Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Am 20. September 1983 hat der Abgeordnete Dr. Becker ({0}) seinen 60. Geburtstag gefeiert. Wir beglückwünschen ihn dazu sehr herzlich.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 17 der Tagesordnung - Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Haftpflichtgesetzes, Drucksache 10/374 - nach Punkt 5 der Tagesordnung aufgerufen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Zur Geschäftsordnung liegt eine Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Burgmann vor. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Die Fraktion DIE GRÜNEN stellt den Antrag, daß im Verlauf der Aktuellen Stunde die Debattenbeiträge, die den GRÜNEN zufallen, von zwei Betriebsräten aus Betrieben gehalten werden, aus denen die Belegschaft heute in Bonn zu einer großen Demonstration zusammenkommt.
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Dazu stehen bereit Theo Stegmann, Betriebsrat von Krupp-Rheinhausen, und Hans Ziegenfuß, Betriebsratsvorsitzender der AG Weser.
Ich möchte diesen Antrag kurz begründen. An diesem Donnerstag kommen über 100 000 Arbeiter aus Stahlwerken und Werften nach Bonn, um den Politikern ihre Sorgen, Nöte und Meinungen mitzuteilen. Dabei gibt es ganz offensichtlich ein Problem, das darin besteht, daß wir Abgeordnete und Politiker, abgeschirmt durch die Bannmeile, in diesem Hause sitzen und die Stahlarbeiter auf der Hofgartenwiese demonstrieren,
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es also kein offizielles Gespräch zwischen ihnen
und uns gibt. In dem Zusammenhang sei auch einmal erwähnt, daß in diesem Hause j a leider kaum
Arbeiter vertreten sind, die ihre Interessen artikulieren könnten.
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Ich glaube, sonst liefe manche Diskussion hier anders.
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DIE GRÜNEN sind deshalb bereit, ihre Redezeit zwei Betriebsräten, die hier im Hause sind, Hans Ziegenfuß und Theo Stegmann, zur Verfügung zu stellen, damit wir von den betroffenen direkt erfahren, welche Sorgen sie drücken, warum die Kollegen beispielsweise die AG Weser besetzt haben und warum die Stahlwerker heute nach Bonn kommen.
Ich weiß, das ist ein Bruch mit einem Tabu. Deshalb auch die Aufregung in diesem Hause. Aber es war j a auch möglich, daß beispielsweise der Präsident der USA hier sprach. Wir meinen, es muß auch möglich sein, daß deutsche Arbeiter in diesem Parlament einmal das Wort ergreifen.
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Das Grundgesetz schließt nicht ausdrücklich aus, daß Menschen ohne Mandat hier reden. Die Redezeit des Abgeordneten wird davon nicht berührt, da wir freiwillig zugunsten der Betroffenen auf unsere Redezeit verzichten. Die repräsentative Demokratie ist auch nicht berührt, da es sich jetzt um eine Aktuelle Stunde handelt und keine Beschlüsse gefaßt werden. Es handelt sich nur um einen Meinungsaustausch und um eine Anhörung, bei der die Betroffenen durchaus ihren Platz hätten.
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Auch der Status des Abgeordneten ist nicht berührt, lieber Kollege, da j a nicht die Gäste, sondern wir als die Abgeordneten selber und autonom entscheiden, ob wie die Kollegen hören wollen oder nicht. Damit ist auch das Argument entkräftet, das man so am Rande hört: daß da jeder kommen und reden könne. Die Entscheidung, ob und wer redet, bleibt beim Parlament, bleibt bei den Abgeordneten.
Ich stelle also fest: Es gibt kein Recht und Gesetz, dem ein solches Ansinnen widerspräche, es sei denn, man legt die Gesetze so aus, daß alles verboten ist, was nicht erlaubt ist. Es liegt allein in unserer Entscheidung. Wir sind autonom zu entscheiden, und wir sollten diese Entscheidung treffen. Wir meinen, daß es eine gute Geste wäre, wenn wir zwei von jenen Hunderttausend hörten. Das gefährdet nicht Grundrechte und Demokratie. Im Gegenteil: Es könnte helfen, die Staatsverdrossenheit abzubauen, wenn die Menschen, die aus existentiellen Sorgen demonstrieren und sich an die Politiker wenden, auch gehört anstatt mit Polizei und Wasserwerfern davongetrieben werden.
Ich bitte deshalb, jetzt keine formellen Ausflüchte zu gebrauchen, sondern zu entscheiden, ob wir diese Menschen hören wollen, ja oder nein. Ich bin überzeugt, daß Sie mit der Zustimmung zu unserem Antrag einen Beitrag zum inneren Frieden in diesem Lande leisten und zur Lösung der Probleme ganz wesentlich beitragen, wenn Sie dieses Parlament öffnen für die Sorgen der Menschen draußen im Lande.
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Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Der Antrag ist offensichtlich unzulässig. Ich werde weder über diesen Antrag abstimmen lassen noch weiter das Wort dazu geben.
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Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
Neueste Entwicklungen in der Stahlindustrie bezüglich der anstehenden Fusion von Thyssen und Krupp
Die Fraktion „DIE GRÜNEN" hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Neueste Entwicklungen in der Stahlindustrie bezüglich der anstehenden Fusion von Thyssen und Krupp" verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.
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- Diese Wortmeldung gilt zur Aktuellen Stunde? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burgmann, bitte sehr.
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- Herr Abgeordneter, die Entscheidung des Präsidenten gilt nach der Geschäftsordnung auch für Sie.
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Herr Abgeordneter Burgmann, Sie haben das Wort.
Ich bin der Abgeordnete Eckhard Stratmann.
({0}) Liebe Stahl- und Werftkollegen
Einen Moment, Herr Abgeordneter Stratmann. Sie sind überhaupt nicht gemeldet. Entschuldigen Sie bitte; dann muß ich Ihnen das Wort entziehen und Herrn Abgeordneten Burgmann fragen, ob er darauf besteht.
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- Sie haben es also geändert. - Also ein bißchen Ordnung müssen wir haben. - Herr Abgeordneter Stratmann, Sie wollten sprechen, nicht Herr Burgmann? - Bitte schön, sprechen Sie.
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Herr Stücklen, ich bitte um Entschuldigung für das Mißverständnis.
Liebe Stahl- und Werftkollegen und -kolleginnen! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, die Stahlwerke gehörten den Stahlarbeitern. Das Beispiel der Belegschaften der HDW und der AG Weser macht Schule. Die Stahlarbeiter besetzen ihre Betriebe und halten sie besetzt auch gegen die Erpressungsmanöver der Unternehmer und des Staates und wählen ihre Unternehmensleitungen selbst.
„Die Besetzung der HDW Hamburg und der AG Weser in Bremen, eine unvollkommene, zeitlich begrenzte Art der Vergesellschaftung, ist ein Akt der Notwehr. Die Werftarbeiter haben damit das Zeichen gesetzt, daß für sie die Sozialpartnerschaft am Ende ist und sie nicht länger bereit sind, Massenentlassungen oder Vernichtung ganzer Standorte widerstandslos hinzunehmen. Die Tatsache, daß die neun und acht Tage lang anhaltenden Besetzungen augenblicklich zu keinem konkreten Ergebnis geführt haben, hat bei den Arbeitnehmern nicht zur Resignation geführt. Sie haben die Besetzung aufgehoben oder unterbrochen in dem Bewußtsein, eine neue Kampfform erprobt zu haben, deren Wirkung und Erfolg ganz wesentlich von der vielfältigen und gleichzeitigen Anwendung und Koordination durch ihre Gewerkschaft abhängt. In diesem Sinne werden Werft- und Stahlarbeiter in absehbarer Zeit wahrscheinlich gezwungen sein, gemeinsam gegen die weitere Vernichtung ihrer Arbeitsplätze mit dem Mittel der Besetzung ihrer Betriebe zu kämpfen." - So weit der Betriebsratsvorsitzende der AG Weser, Hans Ziegenfuß, in dem Redebeitrag, den er für heute für die Aktuelle Stunde vorbereitet hat, an dem er aber gehindert worden ist.
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Stellen Sie sich vor, die Stahlwerke gehörten den Stahlarbeitern! Dann wäre es unmöglich, daß hinter dem Rücken der Stahlarbeiter und auf ihren Knochen Fusionskonzepte ausgebrütet werden. Stellen Sie sich vor, die Stahlarbeiter würden selbst Wirtschafts- und Sozialräte wählen und verfügten über
eine demokratische Rahmenplanung über ihre Branchen! Dann wäre es unmöglich, daß Konzepte zur Stahlneuordnung mit staatlich erzwungenen Massenentlassungen durchgezogen werden. Der Staat, die Bundesregierung pokert zur Zeit mit der Fusion von Thyssen und Krupp. Diese Fusion würde allein in der Stadt Duisburg, die heute schon 33 000 Arbeitslose hat und auf eine Arbeitslosenquote von 16 % zugeht, zu weiterer Arbeitslosigkeit von zusätzlich 15 000 bis 25 000 Menschen führen - für die Kommune Duisburg eine verheerende Situation.
Wir fragen die Bundesregierung - darüber möchten wir in der heutigen Aktuellen Stunde ganz klar Auskunft haben -, ob sie die Fusion von Thyssen und Krupp mit Subventionen unterstützen will und gleichzeitig Massenentlassungen von Thyssen und Krupp fordert. Diese Forderung stellt die Bundesregierung an die Arbed Saarstahl. Lambsdorff hat eindeutig erklärt, daß die Subventionen an Ar-bed nur gezahlt werden, wenn 1983 und 1984 dort mehrere tausend Kollegen entlassen werden. Der Staatskonzern Salzgitter stellt unter Mitwisserschaft und auf Betreiben des Bundesfinanzministers den Standort Peine mit 4 000 Beschäftigten zur Disposition.
Diese Bundesregierung betreibt eine Stahlpolitik der Angst und der sozialen Unsicherheit und verschleudert dabei gleichzeitig Milliarden an Steuergeldern. Die Investitionshilfen an die Stahlindustrie sollen erhöht werden. Damit wird die Modernisierung vorangetrieben, wird rationalisiert, werden Arbeitsplätze vernichtet. Gleichzeitig werden allen Unkenrufen zum Trotz neue Überkapazitäten beim Stahl aufgebaut. Ein Beispiel dafür ist die Rohstahlproduktion, wo der Übergang zum Stranggußverfahren forciert vorangetrieben wird, wodurch in diesem Bereich Überkapazitäten aufgebaut werden.
Die Kosten dieser verfehlten Stahlpolitik der Bundesregierung belaufen sich auf mehrere Milliarden DM. Über 30 000 Arbeitsplätze werden bis 1985 verlorengehen. Gleichzeitig entsteht in den Zulieferbranchen dieselbe Anzahl von Arbeitslosen. Bei angenommenen Kosten von 24 000 DM pro Jahr für einen Arbeitslosen macht das einen Betrag von über 4 Milliarden DM an Einnahmeverlusten für den Staat und bei den Sozialversicherungsträgern aus. Nimmt man die 3 Milliarden DM Subventionen hinzu, die die Bundesregierung schon zugesagt hat, kommt man auf eine Summe von ca. 7,5 Milliarden DM für diese verfehlte Stahlpolitik der Bundesregierung.
Stellen Sie sich vor, die Stahlarbeiter verfügten über ihre Betriebe und diese Milliardenbeträge! Dann wäre es möglich, daß sie koordiniert eine Neustrukturierung der Stahlindustrie in Angriff nehmen. Dann wäre es möglich, daß sie die regionalen Standorte und ihre Arbeitsplätze dort sichern.
({1}) - Ich komme zum Schluß.
Nein, Herr Abgeordneter Stratmann, in der Aktuellen Stunde müssen die fünf Minuten exakt eingehalten werden.
Danke.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anlaß der heutigen Aktuellen Stunde ist weniger die anstehende Fusion von Krupp und Thyssen, wie jedermann weiß, als vielmehr die anstehende Demonstration, zu der die IG Metall heute nach Bonn aufgerufen hat. Jeder von uns teilt die Sorgen der um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Stahlarbeiter.
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Niemand von uns wird der Kritik und den Aufforderungen, die heute sicher vorgetragen werden, Respekt und Verständnis verweigern.
Nur: Den Veranstaltern der IG Metall muß natürlich auch gesagt werden, daß diese heute stattfindende Demonstration um Jahre zu spät kommt;
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denn die Krise in der Stahlindustrie ist nicht in der Sommerpause ausgebrochen, sie ist auch nicht eine Folgeerscheinung des Regierungswechsels, vielmehr geht die dramatische Krisensituation der Stahlindustrie in Kürze bereits in ihr zehntes Jahr.
Wenn jetzt Kollegen aus der SPD-Fraktion gleich dutzendweise angekündigt haben, sie würden sich heute an die Spitze der Demonstrationszüge setzen, dann müssen sich diese Kollegen, nachdem sie jahrelang die Probleme verschlafen oder verharmlost haben, schon den Vorwurf der Scheinheiligkeit gefallen lassen.
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Meine Damen und Herren, wir haben schon als Opposition immer wieder auf die sich verschärfende Krisenlage hingewiesen und die frühere Bundesregierung in einer Reihe von Anträgen
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- Sie kommen nachher doch noch dran - zur Vorlage konkreter Maßnahmen gedrängt. Die neue Bundesregierung hat eine Reihe dieser unvermeidbaren dringlichen Maßnahmen unverzüglich ergriffen.
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Dazu gehört beispielsweise als eine der ersten Kabinettsentscheidungen überhaupt die Verlängerung
der Kurzarbeiterregelung, ausgerechnet und be sonders für den Stahlbereich,
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um die sozialen Probleme und den Verlust weiterer Arbeitsplätze zu vermeiden. Dazu gehören die Beauftragung zur Vorlage eines Umstrukturierungskonzepts und die Bereitstellung von Mitteln, um eine durchgreifende Umstrukturierung auch tatsächlich bewerkstelligen zu können.
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Man kann durchaus darüber streiten, ob diese Maßnahmen ausreichen. Ich habe mich bei früherer Gelegenheit kritisch dazu geäußert, und ich werde auch heute keine Blümchen verteilen. Man kann aber überhaupt nicht darüber streiten, daß die Probleme, über die wir hier reden, nicht von dieser Bundesregierung hervorgerufen worden sind und daß die Anstrengungen zur Beseitigung, zur Lösung dieser Probleme in den letzten Monaten deutlich an Intensität gewonnen haben.
Meine Damen und Herren, 3 000 Millionen DM an Subventionen für einen einzelnen, wenn auch bedeutsamen Wirtschaftszweig sind nicht selbstverständlich, schon gar nicht angesichts der dramatischen Haushaltslage mit dem unabweisbaren Zwang zu Einsparungen und der allgemeinen Forderung nach Abbau statt Zuwachs öffentlicher Subventionen.
Wenn die SPD jetzt Flugblätter verteilen läßt mit der plakativen Überschrift „Lambsdorff läßt die Arbeitnehmer hängen", meine verehrten Kollegen von der Opposition, dann ist das gerade im Blick auf den Stahlbereich schlichte und billige Polemik und Demagogie.
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Es gehört zur Redlichkeit einer solchen Debatte - gerade am Tage einer Stahldemonstration -, den betroffenen Arbeitern auch zu sagen, daß es mit Ausnahme des Bergbaus keinen Zweig dieser Volkswirtschaft gibt, wo die Umstrukturierungsmaßnahmen mit ihren harten sozialen Folgen auch nur annähernd in vergleichbarer Weise durch staatliche Maßnahmen flankiert werden, wie das in diesem Bereich der Fall ist.
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Wer das bestreitet, trägt völlig unverantwortlich zur Stimmungsmache bei und verhält sich geradezu zynisch gegenüber den Hunderttausenden von Arbeitnehmern, die in anderen Branchen ohne staatliche Intervention ihren Arbeitsplatz verloren haben.
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Ich sage zusätzlich: Die Bereitstellung von Mitteln allein reicht nicht aus. Drei Milliarden DM oder auch etwas mehr an Steuergeldern taugen nicht als Baldriantropfen für beunruhigte Stahlarbeiter. Es wäre ein reichlich teures Alibi für Umstrukturierungsmaßnahmen, die dann doch nicht stattfinden würden. Wir müssen sie in einer Art und Weise einsetzen, die als Vitaminspritze zur Wiederherstellung der Vitalität eines für die ganze Volkswirtschaft entscheidend wichtigen Industriezweiges dient.
Die IG Metall hat schon recht mit dem Hinweis, daß die Unternehmen allein offensichtlich nicht in der Lage sind, die Probleme zu lösen. Die Gewerkschaft ist es übrigens offensichtlich auch nicht, und zwar aus ganz naheliegenden Gründen. Die Bundesregierung darf in der Tat - das haben wir in der Vergangenheit immer wieder gesagt - nicht länger abwarten, bis sich Vorstände und Aufsichtsräte darauf geeinigt haben, was sie nun eigentlich wollen. Wir werden auch in Zukunft darauf drängen, daß die Anstrengungen der Regierung weiter verstärkt werden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Klage gegen die Europäische Gemeinschaft, die unmißverständlich deutlich macht, daß wir nicht bereit sind, die Fortsetzung dieser seit Jahren andauernden rechtswidrigen Subventionen zu billigen, und daß wir keinen Zweifel an unserer Entschlossenheit lassen, nach dem vorgesehenen Zeitraum - Ende 1985 - zu Verhältnissen zurückzukehren, die nicht nur, aber auch und gerade den Unternehmen in der Bundesrepublik wieder Entscheidungsfreiheit geben, um die hier vorhandene Leistungsfähigkeit auf dem europäischen Markt durchzusetzen. - Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn heute die IG Metall und die Stahlarbeiter hier demonstrieren müssen, dann sicherlich, weil Unsicherheit und Angst in den Stahlregionen eingekehrt sind, Massenentlassungen angekündigt werden und man erkennen muß, daß die Bundesregierung dagegen nicht entscheidend handelt. Das ist der Grund, warum man das in Bonn heute machen muß.
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Ein zweiter Punkt, Herr Kollege Lammert: Wir, die Sozialdemokraten, haben ein Stahlprogramm vorgelegt.
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Die sozialliberale Koalition hat hier vor zwei Jahren ein Stahlprogramm vorgelegt. Sie haben es abgelehnt und die Zusammenarbeit damals nicht aufgenommen.
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Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß bei dieser schwierigen Lage, die uns in den Stahlrevieren - da, wo Frauen und Männer damals für ein Butterbrot gearbeitet und die Grundlagen für den Aufbau der Republik geschaffen haben - durchschüttelt, bei dieser Debatte heute weder der KanzUrbaniak
ler noch der Wirtschaftsminister noch der Finanzminister anwesend ist.
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Wir haben - Kollege Lammert, das sage ich Ihnen auch - beantragt, das Kurzarbeitergeld für alle Branchen zu verlängern. Sie haben das im entsprechenden Ausschuß und im Haushaltsausschuß abgelehnt. Wir haben zusammen mit Wieczorek Vorschläge für den Ausbau der sozialen Flankierung vorgelegt, um in den Stahlstandorten das Ärgste zu vermeiden. Sie haben das abgelehnt. Sagen Sie also nicht, Sie hätten gehandelt! Sie tun überhaupt nichts. Hinsichtlich der Beherrschung dieses Problems haben Sie und die Bundesregierung leider die Kompetenz verloren. Kämpfen Sie hart in Europa, damit uns die Quoten nicht abgeschnitten werden, Arbeiten weggenommen werden, die alten Mühlen woanders laufen und unsere hochmodernen Betriebe abgewrackt werden! Das ist ein unhaltbarer Zustand.
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Ich sage Ihnen darüber hinaus: Daß nicht mehr passiert ist, verdanken wir der paritätischen Mitbestimmung, dem Einsatz der Gewerkschaften, ihrer Betriebsräte und der Vertrauensleute, die die Grundlagen dafür gelegt haben, immer wieder Hoffnung zu geben, daß wir nach vorn kommen. Gehen Sie darum mit der paritätischen Mitbestimmung auch pfleglich um! Ich kann Sie nur darum bitten.
Meine Damen und Herren, wir haben in den Stahlregionen eine ganz schlimme Entwicklung. Die Arbeitslosenzahlen steigen im Ruhrgebiet leider an, auch im kommenden Monat. Es sind 52 %, bezogen auf die Zahlen vor einem Jahr. Herr Bundesarbeitsminister, die Zahl der offenen Stellen hat sich um 52 % vermindert, und da sagen Sie, Sie würden handeln, um die Probleme zu lösen! Es ist eine ganz schlimme Situation.
Darum fordern wir den Bundeskanzler auf, sein Wahlversprechen vom 6. März 1983 an die Stahlarbeiter endlich einzulösen, daß er sich mit seiner Autorität um die Lösung der schwierigen Stahlprobleme auch tatsächlich kümmert. Wir haben das Gefühl, die EG-Kommission ist so flexibel, die deutschen Interessen wegen des schwachen Auftretens dieser Regierung in Brüssel einfach auszuspielen. Da müssen Sie sich durchsetzen. Da ist der entscheidende Punkt. Wenn Sie dort antreten, um sich durchzusetzen, werden wie Sie dabei unterstützen.
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Ich komme zum Schluß. Die Stahlarbeiter haben dafür gesorgt, daß die Demontagen, die nach 1945 politisch gewollt waren, verhindert worden sind.
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Dieser Kampf der Stahlarbeiter mit ihren Gewerkschaften darf aber nicht umsonst gewesen sein. Wir dürfen wohl davon ausgehen, daß Sie nun endlich handeln, damit die Demontage der deutschen Stahlindustrie auch tatsächlich verhindert wird. Wir werden unseren Teil als Opposition tun. Handeln Sie endlich, geben Sie den Belegschaften Sicherheit! Nehmen Sie die Angst aus den Stahlrevieren!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon der bisherige Verlauf dieser Debatte in dieser Aktuellen Stunde hat gezeigt, daß es Ihnen von der Fraktion der GRÜNEN und auch leider von der SPD nicht nur um die Sorgen und Nöte der Arbeiter der deutschen Stahlindustrie,
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sondern darum geht, auf deren Rücken hier eine polemische Debatte zu führen.
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Die Äußerung von Herrn Kollegen Urbaniak, hier die Abwesenheit des Bundesfinanzministers und des Bundeswirtschaftsministers zu kritisieren, ist eine ganz üble und polemische Unterstellung; denn er weiß genau - das ist dem Fraktionsvorstand der SPD genauso wie dem der GRÜNEN mitgeteit worden -, daß sich beide Herren in dienstlicher Verpflichtung auswärts befinden, Herr Stoltenberg bei der IWF-Tagung in Washington und Graf Lambsdorff in Berlin. Sie wußten das. Wir haben Ihnen angeboten, die Aktuelle Stunde heute mittag zu veranstalten, und dann wären die beiden Minister dagewesen. Sie haben - just for show - darauf bestanden, diese Dinge heute morgen um 8 Uhr zu veranstalten.
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Ich habe eher die Vermutung, daß Sie Angst gehabt haben vor der klaren und überzeugenden Argumentation der Mitglieder der Bundesregierung hier und heute.
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Aber ein nachdenkliches Wort auch an Sie, Herr Kollege Schily. Ich frage mich, welches Parlamentsverständnis zeigt denn Ihr Antrag, den Sie hier heute vorgelegt haben?
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Sie wollten hier je einen Vertrauensmann der AG Weser und der Firma Krupp sprechen lassen. Ist das Ihr Verständnis unserer parlamentarischen Demokratie?
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Ich sage Ihnen: Wir werden darauf achten, daß das Grundgesetz eingehalten wird.
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Wir werden für die repräsentative Demokratie kämpfen, und wir werden nicht Schleusen öffnen, die die Väter unseres Grundgesetzes und die auch wir im Hohen Hause dicht halten wollen. Darauf können Sie sich verlassen!
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Aber offensichtlich fehlen Ihnen die Argumente, um hier zu bestehen. Dann kommen Sie mit solchen Anträgen.
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Ich möchte in der Sache folgendes feststellen:
Erstens. Meine Fraktion, die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, steht geschlossen hinter der von der Bundesregierung und von Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff verfolgten Politik zur Überwindung der Stahlkrise.
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Zweitens. Wir fordern die Unternehmen der deutschen Stahlindustrie auf, endlich konkret ihre Restrukturierungskonzepte vorzulegen,
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damit die von der Bundesregierung angesetzten umfangreichen Hilfen in Höhe von 3 Milliarden DM endlich wirksam werden können. Dies gilt nicht nur für Thyssen und Krupp, das gilt auch für die anderen Unternehmen, deren Gremien, in denen die Gewerkschaften ja mit vertreten sind, endlich ihrer Verantwortung gerecht werden müssen. Wir unterstützen im übrigen auch Graf Lambsdorff bei seinem langen, zähen und auch erfolgreichen Kampf in Brüssel um die Erhaltung der deutschen Stahlindustrie.
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Ich will hier hinzufügen, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung - das sage ich hier mit allem Nachdruck - soll notfalls durch Einstellung ihrer Zahlungen nach Brüssel deutlich machen, daß für die Bundesrepublik Deutschland bei der Bewältigung der Stahlkrise Grenzen gesetzt sind.
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Diesen Kurs, meine Damen und Herren, wird die FDP-Bundestagsfraktion nach wie vor unberührt von Ihrer Polemik verfolgen. - Herr Kollege Urbaniak, dann werden die Menschen in den Stahlregionen nämlich erkennen, daß die Politik der Umstrukturierung der deutschen Stahlindustrie von dieser Koalition in realistischen und konkreten Bahnen fortgesetzt werden wird. - Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Stratmann, nur eine Frage: Glauben Sie wirklich, daß auch nur eine Tonne Stahl mehr produziert oder abgesetzt werden kann, wenn die Stahlindustrie verstaatlicht würde oder in die Hände der Belegschaft überginge? Lernen Sie nicht aus den Erfahrungen, die andere Länder mit staatlicher Strukturplanung gemacht haben, aus den Erfahrungen Frankreichs, Belgiens und Großbritanniens? Nein, Sie lernen daraus nichts!
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Meine Damen und Herren, die zweite Aktuelle Stunde über das Thema Stahl innerhalb von sechs Monaten unterstreicht die Unruhe über den ungeklärten Fortgang der Restrukturierung der Stahlindustrie. Auch die heutige Demonstration der IG Metall hier in Bonn ist ein Zeichen dafür. Aber die Entscheidungen über das Verhältnis von Unternehmen zueinander, über Produktion, über Kapazitäten und über den Markt fallen nun einmal nicht im Parlament und nicht an den Tischen der Bundesregierung, sondern in den nach dem Gesetz verantwortlichen und mitbestimmten Organen der Unternehmen.
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- Herr Wolfram, ich sage sehr deutlich an die Adresse der Verantwortlichen und der Beteiligten in der Wirtschaft: Die Bundesregierung nimmt Ihnen die unternehmerische Verantwortung nicht ab!
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- Darauf komme ich noch zu sprechen. - Die Bundesregierung hat ein Angebot gemacht, bei der Restrukturierung zu helfen, und sie hat einen Rahmen von 3 Milliarden DM für die Flankierung des Anpassungsprozesses beschlossen. Aber die Restrukturierung selbst muß von den Unternehmen vorgenommen werden. Ich sage dies auch denen, die dafür werben, daß im Falle Stahl die Verantwortungs- und Entscheidungsverhältnisse in unserer Wirtschaft geändert werden.
Eines ist allerdings auch völlig klar: Es ist das absolut legitime Recht des Parlaments, sich über industrielle und wirtschaftliche Fragen zu informieren. Ich frage mich aber, meine Damen und Herren, ob es im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer und der betroffenen Standorte ist, wenn einige den Eindruck erwecken, als könnten oder wollten wir den wirtschaftlich Verantwortlichen die Entscheidungen abnehmen.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt ein paar Worte zu dem aktuellen Stand - und das ist ja Gegenstand dieser Aktuellen Stunde - der Restrukturierungsbemühungen sagen. Dies will ich allerdings in einer Form tun, die den Fortgang der Verhandlungen zwischen den wirtschaftlich Beteiligten nicht stören und nicht beeinflussen soll.
Im Januar dieses Jahres haben die sogenannten Stahlmoderatoren ein Konzept zur Neuordnung der deutschen Stahlindustrie vorgelegt, nachdem sie dazu von der Stahlindustrie im Herbst des vergangenen Jahres beauftragt worden waren. Wie Sie alle wissen, wurde das Moderatorenkonzept nicht von allen Unternehmen akzeptiert; nur die Gruppe Rhein kündigte an, diese Verbindung eingehen zu wollen. Tatsächlich ist nach den uns vorliegenden Angaben der Unternehmen mit erheblichen Kosteneinsparungseffekten bei einer engeren Zusammenarbeit zu rechnen, so daß zu erwarten ist, daß ein leistungsstarkes neues Unternehmen entsteht.
Dann haben sich aber Probleme für die Fusion ergeben - hauptsächlich durch eine unterschiedliche Bewertung der einzubringenden Anlagen der beiden Partner und durch eine Bilanzlücke aus den von den Partnern gewünschten Beteiligungsverhältnissen, für die sie - damit komme ich jetzt auf den Punkt, den Sie angesprochen haben - neben den vorgesehenen öffentlichen Hilfen - Strukturverbesserungshilfen und Investitionszulage - eine Sonderhilfe in Höhe von 1,5 Milliarden DM beantragt haben.
Wir haben den Unternehmen ganz deutlich gemacht, daß sie nicht mit einer Sonderhilfe in der von ihnen beantragten Größenordnung rechnen können. Solange die Unternehmen die Bewertungslücke noch nicht abschließend ermittelt haben, kann die Bundesregierung ohnehin nicht eine eventuelle Zusatzhilfe beziffern. Die Unternehmen haben sich nunmehr bereit erklärt, zusammen mit der Treuarbeit die Bilanzlücke bis Anfang Oktober zu ermitteln. Die Bundesregierung hat die Unternehmen auf allen Ebenen mehrfach aufgefordert, die Verhandlungen über die Fusion der beiden Unternehmen voranzutreiben oder andere kommerzielle Lösungen für die Bewertungsprobleme zu bedenken.
Aber auch nach dem letzten Gespräch, das zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundesfinanzminister sowie den betroffenen Unternehmen am 16. September 1983 stattgefunden hat, ist noch nicht abzusehen, ob der Zusammenschluß tatsächlich zustande kommt. Allerdings können wir - das sage ich hier sehr nachdrücklich - nicht hinnehmen, daß Monat für Monat vergeht, ohne daß man sich über die Höhe der Bilanzlücke einigt und daß man sich statt dessen damit begnügt - auch dies sind jetzt sehr kritische Worte -, unrealistisch hohe und nicht begründbare Forderungen an die öffentliche Hand zu richten. Wir müssen nun endlich wissen, ob die Unternehmen den Zusammenschluß ernsthaft - ich unterstreiche dies dreimal! - wollen, und brauchen in aller Kürze eine definitive Entscheidung.
Schließlich, meine Damen und Herren, stehen wir alle unter dem Zwang von Terminen, die nicht aufgeschoben und im Interesse der Arbeitnehmer auch nicht hinausgeschoben werden können. Bis zum 31. Januar 1984 muß die Kommission über verbindliche Unternehmenskonzepte entscheiden; die Haushaltsberatungen werden materiell bereits im
November abgeschlossen. Die letzte Entscheidung liegt jetzt bei den Unternehmen selbst.
Ich möchte ein weiteres kritisches Wort hinzufügen.
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Den Bemühungen um die Fusion kommt erhebliche Pilotwirkung zu. Andere Unternehmen warten ab, weil das Gewicht dieses Zusammenschlusses alle anderen Konstellationen mitbestimmt. Deshalb brauchen wir endlich Klarheit. Die Regierung hat den beiden Unternehmen seit langem gesagt, was sie zu leisten in der Lage und zu leisten bereit ist. Nun müssen sich die Vorstände ihrer Verantwortung auch für die gesamte Branche stellen und entscheiden. Die Entscheidung, meine Damen und Herren, kann nicht länger verschleppt werden. Schließlich ist im vorigen Jahr eine hoffnungsvolle andere Konstellation kurz vor dem Ziel abgefangen worden. Ich meine die Ruhrstahl AG. Wenn dafür jetzt nichts besseres gelingt, sollte man wenigstens den Mut haben, dies deutlich zu sagen, damit der Attentismus in weiten Teilen der Branche nicht auch noch durch diese Verzögerung gefördert wird.
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Wenn einzelne Unternehmen immer höhere Sonderzahlungen und Zusatzsubventionen fordern, müssen sie auch die Wirkung auf die übrige Wirtschaft bedenken. Viele Branchen sind mit strukturellen und konjunkturellen Problemen konfrontiert. Auch sie kämpfen mit Wettbewerbsverzerrungen aus anderen Ländern.
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Ihnen werden finanzielle Hilfen nicht angeboten. Sie werden nicht gegen Importe geschützt, und sie haben nicht die Möglichkeit, Kartelle zu vereinbaren und unter dem Schutz marktregelnder Maßnahmen zu stehen wie die Stahlindustrie.
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Die der Stahlbranche eingeräumte Sonderstellung muß sich schon mit Rücksicht auf das Funktionieren der übrigen Wirtschaftspolitik in Grenzen halten. Sie kann nicht ein Ausmaß annehmen, das unser gesamtes Wirtschaftssystem in Frage stellt.
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Dieses Sonderregime belastet zudem darüber hinaus andere Branchen, so z. B. die Stahlverarbeitung. Angesichts dieser Lage müssen sich einige Unternehmen auch einmal die Frage gefallen lassen, ob sie selbst in den letzten Jahren alles getan haben, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und damit ihren Subventionsbedarf aus eigenen Kräften zu vermindern.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, die Antwort auf diese Frage sollte diese Unternehmen dazu führen, daß sie die abwartende Haltung, die sie bisher eingenommen haben, aufgeben und ebenfalls einen positiven Beitrag zur Um1656
strukturierung der Stahlindustrie leisten. - Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der originellste Vorwurf heute morgen war der von Herrn Beckmann an unsere Adresse, wir hätten die Aktuelle Stunde heute früh haben wollen, um nicht auf den Grafen Lambsdorff zu treffen.
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Um Himmels willen! Wir hatten die GRÜNEN schon in den letzten Tagen gebeten, die Aktuelle Stunde gestern um 14.30 Uhr durchzuführen, um die direkte Konfrontation zu erreichen. Es tut mir sehr leid, daß Graf Lambsdorff nicht da ist. Ich weiß auch nicht, ob es nicht denkbar ist, in einer solchen Situation auch ein bißchen flexibler mit dem eigenen Terminplan umzugehen.
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Eine Bemerkung dazu. Mit tut das besonders leid, weil Herr Sprung so sympathisch eine Referentenarbeit aus dem Ministerium vorgelesen hat, die uns wirklich zu nichts verhilft.
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Herr Sprung, Sie wissen offenbar gar nicht, worum es den 100 000 Stahlarbeitern geht, die heute hier demonstrieren. Wir alle in diesem Haus wissen, wenn wir seriös bleiben, daß die Stahlkrise nur ganz schwer zu bewältigen ist. Wir als Sozialdemokraten wenden uns nicht an diese Bundesregierung so, als ob wir Wunder von ihr erwarteten. Was wir allerdings erwarten, ist Handeln. Wir erwarten, daß endlich etwas getan wird.
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Heute gibt es noch einen Abwesenden. Er heißt Köhler, Herbert Köhler, Dr. Herbert Köhler. Er ist Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung. Ich zitiere ihn wörtlich - es geht hier um einen Punkt, in dem ich mich seinen Worten exakt anschließe -: „Wer der Stahlindustrie so viel zu geben bereit ist" - 3 Milliarden DM, wie auch Sie wieder erwähnten -, „muß die Stahlvorstände an einen Tisch zwingen, bis der weiße Rauch sichtbar wird, bis also ein Stahlkonzept gefunden ist."
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Dieser Kritik von Ihrem Kollegen Köhler brauche ich überhaupt nichts hinzuzufügen.
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Wir haben es hier in der Stahlpolitik wie in anderen Bereichen der Politik mit einem Tu-nix-Kanzler und mit einem Will-nix-Wirtschaftsminister zu tun.
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Aus ideologischen Gründen greift der Bundeskanzler nicht in den Stahlmarkt ein. Er läßt zu, daß sich die Stahlkrise ständig verschärft.
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Und was sich die beiden Vorstände, besonders der Vorstand von Thyssen, in den letzten Monaten an Pokerspiel mit dem deutschen Steuerzahler erlauben, muß endlich auch auf den Tisch dieses Hauses und darf nicht mit derart lahmen Erklärungen abgewiegelt werden, wie es zur Zeit geschieht.
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Daß wir das kritisieren, hat einen ganz konkreten Hintergrund. Können Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sich denn nicht in die Lage der vielen zehntausend Stahlarbeiter und ihrer Familien versetzen,
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die seit über einem Jahr, seit das Moderatorenkonzept in den Konturen bekannt ist, keinerlei Antwort aus der Bundesregierung bekommen? Auch heute früh haben Sie gesagt: Wenn das zwischen Krupp und Thyssen dann doch scheitert, dann müssen wir neu überlegen. Stellen Sie sich einen derartigen Satz in der sozialen und in der psychischen Wirkung auf eine in ihrer Existenz gefährdete Stahlarbeiterfamilie vor! Legen Sie sich doch diese Frage vor! Ich sage das auch in Richtung der Kolleginnen und Kollegen aus den Sozialausschüssen der CDU.
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Diese Tu-nix-Regierung zerstört das Vertrauen der Stahlarbeiter in die Politik schlechthin. Und dagegen anzutreten ist der Sinn dieser Aktuellen Stunde kurz vor einer großen Demonstration der Betroffenen. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch Ihnen, Herr Roth, und Ihnen, Herr Urbaniak, ist bekannt, daß der Termin für die Aktuelle Stunde einvernehmlich von allen Fraktionen vereinbart worden ist, und zwar unter der Voraussetzung, daß der Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff nicht da ist. Wie Sie sich jetzt aufgeführt haben, da kann ich nur sagen: so kann man in diesem Hause nicht miteinander umgehen.
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Fensterreden und leere Versprechungen helfen hier niemandem. Ich will auf die Schaufensteranträge der GRÜNEN gar nicht eingehen. Aber, Herr Kollege Roth, Sie haben hier große Worte gesprochen. Sie haben in der Debatte am 10. Juni dieses Jahres, als wir eine Aktuelle Stunde zum gleichen Thema gehabt haben, großspurig angekündigt, die SPD werde ein eigenes Stahlkonzept in den nächsten Wochen vorlegen.
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Heute behauptet der Herr Urbaniak, vor zwei Jahren sei schon eines vorgelegt worden. Durch Sie ist er also widerlegt worden.
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Und heute, Herr Roth, haben wir in Ihren Ausführungen auch nichts gehört als nur schön tönende Worte.
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Wo bleibt denn Ihr Konzept?
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Wo bleibt denn Ihre Alternative? Wir müssen das ausbaden, was Sie in 13 Jahren unter Ihrer Verantwortung herbeigeführt haben.
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Wenn heute in Bonn die Stahlarbeiter demonstrieren und auf ihre Sorgen aufmerksam machen, so nehmen wir von der CDU/CSU diese Sorgen wirklich ernst,
({6})
ebenso die hohe Arbeitslosigkeit und das Schicksal der Arbeitslosen. Wir machen nicht nur leere Phrasen. Die Sorgen der Stahlarbeiter bewegen und schmerzen uns. Es geht um Familien und es geht um Menschen.
Wir haben heute eine schwierige Situation in der Stahlindustrie. Die Nachfrage und die Produktion haben abgenommen. Die Kapazitäten und die Subventionen haben zugenommen. Die Leidtragenden dieses unerträglichen Zustands sind nicht nur die Volkswirtschaften, die Unternehmer, sondern auch die betroffenen Stahlstandorte und damit auch die Arbeitnehmer, die um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen.
Die Politik ist jetzt mit gefordert. Zunächst ist die europäische Stahlindustrie als solche im Obligo, die nötigen Entscheidungen zu treffen. Aber weil die Wettbewerbsverzerrungen europäische Dimensionen angenommen haben, ist die Politik gefordert.
Die Bundesregierung hat gehandelt. Sie hat ein Hilfsprogramm angeboten. Wir werden alles daransetzen, daß unser Land eine leistungsfähige Stahlindustrie behält.
Wohin die Planwirtschaft führt, hat jetzt die Quotenregelung, die von der EG für die Stahlindustrie eingeführt wurde, wieder bewiesen: einerseits nicht ausgelastete Kapazitäten und arbeitslose Stahlwerker, auf der anderen Seite Lieferfristen und damit hohe Preise für Handel und Baugewerbe beim Bezug verschiedener Stahlsorten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen Überlegungen und Konzeptionen dürfen die regionalen und arbeitsmarktpolitischen Erfordernisse nicht unberücksichtigt bleiben.
({7})
Die Hilfen sind nur dann vertretbar, wenn nicht ganze Regionen, die weitgehend vom Stahl leben, die wirtschaftliche Basis entzogen bekommen. Das gilt neben den traditionellen Stahlstandorten an Rhein, Ruhr und Saar auch für die Oberpfalz.
Hier möchte ich ein ganz deutliches Wort sagen. Der Stahlstandort Oberpfalz mit dem Unternehmen Maxhütte muß erhalten bleiben.
({8})
Für das Unternehmen Maxhütte mit seinen jetzt noch sechstausend Arbeitsplätzen gibt es keine Alternativen in dieser revierfernen Region. Die Maxhütte hat wie die übrige Stahlindustrie bereits erhebliche Vorleistungen erbracht und Kapazitäten abgebaut. Das jetzt vor zwei Jahren in die Wege geleitete Sanierungsprogramm kann termingerecht verwirklicht werden. Der Freistaat Bayern und die Bundesregierung haben das ihre getan. Jetzt geht es darum, daß dieses Konzept nicht gefährdet wird.
Ich erwarte von der EG-Kommission, die den Sanierungsmaßnahmen zugestimmt hat, daß sie dieses Konzept nicht gefährdet, daß sie diesem Werk ausreichende Produktionsquoten zur Verfügung stellt. Ich bin sicher, daß die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung in enger Verbindung mit dem Freistaat Bayern uns hoffen lassen, daß die Voraussetzungen für den Bestand des Unternehmens geschaffen werden können. Den betroffenen Menschen muß wieder Hoffnung gemacht werden.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffmann ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der letzte Satz vom Kollegen Jobst wird sich noch selbst klassifizieren, wenn wir untersuchen, was zur Zeit mit der Vorlage der Bundesregierung konkret zu diskutieren ist, ob das Hoffnung machen heißt.
Ich möchte zuerst an die Frage anknüpfen, die auch Sie angesprochen haben. Es geht heute in dieser Diskussion um die Dramatik klassischer Montanstandorte. Ähnlich harte Konflikte haben wir in vielen anderen Bereichen, die meistens nicht entsprechend gewürdigt werden können. Deshalb will ich nur sagen: Dort bestehen ganz ähnliche Probleme z. B. in Hamburg, Bremen, Osnabrück, Sulzbach-Rosenberg, Kehl, Siegen und vielen anderen Orten, in denen die Menschen ebenfalls keine Hoffnung, sondern Angst haben. Für die Behandlung des Konflikts ist es sehr symptomatisch, was sich zur Zeit im Saarland tut. Deshalb möchte ich hier
Hoffmann ({0})
ganz klare Worte aussprechen; denn ich glaube, daß es ein Signal ist für die Behandlung dieses Problems.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat einen Kabinettsbeschluß gefaßt, in dem steht, daß weitere Hilfen an Saarstahl nur dann gegeben werden, wenn Massenentlassungen und Betriebsstillegungen einbezogen werden. Ich erkläre hier ganz deutlich, daß Sie damit den Restrukturierungsvertrag gebrochen haben, weil Sie in zynischer Art und Weise die Belegschaften vor die Wahl stellen zwischen Massenentlassungen einerseits und dem totalen Zusammenbruch eines Unternehmens andererseits.
({1})
Wenn das „Hoffnung machen" ist, Herr Sprung, dann verstehe ich Worte nicht mehr. Das ist im Gegenteil Angstmache und Panikmache.
({2}) Es ist noch etwas viel Schlimmeres.
({3})
- Nein, keine Beschäftigungsgarantie. Das haben wir von uns aus nie gefordert. Sie können nachlesen, was die SPD im Juli vorgelegt hat: Wir kommen um die Probleme nicht einfach herum, indem wir alles zementieren, wie es ist. Dort haben wir unsere Position festgelegt. Ich kann das hier nicht im einzelnen vortragen.
Zurück zum saarländischen Problem, das beispielhaft für Industrieregionen ist. Sie kalkulieren Massenentlassungen mit ein. Sie kalkulieren mit ein, daß der Schlag auf die anderen Industriebereiche - Kohle, Stahlweiterverarbeitung, Zulieferindustrie - sich ungehemmt weiter vollzieht. Sie werden erreichen, daß Sie in den Montanregionen und in diesen monostrukturierten Regionen eine Arbeitslosigkeit von 20 % und mehr haben. Wenn Sie am Beispiel des Saarlandes das Restrukturierungskonzept zerschlagen, bedeutet das gleichzeitig, daß Sie hier schon die Wurzel legen für eine weitere Konsequenz aus dieser Politik. Sie verändern die gesamte Massenbasis der Stahlproduktion auf der Grundlage der technischen Restrukturierung, wie sie bisher vorgesehen war. Sie werden deshalb erreichen, daß das, was an neuen, modernisierten Aggregaten erstellt worden ist, langfristig defizitär wird. Das ist das Riesendilemma, in das Sie hineinkommen.
Deshalb sage ich Ihnen: Es ist verdammt zynisch, heute hinzugehen, Massenentlassungen und eine totale Veränderung des Konzepts zu verlangen, das Sie als Vertrag mit unterschrieben haben, und gleichzeitig darauf zu spekulieren, daß das alles über Massenentlassungen wieder zerschlagen werden kann.
({4})
Ein letztes Wort, das ich dazu sagen will. Meine Damen und Herren, seien wir sehr vorsichtig damit, wie weit wir in der Argumentation gegenüber den Arbeitern selbst gehen. Wenn wir diesen Konflikt
damit bezahlen, daß Betriebsräte gegen IG-MetallFunktionäre, IG Metall gegen Belegschaften, Belegschaften gegen Belegschaften anderer Standorte ausgespielt werden, dann werden wir unserer demokratischen Ordnung einen Bärendienst getan haben.
({5})
Deshalb sage ich auch ganz deutlich: es nützt nichts, daß wir so unfair sind, die Leute mit Forderungen auf die Bäume zu treiben, von denen wir selbst wissen, daß wir sie nicht einlösen können. Damit werden wir eine Orientierungslosigkeit betreiben, die nachher in Hoffnungslosigkeit oder Aggression mündet. Deshalb muß es eine realistische Betrachtungsweise dieser Konflikte auf der Grundlage dessen geben, was wir als SPD-Fraktion vorgelegt haben.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich einmal vor, was werden würde, wenn das wahr werden würde, was ein Grüner sich hier als Illusion zu Beginn dieser Debatte vorgestellt hat, daß nämlich die Stahlwerke besetzt werden würden und der Deutsche Bundestag beschließen würde, nichts mehr zu bezahlen. Dann würden Sie einen grünen Stahl produzieren, aber wir hätten keine Stahlarbeitsplätze mehr. Und wenn Sie die Verstaatlichung der Stahlindustrie fordern - ({0})
- Sie haben das doch gefordert. Ich habe doch Ihre Äußerungen gehört.
({1})
- Nein, nein, Sie haben sie ganz deutlich in Saarbrücken gefordert. Ich habe doch Ihre Dinge nachgelesen. Dann sollten Sie sich auch dazu bekennen. Aber ich bezahle Ihnen gern eine Bildungsreise in jene Staaten, in denen die Stahlindustrie verstaatlicht ist.
({2})
Die Sozialisten in England haben verstaatlicht und haben die Arbeitsplätze in der Stahlindustrie von 180 000 auf 66 000 reduziert. Die Sozialisten in Frankreich haben verstaatlicht und haben die Arbeitsplätze von 143 000 auf 93 000 reduziert, aber nicht etwa bei der gleichen sozialen Sicherstellung wie für die Stahlarbeiter bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Das nehmen Sie einfach nicht zur Kenntnis, weil Ihnen dieses System nicht paßt.
({3})
Herr Kollege Roth und meine Kollegen von der SPD, ich fand es wirklich beschämend, was Sie heute hier aufführen, weil Sie wissen, wo der Finanzminister ist und wo der Wirtschaftsminister sich befindet. Wissen Sie, was ich Sie fragen müßte?
Wenn ich so polemisch wie Sie wäre, dann müßte ich fragen, wo Ihr Parteivorsitzender und Ihr Fraktionsvorsitzender ist.
({4})
Das wäre dann die gleiche Frage, warum sie denn nicht hier sind.
({5})
- Nein, nein. Ich würde Ihnen, Herr Roth, empfehlen: Lesen Sie einmal die FAZ vom Samstag nach. Da können Sie ein großartiges Interview des Herrn Loderer nachlesen, der in Zweifel stellt - ich zitiere jetzt den Herrn Loderer als SPD-Mitglied -, ob die Arbeitnehmer bei Ihrem Lehrersozialismus heute noch in Ihren Reihen einen Platz haben. Das müssen Sie mal zur Kenntnis nehmen; das ist nachlesenswert.
({6})
- Ja, ja. Ich wundere mich auch, daß hier eine Anfrage gestellt wird, ob es Neues aus der Stahlindustrie gebe. Meine Damen und Herren, dieser Strukturwandel ist doch tief begründet. Dieser Strukturwandel sieht so aus, daß die Produktion in den Schwellen- und Entwicklungsländern gewaltig gesteigert wurde, daß wir einen Verdrängungswettbewerb durch Kunststoffe in vielen Anwendungsbereichen des Stahls haben und daß die Subventionen
- das hat der Herr Staatssekretär doch deutlich dargestellt - unserer europäischen Nachbarn inzwischen eine Höhe erreicht haben, die uns betroffen macht. Und nun fragen Sie, ob der Lambsdorff nichts getan hat. Ich finde es schlichtweg eine Verletzung der Würde dieses Parlaments, wenn Sie nicht zur Kenntnis nehmen, was der Wirtschaftsminister vorgeschlagen hat, zumal, Herr Kollege Roth, wir ja mit Ihnen da einige Gemeinsamkeiten haben. Wir haben erstens festgestellt, daß alle Standorte erhalten werden sollen. Das ist doch beschlossen. Und, Herr Jobst, ich unterstütze ausdrücklich Ihre Ausführungen, daß wir auch die Maxhütte erhalten, zumal in Bayern auch regionale Strukturprobleme vorhanden sind und dort unmittelbar daneben ein Eisenerzbergwerk liegt, das heute in der Lage ist, innerhalb von wenig mehr als 30 Stunden vom Bergwerk direkt in die Stahlproduktion umzusetzen. Wir haben weiter beschlossen, daß sich die Bundesländer beteiligen. Da warten wir doch bei einigen Bundesländern noch auf eine klare Aussage. Das alles ist vorgetragen und beschlossen worden. Wer diese Schlüsse nicht zieht, der nimmt einfach von den Realitäten keine Kenntnis.
Ein letztes Wort. Wir haben zur Zeit der sozialliberalen Regierung noch ein regionales Strukturförderungsprogramm ausgedruckt - dies hat die neue Bundesregierung übernommen -, nämlich in die regionale Wirtschaftsförderung die Stahlregionenförderung aufzunehmen. Was heißt denn das: Förderung und Errichtung oder Erweiterung von gewerblichen Produktionsstätten bis zu 35 % aufgelaufener Förderungsquote, Förderung der Erschließungsmaßnahmen und ähnliche Dinge mehr? Wollen Sie denn wirklich allen Ernstes sagen, daß die Bundesregierung - weder die alte noch die jetzige
- für die Förderung der Stahlindustrie nichts getan hat? Das kann man doch allenfalls nur mit Zynismus sagen.
Deshalb würde ich Sie bitten, auf den internationalen Wettbewerb noch mehr zu achten. Wir werden, wenn die 35-Stunden-Woche durchgesetzt würde - ({7})
- Davon haben Sie doch keine Ahnung. Entschuldigen Sie bitte!
Wenn Sie glauben, daß Sie mit der 35-StundenWoche die Stahlkrise in Deutschland beheben können, dann entgegne ich Ihnen, daß Sie sie damit verschärfen, weil Sie nämlich die Lohnnebenkosten, die ohnedies in der europäischen Spitze liegen, entscheidend erhöhen werden, womit die Chancen für die Erhaltung der Arbeitsplätze auf Null zurückgeschraubt würden. Sie werden auch keinen -
Herr Abgeordneter, die fünf Minuten sind abgelaufen.
Ich danke Ihnen sehr.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von den 100 000, die heute hier in Bonn demonstrieren, kommen 10 000 aus dem Saarland. Aber auch in Saarbrücken wird demonstriert. In den Saarwiesen veranstalten die christlichen Gewerkschaftler eine Kundgebung unter dem Motto: „Unser Saarland braucht Kohle und Stahl".
Wer in diesem Saal verspürt nicht ein Gefühl der Solidarität mit den Betroffenen und ihren Familien an allen Stahlstandorten! Das Motto „Unser Saarland braucht Kohle und Stahl" zeigt wie durch ein Brennglas das Dilemma eines ganzen Bundeslandes, dessen Wirtschaft auf wenige Zweige aufgebaut ist.
Die ursprünglich für den heutigen Tag angesetzte Kohlerunde ist verschoben worden. Man liest in der Presse, die Bundesregierung benötige noch Zeit für eine vertiefte Vorbereitung im Sinne eines größeren Engagements. Da der Zusammenhang zwischen Kohleabsatz und Stahlsituation offenkundig ist, kann jeder erahnen, was auf das Saarland zukommt, wo wir uns doch im fünften Jahr der Stahlneuordnung befinden und schon 9 000 Stahlarbeitsplätze verloren haben. Schuldzuweisungen lösen die Probleme nicht.
Die Bereiche Kohle und Stahl sind Aufgaben von nationaler Bedeutung. Ein Industriestaat wie die Bundesrepublik ohne eigene Stahl- und Energieversorgung ist undenkbar. Hierin liegt letztlich die politische Rechtfertigung für die Initiativen zugunsten unserer Montanindustrie. Das haben alle Bundesregierungen bisher so gesehen. So ist es einfach
Müller ({0})
unwahr, wenn behauptet wird, die jetzige Bundesregierung ließe die Stahlarbeiter und die Bergleute hängen. Das Gegenteil ist der Fall.
Der Wirtschaftsminister hat im Mai dieses Jahres ein Gutachten bei den Professoren Kopp und Gudenau aus Aachen mit dem Ziel in Auftrag gegeben, das bisherige Konzept von Arbed-Saarstahl nochmals eingehend kritisch auf weitere Rationalisierungspotentiale zu prüfen. Die Gutachter sagen, im Prinzip sei das Konzept wettbewerbsfähig und aussichtsreich;
({1})
durch noch nicht berücksichtigte Rationalisierungsmaßnahmen könne das Konzept noch verbessert werden. - Genau das ist der Auftrag an die Geschäftsleitung von Arbed-Saarstahl, bis Mitte Oktober eine Vorlage zu machen, die aussagt, wie es ab 1985, wenn laut EG-Beschluß keine Subventionen mehr gewährt werden dürfen, weitergehen soll.
({2})
Von hieraus geht auch mein Appell an die Geschäftsleitung, im Interesse einer gesamten Region und ihrer Menschen nach den gewaltigen Anstrengungen der letzten Jahre - darüber sind wir uns doch sicherlich einig, Kollege Hoffmann - ein konsensfähiges Konzept vorzulegen.
({3})
Man steht im Saarland vor einer der schwersten Belastungsproben seiner sicher nicht von Turbulenzen freien Geschichte. Ich sage hier diesen Satz ohne jedes Pathos. Ohne schmerzliche Schritte wird es nicht gehen, Kollege Hoffmann.
Es ist unabdingbar, in jeder nur möglichen Art und Weise die sozialen Folgen abzufedern. Dies ist der Solidaritätsauftrag an die politisch Handelnden. Das ist doch kein Brechen des Restrukturierungsvertrages, wie Sie es hier sagen, Kollege Hoffmann.
Im übrigen darf ich Sie daran erinnern, daß Ihr Landesvorsitzender Lafontaine vor Jahren schon überhaupt kein Geld mehr in die Stahlindustrie geben wollte. Wenn wir so verfahren wären, wäre die Katastrophe an der Saar viel früher eingetreten.
({4})
Wir wollen sie ja gerade abwenden. Merken Sie sich das bitte auch einmal.
({5})
Das ist der Stand der Diskussion.
Die Professoren Kopp und Gudenau schließen ihr Gutachten mit einer grundsätzlichen Aussage:
Wenn die Marktbedingungen, unter denen die Erzeugnisse von Arbed-Saarstahl vertrieben werden, heute in Europa nicht gleichgewichtig sind, kann das weder durch eine geänderte Konzeption noch durch andersgeartete Anpassungsmöglichkeiten ausgeglichen werden.
Die Marktbedingungen in Europa - das ist der springende Punkt. Hier hat die Bundesregierung jede Unterstützung unsererseits zur Herstellung dieser gleichgewichtigen Marktbedingungen.
Diesem Ziel dient ja unter anderem auch die Klage der Bundesregierung beim Europäischen Gerichtshof. Wir sollten die Bundesregierung auf diesem Weg unterstützen: festzustellen, wie es denn sonstwo mit den Subventionen bestellt ist, wie es sonstwo mit dem Kapazitätsabbau steht, wobei es letztlich um den traditionellen deutschen Produktionsanteil beim Stahl in Europa geht.
Ich glaube, die Festigkeit der Bundesregierung hat ihre Wirkung in Brüssel nicht verfehlt. Die deutsche Stahlindustrie darf nicht ein Opfer europäischer Unzulänglichkeiten werden.
Wenn wir weiterhin eine deutsche Stahlindustrie wollen - das wollen wir doch wohl alle -, muß geholfen werden. Dazu ist die Bundesregierung bereit. Bisher hat dabei keine Bundesregierung das Saarland im Stich gelassen. Wir hoffen, daß dem weiter so sein wird. - Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Herr Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Bitte.
Minister Dr. Jochimsen ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit der letzten Aktuellen Stunde ist die Lage der Stahlindustrie noch schwieriger geworden. Sie ist wirklich gründlich verfahren. Hier ist das Handeln, nicht das Abwarten der Bundesregierung gefordert.
({1})
Nordrhein-Westfalen hat am 10. Juni 1983 dem Bund einen Burgfrieden angeboten, damit die Bundesregierung in Brüssel die Interessen der deutschen Stahlarbeitnehmer entschieden vertreten kann. Auch hier ist die Lage auf bestürzende Weise noch sehr viel schwieriger geworden, ja sie ist sogar extrem explosiv. Die Fülle der Klagen, so notwendig sie sind, sind doch nur das Wetterleuchten eines Chaos in Europa.
({2})
Die Stahlarbeiter, die heute für ihre Interessen eintreten, wissen, daß nicht alle Stahlarbeitsplätze werden erhalten werden können. Dieser Realismus der Arbeitnehmer und der Industriegewerkschaft Metall sollte auch ein Maßstab für Aufrichtigkeit und Offenheit in unserer stahlpolitischen Debatte sein.
({3})
Deshalb nochmals: Nordrhein-Westfalen unterstützt weiterhin den Bund bei seinem Bemühen in Brüssel. Unser Burgfrieden gilt, und er kann halten. Wir erwarten dann aber auch, daß die Bundesregierung bei ihren eigenen Ankündigungen tatsächlich bleibt. Wir wollen die Unternehmen und die mitbestimmten Aufsichtsräte nicht zu Fusionen oder Kooperationen zwingen, die sie nicht wollen. Die BunMinister Dr. Jochimsen ({4}) desregierung hat auch heute nochmals bekräftigt, daß sie bei dieser Linie bleiben wird. Das heißt aber gleichzeitig, daß die Regierung die Maßstäbe, unter denen sie die Hilfen anbietet, klar darlegen muß - Maßstäbe wettbewerbspolitischer, industriepolitischer, beschäftigungs- und regionalpolitischer Art.
Wir sind uns auch einig, daß die Zeit drängt. Ich wiederhole nochmals ganz ernst, was ich vor fast vier Monaten an dieser Stelle ausgeführt habe: Vom Bund muß in dieser Situation verlangt werden, daß er das Zusammengehen von Thyssen und Krupp, auf das er sich an Hand des Moderatorenberichts voreilig festgelegt hat - was j a nun die verdienten Zensuren durch die Monopolkommission erfahren hat -, jetzt tatsächlich zustande bringt, auch wenn er das gegen das Land tut. Konsequenterweise muß der Bund dann aber auch die anderen Unternehmen so fördern, daß sie die durch Thyssen/Krupp entstehende Wettbewerbsverzerrung auch auszuhalten vermögen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Burgmann.
Meine Damen und Herren, es ist hier vorhin sehr formal argumentiert und sich darüber aufgeregt worden, daß Herr Lambsdorff nicht hier ist. Ich glaube, die Position von Herrn Lambsdorff ist ja ziemlich klar. Die Regierung hat kein Konzept, sagt er, und wird in Sachen Stahlkrise kein Konzept vorlegen. Das bedeutet, daß wir eine Lösung im unternehmerischen Sinne bekommen, konkret also, daß der Staat mit über 3 Milliarden DM die Vernichtung von wahrscheinlich über 35 000 Arbeitsplätzen finanzieren muß. Der Staat und die Gemeinschaft werden darüber hinaus zusätzlich die Arbeitslosen finanzieren, die ganzen sozialen Folgeschäden, die damit verbunden sind, auch mit dem Streß, mit der Belastung in der Stahlindustrie. Der Staat wird auch die ökologischen Folgekosten tragen müssen. Das bedeutet - und hier liegt ein Grundproblem -: wir werden, wenn wir die ganzen Folgeschäden nicht in eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einbringen können, niemals zu einer echten und langfristigen Lösung in der Stahlkrise und in der Werftenkrise kommen.
({0})
Hier müssen unbedingt die Folgekosten, die durch Arbeitslosigkeit, durch Krankheit entstehen, und die ganzen ökologischen Folgeschäden mit eingehen. Das läßt sich eben in einer privatwirtschaftlichen Lösung nicht darstellen, Herr Grünbeck, und hier liegt das Problem, worum eben hier andere Formen der Krisenlösung gefunden werden müssen, die es ermöglichen - ({1})
- Nein, wir wollen nicht verstaatlichen, Herr Kollege, sondern wir wollen eine Vergesellschaftung,
({2})
in der die Betroffenen selber bestimmen können, wie ihre Krise gelöst werden soll,
({3})
in der sie selber mit entscheiden können. Dazu haben sie gerade jetzt bei der Besetzung der Werften eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht und gezeigt, daß sie in der Lage sind, konkrete Vorschläge, Lösungsvorschläge zu machen. Unser Ziel muß es sein, daß sie auch diese Vorschläge in unsere Verhandlungen einbringen können.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Sauer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir dürfen bei der Stahlproblematik wohl nicht nur die RheinRuhr-Schiene sehen, Herr Minister Jochimsen, sondern wir müssen auch einmal den Blick auf die niedersächsischen Unternehmen richten, auf Georgsmarienhütte und insbesondere auf das Unternehmen, das im hundertprozentigen Besitz des Bundes ist und im Zonenrand liegt: auf die Stahlwerke Peine-Salzgitter.
({0})
- Ich habe von niedersächsischen Unternehmen gesprochen.
Dazu drei Bemerkungen. Erstens. Ich stimme mit der IG Metall darin überein, daß wir beim Stahl nicht nur mit marktwirtschaftlichen Mitteln arbeiten können. Ich stimme mit der IG Metall ferner darin überein, daß wir endlich einmal ein Papier erwarten dürften von den hochbezahlten Managern in der Stahlindustrie.
({1})
- Entschuldigen Sie, Sie haben doch Ihre eigenen Kollegen in den Vorstandsetagen drin, Herr Roth.
({2})
In diesem Zusammenhang lassen Sie mich aber auch eines deutlich sagen auf Grund der Flugblätter, die in Peine und Salzgitter von den GRÜNEN, Herr Stratmann, und auch von der IG Metall verteilt worden sind: Auch an diesem Beispiel des staatlichen Unternehmens Peine-Salzgitter wird deutlich, daß nicht mehr Stahl verkauft werden kann, wenn der Markt es eben nicht zuläßt.
({3})
Zweitens. Ziehen wir doch bitte, Herr Stratmann, die gesamte Stahlproblematik hier nicht in ein Parteiengezänk hinein, z. B. mit den nicht sauberen und unwahren Behauptungen, diese Bundesregierung sei gegen den Stahlstandort Peine eingestellt.
({4})
Auch die Opposition, die SPD, Herr Kollege Roth, wirkt hier im Hause und draußen in der Debatte nicht glaubwürdig, wenn sie der Bundesregierung, insbesondere dem Bundeswirtschaftsminister, stän1662
Sauer ({5})
dig Vorwürfe macht wegen Versäumnissen, Herr Kollege Roth, während Sie Ihren Vorgänger, der über zehn Jahre lang für die Wirtschaftspolitik der SPD hier in Bonn zuständig war, den Kollegen Junghans, der darüber hinaus im Salzgitter-Konzern besondere Verantwortung trägt, schont und versteckt; ich hoffe, nicht in Absprache mit der IG Metall und den örtlichen Betriebsräten.
({6})
- Herr Kollege aus Recklinghausen, der Kollege Junghans hat vor jeder Schülerbesuchergruppe, die ich hier gehabt habe, besonders betont, daß er hier in der Parlamentarischen Gesellschaft in Bonn die Wirtschaftsgespräche zwischen SPD und FDP leite. Dann soll man auch auf die eigenen Versäumnisse hinweisen. Das wäre ehrlich und sauber.
({7})
Herr Kollege, ich halte es für einen völlig falschen Weg, die Bundesregierung anzugreifen, wie das in Salzgitter oder Peine Herr Ball und das IGMetall-Vorstandsmitglied Herr Benz es getan haben - mein Kollege Nelle war dabei -, und gleichzeitig den Wirtschaftsminister zu bitten, bei den Gesprächen in Brüssel und in Bonn beteiligt zu werden und dabei ein volles Mitspracherecht zu haben.
Die dritte Bemerkung: Wir stehen hier im Hause vor der Änderung des Stahlinvestitionszulagengesetzes. Bitte helfen Sie doch alle mit, daß dieses Stahlwerk im Zonenrandgebiet durch unsere Gesetzgebung auch wirklich alle staatlichen Förderungsmaßnahmen in Anspruch nehmen darf und nicht durch eine quasi 30 %-Klausel eine erneute Benachteiligung im Wettbewerb erfährt.
Diesen Appell richte ich ebenso an den Bundesminister der Finanzen auf dieser Seite wie an Herrn Jochimsen auf der Bundesratsseite als dem SPD-Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen. Ich appelliere an die Solidarität unserer Kollegen im Finanzausschuß, im Wirtschaftsausschuß und insbesondere auch im Haushaltsausschuß. Ich bitte um Solidarität mit den Kollegen in Peine und Salzgitter.
({8})
Das Wort hat der Kollege Stockleben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Sauer, so mache ich es nicht, nämlich erst an die Solidarität zu appellieren, dann zu erklären, man solle kein Hickhack machen, dann persönliche Diffamierungen gegenüber meinem Bundestagskollegen Junghans auszusprechen. Das paßt nicht zueinander.
({0})
Herr Sauer, ich sage Ihnen folgendes. Hier ist nicht das Handeln von einzelnen Managern gefordert, hier ist die Bundesregierung gefordert.
({1})
Die Bundesregierung fordert seit Wochen Gott und die Welt auf - die Arbed Saarstahl, Hoesch, die Maxhütte, Salzgitter -, übergreifende Gespräche miteinander zu führen und übergreifende Lösungen zu finden. Wissen Sie, wozu das führen kann? Dies führt dazu, daß Peine und Salzgitter gefährdet sind. Wenn nämlich der Stahlstandort Peine gefährdet ist, dann ist morgen Salzgitter gefährdet. Dieser Konzern war für diese Koalition nie ein geliebter Konzern.
Wenn Sie das Management angreifen, sage ich Ihnen: Dieser Konzern hat die modernsten Anlagen. Die Verluste in Peine sind nicht deswegen so hoch, weil das Management schlecht ist, sondern weil die Quoten abgesenkt sind. Erst die letzten Quoten haben dazu geführt, daß fast eine ganze Produktion wie die in Peine ausfällt. Allein die niedrige Quotierung führt dazu, daß die Verluste in Peine und Salzgitter so hoch sind.
({2})
Dies ist die Wahrheit. Wir erwarten, daß der Wirtschaftsminister endlich einmal mit ordnender Hand in Brüssel eingreift. Aber er ist ja noch nicht einmal hier in der Aktuellen Stunde anwesend.
Ich glaube, daß diese Verluste, wie sie in Peine und Salzgitter auftreten, selbstverständlich den Stahlstandort Peine in Gefahr bringen. Das sehen wir. Ich möchte von dieser Bundesregierung hier und heute eine Zusage haben, wie sie der damalige Bundesfinanzminister für den Raum Peine und Salzgitter und auch für die Maxhütte gegeben hat. Mein Kollege Matthöfer hat die Zusage gegeben, daß diese Stahlstandorte erhalten bleiben. Diese Zusage, die neulich auch Frau Breuel gegeben hat, erwarte ich heute hier auch vom Bundesfinanzminister.
({3})
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort. Die Stahlarbeiter, die heute nach Bonn kommen, wollen kein Hickhack. Sie erwarten aber von uns, nachdem sie sich in Salzgitter erfolgreich gegen eine Demontage nach dem Krieg gewehrt haben, daß wir als Politiker genauso nicht mit Polemik, sondern mit Sachargumenten versuchen, ihnen und ihren Familien zu helfen. Ich meine: Wenn die Bundesregierung schon den Aufschwung nicht schafft, sollte sie wenigstens verhindern, daß in Peine und Salzgitter, in dieser Zonenrandregion, ein tiefer Absturz erfolgt, der zu einer Arbeitslosigkeit führen könnte, die weit über 30 % liegt. - Schönen Dank.
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben in der Aktuellen Stunde noch sechs Minuten. Herr Kollege Borchert.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Übereinstimmung beginnen. Wie ein Zwischenruf von der Opposition zeigte, ist auch sie der Meinung, daß die jetzigen Konzepte um mindestens fünf Jahre zu spät kommen.
({0})
Wir sind der Meinung: Sie kommen um mindestens zehn Jahre zu spät. Es besteht aber auch kein Zweifel daran, wer damals den Kanzler stellte und wer die Mehrheit hatte. Das waren nicht wir.
Als ich dem Kollegen Urbaniak zuhörte, hatte ich den Eindruck, daß er in den letzten zehn Jahren nicht in der Regierungsfraktion, sondern auf den Bänken der Opposition gesessen hat. Wer hat denn verhindert, daß ein Stahlkonzept in dieser Zeit durchgesetzt wurde? Dies hat doch nicht die damalige Opposition verhindert.
Meine Damen und Herren, zur Redlichkeit dieser Debatte gehört auch, darauf hinzuweisen, daß gestern im Haushaltsausschuß mit den Stimmen der Fraktion der GRÜNEN und der SPD vier Punkte zur Situation der Stahlindustrie von der Tagesordnung abgesetzt wurden, weil keine neuen Fakten vorliegen. Ich habe gestern schon gesagt, welchen Zweck diese Debatte heute morgen haben soll, wenn gestern die Chance einer ernsthaften und intensiven Diskussion im Haushaltsausschuß nicht genutzt worden ist. Dies zeigt, daß es Ihnen heute morgen nicht um die Lösung der Probleme geht, sondern ausschließlich darum, die Demonstration heute zu einer politischen Show zu nutzen.
({1})
Meine Kollegen von der Opposition, Sie wissen von Ihren Berichterstattern über den Einzelplan 09, daß wir für die Mittel, die in der Stahlindustrie eingesetzt werden, sehr konkrete Beschlüsse fassen und gefaßt haben, um diese Mittel an bestimmte Umstrukturierungskonzepte zu binden. Wir werden im Haushalt 1984 die Stahlmittel qualifiziert sperren und die Freigabe von unternehmensübergreifenden Konzepten abhängig machen. Wer dann noch sagt, hier werde nicht jeder Versuch unternommen, um die Unternehmer an einen Tisch zu bringen und zu bewegen, endlich Konzepte vorzulegen, mit denen es gelingt, Kapazitäten abzubauen,
({2})
die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie wiederherzustellen, der ist entweder nicht richtig informiert, oder er will dies nicht erkennen.
Es ist selbstverständlich nicht Aufgabe des Staates, Herr Kollege Stratmann, Konzepte zur Umstrukturierung vorzulegen. Aber wir werden die Unternehmen mit den drei Milliarden DM, die wir in der Hinterhand haben und einsetzen können, dazu bewegen, Konzepte vorzulegen.
Lassen Sie mich noch eins sagen, Herr Minister Jochimsen. Ich meine, es ist für ein großes Land wie Nordrhein-Westfalen nicht ausreichend, nur wieder
darauf hinzuweisen, daß Sie die Fusion Krupp/ Thyssen ablehnen und offensichtlich nach wie vor an der längst gescheiterten Fusion Hoesch/Krupp festhalten. Es reicht nicht aus, als Beitrag Nordrhein-Westfalens zur Umstrukturierung der Stahlindustrie darauf hinzuweisen, daß das Land nicht bereit ist, sich mit 50 % an den Mitteln zu beteiligen. Hier muß auch von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen erwartet werden, daß sie mit weitergehenden Vorschlägen an die Öffentlichkeit tritt und mithilft, die schwierige Situation in der Stahlindustrie zu meistern.
Ich bin sicher, daß es der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen mit den eingeleiteten Maßnahmen und mit den Mitteln, die sie im Haushalt 1983 und 1984 eingesetzt haben, gelingt, erste Schritte für eine Neustrukturierung der Stahlindustrie einzuleiten. Die Fusion Thyssen/Krupp, der sicherlich noch Schwierigkeiten entgegenstehen, wird, wenn sie zustande kommt, mit dazu beitragen, daß auch die Bereitschaft in den anderen Unternehmen wächst, Kooperationen einzugehen und damit neue Strukturen zu schaffen, mit denen es gelingt, die Stahlprobleme zu lösen. - Danke sehr.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Daß ausgerechnet der im Handbuch des Bundestages als Landwirt ausgewiesene Herr Borchert von einer Show-Veranstaltung anläßlich eines Tages der Demonstration der Stahlarbeiter redet, ist reichlich makaber.
({0})
Er sollte als Bochumer wissen, daß das existenzielle Sorgen sind, die Menschen umtreiben, und er sollte nicht so darüber reden.
Alles, was es heute an positiven Elementen in der Stahlpolitik in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt gibt, ist bis zum Herbst des vorigen Jahres auf den Weg gebracht worden: das Investitionshilfegesetz, das Investitionszulagengesetz für Stahlstandorte, die unverzichtbare und fortzuführende soziale Flankierung und die Verabredung und Vereinbarung über die Einhaltung von Preisdisziplin. Das ist bis zum Herbst des vorigen Jahres auf den Weg gebracht worden.
Dann fehlte in der Tat ein wichtiger Punkt. Wir haben im Herbst des vorigen Jahres und in der Zeit danach den damaligen und derzeitigen Bundeswirtschaftsminister gedrängt, das Ganze zu ergänzen und in eigene Vorstellungen der Bundesregierung über die Neuordnung der Stahlindustrie einzubetten. Damals hat er das abgelehnt, heute lehnen er und die ganze Bundesregierung das weiter ab, und das ist die eigentliche Krux.
({1})
Es ist eine Zumutung, zu sagen: Die Unternehmen
der Stahlindustrie sollen sich gemeinsam darüber
verständigen, an welchen Stellen etwas bleibt, wieviel bleibt und an welchen Stellen abgebaut wird. Das können Unternehmensvorstände überhaupt nicht. Sie sind nach dem Aktiengesetz verantwortlich, die Interessen des eigenen Unternehmens zu wahren und nicht die Interessen des zweiten und dritten Unternehmens voranzustellen.
({2})
-Deswegen ist es so unverschämt, einem Vorstandsmitglied eines Unternehmens, dem Kollegen Junghans hier aus diesem Hause, Vorhaltungen zu machen, weil er nicht den Plan für die Neuordnung der Stahlindustrie auf den Weg gebracht hat.
({3})
Diese Bundesregierung ist nicht bereit, nicht willens und nicht fähig, eigene Vorstellungen über die Neuordnung der Stahlindustrie auf den Weg zu bringen.
({4})
Sie steht im Grunde ganz allein. Herr Lammert, ich lobe Sie. Sie haben im Januar und im September dieses Jahres im Wirtschaftsausschuß Lambsdorff und die Regierung heftigst kritisiert, weil diese Vorstellungen über die Neuordnung der Stahlindusrie fehlen und nicht kommen. Herzlichen Dank dafür.
({5})
- Ich verstehe das. Deswegen habe ich ihm geholfen, damit er in Bochum Ansehen gewinnt.
({6})
Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie fordert das, die Monopolkommission fordert das, sogar der Verband der Führungskräfte, Union der Leitenden Angestellten, fordert das, die CDU fordert das im Wirtschaftsausschuß.
Die GRÜNEN haben vor zwei Wochen im Wirtschaftsausschuß gesagt: Mit dieser Großtechnologie der Bundesrepublik Deutschland haben wir überhaupt nichts im Sinn, deshalb ist es nur recht und billig, daß die Gebühren für die Hermes-Kredite stark erhöht werden. Das interessiert uns überhaupt nicht.
({7})
Sie haben zusammen mit der CDU gegen die Wirtschaft an der Ruhr gestimmt,
({8})
und heute wollen Sie sich hier als Interessenvertreter der Arbeitnehmer an der Ruhr aufspielen. Das müssen Sie in die Reihe bringen.
({9})
Ich muß Ihnen ganz offen sagen, daß Ihre Politik nach einem Jahr vor dem Trümmerhaufen steht.
In Brüssel kommen deutsche Interessen unter den Schlitten. Da brauche ich gar nicht den „Vorwärts" zu zitieren, sondern Peter Hort sagt dazu in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung":
Nun rächt es sich bitter, daß der Wirtschaftsminister seit Jahren auf den Brüsseler Ratssitzungen mit dem nötigen Nachdruck nicht die deutschen Interessen vertreten hat. An starken Worten hat er es zwar selten fehlen lassen, aber schließlich doch klein beigegeben.
({10})
- Das stand Mitte September dieses Jahres in der FAZ.
Wenn die Regierung darauf verzichtet, diese Vorstellungen an den Tag zu legen, durchzusetzen, dann bedeutet Laisser-faire-Politik das Desaster. Bei der großen Demonstration in Oberhausen hat das jemand richtig beschrieben: Ganz still wurde es im weiten Rund der 12 000 Demonstranten, als der katholische Stadtdechant Gregor Rehne an die einst blühende Wiege der Ruhrindustrie erinnerte und mahnte: „Eine Wiege, die leersteht, ist ein Zeichen der Zukunfts- und Hoffnungslosigkeit."
Man darf daran erinnern, daß der Sturz Ludwig Erhards seinerzeit durch schwarze Fahnen an der Ruhr eingeleitet worden ist. Herr Kohl soll diese Mahnung von vor 20 Jahren gut in Erinnerung behalten.
({11})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Nach § 30 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Junghans das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich gezwungen, die diffamierenden Äußerungen des Abgeordneten Sauer aufs schärfste zurückzuweisen, da sie unsachlich sind und nicht den Tatsachen entsprechen. Entweder hat sich Herr Sauer vor dieser Debatte nicht sachkundig gemacht, oder er hat hier wider besseres Wissen gegen mich geredet. - Schönen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 bis 5 auf:
3. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Schmidt ({0}), Bachmaier, Dr. Emmerlich, Fischer ({1}), Klein ({2}), Dr. Kübler, Lambinus, Schröder ({3}), Stiegler, Dr. de With, Dr. Schwenk ({4}) und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ({5})
- Drucksache 10/119 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({6})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Präsident Dr. Barzel
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ({7})
- Drucksache 10/318 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({8})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
4. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes ({9})
- Drucksache 10/272 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
5. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches
- Drucksache 10/307 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({10})
Finanzausschuß
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist verabredet worden, die Tagesordnungspunkte 3 bis 5 in verbundener Beratung zu behandeln und für die Beratung eine Stunde vorzusehen. Ist der Bundestag damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Als erster Redner hat der Kollege Schmidt ({11}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst dem Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zuwenden. Dieses Gesetz stand in diesem Haus schon einmal zur Debatte. Es ist von Minister Schmude eingebracht worden, und es ist sozusagen eines der vielen „Wendeopfer" geworden. Wir haben es wieder aufgenommen, um es - nachdem es der Diskontinuität verfallen war - wieder ins Plenum zu bringen. Ich begrüße ausdrücklich, daß auch die jetzige Bundesregierung dieses Gesetz wieder eingebracht hat.
Durch die Tatbestände, die gegen den Computer-und Kapitalanlagenbetrug, die Fälschung gespeicherter Daten sowie das Veruntreuen von Arbeitsentgelten gerichtet sind, kann kriminelles Unrecht in diesem Bereich wirksamer bekämpft werden. Ich möchte mich, da es zu diesen - unstrittigen - Themen schon einmal eine Debatte gegeben hat, gleich den strittigen Punkten zuwenden.
Wir Sozialdemokraten wollen zwei zusätzliche Strafvorschriften in diesem Gesetz haben, deren Einführung seinerzeit am Widerstand der FDP gescheitert ist, nämlich Strafvorschriften gegen den Ausschreibungsbetrug und gegen die illegale Arbeitnehmerüberlassung.
({0})
Ich möchte zuerst zum Ausschreibungsbetrug kommen. Worum geht es dabei? Die öffentliche
Hand oder auch die Industrie machen für Großbauten wie Schwimmbäder, Straßen, Industrieanlagen oder Schulen eine Ausschreibung. Die interessierten Firmen können sich das Ganze ansehen und Gebote abgeben. Die Idee ist, daß derjenige, der das geringste Gebot abgibt, den Zuschlag erhält.
In der Praxis sieht das leider Gottes ganz anders aus. Da gibt es sehr elegante Herren, die ein wirksames System zu Lasten des Staates und damit zum Nachteil der Steuerzahler und auch zum Nachteil der Industrie praktizieren. Die an einem ausgeschriebenen Bauvorhaben interessierten Firmen setzen sich zusammen und handeln aus, wer den Auftrag bekommen soll. Die ausgewählte Firma macht dann ein sogenanntes Null-Angebot zu einem sehr hohen Preis. Die übrigen Firmen geben überhaupt keine Angebote ab oder Angebote mit weit über den tatsächlichen Kosten liegenden Phantasiepreisen. Der so erzielte Mehrerlös wird dann entweder aufgeteilt, indem man sich gegenseitig fingierte Rechnungen schreibt, oder aber diejenigen, die diesmal nicht zum Zuge kommen, dürfen darauf hoffen, beim nächsten Mal auf dies Art und Weise lukrativ berücksichtigt zu werden.
({1})
Ein besonders drastisches Beispiel, wie das Ganze vor sich geht, können wir dem „Spiegel" dieser Woche entnehmen. Dort heißt es, daß bei einem Holländer namens Piet Hofmann im Oktober 1982 40 Mappen sichergestellt wurden, aus denen sich Betrügereien dieser Art in Milliardenhöhe ergeben. Nach einer Untersuchung des Instituts für Management und Verwaltung in Berlin werden durch diese kriminellen Machenschaften Mehrerlöse von durchschnittlich 11 % des Auftragsvolumens erzielt. In Einzelfällen gehen diese Mehrerlöse aber weit darüber hinaus. Beispielsweise wurden beim U-Bahn-Bau in München erhöhte Forderungen von 54,7 % gestellt und in Frankfurt - ebenfalls beim U-Bahn-Bau - gar von 84 %. Der Schaden der öffentlichen Hand allein im Jahre 1980 wird auf 5,4 Milliarden DM veranschlagt.
({2})
Dieses Geld fehlt dann für andere dringend notwendige Objekte.
Dabei wird aber nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch die Industrie begaunert. Durch Listen, die der gefeuerte Kalkulator der Allgäuer Baufirma Kunz den bayerischen Behörden übergab, wissen wir, daß auch so bekannte Firmen wie Daimler-Benz, die Klöckner-Werke, Aldi und Eduscho und AEG-Telefunken um erhebliche Beträge betrogen wurden.
({3})
Bei aller Schwierigkeit, die ungerechtfertigten Mehrerlöse exakt zu ermitteln, dürfte der jährliche Schaden, der der öffentlichen Hand und den Privaten dadurch entsteht, mit 7 Milliarden bis 8 Milliarden DM nicht zu hoch angesetzt sein.
Das von mir bereits zitierte Institut für Management und Verwaltung geht davon aus, daß der Zu1666
Schmidt ({4})
schlag praktisch auf jede zweite Ausschreibung mit einem so manipulierten Angebot entfällt. Man kann bei diesem Umfang dann auch nicht mehr sagen, daß es sich dabei nur um ein paar schwarze Schafe handelt, die es sicherlich in allen Bereichen gibt. Auch aus den bei Piet Hofmann gefundenen Unterlagen sowie aus früheren Bußgeldbescheiden des Bundeskartellamtes wissen wir, daß die größten deutschen Baufirmen - ich nenne sie hier ausdrücklich mit Namen - wie Philipp Holzmann, Bilfinger + Berger, Dyckerhoff & Widmann, die STRABAG sowie rund 200 andere ebenso in diesen Skandal verwickelt sind.
Klarer Fall von Betrug, wird jeder Normalbürger sagen, wenn er von einem so gigantischen Baupreiskartell erfährt. Weit gefehlt! Nach geltendem Recht können die Täter kaum bestraft werden. Obwohl die Kartellbehörden schon viele hundert Absprachen aufgedeckt haben, gibt es in der Bundesrepublik noch nicht eine einzige strafrechtliche Verurteilung eines Baulöwen, der sich zu Lasten der Allgemeinheit auf diese Art und Weise bereichert hat.
Nachdem Frau Minister Rüdiger dies im Bundesrat gesagt hatte, haben sich die unionsregierten Länder aufgeregt auf die Suche nach einer Verurteilung gemacht. Sie sind auch fündig geworden. Sie haben sage und schreibe eine Anklageschrift gefunden - eine Anklageschrift, nicht etwa eine Verurteilung. Ich vermute - wenn es den Gepflogenheiten des Hauses nicht widersprechen würde, würde ich hier eine Wette anbieten -, daß es diesem Verfahren genauso ergehen wird wie allen früheren: Es wird eingestellt, oder es erfolgt ein Freispruch.
Der über 100 Jahre alte Tatbestand des Betruges erfaßt diese Machenschaften nicht, weil weder Kartellbehörden noch Staatsanwaltschaften, noch Gerichte in der Lage sind, solche Bauvorhaben zu kalkulieren und den eingetretenen Schaden exakt festzustellen. Der eingetretene Vermögensschaden ist nun aber einmal einer der Tatbestandsvoraussetzungen des Betruges.
Deshalb wird heute ein Bauunternehmer, der dem Staat hohen Schaden zufügt, rechtlich genauso behandelt wie einer, der an einer abgelaufenen Parkuhr sein Auto stehen läßt. Er bekommt ein Bußgeld, das in diesem Fall zugegebenermaßen höher ist als die 10 DM für den Autofahrer, aber diese höheren Bußgelder werden aus der linken Tasche gezahlt; sie werden in vielen Fällen sogar schon bei der Abgabe des einzigen Gebots, das dann angenommen wird, einkalkuliert. Der Clou bei der ganzen Geschichte ist, daß diese Bußgelder auch noch steuerlich absetzbar sind, so daß aus einem Bußgeld in Höhe von 1 Millionen DM plötzlich ein Bußgeld von 300 000 DM wird.
Der Abschreckungseffekt dieser Bußgelder ist so „eminent", daß, während die Kartellbehörden solche Bußgelder schon verhängt haben, die Kartellbrüder lustig weitertagten und wahrscheinlich nicht einmal über die Bußgelder geredet haben, weil es sich da ohnehin nur um ein Taschengeld gehandelt hat, daß sie weiter nicht aufgeregt hat.
Fußend auf einer Vorlage des Landes Hessen hat die SPD eine Vorlage eingebracht, nach der der Ausschreibungsbetrug bestraft werden soll. Im Rechtsausschuß des Bundesrats hat es eine Mehrheit für eine solche neue Bestimmung des Ausschreibungsbetruges gegeben; der Bundesrat hat dies nichtsdestoweniger abgelehnt.
Es ist ja auch nicht so, daß nur aus der SPD heraus Forderungen kommen, daß der Ausschreibungsbetrug tatbestandsmäßig erfaßt werden muß. Auch der Senator Dr. Scholz hat im Bundesrat folgendes gesagt - ich zitiere ihn nur deshalb, damit Sie, meine Damen und Herren, auch einmal eine Stimme von der anderen Seite dazu hören, nämlich von Ihrer -:
Der Ausschreibungsbetrug kennzeichnet ein breites Feld vor allem kartellrechtlich relevanter Verhaltensweisen, ohne daß diesen nach geltendem Strafrecht in einer kriminalpolitisch wirksamen Weise entgegengetreten werden könnte. Es gibt Branchen, es gibt Wirtschaftsbereiche, in denen der Ausschreibungsbetrug durchaus üblich oder doch häufig geworden ist. Und dies - wie ich fürchte - im Wissen auch des Umstandes, daß von staatlicher bzw. von kriminalpolitischer, Seite grundsätzlich mit keinen, zumindest mit keinen wirksamen Sanktionen gerechnet werden muß.
Er fordert dann, daß der Betrugstatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen wird.
Es gibt natürlich auch Rechtfertiger solcher Praktiken. Dazu gehört der Präsident des Verbandes der Deutschen Bauindustrie, Herr Herion, der diese Aktionen als sogenannte Notwehrreaktion auf die Situation des Marktes bezeichnet hat. Selbst „Die Welt", sicher sozialistischer Umtriebe nicht verdächtig, hat einer solchen Darstellung mit Entschiedenheit widersprochen.
Es gibt aber noch jemanden, der sie mit Nachdruck verteidigt. Es ist der selbsternannte Gralshüter der Marktwirtschaft, Graf Lambsdorff, der seit Jahren die Leute, die sich hier am Markt vorbei Vorteile verschaffen, davor bewahrt, daß sie einer Bestrafung zugeführt werden. Vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, die Sie bei den Kleinen immer so schnell dabei sind, von Mißbrauch und von allen möglichen anderen Dingen zu reden und dagegen vorzugehen, muß ich fragen, warum Sie sich hier, wo die Gesellschaft in einem Riesenumfang begaunert wird - im übrigen macht das, was der öffentlichen Hand dadurch verlorengeht, das Mehrfache dessen aus, was Sie beim Mutterschaftsgeld einsparen können -, weigern, endlich zuzuschlagen.
({5})
Ähnlich sieht es aus, wenn es um die Verleihung von Arbeitnehmern geht. Nach gesicherten Schätzungen werden heute zirka 200 000 Arbeitnehmer in der Bundesrepublik von illegalen Verleihern beschäftigt. Nach der geltenden Rechtslage darf nur derjenige Arbeitnehmer verleihen, der im Besitz einer behördlichen Genehmigung ist. Mit dieser Genehmigung sollten die schlimmsten Auswüchse der
Schmidt ({6})
Leiharbeit verhindert werden. Es gibt jedoch auch eine große Zahl von Verleihern, die ohne Genehmigung arbeiten. Im Grunde genommen sind die Bußgelder, die dafür verhängt werden, so gering, daß jeder dumm ist, der die Genehmigung einholt; denn es ist erheblich billiger, günstiger und auch nicht mit dem Makel des Strafrechts belastet, wenn man Arbeitnehmer illegal verleiht und der öffentlichen Hand damit erhebliche Beträge entzieht.
Die illegale Arbeitnehmerüberlassung ist in einem hohen Maße sozialschädlich. Da die Arbeitnehmer unter der Hand verliehen werden, hat der Staat keine Möglichkeiten, die auf die Löhne entfallenden Steuern zu erheben. Die Sozialversicherungskassen gehen leer aus. Sie verlieren Beiträge in Millionenhöhe. Vorhandene Arbeitsplätze in der Bundesrepublik werden durch diese illegal überlassenen Arbeitnehmer blockiert. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit bedeutet dies zusätzliche Ausgaben für Arbeitslose.
Schließlich beeinträchtigt diese illegale Arbeitübernehmerüberlassung auch den fairen Wettbewerb. Skrupellose Geschäftemacher erzielen preisliche Vorteile auf Kosten der anständigen Teilnehmer am Wettbewerb, da sie auf Grund der geringen Löhne und ersparten Sozialabgaben billiger produzieren können.
Obwohl diese illegale Überlassung Schäden in Millionenhöhe zu Lasten der Allgemeinheit verursacht, werden die Verantwortlichen, sofern sie überhaupt erwischt werden, lediglich zu einem Bußgeld herangezogen. Die Bußgeldbescheide werden, wie gesagt, mit einem kühlen Lächeln bezahlt. Die Verantwortlichen für solche Praktiken müssen mit den Mitteln des Strafrechts belangt werden können.
({7})
Die Weigerung der Rechtskoalition und der Bundesregierung, mit den Mitteln des Strafrechts gegen solche Leute vorzugehen, verwundert angesichts der Kampagne, die Herr Minister Blüm gegen die Schwarzarbeit angeleiert hat. Sie verwundert auch angesichts der ständigen Klagen über den Mißbrauch unseres sozialen Netzes. Wenn sehr wehrhafte Gruppen unser System schamlos ausnutzen, kneifen Sie. Wenn es um Schwächere geht, sind Sie sehr schnell bereit zuzuschlagen.
({8})
Ich möchte mich zum Abschluß noch der Frage der Verjährungsfristen und damit einer diesbezüglichen Vorlage des Bundesrates auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen zuwenden. Wir begrüßen in der Grundtendenz, daß die Verjährungsfristen verlängert werden sollen. Es geht hier vor allen Dingen darum, daß die Verjährungsfristen bei Vermögensdelikten im Bereich der Wirtschaftsstraftaten nicht ausreichend sind. Ich weiß sehr genau, daß man mit dem Instrument der Verfolgungsverjährung sehr sorgsam umgehen sollte. Es gibt auch einen Art. 6 der Straßburger Menschenrechtskonvention, der besagt, daß man die Verfahren sehr schnell abschließen soll.
Auf der anderen Seite möchte ich noch ein Zitat von Professor Tiedemann bringen:
Das Verfassungsgebot der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verlangt, daß nicht nur die relativ einfachen Formen der Primitivkriminalität, sondern auch versteckt und verdeckt angelegte Wirtschaftsbetrügereien zum Schaden der Allgemeinheit und der Verbraucher, der Konkurrenten und der Wettbewerbswirtschaft nachhaltiger als bisher bekämpft werden.
In Einzelfragen der Ausgestaltung können wir uns auch andere Lösungen vorstellen, die wir bei der Beratung im Rechtsausschuß vorbringen werden.
Zur Frage des Kreditwuchers, der hier ebenfalls in die Debatte gehört, wird mein Kollege Klaus Kübler sprechen.
Für die Fraktion der SPD beantrage ich die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 10/119 in den Rechtsausschuß und die anderen vom Ältestenrat vorgeschlagenen Ausschüsse und stimme ich auch der Überweisung der Entwürfe auf den Drucksachen 10/318 und 10/272 zu. - Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wirtschaftskriminalität und natürlich auch die gesetzgeberischen Bemühungen um ihre Eindämmung sind j a nicht ganz neu. Ich erinnere beispielhaft nur an Mißstände im Aktienwesen vor über hundert Jahren. Damals wurde ein Vielzahl von Kapitalanlegern geschädigt. Auf Grund einer Interpellation des nationalliberalen Abgeordneten Dr. Lasker kam es damals zu einer Novellierung des Aktienrechts, um, wie damals gesagt wurde, den „Ausschreitungen auf dem Gebiete des Aktienwesens" wirksam entgegentreten zu können, auch mit den Mitteln des Strafrechts.
Die seit den sogenannten Gründerjahren eingetretenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Veränderungen in allen Lebensbereichen haben die Herausbildung immer neuer Formen sozialschädlichen Verhaltens im Wirtschaftsleben ermöglicht. Die politisch Verantwortlichen, wir alle also, dürfen Mißbrauchsmöglichkeiten unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung nicht einfach hinnehmen.
Diese Grundüberzeugung hat alle Fraktionen des Deutschen Bundestages im Jahre 1976 dazu geführt, dem Ersten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität einhellig ihre Zustimmung zu geben. Ich hoffe, daß dies, wenn auch bei unterschiedlichen Auffassungen im Detail, so bleiben wird.
Der Gesetzgeber hat ja bereits 1976 zu erkennen gegeben, daß mit den damaligen Gesetzgebungsvor1668
haben nur ein Teil von gezielten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Eindämmung wirtschaftskrimineller Verhaltensweisen verwirklicht werden konnte.
Die Wirtschaftskriminalität ist trotz beachtlicher Erfolge bei ihrer Bekämpfung weiterhin eine ernstzunehmende Gefahr. Die „Täter im weißen Kragen", wie man sie nennt, verursachen Jahr für Jahr Schäden in Milliardenhöhe.
Wir verfügen - allerdings ohne Berücksichtigung des sogenannten Dunkelfelds - über Zahlen. In den letzten Jahren ergab sich, bezogen auf die in dem jeweiligen Jahr abgeschlossen Ermittlungsverfahren, folgender Gesamtschadensumfang: 1979 3,9 Milliarden DM,
({0})
1980 2,6 Milliarden DM, 1981 3,6 Milliarden DM.
Um auf den Zwischenruf einzugehen: Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß dies nicht der volle angerichtete Schaden ist, sondern die Spitze eines Eisberges - oder wie immer man es ausdrücken mag. Jedenfalls gibt es in diesem Bereich ein beträchtliches Dunkelfeld, das betragsmäßig völlig aufzuhellen uns naturgemäß nicht möglich ist.
Das durch sozialschädliches Verhalten im Wirtschaftsleben oft leicht verdiente Geld reizt natürlich überdies andere zur Nachahmung. Es führt auch zu Wettbewerbsverzerrungen. Stellenweise untergräbt es das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Dieses Erscheinungsbild der Wirtschaftskriminalität stellt eine sehr ernst zu nehmende Aufforderung an uns alle dar, in den letzten anderthalb Jahrzehnten entwickelte Instrumente zur Bekämpfung weiterzuentwickeln und den heutigen Notwendigkeiten anzupassen. Mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität macht die Bundesregierung deutlich, daß sie entschlossen ist, wirtschaftskriminelle Verhaltensweise weiterhin zu bekämpfen.
In Übereinstimmung mit den liberalen Prinzipien der Strafrechtsreform gilt allerdings auch hier, daß der Einsatz des Strafrechts nur dort erwogen werden soll, wo sozialschädliches Verhalten anders nicht ausreichend bekämpft werden kann oder wo sich gezeigt hat, daß sich das geltende Recht bei der Bekämpfung nicht oder nicht mehr ausreichend bewährt. Diesen Grundsätzen trägt auch der Entwurf der Bundesregierung Rechnung.
Ich möchte auf einige Einzelheiten des Entwurfs kurz eingehen.
In seinem „modernsten" Teil, wie ich es einmal nennen will, will der Entwurf bestimmte Formen der sogenannten Computerkriminalität bekämpfen. Es sollen im Strafgesetzbuch Lücken geschlossen werden, die dadurch entstanden sind, daß der Gesetzgeber des vorigen Jahrhunderts die Entwicklung der modernen Technik, insbesondere der elektronischen Datenverarbeitung, natürlich nicht voraussehen konnte. Auf Grund des verbreiteten Einsatzes von EDV-Anlagen in der Wirtschaft und in der Verwaltung stellen die in den beiden letzten
Jahrzehnten zunächst in den USA, dann zunehmend auch in der Bundesrepublik und in allen anderen westlichen Industrieländern festgestellten kriminellen Angriffe auf EDV-Anlagen eine erhebliche Gefahr dar. Der Entwurf schlägt daher zur Behebung der deutlich gewordenen Strafbarkeitslükken einen neuen Tatbestand des Computerbetrugs und darüber hinaus einen Tatbestand der Fälschung gespeicherter Daten sowie weitere Ergänzungen des Urkundenstrafrechts vor.
Als Computerbetrug werden vermögensschädigende Beeinflussungen von Datenverarbeitungsvorgängen erfaßt, die ja nur deswegen nicht Betrug im Sinne des alten § 263 des Strafgesetzbuches sind, weil andere Personen nicht getäuscht werden. Lükken des Urkundenstrafrechts werden dann durch den neuen Tatbestand der Fälschung gespeicherter Daten geschlossen.
Der Entwurf sieht auch die Probleme, die dadurch entstanden sind, daß Kapitalanlageangebote außerhalb des organisatorischen Rahmens der Börse innerhalb der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte sehr an Bedeutung gewonnen haben. Die Ausweitung des sogenannten Nebenkapitalmarkts war von Skandalen und Firmenzusammenbrüchen begleitet. Aus diesem Grunde ist, zumindest bezogen auf den Zeitpunkt der Anlageentscheidung, eine Verbesserung des Schutzes der zumeist unerfahrenen Anleger erforderlich. Diesem Bedürfnis sollen der neue Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs und die Neuregelung der Börsenstraftatbestände Rechnung tragen.
Wirtschaftskriminalität richtet sich bekanntermaßen in vielen Fällen auch gegen den einzelnen Arbeitnehmer oder gegen die Solidargemeinschaft insgesamt. Mit dem Tatbestand des Veruntreuens von Arbeitsentgelten will der Entwurf zwei Bereiche erfassen. Zum einen sollen die bisher in mehreren Sozialgesetzen enthaltenen Strafvorschriften über das sogenannte Vorenthalten von Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit im Strafgesetzbuch in einem neuen § 266 a vereinheitlicht werden. Dies verdeutlicht den Unrechtsgehalt von Taten, die in der Praxis eine große Rolle spielen. Das Veruntreuen von Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit kann gerade in unserer Zeit nicht mehr als Kavaliersdelikt oder was sonst immer betrachtet werden, sondern stellt kriminalstrafwürdiges Unrecht dar. Daneben sollen im Randbereich der Veruntreuung bzw. des Betruges liegende und bisher unzureichend erfaßte Verhaltensweisen kriminalisiert werden. Das bisher weitgehend straflose heimliche Nichtabführen anderer Lohnteile des Arbeitnehmers wie z. B. von vermögenswirksamen Leistungen nach dem 624-Mark-Gesetz oder von gepfändeten oder abgetretenen Teilen des Arbeitsentgelts soll von der neuen Strafvorschrift erfaßt werden.
Der illegalen Beschäftigung - und dies wird dann sicher Gegenstand der Ausschußberatungen sein - will der Entwurf durch die Erweiterung von § 10 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes entgegenwirken.
Meine Damen und Herren! Zu den hier zur Debatte stehenden Maßnahmen gehört auch der Ihnen vorliegende Bundesratsentwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes. Mit dem Bundesrat hält es auch die Bundesregierung für unverzichtbar, die Durchführung umfangreicher Großverfahren in Wirtschaftsstrafsachen zu gewährleisten. Wenn sie sich in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates zurückhaltend geäußert hat, so findet dies seinen Grund nicht in einer unterschiedlichen Zielsetzung, sondern allein in dem Zweifel, ob es zur Erreichung dieses Zieles tatsächlich einer einschneidenden Änderung der verjährungsrechtlichen Vorschriften bedarf. Dieser Frage wird im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsgangs schon deshalb besonders sorgfältig nachzugehen sein, weil eine zügige Aburteilung der Tat zu den Grundforderungen unseres Rechtsstaates gehört. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, daß unangemessene Verfahrensverzögerungen nicht nur mit unseren innerstaatlichen Prinzipien, sondern auch mit Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention in Widerstreit treten würden, treten können. Aber angesichts der schon vorhandenen Möglichkeiten einer rechtzeitigen Beschränkung des Prozeßstoffs - woran noch einmal erinnert werden soll - nach den Vorschriften der §§ 154 und 154a unserer Strafprozeßordnung,
({1})
aber auch der derzeitigen gesetzgeberischen Erwägungen, die Pflicht zur Verlesung sämtlicher in das Verfahren eingeführter Urkunden einzuschränken, sollte zumindest nicht ohne Not einer Regelung zugestimmt werden, die eine Aburteilung nicht nur umfangreicher Wirtschaftsvergehen, sondern auch zahlreicher Bagatelldelikte nach mehr als zehn Jahren erlauben würde.
Der Entwurf zur Änderung von § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist nunmehr zum viertenmal eingebracht worden. Die Bundesregierung hat erhebliche Zweifel, ob die vorgeschlagene Regelung zur Verbesserung des Schuldnerschutzes gegen Kreditwucher wirklich erforderlich ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere aus den letzten Jahren hat hier durchaus zu befriedigenden Lösungen geführt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wenn die von der Bundesregierung vorgelegten Vorschläge eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verwirklicht werden, so liegt insgesamt ein beachtliches Instrumentarium vor, um mit Erfolg Mißbräuchen unseres Wirtschaftslebens entgegenwirken zu können. Ich bitte um zügige Beratungen dieser wichtigen Vorschläge. - Danke.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser verehrter Kollege Schmidt hat das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität als ein „Wendeopfer" bezeichnet. Ich glaube, Herr Schmidt, das ist es sicher nicht. Ich würde sagen, noch nie hatte dieses Gesetz die Chance, tatsächlich realisiert zu werden, erst jetzt, nachdem die Wende eingeleitet ist. Sie haben es j a damals leider nicht mehr geschafft.
Herr Schmidt, die Intention dieses Gesetzes hat sicherlich unsere volle Unterstützung. Aber wir als Juristen wissen, daß nicht alles immer so ganz einfach ist, schon gar nicht dann, wenn man es in tatbestandsmäßige Form gießen muß.
Eines möchte ich jedenfalls vorausschickend sagen, nämlich daß es mir eigentlich nicht recht einleuchtet, weshalb in die Diskussionen um die Gesetzentwürfe zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, wie sie uns heute vorliegen, immer wieder Gesichtspunkte hineingebracht werden wie: hier die Großen, da die Kleinen; hier die Chefs, dort die Arbeitnehmer. Sie haben vorhin gesagt, Herr Schmidt: die Schwächeren, die Wehrhafteren. Ich meine, das ist hier eigentlich nicht das Problem, es sei denn, Sie meinen, es ist generell das Problem des Strafrechts, den Schwächeren zu schützen. Da gebe ich Ihnen recht.
Aber ich meine, man sollte sich der Frage enthalten, ob hier gesellschaftspolitische, ideologische Gesichtspunkte eine Rolle spielen oder nicht. Ich meine, das ist in der Tat nicht der Fall, sondern hier geht es im Grunde genommen um die Fortentwicklung des Rechts aus einer Zeit, als man noch nicht sehen konnte, welche wirtschaftlichen, welche technolgischen Neuerungen sich im 20. Jahrhundert ergeben würden.
Wenn Sie die Berichte der Kommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität lesen, können Sie feststellen, daß auch diese Kommission erklärt hat, daß es hier nicht etwa um ideologische Fragen, sondern ganz schlicht und einfach um die Modernisierung, um die Anpassung alten Rechts an neue Gegebenheiten geht. Tatsächlich hat uns der Herr Bundesjustizminister in wenigen Worten gesagt - ({0})
- Jetzt warten Sie doch ab, Herr Schmidt. Es ist ja gar nicht so, daß ich immer dagegen bin, wenn Sie etwas vorschlagen. Ich bin nur der Meinung, daß man nicht alles kritiklos übernehmen sollte. Wir werden sicherlich einen Weg finden, um auch diese Frage miteinander lösen zu können.
Es ist sicherlich kein Problem, zunächst einmal die Frage des Computerbetruges und auch die Frage der Datenfälschung juristisch in den Griff zu bekommen. Hier geht es ganz einfach um die Frage: Kann sich ein Computer irren, wie ein Mensch sich irren muß, wenn Betrug nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches vorliegen soll? Ein Computer irrt sich nicht. Infolgedessen brauchen wir hier einen neuen Tatbestand.
Es ist auch gar keine Frage, daß Datenbänder, die in der Datenverarbeitungsmaschine gespeichert und visuell nicht lesbar sind, keine Urkunden im
herkömmlichen Sinn darstellen, obwohl sie im Rechtsverkehr beweiserheblich sein können. Infolgedessen muß hier der Urkundenbegriff auf die neuen Technologien ausgedehnt werden. Keine Frage! Deswegen stimmen wir dem Entwurf zu, wie ihn die Bundesregierung jetzt wieder vorgelegt hat, soweit der Computerbetrug oder die Datenfälschung betroffen sind.
Nun aber, Herr Schmidt, zu der Frage: Was machen wir mit dem von Ihnen vorgeschlagenen Tatbestand des Ausschreibungsbetruges? Ich möchte hier gleich etwas anderes anschließen: Ich unterstütze auch nicht bedingungslos das, was die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zum sogenannten Kapitalanlagebetrug vorgeschlagen hat. Wenn ich nämlich versuche, die Frage des Ausschreibungsbetrugs juristisch in eine mit dem Strafgesetzbuch konforme Kleidung zu zwängen, muß ich auch die Frage des Anlagebetruges unter demselben Gesichtspunkt sehen. Sie wissen, Herr Schmidt, daß wir bis jetzt unter den Begriff des Betruges immer die Frage des Vermögensvorteils auf der einen Seite und des Vermögensnachteils auf der anderen Seite subsumiert haben. In beiden vorgeschlagenen Tatbeständen - sowohl des Kapitalanlagebetruges als auch des Ausschreibungsbetruges - fehlen jedoch genau diese beiden Merkmale.
({1})
- Richtig, das ist die Frage, Herr Emmerlich. Wir haben beim Ausschreibungsbetrug vielleicht sogar noch einen etwas einfacheren Sachverhalt. Sie haben zu Recht gesagt: Beim Ausschreibungsbetrug ist es in der Regel so, daß sich mehrere an Preisabsprachen beteiligen, und der eine genau weiß, daß er der Billigste ist, weil die anderen nur sogenannte Schutzangebote abgegeben haben. Der Zuschlag wird erteilt. Aber jetzt taucht das Problem auf: In der Regel ist ein Vermögensvorteil bei dem Anbietenden, der den Auftrag erhalten hat, gegeben. Aber ob der Vermögensnachteil, der Vermögensschaden bei demjenigen eingetreten ist, der den Auftrag zu erteilen hatte, ist meist nicht nachweisbar; möglicherweise ist er auch nicht einmal vorhanden.
Ich war lange genug Bürgermeister, um diese Frage beurteilen zu können. Weil es keinen korrekten, verbindlich zu ermittelnden Marktpreis gibt, ist es schwer festzustellen, ob auf der Seite des Ausschreibungsveranstalters tatsächlich ein Schaden gegeben ist.
Ich meine deswegen, daß wir sehr wohl prüfen müssen, ob wir den Begriff des Betruges in diesem Zusammenhang überhaupt in das Strafgesetzbuch einführen dürfen. Ich sehe von der Tendenz, von der Zielrichtung dessen, was Sie wollen, durchaus eine Legitimität, hierüber zu diskutieren. Ich bin bereit, das mit zu prüfen. Nur erscheint es mir zweifelhaft, ob wir das beim Fehlen eines so wesentlichen Tatbestandsmerkmals wie des Vermögensschadens unter dem Gesichtspunkt des Betruges machen können.
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- Darüber können wir uns vielleicht verständigen.
Das gilt auch für den Begriff des Kapitalanlagebetrugs; hier vielleicht noch mehr. Kapitalanlagebetrug soll j a nach dem Gesetzentwurf in solchen Fällen vorliegen, in denen durch Prospekte oder Darstellungen anderer Art Angebote zur Kapitalbeteiligung gemacht werden, die nicht reell sind, denen Fälschungen im Prospekt zugrunde liegen.
Die Bundesregierung wie auch der Bundesrat argumentieren, daß hier eine Gefährdung im Vorbereich des eigentlichen Betruges gegeben sei. Sicher ist hier eine Gefährdung gegeben. Aber ich glaube nicht, daß wir es uns hier so einfach machen können und sagen können: Gefährdung allein reicht aus, um im Strafgesetzbuch einen entsprechenden Tatbestand unterzubringen. Der ehemalige Bundesjustizminister Schmude sagte in der letzten Legislaturperiode, allein die tendenzielle Gefährdung reiche aus. Ich meine, das reicht so nicht. Auch wer sich an das Autosteuer setzt, gefährdet tendenziell; denn Autofahren ist tendenziell gefährlich. Aber selbstverständlich wird deswegen niemand bestraft. Wir kennen hier nur die Gefährdungshaftung.
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- Sie haben keinen Führerschein mehr, Herr Schmidt? Ich kenne dieses Problem persönlich noch nicht, aber es ist mir als Jurist bekannt.
Die Gefährdungshaftung ist hier nicht einschlägig. Aber selbstverständlich bin ich auch hier bereit, mit der CDU/CSU-Fraktion und Ihnen zu prüfen, welche Möglichkeit wir haben, den Vorschlag strafrechtskonform unterzubringen, damit auch der „Kapitalanlagebetrug" zukünftig strafbar gemacht werden kann.
Ein weiteres Problem: Die SPD hat mit ihrem Entwurf vorgeschlagen, die Arbeitnehmerüberlassung generell im Sinne des Strafgesetzbuches strafbar zu machen.
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- Selbstverständlich die illegale. - Auch darüber kann man diskutieren. Ich will das nicht bestreiten. Ich bin nur der Meinung, daß im Grunde genommen die Bußgelder ausreichen, die zur Ahndung des Verwaltungsunrechts ergehen können.
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Was Sie vorhaben, ist, die besondere Verwerflichkeit einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung unter Strafe zu stellen. Sie aber kann nach meiner Auffassung schon jetzt in solchen Fällen bestraft werden, wie sie in der Praxis tatsächlich vorkommen, z. B. bei Ausbeutung von Arbeitnehmern oder bei Steuerhinterziehung und ähnlichen Dingen. Hier haben wir schon Straftatbestände. Deswegen bin ich im Augenblick jedenfalls noch nicht überzeugt, ob es notwendig ist, illegale Arbeitnehmerüberlassung - ich gebrauche bewußt nicht den Begriff Verleihung; ich finde ihn furchtbar; man kann keinen Menschen verleihen - strafbar zu machen.
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- Ja, aber wir sind uns einig, daß wir uns im Augenblick in dem wesentlichen Bereich vorwärts bewegen sollten, wo sich der Verleiher oder derjenige, der illegal beschäftigt, Pflichten entzieht, die er normalerweise hätte, würde er legal beschäftigen oder legal verleihen. Ich bin der Meinung, daß wir insoweit dem Entwurf der Bundesregierung zustimmen sollten. Wir sollten nach dem neuen § 266 a auch diejenigen strafbar machen, die illegal beschäftigen und beispielsweise Teile des Arbeitnehmerentgelts Dritten vorenthalten, denen sie es etwa bei Pfändungen zahlen müßten, oder auch Sozialversicherungsbeiträge nicht abführen.
Lassen Sie mich zu den beiden weiteren Punkten noch etwas sagen. Zunächst zur Strafverfolgungsverjährung: Ich habe in der letzten Legislaturperiode auch hiergegen meine Vorbehalte geltend gemacht. Ich bin der Meinung, wir müssen hier etwas tun. Herr Schmude hatte damals gesagt, wir müßten zunächst versuchen, die Zeitfresser in den Verfahren über Änderungen der Strafprozeßordnung herauszubekommen. Ich bin ebenfalls der Meinung; das muß der erste Schritt sein. Wir dürfen nicht als erstes das Strafgesetz ändern und die Verjährungsfristen verlängern. Ich meine, daß aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit die Verlängerung der Verjährungsfrist das letzte Mittel ist, das wir treffen sollten. Zunächst muß versucht werden, über personelle Verstärkungen, über die entsprechende Finanzausstattung der Gerichte oder eventuell über strafprozessuale Änderungen dem Problem an die Wurzeln zu kommen.
Als letztes erwähne ich das vom Bundesrat vorgeschlagene Gesetz bezüglich Kreditwucher. Ich habe auch hier, offen gestanden, erhebliche Bedenken, ob wir in dieser Form, wie es vorgeschlagen worden ist, dem Problem gerecht werden können. Ich sehe ein Problem darin, daß wir bis jetzt - der Kreditwucher soll ja unter den § 138 BGB subsumiert werden - unter „Sittenwidrigkeit" noch immer die besondere Verwerflichkeit einer Tat verstanden haben. Nun wird vorgeschlagen, schon allein das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung als sittenwidrig zu verstehen. Ich könnte mir durchaus Fälle vorstellen, in denen das noch nicht ausreicht, Sittenwidrigkeit zu begründen, beispielsweise dann, wenn derjenige, der den Kredit nimmt, mit Leichtigkeit eine entsprechende Zinssumme zahlen kann und wenn zwischen den Betreffenden eine Abmachung besteht, ein Gentlemen's Agreement; man kann sich viele Formen vorstellen. Es muß nicht unbedingt sittenwidrig sein, wenn die Spanne zwischen Leistung und Gegenleistung zu groß ist.
Ich meine, hier muß ein subjektives Element dazukommen. Hier muß die besondere Verwerflichkeit der Tat eine entscheidende Rolle spielen. Ich bin bereit, mit Ihnen zu prüfen, wie wir diese besondere Verwerflichkeit der Tat mit in den Tatbestand hineinschreiben können.
({7})
Sicher kann die Spanne zwischen Leistung und Gegenleistung gelegentlich schon sittenwidrig sein. Sie kann jedenfalls ein Indiz für die Sittenwidrigkeit sein. Aber ich meine, daß ein weiteres Tatbestandsmerkmal hinzukommen muß, nämlich die Ausnützung einer besonderen Notlage in der Person des Kreditnehmers. Wir sollten uns überlegen, ob wir hier in dem Tatbestand etwas unterbringen können, was eben diese Verwerflichkeit der Tat mit berücksichtigt.
({8})
- Das ist noch nicht das formal geltende Recht, das ist der Tatbestand mit entsprechender Auslegung durch die Gerichte, d. h. Richterrecht. Wir könnten hier durchaus etwas aus der Rechtsprechung in den Tatbestand mit übernehmen. Das müssen wir uns überlegen.
Insgesamt zusammenfassend: In der Intention sind wir uns wohl einig. Ich habe nicht den Eindruck, daß der Bundesrat hier etwas anderes möchte. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß Sie von der SPD etwas anderes wollen als die Bundesregierung. Ich meine, daß wir im Hinblick auf die enormen Schadenssummen in der Wirtschaftskriminalität in den vergangenen Jahren - es sind ja jetzt neuerdings bereits Summen von 8 und 9 Milliarden DM pro Jahr im Gespräch - hier kurztreten sollten. Wir müssen an die Wirtschaftskriminalität heran ohne Scheuklappen, ohne gesellschaftspolitische Diskussionen, ob Stärkerer oder Schwächerer. Wir müssen deswegen heran, weil die Schadenssummen da sind. Aber als Juristen sollten wir so herangehen, daß wir nicht mit neuen Gesetzen sofort neue Rechtsunsicherheit provozieren, neue Auslegung der Gesetze, neues Richterrecht, sondern wir sollten mit Bedacht herangehen, um Gesetze zu schaffen, die wie die Gesetze über Betrug oder Unterschlagung oder Untreue im 19. Jahrhundert, die ja immerhin jetzt über 100 Jahre funktioniert haben, auch wieder für die nächsten 100 Jahren funktionieren können. Ich würde Sie bitten, daß wir sine ira et studio, wie wir es in diesem Kreis in den vergangenen Legislaturperioden gewohnt waren, herangehen und gemeinsam diese Arbeit leisten zum Wohle unserer Bevölkerung.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die GRÜNEN haben für die Debatte über Wirtschaftskriminalität einen Zeitvorrat von fünf Minuten, wie etwa bei der Aktuellen Stunde. Niemand wird erwarten, daß in diesem knappen Zeitraum eine Auseinandersetzung mit einem Gesetzgebungswerk auf dem Gebiete der Wirtschaftskriminalität möglich ist. Selbstverständlich sind auch die GRÜNEN dafür, daß gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität eine Modernisierung stattfindet, wie es von meinem Herrn Vorredner bereits zum Ausdruck gebracht
worden ist. Die rechtstechnischen Details können in der Plenardebatte aber nicht ausgebreitet werden. Wir werden uns damit im Rechtsausschuß zu befassen haben. Ich meine daher, daß ich mich auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränken sollte.
Auch bei diesem Thema geht es mir ähnlich wie etwa bei der Umweltschutzdebatte, daß ich mitunter den Eindruck habe, daß zunächst einmal die Probleme geschaffen werden und man sich dann, wenn die Probleme da sind, etwas darauf zugute hält, den Schaden, den man angerichtet hat, wieder zu reparieren. Wirtschaftskriminalität kommt nicht von ungefähr, sie fällt nicht vom Himmel, sondern sie hat ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergrund.
Wenn Sie etwa daran denken - ich bin ja gelernter Berliner und weiß das sozusagen aus unmittelbarer beruflicher Erfahrung; ich habe in vielen Wirtschaftsstrafprozessen als Verteidiger mitgewirkt -, daß man durch eine Steuergesetzgebung, durch eine sogenannte Berlin-Förderung einen Abschreibungsdschungel geschaffen hat, dann erkennen Sie, daß das die wahren Ursachen für die Entwicklung von Wirtschaftskriminalität sind. Man soll dann nicht mit der großen Geste auftreten und sagen: Wir tun etwas gegen Wirtschaftskriminalität.
In dem Entwurf der Bundesregierung finden sich auch einige Sätze über die Verlagerung der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in das Vorfeld. Herr Justizminister Engelhard hat in diesem Zusammenhang eine Bemerkung gemacht, die sicherlich eine Rolle spielt, nämlich zur Vorbildwirkung, dem Anreiz zur Nachahmung und ähnliches.
({0})
Wenn man diese staatspolitische Pathos entfaltet, dann kommt mir der Artikel im „Spiegel" dieser Woche über gewisse staatsbürgerliche Vereinigungen in den Sinn, die in Wahrheit wirtschaftskriminelle Vereinigungen zu sein scheinen. Es ist ja gewiß begrüßenswert, wenn die Bundesregierung auf einem politischen Gebiet, das heute Diskussionsgegenstand ist, über einen besonderen Sachverstand verfügt. Ich weiß aber nicht, ob es die Glaubwürdigkeit einer Regierung besonders stärken kann, wenn ihr mußmaßliche Experten auf dem Gebiete der Wirtschaftskriminalität in einem sehr buchstäblichen Sinne angehören.
({1})
Sie sollten sich einmal den Ausschreitungen auf dem Gebiete des Spendenunwesens zuwenden. Da geht es noch zum Teil sehr altmodisch zu. Das ist in gewissem Umfange sehr konservative Kriminalität. Da wird noch mit Kladden, mit Bargeld und mit Kassenbüchern gearbeitet. Hier wären genauere Untersuchungen, öffentliche Erklärungen und ganz simple Maßnahmen angebracht. Da braucht man keine neuen Gesetze, sondern es erfordert z. B. nur eine einfache Operation, sich zum Rücktritt zu entschließen. - Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Bundesjustizminister Engelhard hat vorhin ein 100 Jahre altes Beispiel zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zitiert. Ich möchte mich hier nicht als besonders bibelfest darstellen. Deshalb möchte ich auch die Quelle des folgenden Zitats sagen. In einer sehr verdienstvollen Ausarbeitung zum Hintergrund dieser Debatte hat dpa eine Stelle aus dem Alten Testament, Buch Sirach, 26. und 27. Kapitel zitiert. Da heißt es:
Ein Kaufmann kann sich schwer hüten vor Unrecht und ein Krämer vor Sünden. Denn um eitlen Gutes willen tun viele Unrecht; und die reich werden wollen, wenden die Augen ab. Wie ein Nagel in der Mauer zwischen zwei Steinen steckt, also steckt auch die Sünde zwischen Käufer und Verkäufer.
Man wußte vor einigen tausend Jahren genau Bescheid. Wir haben mit der Sache nach wie vor zu tun.
({0})
Man kann hier natürlich statt Käufer und Verkäufer auch Verleiher und Leiher nehmen. Man kann auch die weiteren Geschäfte an die Stelle setzen, die im Laufe der Jahre erheblich komplizierter geworden sind.
Deshalb muß von Zeit zu Zeit das nachgebessert werden, was an Bestimmungen in einer Welt, die nun einmal so ist, gebraucht wird. Es muß den neueren Entwicklungen angepaßt werden. Wir sind sehr dankbar, daß die Bundesregierung, im übrigen in weitestgehender Kontinuität mit der vorigen Bundesregierung, diesen Entwurf unterbreitet hat. Über die Dinge, über die wir uns Gott sei Dank im wesentlichen einig sind, brauche ich in der Kürze der Zeit jetzt nicht zu sprechen.
Der Klarheit wegen möchte ich auf einiges eingehen, über das wir uns nicht ganz so einig zu sein scheinen. Das könnte sich ja, wie auch der Kollege Götz schon angeführt hat, im Laufe der Beratungen durchaus ändern. Damit hier kein Mißverständnis entsteht: Es gibt hier überhaupt keinen Punkt, an dem wir grundsätzlich dagegen wären, im Ergebnis zu den von Ihnen gewünschten Verbesserungen zu kommen.
Wir sind lediglich der Meinung, daß in dem einen Punkt, nämlich bei der Arbeitnehmerüberlassung, die Dinge noch nicht genügend ausdiskutiert sind. Auch der Bundesrat hat sich j a damit einverstanden erklärt, daß die Bundesregierung zunächst in weitere Prüfungen eintritt und daß dann versucht wird, zu einer befriedigenden Regelung zu kommen. Diese Bemühungen können wir unterstützen durch die Beratungen, die wir auf Grund Ihrer Vorlage im Ausschuß haben werden. Das werden wir auch gerne tun. Zu welchem Ergebnis wir dann kommen, müssen wir ganz objektiv, nur an dem Ziel einer möglichst zurückhaltenden und dabei doch sehr wirksamen gesetzlichen Regelung messen.
Kleinert ({1})
Hier taucht aber einiges wieder auf, was ständig als generell nicht wünschenswert dargestellt wird. Zusätzliche Gesetze, zusätzliche Regelungen sollen
- so hört man jeden Samstag und Sonntag auch von sozialdemokratischer Seite - vermieden werden. Zu großer Perfektionismus in Gesetzen soll vermieden werden. Aber wenn es im einzelnen zum Schwur kommt, finden sich wieder einige Bestimmungen, die vielleicht doch entbehrlich sind.
Eines zieht sich insonderheit durch eine Reihe von Vorschlägen. Es ist das Phänomen, daß die zuständigen Stellen unserer Verwaltung, unseres Staates, der öffentlichen Hand an einer Reihe von Delikten, was die Verursachung angeht - keineswegs das Verschulden -, nicht völlig unbeteiligt sind. Deswegen sollte man - insofern stimme ich mit Herrn Schily überein - auch einmal im Vorfeld untersuchen, wo man etwas zur Entstehung
({2})
- Entschuldigung: gegen die Entstehung von Kriminalität tun könnte.
({3})
- Gnädige Frau, wenn Sie sich mit der Sache befassen würden, wüßten Sie, daß ich durchaus zur Heiterkeit neige, hier allerdings weniger Grund zur Heiterkeit sehe, weil es eine sehr ernste Sache ist, daß z. B. der Ausschreibungsbetrug unter recht drakonische Strafen gestellt werden soll, ohne daß man sich vorher einmal überlegt, wie Ausschreibungen in diesem Lande vonstatten gehen. Das spielt bei dieser Sache nämlich auch eine Rolle.
({4})
Ich bin nicht bereit, hier auf die eine Seite mit möglichst scharfen strafrechtlichen Maßnahmen draufzuschlagen, wenn man nicht vorher auch einmal geprüft hat, wo vielleicht ein Fehler im System dieser Art von Ausschreibungen liegt. Es ist nun einmal bequemer, ganz mechanistisch das billigste Angebot zu nehmen und darauf den Zuschlag zu erteilen. Dagegen können kein Rechnungshof und kein Gemeinderat etwas sagen. Anschließend kann man, ausgehend von diesem billigsten Angebot, immer beweisen, daß man tadellos seine Pflicht erfüllt hat. Daß man dann vielleicht an den geraten ist, der unseriös ist, der während der Baumaßnahme schließlich doch in Konkurs fällt, der zögerlich arbeitet und damit zu erheblichen Mehrkosten beiträgt, der hinterher auf irgendeine Art und Weise versucht, durch Nachforderungen das hereinzubekommen, was er vorher an ordentlicher Kalkulation einzusetzen unterlassen hat, muß man bei der Verursachung derartiger Dinge zunächst einmal betrachten, bevor man überlegt - das soll man ruhig überlegen -, wie man der Sache strafrechtlich zu Leibe gehen kann.
Es ist bezeichnend, daß wir seit Jahren einen Streit mit dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Gemeindetag bei dem Versuch haben, die Unterbietung der Untergrenze der Gebührenordnung für Architekten zu vermeiden. Diese Institutionen
kämpfen dagegen, weil die Nachfragemacht der öffentlichen Hand in einigen Bereichen brutal ausgenutzt wird und es tatsächlich zur Vergabe von Aufträgen kommt, die bei vernünftiger Kalkulation nur mit Verlust für den Unternehmer abgeschlossen werden können. Die Kehrseite und den Beweis dafür, daß hier einiges schief läuft, können Sie dem weiteren Verlauf der Dinge entnehmen. Es kann doch kein Zufall sein, daß man es schon geradezu als naturgegeben hinnimmt, daß bei öffentlichen Bauvorhaben Überschreitungen der ursprünglichen Kostenvoranschläge um 50 %, j a um 100 % keine Seltenheit sind. Das hängt mit dieser eigenartigen Art der Vergabe von Aufträgen zusammen. Im privaten und im geschäftlichen Bereich werden ursprüngliche Kostenvoranschläge nach Stückzahl und nach Ausmaß nicht annähernd so häufig überschritten wie im öffentlichen Bereich.
Nur wenn man alle diese Dinge mit im Auge behält und sich überlegt, wie da Abhilfe zu schaffen ist, hat man auch das Recht, nachzudenken, wie man in vernünftiger Weise, wenn und soweit noch erforderlich, auch mit strafrechtlichen Mitteln gegen verbleibende Übelstände einschreitet.
({5})
Ich meine, das muß am Anfang einer solchen Diskussion zur gesellschaftlichen Wirklichkeit in diesem Teil unserer Wirtschaft auch einmal gesagt werden.
Ein ähnlicher Fall, wo man auch versucht, etwas auf den Bürger - das kann sehr wohl auch der hier so gern zitierte ganz kleine Bürger sein - abzuwälzen, dessen Verursachung bei der öffentlichen Hand liegt, zeigt sich in dem Gesetzentwurf des Bundesrates für ein Strafrechtsänderungsgesetz, sprich: Verlängerung der absoluten Verjährungsfrist. Es kann doch gar nicht angehen, daß wir uns gemeinsam, die SPD und die FDP, darüber unterhalten haben, die Regelüberprüfung einer lebenslangen Freiheitsstrafe - das ist das äußerste, was es in unserem Strafsystem gibt - nach 15 Jahren, möglichst noch früher, einzuführen, und daß wir andererseits bei der absoluten Verjährung auf die gleiche Frist zukommen, wo etwas in dieser langen Zeit noch nicht einmal abgeurteilt werden konnte. Da wird auf dem Rücken des Angeklagten eine Schwäche in der Arbeit der Staatsanwaltschaften und der Gerichte abgeladen, und das darf nicht sein. Das ist zu bequem. Da muß man versuchen, die Verfahren zu straffen. Herr Bundesminister Engelhard hat vorhin bereits auf eine Möglichkeit hingewiesen, die zu selten genutzt wird. Im übrigen ist es j a Gott sei Dank so, daß die früheren Maßnahmen, nämlich Schaffung von Wirtschaftsstrafkammern, Schaffung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität, inzwischen so weit zu greifen begonnen haben, daß entgegen den Befürchtungen der zuständigen Landesjustizverwaltung wenigstens auch das Herstatt-Verfahren noch rechtzeitig vor Eintritt der absoluten Verjährung abgeschlossen werden konnte. Wenn mich nicht alles täuscht, war die Panik über den Verlauf dieses Verfahrens nicht unschuldig am Zustandekommen dieses Gesetzentwurfes.
Kleinert ({6})
Wir werden das alles mit Ihnen gemeinsam gründlich beraten. Aber wir müssen auch im Vorfeld nach Ursachen suchen, und wir müssen, auch im Laufe der Verfahren, dringend Wert auf die Mitarbeit aller legen, bevor wir versuchen, hier ausschließlich mit Verschärfung von Strafvorschriften und mit zusätzlichen Strafvorschriften Abhilfe zu schaffen. - Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich ein Resümee dieser Debatte ziehen darf: Ich habe den Eindruck, daß die Redner der Koalition letztlich um den Brei herumgeredet haben. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich dies so formuliere. Ich will es sehr konkret begründen. Herr Bundesjustizminister, Sie haben zu unserem Antrag auf Änderung des § 138 BGB gesagt, Sie hätten Zweifel, ob wirklich eine Neuregelung erforderlich sei, da die Rechtsprechung ausreichend sei. Bei Ihren Ausführungen, Herr Dr. Götz, war für mich etwas schwer zu verstehen, was Sie politisch tatsächlich wollen.
Herr Bundesjustizminister, ich bedaure Ihr in der Sache für mich nicht feststellbares Engagement gerade bei der Frage der Bekämpfung des Kreditwuchers. Ich möchte die Zahlen nennen, obwohl sie Ihnen sicherlich bekannt sind; aber ich möchte sie für die Öffentlichkeit hier noch einmal vortragen, um die Dimension dieses Problems in Erinnerung zu rufen.
Wir hatten 1980 in der Bundesrepublik Verbraucherkredite in einem Umfang von 136 Milliarden DM. Etwa 48 % - also fast 50 % - der Haushalte haben einen Konsumentenkredit aufgenommen. Das ist natürlich ein Tummelplatz für Mißbräuche; die zwangsläufige Folge sind wesentliche Überschuldungen.
Herr Bundesjustizminister, Sie kennen sicherlich auch das Gutachten, das Ihr Vorgänger, Herr Schmude, im Sommer 1982 vorgelegt hat und in dem nachgewiesen wurde, daß die Rechtsprechung zu § 138 BGB heute gerade nicht ausreichend ist. Gerade deshalb bedaure ich Ihr - ich wiederhole es - mangelndes, für mich wenigstens nicht erkennbares Engagement, hier Mißbräuche wirklich abzustellen, sehr.
Wir stehen deshalb auf dem Standpunkt - Herr Kleinert, wir wollen nicht mehr Bürokratie, sondern weniger Bürokratie -, daß das objektive Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ein ausreichendes Kriterium für die Nichtigkeit von Kreditverträgen sein mull. Die Beweisschwierigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Nachweis auftreten, ob nun zusätzlich neben diesem objektiven Kriterium auch noch subjektive Kriterien vorliegen, sind so groß, daß im Ergebnis praktisch zu wenige Verträge angegangen werden können.
Ich habe hier Zahlen - mit allem Vorbehalt -, daß die Zinsbelastung bei offensichtlich fast 1 Million Kreditverträgen über dem doppelten des Normaltarifs liegt. Sie kosten doppelt soviel wie normal. Sie tragen eigentlich alle den Verdacht, die Vermutung der Nichtigkeit in sich; es laufen aber nur etwa 100 Zivilprozesse, in denen ein Kreditvertrag überprüft wird, und nur eine einzige Verurteilung erfolgt pro Jahr von einem Strafgericht. Dieses Vollzugsdefizit des § 138 BGB müssen wir gemeinsam aufheben. Ich hoffe - hierzu wurden einige Andeutungen gemacht -, daß dies möglicherweise auch in den Reihen der Koalition Verständnis finden wird.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wer den Schuldnerschutz des kleinen Mannes - hiervon sind in der Tat hauptsächlich kleine Leute betroffen; ich spiele hier nicht die Großen gegen die Kleinen aus -, vor allen Dingen der Arbeiter und der Rentner, im Auge hat, der muß etwas Konkretes tun, und der muß es jetzt tun.
Herr Schily, eines abschließend: Man wird natürlich immer über Ursachen sprechen müssen. Ich bin mir áber nicht ganz sicher, ob man bei fünf Minuten Redezeit über Ursachen sprechen sollte. Aber wir wollten heute ja in erster Linie über mögliche Auswirkungen und Maßnahmen dagegen sprechen.
Ich beantrage deshalb für meine Fraktion die Überweisung der Drucksache 10/307 an den Rechtsausschuß und an die anderen Ausschüsse. - Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ausschußüberweisung vor; wie konkret, ist in der Tagesordnung ausgedruckt. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Ist so beschlossen.
Entsprechend der Verabredung rufe ich nunmehr den vorgezogenen Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Haftpflichtgesetzes
- Drucksache 10/374 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({0})
Sportausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Interfraktionell ist für die Aussprache ein Redebeitrag von allerhöchstens zehn Minuten je Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Clemens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Kalenderzeit ist der Sommer vorbei, die Wintersaison steht vor der Tür, und viele Skiläufer sehnen diese Zeit schon herbei. Wie wir sicherlich alle wissen, ist dies ein herrlicher Freizeitsport. Ich hoffe, er ist auch völlig unpolitisch. Ich sage das mit Blick auf die
GRÜNEN. Ich meine, den Schnee können wir nicht abschaffen; das ist nicht möglich.
({0})
- Gut, ich gehe aber davon aus, daß wir uns hier sehr parteiunpolitisch unterhalten können.
({1})
Es geht also um einen Freizeitsport, es geht um einen Massensport; er ist nicht nur schön, er ist auch gefährlich, er ist unfallträchtig.
Weil der Winter kurz vor der Tür steht, richten wir den Blick nach Bayern. Das tun wir von der CDU/CSU recht gern, andere von Ihnen jetzt auch - mehr denn je. Bayern unternimmt einen zweiten Anlauf, ein Gesetz einzubringen, damit die Unfallträchtigkeit, die mit dem Skilaufen verbunden ist, etwas begrenzt wird. Hierbei geht es in erster Linie darum, bei Liften, insbesondere bei Schleppliften, dafür zu sorgen, daß für die Benutzer bei Unfällen keine Beweisschwierigkeiten auftauchen. Es geht darum - das ist nun rein juristisch -, statt der Verschuldenshaftung die Gefährdungshaftung einzuführen, das heißt das Risiko bei Unfällen auf die Schleppliftbetreiber zu übertragen. Bei einem Festhalten an der Verschuldenshaftung würde das für die Skiläufer, also für die Benutzer, bedeuten, daß sie häufig in unüberwindbare Beweisschwierigkeiten kämen. Demzufolge soll das Risiko auf die Betreiber dieser Schlepplifte übertragen werden.
Nun muß man wissen, daß dies seinerzeit an der FDP scheiterte. Das kann ich hier ruhig sagen; und ich bin nicht sicher, ob diese bayerische Initiative diesmal bei der FDP durchgeht.
({2})
Wir möchten gern diese bayerische Initiative unterstützen.
({3})
- Ach, Herr Schily, Sie haben doch Gelegenheit, hierzu später auch noch etwas zu sagen.
({4})
Wir sind der Meinung, wenn bei Seil- und Schwebebahnen sowie bei Sesselliften Gefährdungshaftung besteht, sollte dies auch bei Schleppliften eingeführt werden. Jeder weiß - hierzu gibt es ausführliche Statistiken -, daß bei Schleppliften doppelt so viele Unfälle wie bei den anderen Liften - zum Beispiel bei Sesselliften - passieren. Sie wissen, daß in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend Schlepplifte vorhanden sind. Deswegen möchte man auf jeden Fall diese Schlepplifte mit in die Gefährdungshaftung einbeziehen. Ich möchte
hier noch einmal sagen: Wir begrüßen diese Initiative.
({5})
Ich möchte allerdings in Richtung auf diese bayerische Initiative eines sehr deutlich sagen: Da gibt es eine Ausnahme - wir haben das j a schon lang und breit im Rechtsausschuß diskutiert -: Es geht um die Schleppspur.
Wenn man dem Betreiber für die Anlage das Risiko überträgt, dann ist das in Ordnung. Nun ist die Schleppspur aber, wie jeder weiß, keine Anlage. Sie zu überwinden, hängt vom aktiven Tun und Können eines Skiläufers ab. Deswegen ist es eigentlich unzumutbar, den Zustand der Schleppspur dem Risiko des Betreibers zuzuordnen. Wir meinen daher, daß wir hier eine Ausnahme machen müssen. Die Schleppspur würden wir nicht mit in die Gefährdungshaftung einbeziehen wollen. Wir haben seinerzeit schon vorgeschlagen, die Gesetzesinitiative um einen Passus zu ergänzen, der da lautet:
Die Ersatzpflicht ist darüber hinaus ausgeschlossen, wenn der Unfall ohne ein Verschulden des Schleppliftbetreibers oder seiner Hilfspersonen durch den Zustand der Schleppspur verursacht ist.
Ich meine, das sollte auch so bleiben. Das ist gerecht, sowohl gegenüber den Betreibern als auch gegenüber den Benutzern. Jeder weiß, daß z. B. hampelnde Kinder oft Unfälle gerade auch bei Schleppliften und anderen Liften verursachen. Es wäre schlecht, wenn man in diesem Fall das Risiko dem Betreiber zuordnete. Jeder weiß auch, daß es in Bayern mit seinen hohen Bergen oft einen Wetterumschwung gibt und man somit nicht voraussehen kann, ob plötzlich eine Vereisung auftritt. Der Betreiber kann dann oftmals wirklich nichts dafür, wenn Unfälle passieren. Es muß dabei bleiben, daß der Skiläufer in solchen Fällen nachweist, daß ein Verschulden des Betreibers gegeben ist. Insofern sollte man die Gefährdungshaftung nicht auf diesen Bereich übertragen.
Ich darf Sie alle freundlich auffordern - dabei blicke ich insbesondere ganz nach rechts zu Herrn Kleinert -, dieser bayerischen Initiative zuzustimmen. Ich hoffe nicht, daß sich hier irgendwo ein Reibungspunkt ergibt. Ich meine, das lohnte sich nicht. Einige wenige Worte mehr sollten wir, wie gesagt, in den Gesetzestext hineinnehmen. Wir sollten nicht warten - wir warten schon länger darauf, wie ich ganz offen und freimütig sage -, bis die Bundesregierung das Haftpflichtrecht irgendwann einmal ändert und weiter ergänzt. Ich finde, wir sollten uns hier der bayerischen Initiative - mit der genannten Einschränkung - anschließen. Ich fordere Sie dazu auf. - Ich bedanke mich.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
- Ich bin einer gewesen.
Es ist sehr reizvoll, bei 25 Grad Außentemperatur über ein Thema zu sprechen, das eigentlich andere Temperaturen erfordert. Ich weiß nicht, welchen unerforschlichen Ratschluß die CSU und vielleicht auch die CDU dazu getrieben hat, daß ein Thema, das heute laut Ältestenrat hier ohne Debatte behandelt werden sollte, plötzlich eine Gewichtigkeit dadurch erhält, daß darüber debattiert wird.
({1})
- Sie geben mir das Stichwort, Herr Dr. Wittmann. Die CSU in Bayern braucht offenbar eine Schlagzeile für morgen oder übermorgen. Herr Wittmann, ich danke Ihnen für diesen Hinweis.
Meine Damen und Herren, Millionen vor uns haben Skilifte benutzt und sind abgefahren, ohne daß es diese gesetzliche Regelung gab, die von Ihnen vorgesehen wird. Millionen vor uns haben Freude am Skifahren.
Der Ministerpräsident des Freistaates Bayern hat am 1. Juni 1983 dem Präsidenten des Bundesrates geschrieben, daß das im 9. Bundestag versandete - dies ist meine Formulierung - Haftpflichtänderungsgesetz erneut eingebracht werden sollte. Im 9. Bundestag haben sich der Sportausschuß, der Wirtschaftsausschuß und auch der federführende Rechtsausschuß diesem Thema sehr intensiv gewidmet. Man kam zu dem Entschluß, daß zunächst nichts unternommen werden sollte. In der gemeinsamen Entschließung, die auch von Ihnen, Herr Clemens, mitgetragen worden ist, wurde zum Ausdruck gebracht: Im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen auf dem Gebiet des Haftungsrechtes soll das Problem, das heute ansteht, geregelt werden. Das heißt, es war an eine Behandlung im Rahmen eines Pakets gedacht, das auch andere Fragen aus dem Bereich des Haftungsrechtes beinhaltet.
Bei den Beratungen im Rechtsausschuß hat sich auch Herr Clemens skeptisch, skeptischer, als er es heute getan hat, zu diesem Gesetzentwurf des Freistaates Bayern geäußert. Das ist wohl auf den Wechsel von der Oppositionsfraktion zur Regierungsfraktion zurückzuführen. Die Unterschiede sind nur graduell.
({2})
Maßgebend - Herr Clemens, das haben Sie heute anklingen lassen - für das Abwarten und dafür, daß nichts geschieht, war aber die Haltung des FDP-Abgeordneten Detlef Kleinert. Es ist erfreulich, Herr Kleinert, daß Sie mit zugegen sind; auch wenn Sie nachher nicht Sprecher sein werden, wie ich hörte. Sie haben in der Sitzung des Rechtsausschusses am 18. März 1981 folgendes gesagt - Herr Kleinert, Sie sind auch im Playback noch sehr gut hörbar, und es ist ein Genuß für alle, die Ihnen zuhören wollen -:
Will der Gesetzgeber die Bürger eigentlich vor allem Gemach schützen, auch vor solchen, in die sich der Bürger selbst verwickelt hat? Und ist nicht eigentlich
- so Kleinert mit dem Besteigen eines Schleppliftes von dem Benutzer auch die Ursache für mögliche Gefahren gesetzt? Der Gesetzgeber sollte dem Bürger einen gefährlichen Sport nicht dadurch sicherer erscheinen lassen, daß er ein Gesetz erläßt, indem ein anderer zu zahlen hat, wenn einem selbst etwas passiert. Ein gewisses Risiko
- so Herr Kleinert müssen die Menschen in dieser Gesellschaft schon selbst tragen.
({3})
- Ich sehe die Ablehnung dieses Gesetzes durch die FDP nach diesem Beifall schon programmiert.
({4}) Und Herr Kleinert fragte weiter:
Wieso soll eigentlich jemand ein Schmerzensgeld bekommen?
- Hören Sie zu! Wer Wintersport betreibt, hat ein zusätzliches Vergnügen.
({5})
Wer sich dabei ein Bein bricht, hat einen zusätzlichen Schmerz. Das hebt sich
- so Herr Kleinert gegenseitig auf.
({6}) Und weiter:
Wer nicht bereit ist, das eben so zu sehen, sondern wer will, daß ein gesetzlich wattierter
- das hat mit Watte zu tun Raum geschaffen wird, in dem sich der Mensch der Natur zuwider bewegt, der darf sich über andere Dinge nicht wundern.
Herr Kleinert, Sie haben damals nachdrücklich der Verabschiedung dieses Gesetzes widersprochen. Die größere Koalitionsfraktion, die SPD, hat sich damals Ihrem beharrlichen Votum angeschlossen.
Nun, der Ministerpräsident des Freistaates Bayern hat sich in den letzten Jahren wiederholt darüber beklagt, daß es bei uns eine Gesetzesflut gibt. Ich frage mich, und meine Freunde von der SPD fragen sich, ob nicht mit diesem jetzigen Gesetzentwurf, für den kein großer Handlungsbedarf besteht, eine neue Gesetzesentwicklung eintritt, die eigentlich entbehrlich sein könnte.
({7})
Klein ({8})
Denn: Nach den Erkentnissen des Justizministeriums gibt es insgesamt etwa 120 Skiunfälle im Jahr. Davon ist ein Drittel schwerer Natur. Das ist schlimm. Aber die Hälfte dieser 120 Fälle wird schon nach dem geltenden Recht abgedeckt; dafür wird schon jetzt gehaftet. Und der Rest fällt keineswegs unter die Regelungen, die jetzt von seiten der CDU/CSU und der FDP über den Bundesrat beabsichtigt wird. Mißt man also die Bedeutung dieses Gesetzentwurfs in absoluten Zahlen, dann kommen allenfalls einige Dutzend Fälle in Betracht.
Bei den Beratungen im Rechtsausschuß wurde von allen Parteien kritisiert, daß der Gesetzentwurf sehr diffuse Formulierungen enthält und daß vor allem kritisch ist, daß die Schleppspur - Sie kennen das, wenn Sie mit Ski und Schnee zu tun haben - ein Teil der Anlage sein soll. Es heißt weiter, daß sich bei „höherer Gewalt" die Betreiber des Liftes bei Veränderungen in dieser Schleppspur dann wieder entlasten können.
Was soll eigentlich dieses Juristenchinesisch, durch das viele nicht hindurchfinden werden? Wir wissen ja alle, wenn wir mal auf Brettern gestanden haben oder heute als Zuschauer noch Spaß am Skisport haben, daß sich eine Schleppspur eben von Minute zu Minute verändert und daß die Beschaffenheit dieser Spur, wenn zusätzliche Witterungseinflüsse kommen, weiter verändert wird.
Nach unserer Auffassung ist es ein Unding, eine schnee- und bodengebundene Anlage als technische Anlage zu verstehen, die in diese neue Haftungsregelung nach der Gefährdungshaftung einbezogen werden sollte. Nach unserer Auffassung ist eine Beweissicherung in diesen Fällen praktisch unmöglich.
Wir sind nicht dagegen, meine Damen und Herren von den Antragstellern, daß der rein technische Teil des Schlepplifts in die Gefährdungshaftung einbezogen werden soll. Das wird natürlich auch bedeuten, daß die Prämien entscheidend steigen. Herr Kleinert hat damals einiges dazu gesagt. Die bayerische Versicherungswirtschaft wird damit rechnen können, daß statt 500 DM Versicherungsprämie, für die Ausweitung der Haftung in Zukunft 750 DM bezahlt werden müssen. Das ist jedoch ein Problem für sich.
Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß über den rein technischen Teil der Anlage geredet werden kann, daß aber alles, was hier ausgeweitet werden soll, was aber nicht konkret abgedeckt ist, sehr intensiv beraten werden sollte mit dem Ziel, daß wir darauf nicht eingehen.
Meine Damen und Herren, wenn wir dem Entschluß des Freistaats Bayern folgen wollen, wäre die Bundesrepublik Deutschland das einzige Alpenland, das eine neue Perfektion in der Haftung gefunden hat.
({9})
Weder Italien noch die Schweiz kennen diese Form der Haftung, die im Bundesrat angesprochen worden ist. Herr Kollege Wittmann, in Österreich gibt es eine sehr modifizierte Form der Haftung. Wenn
sie bestimmter Dinge entkleidet wird, könnte sie auch für uns praktikabel sein. Österreich hat jedenfalls nicht diese diffuse Formulierung im dortigen Haftungsrecht eingebaut, wie es - mit Verlaub gesagt - der Freistaat Bayern hier getan hat. Frankreich wiederum hat eine Regelung gefunden, die mit den anderen Alpenländern schwer vergleichbar ist.
Meine Damen und Herren, wenn es zu dieser Änderung im Haftungsrecht kommt, dann, meine ich, sollten wir mit Sicherheit das beachten, was der Bundesverband Deutscher Eisenbahnen, der die Seilbahnen und Schlepplifte mit vertritt, in den letzten Jahren mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, nämlich sehr sachkundig Argument und Gegenargument zu wägen. Ich bin der Auffassung, daß wir auf den Rat von Fachleuten hören sollten, die sich mit viel Sachverstand diesem Thema in den letzten Jahren gewidmet haben, damit der Gesetzgeber etwas Neues zustande bringt, das haltbar ist und sich sehen lassen kann. - Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Ich erlaube mir, von der Möglichkeit des § 34 der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen.
({0})
Ich darf Ihre Anmerkung „allerhöchstens zehn Minuten" auf fünf Minuten interpretieren.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Haftpflichtgesetz haben wir 1977 geändert; dabei sind die Schlepplifte ausdrücklich ausgenommen worden. Man hat die Sessellifte, die Schwebebahnen und die Seilbahnen einbezogen, weil hier ein Unfall eine unvergleichlich schwerere Konsequenz hätte. Man hat die Schlepplifte ausgenommen, weil es mit dem § 823 BGB grundsätzlich sein Bewenden haben sollte, der ja die vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung als Gefährdungshaftung vorsieht. Der Schleppliftbetreiber haftet danach, wenn er seine Anlage nicht richtig wartet oder warten läßt und dadurch Benutzer zu Schaden kommen.
Wir meinen, das reicht auch unter den Gesichtspunkten aus, die vorhin vorgetragen worden sind. Es ist tatsächlich so, daß sich die Zustände bei einer Schleppspur sehr rasch verändern können. Eine Vorstellung, die Sie leicht nachvollziehen können: Wenn ich für den Abfahrtslauf einen Berg mit dem Schlepplift erklimme und dabei zu Fall komme - was zu Anfang relativ häufig geschehen ist und meine jüngere Tochter in Schwierigkeiten brachte -, wird die Badewanne, die entsteht, nachfolgende Schleppliftbenutzer erheblich in Schwierigkeiten bringen. Sie müssen selbst beurteilen, ob sie die Nutzung vornehmen wollen oder nicht.
Im übrigen wird es dann doch nur darum gehen, daß sich die Versicherungen das gegenseitig hin und her zuschieben. Was sie jetzt über Gefähr1678
Wolfgramm ({1})
dungshaftung hinaus als Krankenversicherung leisten, wird dann zu einem zusätzlichen bürokratischen Aufwand. Es wird nicht dem dienen, was wir uns in diesem Hause alle einmal vorgenommen haben: daß wir versuchen, die Gesetzesflut einzudämmen und nicht zusätzliche Gesetze laufend und permanent so perfektionieren, daß sie eine neue Bürokratie schaffen.
Sport ist nicht ungefährlich. Trotzdem unterziehen sich eine Menge Menschen diesem Vergnügen, es macht ihnen Spaß, und sie nehmen die Risiken, die wir eben gehört haben, bewußt auf sich. Skilaufen ist eines davon, und Wasserskilaufen ist ein anderes. Inzwischen hat man sich j a zum Drachenfliegen emporgehoben. Aber ganz sicher ist Jules Verne zuzustimmen, der gesagt hat: „Ballonfahren ist das Größte von allem."
({2})
Ich will noch darauf hinweisen, daß der Ausschuß seinerzeit beschlossen hat - wie ich meine, mit Recht -, die jetzt wieder vorliegende Regelung zurückzustellen und zunächst den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Gefährdungshaftung abzuwarten, wenn sie der Meinung ist, daß ein solcher vorgelegt werden sollte.
({3})
Das Wort hat Frau Beck-Oberdorf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin kein Rechtsexperte und habe mich mit diesem Gesetz auch nicht beschäftigt. Aber ich will doch mal die Gelegenheit benutzen, ein bißchen den Eindruck wiederzugeben, den man hier notgedrungen haben muß, vielleicht wenn man dort oben sitzt, aber auch, wenn man hier unten sitzt und die Gepflogenheiten dieses Hauses noch nicht so gewöhnt ist, daß man ohne Abstumpfung das hinnimmt, was sich hier abspielt. Man kann natürlich dieser Sache mit Heiterkeit begegnen, daß wir uns hier über Schleppspuren unterhalten. Vielleicht sollten wir uns auch über die Schuhe unterhalten, über Adidas oder ähnliches. Mit diesem Thema beschäftigt man hier den Deutschen Bundestag. Es ist doch ein bißchen absurd, daß sich hier Parlamentarier Stunden um Stunden mit so einem Firlefanz beschäftigen, während bei anderen, sehr wichtigen Debatten, die unser Land betreffen, um jede Minute geknapst oder sogar versucht wird, die Debatte aus dem Haus herauszuhalten.
({0})
Das möchte ich hier einmal sehr deutlich sagen.
Es ist auch zu überlegen, was die Bevölkerung draußen denkt, wenn sie das hier verfolgen würde. Sie verfolgt es j a schon nicht mehr. Vielleicht kann man gerade an dieser Debatte sehen, warum sie nicht mehr verfolgt, was sich in diesem Bundestag abspielt. Sie verfolgt es nicht mehr. Aber wenn sie es wirklich mal verfolgen würde, müßte sie sich ihren Teil denken, wo wir eigentlich hingekommen
sind, was staatliches Regieren, was staatliche Aufgabe heißt, wenn sie so herunterkommt, daß sich dieses Haus mit Schleppliften beschäftigt und sich weniger damit auseinandersetzt, was an wichtigen Fragen in diesem Lande ansteht. Das ist das erste, was ich sagen wollte.
Das, zweite, was ich noch sagen wollte, ist folgendes. Das Verrückte ist j a, daß diese Sache schon etwas damit zu tun hat, wo unsere Gesellschaft hingekommen ist, wenn hier Gesetze für Vor- und Nachteile sowie Folgen von Schleppliften gemacht werden müssen. Man sollte sich vielleicht einmal die Zeit nehmen, zu schauen, weshalb wir solche Gesetze brauchen, weil hier Sportarten entwickelt worden sind, die solche wirklich gefährlichen Dinge nach sich ziehen. Das hat im Grunde genommen auch etwas mit dieser Gesellschaft zu tun, die aus den Fugen gerät. Sie wird immer komplizierter. So etwas wird in diesen Bundestag hineingetragen, während die Menschen ihre Dinge vielleicht bei sich selbst regeln sollten. Es fragt sich, weshalb so etwas auf so zentraler Ebene gemacht werden muß. Also irgend etwas stimmt hier nicht mehr. Ich wollte das einfach mal so ausdrücken.
({1})
Meine Damen und Herren, mit liegen weitere Wortmeldungen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf der Drucksache 10/374 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß, zur Mitberatung an den Sportausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft. Sind Sie mit dem Vorschlag auf Überweisung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
- Drucksache 10/171 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({0})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Im Ältestenrat ist eine Aussprache von 10 Minuten je Fraktion vorgesehen worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort zur Begründung hat der Minister für Justiz des Landes Baden-Württemberg, Herr Dr. Eyrich.
Minister Dr. Eyrich ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einige kurze Bemerkungen zur Begründung dieses Gesetzentwurfs sagen, wie sie den Erwägungen des Bundesrates zugrunde liegen.
Minister Dr. Eyrich ({2})
Die Geltungsdauer des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit ist, wie wir alle wissen, bis zum 31. Dezember 1983 befristet. Da sich die dort enthaltenen Regelungen unstreitig bewährt haben, muß ihre Geltung im Interesse der auch weiterhin dringend gebotenen Vereinfachung und Beschleunigung der verwaltungs- und finanzgerichtlichen Verfahren über diesen Zeitpunkt hinaus sichergestellt werden. Der Entwurf sieht deshalb eine Verlängerung der Laufzeit des Entlastungsgesetzes um weitere fünf Jahre vor.
Darüber hinaus sind aber noch weitere zusätzliche Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit erforderlich. Dies gilt vor allem für Rechtsstreitigkeiten um technische Großanlagen wie z. B. Kernkraftwerke, herkömmliche Kraftwerke ab einer bestimmten Größenordnung, Flughäfen, größere Bundesbahnanlagen, Bundesautobahnen und große Müllbeseitigungsanlagen.
Es besteht in diesem Hause wohl weitgehend Übereinstimmung, daß die hier angesprochenen Verwaltungsgerichtsprozesse in der Regel zu lange dauern. Bis zum rechtskräftigen Abschluß solcher Verfahren können Jahre vergehen, und sie vergehen in der Regel auch.
Als besonders markantes Beispiel darf ich in diesem Zusammenhang den Rechtsstreit um das Kernkraftwerk Wyhl anführen. Dieser Prozeß läuft sieben Jahre und ist jetzt beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Wie lange dieses Verfahren dauern wird, weiß niemand.
Sicherlich - ich gebe es zu - ist das Beispiel des Kernkraftwerks Wyhl nicht repräsentativ für sämtliche Verfahren, die von dem Katalog des Entwurfs erfaßt sind. Aber auch weniger spektakuläre Rechtsstreitigkeiten können - selbst, wenn die Revisionsinstanz nicht angerufen wird - unter Umständen Jahre dauern. Darüber sollten wir uns klar sein, meine Damen und Herren: Das sind Jahre der Ungewißheit, sowohl für den Betreiber der umstrittenen Anlage als auch für die von einem solchen Verfahren betroffenen Bürger.
Dieser in jeder Hinsicht - sowohl für den einen wie für den anderen - unbefriedigende Zustand bedarf dringend einer Korrektur. Es ist nach Auffassung des Bundesrates vor allem auch unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens kaum mehr vertretbar, daß die Realisierung von Großvorhaben im Bereich der Energieversorgung, der Abfallbeseitigung und des Verkehrs, die - und dies muß man auch sagen - in aller Regel zum Nutzen und im Interesse der Allgemeinheit durchgeführt werden sollen, über längere Zeiträume hinweg ungewiß bleibt.
Anzustreben ist deshalb eine Regelung, die den rechtskräftigen Abschluß der Gerichtsverfahren innerhalb eines angemessenen Zeitraums ermöglicht. Dieses Ziel kann wirkungsvoll nur durch den Wegfall einer Tatsacheninstanz erreicht werden. Dabei erscheint es dann sinnvoll und zweckmäßig, die betreffenden Streitsachen wegen ihrer in der Regel landesweiten Bedeutung erstinstanzlich dem Oberverwaltungsgericht als dem obersten Verwaltungsgericht eines Landes zuzuweisen.
Diese Regelungen des Entwurfs müssen nunmehr - und darum bitte ich - möglichst bald getroffen werden. Wie eine kürzliche Umfrage meines Hauses ergeben hat, sind in den Bundesländern für die nächsten Jahre eine ganze Anzahl von Vorhaben der vom Entwurf erfaßten Art geplant. Die damit verbundenen Investitionsentscheidungen in Millionen-, ja in Milliardenhöhe lassen sich in den zuständigen Gremien, aber auch vor der Öffentlichkeit letztlich nur dann überzeugend verantworten, wenn der Rechtsstreit um die jeweils angefochtene Verwaltungsentscheidung bereits rechtskräftig abgeschlossen ist oder aber, wenn eine letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung durch Straffung des Verfahrens jedenfalls noch vor dem Zeitpunkt ergehen kann, in dem bereits erhebliche Mittel in das Vorhaben investiert worden sind. Die Ungewißheit, mit der solche Vorhaben bis zum rechtskräftigen Abschluß des Hauptverfahrens selbst dann behaftet sind, wenn die Gerichte einen etwaigen behördlich angeordneten Sofortvollzug bestätigen, kann nur dadurch auf eine vertretbare Zeitspanne reduziert werden, daß die entsprechenden Rechtsstreitigkeiten unter Wegfall einer Tatsacheninstanz erstinstanzlich dem Oberverwaltungsgericht zur Entscheidung zugewiesen werden.
Ich weiß, wir hören gelegentlich die Befürchtung, daß mit einer solchen Verfahrensgestaltung der Rechtsschutz des Bürgers Not leiden müse, daß mit einer solchen Maßnahme gar ein Abbau des Rechtsstaates verbunden sei. Ich mag diese Befürchtung nicht teilen. Von einem Abbau des Rechtsstaates kann bei einer Verkürzung des Rechtsweges von drei auf zwei Instanzen, wie es im Gesetzentwurf :für bestimmte Verfahren vorgesehen ist, ganz gewiß keine Rede sein. Eine Verkürzung des Instanzenzugs und die damit verbundene Straffung des Verfahrens können geradezu im Gegenteil zu einer Verbesserung des Rechtsschutzes führen, weil zu einem effektiven Rechtsschutz nicht nur gehört, daß die Gerichte eine richtige, eine gerechte Entscheidung fällen. Es kommt auch darauf an, daß Rechtsschutz innerhalb eines angemessenen Zeitraums gewährt wird. Letzteres ist jedoch derzeit bei vielen der hier interessierenden Verfahren nicht der Fall. Rasche Abhilfe tut deshalb not.
Gewiß werden auch die im Entwurf vorgesehenen Regelungen nicht zu dem Idealzustand führen, bei dem sich, wie Sendler es einmal formuliert hat, Schnelligkeit und maximale Richtigkeit von Entscheidungen ausgleichen. Ich bin aber überzeugt, daß die Oberverwaltungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht imstande sein werden, den Prozeßbeteiligten in den hier in Frage stehenden Verfahren einen nach Lage der Dinge optimalen Rechtsschutz zu bieten, d. h. innerhalb einer angemessenen Zeit eine sachgerechte Entscheidung zu treffen.
Wir sollten uns, so meine ich, vor der Illusion hüten, ein Höchstmaß an Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit sei nur bei einer Vielzahl von Instanzen zu erreichen. Wenn dem so wäre, müßten alle
Minister Dr. Eyrich ({3}) gerichtsverfassungsrechtlichen Regelungen, die für bestimmte Verfahren nur eine oder zwei Instanzen vorsehen, als bedenklich angesehen werden.
({4})
Es wird jedoch wohl niemand ernsthaft der Meinung sein, daß etwa die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes, die gerade für die gewichtigsten Strafsachen nur eine Tatsacheninstanz und eine Revisionsinstanz vorsehen, oder daß die Bestimmung etwa des § 50 der Verwaltungsgerichtsordnung, wonach das Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz über bestimmte Verwaltungsrechtsstreitigkeiten zu entscheiden hat, verfassungswidrig seien. Gleiches gilt auch für die Bestimmungen der Finanzgerichtsordnung, die überhaupt nur einen zweistufigen Instanzenzug mit einer Tatsacheninstanz und einer Revisionsinstanz vorsehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat schon mehrfach entschieden, daß aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes nicht die Garantie eines mehrstufigen gerichtlichen Instanzenzuges abzuleiten ist. Art. 19 Abs. 4 gewährleistet den effektiven Rechtsschutz im Sinn einer Rechtsweggarantie, nicht aber im Sinne einer Rechtsmittelgarantie.
Ich darf bei dieser Gelegenheit im übrigen noch daran erinnern, daß die Zuweisungen von Rechtsstreitigkeiten in die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichtes nun wahrhaftig kein Novum in der Verwaltungsgerichtsbarkeit darstellt. Bereits nach geltendem Recht entscheidet das Oberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug über Klagen gegen bestimmte Verfügungen der obersten Landesbehörden auf dem Gebiet etwa des Vereinsrechts. Das Oberverwaltungsgericht entscheidet erstinstanzlich auch über Normenkontrollanträge im Sinne des § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung. Schließlich ist das Oberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug auch für Streitsachen nach dem Flurbereinigungsgesetz zuständig.
Diesen Vorschriften liegt der Gedanke zugrunde, daß bestimmte Rechtssachen wegen ihrer besonderen Bedeutung zweckmäßigerweise von einem Obergericht, nämlich dem Oberverwaltungsgericht, entschieden werden, weil bei diesem Gericht nach Auffassung des damaligen Gesetzgebers ein, wie er sagt, die Verhältnisse rasch klärender und doch nicht geringwertiger Rechtsschutz gewährleistet ist. Diese nach wie vor gültigen gesetzgeberischen Erwägungen rechtfertigen die Begründung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts auch für die vom vorliegenden Gesetzentwurf erfaßten Rechtsstreitigkeiten.
Bei der Überlegung, für diese Verfahren die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts vorzusehen, war auch von Bedeutung der Umstand, daß bei den im Katalog aufgeführten Anlagen in aller Regel besonders intensive, auch dem Rechtsschutz des Bürgers dienende Verwaltungsverfahren durchgeführt werden, in denen durch qualifizierte Behörden eine eingehende und detaillierte Überprüfung der geplanten Projekte vorgenommen wird. Kann man es bei einer solchen
Sachlage wirklich für wünschenswert halten, daß Großverfahren dieser Art, die schon im Verwaltungsbereich eine ganz erhebliche Vorbereitungszeit benötigen, nach einem oft lange dauernden Verfahren in einer gerichtlichen Tatsacheninstanz auch noch durch eine zweite Tatsacheninstanz getrieben werden, ohne daß dort - und das ist j eden-falls, wie die Erfahrung zeigt, die Regel - grundlegend neue tatsächliche Erkenntnisse gewonnen werden können? Ich meine: Nein.
Aus der Sicht des Bundesrates ist allerdings nichts dagegen einzuwenden, wenn entsprechend der Anregung der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens noch die Frage geprüft wird, ob es auch unter Berücksichtigung des Beschleunigungsziels des Entwurfs angemessen wäre, für den einstweiligen Rechtsschutz eine Rechtsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht zu eröffnen. Die Initiatoren des Gesetzentwurfs haben dieses Problem natürlich auch gesehen. Sie haben von der Einführung einer Rechtsbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht abgesehen. Ich meine, dieser Frage sollte in den zuständigen Ausschüssen noch einmal eingehend, auch unter dem Blick einer eventuell drohenden Verfahrensverzögerung, nachgegangen werden. Ein grundsätzliches Nein spricht der Bundesrat dazu nicht, sondern wir müssen erwägen und ausloten, ob hier noch eine Möglichkeit besteht, ohne den mit diesem Verfahren angestrebten Beschleunigungseffekt zu gefährden.
Lassen Sie mich abschließend noch ein paar allgemeine Worte zum Instanzenzug in der Verwaltungsgerichtsbarkeit sagen. Ungeachtet der Besonderheiten der vom Gesetzentwurf erfaßten Rechtsstreitigkeiten, die die Zuweisung in die Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts rechtfertigen, wird sich der Gesetzgeber, davon bin ich überzeugt, unter dem Druck der ständig wachsenden Geschäftsbelastung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in nicht allzu ferner Zeit auch Gedanken darüber machen müssen, ob nicht für sämtliche Verwaltungsrechtsstreitigkeiten unter Beibehaltung der Institution eines dreistufigen Instanzenzuges generell nur noch eine Tatsacheninstanz zur Verfügung gestellt werden soll. Zu denken wäre etwa an das im Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung vorgesehene System der Zulassungsberufung. Diese Frage bedarf - ich weiß es - einer gründlichen Überlegung. Aber diese Überlegung sollte in der Tat angestellt werden.
Im Augenblick geht es nunmehr darum - und da richte ich die Bitte an alle Fraktionen des Hohen Hauses -, einen Weg zu finden, wie die Dauer von Rechtsstreitigkeiten im Bereich der umweltrelevanten Großverfahren auf einen angemessenen Zeitraum beschränkt werden kann. Ich meine, der Gesetzentwurf des Bundesrates zeigt hierfür den richtigen und zugleich rechtsstaatlich unbedenklichen Weg auf. Dieser Weg sollte im Interesse des Anliegens, das dem Gesetzentwurf zugrunde liegt und das ich Ihnen mit meinen Ausführungen zu verMinister Dr. Eyrich ({5})
deutlichen suchte, möglichst rasch beschritten werden.
Eine Regelung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts erst im Zusammenhang etwa mit der beabsichtigten Verwaltungsprozeßordnung, wie dies mitunter gefordert wird, erscheint mir nicht vertretbar. Niemand von uns kann heute sagen, ob und gegebenenfalls wann die Verwaltungsprozeßordnung einmal Gesetz werden wird. Nach meinen Erfahrungen wird es, wenn man die Situation realistisch betrachtet, noch etliche Jahre dauern, bis ein so komplexes Gesetzeswerk, wie es der Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung darstellt, vom Bundestag verabschiedet werden kann.
Demgegenüber wird die vorliegende Gesetzesnovelle mit ihrem überschaubaren Umfang von den gesetzgebenden Körperschaften sehr viel zügiger beraten und abschließend behandelt werden können. Der Bundesrat wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Ihnen Mögliche dazu beitragen könnten.
Danke schön.
({6})
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Buschbom.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der hier zur ersten Beratung anstehende Entwurf des Bundesrates bezweckt, die Verwaltungs- und Finanzgerichte zu entlasten, einmal durch Verlängerung der Gültigkeit des Entlastungsgesetzes, dessen Wirksamkeit am 31. Dezember dieses Jahres endet, zum anderen durch die Schaffung einer besonderen erstinstanzlichen Zuständigkeit für die Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe in Verwaltungsverfahren bei technischen Großvorhaben im Bereich der Energieversorgung, des Verkehrs und der Abfallbeseitigung. Er sieht ferner eine Verfahrensvereinfachung bei Massenverfahren vor und schließlich die Möglichkeit des Gerichts, verspätetes Vorbringen der Parteien zurückzuweisen.
Die Vorschriften des Entlastungsgesetzes - ich glaube, ich kann darauf verzichten, sie im einzelnen aufzuführen - haben sich bewährt. Sie sollten wirksam bleiben, d. h. ihre Geltung sollte verlängert werden. Bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte bei technischen Großvorhaben bestehen grundsätzliche Bedenken wegen des Wegfalls einer Tatsacheninstanz, nämlich der Verwaltungsgerichte, und des damit verminderten Rechtsschutzes des Bürgers, der von technischen Großvorhaben betroffen ist.
Rechtsschutzbeschränkungen auf eine Tatsacheninstanz sind unserem Rechtssystem jedoch nicht unbekannt. Ich verweise auf § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes, in dem die erstinstanzliche strafrechtliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für eine Menge erheblicher Straftatbestände festgesetzt ist. Wir kennen auch die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts in Bund-Länder-Streitigkeiten, bei Vereinsverboten und bei Klagen, die den Bereich des Bundesnachrichtendienstes betreffen.
Die Frage, die bei den Beratungen zu beantworten sein wird, dürfte daher lauten: Wird die beabsichtigte Rechtsschutzbeschränkung durch verbesserte Rechtsschutzgewährung an anderer Stelle, z. B. durch eine Verkürzung der Verwaltungsstreitigkeiten, aufgewoben, oder ist sie als unabwendbare Spar- oder Organisationsmaßnahmen geboten?
Der Deutsche Anwaltsverein hat diese Frage in einem Schreiben, das ich gerade vor einer Stunde bekommen habe, vehement verneint.
Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es der Kenntnis von Rechtstatsachen, die jetzt noch fehlt. Zum Beispiel muß untersucht werden, wie lange die Großverfahren bisher bei den einzelnen Instanzen und insgesamt gedauert haben, wie groß die Anzahl der Berufungsverfahren bei solchen Großverfahren war, in welchem Umfang die Verwaltungsgerichte entlastet und die Oberverwaltungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht belastet und zu verstärken wären, ob sich diese Großverfahren überhaupt für die vorgeschlagene erstinstanzliche Behandlung bei den Oberverwaltungsgerichten eignen. Hier seien nur die Atomanlagen erwähnt und auf die besondere Sensibilität hingewiesen, die in unserem Volk gegenüber Produkten der Kernspaltung besteht.
Eine zuverlässige Antwort auf diese Fragen dufte bis zum 31. Dezember dieses Jahres, dem Außerkrafttreten des Entlastungsgesetzes, nicht zu geben sein.
Für den Fall, daß sich in den Beratungen die grundsätzlichen Bedenken ausräumen lassen - es sei mir hier erlaubt, auf die Ausführungen eines namhaften sozialdemokratischen Richters am Bundesverwaltungsgericht über die notwendige Beschränkung des gerichtlichen Instanzenzugs hinzuweisen -, stellt sich zunächst die Frage, ob der vorgesehene Katalog von technischen Großvorhaben geeignet ist, die bezweckte Entlastung und Verfahrensverkürzung zu erreichen. Bei dem Umfang des Katalogs könnten Zweifel entstehen. Diese wären in den Beratungen auszuräumen; verneinendenfalls wäre der Katalog zu beschränken.
Weiter wäre zu untersuchen, ob im vorläufigen erstinstanzlichen Verfahren vor den Oberverwaltungsgerichten ein verlängerter vorläufiger Rechtsschutz durch Einführung einer Rechtsbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wie der Deutsche Anwaltsverein es fordert und die Bundesregierung zu prüfen bittet, gewährt werden sollte. Eine solche Beschwerde stünde im Widerspruch zum bisherigen System der summarischen Verfahren und der §§ 80 und 123 der Verwaltungsgerichtsordnung und wird daher auch von der Vereinigung der Bundesrichter beim Bundesverwaltungsgericht abgelehnt.
Die vorgesehene Verfahrensvereinfachung bei Massenverfahren und die vorgesehene Möglichkeit, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen, war bereits in dem Entwurf der Verwaltungsprozeßord1682
nung enthalten, die der 9. Bundestag in erster Lesung behandelt hat. Hier stellt sich die Frage, ob diese Entlastungsmaßnahmen vorab mit diesem Entwurf oder mit dem möglicherweise erneut einzubringenden Entwurf der Verwaltungsprozeßordnung beraten werden sollten.
Zusammenfassend kann festgestellt werden: Die Verlängerung des Entlastungsgesetzes muß noch in diesem Jahr vom Bundestag in dritter Lesung beschlossen sein. Die Entscheidung über die übrigen Entlastungsvorschläge bedarf eingehender Prüfung in den Ausschüssen, die in diesem Jahr nicht mehr abgeschlossen werden kann. Die Verlängerung des Entlastungsgesetzes wäre daher vorab zu erledigen. Das letzte dürfte den Fraktionen keine großen Schwierigkeiten bereiten.
Im Namen der CDU/CSU-Fraktion bitte ich, dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrats zu entsprechen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Justizminster Eyrich, ich habe sehr großes Verständnis, wenn Sie auf eine zügige Beratung und eine rasche Verabschiedung der Novelle zum Entlastungsgesetz drängen.
Auch wir sind davon überzeugt, daß sich dieses Gesetz bewährt hat, daß es die Gerichte entlastet und zu einer Beschleunigung der Verfahren geführt hat. Wir unterstützen deshalb dieses Anliegen. Ich frage mich jedoch, weshalb nicht die Bundesregierung und insbesondere der Bundesjustizminister durch eine eigene frühzeitige Gesetzesinitiative dafür gesorgt hat, daß dieses so wichtige Gesetz jetzt nicht unter Zeitdruck beraten werden muß. Wir wundern uns auch darüber, daß die Bundesregierung, und insbesondere der Bundesjustizminister, den vorgeschlagenen Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung uneingeschränkt zustimmt.
Der Bundesjustizminister hat in seiner Einbringungsrede zur Verwaltungsprozeßordnung in der letzten Legislaturperiode am 26. November 1982 im Zusammenhang mit der auch damals diskutierten Frage der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte für technische Großvorhaben erklärt, daß er es für bedenklich halte, im Vorgriff auf die beabsichtigte umfassende Neuordnung des Prozeßrechts einzelne Punkte vorab zu ändern. Ein solches Verfahren, so sagte er, diene weder der Übersichtlichkeit der Gesetzgebung, noch dem Bestreben, die Gesetzesflut einzudämmen. Wie wahr, Herr Bundesjustizminister! Wir Sozialdemokraten sind auch heute noch dieser Auffassung. Uns würde es allerdings interessieren, was der Bundesjustizminister zu diesem erneuten Bruch der von ihm so oft beschworenen Kontinuität in der Rechtspolitik bewogen hat. Auch wenn man niemandem verbieten kann, im Laufe eines Jahres klüger zu werden, so kann man doch erwarten, daß
die Gründe für diesen Sinneswandel dem Parlament dargelegt werden.
Wir wundern uns, Herr Bundesjustizminister, über Ihre uneingeschränkte Zustimmung zu dem Gesetzentwurf des Bundesrats vor allem deshalb, weil die vorgeschlagenen Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung voller Probleme stecken - Herr Kollege Buschbom hat eben darauf hingewiesen - und eine längere Beratungszeit zwingend erfordern. Dies gilt zunächst für die vorgeschlagene erstinstanzliche Zuständigkeit der OVG für technische Großvorhaben. Der Zuständigkeitskatalog lädt nach meiner Meinung die Beteiligten nicht nur geradezu ein, den Instanzenzug zu manipulieren, sondern es ist angesichts der äußerst unpräzisen Formulierungen darüber hinaus zu befürchten, daß sich die Gerichte in vielen Fällen monate- möglicherweise jahrelang mit der Frage auseinandersetzen müssen, welche Instanz zuständig ist, ehe sie zur Sachentscheidung kommen. Statt der behaupteten Beschleunigung ist daher eher das Gegenteil zu erwarten. Mir ist unverständlich, wie man als Bundesregierung einem so unpräzise formulierten Vorschlag uneingeschränkt zustimmen und gleichzeitig behaupten kann, man wolle eine Beschleunigung der Großverfahren erreichen.
Im übrigen stehen wir der vorgeschlagenen erstinstanzlichen Zuständigkeit der OVG aus grundsätzlichen, rechtspolitischen Überlegungen reserviert gegenüber. Der Vorschlag des Bundesrats hat zur Folge, daß bei Rechtstreitigkeiten ab 500 DM zwei Tatsacheninstanzen, bei technischen Großverfahren aber nur eine einzige Tatsacheninstanz zur Vergügung steht. Ausgerechnet in diesem besonders empfindlichen Bereich des Umweltschutzes wird nach unserer Meinung der Rechtsschutz verkürzt. Bei vielen Bürgern dürfte dies unangenehme Gefühle hervorrufen. Die ohnehin häufig geringe Akzeptanz technischer Großvorhaben wird zusätzlich vermindert. Hinzu kommt - das erscheint mir nicht minder gewichtig -, daß die Bundesregierung und der Bundesrat bisher keinerlei empirisches Material vorgelegt haben, um nachzuweisen, daß die eigentliche Ursache für Verzögerungen bei der Realisierung von Großvorhaben in der Struktur des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu suchen ist.
Beim Kernkraftwerk Wyhl, Herr Minister Eyrich, war das gerichtliche Eilverfahren gegen die Genehmigung schon 1977 abgeschlossen. Es hätte gebaut werden können. Wenn trotzdem nicht gebaut worden ist und heute möglicherweise ganz darauf verzichtet wird, so hat dies mit Entscheidungen der politisch Verantwortlichen, nichts aber mit dem Gerichtsverfahren zu tun. In Wyhl heißt die Ursache für den von Ihnen oft behaupteten Investitionsstau nach unserer Meinung Lothar Späth, und es ist nicht das gerichtliche Verfahren.
Wir stehen diesem Vorhaben auch deshalb reserviert gegenüber, weil der Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung erneut eingebracht worden ist. Dieser Entwurf sieht eine grundlegende Umgestaltung des Rechtsmittelsystems vor. Wir halten es daher nicht für vertretbar, durch die Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der OberverFischer ({0})
waltungsgerichte vorab einen so tiefgreifenden Einschnitt in die Rechtsmittelstruktur des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu beschließen, wenn man überhaupt noch nicht weiß, wie das Rechtsmittelsystem nach der Verabschiedung der Verwaltungsprozeßordnung endgültig aussehen wird. Punktuelle Vorabregelungen, die jetzt für technische Großvorhaben vorgeschlagen werden, ziehen nicht nur automatisch den berechtigten Vorwurf auf sich, daß es sich um eine konzeptionslose Flickschusterei handelt, sondern sie gefährden zugleich die von allen politischen Kräften gewünschte Neuordnung des gerichtlichen Verfahrens. Diese Gefahr wird noch verstärkt, wenn man es nunmehr für dringlich erachtet, gleichzeitig die Präklusion verspäteten Vorbringens im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie die Handhabung von Massenverfahren vorab zu regeln. Das geltende Prozeßrecht hat den Gerichten bisher ausreichend Möglichkeiten gegeben, auch Massenverfahren prozeßökonomisch abzuwickeln. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, daß man Verbesserungsvorschlägen aufgeschlossen gegenüberstehen sollte. Die vorgeschlagene Regelung bedarf jedoch sorgfältigster Prüfung. Da sie sich weitgehend an den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechts orientiert, sollte man zuerst einmal klären, wie sich die entsprechenden Regelungen im Verwaltungsverfahren bewährt haben. Auch insoweit fehlt es an rechtstatsächlichen Grundlagen. Darüber hinaus muß nach meiner Meinung auch sichergestellt werden, daß in diesen Massenverfahren nicht das Kostenrecht zu einem Disziplinierungsinstrument rechtsuchender Bürger wird.
Schon heute steht deshalb für die sozialdemokratische Fraktion fest, daß die Regelung dieser Problembereiche nicht ohne die Anhörung von Sachverständigen aus der Praxis möglich ist. Eine Verabschiedung im Hauruckverfahren kommt für uns nicht in Betracht. Da das Gesetz zur Entlastung der Verwaltungs- und Finanzgerichte am 31. Dezember 1983 ausläuft und eine Entscheidung daher, wie Herr Kollege Buschbom zutreffend dargelegt hat, getroffen werden muß, werden wir ebenso wie die CDU/CSU-Fraktion beantragen, die Verlängerung des Entlastungsgesetzes vorab zu beschließen, um ohne Zeitdruck mit der nötigen Sorgfalt die vorgeschlagenen Änderungen der VwGO prüfen zu können. - Danke schön.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frau Kollegin Beck-Oberdorf hat vorhin den Stil unserer Debatte moniert. Ich bin versucht, Ihnen zu empfehlen, in den Annalen des Kaiserlichen Reichstages von, wenn ich mich recht entsinne, 1895 nachzuschlagen, wo man nach 15jähriger Vorbereitung das Bürgerliche Gesetzbuch las. Die größte Debatte entfesselte sich bei der Frage, ob man es bei dem altdeutschen Rechtssatz belassen solle, daß die Biene ein wilder Wurm sei, also darüber, wie die Haftungsschäden im Imkereiwesen sachgerecht zu regeln seien. Ich glaube also, daß man durchaus auch ernsthafte Probleme in heiterer Gemütsverfassung sachgerecht behandeln kann, wenn man das will.
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Unser Kollege Wolfgramm hat uns vorhin aus gutern Grund, wie ich meine, an das Zitat von Jules Verne erinnert, daß Ballonfahren das Größte sei. Das bringt mich dazu, diesen ganzen Gesetzentwurf mit einem Freiballon zu vergleichen, wo man an die Hülle, an den Ballon, der für den Auftrieb sorgt und der scheinbar von allein über Land fährt, einen Korb hängt, und in diesem Korb nutzen Passagiere die Gunst der Stunde. So ist hier der Ballon das Auslaufen des Entlastungsgesetzes bis zum Ende dieses Jahres. Das ist etwas, was alle wollen, weil man j a nicht nur recht haben, sondern auch bekommen will und daher dem Bürger verstopfte Rechtswege überhaupt nichts nutzen.
An diesen Ballon wird nun der Korb gehängt, in dem sich eine Reihe von Passagieren befindet: die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte, die Behandlung von Massenverfahren, die Zurückweisung verspäteten Vorbringens und dergleichen mehr. Insbesondere bei dem ersten Teil muß man sagen: Die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte erfaßt alles, was ökologisch gut und teuer ist. Wir haben uns oft über die Ungereimtheit im Strafverfahrensrecht unterhalten, daß gerade die gravierenden Straftatbestände nur eine Tatsacheninstanz haben, während die kleineren Delikte mit zwei Tatsacheninstanzen bedacht werden. Es gehört schon etwas Nachdenken dazu, wenn etwas, was dort als zweifelhaft gilt, nun hier im Verwaltungsrecht als „Wohltat" eingeführt werden soll.
In der Tat sind die Stellungnahmen des Anwaltsvereins, des Juristentages, ich sage: auch der Bundesregierung wechslungsreich. Ich komme auf das Ballonfahren zurück. Beim Ballonfahren ist es ja so, daß sich in dem Korb nicht nur Passagiere befinden, sondern auch Ballast. Da kann man sehr leicht unterscheiden, was das eine und was das andere ist und was man als Ballast nicht nur abwerfen darf, sondern abwerfen muß, um dem Ballon selbst eine sichere Fahrt zu ermöglichen. Bei diesem Gesetzgebungsverfahren ist das schwieriger. Um noch einmal auf Jules Verne zurückzukommen: Der Reiz dieses Unternehmens liegt darin, daß man zwar den Zeitpunkt des Startes bestimmen kann, daß man aber nicht sicher ist, wie lang die Fahrt dauert und wo sie endet.
Ich kann also für unsere Fraktion nur sagen, daß wir sorgsam prüfen werden, was Passagiere sind und was Ballast ist und daß wir uns bemühen werden, zusammen mit dem Justizminister eine gute Landung zu ermöglichen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die GRÜNEN lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates ab.
Über die Verlängerung der Gültigkeit des Entlastungsgesetzes um fünf Jahre hinaus sind die Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung für großtechnische Anlagen von so gravierender Bedeutung, daß ich sagen möchte: Ich sehe es mehr als eine Wortheuchelei an, hier von Änderungen des Paragraphen zu reden.
Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts hat bezeichnende Parallelen im Strafrecht. Sie sind von meinen Vorrednern schon angesprochen worden. Ich möchte diese Gründe aber einmal beim Namen nennen. Es sind die Entscheidungen bei Friedensverrat, Hochverrat, Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit, bei einem Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, bei einer Straftat gegen Verfassungsorgane, Zuwiderhandlungen gegen das Vereinigungsverbot und bei Völkermord.
Die Neufassung des § 48 der Verwaltungsgerichtsordnung erfährt in der Vorlage eine wiederum bezeichnende Begründung. Die Genehmigung technischer Großanlagen wie Kernkraftwerke, Flughäfen, große Bahnanlagen, Autobahnen, Müllbeseitigungsanlagen sei „schon seit geraumer Zeit nahezu ausnahmslos gerichtlich angefochten" worden. „Die ständig wachsenden Eingänge ... ({0}) im Hinblick auf die derzeitige Haushaltslage ... nicht durch eine weitere Personalvermehrung aufgefangen werden." Die bisherige Handhabe erschwere weitere Planungen und blockiere vorgesehene Investitionen. Dieser in jeder Beziehung unbefriedigende Zustand bedürfe dringend einer Korrektur.
Ich meine, das ist nicht die Sprache der Abgeordneten, das ist die Sprache der Industrie, die daran ein Interesse hat. Nur die Betreiber wollen die geplanten Großprojekte in bedenklicher Beschleunigung gegen den Widerstand betroffener Bürger durchziehen. Damit können wir uns nicht identifizieren. Der Rechtsweg von Verwaltungsgericht, Oberverwaltungsgericht und Revisionsinstanz hat Tradition. Wir wünschen, daß diese Tradition auch in einer zukünftigen Verwaltungsgerichtsordnung erhalten bleibt.
({1})
In Rechtsstreiten, die für den Schutz der Umwelt - mehr noch gegen naturzerstörende und menschenfeindliche Großprojekte - relevant sind, darf die Zuständigkeit der ersten Tatsacheninstanz auf regionaler Ebene nicht wegfallen. Der Bundesminister der Justiz möge doch einmal die Ergebnisse seiner Anfrage bekanntgeben, die er dem Heidelberger Rechtstatsachenforscher Professor Ule verweigerte. Zum Beispiel: Wie lange wurden Bau- und Investitionsvorhaben wirklich verzögert?
In den letzten zehn Jahren haben wir mit der Verhinderung von Großanlagen auf Prozeßwegen und auf dem Weg der direkten Aktionen Erfahrungen gemacht. Ich denke mir, Ministerpräsident Späth wird den badisch-elsässischen Bürgerinitiativen außerordentlich dankbar dafür sein, daß sie seit zehn Jahren den Bau des Kernkraftwerkes und auch des Bleichemiewerks auf der anderen Seite des Rheins in Markelsheim verhindert haben, nachdem er nun auch nach und nach dahinterkommt, daß weder Bedarfsprognosen noch das Reden über die Schaffung von Arbeitsplätzen ein Industriegebiet am Oberrhein rechtfertigen. Ich denke, daß die Minister in Bayern und in Hessen ebenso erleichtert aufatmen würden, wenn es den Bürgerinitiativen gelungen wäre, daß sich nicht hunderttausend, sondern vielleicht sogar eine Million Menschen vor die Bäume an der Startbahn West gestellt hätten oder den Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals verhindert hätten.
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In einem russischen Sprichwort heißt es, daß nicht die Zeiten sich ändern, sondern die Menschen; und die Zeiten ändern sich mit den Menschen. Ich möchte analog dazu sagen: Die Auswirkungen und Gefahren von umweltschutzrelevanten Großanlagen - so heißt es in der Vorlage - ändern wir nicht durch Gesetz und Verwaltungsgerichtsordnung, sondern dadurch, daß die Großanlagen als zum wirtschaftlichen Organismus gehörend begriffen werden, der lebt und der nicht als technikintegriertes System die Erde ausbeutet und alles Leben erstickt.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Finanzausschuß zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 bis 9 auf:
7. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes
- Drucksache 10/172 Überweisungsvorschlag des Ältestensrates: Rechtsausschuß ({0})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
8. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes
- Drucksache 10/267 Überweisungsvorschlag des Ältestensrates: Rechtsausschuß
9. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Vizepräsident Wurbs
Änderung des Strafvollzugsgesetzes
({1})
- Drucksache 10/309 Überweisungsvorschlag des Ältestensrates: Rechtsausschuß ({2})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 7 bis 9 in verbundener Beratung zu behandeln; für die Beratung ist eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall?
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seesing.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Die drei zu beratenden Vorlagen zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes stellen nicht nur die einfache Frage, ob man einen bestimmten Paragraphen des Gesetzes ändern soll oder nicht. Es gilt auch zu erörtern, wie wir auf einige grundsätzliche Fragen zur Rechtsstellung von Häftlingen und Strafgefangenen reagieren.
Im ersten Teil meiner Ausführungen möchte ich mich der Problematik der Zwangsernährung zuwenden, dann mich mit den Fragen der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Strafvollzug befassen und, wenn die Zeit noch reicht, auch auf den Inhalt der Drucksache 10/267 eingehen.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat sich wiederholt mit der Frage der Zwangsernährung von Untersuchungshäftlingen und Strafgefangenen befaßt, so in der 95. Sitzung der 8. Wahlperiode am 8. Juni 1978. Nun ist die Diskussion gerade über diese Frage nicht beendet worden. Verbände, Gremien und Einzelpersonen haben sich weiter mit der Sachlage befaßt. Besonders nach dem Hungerstreik einer größeren Anzahl von Häftlingen in verschiedenen deutschen Vollzugsanstalten im Frühjahr 1981 haben Ärzte, Juristen, Strafvollzugsbedienstete und Politiker sich zu dem Problem geäußert und die im Grunde recht schwierige Diskussion weitergeführt. Ansatzpunkte für neue Überlegungen, die frei von jeder aus einer aktuellen Situation entstandenen Pression angestellt werden können, ergeben sich aus dem Grundgesetz, aus dem Strafvollzugsgesetz selbst und aus der Entwicklung der Praxis.
Männer und Frauen der Praxis wenden sich schon seit Jahren gegen die gültige Fassung des § 101 des Strafvollzugsgesetzes. In vielen Veröffentlichungen wird davon gesprochen, daß bei einer Ernährung des Häftlings gegen dessen körperlichen Widerstand erhebliche Gefahren für Leben oder Gesundheit nicht ausgeschlossen werden können. Zum Glück ist bisher nur eine geringe Zahl von Zwangsernährungen mit schwerwiegenden Folgen bekanntgeworden. Treten aber Komplikationen auf, so sind sie in aller Regel lebensbedrohlich.
Nun ist hier noch kein Wort darüber gesagt, in welcher Weise eine Zwangsernährung durchgeführt wird. Ich kann hier auch nur wieder auf das Protokoll der Bundestagssitzung vom 8. Juni 1978 wie auch auf die zahlreiche Literatur zu diesem Gebiet verweisen. Es ist somit kein Wunder, daß sich Ärztetag, Richterbund und der Bund der Strafvollzugsbediensteten gegen Zwangsernährung ausgesprochen haben. Im Frühjahr 1981 haben zahlreiche Ärzte aus Gründen der Berufsethik von Zwangsmaßnahmen Abstand genommen.
Nun brauchen die Verlautbarungen von interessierten Verbänden, betroffenen Ärzten, Juristen und Beamten noch nicht zu Änderungen in der Gesetzeslage der Bundesrepublik zu führen. Es ist die Frage zu untersuchen, wie in anderen Bereichen die Diskussion geführt wurde und wird. Eine weitere Antwort wird im Strafvollzugsgesetz selbst gegeben. Dort heißt es in § 3 - ich zitiere -:
Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.
Daraus ist zu schließen, daß sich auch in der Frage der Zwangsernährung keine andere Eingriffsverpflichtung des Staates innerhalb des Strafvollzuges ergibt, als sie außerhalb des Vollzuges besteht. Auch im Leben in Freiheit ist der Arzt so lange nicht zur Hilfeleistung verpflichtet, wie der Patient sein Verhalten noch bewußt steuern kann und zur Ablehnung jeglicher ärztlicher Behandlung, einschließlich der Ernährung, kommt. Ich verweise hier auf die Diskussion, wie jungen Menschen zu helfen ist, die sich zum Abmagern entschlossen haben und durch die sogenannte Magersucht in Lebensgefahr geraten können.
Verschiedene Kommentare der letzten Jahre, Artikel in Zeitschriften und einige neuere Buchautoren setzen sich mit den verfassungsrechtlichen Problemen auseinander. So scheint es mir für unsere weiterzuführende Diskussion wichtig zu sein, die Situationsgegebenheiten aufzuhellen. Dazu zwei Beispiele.
Erstens. Ein Häftling scheint an einer ansteckenden Krankheit zu leiden. Er lehnt Untersuchungen und Behandlung ab. Hier kollidiert sein Grundrecht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf körperliche Unversehrtheit und auf Achtung seiner Menschenwürde mit den Grundrechten anderer Personen auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Diese gehen vor und verpflichten die Vollzugsbehörde zum Eingreifen. Es sollte in den weiteren Beratungen geprüft werden, ob man, wenn schon § 101 des Strafvollzugsgesetzes geändert werden soll, diesen Tatbestand nicht deutlicher als bisher nennt, um alle Rechtsunsicherheit zu vermeiden.
Ein weiteres Beispiel. Ein Häftling tritt in den Hungerstreik, um eine bestimmte Forderung durchzusetzen. Hierzu seien noch einige Bemerkungen gestattet. Es ist bisher nicht abschließend geklärt, ob es ein Recht auf Hungerstreik gibt oder nicht. Auf Grund der Erfahrungen in aller Welt und zu allen Zeiten kann man den Hungerstreik als ein gesellschaftspolitisches Kampfmittel betrachten. Professor Ostendorf zieht in seinem in diesem Jahr
erschienenen Buch „Das Recht zum Hungerstreik" zur rechtlichen Klärung den Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes - Recht zur freien Meinungsäußerung -, bei gemeinschaftlichen Aktionen Art. 8 des Grundgesetzes - Versammlungsfreiheit - und - für Einzelfälle - auch Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes - Glaubens- und Gewissensfreiheit - heran. Er schließt daraus auf ein aus der Verfassung abgeleitetes Recht auf Hungerstreik. Damit ist die Frage für mich nicht abschließend geklärt. Sie bedarf sicher weiterer Erörterung.
Gerät der Hungerstreikende in Gefahr, an der Gesundheit Schaden zu nehmen oder gar sein Leben zu verlieren, stellt sich die Frage, ob und in welcher Form darauf zu reagieren ist. Ist bei den Insassen von Vollzugsanstalten anders zu verfahren als bei Menschen in Freiheit?
Nach § 101 Strafvollzugsgesetz sind ärztliche Maßnahmen zur Rettung des eigenen Lebens des Häftlings oder zur Abwendung möglicher schwerer Gesundheitsgefahren vorgesehen. Dem Grundrecht des Häftlings auf Achtung der Menschenwürde, auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Leben und körperliche Unversehrtheit stehen gegenüber die Rechte anderer Menschen, wie gerade geschildert, sowie das Sozialstaatsprinzip, das es verbietet, jemanden sich und seinem Schicksal zu überlassen. Geht es ausschließlich um das eigene Leben des Gefangenen, so ist dessen Anspruch auf seine Grundrechte der Vorrang zu geben, weil damit kein anderes Grundrecht und auch kein Anspruch des Staates gegenüber dem Leben des einzelnen kollidiert.
In seiner Dissertation „Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug und im Vollzug der Untersuchungshaft" vom Februar 1980 vertritt Günter Geißl die Auffassung, daß dem einzelnen auch gegenüber dem Staat keine Pflicht zur Erhaltung des eigenen Lebens obliegt und daß der Staat kein materielles Interesse am Leben des einzelnen geltend machen kann. Er sieht sich in seiner Auffassung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt.
Nimmt man zur Klärung der Problematik noch den Stand der Selbstmorddiskussion hinzu, so muß nach verschiedenen Autoren festgestellt werden, daß der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland eine „Rechtspflicht zum Weiterleben" gegenüber der staatlichen Gemeinschaft fremd ist und ihr aus verfassungsrechtlichen Gründen auch fremd sein muß.
Eine persönliche Bemerkung an dieser Stelle: Wie ich als Christ die Selbstmordproblematik sehe, steht auf einem anderen Blatt. Zur Klärung unserer Frage kann ich also meine persönliche Haltung nicht heranziehen, weil sie mit den Ansichten und der Grundeinstellung des anderen wahrscheinlich kollidieren wird. Es bleibt die Frage nach der verfassungsrechtlichen Behandlung.
Übertrage ich das bisher Gesagte auf unseren Fall des Hungerstreikenden, so ist nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz grundsätzlich das Recht garantiert, auch durch Ablehnung ärztlicher Behandlung über
Leben und Gesundheit zu verfügen. Das gilt voll und ganz auch für die Folgerung aus dem Hungerstreik nämlich die mögliche Vollzugsmaßnahme des Staates durch Zwangsernährung. Eine unterschiedliche Regelung für Untersuchung, Behandlung und Ernährung kommt nicht in Betracht. Eine Verpflichtung der Strafvollzugsbehörde zum Eingreifen ist erst dann vorzusehen, wenn von einer freien Willensbestimmung nicht mehr ausgegangen werden kann.
Ostendorf geht so weit, zu sagen, daß die zu respektierende Eigenverantwortlichkeit auch dann nicht verloren geht, „wenn der Hungerstreik untypischerweise über den Eintritt der Bewußtlosigkeit hinaus fortgesetzt werden soll und für dieses Stadium zuvor ein ernst zu nehmender Wille erklärt wurde". Daraus ist zu schließen, daß dann bei „Unverantwortlichkeit" und bei ausnahmsweise zu begründenden Zweifeln an der Eigenverantwortlichkeit des Hungerstreikenden nicht nur ein Eingriffsrecht, sondern auch eine Eingriffspflicht besteht, entweder durch Erfüllung der Forderung, wenn sie berechtigt ist, oder letztlich durch die Zwangsernährung. In den Ausschußberatungen sollte die Frage geprüft werden, wann genau der Arzt zu einem Eingreifen verpflichtet werden kann.
Wenn die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung des Abs. 3 verwirklicht wird, so wird die Anordnung von Zwangsmaßnahmen von der Anstaltsleitung vorzunehmen sein und werden diese selbst vom Arzt geleitet werden. Dabei untersteht der Arzt dann nicht mehr ausschließlich der ärztlichen beratenden Aufsichtsbehörde, sondern bereits dem Anstaltsleiter. Auch diese Frage muß im weiteren Beratungsverlauf geklärt werden.
Der Bundesrat hat einen weiteren Gesetzentwurf zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes und anderer Gesetze im Deutschen Bundestag eingebracht. Es geht wesentlich um die zukünftige Gestaltung des Rechts zur Sozialtherapie. Seit Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes am 1. 1. 1977 findet die Verlegung von Strafgefangenen in eine sozialtherapeutische Anstalt statt, „wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen einer solchen Anstalt zu seiner" - des Gefangenen - „Resozialisierung angezeigt sind". Die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt ist danach eine interne Angelegenheit des Strafvollzugs, mit der die Strafgerichte im Rahmen der Hauptverhandlung nicht befaßt sind.
Neben dieser Vollzugslösung sieht das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. 7. 1969 als neue und zusätzliche Maßregel der Besserung und Sicherung die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt vor, die sogenannte Maßregellösung. Das Inkrafttreten dieser Vorschriften wurde zunächst vom 1. 1. 1973 auf den 1. 1. 1978 und dann noch einmal auf den 1. 1. 1985 hinausgeschoben, und zwar aus baulichen, personellen, organisatorischen und finanziellen Gründen.
Die zentrale Vorschrift ist der § 65 des Strafgesetzbuches. Hiernach ordnet das Gericht die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt neben der Strafe an, wenn es sich bei Vorliegen noch
anderer Voraussetzungen um bestimmte Tätergruppen handelt. Die Konsequenz einer solchen Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt im Rahmen der strafrechtlichen Bestimmungen, nämlich dieser angeführten Maßregellösung, ist eine Freiheitsentziehung, die zeitlich unter Umständen deutlich über die eigentliche Strafe hinausgehen kann.
Nach den Jahren der Erfahrung mit den sozialtherapeutischen Anstalten im Rahmen des Strafvollzugs mehren sich die Stimmen, die gegen die Maßregellösung schwerwiegende Bedenken vortragen. Die Bedenken sind in der Begründung der Drucksache 10/309 zusammengefaßt. Ich trage sie hier nicht gesondert vor.
Meine Damen und Herren, die Ablehnung der Maßregellösung, verbunden mit der Aufhebung der entsprechenden gesetzlichen Vorschriften, darf aber nicht zu dem Schluß führen, damit würde die gesamte Sozialtherapie in Zweifel gezogen. Die Sozialtherapie ist auch für uns von hoher Wichtigkeit, wenn wir den Behandlungsgedanken im Strafvollzug ansprechen. Sie kann den freien Willen des Täters mit in die Überlegungen einbeziehen, weil dieser innerhalb des Zeitrahmens der ausgesprochenen Strafe seine Haftzeit sinnvoll nutzen kann. Danach muß versucht werden, die Institution der sozialtherapeutischen Anstalt oder Abteilung in anderen Vollzugsanstalten im Rahmen des Strafvollzugs zu stärken und den Gedanken der Sozialtherapie anzureichern.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates geht diesen Weg. Wir werden zu prüfen haben, ob er ausreichend ist.
Auf jeden Fall gilt es, mit nüchternem Blick für die Realitäten die Möglichkeiten zur Behandlung auszuloten. Wir dürfen die Sozialtherapie nicht mit dem Erfolgsdruck allzu großer Hoffnungen beladen. Die bisherigen Erfahrungsberichte und Untersuchungen lassen noch keine gesicherten Erkenntnisse darüber zu, was nun eigentlich wirkt. Sie lassen aber zu, zu fordern, die Fortentwicklung und den Ausbau der Sozialtherapie zu betreiben. Allein schon aus menschlichen Gründen ist die sozialtherapeutische Behandlung eine Strategie, die man innerhalb eines differenzierten Strafvollzugs nur befürworten kann.
Schließlich sollte man im Rahmen dieser Beratung prüfen, ob der Aufbau ambulanter sozialtherapeutischer Modelle sinnvoll ist oder nicht. Es sollte geprüft werden, ob es möglich ist, das Angebot an sozialtherapeutischen Plätzen auf den Umfang des Platzangebots im offenen Vollzug zu erhöhen. Letztlich muß es auch Ziel des Strafvollzugs bleiben, möglichst viele Insassen von Vollzugsanstalten nach Beendigung der Haftzeit so in die Freiheit zu entlassen, daß sie bei entsprechender Hilfestellung der Gesellschaft diese Freiheit dann auch auf Dauer gesetzeskonform nutzen können. Das bedingt natürlich auch, daß jeder Brüger unseres Landes auch einmal über diese Sachverhalte nachdenkt. Ohne Hilfe der Umwelt werden auch sozialtherapeutische Maßnahmen nicht immer erfolgreich bleiben.
Die CDU/CSU-Fraktion empfiehlt, die vorliegenden Gesetzentwürfe der intensiven Beratung in den zuständigen Gremien.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwenk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es hier bei den drei Gesetzentwürfen mit Einzelvorschlägen zum Gebiet des Strafvollzugs zu tun. Allerdings sollten wir die Frage des Strafvollzugs insgesamt dabei nicht ausklammern.
Einige Gesetzentwürfe sind alte Bekannte, die wieder aufgetaucht sind, darunter der Entwurf, nach dem der Pfändungsschutz auch auf das schmale Geld derjenigen erstreckt werden soll, die nicht im Strafvollzug, sondern in einer Maßregel der Sicherung und Besserung sind. Nun kann man natürlich sagen: Auch das ist, gesehen am gesamten Geschehen eine Kleinigkeit. Aber für den, der betroffen ist, hat es Bedeutung. Deshalb lohnt es sich, einige Worte darüber zu verlieren.
Wir hätten das wahrscheinlich bereits in der letzten Legislaturperiode geregelt, wenn sie in einem ordentlichen Zeitablauf zu Ende gegangen wäre. So ist das wieder da. Ich nehme an, daß uns diese Frage nicht allzu sehr beschäftigen wird. Ich freue mich, Herr Bundesjustizminister, daß hier ein kleines Zeichen von Kontinuität gegeben wird, daß nämlich die Bundesregierung den gleichen Vorschlag macht wie in der vergangenen Legislaturperiode, nur, daß sie auf den einen Satz verzichtet: „Sie widerspricht dem Vorschlag des Bundesrates." Sie begrüßt die Maßnahmen und schlägt im übrigen vor, eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen. Denn das ist das eigentlich Richtige, daß das schmale Geld, das die Betroffenen als Entlassungs-
und Übergangsgeld bekommen, bundeseinheitlich geschützt wird. Nun müssen aber auch die anderen Länder nachziehen, nachdem Hessen und Niedersachsen das in einem Maßregelvollzugsgesetz eingeführt haben. Auch die anderen müssen ein Gesetz schaffen, das eine Möglichkeit bietet, diesen Pfändungsschutz auszusprechen.
Zum anderen Gebiet, der Streichung des § 65 des Strafvollzugsgesetzes. Es ist hier wohl begründet worden, daß es nicht sinnvoll sei, jemand einer Therapie zu unterwerfen, der das nicht selber will und selber anstrebt. Es wird gesagt, man könne zweifeln, ob jemand, der in eine Maßregel der Sicherung und Besserung, des Entzugs verbracht worden sei, damit auch gleich therapiewillig sei; er müsse das selber wollen. Wenn er es wolle, müsse ihm auch die Gelegenheit gegeben werden, sich einer Therapie zu unterziehen. Es ist sicher richtig, daß man bisher schon ganz gute Erfahrungen damit gemacht hat, im Strafvollzug diejenigen in eine Therapie zu nehmen, die das wollen, die mitarbeiten wollen, diejenigen aber, bei denen das mit dem Durchhaltewillen nicht richtig klappt, wieder in den Strafvollzug zu übernehmen.
Dr. Schwenk ({0})
Was mich aber bedenklich stimmt, ist die Frage, wie die Zielrichtung im Strafvollzug überhaupt ist. Vor nunmehr acht Jahren, im November 1975, hatten wir hier zu später Stunde eine sehr tiefgründige Debatte zur Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes. Das war damals mit vielen Hoffnungen verbunden. Manche Maßnahmen wie eben die Öffnung der Therapie in dem eben besprochenen Maßregelvollzug sollten erst ab 1. 1. 1985 eingeführt werden, weil die großen Investitionen nur schrittweise zu tätigen waren. Dann ist das Gesetz verabschiedet worden. Viele Hoffnungen haben es begleitet. Viele Enttäuschungen sind danach gekommen.
Vieles von dem, was verwirklicht werden sollte, ist nicht eingetreten. Sicher, wenn man ein solches Gesetz mit großen Hoffnungen begleitet, bleiben Rückschläge nicht aus. Aber zeigt sich nicht in diesem Streichungswillen, ohne daß bekräftigt wird, man wolle die Sozialtherapie, die Therapie ausweiten, ein Wille, Stück um Stück die Möglichkeiten des Strafvollzuges abzubauen? Mein Vorredner hat sich auf die Äußerung von Verbänden bezogen. Vor einem Jahr hat der Bund der Strafvollzugsbediensteten auf seiner Jahrestagung starke Kritik daran geübt, daß es an exekutivem Willen fehle, die Möglichkeiten des Strafvollzugsgesetzes auszuschöpfen, auszubauen, daß statt dessen Sicherheitsdenken den Vorrang einnehme. Die Strafvollzugsbediensteten fühlen sich oft allein gelassen; das geht bis hin zu dem Ausruf: „Wir wollen nicht wieder Schließer werden."
Ich hätte gerne im Zuge der Beratung - auch in den begleitenden Äußerungen sowohl der Landesministerien als auch des Herrn Bundesministers - gehört, daß bei aller Notwendigkeit, sparsam zu sein, der Strafvollzug nicht wieder zum Nachtrab der Gesellschaft werden darf. Alle Personen, die sich im Strafvollzug befinden - bis auf die wenigen Lebenslänglichen, die nie entlassen werden -, kehren eines Tages in die Gesellschaft zurück. Sie müssen dort ihren Platz finden. Viele sind in die Gefängnisse gekommen, weil sie mit dem Leben nicht fertig wurden. Dort besteht noch einmal die Möglichkeit, manchem zu helfen. Ich selber weiß, wie schwer es ist, allen zu helfen. Bei manchen ist es nahezu aussichtslos. Aber so viel, wie es geht, sollte den Gefangenen gerade auch mit Therapiemaßnahmen geholfen werden, das Leben zu bewältigen, den Lebenskampf zu bestehen, wenn sie wieder draußen sind.
Die Frage ist: Ist die Gesellschaft bereit, einen neuen Anlauf zu nehmen, mindestens den alten Schwung nicht immer weiter zurückzudrehen. Das hätte ich anläßlich der Beratungen dieses Gesetzentwurfs im Bundesrat gern gehört. Aber ich habe danach vergeblich im Protokoll gesucht.
Es geht also um die Frage: Ist der Gesellschaft der Therapievollzug zu teuer? Er darf nicht zu teuer sein, weil wir diese Menschen wieder in die Gesellschaft zurückbekommen und als integrationsfähige Menschen zurückbekommen müssen.
Nun zum letzten Thema. Auch hier hat es bereits eine ganze Anzahl von Entwürfen gegeben. Das Problem beginnt mit den schrecklichen Ereignissen
hungerstreikender Häftlinge, die bereit sind, ihr Leben als Waffe einzusetzen, bis hin zum sicheren Tod. Die Anstaltsbediensteten, insbesondere auch die Ärzte, standen vor der Frage: Sollst du helfen, kannst du überhaupt helfen, und wird, wenn du hilfst, diese Hilfe nicht noch Schlimmeres bewirken?
Ich habe an der Begründung des Entwurfs zu kritisieren - das hat mir überhaupt nicht gefallen -, daß in einem Satz auf die öffentliche Meinung Bezug genommen wird, die sich da gebildet hat. Wir können hier im Bundestag eine solch schwerwiegende Frage nicht nach der öffentlichen Meinung eines Tages angehen. Wir wissen, daß diese Frage sehr emotionsbeladen ist. Wir müssen uns von den Emotionen freimachen. Ein solcher Satz gehört nicht in die Begründung eines Entwurfs, der eine solch schwerwiegende Frage wie die aufnimmt, ob einem, der zum Tode bereit ist, gegen seinen erklärten Willen doch zu helfen ist.
Auch der Bund der Strafvollzugsbediensteten hat sich auf seiner Jahrestagung mit dieser Frage befaßt. Dort waren gerade diejenigen mit am Wort, die vor dem Hungerstreikenden stehen, der sich mit letzter Kraft wehrt. Sie stehen hier vor der Frage, ob sie ihm Nahrung zuführen sollen. Das ist für sie schrecklich. Sie haben versucht, sich auf folgenden Ausweg festzulegen: Solange sein freier Wille zu erkennen ist, besteht keine Verpflichtung, etwas zu tun; erst wenn der freie Wille nicht mehr erkennbar ist, also wenn er im Koma ist, kann man tätig werden. Wer aber wie Sie, Herr Kollege, nach allerhand Rechtserkenntnissen argumentiert, muß natürlich sagen: Wenn er seinen freien Willen erklärt hat, dann besteht dieser auch über das Koma hinaus, dann darf ich nicht tätig werden.
So leicht können wir uns das nicht machen. Es geht hier nicht mit dem Abwägen des einen Satzes gegen den anderen. Hier geht es um die Frage, die Sie für sich gestellt, aber dann nicht mehr eingebracht haben: Können wir als Menschen daneben stehen, wenn einer nicht mehr leben will? Wir können j a auch nicht einfach daneben stehen, wenn einer auf der Brücke steht und herunterstürzen will. Dann erklärt er auch seinen Willen, nicht mehr leben zu wollen; trotzdem haben wir ihn festzuhalten. So müssen wir diese Frage angehen.
Ich weiß, wie schwierig das ist. Ich habe die entsprechenden Äußerungen - ob in den Verbandsprotokollen oder in den Zeitungen - gelesen. Dieses Problem wird uns ganz ernsthaft im Rechtsausschuß beschäftigen. Wir werden ohne den Rat von Sachverständigen, ohne den Rat derjenigen, die das durchführen sollten, nicht auskommen können.
Die große Schwierigkeit besteht in der Frage, ob das ein Ausweg ist, was der Bund der Strafvollzugsbediensteten gesagt hat: Wenn die Betreffenden nicht mehr frei bestimmen können, können wir noch etwas tun. Aber dann, ist der Betreffende j a zumeist bereits so geschwächt, daß jede Hilfe zu spät kommt. Das ist die Frage. Ob wir einen Ausweg finden, kann ich nicht sagen.
Dr. Schwenk ({1})
Nun aber noch ein kritisches Wort zu der Vorlage. Man hat es sich mit ihr zu einfach gemacht. Man hat den alten Text genommen und einfach den letzten Halbsatz gestrichen. Es wäre ehrlicher gewesen, wenn in der Vorlage gestanden hätte: „Der letzte Halbsatz wird gestrichen." Dann hätte man es gesehen, worauf es ankommt. Es geht hier um den Satz: „es sei denn, es besteht akute Lebensgefahr". Dann hätten wir gewußt, worum es geht: er ist auch dann sterben zu lassen, wenn er nicht mehr frei bestimmen kann. Jetzt liest sich der Text ganz glatt herunter. Aber der Teufel, der in diesem Detail steckt, wird nicht sichtbar. Deshalb sage ich das noch einmal.
Wenn man aber schon an eine Novellierung des § 101 herangeht, dann muß man sich auch seinen weiteren Problematiken zuwenden. Der Bund der Strafvollzugsbediensteten hat darauf hingewiesen - in einem Fachkommentar habe ich das ebenfalls gelesen -, daß mit diesem Paragraphen, der einen Kompromiß darstellt, damals viele Konfliktlagen auf einmal gelöst werden sollten: den Konflikt des Häftlings mit der Anstalt, mit dem Staat, mit dem Mithäftling. Das alles zusammen konnte dieser Paragraph nicht leisten.
Wenn man das erkennt, muß man die gesamte Frage noch einmal neu aufrollen. Vielleicht muß der Paragraph aufgegliedert werden, um die verschiedenen Konfliktlagen zu lösen. Das hätte aber in der dritten oder vierten Vorlage, die wir zu dieser Frage in diesem Haus bekommen haben, endlich geleistet werden müssen. So sieht es nur so aus, als ob man die eine Konfliktlage jetzt schnell vom Tisch haben will, weil sie ja demnächst wieder akut werden könnte - man möge uns davor bewahren -, während die anderen ungelöst auf der Strecke bleiben. Das geht nicht.
Wir verlangen von den Bundesländern und nun auch von der Bundesregierung, daß sie uns mehr an die Hand geben, als einfach nur den konfliktbeladenen letzten Halbsatz zu streichen in der Erwartung, damit sei angeblich der ganze Konflikt gelöst. Er ist es nicht. Mit dieser Forderung, uns mehr Beratungsmaterial an die Hand zu geben, wollen wir auch in die Ausschußsitzungen gehen. Da werden wir noch ganz schön zu tun haben. Aber die erste bzw. die von Ihnen zuletzt angeschnittene Frage der Pfändungsfreigrenzen sollten wir vorab entscheiden, damit wir das endlich vom Tisch bekommen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Dieses Thema ist eigentlich so ernst, daß es, wie ich glaube, einen größeren Zuhörerkreis verdient hätte. So bescheiden wir uns mit einer erweiterten Rechtsausschußsitzung, was natürlich auch Vorteile haben kann.
Mit der Einführung der Maßregel Unterbringung in einer sozialtherapeuthischen Anstalt wurde seinerzeit gesetzgeberisches Neuland betreten. Ihre Einführung war eine in ihrer Bedeutung für die Strafrechtsentwicklung und später auch für die Entwicklung des Strafvollzugs nicht zu unterschätzende rechtspolitische Tat, an der die Liberalen einen entscheidenden Anteil hatten, wenn ich das einmal unbescheidenerweise sagen darf. Sie ging damals auf eine parlamentarische Initiative der FDP-Bundestagsfraktion zurück, die sich den von 14 Strafrechtsprofessoren erarbeiteten Alternativ- entwurf eines StGB zu eigen gemacht hatte.
Das damals darin enthaltene neuartige Konzept für einen neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs wurde dem eher konservativ ausgerichteten Entwurf 1962, den die Koalition in der 5. Legislaturperiode eingebracht hatte, gegenübergestellt. Es läßt sich nicht bestreiten, daß ganz wesentliche Impulse für die Strafrechtsreform und die Strafvollzugsreform von diesem Entwurf ausgegangen sind. Insbesondere das neue Maßregelsystem war ein wesentliches Element dieser Reform.
Damals wurde erstmals der Versuch gemacht, mit differenzierten Mitteln auf die Tat und den Täter zu reagieren. Man war damals überzeugt, daß eine therapeutische Behandlung bestimmter Straftäter ein Weg sein könnte, weitere Straftaten dieses Täters zu verhindern und damit die Gesellschaft vor diesem Täterkreis zu schützen. Der Gedanke der Behandlung und Resozialisierung von Straftätern wurde damit wohl erstmalig in konkrete gesetzgeberische Maßnahmen umgesetzt.
Natürlich war allen bewußt, daß Maßnahmen der Behandlung und Resozialisierung nur mit einem hohen Einsatz an personellen und finanziellen Mitteln erfolgreich möglich sein konnte. Damals gab es im deutschen Strafvollzug nur sehr wenige Erfahrungen mit der Sozialtherapie; denn diese war ja für die Bundesrepublik Deutschland eine völlig neue Form der Reaktion auf strafwürdiges Unrecht. Man hatte sich damals eher an ausländischen Vorbildern orientiert, wo allerdings gute Erfolge erzielt worden waren.
Diese mangelnden Eigenerfahrungen mit der Sozialtherapie waren dann auch der Grund, das Inkrafttreten der strafrechtlichen Vorschriften auf 1973 hinauszuschieben. Es mußte notgedrungen dann immer weiter hinausgeschoben werden, zuletzt bis 1985, dies allerdings nicht, weil sich die Sozialtherapie etwa nicht bewährt hätte, sondern deshalb, weil für die Einrichtung selbständiger Anstalten die finanziellen Mittel einfach nicht mehr vorhanden waren. Die gemeinsame Entscheidung aller im Bundestag vertretenen Parteien für eine gesetzliche Verankerung der sozialtherapeutischen Anstalten im Strafvollzugsgesetz hat nun gezeigt, daß der eingeschlagene Weg vom Ansatz her von allen als richtig erkannt worden ist.
Man hat in der Zwischenzeit natürlich auch neue Erkenntnisse gewinnen können. Man weiß inzwischen deutlicher als damals, als man sich für die strafrechtliche Lösung entschieden hatte, daß Behandlung nicht verordnet, durch Strafurteil angeordnet werden kann, wenn sie erfolgversprechend sein soll. Behandlung muß angenommen werden,
sie muß freiwillig sein. Dies war damals sicherlich eine Schwachstelle der Reform.
Inzwischen hat sich wohl die Überzeugung durchgesetzt, daß auch die Einweisungsvorschriften im Strafgesetzbuch ein wenig zu starr umschrieben sind, daß eine flexiblere Lösung notwendig ist. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß eine Prognose über die Behandlungsfähigkeit eines Straftäters im Zeitpunkt seiner Aburteilung außerordentlich schwierig ist. Das Gesetz gibt ja auch keine Handhabe, jedenfalls keine ausreichende, einen nicht behandlungswilligen und damit auch behandlungsfähigen Straftäter aus der sozialtherapeutischen Anstalt wieder herauszunehmen. Insoweit kann die vom Bundesrat vorgeschlagene vollzugsrechtliche Regelung geeignet sein, auch die sehr teuren Haftplätze besser zu nutzen.
Ein weiterer Vorteil dieses Entwurfs scheint darin zu liegen, daß die Sozialtherapie enger mit dem Normalvollzug und seinen Förderungsmaßnahmen verknüpft werden kann. Dies kann sich auf die Weiterentwicklung des Normalvollzugs zum Behandlungsvollzug wie auch auf die Entwicklung verbesserter sozialtherapeutischer Maßnahmen günstig auswirken.
Wenn nun die vorgeschlagene Gesetzesänderung diese Auswirkungen hätte, könnte man ihr wohl vorbehaltlos zustimmen. Die Länder haben nun in der Begründung wie auch in der Beratung im Bundesrat übereinstimmend erklärt, daß an einen Abbau der Sozialtherapie nicht gedacht sei. Wir werden die Länder an diesem Versprechen festhalten und die Entwicklung sehr sorgfältig beobachten.
Ich meine, daß wir in der parlamentarischen Beratung doch darauf sehen sollten, daß das von den Ländern erklärte Anliegen, den Gedanken der Sozialtherapie innerhalb des Strafvollzugs zu betonen und zu fördern, auch im Gesetz einen angemessenen Ausdruck findet. Damit würde auch die Kritik an dem Entwurf, hier würde etwas von den Kernstücken der Strafrechtsreform zurückgenommen, gegenstandslos werden.
Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zum Problem der Zwangsernährung sagen. Bei der zweiten Initiative des Bundesrats handelt es sich um eines der schwierigsten Probleme, das mit strafrechtlichen Mitteln vielleicht überhaupt nicht zu lösen ist. Es geht um die Lösung des Konflikts zwischen der freien Entscheidung des einzelnen und der Fürsorgepflicht des Staates für Leben und Gesundheit des Gefangenen. Es geht aber auch um den Arzt, der die zwangsweise Behandlung gegen den Willen des zu Behandelnden durchführen muß, und seine berufsethische Entscheidungsfreiheit.
Bei den Beratungen des Strafvollzugsgesetzes hat man damals unter dem Eindruck des Todes eines Gefangenen sehr intensiv um eine sachgerechte Lösung gerungen. Die älteren Kollegen wissen davon zu berichten. Es hat sehr viele Gespräche zwischen den damals im Bundestag vertretenen Parteien und den Bundesländern gegeben. Das Ergebnis war dann eine von allen an den Beratungen Beteiligten getragene Regelung. Diese Regelung,
die Sie kennen, ist vielleicht nicht ideal, sie war aber auf Grund des damaligen Erkenntnisstandes die einzig durchsetzbare.
Es ist sicher richtig, wenn der Bundesrat nun sagt, in der Praxis habe die Vorschrift große Schwierigkeiten gemacht. Die Regelung ist auch von den betroffenen Berufsgruppen kritisiert worden. Diese Kritik sollten wir sehr ernst nehmen. Diese Gruppen sind es ja, die sich unmittelbar mit den Gefangenen auseinandersetzen müssen, die den Konflikt persönlich austragen müssen. Wir werden also den Vorschlag des Bundesrats sorgfältig prüfen und uns die Erfahrungen derjenigen zunutze machen, die in der Vergangenheit mit den Problemen der Zwangsernährung konfrontiert worden sind.
Als letztes ein Wort zum Pfändungsschutz. Wir begrüßen den Vorschlag, die Regelung des Strafvollzugsgesetzes über die Unpfändbarkeit des Überbrückungsgeldes und der Entlassungsbeihilfe für die Untergebrachten zu übernehmen, teilen jedoch die Bedenken der Bundesregierung, dies jeweils in das Ermessen des Landesgesetzgebers zu stellen. Dies würde zu einer Rechtszersplitterung führen, die weder für die Gläubiger noch für die Begünstigten wünschenswert wäre. Der Sprecher der Opposition hat eben darauf hingewiesen. Ich verbinde damit auch die Bitte, daß der bei den Länderregierungen, die von seiner Partei geführt werden, hierauf hinwirkt. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir werden über den Gesamtfragenkomplex im Ausschuß noch sehr eingehend beraten müssen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den drei heute vorliegenden Gesetzentwürfen ist eine Grundidee gemeinsam, nämlich das Selbstbestimmungsrecht, die Selbstverantwortlichkeit sowie die Stellung des Strafgefangenen stärker zu berücksichtigen. Diese Absicht begrüßen wir ausdrücklich. Darum unterstützen wir die uns in Drucksache 10/267 vorliegende Novelle, die die Unpfändbarkeit von Überbrückungsgeld und Entlassungsbeihilfe auch für solche Gefangenen vorsieht, die während der Haftzeit dem Maßregelvollzug unterliegen.
Wir schließen uns allerdings den Fassungsvorschlägen der Bundesregierung an, weil wir - wie diese - der Meinung sind, daß diese wichtige Regelung nicht zu einer Ermessensfrage einzelner Bundesländer werden darf.
Bei Drucksache 10/172, die die Zwangsernährung von Häftlingen betrifft, wird von seiten der GRÜNEN der Überweisung zugestimmt. Wir geben aber zu bedenken, daß zweifellos nicht das gelöst wird, was der eigentliche Hintergrund der Novelle ist, nämlich das Problem oft inhumaner Haftbedingungen.
Wir sind der Meinung, daß die Probleme von Hungerstreik und Zwangsernährung am ehesten
dadurch gelöst werden können, daß man den Mindestanforderungen eines humanen Strafvollzuges entspricht und daß Gefangene nicht der Gefahr der Auslieferung an ein Folterregime ausgesetzt werden.
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Bei dem in Drucksache 10/309 vorliegenden Gesetzentwurf finden wir einmal die berechtigten Hinweise auf Bedenken gegen die Maßregellösung besonders positiv, zum anderen die Einführung des Freiwilligkeitsprinzips. Zwangstherapie ist tatsächlich kein geeignetes Mittel zur Resozialisierung. Die Vollzugslösung hat auf den ersten Blick den Vorteil, daß sie den Handlungsspielraum erweitert, Wahlmöglichkeiten öffnet und vor allem auf individuelle Bedürfnisse abstellt. Insgesamt aber weist der Entwurf viel zu viele Schlupflöcher auf, durch die Sinn und Zweck des Gesetzes unterlaufen, wenn nicht sogar in sein Gegenteil verkehrt werden können.
So enthält diese Novelle zahlreiche Gummiparagraphen. § 9 Strafvollzugsgesetz ist als Kann-Regelung ausgestaltet. Da heißt es:
Der Gefangene kann in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden. Er kann wieder zurückverlegt werden, wenn die Maßnahme voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Alle diese Maßnahmen setzen außerdem die Zustimmung des Anstaltsleiters voraus.
§ 123 schreibt vor, daß - ich zitiere von den übrigen Vollzugsmaßnahmen getrennte sozialtherapeutische Anstalten vorzusehen sind.
Von einer Verpflichtung zur tatsächlichen Bereitstellung ist keine Rede.
Dadurch und durch die Kann-Regelung gemäß § 9 Strafvollzugsgesetz sind die Länder eben nicht gehalten, eine ausreichende Zahl von Plätzen tatsächlich einzurichten. Mit dem Hinweis auf entsprechende Belegung kann ein Antrag jederzeit abgelehnt werden.
Ein weiterer schwerer Mangel der Gesetzesnovelle ist die Tatsache, daß die Finanzierung völlig zweifelhaft ist, da die Länder offensichtlich überfordert sind. Die Länder sahen sich bisher schon außerstande, die finanziellen Mittel für notwendige Einrichtungen und das Personal bereitzustellen, die zur Durchführung eines Maßregelvollzugs gemäß § 65 Strafgesetzbuch nötig gewesen wären. Diese Finanzierungsschwierigkeiten bei der Errichtung sozialtherapeutischer Anstalten war auch ein Hauptgrund dafür, daß das Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts in allen seinen Teilen nicht - wie ursprünglich vorgesehen - am 1. Oktober 1973 stattfand und bis heute noch aussteht. Das heißt, daß von den Verantwortlichen in all den Jahren zwar immer vom Prinzip „Therapie statt Strafe" geredet worden ist, daß aber die materiellen Mittel dafür nicht bereitgestellt worden sind.
({1})
Wenn nun der neue Gesetzentwurf wirklich eine Verbesserung - was er ja vorgibt zu sein - für die Strafgefangenen gegenüber der §-65-Lösung sein soll, so müßte man konsequenterweise von noch höheren Kosten für die Vollzugslösung ausgehen. Das Gegenteil ist aber der Fall. In Teil D der uns vorliegenden Drucksache wird die Erwartung ausgesprochen, daß die Länder durch die neuen Regelungen erhebliche Einsparungen erzielen können. Im allgemeinen Teil der Drucksache 10/309 heißt es auf Seite 10:
Auch in Zukunft kann der weitere Ausbau der Sozialtherapie nicht ohne Zusammenhang mit den vielfältigen, dringenden und zunehmend kostenintensiven anderen Aufgaben des Strafvollzugs gesehen werden.
Unter den genannten Gesichtspunkten ist der vorliegende Gesetzentwurf nicht geeignet, eine weitere Fortentwicklung der Sozialtherapie zu leisten. In dieser Form stellt der Gesetzentwurf vielmehr ein Spargesetz dar, weil eine Entlastung der Länder von dem finanziellen Druck im Vollzugsbereich dadurch erreicht wird, daß die Sozialtherapie zur Verfügungsmasse des Gesamtvollzugs wird. Dadurch würde ein Kernstück der Strafrechtsreform der schleichenden finanziellen Auszehrung zum Opfer fallen, und wieder einmal würden - wie in diesen Tagen so oft - auf Kosten der Schwächsten im Glied der solidarischen Gesellschaft finanzielle Probleme entschärft.
({2})
Ich bitte Sie, diese Gesichtspunkte bei der Ausschußberatung zu berücksichtigen, und kündige für die GRÜNEN an, daß wir im Rahmen der Beratung entsprechende Vorschläge einbringen werden.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es ergibt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen
- Drucksache 10/229 Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Sind Sie mit der Regelung einverstanden? - Das ist der Fall.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt der Absicht der Bundesregierung zu, mit diesem Gesetzentwurf die Pfändungsfreibeträge, die einem Schuldner bei der Zwangsvollstreckung in sein Arbeitseinkommen verbleiben, den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Diese Freibeträge sind zuletzt durch das 4. Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 28. Februar 1978 mit Wirkung vom 1. April 1978 angehoben worden.
Da die Lebenshaltungskosten seitdem gestiegen sind, verbleiben Schuldnern im Falle der Vollstrekkung in ihr Arbeitseinkommen oft nicht genügend Mittel für ihren Lebensunterhalt. Auch wenn sich der Schuldner möglicherweise selbst in eine finanzielle Notlage manövriert hat, so muß ihm doch so viel verbleiben, daß er und die von ihm unterhaltenen Angehörigen ein menschenwürdiges Leben führen können. Die Zielrichtung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ist deshalb sicherlich richtig.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß die seit 1978 gestiegenen sozialen Leistungen in manchen Fällen bereits den Betrag übersteigen, der dem Schuldner nach den geltenden Freigrenzen verbleibt. Die Folge ist, daß der Schuldner zum Ausgleich auf Sozialhilfe zurückgreifen kann, so daß letztlich der Steuerzahler für private Schulden aufzukommen hat. Das ist sicherlich ein unbefriedigender Zustand.
Der Entwurf der Bundesregierung sieht daher richtigerweise im Grundsatz eine Anhebung der Freibeträge unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Leistungen der Sozialhilfe zum Lebensunterhalt vor. Die Freibeträge knüpfen an die Regelsätze für Leistungen der Sozialhilfe zum Lebensunterhalt nach dem Stand vom 1. Januar 1982 an. Folgerichtig hat der Bundesminister darauf aufmerksam gemacht, daß eigentlich eine Anpassung an unmittelbar bevorstehende bzw. demnächst eintretende Erhöhungen der Regelsätze für Leistungen der Sozialhilfe erfolgen müßte.
Meine Damen und Herren, trotz der richtigen Grundzielsetzung des Gesetzentwurfs wird aber die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Laufe der parlamentarischen Beratungen sehr gewissenhaft prüfen, ob die Erhöhungen so bemessen sind, daß weder die Haftung für Schulden unangemessen eingeschränkt noch die Kreditfähigkeit der geringer Verdienenden beeinträchtigt wird. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf wird nämlich durchschnittlich eine höhere Erhöhung der Freibeträge vorgenommen, als es der übrigen Einkommensentwicklung laut Statistischem Bundesamt entspricht.
So hat sich auch die Bundesrechtsanwaltskammer bereits im vergangenen Jahr zu der damals schon beabsichtigten Anhebung kritisch geäußert. Sie hat darauf hingewiesen, daß das pfändungsfreie Einkommen mit der Indexsteigerung der Lebenshaltungskosten, jedenfalls bis 1981, durchaus Schritt gehalten habe. Auch ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß nach der Neuregelung des Pfändungsschutzes im Jahre 1959 die Anpassungen
in längeren Zeiträumen erfolgt sind, nämlich 1965, 1972 und 1978.
Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Der Grundgedanke des Regierungsentwurfs ist richtig, daß es nämlich vermieden werden sollte, die pfändbaren Lohn- und Gehaltsanteile geringer als die nach dem BSHG maßgeblichen Sätze für die Hilfe zum Lebensunterhalt festzusetzen. Das Problem besteht sicherlich darin, daß es schwierig ist, einen vergleichsweise heranziehbaren Wert der durchschnittlichen Sozialhilfe zu finden, weil die Sozialhilfe ausschließlich nach den persönlichen Umständen und Bedürfnissen der Betroffenen berechnet wird. Hierauf werden wir in den Ausschußberatungen noch zurückkommen und auch unsere abschließende Meinung bezüglich der Anhebung bilden.
Wir sind auch aufgeschlossen für die Vorschläge des Bundesrats zur Vereinfachung der Tabelle und zur besseren Übersichtlichkeit der gesamten Anlage. Es ist schon mißlich, Herr Minister, wenn die Tabelle mit den Beträgen nach geltendem Recht schon 34 Seiten umfaßt, während es 1959 bei der Neuregelung des Pfändungsschutzes ganze 6 Seiten waren. Im Interesse der Rechtsanwender ist hier sicherlich eine Vereinfachung sehr wünschenswert.
Die vorstehenden Überlegungen und das schwierige Abwägen der verschiedensten Interessen in einer für viele Menschen in unserem Land finanziell sehr bedeutsamen Frage machen schon deutlich, daß wir uns entgegen den Überlegungen der früheren Bundesregierung und auch entgegen den Überlegungen des Bundesrats dagegen wenden, die Bundesregierung zu ermächtigen, die Vorschriften über die Freibeträge durch Rechtsverordnung den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Auch wenn es natürlich gute Gründe dafür gibt, nämlich eine schnellere Anpassung an wirtschaftliche Verhältnisse und möglicherweise eine Entlastung der Gesetzgebungsorgane, so spricht dennoch dagegen, daß die Bemessung der Pfändungsfreigrenzen einen erheblichen Eingriff in die sehr sensiblen Rechtsbeziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern darstellen. Die Frage ist daher durchaus von wirtschafts- und sozialpolitischer Bedeutung, und sie sollte daher der Regelung durch die gesetzgebenden Körperschaften vorbehalten bleiben.
Lassen Sie mich abschließend noch darauf hinweisen, daß wir der mit diesem Gesetz gleichfalls beabsichtigten Änderung des § 59 Abs. 2 der Konkursordnung zustimmen, wodurch klargestellt werden soll, daß die Ansprüche auf Pflichtbeiträge im Konkurs ebenso wie die auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt bloße Konkursforderungen sind. Diese Materie hat zwar mit der eigentlichen Gesetzesproblematik nichts zu tun, es wird aber eine Rechtsunsicherheit beseitigt, und es erfolgt eine gesetzgeberische Klarstellung, so wie es vom Gesetzgeber seinerzeit wohl beabsichtigt war. Ganz offensichtlich unterlief im Jahre 1979 bei der Verabschiedung des 5. Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ein
gesetzgeberisches Versehen, auf das ich hier nicht näher eingehen kann.
Die Länder, die Bundesanstalt für Arbeit, der Richterbund und andere stimmen der beabsichtigten Änderung zu. Im Hinblick auf die derzeitigen Probleme bei den Konkursverfahren sagen wir in der Sache ja, können allerdings dem Verfahren nur mit gewissen Vorbehalten zustimmen. Hier wäre besser ein anderer Weg gefunden worden. Das hätte der Sache mehr gedient. - Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind Gesetzgeber, wir machen Gesetze. Wir haben im Wege der Gesetzgebung Beziehungen zwischen Menschen zu regeln. Zu diesen ältesten Aufgaben einer Gesetzgebung gehört es auch, daß jemand, der eine Ware erwirbt, für diese einen Preis zu zahlen hat. Dazu gehört auch, daß jemand, der die Ware geliefert hat und sein Geld nicht bekommt, wenn der Erwerber säumig wird, den Weg über die Mahnung und die Zwangsvollstreckung beschreiten kann.
Im primitiven Recht, meine Damen und Herren, war diese Vollstreckung oftmals hart, und sie hat nicht selten zu der wirtschaftlichen und sozialen Existenzvernichtung des Schuldners und seiner Angehörigen geführt. Wir kennen die Praxis des Schuldturmes, wir wissen, daß Leute dort nicht mehr herauskamen, wenn sie den Weg in die bürgerliche Gesellschaft zurückfinden wollten.
Meine Damen und Herren, eine erst spät verwirklichte Errungenschaft des sozialen Rechtsstaates ist es, daß auch der Schuldner, d. h. derjenige, der Geld aufgenommen oder eine Ware erworben hat, ohne sie zu bezahlen, einen gewissen Schutz genießt; der Eigentumsbegriff und das Eigentumsrecht nach dem Grundgesetz sind auch hier mit eingeschlossen. Wir sind der Auffassung, daß auch das Eigentum des Schuldners, in dem Falle, von dem wir reden, das Arbeitseinkommen, in einem gewissen Umfange mit geschützt ist. Auch dem Schuldner soll bei der Pfändung so viel an Geld verbleiben, daß er, wie das Sozialhilfegesetz sagt, „menschenwürdig leben kann".
Wir befassen uns hier - Herr Kollege Bohl, Sie haben es erwähnt - zum fünften Mal mit der Änderung der Pfändungsfreibeträge. Davon sind Hunderttausende von Menschen betroffen, Schuldner und ihre Angehörigen. Wir Sozialdemokraten finden es erwähnenswert, daß bei der letzten Änderung der Pfändungsfreigrenzen davon gesprochen wurde, daß auch dem Schuldner ein „menschenwürdiges Leben" garantiert sein soll. Wir vermissen, daß nun bei der fünften Änderung die Aussage über das „menschenwürdige Leben" fehlt. Es ist vielleicht Zufall, es kann auch Absicht sein. Vielleicht deutet sich die Wende auch in dieser Hinsicht verbal mit an.
({0})
Meine Damen und Herren, wenn wir uns einen Rückblick auf die Entwicklung der Pfändungsfreigrenzen in den letzten zwei Jahrzehnten gestatten - es lohnt sich, das zu tun -, dann wissen wir, daß ein Alleinverdienender, der für sich allein zu sorgen hatte, beispielsweise im Jahre 1965 ganze 225 DM freies Geld hatte. Sieben Jahre später stieg dieser Betrag auf 340 DM. Gegenwärtig - seit 1978 praktiziert - lautet dieser Betrag 560 DM. Er soll, wenn die Regierungsvorlage Gesetz wird, bei gleichem Sachverhalt, künftig 745 DM im Monat betragen.
Wir Sozialdemokraten begrüßen grundsätzlich diese geplante Änderung. Aber, Herr Kollege Bohl, Sie sprachen davon, dies sei eine Anpassung an Entwicklungen im Sozialhilferecht. Wir hatten 1978 andere Dispositionen getroffen. Es ist nämlich damals versucht worden, mit der Neufestsetzung der Freigrenzen nicht nur den steigenden Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen, diese Freigrenze ist auch strukturell geändert worden. Damals hatten wir über eine Anpassung der Freigrenzen an die in der Spanne von 1972 bis 1978 um 35 % gestiegenen Preise zu befinden, aber die Freigrenzen, die 1978 gefunden worden sind, lagen um 65% über dem, was vorher vereinbart worden war. Dies war nach unserer Auffassung auch eine Änderung im System, die wir jetzt vermissen. Denn die Zahlen im Gesetzentwurf weisen aus: Von April 1978 bis August 1982 stiegen die Lebenshaltungskosten um 22,5 %; die Anpassung liegt bei rund 30 %. Wenn wir das letzte Jahr mit einrechnen, liegen wir bei der Steigerung der Lebenshaltungskosten bei etwa 27-28 %. Das heißt also, die neue Regelung fängt nur Preissteigerungen auf, ändert strukturell nichts und sieht vor allem auch nicht vor, daß für die denkbaren Preisentwicklungen in den nächsten Jahren eine Vorhaltezone, ein Puffer, mit geschaffen wird. Aus diesem Grunde sind wir der Auffassung, daß der Bundesrat hier richtig votiert hat, als er sagte, man sollte hier eine zeitnahe Anpassung finden. Es wird eine Aufgabe der Beratungen im Rechtsausschuß sein, dafür zu sorgen, daß wir wirklich eine adäquate Anpassung der Freigrenzen an die steigenden Lebenshaltungskosten finden können.
Meine Damen und Herren, in einem Nebensatz hat der Kollege Bohl davon gesprochen, daß auch Gepfändete den Weg zum Sozialamt suchen. Herr Kollege Bohl, es sind dies nicht nur wenige, es sind viele, die diesen Weg gehen müssen. Wir sind der Auffassung, daß private Schulden nicht durch Inanspruchnahme öffentlicher Mittel - Sozialhilfemittel sind öffentliche Mittel - getilgt werden dürfen. Aus diesem Grunde sollten wir den pfändungsfreien Betrag so festsetzen, daß Belastete nicht den Weg zum Sozialamt antreten müssen. Ich bin sicher - ich entnehme es Ihren Kopfbewegungen, Herr Kollege Bohl -, daß wir im Rechtsausschuß zu einem vernünftigen Weg kommen können und kommen werden. Denn wir entlasten auf diesem Wege auch viele Sozialämter der Gemeinden und der Städte, die in den letzten Jahren nicht ohne Grund darüber geklagt haben, daß die Belastungen der Sozialämter drastischer geworden sind.
Meine Damen und Herren, ich bedauere, daß wir uns bei dieser Debatte auf Andeutungen, auf Ver1694
Klein ({1})
mutungen beschränken müssen, weil wir über die Zahl der Pfändungsvorgänge herzlich wenig sagen können. Ich habe in diesen Tagen im Statistischen Jahrbuch nachgeguckt und nichts Greifbares, Verwertbares gefunden; nämlich etwas, was uns gesagt hätte - das wäre etwas Greifbares -, wie die Zahlen der Pfändungsvorgänge, der Lohnpfändungen in der letzten Zeit ausgesehen haben. Wir können zwar im Statistischen Jahrbuch nachlesen, daß es beispielsweise im Jahre 1980 in Bayern 14 300 Ponys und Kleinpferde gegeben hat und daß in diesem Bundesland 1980 sogar 329 100 Truthühner vorhanden gewesen sind. Aber über die Zahl der Lohnpfändungen, die Hunderttausende - oder in Bayern Zehntausende - von Leuten betrifft, ist in dem Statistischen Jahrbuch keine Silbe nachzulesen.
Man kann immerhin aus den Zahlen, die dort über die Zwangsvollstreckungen, die Mahnsachen, die eidesstattlichen Versicherungen, die Hausversteigerungen usw. zu lesen sind, Schlußfolgerungen ziehen. Bei allen diesen Fällen zeigt sich eine steigende Tendenz mit Zuwachsraten von 10 bis 23 % zwischen 1980 und 1981. Das heißt, daß die Pfändungsvorgänge zahlreicher geworden sind und auch in der nächsten Zeit angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung die Zahl mit Sicherheit noch zunehmen wird.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß nicht nur schuldhaftes Verhalten von Geldnehmern oder von säumigen Zahlern dazu geführt hat, daß es mehr Lohnpfändungen gibt und daß Vollstrekkungsbeamte mehr zu tun haben, als es in den letzten Jahren der Fall war. Vielmehr sind dafür eindeutig auch die Anbieter von Waren und von Dienstleistungen verantwortlich, vor allem die Anbieter von Geld, von Kredit.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Danke schön, nachher!
Ich mache dafür auch die Anbieter verantwortlich, die beispielsweise heute im „Express", unserer Bonner Boulevardzeitung, schreiben, daß Bargeld spielend gegeben werden kann, daß Geldsorgen, die jeder von uns mal hat, nun behoben werden können: „Wenden Sie sich an uns, wir reden mit Ihnen".
An anderer Stelle heißt es: „2 000 bis 50 000 DM ohne Bürgen, Kredite ohne Tilgung, Tilgung von Altschulden auch dann, wenn andere ablehnen. Wir zahlen." Und dann heißt es noch: „Zusatzkredite für Kfz-Anschaffung, Finanzierung ohne Anzahlung ist möglich."
Meine Damen und Herren, wer wagt es denn, wenn er in Verlegenheit ist und Geld braucht, sich solchen suggestiven Offerten zu entziehen? An dieser Entwicklung, daß heute mehr Pfändungs- und insbesondere Lohnpfändungsverfahren eingeleitet werden, sind also diejenigen, die Geld und Ware leichtfertig hergeben, in gleicher Weise schuld wie diejenigen, die leichtfertig Geld nehmen und Ware kaufen.
Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Auch die Werbung in den Medien, im Fernsehen, in der Presse, durch Handzettel und in anderer Weise trägt einen guten Teil Schuld. Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus dem Schreiben des Leiters des Sozialamtes einer großen Stadt. Er hat vor einiger Zeit an uns geschrieben:
Dem einfachen Menschen wird durch Reklame in Presse, durch Rundfunk und Fernsehen und seitens der Kreditinstitute es sehr leichtgemacht, auf Raten zu kaufen. Es wird ihm förmlich suggeriert: Schulden zu machen, das ist heute normal.
Er sagt an anderer Stelle:
Eine große Zahl von gewissenlosen Kreditgebern kümmert sich bei der Hergabe von Darlehen meist nicht um die sonstigen Schulden, um die Größe der Familie, die Mietverpflichtungen. Man begnügt sich sehr oft damit, daß Einkommensbelege aus den letzten Monaten vorgelegt werden.
Ich bin der Auffassung, daß versucht werden muß, durch andere Vorhaben der Gesetzgebung - wir haben ja bei den vorangegangenen Tagesordnungspunkten auch darüber gesprochen - dieser expandierenden Darlehensvergabe, bei der Darlehensnehmer sich oft nicht voll bewußt sind, welche Belastungen auf sie zukommen, eine Schranke zu setzen.
Das Fünfte Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen kann und will indessen der Steigerung der Zahl dieser Vollstreckungsfälle, von denen ich gesprochen habe, nicht Rechnung tragen. Dies ist nicht die Aufgabe dieses Gesetzes.
Herr Abgeordneter, ich bitte zum Schluß zu kommen.
Wir wollen erreichen, daß die Bürger die Grundbedürfnisse ihres Lebens mit ihrem eigenen Arbeitseinkommen abdecken können.
Herr Präsident, abschließend möchte ich noch an folgendes erinnern. Einige Mitglieder der Regierungsfraktionen haben in den letzten Monaten wiederholt propagiert, es müsse zu einer Senkung der Reallöhne um 10, 15 oder 20 % kommen. Wenn die Auffassungen und die Thesen der Herren George, Graf Lambsdorff und Albrecht wirklich Praxis werden sollten, so heißt dies, daß wir uns mehr und mehr mit Themen wie den Pfändungsfreigrenzen befassen müssen. Die Zahl der Lohnpfändungen würde dann jedenfalls explosionsartig nach oben gehen. Ich meine, daß auch an diesen Punkt heute erinnert werden sollte.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluß kommen. Machen Sie es mir nicht so schwer!
Wir wollen nicht, daß schon in zwei oder drei Jahren wieder über den Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen beraten werden muß. Herr
Klein ({0})
Präsident, ich meine, daß wir eine Regelung finden sollten, die auch in den nächsten Jahren Bestand hat. - Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihre Nachsicht.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die von der Bundesregierung initiierte Anhebung der Pfändungsfrei-grenzen wird von meiner Fraktion grundsätzlich begrüßt. Wie wir heute hier gelernt haben, ist offensichtlich Ballonfahren das Größte. Bei diesem schönen Sport ist zunächst einmal der Auftrieb das Wichtigste. Der Auftrieb bei den Lebenshaltungskosten ist auch der Anlaß für unsere heutige Unternehmung, denn von April 1978 - damals wurden die Pfändungsfreigrenzen zuletzt geändert - bis August dieses Jahres ist der Preisindex für die Lebenshaltungskosten eines Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalts um mehr als 20 % gestiegen. Das ist soeben von den Kollegen auch schon dargelegt worden. Allein diese Tatsache rechtfertigt es, der Anhebung der Pfändungsfreigrenzen zuzustimmen und für deren Realisierung einzutreten. Herr Kollege Klein, das ist keine Wende, wie Sie eingangs Ihrer Ausführungen dargestellt haben, sondern das ist eine strukturelle Anpassung, in dem Sinne, wie Sie es uns gegen Ende Ihrer Ausführungen hier richtigerweise kundgetan haben. Damit erledigt sich das Thema von selbst.
Bei all dem muß aber offen dargelegt werden, daß die Vorlage nicht lediglich auf eine rein gesetzestechnische Anpassung abzielt, daß es also nicht sozusagen um eine parlamentarische Pflichtübung geht. Es ist vielmehr klar herauszustellen, daß mit diesem Gesetz in erheblichem Maße in die Masse der von Privatautonomie bestimmten Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner eingegriffen wird. Daß hierbei Vorsicht geboten ist und ein Eingriff erst nach einer die zugrunde liegenden Interessen bewertenden Abwägung erfolgen kann, gebietet schon die Schwere des Eingriffs. Wir sind immer dafür eingetreten, daß auch jede noch so zwingend erscheinende gesetzliche Neuregelung auf ihre sekundären Wirkungen auf die Volkswirtschaft im öffentlichen und privaten Bereich zu untersuchen ist. Und das muß auch hier jedem Beteiligten bewußt gemacht werden. Mittel hierzu sind besonders unsere parlamentarischen Auseinandersetzungen und die damit verbundene Kontrolle der gesetzgeberischen Zielsetzung.
Nicht zuletzt aus diesem Grund kann die Bundesregierung nicht, wie es in der Stellungnahme des Bundesrates verlangt wird, ermächtigt werden, die Pfändungsfreigrenzen durch Rechtsverordnung festzusetzen. Derart einschneidende Vorhaben müssen weiterhin der Regelungskompetenz des Gesetzgebers unterliegen.
Was den Inhalt der Neuregelung betrifft, wird man ihr nicht vorwerfen können, sie hebe den
Schuldnerschutz übermäßig in den Vordergrund. Zwar geht es im Rahmen der Zwangsvollstreckung immer um Tatbestände, die der Schuldner selbst verursacht hat und für die er, wie ich meine, völlig im liberalen Sinn auch die Verantwortung zu tragen hat. Es ist jedoch dabei zu beachten, daß durch die noch geltenden Freigrenzen gerade der Gläubiger auf Kosten der Allgemeinheit bevorteilt wird. Die Vergangenheit hat ja gezeigt, daß in einigen Fällen gerade bei Schuldnern mit geringem Einkommen der pfändungsfreie Restbetrag den Sozialhilfesatz unterschritt. Dies hatte zur Folge, daß der jeweilige Schuldner zum Ausgleich des für seine Existenz notwendigen Betrags auf die Sozialhilfe zurückgreifen mußte. Das bedeutet im Klartext, daß der Steuerzahler letztlich für private Schulden zur Kasse gebeten wird. Herr Kollege Bohl hat richtigerweise eben darauf hingewiesen. Angesichts der angespannten Haushaltslage der öffentlichen Hände und der von unserer Bevölkerung zu erbringenden Opfer ist dies ein unhaltbarer Zustand.
Nicht zuletzt entspricht die Anhebung der Pfändungsfreigrenzen dem im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsprinzip. Denn aus dem Schutzgedanken des Sozialstaatsprinzips erwächst dem Schuldner, in dessen Arbeitseinkommen vollstreckt wird, der Anspruch gegen die Gemeinschaft, daß ihm mindestens der Betrag verbleibt, der ihm und gegebenenfalls seiner Familie ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht. Angesichts der über 20 %igen Steigerung der Lebenshaltungskosten seit der letzten Anhebung der Grenzen ist gerade dieser Schutzzweck des Sozialstaatsprinzips nicht mehr gewährleistet.
Im Zusammenhang mit der Anhebung der Freigrenzen ist gelegentlich, besonders vom Bundesrat, gefordert worden, die Stufendifferenzen der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen und damit eine Vereinfachung in der Handhabung der Tabelle zu gewährleisten. Dem kann aus meiner Sicht nur mit Einschränkungen gefolgt werden.
Zum einen bin ich der Ansicht, daß in der Erhöhung der Stufendifferenzen nicht unbedingt eine Vereinfachung der praktischen Anwendung liegt. Denn in jedem Fall wären ja die Anwender gezwungen, die Tabelle zur Hand zu nehmen und eine korrekte Einstufung vorzunehmen. Dieser Arbeitsaufwand, nämlich die Überprüfung an Hand der Tabelle, bliebe in jedem Falle gleich.
Zum anderen ist zu bedenken, daß mit einer Anhebung auch der Stufendifferenzen besonders beim täglichen Lohn auch immer ein Stück Einzelfallgerechtigkeit aufgegeben würde. Damit würde auch der größtmögliche Ausgleich zwischen Schuldner und Gläubiger in Frage gestellt.
Unter diesen Gesichtspunkten kann nur eine maßvolle Erhöhung der Stufendifferenzen in Betracht kommen.
Die vorliegende Neuregelung, die wir im allgemeinen begrüßen, hat allerdings neben ihren positiven Aspekten einen anderen, auf den es mit Nachdruck hinzuweisen gilt. Dies ergibt sich aus der mit der Anhebung der Pfändungsfreigrenzen verbundenen Neuregelung des § 59 der Konkursordnung.
Wenn, wie der amtlichen Begründung zu entnehmen ist, mit dieser Neuregelung eine bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt werden soll, so wird meines Erachtens gerade durch die nach außen nicht erkennbare Verknüpfung beider Vorhaben neue Rechtsunsicherheit geschaffen. Denn es muß doch gefragt werden, was die Änderung der Konkursordnung in einem Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen - so die Überschrift - zu suchen hat. Es drängt sich der Verdacht auf, daß hier die Regelung eines Problems herbeigeführt werden soll, das einem gesetzgeberischen Versehen entstammt und, wie die Begründung zeigt, zu erheblichen kontrovers geführten Diskussionen in der Rechtsprechung und in der Literatur geführt hat. Was der Gesetzgeber beschließt, muß auch klar erkennbar sein.
Mit dieser kleinen Einschränkung kann meine Fraktion dem Entwurf der Bundesregierung zustimmen. - Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs an den Rechtsausschuß vor. Sind Sie mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren. Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 10/407 Wir sind beim Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Aufzurufen ist die Frage 30 des Abgeordneten Hauser ({0}):
Sind für die Beförderung zum Stabsfeldwebel/Oberstabsfeldwebel in Zukunft Laufbahnlehrgänge geplant?
Herr Präsident! Herr Kollege Hauser! Die Bundesregierung beabsichtigt zur Zeit nicht, die Beförderung dieser Unteroffiziere, nach denen Sie fragen, zu den Spitzendienstgraden Stabs- und Oberstabsfeldwebel bzw. -bootsmann von einer Teilnahme an speziellen Lehrgängen abhängig zu machen. Allerdings gehört bei diesen sehr herausgehobenen Spitzendienstgraden natürlich dazu, daß eine besondere Qualifikation und
Auftragserfüllung über einen längeren Zeitraum erfolgreich nachgewiesen wurde.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, dieses eben Gesagte in Informationsorganen der Hardthöhe der Truppe bekanntzugeben, damit Gerüchten nicht weiterhin Nahrung gegeben wird, als wären künftig Laufbahnlehrgänge vonnöten?
Wir sind dazu jederzeit und auch immer wieder bereit. Allerdings gehe ich davon aus, daß jedermann und nicht nur denen, die den Dienstgrad schon haben, sondern auch denen, die hoffen, ihn mal zu kriegen, diese Tatbestände bekannt sind. Aber wir greifen das gern auf, um erneut zu informieren.
Eine weitere Zusatzfrage? - Herr Abgeordneter Klejdzinski möchte eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, streben Sie mit Einführung dieser Spitzendienstgrade für Unteroffiziere langfristig an, die Laufbahn des militärfachlichen Dienstes aufzuheben?
Herr Kollege, das sind zwei völlig unterschiedliche Laufbahnen, die, über die wir hier reden, die Spitze des Unteroffizierkorps, die andere eine damals - das ist etwa ein Jahrzehnt her - von allen Fraktionen des Parlaments geschaffene besondere Laufbahn unter den Offizieren, die auch in der Fragestellung hier, bezogen auf die Verantwortungsbereiche, bitte auseinandergehalten werden müssen.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Hauser ({0}) auf:
Sind die Stellen für Stabsfeldwebel/Oberstabsfeldwebel gleichmäßig auf Truppeneinheiten, Stäbe, zentrale militärische Dienststellen usw. verteilt, oder gibt es ein Übergewicht dieser Stellen bei Stäben, zentralen militärischen Dienststellen usw.?
Für die Unteroffiziere im Spitzendienstgrad sind in den Organisationsunterlagen der Streitkräfte keine gesonderten Dienstposten festgelegt. Es gibt nur Dienstposten mit der gebündelten Besoldungsgruppenangabe A 8 mit Amtszulage und A 9 für Hauptfeldwebel und Stabsfeldwebel, Marinedienstgrade jeweils entsprechend. Dies bedeutet, daß jeder Hauptfeldwebel oder Hauptbootsmann auf seinem Dienstposten im Rahmen der Vorgaben des Bundesbesoldungsgesetzes zum Stabsfeldwebel oder Stabsbootsmann befördert werden kann, sofern dieser Soldat die persönlichen Beförderungsvoraussetzungen erfüllt und eine entsprechende Planstelle zur Verfügung steht. Dienstposten und Planstellen für Stabsfeldwebel und Stabsbootsmänner sind über alle Ebenen der Streitkräfte verteilt. Das Spitzenamt A 9 mit Amtszulage für Unteroffiziere im Dienstgrad Oberstabsfeldwebel oder Oberstabsbootsmann ist nach den
Bestimmungen des Bundesbesoldungsgesetzes an herausgehobene Dienstposten gebunden. Die überwiegende Anzahl dieser Dienstposten ist in den Ebenen ab Brigade und vergleichbare Truppenteile in Schulen und Ämtern angesiedelt.
Keine Zusatzfrage. - Dann eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie weiterhin zu der Antwort stehen, die Sie mir auf eine Schriftliche Frage betreffend den Fragenkomplex, den wir vorhin diskutiert haben, gegeben haben, und ob Sie trotz dessen, was Sie vorhin erklärt haben, zumindest in einer Presseveröffentlichung die von mir angeschnittene Problematik dahin gehend interpretiert haben, daß Sie doch daran denken, die Laufbahn des militärfachlichen Dienstes aufzulösen?
Herr Kollege, wir reden hier über einen ganz anderen Komplex. Ich bin gern bereit, diese Frage dennoch mit Ihnen zu erörtern, allerdings nach Wiederholung der Aussage, daß dies zwei Bereiche sind, über die wir reden, die miteinander direkt, bezogen auf die Besoldungs-, Beförderungs- und Dienstpostenproblematik, nichts zu tun haben. Sie wissen wie wir, daß es gewisse Probleme im Dienstablauf und auch bezogen auf die Fürsorge den Offizieren gegenüber im Bereich der Fachdienstoffiziere gibt. Vor diesem Problem machen wir nicht die Augen zu, sondern wir gehen, die Erfahrungen der Männer und der Truppe mit hineinnehmend, an eine Überprüfung bestehender Bestimmungen, Gewichtung der Dienstposten in aller Ruhe - ich wiederhole: ohne dies zu verwischen - im Interesse dieser Offiziere heran.
Danke schön. Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Kolbow auf:
Inwieweit ist das Bundesverteidigungsministerium an der Erstellung und Finanzierung des Informationsdienstes Sicherheitspolitik ({0}) des Osang-Verlages und der Broschüre „Argumente gegen die Angst" des Büros für Publizistik-Verlag ({1}) beteiligt?
Herr Kolbow, das Bundesministerium der Verteidigung hat vom Osang-Verlag, Bonn, Exemplare des „Informationsdienstes Sicherheitspolitik" zu einem Stückpreis von 0,29 DM pro Exemplar angekauft. Ferner hat das Bundesministerium der Verteidigung vom „Büro für Publizistik-Verlag ({0})" Exemplare der Broschüre „Argumente gegen die Angst" zu einem Stückpreis von 1,04 DM angekauft. Beide Publikationen sind Initiativen der jeweiligen Verlage, die fertige Entwürfe angeboten und um fachliche Beratung nachgesucht haben. Diese entsprachen der Zielsetzung unserer Öffentlichkeitsarbeit und gaben den Ausschlag für die Entscheidung zum Ankauf.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kolbow.
Herr Staatssekretär, Sie haben im zweiten Fall - das betrifft das „Büro für Publizistik-Verlag ({0})" - davon gesprochen, daß Sie auch hier fertige Entwürfe entgegengenommen und bezahlt haben.
Darf ich Sie fragen, wie Sie es beurteilen, daß der Verleger dieses von mir genannten fertigen Entwurfes Ehrenvorsitzender der des CDU-Kreisverbandes Neckar-Odenwald im baden-württembergischen Landesverband der CDU ist? Sie erlauben mir als Oppositionsabgeordnetem sicherlich die Frage, ob Sie es nicht für nachdenkenswert halten, ob Sie hier vielleicht einseitig fachlich beraten worden sind.
Herr Kollege Kolbow, wie ich es bewerte, daß ein Verleger einer demokratischen Partei angehört, haben Sie mich eingangs gefragt. Das will ich Ihnen beantworten: Dies bewerte ich als keinen Nachteil, sondern als uneingeschränkt positiv, wenn sich Männer und Frauen in unterschiedlichen Funktionen - in welchen auch immer - in unserer Demokratie, neben ihrem Beruf auch politisch Farbe bekennend, ehrenamtlich sonstwo Verantwortung übernehmend, engagieren.
Ich hoffe, daß Sie wie ich ausschließen, daß sich etwas Negatives daraus ergibt, daß jemand in der CDU, in der CSU, in der FDP oder in der SPD ehrenamtlich Verantwortung übernommen hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kolbow.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen - wir kennen uns lange genug sehr gut -, ob Sie dasselbe gesagt hätten, wenn einsozialdemokratischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium das von mir gefragt worden wäre?
({0})
Dies wurde aus meiner Antwort eben sehr deutlich, und ich sage Ihnen: Ja.
({0})
Das steht im Protokoll.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben sehr überzeugend die notwendige und auch mögliche Doppelrolle eines Menschen, der Verleger ist und sich politisch engagiert, gekennzeichnet. Ich nehme das auch für mich persönlich in Anspruch.
Ich möchte Sie trotzdem fragen: Sie haben vorhin von einer Initiative des Verlages gesprochen und die Publikation als fertige Entwürfe bezeichnet. Wer war der Autor dieser fertigen Entwürfe, bevor um fachlichen Rat nachgesucht wurde? Das ist zunächst meine Frage. Ferner: Wer hat dann diesen fachlichen Rat gegeben?
Ich fange mit der zweiten Frage an. Den fachlichen Rat haben dafür
fachlich kompetente Offiziere und Beamte unseres Ministeriums gegeben.
Zu Ihrer ersten Frage: Herr Kollege Duve, auch Sie würden es sich gerade in der Doppeleigenschaft, die Sie eben für sich berechtigterweise in Anspruch genommen haben, mit Sicherheit verbitten, wenn - falls der Verleger sagt, er habe dieses erarbeitet, und wenn es sich um einen Verlag handelt, von dem Sie wissen, daß er in dem Bereich eine alte Tradition von über zwei Jahrzehnten hat - wir sagen: Dies genügt mir nicht; sage mir, wer welche Seite geschrieben hat, wer welche Idee gehabt hat, wen du hinter deinen Mauern verlagsintern hast arbeiten lassen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ist es so, daß diese fachlich kompetenten Leute durch Sie oder Ihnen Gleichwertige im Ministerium diesbezüglich die notwendigen Anstöße erhalten haben?
Herr Kollege Klejdzinski, wenn Sie - bzw. ein Ihnen nahestehender oder von Ihnen dazu animierter Verlag - kommen und um fachliche Beratung nachsuchen, dann bekommen Sie die, ich sage einmal: automatisch. Dazu bedarf es nicht des Anstoßes des Ministers, des Staatssekretärs, wonach Sie fragen. Vielmehr gibt es im Ministerium seit langer, langer Zeit und aus gutem Grund eine dafür mit kompetenten Leuten ausgestattete Abteilung, die diese Ratschläge, die diese Zuarbeit von sich aus leisten kann, wie das auch in diesem Fall geschehen ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatssekretär, können Sie denn diesem Hause mitteilen, wie viele Personen das BMVg bei der Erarbeitung des „ISP" eingesetzt hat, und würden die dafür entstandenen Personalkosten vom Verlag Osang zurückerstattet?
Herr Kollege, hier ist ja nichts erarbeitet worden - ich bitte Sie, einmal zu versuchen, diesen Gedanken aus Ihrem Frageansatz zu streichen -, sondern uns ist eine im Verlag erstellte, komplizierte Dinge beinhaltende Arbeit fast fertig hingelegt worden mit der Bitte, sie fachlich auf einem Feld zu überprüfen, wo das enorm nötig ist. Leider hat sich dennoch - Sie werden darauf zurückkommen - in einem Fall in dem Vorwort, das noch vorangestellt wurde, ein kleiner Fehler eingeschlichen.
({0})
Wenige Beamte und Offiziere, keine Handvoll, sind hierfür eingesetzt gewesen.
Weil das bei vielen Fragen, die Sie noch stellen werden, eine Rolle spielen wird, wiederhole ich:
({1})
Das ist eine der Hauptaufgaben des dafür eingerichteten Stabes.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, da Sie für die Bundesregierung und nicht nur für ein Ressort antworten, möchte ich Sie fragen, ob es in der Bundesregierung, in den einzelnen Ressorts üblich ist, Verlagen im Zusammenhang mit Publikationen, die sich auf Spezialgebiete beschränken, Leistungen zu erbringen, die sie in den Stand setzen, ihre Erzeugnisse lukrativ abzusetzen.
({0})
Herr Kollege, ich spüre ja deutlich den Schlenker - und jeder, der Ihnen zuhört, spürt ihn -, den Sie wieder machen wollen, der aber unsachlich ist. Die Bundesregierung und jedes Ressort haben nicht nur, der Pflicht gehorchend, für alle eine vernünftige Politik zu machen, sondern die Bürger auch sachlich, objektiv hierüber zu informieren. Das gilt gerade für Ressortgebiete, die im Augenblick mit sachlicher Information - nicht mit Indoktrination - so sehr nicht gesegnet sind. Hier besteht j a auch ein Aufholbedarf, den wir zufriedenzustellen haben.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Soell.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wie lange die Prüfung der Fragen innerhalb des Ministeriums gedauert hat?
Herr Kollege, ich habe keine tabellarische zeitliche Aufstellung. Aber so viel Zeit haben sich die Offiziere und Beamten - auch in der Zukunft - zu nehmen, daß eine gründliche Sache, von uns überprüft, abgeliefert werden kann. Das wird je nach Umfang, Auftrag und Unterthema einmal in ein, zwei Tagen gehen, und das andere Mal dauert es sicherlich auch ein, zwei oder drei Wochen.
Wir kommen zur Frage 33 des Abgeordneten Kolbow:
Welche Autoren haben an der Erstellung der Beiträge Nr. 1 des Informationsdienstes Sicherheitspolitik ({0}) und der Broschüre des Publizistik-Verlages ({1}) mitgewirkt?
Herr Kollege Kolbow, beide Projekte beruhen - das wurde eben schon angesprochen - auf verlegerischer Initiative. Das Bundesministerium der Verteidigung hat durch fachliche Beratung und Bereitstellung von Sachmaterial zu Einzelfragen in einer Form Unterstützung gewährt, die auch bei anderen Interessenten aus dem Bereich der Publizistik üblich war, ist und sein wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kolbow.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Aussage der „Süddeutschen Zeitung" zu diesem Vorgang, in der es heißt, der Leiter des Stabes für Information und Presse bekunde starkes Interesse, daß sich das Buch rasch selbständig mache, weil der Verleger es auf dem freien Markt zu verkaufen beabsichtige? Doch, so fährt die „Süddeutsche Zeitung" fort, wer kauft bei dem von mir vorhin angesprochenen Herrn Fraschka - das geht an Sie -, wenn die Hardthöhe, die rund 200 000 Mark für die Argumente ausgeben muß, die aggressive Broschüre selbst gratis abgibt?
Herr Kollege, dieses Angebot - ich darf das hier einmal einführen; andere von Ihnen fragen nachher - war für die Idee, die wir für notwendig hielten, das preisgünstigste, was es gab, günstiger im Preis als das, was wir selbst hätten schaffen, drucken und verteilen können.
Ich begrüße - ohne hier auf irgendwelche Zeitungen zurückgreifen zu wollen - die Aussage unseres dafür verantwortlichen Leiters dieses Stabes, daß er alles tut und seine und unsere Unterstützung gewährt, daß die beiden genannten Broschüren eine schnelle Verbreitung erfahren, um damit die sachlichen Argumente zu möglichst vielen Organisationen und Menschen zu transportieren.
Der Nebensatz in Ihrer Frage über wirtschaftliche Aspekte des Verlages ist nicht der, über den ich hier Auskunft zu geben habe.
Herr Abgeordneter Kolbow zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir eine schriftliche Stellungnahme Ihres Hauses zu den von mir hier in den Fragen 32 und 33 aufgeworfenen Fragen zu geben, die eine Beurteilung enthält, wie Sie den gesamten Sachverhalt der Informationspolitik des Verteidigungsministeriums mit dem Verfassungsgerichtsurteil von 1976 in Einklang bringen wollen, daß nicht parteipolitisch geworben werden darf?
({0})
Herr Kollege, das, was ich hier gesprochen habe, geht Ihnen j a schriftlich auf dem Ihnen bekannten Wege zu. Das haben Sie als Fragesteller ja beinahe noch schneller in der Hand als ich.
Zweiter Teil Ihrer Frage: Ich sehe hier überhaupt keinen Widerspruch - überhaupt keinen Widerspruch - zu dem zitierten Urteil. Hier wird nicht in Verbindung mit einer anstehenden Wahl, sondern in aller Ruhe über eine Sache und nicht über bestimmte Personen und deren Stärken und Vorhaben und Pläne und nicht parteipolitisch, sondern auf einem übergreifenden sicherheitspolitischen Feld informiert, wo wir - übrigens in diesem Fall nahtlos wie, ich glaube, bei keinem anderen - die Politik des Vorgängers übernommen haben. Kein Widerspruch, sondern das Ausfüllen endlich - zunächst im Ansatz nur - einer Informationspflicht, die die Regierung gegenüber ihren Bürgern hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Herr Staatssekretär, nach Ihren Schilderungen bei dem vorigen Fragenkomplex zu urteilen, für die Bundesregierung gesprochen, mit der Autorität der Bundesregierung, müßte im Grunde genommen die gesamte deutsche Verlagslandschaft revolutioniert werden und könnte sich sozusagen frei Haus mit ihren Publikationen bei der Bundesregierung bedienen.
Ich frage Sie also noch einmal: Woher stammt die Geisterschar derjenigen Autoren, die den Initiativen des Verlages zugrunde liegen, die die fertigen Entwürfe gegeben haben? Die Bundesregierung - das wissen Sie so gut wie ich - kann nicht einen Geisterschreiber akzeptieren und nachher sagen: Das kaufen wir auf.
Herr Kollege Duve, was heißt hier „Geisterschar"? Hier ist ein Verlag - der eine hat da seine Schwerpunkte und Interessen, und der andere hat sie hier -, der seit über zwei Jahrzehnten hier gearbeitet hat. Eine Fülle von namhaften Persönlichkeiten unterschiedlicher politischer Couleur übrigens haben - ({0})
- Herr Kollege, wenn Sie meine Antwort wirklich hören wollen und Ihnen nicht nur daran liegt, bestimmte Vokabeln in Ihrer Frage unterzubringen, dann darf ich doch auch herzlich bitten, daß ich Ihnen die Antwort geben darf. ({1})
Hier ist dieser Verlag und andere mehr gekommen und hat gesagt: In der Lücke im Bereich der Information über Sicherheitspolitik biete ich von mir aus dies an. Erstens, Ministerium, hast du Interesse? Zweitens, kannst du mir helfen, daß die dort aufgeführten Dinge dem letzten Stand und dem Zusammenhang der komplizierten Materie entsprechen? Diese Prüfung haben wir dann vorgenommen, wie wir sie auch gegenüber allen anderen Verlagen bringen würden.
({2})
Es hat jetzt zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Klejdzinski das Wort.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß diese angesprochenen Publikationen unmittelbar vor der Hessen-Wahl und der Bremen-Wahl gratis aus dem Bundesministerium der Verteidigung abgegeben wurden?
Herr Kollege, wenn Sie in den Kalender schauen, mag es sein, daß das vor dem Wahlsonntag in Hessen und Bremen erfolgte.
({0})
Aber Sie können daraus doch nicht ableiten - das
antwortete ich eben auf die Frage, wie ich glaube,
des Kollegen Duve -, daß hier versucht wird, ent1700
gegen dem Urteil eine bestimmte Beeinflussung vorzunehmen. Im Gegenteil: Wir werden diese Information zu solchen wichtigen Feldern der Sicherheitspolitik in der Zukunft regelmäßig mit diesen Instrumenten und anderen Möglichkeiten geben.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Biehle.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir beipflichten, wenn ich feststelle, daß es die Aufgabe einer Bundesregierung ist, in diesen problematischen Zeiten, wie wir sie jetzt haben, die Bevölkerung gerade in Sachen Friedensbemühungen eingehend zu informieren, wie dies geschehen ist, weder mit Ideologie noch parteipolitisch, sondern mit sachlichen Argumenten,
({0})
da im Lande viele Irrlehrer herumziehen und andere Informationen von sich geben?
({1})
Herr Kollege Biehle, ich empfinde es, wie ich mehrfach zu erklären versuchte, als eine Pflicht der Bundesregierung, diese sachliche, objektive, Detailprobleme in den Zusammenhang stellende Information vorzunehmen.
({0})
Das ist übrigens eine Pflicht, die zu erfüllen in den letzten Jahren bei zunehmender Aufgeregtheit und Emotion und abnehmender Sachlichkeit die Vorgängerregierung leider unterlassen hat.
Eine weitere Frage des Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, kann ich die von Ihnen bekundete Hilfsbereitschaft des Verteidigungsministeriums, Schriften aus dem Bereich der Sicherheitspolitik durchzusehen, so verstehen, daß in Zukunft auch Doktoranden ihre Doktorarbeit zur sachlichen Begutachtung an das Bundesverteidigungsministerium schicken können?
({0})
Ich will dennoch versuchen, ernst auf Ihre Frage einzugehen. Die Frageform allerdings und der Beifall Ihrer Kollegen unterstreichen deutlicher als meine Worte, worum es Ihnen mit dieser Kampagne eigentlich geht, die Sie hier entfacht haben.
({0})
Die Information der Bundesregierung über Verlage, wenn diese billiger sind, als wir selber es machen können, und Dissertationen irgendwelcher studierender Diplomanden an irgendwelchen Universitäten sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe, Herr
Kollege Bindig. Damit erübrigt sich eine Antwort, die auf den Kern Ihrer Frage eingeht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Berger ({0}).
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß diese Information mir und anderen Teilen der Öffentlichkeit bereits drei Wochen vor der Hessenwahl zugegangen ist?
Würden Sie mir zweitens zustimmen, daß, wenn in den letzten Jahren in gleicher Weise regelmäßig und sachlich informiert worden wäre, beispielsweise unsere Jugend dem Gedanken der Landesverteidigung nicht so fernstünde, wie das heute der Fall ist?
({0})
Es wird mit Sicherheit so sein. Der Kollege hat seine Frage, ob es zwei oder drei Wochen bzw. drei oder vier Tage vor Hessen und Bremen kam, mit lächelndem, fast lachendem Gesicht gestellt. Wir haben über den Bereich der Sicherheitspolitik völlig unabhängig davon, in welchem Land oder in welchen kommunalen Bereichen gewählt wird, zu informieren. Wir werden bei allen unverständlichen Reaktionen, die wir im Augenblick erleben, das Nötige aus der Vergangenheit zu reparieren versuchen und uns in Zukunft überhaupt nicht beirren lassen, die nötigen Informationen zu geben.
Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß das Verteidigungsministerium normalerweise die Verfügungsmittel hat, über ein Weißbuch, das Sie ja im Herbst dieses Jahres herausgeben wollen, zu den von Ihnen dargestellten Fragen Stellung zu nehmen? Sie haben angekündigt, Sie werden das tun. Warum - so die Frage - benutzen Sie hier zusätzlich einen Verlag, um die Meinung der Bundesregierung darzustellen?
Herr Kollege Heistermann, das Weißbuch ist das eine. Der Adressatenkreis des Weißbuchs ist ein Sektor. Wir haben gerade in diesem Bereich, in dem man sich erfreulicherweise endlich mehr mit Sicherheits-, Verteidigungs-, Friedens- und Freiheitspolitik beschäftigt, eine solch breite Palette von unterschiedlichen Adressaten, unterschiedlichen Voraussetzungen und sogar unterschiedlichen Sprachen, wie ich sagen möchte - Sie wissen, wie ich es meine -, daß Sie nicht mit einem Informationsorgan diese ganze Palette abdecken können, sondern Sie müssen, bezogen auf verschiedene Ansprechpartner, unterschiedliche Aufmachungen, unterschiedliche Worte, unterschiedliche Diktionen wählen, so daß dieser Teil ein Segment in der breiten Palette ist.
Danke schön.
Wir kommen zur Frage 34 des Abgeordneten Duve.
Vizepräsident Westphal
Haben beim sogenannten „Informationsdienst Sicherheitspolitik ({0})" hauptamtliche und/oder freie Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums als Autoren, Herausgeber oder Co-Autoren mitgewirkt, und gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls, eine Praxis der verschleierten Propaganda mit Haushaltsmitteln ({1}) fortzuführen?
Ihre Frage nach dem Herausgeber ist hier mehrfach beantwortet worden. In sehr klarer Form beantwortet dies, wie Ihnen bestens bekannt, das Impressum des Objektes, nach dem Sie hier fragen. Die redaktionelle Verantwortung liegt ausschließlich beim Verlag. Es gehört zum Tagesgeschäft der Informationspolitik, Medien der Publizistik schriftlich oder mündlich Auskunft zu geben und, wenn notwendig, Material und fachliche Beiträge zur Verfügung zu stellen. Solches Material stand dem Herausgeber von „ISP" ebenso zur Verfügung wie anderen Verlagen oder an sicherheitspolitischen Fragen interessierten Personen. Die Schlußredaktion lag in der Hand des Verlages.
Der Ankauf einer großen Stückzahl von „ISP" dient ebenso wie andere Auskünfte und Eigenpublikationen dem Zweck, die Sicherheitspolitik der Bundesregierung auch und besonders vor dem Hintergrund vieler Emotionen zu erläutern. Das hat mit - Ihre Worte - „Propaganda" genauso wenig zu tun wie der öffentlich bekanntgegebene Ankauf von „ISP" mit - Ihre Worte - „Verschleierung".
Danke schön. - Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Damit das klar wird, Herr Staatssekretär: Stimmen Sie mit mir darin überein, daß es in der ganzen Broschüre nicht eine einzige Namensnennung eines Autors gibt, sondern ausschließlich der Name des Verlegers drinsteht und daß es für alle Abteilungen der Bundesregierung möglicherweise sehr, sehr problematisch werden kann, wenn sie mit einer solchen Informationspolitik fortfährt?
Herr Kollege Duve, Sie haben das Impressum ein paar Mal gelesen. Dort steht der Name des Verantwortlichen, Rolf Osang, des Leiters dieses Verlages. Nach Ihnen bestens, besser als mir, bekannten presserechtlichen Bestimmungen
({0})
ist hiermit der Verantwortliche angesprochen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Herr Staatssekretär, durch die Art, wie Sie hier geantwortet haben, ist nun hinlänglich bekanntgeworden, daß es sich um eine originäre Publikation des Verteidigungsministeriums handelt, das versucht, seine Autorschaft ein bißchen in den Hintergrund treten zu lassen. Ich frage Sie deshalb: Wer hat die Adressen aufgekauft, ausgesucht
und besprochen, nach denen diese Broschüre verschickt worden ist, das Verteidigungsministerium, der Verlag oder beide?
Herr Kollege Duve wenn Sie erlauben, werde ich, da wir noch eine klare Frage Ihres Kollegen Leonhart nach den Adressen haben, bei deren Beantwortung darauf zurückkommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Biehle.
Herr Staatssekretär, da in dieser Frage auch das Wort „Propaganda" verwendet wird: Teilen Sie nicht mit mir die Auffassung, daß dies völlig deplaziert ist und daß es eine Information und Aufklärung ist und daß im übrigen sowohl das Bundespresseamt als auch die Ministerien beim Versand dieser Schriften wie generell beim Versand von Informationsschriften immer den Hinweis geben, daß das weder in Wahlversammlungen noch in Parteiveranstaltungen verteilt werden soll?
({0})
Herr Kollege Biehle, anknüpfend an den Zwischenruf, den wir alle eben gehört haben, darf ich Ihnen einmal antworten, was bisher üblich war. Herr Kollege Duve, hier darf ich Sie noch einmal ganz besonders mit ansprechen.
({0})
- Dies ist sicherlich nötig. - Von Ihnen kommt der Begriff „verschleierte Propaganda". Hier will ich Ihnen etwas vorführen: Dieser Stab, den Sie so kritisieren, besteht ja seit zehn, dreizehn Jahren.
({1})
Dieser Stab hat eine Broschüre zum Hochjubeln eines Mannes, nicht zur Vertretung einer sachlichen Politik, für 225 000 DM in 500 000 Exemplaren herausgegeben, eine Broschüre mit vielen, vielen Seiten, wo über sachliche Politik kaum geredet wird, sondern wo der Mann sich in seiner Teamarbeit, in seinen schnellen Entschlüssen
({2})
- ich glaube, daß den jeder kennt, das war der damalige Verteidigungsminister Schmidt, früherer Bundeskanzler - ({3})
Verehrte Kollegen, wenn heute ein Mitglied Ihrer Fraktion hingeht und von „verschleierter Propaganda" und vom zwielichtigen „Osang-Verlag" spricht, dann lesen Sie diese Broschüre einmal nach. Wenn Sie beim Impressum angekommen sind: „OsangVerlag", Herr Duve.
({4})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Soell.
Herr Staatssekretär, welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, das zweite Projekt, Argumente gegen die Angst, so für die Zukunft zurückzuhalten, und hängen die Gründe auch mit der Unseriosität, die man zumindest auf den ersten Seiten des Manuskripts schon feststellen kann, zusammen, wo davon die Rede ist, daß die Nachrüstungsgegner die Aufstellung von 108 Pershing-II-Raketen und 464 Marschflugkörper in der Bundesrepublik - man achte auf diesen Akzent - verhindern wollten?
({0})
Herr Kollege, das Wort „unseriös" lasse ich hier nicht gelten. Außer diesem kleinen Fehler, den wir eingestehen müssen, der uns unterlaufen ist, auf den ich vorhin schon hinwies - Sie kritisieren ihn mit Recht -, ist dies eine sauber, seriös, solide, in verständlicher Form geschriebene Information, die nicht zurückgehalten wird, sondern die auf unterschiedlichste Art und Weise an Adressaten, die uns bekannt sind, an manigfaltige Organisationen verteilt wird. Es melden sich immer mehr und bitten um Zusendung, und soweit der Vorrat reicht, werden wir die Wünsche erfüllen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß der vom Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses angesprochene Zusatz, der in der Regel auf Publikationen steht, der dem Inhalt nach lautet, daß Veröffentlichungen der Bundesregierung nicht zur Wahlwerbung kurz vor den Wahlen verwandt werden dürfen, auf dieser Informationsschrift oder diesem „Informationsdienst Sicherheitspolitik" grundsätzlich fehlt?
Herr Kollege, wenn Sie solche Broschüren bestellen - ich hoffe, daß Sie das schon manchmal, auch im letzten Jahr, getan haben -, dann haben Sie bei jeder Sendung einen Zettel der Farbe Rosa, wie ich glaube, da ich diese auch bestelle und zu unterschreiben habe, zu unterschreiben, daß Sie als abrufender Abgeordneter, Lehrer, Kreisgeschäftsführer, welcher Partei auch immer, diese Broschüre in der Nähe von Wahlkämpfen nicht als Wahlkampfunterlage einsetzen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fischer ({0}).
Herr Staatssekretär, ich teile Ihre Empörung über den Personenkult auf Hochglanzpapier bezüglich des früheren Verteidigungsministers Schmidt.
({0})
Es geht um Fragen, Herr Abgeordneter.
Verstehe ich Ihre Äußerung richtig, daß Sie entschlossen sind, diesem schlechten Beispiel zu folgen?
({0})
Herr Kollege, ich weiß nicht, warum Sie bei Ihrer sonstigen von mir überhaupt nicht geteilten politischen Auffassung, in der man in sich noch eine bestimmte Linie erkennen kann, hier solche logischen Salti machen. Was hat der Personenkult auf Hochglanzpapier auf der einen Seite mit einer sachlichen, emotionslosen, in solider Form gedruckten Information über Politik zu tun?
({0})
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatssekretär, können Sie sich noch an ein Schreiben an eine Ihrer Kolleginnen erinnern, in dem Sie mitgeteilt haben, daß in den Bundeswehrmedien unter sozialdemokratischen Ministern die Repräsentanten der Regierung stets eher im Vordergrund standen, während Vertreter der Opposition kaum zu finden waren?
({0})
Jetzt darf ich meine Frage anschließen: Können Sie mir, wenn Sie sich Ihre eigenen Berichterstattungen über „Bundeswehr-Aktuell" noch einmal vor Augen führen, mitteilen, wie viele Oppositionspolitiker dieses Hauses innerhalb eines Jahres mit ihren Meinungen dort dargestellt worden sind?
Herr Kollege, ich erinnere mich sehr lebendig an dieses Schreiben,
({0})
weil ich sehr wohl wußte, was ich geschrieben habe und weil wir uns vorher in einer kleinen Runde über die eine oder andere Formulierung, die in dem Brief sehr deutlich war, unterhalten und auch in der Diskussion gestritten haben. Nur: Was hat das eine mit diesen Organen, die an die Öffentlichkeit gehen, zur Information über Sicherheitspolitik mit der Grundlage dieses Schreibens zu tun, Herr Kollege? Doch nichts. Nichts!
({1})
Meine Damen und Herren, das war die Beantwortung der Frage 34.
Ich rufe jetzt Frage 35 des Abgeordneten Leonhart auf:
Warum wurde das Projekt Informationsdienst Sicherheitspolitik „ISP" vom Bundesverteidigungsministerium nicht öffentlich ausgeschrieben?
Herr Kollege Leonhart, der „Informationsdienst Sicherheitspolitik" entstammt einer Idee des Osang-Verlages. Durch den Verlag wurde ein erster Entwurf angeboten und um fachliche Beratung gebeten. Auf dieser Grundlage entstand das Fertigprodukt in der redaktionellen Verantwortung des Herausgebers. Ausgeschrieben werden nur Projekte, die das Ministerium in eigener Verantwortung herausgibt.
Bei Ankäufen fertiger Verlagsobjekte sind nur Eignung und Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Im konkreten Fall „ISP", nach dem Sie fragen, lagen die Kosten weit unter denen für Eigenpublikationen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Leonhart?
({0})
- Nein.
Dann rufe ich Frage 36 des Abgeordneten Leonhart auf:
Warum wurde der Informationsdienst „ISP" an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages mit Ausnahme der Fraktion der GRÜNEN verschickt?
Die Verschickung erfolgte durch den Verlag. Nach Auskunft des Verlages hat dieser die Mitglieder des Deutschen Bundestages - die Adressen hatte er aus einer Liste des Bundestages - beliefert. Die Bundestagsmitglieder der Fraktion DIE GRÜNEN, nach der Sie hier fürsorglich fragen, sind in dieser Liste nach dem damaligen Stand aufgeführt und entsprechend berücksichtigt worden. Ich habe mir diese Liste geben lassen und bleibe auf der ersten Seite. Die Namen sind in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt: Sabine Bard, Bastian, Beck-Oberdorf u. a. sind hier unter den ersten zehn aufgeführt.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Leonhart.
Herr Staatssekretär, ist sichergestellt, daß zukünftig alle Fraktionen dieses Hauses gleichbehandelt werden?
Herr Kollege, dies ist sichergestellt, wobei ich Ihnen nicht ohne Befremden mitteilen will, daß unser Bemühen, alle Fraktionen gleichmäßig über die Sicherheitspolitik, über bestimmte Inhalte, Schwerpunkte und Notwendigkeiten zu informieren, leider bei der einen Fraktion - zu deren Sprecher Sie sich hier im Augenblick in dieser Frage gemacht haben -,
({0})
wenn es um sachliche Informationen geht, keinerlei Widerhall gefunden hat. Wo wir die Mitglieder der GRÜNEN einladen, um sie an die Notwendigkeiten und Zusammenhänge der Sicherheitspolitik heranzuführen, haben wir in einer teilweise sehr schlimm formulierten, polemischen, der Bundesregierung schlimme Dinge unterstellenden Form nur Absagen erhalten.
({1})
Als erstes eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Leonhart.
Herr Staatssekretär Würzbach, gestehen Sie mir zu, daß ich als Abgeordneter dieses Hauses verpflichtet bin, darüber zu wachen, daß aus demokratischen Grundsätzen alle Fraktionen dieses Hauses gleichbehandelt werden,
({0})
unabhängig davon, wie ich persönlich zu der Politik der einen oder anderen Fraktion stehe?
({1})
Herr Kollege Leonhart, ich hoffe, Sie haben meiner Antwort entnommen, daß wir hier nicht einen Millimeter auseinander sind, nicht einen Millimeter!
({0})
Ich bitte um ein bißchen mehr Ruhe.
Als nächstes eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenninger.
Könnte vielleicht der Gedanke bei Ihnen Pate gestanden haben, daß Sie uns vor Umweltschäden bewahren wollten, weil Sie genau gewußt haben, daß diese Broschüre in den Papierkorb gewandert wäre, wenn wir sie gekriegt hätten, womit wir eine unverschuldete Umweltverschmutzung begangen hätten?
Die Broschüre hätten Sie nicht bekommen, sondern Sie haben sie bekommen.
({0})
Was das Bewahren vor Umweltschäden angeht, ist in der Tat festzustellen, daß wir dort etwas tun und Sie nur darüber reden. Das ist richtig.
({1})
Ich bitte um ein bißchen Ruhe. Wir werden doch noch feststellen können, ob jemand eine Broschüre zugeschickt bekommen hat oder nicht. Da muß sich doch nicht das ganze Plenum mit beschäftigen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Biehle.
Herr Staatssekretär, nachdem an Hand der Versandliste eindeutig klargestellt ist, daß die GRÜNEN sie auch bekommen haben, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die GRÜNEN dort, wo gearbeitet werden muß, nämlich in den Arbeitsgremien, sehr selten vertreten sind, da sie vermutlich gar keine Zeit gehabt haben, sich diese Dinge anzuschauen, weil sie meistens auf Demonstrationen unterwegs sind?
({0})
Herr Kollege Biehle - ({0})
Ich bitte um etwas mehr Ruhe.
Herr Kollege Biehle, mit Ihnen habe ich festgestellt, daß an den Sitzungen im Verteidigungsausschuß, an denen ich teilnahm - das waren von Beginn an bis Ende fast alle -, die GRÜNEN nur ab und zu, sehr, sehr selten mal dabei waren. Dies ist richtig. Der Fragesteller der GRÜNEN von eben hat j a bestätigt, was er mit seiner Broschüre gemacht hat. Dies bestätigt die Aussage von Ihnen. Und ich will eine dritte Aussage hinzufügen. Wir hatten die GRÜNEN alle - ohne Ausnahme, wie es sich gehört, Herr Leonhart - zu einer Reise zu Heer, Marine und Luftwaffe in der Bundeswehr eingeladen, um mit den Ausbildungsgrundsätzen,
({0})
den Sorgen, den Nöten, den Belangen der Soldaten vom General bis zum Rekruten in Verbindung zu kommen. Das hat die Fraktion der GRÜNEN für alle bei uns abgesagt, indem sie „diese Vorstellung zur Kriegsvorbereitung" abgelehnt haben.
({1})
Dies sind - so glaube ich - Dinge, die für sich sprechen.
({2})
Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Herr Staatssekretär, ist mein Eindruck aus Ihren Ausführungen also richtig - und können Sie das bestätigen -, daß das Verteidigungsministerium selber die Adressenlisten fertiggestellt und auch die Auswahl der Adressaten ohne den Verlag vorgenommen hat?
Herr Kollege Duve, Sie haben sehr genau zugehört - und ich weiß, daß Sie das, wenn Sie wollen, auch können -,
({0})
als ich darauf hinwies, daß der Verlag diese Liste aus der offiziellen Bundestagsliste - ich kann Ihnen das Datum sagen, an dem diese Liste das erste Mal als vorläufige Aufstellung in der Öffentlichkeit erschienen ist - genommen hat. Darin sind alle Abgeordneten der GRÜNEN - außer einem, der dort sitzt; ich weiß den Namen nicht; der mit dem schwarzen Bart - enthalten gewesen.
({1})
Ich habe das sehr genau geprüft. Sie können sehen, daß wir dieser Sache Bedeutung beigemessen haben.
({2})
Die nächste Zusatzfrage wird von dem Abgeordneten Krizsan gestellt werden.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß auf meinem Schreibtisch eine solche Broschüre nicht angekommen ist, obwohl bei mir mit sämtlicher eingehender Post sehr sorgfältig umgegangen wird und ich mir nicht vorstellen kann, daß irgend etwas in den Papierkorb wandert, ehe ich das gesehen habe?
Würzbach, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie stehen auf dieser Liste. Hiernach hat der Verlag, der diese Aktion verlagsmäßig gemacht hat, auch Ihnen die Broschüre geschickt. Weil ich nicht hoffe, daß Sie Ihr Vorzimmer so „sortiert" haben, wie es Ihr Kollege vorhin sagte - daß bestimmte Dinge gleich den beschriebenen Weg gehen -, kriegen Sie von uns die Broschüre - einfach oder mehrfach; wie Sie wollen - gern noch einmal.
Die nächste Zusatzfrage kommt vom Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatssekretär, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich heute vormittag alle Büros auf der 15. Etage im Neuen Hochhaus mit der Bitte aufgesucht habe, mir doch diese Broschüre einmal zu zeigen, weil ich sie nicht bekommen habe, und daß niemand auf der 15. Etage diese Broschüre je gesehen hat?
({0})
Ich nehme das zur Kenntnis und bitte Sie und die 15. Etage, das gleiche in Anspruch zu nehmen, was ich eben angeboten habe.
({0})
Mir liegen noch zwei Wortmeldungen für Zusatzfragen vor, und dann beenden wir diesen Spaß. Die anderen wollen j a auch noch Fragen stellen.
Herr Schneider ist der nächste zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem ich eben aus Ihrem Munde habe zur Kenntnis nehmen müssen, daß die GRÜNEN offensichtlich nichts lesen, ignorant und auch sonst faul sind,
({0})
möchte ich Sie trotzdem bitten, uns zu erklären, wie es möglich ist, daß bei uns diese Broschüre nicht angekommen ist und daß auch bei anderen Abgeordneten - wie Sie eben gehört haben - diese Broschüre nicht auf den Tisch gekommen ist. Wie erklären Sie sich diese merkwürdigen Vorkommnisse?
({1})
Herr Kollege, ich habe Ihnen auf die klaren Fragen hierzu und auf die Einschätzung Ihrer eigenen Fraktion - auf
Dinge, die Sie mir dabei unterstellten, will ich nicht eingehen; ich will nicht darauf eingehen, ob sie richtig oder unrichtig sind - gesagt, woher der Verlag die Adressen hat - diese kann jedes deutsche Unternehmen, jeder Verlag, jedes Kaufhaus jederzeit aus der verteilten Broschüre entnehmen -, und daß dort keine Namen gestrichen wurden. Der Verlag hat uns versichert - wie bereits gesagt -, daß an alle - die Ausnahme habe ich genannt; der Kollege war damals noch nicht hier - diese Broschüren verschickt worden sind. Sollten - aus welchen Gründen auch immer; ob die bei Ihnen liegen, ob die sonst irgendwo liegen - die Broschüren den Adressaten - in diesem Fall Sie - nicht erreicht haben, biete ich Ihnen noch einmal an, rufen Sie sie ab, Sie bekommen soviel, wie Sie zur vernünftigen Weitergabe brauchen.
Die letzte Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Berger ({0}).
Herr Staatssekretär, würden Sie meiner Beobachtung zustimmen können, daß es in diesem Hause offensichtlich Kollegen gibt, die sich insbesondere sorgfältig davor hüten, sachgerecht über Fragen der Landesverteidigung und Sicherheitspolitık informiert zu werden?
({0})
Diesen Eindruck muß man beim Hören mancher Beiträge hier wie draußen leider haben.
Wir kommen zur Frage 37 des Herrn Abgeordneten Klejdzinski:
Ist es richtig, daß ein Referatsleiter im Informations- und Pressestab des Bundesverteidigungsministeriums seit mehreren Monaten von der Führung seines Referates freigestellt ist und einen Sonderauftrag im Rahmen eines „Aktionsprogramms Öffentlichkeitsarbeit" der Bundesregierung ausführt?
Herr Dr. Klejdzinski, es ist richtig, daß ein Referatsleiter zeitlich befristet mit der Führung einer Arbeitsgruppe beauftragt wurde. Dies entsprach und entspricht geübter Praxis unter allen Vorgängerregierungen und auch unter unserer Regierung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Würzbach, ist es richtig, daß Honorarzahlungen diesbezüglich erfolgt sind und daß diese Mitarbeit des Autorenteams während der Dienstzeit und in den Diensträumen des Bundesministeriums der Verteidigung erfolgte?
Da es ein dienstlicher Auftrag ist, den diese Männer erfüllen, ist es völlig logisch, daß dies in der Dienstzeit und in den Diensträumen geschieht. Ihre von mir zunächst als Behauptung zu bezeichnende Aussage, diese Männer hätten Honorare erhalten, werde ich prüfen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der für die redaktionelle Panne im Vorwort der ISP-Broschüre verantwortliche Referatsleiter im Informations- und Pressestab des Bundesministeriums der Verteidigung die Bundesregierung schon einmal durch das Passierenlassen einer fehlerhaften Broschüre in Mißkredit gebracht hat, indem er die offizielle Broschüre des Bundesministeriums der Verteidigung „Die Bundeswehr" - Auflage: 800 000, Gesamtkosten: rund 515 000 DM - herausgab, obwohl in ihr falsche Stärkeangaben, falsche Sachbezeichnungen und unkorrekte Bildunterschriften enthalten waren, und daß durch die Neuauflage der fehlerhaften Teile der Broschüre Mehrkosten in Höhe von 50 000 DM entstanden sind?
Herr Kollege, dieser Mitarbeiter, von dem Sie sprechen, der, wie ich meine, seit über einem Jahrzehnt, also auch unter einer von einer anderen Mehrheit geführten Regierung mit vielen Kenntnissen, viel Erfahrung und großem Engagement seinen Dienst tut, ist ein Mitarbeiter, wie wir alle - egal, wo wir Verantwortung übernehmen - es sind. Auch ihm kann bei aller Brillanz, bei aller Erfahrung und gutem Einsatz - gerade wenn er in einem Team arbeitet, und zwar auch dann, wenn er Verantwortung trägt - hier und da sicherlich der eine und andere Fehler unterlaufen. Ich habe auf den einen Fehler, über den wir hier aktuell reden, vorhin von mir aus hingewiesen. Wir bedauern diesen Fehler und werden ihn korrigieren. Er stellt nicht das gesamte Werk auf den Kopf.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Duve.
Nachdem wir in den letzten zehn Minuten nun langsam die Autorschaft im Verteidigungsministerium lokalisieren konnten und diesbezüglich nun hinlänglich Klarheit besteht, möchte ich Sie doch fragen: Können Sie Angaben darüber machen, wie viele hauptamtliche - also beamtete
- Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und wie viele freie Mitarbeiter an diesem Autorenteam
- ich wiederhole: Autorenteam - beteiligt sind?
Herr Kollege Duve, ich habe darauf hingewiesen, daß wir die Au-torenschaft nicht haben. Den Unterschied dürften Sie doch vielleicht kennen - oder nicht, so möchte ich fast rhetorisch fragen, obwohl ich dies von dieser Bank aus zu unterlassen habe. Wir haben das gelieferte Werk bekommen und es überprüft. An dem einen Teil haben ein, zwei Mann ein paar Tage gearbeitet; an dem anderen Teil haben zwei, drei Mann ein paar Wochen gearbeitet. So war es auch in den Jahren zuvor, und so wird es weiterhin sein: Wir werden, je nach Umfang, beweglich sein und
einen guten Mann allein oder zwei oder drei gute Männer zusammen an solche Arbeiten setzen.
({0})
Wir kommen zu Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski:
Ist es zutreffend, daß die genannten Projekte auch an die Truppe verteilt werden, und wenn ja, aus welchen Mitteln des Einzelplans 14 werden die Ausgaben dafür bezahlt?
Herr Dr. Klejdzinski, die sicherheitspolitischen Publikationen werden grundsätzlich auch der Truppe für Zwecke ihrer eigenen örtlichen Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung gestellt. Die hierzu erforderlichen Mittel werden entsprechend der Zweckbestimmung aus den einschlägigen Kapiteln, die Sie kennen - ich nenne Kapitel 14 01 Titel 531 02 -, verbucht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da Sie mich völlig zu Recht darauf aufmerksam gemacht haben, daß jeder Fehler machen kann: Würden Sie es nicht für sinnvoll halten, daß sich insbesondere dann, wenn Projekte dieser Art herausgegeben werden, die politische Leitung und vielleicht auch einmal der Parlamentarische Staatssekretär die Mühe machen, Korrektur zu lesen, bevor solche Veröffentlichungen das Haus verlassen?
Herr Kollege, ich hoffe, daß Sie nicht ganz ernst gemeint haben, daß Sie Leute so teuer bezahlen wollen bei einer Vielzahl anderer übernommener Aufgaben, daß Sie so etwas bis in die alleroberste Ebene hochziehen wollen.
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Wir haben hier die Pflicht, auf solche Stühle gute Leute zu setzen, die dieser Verantwortung gerecht werden.
Herr Abgeordneter Voigt zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Opposition und auf Gemeinsamkeit in der Sicherheitspolitik so viel Wert legen, frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir als Opposition bereit sind, Ihre Broschüren, die Sie im Rahmen Ihrer Öffentlichkeitsarbeit und -kampagne herausgeben, sowohl vom Inhalt her als auch nach den sachlichen Fehlern zu überprüfen und entsprechend zu korrigieren?
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Herr Kollege Voigt, wenn die Sachlichkeit wieder um sich greift - sie tat es heute hier nach meiner Einschätzung und nach dem, was zu lesen und draußen zu hören ist, nicht immer -, dient dies nicht nur der Bundesregierung, sondern uns allen. Denn Sicherheitspolitik geht alle an. Ich rufe Sie herzlich auf, hier einen Weg zu finden, wo Sie dieses gemeinsam in der Öffentlichkeit wieder deutlicher als in der vergangenen Zeit artikulieren können.
({0})
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Hürland.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bezugnehmend auf die umschriebenen oder direkten Forderungen des Kollegen Klejdzinski frage ich Sie: Sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Aufgaben eines Parlamentarischen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium nicht mit den Aufgaben eines Leiters einer Volkshochschule zu vergleichen sind?
Für unsere Bundesregierung gilt dies uneingeschränkt.
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Augenblick! - Die nächste Zusatzfrage kommt von dem Abgeordneten Fischer ({0}).
Herr Staatssekretär, besteht auch die Absicht Ihres Hauses, bei den anstehenden Herbstdemonstrationen und Blockadeaktionen die Broschüren nicht nur an die Truppe, sondern auch an die Demonstranten verteilen zu lassen?
Wenn Sie uns dabei helfen,
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Adressaten zu finden, die bereit sind, dies sachlich zur Kenntnis zu nehmen, wäre das sehr begrüßenswert.
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Jetzt kommt eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kolbow - und dann noch eine; und dann ist Schluß.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in der Beurteilung zu, die ein Oppositionsabgeordneter, der Berichterstatter über die „Information für die Truppe" ist, nach dem Ablauf dieser Fragestunde haben muß, daß es glaubwürdiger wäre, bei der Konzeption der Information über Sicherheitspolitik und Verteidigungspolitik überhaupt die Absicht der Bundesregierung, freie Verlage in Anspruch zu nehmen, sehr frühzeitig auch dem Parlament zugänglich zu machen?
Herr Kollege, ich stimme allen Überlegungen zu, die uns helfen, mit dem gleichen Ansatz an Mitteln - wir sind übrigens gegenüber dem Jahr 1979 trotz gestiegener Preise in allen Bereichen runtergegangen - mögParl. Staatssekretär Würzbach
lichst viele Bürger zu erreichen und in die Lage zu versetzen, sich ihr eigenes Urteil vorurteilsfrei und sachlich zu bilden. Diese Ansätze begrüßen wir uneingeschränkt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir den Eindruck, den wir von der vergangenen halben Stunde haben müssen, daß es künftig für das Verteidigungsministerium wohl besser wäre, die Autorschaft einer solchen Schrift offen und ehrlich und wie es den Soldaten und den Leuten, die daran gearbeitet haben, gebührt, zuzugeben und nicht so einen Eiertanz zu machen, wie Sie ihn in den letzten 30 Minuten gemacht haben?
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Herr Kollege Duve, ich verstehe, daß Sie, gerade Sie, ein paar Dinge reparieren wollen. Denn das war j a kein Treffer von Ihnen. Ich habe Ihnen den Vergleich zu der Praxis in den letzten zehn Jahren anschaulich geschildert. Ich habe geschildert, daß Ihre Vokabeln an den Osang-Verlag unzutreffend sind. Und ich sehe keinen Anlaß, daß dieses Ministerium, oder welches Ministerium auch immer, bei der Absicht, zu informieren, nach gründlicher, sachlicher und wirtschaftlicher Prüfung in einer Vorphase an das deutsche Parlament herantritt und sagt: Jetzt werden wir mit dem Verlag und dem Verlag die Auflage und die Auflage verteilen. Nein! Und auch im Interesse des Parlaments: Nein!
Also, Herr Kollege Duve, das waren nicht 30 Minuten, das waren fast 55. Deswegen kommt jetzt die letzte Zusatzfrage zu diesem Thema.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es im Anschluß an das, was Kollege Kolbow Sie im Hinblick auf eine bessere Information der Truppe, beispielsweise durch Truppenzeitschriften gefragt hat, konsequent wäre, darauf hinzuwirken, daß die entsprechenden Mittel im Haushalt auch zur Verfügung gestellt und freigegeben werden?
Ich hoffe, daß alle Fraktionen nach dieser Debatte gemeinsam die Notwendigkeit sehen, die Öffentlichkeit einerseits und die Soldaten in der Bundeswehr andererseits über diesen Bereich zu informieren, und das dafür erforderliche Geld zur Verfügung stellen, das uns noch fehlt.
Meine Damen und Herren, der Fragesteller der Fragen 39 und 40 hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann kommt jetzt die Frage 41 der Abgeordneten Frau Dr. Skarpelis-Sperk.
Kann die Bundesregierung erklären, warum seit dem Frühsommer 1983 der Fluglärm und die Anzahl von Tiefflügen im Allgäu, insbesondere im Raum Memmingen und Kempten, bedenklich zugenommen haben?
Frau Kollegin, von einer „bedenklichen" Zunahme des Tiefflugaufkommens seit dem Frühsommer 1983 kann nicht gesprochen werden. Das Jahressoll an Tiefflügen der Luftwaffe 1983 liegt bei 42 300 Tiefflügen. Dieses Soll für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August dieses Jahres errechnet sich mit 29 600 Flügen, gleich 70 %, bezogen auf das Jahressoll. Tatsächlich geflogen wurden während dieses Zeitraums 30 450 Einsätze. Dies entspricht dem Jahressoll in Höhe von 72 %, also 2 % über dem ursprünglich angesetzten Soll.
Unzutreffend ist die Annahme, daß diese Tiefflüge ausschließlich über einer Region - dem Allgäu - zugenommen hätten. Dies ist schon deswegen nicht möglich, weil die Luftwaffe intensiv darum bemüht ist, die Flüge gleichmäßig zu verteilen.
Ich räume jedoch ein, daß unsere fliegenden Verbände die anhaltende Schönwetterperiode in diesem Jahr dazu genutzt haben und nach unserer Auffassung auch nutzen mußten, die Tiefflugausbildung, die sonst wegen längerer Schlechtwetterperioden im Frühjahr zurücklag, auf den Sollstand zu bringen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Skarpelis-Sperk.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Tiefflüge in diesen Gebieten selbst über Krankenhäusern, Kurheimen, Altenheimen und Schulzentren stattgefunden haben, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung dieser besonders gefährdeten Menschen in Hinkunft zu verhindern?
Frau Kollegin, die Bundesregierung - diese wie die vorherigen - hat alles getan, was möglich ist, um bestimmte Bereiche, die möglicherweise - nicht nur möglicherweise, sondern im Ergebnis in der Tat - ganz besonders betroffen sind durch die nicht wegzuleugnende Belästigung durch diese Tiefflüge, zu entlasten. Hierzu haben alle Piloten in ihren Karten, die sie beim Fliegen auf dem Knie oder sonstwo haben, große Krankenhäuser, bestimmte Kurorte, die großen Ballungszentren und andere verkehrsmäßig besonders sensiblen Knotenpunkte eingezeichnet. Nur: Es lassen sich nicht alle Bereiche ausschließen, wenn wir die Luftwaffe üben und ausbilden lassen wollen, so daß es hier und da immer wieder zu Beeinträchtigungen kommt. Diese Beeinträchtigungen werden konzentriert und kanalisiert. Wenn wir bestimmte Sperrzonen haben, die umflogen werden müssen, ist logisch, daß es zwischen diesen Sperrzonen in bestimmten Bereichen zu Ballungen kommt. Das Bundesgebiet ist klein. Ein Tiefflug durchmißt eine Entfernung von etwa 600, 700, 800 km. Ich wäre geneigt - der Präsident wird mir dies untersagen -, Ihnen einen langen Katalog, 2 DIN-A4-Seiten in Stenogrammform, vorzutragen, welche Maßnahmen die Bundesregierung getroffen hat, um die Bevölkerung so wenig wie möglich zu belasten.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Skarpelis-Sperk.
Ich wäre glücklich, wenn Sie mir das schriftlich gäben.
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Dann könnten wir in Hinkunft darüber präzise diskutieren. Aber, Herr Staatssekretär, Ihre Ansicht erscheint mir außerordentlich optimistisch. Ich frage Sie, ob Sie nicht die Briefe des beschwerdeführenden Oberbürgermeisters und Bürgermeisters der Stadt Kempten und des Kurorts Bad Wörishofen zur Kenntnis genommen haben, die sich gerade in diesem Frühsommer über die außerordentliche Belästigung der Bevölkerung und insbesondere auch der Fremdenverkehrsorte beklagt haben.
Frau Kollegin, die Briefe habe ich nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern jeden einzelnen davon sehr gründlich - dies ist neben anderem Aufgabe eines Parlamentarischen Staatssekretärs - beantwortet und mich mit Details der Sorgen dieser Bürger beschäftigt, für die die Fragesteller in diesen Briefen sprechen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel bringen. Ich sage übrigens zu, Ihnen diese Aufstellungen, und zwar nicht nur gerafft, sondern sehr gründlich, zügig zuzuschicken. Die Kurorte, über die Sie reden - diese Sorgen verstehe ich -, liegen in einem mehr unbebauten, ruhigen landschaftlichen Gebiet, außerhalb der Großstädte. Die Forderung der meisten Kollegen ist: Fliegt nicht über die Großstädte. Wir haben die Städte ab 100 000 nach oben herausgenommen. Wir verlagern also Flugbewegungen in das sogenannte flache, weniger bebaute Gebiet. Da können wir nicht jeden Ort, auch wenn er die und die Anlagen in den eigenen Mauern hat, ausnehmen, so daß es leider zu diesen Belästigungen kommt, die wir zeitlich eingeschränkt haben, die wir am Wochenende nicht durchführen und die wir auch sonst limitiert haben. Das werden Sie von mir bekommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenninger.
Können Sie mir bitte sagen, ob die Zahl der Beschwerden über Lärmbelästigungen im letzten Jahr zugenommen hat, ob es hier eine Statistik gibt? Wenn ja, wie ergründen Sie es sich, daß sich immer mehr Leute über den zunehmenden Fluglärm beschweren?
Obwohl wir immer mehr Flüge, auch gerade Tiefflüge, über die Nordsee und über die Ostsee und in manches Ausland verlagert haben, ist in der Tat festzustellen - das wird jeder in seinem Bereich selber lebendig nachvollziehen können -, daß das Bewußtsein der Bürger, gestört zu werden, und die Bereitschaft, selbst etwas dagegen zu tun, gewachsen ist. Dies spiegelt sich in darüber geführten Unterlagen über die Häufigkeit solcher Beschwerden bei uns wider.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, Sie haben selbst eingeräumt, daß das Soll in diesem Bereich wegen des schönen Wetters bereits übererfüllt sein könnte. Ist es denn unbedingt erforderlich, wenn man von den Belästigungen weiß, daß man Schönwetterperioden ausnutzt, um dort möglichst viel unterzubringen?
herr Kollege, die Antwort muß leider j a sein. Ich bin sicher, auch im Interesse all jener, die beeinträchtigt werden, wenn Sie diese Übelabwägung nehmen. Unsere Luftwaffe, die da sein muß, kann den Auftrag nur erfüllen, wenn die Flugzeuge nicht unten stehen, sondern die Piloten damit fliegen können. Schlechtwetterperioden lassen dies im Interesse der Sicherheit der Bürger wie der Piloten nicht zu. Wenn das Wetter gut ist - und die Zahl der Tage in der Bundesrepublik Deutschland, wo man fliegen kann, ist sehr gering -, müssen wir dies leider ausnutzen.
Zu einer Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben gesagt, Sie hätten Flüge ins Ausland verlegt. Können Sie mir bitte sagen, wohin, und können Sie mir sagen, ob dort nicht genauso Menschen wohnen, die von dem Lärm betroffen sind?
Frau Kollegin, Sie kennen die Weite Amerikas, Kanadas und mancher Regionen in Portugal und in Griechenland, wo die Besiedlung nicht annähernd so dicht ist wie bei uns.
Wir kommen zu Frage 42 der Abgeordneten Frau Dr. Skarpelis-Sperk:
Ist die Bundesregierung bereit, Maßnahmen zu ergreifen, um die Lärmbelästigung und die Anzahl der Tiefflüge auf ein für die Anwohner erträgliches Maß herunterzuschrauben?
Die Bundesregierung setzt alles daran, den Tieffluglärm in erträglichen Grenzen zu halten. Sie hat daher zahlreiche Einschränkungen bereits heute erlassen. Weitere Maßnahmen zielen auf die Verbesserung der Luftraumstruktur - das sind bestimmte Gebiete, wo die engen Kanäle sind, die anders geordnet werden -, auf die Überarbeitung flugbetrieblicher Regelungen und auf eine intensivere Tiefflugkontrolle. Hier brauchen wir auch die Hilfe des Parlaments, um die nötigen technischen Mittel, die finanzbedingt im Haushalt auftauchen werden, beschaffen zu können.
Zu den bereits erwähnten, schon geltenden zahlreichen Anordnungen gehören flugbetriebliche Regelungen wie das Verbot der Benutzung des Nachbrenners, die Einführung fester Betriebszeiten und die Limitierung - trotz militärischer Forderung - der Geschwindigkeiten. Ferner wurden die Tiefflugkontrollen bereits durch Leihgeräte verschärft, stichprobeartig über das Bundesgebiet an nicht angekündigtem Ort auftauchend. Im übrigen verweise ich weiter darauf, daß die Luftwaffe unter anderem zur Entlastung von Fluglärm von insgesamt 178 000 Flugstunden pro Jahr bereits 59 000 - die exakte
Zahl - in das Ausland verlagert hat. Eine nennenswerte weitere Verlagerung ist finanziell und personell nicht mehr realisierbar, auch weil die verbündeten Staaten hier Grenzen ziehen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Skarpelis-Sperk.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es auf Grund der von mir genannten Tiefflüge auch zu einer erheblichen Gefährdung der zivilen Luftfahrt am Flughafen Kempten-Durach gekommen ist, und was gedenkt die Bundesregierung gegen eine Wiederholung solcher Vorkommnisse zu unternehmen?
Frau Kollegin, der spezielle Fall ist mir nicht bekannt. Ich werde den Namen dem Protokoll entnehmen, den Fall überprüfen lassen und Ihnen eine detaillierte Einschätzung im Hinblick auf den kleinen Flugplatz, von dem Sie sprachen, geben. Generell unternahm und unternimmt die Bundesregierung uneingeschränkt alles, was personell, technisch, finanziell und organisatorisch möglich ist, um hier - gerade um die zivilen Flugplätze herum, nicht nur um die großen, sondern um alle Flugplätze herum - Sicherheit für alle herzustellen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß in dem Brief, den Sie als Ihnen bekannt erklärt haben, nämlich den des Oberbürgermeisters von Kempten, dieser Vorfall, nämlich die Gefährdung der Luftsicherheit in Kempten-Durach, Ihnen gegenüber beklagt wurde? Darf ich Sie bitten, diesem Fall auf Grund des Beschwerdeschreibens nachzugehen? Aber, sorry, das war nicht die Frage, sondern - Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, darf ich einen Satz dazu sagen: Der Brief des Oberbürgermeisters von Kempten war mir in Erinnerung, aber nicht Namen von kleineren Flugplätzen. Ich bitte bei der leider zugenommenen Fülle von ähnlichen Anliegen um Verständnis, daß ich den Namen nicht mehr abrufbereit parat hatte.
Jetzt kommt eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß es notwendig ist, mit unseren Partnern in Europa darüber zu reden, daß auch in den anderen Staaten eine erträgliche Tiefflugverteilung erfolgt?
Ich darf gleich folgende Frage anschließen: Sehen Sie es nicht als eine für unsere Bevölkerung zusätzliche große Belästigung an, wenn in anderen Ländern in bezug auf Tiefflüge andere Höhenangaben zugelassen sind als bei uns in der Bundesrepublik?
Herr Kollege, die Situation, die wir gestern gemeinsam im Verteidigungsausschuß anschaulich beschrieben bekommen haben - ich halte es wie Sie für nötig, daß wir sie mit den Verbündeten besprechen -, besteht nicht seit einem Jahr, nicht seit zwei Jahren, sondern seit etwa zehn Jahren. Unabhängig davon teile ich das Anliegen, mit den Verbündeten in Verbindung zu treten, um hier zu einer weiteren Entzerrung zu unseren Gunsten zu kommen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kolbow.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, eine Informationsveranstaltung der vorzüglich arbeitenden Fluglärminformationszentrale beim Luftwaffenamt für alle betroffenen Bundestagsabgeordneten hier oder beim Luftwaffenamt zu veranlassen?
Herr Kollege, ich habe gegenüber jedem mich in diesem Zusammenhang anschreibenden Kollgen betont: Ruft - möglichst mit zwei, drei Wahlkreisen zusammen; denn sonst kommen wir nicht herum - diese großartige Möglichkeit der sachlichen Information von uns ab; dann bewegen wir uns in diese Regionen. Nicht zu jedem Flugplatz in jedem Wahlkreis, aber wenn ein paar Kollegen aus drei, vier benachbarten Wahlkreisen dies organisieren, stehen wir zur Verfügung.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatssekretär, was hat die Bundesregierung unternommen, damit sich ein Unglück, wie es in Biberach vorgekommen ist, wo sechs Menschen zu Tode gekommen sind, nicht wiederholt?
Herr Kollege, diese Frage, über die wir hier schon geredet haben, hat mit dem Fluglärm - das ist der Ausgangspunkt der Frage - nun wirklich direkt und, ich meine, auch sonst nichts mehr zu tun. Ich bin aber gern bereit, Sie noch einmal schriftlich über die auch nach dem tragischen Unfall damals erneut eingeleiteten Überprüfungen und neu veranlaßten Maßnahmen zu unterrichten.
Ich glaube, Sie haben recht, Herr Staatssekretär. Das gehörte nicht mehr zu dem aufgeworfenen Fragenbereich. Mir liegt aber noch die Bitte um eine Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann vor.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Ausführungen zum Tieffluglärm hier so werten, daß Sie die Bemühungen der SPD-Bundestagsfraktion und unseren Antrag auf Anschaffung von zwei Flight-catcher-Geräten aktiv mit unterstützen, so daß wir die entsprechenden Mittel im Haushalt 1984 bereitstellen können?
Herr Kollege, uneingeschränkt ja. Dies ist Anliegen der Bundesregierung, und die Hoheit liegt beim Parlament. Ich freue mich, aus den drei Fraktionen der SPD, der
FDP und der Union zu hören, daß wir Hilfe bekommen werden, um die Geräte, so schnell es geht, d. h. einsatzfähig 1984, beschaffen zu können.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, zu welchen Gesundheitsschäden diese Tiefflüge in der Bevölkerung geführt haben?
Es liegen Erkenntnisse, auch aus dem internationalen Bereich, vor. Viele Staaten, viele militärische Fachleute, viele zivile Institute haben hierüber inzwischen doch gründliche Forschungsergebnisse nach Arbeiten umfangreichster Art auf den Tisch gelegt. Das Ergebnis lautet - bei aller Breite dieser Untersuchungen vereinfacht dargestellt -, daß eine direkte, Folgen beinhaltende gesundheitliche Schädigung der Menschen nicht eintritt.
Ich bin gerne bereit, Ihnen oder einem anderen interessierten Fachmann Ihrer Fraktion auf Nachfrage diese Untersuchungen zuleiten zu lassen.
Wir kommen zur Frage 43 der Abgeordneten Frau Odendahl:
Wie hoch ist die Zahl der bis heute bei der Bundesregierung bzw. beim Bundeskanzler eingegangenen schriftlichen Eingaben und Appelle einschließlich Massenpetitionen, die sich gegen eine Stationierung von Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik Deutschland aussprechen?
Frau Kollegin, der NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979 ist Folge der damals alarmierenden und ja immer noch wöchentlich stattfindenden Stationierung auf uns gerichteter Mittelstreckenraketen, unter anderem des Typs SS 20, durch die Sowjetunion. Seit dieser Zeit beschäftigt sich die deutsche Öffentlichkeit in sehr unterschiedlicher Weise mit der Frage. Das geschieht zum Teil auch dadurch, daß sich Bürger, Gruppen oder Organisationen mündlich, fernmündlich oder schriftlich an staatliche Stellen oder auch an die Bundesregierung wenden. Dabei handelt es sich um Fragen, um Meinungsäußerungen oder die Bitte um Informationsmaterial und sehr häufig auch um eine Mischung aus all dem eben Genannten.
Die Bundesregierung und alle anderen staatlichen Stellen beantworten entsprechende Begehren. Je nach Art und Inhalt der Schreiben erfolgt die Beantwortung von unterschiedlichen Stellen. Deshalb ist eine Erhebung über den Umfang entsprechender Anfragen nicht möglich. Das gilt gleichermaßen für uns wie für alle vorherigen Bundesregierungen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Odendahl.
Herr Staatssekretär, da Sie einen bestimmten Überblick haben werden, frage ich Sie: Können Sie zustimmen, daß sich erstens die Zahl dieser Eingaben, Petitionen usw. gerade in den letzten sechs Monaten deutlich vergrößert hat und
daß sie zweitens schätzungsweise inzwischen mehrere Millionen umfaßt?
Ich kann das nicht in Millionenhöhe beziffern, aber ich will Ihnen mit Freude einräumen, daß die Zahl zugenommen hat; denn es ist ein gutes Zeichen, wenn sich die Bürger an staatliche Stellen bis hin zur Bundesregierung wenden und sagen: Ich möchte mich besser informieren, mehr lesen als nur das, was ich hier und da an schön klingenden Worten höre.
Ich kann Ihnen keine Statistik geben. Ich bitte um Verständnis - vielleicht noch um ein bißchen mehr: auch um Unterstützung -, wenn ich nicht möchte, daß wir einen solchen Auftrag bekommen. Wir müßten beim Bürgermeister, beim Landratsamt anfangen und das über die Ressorts in den Ländern bis zum Bund fortsetzen, wenn wir herausfinden wollten, wer wann wo wie, mit welchem Begehren gefragt hat. Das können wir nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Odendahl.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie jetzt klargemacht haben, daß von Ihrem Ministerium aus eine Unterscheidung, ob sich solche Eingaben generell gegen oder für die Stationierung aussprechen oder nur die Bitte um Auskunft enthalten, unterbleibt, frage ich Sie: Stimmen Sie zu, daß in den letzten sechs Monaten die Eingaben gegen eine Stationierung deutlich zugenommen haben?
Das ist nicht der Fall. Ich will nicht sagen: Im Gegenteil. Wir spüren einen zunehmenden Abruf von Informationen, über die wir vorhin geredet haben, ein Suchen nach Argumenten, ein Sich-verunsichert-Fühlen. Dann wird gesagt - mündlich, schriftlich, telefonisch -: Gib mir einmal Material, in dem ich nachlesen kann, wie es wirklich ist.
({0})
Keine Zusatzfrage. - Jetzt kommen wir zur Frage 44 der Abgeordneten Frau Odendahl:
Welches sind die beiden häufigsten Begründungen der Petenten gegen eine Stationierung von Mittelstreckenraketen?
Anfragen schriftlicher, mündlicher oder anderer Art sind dem Inhalt nach sehr unterschiedlich. Oft ist nur sehr schwer zu trennen, ob es sich um Fragen oder um die Darstellung von Meinungen oder auch von Voreingenommenheiten handelt. Die Bundesregierung nimmt alle an sie gerichteten Eingaben sehr ernst und beantwortet jede Anfrage sorgfältig. Sie nimmt aber keine statistische Erfassung vor.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Odendahl.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß die Antworten ähnlich wie in sonstigen Fällen in der Regel in vervielfältigter
Form ergehen. Ist es möglich, die zwei am häufigsten gegebenen Antworten seitens der Bundesregierung zu erfahren?
Nein, hier wird jedem je nach Ansatz und Wunsch und dem, was er darin zum Ausdruck bringt, eine persönliche Antwort gegeben. Es ist keine schöne Art - eine, die wir nicht praktizieren -, daß er einen hektographierten Zettel, nur mit einem anderen Datum und einem anderen Briefkopf, bekommt.
({0})
Weitere Zusatzfrage? - Nicht der Fall.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Duve.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie denn mit mir darin überein, daß diese sehr vornehme Art der Beantwortung, die Sie hier eben dargelegt haben, im Falle der Schreiben von all jenen, die sich an den Herrn Bundeskanzler gewandt haben, um Auskünfte über sein Versprechen, seine Lehrstellengarantie zu bekommen, nicht geübt worden ist, sondern daß es sich dabei um ein vervielfältigtes Grundschreiben gehandelt hat?
({0})
Herr Duve, das geht nun nicht. Dies ist eine Frage, die Herr Staatssekretär des Verteidigungsministeriums jetzt nicht zu beantworten hat.
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Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Herrn Staatssekretär Würzbach für seine Beantwortungen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarischer Staatssekretär Karwatzki zur Verfügung.
Ich rufe Frage 45 - des Herrn Abgeordneten Dr. Soell - auf:
Gedenkt die Bundesregierung die erheblichen finanziellen Benachteiligungen für Familien mit behinderten Kindern auszugleichen, die durch die seit dem 1. Januar 1983 geltende Neuregelung der Kindergeldzahlungen - basierend auf dem im Steuerrecht geltenden Einkommensbegriff, der die durch die Behinderung des Kindes anfallen den Mehraufwendungen nicht berücksichtigt - entstanden sind, und wenn ja, in welcher Weise?
Herr Kollege, das geltende Recht läßt es nicht zu, bei der einkommensabhängigen Minderung des Kindergeldes die Aufwendungen, die dem Kindergeldberechtigten durch die Behinderung eines Kindes entstehen, zu berücksichtigen. Im Rahmen des kindergeldrechtlichen Einkommensbegriffes werden auch andere außergewöhnliche Belastungen nicht berücksichtigt. Die Inanspruchnahme von Kindergeld wie die verwaltungsmäßige Abwicklung müssen einfach bleiben. Eine Gesetzesänderung ist nicht beabsichtigt.
Der wirtschaftlichen Belastung von Familien durch eine Behinderung von Kindern wird im Einkommensteuerrecht Rechnung getragen. In der Einkommensteuer finden außergewöhnliche Belastungen, die Eltern behinderter Kinder unmittelbar infolge der Behinderung des Kindes erwachsen, nach § 33b Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes durch einen Pauschbetrag Berücksichtigung. Der Pauschbetrag beträgt je nach der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Kindes zwischen 600 DM und - bei dauernder Pflegebedürftigkeit - 7 200 DM jährlich. Je nach der Höhe des Pauschbetrages und dem individuellen Grenzsteuersatz ergeben sich hierdurch Steuerermäßigungen zwischen 132 DM und 4 032 DM jährlich.
Herr Dr. Soell zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, daß sich durch die neue Kindergeldregelung für den Kreis der angesprochenen Betroffenen Einkommensminderungen von etwa bis zu 1 000 DM im Jahr ergeben?
Frau Karwatzki, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Soell, das ist mir in einigen Fällen durchaus bekannt. Aber ich glaube, bei Beachtung des eben von mir dargelegten Tatbestandes des Einkommensteuerrechtes ist dem doch Rechnung getragen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Soell.
Hat die Bundesregierung einen Überblick über die Zahl der betroffenen Familien?
Nein, das haben wir noch nicht, weil das erst mit Wirkung vom 1. Januar dieses Jahres eingetreten ist. Aber ich kann Ihnen sagen, Herr Kollege Soell, daß mich auf Grund Ihrer Frage die Zahlen sehr interessieren. Ich habe veranlaßt, daß zum Ende des Jahres - dann hat man eventuell eine Übersicht - sie Ihnen sofort zur Verfügung gestellt werden.
Danke schön.
Der Fragesteller der Fragen 46 und 47 hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zur Frage 48 - des Abgeordneten Lambinus -:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung eine Änderung des Bundesseuchengesetzes mit dem Ziel beabsichtigt, Tuberkuloseerkrankungen oder den Verdacht auf Tuberkuloseerkrankungen aus der Meldepflicht zu nehmen, und wenn j a, aus welchen Gründen?
Herr Kollege, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Meldepflicht nach § 3 Abs. 3 Nr. 12 des Bundes-Seuchengesetzes aufzuheben oder zu ändern. Trotz eines Rückgangs der Neuzugänge von 25 924 im Jahre 1980 auf 23 358 im Jahre 1981 kommt der Erkrankung an aktiver Tuberkulose weiter erhöhte Bedeutung zu. Nur bei einer Meldepflicht kann das
Gesundheitsamt sofort Gefahren erkennen und bekämpfen, die von offenen Erkrankungen ausgehen.
Die Gesamtstatistik ergibt ferner Hinweise, wo infolge erhöhter Gefährdung gezielte Bekämpfungsmaßnahmen einzusetzen sind.
Ein Verdacht an Tuberkulose ist dagegen nach dem Gesetz nicht zu melden, da mit den heute zur Verfügung stehenden Untersuchungsmöglichkeiten das Bestehen der Erkrankung an Tuberkulose festgestellt oder ausgeschlossen werden kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Frau Staatssekretärin, würden Sie bitte in der Nr. 39 der „Beiträge zur Wirtschafts-
und Finanzpolitik" dieses Jahres, herausgegeben vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, nachlesen, wo eine sehr mißverständliche Formulierung hinsichtlich der Tuberkuloseerkrankungen abgegeben wurde? Diese Formulierung hat bei den Praktikern draußen, bei den Ärzten, zu einer großen Verwirrung geführt.
Ich bin gern bereit, die Broschüre zu lesen. Ich werde dann, wenn diese Bemerkung gerechtfertigt ist, auch veranlassen, daß es geändert wird.
Ich komme zur Frage 49 des Herrn Abgeordneten Würtz. Der Abgeordnete hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragen aus diesem Geschäftsbereich. Danke für Ihre Beantwortung, Frau Karwatzki.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Der Abgeordnete Purps hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 50 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 52 des Abgeordneten Löffler:
Wie viele Kinder verunglücken jährlich im Straßenverkehr, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Unfallursachen?
Herr Kollege Löffler, im Jahre 1982 verunglückten bei Straßenverkehrsunfällen im Bundesgebiet 52 194 Kinder im Alter unter 15 Jahren, und zwar 727 tödlich, während 16 762 schwer und 34 705 leicht verletzt wurden.
Die meisten Kinder verunglückten als Radfahrer - es waren 18 955 oder 36 % -, als Fußgänger - es waren 18 351 oder 35 % - und als Mitfahrer in Fahrzeugen meist erwachsener Personen - es waren 14 580 oder 28 %.
Die Zahl der Kinder im Alter bis zu 15 Jahren ging bis 1982 um 3,8 % auf 10,4 Millionen zurück.
Dieser Rückgang ist bei der Beurteilung der Kinderunfallzahlen zu beachten, die insgesamt um 5,7 % abnahmen.
Unfälle der zu Fuß gehenden Kinder wurden 1982 um 8,1 %, die der Radler um 1,3 % und die der als Mitfahrer verunglückten Kinder um 8 % weniger gezählt als 1981.
Diese erfreuliche Abnahme der Unfallzahlen ist um so bemerkenswerter, als sich der Bestand an Kraftfahrzeugen von Mitte 1981 bis Mitte 1982 um 0,6 Millionen oder 1,7 % auf insgesamt 30,3 Millionen vergrößerte.
Die Zahl der bei Straßenverkehrsunfällen getöteten Kinder war 1982 um 33 oder 4,3 % kleiner als 1981. Als Fußgänger verunglückten die sechs bis sieben Jahre alten Schulanfänger am häufigsten. Nach wie vor birgt das Überschreiten der Straße die größten Gefahren in sich. Unachtsamkeit beim Überschreiten der Fahrbahn und plötzliches Hervortreten hinter Sichthindernissen waren die häufigsten Ursachen, die zu Fuß verunglückten Kindern angelastet wurden.
Bei den Radlern waren es die 12- bis 14jährigen, die am zahlreichsten in Unfälle verwickelt wurden. Nichtbeachten der Vorfahrt, Fehler beim Abbiegen und beim Einfahren in den fließenden Verkehr standen im Vordergrund der Ursachen, die Radfahrern unter 15 Jahren bei der Unfallaufnahme angeschrieben wurden.
Herr Löffler, Zusatzfrage?
Ich werde eine Zusatzfrage bei der zweiten Frage stellen.
Dann rufe ich die Frage 53 des Abgeordneten Löffler auf:
Ist die Bundesregierung bereit, der Anregung eines Lehrerverbandes zu folgen, die Straßenverkehrsordnung dahin gehend zu ändern, auch entgegenkommende Fahrzeuge zum Halten zu zwingen, wenn ein Bus an einer Haltestelle hält?
Herr Kollege Löffler, die Bundesregierung hält ein derartiges Halt-Gebot nicht für erforderlich. Die geltenden Vorschriften sind scharf genug. Die Straßenverkehrsordnung verlangt bereits jetzt, daß an einem haltenden Schulbus nur mit mäßiger Geschwindigkeit und in einem solchen Abstand vorbeigefahren werden darf, daß eine Gefährdung der Schulkinder ausgeschlossen ist; sie dürfen auch nicht behindert werden. Wenn nötig, muß der Fahrzeugführer warten. Das steht in § 20 Abs. 1 a der StVO.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß bei Überqueren der Straße im Zusammenhang mit einer Busfahrt allenfalls 0,5 % aller Schulwegunfälle entstehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Verkehrsunfälle bei Kindern zu verringern, angesichts der TatLöffler
sache, daß ja nach Ihren eigenen Auslassungen eben jährlich über 37 000 Kinder als Radfahrer oder Fußgänger verunglücken?
Ich habe Ihnen, Herr Kollege, gerade die Zahlen und die Tendenzen aufgezeigt. Hier geht es um einen Schwerpunkt in der Verkehrssicherheitsarbeit nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der Bundesländer und aller Organisationen, die auf diesem Gebiet tätig sind.
Ich möchte ein paar Beispiele dafür nennen, was getan wurde oder noch getan wird. Als erstes wurde die Straßenverkehrsordnung im Jahre 1980 geändert, nach Beratungen im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages in Übereinstimmung mit allen Fraktionen. Danach müssen Fahrzeugführer gegenüber Kindern die äußerste Sorgfaltspflicht - ich betone: die äußerste Sorgfaltspflicht - beachten. Weiterhin wurde durch die Novelle eine deutliche und einheitliche Kennzeichnung der Schulbushaltestellen eingeführt. Dies ist aber nur ein Teil, und die Bundesregierung geht auch davon aus, daß wir Gebote und Verbote und Strafen im Verkehrsrecht eigentlich genug haben. Was wir als wichtig ansehen, ist die Verkehrserziehung. Deswegen gibt es ein Programm zur Verkehrserziehung im Kindergarten, ein „Programm Kind und Verkehr", ein Programm für die Verbesserung der Radfahrausbildung, Programme zur Vorbereitung der Erlangung der Mofa-Prüfbescheinigung. Gemeinsam mit den Bundesländern wurde ein Programm zur Schulwegsicherung gestaltet. Die Hauptkomponente dabei ist, daß Moderatoren ausgebildet wurden, die mit den neuesten Erkenntnissen zur Schulwegsicherung vertraut gemacht wurden und Informationen von Eltern, Lehrern und anderen interessierten Personen zur Mitarbeit bei der Lösung örtlicher Schulwegprobleme weitergeben.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen entgangen, daß ich nicht nach neuen Gesetzen gefragt habe, sondern einfach nach Maßnahmen der Bundesregierung? Deshalb frage ich noch einmal: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun? Denn das, was Sie bisher aufgezählt haben, sind alles Dinge, die schon seit Jahren versucht werden.
Wir sind der Ansicht, daß sich diese Programme, die ich aufgezählt habe, bewährt haben. Wir werden diese Programme fortschreiben und fortentwickeln. Insofern besteht Einigkeit, nicht nur zwischen den Fraktionen im Deutschen Bundestag. Wir hatten kürzlich im Verkehrsausschuß darüber eine Debatte. Hier hat sich diese Einigkeit gezeigt. Wir werden darüber hinaus diese Arbeit auch mit den beteiligten Organisationen fortführen.
Ich habe ausdrücklich gesagt, Herr Kollege Löffler, daß die Rechtsänderung innerhalb der StVO
einen Teil darstellt, aber daß wir den Schwerpunkt bei den anderen Maßnahmen sehen.
({0})
Tut mir leid, Herr Abgeordneter Löffler, Sie haben zwei Zusatzfragen verspielt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, die Haltestellen für Schulbusse müßten extra gekennzeichnet sein? Aus diesem Grunde frage ich Sie: Würden Sie bitte über die Länderverwaltungen überprüfen, ob diese Bestimmung, wenn sie besteht, überhaupt eingehalten wird. In dem Bereich, den ich kenne, habe ich noch keinerlei Kennzeichnung von Schulbushaltestellen gesehen.
Ich bin gern bereit, dies zu tun.
Danke schön.
Der Fragesteller der Fragen 54 und 55 - Herr Abgeordneter Lenzer -, der Fragen 56 und 57 - Herr Abgeordneter Tietjen -, der Frage 58 - Herr Abgeordneter Klose - und der Fragen 59 und 60 - Herr Abgeordneter Schröder ({0}) - haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
In der Hoffnung, daß das schnell abgehandelt werden kann, rufe ich als letzte Frage die Frage 61 der Frau Abgeordneten Reetz auf:
Wie ist die Stellungnahme des Bundesverkehrsministers dazu, daß die Elztalbahn ({1}) sich unter den neunzig Strecken der Deutschen Bundesbahn befinden soll, die stillgelegt werden, und warum werden nicht aus Gründen der größeren Umweltfreundlichkeit des Personenverkehrs auf der Schiene Alternativmöglichkeiten zum jetzigen Betrieb der Elztalbahn angeboten, z. B. keine interne Konkurrenz durch Busangebote oder ein Verkehrs- und Tarifverbund für den Großraum Freiburg?
Frau Reetz, die Antwort ist so, daß wir in der Zeit wahrscheinlich noch fertig werden. Nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn besteht derzeit keine Absicht, den Bestand der Bahnstrecke Denzlingen-Elzach - das ist die Elztalbahn - in einem Verfahren nach dem Bundesbahngesetz zur Diskussion zu stellen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Reetz.
Sagen Sie mir noch dazu, wie Sie allgemein dazu stehen, daß rund 7 000 Streckenkilometer der Bundesbahn stillgelegt und 80 000 Arbeitsplätze freigestellt werden?
Sie werden in den nächsten Monaten sicherlich noch mehr Daten über die finanzielle Situation bei der Deutschen Bundesbahn und die geschäftlichen Aussichten zur Verfügung haben. Der Bundesminister für Verkehr wird in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn ein entsprechendes Pro1714
gramm vorlegen. Wir gehen davon aus, daß nicht alle Strecken gehalten werden können. Allerdings wird in unserem Papier mit ziemlicher Sicherheit der Passus zu finden sein, daß die Prüfung des Einzelfalls vorbehalten bleibt.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Reetz.
Sind Sie sicher, daß die soeben vorgeschlagenen Maßnahmen zu einer Konsolidierung der Bundesbahn beitragen?
Sie meinen, daß die Bundesbahn den Schienenverkehr aufgibt. In den meisten Fällen, Frau Kollegin, wird zunächst untersucht, ob der Personenverkehr aufgegeben und der Güterverkehr bleiben soll. Wir streben an, überall dort, wo der Güterverkehr bleiben kann, dies so zu belassen. Hier sind z. B. hinsichtlich der Sicherheit weniger Aufwendungen notwendig. Wo der Personenverkehr verlagert wird, wird es zusätzliche Angebote auf der Straße mit dem Omnibus geben.
Die Kostensituation stellt sich so dar, daß der Bahnbus zur Zeit kostendeckend fährt, während der Kostendeckungsgrad auf der Schiene gerade im ländlichen Raum bei 20% liegt.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Staatssekretär im Verkehrsministerium, Herrn Dr. Schulte.
Die Fragen 67 und 68 des Abgeordneten Waltemathe, 69 und 70 des Abgeordneten Conradi, 71 und 72 der Abgeordneten Frau Dr. Czempiel, 73 des Abgeordneten Schmitt ({0}), 74 und 75 des Abgeordneten Müntefering, 79 der Abgeordneten Frau Simonis, 86 des Abgeordneten Kirschner, 95 und 96 des Abgeordneten Berschkeit, 104 und 105 des Abgeordneten Broll, 114 und 115 des Abgeordneten Müller ({1}), 135 und 136 des Abgeordneten Stahl ({2}) sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu unseren weiteren Beratungen. Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Tagesordnungspunkt 11, Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bilanzrichtliniengesetzes, nach Tagesordnungspunkt 12 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten
Jahresbericht 1982
- Drucksachen 9/2425, 10/136 Berichterstatter:
Abgeordnete Weiskirch ({4}) Heistermann
Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen.
Ich begrüße zu unseren Beratungen den Wehrbeauftragten Herrn Berkhan.
({5})
Wird das Wort von den Herren Berichterstattern gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiskirch ({6}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte, die wir hier über den Jahresbericht 1982 des Wehrbeauftragten führen, ist - ich sage das mit allem Bedacht - Gott sei Dank so etwas wie eine vornehme und selbstverständliche Pflicht für das Parlament geworden, wenngleich die Präsenz im Hause auf das Gegenteil schließen lassen könnte. Ich erinnere daran, daß der frühere Fraktionsvorsitzende der SPD, Herbert Wehner, bei einer solchen Gelegenheit einmal die Beschlußfähigkeit des Hauses feststellen lassen wollte.
Es hat etliche Jahre gedauert, bis sich der Deutsche Bundestag der Kontrollmöglichkeit, die ihm sein Hilfsorgan Wehrbeauftragter in die Hand gibt, überhaupt bewußt geworden ist. Das Plenum hat seine Berichte jahrelang ohne jede Aussprache zur Kenntnis genommen, und erst seit 1965 sind die Voraussetzungen dafür gegeben, daß der Wehrbeauftragte selbst, sofern die Abgeordneten des Hauses es wünschen, hier an diesem Pult das Wort nehmen kann.
Ich möchte Sie, Herr Präsident, schon vorweg für meine Fraktion bitten, ihm nachher Gelegenheit zu geben, hier zu uns zu sprechen.
({0})
Bevor ich mich einigen, wie ich finde, besonders wichtigen Komplexen aus dem hier zur Diskussion stehenden Jahresbericht 1982 zuwende, will ich einmal kurz der Frage nachgehen, welche Wirkung denn eigentlich die jährlichen Darstellungen und Klagen des Wehrbeauftragten in praxi, d. h. zum Frommen und Nutzen der Soldaten in den Streitkräften haben. Setzt sich der Wehrbeauftragte durch, wenn er von der Führung der Bundeswehr Abhilfen z. B. bei mangelhaften Unterkünften, z. B. bei der Bekleidung, zumal bei den immer wieder beklagten Mängeln in der Winterausstattung, oder - wichtiger noch - die strickte Einhaltung der Regeln der Inneren Führung verlangt?
Wir haben hier oft, und zwar quer durch alle Fraktionen, darauf gedrängt, daß vom Bundesministerium der Verteidigung nicht nur hochtrabende Worte in den jeweiligen Stellungnahmen zu den Jahresberichten verbreitet werden, sondern daß auch Taten folgen. Der Kollege Heistermann hat mich in der Sitzung des Verteidigungsausschusses vom 8. Juni dieses Jahres freundlicherweise mit meiner früheren Bemerkung konfrontiert, daß der Wehrbeauftragte selbst des öfteren darauf habe
Weiskirch ({1})
verweisen müssen, daß es auf seine Beanstandungen und auf seine Forderungen nur ungenügende oder überhaupt keine Reaktionen aus dem Ministerium gegeben habe. Auch wir Abgeordneten haben das j a oft genug beklagt. Ich frage hier: wirklich immer zu Recht? Sind wirklich keine Taten gefolgt? Da diesen Nachweis exakt zu erbringen j a nur für die zurückliegenden Jahre möglich wäre, könnte ich jetzt pauschal behaupten - Herr Klejdzinski wird mir da besonders aufmerksam zuhören -, die SPD-Verteidigungsminister hätten sich nicht sorgfältig genug um die Anmahnungen des Wehrbeauftragten gekümmert, oder sie hätten sie überhaupt ignoriert. Ich tue das nicht, meine Damen und Herren von der SPD.
({2})
- Ich tue das nicht. Ich habe mir für den Jahresbericht 1981 vom BMVg einmal besonders gravierende Mängelfeststellungen, Forderungen und Empfehlungen des Wehrbeauftragten, dazu die Absichtserklärungen des Ministeriums samt den eingeleiteten und bereits verwirklichten Maßnahmen zusammenstellen lassen. Gefragt waren also damals in der Tat die SPD-geführte Bundesregierung und der SPD-Verteidigungsminister. Ich könnte da bei genauem Hinsehen natürlich einiges bemängeln. Alles in allem jedoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß ich mich korrigieren. Alles in allem sind im BMVg die Ratschläge des Wehrbeauftragten in den letzten Jahren ernst, vielleicht sollte ich etwas einschränkend sagen: ernster genommen und nach Möglichkeit auch befolgt worden, als es manchmal den Anschein hatte. Das mag auch daran gelegen haben, daß sich bestimmte Maßnahmen über einen längeren Zeitraum erstrecken.
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Die vom Wehrbeauftragten 1981 geforderte Überprüfung erzieherischer und disziplinarischer Maßnahmen hatte eine sofortige „Felduntersuchung", wie es damals genannt wurde, zur Folge, deren Ergebnisse aber erst Ende 1983 vorliegen und in ihrer Erkenntnis ausgewertet werden können.
Die sofortige Prüfung des Berichtes des Wehrbeauftragten durch das Ministerium, die auch bereits für die ersten Maßnahmen der neuen Regierung gilt, bringt etwas sehr Wesentliches zum Ausdruck, nämlich daß sich der Wehrbeauftragte von Jahr zu Jahr stärker als eine anerkannte, respektierte und für den Geist und die innere Verfassung unserer Streitkräfte unerläßliche Institution erwiesen hat.
({3})
Ich halte es für richtig, zu erwähnen, daß der derzeitige Inhaber des Amtes zum Rang und zur Bedeutung dieser in der deutschen Militärgeschichte neuartigen und einmaligen Einrichtung einen wesentlichen Beitrag geleistet hat.
({4})
Lassen Sie mich nun auf einige markante Punkte des vorliegenden Jahresberichtes zu sprechen kommen.
Da spielt erstens das Spannungsfeld zwischen dem geforderten Grundwehrdienst und der zivilberuflichen Tätigkeit oder Ausbildung eine Rolle. Hier geht es um eine ganz elementare Frage der Wehrgerechtigkeit. Es wird als ungerecht empfunden, wenn z. B. schematisch arbeitslose Wehrpflichtige, die möglichst umgehend einberufen werden möchten, und andere, die um ihren Arbeitsplatz, den sie haben oder zugesagt bekommen haben, bangen, fürchten müssen, sozusagen nach Schema F behandelt werden.
Ich habe bereits im Verteidigungsausschuß gesagt, daß die Hinweise des Wehrbeauftragten auf diesen unbefriedigenden Zustand nicht nur ernstgenommen, sondern auch aufgegriffen und behandelt werden müssen. Ich gebe zu, nicht immer dürfte sich da alles so problemlos und zu aller Zufriedenheit regeln lassen, wie das ja auch immer in den Briefen, die wir alle von den betroffenen Wehrpflichtigen bekommen, gefordert wird. Erfreulicherweise aber hat die Bundesregierung bereits in den ersten Monaten ihrer Tätigkeit gezeigt, daß sie durch eine flexible Handhabung der Einberufungen sowie durch eine Hinausschiebung von Einberufungen und gegebenenfalls auch durch vorzeitige Entlassungen von Wehrpflichtigen aus dem Dienst der Arbeitsplatz- bzw. der Ausbildungsplatz- und Studienplatzsicherung entgegenkommen will.
Wir halten es mit dem Wehrbeauftragten und fordern den Bundesminister der Verteidigung noch einmal mit allem Nachdruck auf, angesichts der großen Jugendarbeitslosigkeit und der Sorge vieler junger Menschen um Arbeits- und Ausbildungsplätze gerade dieser, die Wehrgerechtigkeit unmittelbar tangierenden Frage verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen und vor allem dienstwilligen arbeitslosen jungen Männern den raschen Eintritt in die Streitkräfte zu ermöglichen.
Der Wehrbeauftragte, zu dessen Obliegenheiten der Schutz der Grundrechte und der Grundsätze der Inneren Führung gehört, hat auch im vorliegenden Jahresbericht wieder eine ganze Fülle von schwerwiegenden Verletzungen dieser Rechte zu beklagen. Man könnte es sich leichtmachen und sagen, daß es in einer Gemeinschaft von einer halben Million Männer ohne Schwierigkeiten und Schwächen wohl kaum hergehen wird. Dennoch halte ich es für eine deprimierende und auch alarmierende Sache, wenn in fast 30 Jahren Bundeswehr die Grundsätze der Inneren Führung nicht auch dem letzten militärischen Führer in Fleisch und Blut übergegangen sind.
Ich finde es begreiflich, wenn sich Journalisten immer wieder auf Beispiele von groben Verstößen gegen diese Grundsätze stürzen, von Mißbräuchen der Befehlsgewalt, von Schikanierereien, von groben Unkameradschaftlichkeiten usf. Ich will aber ausdrücklich darauf hinweisen - der Wehrbeauftragte selbst macht ja ebenfalls darauf aufmerksam -, daß solche Mißstände nicht den Alltag der Truppe bestimmen. Dennoch hat die militärische Führung alles zu tun, um solche Verstöße bereits im Keim zu ersticken. Ich pflichte dem Wehrbeauftragten bei, wenn er die Ursachen für solche Fehlent1716
Weiskirch ({5})
wicklungen vor allem in Ausbildungsmängeln sieht, und zwar bei den Unterführern wie auch bei den Offizieren.
Durch die Presse - ich brauche Ihnen das nicht zu sagen - sind genügend Fälle von krassem Fehlverhalten militärischer Führer, wie sie der Wehrbeauftragte an Einzelbeispielen beschrieben hat, bekanntgeworden. Ich kann es mir ersparen, hier solche Fälle aufzuzählen.
Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß ein gut ausgebildeter militärischer Führer vor allem auch die Grenzen seiner Kompetenzen kennen muß und nicht - wie der Wehrbeauftragte anmahnt - seine Stellung in Angelegenheiten zur Geltung bringt und durchsetzt, die mit Befehl und Gehorsam überhaupt nichts zu tun haben. Die rechtlich geschützten Freiräume der einzelnen Soldaten sind um so gewisserhafter zu respektieren, als sich mancher Soldat aus Angst vor Repressalien nicht traut, sich von sich aus standhaft zu behaupten - was er dürfte, was er sollte und war er eigentlich müßte.
({6})
In diesem Zusammenhang ein paar Bemerkungen zur Offiziersausbildung. Es ist richtig, daß der Wehrbeauftragte Mängel in der Ausbildung zum Offizier ausführlich darstellt. Die von ihm zusammengetragenen kritischen Gesichtspunkte sprechen eine deutliche Sprache. Auffallend ist, daß es seit Bestehen des Ausbildungskonzeptes - militärische Ausbildung plus Studium - nicht gelungen ist, militärische und wissenschaftliche Ausbildung in vollen Gleichklang zu bringen. Beide Ausbildungen aber entsprechenden Erfordernissen moderner Streitkräfte. Dem Wehrbeauftragten ist daher zuzustimmen, wenn er feststellt, daß das Verhältnis von wissenschaftlicher und militärischer Ausbildung ausgewogen sein muß. Die Bundesregierung wird diesen Ausgleich energisch betreiben müssen.
Im vorliegenden Jahresbericht findet sich - ich glaube, erstmalig in den Berichten der Wehrbeauftragten überhaupt - ein Begriff, mit dem der Wehrbeauftragte bisher auch nichts zu tun hatte, nämlich der Begriff „Totalverweigerer". Gemeint damit ist ein als Wehrdienstverweigerer nicht oder noch nicht anerkannter Soldat, der sich nichtsdestoweniger weigert, irgendwelchen Dienst zu tun. Mit Recht beanstandet der Wehrbeauftragte, daß Vorgesetzte in aller Regel bei der Behandlung dieser Totalverweigerer in der Truppe alleingelassen werden. Diese Totalverweigerer sind eine schwere Belastung für die jeweilige Einheit. Einheitsführer haben ja nur beschränkte Möglichkeiten, wirklich angemessen zu reagieren. Darüber hinaus aber fordert die widerrechtliche Verweigerung den Rechtsstaat heraus. Dieser Herausforderung muß er sich mit all seinen Organen stellen.
Der Bundesminister der Verteidigung sollte für seinen Bereich - das wäre unser dringender Wunsch - die notwendigen Hilfen für eine einheitliche Handhabung derartiger Fälle geben. Auf diese Weise sollte geholfen werden, sowohl die Rechtsordnung angemessen durchzusetzen als auch Truppenvorgesetzte von unzumutbaren Belastungen bei der Durchführung ihres Auftrages freizustellen. Schließlich ist es ein rechtspolitisches Anliegen, daß strafgerichtliche Verfahren in solchen Fällen zu einem schnellen Abschluß führen.
Eine große Zahl der im Jahresbericht 1982 behandelten Themen, die unsere ganze Gesellschaft tangieren, verdeutlicht, daß eine Fülle von ganz allgemeinen Problemen Eingang auch in die Streitkräfte gefunden hat und von dort besondere Antworten verlangt. Der Wehrbeauftragte lenkt die Aufmerksamkeit - ich habe darauf hingewiesen - auf eine Reihe von Schwächen beim Vollzug der Inneren Führung. Sie sind jedoch mit einem von der Notwendigkeit unserer Verteidigungsanstrengungen getragenen Konsens behebbar. Dazu ist der Bericht des Wehrbeauftragten auch in diesem Jahr eine wichtige, unerläßliche Hilfe.
Es wird die Aufgabe des Parlaments und insbesondere des Verteidigungsausschusses bleiben, die Anmahnungen des Wehrbeauftragten sorgfältig zu prüfen und darauf zu drängen, daß festgestellte Mängel und Mißstände durch den Bundesminister der Verteidigung rasch und gründlich behoben werden. Dann hat die Arbeit des Wehrbeauftragten und seines Hauses, für die wir ihm und seinen Mitarbeitern dankbar sind, ihren Sinn.
Lassen Sie mich mit einer Bemerkung schließen, die vielleicht nur ein Randproblem berührt, die aber, wie ich finde, einen wichtigen Sachverhalt in der Truppe anspricht. Der Wehrbeauftragte bemängelt, daß sich bei sogenannten Gemeinschaftsvorhaben, also bei Veranstaltungen im dienstlichen Bereich, an denen der einzelne teilnehmen kann, aber nicht teilnehmen muß, manche Soldaten bedrängt und gestört fühlen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat dazu eine Stellungnahme abgegeben, die ich teile. Der Zusammenhalt der Truppe -so heißt es dort - beruhe wesentlich auf Kameradschaft, die auch durch solche Veranstaltungen geselliger Art gefördert werde. Allerdings sei gerade das außerdienstliche Gemeinschaftsleben auch in den Streitkräften, wie überall in unserer Gesellschaft, erheblich zurückgegangen. Das Ministerium fordert die Vorgesetzten auf, dem mit Appellen und persönlichem Beispiel prägend entgegenzuwirken. Das persönliche Beispiel der Vorgesetzten als ein Schlüsselwort des Wehrbeauftragten für die funktionierende Innere Führung kann, so finde ich, nicht groß genug geschrieben werden. - Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Heistermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages ist der berufene Anwalt der Belange der Menschen in unserer Bundeswehr. Er steht auch mit seinem Jahresbericht 1982 in der Kontinuität seiner bisherigen Tätigkeit, die Schwachstellen und Reibungsflächen im Gefüge der Streitkräfte, seien sie nun rein menschlicher
oder aber organisatorischer Natur, offenzulegen. Der vorgelegte sehr gründliche Bericht des Wehrbeauftragten ist für das Parlament und besonders für das sachlich verantwortliche Ressort, das Verteidigungsministerium, ein wertvolles Hilfsmittel, der umfassenden Verantwortung für die annähernd 500 000 Soldaten gerecht zu werden.
Wir haben als Parlament diesbezüglich genügend Anlaß, uns selbstkritisch zu fragen, ob wir denn in der Vergangenheit den aufgezeigten Mißständen mit der gebotenen Entschlossenheit entgegengetreten sind. Was die Konsequenzen aus diesen Darlegungen des Jahresberichts 1982 betrifft, so hätte für konkrete Maßnahmen des Parlaments die Stellungnahme des Bundesverteidigungsministers eine nützliche Hilfestellung sein können. Auch diese Stellungnahme des Ministers steht hier auf dem Prüfstand.
Nun erwartet man davon wahrlich keinen literarischen Genuß. Aber als Parlamentarier hätte man doch gern gewußt, wie der neue Verteidigungsminister, der ja nun schon annähnernd ein Jahr amtiert, die aufgezeigten Probleme zu lösen gedenkt. Ich weiß, daß der Minister heute zu Beginn dieser Debatte nicht anwesend sein kann. Aber ich bin sicher, daß der Herr Staatssekretär die gleichen Anregungen entgegennimmt.
Statt dessen werden dem Leser in der besagten Stellungnahme des Ministers etwa folgende tiefschürfende Erkenntnisse angedient oder, ich möchte doch eher sagen, zugemutet:
Führungsmängel von Vorgesetzten können Ursachen von Mißtrauen der Soldaten werden.
Wer hätte das gedacht! Da kommt einem doch der Verdacht, daß der Minister die in seinem Haus erarbeitete Stellungnahme nicht sehr gründlich durchgearbeitet hat. Ihm hätten doch die zahllosen nichtssagenden Umschreibungen dessen, was ohnehin schon im Bericht des Wehrbeauftragten steht, ins Auge springen müssen.
Wenn schon die Stellungnahme des Ministers wenig Nützliches zur Unterstützung der parlamentarischen Arbeit beizutragen vermag, begrüßen wir um so mehr einen Beschluß des Verteidigungsausschusses - übrigens auf Antrag seiner sozialdemokratischen Mitglieder gefaßt -, mit dem dieser sich dafür ausgesprochen hat, daß die Bundesregierung künftig binnen Jahresfrist über Ergebnisse und vollzogene Maßnahmen zum Vorjahresbericht Rechenschaft ablegen soll. Das ist eine unmittelbare Konsequenz aus der oft vorgetragenen und auch berechtigten Kritik des Wehrbeauftragten daran, daß seine Forderungen, Ratschläge und auch Empfehlungen nur halbherzig oder überhaupt nicht befolgt werden. Hier, Herr Kollege Weiskirch, bin ich nicht ganz Ihrer Auffassung, die Sie vorhin dargestellt haben.
Dem Minister aber möchte ich noch eine Mahnung in sein Stammbuch schreiben. Er soll gewiß sein, daß wir hinsichtlich der Kritik und Empfehlungen des Wehrbeauftragten - und hier zitiere ich den Kollegen Weiskirch noch einmal gern - „Punkt für Punkt abhaken werden, was Ihr Haus da
getan und unterlassen hat". So wollte es Kollege Weiskirch mit dem Bericht des Wehrbeauftragten für 1981 halten. Das gilt auch noch heute, zumindest für uns.
({0})
Der Wehrbeauftragte mußte in seinem Bericht auf Grundrechtsverletzungen, Schikanen, den Mißbrauch der Befehlsgewalt und sonstige Rechtsverletzungen, begangen von Soldaten an Soldaten, hinweisen. Wir müssen mit aller Deutlichkeit feststellen, daß diese betrüblichen Exzesse nicht bundeswehrspezifisch sind. Sie sind nicht der Normfall des Alltags unserer Streitkräfte. Ich sage aber auch: Gäbe es nur einen Fall von Schikane, es wäre schon ein Fall zuviel.
Alle, die Verantwortung für Menschen in unseren Streitkräften tragen, sind aufgefordert, Persönlichkeitsverletzungen, gleichgültig auf welche Weise sie geschehen, entgegenzutreten. Und die Betroffenen fordere ich auf - auch wenn das manchmal keine einfache Entscheidung ist -, mutig den Weg zum Vorgesetzten zu gehen und notfalls die Hilfe des Wehrbeauftragten zu suchen.
({1})
Die Rechtsverletzungen können nur dann geahndet und ihnen kann nur dann vorgebeugt werden, wenn sie nicht im Halbdunkel von Angst und falsch verstandener Kameradschaft bleiben.
Ich habe gesagt, die vom Wehrbeauftragten geschilderten Auswüchse stellten nicht den Regelfall dar. Der Alltag der Bundeswehr läuft routiniert ab. Dieser Dienst ist oft beschwerlich, ohne glanzvolle Höhepunkte, ohne Sensationen, ohne das Rampenlicht der Öffentlichkeit. Wir haben allen Soldaten dafür zu danken, daß sie durch ihren Dienst einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung des äußeren Friedens leisten.
({2})
Ich hebe hier besonders die Wehrpflichtigen hervor, die unter großen Entbehrungen und erheblicher Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit einen Friedensbeitrag leisten.
Für alle Soldaten, die eine wichtige Staatsfunktion, nämlich die Friedenssicherung nach außen, erfüllen, trägt dieses Parlament Verantwortung. Unabdingbare Voraussetzung, dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist der grundsätzliche sicherheitspolitische Konsens in diesem Hause, bei aller Unterschiedlichkeit der Meinungen im Detail.
Ich frage in diesem Fall Sie, Herr Staatssekretär, weil ich Sie direkt ansprechen kann: Wie kann dieser sicherheitspolitische Konsens, auf dem die Vertrauensbeziehung von Parlament, Bundeswehr und Staatsbürger beruht, aufrechterhalten werden, wenn ein Regierungsmitglied die Sozialdemokratische Partei Deutschlands als fünfte Kolonne Moskaus und damit als Landesverräter verunglimpft?
({3})
Wir wissen, der Minister Geißler besitzt genügend Niedertracht, auch die schäbigsten Verleumdungen seiner schon neurotischen Selbstdarstellungssucht dienstbar zu machen.
({4})
Die politische Dreckschleuder hat ihr Ziel aber nicht erreicht.
({5})
Die Sozialdemokraten stehen in über 100jähriger Tradition. Sie sind Säulen der demokratisch-rechtsstaatlichen Entwicklung Deutschlands. Viele von ihnen haben ihre Unbestechlichkeit mit Unfreiheit, Folter und mit ihrem Leben besiegelt.
({6})
Ich habe hier nicht von der Perversion der historischen Tatsache zu reden, die darin liegt, daß die geschichtlich ausgewiesenen Gegner jeder Diktatur als fünfte Kolonne eines totalitären Staates stigmatisiert werden sollen.
({7})
Käme die Aussage von irgend jemandem, man könnte zur Tagesordnung übergehen. Aus dem Munde eines Regierungsmitgliedes ist sie aber jedenfalls ein Politikum ersten Grades.
({8})
Wer über eine Million Menschen, die sich zu dieser politischen Partei offen bekennen,
({9})
als Landesverräter bezeichnet, der will Haß und Feindschaft an die Stelle fairer politischer Auseinandersetzung setzen,
({10})
der setzt auf Provokation, anstatt auf den Dialog,
({11})
der untergräbt das Fundament der parlamentarischen Demokratie, der ist damit selbst ein Sicherheitsrisiko.
({12})
Hat der Minister bedacht, daß auch Sozialdemokraten in der Bundeswehr Dienst tun, daß Söhne und Enkel dort ihren Dienst leisten, deren Eltern oder Großeltern unter totalitärer Herrschaft - auch sowjetischer Herrschaft - gelitten haben, weil sie Sozialdemokraten waren? Dieser Minister hat nicht nur diese Menschen beleidigt und verleumdet, er hat auch sicherheitspolitische Gräben aufgerissen und der Sache der Landesverteidigung Schaden zugefügt.
({13})
Von ihm erwarten wir nicht, daß er diese Gräben
zuschüttet. Wir erwarten es auch nicht vom Bundeskanzler, der hier wiederum chronische Führungsschwäche gezeigt hat. Aber wir erwarten - und das mit uns eine große Zahl von Soldaten - eine Klarstellung des Verteidigungsministers. Gilt für Sie, so müssen wir den Minister fragen, noch das, was Sie vor wenigen Wochen vor dem Verteidigungsausschuß ausgeführt haben, daß Sie parteipolitischen Zwiespalt von den Streitkräften fernhalten wollen?
Herr Abgeordneter Heistermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?
Ich gestatte.
Herr Kollege Heistermann, ich habe j a Verständnis dafür, daß Sie dieses Thema ansprechen. Aber darf ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sein könnten, daß dieses Thema, so aktuell es sein mag, mit dem, was wir hier debattieren wollten, mit den Problemen der Soldaten nichts zu tun hat? Ich habe darüber im Bericht des Wehrbeauftragten eigentlich nichts gelesen.
Herr Abgeordneter Biehle, vielleicht hören Sie sich das Zitat noch einmal an, das der Herr Bundesverteidigungsminister anläßlich seiner Einstandsrede vor dem Verteidigungsausschuß gesagt hat:
Die Soldaten der Bundeswehr und die Politiker, die Verantwortung getragen haben für diese Bundeswehr, durch die Parteien hindurch, können für sich in Anspruch nehmen, daß sie im höchsten Sinne des Wortes moralisch gehandelt haben, weil sie alles getan haben, um den Frieden zu erhalten. Und wenn der Frieden in Europa nunmehr 38 Jahre lang sicher blieb, dann ist das denen zu danken, die diese Politik betrieben haben.
Daran messen wir den Minister, auch den Familienminister, und daran messen wir auch den Verteidigungsminister, ob er hier und heute zu dem steht, was er im Verteidigungsausschuß erklärt hat.
Herr Abgeordneter Heistermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jungmann?
Ich gestatte.
Herr Kollege Heistermann, können Sie mir bestätigen, daß das schlechte Beispiel des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit dazu führen könnte, daß diese Unsitte auch in Teile der Streitkräfte übernommen wird, und daß es eine Aufgabe des Parlaments ist, davor zu warnen?
Ich kann das im Ansatz nur voll bestätigen, Herr Abgeordneter Jungmann. Wir als Parlamentarier haben alles zu tun, um die Bundeswehr nicht zu einer Armee irgendeiner Partei zu machen. Das gilt für die CDU, das gilt auch für die Sozialdemokraten, das gilt auch für die Freidemokraten.
({0})
- Die Grünen haben natürlich ein besonderes Verhältnis zur Bundeswehr; das möchte ich in diesem Zusammenhang 'nicht näher darstellen.
Wenn Sie zu Ihren eigenen Worten stehen, Herr Minister, dann distanzieren Sie sich von den bösen Verleumdungen Ihres Kollegen. Seien Sie staatsmännisch, werfen Sie den Graben zu, der bis in die Bundeswehr hineinreicht. Zeigen Sie Rückgrat, wie es politisch Verantwortlichen zukommt.
({1})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauser?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Heistermann, würden Sie das Beispiel, das Ihr Kollege und Parteigenosse Lafontaine dargelegt hat, auch auf die Streitkräfte übertragen wissen?
Ich habe hier klar und deutlich die Position der Sozialdemokraten dargestellt, wie wir zur Bundeswehr stehen. Davon haben wir kein Wort zu reduzieren.
Die Soldaten haben Anspruch darauf, hier eine klare Stellungnahme zu hören, wie der Minister zu diesem Problem steht. Ich wiederhole, um Ihre Frage nochmals zu beantworten: Die Bundeswehr und die Staatsbürger in Uniform haben Anspruch auf das Vertrauen aller, ganz gleich, welche Position weite Teile unserer Bürger in Kernfragen der gegenwärtigen und zukünftigen Sicherheitspolitik einnehmen.
Ich komme auf die besondere Verantwortung des Parlaments für die Soldaten. Wie der Wehrbeauftragte zu Recht hervorhebt und was meine Fraktion betrifft, so soll es hier nicht bei unverbindlichen Danksagungen bleiben. Wir wollen besonders den über 200 000 Wehrpflichtigen unsere Anerkennung mit der Erhöhung des Wehrsoldes zum 1. Januar 1984 dokumentieren. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wollen das bisher leider nicht. Sie wollen das nicht, Sie sind noch nicht bereit, auch nur eine einzige Mark mehr für den gewichtigen Gemeinschaftsbeitrag der jungen Wehrpflichtigen bereitzustellen. Das ist nicht nur enttäuschend, das ist auch demoralisierend für die jungen Soldaten. Es liegt darin ein nicht wiedergutzumachender Verlust an Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Redlichkeit derjenigen, die heute die Regierung tragen. Völlig unglaubwürdig ist aber - nicht nur in diesem Punkt - Minister Wörner, der gegenüber dem Finanzminister nicht das Rückgrat hatte, für die Wehrpflichtigen, für die er doch früher so viel tun wollte, auch nur eine einzige Mark lokkerzumachen. Kommt der Minister so seiner Fürsorgepflicht nach?
({0})
Was soll das Gerede, daß die Person, daß der Mensch an erster Stelle in den Streitkräften stehe? Ich sage: nichts als Platzpatronen. Beweisen Sie den jungen Soldaten, daß Sie zu dem stehen, was Sie versprochen haben! Beweisen Sie, daß Sie nicht
nur ein Pappkamerad sind, und unterstützen Sie die Initiative der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion auf Erhöhung des Wehrsoldes noch zum 1. Januar 1984!
({1})
Ihre Fraktionskollegen im Verteidigungsausschuß sind j a schon nachdenklich geworden. Sie haben immerhin schon eine Prüfung zugesagt.
({2})
Da hat j a wohl das schlechte Gewissen etwas nachgeholfen und sicherlich auch die Einsicht, daß Wort und Tat zu weit auseinanderfallen könnten. Oder sind die Bekundungen, die der Minister noch unlängst vor dem Ausschuß gemacht hat, nämlich daß man mehr für die Soldaten tun wolle, nur Lippenbekenntnisse gewesen?
({3})
Die Wehrsoldsperre, die die Regierungsparteien verhängt haben, ist auch nicht mit dem Argument zu rechtfertigen, der öffentliche Dienst insgesamt müsse Opfer bringen. Da wird Gleiches mit Ungleichem gemessen.
Die Regierung selbst wird nicht müde, das Besondere des Wehrdienstes als eines wichtigen Gemeinschaftsdienstes hervorzuheben. Nun stehen Sie einmal zu Ihrem Wort, Herr Minister, und setzen Sie mit uns diese Wehrsolderhöhung zum 1. Januar 1984 durch! Reden Sie nicht nur über das Wohl der Soldaten; tun Sie etwas dafür!
({4})
Ich komme zu einem anderen Punkt, dem der Wehrbeauftragte eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. Es geht um die Einberufungspraxis der Bundeswehr, die eng mit dem beruflichen Werdegang der betroffenen Wehrpflichtigen verknüpft ist. Der Wehrbeauftrage weist darauf hin, daß die Wehrpflichtigen die zu lange Wartezeit zwischen Schul- oder Berufsausbildungsabschluß und Einberufung zum Grundwehrdienst nicht sinnvoll nutzen können, daß den Studierenden wertvolle Studienzeit verlorengehe, daß die Betroffenen nach abgeschlossener Berufsausbildung keinen Arbeitsplatz finden, weil sie ihren Wehrdienst noch nicht geleistet haben.
Die Probleme sind j a hinlänglich bekannt. Man sollte meinen, daß der verantwortliche Minister in den annähernd 360 Tagen seiner Amtszeit schon entlastende Maßnahmen ergriffen hätte. Da muß ich Sie leider enttäuschen, meine Damen und Herren, und Ihnen sagen, daß die Wirklichkeit seit Ende des Berichtszeitraums den Klagen des Wehrbeauftragten noch einige dunkle Kapitel hinzugefügt hat.
Bei der Einberufungspraxis herrscht das reine Chaos. Ursache dieses Zustands ist eine völlig desolate Personalplanung des Ministeriums,
({5})
für die der Minister die unmittelbare Verantwortung trägt. Das muß um so mehr verwundern, als er
sich nicht darauf berufen kann, von der Entwicklung überrascht worden zu sein. Er ist sehenden Auges in dieses Chaos gegangen. Die bedeutsamen Probleme sind hier nämlich in einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zusammengefaßt. Diese Anfrage datiert vom 28. Juni 1982 und ist auch von Dr. Wörner gezeichnet worden. Sie betrifft die Einberufung von Wehrpflichtigen.
Meine Damen und Herren von der Union, ich zitiere aus dieser Anfrage, die Sie seinerzeit selbst gestellt haben, und richte diese Frage an Sie jetzt mit um so größerer Eindringlichkeit:
War die Personalplanung der Bundeswehr auf das Aufkommen wehrpflichtiger Abiturienten und Fachoberschulabsolventen nicht vorbereitet?
Mit welchen Verzögerungen müssen die Wehrpflichtigen bei der Einberufung rechnen, und bis zu welchem Zeitpunkt wird wenigstens der jetzt eingetretene Personalüberhang abgebaut sein?
Berücksichtigt die Bundeswehr bei ihrer Personalplanung in ausreichendem Maße den Umstand, daß zunehmend arbeitslos gewordene junge Bürger ihren Dienst in den Streitkräften antreten wollen
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und mit ihrem Wunsch nicht durchdringen konnten, in einer Zeit der Arbeitslosigkeit den Wehrdienst ableisten zu können?
Geben Sie jetzt Antwort auf die damals schon drängenden Fragen.
Der Minister kann nicht in Anspruch nehmen, er habe von diesen Problemen nichts gewußt.
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Vielmehr wird er zum Jahresende ein entsprechendes Problem geschaffen haben - ich werde Ihnen die Zahlen einmal vortragen -, das uns noch bis in das kommende Jahr mit schwierigen Fragen konfrontieren wird.
Ich will Ihnen an Hand eines Kreiswehrersatzamtes einmal die Zahlen näherbringen, Zahlen, hinter denen Menschen stehen, die bereits vor ihrer Einberufung zum Wehrdienst den denkbar schlechtesten Eindruck von der Organisation und Planung der Bundeswehr erhalten. Sie müssen ihn erhalten; denn in diesem Bereich hat es in den letzten Monaten j a auch nur Fehlplanungen gegeben. Ich bringe Ihnen diese Zahlen, die Sie unruhig machen sollten.
Im Bereich dieses Kreiswehrersatzamtes werden pro Quartal regelmäßig 600 Wehrpflichtige einberufen. Für Oktober dieses Jahres wurde nun eine Stellenkürzung von sage und schreibe 30 % verordnet. Die Weisung lautete auch: Jedem Widerspruchsbescheid soll stattgegeben und Ausfälle sollen nicht ersetzt werden. Ich weiß nicht, ob es am Kopfrechnen oder an Führungsschwäche lag, jedenfalls wurde noch einmal gerechnet. Und siehe da, besagtes Kreiswehrersatzamt erhielt eine Weisung - Nr. 2 sozusagen -: Nunmehr sollen noch rund 60 Härtefälle einberufen werden können.
Die Betroffenen erhielten nunmehr ihren Einberufungsbescheid knapp eine Woche vor dem Einberufungstermin zum 1. Oktober.
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Ich hoffe, Herr Minister, daß sich die Wehrpflichtigen nunmehr auf Ihre letzte Rechnung verlassen können. Ganz sicher scheint mir das nicht zu sein.
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Durch die falsche Personalplanung werden immerhin noch über 20 % - beim besagten Kreiswehrersatzamt 400 arbeitslose Jugendliche und Schüler - zum 1. Oktober nicht einberufen werden. Sie sitzen auf der Straße, Herr Minister. Sie vergeuden ihre Zeit. Sie tun das, was wir bei der Bundeswehr vermeiden wollen: Sie müssen gammeln. Dafür tragen Sie, Herr Minister, die persönliche Verantwortung. Sie werden uns all diese Merkwürdigkeiten noch zu gegebener Zeit zu erklären haben.
Eine weitere Merkwürdigkeit ist in diesem Zusammenhang eine andere Weisung des Ministeriums an die Kreiswehrersatzämter. Danach sollen auf ihren einfachen Antrag hin Abiturienten vom Wehrdienst bis Ende ihres Studiums freigestellt werden. Man könnte meinen, das sei doch eine Wohltat für die Betroffenen. Als solche will der Minister sie uns ja auch andienen. In Wahrheit ist diese Weisung nichts anderes als bittere Notwendigkeit, resultierend aus einer fehlgeleiteten Personalplanung. Es ist fraglich, ob die Zurückgestellten überhaupt zum Wehrdienst herangezogen werden. Wenn doch, dann werden sie das 26. Lebensjahr schon überschritten haben, und die Ableistung des Wehrdienstes wird dann für sie erfahrungsgemäß eine besondere Härte bedeuten. Oder aber sie haben Familie. Dann kommen sie den Staat besonders teuer zu stehen.
Ich sage Ihnen: Das, was hier geschieht, ist eine grobe Verletzung der gerade von der CDU/CSU viel beschworenen Wehrgerechtigkeit. Es beinhaltet aber auch zugleich eine an Mißbrauch grenzende Ausübung des Einberufungsermessens, die nicht nur Rechtsunsicherheit, sondern auch größten Verdruß bei den Betroffenen schafft. Sie haben das Verdienst, Herr Minister, dem Verwendungsstau einen Wehrpflichtigenstau mit all seinen dargestellten negativen Auswirkungen hinzugefügt zu haben.
Was die Einberufungspraxis angeht, so müssen wir uns als Gesetzgeber Gedanken darüber machen, in welcher Weise der beruflichen Situation der Betroffenen besser Rechnung getragen werden kann. Die Abgeordneten werden mehr und mehr zur Anlaufstelle von betroffenen Grundwehrdienstpflichtigen. Wir sind in zunehmendem Maße Reparaturstelle. Eine Schuldzuweisung soll hier aber nicht an die Verwaltung erfolgen. Ursache ist vielHeistermann
mehr das sehr weit gefaßte Einberufungsermessen.
Ich möchte durchaus anerkennen, Herr Staatssekretär Würzbach, daß die gute und reibungslose Kooperation mit Ihnen zur Beseitigung so manchen Härtefalles geführt hat. Aber der Fakt an sich bleibt.
Namens meiner Fraktion darf ich dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern für die gründliche Aufarbeitung menschlicher und organisatorischer Unzulänglichkeiten danken.
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Es ist nun unsere Aufgabe, das zu verbessern, was verbesserungsbedürftig ist.
Herr Präsident, ich beantrage namens meiner Fraktion, in dieser Debatte dem Wehrbeauftragten das Rederecht einzuräumen.
Ich komme zum Schluß. Die Soldaten der Bundeswehr erwarten z. B. von Ihnen, Herr Staatssekretär, Auskunft über den Sachstand bei der Vertrauensmännerregelung. Was geschieht in der Gesetzgebung hierzu?
Auch möchte ich den Minister bitten, bei der Dienstzeitbelastung endgültig eine Regelung vorzulegen, die dem Soldaten dient. Herr Minister, kommen Sie aus Ihrer Deckung hervor! Holen Sie Ihre Pläne endlich aus der Schublade! Sagen Sie, wie Sie Verbesserungen für die Soldaten erzielen wollen! Halten Sie die Betroffenen, halten Sie dieses Parlament nicht länger hin!
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Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Kollege Heistermann hat seine Ausführungen eben damit begonnen, daß er seine Bereitschaft erklärt hat, auch an die eigene Brust zu schlagen und sich zu fragen, was möglicherweise wir als Parlament oder wir als Mitglieder des Verteidigungsausschusses versäumt hätten. Ich glaube, daß dazu auch alle Veranlassung besteht.
Nur: In Ihren weiteren Ausführungen war dann die Rede von den Schlägen an die Brust des Ministers bzw. des Parlamentarischen Staatssekretärs. Ich habe aber nicht mehr erkannt, daß Sie an irgendeiner Stelle danach gefragt haben, ob wir eigentlich dem Wortlaut des Gesetzes über den Wehrbeauftragten gerecht geworden sind. Denn es sieht ja nicht nur die Möglichkeit des grundsätzlichen Auftrages und seiner, wie ich an dieser Stelle schon sagen muß, ausgezeichneten und exzellenten Ausführung durch den gegenwärtigen Amtsinhaber vor,
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sondern es gibt auch uns, dem Verteidigungsausschuß, z. B. die Möglichkeit, Sonderaufträge zu erteilen. Das aber, Herr Kollege Heistermann, heißt
dann auch, daß wir aus solchen Sonderaufträgen besondere Verantwortung zu unserem Handeln ableiten müssen. Ich glaube, dies sollte man am Anfang aller Erwägungen über diesen Bericht und über das, was das Ministerium dazu gesagt hat, doch einmal bedenken.
Mir scheint, daß es wichtig ist, in der Debatte über den Bericht vielleicht einmal einige Punkte anzusprechen, die nicht immer so sehr im Mittelpunkt der Debatte stehen. Ich erinnere uns alle daran, daß das Durchschnittsalter der Soldaten 24 Jahre und sieben Monate beträgt. Etwa die Hälfte sind Wehrpflichtige von durchschnittlich 20 Jahren. Die meisten der 138 000 Unteroffiziere sind nicht älter als 26 Jahre.
Wenn ich das etwas überspitzt interpretiere, sage ich: Auch die Bundeswehr ist eine Jugendorganisation, und zwar eine, die im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Gruppen unseres Staates mit den Problemen der jungen Leute offenbar erheblich besser zurechtkommt, als anderen das gelingt. Dies zeigt sich auch im Bericht 1982 des Wehrbeauftragten.
Ein Blick auf die Statistik zeigt, daß das Eingabenaufkommen gegenüber den letzten Jahren beträchtlich zurückgegangen ist. 1982 wurden 6 184 Eingaben vorgebracht. Das sind über 1 000 weniger als 1981 oder 1980. Leider sagt uns die Statistik aber nicht - und kann das natürlich auch nicht -, woran das liegt. Es kann j a viele Ursachen haben. Die Probleme könnten sich verringert haben; das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. Sind die Soldaten wirklich so viel angepaßter geworden, daß deswegen die Zahl zurückgegangen ist? Oder stimmt das, was der Herr Wehrbeauftragte in seinem Bericht selbst sagt, daß viele Beschwerden über Vorgesetzte offenbar nicht abgegeben werden, weil es die Befürchtung von Nachteilen gibt? Oder wenden sich die Soldaten deswegen nicht mehr sofort an den Wehrbeauftragten, weil sie Nachteile befürchten? Oder schreiben sie deshalb nicht, weil sie sich davon nichts versprechen? Ich halte dies alles für sehr interessante Fragen. Sie werden auch vom Wehrbeauftragten selbst gestellt. Aber die Antworten vermögen uns alle und auch den Wehrbeauftragten, wie ich meine, nicht zufriedenzustellen.
Ich glaube deswegen, wir sollten den Gründen einmal nachgehen. Daher bleibe ich doch noch einen Augenblick bei der Statistik, auch wenn ich nicht in Zahlen verliebt bin. Aber man muß sich wohl damit beschäftigen, weil nur auf diese Weise erkennbar wird, wo die Schwerpunkte des Eingabenaufkommens und damit der Probleme tatsächlich liegen.
Der Bericht selber könnte möglicherweise zu einer Überbewertung einzelner Vorkommnisse führen. Dies ist aber, Herr Wehrbeauftragter, keine Kritik, sondern nur eine Klarstellung.
Wir in meiner Fraktion sind in diesem Zusammenhang und bei der Stellung dieser Frage an zwei Dingen besonders interessiert: Erstens. Wie steht es mit der Eingliederung der Bundeswehr in die zivile Gesellschaft? Zweitens. Wie steht es mit der Ach1722
tung und Beachtung der Freiheits- und Grundrechte der Soldaten?
Diese beiden Aspekte des Militärischen, nämlich das zivil-militärische Verhältnis und der Staatsbürger in Uniform, liegen uns in meiner Fraktion besonders am Herzen.
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Wenn ich mir die Statistik des Jahresberichts 1982 unter dem Blickwinkel ansehe, wie die Grundrechte des einzelnen in der Bundeswehr geachtet werden und wie Vorgesetzte mit Untergebenen umgehen, dann stelle ich fest, daß die Bilanz doch wohl durchaus erfreulich ist. Von den über 6 000 Eingaben des Jahres 1982 entfielen nur 351 auf den Grundrechtsbereich und nur 594 auf den Bereich Führung, Ausbildung und Erziehung, also auf den täglichen Dienstbetrieb. Das sind zusammengenommen immerhin nur rund 15% des gesamten Eingabenaufkommens.
Hinzu kommt, daß sich diese Anteile gegenüber früheren Jahren erheblich verringert haben, daß wir also eine positive Entwicklung und damit sicherlich auch eine positive Wirkung Ihrer Arbeit, Herr Wehrbeauftragter, festzustellen haben. 1980 z. B. gab es zum Thema Grundrechte noch 434 Eingaben. 1981 waren es 400. Die Zahlen von 1982 habe ich bereits erwähnt. Es ist also eine beträchtliche Abnahme zu verzeichnen.
Allerdings setze ich dabei voraus - ich glaube, daß wir das tun können -, daß die geringer gewordene Zahl nicht etwa auf eine größere Angepaßtheit der Soldaten zurückzuführen ist.
Aber ich will das Spiel mit der Statistik nicht zu weit treiben. Doch muß wohl einmal deutlich gemacht werden, daß die Hauptprobleme offenbar nicht in der inneren Ordnung der Bundeswehr, nicht im Umgang miteinander liegen, sondern vor allem bei den organisatorischen Rahmenbedingungen zu suchen sind, innerhalb deren der tägliche Dienst zu leisten ist. Wenn sich 85 % aller Eingaben an den Wehrbeauftragten auf Personal- und Fürsorgeangelegenheiten beziehen, dann ist dies wohl ein nachhaltiger Hinweis darauf, wo es für den einzelnen in der Bundeswehr wirklich kneift.
Ich glaube, daß das ebenso für die lebhafter werdende Legitimationsdebatte gilt. Ich meine damit die Diskussion innerhalb und außerhalb der Bundeswehr über Sinn und Ethos des Dienstes in unseren Streitkräften, über die in diesem Hause, zwischen den Fraktionen dieses Hauses, wie ich hoffe, kein Dissens besteht. Nach allem, was wir in der Vergangenheit in dieser Richtung gesagt und wie wir gemeinsam gehandelt haben, bedarf es von meiner Seite her keiner ausdrücklichen Bestätigung.
Thema der heutigen Debatte sind eine Vielzahl von Sachproblemen. Ich möchte davon an dieser Stelle nur einige wenige herausgreifen.
Ich komme zunächst zur Dienstzeitbelastung. Meine sehr verehrten Kollegen, die Haushaltsmittel für einen finanziellen Ausgleich sind erhöht worden, aber eine pauschale Zahlung schafft natürlich zwangsläufig böses Blut. Wir in der FDP-Fraktion
sehen in der Zulage kein Überstundenentgelt, aber immerhin eine finanzielle Anerkennung für erhebliche zeitliche und dienstliche Mehrbelastung.
Der Bundesminister der Verteidigung hat einen anderen Zahlungsmodus - „Erprobung alternativer Modelle", wie es wörtlich hieß - angekündigt. Ich meine, daß er zu einer gerechteren Verteilung und damit zu mehr Zufriedenheit führen könnte. Wir als Liberale haben dazu den Vorschlag gemacht, von der pauschalen Zahlung abzugehen und eine Lösung zu finden, die die Stundenzahl des einzelnen stärker berücksichtigt. Wir haben mit Genugtuung vernommen, daß diese Vorstellung offenbar eine gute Chance hat, berücksichtigt zu werden.
Eine andere Bemerkung in diesem Zusammenhang. Der Bundesminister der Verteidigung hat, um das Verhältnis von Auftrag und Mitteln zu verbessern, eine Initiative eingeleitet, das Verhältnis der Zahl der Zeitsoldaten zu der Zahl der Wehrpflichtigen zu verändern. Hier sage ich aus der Sicht meiner Fraktion, daß wir zu der bisher vorgesehenen Zahl der Erhöhung von Zeitsoldaten eine weitere Zahl von etwa 1 000 zusätzlichen Stellen in das Jahr 1984 vorziehen möchten. Ich wäre sehr froh, wenn wir in den anderen Fraktionen ein positives Echo dafür fänden. Aber all das ändert nicht das Grundproblem.
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- Ja, ich bin mir darüber im klaren. Wir werden bei der Haushaltsdebatte darüber, Herr Kollege Jungmann, genauso sprechen müssen wie über das, was der Kollege Heistermann eben über den Wehrsold gesagt hat. Da gibt es noch eine ganze Reihe anderer Probleme. Lassen Sie mich, wenn Sie mir als Stichwort „Haushalt" zurufen, etwas Zusätzliches sagen. Das Haushaltsbegleitgesetz sieht in Art. 23 Nr. 1 und 3 eine Senkung der Bezüge für Anwärter und der Eingangsbezüge vor. Wenn die Regelung so Gesetzeskraft bekommt, wie jetzt vorgesehen, dann ergibt sich auf einmal, daß diejenigen, die Grundwehrdienst leisten und deswegen später eingestellt werden, unter das Schwert dieser gesetzlichen Bestimmung fallen, während diejenigen, die keinen Grundwehrdienst leisten, davon verschont bleiben und die alte Besoldung erhalten. Das kann wohl nicht der Sinn von mehr Wehrgerechtigkeit sein. Ich meine deswegen, daß hier einer der Punkte ist, wo das Parlament sagen muß: In diesem Haushaltsbegleitgesetz muß bei diesen angesprochenen Bestimmungen nachträglich das eingeführt werden, was eigentlich gleich hätte drinstehen sollen und was mehr Gerechtigkeit schafft.
Herr Kollege Ronneburger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?
Ja bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege Ronneburger, zunächst einmal herzlichen Dank dafür, daß ich doch noch zu meiner Zwischenfrage komme.
Herr Kollege Ronneburger, Sie haben auf Forderungen der FDP hingewiesen. Ich frage Sie, ob Sie weiterhin auch an den Forderungen des jetzigen Staatsministers Möllemann festhalten, die Kommando- und Führungsstruktur im BMVg zu ändern.
Ich glaube nicht, Herr Kollege, daß die Debatte, die wir im Augenblick führen, für diese Frage der richtige Anlaß und der richtige Zeitpunkt ist. Sie würden mich in meinen Darlegungen über die Punkte, auf die es mir im Moment ankommt, in erheblicher Weise beeinträchtigen. Aber ich bin bereit, diese Debatte bei anderer Gelegenheit mit Ihnen zu führen.
Entscheidend scheint mir zu sein, daß die Arbeit in der Bundeswehr auch heute noch ungleichmäßig verteilt ist. Ich sage hier, daß ich aus der Bundeswehr selbst Äußerungen höre, die die. Unausgewogenheit des Personals in der Truppe und in den Stäben, Verwaltungen, Ämtern und Kommandos deutlich machen. Wenn der Bundesverteidigungsminister an seiner Zusage festhält, hier heranzugehen, kann er sich unserer Unterstützung gewiß sein.
Ein weiterer Punkt: die Frage des Verwendungs-
und Beförderungsstaus. Auch hier wird es von unserer Seite her einen zusätzlichen Vorschlag geben, um die Probleme in diesem Bereich zu erleichtern, einen Vorschlag, der dahin gehen wird, Herr Staatssekretär, von den für 1985 vorgesehenen 250 zusätzlichen Stellen 100 bereits in das Jahr 1984 vorzuziehen, so daß nur eine Vorziehung der verstärkten Kosten eintreten würde, aber im Jahr 1984 eine sehr viel größere Bewegungsmöglichkeit geschaffen würde, um den Problemen ernsthaft zu Leibe zu gehen.
Ausbildungsfragen nehmen im Bericht des Wehrbeauftragten mit Recht einen großen Raum ein. Die FDP ist mit Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, für Verbesserungen. Aber auf der anderen Seite - ich sage das, um auf einen ganz speziellen Punkt zu kommen - muß das Studium doch wohl zentraler Bestandteil der Ausbildung zum Offizier bleiben, und es darf nicht als eine Art Berufsföderungsmaßnahme ans Ende der Dienstzeit rutschen. Statt den Beginn des Studiums zu verschieben, sollte vielmehr überlegt werden, wie der Vorlauf verbessert werden kann.
In diesem Zusammenhang stelle ich noch eine weitere Frage. Woran liegt es eigentlich, daß zehn Jahre nach Aufnahme des Studienbetriebs an den Bundeswehrhochschulen noch immer über die inhaltliche Ausgestaltung der erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Anteile debattiert werden muß? Wollen die Hochschulen nicht, oder sind die Teilstreitkräfte nicht in der Lage, ihre Vorstellungen zum Berufsfeldbezug zu artikulieren? Wir wären jedenfalls dankbar, wenn dieses Problem nun baldmöglichst gelöst werden könnte.
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Ein dritter Punkt: Wiedereingliederung, soziale Sicherung. Der Kollege Heistermann und auch der Kollege Weiskirch sind bereits darauf eingegangen. Ich kann mich daher auf wenige Bemerkungen beschränken. Ich meine die Wiedereingliederung - das ist ein Thema, das in der heutigen Debatte bisher nicht ausdrücklich genannt worden ist - der ausscheidenden Soldaten auf Zeit.
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- Entschuldigung, dann habe ich hier nicht exakt genug zugehört. Diese Wiedereingliederung in das zivile Berufsleben ist angesichts der allgemeinen Situation auf dem Arbeitsmarkt natürlich schwieriger geworden. Könnten nicht die Berufsverbände der Soldaten zusammen mit dem Bundesminister der Verteidigung hierzu eine Initiative entwickeln, ohne daß man dabei der Bundesanstalt für Arbeit ins Gehege kommt? Beispiele für mangelhafte soziale Sicherung im Bericht des Wehrbeauftragten sind so skandalös, daß hier ein Zusammenwirken von BMA, BMI und dem Bundesminister der Verteidigung dringend erforderlich ist, um vernünftige Regelungen zu finden.
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Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort in eigener Sache der FDP-Fraktion. Meine Fraktion ist sich dieser Problematik nicht erst seit heute bewußt. Zum Beispiel wird der Vorsitzende meiner Fraktion, der Kollege Mischnick, in Kürze ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Deutschen Arbeitgeberverbände, Herrn Esser, führen, um auch auf diesem unproblematischen und gewiß etwas am Rande normaler Vorgänge liegenden Wege zur Lösung dieses Problems beizutragen.
Herr Wehrbeauftragter, Sie gehen im Jahresbericht 1982 auf Fragen der Weiterentwicklung der Inneren Führung, auf Probleme der politischen Bildung und der Tradition nicht ein. Sie werden dafür Ihre Gründe gehabt haben. Dennoch frage ich bei dieser Gelegenheit, Herr Staatssekretär, das Bundesministerium für Verteidigung, wie es mit der angekündigten Überarbeitung der Traditionsrichtlinien steht und in welche Richtung die Reise gehen soll. Ich erwarte mit Selbstverständlichkeit, daß ein Rückfall hinter bereits erreichte freiheitliche und grundgesetzkonforme Positionen in der Traditionsfrage nicht erfolgen wird. Aber hinsichtlich der Herausgabe der neu gefaßten Zentralen Dienstvorschrift 12/1, politische Bildung in der Bundeswehr, stelle ich fest, daß der ursprünglich ins Auge gefaßte Herausgabetermin um eineinhalb Jahre überschritten ist. Wer arbeitet daran, wie ist der aktuelle Stand, und welche Bedeutung wird den Arbeiten seitens der politischen Leitung und der militärischen Führung beigemessen? Das sind Fragen, auf die das Parlament, wie ich glaube, in diesem Zusammenhang auch deswegen eine Antwort braucht, weil dies unmittelbar in die Bundeswehr hineinwirkt und die Bedeutung von unseren Soldaten sicherlich nicht unterschätzt wird.
Zu einem weiteren Punkt, Bürokratie und Auftragstaktik, beschränke ich mich auf eine ganz kurze Bemerkung, indem ich dem Bundesminister der Verteidigung die Unterstützung der FDP-Fraktion für das zusage, was er vor dem Arbeitskreis 1 meiner Fraktion angekündigt hat, nämlich diesem Prinzip der Auftragstaktik in der gesamten Bundes1724
wehr seine Aufmerksamkeit zu widmen und dafür zu sorgen, daß es nicht eine Tendenz zur Konzentration und zum Heranziehen von Aufgaben und deren Lösung auf die höheren Ebenen gibt oder gar dazu kommt. Wenn er das anpackt, werden wir ihn dabei nach unseren Kräften unterstützen.
Schließlich ein Wort zum Weißbuch 1984 zur Entwicklung der Bundeswehr. Die Bundesregierung wird Mitte Oktober ein Weißbuch zu Sicherheits-
und Strategiefragen veröffentlichen, wie uns bekannt ist. Anders als in früheren Weißbüchern werden aber Zustand und Entwicklung der Bundeswehr selbst darin nicht behandelt. Die FDP geht davon aus, daß dies in einem Weißbuch 1984 nachgeholt wird. Das letzte Weißbuch erschien nämlich 1979. Es sind dann bis 1984 immerhin fünf Jahre her, daß der Truppe verbindlich mitgeteilt wurde, wie es um die Bundeswehr steht
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und was die politische Leitung und die militärische Führung beabsichtigen, um erkannten Problemen abzuhelfen. Das Personalproblem ist das zentrale Planungsproblem der Bundeswehr. Alle Überlegungen zur Struktur der Bundeswehr ergeben nur einen Sinn im Zusammenhang mit Überlegungen zur Personalstruktur.
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- Verehrter Herr Kollege, ich kann entweder sprechen oder zuhören. Das macht es etwas schwierig, mich mit Ihnen zu unterhalten.
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Wir möchten wissen, wie die Zukunft der Bundeswehr aussehen soll. Schließlich ist das Weißbuch auch eine wichtige Unterrichtsgrundlage für die Truppe selbst. Auch deshalb sollte der Bundeswehrteil baldigst nachgeholt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe vorhin von der im Gesetz eigentlich weiter gefaßten Aufgabe des Wehrbeauftragten gesprochen, die aber unsere aktive Mitwirkung, nämlich die des Parlaments und des Verteidigungsausschusses, voraussetzt. Ich glaube, daß es wichtig sein wird, Schwerpunkte zu bilden und Gewichtungen zu beachten. Vielleicht sollten wir bei dem, was wir möglicherweise an speziellen Aufträgen erteilen, die politischen Themen mehr in den Mittelpunkt stellen, als das bisher geschehen ist. Der Bericht des Wehrbeauftragten soll ja wohl nicht nur ein Sachstandsbericht über Betreuung und Fürsorge sein, was er - damit ich nicht falsch verstanden werde - in seiner gegenwärtigen Form auch nicht ist. Aber gewiß sind wir, Herr Wehrbeauftragter, uns auch darüber einig, daß es eine ganze Reihe von Problemen über das hinaus gibt, was in Ihrem Bericht erwähnt ist.
Da geht es um die Frage der Entwicklung der Inneren Führung, um den politisch denkenden und handelnden Soldaten, um die übergeordneten Zwecke und Sinnzusammenhänge des soldatischen
Dienstes und auch um die vorhin schon einmal angesprochene Legitimationsfrage. Es sollte eine Gesamtaussage, einen Gesamtbefund geben. Anders als bisher sollte dem Bericht eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse voran- oder nachgestellt werden. Dazu sollten die Kritik und die Vorschläge des Wehrbeauftragten aufgelistet werden. Das würde für uns die Behandlung einfacher machen, da im Augenblick Empfehlungen und Vorschläge im Grunde genommen in dem Gesamtablauf des Berichts enthalten sind.
Vielleicht sollten wir uns auch einmal Gedanken darüber machen - mit „wir" meine ich jetzt nicht den Herrn Wehrbeauftragten -, wie die Berichte statistisch besser abgesichert werden können, um die Beschlußfassung und die Schlußfassung nach einem solchen Bericht zu erleichtern.
Namens der Fraktion der FDP, Herr Wehrbeauftragter, danke ich Ihnen ganz ausdrücklich für Ihren Jahresbericht, für Ihre Arbeit im vergangenen Jahr, aber auch davor - im Interesse unserer Sicherheit und unserer Verteidigung, vor allen Dingen aber im Interesse unserer Soldaten in der Bundeswehr. Ich bitte Sie ausdrücklich, diesen Dank an die Mitarbeiter Ihrer Dienststelle weiterzugeben. Ich schließe mich im übrigen, was die Wortmeldung des Herrn Wehrbeauftragten betrifft, der Aussage meiner beiden Vorredner an. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Würzbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte für die Bundesregierung und für den Verteidigungsminister mit einem Dank, Herr Wehrbeauftragter, an Sie beginnen. Es ist gut für die Bundeswehr, für unsere Soldaten, gut für den Verteidigungsminister, daß Sie in dieser Form die Bundeswehr, den Dienst in unserer Bundeswehr und damit den aller unserer Soldaten begleiten. Dies ist zum Nutzen aller. Das möchte ich so deutlich eingangs mit Dank an Sie feststellen.
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Zum Nutzen sind alle Ihre getroffenen kritischen, selten - wo nötig auch - alarmierenden Hinweise für die politische wie - durch alle Ebenen - für die militärische Führung. Sie sehen, daß die Bundesregierung ernsthaft, sehr ernsthaft an alle die genannten Punkte herangeht, sie aufgreift, umsetzt und - wo immer möglich - Mängel zügigst abstellt.
Wer den Bericht liest, darf aber, ohne Dinge zu verschweigen und ohne zu sehr zu verallgemeinern, feststellen, daß die Bundeswehr, der Umgang mit unseren Soldaten, die Menschenführung, die Innere Führung - welche Überschrift wir immer wählen
wollen - generell in Ordnung sind. Es zieht sich wie ein roter Faden
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durch alle auch kritischen Feststellungen, daß die Bundeswehr im Inneren generell geräuschlos und ohne Komplikationen - trotz der Größe, der unterschiedlichen Aufträge, der unterschiedlichen Charaktere und Menschen - bei der Wahrnehmung der Vielfalt an Aufgaben gut funktioniert.
Ich möchte hier sagen: Dennoch ist es wichtig - und wir sollten auf diesem Weg weitergehen -, daß erkannte Ausnahmefälle deutlich beim Namen genannt werden, daß man ihnen nachgeht und sie nicht verschweigt.
Ich möchte dem Dank an Ihre Institution, Herr Wehrbeauftragter, ausdrücklich auch den Dank an die Person, an Sie, Wilhelm Berkhan, anschließen.
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Sie verstehen, daß ich das wegen einer etwas aufgeregter gewordenen Atmosphäre um unsere Bundeswehr herum ausdrücklich auch dankend an die Adresse unserer Soldaten und zivilen Mitarbeiter, an die Adresse aller Soldaten - der Berufssoldaten, der Zeitsoldaten wie der Wehrpflichtigen - und sehr bewußt auch an die Adresse all der Familien dieser Soldaten an dieser Stelle hier im Bundestag im Namen der Bundesregierung aussprechen möchte.
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Ich möchte mich nicht mit einigen der hier angesprochenen Einzelfälle im Bericht des Wehrbeauftragten - es gibt noch viel mehr - aufhalten, aber ich möchte sehr wohl versuchen, die Ursachen einiger genannter und kritisierter Einzelfälle anzusprechen. Ich bin sicher, daß ich niemanden überrasche, der sich ein bißchen ernsthaft mit dem Komplex beschäftigt hat, wenn ich allem voran den Punkt stelle, den wir bei allen Gesprächen mit unseren Soldaten, und zwar besonders mit den wehrpflichtigen Soldaten, hören: die Klage, für ihren Dienst in der Öffentlichkeit zu wenig Anerkennung in nüchterner, sachlicher, ruhiger - nicht in jubelnder - Form zu finden, sich mißverstanden, versteckt, in Teilen sogar angegriffen zu sehen und beobachten zu müssen, daß gegen sie agitiert und demonstriert wird. Dies bekümmert die Wehrpflichtigen am allermeisten, dies drückt mehr als manche Unzulänglichkeit im militärischen normalen Alltag mit Dingen wie Unterbringung, mit dem Leben vieler Menschen auf kleinem Raum, oder als die Frage - sie spielte hier eben eine große Rolle -, ob es und wann es endlich die auch von uns gewünschte Mark mehr an Wehrsold gibt. Dieses Sich-nicht-verstanden- und Sich-nicht-getragen-Fühlen, den immer mit vielen Entbehrungen verbundenen Dienst nicht in nüchterner, sachlicher Form anerkannt zu sehen, lastet auf den Schultern unserer Wehrpflichtigen. Und das ist nicht den Wehrpflichtigen anzulasten, sondern das haben wir hier zu verantworten; vom Parlament haben Impulse auszugehen. Wir haben die Kirchen, die Medien, die Schulen, die Universitäten, die Gewerkschaften an unsere Seite zu holen.
Ich nenne dies hier bewußt vorab in dieser Breite, weil wir hier, wenn wir über Last der Soldaten, über Fürsorge reden, selbst erst gerufen sind, mehr als in der Vergangenheit zu tun, damit der Soldat spürt, daß der, der den Auftrag gegeben hat, 15 Monate seines Lebens für diese Dinge einzutreten, ihn in der Zukunft ernster nimmt, als der Soldat dies im Augenblick täglich erlebt. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt, bei dem wir alle aufgerufen sind, uns mehr als bisher zu engagieren und schlechte Verhältnisse - nicht nur im Interesse der Soldaten - zu beseitigen.
Hiermit bin ich gewissermaßen hauteng bei der schon angesprochenen Frage, daß wir es endlich schaffen müssen - im Grunde ist es ein Armutszeugnis für unsere junge Demokratie, daß wir dies noch nicht geschafft haben -, über die Kultusministerkonferenz zu erreichen, daß in allen unseren Bildungsinstitutionen - das betrifft nicht nur die Schule; auch die Universitäten und andere Institutionen müssen diese Arbeit vorbereitend, später nachbereitend und ergänzend leisten ({4})
in nüchterner, sachlicher, emotionsloser Form über die Bundeswehr, aber auch über die Notwendigkeit von Verteidigung, über die Lebensverhältnisse in Ost und West, die Inhalte von Freiheit, die Bedeutung der Grundrechte sowie unterschiedliche Lebensmöglichkeiten, wie es sie in der Welt leider noch gibt, informiert wird. Es geht darum, nicht zu indoktrinieren, sondern zu informieren. Ich nehme gerne die von dem Wehrbeauftragten gegebene Anregung auf, uns alle, die wir hier sitzen, die in den Landesparlamenten Verantwortung tragen, dazu aufzurufen, hier nun endlich zu zeigen, daß wir in unserem föderalistischen System handlungsfähig sind. Es darf nicht zu der Situation kommen, daß nur ein Teil der Länder gegenüber manchen Bürgern über die Bundeswehr und Probleme der Sicherheit und Freiheit der Bundesrepublik informiert, andere dies hingegen nicht tun. Ich gehe so weit, zu sagen: Wenn wir dies nicht endlich mit einem guten Ergebnis schaffen, so ist dies ein Armutszeugnis für die Handlungsfähigkeit unseres Föderalismus. Dies ginge auf Kosten eines ganz wichtigen, sensiblen Ressorts.
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Wir stellen uns mit unseren Soldaten beinahe aller Dienstgrade der Diskussion über diese Thematik. Wir stellen uns auch als Staatsbürger, welche die Soldaten ebenfalls sind. Wir dürfen es aber nicht dabei belassen, daß man diesen Teil der Diskussion auf die Bundeswehr ablädt. Die Bundeswehr soll aus gutem Grunde - diese Regel galt bei ihrer Aufstellung und sie gilt heute noch - nicht Schule der Nation sein. Aber man darf uns angesichts des Auftrages, den wir haben, auf diesem Felde auch nicht zur Volkshochschule machen wollen.
Verehrte Kollegen, das Thema der Wehrgerechtigkeit - dazu ist unter unterschiedlichen Überschriften, die im Kern immer das gleiche meinen,
oft etwas zu hören, und dieses Thema ist auch hier schon angesprochen worden - ist ebenfalls ein Thema, das unsere Wehrpflichtigen sehr bedrückt. Sie fragen sich: Warum muß ich es sein, der dient, während mein Nachbar, mein Freund, manchmal der eigene Bruder nicht dient? Hier sind wir ebenfalls gerufen, nicht nur durch gesetzliche Maßnahmen, die ja eingeleitet sind, alles zu tun, was möglich ist, um die Einsicht in die Verteidigungswürdigkeit und -notwendigkeit sowie das Gekoppeltsein von Rechten und Pflichten deutlicher zu machen. Auch für uns selbst ergeben sich in diesem Zusammenhang große Chancen und Pflichten - sie sind gekoppelt -, ausgehend vom Parlament und all den Möglichkeiten des Wirkens, die wir draußen haben.
Ich habe diesen Komplex bei der Vielfalt der Komplexe an den Anfang gestellt und möchte nun auf einige Probleme zu sprechen kommen, die im Einzelfall den Soldaten zwar natürlich drücken, in der Gewichtung aber dem zu Anfang angesprochenen Komplex nachgeordnet sind.
Über die Dienstzeitbelastung ist bereits gesprochen worden. Ich möchte hier vor der Öffentlichkeit einmal sehr deutlich darauf hinweisen, daß unsere Soldaten inzwischen über zweieinhalb Jahrzehnte lang, ohne zu knurren und zu murren und ohne für zu viel geleistete Stunden eine Gegenrechnung in Form von Überstundengeld oder auch Freizeitausgleich aufzumachen, 60 Stunden, 65 Stunden Dienst in der Woche leisten. Das betrifft gerade auch die große Masse der Wehrpflichtigen. Der junge Unteroffizier, der mit den Wehrpflichtigen zusammensein muß, leistet ohne Knurren 60, 65 Stunden Dienst. Bei nicht wenigen Verbänden wird diese Dienstzeit nicht selten im Jahr noch erheblich überschritten. Ich sage dies zum einen, um zu zeigen, mit welcher Selbstverständlichkeit unsere Soldaten dies leisten, und zum anderen, um auch hier einmal an diesem Beispiel zu zeigen, mit welcher Hingabe und Einsicht und welchem Pflichtbewußtsein unsere Soldaten geräuschlos - im Unterschied zu manchen anderen Bereichen - hier für alle ihre Pflicht erfüllen.
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- Verehrte Kollegen, der Wehrpflichtige, der junge Soldat, der junge Mann will gefordert sein. Er will den täglichen Dienst nicht in ruhiger, bequemer Form absolvieren. Er will zur Kasse gebeten werden - um das mal so zu sagen -, er will seine Leistungsgrenzen kennen und einschätzen lernen. Er will einen Tag erleben, wo er sieht, daß er ausgelastet ist.
Ich nenne dies, weil wir, wenn wir unter dieser Prämisse an die Ausbildung herangehen, natürlich an dem Punkt sind, daß in manchen Bereichen der junge Unteroffizier, der die Männer fordert, der junge Leutnant, Oberleutnant, Hauptmann, der wenig praktische Erfahrung hat und seine Einheit fordert, auf die Grenze achten muß. Und diese Grenze, die nicht überschritten werden darf, zu erkennen, ist eine Aufgabe, zu der Erfahrung, Vorbild, Kenntnis, Dienstaufsicht gehören.
Und hier sind wir bei der Frage: Wie viele Führer, wie viele Ausbilder haben wir? Wir haben immer noch zuwenig. Immer noch zuwenig! Sie werden -es ist wenige Tage her - die Überschrift einer Äußerung des Inspekteurs des Heeres gelesen haben, daß das Heer noch nie so viele Ausbilder wie heute hatte. Ich freue mich deshalb, Herr Kollege Ronneburger, über Ihre Äußerung zu dem, was die Regierung in der Gesamtfinanzsituation im Augenblick und auch in den nächsten Jahren mit Zustimmung des Finanzministers und des Haushaltsausschusses an steigenden Zahlen der Zeitsoldaten einzuführen vorhat, um diese Lücke zu füllen. Augenscheinlich gibt es im Parlament eine starke Unterstützung für dieses Anheben der Zahl der Zeitsoldaten.
Der Unteroffizier vor der Gruppe - die Soziologen würden sagen: die Bezugsperson -, der Führer, Ausbilder, Erzieher direkt vor den Wehrpflichtigen ist durch niemand, auch nicht durch den besten Hauptmann oder Bataillonskommandeur, zu ersetzen. Diese Lücke müssen wir füllen. Ich will nicht zwei, drei, vier Jahre zurückgucken und nicht darauf hinweisen, warum diese Lücken entstanden sind. Sie tun uns heute kräftig weh.
Zum Verwendungsstau: Es ist gut, daß auch in diesem Jahresbericht - und ich bin sicher: auch im nächsten, wenngleich in etwas anderer Form - dieses Thema als uns alle drückend erwähnt wird. Im Unterschied zu den Plänen, die wir vorfanden, in denen für den Zeitraum bis 1987 keine einzige Silbe darüber stand, daß man diesen Stau zu beheben plant, wollen wir in diesem Jahr mit 1 500 und in den beiden kommenden Jahren - auch hier haben Sie eine leichte Umschichtung vor - mit je 1 000 Bewegungsmöglichkeiten diesem Stau endlich an den Kragen, um ihn im Interesse der Einsatzfähigkeit der Belastbarkeit und auch der Motivation abzubauen.
Hier herein spielt die Frage der Ausbildung an unseren Hochschulen. Ich sage hier sehr deutlich, daß dort einige Korrekturen von uns vorgenommen werden, und zwar im Interesse der Offiziere. Es sind Hochschulen der Bundeswehr. Und die akademische Ausbildung an unseren Hochschulen dient als großer Teilabschnitt der Ausbildung, der Befähigung, der Vermittlung der notwendigen Kenntnisse, um als Offizier auf Zeit oder im Beruf in unseren Streitkräften einsetzbar zu sein. Die Regel bleibt das Studium. Aber wir werden in sehr flexibler Form, unterschiedlich in den Teilstreitkräften, zu einer dem Auftrag des Offiziers entgegenkommenden Umgestaltung an beiden Hochschulen bei dem einen und anderen Studiengang, wo es im Interesse der Einsatzfähigkeit und der Männer ist, kommen, auch bezüglich der zeitlichen Ansiedlung.
Herr Wehrbeauftragter, wir begrüßen es, daß Sie die Tagungen, die wir mit betroffenen Dienstgradgruppen - Wehrpflichtige in Wentorf - durchgeführt haben, in ihrer Thematik, in der Art der Durchführung und bezüglich der Ergebnisse in der Weise gewichten und bewerten, wie auch wir es sehen. Wir werden eine ähnliche Tagung in Kürze zum Thema „Wehrpflicht und Familie" durchführen, wo wir neben wehrpflichtigen Soldaten auch
Mütter, Ehefrauen, Verlobte der Wehrpflichtigen haben, um diesen Problemkreis einmal nicht nur von den Akten her und nach oben gemeldet, sondern - ich sage einmal - direkt auf Tuchfühlung mit den Betroffenen mit all der Vielfalt auftretender Probleme auflisten und diskutieren und daraus die nötigen Konsequenzen noch lebendiger als bisher ziehen zu können. Eine andere Tagung wird ein Gespräch mit Soldaten unterschiedlicher Dienstgrade sein, die sich in der Kommunalpolitik engagieren. Es kommt nämlich dort immer wieder zu Spannungen. Diese Spannungsfälle wollen wir sammeln, abtasten, und wir wollen versuchen, sie durch geeignete Maßnahmen einzudämmen.
Ich freue mich, daß die Auftragstaktik in der letzten Zeit zunehmend bei Debatten hier im Parlament eine solche Rolle spielt. Dies ist über allen kleinen Dingen, an die wir heranzugehen haben, einer der Hauptaufträge, die sich der Minister Manfred Wörner gestellt hat: Auftragstaktik in der Bundeswehr nicht nur Lehrbuch, in der Vorschrift, sondern in der täglich geübten Praxis lebendig zu machen. Dies heißt: möglichst viele Entscheidungsbefugnisse nach unten verlagern. Daran ist auch gekoppelt Verantwortungsbewußtsein und Verantwortungsbereitschaft der Männer, die entscheiden und auch für Fehler eintreten müssen, daran ist gekoppelt Vertrauen,
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das von oben nach unten reichen muß,
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und wir müssen uns auch vor Männer stellen, die einmal in einer bestimmten Situation eine falsche Entscheidung getroffen haben. Hinterher und von draußen ist man immer klüger. Wir müssen uns dann vor diese Männer stellen und dürfen sie nicht der Kritik allein überlassen.
Nun zwei klare Antworten auf Ihre Fragen, Herr Kollege Ronneburger. Das Weißbuch, zweiter Teil - Bundeswehr im Inneren und Ausblick, wie geht es weiter - wird 1984 erscheinen. Ich glaube, in der heutigen Zeit ist es ein guter Weg, daß wir die beiden Teile getrennt und uns in diesem Jahr auf den übergreifenden außen- und sicherheitspolitischen Teil konzentriert haben.
Ihre zweite Frage betraf die Tradition. Hierzu sage ich Ihnen sehr klar und kurz: Die Bundeswehr hat im Inneren überhaupt kein Problem mit der Tradition. Alle Soldaten gehen in einer völlig unverkrampften Form an diese Fragen heran. Das ist inzwischen gesund gewachsen und zu einem normalen Bestandteil in unseren Streitkräften geworden. Vieles will man uns, will man der Bundeswehr von draußen an Problemen aufpfropfen. Diese von mir ausgedrückte Überzeugung war der Grund, daß wir ganz bewußt, nachdem - in einer von mir heute einmal nicht näher zu bezeichnenden Form - zwei Wochen vor dem Regierungswechsel, sehend was kommt, noch schnell ein Erlaß ins Leben gerufen worden war, nicht bei dieser Frage versucht haben, auf Kosten der Bundeswehr und mit einem Hü und Hott unsere Vorstellungen in manchen Dingen, die noch einzufließen haben, überschnell unseren Soldaten aufzupfropfen.
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Ich möchte zu einem anderen hier angesprochenen Punkt kommen, nämlich zum Einberufungsverfahren, wenn junge Wehrpflichtige, nachdem sie die Schule verlassen oder die Lehre beendet haben, die erste Berührung mit unserer Bundeswehr über die Kreiswehrersatzämter bekommen. Vorweg aber, Herr Kollege Heistermann, weise ich Ihre Formulierung zurück, wir hätten uns hier einer groben Pflichtverletzung gegenüber den jungen Männern schuldig gemacht. Dies weise ich sehr klar zurück.
Wir haben folgendes Problem: Wir füllen viermal im Jahre unsere Kompanien auf. Die Abiturienten wollen gerne ab 1. Juli dienen. Wir können aber nur einen Teil der Abiturienten einberufen. Dies haben wir auf 70 % erweitert. Heutige Streitkräfte brauchen aber auch den Kfz-Mechaniker, den Elektriker usw. Ein Abiturient kann diese Arbeiten nicht leisten. Wir haben die Teilstreitkräfte soweit es geht belastet. Wir haben umgeschichtet. Wir haben die Quartale so ausgelastet, daß wir möglichst viele Abiturienten nehmen. Schließlich haben wir, damit nicht das Semester verlorengeht, unter Inkaufnahme eines Ausfransens der einen oder anderen Kompanie, einen Erlaß ins Leben gerufen - nicht erst jetzt oder vorgestern, sondern im Sommer ist das geschehen -, nach dem Studienanfänger, deren Semester beginnt, vorher einberufen werden, damit sie nicht noch ein Semester verlieren. Das gilt nicht nur für die Abiturienten, sondern das gilt in gleichem Maße auch für andere Berufsgruppen, wenn die Betreffenden sonst erheblich mehr Zeit verlören. Das Gegenteil also ist der Fall. Hier ist fürsorglich, militärische Einbrüche in Kauf nehmend, vom Bundesminister der Verteidigung gehandelt worden.
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Sorge macht uns, daß wir Zeitsoldaten haben, die länger als zwei Jahre gedient haben und im Anschluß im Augenblick keinen Beruf finden. Dies ist hart für den betreffenden Mann und für uns. Denn wir müssen uns von ihm fragen lassen und fragen uns in dieser Angelegenheit selbst, wie dem zumute sein muß - und denen, die dies bewerten -, der hier lange Zeit seine Pflicht tut und dann irgendwo steht. Hier sind wir eingebettet in das Gesamtumfeld der Wirtschaft. Hier werden wir allerdings mit Interesse der Initiative, wie ich sehe, vieler Fraktionen entgegensehen, die hier helfen wollen, das Arbeitsplatzschutzgesetz möglicherweise durch bestimmte Initiativen auch auf Zeitsoldaten auszudehnen.
Verehrte Kollegen, ich will abschließend feststellen, unsere Bundeswehr ist ein normaler Bestandteil unserer Bevölkerung. Jeder Soldat, der in ihr Dienst tut - jeder weiß, warum ich dies hier sage -, hat, bevor er Soldat wurde, sein Gewissen überprüft und ist zu der Entscheidung gekommen: Jawohl, ich sehe es als guten Dienst für den Frieden an, Soldat zu werden. Die Art und Weise, wie unsere
Soldaten in der Bundeswehr ihren Auftrag erfüllen können, hängt zum ganz erheblichen Teil auch davon ab, wie wir als Parlament und draußen in der Öffentlichkeit reden, uns vor unsere Bundeswehr, uns vor unsere Soldaten stellen. Ich folgere daraus, uns alle aufzurufen, dazu beizutragen, draußen deutlich zu machen, daß Demonstrationen und Proteste, die sich als Adresse unsere Kasernen und damit unsere Soldaten der Bundeswehr und unsere Freunde suchen, die falsche Adresse gewählt haben, meine Damen und Herren.
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Lassen Sie uns gemeinsam deutlicher als bisher in der Öffentlichkeit klarmachen, wofür die Bundeswehr steht und daß unsere Soldaten, egal, wie lange sie in ihr dienen, einen wichtigen Auftrag für uns, nicht allein für sich selbst, für uns erfüllen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klejdzinski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Würzbach, Sie haben in der Art, wie Sie neuerdings zum Parlament zu sprechen pflegen, mal wieder versucht, etwas darzustellen. Ich will nicht im einzelnen darauf eingehen, sondern nur Stichworte bringen.
Sie reden hier von Beförderungsstau. Im Ausschuß erklärt der Minister, wir Sozialdemokraten möchten doch bitte, seitdem Sie in der Regierung sind, den Begriff Beförderungsstau nicht mehr verwenden, sondern nur von Verwendungsstau sprechen. Ich bitte Sie also, wenn Sie schon reden, nicht hier so und woanders anders zu reden.
Herr Würzbach, Sie haben weiterhin gesagt, daß wir alles tun müssen, um beispielsweise dem Auftrag der Wehrpflichtigen gerecht zu werden. Ich würde Sie sehr nachdrücklich bitten, mit dafür zu sorgen, daß diejenigen, die über die Wehrunwilligkeit junger Menschen klagen, endlich einmal davon ablassen, das Arbeitsplatzschutzgesetz zu umgehen, indem nämlich junge Wehrpflichtige, bevor sie einberufen werden, bevor ihnen der Einberufungsbescheid zugeht, entlassen werden, damit sie sich nämlich anschließend nachher so verhalten können, wie wir das alle sicherlich kritisieren.
Sie merken hier an, daß, kurz bevor die Regierung wechselte, der Traditionserlaß geändert worden ist, und Sie sagen: Okay, wir haben nur sehr behutsam Änderungen vorgenommen. Ob die so behutsam sind, wie Sie sich das vorstellen, werden wir anschließend feststellen, wenn Sie uns die Änderungen vorlegen. Ich gehe gegenwärtig davon aus, daß dort erhebliche Änderungen sein werden. Wir werden zu gegebener Zeit darüber diskutieren.
Herr Ronneburger hat beklagt, daß bislang kein Weißbuch herausgegeben worden ist. Herr Ronneburger, es lag ein Entwurf vor. Wären Sie nicht so freiwillig bereit gewesen, die Regierung zu wechseln, die sogenannte Wende zu vollziehen, dann hätte es sicherlich bereits ein neues Weißbuch gegeben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?
Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, Herr Präsident.
Ja oder nein, Herr Kollege?
Ich habe gesagt: wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Also, es ist abgelehnt.
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Herr Ronneburger, wir werden uns demnächst sicherlich darüber unterhalten.
Mein Kollege Heistermann ist im wesentlichen darauf eingegangen, indem er auch darauf verwiesen hat, wie wir das einschätzen, was der Wehrbeauftragte im einzelnen tut. In dem Bericht findet es seinen Niederschlag, daß er Anwalt der Soldaten ist. Er ist auf die Einbindung der Bundeswehr in den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und auf die positive Einstellung der Soldaten zu der Ordnung unseres Staates eingegangen. Er hat auch darauf hingewiesen, daß die Beziehungen der Soldaten zu diesem Rechtsstaat durch die Arbeit mit ihrem Wehrbeauftragten geprägt werden.
Der Wehrbeauftragte ist im Auftrag des Parlaments tätig. Deswegen, Herr Staatssekretär, werden wir sehr wohl darüber wachen, wie Sie darauf eingehen, was der Wehrbeauftragte im einzelnen bemerkt.
Ich möchte mich auf Grund der mir zur Verfügung stehenden kurzen Redezeit auf folgende Punkte beschränken: Erstens. die Ausbildung der Soldaten in der Bundeswehr, zweitens die berufliche Ausbildung nach ihrem Ausscheiden im Rahmen des Berufsförderungsdienstes und drittens die soziale Sicherung ehemaliger Soldaten auf Zeit bei Arbeitslosigkeit.
Ich finde, diese Themen erfordern unsere ganze Aufmerksamkeit. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Jahresbericht zu Recht erneut darauf hingewiesen, ebenso wie er es bereits in vorhergegangenen Berichten getan hat. Man muß natürlich wissen und sollte das hier auch bewußt darlegen, daß von den Entscheidungen, die im einzelnen gefällt werden, 500 000 aktive Soldaten und Wehrpflichtige sowie ca. 180 000 Zivilbedienstete und in deren Umfeld 1,5 Millionen Familienangehörige direkt betroffen sind.
Nach meiner Einschätzung sind nicht die Probleme der Bewaffnung und Modernisierung, sind nicht Fragen der Tradition in der Truppe vorrangige Themen, sondern vorrangiges Thema in der Truppe ist: Wie hält es der Minister mit der Fürsorgepflicht? Das ist die Frage, die die Soldaten interessiert. Oder gilt auch bei Herrn Wörner das alte
Adenauer-Wort: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Ich erinnere daran, weil ich manche seiner Reden nachgelesen habe. Es wäre sicherlich sehr einfach gewesen, heute eine Rede von Herrn Wörner vorzulesen, natürlich ohne Namensnennung. Von der CDU/CSU wäre mir dann Polemik in der Sache vorgeworfen worden. Dieses will ich nicht tun.
In unserer heutigen demokratischen Bundeswehr füllen nach meiner Einschätzung Unteroffiziere äußerst verantwortliche Posten aus. Sie sind für die technische Einsatzbereitschaft verantwortlich. Von ihnen wird auch eigenständige Führung der ihnen unterstellten Soldaten erwartet. Ja, dieses ist sogar in vielen Fällen unerläßlich.
Graf Baudissin zeichnete das Bild vom Bürger in Uniform. Ich meine, wir Sozialdemokraten haben zur Formung dieses Bildes erheblich beigetragen.
Auf Grund der hohen Anforderungen, die heute an die Unteroffiziere gestellt werden, sollte nach meiner Einschätzung auch die Kritik der Unteroffiziere einen hohen Stellenwert haben.
Der Wehrbeauftragte weist beispielsweise zu Recht darauf hin, daß bei Truppenbesuchen immer wieder seitens der Unteroffiziere gerade an bestimmten Fortbildungslehrgängen massive Kritik geübt wird. Fast ausschließlich werden dabei Lehrgänge kritisiert, die zwar noch Voraussetzung sind, sich aber nicht bewährt haben. Diese Kritik ist sehr oft detailliert. Zum einen wird die Nutzlosigkeit dieser Lehrgänge für die Truppe beklagt. Darüber hinaus sehen Soldaten in diesen Lehrgängen oft keinerlei Nutzen für ihr späteres Berufsleben. Ein solcher Nutzen wird nach meiner Einschätzung immer wichtiger.
Ein wesentlicher Kritikpunkt ist aber, daß die Truppe unter dem Mangel an Soldaten leidet, die auf Lehrgänge abkommendiert sind. Hier ist sicherlich noch Abhilfe notwendig. Wir sehen deshalb auch heute die Notwendigkeit, weniger dienstzeitbegleitende Lehrgänge abzuhalten als vielmehr einen berufsbezogenen Unterricht zum Ende der Dienstzeit anzubieten. In diesem Zusammenhang wäre es auch einmal notwendig, zu überlegen, ob die Anregung aus der Truppe, diese zweimonatige Weiterbildung auf Brigadeebene durchzuführen, den Wünschen der Soldaten nicht eher gerecht würde.
1971 - daran möchte ich Herrn Würzbach bewußt erinnern - legte die . Bildungskommission dem ehemaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt ein Gutachten zur Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr vor. Der sozialdemokratische Reformansatz war, dem Soldaten - und hier eben vor allen Dingen dem Zeitsoldaten - möglichst viel zivilberuflich verwendbare und auch anerkannte Ausbildung zukommen zu lassen. Sicherlich hat sich nach unseren heutigen Erfahrungen manches geändert; manches könnte verbessert werden. So zeigen die guten Erfahrungen bei der Luftwaffe und der Marine, daß beispielsweise die Ausbildungsstufe A ihren Sinn erfüllt hat. Für diese Teilstreitkräfte müssen nach meiner Einschätzung nicht mehr so viele Anstrengungen unternommen werden. Die Problematik der auf zwei Monate verkürzten fachlichen Fortbildung für die Unteroffiziere zeigt sich vor allen Dingen in den Fächern, die sich mit Organisation befassen, während die allgemeine Ausbildung nach Einschätzung des Wehrbeauftragten gut ankommt.
Zu Recht weist der Wehrbeauftragte darauf hin, daß in der Luftwaffe das Fach Innere Führung Sperrfach ist, d. h. schlechte Leistungen in diesem Fach nicht durch bessere Leistungen in anderen Fächern ausgeglichen werden können. Beim Heer sind nur die waffengebundenen Ausbildungsinhalte Sperrfächer. Die Antwort der Bundesregierung darauf - die unterschiedlichen Beurteilungen der Leistungen in den einzelnen Ausbildungsabschnitten müßten geprüft werden - muß ich als reichlich dünn ansehen. Gerade Unteroffiziere des Heeres, die als Kämpfer eingesetzt sind, die Wehrpflichtige befehlen, haben diese Ausbildung in der Inneren Führung in erheblichem Maße nötig. Nicht umsonst muß der Wehrbeauftragte in seine Berichte immer wieder Vorwürfe im Bereich der Inneren Führung aufnehmen. Oder drückt sich hier schon der neue Wörnersche Geist aus, der heute erklärt, einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen zu können, wenn es sich um soziale Leistungen handelt? Umschichtungen im Haushalt bieten sich da an. Leider scheint der Minister dieses Mittel nicht mehr zu kennen.
Ist diese neue Welle geprägt vom konservativen Geist, sozialdemokratische Reformen auf allen Ebenen zu lösen, sei es in der Fortbildungsstufe C der Offiziere, sei es bei der Feststellung, ob jemand geeignet ist, in die Generalstabsausbildung übernommen zu werden, oder sei es bei der Wiedereinführung der Spitzendienstgrade des Stabsfeldwebels und Oberstabsfeldwebels für Unteroffiziere, um die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes letztlich austrocknen zu können? Oder macht sich diese neue Welle dadurch bemerkbar, daß wesentliche Teile des Vertrauensmännererlasses wieder zurückgenommen werden sollen?
Zur Frage des Ausbildungsstandes kann ich nur sagen: Der Ausbildungsstand in unserer Bundeswehr ist generell gut. Ich finde, sie kann sich insofern sehen lassen. Jeder, der die Streitkräfte diesbezüglich kritisiert, sollte sich einmal informieren, wie die Soldaten bei Tests und Prüfungen abschneiden.
Grundsätzlich gilt: Ausbildung, Bildung und Erziehung müssen darauf gerichtet sein, daß der Soldat die moderne Ausrüstung unserer Streitkräfte unter den Bedingungen des Einsatzes beherrscht. Ausbildung, Erziehung und Bildung sind sicherlich an den Erfordernissen des Einsatzauftrages zu messen, aber nicht nur in der Art und Weise, wie das Herr Würzbach in seiner Eigenschaft als Parlamentarischer Staatssekretär für diese Bundesregierung versucht hat.
Innere Führung muß nach unserer Einschätzung ein integraler Bestandteil jeder Ausbildung, Bildung und Erziehung sein.
Diese Grundsätze - ich betone es ausdrücklich - schließen ein, daß Ausbildung und Bildung der Soldaten auch deren zivilberuflicher Förderung dienen soll. Die Erfüllung dieses Nebenzweckes ist allerdings für die Bundeswehr besonders wichtig, um über das Mittel der Attraktivität und das Angebot des sozialen Aufstiegs den Personalbedarf der Streitkräfte auch langfristig qualitativ decken zu können.
Die berufliche Ausbildung der Soldaten nach ihrem Ausscheiden im Rahmen des Berufsförderungsdienstes bedarf mehrerer Anmerkungen. Bei dieser Rückkehr in das Zivilleben wird von den Soldaten nicht nur eine attraktive Anschlußtätigkeit erwartet, sondern auch eine finanzielle Gleichstellung zu dem Verdienst in der Bundeswehr. Daraus resultiert beispielsweise, daß der Beruf des Offiziers auf Zeit ganz erheblich an Attraktivität eingebüßt hat, wenn beispielsweise die Integration in das zivile Berufsleben scheitert. Dies gilt nach meiner Einschätzung in verstärktem Maße für die studierten Offiziere auf Zeit. Wir werden natürlich erst, wenn die Studienjahrgänge 1975 und weitere zurückkommen, feststellen, ob die Förderungsmaßnahmen greifen. Ich bin allerdings der Meinung, daß wir das mit Intensität und wirklich mit Nachdruck beurteilen und kontrollieren müssen. Jedoch werden nach meiner Einschätzung nur für einen Teil der Offiziere diese Chancen wirklich als gut bewertet werden müssen. Schon jetzt läßt sich beispielsweise absehen, daß die Möglichkeiten für Diplompädagogen sehr schlecht sind. In diesem Zusammenhang ist es für mich unverständlich, daß gerade denjenigen, die es besonders schwer haben, z. B. den Diplompädagogen, eine Promotion im Rahmen der Berufsförderung aus formalen Gründen verweigert wird, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang - und dies sollte auch von der Leitung der Bundeswehr aufgenommen werden - ist die Meinung des Kommandeurs der vierten Luftwaffendivision, der darin das Heranwachsen eines bundeswehrfeindlichen, wohlinformierten Reservistenpotentials sieht, das durch teils öffentliche, teils informelle Stellungnahmen die Attraktivität des Offiziersberufes insgesamt erheblich belasten könnte. Eine gewisse Solidarisierung mit weiter im Dienst befindlichen Berufsoffizieren und Offizieren anderer Fachrichtung wird nach seiner Einschätzung dabei nicht ausgeschlossen. Soldaten auf Zeit, die zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens einen sicheren Arbeitsplatz in der Bundeswehr aufgeben müssen - zudem haben sie Familie, sind etabliert -, werden diese Fragen an ihren ehemaligen Arbeitgeber sicherlich richten.
Ein ganz besonderes Problem ist die soziale Sicherung ehemaliger Soldaten auf Zeit bei Arbeitslosigkeit. Soldaten auf Zeit, die sich für weniger als acht Jahre verpflichtet haben, können im Falle von Arbeitslosigkeit nur äußerst geringe Ansprüche geltend machen, da Beiträge für die Bundesanstalt für Arbeit nicht entrichtet werden, was den meisten im übrigen unbekannt ist. Soldaten mit einer Verpflichtungszeit von zwei Jahren erhalten nicht einmal Arbeitslosengeld, es sei denn, sie waren vor ihrer Einberufung schon lange genug in einem Arbeitsverhältnis, was sicher nur die wenigsten waren. Ich finde, diese Maßnahmen der sozialen Sicherung sind zu gering. Ich will auf die Rehabilitationsmaßnahmen gar nicht eingehen, weil mir die Zeit dazu fehlt; dort sind die Beispiele noch gravierender.
Wir Sozialdemokraten unterstützen damit mit Nachdruck die Forderung des Wehrbeauftragten, der in seinem Bericht feststellt, daß in wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Bedarf an sozialer Sicherung im Falle der Arbeitslosigkeit ungleich höher ist als in Zeiten guter wirtschaftlicher Entwicklung und daß dies auch für die soziale Sicherung der ehemaligen Soldaten auf Zeit gilt. Unabhängig davon fordert der Deutsche Bundeswehrverband für Zeitsoldaten das Recht auf einen hinreichenden Schutz bei Arbeitslosigkeit. Wir könnten uns vorstellen, daß man Modelle wählt, die ähnlich denen bei den Entwicklungshelfern sind. Aber darüber muß man sich dann im einzelnen unterhalten. Allerdings reicht es nicht, Herr Minister, nur Überlegungen anzustellen, wie Sie in Ihrer Stellungnahme, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darlegen, daß man sich darüber Gedanken macht, wie die Soldaten auf Zeit im Falle der Arbeitslosigkeit sozial besser abzusichern sind. Wir haben jetzt Arbeitslosigkeit; es werden jetzt Soldaten entlassen. Ich finde, den klugen Worten müssen nun einmal Taten folgen, obwohl es an sich schon lohnenswert ist, grundsätzlich darüber nachzudenken. Wenn Minister und Parlamentarische Staatssekretäre denken, soll man das grundsätzlich anerkennen.
Der Soldat ist sicherlich ein Staatsbürger wie jeder andere. Doch die Fürsorge erfordert als tägliche Verpflichtung, die persönlichen Belange seiner Untergebenen stets im Auge zu behalten, sie zu fördern und Schaden von ihnen abzuwenden. Hier ist nach unserer Einschätzung ein dringender Handlungsbedarf vorhanden.
Bei seinem Amtsantritt hat Herr Minister Wörner versprochen, er wolle dem unterstellten Menschen den Vorrang einräumen. Am 22. Dezember hat der Minister im Brustton der Überzeugung erklärt: So habe ich gehandelt.
Ich denke, heute gefragt, würde er höchstens wider besseren Wissens dieselbe Antwort geben. Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, und der Minister haben an anderer Stelle gesagt, das beste Material sei wertlos, wenn es nicht von einem gut ausgebildeten und gut motivierten Soldaten bedient werde.
Sie haben viel versprochen, auch heute haben Sie wieder viel versprochen. Halten Sie wenigstens das, was notwendig ist! Dazu gehört auch, diejenigen, die die größte Last tragen, die Wehrpflichtigen, besser unterzubringen, sie finanziell besser auszustatten und ausscheidenden Zeitsoldaten eine Berufsperspektive zu eröffnen, die sie nicht als Gestrandete dieser Gesellschaft markiert.
Ich hoffe, die letzten Worte hat der Minister persönlich gehört. Ich wäre ihm dankbar, wenn er sich gelegentlich daran erinnerte. - Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Krone-Appuhn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin erstaunt darüber, daß die CDU/CSU bereits wieder das Wort hat. Vor mir sitzt die Fraktion der GRÜNEN, die uns so gern als „Brüder und Schwestern" anredet.
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- Brüder, Schwestern, Freunde. Es gibt auch Brüder und Schwestern in Uniform. Um sie könnte man sich auch kümmern. Sie tun es weder im Ausschuß noch hier.
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Ich finde es bedauerlich, daß die Fraktion der GRÜNEN für diejenigen, die den Frieden in unserem Land wirklich sichern, kein Wort übrig hat. Statt dessen redet sie von Maikäfern und sonstigem.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein wesentlicher Teil des Berichts des Herrn Wehrbeauftragten befaßt sich mit Fragen der Fürsorge und der Betreuung. Sie werden denken: ein schönes Frauenthema; denn bisher ist keiner der Herren eingehend darauf zu sprechen gekommen. Ich halte es aber für sehr wichtig, und zwar nicht deswegen, weil man da vielleicht emotionsgeladen Mängel beklagen und nach Abhilfe rufen kann, sondern deswegen, weil in einer Armee, die dem Soldaten oft sehr harte Pflichten abverlangt, dem die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüberstehen muß. _ Das muß bis zum letzten Unterführer heruntergehen, damit der Soldat, der seine Pflicht erfüllt hat, auch wirklich die nötigen Fürsorgemaßnahmen erfährt, die er verdient hat.
Ich möchte aber, da ich gerade von Emotionen gesprochen habe, doch noch auf einen recht emotionsgeladenen Beitrag eingehen, der eigentlich ein bißchen außerhalb der Tagesordnung gebracht wurde. Ich meine die Ausführungen des Kollegen Heistermann. Herr Kollege Heistermann, Sie sprachen von Herrn Geißler, der die SPD als „fünfte Kolonne" bezeichnet habe. Wenn er das getan hätte, meine lieben Herren Kollegen,
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würde ich mit Ihnen sogar sagen, dann wäre er tatsächlich ein „Erzverleumder der CDU".
Ich habe mir eine dpa-Meldung geben lassen und habe festgestellt, was auf dem Kölner CDU-Parteitag denn nun wirklich passiert ist. Laut dpa war folgendes:
Auf dem Kölner CDU-Parteitag warf Geißler den Sozialdemokraten vor, daß sie wie Moskau bei den Genfer Verhandlungen zur Reduzierung atomarer Mittelstreckenraketen eine Anrechnung der französischen und britischen Systeme verlangten und von vornherein der amerikanischen Seite die Schuld an einem möglichen Scheitern der Verhandlungen gäben.
Geißler fuhr dann fort:
„Die Sozialdemokraten müssen sich darüber klar sein, was sie hier anrichten. Eine Partei, die den Westen fast ausschließlich kritisiert und gleichzeitig nahtlos Argumente der Sowjetunion, der mächtigsten Diktatur, die wir in der Weltgeschichte überhaupt je gehabt haben, übernimmt und in die innerpolitische Diskussion einführt, eine solche Partei wird - ob sie es will oder nicht - in der geistigen Auseinandersetzung
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in der Bundesrepublik zu einer fünften Kolonne der anderen Seite."
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Nun mache ich Ihnen, meine lieben Kollegen von der SPD, folgenden Vorschlag. Gehen Sie lieber, statt hier den Herrn Geißler und die Bundesregierung zu beschimpfen, in Ihre Fraktion und sorgen Sie da für Ordnung und schauen Sie, daß Ihre lieben Kollegen, die mit Abrüstungsfragen beschäftigt sind, dem Herrn Geißler nicht den Vorwand geben, in dieser Form über Sie zu reden.
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Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Wenn Sie mir Zeit -
Ja oder nein, Frau Kollegin.
Meine lieben Kollegen, ich glaube, wir unterhalten uns jetzt über den Bericht des Wehrbeauftragten und setzen die Diskussion zu einem Thema, das hier jetzt nicht hingehört, nachher am besten privat fort. Ich stehe Ihnen dann gerne zur Verfügung.
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Die in den letzten Jahren von uns oft beklagte Verbürokratisierung der Armee trägt sicher mit dazu bei, daß immer wieder Mängel in der Fürsorge vom Wehrbeauftragten beklagt werden müssen. Ob1732
wohl man, gerade wenn man häufig bei der Truppe ist, sagen kann, daß die Fürsorge bei der Bundeswehr bestimmt besser ist als in manchem Betrieb mit Mitbestimmung, Sozialarbeitern und ähnlichem, gibt es doch immer wieder Anlässe, über Dinge zu reden, die in der Bundeswehr leider immer noch vorkommen.
Bei Informationsveranstaltungen durch bundeswehrfremde Personen muß auf jeden Fall ein Vorgesetzter dabei sein. Ich bin froh, daß der Herr Bundesminister der Verteidigung darauf aufmerksam gemacht hat; denn in unserer Gesellschaft mit ihren zum Teil sehr geschäftstüchtigen und vermarktungswütigen Leuten würden wir sonst Gefahr laufen, daß unsere Soldaten Opfer von profitorientierten Verkäufern aller Couleur in den Kasernen würden. Wie man auf die Idee kommen kann, Grundwehrdienstleistenden, die bekanntlich wenig Geld haben, Kleiderbügel, Fensterleder und Taschenbücher verkaufen zu wollen oder zum Verkauf anzuempfehlen, ist mir völlig unverständlich, zeigt aber in gravierendem Maße Mängel auf, die schnell und gründlich beseitigt werden müssen.
Die jetzt einberufenen Jahrgänge weisen in verstärktem Maße Übergrößen auf. Darauf haben sich die Kleiderkammern einzustellen. Von unseren Kompaniechefs erwarte ich, daß sie sich um jeden ihnen anvertrauten Soldaten kümmern, um Spießrutenlaufen in der unter Punkt 2.9.2 angeführten Weise zu verhindern. Ich bin der Meinung, daß der Herr Wehrbeauftragte recht daran getan hat, diesen Fall hier vorzuführen. Kampf- und Arbeitsanzüge werden von den Soldaten gerne getragen, sogar so gerne getragen, daß sie sie gerne auf der Heimfahrt mit der Bahn anziehen würden, was ihnen bisher noch nicht erlaubt ist. Gerade aus diesem Grunde aber haben unsere Kleiderkammern dafür Sorge zu tragen, daß trotz knapper Haushaltsmittel die Uniformen auch wirklich sitzen, damit die Leute sich nicht genieren müssen, wenn sie damit rausgehen.
Ebenso geht es nicht an, meine Damen und Herren, daß Soldaten in zu kleinen Betten schlafen müssen. So mußte ich z. B. bei einer Einheit im Allgäu intervenieren, um zu erreichen, daß Soldaten ihrer Größe angemessene Betten bekamen.
Da waren es wieder einmal die Herren Unterführer, die zu faul waren, im Standort vorhandene große Betten herbeischaffen zu lassen. Das veranlaßt mich zu der dringenden Bitte an den Bundesminister der Verteidigung, dafür Sorge zu tragen, daß Unterführer, die Rekruten ausbilden oder in irgendeiner Form betreuen, mit größter Sorgfalt ausgesucht werden.
Für besonders beachtenswert halte ich die Betrachtungen des Herrn Wehrbeauftragten zum Thema „Schulden und Sicherheitsrisiko". Im Interesse der Verwendungsfähigkeit der Soldaten muß hier eingehend aufgeklärt werden. Das Kreditverhalten der Soldaten unterscheidet sich nicht von dem der Zivilisten. Zu hoch verschuldete Soldaten werden auch dann leicht ein Opfer der Dienste der anderen Seite oder des Warschauer Paktes, wenn sie keinen Zugang zu VS-Sachen haben. Im Interesse der Sicherheit unserer Bundeswehr halte ich es für sehr wichtig, daß da genau beobachtet und beraten wird.
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Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber auch die prekäre pekuniäre Situation vor allem unterer Dienstgrade der Bundeswehr in den USA ansprechen. Der Dollarkurs und das Arbeitsverbot für Frauen führen trotz Auslandszulage dazu, daß die Soldaten in finanzielle Bedrängnis kommen, weil der Devisenausgleich erst Monate später ausgezahlt wird.
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Hier appelliere ich nachdrücklich an die Bundesregierung, daß im Interesse unserer Soldaten sofort Abhilfe geschaffen wird.
Über die Reinigung von Rekrutenbekleidung haben wir uns schon oft unterhalten. Im Interesse der Mütter, die auch ein ruhiges Wochenende verdient haben und brauchen, bitte ich dringend, dieses Problem endlich so zu lösen, wie es der Herr Wehrbeauftragte vorgeschlagen hat.
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Der Herr Kollege Heistermann hat in seiner Rede erfreulicherweise auf das hingewiesen, was er im Auftrag seiner Fraktion beantragt hat, daß nämlich jährlich darüber berichtet werden soll, inwieweit die Vorschläge des Herrn Wehrbeauftragten Berücksichtigung finden. Es ist eigentlich schade, daß wir in unserer Fraktion nicht auf diese Idee gekommen sind und das nicht schon viel früher beantragt haben; denn dann brauchte ich jetzt nicht ein ungelöstes Problem aus dem Jahre 1979 anzusprechen, das uns nach wie vor große Sorgen macht.
Ich möchte auf die Versetzungshäufigkeit in der Bundeswehr zu sprechen kommen. Noch immer sind diese Probleme nicht gelöst, und deswegen müssen sie hier noch einmal angesprochen werden, damit sie gelöst werden. 12 000 Soldatenfamilien wechseln jährlich auf Grund dienstlicher Versetzung den Standort, die Offiziere alle zwei bis drei Jahre, die Unteroffiziere alle fünf Jahre. Die Schulprobleme wegen der unterschiedlichen Schulsysteme in den Ländern machen den Soldaten als Vätern ganz besonders große Sorgen. In der Regel gehen Ausbildungsplätze, wenn das Bundesland gewechselt wird, verloren. Besondere Probleme bringt auch die Berufstätigkeit der Ehefrau mit sich. Wohnungsprobleme sind immer noch nicht gelöst. Zum Teil wurden hier Unterbringungsprobleme angesprochen; die Wohnungsprobleme sind genauso schlimm. Der Verlust des sozialen Umfeldes, der Freunde und der Nachbarn, macht den Bundeswehrfamilien sehr zu schaffen.
Auf Grund meiner Initiative wurde vom Bundesministerium der Verteidigung in den Jahren 1979 und 1980 die wissenschaftliche Studie von Frau Dr. Gerber von der Universität Wien untersucht und
ausgewertet und anschließend daran eine sozialpsychologische Studie, die sogenannte Mobilitätsstudie, erstellt, die im Jahre 1982 erschienen ist. Da wird davon gesprochen, daß 15 % der Offizierskinder das Schuljahr wiederholen müssen, was durch den Leistungsabfall der Kinder in den Schulen nach einer Versetzung der Väter bedingt ist.
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Dieser Prozentsatz ist, gemessen an den Zahlen für die zivile Bevölkerung, außerordentlich hoch. Im Bundesdurchschnitt bleiben 2 % der Volksschüler sitzen, 4,5 % der Realschüler, in der Sekundarstufe I 5,2 %, an den Gymnasien, Sekundarbereich II, 2,4 %. Meine Damen und Herren, das heißt also, daß wir auf diesem Sektor unbedingt etwas tun müssen.
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Da nützt es nicht nur, daß wir wie der Deutsche Bundeswehrverband Geld für Nachhilfe verlangen, sondern da müssen wir das Übel an der Wurzel pakken.
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Lassen Sie mich hier bitte auch das Problem der Frauen ansprechen, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Es gibt ein Ondit, eine Offiziersfrau brauche nicht zu arbeiten. Die Offiziersfrauen, die arbeiten gehen, gehen nicht aus finanziellen Gründen arbeiten, sondern sie betrachten es als einen Teil ihrer Selbstverwirklichung, denn sie haben meistens eine qualifizierte Ausbildung, wenn sie berufstätig sind. Auch bei einer Bundesregierung, in deren Grundsatz- und Wahlprogramm steht, daß Frauen arbeiten sollen, wenn sie es möchten, muß man dann verlangen, daß man sich nicht damit herausredet: Die brauchen nicht zu arbeiten, sondern einmal schaut, was man auf diesem Sektor tun kann. Manche werden vielleicht raten und sagen: Es gehört zu den Diensteigentümlichkeiten der Soldaten, daß sie eben häufig versetzt werden; darauf muß man sich einstellen. - Andere werden sagen: Der Föderalismus geht uns über alles, und wir sind für die uneingeschränkte Kulturhoheit unserer Länder.
Ich bin der Meinung, wir haben über diese Dinge einmal grundsätzlich nachzudenken. Ich denke, daß wir diese Frage im Rahmen einer Konferenz, an der der Bundesverteidigungsminister und die KMK teilnehmen sollten, lösen müssen. Früher war es im Deutschen Reich ohne weiteres möglich, daß ein Beamter oder ein Offizier von Metz nach Krakau versetzt wurde,
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ohne daß seinen Kindern etwas passierte und ohne daß sie sitzenblieben.
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Aber, meine Damen und Herren, heute ist es so, daß
man noch nicht einmal innerhalb eines Bundeslandes versetzt werden kann, ohne Probleme mit seinen Kindern zu haben.
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Wir haben seit dem Jahre 1978 immer wieder gesagt: Der Mensch muß im Mittelpunkt stehen, ein sehr gutes Wort von Verteidigungsminister Apel, auf einer Kommandeurstagung zum erstenmal ausgesprochen. Ich bin froh darüber, daß sein Nachfolger dieses Wort sehr ernst nimmt.
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Ich verlange aus diesem Grunde auch für unsere Soldaten eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht. Sie sind die Hüter unser aller Sicherheit, und wir haben ihnen allen gegenüber eine Fürsorgepflicht. Darum wünsche ich mir eine Wende für die Soldatenkinder und deren Mütter im Interesse der Soldaten. - Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({11})
Nach § 115 Absatz 1 der Geschäftsordnung ist beantragt, dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages das Wort zu erteilen.
Das Wort hat der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Herr Berkhan.
Berkhan, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin dankbar, daß ich auch in diesem Jahr hier zu Ihnen sprechen kann. Ich will einige Schwerpunkte meines Jahresberichts, die mir besonders am Herzen liegen, hier noch einmal erläutern und auch aktualisieren.
Herr Kollege Heistermann, darf ich vorher noch auf Ihre Ausführungen eingehen. Ich gehe davon aus, es war ein sprachlicher Schnitzer: Der Minister darf an jeder Plenarsitzung teilnehmen; er konnte bisher nicht teilnehmen. Herr Dr. Wörner hat mich das in einem Gespräch wissen lassen, und er hat sein Bedauern darüber ausgedrückt. Ich habe großes Veständnis dafür, daß er einer Verpflichtung einem ausländischen Kollegen gegenüber, nämlich dem Verteidigungsminister der Niederlande, wenn ich richtig informiert bin, nachkommen mußte.
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- Ja, ich weiß. Das habe ich inzwischen gesehen. Aber bei Beginn der Verhandlung war Herr Dr. Wörner nicht da. - Ich werde noch Gelegenheit genug haben und werde auch die Gelegenheit wahrnehmen, mit dem Verteidigungsminister, der Ihnen verantwortlich ist, Dinge zu besprechen, die ich für notwendig halte. Jetzt ist er ja da, und nun zur Sache selbst:
Den Damen und Herren Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen - ausgenommen eine Fraktion dieses Hauses, die bei meiner Wahl zum Wehrbeauftragten noch nicht in diesem Haus war, für die ich mich aber genauso zuständig fühle wie für die anderen Fraktionen, deren Sprecher hier als Be1734
Wehrbeauftragter Berkhan
richterstatter und auch in der Diskussion das Wort genommen haben, möchte ich hier ganz besonders danken. Sie haben Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Grundwehrdienst, Arbeitsplatz bzw. zivilberuflicher Ausbildung gemacht. Sie haben das als besonders wichtiges, als besonders problembeladenes Thema herausgestellt.
Wenn ich heute dieses Thema wieder an den Anfang meiner Ausführungen setze, so geschieht dies, weil mich niemals zuvor während meiner Amtszeit als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages derartig viele und bedrückende Eingaben junger Männer zu diesem Problemkreis erreicht haben. Ausgelöst oder doch zumindest stark beeinflußt durch die anhaltend hohe Jugendarbeitslosigkeit sieht ein Großteil der Wehrpflichtigen im Grundwehrdienst ein über diese Zeit hinaus andauerndes und kaum zu überwindendes Hindernis für ihre zivilberufliche Entwicklung oder Weiterentwicklung.
Wurde bisher die Ableistung des Wehrdienstes meist als Sonderopfer angesehen, durch das man gegenüber denen aus dem Bekanntenkreis, die nicht zum Wehrdienst herangezogen worden waren, berufliche Nachteile hinnehmen mußte, so befürchten heute viele Wehrpflichtige, durch die Erfüllung dieser staatsbürgerlichen Pflichten vollends ins berufliche Abseits gedrängt zu werden. Was ich hier über Wehrpflichtige sage, gilt natürlich auch für die Zivildienstleistenden.
In früheren Jahren bin ich von Wehrpflichtigen häufig gebeten worden, ihnen bei der Zurückstellung oder bei der Befreiung vom Wehrdienst behilflich zu sein. Im Jahre 1982 habe ich dagegen zum erstenmal erlebt, daß eine nicht unbedeutende Zahl junger Männer mich um Unterstützung gebeten hat, den Grundwehrdienst ableisten zu dürfen, und zwar so schnell wie möglich. Hierbei ist mir besonders die Situation arbeitsloser junger Grundwehrdienstleistender nahegegangen. Sie haben darüber geklagt, daß der „Bund" ihre Situation erschwere, statt sie zu erleichtern. Kein Arbeitgeber sei bereit, sie in ein Ausbildungs- oder ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen, solange sie nicht den Grundwehrdienst abgeleistet hätten. Ihre Bemühungen bei den zuständigen Kreiswehrersatzämtern um baldige Einberufung zum Grundwehrdienst waren bis dahin erfolglos geblieben. In einer Zeit hoher Jugendarbeitslosigkeit verkehrt sich so das Arbeitsplatzschutzgesetz unter Umständen in sein Gegenteil. Und wenn die Sache nicht so ernst wäre, wäre ich versucht, bei diesen Fällen von einem „Arbeitsplatzverhinderungsgesetz" zu sprechen.
Der Bundesminister der Verteidigung hat inzwischen dankenswerterweise die Kreiswehrersatzämter angewiesen, arbeitslose Jugendliche vorrangig einzuberufen. Dieses Vorhaben sollte durch das Parlament nachhaltig unterstützt werden. Mit Blick auf die Zukunft erscheint es mir dennoch als unerträglich, daß junge Menschen um die Ableistung einer häufig als Belastung und als unangenehme Unterbrechung des Lebens empfundene staatsbürgerliche Pflicht nachsuchen müssen.
Durch den Grundwehrdienst in ihrer beruflichen Entwicklung weit zurückgeworfen fühlten sich im
Jahre 1982 auch rund 11 300 Abiturienten, die nicht rechtzeitig, das heißt für Abiturienten zum 1. Juli des Jahres 1982, einberufen werden konnten. Diese verlieren nun - einschließlich Grundwehrdienst - zwischen 21 bis 27 Monaten gegenüber ihren Jahrgangskameraden, die keinen Wehrdienst zu leisten brauchen oder keinen andersartigen Dienst abgeleistet haben.
Ungeachtet der inzwischen vom Bundesminister der Verteidigung eingeleiteten problemmildernden Maßnahmen wird bei der Anzahl der 1983 für die Einberufung zum Grundwehrdienst zur Verfügung stehenden Abiturienten dieses Problem eine deutliche Verschärfung erfahren. Auf Grund der starken Geburtsjahrgänge wird eine große Zahl von Abiturienten mit der Einberufung zum Grundwehrdienst in diesem Jahr nicht mehr rechnen können.
Welche Probleme sich hier vor einem jungen Menschen auftürmen, mag Ihnen die Eingabe eines Abiturienten, stellvertretend für viele andere, verdeutlichen, die mich erst vor wenigen Tagen erreicht hat. Dieser junge Mann schreibt in seiner Eingabe, er habe zunächst damit gerechnet, im Juli dieses Jahres zur Ableistung des Grundwehrdienstes herangezogen zu werden. Als er zum Juli-Termin keinen Einberufungsbescheid erhalten hatte, hat er sich schriftlich beim zuständigen Kreiswehrersatzamt danach erkundigt, wann er mit seiner Einberufung rechnen könne. Dieses hat ihm mitgeteilt, daß seine Einberufung aus Bedarfsgründen erst zum 3. Oktober 1983 durchgeführt werden könne. Ergänzend hat das Kreiswehrersatzamt darauf hingewiesen, daß er, sofern er während der Wehrdienstzeit die Zulassung zum Studium oder zu einer andersgearteten Ausbildung erhalte, bei der Truppe dann einen Antrag auf vorzeitige Entlassung einreichen könne. Es könne zwar keine Zusicherung gegeben werden, daß er dann auch tatsächlich vorzeitig entlassen werde, weil über einen derartigen Antrag die Truppe zu entscheiden habe. - Für die Damen und Herren, die das nicht wissen, sei gesagt: Entlassungsdienststelle ist in der Regel die Division. - Das Kreiswehrersatzamt werde aber seinen Antrag befürworten, wenn das Verbleiben im Wehrdienst für ihn eine besondere Härte darstellen würde.
Auf diese Information hin hat der Abiturient dann seine weitere Planung im persönlichen und familiären Bereich abgestellt. Da er bis Ende August keinen Einberufungsbescheid erhalten hatte, hat er sich erneut an das Kreiswehrersatzamt gewandt. Dort habe man ihm unvermittelt erklärt, seine Einberufung zum 3. Oktober sei nun fast ausgeschlossen. Man könne die Zusage nicht einhalten. Er werde nun voraussichtlich zum 2. Januar 1984 eingezogen. Hierüber war der Petent - ich hoffe, Sie werden das verstehen - tief enttäuscht. Empört ist er besonders darüber, wie man mit einem Wehrpflichtigen, wie er mir schreibt, umspringt, daß man eine gegebene Zusage nicht einhält. Es sei ihm nun nicht mehr möglich, sich an einer Universität einzuschreiben, da die Bewerbungsfristen bereits abgelaufen seien. Für seine Familie würden sich hieraus unvorhergesehene finanzielle Belastungen ergeben. Zur Entlastung könne er selbst nicht beitragen, da
Wehrbeauftragter Berkhan
er wegen der bevorstehenden Einberufung kaum mit einer zeitlich begrenzten Beschäftigung rechnen könne.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich kann hier und heute nicht sagen, ob meine Bemühungen, dem Petenten doch noch zu einer Einberufung zum 3. Oktober zu verhelfen, Erfolg haben werden. Ich werde jedoch nichts unversucht lassen, auf Abhilfe zu drängen.
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Daß aber ein solches Verfahren, ein solches Umspringen mit jungen Menschen Auswirkungen auf ihre Motivation hat, daß ein solches Verfahren die Wehrungerechtigkeit erhöht, bedarf vor diesem Forum sicher keiner besonderen Ausführungen und Erläuterungen.
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In meinem Jahresbericht habe ich in diesem Zusammenhang auch auf die Situation derjenigen Soldaten aufmerksam gemacht, die auf Grund ärztlicher Einstellungsuntersuchungen vorzeitig aus dem Grundwehrdienst entlassen werden. Aus dem Berufs- und Erwerbsleben sind sie vielfach herausgerissen. Nach wenigen Wochen ihrer Zugehörigkeit zur Bundeswehr müssen diese jungen Menschen nun häufig feststellen, daß ihr bisheriger Arbeitsplatz besetzt ist. In Einzelfällen ist er überhaupt nicht mehr vorhanden, ist er wegrationalisiert worden. Diejenigen jungen Männer, die vor ihrer Einberufung arbeitslos waren, sind besonders hart betroffen, da für sie die Bestimmungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes keine Anwendung finden. Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind wegen der drohenden Wiedereinberufung, sofern sich ihre Gesundheitslage zum Guten verändert hat, nahezu aussichtslos. Alle diese jungen Männer stehen draußen auf der Straße.
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Auch hier gilt wieder, daß kaum ein Arbeitgeber heute einen umgedienten Wehrpflichtigen einstellt, und zwar wegen des Risikos, in Kürze den Arbeitsplatz für die Dauer des Wehrdienstes dann nicht mehr besetzen zu können. Ich bin der Auffassung, daß in diesen Fällen durch Änderung der Tauglichkeitsrichtlinien wirksame Abhilfe geschaffen werden kann.
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Mit etwas mehr Flexibilität könnte indes auch heute schon in einer nicht unerheblichen Zahl menschlich nahegehender Härtefälle abgeholfen werden.
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Es sind aber nicht nur junge Arbeitslose, die sich durch die Ableistung des Grundwehrdienstes ins berufliche Abseits gestellt sehen. Auch andere Personengruppen machen schwerwiegende berufliche Nachteile geltend. Ich denke hier z. B. an die gedienten Lehramtsanwärter, die sich darüber beklagen, nach Beendigung des Grundwehrdienstes erheblich schlechtere Einstellungsbedingungen vorzufinden, als sie in der Zeit gegeben waren, in der sie ihre Examina ablegten.
Ich denke des weiteren an diejenigen Soldaten, die durch den Grundwehrdienst daran gehindert werden, in Industrie und Handel, aber auch bei öffentlichen Arbeitgebern ohne zusätzlichen Zeitverlust einen Ausbildungsplatz zu bekommen, weil der Beginn dieser Ausbildung auf einen ganz bestimmten Termin im Jahr festgesetzt ist. So ist es mir unverständlich, daß sogar mehrere oberste Bundesbehörden Bewerber für den gehobenen Dienst nur zum 1. Oktober einstellen. Jeder von Ihnen, der sich damit befaßt, weiß: das ist die Zeit der großen Manöver. Dann ist es besonders schwer, als Soldat vom Dienst freigestellt zu werden. Dann werden die Soldaten in ihren Einheiten gebraucht.
Und wenn ich hier an alle Arbeitgeber appelliere, Wehrpflichtige unmittelbar nach Beendigung ihres Grundwehrdienstes als Auszubildende oder Arbeitskräfte einzustellen und sie möglicherweise in bereits begonnene Ausbildungsprozesse einzugliedern und ihnen dabei behilflich zu sein, die Ausbildungsabschnitte, die sie versäumt haben, nachzuholen, so sehe ich eine ganz besondere Verpflichtung der öffentlichen Arbeitgeber, hier mit gutem Beispiel voranzugehen.
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Nach meiner Ansicht müßte bei öffentlichen Arbeitgebern die Berücksichtigung des Wehrdienstes ohnehin etwas Selbstverständliches sein.
Aber nicht nur Grundwehrdienstleistende, sondern auch ausscheidende Zeitsoldaten sehen sich vor wachsende Schwierigkeiten bei der Eingliederung ins zivile Erwerbsleben gestellt. In einer Studie des Deutschen Bundeswehrverbandes wird behauptet, daß die Arbeitslosigkeit bei ehemaligen Zeitsoldaten sogar über dem Bundesdurchschnitt liege. Ich habe dies nicht nachprüfen können, da mir kein entsprechendes Zahlenmaterial zur Verfügung steht. Ich gehe aber davon aus, daß der Bundesminister der Verteidigung hierzu in Kürze in der Öffentlichkeit Stellung nehmen wird.
Unabhängig hiervon mußte ich jedoch feststellen, daß die soziale Sicherung ehemaliger Zeitsoldaten - dankenswerterweise sind einige Vorredner schon auf dieses Problem eingegangen - im Fall ihrer Arbeitslosigkeit in Teilbereichen Verschlechterungen erfahren hat. So haben ehemalige Soldaten auf Zeit, die an Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation teilgenommen haben, bis zum Inkrafttreten des Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetzes - was ist das für ein Ungetüm, dieses Wort -, das seit dem 1. Januar 1982 gilt, neben der Finanzierung der Rehabilitierung auch Übergangsgeld zum Lebensunterhalt erhalten. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes wurde dieser Anspruch entsprechend dem Versicherungsprinzip von vorherigen Beitragsleistungen abhängig gemacht. Da Soldaten auf Zeit nicht zur Solidargemeinschaft der Beitragszahler gehören, erfüllen sie diese Voraus1736
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setzung nicht. Folgerichtig können sie auch kein Geld erhalten.
Ich habe keine konkreten Vorschläge, wie den ehemaligen Zeitsoldaten in dieser Situation geholfen werden kann. Um das Konzept des Zeitsoldaten in der bewährten Weise erhalten zu können, ist es nach meiner Auffassung jedoch dringend geboten, die soziale Sicherheit unserer ausscheidenden Soldaten auf Zeit bei der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nicht zu gefährden. Der Bundesminister der Verteidigung ist gut beraten, wenn er diesen Aspekt nicht aus dem Auge verliert. Ich habe deshalb vorsorglich in meinem Jahresbericht bei der Darstellung der Offiziersausbildung auch darauf hingewiesen, daß die zivilberufliche Eingliederung der Offiziere auf Zeit, die an Bundeswehrhochschulen ein Diplom erworben haben, bei der derzeitigen Wirtschaftslage auf Schwierigkeiten stoßen kann.
In der Zwischenzeit sind mir die Schwierigkeiten, die auf diese Gruppe von Offizieren zukommen, in ihrem ganzen Ausmaß durch die an mich gerichtete Bewerbung eines dieser Soldaten deutlich geworden. Vor wenigen Wochen habe ich die Bewerbung eines Hauptmanns und Diplompädagogen um einen Dienstposten in meinem Amt mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Ich habe stets Wert darauf gelegt, daß mir Mitarbeiter zur Seite stehen, die über großen Sachverstand und breitgefächerte Erfahrung bei der Beurteilung von Problemen des Truppenalltags und der Inneren Führung verfügen. Ich habe daher von meinen Mitarbeitern prüfen lassen, für welche Dienstposten der Bewerber gegebenenfalls in Frage kommen könnte. Dabei mußte ich dann erfahren, daß der Abschluß mit einem Diplom einer Bundeswehrhochschule - hier also Diplompädagoge - den Offizier nicht ohne weiteres wie andere Diplome von wissenschaftlichen Hochschulen für den höheren Dienst qualifiziere.
Aber auch für die Laufbahn des gehobenen Dienstes ergaben sich laufbahnrechtliche Schwierigkeiten, so daß der Bewerber allenfalls als Angestellter mit dem Ziel der Übernahme in das Beamtenverhältnis eingestellt werden könnte. Eine Übernahme in das Beamtenverhältnis wäre jedoch auch dann nur möglich, wenn der Bundespersonalausschuß hierzu seine Zustimmung erteilen würde. Eine Wahrung des Besitzstandes, d. h. Einstieg in die bisher schon erreichte Besoldungsgruppe A 11 - Amtmann -, wäre dabei ohnehin nicht gewährleistet.
Der Bundesminister der Verteidigung, den ich daraufhin gebeten habe, mir seine Erfahrungen bei der beruflichen Verwendung von Diplompädagogen mitzuteilen, hat mich wissen lassen, daß im wissenschaftlichen Dienst an Hochschulen, Fachhochschulen und sonstigen Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen der Bundeswehr nur ein einziger Diplompädagoge im höheren Dienst beschäftigt würde. Im gehobenen Dienst würden überhaupt keine Diplompädagogen gebraucht.
1984 werden aber ca. 400 Offizieren mit unterschiedlichen Diplomen aus der Bundeswehr ausscheiden, 1985 etwa 520 und 1986 ca. 700. Wir können nicht zuwarten, bis die ersten dieser ausscheidenden Zeitsoldaten, die überwiegend verheiratet sind und Frau und Kinder ernähren müssen, längere Zeit arbeitslos sind. Ich appelliere daher an Sie, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, Ihren Einfluß geltend zu machen, daß diesen Familienvätern ein berufliches Betätigungsfeld offensteht.
Für den öffentlichen Dienst sollte der Innenminister die Laufbahnrichtlinien so gestalten, daß Offiziere, die jahrelang einen beamtenähnlichen Status innehatten, unter Wahrung ihres bisherigen Besitzstandes in den öffentlichen Dienst eingegliedert werden können, ohne daß sie vorher - sozusagen als Bittsteller - vor dem Bundespersonalausschuß eine Ausnahmegenehmigung erwirken müssen.
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In meinem Jahresbericht habe ich dem Vertrauen in ein sachgerechtes Führungsverhalten ein eigenes Kapitel gewidmet. Ich halte es für ein selbstverständliches Gebot der Inneren Führung, daß sich jeder Vorgesetzte jeden Tag aufs Neue bemüht, das Vertrauen der ihm anvertrauten Untergebenen zu gewinnen. Daß dieses Erfordernis nicht immer in ausreichendem Maße erfüllt wird, daß zu einem Teil sogar leichtfertig Vertrauen verspielt wird, mußte ich mehrfach erleben. Dabei will ich mich nicht bei den Fällen offensichtlichen Vertrauenmißbrauches aufhalten, z. B. wenn Vorgesetzte während der Dienststunden - Frau Krone-Appuhn ist dankenswerterweise darauf eingegangen - Versicherungsvertretern Gelegenheit gegeben haben, Grundwehrdienstleistenden Verträge oder ähnliches aufzuschwatzen, die für diese ohne Nutzen sind.
Problematischer aus der Sicht der Inneren Führung und auch häufiger waren die Fälle, in denen Vorgesetzte in vermeintlich guter Absicht und zumeist ohne jedes Unrechtsbewußtsein mit Befehlen den Soldaten finanzielle Aufwendungen abverlangten, die durch nichts gerechtfertigt sind.
So ist es unzulässig, einem Grundwehrdienstleistenden zu befehlen, ein sogenanntes Pionierpäckchen, bestehend aus Nägeln, Bindfaden, Bleistift und was es dergleichen mehr an schönen Dingen gibt, die uns ja sehr häufig fehlen, wenn wir in schwierige Situationen kommen, beim Heimbetriebsleiter, also in der Kantine zu kaufen. Auch wenn der Vorgesetzte das Pionierpäckchen bei Übungen für unentbehrlich hält, kann er dennoch einen solchen Befehl nicht geben.
Einem Wehrpflichtigen darf auch nicht befohlen werden, Kleiderbügel oder Spindschlösser auf seine Kosten zu beschaffen, denn diese Dinge müssen vom Dienstherren bereitgestellt werden.
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Unzulässig ist es auch, Soldaten aufzufordern, Reinigungsmittel für die Sauberhaltung ihrer Unterkunft käuflich zu erwerben, auch wenn derartige Reinigungs- und Pflegemittel - keine Angst, ich werde keine Marke nennen - angeblich die Unterkunft in noch strahlenderen Glanz versetzen als die
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von der Verwaltung zur Verfügung gestellten Hilfsmittel.
Manches geschieht hier sicherlich im Übereifer, vieles auch in Unkenntnis der einschlägigen Befehle und G 1-Hinweise. Auch wenn das Motiv für den Befehl noch so edel sein mag, wie z. B. die Unterstützung von Sammlungen für gemeinnützige Zwecke oder Blutspendeaktionen, bei Befehlen muß der dienstliche Bezug immer gegeben sein. Allen Vorgesetzten muß wieder und wieder klar vor Augen geführt werden, daß sie ihre Vorgesetztenstellung und das Vertrauen ihrer Untergebenen mißbrauchen, wenn sie mit Druck und Befehl in den persönlichen Bereich der ihnen anvertrauten Soldaten eingreifen. Der Freiwilligkeit sind allerdings keine Grenzen gesetzt.
Vom Bundesminister der Verteidigung und der Truppe wird mir wiederholt entgegengehalten, daß es sich bei den von mir im Jahresbericht erwähnten Fällen der Rechtsverletzung durch Wort und Tat um bedauerliche Einzelfälle handle, die keineswegs symptomatisch für das innere Gefüge der Truppe seien. Der Rückgang des Umfangs der Besonderen Vorkommnisse und der ausgesprochenen Disziplinarmaßnahmen ließen erkennen, daß die innere Ordnung intakt sei.
Herr Ronneburger hat auf den Rückgang der Eingaben im Jahre 1982 hingewiesen. Herr Ronneburger, ich darf Ihnen sagen: das war 1981 anders. Damals spielte die dienstliche Belastung eine besondere Rolle, und viele Soldaten haben aus diesem Grunde an mich geschrieben. Aber es war auch das Jahr der Heeresstruktur IV, und hier traten besondere Belastungen für die Soldaten ein. Es war also ein besonderes Jahr. So kann ich Ihnen das unterschiedliche Aufkommen von Eingaben ein bißchen erklären.
Hier führt der Verteidigungsminister den Rückgang der Besonderen Vorkommnisse an. Ich stelle hierzu folgendes fest: Die von mir aufgezeigten Mißgriffe stellen keine abschließende Aufzählung der mir bekanntgewordenen Vorfälle dar.
Sodann meine ich, daß die gemeldeten Besonderen Vorkommnisse und die ausgesprochenen Disziplinarmaßnahmen sich nicht als alleinige Gradmesser für die innere Ordnung in den Streitkräften eignen. Bei Gesprächen mit Soldaten und durch Eingaben wird immer wieder bestätigt, daß Vorgesetzte vielfach den formalen Weg der Disziplinarmaßnahme wegen des damit verbundenen Arbeitsaufwandes scheuen und dafür häufiger auf erzieherische Maßnahmen ausweichen. Wer sich also nur auf Statistiken verläßt, Herr Ronneburger, ist nicht immer gut beraten. Dennoch haben sie j a ihren Wert. Aber Sie wissen, mit der Statistik kann man alles beweisen. Ich will Sie nicht langweilen. Sie kennen ja die berühmten Witze über die Statistik.
Auch eine unerwünschte Anpassungsbereitschaft vor allem junger Soldaten, die befürchten am „geheiligten Wochenende", also ab Freitagnachmittag, Dienst leisten zu müssen oder ihren Antrag auf vorzeitige Entlassung gefährdet sehen oder aber befürchten, ein weniger gutes Dienstleistungszeugnis
zu bekommen, führt dazu, daß Rechtsschutzmöglichkeiten nicht wahrgenommen werden und Dienstpflichtverletzungen unentdeckt bleiben. Dies muß ich auch aus zahlreichen Erfahrungsberichten von Soldaten entnehmen, die mich gelegentlich am Ende ihrer Dienstzeit in durchaus sachlichen und ernst zu nehmenden Darstellungen über ihre Erfahrungen in der Bundeswehr informieren.
Führungs- und Fürsorgeverhalten von Vorgesetzten, Kameradschaft und gegenseitiges Vertrauen von Vorgesetzten und Untergebenen lassen sich eben nicht einfach sozusagen mit der Meßlatte an Hand von Statistiken ablesen. Ob diese für das Funktionieren der Streitkräfte in unserem demokratischen Land so wichtigen Kernbereiche unbelastet sind, muß immer wieder erneut auf vielfache Weise ausgelotet werden. Meine Ausführungen im Jahresbericht zu diesem Thema sollten hier Fingerzeige sein und sollten Denkanstöße vermitteln, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Aus zeitlichen Gründen kann ich heute von dieser Stelle aus nur einige Problemfelder aus meinem Jahresbericht ansprechen. Wenn ich auf wichtige Fragen, die insbesondere unsere Berufssoldaten bewegen, wie Beförderungs- und Verwendungsstau, Versetzungshäufigkeiten und dergleichen mehr, nicht noch einmal eingegangen bin, so nicht deshalb, weil ich deren Sorgen und Nöte als weniger schwerwiegend ansehe. Ich gehe davon aus, daß meine Ausführungen im Jahresbericht zu diesen Problembereichen in gleicher Weise beachtet werden.
Mir ist gesagt worden, ich würde mich vielleicht in meinem Bericht zu sehr Fürsorgefragen zuwenden. Ich denke dabei an einen jungen Gefreiten einer verbündeten Streitmacht, der mir sagte: Nur ein sozial zufriedengestellter Soldat, der in sich ruht, wird ein guter Soldat sein. Das, meine ich, gilt auch für die Bundeswehr. Die sozialen Fragen sind Kernbereich der Inneren Führung. Natürlich gibt es auch andere Kernbereiche.
Wir sehen den Aufträgen entgegen, Herr Ronneburger, sofern sie uns gegeben werden. Ich muß aber auch sagen, daß meine Mitarbeiter und - ich darf in aller Bescheidenheit auch sagen - ich dann an der Grenze der Leistungsfähigkeit angekommen sind und wir in anderen Fällen Abstriche machen müssen. Auch für uns gibt es Grenzen.
Zum Abschluß meiner Ausführungen möchte ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, dafür danken, daß Sie durch die Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes im vergangenen Jahr meine Zuordnung zum Bundestag eindeutig festgelegt und meine Befugnisse im notwendigen Umfang erweitert haben. Ich werde über meine Erfahrungen mit der Neufassung des Gesetzes dem Verteidigungsausschuß zu geeigneter Zeit gesondert berichten.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch allen danken, die meine Arbeit weiter gefördert haben, sei es durch Reden oder Schweigen. Lassen Sie mich denen danken, die im Verteidigungsausschuß meine Arbeit besonders gefördert
Wehrbeauftragter Berkhan
haben. Mein Dank gilt auch den Mitgliedern des Petitionsausschusses, der Vorsitzenden Frau Berger und den Mitarbeitern dieses Ausschusses für die konstruktive und der Sache dienlichen Zusammenarbeit.
Schließlich und endlich, Herr Minister Dr. Wörner, danke ich Ihnen und Ihren Männern, nicht so sehr, weil sie mir bei meiner Arbeit geholfen haben - das ist ihre Pflicht, ihre gesetzlich vorgeschriebene Pflicht; so steht es in meinem Gesetz -, sondern weil sie mir mit der gebührenden Zurückhaltung begegnet sind und weil sie dort, wo es notwendig ist, geredet haben, sicher nicht immer häufig und deutlich genug.
Nicht immer, aber noch oft genug - treffe ich Vorgesetzte, die meinen: Soldaten haben zwar eine Wehrdisziplinar- und -beschwerdeordnung, sie haben zwar das Recht der Eingabe an den Wehrbeauftragten; aber ein guter Soldat beschwert sich nicht; er wendet sich erst recht nicht an eine zivile Instanz. - Wie haben einige Soldaten mich genannt: Ach, da kommt der Zivilunke.
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Man duldet still; denn es geht ja alles vorüber.
Ich aber meine: Dieses Haus, die Vorgänger auf diesen Bänken, haben es ernst gemeint mit dem Staatsbürger in Uniform, haben es ernst gemeint mit dem Soldaten, der Bürger bleibt und Rechte - natürlich auch Pflichten - hat; er soll sie nur kräftig wahrnehmen.
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Meine Damen und Herren, es sprach der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Ich glaube, ich darf mich zu unser aller Sprecher machen, wenn ich Herrn Berkhan den Dank des Hauses ausspreche.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 10/136 unter den Nummern 1 bis 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Sie ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen, meine Herren, ich rufe nunmehr den zurückgestellten Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Vierten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts ({1})
- Drucksache 10/317 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({2}) Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Regierungsentwurf eines Bilanzrichtlinie-Gesetzes, der heute in erster Lesung behandelt wird, beruht auf einer Richtlinie des Rats der Europäischen Gemeinschaften, die der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit im Gemeinsamen Markt dient. Das Gesetzgebungsverfahren fördert also ganz unmittelbar die europäische Integration, die in der feierlichen Deklaration der Stuttgarter Gipfelkonferenz erneut als Ziel europäischer Politik bekräftigt worden ist und der die Politik der Bundesregierung in besonderer Weise verpflichtet ist.
Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf unterscheidet sich von dem früheren Entwurf vor allem dadurch, daß er die Gleichstellung der Kapitalgesellschaft & Co, im wesentlichen also der GmbH & Co, mit der GmbH nicht mehr vorsieht. Ich bin ganz sicher, daß diese Ausgestaltung bei der Opposition auf besondere Kritik stoßen wird, weil es doch seinerzeit die Opposition war, die die Einbeziehung der GmbH & Co in den früheren Regierungsentwurf durchgesetzt hat.
Ich darf daran erinnern, daß damals die FDP-Minister im Kabinett überstimmt worden sind. Sie werden verstehen, daß ich als liberaler Minister dieser Bundesregierung das jetzt gewonnene Ergebnis deshalb mit besonderer Befriedigung vermerke. Dabei bestreite ich gar nicht, daß es natürlich durchaus auch Sachgründe gibt, die für eine Einbeziehung der GmbH & Co sprechen. Wir wollen es aber nicht verantworten, in einer Zeit, in der sich insbesondere die mittelständische Wirtschaft wie kaum je zuvor im täglichen Überlebenskampf gegen eine ständig noch zunehmende Konkurrenz und Kostendruck behaupten muß, auch solche Unternehmen mit einem sonst unvermeidlichen zusätzlichen Kosten- und Verwaltungsaufwand zu belasten, für die die Richtlinie das nicht ausdrücklich vorschreibt.
Es gehört zu den Grundelementen der Neubesinnung der Politik dieser Bundesregierung, daß sie sich nicht von dogmatischen Erwägungen leiten läßt und für die oft um das Überleben ringenden Unternehmen gerade auch der mittelständischen Wirtschaft Freiräume zu erhalten und noch zusätzlich zu schaffen sucht, soweit das überhaupt möglich ist. Der Gesetzentwurf schlägt daher vor, die von der Richtlinie zugelassenen Wahlmöglichkeiten und Erleichterungen insbesondere zugunsten kleiner GmbH fast vollständig auszuschöpfen.
Ich darf daran erinnern, daß kein anderer Mitgliedstaat der EG bisher die nach der Richtlinie möglichen Erleichterungen so großzügig und vollständig weitergegeben hat, wie das der neue Regierungsentwurf vorsieht.
Nach dem Entwurf sollen die Regelungen der Vierten Richtlinie im wesentlichen in das HandelsBundesminister Engelhard
gesetzbuch übernommen werden. Bei jeder anderen Konzeption müßte in Kauf genommen werden, daß der gerade für die Wirtschaft so wichtige Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die steuerliche Gewinnermittlung und die Steuerneutralität der Umsetzung der Vierten Richtlinie in das deutsche Recht nicht in gleicher Weise gewährleistet werden könnten.
Wegen der Einführung der Pflichtprüfung für große und mittelgroße GmbHs enthält der Regierungsentwurf notgedrungen auch einen berufsrechtlichen Teil, der ausschließlich - aber um so heftiger - von den Berufsverbänden der Steuerberater abgelehnt wird. Das Problem besteht hier darin, daß zur Pflichtprüfung der Jahresabschlüsse von künftig prüfungspflichtig werdenden Gesellschaften ebenso wie nach geltendem Recht für die Abschlüsse von Aktiengesellschaften ausschließlich Wirtschaftsprüfer befugt sein sollen. Einer der Gründe dafür ist, daß die Pflichtprüfung als eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung auch wegen der damit für die betroffenen Unternehmen verbundenen Kosten ihren Zweck nur erfüllt und nur erfüllen kann, wenn sie von Prüfern mit einer speziellen Ausbildung durchgeführt wird.
Nun hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf einen abweichenden Vorschlag gemacht. Der wesentliche Unterschied zum Regierungsentwurf besteht darin, daß nach dem Vorschlag des Bundesrates unabhängig von einem Besitzstand allen Steuerberatern die Möglichkeit eingeräumt werden soll, nach Ablegung einer zusätzlichen Prüfung das Prüfungsrecht für neu prüfungspflichtig werdende GmbHs als Steuerberater zu erwerben.
Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung zugesagt, im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob und gegebenenfalls auf welche Weise den Interessen der beteiligten Berufskreise noch besser entsprochen werden kann. Um dieser Prüfung nicht vorzugreifen, möchte ich diese Frage hier nicht weiter vertiefen. Ich möchte aber ausdrücklich hervorheben: die Bundesregierung wird alles tun, um zu vermeiden, daß einem von der Neuregelung betroffenen Steuerberater unzumutbare Nachteile entstehen.
Abschließend darf ich Sie sehr herzlich bitten, die Beratungen über diesen Gesetzentwurf möglichst zügig aufzunehmen und fortzuführen, weil die Frist für die Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht bereits abgelaufen ist.
Am Schluß erlauben Sie mir des guten Stils halber noch eine höchst persönliche Bemerkung. Da der Tagesordnungspunkt bereits vor der Mittagspause verhandelt werden sollte, war es unproblematisch, daß ich heute abend noch auswärts einen wichtigen Termin wahrzunehmen habe. Durch die zeitliche Verschiebung sind beträchtliche Schwierigkeiten eingetreten. Ich habe eine letzte Flugmöglichkeit in einer halben Stunde.
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Das bedingt, daß ich den weiteren Beratungen hier nur zu einem sehr geringen zeitlichen Teil noch beiwohnen kann. Ich wollte dies ausdrücklich sagen und um Ihr Verständnis bitten.
Danke schön.
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Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Helmrich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Umsetzung der vierten gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie vorgelegt und der Bundesrat dazu Stellung genommen hat, beginnt jetzt der Deutsche Bundestag als der dritte daran Beteiligte mit der ersten Lesung seine Arbeit. Was wir hier tun, geschieht in Ausführung eines bescheidenen Halbsatzes in Art. 54 des EWGVertrages von 1958. Dieser Halbsatz ist 1968 für Kapitalgesellschaften in einer ersten Richtlinie konkretisiert worden. Aus dieser ersten Richtlinie sind inzwischen acht weitere Richtlinien entwickelt worden, und in deren Folge müssen wir bei uns als nationaler Gesetzgeber Hunderte von deutschen Rechtsvorschriften ändern oder neu einführen.
So zeigt dieses Beispiel stellvertretend für viele andere Rechtsgebiete, wie sich die europäische Koordinierungsgesetzgebung zu einem artesischen Brunnen entwickelt hat, in den in Brüssel die oft unnötig aufgeblähten Richtlinien mit hohem Druck hineingepumpt werden, die dann als unübersehbare Paragraphenfülle auf unseren Tisch, auf den Tisch des nationalen Gesetzgebers sprudeln: zu viele Paragraphen, wie ich meine. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Auftrag des Art. 54, nämlich die Schutzbestimmungen für Gesellschafter und Dritte „soweit erforderlich", wie es dort heißt, zu koordinieren und gleichwertig zu gestalten, einfacher, schlichter, weniger perfekt und weniger detailliert hätte ausgeführt werden können. Hier ist über das wirklich erforderliche Maß weit hinausgegangen worden.
Meine Damen und Herren, es ist selbstverständlich: Für die Serie der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien können meine Feststellungen heute hier kaum mehr etwas ändern. Der artesische Brunnen hat schon zuviel herübergesprudelt.
Aber dieses Musterbeispiel für viele andere Gesetzgebungsvorhaben, die aus Brüssel noch zu uns kommen werden, habe ich hier aufgeführt, weil wir uns alle vor Augen halten müssen, daß der Druck, mit dem die Richtlinien zu uns kommen, keine von der Natur vorgegebene Größe ist, sondern er wird von der Kommission und vom Rat ständig neu erzeugt, wobei im Rat unsere nationalen Regierungen sitzen und in der Runde der ständigen Vertreter die Beamten aus unseren Ministerien. Sie, also unsere Regierung und unsere Beamten in den Ministerien, haben die Möglichkeit, den Druck zu mindern und die sprudelnde Fontäne zu zähmen.
Mein Appell richtet sich aber auch an uns, endlich zu Verfahren zu kommen, die es uns erleich1740
tern, schon beim Entstehen von Richtlinien über unsere Regierung in Brüssel Einfluß zu nehmen.
Ich habe diesem Aspekt etwas mehr Raum gewidmet, weil ich davor warnen will, weiter so zu verfahren wie bisher; denn das jetzt schon unüberhörbare Murren über die europäische Gesetzgebungspraxis wird verständlicherweise immer lauter.
Das darf uns natürlich im Moment nicht hindern, die Bilanzrichtlinie in deutsches Recht zu übertragen. Wir werden zu prüfen haben, ob mit dem vorgeschlagenen Gesetzentwurf in allen seinen Teilen der richtige Weg eingeschlagen wurde. Der Bundesrat sagt dazu, man sollte sich auf die Umsetzung der EG-Vorgaben beschränken und zusätzliche Regelungen nur dort vorsehen, wo dies aus sachlichen Gründen zwingend erforderlich ist. Dies ist auch unsere Auffassung. Die Bundesregierung hat geantwortet, alle vorgeschlagenen Regelungen seien zwingend erforderlich. Sie hat sich aber auch bereit erklärt, mit uns nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, um die Umstellungsprobleme so gering wie möglich zu halten.
Dabei geht es zunächst um die Vorschriften, die den Anwendungsbereich zum Teil weit über den Kreis der Kapitalgesellschaften hinaus erstrecken, und zwar auf alle bilanzierenden Kaufleute. Müssen wir den Grundsatz des „true and fair view", den uns die Richtlinie für die Kapitalgesellschaften vorschreibt, in § 247 HGB für alle festschreiben? Andererseits sehen wir, daß wir, wenn wir dies nicht tun, möglicherweise riskieren, daß sich eine unverantwortliche Auseinanderentwicklung von Bilanzierungsgrundsätzen für unterschiedliche Rechtsformen ergeben kann. Aber müssen wir darüber hinaus auch die Definitionen etwa für eine Beteiligung oder für die Begriffe des Anlage- und Umlaufvermögens im Gesetz festschreiben? Müssen wir steuerliche Richtlinien und Vorschriften als handelsrechtliche Vorschriften in dieses Gesetz hineinnehmen?
Meine Damen und Herren, wir sind mit diesen Begriffen auch bisher schon umgegangen, ohne daß sie gesetzlich definiert waren. Schafft jetzt die Vierte Richtlinie für Kapitalgesellschaften eine derartig umfassende neue Situation für alle, daß diese Vorschriften zwingend erforderlich sind?
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Ich muß es hier in der ersten Lesung mit einer Redezeit von zehn Minuten bei diesen wenigen Fragen bewenden lassen. Wir werden gemeinsam mit der Bundesregierung die Fragen prüfen. Wir werden dabei auch behutsam vorgehen. Wir werden selbstverständlich - darauf hat der Herr Minister eben hingewiesen - die Grundsätze der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz nicht antasten, und die Steuerneutralität wird gewahrt bleiben. Aber dazu brauchen wir Zeit. Ich darf daran erinnern, daß Brüssel für diese Richtlinie zehn Jahre gebraucht hat, die Bundesregierung für die Umsetzung drei Jahre, und von uns soll nun niemand erwarten, daß wir in ein, zwei oder drei Monaten, nunmehr nur noch als Abstimmungsmaschinerie fungierend, dieses Gesetz verabschieden können.
Lassen Sie mich zum Schluß noch kurz auf die beiden Punkte eingehen, die am lautesten streitig erörtert werden. Zunächst zur GmbH & Co KG. Ich kann mich hier den Ausführungen des Herrn Ministers anschließen, darf nur noch ergänzend darauf hinweisen, daß diese Richtlinie unsere Wirtschaft heute in weit umfassenderem Maße trifft, als das ursprünglich 1968, bei Abfassung der Ersten Richlinie, zu übersehen war. Damals hatten wir etwa 40 000 Kapitalgesellschaften, die von dieser Richtlinie betroffen waren. Heute sind es allein mehr als 300 000 GmbHs.
Die zweite heftig erörterte Frage lautet: Wer soll die prüfungspflichtig werdenden Gesellschaften prüfen? Die Aufgabe, Pflichtprüfungen durchzuführen, obliegt heute allein den Wirtschaftsprüfern. Daneben führen aber auch die Steuerberater schon seit Jahren freiwillige Prüfungen durch. Der Gesetzentwurf sieht eine sogenannte besitzstandswahrende Lösung mit recht restriktiven Zulassungsvoraussetzungen zu einer erleichterten Wirtschaftsprüferprüfung vor. Als extreme Gegenposition wurde in dieser Diskussion ursprünglich auch gefordert: Zulassung aller Steuerberater zum Wirtschaftsprüferberuf fast ohne Prüfungen. Der Bundesrat versucht mit seinem Vorschlag einen mittleren Weg zu gehen.
Die erste Lesung ist nicht der Ort und nicht der Zeitpunkt, in einer für die Zukunft des Prüferberufes so wichtigen Frage Entscheidungen vorwegzunehmen. Wir sichern aber den Beteiligten zu, daß wir keine Überraschungsentscheidung hinter verschlossenen Türen treffen, sondern mit den Beteiligten in Kontakt bleiben werden. Die Bandbreite bei der Gestaltung der Prüfungszulassungsvoraussetzungen und bei der Gestaltung der Prüfung selbst gibt genügend Spielraum, um für alle eine erträgliche Lösung zu finden. So, wie wir die Steuerberater- und Wirtschaftsprüferfrage beraten, werden wir uns auch bemühen, die anderen Fragen einer akzeptablen Lösung zuzuführen. - Danke sehr.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Umsetzung der Vierten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften in nationales Recht ist auch in unseren Augen ein wichtiges Gesetzgebungswerk zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes, zur Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit und auch zur Ermöglichung eines freien Kapitalverkehrs. Die Umsetzung gehört damit zu einem wichtigen Schritt zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes. Wenn ich hier so sehe, wie den pathetischen Bekenntnissen der Bundesregierung zu Europa die Praxis folgt, dann, so muß ich allerdings sagen, wird die Lücke wieder riesengroß: einerseits große Deklarationen, aber dann, wenn die Wahrheit konkret werden soll, Verzögerungstaktik.
Die Umsetzung dieser Vierten Bilanzrichtlinie ist vom ersten Tag an mit Verzögerungstaktik derselben Kräfte begleitet gewesen, die heute regieren. Die haben es auch zu verantworten, daß wir erheblich in Verzug sind. Bei allem Europabekenntnis müssen wir feststellen, daß wir die Umsetzungsfrist inzwischen um viele Jahre überschritten haben. Statt den Entwurf nach der Bundestagswahl sofort wieder einzubringen, hat man wertvolle Monate vertan - vertan aus unserer Sicht, genutzt aus der Sicht der Verzögerungstaktiker. Die haben nämlich ein großes Loch in diesen Entwurf gebrochen. Während der alte Regierungsentwurf die GmbH & Co KG mit einbezogen hat, spart der neue Regierungsentwurf die GmbH & Co KG aus und reißt damit in dieses Gesetzgebungswerk eine Lücke, die so groß ist wie der Bundesadler hinter uns. Da zieht es gewaltig in der Wirtschaft, wenn dieses Gesetz so verabschiedet werden sollte. Diese Einschränkung gegen den Rat der Fachbeamten, diese Einschränkung gegen verbindliche Zusagen, die in Brüssel gegeben worden sind, stellt einen erheblichen Vertrauensbruch gegenüber Brüssel, gegenüber der Europäischen Kommission und den anderen Mitgliedstaaten dar. Diese Einschränkung verstößt auch gegen den Wortlaut der Richtlinie.
Nun ist es zwar richtig, daß die GmbH & Co KG dort nicht wörtlich zitiert ist, aber in der Präambel steht eindeutig, daß diese Richtlinie für Gesellschaften gilt, die Dritten eine Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen geben, und das ist bei der GmbH & Co KG unbestreitbar der Fall.
Diese Abkehr der neuen Regierung von der Einbeziehung der GmbH & Co KG bricht auch mit der deutschen Tradition. Bei der GmbH-Reform ist man davon ausgegangen, die GmbH & Co KG werde nicht anders als die GmbH behandelt. Als in Brüssel die Frage aufgeworfen worden ist, ob die nur in den Niederlanden und bei uns vorkommende Gesellschaftsform mit in die Richtlinie hinein soll, hat man gesagt: Nein, das braucht man nicht, das wird bei uns automatisch umgesetzt. In der Tat versucht man es jetzt anders, und zwar wider besseres Wissen, auch wider das Wissen der Fachbeamten.
Ich gebe zu, daß sich viele seriöse mittelständische Unternehmen der GmbH & Co KG bedienen. Mindestens die Hälfte der Gesellschaften dieser Form sind aber Unternehmen der Sorte von Erle-mann und Co, Abschreibungsgesellschaften und sonstige zweifelhafte Unternehmen, die sich vorhalten lassen müssen, viele geschädigt zu haben. Akurat diese werden von der Prüfung und von der Publizität ausgenommen. Ich finde, so etwas ist nicht verantwortbar.
Es ist auch gegenüber den seriösen mittelständischen Unternehmen nicht verantwortbar, die sich heute längst der freiwilligen Prüfung unterziehen. Was bedeutet denn diese freiwillige Prüfung? Das ist doch nichts anderes, als daß die Banken, die Kreditgeber, die Prüfergebnisse bekommen - es ist ein Bankenprivileg neuer Sorte -, während sich die anderen, die Lieferanten und andere Gläubiger, nicht orientieren und ihr Risiko nicht abschätzen können. Das ist hier der Tatbestand.
Zum zweiten dürfen wir nicht übersehen, daß daraus für die mittelständischen Unternehmen eine schwere Belastung erwachsen kann. Sie wissen alle, daß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen der Lumpereien, die mit der GmbH & Co KG gemacht worden sind, zu einem Haftungsdurchgriff auf die Gesellschafter persönlich tendiert. Wenn die GmbH & Co KG hier ausgenommen und damit sozusagen in den vielen unseriösen Bereichen geradezu noch gefördert wird, wird die Rechtsprechung nicht umhinkönnen, den Haftungsdurchgriff zu verwirklichen; und dann haben Sie den kleinen und mittleren Unternehmern, die sich heute seriöserweise dieser Gesellschaftsform bedienen, mehr Steine als Brot gegeben.
Wir werden deshalb, meine Damen und Herren, im Rechtsausschuß beantragen, die Vorschriften über die GmbH & Co KG wieder aufzunehmen, und dabei auch darauf hinweisen, daß Umgehungsstrategien und Abwehrstrategien größten Umfangs vorgenommen werden. Es werden heute schon Hunderte von Vorträgen darüber gehalten, wie man durch die Lücke, die die neue Regierung in das Gesetz hineinschlagen will, ausbüchsen kann. Da wird in der neuesten „NJW", Heft 36, ein Seminar des Beck-Verlages mit dem Titel angeboten: „Der Einfluß des Bilanzrichtlinien-Gesetzes auf die Rechtsformwahl - zweckmäßige zivil- und steuerrechtliche Umwandlung in die GmbH & Co KG". In dem Beschrieb werden dann die Rezepte verkündet, wie man heute schon, vor der ersten Lesung dieses Entwurfes, im Grunde die Schlupflöcher vorbereitet und nutzt, damit man dann, wenn das Gesetz in Kraft tritt, aus der Publizität und aus der Prüfungspflicht heraus kann. Das wird durch diese Art der Regierungspolitik gefördert, und das kann nicht gut geheißen werden.
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Die Kommission tut gut daran, sich diese Vorhaben anzusehen. Sie laufen hier in ein Vertragsverletzungsverfahren hinein, und ich weiß aus Gesprächen in Brüssel, daß man dort längst schon darüber redet, ob man diesen Fluchtversuchen mit einer Ergänzungsrichtlinie begegnen soll. Deshalb bitte ich Sie, die Sache noch einmal umfassend zu überlegen. Ich hoffe, daß insbesondere diejenigen Kollegen von der FDP, die den Wirtschaftsminister hier gedrückt haben - nachdem, wie man zwischen den Zeilen hört, der Wirtschaftsminister gar nicht so sehr dagegen sein soll - bereit sind, sich hier zu bewegen.
Ich möchte einen zweiten Punkt kurz ansprechen. Wir kennen die Sorgen vieler kleiner und mittlerer Unternehmen um die Publizitätswirkungen. Wir sind auch bereit, für alle Gesellschaftsformen - nicht nur für eine bestimmte Gesellschaftsform - zu reden, etwa wenn es darum geht, wie die Ausspähung von Betriebsgeheimnissen oder die Aussagung von Einartikelunternehmen durch marktstarke Anbieter verhindert werden kann. Aber das muß dann bitte schön für alle gelten; hier darf nicht eine Gesellschaftsform privilegiert werden. Es müssen diejenigen weiter mit berücksichtigt werden, die sich seriöserweise auch in Zukunft
der Gesellschaftsform der GmbH mit ihren Pflichten bedienen.
Wir werden uns bei unseren Beratungen auch der berufsrechtlichen Thematik ganz intensiv zuwenden. Hier haben sich alle Seiten bedeckt gehalten. Wir wollen eine effektive und eine gute Prüfung. Das spricht alles für den Beruf des Wirtschaftsprüfers, der dafür geschaffen worden ist.
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Wir wissen aber auch, daß viele Steuerberater ihre Sorgen haben, Mandate zu verlieren. Wir werden uns deshalb die Initiative des Bundesrates, die Posser-Initiative, gründlich ansehen. Ich glaube aber nicht, daß man das Problem mit einem zweiten Prüferberuf lösen kann - dies ist meine persönliche Meinung -, sondern ich bin vielmehr der Meinung, wer prüfen will, der soll die Chance haben, sich zum Prüfer zu qualifizieren. Denn wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, daß die Achte Richtlinie, die Abschlußprüferrichtlinie, fast fix und fertig ist; sie kommt im Dezember. Wenn wir hier eine sozusagen zweitbeste Lösung finden, werden wir wieder die nächste Anpassung vornehmen müssen. Hier werden ja EG-einheitliche Kriterien aufgestellt, die uns demnächst - ich glaube, nächste Woche, wie ich gehört habe - im Rechtsausschuß erwarten. Ich denke, wir sollten uns bei der Regelung dieser berufsrechtlichen Fragen an diesen Kriterien orientieren.
Jetzt kommt es in der Tat darauf an, nicht weiter zu mauern, sondern im Interesse der Europäischen Gemeinschaft und im Interesse der europaweiten Betätigung aller unserer Unternehmen vergleichbare Jahresabschlüsse mit vergleichbaren Prüfungsmöglichkeiten und mit vergleichbarer Prüfungsqualität in der Bundesrepublik herbeizuführen. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Es ist mir heute schon einmal aufgefallen, daß die Konzentration rechtspolitischer Themen auf einen Tag natürlich dazu führen muß, daß man für jeden einzelnen Punkt hier im Plenum nur eine kurze Beratungszeit zur Verfügung stellen kann, obwohl eine Fülle wichtiger Dinge zu erörtern wäre, so daß man sich fragen muß, welche Aussagekraft die Debatte eigentlich noch haben soll. Andererseits habe ich volles Verständnis dafür, daß die anderen Kollegen nicht ganztägig und dann noch sehr ausführlich mit Rechtsfragen überschwemmt werden wollen. Deshalb sollte man vielleich doch versuchen, in Zukunft die Dinge hier wieder in zuträglichen Raten anzubringen, damit man sich über das einzelne auch in Ruhe unterhalten kann.
Nun hat Herr Stiegler hier eine Reihe von Vorwürfen gemacht, mit denen ich mich ganz kurz auseinandersetzen möchte. Bevor die Frage der Einbeziehung der GmbH & Co KG in diese Regelung
behandelt werden kann, muß man sich doch einmal fragen: Aus welchem Grunde und zu welchem Zweck brauchen wir die Bestimmungen, die hier vorgeschlagen werden und die uns zu einem erheblichen Teil, aber keineswegs auch nur annähernd in dem Umfang, in dem sie jetzt Gegenstand des Entwurfes sind, von Europa aus vorgeschrieben worden sind? Ich bin der Meinung, die großen Aktiengesellschaften sind in diesem Lande zu einer Art von Publizität - Prüfung, Rechnungslegung - verpflichtet, die beispielhaft ist. Ob das überall so wie bei uns gemacht wird, darüber werden Sie Ihr eigenes Urteil haben. Es ist nämlich nicht so. Und es gehört dazu, daß derjenige, der sich dafür interessiert, diesen Zugang zu den dort entstehenden Daten hat. Wenn aber zur gleichen Zeit, zu der ein verhältnismäßig harmloses Volkszählungsgesetz wegen des Datenschutzes zu tumultartigen Aufregungen in der Bevölkerung führt,
({0})
kleinere Unternehmen - und das sind nun wirklich kleinere Unternehmen -,
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die unter 5 Millionen DM Umsatz operieren,
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verpflichtet werden sollen, all die Dinge offenzulegen, gegen die sich die Masse der Bürger - gerade, Herr Schily, die Masse derjenigen Bürger, die Sie hier in besonderem Maße zu vertreten glauben - wehrt, dann ist das nicht einsehbar.
({3}) - Ich sagte es! ({4})
Wenn sich die übrige Bevölkerung dagegen wehrt, daß irgend jemand auch nur die geringste Frage nach ihrem Einkommen, nach ihren Wohnverhältnissen auch nur im Grobraster stellt, dann verstehe ich nicht so recht, warum man und aus welchem vernünftigem Grunde man hier bis in Größenordnungen kleinerer mittelständischer Unternehmen hinein versuchen will, alles öffentlich zu machen.
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Dagegen gibt es nun einmal eine Reihe von Bedenken, die nicht so sehr unterschiedlich von den berechtigten Bedenken sind, die man auch gegen die Preisgabe persönlicher Daten in dem anderen Bereich haben kann.
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- Ich war nicht gegen die Volkszählung. Wir haben früher ein solches Gesetz gehabt, wir werden in absehbarer Zeit wieder ein solches Gesetz haben; denn die gleichen Leute, die vom Staat immer mehr Leistung und ein möglichst sachgerechtes Wirtschaften verlangen, müssen vielleicht auch ermögliKleinert ({7})
Chen, daß die notwendigsten Entscheidungsgrundlagen dafür geschaffen werden.
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Das geht aber noch nicht so weit, daß ich praktisch der Konkurrenz im einzelnen durch Hinterlegung beim Amtsgericht darlege, was ich tue, was ich erlöse, wie meine Ergebnisse waren, und daß ich dabei gleichzeitig noch - das scheint mir ein ganz wesentlicher Punkt zu ein, der häufig vergessen wird - die Aufforderung zum sorgfältig vorher kalkulierbaren Aufkauf durch einen Konzern zu weiteren Konzentrationsvorgängen beim Amtsgericht geradezu hinterlege.
({9})
Bei den Großen will ich diese Offenlegung, bei den Großen will ich diesen Durchblick, aber bei den Kleineren will ich nicht, daß wir auf der einen Seite kartellrechtliche Bestimmungen schaffen, Vorkehrungen gegen Konzentration zu treffen versuchen, und auf der anderen Seite diese Offenlegungsvorschriften festschreiben.
Gegen die Prüfung habe ich j a viel weniger. Warum soll denn da nicht eine Prüfung stattfinden? Die findet sowieso statt. Das Finanzamt prüft. Der Steuerberater hat vorher die Bilanz aufgestellt. Wenn man das noch etwas mehr vereinheitlicht, dann habe ich nichts dagegen. Und wenn man das noch weitergehend dort vorschreibt, wo es wirklich erforderlich ist, nun gut - wir werden darüber im Ausschuß im einzelnen sprechen -, dann werden wir dagegen auch nichts haben.
Was mich am meisten stört, ist diese Art von Veröffentlichung. Wir sind der Bundesregierung ausdrücklich dankbar. Wir haben ja in dem Fall verhältnismäßig früh gemerkt, was auf uns zukommt. Das kann man nicht von allen europäischen Richtlinien sagen, die im Laufe der Zeit auf uns zugekommen sind. Ich glaube, es ist ungefähr fünf oder sechs Jahre her, daß der Rechtsausschuß einmal um einen Bericht der Bundesregierung darüber gebeten hat, was hier vorgeht, und daß dieser Rechtsausschuß auch die Bundesregierung - ihre Vertreter - damals gebeten hat, dafür zu sorgen, daß die Eingreifkriterien, daß die Grenzen für die Betroffenheit der Unternehmen hier möglichst hoch gesetzt werden. Das ist dann noch in einem gewissen Umfang gelungen. Ich bin aber nicht der Meinung, daß die Grenzen so hoch gekommen sind, daß man es verantworten kann, Zahlen mittelständischer Unternehmer hier in diesem Maße offenzulegen.
Wenn ich heute in einem gewissen Bereich eine Firma gründen möchte, dann weiß ich, was ich neben einigen anderen notwendigen Vorbereitungen als erstes tue: Jeder, der nur im Verdacht steht, ein etwa ähnliches Geschäft zu betreiben, dessen Unterlagen, dessen Abschlüsse und Geschäftsberichte lasse ich mir von den zuständigen Amtsgerichten schicken. Dann habe ich schon einmal einen sehr schönen Anfang für mein Konkurrenzunternehmen; dann brauche ich eine Reihe von Erfahrungen nicht mehr zu sammeln, sondern die kann ich dort dann abschreiben und dort entnehmen. Das ist der Grund, warum wir der Meinung sind, daß jeder
legal mögliche Schritt, diese Richtlinie so eng wie möglich auszulegen, berechtigt ist, um die von mir befürchteten schädlichen Folgen zu vermeiden.
Herr Stiegler hat sich zu der Behauptung verstiegen - darüber denken Sie aber auch noch einmal nach; ich glaube, das ist Ihnen sehr locker herausgerutscht, das haben Sie sich vorher wahrscheinlich nicht aufgeschrieben -, mindestens die Hälfte aller GmbH und Co seien solche Unternehmen wie Erlemann & Co. Ich sage Ihnen: Wenn Sie 1 % der Gesellschaften in dieser Weise namhaft machen können, ist das schon sehr viel. Wenn Sie von mindestens der Hälfte sprechen, so ist das eine unseriöse Art, hier zu diskutieren. So kann man natürlich nicht eine Gesellschaftsform mir nichts, dir nichts, ohne jeden Anhaltspunkt für einen Beweis in Verruf bringen.
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Natürlich spielt noch ein anderer Punkt eine ganz wesentliche Rolle. Wir hören nun seit einer Reihe von Jahren auf jenen dankenswerten parlamentarischen Abenden, die uns mit freundlichen, angenehmen Menschen zusammenbringen und bei denen wir interessante Gespräche führen und interessante Vorträge hören, von den Wirtschaftsprüfern, daß sie überhaupt nicht die Absicht haben, auch nur ein einzelnes Mandat der Steuerberater zu übernehmen. Wir hören von den Steuerberatern, daß sie überhaupt nicht die geringste Absicht haben, sich in die enormen Qualifikationen der Wirtschaftsprüfer einzumengen und einzuschleichen und denen vielleicht etwas wegzunehmen. Wenn das bei beiden so ist, wie ich es die ganze Zeit höre, verstehe ich gar nicht, warum der Streit so lange andauert. Es scheint irgend etwas nicht ganz so zu sein, wie ich es eben - sehr zutreffend, wie ich glaube - wiedergegeben habe.
Im Untergrund schwelt mehr. Dort schwelt die vernünftige und berechtigte Angst bei den Steuerberatern, daß entgegen allem, was bisher schon postuliert worden ist, mit der Prüfung eben auch ein großer Teil der Beratung und unter Umständen sogar - der Übergang ist fließend - außer der Beratung auch ein Teil der Bilanzaufstellung - zumindest im Vorfeld - verbunden ist. Bei den Wirtschaftsprüfern schwelt die Sorge, daß nach dem doch immerhin recht erheblichen Schnäppchen, das die Steuerbevollmächtigten - inzwischen sind es 17 000 an der Zahl - mit dem erleichterten Übergang in den Steuerberaterberuf gemacht haben, das Schnäppchen jetzt gleich noch einmal wiederholt werden soll. Bei allem Verständnis dafür, daß jeder weiterkommen und seine beruflichen Möglichkeiten nett ausgestalten möchte: Ich meine, man muß das ja nicht zum System erheben und solche Schnäppchen in kurzen Zeitabständen immer wiederholen. Es kann ja auch in Grenzen bleiben.
Das Gesetz sieht vor, daß derjenige Steuerberater, der Mandate in diesem Bereich verlieren kann - er muß sie also erst einmal gehabt haben; das ist begrifflich vorgegeben -, auf eine sehr erleichterte Art und Weise auch die Prüfungsbefugnis bekommt. Das halte ich für einen vernünftigen Ausgleich der berechtigten Anliegen, die die Steuerbe1744
Kleinert ({11})
rater haben. Ich halte es aber nicht für richtig, daß man darüber noch viel weiter hinausgehen will und bei allem, was hier über Leistung, über Qualifikation und dergleichen gesagt wird, dann den Wirtschaftsprüferberuf überrollt. Jeder kann diese Prüfung machen, wenn er sich die Mühe gibt, die sich diejenigen schon gemacht haben, die jetzt Wirtschaftsprüfer sind. Es gibt hier gar keine Zugangsbeschränkungen. Ich habe gerade gelesen, daß die Wirtschaftsprüfer der Zahl nach von 4 000 auf 8 000 hochkommen wollen. Das sollen sie ruhig tun.
Es ist sehr empfehlenswert, Herrn Possers Rede zu diesem Punkt im einzelnen nachzulesen, weil es ganz selten ist, daß dem von mir hochgeschätzten Herrn Posser in einer verhältnismäßig kurzen Rede wie der, um die es hier geht, so viele logische Brüche unterlaufen. Er sagt: Wir wollen keine zwei Klassen von Wirtschaftsprüfern. Dann sagt er wiederum: Im Falle der vielen Kleinen und Mittleren sind nicht alle diese Anforderungen notwendig; deshalb können sie auch mit geringerer Qualifikation auskommen. Das ist der Kernpunkt der Widersprüche; es gibt aber noch weitere.
Kümmern wir uns darum und beraten wir aufgeschlossen, aber zugleich, Herr Stiegler, wie bisher restriktiv. - Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Krizsan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der etwas miesen Stimmung bei diesem wichtigen Thema begrüßen wir GRÜNEN es, wenn es im Rahmen des uns vorliegenden Gesetzes zu einer Harmonisierung der Rechnungslegungspflichten der Unternehmen innerhalb der EG, zu einer größeren Verbindlichkeit der Normen und zu Information der Öffentlichkeit kommen sollte. Allerdings geben wir uns dabei keinerlei Illusionen hin. Auch der jetzige Entwurf beseitigt nicht die einseitige Orientierung der Rechnungsprüfung und der Berichterstattung auf die Interessen der Kapitalgeber, der Banken, der Lieferanten und Aktionäre. Auch der jetzige Entwurf beseitigt nicht die enormen Gestaltungsspielräume der Unternehmen bezüglich der Bewertung und damit auch bezüglich des Gewinns. Auch der jetzige Entwurf sieht nicht vor, daß die Unternehmen Rechenschaft über ihren Umgang mit den Beschäftigten ablegen. Auch für den jetzigen Entwurf ist charakteristisch, daß der gesamte Problembereich „Umweltbelastung durch die Wirtschaft" ausgespart bleibt.
Es ist bezeichnend, daß bei uns Gesetzentwürfe ausgiebigst diskutiert, verändert und abgeschwächt werden, die sich ausschließlich mit der Interessenabgrenzung zwischen Kapitalgebern und Kapitalnehmern befassen. Demgegenüber gestaltet sich der Zugriff auf Informationen über die Umweltbelastungen, die von einzelnen Unternehmen ausgehen, als außerordentlich mühselig, wenn nicht unmöglich, was die Erfahrung der Bürgerinitiativen eindeutig zeigt.
Bezeichnend ist auch, daß die Besitzstandsinteressen eines Berufsstandes - das wurde von meinen Vorrednern hier schon ausführlich angesprochen -, nämlich der Steuerberater, so sehr diese Diskussion dominieren, daß der Bundesrat sich zu einem Vorschlag bemüßigt sah, der wirklich unerträglich ist. Der Steuerberater soll zum Wirtschaftsprüfer aufgewertet werden. Das heißt nun wirklich, den Bock zum Gärtner zu machen. Professor Moxter, der anerkannte Bilanzexperte, hat dazu schon in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ausgeführt, daß dieser Vorschlag „die gesetzliche Wirtschaftsprüfung in ihrer Wurzel zu zerstören" droht.
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Schon die heutige Interessenverfilzung zwischen Wirtschaftsprüfern und geprüften Unternehmen stellt eine Zumutung dar.
Unsere fundamentale Kritik dieser auf privaten Gewinn orientierten Wirtschaftsordnung verlangt eine Umorientierung, die, wie wir meinen, im Rahmen dieses Parlaments nicht durchsetzbar ist. Eine wichtige - wenn auch nicht hinreichende - Maßnahme bestände in der Durchsetzung einer ökologischen Buchführung, die den Verbrauch von natürlichen Ressourcen erfaßt, die die sozialen und ökologischen Folgekosten der Unternehmen direkt beziffert und eine Monetarisierung der Umweltbelastungen ermöglicht. Letztlich müssen wir dazu kommen, daß die jeweils Betroffenen darüber entscheiden, was wo wie produziert wird.
Wir GRÜNEN wollen uns hier im Parlament aber nicht auf Forderungen beschränken, die zwar richtig sind, deren Scheitern angesichts der herrschenden Machtverhältnisse aber vorprogrammiert ist. Daher knüpfen wir konkret an den vorliegenden Gesetzentwurf an und fordern, daß in den Anhang zum Jahresabschluß bzw. in den Lagebericht - d. h. nach § 272 bzw. § 273 HGB - folgende obligatorische Informationen aufgenommen und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden: Mitteilungen über 1. Emissionen von Schadstoffen in Luft und Wasser, 2. Umweltbelastung durch Lärm, Abwärme und Abfälle, 3. Herstellung von umweltbelastenden Produkten, 4. Maßnahmen zur Reduzierung der Umweltbelastung durch die jeweiligen Unternehmen.
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- Danke schön. Das macht richtig munter hier vorn.
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Zusätzlich zu diesem betrieblichen Umweltbericht ist nach unserer Meinung auch ein betrieblicher Sozialbericht obligatorisch erforderlich, der Informationen z. B. bezüglich der ausgeschiedenen Arbeitnehmer, Entlassungen, Ruhestand, Erwerbsunfähigkeit, Arbeitsunfälle, Ausbildungsmaßnahmen enthält.
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Wir GRÜNE sind der Ansicht, daß die Öffentlichkeit nicht nur über die Vermögens- und Ertragslage,
sondern erst recht auch über den Umweltverbrauch der Unternehmungen informiert werden muß. - Ich danke Ihnen und wünsche einen schönen Abend.
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Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Finanzausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 13:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 10. Mai 1979 über den Schutz von Schlachttieren
- Drucksache 10/63 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0})
- Drucksache 10/391 Berichterstatter: Abgeordneter Paintner
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Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Zur Aussprache wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe auf das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer dem Gesetz als Ganzes zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist, soweit ich sehen kann, einstimmig angenommen.
Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 14 bis 16:
14. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 10/311 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstrekkung von Unterhaltsentscheidungen sowie über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht
- Drucksache 10/258 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({2})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen ({3})
- Drucksache 10/241 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({4})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Es handelt sich um die erste Beratung von Gesetzentwürfen, die vom Bundesrat und von der Bundesregierung vorgelegt worden sind. Das Wort wird, wie ich sehe, nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/311, 10/258 und 10/241 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags des Abgeordneten
Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN
Sofortmaßnahme: Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung
- Drucksache 10/205 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({5}) Haushaltsausschuß
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/205 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 19:
Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses ({6}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/385 Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses und damit den in der Sammelübersicht 9 enthaltenen Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist mit einigen Enthaltungen angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. September 1983, 9 Uhr ein.