oder kurzsichtige Beschleunigungs- und Entlastungsnovellen haben die 1964 vom Deutschen Bundestag einstimmig als Aufgabe proklamierte Gesamtreform des Strafprozeßrechts in immer weitere Ferne gerückt. Wie der Arbeitskreis deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer in seinem 1985 vorgelegten Alternativentwurf einer Novelle zur Strafprozeßordnung einführend darlegt, gehört zur Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege „nicht nur die geschäftsmäßig einwandfreie Erledigung von Strafverfahren, sondern auch die materielle Befriedungswirkung, die Annahme des Urteils durch die Bürger, die vor allem ein faires Verfahren mit korrekten Verteidigungsmöglichkeiten voraussetzt". Von diesem überzeugend beschriebenen Ziel entfernen wir uns mit dem StVÄG ein weiteres Stück. Aus all diesen Gründen lehnen wir GRÜNEN das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 ab. Aus Zeitgründen verweise ich hinsichtlich der Kritik an einzelnen besonders bedenklichen Regelungen des Entwurfs, vor allem aus der Sicht der Strafverteidigung, auf die Beratungen im Rechtsausschuß am 12. November 1986. Der Deutsche Anwaltverein und die Strafverteidigervereinigungen haben mit ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum Referentenentwurf für ein Strafverfahrensänderungsgesetz 1983 sowohl im grundsätzlichen als auch zu den einzelnen Regelungen fundiert Kritik geübt. Leider ist diese Kritik in einem überstürzten Gesetzgebungsverfahren zum Teil nicht berücksichtigt worden. In der Stellungnahme wurde weiter auf die Möglichkeit hingewiesen, durch eine häufigere Einstellung von Strafverfahren nach § 153 a der Strafprozeßordnung sowie durch eine Entkriminalisierung der Bagatellstraftaten eine wesentliche Entlastung der Strafjustiz zu erzielen. Diese Vorschläge, bezüglich der Anwendung von § 153 a sogar ohne Gesetzesänderung, ({0}) verdienen eher den Namen Reform als das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987. Wir GRÜNEN unterstützen diese Vorschläge im Sinne einer Umkehr des traurigen Strafverfolgungsmottos: Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen. Wir sollten ruhig den Mut besitzen, die Kleinen einmal laufen zu lassen und dafür die Großen, Herr Kollege Kleinert, z. B. bei der Umwelt- und Wirtschaftskriminalität zur Rechenschaft zu ziehen. ({1}) Das jedenfalls wäre im Gegensatz zum Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 ein überzeugender Beitrag zur Entlastung der Strafjustiz, wobei ich damit - das darf ich als Nachsatz zu Ihrem Beitrag, Herr Kollege Kleinert, sagen - überhaupt nicht bestreiten will, daß solch ein Fall, wie Sie ihn geschildert haben, außerordentlich bedauerlich ist, wenn jemand trotz Unschuldsvermutung in der Offentlichkeit häufig als schuldig behandelt wird, bevor das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Aber Sie müssen sich fragen, ob das nicht viel häufiger -davon spricht keiner im Bundestag, und davon ist in aller Regel in keiner Zeitung etwas zu lesen - bei den kleinen Leuten geschieht, die vor Gericht stehen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Engelhard.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! War es das Ziel des erst kürzlich von uns verabschiedeten Opferschutzgesetzes, den Opfern von Straftaten eine verbesserte Stellung im Strafverfahren zu geben, so ist es in erster Linie das Ziel des jetzt vorliegenden Entwurfs, durch eine Vielzahl von Einzeländerungen die überbeanspruchte Strafjustiz zu entlasten. Dies ist um so nötiger, weil auch ein Ausgleich für die mit der Verbesserung des Opferschutzes unvermeidbar verbundene, gewisse Mehrbelastung unerläßlich ist. Ich begrüße es sehr, daß es in langen und intensiven Gesprächen zwischen allen Beteiligten gelungen ist, diesen bereits 1984 eingebrachten Regierungsentwurf zum Ende der Legislaturperiode noch abschließend zu beraten. In allen entscheidenden Punkten ist der Entwurf der Bundesregierung akzeptiert worden. Seine zahlreichen Einzelmaßnahmen werden unser Strafverfahrensrecht leichter handhabbar machen, ohne daß damit eine Gefährdung der Wahrheitsfindung oder eine Beeinträchtigung von Verteidigungsinteressen verbunden ist. Ganz im Gegenteil - ich greife auf, was hier ja bereits in einigen Punkten erwähnt wurde -: Mit der Einschränkung des Verbots der Mehrfachverteidigung, und mit den Regelungen über die Auswahl des Pflichtverteidigers werden bedeutsame Fortschritte für die Verteidigung erreicht. Auch bei den Verbesserungen im Strafbefehlsverfahren wird die Position des Beschuldigten gestärkt. Meine Damen und Herren, das Opferschutzgesetz und dieser Gesetzentwurf zusammen betreffen jetzt nicht weniger als 72 Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes. Wenn man sie nicht nur zählt, sondern auch, nach ihrer Bedeutung gewichtet, so zeigt sich, daß es wiederum wie bereits 1964, 1975 und 1979 gelungen ist, die Reform des Strafverfahrens durch ein Teilgesetz um einen bedeutsamen Schritt voranzutreiben. Aber eine Bestandsaufnahme des Erreichten und der noch offenen Fragen zeigt auch ganz deutlich: Die Gesamtreform kann wohl in Zukunft durch Teilgesetze kaum noch weiter gefördert werden. ({0}) Vielmehr ist jetzt eine Konsolidierungspause zum Nachdenken notwendig. Diese Pause muß dann dazu genutzt werden, Perspektiven für die Zukunft auch gerade auf diesem Gebiet zu entwickeln und zu gewinnen. Hier bin ich bei dem Thema der Großen Strafverfahrenskommission. Weil hier schon wieder die Befürchtung besteht, es solle irgendjemand nicht mitwirken und mitreden dürfen: Ich weiß nicht, Herr Kollege Dr. Emmerlich, ob mein an Sie gerichteter Brief bereits ausgelaufen ist und Sie erreicht hat, in dem Sie eingeladen werden, an dieser Kommission mitzuwirken. Nein, wir haben nicht nur mit Ihnen, sondern auch mit den Ländern und mit den Verbänden Verbindung aufgenommen, um dies hier sorgfältig vorzubereiten. Es ist ja erwähnt worden: Das geht zurück bis auf einen Beschluß des Deutschen Bundestages im Jahre 1964. Daß dies damals nicht weiterverfolgt wurde, hatte seinen Grund darin, daß man allgemein der wohl richtigen Auffassung war, Vorrang müssen Änderungen des materiellen Strafrechts haben, die uns dann in den siebziger Jahren beschäftigt haben. Beides parallel zu machen wäre wohl zu viel und nicht sachdienlich gewesen. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, dies anzupakken. Wir sind entschlossen, hier das Notwendige zu unternehmen, um zu einer Gesamtreform zu kommen. Der heute vorliegende Entwurf gibt uns aber die Luft und die Zeit, bis das andere so richtig in Schwung gekommen ist, es in der Strafjustiz bis dahin gut aushalten zu können. Ich bitte um Ihre Zustimmung. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 11, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit in dritter Lesung angenommen. Ich rufe nun Punkt 17 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes ({0}) -§ 168 StGB - Drucksache 10/3758 - Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 10/6568 Berichterstatter: Abgeordnete Seesing Dr. de With ({2}) Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002142, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen den § 168 des Strafgesetzbuches ändern. Es geht in diesem Paragraphen um die Totenruhe. Der für Leichen geltende Schutz soll auf die tote menschliche Leibesfrucht ausgedehnt werden. Wir waren uns bei der Beratung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages einig, daß die Ergänzung des § 168 durch die Worte „eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen" nicht ausreichen wird, um einen weitgehenden Schutz toter menschlicher Embryonen und Feten zu sichern. Sie wird von uns nur als ein erster, aber sehr wichtiger Schritt betrachtet. Wir haben lange überlegt, ob wir eine Änderung des Gesetzentwurfes durch eine Erweiterung der Bestimmungen vornehmen sollten. Dabei hatten wir an eine Regelung gedacht, nach der jeder bestraft werden sollte, der mit toten Embryonen und Feten Handel treibt oder sie für wirtschaftliche Zwecke abgibt oder erwirbt. In einer Anhörung des Rechtsausschusses zu diesem Gesetz am 16. Januar dieses Jahres sind wir darauf aufmerksam gemacht worden, daß nach diesem Gesetzentwurf lediglich die unbefugte Wegnahme durch Bedienstete eines Krankenhauses, nicht jedoch die Weggabe von Embryonen und FeSeesing ten durch die Klinikleitung verboten wird. Daran wird allgemein Kritik geübt. Dazu kommt noch, daß die Verwertung von Embryonen und Feten für kosmetische oder andere wirtschaftliche Zwecke nicht unter Strafe gestellt wird. Wir halten diese Form der Verwertung im Grunde für strafwürdig. Bei den weiteren Überlegungen tauchten jedoch zahlreiche Fragen auf, die im Rahmen einer Erweiterung des § 168 StGB nicht zu beantworten waren. Deswegen wird die Bundesregierung in einer Entschließung, die wir anzunehmen bitten, aufgefordert zu prüfen, in welcher Weise der Schutz sterblicher menschlicher Überreste weiter verbessert werden kann. Sie soll dazu eine gesetzliche Regelung vorbereiten. In der schon angeführten Anhörung des Rechtsausschusses am 16. Januar gab es zwar Hinweise, aber keinen eindeutigen Aufschluß über Art und Umfang eines möglichen Handels mit toten Embryonen und Feten. Es gibt aber eindeutig festgestellte Fälle einer unbefugten Wegnahme solcher Leibesfrüchte und deren Veräußerung an die Industrie. Das wollen wir sofort unterbinden. Ein solches, die Würde des Menschen verletzendes Handeln soll sich nicht wiederholen. Die Anhörung hat aber auch deutlich gemacht, daß in einem nicht unerheblichen Umfang aus anerkennenswerten medizinischen und wissenschaftlichen Gründen Verwertungen stattfinden. Es wird also notwendig sein, zu ganz klaren Abgrenzungen zu kommen. Es muß eindeutig werden, was im Sinne der Hilfe für den Menschen in allen Stadien seiner Entwicklung in Wissenschaft und Medizin vertretbar ist und was nicht. Wir werden auch einiges tun müssen, damit der rechtliche Schutz des Menschen vom Beginn seiner Existenz an - das ist für mich der Augenblick der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle - sichergestellt wird. Es muß zu einer eindeutigen Ablehnung und zu einer strafrechtlichen Verfolgung von Versuchen mit Embryonen kommen, die zu diesem Zweck im Reagenzglas gewonnen werden. Wir werden darüber zu sprechen haben, wenn der Bundesminister der Justiz dazu den Entwurf eines Embryonenschutzgesetzes vorlegt. Die nun schon mehrfach genannte Anhörung brachte aber auch noch weitere Erkenntnisse. So wurde von Abtreibungen berichtet, bei denen der Schwangerschaftsabbruch möglichst lange hinausgezögert und durch Kaiserschnitt vorgenommen wurde, um lebende Feten für Versuche zu gewinnen. Anschließend wurden die Feten einer Verwertung zugeführt. Sehr unbefriedigend ist auch das Verfahren zur Beseitigung von toten Leibesfrüchten. Für Totgeburten über 35 cm Länge und die Leichen lebend geborener, dann aber verstorbener Kinder ist eine Bestattung gesetzlich vorgeschrieben. Kleinere Leibesfrüchte sind „schicklich" und „hygienisch einwandfrei" - so steht es im Gesetz - zu beseitigen. Das geschieht im Normalfall durch Verbrennung. Man hat also, um es einmal sehr hart zu formulieren, bei der Beseitigung von toten Leibesfrüchten über 35 cm Länge die Bestattungsgesetze der Länder, bei der Beseitigung von toten Leibesfrüchten unter 35 cm Länge das Abfallbeseitigungsgesetz anzuwenden. ({0}) Wir werden also noch viele Dinge diskutieren müssen. Nur einige Probleme habe ich vorstellen können. Ich bitte sehr herzlich, der vorgeschlagenen Änderung des § 168 Strafgesetzbuch zuzustimmen, um ein Zeichen dafür zu setzen, daß sich der Deutsche Bundestag der Dinge annimmt und regeln wird, was geregelt werden muß. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der erwähnten Anhörung des Rechtsausschusses ist in der Tat bestätigt worden, was schon lange vermutet worden war. Zumindest an einer deutschen Krankenanstalt haben zwei Bedienstete mit Embryonen oder Feten unbefugt gehandelt; wir fürchten: gegen ein unziemliches Entgelt. Und ich fürchte, daß es mehrere solcher Fälle gab, die wir nur nicht kennen. Wir wissen aber auch - das sollten wir auch erwähnen -, daß das Bereitstellen von Extrakten aus Embryonen bzw. Feten für wissenschaftliche Zwecke und für Forschungszwecke zum Wohle des Menschen möglich sein muß. Was wir zu unterbinden haben, ist ganz einfach dies: daß Bedienstete von Krankenhäusern aus Erwerbsgründen unbefugt Handel mit Embryonen und Feten treiben, die Zwecken zugeführt werden, die wir nicht billigen können. Jener Vorfall, der sich in München abgespielt hat, konnte strafrechtlich nicht geahndet werden. Er mußte anderwärts eine Erledigung finden. Unser Gefühl für Würde und Pietät aber wird auch entschieden verletzt, wenn unter der Hand aus Krankenhäusern die tote menschliche Leibesfrucht zur Erzielung einer hübschen Nebeneinnahme in dunkle Kanäle wandert. Wir meinen deshalb - insoweit stimme ich Herrn Seesing zu -, daß diese Lücke umgehend geschlossen werden muß. Der Entwurf zur Ergänzung des § 168 Strafgesetzbuch findet unsere Zustimmung. Aus dem erwähnten Anhörungsverfahren wissen wir aber auch, daß nach der weit überwiegenden Meinung der Sachverständigen - das ist unser aller Meinung - das vorliegende Gesetz unzureichend ist. Es gibt folgende fünf weitere unbestreitbare Lücken. Nicht erfaßt werden: 1. der Klinikchef oder der von der Leitung des Krankenhauses Befugte, wenn diese z. B. für die entsprechende Weitergabe von einer Kosmetikfirma ordentlich honoriert werden, 2. das Produkt einer extrakorporalen Befruchtung, also das in einem Reagenzglas befruchtete menschliche Ei, 3. die Verwertung und der Handel unbefugt entnommenen menschlichen Materials, 4. die noch lebende Leibesfrucht, 5. das aus einer Transplantation gewonnene und zur Implan19760 tation vorgesehene Material, das, wie wir aus jüngsten Beispielen wissen, hier auch zu einem schwunghaften Handel führen kann. Es gibt ja schon Firmen, die dieses in Katalogen ganz offen anbieten. Regelungen hierzu müssen natürlich nicht notwendig strafrechtlich erfolgen. Regelungsbedarf aber besteht. Dabei wird der Gesetzgeber in Bereiche vorstoßen, die unter dem Stichwort „Gentechnologie" eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, eine Kommission der Bundesregierung und auch meine Fraktion - ein Bericht meiner Partei liegt bereits vor - beschäftigt haben. Die Komplexität und der Umfang der Materie haben eine umfassende Regelung zum jetzigen Zeitpunkt mit Rücksicht auf die Eilbedürftigkeit der Schließung der eben geschilderten Lücke verhindert. Das gab uns Anlaß, die hier vorliegende Entschließung - die GRÜNEN haben sich für mich seltsamerweise im Ausschuß der Stimme enthalten - dem Bundestagsplenum zur Verabschiedung vorzulegen. Ich meine, dies sollte einmütig geschehen. ({0}) Es wäre der Sache nur dienlich, wenn alsbald in der neuen Legislaturperiode mit breiter Mehrheit des Deutschen Bundestags eine umfassende Regelung beschlossen werden könnte. ({1}) Bedauerlich ist nur, daß die Bundesregierung bisher nicht auch nur einen Referentenentwurf vorgelegt hat. Es wäre gut, wenn er wirklich bald folgen würde. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die von Herrn Bundesjustizminister Engelhard betriebene Rechtspolitik dieser Legislaturperiode einmal Revue passieren läßt, so gilt es, herauszustellen, daß es seinem Engagement und auch dem Engagement seines Hauses zu verdanken ist, wenn wir in der Lage sind, auf aktuelle Entwicklungen im rechtspolitischen Bereich schnell, konsequent und vor allen Dingen effektiv reagieren zu können. ({0}) Das Gesetz zum Schutz vor der unbefugten Wegnahme toter menschlicher Embryonen und Feten ist so ein Vorhaben. Hier reagieren wir auf einen aktuellen Regelungsnotstand, der, durch die Medien aufgedeckt, vom Gesetzgeber aufgegriffen und einer sachgerechten Lösung zugeführt werden mußte. Manche werfen uns vor, das, was wir heute beschließen werden, seien lediglich Ausbesserungsarbeiten, sei aber keine grundlegende Korrektur. Das stimmt zwar im Ansatz, muß jedoch in zweifacher Hinsicht gewertet werden. Zum einen wird der vorliegende Entwurf in diesem Bereich nicht alle Strafbarkeitslücken schließen können, wird nicht alle Anregungen aufnehmen können, die uns dankenswerterweise durch die vom Rechtsausschuß durchgeführte Anhörung erreicht haben. Zum anderen bedarf es im Bereich der Gentechnik, mit dem der hier zu diskutierende Entwurf mittelbar zusammenhängt, einer grundlegenden Überprüfung, wie der Gesetzgeber tätig werden kann, um, ich will nicht sagen, weiteren, aber doch zukünftigen Mißbrauch zu verhindern. Das ist und bleibt die Ausgangslage. Aber ich frage Sie: Darf es der Gesetzgeber zulassen, daß nichts geschieht, darf er abwarten, bis alle Voraussetzungen einer grundlegenden Korrektur vorliegen? Ich meine, nein. Es gibt Bereiche, in denen die bekannten oder nur zu erwartenden Mißstände zu groß sind oder zu groß zu werden drohen, als daß der Gesetzgeber weiter zuwarten könnte. Hier muß er eingreifen, und hier muß er handeln. Um einen solchen Fall handelt es sich bei dem vorliegenden Entwurf. Es war eben nicht länger vertretbar, abzuwarten, bis eine Gesamtreform der beiden erwähnten Teilbereiche ausgearbeitet ist und Gesetzesreife erlangt hat. Der Gesetzgeber, also wir alle zusammen, waren aufgerufen, sofort zu handeln. Das haben wir getan. Wir Liberalen stehen dazu, auch wenn es eben nur eine Korrektur und keine Reform ist. Meine Damen und Herren, man kann zu der Problematik des §211 des Strafgesetzbuches stehen, wie man will; aber das, was hier - wohl nur in Ansätzen - bekanntgeworden ist, muß einen mit Abscheu erfüllen und zum Handeln zwingen. Man fragt sich unwillkürlich: Was sind das eigentlich für Menschen, die diesen Handel mit Embryonen betreiben? Wie muß jemand strukturiert sein, um jegliche Hemmung, ja, jeglichen Respekt vor dem Umgang mit dem Menschlichen verloren zu haben? Handel mit menschlichen Embryonen zur kommerziellen Nutzung in der Kosmetikbranche, nicht etwa für wissenschaftliche Versuchszwecke, was bereits ebenso bedenklich erscheint, nein zur kommerziellen Nutzung, zur Befriedigung der menschlichen Eitelkeit, zur vorübergehenden Verschönerung für die Vergänglichkeit bestimmt, was für eine Realität, welch ungeheuerlicher Vorgang! Ich sage noch einmal, hier muß der Gesetzgeber handeln. Er hat es auch getan. Da waren wir uns ja, Herr Kollege Sauter, völlig einig. Damit haben wir einen ersten Schritt, einen entscheidenden Schritt unternommen, diesen unheilvollen Zustand, diesen abscheulichen Mißbrauch menschlicher Embryonen und Feten zu kommerziellen Zwecken zu beenden. Ich bin wirklich froh, daß dieses Vorhaben die Zustimmung aller demokratischen Kräfte in diesem Hause gefunden hat. Das zeigt, daß wir in der Lage sind zu erkennen, wann einmal Wahlkampfstimmungsmache und Polemik hinten anstehen müssen, dann nämlich, wenn es um etwas geht, das uns wirklich alle angeht, etwas, dem wir alle - alle - verpflichtet sind: dem Schutz der Würde des Menschen. Vielen Dank. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dann.

Heidemarie Dann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Mit dem vorliegenden Änderungsentwurf sollen tote menschliche Embryonen und Föten vor unbefugter Wegnahme strafrechtlich geschützt werden. In der schon erwähnten Anhörung des Rechtsausschusses zu diesem Entwurf am 16. Januar dieses Jahres sind zwar viele kluge Antworten gegeben worden, aber die Frauen als Hauptbeteiligte sind nur in der Stellungnahme eines einzigen Sachverständigen erwähnt worden. Ja mehr noch: Es wurden weder Frauen, noch Frauenverbände, z. B. der Juristinnenbund, zu dieser Problematik gehört. Man hatte sie nicht eingeladen. Auslöser für diese Gesetzesinitiative waren Zeitungsberichte, in denen von einer mißbräuchlichen Verwendung von toten Föten und Embryonen die Rede war. Dies wurde in der Anhörung nicht bestätigt. Sehr wahrscheinlich gibt es aber eine hohe Dunkelziffer. Daher halte auch ich eine gesetzliche Regelung in diesem Bereich für dringend notwendig. Nur ist der vorgelegte Entwurf dafür untauglich. Erstens. Er wird an der Situation nichts ändern, aber der Gesetzgeber hat sich ein Alibi geschaffen. Zweitens. Er stellt die Wegnahme und die weitere Verwendung von toten Föten und Embryonen nicht prinzipiell unter Strafe, sondern nur, wenn dies durch Unbefugte geschieht. „Unbefugt" wird in diesem Gesetz ebensowenig definiert wie „Mißbrauch". Aus der Begründung geht hervor, daß der Krankenhausleiter als sogenannter berechtigter Gewahrsamsinhaber die Befugnis und Verfügungsgewalt über das Embryo erhalten soll. Mir ist nicht einsichtig, daß ein und dieselbe Tat für das Personal strafbar sein soll, während der Krankenhausleiter straffrei ausgeht, ({0}) j a sogar - mehr noch - die Weiterverwendung von Föten und Embryonen unbestraft veranlassen kann. Aus meiner Sicht müßten anders als in dem vorliegenden Entwurf endlich einmal diejenigen in den Mittelpunkt der strafrechtlichen Debatte gestellt werden, die in besonders makabrer Weise von der Notlage und der Abhängigkeit von Frauen profitieren. Aber nichts dergleichen: Die Frage, warum die Frau nicht als diejenige, der ein Embryo entnommen worden ist, zwangsläufig darüber entscheiden können muß, was mit dem Embryo oder dem Fötus weiter geschieht, bleibt total außerhalb jeglicher Debatte. Wenn ich mir vorstelle, ich oder eine andere Frau kämen in die Situation abtreiben zu müssen, dann wäre mir der Gedanke unerträglich, daß ein dritter diesen Teil meines Körpers kommerziell nutzt. Hierin kommt eine gewinnorientierte skrupellose und lebensverachtende Haltung zum Ausdruck. Die rasante Entwicklung der Reproduktionstechnologie und der Zusammenhang zur Embryonenforschung und der damit verbundene Handel wurden vorhin schon angesprochen, aber der vorliegende Gesetzentwurf geht darauf mit keinem Wort ein. Die GRÜNEN finden es vielmehr wichtig, eine Gesetzesänderung vorzunehmen, die der technologischen Entwicklung, der darin enthaltenen Gefahren Rechnung trägt. Mit der extrakorporalen Befruchtung oder In-vitro-Befruchtung, Reagenzglasbefruchtung - das sind alles Begriffe für die gleiche Sache - wird der Kosmetikindustrie, der Forschung Tür und Tor geöffnet, diese Entwicklung möglichst voranzutreiben. Da die Embryonen in der Petri-Schale von der gesetzlichen Regelung ausgeschlossen sind, besteht so die Möglichkeit - so makaber es auch ist -, preiswerter an das gewünschte Material zu kommen, und noch dazu straffrei! Damit komme ich zum Schluß. Das Anliegen des Gesetzentwurfs ist ohne Zweifel berechtigt. Es greift aber viel zu kurz. Es ist erforderlich, jeglichen Handel mit Embryonen zu verhindern und zu verurteilen. Der Gesetzentwurf erfaßt nicht den aus der Sicht der GRÜNEN erforderlichen Regelungsbedarf. Ich werde daher - im Unterschied zu Herrn Mann im Rechtsausschuß - die Vorlage ablehnen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Presseartikel über die kommerzielle Verwertung von toten menschlichen Embryonen und Feten haben wir alle mit großer Betroffenheit, ja mit Bestürzung aufgenommen und zur Kenntnis nehmen müssen. Derartige Manipulationen - darin sind wir uns alle einig - stellen einen eklatanten Verstoß gegen die Menschenwürde dar. Wir können dies nicht hinnehmen. Ich begrüße deshalb, daß mit dem vorliegenden Entwurf ein wichtiger Schritt getan wurde, um eine Gesetzesänderung vorzunehmen, damit die Embryonen und Feten strafrechtlich vor unbefugter Wegnahme ebenso geschützt werden, wie es nach dem geltenden Recht bereits für Leichen und Leichenteile gilt. Wir sind uns allerdings alle auch darin einig, daß dies heute ein erster Schritt ist. ({0}) Die Entschließung, mit der wir uns hier auch beschäftigen, bringt dies klar zum Ausdruck. Die Bundesregierung wird in der nächsten Legislaturperiode auf Grund nicht nur dieser Entschließung, sondern auch all dessen, was hier heute gesprochen wurde und was bei den nicht einfachen Beratungen im Ausschuß erörtert wurde, sich in die Pflicht genommen sehen, bald einen umfassenden Vorschlag zu machen, wie in einer noch besseren, umfassenderen Art und Weise die Probleme abgedeckt und gelöst werden können. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 10/3758. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit angenommen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6568 weiter unter Buchstabe b die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Entschließung angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18a bis 18 c und den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf: 18. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung und zur Änderung der Bundesärzteordnung, des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde und der Reichsversicherungsordnung - Drucksache 10/6222 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({0}) - Drucksache 10/6470 Berichterstatter: Abgeordneter Delorme ({1}) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Streichung des Ausbildungsabschnittes „Arzt im Praktikum" aus der Bundesärzteordnung ({2}) - Drucksache 10/6106 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({3}) - Drucksache 10/6470 Berichterstatter: Abgeordneter Delorme ({4}) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({5}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Gesamtreform der Ärzteausbildung - Drucksachen 10/6107, 10/6470 - Berichterstatter: Abgeordneter Delorme Zusatzpunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung und zur Änderung der Bundesärzteordnung, des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde und der Reichsversicherungsordnung - Drucksache 10/6394 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({6}) - Drucksache 10/6637 Berichterstatter: Abgeordneter Delorme ({7}) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 18 a*), den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/6222, in der Ausschußfassung. Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift, in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit bei Enthaltungen in der Fraktion der SPD angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung von zwei Fraktionen ist der Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen jetzt zu dem Zusatztagesordnungspunkt 8, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/6394. Der Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6637, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/6394 im Hinblick auf die Beschlußempfehlung zum Punkt 18 a der Tagesordnung auf Drucksache 10/6470 für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Gegenstimmen und bei einer Reihe von Enthaltungen *) Zu Protokoll gegebene Rede des Abg. Delorme ({8}) siehe Anlage 4 Vizepräsident Westphal ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden. Wir kommen jetzt zu Punkt 18 b der Tagesordnung, zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 10/6106. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6470 unter Nr. 2, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Oberschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung mit Mehrheit abgelehnt. Deshalb unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung. Wir kommen nunmehr zu Punkt 18c der Tagesordnung, zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6470 unter Nr. 3, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6107 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung mehrheitlich angenommen. Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke ({9}) - Drucksache 10/5345 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10}) - Drucksache 10/6638 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Wernitz Broll Ströbele ({11}) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften ({12}) - Drucksache 10/5964 -Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({13}) - Drucksache 10/6612 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Wernitz Broll Ströbele ({14}) Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Punkte 19 a und 19 b der Tagesordnung 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Broll.

Werner Broll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach sehr langen Beratungen im Innenausschuß beschließen wir heute über diese beiden Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Es gibt im Innenausschuß mindestens vier Liebhaber der Statistik, nämlich den Kollegen Wernitz, den Vorsitzenden, den Kollegen Dr. Hirsch und mich als echte Liebhaber und den Kollegen Ströbele als einen, der in Haßliebe der Statistik verbunden ist. ({0}) Es freut mich, daß heute abend wenigstens ein paar mehr Kollegen Sinn für diese Feinheiten haben. Das neue Bundesstatistikgesetz, sozusagen das Grundgesetz, nach dem sich in Zukunft alle statistischen Einzelvorschriften richten werden, berücksichtigt sowohl bestimmte neue Erkenntnisse über die Methoden der Statistik - es gibt auch Möglichkeiten der Weiterentwicklung von Statistik - als auch die Vorschriften des Datenschutzes, wie sie durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Volkszählung - also auch einem statistischen Gesetz - im Dezember 1983 formuliert worden sind. Die Weiterleitung von Einzelangaben aus den statistischen Erhebungen ist außerordentlich begrenzt worden. An oberste Bundesbehörden und an wissenschaftliche Institute ist sie nur noch unter besonderen Verpflichtungsbedingungen und mit solchen Formen der Anonymisierung möglich, die eine Reidentifikation des einzelnen Falles unmöglich machen. Einzelne Verwaltungsentscheidungen auf statistische Einzelangaben zu gründen, ist grundsätzlich verboten. Nicht jedoch verboten, ja geradezu erwünscht ist es, wenn die Verwaltung Erkenntnisse von statistischen Aufbereitungen in ihren Maßnahmen verwertet. Das ist ja der Zweck der ganzen Statistik. Ebenso sollen auch wir als Gesetzgeber Ergebnisse der Bundesstatistik verwerten. Ohne statistische Angaben aus den vielen Bereichen, die wir gesetzlich regeln, ist eine vernünftige Gesetzgebung heute wirklich nicht mehr möglich. Wir haben im Innenausschuß genauso wie in der Öffentlichkeit lange über die Frage diskutiert, ob Statistik freiwillig sein solle und ob man statt Totalerhebungen nur noch Stichprobenerhebungen machen solle. Was das erste betrifft, so gibt es immer den Hinweis auf das schwedische Beispiel. Tatsächlich aber sprechen gerade die Erfahrungen der Schweden gegen die Freiwilligkeit. Erstens setzt freiwillige statistische Erhebung einen riesigen und ungeheuer teuren Befragungsapparat voraus. Zweitens verfügt das statistische Reichsamt Schwedens über Zugang zu so vielen Einzelregistern, daß man von Datenschutz dort möglicherweise schon kaum noch sprechen kann. Wir in der Bundesrepublik wenigstens wünschen derlei Zugriffe statistischer Ämter zu den Datenbeständen anderer Ämter überhaupt nicht. Drittens müssen wir bei der Frage der Freiwilligkeit bedenken, daß 90 % aller Statistiken im Bereich der Wirtschaft, von Unternehmen, mittleren, kleinen und großen, erhoben werden. Statistik ist dort Kostenverursacher. Und Kosten werden in der Wirtschaft vernünftigerweise nur insoweit in Kauf genommen, als sie auch Nutzen bringen. Freiwillig Kosten auf sich zu nehmen, ohne Nutzen davon zu haben, kann man von einem vernünftigen Menschen sinnvollerweise nicht verlangen. ({1}) Da aber statistische Ergebnisse eher die Behörden und die großen Verbände als den einzelnen, gerade den kleinen Unternehmer interessieren, wäre Freiwilligkeit, Herr Kollege Hirsch, der Tod - ({2}) - Kollege Hirsch und Kollege Wernitz, wir sind sicher einer Meinung, daß es bei der Statistik hier und dort auch Selbstzweck, Glasperlenspiel sozusagen, gibt. Aber auch das, Kollege Hirsch, muß sein. Welche Freude sollen Beamte haben, wenn nicht diese? ({3}) Wir haben also die Erkenntnis gewonnen, daß Statistik im Bereich der Wirtschaft auch in Zukunft Pflichtstatistik sein wird. Um aber die Belastung so gering wie möglich zu halten, haben wir im zweiten Gesetz, dem Statistikbereinigungsgesetz, wesentliche Vereinfachungen und Streichungen vorgenommen. So werden in Zukunft z. B. Bienenvölker nicht mehr gezählt werden. ({4}) Schade für die Bienenvölker, aber gut für die Imker! Sie werden sich freuen. Mit dem Gefühl, diese Wohltat und andere Wohltaten ähnlicher Art begangen zu haben, können wir später getrost in die Weihnachtsferien gehen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Broll, wenn ich das richtig sehe, war das Ihre letze Rede hier in unserem Haus. -({0}) - Dann werden wir auf das Thema zurückkommen. Ich hätte Ihnen nämlich ein größeres Publikum gewünscht. ({1}) Dann kommt jetzt Herr Kollege Dr. Wernitz als nächster Redner.

Dr. Axel Wernitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002486, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits mit dem Mikrozensusgesetz und dem Volkszählungsgesetz 1987 wurden die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes gezogen. Nunmehr soll auch - und darauf wurde schon hingewiesen - das aus dem Jahre 1980 stammende Bundesstatistikgesetz den Vorgaben des Volkszählungsurteils angepaßt werden. Die Novellierung des Bundesstatistikgesetzes - es ist gewissermaßen das statistische Grundgesetz mit allgemeiner Bedeutung für alle Statistikbereiche - erforderte eine dementsprechend gründliche parlamentarische Beratung. So hat sich der federführende Innenausschuß unter intensiver Beteiligung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und unter Hinzuziehung von Vertretern des Statistischen Bundesamtes sowie zweier Landesämter in sage und schreibe neun Sitzungen sehr intensiv, detailliert und umfassend mit dem Gesetzentwurf beschäftigt. ({0}) Hinzu kamen die Mitberatungen durch den Rechtsausschuß sowie die Ausschüsse für Wirtschaft und für Arbeit und Sozialordnung. Auf Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion hatte es am 8. September dieses Jahres zum Gesetzentwurf eine öffentliche Anhörung gegeben, aus der für die endgültige Fassung des Gesetzestextes wesentliche Impulse resultierten. Vor allem für die Ausgestaltung der Vorschrift zur Regelung einer Erhebung mit oder ohne Auskunftspflicht war das Anhörungsergebnis doch von sehr großer Bedeutung. Mit der jetzt zur Verabschiedung vorliegenden Fassung des Bundesstatistikgesetzes wird am Grundsatz festgehalten, daß alle Bundesstatistiken durch förmliches Gesetz angeordnet werden müssen. Bei der Anpassung dieses Bundesstatistikgesetzes an die Vorgaben des Volkszählungsurteils geht es im wesentlichen um folgende Punkte: Beschränkung der durch Rechtsverordnung anzuordnenden Bundesstatistiken mit Auskunftspflicht auf Wirtschafts- und Umweltstatistiken bei Unternehmen, Betrieben und Arbeitsstätten, wobei ich an dieser Stelle ausdrücklich dem Kollegen Broll zustimmen möchte, der bezogen auf den absehbaren Horizont und unter Einschluß der Ergebnisse der Anhörung gesagt hat, daß in diesem Bereich die Auskunftspflicht unter Kosten/Nutzen-Gesichtspunkten notwendig sei, was nicht ausschließe, daß wir immer wieder aufs neue Freiwilligkeit und Auskunftspflicht abprüften. Ich möchte das an dieser Stelle ausdrücklich sagen. Unter Beachtung des vorhandenen überschaubaren Horizonts ist aber im Bereich der Wirtschaft die Auskunftspflicht erforderlich. Ich möchte das noch einmal betonen. Es geht und ging um Vorschriften über Erhebungs- und Hilfsmerkmale als entscheidende Voraussetzung zur Gewährleistung der statistischen Geheimhaltung, schließlich Festlegung besonderer Anforderungen an Zähler, Interviewer und andere Beauftragte der Statistischen Ämter zur Sicherung der Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit und letztlich Aufklärung der Befragten zur Förderung der Akzeptanz der Bundesstatistiken in der Bevölkerung. Schließlich ist auch die Fortentwicklung des statistischen Instrumentariums zu erwähnen. Auch dies ist Bestandteil des novellierten Bundesstatistikgesetzes. Der Bundesregierung wird im Gesetz im übrigen bis zum 1. Januar 1988 eine Berichtspflicht zur Überprüfung der Notwendigkeit bestimmter Auskunftspflichten aufgegeben. Im Zuge der intensiven parlamentarischen Detailarbeit am Entwurf dieses Gesetzes wurde sowohl Anträgen und Vorschlägen der SPD-Bundestagsfraktion als auch des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, aber auch Vorschlägen anderer Rechnung getragen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird deshalb diesem Gesetzentwurf in der nun vorliegenden Fassung zustimmen. Meine Damen und Herren, mit dem Entwurf eines Zweiten Statistikbereinigungsgesetzes wird die durch das Erste Bereinigungsgesetz im Jahr 1980 begonnene fachliche Bereinigungsarbeit bundesstatistischer Rechtsvorschriften fortgeführt. Mit der vorgesehenen Entschließung zu diesem Gesetzentwurf wird festgestellt, daß die jetzige teilweise Anpassung der im Zweiten Statistikbereinigungsgesetz aufgegriffenen Rechtsvorschriften an die Vorgaben des Volkszählungsurteils kein Präjudiz dafür ist, ob und welche weiteren gesetzgeberischen Anpassungen noch zusätzlich erfolgen müssen. Schließlich wird in diesem Zusammenhang auch auf den im Bundesstatistikgesetz zum 1. Januar 1988 angeforderten Bericht der Bundesregierung über die erforderliche weitere Überarbeitung einzelstatistischer Vorschriften Bezug genommen. Im Klartext, meine Damen und Herren, heißt dies, daß auch in der nächsten Legislaturperiode die Statistikbereinigung auf der Tagesordnung unserer Gesetzgebungsarbeit bleibt. Die SPD-Fraktion stimmt auch diesem Gesetzentwurf und der vorgelegten Entschließung zu. Meine Damen und Herren, man muß, gerade nachdem heute der Beirat zum Mikrozensus- und Volkszählungsgesetz Stellungnahmen abgegeben hat, über die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und perspektivische Bedeutung der Volkszählung deutlich sagen, daß wir mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Bundesstatistikgesetz das gesamte Regelungswerk komplettieren, weil dieses Stück bisher als Voraussetzung für die Länder gefehlt hat, im Rahmen ihrer Landesgesetzgebung Regelungen auf gesetzlicher Grundlage im Verhältnis Land zu den Kommunen zu schaffen. Ich wollte auch darauf hinweisen, daß dies ein wichtiger Teilaspekt, der dieses Regelungswerk komplettiert, ist. Zum Schluß: Unser Dank gilt allen, die an den umfangreichen parlamentarischen Arbeiten zu den Gesetzentwürfen beteiligt waren. Ein besonderes Wort des Dankes möchte ich hierbei unserem zuständigen Ausschußsekretär, dem Herrn Bahr, für seine gute und sehr, sehr umfangreiche intensive Zuarbeit sagen. Ich halte dies bei dieser Gelegenheit auch einmal für notwendig, weil das in unserer Arbeit viel zu wenig geschieht. ({1}) Damit bin ich am Ende. Ich bedanke mich für Ihre Geduld. Wir stimmen den beiden Gesetzentwürfen zu. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dann hat der Abgeordnete Dr. Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich allen staatstragenden Ausführungen meiner Vorredner anschließen. Es gilt sowieso alles, was dazu schriftlich verteilt worden ist, weil ich dachte, wir hätten etwas mehr Redezeit. Wir haben uns bei vielen Gelegenheiten darüber unterhalten, daß ein moderner Staat ohne statistische Angaben nicht zurechtkommt. Man muß es den Leuten nur nicht so schwer machen, davon überzeugt zu sein. Wenn man sich in dem Statistikbereinigungsgesetz einmal ansieht, welche Wunderwelt sich uns da eröffnet, dann habe ich selber ernsthafte Zweifel, ob der Staat zusammenbrechen würde, wenn man z. B. auf die Statistik über den Anbau von Erdbeeren zur Erfüllung vertraglicher Bindungen, auf eine Statistik über den Anbau von Zierpflanzen oder auf eine Statistik über die Zahl der Eier legenden Hennen verzichten würde. Ich habe einen Schwager, der in dieser Branche tätig ist. Wenn der seine Hennen zählen würde, könnte er sein ganzes Arbeitsleben damit verbringen. Er zählt die Eier, weil er die verkaufen will. Das scheint mir auch sinnvoll zu sein, für ihn jedenfalls. Aber darüber hinaus? ({0}) - Das interessiert doch keinen Menschen. Die Frage ist, wieviel auf den Markt kommt. Wenn man merkt, daß höchstens noch 10 bis 15% der Betroffenen solche Fragen freiwillig beantworten, muß man sich ernsthaft fragen, ob es sinnvoll ist, sie zu zwingen, und ob die Verbände, die uns die Bude einlaufen, daß solche Statistiken unbedingt erhalten bleiben müßten, und die uns lauthals bei jeder Gelegenheit erklären, welch himmelschreiend wichtige Aufgaben sie für den Staat erfüllen, wirklich die Interessen der Betroffenen wahrnehmen. Wir haben in der Tat - da folge ich dem Kollegen Wernitz - bei den Bundesstatistikgesetzen alles Erforderliche getan, wir haben auch hineingeschrieben, daß in jedem Gesetz einzeln festgelegt werden muß, ob ein Auskunftszwang besteht oder nicht. Wir haben vor allen Dingen den Bund verpflichtet, innerhalb einer vernünftigen Zeit einen Bericht darüber vorzulegen, welche Statistiken es alles gibt, wo der Auskunftszwang bestehenbleiben muß und wie dabei die Interessen der Betroffenen, auch die Kosten, die man ihnen verursacht, in ein vernünftiges Verhältnis zu dem Nutzen solcher Ausarbeitungen gebracht werden können. Wir sind dem Grundsatz gefolgt, daß ein Auskunftszwang nur dann bestehen soll, wenn er ausdrücklich im Gesetz enthalten ist, daß sichergestellt werden muß, daß die Anonymität der Antworten gewahrt bleibt, also besondere Vorkehrungen für die Wahrung des Statistikgeheimnisses zu treffen sind. Wir haben Sonderregelungen für den Kommunalbereich getroffen, weil dort das statistische Geheimnis natürlich in wirtschaftlichen Bereichen in besonders leichter Weise durchbrochen werden kann - hier muß auch der Landesgesetzgeber tätig werden -, und wir haben uns bei einer Fülle von Regelungen an das Volkszählungsurteil gehalten. Ich bin der Meinung, daß man schwer bestreiten kann, daß die Bereitschaft der Bürger, an Statistiken mitzuwirken, sinkt. Die Ursache dafür ist einmal die Vielzahl der Statistiken, bei denen häufig ohne Geistesakrobatik nicht mehr erkennbar ist, wozu sie tatsächlich benötigt werden. Schließlich ist es eine Tatsache, daß viele Menschen im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung nicht mehr ohne weiteres glauben, daß ihre Anonymität gewahrt bleibt. Sie gehen vielmehr davon aus, daß ihre Zahlen von einer Behörde zur anderen munter hin- und herwandern. Darum ist es von elementarer Bedeutung, daß wir in der nächsten Legislaturperiode das tun, was uns in dieser nicht gelungen ist, nämlich durch eine Novellierung des Datenschutzgesetzes den Menschen diese Sicherheit zu schaffen. Ich sage Ihnen voraus: Wenn uns dies nicht gelingt - und das gilt für alle Seiten des Hauses -, dann wird die Folge sein, daß der Widerstand in der Bevölkerung gegen die notwendige Datenverarbeitung in der Verwaltung, in der Wirtschaft, auch bei den Sicherheitsbehörden, immer weiter zunehmen wird. Dies würde zum Schaden des Staates sein, dem wir dienen wollen. Darum sind entsprechende Regelungen nicht Luxus, auf den man verzichten könnte, sondern sie werden für das Funktionieren unseres Staates überhaupt notwendig sein. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Broll, das war neu mit der Haßliebe. Ich will das nicht akzeptieren, denn Haß und Liebe sollte man sich für andere Dinge aufsparen als für Statistik und Gesetze, aber „zwiespältig" wäre vielleicht die richtige Bezeichnung. In der Tat, mein und, wie ich glaube, auch vieler GRÜNER Verhältnis zur Statistik ist zwiespältig. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, weil das in der Öffentlichkeit immer wieder problematisiert wird, zum Verhältnis der GRÜNEN zur Statistik, vor allen Dingen auch im Zusammenhang mit der bevorstehenden geplanten Volkszählung 1987, ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu machen. Herr Hölder, der Präsident des Statistischen Bundesamtes, den wir ja auch einmal gehört haben und der in den Anzeigen auftritt und sagt, er sei der Mann, dem wir alle trauen sollten, weist uns darauf hin, daß es gerade die GRÜNEN sind, die Statistiken, Bundesstatistiken, vermehrt in Anspruch nehmen, mehr vielleicht, als das andere tun. Unser Verhältnis zur Statistik - und wir stehen dazu, daß wir statistische Daten aus allen möglichen Bereichen brauchen - hat etwas mit unserem Verhältnis und unserem Vertrauen oder fehlenden Vertrauen zur Verwaltung dieses Staates zu tun. ({0}) Es hat etwas zu tun mit dem Vertrauen zur einzelnen Verwaltung, zu den Verwaltungen insgesamt, zu den Regierungen in Bund und Ländern. Ich glaube, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, ist richtig: daß unsere individuellen Daten etwas mit unserer Persönlichkeit zu tun haben, etwas mit dem Persönlichkeitsrecht zu tun haben, und daß wir dann, wenn wir einem Staat Daten geben, auch Informationen über uns geben, daß das ein Eingriff in unser Persönlichkeitsrecht ist. Wenn das richtig ist, dann haben wir vielleicht nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, genau zu wissen und vielleicht auch kontrollieren zu können, was mit den Daten, die wir geben, gemacht wird. Wir haben die Pflicht, das zu wissen und zu kontrollieren nicht nur in bezug auf uns selbst, weil wir dadurch vielleicht Schaden, Vorteile oder Nachteile haben könnten, sondern auch hinsichtlich der Frage, was mit den Daten, die wir und die andere mit uns gemeinsam geben, in der öffentlichen Verwaltung, in der Planung, in der Durchführung des Verwaltungshandelns geschieht. ({1}) Ich nenne ein Beispiel. Da wird eine Statistik gemacht, z. B. in der Stadt Köln, über die deutschen und ausländischen Bewohner. Dabei wird festgestellt, daß in einem bestimmten Bezirk von Köln, beispielsweise Köln-Ehrenfeld, ein hoher Anteil von Ausländern wohnt. Dann kann das für die Entscheidung der Verwaltung, ob in diesem Teil von Köln soziale Einrichtungen geschaffen werden - Kindergärten, Hallenbad oder anderes -, in vielfacher Hinsicht von Bedeutung sein. Wir haben genügend Beispiele dafür, daß solche statistischen Erhebungen gerade in diesem Bereich, also über Ausländeranteile, sehr häufig dazu führen, daß sich die Verwaltung in ihrer Entscheidung von der Überlegung leiten läßt, daß Ausländer keine wahlberechtigten Bürger sind. Wenn die Verwaltung Prioritäten setzen muß, geht sie mit ihren Versorgungseinrichtungen vielleicht nicht in den Stadtteil, in dem überwiegend Ausländer wohnen, sondern in einen anderen Stadtteil. Das ist ein Beispiel dafür, daß mit den Daten, die wir geben, Verwaltung gemacht wird. Die Entscheidung der Behörde in Köln-Ehrenfeld auf Grund des hohen Ausländeranteils würde mir nicht gefallen. Ein solches Beispiel zeigt, daß Daten so oder so verwendet werden können und daß ich, wenn ich meine Daten dazu gebe, auch eine Verantwortung dafür behalte. Weil wir meinen, daß das richtig ist - das wird auch keiner bestreiten können; das Urteil des BunStröbele desverfassungsgerichts zur Volkszählung gibt uns insoweit recht -, deshalb sagen wir: Wir natürliche Personen mit unseren Daten stehen für Statistiken nur dann zur Verfügung, wenn es uns möglich ist, zu kontrollieren, was mit den Daten geschieht. Wir geben also nur dann die Daten, wenn sie problembezogen gegeben werden müssen, wenn wir von der Verwaltung gesagt bekommen, daß sie für diese oder jene Planung die und die Daten braucht und das und das vorhat. Wenn es dann so weit ist, können wir sagen: Gut, das sehen wir ein; da muß etwas gemacht werden; dafür geben wir unsere Daten. Regionalbezogen, problembezogen sind wir bereit, statistische Daten auf freiwilliger Basis zu schaffen, indem wir Informationen, die eigentlich uns privat gehören, zur Verfügung stellen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Ströbele, ich bin sehr großzügig gewesen und habe Ihnen fünf Minuten gegeben. Trotzdem gibt es jetzt eine Zwischenfrage. An sich ist Ihre Redezeit abgelaufen. Ich würde die Zwischenfrage gerne zulassen, aber dann ist nach einem Satz Schluß.

Dr. Axel Wernitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002486, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß das Bundesverfassungsgericht die Volkszählung als legitim, als verfassungskonform, sogar in Verbindung mit der Auskunftspflicht, mit dem vorgesehenen Programm, für mit der Verfassung vereinbar erklärt hat und sie als zumutbar und mit den Pflichten des Bürgers gegenüber der Gemeinschaft in Vereinbarung stehend betrachtet hat?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das können Sie glatt mit Ja oder Nein beantworten.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Wernitz, eine Entscheidung zu diesem Gesetz, auf dessen Grundlage die Volkszählung 1987 durchgeführt werden soll, gibt es bisher nicht. Sie steht noch aus. Vielleicht bekommen wir noch eine solche Entscheidung. Darüber hinaus will ich Ihnen sagen, daß für mich das Bundesverfassungsgericht auch nicht der Herr aller Dinge ist, auch nicht der Herr aller rechtlichen Dinge. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, jetzt noch einen Satz.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Vorsitzender, noch zwei Sätze zum Abschluß. Wir lehnen das Statistikbereinigungsgesetz ab, weil hier eine tatsächliche Regelung in all den Bereichen, in die das eingreift, nicht vorgenommen wird, sondern nur Einzelregelungen getroffen werden. Wir lehnen auch das Bundesstatistikgesetz ab, weil unser Änderungsvorschlag nicht in das Gesetz hineingekommen ist, daß statistische Erhebungen bei natürlichen Personen nur auf freiwilliger Basis durchgeführt werden dürfen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das ist schon ein bißchen überzogen, was Sie da machen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will damit schließen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nein, Sie müssen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will nur noch einmal betonen, daß wir aus denselben Gründen das Volkszählungsgesetz 1987 ablehnen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Spranger.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke ist von grundsätzlicher und herausragender Bedeutung für das Gesamtsystem der amtlichen Statistik in der Bundesrepublik Deutschland. Die Novelle gewährleistet die Funktionsfähigkeit der Bundesstatistik in der Zukunft. Sie stellt sicher, daß auch in Zukunft Bund, Länder und Gemeinden sowie die Wirtschaft und die Gesellschaft die für ihre Planungen und Entscheidungen erforderlichen statistischen Daten zur Verfügung haben. Die Angstvisionen von Herrn Ströbele sind nur zu erklären ({0}) mit seiner ebenfalls bemerkenswerten Auffassung zum Bundesverfassungsgericht, wie er es zum Schluß zum Ausdruck brachte. Das heute in der zweiten und dritten Lesung zu verabschiedende Gesetz legt für alle übrigen Bundesstatistiken die notwendigen Regelungen über die Anordnung und das Verfahren bei der Durchführung statistischer Erhebungen fest. Der Entwurf verfolgt darüber hinaus das Ziel, das vorhandene statistische Instrumentarium weiterzuentwickeln. Die Vorschriften erstrecken sich vor allem auf folgende Punkte, die ich noch kurz erwähnen möchte. Die Vorschriften über die Anordnung, die Vorbereitung und die Durchführung von Bundesstatistiken werden präzisiert. In allen staatlichen Rechtsvorschriften müssen künftig Regelungen über die sogenannten Erhebungs- und Hilfsmerkmale sowie über ihre Trennung und Löschung enthalten sein. Mit der Einrichtung sogenannter Adreßdateien wird die Möglichkeit geschaffen, die aus den einzelnen Statistiken vorhandenen Informationen vielfältig zu nutzen und bürgerfreundlich zu verwenden. Gleichzeitig kommt dieses in der amtlichen Statistik neue Instrument auch der Zuverlässigkeit und Aktualität der Statistik insgesamt zugute. Die Anforderungen an die bei den einzelnen Bundesstatistiken eingesetzten Zähler und Interviewer werden gesetzlich festgelegt. Künftig muß in jeder einzelnen statistischen Rechtsvorschrift die Auskunftspflicht besonders festgelegt werden. Die bestehenden Auskunftspflichten gelten fort. Die Regelungen des Bundesstatistikgesetzes zur Übermittlung an die obersten Bundes- und Landesbehörden, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie für wissenschaftliche Aufgaben wurden unter Berücksichtigung des Volkszählungsurteils neu geregelt. Insgesamt schafft diese Novelle eine gute Grundlage für eine leistungsfähige Statistik. Zum Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften möchte ich mich auf drei wesentliche Bemerkungen beschränken: Erstens. Mit dem vorliegenden Entwurf soll das zeitlich befristete Recht der Zweiten Statistikbereinigungsverordnung in Dauerregelung umgesetzt werden. Damit sollen die erreichten Vereinfachungen und Einsparungen bei der Durchführung von Bundesstatistiken auf Dauer verankert werden. Zweitens. Der Gesetzentwurf trägt darüber hinaus auch der Weiterentwicklung des statistischen Instrumentariums hinsichtlich notwendiger und möglicher Ergänzungen für politisch vordringliche Aufgaben Rechnung. Drittens. Es ist ein Anliegen dieses Gesetzes, weitere Anforderungen aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes in rechtliche Vorschriften umzusetzen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die in den bisherigen statistischen Rechtsvorschriften enthaltenen Übermittlungsmöglichkeiten für Einzelangaben. Soweit dies vertretbar erschien, sind diese Übermittlungsregelungen aufgehoben worden. Die Bundesregierung - Herr Kollege Dr. Wernitz, das darf ich zusichern - wird in dem von ihr geforderten Bericht zu weiteren Anpassungen und Fortentwicklungen statistischer Rechtsvorschriften Stellung nehmen. Ich darf zum Schluß den Kollegen von CDU/CSU, FDP und SPD, die mit sehr intensiven und konstruktiven Beratungen die Grundlagen für die Verabschiedung der beiden Gesetze heute geschaffen haben, zusammen auch mit den Mitarbeitern der Ausschüsse, für ihre Arbeit sehr herzlich danken. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 19 a, Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 0/5345. Ich rufe die §§1 bis 28, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit angenommen. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 19b. Ich rufe die Artikel 1 bis 21, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit angenommen. Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 10/6612 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Entschließung angenommen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes - Drucksache 10/5077 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 10/6547 Berichterstatter: Abgeordnete Bernrath Broll Ströbele ({1}) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/6589 vor. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Redebeiträge zu Tagesordnungspunkt 20 zu Protokoll zu geben.*) Sind Sie mit dieser Abweichung von unserer Geschäftsordnung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Das ist also der Fall. Damit ist die erforderliche Mehrheit vorhanden und ist so beschlossen. Zur Abstimmung wünscht der Abgeordnete Ströbele eine Erklärung nach §31 der Geschäftsordnung abzugeben. ({2}) Die Geschäftsordnung erlaubt dies.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte beantragen, über Art. 2 a und die sonstigen Artikel dieses Gesetzes getrennt abzustimmen. Ich möchte begründen, warum ich gegen die Vorschriften mit Ausnahme des Art. 2 a stimmen werde. *) Anlage 5 Ich bin der Auffassung, daß dieses Gesetz so, wie es jetzt vorgelegt ist, ein weiterer Schritt zur Zurücknahme der von der Studentenbewegung der 60er Jahre erzwungenen Reformen der Ordinarienuniversität ist. In dieser Universität war der Lehrstuhlinhaber so etwas wie ein Potentat, der über Unter-, Ober-, Hilfs-Assistenten und Studenten und deren Denken und Forschen, das Veröffentlichen und Debattieren herrschen konnte. Die Studentenbewegung der 60er Jahre, zu der ich mich rechne, hat diese Professoren vom Sockel gestoßen und hat darauf gedrängt und auch erreicht, daß mit der Einführung der Drittelparität in den Hochschulen quasi der Ansatz zu demokratischen Verhältnissen geschaffen wurde. Die Professoren, jedenfalls sehr viele von ihnen, haben sich dagegen von Anfang an zu Wehr gesetzt. Sie haben in der Zwischenzeit mit Unterstützung der Regierenden erreicht, daß die ursprünglichen Reformen inzwischen weitgehend rückgängig gemacht worden sind. Der vorliegende Gesetzentwurf schreibt die Regelung fest, daß Professoren wieder Professoren sind, Assistenten wieder Assistenten, Dozenten wieder Dozenten, daß also die Hierarchie in den Hochschulen wiederhergestellt wird. 56,2 % aller Stellen an den Hochschulen sollen mit C 4-Professoren - das ist der neue Star der Universitäten - besetzt werden. Darüber hinaus wird eine Hierarchie vom Professor über den Dozenten über den Oberassistenten über den wissenschaftlichen Assistenten bis zum Hilfsassistenten eingerichtet. Diese Art von Hierarchie hat eine Disziplinierungsfunktion. Vor allem Frauen und junge Wissenschaftler haben es schwer, gegen diese Hierarchie in Universitäten Karriere zu machen. Quereinsteiger, Querdenker, brillante einzelne oder politisch unliebsame, engagierte Wissenschaftler haben in Zukunft wieder das Nachsehen. Sichtbar wird das an der Titelvergabe: Der Universitätsprofessor erster Klasse ist in Zukunft nur der an einer sogenannten richtigen Universität; an einer Fachhochschule aber kann man und frau allenfalls Professor zweiter Klasse werden. Er darf sich auch Professor nennen, aber eben nur „Professor zweiter Klasse". Gegen dieses Zurückdrehen und dessen Festschreiben wehren wir uns.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie haben nur zu einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung das Wort.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, das war ein berechtigter Einwand. ({0}) Gegen dieses Zurückdrehen wehre ich mich. Es ist mein persönliches Anliegen, daß in der Öffentlichkeit klargemacht wird, daß stieckum und heimlich unter der Decke eine Regelung erfolgt, die viele Hoffnungen der Studenten, für die sie in den 60er Jahren auf die Straße gegangen sind, Universitäten besetzt haben und den Muff unter den Talaren - ({1}) - Das habe ich gerade gesagt, Herr Kollege Dr. Hirsch.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich bitte, sich darauf zu beschränken, eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist zwar richtig, daß eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Anstoß dafür gewesen ist. Die Regelung aber stammt jetzt von ihnen. Ich verwehre mich dagegen und stimme deshalb gegen diese Regelung. Ich danke Ihnen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, getrennte Abstimmung ist sowieso vorgesehen. Wir haben einen Änderungsantrag zu Art. 2 a und werden dann darauf zurückkommen. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/5077 in der Ausschußfassung. Ich rufe die Art. 1 und 2 auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der GRÜNEN sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Ich rufe Art. 2 a auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/6589 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist einstimmig angenommen worden. Wer Art. 2 a in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist einstimmig angenommen. Ich rufe nun Art. 2 b auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/6589 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Änderungsantrag angenommen. Wer Art. 2 b in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt die Art. 2c bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, Vizepräsident Westphal den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind gegen die Stimmen der GRÜNEN bei einer Enthaltung mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir können unmittelbar in die dritte Beratung eintreten, obwohl in der zweiten Beratung Änderungsanträge angenommen worden sind, wenn zwei Drittel der Anwesenden dafür stimmen. Kann ich davon ausgehen, daß ich die Zustimmung in dieser Größenordnung habe? - Dann ist damit die erforderliche Mehrheit vorhanden, um dieses so zu beschließen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Je die Hälfte der Kollegen der GRÜNEN, die anwesend sind, hat dagegen gestimmt bzw. sich der Stimme enthalten. Ganz verstanden habe ich den Vorgang nicht, aber das muß ja auch nicht immer sein. ({0}) Damit ist der Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen worden. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 4 und den heute nachmittag aufgesetzten Zusatztagesordnungspunkt auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Sport und Gewalt - Drucksache 10/6610 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({1}) a) zum Antrag der Abgeordneten Büchner ({2}), Lambinus, Amling, Antretter, Dr. Apel, Bachmaier, Bamberg, Bernrath, Frau Blunck, Brück, Büchler ({3}), Buckpesch, Catenhusen, Daubertshäuser, Dr. Diederich ({4}), Duve, Egert, Dr. Emmerlich, Ewen, Fischer ({5}), Dr. Haack, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Hauck, Dr. Hauff, Immer ({6}), Jansen, Kastning, Kiehm, Kißlinger, Klein ({7}), Dr. Klejdzinski, Kolbow, Dr. Kübler, Kuhlwein, Lennartz, Lohmann ({8}), Frau Dr. Martiny-Glotz, Meininghaus, Menzel, Müller ({9}), Müller ({10}), Dr. MüllerEmmert, Müntefering, Dr. Nöbel, Oostergetelo, Pauli, Dr. Penner, Frau Renger, Reschke, Reuter, Schäfer ({11}), Frau Schmedt ({12}), Frau Schmidt ({13}), Schmidt ({14}), Schmitt ({15}), Dr. Schmude, Dr. Schöfberger, Schreiner, Schröer ({16}), Stahl ({17}), Frau Steinhauer, Stiegler, Tietjen, Toetemeyer, Vahlberg, Waltemathe, Wartenberg ({18}), Weinhofer, Dr. Wernitz, Frau Weyel, Wimmer ({19}), Wolfram ({20}), Zander, Frau Zutt und der Fraktion der SPD Sport und Umwelt b) zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Sicherung des Sports als Teil einer lebenswerten Umwelt - Drucksachen 10/3650, 10/4074, 10/6563 - Berichterstatter: Abgeordnete Nelle Lambinus Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen also zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6610"). Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag einstimmig angenommen. Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 10/6563 ab. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 5. Dezember 1986, 8 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.