Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/26/1986

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, wir setzen die Haushaltsberatungen fort: I. Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1987 ({0}) - Drucksachen 10/5900, 10/6209 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) - Drucksachen 10/6301 bis 10/6331 - Ich rufe auf: Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - Drucksachen 10/6304, 10/6331 Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Deres Echternach Dr. Riedl ({2}) Dr. Müller ({3}) Hierzu liegt auf Drucksache 10/6558 unter Nummer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung fünf Stunden vorgesehen. Weiter ist interfraktionell vereinbart worden, die Beratung ohne Unterbrechung bis ungefähr 14 Uhr durchzuführen. Eine Mittagspause ist von 14 Uhr bis 15 Uhr vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Tag, an dem die zweite Lesung des Einzelplans 04, also der Einzelplan des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, auf der Tagesordnung steht, ist nach einer bewährten parlamentarischen Tradition der Tag, an dem sich der Herr Bundeskanzler und seine Politik vor der freigewählten Volksvertretung zu verantworten hat. Es ist der Tag, an dem das Parlament über Ihr Tun und Unterlassen, Herr Bundeskanzler, über Inhalt und Stil Ihrer Arbeit, aber auch über die Folgen und die Perspektiven Ihrer Politik urteilt. Das nämlich will unsere Verfassung. Sie will, daß der Bundestag die Bundesregierung und vor allem den Bundeskanzler kontrolliert. Koalitionsmehrheiten - das sage ich nicht nur in bezug auf die gegenwärtige Koalitionsmehrheit - verfehlen ihren Auftrag, wenn sie sich vor allem als Hilfs- und Schutztruppe der jeweils aus ihrer Mitte hervorgegangenen Regierung verstehen oder - besser - mißverstehen als eine Truppe, die die Regierung zu unterstützen, bis zur Selbstverleugnung zu bewundern und selbst um den Preis der Wahrheit und der intellektuellen Redlichkeit zu verteidigen hat. ({0}) Um so mehr - ich betone das Wort „jeweilige" - muß die jeweilige Opposition dieses Defizit ausgleichen. Wir haben das im Laufe dieser Legislaturperiode in vielen Einzelberatungen getan. Heute geht es um mehr. Heute geht es um eine Gesamtbewertung des Zustandes unserer Republik, um eine Gesamtbeurteilung der positiven und der negativen Aspekte Ihrer Arbeit seit dem März 1983, und es geht um die Zukunftsentwürfe, die sich gegenüberstehen, um Ihre und unsere Vorstellungen, Ziele und Programme für die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft und unseres Staates. Und es geht um die Interessen und die Prinzipien und die Werte, an denen sich diese Programme orientieren. Hierüber, meine sehr verehrten Damen und Herren, lohnt es sich, zu streiten, nein, hierüber muß in einer demokratischen, in einer parlamentarischen Demokratie gestritten werden, wenn sie nicht schal und unglaubwürdig werden soll. ({1}) Nur so, meine Damen und Herren, in dieser streitigen Auseinandersetzung, bleibt das Parlament auch der Ort, an dem die für unser Volk wesentlichen Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden. Sonst fallen diese Entscheidungen in den verschiedensten Chefetagen und den informellen Zirkeln, deren Macht im Gegensatz zu diesem Parlament der demokratischen Legitimation entbehrt. ({2}) Sonst verliert das Parlament seine zentrale Funktion und wird zu einer bloßen Beglaubigungs- und Bestätigungsmaschinerie, von der keine Orientierung, aber auch keine Konsensbildung mehr ausgeht. Wir halten diese Auseinandersetzung auch deshalb für geboten, weil sie notwendig und geeignet ist, den Grundkonsens zu erhalten und zu beleben, auf dem unsere Verfassungsordnung beruht. Wir sollten diesen Konsens, für dessen wichtigste Elemente Sozialdemokraten in unserer Geschichte, insbesondere im letzten Jahrhundert lange allein gekämpft haben und zu dem unser Volk schließlich auf Grund der bitteren Erfahrungen zwischen 1914 und 1945 gefunden hat, pfleglich bewahren und fortentwickeln. Wer seine Gegner durch fortgesetzte Diffamierungen und Denunziationen aus diesem Konsens zu verdrängen sucht, wie das der Generalsekretär der Union immer wieder in provokatorischer Weise tut, oder wer wie ein Teil der GRÜNEN das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellt, der untergräbt die Fundamente, auf denen unser Gemeinwesen beruht. ({3}) Innerhalb dieses von der Verfassung gezogenen Rahmens stehen sich unsere politischen Grundpositionen diametral gegenüber. Sie, Herr Bundeskanzler, sagen: Es ist doch alles in bester Ordnung. Ihre Zukunftsmaxime lautet: Weiter so! ({4}) Dabei suggerieren Sie auch durch den Beifall, den Sie gerade spenden, das Trugbild vom ewigen Aufschwung und vom ewigen Wachstum. Sie nähren den Irrglauben: Mehr sei stets auch besser. Die kritische Frage, die Analyse, die Betonung der Endlichkeit der Ressourcen, die Sorge um den Verlust des menschlichen Maßes, allein schon der Hinweis auf die Grenzen, die allem menschlichen Tun gesetzt sind, das alles verdächtigen Sie als Pessimismus und als Miesmacherei. Ja, Sie empfinden es bereits als destruktiv, vielleicht sogar als subversiv, wenn vom Elend und der Not in anderen Kontinenten und erst recht wenn von Not und Armut in unserem eigenen Volk die Rede ist. ({5}) Sie verdrängen alles, was Ihrer penetranten Schönfärberei widerspricht, ({6}) und wo Sie es nicht verdrängen können, da übertünchen Sie es, ({7}) oder Sie diffamieren den Hinweis auf konkrete Sachverhalte und auf konkretes Unrecht als den Einspruch der Neider und der Unzufriedenen; oder schlimmer noch: Sie diffamieren Widerspruch als eine Position von Minderheiten, die nur stören und über die man sich hinwegsetzen müsse. Wir sagen keineswegs, daß alles schlecht sei. Wir anerkennen das Positive. Wir freuen uns über den Wohlstand der Mehrheit unseres Volkes ({8}) und über den Reichtum, zu dem unsere Volkswirtschaft im Laufe der Jahrzehnte gelangt ist. Wir wissen, daß wir beides dem technischen Können und dem ökonomischen Fleiß unseres Volkes zu verdanken haben. ({9}) Aber anders als Sie - oder gerechterweise als die meisten von Ihnen - sind wir nicht blind für die Schattenseiten dieses Zustandes. Wir sind nicht blind für den humanen und den ökologischen Preis des Wohlstandes. Wir sind nicht blind für die Spannungen und die Brüche in unseren Strukturen. Wir sind nicht blind für die Not derer, die auf der Strecke bleiben, und vor allem sind wir nicht blind für die Herausforderungen, denen sich noch keine Generation in einem auch nur annähernd vergleichbaren Ausmaß gegenübergesehen hat wie die unsere. Sie sagen: Weiter so. Ein Mitbürger, der nicht nur seines Amtes wegen, sondern auch wegen seiner Nachdenklichkeit und seiner geistigen Souveränität Gehör verdient und Gehör findet, ({10}) sieht das anders. Dieser Mitbürger ist Richard von Weizsäcker, unser Bundespräsident. ({11}) Vor wenigen Wochen hat er in einer großen Rede vor der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen wörtlich ausgeführt: Ist ... alles auf dem besten Weg? Brauchen wir nur den eingeschlagenen Weg unbeirrt fortzugehen ...? ({12}) Dies - so sagt Richard von Weizsäcker - wäre ein folgenschwerer Irrtum. Und er fährt fort: Wir stehen vor Überlebensfragen. Alle sind betroffen. Wir - und ich glaube, nicht nur wir - halten dafür: Richard von Weizsäcker hat mit dieser Aussage recht. ({13}) Was bedeutet denn, Herr Bundeskanzler, Ihr „Weiter so" konkret? ({14}) Es bedeutet die Fortsetzung des atomaren Rüstungswettlaufs und seine Ausdehnung auf den Weltraum. Das „Weiter so" bedeutet, daß im Jahre 2000 weltweit mehr als 1 300 Milliarden Dollar für Rüstungszwecke ausgegeben werden, gleichzeitig aber viel mehr Menschen als heute - und heute sind es schon Hunderte von Millionen - im bittersten Elend leben, nein, vegetieren werden. Wollen Sie das? Wir wollen das nicht. Nicht weiter so! ({15}) Weiter so, das bedeutet, Herr Bundeskanzler, daß wir in den nächsten Konjunkturabschwung mit über 2 Millionen Arbeitslosen eintreten und daß dann britische Arbeitslosenzahlen in den Bereich des Möglichen rücken. Wollen Sie das? Weiter so? Wir wollen es nicht, Herr Bundeskanzler! ({16}) Für die Bauern bedeutet das „Weiter so", daß sie endgültig in der Überproduktion ersticken und daß Hunderttausende ihre Existenz verlieren werden. Wollen Sie das wirklich? Weiter so? Wir Sozialdemokraten wollen das nicht! ({17}) Auch für die Atomenergie lautet ihre Devise: weiter so. Das heißt, Sie wollen weiterhin ein räumlich und zeitlich unbegrenztes Risiko in Kauf nehmen, das Menschen anderen Menschen gegenüber nicht verantworten können und nicht verantworten dürfen. Wir wollen das nicht! ({18}) Sind Sie wirklich so blind und so taub, wie Sie sich manchmal gebärden? Fehlt Ihnen wirklich die Sensibilität für die Fragen, die der Bundespräsident „Überlebensfragen" nennt? Spüren Sie nichts von all den radikalen Veränderungen, mit denen wir es zu tun haben? ({19}) Geht es Ihnen, Herr Bundeskanzler, nicht unter die Haut, wenn Richard von Weizsäcker - und er steht damit ja weiß Gott nicht allein - in der erwähnten Rede wörtlich folgendes ausführt: ({20}) Noch nie zuvor in der Geschichte hat jeder einzelne Mensch so große Ansprüche an unseren Mutterplaneten gestellt, ihn für das eigene materielle Wohlergehen so weitgehend ausgenutzt. Er fährt fort: Nie zuvor gab es Waffen, die in der Lage gewesen wären, die Gattung Mensch im ganzen zu vernichten. Nie gab es Energieerzeugungstechniken, deren tödliche Abfallprodukte ihre Gefährlichkeit erst nach einer Frist verlieren, die länger ist als die Menschheitsgeschichte. Nie hat der Mensch die Erde so schonungslos bis auf die letzten Winkel durchsucht und ausgebeutet. Herr Bundeskanzler, ist Ihnen das alles im Grunde eigentlich nur lästig? ({21}) Ich weiß, daß nicht alle in Ihren Reihen das „Weiter so" für ausreichend halten. ({22}) Ich weiß, daß nicht wenige über die Oberflächlichkeit und die redselige Sprachlosigkeit bedrückt sind, ({23}) mit der Sie, Herr Bundeskanzler, dem allen nur allzu häufig begegnen. ({24}) Auf Sie, Herr Bundeskanzler, treffen zwei Sätze von Erich Fried wie auf kaum einen anderen zu, nämlich die Sätze: „Zweifle nicht an dem, der dir sagt, er hat Angst; aber hab' Angst vor dem, der dir sagt, er kenne keinen Zweifel." ({25}) Es mag sein, daß Sie auf diese Weise ein paar tausend oder sogar hunderttausend Stimmen zusätzlich gewinnen. Ganz sicher ist noch nicht einmal das. Sicher aber ist, daß Sie auf diese Weise den geringsten Ansatz zu einer geistigen Führung verschütten und daß Sie zugleich die Zukunft aufs Spiel setzen. ({26}) Sie sprechen ständig von Zukunft und malen neuerdings das Wort „Zukunft" in zierlichem Blau auf Ihre Parteidrucksachen. Das ist der Versuch, ein Wort zu erobern, wie man früher eine Festung erobert hat; aber Sie kämpfen nur um das Wort, nicht um die Sache, die mit dem Begriff „Zukunft" ausgedrückt ist. ({27}) Sie überlassen die Zukunft dem Selbstlauf, weil Sie weder die Kraft haben, die Herausforderungen der Zukunft beim Namen zu nennen und zu akzeptieren, noch den Mut und die Phantasie, sie zu gestalten. Wir wollen die Zukunft nicht einfach erleiden, wir wollen die Zukunft gestalten. Deshalb setzen wir Ihrem „Weiter so!" auf wichtigen Feldern der Politik unsere Alternativen und unsere Konzepte entgegen. ({28}) Ich beginne mit dem Feld der Friedenssicherung. ({29}) Zunächst: Sieben Wochen nach Reykjavik haben sich - ich sage das mit großem Bedauern - die Fronten zwischen den Weltmächten verhärtet. Die Wiederbegegnung der Außenminister Shultz und Schewardnadse hat keinen Fortschritt, sondern Verhärtung gebracht. Das Wettrüsten geht trotz aller beiderseitigen Erklärungen weiter. Die Vereinigten Staaten haben die Aufeinanderfolge ihrer Atombombenversuche sogar noch beschleunigt, und gegen die Null-Lösung formiert sich immer deutlicher militärischer und ziviler Widerstand. Inzwischen ist auch klar geworden, Sie, Herr Bundeskanzler, sind nicht für, sondern in Wahrheit gegen die umfassenden Vereinbarungen, deren Umrisse sich in Reykjavik abgezeichnet hatten. ({30}) Hinter einer Nebelwand allgemeiner Redensarten geschieht in Wahrheit alles, um das Zustandekommen konkreter Vereinbarungen da, wo sie jetzt schon möglich wären, zu verhindern. ({31}) Deshalb haben Sie das Treffen von Reykjavik mit der Münchner Konferenz von 1938 in einen gedanklichen Zusammenhang gebracht. ({32}) Das bedeutet doch - wenn Worte in Ihren Interviews irgendeinen Sinn machen - Präsident Reagan sei in Gefahr, sich von der sowjetischen Führung ebenso täuschen zu lassen, wie Chamberlain im September 1938 von der damaligen deutschen Führung in München getäuscht worden ist. Diese Parallele ist noch abwegiger, ist noch dümmer als die, die uns zu Beginn des Monats beschäftigt hat. Einmal werden hier gleich beide Führungspersonen in einem Atemzug beleidigt; zum anderen kann man Hitler alles vorwerfen, nur das eine kann man ihm nicht nachsagen, daß er jemals ernsthafte Abrüstungsvorschläge zur Verhinderung eines Krieges gemacht hat. Das haben selbst die intensivsten Hitler-Forscher bisher noch nicht herausgefunden. ({33}) Offenbar ging es Ihnen im Grunde doch wohl nur darum, vor Reykjavik zu warnen. Ihr sogenannter Abrüstungsexperte wird da noch deutlicher. Der wirft nämlich nicht Präsident Reagan, sondern Herrn Kollegen Genscher, Ihrem Außenminister, der neben Ihnen sitzt, sogar Appeasement - und das ist der Münchner Ausdruck: Appeasement - gegenüber der Sowjetunion vor. Da kommen die wahren Gedanken aus Ihrer Mitte zum Ausdruck und zum Vorschein. ({34}) Wir warten mit Interesse darauf, was Sie, Herr Kollege Genscher, als Appeasementpolitiker in diesem Zusammenhang zu sagen haben. Jetzt lassen Sie zu, Herr Bundeskanzler, daß die Null-Lösung zerredet wird, daß ihr immer neue Hindernisse in den Weg gelegt werden. ({35}) Dazu haben Sie selber im Oktober mit Ihrer Rede vor dem Council On Foreign Relations in Chicago einen ersten Beitrag geleistet. Dann haben Herr Dregger und Herr Wörner, der ja Ihrem eigenen Kabinett angehört, die Realisierung der Null-Lösung von einer Nachrüstung bei anderen Raketen abhängig gemacht, während sich Herr Genscher gleichzeitig vernünftigerweise gegen eine solche Verknüpfung wendet. ({36}) Und Herr Rühe muß sich wieder einmal die üblichen Beschimpfungen aus München gefallen lassen, ({37}) weil er den vernünftigen Gedanken geäußert hat, daß auch eine totale Abschaffung der Mittelstrekkenraketen und eine Verringerung der strategischen Raketen um die Hälfte kein Problem für die NATO-Doktrin der flexiblen Vergeltung sei. Keiner von Ihnen wagt auch, General Rogers entgegenzutreten, der in offenem Widerspruch zu seinem Präsidenten beklagt, daß mit der Null-Lösung, die der Präsident ausdrücklich befürwortet, der Zustand vor dem Doppelbeschluß wiederhergestellt werde. ({38}) Gerade der Zustand von 1978 ist doch von allen Beteiligten und auch von Ihnen als das Ziel der gemeinsamen Anstrengungen bezeichnet worden. Oder - und die Frage drängt sich auf - begrüßen Sie die Abrüstungsvorschläge eigentlich nur so lange, solange keine Einigung zu erwarten ist, um sie abzulehnen, wenn die andere Seite darauf eingeht? ({39}) Wenn es so wäre, Herr Bundeskanzler, wäre das der politische Betrug an unserem Volk in Reinkultur. ({40}) Das Gebot der Stunde ist demgegenüber ein realistischer Beitrag der Bundesrepublik zur VerständiDr. Vogel gung der Supermächte, ist ein beharrliches Drängen auf weitreichende Vereinbarungen, insbesondere auf den Abzug der Mittelstreckenraketen, sind eigene Initiativen unter voller Wahrung der Bündnisloyalität. Herr Bundeskanzler, Sie haben doch eine erdrückende Mehrheit aller Deutschen, und zwar in beiden deutschen Staaten, hinter sich, wenn Sie beiden Supermächten immer dringlicher zurufen: Haltet endlich ein, macht dem wahnwitzigen Rüstungswettlauf ein Ende. - Hundert Prozent unseres Volkes stünden hinter Ihnen. ({41}) Von all dem findet sich leider bei Ihnen kaum eine Spur. Der Außenminister - Appeasement - kann Gedanken, die dahin zielen, nur in verschlüsselten Formulierungen und gegen wachsenden Widerstand der Stahlhelm-Gruppe äußern. ({42}) Sie selbst bremsen, wo Sie antreiben sollten. ({43}) - Lieber Herr Klein, ich bin Ihnen für den Zwischenruf dankbar. Jetzt habe ich wenigstens einen Anlaß, Ihren Brief vorzulesen. ({44}) Der Kollege Klein, der sich hier über den Begriff „Stahlhelm" beschwert, schreibt an den „lieben Kollegen Czaja", und zwar im Dezember 1985 - ist auch allgemein zugänglich ({45}) - wollen Sie nicht erst mal zuhören, nein? Das fällt Ihnen immer schwer, ich weiß -: Lieber Herr Kollege Czaja! Vor einigen Wochen setzte eine Pressekampagne ein, in der eine Gruppe von Kollegen beklagt, daß die rechte Riege der CDU/CSUBundestagsfraktion in der Öffentlichkeit das große Wort führe. Sehr wahr. - Das ist von mir. ({46}) Die von dieser Gruppe konstatierten Fraktionsflügel werden von ihr selbst - von ihr selbst bzw. von der Presse als Stahlhelm und Genscheristen bezeichnet. Das ist Ihr fraktionsinterner Sprachgebrauch. Beschweren Sie sich nicht, wenn wir den übernehmen. ({47}) Sie, Herr Bundeskanzler, lassen das gebotene Maß-({48}) - Nein. Setzen. ({49}) - Können wir weitermachen? Meine Damen und Herren, es gibt Fragen, die sind eine Bereicherung. Es gibt Fragen, da kann man schon von der Person des Fragestellers her erkennen, daß sie eine Zumutung darstellen. Diese Zumutung möchte ich uns ersparen. ({50}) Herr Bundeskanzler, Sie lassen jede sicherheitspolitische Klarheit vermissen. Sie zerstören durch flotte Sprüche - wie der Herr Außenminister sagt; ich sage: durch unverantwortliches Gerede - sogar ihre persönliche Gesprächsfähigkeit gegenüber wichtigen Akteuren der Weltpolitik. Uns - und da können Sie Ihre Verdächtigungen noch so oft wiederholen - geht es nicht um die Interessen der Sowjetunion. Die kann sich selbst helfen, und sie tut es ja auch. Uns geht es darum, daß Sie sich gesprächsunfähig, daß Sie sich zur Wahrung der deutschen Interessen unfähig machen, daß Sie in leichtfertiger Weise die Sowjetunion in den Wahlkampf hineinziehen. Das ist nämlich die Wahrheit. ({51}) Inzwischen geraten Sie durch Ihre distanzlose und unreflektierte Parteinahme in Fragen, die in Amerika selbst hoch umstritten sind, noch in zusätzliche Schwierigkeiten. Sie haben es nämlich dahin kommen lassen, daß mittlerweile jede Niederlage der gegenwärtigen Administration in Washington gegenüber dem Kongreß und gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit - diese Niederlagen reichen inzwischen von der Haltung gegenüber Südafrika bis zu den schwer zu durchschauenden Vorgängen um die Waffenlieferungen an den Iran - als eine Niederlage unseres Bundeskanzlers und der Bundesregierung erscheint. ({52}) In Amerika liest man bereits in den Zeitungen, die letzten Bastionen der gegenwärtigen amerikanischen Administration seien nicht Kalifornien und Georgia, ({53}) sondern Bonn und München. Wenn nicht alles trügt, stehen auch dem SDI-Projekt im Kongreß in den nächsten Jahren weitere erhebliche Dämpfer bevor. ({54}) Auch hier gehören Sie infolge des törichten Bangemann-Vertrages zu den Mitverlierern. Nur dies ist von Ihrem so umkämpften SDI-Engagement übriggeblieben. Von den großspurigen Ankündigungen, die deutsche Industrie würde an diesem Projekt mit gewaltigen Aufträgen partizipieren, ist schon längst keine Rede mehr. Auch der angebliche Technologietransfer hat sich als Märchen entpuppt, an das höchstens noch Ihr Wirtschaftsminister Herr Bangemann glaubt. ({55}) Sie versuchen all das mit Verdächtigungen zu übertönen, die Ihnen immer häufiger als Politikersatz dienen, nach innen und nach außen. Ich wiederhole deshalb einmal mehr: Die Grundpositionen des demokratischen Sozialismus und des Kommunismus sind unvereinbar. Die Unvereinbarkeit besteht in prinzipiellen Fragen, vor allem aber hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft und hinsichtlich der Struktur und der staatlichen sowie der gesellschaftlichen Organisation. Wir verurteilen mit Ihnen, daß an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten und an der Mauer in Berlin noch immer geschossen wird, ({56}) daß dort noch immer Menschen getötet werden. Das Wort von der Grenze als einer blutenden Wunde - es stammt von dem Dresdner Landesbischof Hempel - ist gerade in diesen Tagen von bedrückender Aktualität. Ich wiederhole ebenso das Ja zum Atlantischen Bündnis und zur Bundeswehr als Instrumente der Kriegsverhütung. Ein deutscher Sonderweg würde unsere Nachbarn insgesamt beunruhigen, die Mitte unseres Kontinents destabilisieren und unsere Sicherheit nicht stärken. Er würde auch nicht zu einer umfassenden europäischen Friedensordnung führen. Wir lehnen ihn deshalb ab. Aber das Ja zum Bündnis kann nicht eine Preisgabe der deutschen Interessen bedeuten. Bündnis bedeutet: Wir wollen Verbündete des amerikanischen Volkes, nicht aber Liebediener der jeweiligen Administration sein. ({57}) Wenn Sie diese Position für antiamerikanisch halten, dann ist Herr Strauß, dem Sie ja gelegentlich begegnen, der schärfste Antiamerikaner in der Bundesrepublik. Denn er hat schon Mitte der 60er Jahre gesagt: Wir müssen Bundesgenossen und nicht Schutzbefohlene der Amerikaner sein. Er hat sogar den Satz hinzugefügt, den die „Süddeutsche Zeitung" vor wenigen Tagen in Erinnerung gebracht hat: Es sei völlig falsch, in hysterisches Angstgeschrei auszubrechen, wenn amerikanische Truppen Europa verließen. In welches hysterische Geschrei würden Sie wohl ausbrechen, wenn ein Sozialdemokrat einen solchen Satz wagen und formulieren würde? ({58}) Auch auf dem Gebiet der Beschäftigungs- und der Wirtschaftspolitik sagen Sie „Weiter so", und Sie berufen sich dabei vor allem auf die Preisstabilität und die anhaltende Konjunktur. Wir freuen uns nicht weniger als Sie über die Preisstabilität. Aber glauben Sie wirklich, die Weltwirtschaftskonjunktur und der rapide Rückgang der Ölpreise von rund 620 DM pro Tonne auf ungefähr 200 DM pro Tonne seien von Ihnen und Ihrer Regierung herbeigeführt worden? Die Wahrheit ist doch - das sage ich nicht nur für Ihren Zeitraum, sondern auch für die Vergangenheit -, daß sich weder die Weltwirtschaftskonjunktur noch die Ölpreise viel darum kümmern, wer bei uns gerade regiert. Ich bestreite gar nicht, daß auch wir zu unserer Regierungszeit dazu geneigt haben, günstige Entwicklungen unserer Regierungsarbeit, ungünstige Entwicklungen hingegen jeweils der Weltwirtschaftskonjunktur zuzuschreiben. Und wenn die Daten schlechter werden, dann werden Sie selbstverständlich genauso verfahren. Das hat im Grunde mehr mit Öffentlichkeitsarbeit und Psychologie als mit Wirtschaftspolitik zu tun. Unser Einfluß auf die Weltwirtschaftskonjunktur ist nun einmal geringer als die Auswirkungen der Ölpreisentwicklung oder der Faktoren, die in Amerika gesetzt werden, etwa der gigantischen Budgetdefizite, der Auslandsverschuldung oder des Dollarkurses. Hier müßte ein geeintes Europa mit einem einheitlichen Währungssystem gegenhalten. Wir allein können das nur in begrenztem Maße, und gestern ist von unseren Sprechern dargelegt worden, daß Sie noch nicht einmal das tun. Darum will ich vor allem nach solchen Fakten fragen, die wir selbst beeinflussen, ja gestalten können: nach der Abgabenbelastung, nach den Firmenzusammenbrüchen, nach den Subventionen, vor allem aber nach der Arbeitslosigkeit und ihren sozialen Folgen. Das waren doch in Ihrer Oppositionszeit auch Ihre Themen. So haben Sie sich noch im August 1982 darüber beschwert, daß das durchschnittliche Arbeitseinkommen des Arbeitnehmers mit Lohnsteuern und Sozialabgaben von 31,7 % belastet sei. Das sei unzumutbar, und - so sagten Sie wörtlich - die große Mehrheit der Bürger leide darunter, daß sie durch Steuern und Abgaben um den Ertrag ihrer Leistungen betrogen würden. Das war 1982. Jetzt, nach vier Jahren Ihrer Kanzlerschaft, liegt die Belastung nach der von Ihnen gewählten Berechnungsmethode nicht mehr bei 31,7, sondern bei 34,7 %, ({59}) also nach vier Jahren um 3 % höher. Das sind allein in den letzten vier Jahren 20 Milliarden DM mehr abgaben, die Sie den Arbeitnehmern abverlangt haben. Und Sie kündigen in Ihren amtlichen Drucksachen eine weitere Steigerung dieser Abgabenbelastung an. Ich frage: Wer betrügt denn da die Arbeitnehmer eigentlich, um Ihre Worte zu wählen? ({60}) Deutscher Bundestag -- 10. Wahlperiode Dr. Vogel Wer ist denn auf dem Weg in den Abgabenstaat? Doch wohl der, der die Arbeitnehmer bei günstiger Konjunktur stärker belastet, als wir das bei ungünstiger Konjunktur getan haben. ({61}) Im September 1982 haben Sie sich mit der von Ihnen so bezeichneten Konkurswelle beschäftigt und wörtlich ausgeführt - wörtliches Zitat -: „Diese Konkurswelle von 1982, das ist mehr als der Zusammenbruch irgendeines wirtschaftlichen Bereichs, das ist eine tiefe Veränderung der soziologischen Struktur unseres Volkes. Was hier geschieht," - immer noch Originalton - „ist irreparabel." Herr Bundeskanzler, damals waren es 15 000 Insolvenzen, nach vier Jahren Ihrer Kanzlerschaft sind es heute über 19 000, also über 4 000 mehr. Warum schweigen Sie jetzt? ({62}) Sind diese Zusammenbrüche jetzt harmlos? Erzählen Sie doch nicht das Märchen von den Neugründungen! Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Neugründungen und Konkursen war zu unserer Zeit genauso, wie es heute ist. Reden Sie sich doch nicht heraus! ({63}) Um weitere Zahlen zu nennen, weil wir schon von Konkurs reden: Die Zahl der Zwangsversteigerungen von Einfamilienhäusern und von anderen Immobilien ist doch in Ihren vier Jahren noch stärker als die zahl der Konkurse gestiegen, ({64}) nämlich auf über 66 000 im Jahre 1985, d. h. in Ihren vier Jahren um mehr als 25%. Wissen Sie was das für die betroffenen Familien bedeutet? Da sagen Sie „Weiter so"! Sie, Herr Bundeskanzler, haben Helmut Schmidt den Kanzler der Arbeitslosen genannt. Das sind Sie sowieso. Aber auf Grund dieser Zahlen sind Sie auch der Kanzler der Konkurse und der Zwangsversteigerungen. ({65}) Ein anderes Beispiel, Herr Bundeskanzler, sind die Subventionen. Dazu Originalton Kohl vom 19. Januar 1982: Ich erinnere an den Vorschlag - haben Sie damals gesagt der 5 %igen Kürzung, - der Subventionen einen Vorschlag, - und es war gut, daß Sie das hinzugefügt haben der nicht so dahingesagt war. Und im August 1982 haben Sie noch zugelegt. Da sagten Sie, Sie würden möglicherweise nicht um 5 %, sondern linear um 8 % kürzen. In kluger Voraussicht haben Sie dann noch davor gewarnt, Sie wegen dieser Ankündigung zu verlachen. ({66}) Auch das ist im Protokoll zu finden. In den vier Jahren, die seitdem vergangen sind, Herr Bundeskanzler, haben Sie die Subventionen nicht nur um keinen Pfennig gekürzt, sondern allein die Steuersubventionen um 15 bis 16 Milliarden DM auf den absoluten Rekordbetrag seit Gründung der Bundesrepublik von 44,5 Milliarden DM erhöht. Das ist eine Steigerungsrate von 50% in vier Jahren. Auch hier haben Sie das Gegenteil von dem getan, was Sie vorher lautstark angekündigt hatten. ({67}) Der schlimmste Negativposten in Ihrer Bilanz aber ist die andauernde Massenarbeitslosigkeit. Auch hier gibt es die großspurigen Versprechungen aus Ihrer Oppositionszeit. Helmut Schmidt - so sagten Sie damals - solle Ihnen endlich Platz machen; Sie würden die Arbeitslosigkeit binnen zwei Jahren um 1 Million senken. Tatsächlich verharrt die Arbeitslosigkeit auf einer Rekordhöhe von über 2 Millionen. Damals nannten Sie 880 000 arbeitslose Frauen einen Skandal. Heute sind es fast 1 Million arbeitslose Frauen. Sind diese Zahlen nach vier Jahren Ihrer Kanzlerschaft und nach vier Jahren des Aufschwungs auf einmal kein Skandal mehr? Und warum, bitte? ({68}) Wann wollen Sie eigentlich überhaupt etwas gegen die Arbeitslosigkeit tun, wenn nicht jetzt nach vier Jahren des Aufschwungs? ({69}) Daß Sie jetzt untätig bleiben, ist der eigentliche Vorwurf, den wir gegen Sie erheben. Wissen Sie eigentlich nicht - ich hoffe, Sie wissen es, Herr Bundeskanzler -, was Arbeitslosigkeit an materieller Einschränkung, an sozialer Beeinträchtigung, an verlorener Selbstachtung für die Betroffenen bedeutet? Die katholischen Bischöfe der Vereinigten Staaten wissen es. Sie haben in ihrem jüngsten Hirtenbrief geschrieben - wörtlich -: „Bittere Armut plagt unser Land trotz seines großen Reichtums. ({70}) Daß so viele Menschen in einem so reichen Land wie dem unseren arm sind," - sagen die Bischöfe - „ist ein moralischer und sozialer Skandal, den wir nicht ignorieren können." ({71}) Diese Sätze gelten doch wohl auch - zumindest die Nachdenklicheren unter Ihnen werden das so sehen - für die Situation in unserem Land. ({72}) Auch wir sind doch ein reiches Land, ({73}) und die Unternehmensgewinne sind doch in den beiden letzten Jahren geradezu explodiert. Aber das, was die amerikanischen Bischöfe nicht können, können Sie: Sie ignorieren den sozialen und moralischen Skandal der Massenarbeitslosigkeit in unserem Lande. ({74}) Mehr noch: Viele in Ihren Reihen - sie sagen es j a auch - halten die hohe Arbeitslosigkeit für ganz nützlich zur Dämpfung der Begehrlichkeit oder - wie sie sagen - zur Zähmung der Gewerkschaften. Sie wissen doch ganz genau, daß es einen Aufschwung, der die Arbeitslosigkeit beseitigt oder auch nur entscheidend mildert, gar nicht geben kann. Das sagen alle Wirtschaftsinstitute, und das hat zu Beginn dieser Woche auch der Sachverständigenrat in völliger Klarheit gesagt. Sie wissen doch genauso wie wir, daß auch der ausdauerndste Konjunkturzyklus früher oder später wieder in einen Abschwung übergehen wird. Deshalb bedarf es - und wir werden nicht müde werden, das zu fordern - zum Abbau' der Arbeitslosigkeit einer ähnlich großen Gemeinschaftsanstrengung, wie wir sie nach dem Krieg in Zeiten nationaler Armut zur Eingliederung der Flüchtlinge und zur Behebung der Wohnungsnot alle miteinander unternommen haben. ({75}) Kernstück dieser Gemeinschaftsanstrengung muß unser Projekt „Arbeit und Umwelt" sein, das jährlich 20 Milliarden DM zur Wiederherstellung zerstörter und zum Schutz bedrohter Umwelt verfügbar machen ({76}) und schon im ersten Jahr mehrere 100 000 Arbeitsplätze schaffen kann. Das wäre ebenso ein Akt der Solidarität und der wirtschaftlichen Vernunft wie die weitere Arbeitszeitverkürzung und die Stärkung der Investitionskraft der Gemeinden. Aber das halten Sie ja bekanntlich alles für „dumm, absurd und töricht". ({77}) Wir fürchten, es wird sich bald als dumm, absurd und töricht herausstellen, daß Sie die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht genutzt haben, um das Mögliche und Notwendige gegen die Arbeitslosigkeit zu tun. ({78}) Der Hirtenbrief, den ich bereits zitierte, enthält noch eine Vielzahl anderer bemerkenswerter Sätze. ({79}) - Der Satz, den ich jetzt vorlese, gilt selbstverständlich nicht nur für Amerika. - Einer lautet, die Gerechtigkeit eines Gemeinwesens werde vor allem an der Behandlung gemessen, die es den Machtlosen in der Gesellschaft angedeihen lasse. Welche Behandlung Sie den Arbeitslosen angedeihen lassen, habe ich gerade dargelegt. Mit anderen, die machtlos sind oder die Sie für machtlos halten, gehen Sie nicht besser um: mit den Arbeitnehmerkindern, denen das Schüler-BAföG gestrichen wurde, ({80}) oder den älteren Müttern, denen Sie das Babyjahr trotz aller Ankündigungen vorenthalten. ({81}) Das sind bittere Ungerechtigkeiten. Zutiefst ungerecht sind aber auch Ihre steuerlichen Maßnahmen. Sie können reden was Sie wollen: Nichts täuscht darüber hinweg, daß Sie den Millionären ein Vielfaches von dem geben, was Sie den normalen Arbeitnehmern zukommen lassen. ({82}) Hans Apel hat gestern Beispiele genannt. Ich füge ein weiteres Beispiel hinzu: Ein Verheirateter mit einem Jahreseinkommen von 260 000 DM spart auf Grund Ihrer Entscheidungen, verglichen mit seiner steuerlichen Belastung, ({83}) ab 1. Januar 1987 jährlich mehr als 7 000 DM. ({84}) - Wollen wir die Zeit anrechnen, Herr Präsident?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich bitte alle Seiten hier um etwas mehr Aufmerksamkeit.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, ich will das alles wiederholen, weil die Reaktion zeigt, daß Ihnen das besonders unangenehm ist. ({0}) Ich füge für die steuerliche Ungerechtigkeit ein weiteres Beispiel hinzu: ({1}) Ein Verheirateter mit einem Jahreseinkommen von 260 000 DM spart auf Grund Ihrer Entscheidung ({2}) - ich will ja die Ersparnis gar nicht, Sie können doch nicht mich als Beispiel anführen; ich kämpfe ja dagegen, daß ich diese Entlastung bekomme -({3}) 7 330 DM jährlich. Der verheiratete Durchschnittsverdiener mit 36 000 DM im Jahr, also mit 3 000 DM im Monat, spart auf Grund Ihrer Entscheidungen ganze 144 DM im Jahr. 7 330 DM zu 144 DM - das ist Ihre Gerechtigkeit. ({4}) Verglichen mit Ihren Maßnahmen ist die große Steuerreform in den Vereinigten Staaten geradezu eine soziale Großtat. Was Sie hingegen den normalen Arbeitnehmern auf steuerlichem Gebiet zumuten, das würde man gegenwärtig noch nicht einmal in Großbritannien wagen, und dort ist man weiß Gott nicht zimperlich, wenn es um die Wiederherstellung alter Klassenunterschiede geht. ({5}) Dem konservativen britischen Beispiel sind Sie hingegen auf anderem Gebiet gefolgt, nämlich in Ihrer Politik der Konfrontation mit den Gewerkschaften. Die Änderung des § 116 AFG, das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz, ({6}) und der Entwurf eines neuen Betriebsverfassungsgesetzes sind ebenso Kampfansagen an die Gewerkschaften wie die Ablehnung des von uns eingebrachten Gesetzentwurfs zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung. ({7}) Jetzt eröffnen Ihnen das Desaster der Neuen Heimat und die Krise der Gemeinwirtschaft neue Möglichkeiten. Nicht wenige von Ihnen - das zeigt auch der heutige Vormittag - haben diese Möglichkeiten zur Schwächung der Gewerkschaften bisher weidlich, einige sogar genüßlich wahrgenommen. ({8}) Das Gemeinwohl gebietet jedoch, die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben. Wer den sozialen Frieden will, muß auch funktionsfähige Gewerkschaften wollen. Wer versucht, die deutschen Gewerkschaften auf die Knie zu zwingen, der zerstört die Grundlagen unserer sozialen Stabilität, ({9}) der braucht sich nicht zu wundern - und die Klügeren im Unternehmerlager wissen es und sagen es auch -, wenn auch bei uns Arbeitskämpfe künftig mit der Erbitterung ausgetragen werden, die bisher nur aus dem konservativ regierten Großbritannien bekannt war. ({10}) Damit gar kein Zweifel entsteht: Wer so mit den Gewerkschaften umspringen will, der hat auch die deutschen Sozialdemokraten geschlossen gegen sich. ({11}) Wir haben von Anfang an gefordert, daß die Gewerkschaften, die Banken und die öffentlichen Hände die Probleme der Neuen Heimat gemeinsam so lösen, daß die Mieter, die Arbeitnehmer und die Steuerzahler so wenig wie möglich Schaden nehmen. ({12}) Die Gewerkschaften sind nach der Beendigung eines nicht leicht verständlichen Zwischenspiels heute bereit, ({13}) sich zu diesem Zweck auch finanziell zu engagieren. Bereitschaft zur Mithilfe haben inzwischen auch die Banken erkennen lassen. Ich appelliere an die Länder und den Bund, nunmehr auch das ihrerseits Erforderliche zu tun. Ein Bundesland, nämlich Hessen, hat dafür ein Beispiel gegeben. Andere sollten diesem Beispiel direkt oder auf dem Weg der Zusammenarbeit mit der jetzt gegründeten Auffanggesellschaft folgen. ({14}) Nach der Sicherung des äußeren Friedens, der Überwindung der Arbeitslosigkeit und der Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Friedens bleibt als viertes zentrales Thema die Bewahrung der Umwelt, konkreter noch: die Neuordnung unseres Umgangs mit der Natur. Sie sagen auch hier: „Weiter so!", wobei ich Herrn Wallmann gern konzediere, daß er das „Weiter so!" klüger und geschickter verpackt als sein glückloser und deswegen von Ihnen abgelöster Vorgänger. ({15}) Demgegenüber frage ich: Ist die Erhaltung der Umwelt nur ein Kriterium neben anderen für unseren Standard an Lebensqualität? Meine Antwort lautet: Über solche Relativierung geht die Entwicklung mit Macht hinweg. Die Frage lautet nicht mehr, ob wir uns aus Qualitätsbewußtsein eine mehr oder weniger schöne oder saubere Umwelt schaffen oder auch zugunsten anderer Ziele darauf verzichten wollen. Die Umweltfrage ist selber zur Überlebensfrage der Menschheit geworden. Das grundlegende Ziel ist es, die Schöpfung zu bewahren. Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst willen schützen, wird sie uns Menschen erlauben, weiterhin zu leben und menschenwürdig zu leben. ({16}) Das ist übrigens nicht meine Frage und meine Antwort. Es ist die Frage und die Antwort des Mannes, der auch hier von dem banalen „Weiter so!" meilenweit entfernt ist. Es ist wiederum die Frage und die Antwort Richard von Weizsäckers. Dieser Antwort hält Ihre Umweltpolitik nicht stand. Spätestens seit den Rhein-Katastrophen spüren Sie das doch auch selber. Natürlich sind Sie nicht als Person für die Rhein-Katastrophen, für das Sterben des Flusses, der draußen vorbeifließt, verantwortlich. Aber die Substanz Ihrer Umweltpolitik ist mit diesen Katastrophen endgültig widerlegt. Die Formel vom Restrisiko, das man hinnehmen müsse, ist endgültig als das entlarvt, was sie in Wahrheit ist, nämlich als eine fatale Formel der Beschwichtigung, der Ablenkung, j a der Täuschung. ({17}) Erinnern wir uns: Ebenso wie die Atomindustrie hat die chemische Industrie immer wieder die Sicherheit und die Ungefährlichkeit der von ihr angewandten Technologien und Verfahren bekräftigt. Zuletzt hat sie uns in einer Public-Relations-Kampagne, in einer großen Anzeigenaktion, deren Kosten auf viele Millionen Mark geschätzt werden, die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer Produktionsverfahren versichert. So hieß es noch nach der Katastrophe, als im Oberrhein kaum mehr ein lebendiger Fisch anzutreffen war, unter der Überschrift „Lieber Fisch": „Es wird Dir guttun, daß die chemische Industrie die organische Belastung der Gewässer in den letzten zwanzig Jahren um mehr als 90% gesenkt hat." Dem lieben Fisch hat es gar nicht mehr gutgetan; er war nämlich schon tot. In einer weiteren Anzeige, die dem „lieben Fluß" gewidmet war, brüstete man sich damit, daß das Wasser aus den chemischen Fabriken in der Regel sauberer in den Rhein zurückfließe, als es aus dem Rhein dorthin gekommen sei. Meine Damen und Herren, das klingt wie blanker Hohn, so als ob man den Fluß und die Fische noch im nachhinein verhöhnen wollte und die Mitbürgerinnen und Mitbürger dazu. ({18}) Dazwischen liegen nicht nur die Ereignisse vom 1. November 1986. Dazwischen liegt nicht nur die Vergiftung eines ganzen Stroms. Dazwischen liegt nicht nur das Sterben des Oberrheins und die Schädigung des übrigen Flußlaufs. Dazwischen liegt auch die Erkenntnis, daß andere in der Nachbarschaft die Brandkatastrophe dazu benutzt haben, selbst heimlich Gifte in den Rhein zu leiten. Schon wenige Tage nach der Katastrophe erklärte der gewählte Sprecher derselben Industrie, die vorher das Restrisiko als minimal, als kaum gegeben bezeichnet und jeden Zweifel als Panikmache denunziert hat - wie Sie das heute noch tun -, ein Null-Risiko gebe es eben nicht. Wohl wahr! Und das wird ja seitdem fast täglich mit immer neuen Giftschüben und Giftwellen demonstriert. Ein Massenblatt, das die Nutzung der Atomkraft mit besonderem Engagement befürwortet, schrieb denn auch acht Tage nach der ersten Katastrophe: „Wohlstand ist nicht ungefährlich. Das ist die Formel, nach der wir leben, leben müssen. Die Formel geht nur auf, wenn wir ehrlich zu uns selber sind, schonungslos ehrlich." In diesem kleinen Kommentar sind die Dinge auf den Punkt gebracht, nicht nur für die Großchemie, sondern eher noch stärker für die Atomkraft. Bei ihr liegen die Dinge doch um kein Haar anders. Auch hier wird uns von der Industrie und von Ihnen, Herr Bundeskanzler, in Anzeigen und in Reden täglich die völlige Ungefährlichkeit versichert. Wenn das angeblich Unmögliche dann eines Tages doch geschieht, wird man uns genauso kaltschnäuzig wie im Falle der jüngsten Katastrophen sagen, ein Null-Risiko gebe es eben nicht, Wohlstand sei halt nicht ungefährlich, Wohlstand habe eben seinen Preis. Wer etwas anderes geglaubt habe, sei nicht ehrlich mit sich, sei eben selber schuld. ({19}) Wir haben inzwischen gelernt, daß es kein NullRisiko gibt. Wir wollen den Preis einer Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes für eine weitere Steigerung des Wohlstands nicht zahlen. ({20}) Die Behauptung, wir müßten nach dieser Formel leben, ist nicht nur falsch; diese Behauptung ist blasphemisch, genauso blasphemisch wie die Behauptung, der Mensch sei - jedenfalls wenn er Kernkraftwerke konstruiere und betreibe - unfehlbar und werde keine Fehler begehen. ({21}) Ja, wir müssen schonungslos ehrlich sein. Und diese Ehrlichkeit besagt: Dem Menschen sind Grenzen gesetzt, die er nicht überschreiten darf. Tut er es trotzdem, dann wird ihn die Natur in seine Schranken verweisen. Die Vorgänge um den Rhein sind eine weitere dringende Mahnung, wie dies dann aussehen wird. Sie sagen „Sei's drum!" und propagieren Ihre Formel „Weiter so". Wir sagen: Diese Formel geht nicht auf. Wir wollen nicht nach dieser Formel leben. Wir wollen zurückfinden zu einer menschengemäßen Entwicklung der Technologie. Dafür haben wir konkrete Vorschläge gemacht. Sie sind bisher leider noch nicht einmal zu ernsthafter Diskussion dieser Vorschläge bereit. Herr Bundeskanzler, Sie sind einmal mit dem Anspruch angetreten, von Ihnen würde eine geistigmoralische Erneuerung der Politik ausgehen. ({22}) In Ihrer Rede vom 9. September 1982 haben Sie im Bundestag dazu gesagt, Sie wollten die geistig-moralische Kraft unseres Volkes mobilisieren, ({23}) und Sie fuhren fort, dabei seien nicht nur Appelle und Reden erforderlich, sondern auch das ganz persönliche Beispiel. Es ist nicht unfair, Sie heute an Ihren eigenen Worten zu messen und danach zu fragen, was Sie eigentlich in den vergangenen vier Jahren zur moralischen Erneuerung der Politik und zur geistigen Erneuerung des politischen Klimas konkret getan haben. Ich fürchte, die Antwort dürfte Ihnen schwerfallen. ({24}) Gewiß, Sie haben das moralische und das geistige Klima der deutschen Politik verändert, aber nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren. ({25}) Viele Ihrer Handlungen waren und sind mit den Prinzipien, die Sie selbst aufgestellt haben, schwerlich vereinbar, nein: unvereinbar, z. B. der Amnestieversuch, die Vielzahl der Affären, von denen ich nur die Affäre Wörner/Kießling nenne, weil sie der Bundeswehr bis heute zu schaffen macht, oder die Tatsache, daß Sie dem Parlament von dieser Stelle aus vor drei Wochen die Unwahrheit gesagt haben, ({26}) oder Ihre Absicht, an der Sie jetzt noch festhalten, trotz des inzwischen bei Ihrem Koalitionspartner gewachsenen Widerstandes Mörder unter gewissen Voraussetzungen straffrei zu lassen. ({27}) Das ist schlimm genug. Schlimmer aber ist die Entwicklung, die das geistige Klima unseres Landes unter Ihrer Kanzlerschaft genommen hat. ({28}) Unter Ihrer Schirmherrschaft haben sich Schlagworte aus dem Vokabular derer, die der Republik von Weimar den Todesstoß gaben, allmählich wieder im politischen Sprachgebrauch eingebürgert. Da ist wieder vom Verzichtpolitiker, von den Agenten Moskaus, von den Parasiten am Volkskörper, ja sogar von Rotfront die Rede. Da wird mit Hilfe einer konzertierten, kühl geplanten Kampagne eine Stimmung erzeugt, die den Ausländern mancherorts derart als Haß entgegenschlägt, daß die Kirchen Sie und Ihre Freunde an die einfachsten Gebote der christlichen Nächstenliebe erinnern müssen. ({29}) Da folgen antisemitische Ausfälle in immer kürzeren Abständen aufeinander. ({30}) Sicher, Herr Bundeskanzler - ich unterstreiche das ausdrücklich -, Sie sind kein Antisemit. Sie haben selbst sicherlich auch keine Sympathie für den Rechtsradikalismus. Aber Sie haben durch viele Äußerungen daran mitgewirkt, daß unter dem Stichwort der Normalisierung die Hemmschwelle - und ich sage auch: die Schamschwelle - gegenüber den Gedanken und dem Vokabular, gegenüber der Sprache niedriger geworden ist, die seinerzeit dem Verderben vorausgingen. ({31}) Hier, meine Damen und Herren, zeigen sich Symptome einer geistigen Immunschwäche auf einem außerordentlich sensiblen Gebiet. ({32}) Ihr Satz, Herr Bundeskanzler, von der Gnade der späten Geburt spielt hier ebenso eine verhängnisvolle Rolle wie Ihre Parteinahme für Herrn Waldheim oder der Goebbels-Vergleich, der - und Sie wissen es doch ganz genau - nirgends so umjubelt worden ist wie unter der Anhängerschaft des Herrn Schönhuber und unter der Leserschaft der „Deutsche National Zeitung". ({33}) Die Warnung und Mahnung eines Verfolgten, der nur mit Mühe überlebt hat, der Gnade der späten Geburt könne der Fluch des frühen Rückfalls folgen, galt sicherlich auch Ihnen. Es ist ja auch kein Zufall, daß sich in jüngster Zeit immer ungenierter Stimmen erheben, die sich von der historischen Rede des Bundespräsidenten vom 8. Mai 1985 distanzieren, ja sie als würdelos kritisieren. Es ist doch schon lange nicht mehr allein Herr Niegel aus Ihrer Fraktion, der sich so äußert. Wen meint Herr Strauß eigentlich, Herr Bundeskanzler, wenn er vor wenigen Tagen öffentlich sagt, er habe die Akte der Demütigung und der Selbsterniedrigung satt, die aus allerhöchstem Munde kämen? Wir haben etwas ganz anderes satt. Wir haben es satt, daß das Vertrauen und das Ansehen, das die Bundesrepublik unter allen Ihren Vorgängern, von Adenauer über den Friedensnobelpreisträger Willy Brandt ({34}) und Helmut Schmidt, erworben hat, auf so schlimme Weise verspielt wird. ({35}) In den letzten Wochen sind wir immer wieder gefragt worden, was wir Sozialdemokraten erreichen wollen. Auch aus Ihren Reihen kamen dazu interessierte Fragen. Ich will diese Frage beantworten: Wir wollen, daß Sie, Herr Bundeskanzler, am 25. Januar 1987 abtreten. Wir wollen, daß Sie nicht vier weitere Jahre die Richtlinien einer Politik bestimmen, die wir für rücksichtslos, für oberflächlich und für gefährlich halten. Wir wollen, daß Johannes Rau an Ihre Stelle tritt. ({36}) - Regen Sie sich nicht auf! Um sich mit Ihnen auseinanderzusetzen, reicht schon der Fraktionsvorsitzende der SPD, und zwar völlig. ({37}) Dafür werden wir bis zum 25. Januar 1987 ({38}) innerhalb und außerhalb des Parlaments mit allem Nachdruck eintreten. ({39})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren! - Herr Dr. Vogel, der Beifall stört Sie in der Fortführung Ihrer Rede genauso wie die Unruhe. ({0}) Fahren Sie bitte fort.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich danke Ihnen für diese diffizile Bewertung meines Gefühlslebens. Die Geschäftsordnung verbietet mir zu widersprechen. ({0}) Meine Damen und Herren, Ihre Heiterkeit gönne ich Ihnen von Herzen. Sie werden sich täuschen, wenn Sie meinen, daß Sie die deutsche Sozialdemokratie in die Ecke drängen können. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel. ({0})

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kanzler ist da, der Kanzlerkandidat nicht. Der Kanzler bleibt, und der Kanzlerkandidat bei Ihnen wechselt wieder. Das ist der Unterschied, der uns trennt. ({0}) Die Morgenlektüre der Zeitung hat uns heute eine Zwischenüberschrift beschert: „Lustig wird's, wenn Vogel gegangen ist." ({1}) Dort heißt es weiter: „Einmal im Monat diniert" - Respekt! - „Oppositionsführer Vogel im Séparée" - was das für feine Leute sind! ({2}) „mit seinen acht Stellvertretern. Gelegentlich wird jemand, der etwas Kluges vorzutragen hat, dazugeladen." Das war heute früh nicht der Fall. ({3}) Denn sonst wäre die Rede anders ausgefallen. Aber es geht weiter: „Richtig lustig wird es erst, behauptet ein Genosse, wenn Vogel gegangen ist." ({4}) Ich kann nur sagen: Der Mann hat absolut recht. Nur: Dieser „Kronzeuge" steht unter Vertrauensschutz, sonst hält er es die nächste Zeit in seiner Fraktion nicht mehr aus. Lieber Herr Kollege Vogel, auch ich nehme Ihren Satz auf: Weiter so! Machen Sie weiter so. Sie schaffen es noch, ({5}) daß die 38 %, die Sie das letzte Mal bekommen haben, unterschritten werden. Nicht wir drängen die Sozialdemokratie in eine Ecke. Sie drängen sie in eine Ecke, weil Sie die Feinde der Sozialdemokratie nicht bekämpfen, weil Sie die GRÜNEN an der linken Ecke Ihrer Positionen aufwerten und weil Sie durch Ihre verfehlte Abgrenzungspolitik dafür gesorgt haben, daß die GRÜNEN überhaupt in den Bayerischen Landtag und woanders hineingekommen sind. Sie tragen dafür die Verantwortung. ({6}) Meine Damen und Herren, ich will Ihnen auch noch eines sagen: Herr Kollege Vogel, lassen Sie die mißbräuchliche und peinliche Vereinnahmung des Bundespräsidenten. ({7}) Sie erweisen damit dem Amt und der Person keinen guten Dienst. ({8}) Wir wissen es zu würdigen, daß der Bundespräsident auch bei Ihnen geschätzt ist und gewürdigt wird. ({9}) Wir haben das mit allen Bundespräsidenten - auch denen, für die wir bei der Wahl vielleicht nicht gestimmt haben - so gehalten. Das ist gute Übung; das ist guter Stil. Sie sind der erste, der davon abrückt und den Bundespräsidenten mit dem oder jenem Satz für sich und gegen andere vereinnahmen möchte. Das ist ein miserabler Stil. Lassen Sie das bleiben! ({10}) Offensichtlich leiden Sie noch unter dem Trauma, daß der Mann Sie vom Bürgermeister in Berlin zum Oppositionsführer degradiert hat, was auch eine große Leistung von Herrn von Weizsäcker gewesen ist. ({11}) Herr Kollege Vogel, Sie brauchen dem Parteivorsitzenden der CSU keinen Nachhilfeunterricht in Geschichte und Bewältigung des eigenen Lebens in schwierigen Geschichtslagen zu geben. ({12}) Der kann sich hier gegenüber jedem in diesem Hause weiß Gott behaupten und sein Leben in dem Zusammenhang sehr positiv und untadelig darstellen. Sie brauchen hier keine Belehrungen zu geben. ({13}) Übrigens eine philosophische Anweisung vielleicht für den SPD-Fraktionsvorsitzenden, die nicht aus meinem Mund stammt. Da heißt es: „Gelassenheit ist die Haltung dessen," ({14}) - wo ich meine Hand lasse und in welcher Tasche ich sie lasse, geht Sie überhaupt nichts an; ich habe sie links, damit Sie das auch sehen - „der das, was er nicht ändern kann, als sinnvolle Grenze akzeptiert." Ich kann Ihnen nur sagen: Sie können nicht ändern, daß die SPD dort gelandet ist, wo sie heute ist. Sie sollten das anerkennen. Nur, Sie sollten nachdenken, warum die SPD dort gelandet ist. Sie ist dort gelandet auch wegen des bodenlosen Opportunismus von Herrn Vogel, der von seinen früheren Positionen abgerückt ist, nur nach Mehrheiten sucht und jetzt feststellen muß: Er und andere haben die SPD in eine Ecke gebracht, wo sie nicht mehr mehrheits-, wo sie nicht mehr koalitionsfähig ist. Sie werden, wie es Ihnen Herbert Wehner prognostiziert hat, lange, mehr als 15 Jahre brauchen, bis Sie aus dieser Ecke wieder herauskommen. Als Sie das erste Mal einen Kurswechsel begonnen haben, nämlich Mitte, Ende der 50er Jahre, Godesberger Programm und danach, hatten Sie Persönlichkeiten, die mit einem neuen Kurs außen-, verteidigungs-, finanz- und wirtschaftspolitisch identifiziert werden konnten. Aber jetzt ist bei Ihnen j a überhaupt niemand mehr da, der in der SPD einen Kurs zur Mitte symbolisiert, darstellt und verdeutlicht. Ihnen fehlt jede Identität mit dem, was einmal freiheitliche Sozialdemokratie in der Bundesrepublik Deutschland ausgemacht hat. ({15}) Das also sollte die große Generalabrechnung mit der Politik der Bundesregierung und mit dem Bundeskanzler sein. Daraus ist ein müdes, lustloses Nachhutgefecht ohne Substanz und ohne Inhalt geworden. ({16}) Ich habe Verständnis dafür, daß es Ihnen schwerfällt, denn alle ökonomischen Daten sprechen gegen Sie. Die deutsche Wirtschaft befindet sich nunmehr im vierten Jahr der konjunkturellen Erholung, und trotz einiger kleiner Schwankungen läuft die Konjunktur mit einer Trendrate von real 3 %. ({17}) Alle vorliegenden Prognosen, von der Bundesbank über die Forschungsinstitute bis hin zum Sachverständigenrat, signalisieren das Anhalten dieser Aufwärtsbewegung. Sie sollten sich einmal daran erinnern, was für Untergangsprophetien Sie uns in den letzten Jahren präsentiert haben. Ginge es nach dem Kollegen Roth, dann wäre es schon 1984 zu einer erneuten Rezession gekommen, und ginge es nach dem Kollegen Vogel, dann müßten wir Ende dieses Jahres bei 4 Millionen Arbeitslosen angekommen sein. Diese Schwarzmalerei nimmt Ihnen doch niemand mehr ab. Sie können die Bürger doch nicht für dumm verkaufen. Die Leute glauben Ihnen nicht, und die Arbeiter laufen Ihnen davon. Und unter diesem Trauma leiden Sie. ({18}) Gegenüber dem Tiefpunkt im Jahre 1983 hat die Zahl der Erwerbstätigen um rund 600 000 zugenommen. Nach den vorliegenden Gutachten dürften es Ende 1987 rund 830 000 sein. Das ist ein hervorragendes Ergebnis angesichts des Abbaues von etwa 1 Million Arbeitsplätzen zu Beginn der 80er Jahre. Aus rund 1 Million durch Kurzarbeit gefährdeter Arbeitsplätze sind mittlerweile weitgehend gesicherte Arbeitsplätze geworden. Die Wirtschaft hat mit unserer Unterstützung das Lehrstellenversprechen eingehalten. ({19}) - Wollen Sie das vielleicht leugnen? Jedes Jahr im Juni haben Sie in dem Zusammenhang Kassandra bemüht, und im Herbst sind Sie immer ganz ruhig, weil weit über 95 % derer, die eine Lehrstelle suchen, anschließend eine Lehrstelle bekommen haben. ({20})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weisskirchen?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) - Nein. Ich bin nämlich der Meinung, Herr Präsident, daß solche sinnlosen Fragen bei richtigen Bemerkungen die Debatte nicht weiterführen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wäre man der SPD gefolgt und hätte eine Lehrstellenabgabe eingeführt, dann wären mit Sicherheit weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt worden. ({2}) Heute stellt sich wieder heraus - die Zeitungen zeigen das -, daß das Angebot an Lehrstellen und Facharbeitern in manchen Bereichen bereits größer als die Nachfrage ist. ({3}) - Lesen Sie doch nach, was in Teilen von Baden-Württemberg, von Bayern und auch woanders passiert! Sie wissen genau: Selbst in Gegenden, in denen eine Arbeitslosigkeit von 10% und 15% herrscht, gibt es offene Stellen; hier werden qualifizierte Kräfte gesucht, aber man findet keine. Das ist die Wirklichkeit der ökonomischen Situation und des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik Deutschland. ({4}) Meine Damen und Herren, der Bestand der offenen Stellen liegt um 40% über dem Vorjahreswert - das kann niemand bestreiten -, und trotz der sektoralen Probleme im Bereich von Stahl und Werften nimmt die Zahl der Arbeitslosen ab. Wer das leugnet, betreibt politischen Analphabetismus. Das ist allmächlich die Semantik und die Strategie der SPD. Nur, das glaubt Ihnen niemand mehr. ({5}) Erstmals seit Beginn der 80er Jahre können wir wieder einen realen Anstieg der Einkommen von Arbeitnehmern und Rentnern verzeichnen. Mit einem realen Plus von 4,5% bei den Arbeitnehmern haben wir die stärkste Zunahme seit 16 Jahren. Wann haben denn unter Ihrer Regierung die Arbeiter und die Rentner einen so realen Zuwachs ihrer Einkommen bekommen? Das ist soziale Politik im Gegensatz zu dem, was Sie sich geleistet haben. ({6}) Hinzu kommt: Der Geldwert ist stabil, Einkommenssteigerungen schlagen sich wieder in einer realen Erhöhung der Kaufkraft nieder, die kalte Enteignung der Sparer durch die Inflation hat aufgehört, und nicht nur bei den Verbraucherpreisen, sondern auch bei den Mieten haben wir mit einer Steigerungsrate von rund 1,5% den niedrigsten Wert seit 25 Jahren erreicht. Können Sie sich eigentlich noch an die Mietenlüge des Jahres 1983 erinnern? Wo ist denn der Herr Jahn, der hier die ganze Kampagne damals emporgeschaukelt hat? Die Leute, die Hunderttausende und Millionen mit Angst zu beeinflussen versucht haben, sollten sich schämen, sollten ihre Posten niederlegen, sich hinsetzen und eine Zeitlang ihren Mund halten. ({7}) Es wundert mich nicht, daß angesichts des neuen Jahresgutachtens des Sachverständigenrates bei der SPD Überraschung ausgelöst worden ist. In der Tat: Angesichts der Horrorprognosen müssen Sie von den vorliegenden Ergebnissen, nämlich: anhaltendes Wachstum, Anstieg der Erwerbstätigkeit um rund 600 000 sowie stabile Preise, weiß Gott überrascht sein. Wenn nun alle vorliegenden Gutachten von einem Anhalten der konjunkturellen Aufwärtsbewegung ausgehen, dann - dafür habe ich auch Verständnis - hat das der SPD die Sprache verschlagen. Eine treffende Beurteilung des Aufschwungs hat Franz Thoma von der Süddeutschen Zeitung, ein sicher über alle Lager hinweg geschätzter Kenner, gegeben. ({8}) - Also, jetzt würde ich einmal wirklich sagen: Fragen Sie einmal den Herrn Kollegen Vogel, der sich lange Zeit, als er noch Oberbürgermeister in München war, in sehr intensivem Kontakt mit der Süddeutschen Zeitung befand und dort auch nicht schlecht behandelt wurde, ob er sich Ihrer negativen Bewertung eines sehr geschätzten, hochqualifizierten Journalisten der Süddeutschen Zeitung anschließen würde. Sie haben keine Ahnung, Herr Scheer. Ich wollte nur einen Mann zitieren, aber ich weise Ihre Negativbewertung gegenüber jemandem, der sich hier nicht wehren kann, zurück, eindeutig zurück. ({9}) Sie wissen noch nicht einmal, was Herr Thoma gesagt hat. Aber die übergroße Dummheit derer, die sich heute bei der SPD schon in die erste Reihe trauen dürfen, ({10}) führt dazu, daß er Franz Thoma mit Ludwig Thoma verwechselt hat. ({11}) Diese geschichtsbezogene Ignoranz der Sozialdemokratie hat es mit sich gebracht, daß Sie in Bayern beim eisernen Bestand von 27 % angelangt sind. Ganz klar: Wer Ludwig Thoma von Franz Thoma - beides geschätzte Leute, aber unterschiedlichen Naturells - nicht unterscheiden kann, der gehört wirklich in der Bundesrepublik Deutschland unter 35% und in Bayern unter 30 %. ({12}) Zurück zu Franz Thoma. Er schreibt: Ein derart langer Zyklus ist selten. Seine Dauer ist auch nur dadurch zu erklären, daß dieser Aufschwung ungekünstelt und daß er maßvoll ist. Überdies hat solches Wachstum seine besondere Qualität. Es ist nämlich weder von einem Konjunkturprogramm, noch von einem inflationären Preisauftrieb getragen und damit auch nicht den damit verbundenen Gefahren ausgesetzt: daß sich alles als Strohfeuer erDr. Waigel weist, sobald die Wirkung der Finanzspritzen nachläßt; daß man bremsen muß, weil die Volkswirtschaft ansonsten einer Inflation zutrudelt. Im Aufschwungzyklus 1983/86 wurden die Zunahme der öffentlichen Ausgaben sowie der Preisauftrieb sogar zurückgeführt. Das macht die Entwicklung so gesund. Dem habe ich überhaupt nichts hinzuzufügen! Wenn der Bundesfinanzminister heute Hans Apel hieße - man kann sich das nicht vorstellen; ich theoretisiere nur, aber einmal unterstellt - und wenn er dieses Ergebnis, das wir heute vortragen können, ebenfalls vorweisen könnte, würden von Kiel bis Berchtesgaden Freudenfeste unter dem Motto „Wir sind die Größten" veranstaltet. Die Losung wäre dann nicht mehr wie 1976 „Wir sind über den Berg", sondern es würde heißen: Wir stehen kurz vor dem Gipfel des Mount Everest. Doch während Herr Apel davon nur träumen kann, ist dieser Erfolg bei uns und für uns Realität. ({13}) - Das ist eine Ehrenbezeichnung, die ich gerne annehme! ({14}) - Ich werde mit Filser verglichen, und ich sage Ihnen: Wenn Sie in Ihren Reihen nur fünf von der Klugheit dieses Mannes hätten, wären Sie nicht dort angelangt, wo Sie heute sind. ({15}) Ich bin j a ganz sicher: Wenn das Stück „Erster Klasse" von qualifizierten Leuten - nicht von Ihnen, von Herrn Schöfberger - aufgeführt würde, in der ersten Klasse dürfte bei Ihnen niemand mehr mitfahren. Das kann man wirklich nicht mehr verlangen. ({16}) Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben erfolgreich bewältigt. Das Defizit im Bundeshaushalt wurde gegenüber 1982 halbiert. Wichtige Investitionsansätze bei der Städtebauförderung und beim Straßenbau, bei Bundespost und Bundesbahn wurden angehoben, und die begrenzten Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktrechts haben sich als positiv erwiesen. ({17}) Die Rahmenbedingungen sind verbessert. Mit rund 6')/0 sind die Kapitalmarktzinsen so niedrig wie selten nach dem Krieg; sie sind rund 4 % unter dem Stand von 1982. Die Ertragslage der Wirtschaft hat sich spürbar verbessert, was übrigens Helmut Schmidt und die früheren Wirtschaftsexperten der SPD gefordert hatten. Erstmals seit über 25 Jahren ist wieder eine leichte Zunahme der Eigenkapitalquote unserer Unternehmen zu verzeichnen, und es ist - das ist eine ganz wichtige Sache - wieder rentabler, in Sachanlagen und damit in Arbeitsplätze zu investieren, als sein Geld in risikolosen Staatspapieren anzulegen. ({18}) Zu Ihrer Zeit war es um vier Punkte günstiger, sein Geld in risikolosen Staatspapieren anzulegen, als es in Arbeitsplätze zu investieren. Das war Ihre arbeitsplatzfeindliche, arbeitsplatzvernichtende Politik. Und Sie wollen heute antreten und uns, wo doch bei uns wieder Arbeitsplätze entstehen, Vorwürfe machen! Das ist schon eine Unverfrorenheit sondergleichen, ({19}) die Ihnen aber außer einem Teil der eigenen Anhängerschaft - selbst die nicht einmal mehr ganz - in ganz Deutschland niemand mehr abnimmt. ({20}) Ihre Kritik ist ein Sammelsurium von Ladenhütern und ein ganzes Nest gedankenloser Widersprüche. Nichts ist in sich geschlossen und vernünftig. Bei Ihnen weiß die Linke nicht mehr, was die Rechte tut. Die einen reden noch von „Kaputtsparen"; die anderen lehnen es ab, die Verschuldung auszuweiten. Herr Rau kündigt an, er wolle keine höhere Neuverschuldung; Apel verlangt eine expansivere Finanzpolitik. Will die SPD eine Rückkehr zur ausufernden Schuldenpolitik, oder steht sie - wie alle Sachverständigen - auf der Seite derer, die eine Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung, wie Gerhard Stoltenberg sie betreibt, für notwendig und für richtig halten? Sie beklagen mit Krokodilstränen die hohe Zahl von Unternehmenszusammenbrüchen. Mir kommen fast die Tränen! Ich erinnere mich an die 70er Jahre: Diffamierung des Gewinns, Gleichgültigkeit gegenüber dem Eigenkapitalschwund! ({21}) Nirgendwo haben Sie sich damals gerührt! Als damals die Umkehr kam, als die Einkommenseinbrüche bei den Unternehmen zu verzeichnen waren, als das Eigenkapital zurückging, haben Sie doch gesagt, die Wirtschaft müßte auf ihre Belastungsfähigkeit überprüft werden. Sie haben nur ein einziges Mal um ein Unternehmen wirkliche Sorge geäußert, und das war die Neue Heimat. ({22}) Da fordern Sie Hilfe für etwas, was die sehr souveräne ÖTV-Chefin Wulf-Mathies als Betrug, Selbstbereicherung und Mißmanagement bezeichnet hat. Die Dame hat mehr Mut, Herr Vogel, als Sie. Sie hat die Dinge klar beim Namen genannt und sich nicht gescheut. Respekt vor diesen Gewerkschaftlern, auch wenn sie in manchen anderen Dingen anderer Meinung sind als wir! ({23}) Herr Kollege Vogel, Sie haben doch im Fall Lappas eine ganz miserable Figur abgegeben. ({24}) Was soll denn das Gerede von Solidarität! Ich möchte wissen, ob Sie heute, nachdem Sie offensichtlich mehr erfahren haben, Ihren Händedruck mit dem Genossen Lappas auf dem dortigen Gewerkschaftskongreß noch so lange ausdehnen würden oder ob Ihre Hand nicht etwas schneller zurückzucken würde. ({25}) Ich möchte wissen, ob Sie ein Ordnungsgeld von 1 000 Mark gegenüber dem Herrn Lappas, der ja mehr verdient als Sie - wesentlich mehr; ob „verdient" oder nicht, will ich jetzt in diesem Zusammenhang nicht beurteilen -, ({26}) so herausziehen und übergeben würden. Es ist doch läppisch. Wir konnten uns doch diese Desavouierung eines Rechtsstaates und eines Parlaments nicht leisten. Zwischenzeitlich haben das die vernünftigen Kräfte im DGB durchaus eingesehen, daß Ihnen Herr Lappas keinen Gefallen getan hat. Wenn sich ein Herr Breit stellt und auch Verantwortung übernimmt, dann soll auch ein Herr Lappas das tun. Da brauchen Sie dann nicht mit einem großartigen Händedruck so zu tun, als ob Sie mit ihm solidarisch wären. Das hat nur in die Landschaft gepaßt. Und wo Beifall ist, da ist von Vogel auch ein Händedruck; das muß man wissen. ({27}) Meine Damen und Herren, wir würden gern noch mehr für Städtebau, für Straßenbau, für Gemeinschaftsaufgaben und für andere Dinge tun ({28}) - j a, auch Straßenbau -, wenn wir weniger Geld für Zinsen ausgeben müßten und mehr Geld für Investitionen zur Verfügung stellen könnten. Helmut Schmidt, den Sie manchmal noch für sich vereinnahmen - ich glaube, wenn er sich wehren könnte, würde er das tun -, ({29}) gilt j a heute als out. Aber Herr Kollege Roth hat neulich Kohl-Aufschwung mit Schmidt-Aufschwung verglichen - ökonomisch, meinte er natürlich. ({30}) Mir fällt da etwas ein. Helmut Schmidt hat einmal etwas gesagt, was die Beweglichkeit betrifft: daß er, wenn Rau auf 42 % käme, 42 Liegestütze machen würde. Nun halte ich Helmut Schmidt für geistig beweglich, aber die 42 Liegestütze täten ihm nicht gut. Er braucht sie auch nicht zu machen. Er braucht sie wirklich nicht zu machen. Die Marke wird weit, weit unterschritten werden. ({31}) Aber zurück zu den ökonomischen Daten! Herr Kollege Roth hat da einen ganz willkürlichen Vergleichszeitraum herangezogen. Von 1974 bis 1982, also Beginn und Ende des tatsächlichen Schmidt„Aufschwungs", wurden 17, weitgehend durch Schulden finanzierte Ankurbelungsprogramme mit einem Finanzvolumen in Milliardenhöhe verabschiedet. Als Ergebnis stieg die Zahl der Arbeitslosen von jahresdurchschnittlich 580 000 im Jahre 1974 auf saisonbereinigt rund 2 Millionen Ende 1982. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Erwerbstätigen in jahresdurchschnittlichen Werten um 850 000 ab. Wenn ich die Zahlen auf den Zeitpunkt der Regierungsübernahme der SPD im Jahre 1969 beziehe, dann sieht die Entwicklung noch viel schlimmer aus. Wenn man Kohl-Aufschwung und Schmidt-Aufschwung vergleicht, dann liegen wir weit vorn und sehen ausgezeichnet aus. Nun kritisieren Sie die Entwicklung der Subventionen. Ja, meine Damen und Herren, wer will denn die Subventionen? Johannes Rau will mehr Hilfen für die Kohle und das Ruhrgebiet. Herr Dohnanyi will mehr Hilfen für die Werften, und die SPD-Fraktion will einen neuen Subventionsstopp mit einem Finanzvolumen von mehreren Milliarden Mark, der durch eine saftige Erhöhung bestehender und die Einführung neuer Energieverbrauchsteuern finanziert werden soll. Von Hans-Jochen Vogels Forderung nach Schonung der Massenkaufkraft will ja heute überhaupt niemand mehr etwas hören. Und nun wollen Sie sich auf der einen Seite sicherheits- und außenpolitisch immer mehr von den Vereinigten Staaten distanzieren, wollen von ihnen abrücken. Sie versuchen aber auf der anderen Seite, sich dort Freunde durch die Befürwortung der sogenannten Lokomotivtheorie zu erwerben. Ich halte diesbezügliche Forderungen aus den Vereinigten Staaten für nicht begründet. ({32}) Die deutsche Wirtschaft ist von ihrem Leistungspotential her zu gering, um die Rolle einer Lokomotive spielen zu können. Mit der höchsten Wachstumsrate pro Kopf stehen wir an der Spitze des internationalen Konjunkturzuges. Wie die reale Entwicklung des Außenhandels seit rund einem Jahr deutlich zeigt, trägt die deutsche Wirtschaft sehr wohl zur konjunkturellen Erholung der anderen westlichen Staaten bei. Im übrigen scheinen einige SPD-Politiker zu glauben, die USA würden von uns neue schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme verlangen. Genau das ist falsch. Die USA erwarten von uns in erster Linie weitere Lockerungen im Bereich des Arbeitsrechts und eine kräftige Entlastung bei der Unternehmensbesteuerung. Aber genau das bekämpfen Sie. Bei Ihnen stimmt in der Wertung, in der Zusammenfassung nichts mehr zusammen. Sie versuchen, sich da und dort etwas herauszuholen, ohne daß das Ganze ein geschlossenes Bild ergäbe. ({33}) Meine Damen und Herren, Sie verlangen von der Bundesbank weitere monetäre Impulse. Sie wissen aber genau, daß Sie damit von der Stabilitätspolitik abweichen, daß Sie wieder eine Politik des leichten Geldes befürworten, daß es damit zu einem Wiederanstieg der Inflationsrate käme. Im Klartext heißt dies nichts anderes als: Die Sparer sollen wieder durch inflatorische Substanzverluste enteignet werden. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer und Rentner würde ausgezehrt und die Einkommenszuwächse der Facharbeiter durch heimliche Steuererhöhungen abgeschöpft. So sieht Ihr Konzept für mehr soziale Gerechtigkeit aus. Unser Konzept ist das nicht. Und Sie werden auch keine Chance haben, das im nächsten Jahrzehnt zu verwirklichen. Meine Damen und Herren, die Erfahrungen zeigen: Die SPD hat in der Wirtschaftspolitik nichts dazugelernt. Inflation schafft keine Arbeitsplätze, und mit monetären Instrumenten können realwirtschaftliche Probleme nicht gelöst werden. Nachdem das alles nicht mehr trägt und die SPD mit leeren Händen dasteht, kommt nun wieder etwas, was eine Zeitlang ruhte: die Forderung nach mehr Mitbestimmung. Bei der Macht, mit der man es vorträgt, herrscht gedämpfter Trommelwirbel, weil das Ganze einen kleinen Haken hat. ({34}) Man kann nicht morgens die Ausweitung der Mitbestimmung verlangen und nachmittags um Verständnis für das totale Versagen der Mitbestimmung im Aufsichtsrat der Neuen Heimat bitten, wie dies etwa DGB-Chef Breit tut. ({35}) Gleiches gilt für die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Es ist doch merkwürdig, wenn IG-Metall-Chef Steinkühler die 35-Stunden-Woche, die er von der Privatwirtschaft verlangt, in der eigenen Organisation laut Zeitungsberichten nicht durchsetzen will und sich in völligem Einklang mit Selbständigen und Mittelständlern, deren Leistung die SPD durch eine Ergänzungsabgabe eigentlich bestrafen möchte, über die 60-Stunden-Woche der DGB-Funktionäre beklagt. Meine Damen und Herren, das ist eine völlig neue Konstellation. Wir kriegen eine neue Koalition von Leistungsträgern, die Funktionäre im DGB, die Mittelständler, die Unternehmer, die mit der 35-Stunden-Woche nicht arbeiten können. Nur sollten Sie dann einmal darüber nachdenken, ob die 35-Stunden-Woche der richtige Weg in die Zukunft ist, wenn sie für den eigenen Bereich nicht eingeführt werden kann. ({36}) Meine Damen und Herren, wir haben eine Belehrung von Ihnen in Sachen Umweltschutz nicht nötig. Der von Ihnen, Herr Kollege Vogel, angegriffene Innenminister, der früher für diesen Bereich zuständig war, hat in dreieinhalb Jahren mehr getan als Sie in 13 Jahren. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. ({37}) Sie haben alles verschlafen und als nicht machbar bezeichnet, ({38}) was bei uns nunmehr in dreieinhalb Jahren und auch im letzten halben Jahr passiert ist. Sie haben ein miserables Bild abgegeben, was Buschhaus und Ibbenbüren betrifft. Der sehr geschätzte Kollege Adolf Schmidt hat seine Zustimmung zu Buschhaus gegeben, weil es um 4 000 Arbeitsplätze ging. Ich spreche hier mit großem Respekt von einem Kollegen und Gewerkschaftsführer, der bei zwei gleichen Sachverhalten das gleiche sagt. ({39}) Er hat sich nämlich zu Buschhaus genauso geäußert wie zu Ibbenbüren. Sie haben bei Buschhaus ein böses, schlimmes Theater entfacht und sich bei Ibbenbüren als Pharisäer gezeigt. ({40}) Dann mußte nämlich Herr Rau plötzlich zugeben: Jawohl, auch hier geht es um 4 000 Arbeitsplätze. Jetzt schiebt er die Dinge den Technikern und anderen zu. Nein, nein, meine Damen und Herren: Hier wurde ein Scheck ausgestellt, der nicht einlösbar ist. Da wurden Fehler gemacht, für die jetzt andere verantwortlich gemacht wurden. Da wurde geschwafelt statt entschwefelt. ({41}) Sie stehen mit einer miserablen Umweltbilanz da. ({42}) Nun hat ein grüner Umweltminister für ein besonderes Stück gesorgt. Ich habe über den führenden Müllexporteur der Bundesrepublik Deutschland namens Joschka Fischer gehört, ({43}) er wolle den Müll nach Österreich, in die Steiermark, exportieren. ({44}) Ich kann dazu nur sagen: Das ist ein Stück für den grünen Komödienstadl. In Hessen will er den Müll nicht. In die DDR will er ihn schaffen, aber das wollen seine eigene Partei und die Gerichte nicht. In Frankreich hat er sich einen Korb geholt. Nun will er das Ganze in die Steiermark hinbringen, wo sich allerdings die dortigen GRÜNEN gegen den Export der Mistkübel aus Hessen einigermaßen verwahren. ({45}) Ich kann ihm nur raten, diese Transporte künftig selber mit Turnschuhen zu begleiten. Er wird aber einige Dutzend brauchen, damit die Gummisohlen bei dieser Gelegenheit nicht verqualmen. ({46}) Meine Damen und Herren, der SPD laufen die Facharbeiter davon, weil sich niemand mehr auf ihre Wirtschafts- und Umweltpolitik einen Reim machen kann. Zuerst heißt es in der Kernenergiepolitik: abschalten, dann: mittelfristig abschalten, dann: ein längerfristiger Ausstieg, dann: ein Einstieg in den Ausstieg, dann: ein Einstieg in den Umstieg. Was die wollen, weiß niemand, mit Ausnahme des Kollegen Vogel, der die Nutzung der Atomkraft in einem Zeitraum von zehn Jahren definitiv beenden will. Demgegenüber erklärt der bisherige Kanzlerkandidat gegenüber dem früheren und möglicherweise kommenden Kanzlerkandidaten im „Handelsblatt": „Ich habe noch nie gesagt, daß wir in zehn Jahren aus der Kernenergie herauskommen werden." Weiter meinte Herr Rau, mit einer Mehrheit von nur 51 % der Stimmen im Parlament - er hat immer noch daran geglaubt - könne man nicht aussteigen. Da hat er recht. Nur wird er in diese Versuchung nie kommen. Zum Verhältnis der SPD zu den GRÜNEN kann ich nur eines sagen: Ähnlich wie es mit Börner in Hessen ging, begann die Diskussion in Hamburg. Zunächst hat Herr von Dohnanyi klipp und klar erklärt: keine Zusammenarbeit mit den GRÜNEN. Der Innensenator Pawelczyk ist mit der Aussage bekanntgeworden: Wo die GAL ist, da ist auch Gewalt, und wo Gewalt ist, ist auch schnell die GAL. Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. ({47}) Doch nach der Wahl gibt es sofort Kräfte, die an ihm vorbei die Zusammenarbeit versuchen und hier ähnlich wie in Hessen etwas Neues beginnen wollen. ({48}) Wir sehen bei den Demonstrationen in Hanau schon wieder - wo die Polizei als Bewacher von gewalttätigen Elementen im Grunde mißbraucht wird -, daß die Polizei aus allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland mißbraucht wird. ({49}) Das ist ein Mißbrauch der Polizei, ({50}) eine Unverfrorenheit gegenüber denen, die eigentlich die freiheitliche Ordnung verteidigen sollen. ({51}) In allen entscheidenden Grundsatzpositionen ist die SPD heute in zwei Lager gespalten. Die einen befürworten mit den GRÜNEN den Ausstieg aus der NATO, aus der Industriegesellschaft und aus der von CDU/CSU, SPD und FDP gestalteten Republik und wollen statt dessen hin zum Neutralismus, zu einer sozialistischen Wirtschaftsordnung, zu einer anderen Republik. ({52}) Der zweite Teil der SPD versteht sich demgegenüber in der Tradition der Arbeiterbewegung und des Godesberger Programms. Spätestens seit Helmut Schmidts erzwungenem Ausstieg ist dieser Teil der SPD in eine hoffnungslose Minderheit geraten und zeigt auch nicht gerade besonderen Mut. Ein Mann hat hier anders gehandelt: Der Kollege Eickmeyer hat mit und nach seinem Austritt aus der SPD ({53}) nach 18jähriger Parteizugehörigkeit alles zu dem Thema gesagt: Der Aufstieg der GRÜNEN war nur möglich durch das totale Versagen der SPD und das Abrücken von Ihren früheren Positionen. ({54}) Meine Damen und Herren, wie in nahezu allen Bereichen bietet die SPD auch in der Außen- und Sicherheitspolitik ein diffuses Bild, ({55}) ein Bild voller Widersprüche. ({56}) In den Sonntagsreden bekennt man sich zur NATO, in der Praxis werden fast ausschließlich die Vereinigten Staaten kritisiert, und alles, was aus der Sowjetunion kommt, wird gelobt. ({57}) Im Bereich der Rüstungskontrolle ist die SPD nach Helmut Schmidt dazu übergegangen, den Sowjets ein Monopol nicht nur im Bereich der atomaren Kurzstreckenraketen, sondern auch im Bereich der Mittelstreckenraketen einzuräumen. In der ganzen Rüstungs- und Abrüstungsdebatte ist überhaupt keine politische Kraft in Mitteleuropa so blamiert worden wie die SPD. Sie müssen heute zur Kenntnis nehmen, daß die Sowjets mehr anbieten, als Sie vor vier Jahren gefordert haben. ({58}) Das zeigt doch das ganze Elend und die Blamage Ihrer außen- und verteidigungspolitischen Vorstellungen. ({59}) Da paßt es sehr deutlich, daß ein so honoriger und erfahrener Mann wie Hans Koschnick nicht einmal mehr ins Präsidium Ihrer Partei gewählt wird. Auch in der Deutschlandpolitik entfernt sich die SPD durch die Übernahme der Geraer Forderungen Schritt für Schritt von der gemeinsamen Entschließung des Bundestages. Sie mißachtet damit offen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag. Es wäre für die Menschen im geteilten Deutschland besser, wenn die SPD bei ihren merkwürdigen Sondergesprächen mit der SED das Augenmerk stärker auf den Schießbefehl an der Berliner Mauer richten würde; ({60}) denn so lange wir Vorgänge wie die im Kugelhagel endende Flucht am Montag dieser Woche zu beklagen haben, ist es absurd, von Normalisierung der Beziehungen oder gutnachbarschaftlichen Beziehungen und Verhältnissen zu sprechen. ({61}) Was aus den Reihen der SPD zum Thema Rüstungskontrolle und Abrüstung angestrebt wird, ({62}) ist mit deutschen Sicherheitsinteressen nicht in Einklang zu bringen. Unser Ziel heißt Sicherung des Friedens, und demgegenüber ist die Abrüstung kein Ziel an sich, sondern ein Mittel zur Erreichung des Ziels. Abrüstungsmaßnahmen, an deren Ende ein sowjetisches Monopol an Kurzstreckenraketen sowie das totale Übergewicht im konventionellen Bereich stehen, liegen nach meiner Überzeugung nicht im deutschen Interesse. Abrüstung j a, aber nicht Abrüstung zu Lasten der deutschen Sicherheit. ({63}) Verringerung der Kernwaffen j a - mit Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau im atomaren wie im konventionellen Bereich. ({64}) Diese Gleichgewichtsidee lag auch der Grundphilosophie von Helmut Schmidt zugrunde, die wir nachdrücklich auch weiter verteidigen, von der Sie aber abgerückt sind. Jetzt noch ein Wort zu Ihnen, Herr Vogel, und Ihrer künstlichen Empörung. Sie haben einen gekünstelten Aufschrei wegen des Interviews des Bundeskanzlers in „Newsweek" versucht. Wo war eigentlich Ihr Aufschrei, Herr Kollege Vogel, als Oskar Lafontaine im Zusammenhang mit Cattenom französische Regierungsstellen mit der Mafia verglich? ({65}) Was für einen Aufstand hätten Sie wohl veranstaltet, wenn ein CDU-Ministerpräsident den Kreml im Hinblick auf Tschernobyl mit der Mafia verglichen hätte? ({66}) Wo blieb Ihr Aufschrei, da Sie immer so den Moralhüter und Oberlehrer in Sachen Moral spielen wollen, als Willi Brandt den CDU-Generalsekretär mit Goebbels verglichen hat? ({67}) Ich will Ihnen noch etwas sagen. Am 22. November 1986 war in einer Zeitung zu lesen - ich zitiere -: „Bremens Senator wünscht Reagan frühen Tod". ({68}) - Ich komme gleich darauf zu sprechen. - Ich zitiere: Skandal um Bremens Sozialsenator Scherf, der dem Linksregime von Nicaragua erst eine Chance gibt, wenn US-Präsident Reagan sein Amt 1988 aufgibt. ({69}) Scherf wörtlich weiter: Es sei denn, er geht vorher mit seinem Krebs unter die Erde. Hoffentlich kommt der Wechsel vor zwei Jahren. ({70}) - Sie haben die Möglichkeit, das anschließend in Ordnung zu bringen. ({71})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Waigel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich will das zu Ende bringen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Gansel, Sie haben nicht die Möglichkeit, am Mikrophon eine Debatte zu führen.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich trage das ganz ruhig vor, und Sie haben anschließend die Möglichkeit, das klarzustellen. Ich hoffe, daß Ihnen das gelingt. ({0}) Vor zwei Tagen hat der Chef des Bundeskanzleramts den Präsidenten des Senats der Freien Hansestadt Bremen, Herrn Bürgermeister Klaus Wedemeier, fernschriftlich aufgefordert - ich zitiere -: Die Zeitung vom 22. November 1986 enthält auf Seite 2 einen Artikel unter der Überschrift „Bremens Senator wünscht Reagan frühen Tod". Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir zur Unterrichtung des Herrn Bundeskanzlers eine Stellungnahme zu diesem Beitrag zukommen ließen. Bis heute ist nichts eingetroffen. Sie hätten das längst tun können, damit das erledigt wird. Ich hoffe, Sie tun es noch. Ich fordere Sie dazu auf. ({1}) - Sie haben, Herr Vogel, auch noch allen Grund, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. ({2}) Können Sie sich eigentlich noch erinnern, was Oskar Lafontaine im „Stern" über die Blutspur von Rosa Luxemburg bis hin zu Helmut Schmidt gesagt hat? ({3}) Wo blieb da der Aufschrei? ({4}) Wo blieb die moralische Entrüstung der Herren Rau, Brandt und Vogel? Das ist Ihre Art und Weise, die Dinge darzustellen. ({5}) - Sie wissen ganz genau, was Helmut Schmidt in dem Zusammenhang vom Parteivorsitzenden hinsichtlich der Artikel im „Vorwärts" gefordert hat ({6}) und wie Sie das Ganze zur Seite zu schieben versuchen. Kümmern Sie sich um die Dinge in Ihrem eigenen Bereich, ({7}) bevor Sie sich um Interviews anderer kümmern. Sie haben allen Anlaß, sich mit Ihrer Partei und mit Ihrer Fraktion zu beschäftigen. Bringen Sie da die Dinge in Ordnung, und kümmern Sie sich dann um die nationalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. ({8}) Es war zu erwarten, daß sich der SPD-Kandidat auch heute wieder nicht im Bundestag stellt. Wir brauchen keine Fernsehduelle zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundeskanzlerkandidaten. Das hat übrigens die SPD 1980 abgelehnt. Hier soll er sich stellen, hier soll er zu den Dingen der Nation etwas sagen. Aber hier ist er nur selten zu sehen. Meine Damen und Herren, unsere Außen- und Verteidigungspolitik ist grundsatzbezogen und ethisch begründet. Das gleiche gilt für unsere Deutschlandpolitik. Wir haben die Entwicklungspolitik entideologisiert. Die Umweltpolitik hat den erforderlichen Stellenwert erhalten. Unsere Finanzpolitik ist durch Solidität gekennzeichnet. Sie ist wachstumsorientiert, investitionsfördernd sowie länder- und kommunalfreundlich. ({9}) Unsere Steuerpolitik zielt auf Leistungsförderung und Berücksichtigung der Familien mit Kindern. Die Familienpolitik ist wieder Schwerpunkt der Gesellschafts- und Sozialpolitik geworden. Mit dieser Bilanz werden wir den Wahlkampf erfolgreich bestehen. Wir stehen aus Überzeugung zum Bundeskanzler und zu seiner Regierung. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Gansel und Herr Abgeordneter Scheer, ich rufe Sie beide zur Ordnung wegen des Zwischenrufes „Lügner", bezogen auf ein Mitglied des Hauses. ({0}) - Herr Abgeordneter Scheer, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß diese Art von Protest gegen eine Ordnungsmaßnahme des Präsidenten nach der Geschäftsordnung nicht zulässig ist. Wenn Sie dagegen Einwendungen haben, ist der Ältestenrat dafür da. Auch gibt es nach der Geschäftsordnung die Möglichkeit eines formellen Einspruchs zu Beginn der nächsten Sitzung. ({1}) Aber die andere Art wollen wir hier nicht einführen. Das Wort hat Frau Abgeordnete Hönes.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Waigel, ich halte die Art und Weise, wie Sie die politische Auseinandersetzung heute morgen geführt haben, für ekelerregend. ({0}) Sie waren weder inhaltlich überzeugend noch sachlich, Sie waren einfach widerlich. ({1}) Meine Damen und Herren, die Unionsparteien machen Wahlkampf mit der Parole „Weiter so, Deutschland". Nach vier Jahren Rechtsregierung wissen wir, was diese Drohung bedeutet, Herr Waigel. „Weiter so, Deutschland", das heißt: soziale Ausgrenzung von Erwerbslosen, Gesetze zur ZerschlaDeutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Frau Hönes gung gewerkschaftlicher Kampfkraft, weiterer Ausbau der lebensbedrohlichen Atomindustrie, immer mehr Waffen, Hetze gegen Ausländer, Flüchtlinge und Minderheiten, Ausbau des Überwachungsstaates, damit auch noch der kleinste abweichende Gedanke in Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei zentral erfaßt und gegebenenfalls strafrechtlich geahndet werden kann. ({2}) Blendende Gewinne der Chemieindustrie auf Kosten - - Herr Präsident, wenn Sie die Freundlichkeit hätten, für Ruhe zu sorgen, damit ich meine Ausführungen machen kann.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Entschuldigen Sie, Frau Abgeordnete, Sie brauchen mich darauf nicht aufmerksam zu machen. Es gibt einen Teil von Mitgliedern des Bundestages, die den Saal verlassen wollen. Ich bitte, das unverzüglich, ohne Verzögerung zu tun. ({0}) Die anderen, die hier teilnehmen wollen, bitte ich, Platz zu nehmen. - Bitte, Frau Abgeordnete Hönes, fahren Sie mit Ihren Ausführungen fort.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Weiter so, Deutschland" heißt: glänzende Gewinne der Chemieindustrie auf Kosten der Gesundheit der von ihr betroffenen Menschen. Vor gut einem Monat debattierte der Bundestag über einen Antrag der GRÜNEN, in dem wir eine grundsätzliche Änderung der Chemiepolitik gefordert haben. Der Antrag wurde mit den Stimmen der Regierungsparteien und der SPD abgelehnt. Der Kollege Lippold von der CDU nutzte die Gelegenheit zu einer Ehrenerklärung für - ich zitiere -unsere chemische Industrie und für die Menschen, die dort arbeiten, ({0}) für die Menschen, die dort - ich sage es noch einmal - verantwortungsbewußt arbeiten und die wir gegen die von der Opposition pauschal erhobenen Vorwürfe ganz ausdrücklich in Schutz nehmen. Nur wenige Tage später demonstrierte die chemische Industrie ihr Verantwortungsbewußtsein. Nachdem Sandoz und Ciba-Geigy den Rhein zu einem toten Fluß gemacht hatten und noch während die verantwortlichen Politiker und Chemie-Manager hierzulande an der seit Tschernobyl bekannten Mär strickten, in der Bundesrepublik könne das alles nicht passieren, gelangten durch einen Störfall bei der BASF in Ludwigshafen zwei Tonnen hochgiftiger Herbizide in den Rhein. Inzwischen vergeht kaum ein Tag, ohne daß neue Meldungen über ausgetretene Gifte, Ölteppiche etc. bekanntwerden. Gestern abend verschwand bei Bayer, Leverkusen, eine noch unbekannte Menge Gift im Rhein. Aber auch die BASF zeigte sich „verantwortungsbewußt" und verschwieg den Behörden und der Bevölkerung die Hälfte der Schadstoffmenge. Während die Trinkwasserbrunnen dichtgemacht wurden, meldete sich der Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie zu Wort. Er warnte die Politiker ausdrücklich davor, die ohnehin sichere Industrie mit zusätzlichen teuren Sicherheitsvorkehrungen zu belasten. Die chemische Industrie berge eben ein Restrisiko in sich, und das Nullrisiko gebe es nicht. Gott sei Dank hat Herr Geißler rechtzeitig die philosophische Grundlage dieser Ideologie deutlich gemacht, als er sagte: Wer der Auffassung ist, mit dem Tod sei alles zu Ende, der kann halt mit dem sogenannten Restrisiko naturgemäß weniger gut leben als derjenige, der diese irdische Existenz als eine vorläufige und gleichzeitig auf ein ganzheitlich unendliches Ziel ausgerichtet begreift. ({1}) Ich denke, das ist Blasphemie. ({2}) Zum Wohl der Profite der Chemiegiganten soll also die Bevölkerung mit dem Risiko ökologischer Katastrophen größten Ausmaßes leben. Und die Bundesregierung leistet der chemischen Industrie tatkräftig Schützenhilfe. Sie begleitet ihre erpresserische Warnung noch durch vernebelnde Kommentare. Mit dem Hinweis auf die Verkettung unglücklicher Umstände, mit der Diskussion über Haftungsfragen und Alarmpläne wird versucht, von der zentralen Frage abzulenken: Ist die heutige chemische Produktion überhaupt verantwortbar? Die öffentliche Diskussion über die Risiken der Chemieproduktion und die notwendige Entmachtung der Konzerne soll ganz bewußt vermieden werden. Nichts fürchtet die chemische Industrie mehr als die Offenlegung ihrer Produktionsweisen, ihrer Produkte und ihrer Abfallstoffe. Und mit den Vertretern dieser Industrie glaubt die Bundesregierung freiwillige Vereinbarungen treffen zu können. Die GRÜNEN verlangen eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung über die Risiken der Chemie. Wenn bekannt ist, in welchem Maß die chemische Produktion durch die Herstellung, Anwendung und Entsorgung ihrer Produkte die Umwelt zerstört und in welchem Ausmaß die Gesundheit der Arbeiter der chemischen Produktion und die Gesundheit der Bevölkerung durch die schleichende Vergiftung aller Lebensbereiche gefährdet ist, wird auch klar, wie unverzichtbar die Umorientierung der chemischen Produktion hin zu umweltverträglichen Verfahren und Produkten ist. ({3}) Diese Umorientierung ist notwendig, um die weitere Produktion krebsauslösender Stoffe zu verhindern, um die gigantische Produktion von Sondermüll durch die chemische Industrie zu stoppen - sie nämlich ist der Hauptverursacher für diese Müllmisere in Hessen, Herr Waigel, nicht der Umweltminister Fischer -, ({4}) um die Ressourcen zu schonen und der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten. Aber auch die Bundesregierung plant Maßnahmen - wir wollen j a gerecht sein -. Sie möchte Umweltminister Wallmann weitere Spitzengespräche mit dem VCI führen lassen. Man sieht die Herren in den Vorstandsetagen förmlich erzittern. Der Umweltminister wird also die professionellen Umweltvergifter von BASF, Bayer und Hoechst erneut zu freiwilligen Vereinbarungen zu überreden versuchen. Als 1980 die Massenaktionen - ({5}) - Richtig. Das ist unser kleinstes Problem, daß wir uns einmal in den Seiten vertun. ({6}) - Sie haben ganz andere Probleme zu lösen. Herr Wallmann wird also wieder versuchen, den VCI zu freiwilligen Vereinbarungen zu überreden, die diese keine müde Mark ihrer Milliardengewinne kosten wird. Die nächste Umweltkatastrophe ist damit programmiert. Dafür richtet sich die ganze Härte der Staatsmacht gegen diejenigen, die gegen die Verseuchung und Vergiftung der natürlichen Lebensgrundlagen Widerstand leisten. Dies hat in der Bundesrepublik Tradition, Herr Waigel. ({7}) Gegen rebellierende Studenten schützte sich der Staat mit Notstandsgesetzen, gegen Radikale im öffentlichen Dienst mit Berufsverboten. Und als Mitte der 70er Jahre die Verfassungsfeinde immer noch nicht ausgemerzt waren, wurden sie im Kontext der RAF-Morde zum terroristischen Umfeld abgestempelt. Die Geheimdienste wurden massiv ausgebaut. Und als um 1980 die Massenaktionen gegen AKWs und Raketen stattfanden, bewährten sich diese Schutzmaßnahmen. Diese Regierung nun erfand das Vermummungsverbot gegen den angeblich besonders heimtückischen passiven Terrorismus. Sie erließ Anfang des Jahres neue Polizeigesetze, und als der Massenprotest gegen die Tschernobyl-Technologie selbst damit nicht zu befrieden war, mußten die allerneuesten Antiterrorgesetze her, die schon das Rütteln am Bauzaun als Erschütterung der rechtsstaatlichen Ordnung oder als terroristischen Akt verurteilten. Meine Damen und Herren, wenn diese Entwicklung und diese Art der Definition weitergehen, werden wir bald ein Volk von Terroristen sein. Das kann ich Ihnen garantieren. Selbst Ihr Parteifreund, Herr Bundeskanzler, der Leiter des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, Christian Lochte, hat festgestellt - ich zitiere -: Unangemessen erscheint die Zusammenfassung so unterschiedlicher Straftaten wie Sachbeschädigung durch das Werfen eines Kabels auf eine Oberleitung der Bundesbahn oder mehrfacher Mord. Aber nicht einmal dieser sachliche Einwand wird von Ihnen zur Kenntnis genommen. Rechtsstaat bedeutet im vierten Jahr der Wende - und das entspricht genau der Philosophie des Herrn Bundeskanzlers -: Freiheit für die Zerstörer von Umwelt und Gesundheit der Menschen und rücksichtslose Kriminalisierung derer, die sich dagegen wehren. Seit Ihrer Amtsübernahme, Herr Bundeskanzler, im Herbst 1982 haben Sie als eines der herausragenden Ziele Ihrer Regierung immer wieder genannt: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen: Das ist die Aufgabe unserer Zeit. - So in Ihrer Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 und ähnlich 1983, als wir in den Bundestag kamen. Wie aber sieht die Wirklichkeit aus, meine Damen und Herren? Sie haben das Gegenteil gemacht, Herr Bundeskanzler: ({8}) Unter Ihrer Regierung ist der Verteidigungshaushalt seit 1983 um 5,2 Milliarden DM bzw. 11,3 % auf heute 51,3 Milliarden DM gewachsen. Die Rüstungsausgaben insgesamt, also auch die in anderen Haushaltstiteln versteckten, sind sogar auf 62,1 Milliarden DM gestiegen. Sie haben nicht weniger, Sie haben mehr Waffen in unserem Land angesammelt. Wenn ich in der Logik Ihrer eigenen Worte bleibe, dann haben Sie nicht Frieden geschaffen, sondern die Kriegsgefahr erhöht. - Plaudern Sie nicht, Herr Bundeskanzler, sondern schenken Sie der Opposition Aufmerksamkeit. Sie haben es bitter nötig. ({9}) Den Frieden in Mitteleuropa unsicherer gemacht haben Sie vor allem mit dem von Ihrer Regierung zu verantwortenden Beginn der Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles und Ihrer unbedingten Gefolgschaft gegenüber jedem neuen Rüstungsplan und jeder Verhinderung von Abrüstungsvereinbarungen durch die Reagan-Regierung. In der Debatte zum Stationierungsbeginn der atomaren Mittelstreckenraketen in unserem Land haben Sie am 21. November 1983 gesagt - ich zitiere -: Im November 1981 schlug Präsident Reagan vor, daß beide Seiten auf die gesamte Kategorie von landgestützten Mittelstreckenraketen größerer Reichweite und ihre Abschußvorrichtungen verzichten. Sein Vorschlag ging von der ehrlichen Überzeugung aus, daß mit dieser beiderseitigen Null-Lösung unseren Sicherheitsinteressen ebenso wie denen der Sowjetunion am besten gedient sei. Ich bedauere nach wie vor, daß sich die Sowjetunion bis heute weigert, diesen wegweisenden Vorschlag anzunehmen. Die GRÜNEN haben seinerzeit den bedingungslosen Verzicht auf die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles verlangt, und wir fordern auch weiterhin den bedingungslosen und vollständigen Abzug der inzwischen hier stationierten Raketen. ({10}) Aber das, was Sie, Herr Bundeskanzler, vor drei Jahren als „wegweisenden Vorschlag" bezeichneten, dem sich die Sowjetunion verweigere, ist vom neuen KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow im Januar dieses Jahres, eingebettet in ein noch umfassenderes Programm zur Vernichtung aller Atomwaffen, längst akzeptiert worden. Aber Sie wollen das nicht mehr, und Sie haben es wohl auch nie gewollt, Herr Bundeskanzler. Was Sie der Sowjetunion ständig vorwerfen, ist im Grunde nur die alltägliche Methode Ihrer sogenannten Friedenspolitik: billige Propagandatricks, die die von Ihnen betriebene ungehemmte Aufrüstung verschleiern sollen. Mit Ihren flegelhaften und revanchistischen Äußerungen in dem bekannten „Newsweek"-Interview haben Sie ein ganzes Land beleidigt, ({11}) das den Überfall durch den Nazi-Faschismus mit über 20 Millionen Opfern bezahlen mußte. Sie haben damit nur ein weiteres Mal bewiesen, daß es neue Hoffnungen auf Entspannung und Friedenssicherung auf unserem Kontinent erst geben wird, wenn Ihre Regierung abgewählt ist. ({12}) Wir hoffen, daß dies am kommenden 25. Januar geschieht. Als wir 1983 in den Bundestag einzogen, mußten wir zunächst jede Woche hören, daß Grün Episode bleibt. ({13}) Seitdem klar ist, daß diese Prognose ebenso falsch war wie jene von der sicheren Atom- und der sauberen Chemietechnik, werden wir GRÜNE jetzt immer von neuen Schmutzkampagnen überzogen, allen voran die Herrn Strauß und Geißler, und auch Herr Waigel beteiligt sich inzwischen. Wir ertragen das mit Gelassenheit, Herr Waigel; denn wir sind sicher, viele Menschen sagen: Wenn ausgerechnet Strauß und Geißler und Waigel einen Anlaß sehen, die GRÜNEN zu verteufeln, dann muß an dieser Partei einfach etwas Gutes sein. ({14}) Vor diesem Hintergrund haben wir natürlich unsere Wahlerfolge in Bayern und Hamburg mit Befriedigung registriert. ({15}) Gleichwohl wissen wir: Wahlerfolge allein sind keine Bestätigung ({16}) für richtige Politik. Wer das so sieht, der endet bei der verräterischen Peinlichkeit, sich schließlich an den Wahlerfolgen von Hitlers NSDAP zu messen, wie das jüngst Herr Kohl getan hat. Seine Entgleisungen sind ein Grund mehr, die Wahlergebnisse von Bayern und Hamburg in der Summe als bedrohlich zu empfinden, ({17}) weil sie einen weiteren Rechtsruck bedeuten. Wir GRÜNEN haben deshalb immer gesagt: Unser zentrales Wahlziel ist die Ablösung dieser Wende-Regierung. ({18}) Sie ist mit den sozialdemokratischen Einbrüchen in Bayern und Hamburg in weite Ferne gerückt. Für Herrn Rau war das zugleich das eklatante Scheitern seiner Strategie, vor allem die GRÜNEN auszugrenzen. Rau hat so lange die Mär von der Mehrheit gepredigt, bis die Wählerinnen und Wähler vernehmlich Amen gesagt haben. ({19}) Herr Rau, die Abwahl dieser Bundesregierung, um den § 116 wieder zu kippen, um die Atomraketen wieder herauszuschaffen, um den atomaren Ausstieg sofort zu vollziehen, um schließlich der Bevölkerung diesen Nazivergleichskanzler zu ersparen, das alles ist zu wichtig, um es unter dem Geschwätz von der absoluten SPD-Mehrheit zu begraben. ({20}) Wer von Frieden und Ökologie redet, aber gegen die real existierende Friedens- und Ökologiebewegung handelt, muß scheitern. Was dann am Ende steht, wird derzeit von der SPD in Hamburg vorgeführt: Dort führte der Weg von der Ausgrenzung der Atomgegner - Stichwort: Hamburger Kessel - über die katastrophale Wahlschlappe direkt in die Arme von Herrn Perschau und der CDU. Wir GRÜNEN stellen also ohne Triumph fest, daß das Ziel „Weg mit der CDU-Regierung" nur noch von uns zum Wahlkampfthema gemacht wird. ({21}) Das ist keine gute Ausgangslage, aber eine große Herausforderung für uns, die wir in den kommenden Wochen für eine grundlegend andere Politik Wahlkampf machen. ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man Zukunft gewinnen will - und das ist sicher die wichtigste Aufgabe von Politik -, dann muß man Probleme nicht nur beschreiben, sondern auch versuchen, sie zu lösen. ({0}) Wer bei den Problemen der modernen Welt, bei dem Bericht des Clubs von Rom stehen bleibt, wer vor allen Dingen auch die Einstellung, die dieser Bericht atmete, heute noch für richtig hält, der wird kein Problem der modernen Welt lösen können und wird deswegen nicht Zukunft gewinnen. Die Reden der beiden Vertreter der rot-grünen Opposition heute morgen zeigen das j a auch sehr deutlich. ({1}) Die beiden Vertreter der rot-grünen Opposition die heute morgen gesprochen haben, gehen nämlich von einem Denken aus, das an Tatsachen schlicht vorbeigeht. Wir haben im wirtschaftlichen Aufschwung Fakten geschaffen, an denen niemand vorbeigehen kann, der offenen Auges betrachtet, wie die Situation aussieht. ({2}) Wir haben eine Preisstabilität wie seit 1953 nicht mehr. Wir haben einen Außenhandelsbilanzüberschuß, der so groß geworden ist, daß er Gegenstand der Kritik auch unserer Handelspartner wird. ({3}) Wir haben ein Wirtschaftswachstum, das sicher nie die Raten von Amerika mit 5 %, 6 % erreicht hat, das aber jetzt im vierten Jahr mit Raten zwischen 2 und 3 % eine gute Basis bietet, um weiter fortgesetzt zu werden. Auch am Arbeitsmarkt - das geht aus diesen Reden leider nicht hervor; damit beschäftigt man sich auf der Seite der grün-roten Opposition zu wenig - wird dieser Aufschwung bemerkt. Wir haben in diesem Jahr wie im vergangenen Jahr neue Arbeitsplätze geschaffen. Das wird bis Ende des Jahres etwa 600 000 neue Arbeitsplätze bedeuten. Das sind nicht nur 600 000 neue Arbeitsplätze mehr, sondern es sind Arbeitsplätze, die, mehr noch, als diese Zahl aussagt, weggefallene Arbeitsplätze ersetzt haben. Wir haben im vergangenen Jahr allein in der Wohnungsindustrie 100 000 Arbeitsplätze verloren, die wir zum Teil wieder ausgeglichen haben. Aber darüber hinaus sind in den Branchen, die Zukunft haben, neue Arbeitsplätze geschaffen. Das hat uns diesen Saldo möglich gemacht. ({4}) Dies muß man zunächst einmal als die Voraussetzung akzeptieren, von der man auszugehen hat, wenn man diese Politik fortschreiben, aber auch, wenn man sie ändern will. Wie weit entfernt insbesondere Herr Vogel von der Realität ist, zeigt ja sein Zitat zu dem Verkauf der Neuen Heimat. Ich habe gedacht, Herr Vogel, zur Neuen Heimat könne einem eigentlich nichts Neues mehr einfallen; denn selbst wenn man als größter Kritiker der Gewerkschaften sagen muß, daß man sie nicht damit identifizieren kann und soll, kann man natürlich nicht diesen unsäglichen Verkauf und Rückkauf und die Rolle, die Herr Lappas dabei gespielt hat, der als ein quasi Märtyrer eines fast schon diktatorisch zu nennenden Systems bejubelt wurde, als „ein nicht leicht verständliches Zwischenspiel" bezeichnen. ({5}) Herr Vogel, damit zeigen Sie, wie weit Sie in Ihrer politischen Einschätzung solcher unglaublichen Vorgänge Ihre parteipolitische Brille aufsetzen. Wer das tut, kann allerdings solche Konflikte und Probleme nicht bewältigen. ({6}) Deshalb ist Zukunft zu gewinnen zunächst einmal Aufgabe einer vernünftigen Wirtschaftspolitik. Das, was wir bei diesen Erfolgen geleistet haben, läßt sich nun in der Tat mit dem einen Wort Marktwirtschaft beschreiben. Daß Sie auch das noch nicht verstanden haben, zeigen nicht nur Ihre eigenen programmatischen Vorschläge, sondern das zeigt auch die Bewertung der Ölpreise, die Sie so leicht hingestreut haben. ({7}) Natürlich wird sich niemand einbilden, daß die Bundesregierung die Ölpreise allein nach unten gebracht hat. Aber daß zwei ganz entscheidende Momente dabei eine Rolle gespielt haben, wo Sie andere Vorschläge gemacht haben, haben Sie natürlich völlig vergessen. ({8}) Zum Zeitpunkt, als die beiden ersten Preisschübe stattfanden, als meine Kollegen Friderichs und Graf Lambsdorff mit Ihnen diese Situation zu bewältigen hatten, waren Sie der Meinung, daß die so gestiegenen Preise weder vom privaten noch vom industriellen Verbraucher zu ertragen seien. Sie haben dafür plädiert, daß man diese Preise herunterBundesminister Dr. Bangemann subventionieren sollte. Gott sei Dank haben beide, die die marktwirtschaftlichen Prinzipien vertreten, damals schon, wie heute die ganze Regierung, das abgelehnt. ({9}) Auf diese Weise ist es möglich geworden, daß der gestiegene Energiepreis beim Verbraucher zum Sparen, beim industriellen Verbraucher zur Entwicklung energiesparender Produktionsverfahren und energiesparender Motoren geführt hat, also von Produkten, die wir selber nachher verkaufen konnten. Das, meine Damen und Herren, zusammen mit der erfolgreichen Suche nach neuen Erdölquellen hat einen Käufermarkt geschaffen, der den Druck des Preiskartells der OPEC zum Einsturz gebracht hat. Das ist Marktwirtschaft; das ist angewandte Marktwirtschaft. Aber daß Sie das nicht begreifen, das wundert ja inzwischen niemanden me hr. ({10}) Wenn diese Politik fortgesetzt werden soll, meine Damen und Herren - und wir wollen sie fortsetzen -, dann muß man wissen, daß die zukünftige Entwicklung der Bedingungen, unter denen wir die Politik machen, mehr und Neues, mehr Phantasie und mehr Mut von uns verlangen werden. Da muß ich beklagen, daß Sie zusammen mit den Gewerkschaften diese Einstellung zur Zukunft noch nicht gefunden haben. Denn, meine Damen und Herren, man kann sehr viel mehr zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit tun, wenn man sich einmal über die Ursachen der Arbeitslosigkeit vorurteilsfrei vergewissert. Ich sage es nicht, um Arbeitslose zu beschimpfen, deren schlimmes menschliches Schicksal wir alle hier sicher richtig einschätzen können, sondern ich sage es, weil da eines der Hauptprobleme der Arbeitslosigkeit liegt. ({11}) Die Tatsache, daß über die Hälfte der Arbeitslosen, über eine Million, keinen Hauptschulabschluß oder keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, ist das größte und wichtigste Hemmnis, heutzutage einen der Arbeitsplätze besetzen zu können, die neue und größere Anforderungen stellen. ({12}) Die Tatsache, daß man in der Vergangenheit so getan hat und zum Teil, insbesondere bei den GRÜNEN heute noch so tut, als ob Leistung nicht erforderlich sei, als ob einem Zukunft geschenkt werden könnte, ({13}) als ob Zukunft nicht durch Leistung errungen werden muß, ({14}) ist ein Weg zu neuer Arbeitslosigkeit bei vielen jungen Menschen, die Ihnen fälschlicherweise vertrauen. Denn wer heute auf eine Ausbildung verzichtet, der legt den Grundstein für seine persönliche Arbeitslosigkeit in der Zukunft seines Arbeitslebens. ({15}) Deswegen muß man alles tun, um den Begriff der Leistung wieder zu dem zu machen, was er früher einmal war. Wer etwas geleistet hat, meine Damen und Herren, der tat das j a nicht aus Ellbogentum und Profitsucht, sondern er tat es, weil er in der Leistung eine persönliche Lebenserfüllung fand. Daß Sie aber so tun, als ob Leistung sozialschädlich ist, ({16}) das ist der eigentliche Grund für die Verzweiflung vieler junger Menschen heute. ({17}) Die übergroße Arbeitslosigkeit der weniger Qualifizierten hat natürlich auch etwas damit zu tun, daß man bei den Tarifverhandlungen eben nicht auf Unterschiede in der Leistung Rücksicht genommen hat, daß man immer wieder über Sockelbeträge und überproportionale Steigerungen unterer Lohngruppen sowohl den Leistungsanreiz beseitigt hat als auch einen Anreiz geschaffen hat, gerade bei diesen Tätigkeiten durch Rationalisierung Arbeitsplätze zu beseitigen. Wenn wir heute so viele Arbeitslose haben, die weniger Qualifikation haben, dann liegt das mit an dieser Politik, meine Damen und Herren. Das sollten sich auch einmal die Gewerkschaften überlegen, wenn sie die Arbeitslosigkeit beklagen. ({18}) Nun sagen Sie, sagt der Herr Vogel: Wir werden uns bemühen, daß die SPD nicht in eine Ecke gedrängt wird. Ja, meine Damen und Herren, wer will Sie denn in eine Ecke drängen? Sie haben sich doch selber da hineinmanövriert. Was ist denn das für eine Wahlkampfstrategie, die angefangen hat, die absolute Mehrheit als Ziel zu proklamieren, ({19}) dann hinunterging zu einer einfachen Mehrheit, dann zu einer eigenen Mehrheit? Und jetzt enden Sie dabei, daß Sie als Wahlziel proklamieren, Sie wollen sich nicht in eine Ecke drängen lassen. Also, viel Spaß dabei! ({20}) Wir werden jedenfalls in diesem Bereich der Wirtschaftspolitik den Versuch fortsetzen, den wir schon mit Erfolg begonnen haben, ({21}) nämlich für Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, mit Optimismus eine Zukunft zu begreifen, die sie ja haben, und zwar nicht nur trotz der Probleme, die heute bestehen, sondern wegen der Probleme. In jedem Problem steckt auch die Möglichkeit einer Lösung. Jedes Risiko ist zugleich eine Chance, allerdings nur dann, wenn man sie mit Optimismus ergreift. Da verstehe ich nun überhaupt nicht Ihre Angriffe auf die Regierung und die Regierungsparteien, wenn wir sagen: Optimismus ist die erste Voraussetzung dafür, daß jemand sein Problem lösen kann. Ja, wenn ich mich defätistisch verhalte, wenn ich wie das Kaninchen auf die Schlange auf die vielen modernen Probleme starre, j a, dann werde ich natürlich überhaupt keine Probleme lösen können. Deswegen erleben Sie ja auch, daß in der jungen Generation der Glaube an sozialistische Experimente und die Möglichkeit, mit Sozialismus Probleme zu lösen, immer mehr schwindet. ({22}) Die deutsche rot-grüne Opposition ist die einzige - ({23}) - Ja, Sie haben recht, was soll das ,,rot-grün"? Rot kann man eigentlich auch streichen, und man kann sagen: die deutsche grüne Opposition; denn das ist die einzige Opposition, die wir hier haben. ({24}) Da hat der Herr Vogel ja schon recht, wenn er seine staatsmännischen Ausführungen macht und sagt, es sei auch Aufgabe der Regierungsfraktionen, die Regierung zu kritisieren. Ich habe dem aufmerksam zugehört. Ja, wenn die rote Opposition so schlecht ist, dann müssen wir in der Tat auch noch die Regierung kritisieren, weil es ja sonst niemand tut. ({25}) Meine Damen und Herren, die grüne Opposition ist die einzige Parteigruppierung, die ihren Zweifel an der Marktwirtschaft noch aufrechterhält, obwohl in der ganzen Welt selbst Länder, die ein nicht marktwirtschaftliches System zum politischen Gütezeichen machen wollten, inzwischen dazu übergegangen sind, marktwirtschaftliche Elemente einzuführen, übrigens mit großem Erfolg. ({26}) Die Einführung des Marktes in China bei landwirtschaftlichen Produkten hat der Landwirtschaft Auftrieb gegeben, hat dem Verbraucher geholfen, hat der Wirtschaft insgesamt geholfen. Überall auf der Welt, meine Damen und Herren, wendet man marktwirtschaftliche Rezepte mit großem Erfolg an, wie wir es auch tun. Ausgerechnet unsere Opposition allein will davon Abstand nehmen. Das halte ich nicht für ein Zukunftskonzept. ({27}) Dasselbe gilt auch für die außenpolitischen Empfehlungen, die Sie hier gegeben und noch einmal wiederholt haben. ({28}) Wir haben ja sehr genau beobachtet, wie sich die Positionen der SPD dazu verändert haben. Es ist durchaus lohnend, einmal in die Geschichte der Bundesrepublik zu schauen und festzustellen, wann die SPD eine Chance hatte, deutsche Politik gestaltend mitzubestimmen. Sie hatte die Chance nicht nach dem Zweiten Weltkrieg, denn damals hat sie - wie die KPD, die es noch gab - in zwei fundamentalen Fragen deutscher Politik einen Standpunkt vertreten, der nicht zur praktischen Politik geeignet war, und das war im Bereich der Marktwirtschaftspolitik wie auch im Bereich der Sicherheitspolitik. Die SPD von damals lehnte das Atlantische Bündnis ab, und erst als der Parteitag von Godesberg, den Sie weit hinter sich gelassen haben, an den Sie sich nicht einmal mehr erinnern, eine Möglichkeit bot - auch für die SPD -, mit dem marktwirtschaftlichen System zu arbeiten, und erst als Herbert Wehner hier im Bundestag - nicht auf einem Parteitag - ein Bekenntnis zum Atlantischen Bündnis auch für die SPD ablegte, war die SPD in der Lage, deutsche Politik gestaltend mitzubestimmen. Seitdem sie sich in beiden Fragen wieder von diesen Positionen entfernt hat, nämlich sowohl von der Position des Parteitages in Godesberg, was die Marktwirtschaft angeht, als auch von den sicherheitspolitischen Positionen, die Wehner im Bundestag begründet hat, von dem Augenblick an hat sich die SPD von der Gestaltung deutscher Politik verabschiedet. ({29}) Sie werden das auch noch erkennen. Allerdings werden Sie die Zeit ({30}) brauchen, die Herbert Wehner Ihnen dafür zugemessen hat. Vorher wird es nicht gehen. Sehen wir uns einmal die Reaktionen an, auch zu den Fragen, die wir hier gemeinsam entschieden haben. Nehmen wir doch mal SDI und die Vereinbarung, die wir mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika dazu geschlossen haben. Herr Vogel wird nicht müde, diese Vereinbarung als einen fehlgeschlagenen Versuch zu zitieren, möglichst viele Aufträge für die deutsche Industrie hereinzuholen. Er hat überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, mit welchem Auftrag das Kabinett mich in diese Verhandlungen schickte und daß das Ergebnis nicht nur diesem Auftrag entsprach, sondern überhaupt keine Bemühung darstellte, Aufträge für die deutsche Industrie hereinzuholen. ({31}) - Herr Vogel, nun nehmen Sie doch mal - ({32})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Irgendwann muß ich dazwischenkommen.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Nein, ich möchte dem guten Beispiel meiner Vorredner folgen, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gilt das für Ihre ganze Rede?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wenn die Herren davon Kenntnis nehmen würden.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Herr Vogel, wenn Sie den Kabinettsbeschluß wenigstens mal gelesen hätten, dann hätten Sie eine sachliche Grundlage, und von der aus könnten Sie dann versuchen, zu überlegen, was Sie an der Regierung kritisieren wollen. Da Sie dann aber nichts finden, was Sie kritisieren können, lesen Sie solche Kabinettsbeschlüsse gar nicht, um möglichst ungehindert alles in Bausch und Bogen zu kritisieren, was die Regierung macht. Auch das ist falsche Opposition, weil sie nämlich überhaupt nicht in der Lage ist, Punkte zu erkennen, die man vielleicht kritisieren könnte. In dem Beschluß - ich zitiere noch einmal, damit Sie endlich einmal die Möglichkeit haben, davon Kenntnis zu nehmen - steht drin: Erstens. Die Bundesrepublik beteiligt sich nicht am SDI-Programm und stellt dafür auch keine Haushaltsmittel zur Verfügung. ({0}) - Ihre Reaktion zeigt, daß Ihnen das ganz neu ist. ({1}) Der Oppositionsführer hat keine Ahnung von diesem Beschluß des Kabinetts. ({2}) Keine Ahnung! Zweitens. Es steht nicht in dem Kabinettsbeschluß, daß die Bundesregierung - ({3}) - Also, ich muß schon sagen: Ich habe gedacht, Herr Vogel, das, was Sie heute morgen in Ihrer Rede gesagt haben, ließe sich nicht mehr übertreffen. Aber mit Ihren Zwischenrufen übertreffen Sie auch das noch. ({4}) Also, wir haben gesagt: Wir wollen keine bestimmte Auftragshöhe für deutsche Firmen erreichen, ({5}) sondern wir wollen lediglich die Bedingungen, wenn sich deutsche Firmen beteiligen wollen, so fair gestalten, daß sie das tun können. Das haben wir erreicht, und zwar in allen Punkten, die wir uns vorgenommen haben. Deswegen ist diese Meinung, die Sie hier vortragen, ohne jeden Hintergrund, ohne jeden Gegenstand. Sie kritisieren einfach in der Luft herum, weil Ihnen nichts Besseres einfällt. Aber, meine Damen und Herren, es ist auch schwer, gegen eine erfolgreiche Regierung Opposition zu machen. ({6}) Das eigentliche Dilemma der Opposition ist, daß wir so erfolgreich sind. Das läßt sie natürlich nicht ruhen. Daß sie sich nun immer mehr in eine ausweglose Lage hineinmanöviert, gibt dieser Debatte so wenig Sinn und so wenig Verstand. Wenn man sich das einmal anhört, was Sie heute morgen hier vorgetragen haben, Herr Vogel, dann muß man sagen: Um Zukunft ist es Ihnen weiß Gott nicht gegangen. Dabei gibt es in dieser Regierungsarbeit Ansätze, die uns in der Zukunft weiterhelfen werden, auch und gerade das Steuersystem. ({7}) - Ja, weiter so. Natürlich, wir werden in den steuerlichen Rahmenbedingungen die Bedingungen so setzen, daß die Menschen, die Bürger in unserer Gesellschaft, endlich einmal von dem Geld, was sie verdienen, etwas haben und ihnen nicht dauernd von den Steuern alles weggenommen wird. ({8}) In Ihrem eigenen Vorschlag gehen Sie bei der Aufhebung der Progressionszone bis zu dem Jahresverdienst von 40 000 DM, und dann hören Sie auf. Dann bleibt alles so, wie es ist. Das heißt: Jeder, der eine Mark zusätzlich verdient, muß wie bisher auch - und das wollen wir ändern - 80 Pf einschließlich der Sozialabgaben abliefern und behält dann 20 Pf. Das nennen Sie sozial, und das nennen Sie gerecht. Gerecht ist das, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben und was die FDP vor über einem Jahr als einen in sich geschlossenen Vorschlag vorgelegt hat. Ich muß das hier einmal erwähnen, Herr Bundeskanzler. Sie werden verstehen, daß diese Koalition von uns begrüßt, getragen und weiter getragen werden wird, ({9}) aber daß wir der Überzeugung sind: Ohne uns wird das nicht gehen, es wird nicht so gut gehen, wie wir es jetzt gemacht haben. ({10}) Deswegen darf ich darauf aufmerksam machen, daß wir vor über einem Jahr den Vorschlag unterbreitet haben, ({11}) das Steuersystem von der Struktur her zu ändern, und zwar so, daß zunächst einmal ein Existenzmi19308 nimum überhaupt nicht mehr besteuert wird. Denn es ist natürlich ein widersinniger Zustand, daß ein Ehepaar, das Sozialhilfe bezieht, eine staatliche Leistung erhält, auf die es natürlich keine Abgaben zu zahlen hat, aber dasselbe Ehepaar, wenn es in derselben Höhe etwas verdient, dafür Einkommen-oder Lohnsteuer zahlen muß. Das ist unsinnig. ({12}) Deswegen darf das Existenzminimum nicht mehr besteuert werden. Dann, meine Damen und Herren, muß der Steuersatz linear ansteigen und nicht progressiv wie heute. Denn dieses progressive Ansteigen bringt die hohen Grenzsteuerbelastungen mit, unter denen alle Menschen, gerade auch die normal Verdienenden, stöhnen und denen sie auszuweichen versuchen. Das ist nämlich der eigentliche Grund für die Schwarzarbeit. Schwarzarbeit kann man nur bekämpfen, wenn man diese hohe Grenzsteuerbelastung herunterdrückt. Dann wird auch das Handwerk wieder mehr normale Aufträge erledigen können. Dann muß auch der Spitzensteuersatz gesenkt werden; denn wenn man das nicht tut, verläuft diese Linie des Anstiegs zu steil und wird genauso hohe Steuerbelastungen im mittleren und im oberen Bereich mit sich führen wie heute. Deswegen glauben wir, daß man ihn senken muß. Meine Damen und Herren, ich glaube auch, daß man die Gewerbesteuer abzuschaffen hat, ({13}) insbesondere die Gewerbekapitalsteuer, die ertragsunabhängig vom Betriebskapital erhoben wird. Da unterscheiden wir uns fundamental von der SPD, ({14}) die ein Wort gewählt hat, das j a ihr ganzes Dilemma zeigt. Sie spricht von einer „Revitalisierung" der Gewerbesteuer. Meine Damen und Herren, was heißt das denn? Revitalisierung der Gewerbesteuer heißt: höhere Gewerbesteuer, Gewerbesteuer für alle. Alle sollen Gewerbesteuer zahlen, ({15}) die Bürger sollen höher belastet werden. ({16}) Das nennt die SPD „Revitalisierung einer Steuer"! Das ist eine Steuerpolitik, die man wirklich als unsozial bezeichnen muß. ({17}) Die Abschaffung der Gewerbesteuer läßt sich auch durchaus finanzieren, denn es gibt Möglichkeiten einer gemeindefreundlichen Alternativfinanzierung. Diese Finanzierung kann man durchsetzen, wenn man sich darüber einig ist. Gegenüber solchen Steuerreformen verschwindet alles, was bisher zusätzlich an Maßnahmen vorgeschlagen worden ist, auch die berühmte steuerstundende Investitionsrücklage, die Sie nun auch auf Ihr Panier geschrieben haben. Diese Rücklage brächte an Vermögenseffekt ein Zwanzigstel dessen, was die Steuerstrukturreform bringen würde, ein Zwanzigstel! Das heißt, mit der Steuerstruktur-reform wird in der Tat dem kleinen und dem mittleren Betrieb, auch und insbesondere dem Handwerksbetrieb, ein Vermögensvorteil eingeräumt, der zwanzigmal höher ist als bei der steuerstundenden Investitionsrücklage. Übrigens würden damit auch die Nachteile der steuerstundenden Investitionsrücklage vermieden. Mit Recht beklagen sich j a Handwerksbetriebe über den großen Aufwand an Arbeit, den sie haben, um statistische und andere Anforderungen zu erfüllen. All das kann man sich mit einer Strukturreform sparen, und man hat dann auch kein Instrument der Investitionslenkung. Wir machen gemeinsam die große Steuerstrukturreform und leisten damit Erhebliches für das Handwerk und für den kleinen oder mittleren Betrieb. ({18}) Daß wir, um diese Steuerstrukturreform zu finanzieren, ernsthaft an den Subventionsabbau heran müssen, begrüßen meine Fraktion und meine Partei ausdrücklich. ({19}) Denn Subventionen sind in mehrfacher Hinsicht schädlich für die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere für kleine und mittlere Betriebe. ({20}) - Ja, ich möchte dann von Ihnen wirklich einmal hören, wo Sie Subventionen streichen wollen! ({21}) Meine Damen und Herren, wenn wir die Investitionszulage im Steinkohlenbergbau auslaufen lassen, weil wir über den Zuschuß bei der Kokskohle ungeheure Beträge zugunsten der deutschen Steinkohle aufbringen, dann sagen Sie: Das läßt sich nicht streichen. Sie sind gegen die Streichung einer Subvention, kritisieren aber im selben Augenblick die Bundesregierung, weil sie angeblich keine Subventionen streicht. ({22}) Ihre Politik ist in sich so widersprüchlich, daß es sich eigentlich nicht lohnt, darauf einzugehen. Deswegen möchte ich jetzt sagen, welche Gefahren durch eine Subventionspolitik entstehen: Wir haben zunächst einmal eine steuerliche Belastung. Jeder Steuerzahler muß das Geld aufbringen, das für Subventionen ausgegeben wird. ({23}) Subventionen sind eine Wettbewerbsverfälschung, denn die kleinen Betriebe werden in der Regel keine Subventionen erhalten. ({24}) Ich habe es noch nicht erlebt, daß der Ministerpräsident eines Bundeslandes - auch nicht der Ministerpräsident des Saarlandes - hier in Bonn vorgesprochen hat, um einem kleinen Handwerksbetrieb mit zwölf Arbeitnehmern zu helfen. Meine Damen und Herren, er hilft nur den großen Betrieben, ({25}) und zwar mit neuen Subventionen. ({26}) Deswegen glaube ich nicht, daß Subventionen, wenn man sie auf die Dauer beibehält, für den kleinen und mittleren Betrieb, für den Handwerksbetrieb ein Vorteil sind. Das Gegenteil ist der Fall. ({27}) Das gilt auch für Steuersubventionen. Meine Damen und Herren, wir haben mit dem Unsinn aufgehört, daß Gesellschafteranteile unbegrenzt zu Abschreibungen und zu Zuschreibungen von Betriebsverlusten bei Schiffen benutzt werden können. Das ist von dieser Regierung beendet worden; wir haben das durchgesetzt und haben damit einen ganz entschiedenen Beitrag auch zur Steuergerechtigkeit geleistet. Denn was ist die Wahrheit dieses überkommenen Steuersystems? Die Wahrheit ist: Wir haben zwar hohe Sätze, aber viele Ausnahmen, die die tatsächliche Steuerbelastung derjenigen, die eigentlich in den Spitzensteuersätzen liegen müßten, senken. Deswegen ist es gerechter und besser, dieses System mit hohen Sätzen und vielen Ausnahmen zu ersetzen durch ein System mit niedrigen Steuersätzen und wenigen Ausnahmen. Das ist das Prinzip dieser Reform. ({28}) Meine Damen und Herren, wir sollten auch wissen, daß diese Zukunft nur gewonnen werden kann, wenn wir ein vorurteilsfreies Verhältnis zur Technologie gewinnen. Wenn die Technologie, wie das die rot-grüne Opposition tut, ({29}) so verteufelt wird, daß die Menschen das Gefühl bekommen, Technologie bedeutet job killing - ({30}) - Technologie heißt, daß ich meinen Arbeitsplatz verliere, muß ich dem außenpolitischen Sprecher der SPD erklären, der das Wort job killing nicht verstanden hat. Meine Damen und Herren, wer moderne Technologie ablehnt, gefährdet nicht nur Arbeitsplätze, die bereits bestehen, der wird auch keine neuen Arbeitsplätze schaffen können. Diese Technologiefeindlichkeit ist es, die einem Hochlohnland wie der Bundsrepublik, das zu einem Drittel seines Bruttosozialprodukts auf den Export angewiesen ist, den Garaus machen wird. Entweder führt sie dazu, daß wir die hohen Löhne nicht mehr aufrechterhalten können, oder sie führt zu noch mehr Arbeitslosigkeit. In allen Branchen, in denen die moderne Technologie eingesetzt worden ist, sind nicht nur die bestehenden Arbeitsplätze sicherer geworden, sondern es sind auch neue geschaffen worden. ({31}) Das gilt für den Maschinenbau wie den Fahrzeugbau. Das gilt insbesondere auch für die Druckindustrie, wo die Einführung des Lichtsatzes als Beginn der Unmenschlichkeit am Arbeitsplatz bejammert worden ist. Viele moderne Technologien werden nicht nur ein Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt sein, sondern auch ein Beitrag zur Bekämpfung von Umweltschäden. Wenn wir auf moderne Technologie verzichten, verzichten wir auf den wirksamen zukünftigen Schutz unserer Umwelt. Das Umwelt nur geschützt werden kann - und sie muß geschützt werden -, wenn wir diese Zukunftsaspekte erhalten, das ist nun inzwischen wohl jedem klar geworden. Hier gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Fortschritt, zwischen Technik und Zukunft. Wir leben heute in einem Zeitalter, in dem die Beurteilung der Technik aus dem historischen Irrtum stammt - jedenfalls bei einem Teil unserer Öffentlichkeit und dieses Hauses -, als sei Technik, als sei technische Entwicklung eine Abirrung von einem menschlichen Weg, als ob der Mensch von Natur aus und ohne Technik moralisch besser, gesünder und wertvoller sei. Das ist der Gedanke von Rousseau, der in diese Debatte eingeführt worden ist. Diesen Gedanken haben die rot-grünen Oppositionellen noch immer nicht verarbeitet. ({32}) In Wahrheit, meine Damen und Herren, ist die Technik eine Möglichkeit des Menschen, seine Probleme zu überwinden, ({33}) seine Fähigkeiten zu erweitern und insgesamt seine Möglichkeiten auch für die Zukunft zu erhalten. Technikfeindlichkeit wird Zukunft unmöglich machen. ({34}) Weil wir das nicht zulassen werden und wollen, meine Damen und Herren, werden wir uns an die Aufgabe machen, nach den vier Jahren, in denen wir die Grundlagen für die Zukunft gelegt haben, diese Zukunft sicherer zu machen. ({35}) Das ist der Grund, warum meine Partei und meine Fraktion so klar für die Fortsetzung dieser Koalition eintritt. ({36}) Wir haben eine Möglichkeit, diese Zukunft gemeinsam für unsere Bürger aufzubauen und zu sichern. Diese Möglichkeit gewinnen wir in dieser Koalition. Das ist die Verantwortung, die alle Parteien, die an dieser Koalition mitarbeiten, tragen. Wir werden diese Verantwortung übernehmen. Wir stehen zum Bundeskanzler Helmut Kohl und stehen zur Fortsetzung dieser Koalition. ({37})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler. ({0})

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Vogel hat mit Recht davon gesprochen, daß die Generalaussprache über den Etat des Bundeskanzlers gerade in diesem Jahr, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, Generalaussprache über die ganze Legislaturperiode ist. Das entspricht der Tradition und, wie ich denke, auch der Pflicht des Hohen Hauses. Wir in der Koalition der Mitte, der Koalition von CDU/CSU und FDP, ({0}) können heute Bilanz ziehen für diese vier Jahre. Es sind, für jedermann erkenntlich, vier gute Jahre für die Bundesrepublik Deutschland geworden. ({1}) Wir haben in diesen vier Jahren versucht, politische Rahmenbedingungen zu setzen. Wir haben vieles auf den Weg bringen können, was gut geglückt ist. Wir haben - ich sage das auch an meine eigene Adresse - selbstverständlich in diesen vier Jahren auch Fehler gemacht. ({2}) Eine Regierung, die angesichts eines solchen politischen, psychologischen und materiellen Tiefs, wie wir dies am 1. Oktober 1982 vorgefunden haben, zu einer Summe von schnellen Entscheidungen gedrängt ist, muß notwendigerweise auch das eine oder andere so tun, daß man bei einer späteren nüchternen Prüfung sagt: Das hätten wir besser anders gemacht. Aber, meine Damen und Herren, es bleibt bei dem Urteil: Es waren für die Bundesrepublik Deutschland vier gute, wichtige Jahre. ({3}) Das, was wir tun konnten, war, die Rahmenbedingungen zu setzen. Aber daß das ganze Werk gelungen ist, verdanken wir den vielen, vielen im Lande, die guten Willens sind und die mitgeholfen haben. ({4}) So ist das erste, was ich hier sagen will, ein Wort des Dankes an alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, die diese Verantwortung gespürt und sich dementsprechend auch für unser Land engagiert haben. Es war die schwerste Krise der Nachkriegszeit. Wir sind aus dieser Krise herausgekommen. Und das ist ein wichtiger Hinweis auf dem Weg in die Zukunft. Herr Kollege Vogel, ich will zu dem, was Sie heute hier eine Stunde lang vorgetragen haben, nicht viel sagen. ({5}) - Es fällt mir beim besten Willen dazu nichts ein. ({6}) Ich denke aber: Wenn Sie dieses Katastrophengemälde in den nächsten Wochen weiterhin so vortragen, wird die Wirkung am 25. Januar bemerkenswert sein. ({7}) Daß mit einigem Nachdenken Herr Rau zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen ist, zeigt ja seine Äußerung aus diesen Tagen, als er bezugnehmend auf den Wahlkampf seiner Partei, der SPD, sagte: Wir dürfen nicht den Bürgern den Eindruck vermitteln, die Erde und speziell die Bundesrepublik Deutschland sei ein Jammertal. Das ist sie nicht. Es geht der Mehrheit gut. Die Weltwirtschaft ist bisher gut gelaufen. Die Preissteigerungsrate ist niedrig. Es gibt Exportdaten, die sind hervorragend. Und inzwischen gibt es auch Anzeichen dafür, daß der Binnenmarkt sich belebt. Nicht schwarzmalen! Das ist die Überschrift von Herrn Rau in einer wichtigen Rede in diesen Tagen. Nehmen Sie sie doch endlich zur Kenntnis: Das, was Sie hier gesagt haben, hat nichts, aber auch gar nichts, mit der Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland zu tun. ({8}) Herr Abgeordneter Vogel, daß Sie sich hier so an dem Thema „Zukunft" gerieben haben, beweist ja, daß Sie eben nicht zukunftsfähig sind. Die Ideologie und die Philosophie des Sozialismus haben sich zu keiner Zeit als zukunftsfähig erwiesen. ({9}) - Ach, hören Sie doch auf, von rechts und links zu reden. ({10}) Wo stehen Sie denn überhaupt? ({11}) Sie sind doch inzwischen dabei, sich mit den Damen und Herren dieser Fraktion zu verbrüdern, für die doch gar nicht mehr klar ist, wo - rechts oder links - sie steht. ({12}) Meine Damen und Herren, wir werden in den nächsten Wochen die deutschen Bürger darüber aufklären, wo der deutsche Extremismus, wo der neue Faschismus in diesem Lande wirklich steht. ({13}) Ich bin sehr damit einverstanden, daß wir die Auseinandersetzung über die Wege in eine bessere Zukunft miteinander führen. Ich bin auch sehr damit einverstanden, daß unsere Mitbürger die Entscheidung treffen, die sie in Hamburg und in Bayern getroffen haben. ({14}) Meine Damen und Herren, wer solche Wahlniederlagen hat einstecken müssen und sich dann hier hinstellt und derartige Prognosen über Zeit und Politik unserer Tage abgibt, der lebt außerhalb der Realität der Bundesrepublik. ({15}) Ein letzter Satz zu dem, was Sie ausführten, Herr Abgeordneter Dr. Vogel. Mehr will ich dazu nicht sagen. Hören Sie auf, Mitbürger zu verdächtigen und zu diffamieren. Wenn Sie sich hier hinstellen und für sich in Anspruch nehmen, Sie würden eine moralische Position in der Politik einnehmen. Sie würden für die politische Kultur des Landes einen Beitrag leisten wollen: Ihr persönlicher Beitrag zur Diffamierung Andersdenkender ({16}) ist in den letzten zwölf Monaten sprichwörtlich geworden. ({17}) Sie sollten nicht vom politischen Klima sprechen. Daß das Klima in diesem Hause so geworden ist, ist ein Stück persönlicher Beitrag von Ihnen. Das sei hier klar und deutlich ausgesprochen. ({18}) Meine Damen und Herren, als die jetzige Bundesregierung vor vier Jahren die Geschäfte übernahm, fanden wir im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik eine ungewöhnliche schwierige Lage vor. Unsere Verläßlichkeit, unsere Standfestigkeit wurde in West und Ost angezweifelt. Die fundamentalen Unsicherheiten über unsere Bündnistreue und über unsere Verläßlichkeit als Partner waren ein Ergebnis der Zunahme des wertneutralen Aquidistanzdenkens, das innerhalb der deutschen Sozialdemokratie Jahr für Jahr zugenommen hat. ({19}) Inzwischen haben Sie längst die Fronten gewechselt. ({20}) Was soll denn hier Ihr verbales Bekenntnis zur Allianz und zur Bundeswehr? Sie sind längst auf einem Weg zu einer ganz anderen Einstellung zu diesen Grundfragen unserer Republik. ({21}) Die von mir geführte Bundesregierung hat ihre ganze Kraft darauf verwendet, gerade diese Unsicherheit zu beseitigen, ({22}) das westliche Bündnis zu stärken und in der europäischen Gemeinschaft zu neuen Anstößen zu kommen. Dabei standen für uns im Vordergrund - das wird auch in Zukunft so sein - die Pflege und der Ausbau unserer vertrauensvollen Partnerschaft mit den USA, die Stärkung des Vertrauens der anderen Allianzmitglieder in unsere Bündnistreue sowie der weitere und zügige Ausbau der Europäischen Gemeinschaft. Herzstück unserer politischen Arbeit im westeuropäischen Rahmen war immer die Vertiefung der Zusammenarbeit mit unseren französischen Freunden. Es steht für mich außer Frage, daß es für die deutsche Außenpolitik in der Vergangenheit nicht immer leicht war, zugleich zu den USA und zu Frankreich ein uneingeschränkt gutes Verhältnis zu haben. Ich darf heute mit großer Genugtuung feststellen, daß es dieser Koalition der Mitte gelungen ist, dieses gleich gute Verhältnis zu Paris und Washington zu erreichen. ({23}) Die Einbindung der Bundesrepublik und ihrer außenpolitischen Interessen in die Bündnisse und Gemeinschaften der westlichen Welt ist für uns die logische Folgerung aus unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung im Inneren. Sie stellt deshalb ein politisch notwendiges Ziel an sich dar. Diese für uns unumstößliche Grundorientierung deutscher Außenpolitik nach Westen findet selbstverständlich auch Ausdruck in ihrer ostpolitischen Dimension. ({24}) - Ich weiß gar nicht, was Sie immer dazwischenrufen. Sie wollen eine andere Republik. Sagen Sie das doch ehrlich. ({25}) Sie haben mit dieser Bundesrepublik überhaupt nichts im Sinn. ({26}) Sie sind in diesem Saal mit dem Motto eingezogen: Wir dienen dem Frieden. Es gibt gegenwärtig keine politische Gruppierung in der Bundesrepublik, die den inneren Frieden des Landes so stört, wie Sie das fortdauernd tun. ({27}) Sie reden vom Frieden und schüren draußen im Land überall die Gewalt. Das ist die wahre Botschaft, die Sie verbreiten. ({28}) Meine Damen und Herren, die West- und Ostpolitik dieser Bundesregierung stehen in einer unmittelbaren Wechselbeziehung zueinander. Das heißt für uns, unsere Bemühungen um gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit auf möglichst vielen Gebieten mit allen unseren Nachbarn - und natürlich auch mit unseren östlichen Nachbarn - sind dann glaubwürdig, ({29}) wenn wir unbezweifelbar - unbezweifelbar auch in unserer Identität - Teil der Gemeinschaft der freiheitlichen und demokratischen Staaten des Westens sind, und das, Herr Abgeordneter Ehmke, ist offensichtlich der Punkt, der uns immer mehr trennt. Wir sind weder Vasallen noch Untergebene der Vereinigten Staaten. ({30}) Wir haben in vielen wichtigen Punkten gerade in den letzten Monaten eine andere Position deutlich gemacht; aber die Amerikaner sind unsere Freunde, ({31}) und die Amerikaner sind Teilnehmer der gleichen Wertegemeinschaft wie die Bundesrepublik Deutschland. Das ist der entscheidende Unterschied. ({32}) Eine sich vom Westen loslösende, sich geistig und politisch zwischen West und Ost ansiedelnde Bundesrepublik Deutschland hätte in Wahrheit eine destabilisierende Wirkung sowohl nach Westen als auch nach Osten und würde damit unserer Verantwortung für die Sicherung von Stabilität und Frieden überhaupt nicht gerecht. In dieser Perspektive, meine Damen und Herren, haben die deutsch-sowjetischen Beziehungen im Rahmen unserer Ostpolitik ihren besonderen Rang. ({33}) Dieser deutsch-sowjetische Dialog hat Früchte getragen; ich erinnere an das Abkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, und der Dialog erstreckt sich auf viele Fachgebiete, und wir sind bereit zu einer weiteren Ausweitung und Intensivierung. ({34}) Dieses Bemühen um Verständigung und Zusammenarbeit mit allen Staaten des Warschauer Paktes ist aufrichtig und wird in der täglichen Politik offenkundig. ({35}) Diese Bereitschaft manifestiert sich auch im aktiven Mitwirken am KSZE-Prozeß. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch dies eindeutig feststellen, daß wir uns überhaupt nicht scheuen, auch die ideologische Auseinandersetzung mit dem Osten offensiv und offen zu führen. Die kommunistische Doktrin von der „friedlichen Koexistenz" postuliert ideologische Auseinandersetzungen bei gleichzeitiger friedlicher und praktischer Zusammenarbeit seit langem. Im Bewußtsein unserer gefestigten inneren und äußeren Identität und im Bewußtsein der Überlegenheit unserer freiheitlichen Ordnung haben wir keinerlei Veranlassung, auf diese Herausforderung defensiv zu reagieren. ({36}) Deshalb werden wir, auch wenn Sie protestieren und Protestgeschrei erheben, nicht aufhören festzustellen, daß es auch in den Ländern des Warschauer Pakts Menschen gibt, die wegen ihrer politischen und religiösen Überzeugung verfolgt werden, ({37}) und daß allein in der DDR über 2 000 politische Gefangene zu verzeichnen sind, und das ist kein Werk des Friedens. ({38}) Meine Damen und Herren, daß in der Sowjetunion Juden und Deutsche, die sich um ihre Ausreise bemühen, schikaniert werden - auch das ist leider eine Tatsache unserer Tage. Ich möchte manchen der organisierten deutschen Linken einladen, einmal dies in ihren Protestdemonstrationen zum Ausdruck zu bringen. ({39}) Die Heuchelei dieses Protestes ist inzwischen nur noch schwer erträglich. ({40}) Sie sprechen von Menschenrechten, aber Sie sind immer auf einem Auge blind. ({41}) Wir sind für die Menschenrechte überall in der Welt, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. ({42}) - Über Südafrika sollten Sie wirklich nicht reden. In Südafrika haben Sie außer verbalen Protesten gar nichts getan. Außer Sprüchen nichts gewesen, das bezeichnet Ihre Südafrikapolitik. ({43}) Das Aussprechen solcher Wahrheiten wird natürlich von der Sowjetunion und von anderen Warschauer-Pakt-Staaten kritisiert, aber solche Vorwürfe müssen wir ertragen; denn diese Auseinandersetzung ändert nichts, aber auch gar nichts an unserer Bereitschaft, im Interesse der Menschen aufeinander zuzugehen, wenn möglich praktisch zusammenzuarbeiten und vor allem dem Frieden zu dienen. Die politische Rolle der Bundesrepublik Deutschland als ein wichtiger und berechenbarer Faktor der internationalen Politik wird heute weltweit anerkannt. Im gleichen Maße - ich sage das mit Bedauern - hat sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, zumal in den Augen nahezu aller unserer westlichen Partner und deren Öffentlichkeit, als eine ernst zu nehmende außenpolitische Kraft diskreditiert. Die SPD hat sich in außenpolitischer Hinsicht in Europa in nicht zu überbietender Weise ins Abseits manövriert. Sie haben sich selbst gegenüber Ihren sozialistischen Schwesterparteien ({44}) in Spanien, in Italien und in Frankreich isoliert. ({45}) - Gehen Sie doch einmal dorthin. Es gibt dort niemand mehr, der Ihre Politik der Isolierung, der Äquidistanz verstehen kann. ({46}) Ihre einseitig kritische Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten und Ihre ebenso unkritische Übernahme von Positionen, die im sowjetischen Interesse liegen, stoßen doch überall in Europa auf schärfste Ablehnung und Unverständnis. ({47}) Ich will Ihnen einmal einige Beispiele für Ihre internationale Isolierung vorführen: Ihre Verweigerung, den Doppelbeschluß der NATO zu vollziehen, ({48}) obwohl Sie ihn selbst initiiert und mitbeschlossen hatten; Ihre Diffamierung der amerikanischen Rüstungs- und Abrüstungsbemühungen unter gleichzeitigem Werben um Übernahme sowjetischer Positionen; Ihre forcierte und gefährliche Annäherung und Zusammenarbeit mit den kommunistischen Parteien Osteuropas; schließlich die Tatsache, daß Sie nicht davor zurückgeschreckt sind, mit der SED vertragsähnliche Vereinbarungen zu treffen, ({49}) die die Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes unterlaufen haben. Das sind Positionen, die dem Bündnis zuwiderlaufen und die damit Ihrer außenpolitischen Glaubwürdigkeit vor aller Welt Schaden zugefügt haben. Das ist die einhellige Kritik aller demokratischen Kräfte in Europa. Sie sind isoliert, meine Damen und Herren in der SPD. ({50}) Herr Abgeordneter Ehmke, Sie sind der einzige, der am Tag nach Reykjavik von einem schwarzen Tag für die Menschheit sprach. Aus dieser Äußerung kann man das völlige Unverständnis für die wirkliche Situation deutlich erkennen. ({51}) Die internationale Entwicklung wird künftig noch höhere Anforderungen an Verläßlichkeit und Kontinuität der deutschen Außenpolitik stellen. ({52}) - Überlassen Sie das doch ruhig dem Wähler. Der Wähler wird am 25. Januar entsprechend entscheiden. Ich sehe schon heute Ihr Gesicht und das Gesicht des Herrn Abgeordneten Vogel am Wahlabend im Fernsehen vor mir. ({53}) Uns liegt daran, daß wir auf diesem Weg auch innenpolitische Notwendigkeiten in außenpolitischer Dimension sehen. Ich erinnere nur an die Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus, des Drogenmißbrauchs - ({54}) - Herr Kollege Vogel, was soll ich an Ihnen denn betrachten, wenn ich nicht Ihr Gesicht betrachten soll? ({55}) Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihre Anregung verstehen soll. Das Fairste, was ich Ihnen antun kann, ist doch, daß ich Ihr Gesicht betrachte. Warum kritisieren Sie das denn auch noch? Ich erinnere an die Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus, des Drogenmißbrauchs und insbesondere an die Notwendigkeiten der internationalen Zusammenarbeit zum Schutze der Umwelt. Auch die Probleme, die im Prozeß des zusammenwachsenden Europas zwangsläufig auf vielen Gebieten auftreten, stellen einen besonderen, immer wichtiger werdenden Komplex im Rahmen der Außenpolitik dar. Zum anderen wird unser Land, ob wir das wollen oder nicht, auf Grund seiner internationalen Verflechtungen und des hinzukommenden Gewichts vermehrt Stellung beziehen und Verantwortung übernehmen müssen. Wenn wir das sagen, so tun wir das nicht mit Selbstzufriedenheit, sondern wir erkennen an, daß die Bundesrepublik Deutschland in der Welt an Gewicht gewonnen hat und daß unsere Partner und auch andere Mitglieder der Staatengemeinschaft von uns erwarten, daß wir dieses politische Gewicht nutzen und in Europa und außerhalb Europas vermehrt Verantwortung übernehmen. Die somit verstärkt auf uns zukommenden Herausforderungen werden voraussichtlich auf den Gebieten der Währungspolitik, der Weltwirtschaftsordnung, des Nord-Süd-Dialogs, aber auch bei den regionalen Krisen entstehen. Wir müssen bereit sein, und wir sind bereit, Verantwortung verstärkt zu übernehmen. Dabei müssen wir alles tun, um uns dabei mit unseren Verbündeten und Freunden immer wieder abzustimmen. Auch auf dem Gebiet der strategischen Stabilität zwischen West und Ost bahnen sich einschneidende Veränderungen an. Dieser Prozeß wird nicht über Nacht eintreten, aber wir müssen ihn gut vorbereiten. Das Gipfeltreffen in Reykjavik hat Perspektiven eröffnet, die uns ahnen lassen, in welchem Ausmaß sich die strategischen Bedingungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verändern werden. ({56}) Wir wollen uns dieser Entwicklung nicht entziehen. Ich will unsere Position hier noch einmal unmißverständlich umreißen: Erstens. Wir sind bereit, die vorgeschlagene Null-Lösung in Europa im Bereich der Mittelstreckenraketen längerer Reichweite bei gleichzeitiger Reduzierung dieser Systeme auf jeweils 100 Sprengköpfe im asiatischen Teil der Sowjetunion und in den USA zu akzeptieren. Zweitens. Im Bereich der Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite gilt es, das Entstehen einer neuen Grauzone nicht erfaßter Systeme zu verhindern. ({57}) Deshalb streben wir eine konkrete Verpflichtung beider Weltmächte an, kurzfristig mit dem Ziel weiterzuverhandeln, auch diese Systeme zu reduzieren und beiden Seiten das Recht auf gleiche Obergrenzen einzuräumen. ({58}) Drittens. Wir unterstützen eine Vereinbarung, alle strategischen Nuklearwaffen um die Hälfte zu vermindern. Bei fortschreitendem Abbau der Nuklearwaffen kommt der Frage des Gleichgewichts bei den konventionellen Waffen wachsende Bedeutung zu. Diese und alle übrigen Positionen habe ich ja in der Regierungserklärung am 6. November, also vor wenigen Wochen, hier sehr eingehend dargelegt. Gemeinsam mit unseren europäischen Freunden müssen wir dafür sorgen, daß die vertrauensvolle Abstimmung über diese grundlegenden Fragen der Politik mit den Vereinigten Staaten verstärkt wird. Wir werden dabei, meine Damen und Herren, sorgsam abzuwägen haben, welche sicherheitspolitischen Folgen der Abbau der nuklearen Potentiale der Großmächte für unsere Sicherheit haben wird. Dabei werden wir die Wechselwirkung zwischen nuklearen Reduzierungen und dem konventionellen Kräfteverhältnis in Europa im Auge haben müssen. Abrüstungsschritte müssen - das ist doch die gemeinsame Meinung hier - zu mehr Sicherheit führen. Es darf nicht dazu kommen, daß Kriege wieder führbar erscheinen. ({59}) Wir haben die Hoffnung, daß Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa in Wien demnächst grundsätzlich beschlossen werden. ({60}) Ob und wann es zu greifbaren Ergebnissen kommt und in welchen zeitlichen Zusammenhängen solche Verhandlungsergebnisse mit den Resultaten der Verhandlungen über Nuklearwaffen stehen, kann niemand von uns heute absehen. Die Bundesregierung jedenfalls wird auch weiterhin verstärkt darauf hinwirken, daß diese Fragen und weitere grundlegende Problemstellungen in den Gremien des Bündnisses eingehend behandelt werden. ({61}) Dabei werden insbesondere die Europäer aufgefordert, eine gemeinsame Definition ihrer Sicherheitsinteressen zustande zu bringen und diese europäische Definition in den Dialog der Weltmächte einzubringen. Meine Damen und Herren, dabei verlassen wir uns insbesondere auf die zunehmende Abstimmung und Kooperation in sicherheitspolitischen Fragen mit unseren französischen Nachbarn. Ich bin zuversichtlich, daß die deutsch-französische Partnerschaft auch auf diesem Gebiet verstärkt zu Gemeinsamkeiten und zu gemeinsamem politischen Handeln führen wird. ({62}) Dabei wird es vor allem für unsere französischen Freunde gelten, ihre nationalen sicherheitspolitischen Überlegungen mit den sicherheitspolitischen Erfordernissen ihrer engsten Nachbarn und Partner in Einklang zu bringen. Wir vermerken mit großer Genugtuung, daß Frankreich sich dieser Tatsache immer mehr bewußt ist, insbesondere auch vor dem Hintergrund der strategischen Implikationen einer Einigung der Großmächte über drastische Nuklearwaffenreduzierungen. ({63}) Wir führen diesen Dialog intensiv, und wir wollen ihn auch mit unseren britischen Freunden und mit allen Europäern führen, die sich an diesem Dialog beteiligen wollen. ({64}) Ich weiß aus meinen Gesprächen mit der italienischen Regierung, aus meinem Gespräch mit dem spanischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzalez und mit meinem niederländischen Kollegen Ruud Lubbers aus den allerletzten Tagen, wie sehr auch sie die gleiche Intention haben, daß die Europäer in dieser geschichtlichen Stunde - und es ist eine geschichtliche Stunde - ihre gemeinsamen Interessen definieren und in den Ost-West-Dialog einbringen. ({65}) Gefährdungen für die internationale Stabilität - dies zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre - werden voraussichtlich nicht unmittelbar vom Ost-West-Konflikt ausgehen. Wir müssen vielmehr mit großen Gefahren rechnen, die von regionalen Konfliktherden ausgehen. Ich brauche die Felder hier nicht näher zu erwähnen; sie sind bekannt. Wir können leider nicht davon ausgehen, daß die bestehenden oder potentielle künftige Konfliktherde vor allem in der Dritten Welt durch ein gemeinsames Krisenmanagement der Großmächte allein entschärft, kontrolliert oder beseitigt werden. Schon jetzt und noch mehr in den nächsten Jahren werden die europäischen Partner und damit auch wir aufgefordert sein, unser gemeinsames politisches Gewicht hier einzusetzen. Ein einzelnes europäisches Land ist sicher zur Übernahme einer solchen Rolle nicht in der Lage. Dies gilt jedenfalls für die Bundesrepublik. Wir sind deshalb gezwungen und veranlaßt, Europa zunehmend auch in solchen Fällen mit einer Stimme sprechen zu lassen, gemeinsam zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Wir wissen: Wir haben dieses Stadium noch nicht erreicht. Im Grunde genommen haben wir eigentlich erst angefangen, die Einheit Europas nach außen sichtbar zu verwirklichen. ({66}) Die Einheitliche Europäische Akte und die darin enthaltene Institutionalisierung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit sind richtige Schritte in die richtige Richtung. Alles in allem darf ich heute sagen, daß es uns gelungen ist, in diesen vier Jahren das Gewicht der Bundesrepublik im Konzert der internationalen Mächte richtig einzusetzen. ({67}) Wir haben das mit dem notwendigen Augenmaß mit Blick auf unsere Möglichkeiten getan. ({68}) Wir haben das Bündnis stabilisiert. Wir haben aus dem Bündnis heraus damit die Chance eröffnet, die Gespräche zu führen. ({69}) Für jeden - das sollten Sie doch inzwischen begriffen haben -, der in diesen vier Jahren sorgfältig die Szene beobachtet hat, ist doch deutlich, daß ohne die Ratifikation des Beschlusses, den mein Amtsvorgänger in der NATO herbeigeführt hat, im Herbst 1983, ohne die Stationierung der Mittelstreckenwaffen weder das Gespräch in Genf noch das Gespräch in Reykjavik möglich gewesen wäre. ({70}) Und in dem Maß, in dem wir das Bündnis stabilisiert haben, war es dann auch möglich, in diese Gesprächsrunde einzutreten. Nichts, aber auch gar nichts von Ihren Prophezeiungen aus dem Spätherbst 1983 ist eingetreten. Sie haben damals gesagt, es werde ein Raketenzaun zwischen beiden Teilen Deutschlands heruntergehen, indem Sie die These des damaligen sowjetischen Regierungschefs wörtlich übernahmen. Sie haben von einer neuen Eiszeit gesprochen. Inzwischen kann jedermann erkennen, daß dies blanke Angstmacherei und billige Propaganda zur Verunsicherung der Menschen war. ({71}) Sie haben mit dieser Angstpropaganda ein böses Spiel mit den Menschen in beiden Teilen Deutschlands getrieben. ({72}) Nach den jetzt vorliegenden Zahlen werden in diesem Jahr, auf Personen bezogen, über 300 000 Rentner und an die 200 000 andere Landsleute aus der DDR hierher kommen können. Das ist eine Zahl von über 500 000, eine Zahl, die seit dem Bau der Mauer nie erreicht worden war. Das ist die Wahrheit. ({73}) Das ist die Realität der Möglichkeiten in den Beziehungen zwischen den Menschen in Deutschland. Nicht mit Ihrem kumpelhaften Zusammengehen mit der SED wurde das geschafft, sondern durch eine realistische Politik dieser Regierung. ({74}) Ähnlich wie alle Ihre Prognosen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik sich als blanke Propaganda, als Luftblasen erwiesen haben, stehen auch die Dinge im Bereich der Innenpolitik, der Wirtschafts-, der Finanz- und der Sozialpolitik. Wir hatten damals in der Tat die schwerste Krise. Wir standen vor „dem größten sozialökonomischen Debakel seit dem Zweiten Weltkrieg". Das ist keine Lagebeurteilung von mir, das ist ein Zitat aus der Rede des Vorsitzenden der SPD, des Kollegen Brandt, im Deutschen Bundestag vom 15. Oktober 1982. Und Willy Brandt war damals durchaus noch in der Lage und willens, die Realitäten zu sehen. Sozialökonomisches Debakel - diese Einordnung traf doch die Lage genau. Denn die ökonomischen Krisenmerkmale waren doch nicht zu übersehen. Die wirtschaftliche Leistung nahm nicht mehr zu, sondern sie schrumpfte. Und schrumpfende wirtschaftliche Leistung kann höchstens für einen Marxisten ein Hinweis auf eine bessere Zukunft sein. ({75}) Unter normalen Verhältnissen wird jedermann den nahen Staatsbankrott sehen. Im übrigen haben ja nicht wenige von Ihnen, auch von Ihren neuen intellektuellen Vordenkern im Bereich der GRÜNEN, das Minuswachstum, das Nullwachstum als etwas Befreiendes, als etwas moralisch in Ordnung Befindliches betrachtet. ({76}) Dieses leichtfertige Gerede ist von der ökonomischen Wirklichkeit eingeholt worden. Fehlendes Wirtschaftswachstum ging damals einher mit Inflation, mit fallenden Investitionen, mit dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Natürlich haben Sie das nicht gewollt. Aber Ihre abwegige, zuletzt sich gegen die Interessen und das Glück der Menschen richtende Politik hat diese Ergebnisse erzielt. Das ist die Realität. ({77}) Das Problem zeigte sich eben nicht nur bei den wirtschaftlichen Indikatoren. In ihrem Gefolge hatten wir es auch mit einem sozialen Debakel zu tun. Innerhalb von nur zwei Jahren waren mehr als 800 000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Diese Arbeitslosigkeit hat sich doch unter Ihrer Regierungszeit entfaltet. Wenn Sie also von Massenarbeitslosigkeit reden, dann sagen Sie ehrlicherweise: Es ist die Massenarbeitslosigkeit, die eine sozialistische Politik herbeigeführt hat. ({78}) Es mutet mich und andere seltsam an, wenn ausgerechnet Sie das Wort „sozial" in den Mund nehmen. Ihre Politik hat doch die unsozialsten Wirkungen in der Geschichte der Bundesrepublik herbeigeführt. ({79}) Meine Damen und Herren, das Fatalste in diesen Jahren war doch ({80}) - weil Sie von den immateriellen, von den geistigmoralischen Fragen sprachen, Herr Abgeordneter Vogel -: Sie haben nicht nur diesen Pessimismus mit herbeigeredet - Sie waren es nicht allein; da waren noch andere Kräfte mit am Werk -, nein, Sie haben bewußt versucht, aus Angst politisches Kapital zu schlagen. Sie haben jahrelang die Kriegsangst im Lande geschürt, obwohl Sie wußten, daß das ein Verbrechen gegen den Sinn und die Gemeinsamkeit unserer Demokratie ist. ({81}) Sie haben jahrelang die Angst vor größerer Massenarbeitslosigkeit unter die Leute getragen. ({82}) Ich erinnere mich an Ihre Reaktion nach Tschernobyl, wie Sie in einer so plumpen Weise die Lebensangst der Menschen mißbraucht haben. Das war das Signum Ihrer Politik. ({83}) Das, was Sie an Stimmung erzeugt haben, ist eben zukunftsunfähig, und so ist die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in ihrer jetzigen Verfassung zukunftsunfähig. ({84}) Wir haben uns davon nicht aufhalten lassen. Wir sind unseren Weg gegangen. ({85}) Wir haben die Ärmel aufgekrempelt und uns an die Arbeit gemacht. Wir haben etwas ganz Entscheidendes erreicht: An die Stelle von Pessimismus und Selbstmitleid sind in unserem Volk wieder Zuversicht und Optimismus getreten. Und das ist eine entscheidende Voraussetzung für eine gute Zukunft. ({86}) Was dies bedeutet, hat in diesen Tagen der Sachverständigenrat in seinem Gutachten prägnant zusammengefaßt. ({87}) Ich zitiere: Die deutsche Wirtschaft bleibt weiter auf Wachstumskurs. Die Beschäftigung steigt. Ende 1987 werden 800 000 Menschen mehr erBundeskanzler Dr. Kohl werbstätig sein als im Herbst 1983 ... Die Kaufkraft ist stabil. ({88}) Was heißt denn das eigentlich? - Ich zitiere hier den Sachverständigenrat. Dann setzen Sie sich doch bitte mit diesen Herren auseinander. Das ist eine korrekte Wiedergabe des Zitats. Ich führe weiter aus dem Gutachten des Sachverständigenrats aus: Der Aufschwung behält somit sein solides Fundament. Das läßt die Perspektiven auch für die Zeit nach 1987 günstig erscheinen. Die Chancen bleiben gut, daß die Beschäftigung weiter steigt und der Abbau der Arbeitslosigkeit vorankommt. ({89}) Meine Damen und Herren, es mag ja sein, daß Sie dieser Meinung des Sachverständigenrats nicht beitreten. Aber dann tun Sie es doch mit Argumenten und nicht mit der klaren Zielsetzung, ein positives Signal zu zerreden. Sie wollen doch, daß es schlechter geht im Land. ({90}) Das ist doch das Ziel Ihrer Politik. ({91}) - Herr Abgeordneter Vogel, das Ziel Ihrer Politik ist, die positiven Entwicklungen im Lande zu zerreden, mieszumachen, und mit Hilfe der GRÜNEN an die Macht zu kommen. Das ist das Ziel Ihrer Politik. ({92}) Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt in das fünfte Jahr eines stetigen Aufschwungs hineingehen, ({93}) dann können wir gleichzeitig feststellen, daß die Inlandsnachfrage, insbesondere der private Verbrauch und die privaten Investitionen, zur Hauptstütze der Konjunktur geworden sind. Dies bedeutet zugleich, daß die mengenmäßigen Importe wesentlich schneller zunehmen als die Ausfuhren. Das ist sehr wichtig. Der Kollege Bangemann sprach soeben davon, daß die deutsche Wirtschaft einen wesentlichen und gewichtigen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung auch in anderen Ländern leistet. Es ist wichtig, dies auch gegenüber unseren amerikanischen Freunden deutlich zu machen. Wir nehmen im Rahmen unserer Möglichkeiten jede Chance wahr, um in der Weltwirtschaft, in der Wirtschaft der Industrienationen und der Dritten Welt, unsere Verantwortung mit zu übernehmen. Denn - und dies wird oft übersehen - die deutsche Wirtschaft ist weltweit nach den USA und vor Japan nicht nur der zweitgrößte Verkäufer auf dem Weltmarkt, wir sind gegenwärtig auch der zweitgrößte Käufer von Produkten auf dem Weltmarkt. ({94}) - Für Sie ist es deswegen nicht toll, weil wirtschaftliche Indikatoren Sie überhaupt nicht interessieren. ({95}) Sie leben in der Traumwelt Ihrer Ideologie, und Sie haben nur eines im Sinn: an die Macht zu kommen, um eine andere Republik zu bauen. Das ist Ihre Politik. ({96}) Deshalb werden wir dafür Sorge tragen, daß die Wähler Ihr wahres Gesicht erkennen. Dessen dürfen Sie versichert sein. ({97}) Deshalb ist es gerade im Interesse einer erfolgreichen internationalen Zusammenarbeit notwendig, daß wir unseren Kurs einer berechenbaren Wirtschaftspolitik und einer stetigen Wirtschaftsentwicklung fortsetzen. ({98}) Mit Verläßlichkeit und Berechenbarkeit ist auch in der Weltwirtschaft allen am besten gedient. Ich habe dies bei meinen Besuchen in den USA ebenso deutlich gesagt, wie es jetzt der Sachverständigenrat in seinem Gutachten unterstrichen hat. Meine Damen und Herren, eine andere internationale Herausforderung ist in hohem Maße für den Augenblick gemeistert worden: Ich meine das große Problem der 70er Jahre, und zwar Inflation und Geldentwertung. Ich will hier nicht an die Irrtümer und Fehler selbsternannter Wirtschaftsexperten erinnern, etwa an die Vorstellung, man könne für etwas mehr Inflation etwas weniger Arbeitslosigkeit einhandeln. Dies war eine These, die zweifellos zur Unterschätzung der Inflationsgefahr maßgeblich beigetragen hat, mit dem Resultat, daß zu Beginn der 80er Jahre die Rückkehr zu Stabilität nur mit größten Anstrengungen und Opfern möglich war. In jedem Fall umfaßte die Hinterlassenschaft, die wir vorfanden, beides: Inflation und Arbeitslosigkeit. Demgegenüber haben wir mit dem Kampf gegen die Inflation ernst gemacht, übrigens in enger Zusammenarbeit und voller Übereinstimmung mit anderen großen Industrienationen. Die Erfolge sind deutlich: vollständige Preisstabilität. Sie müssen schon bis in die 50er Jahre zurückgehen, um etwas Vergleichbares zu finden. Herr Abgeordneter Vogel, wenn Sie dann in diesem Zusammenhang mit einer gewissen Häme erwähnen, das sei in absoluten Zahlen nur wegen des Ölpreisverfalles möglich, dann muß ich sagen: Ich habe dies nie geleugnet. Aber selbst, wenn ich den Ölpreisverfall einbeziehe, komme ich auf eine Preissteigerungsrate von 1,2 %. Damit sind wir auch bei dieser Rechnung Spitze in der Welt. ({99}) Im übrigen, Preisstabilität ist mehr als irgendein Indikator. Preisstabilität, das ist aktive soziale Politik, weil sie die Kaufkraft gerade derjenigen stärkt, die über kleine Einkommen verfügen; ({100}) denn Rentner und Arbeitnehmer haben kein überflüssiges Geld, das sie ins Ausland bringen könnten, um dort höhere Zinsen zu kassieren. ({101}) - Ich meine, zu diesem Punkt sollten Sie in diesen Wochen wirklich schweigen. Darüber, Geld ins Ausland zu bringen, über diese Fragen wirtschaftlicher Zusammenhänge, würde ich als Sozialist in diesem Augenblick schweigen. ({102}) Herr Abgeordneter Vogel, Sie haben vorhin die Amnestiedebatte erwähnt. Wieviel Heuchelei Sie in diesem Zusammenhang haben deutlich werden lassen, hat sich in vielen Untersuchungsausschüssen gezeigt. ({103}) Preisstabilität ist echte Sozialpolitik, weil sie den Bürger nicht abhängig macht von staatlichen Almosen, sondern ihm ein Stück mehr persönlicher Unabhängigkeit gibt, ein Stück mehr persönlicher Freiheit. Diese Priorität für stabile Preise hat sehr konkrete Folgen: Die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer, also die Einkommen nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben, steigen in diesem Jahr real um 4,5 %. Das ist die stärkste Zunahme seit 16 Jahren. Das ist Politik für die Arbeitnehmerschaft. ({104}) Nicht die großen Sprüche von selbsternannten Vertretern der Arbeiterschaft, die weder zum betrieblichen Alltag noch zum Leben dieser Menschen einen Zugang haben, die vielmehr irgendwo im Jetset oder Semi-Jetset der Politik solche Thesen vertreten, helfen diesen Arbeitnehmern, sondern praktische Politik im Alltag, die sich auch in der Kasse auszahlt. ({105}) Wir haben eine solide Politik gemacht und dafür gesorgt, daß die Einkommen der Bürger allein in diesem Jahr - wohlgemerkt: real, also ohne inflationäre Aufblähung - um rund 50 Milliarden DM zugenommen haben. Sie haben mit Ihrem Rezept nicht mehr, sondern Hunderttausende von Arbeitsplätzen weniger hinterlassen. Sie haben Arbeitslosigkeit zu einer Realität im Land gemacht. Wir haben Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen da-zugewonnen. Das ist es, was unsere Politik von der Ihren unterscheidet. ({106}) Nach den neuesten Angaben des Statistischen Bundesamtes hat der Zugewinn an neuen, zusätzlichen Arbeitsplätzen im September dieses Jahres die 600 000-Marke erreicht. Was noch fast wichtiger ist: Der Trend bei den Arbeitsplätzen zeigt seit vielen Monaten stetig nach oben. Alles spricht dafür, daß sich dieser Trend weiter fortsetzt. Die Zahlen aus Wiesbaden aus dem Statistischen Bundesamt zeigen noch etwas, was viel zu wenig Beachtung gefunden hat: Sie zeigen, daß die Trendwende bei den Arbeitsplätzen bereits im Oktober 1983 erreicht wurde. Es hat also nach dem Regierungswechsel nur ein Jahr gedauert, um den verhängnisvollen Abwärtstrend, für den Sie, die SPD, verantwortlich sind, zu verlangsamen, zu stoppen und schließlich umzukehren. Deswegen läßt sich der Arbeitsplatzvergleich mit dem Oktober 1982 durchaus sehen. Damit Sie dies auch in Ihre Bilanz aufnehmen können: Es gibt heute 350 000 Arbeitsplätze mehr als zum Zeitpunkt Ihrer Verabschiedung von der Regierungsbank. ({107}) Noch ein Wort zu den Arbeitslosenzahlen: Richtig ist, daß wir im Oktober dieses Jahres den niedrigsten Stand der Arbeitslosenzahlen seit Oktober 1982 hatten. Gleichwohl wissen wir, daß der Abbau der Arbeitslosigkeit niedriger ausfällt als die Zunahme bei der Beschäftigung. Die Antwort ist klar: Nach den Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit ({108}) hat das sogenannte Erwerbspersonenpotential allein in den letzten drei Jahren, von 1983 bis 1985, um rund 500 000 zugenommen ({109}) - das ist wirklich nicht neu; wir haben die Statistik von Anfang an genannt -, und zwar auf Grund der nachwachsenden geburtenstarken Jahrgänge und des zunehmenden Interesses an einer beruflichen Tätigkeit. ({110}) Sie wissen doch aus jedem Arbeitsamtsbezirk, daß sich viele Frauen, die Hausfrauen sind, jetzt, nachdem sie wieder eine Chance sehen, daß sich die Wirtschaft entwickelt, endlich wieder melden. ({111}) Zu Ihrer Zeit hatten sie sich doch längst verabschiedet von der Chance, berufstätig zu sein. ({112}) Nicht zuletzt mit den Frauen sind doch in dieser relativ kurzen Zeit in der Bundesrepublik über Deutscher Bundestag -- 10. Wahlperiode Bundeskanzler Dr. Kohl 500 000 zusätzliche Arbeitsplatzsuchende auf dem Arbeitsmarkt erschienen. ({113}) Was wir getan haben, ist die Bereitstellung neuer Arbeitsplätze in einem Umfang, der über diese Größenordnung deutlich hinausgeht. Nimmt man hinzu, daß die Kurzarbeiterzahl von über eine Million auf derzeit 230 000 zurückgeführt werden konnte, ist dies doch ein Erfolg, von dem Sie niemals zu träumen gewagt hätten. ({114}) In diesem Punkt, Herr Vogel, waren Sie ja realistisch. Sie haben im Februar 1983 als Realist, wie Sie sagen, eine volle Legislaturperiode veranschlagt, um die weiter ansteigende Arbeitslosigkeit zu bremsen und umzukehren. ({115}) Ich stelle fest, daß wir dieses Ziel erreicht haben. ({116}) Mehr noch: Ich habe Ihnen vorhin gesagt, was Herr Rau in diesen Tagen deutlich gemacht hat. ({117}) Nehmen Sie doch zur Kenntnis, daß es den Wähler überhaupt nicht beeindrucken kann, wenn Sie ein solches Jammertal als Bild der Republik entwickeln und Herr Rau schlicht und einfach sagt: Der Mehrheit geht es gut, die Wirtschaft ist gut gelaufen, die Preissteigerungsrate ist niedrig. ({118}) - Ja, wenn das stimmt, dann stimmt doch dieses Katastrophengemälde nicht, das Sie hier entwickelt haben. ({119}) Meine Damen und Herren, für uns besteht kein Zweifel, daß es auf diesem Wege notwendig war, die Gesundung der Staatsfinanzen durchzusetzen, um solide Politik zu betreiben. Ich weiß auch, daß dies schwierig war. Ich weiß, daß dies Opfer kostete. Ich weiß auch, daß Ihnen diese Opfer in Landtagswahlkämpfen - denken Sie an die Wahl an der Saar oder in Nordrhein-Westfalen - zu einer breiten Diffamierungskampagne genützt haben. Dennoch wissen wir heute, daß diese Opfer zu Recht abverlangt wurden und daß wir damit auf einen soliden Kurs gekommen sind. ({120}) Wir haben, meine Damen und Herren, dabei vielen zu danken. Ich will in diesem Zusammenhang die Tarifpartner, die Gewerkschaften genauso wie auch die Unternehmer ausdrücklich erwähnen. Sehen Sie, meine Damen und Herren, Ihre ganze Diffamierung auch an diesem Punkt ist doch zusammengebrochen. ({121}) Sprechen Sie doch draußen in irgendeiner Versammlung, soweit Sie solche überhaupt noch abhalten, heute einmal von diesem ganzen Unsinn, den Sie im Frühjahr verbreitet haben, es gebe einen Schlag gegen die Souveränität der Gewerkschaft. Wenn die Gewerkschaft in diesem Jahr, in diesen Tagen und Monaten in Mißkredit geraten ist, dann durch selbstverschuldete Vorkommnisse, an denen ich ganz gewiß keine Freude habe. Denn ich bleibe, meine Damen und Herren, bei aller scharfen Auseinandersetzung mit der Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei meiner These: Im Interesse der Republik brauchen wir starke Unternehmerverbände und starke Gewerkschaften. Wir wollen nicht die Tarifhoheit beim Staat. Wir wollen, daß das, was unter Hans Böckler und vielen anderen entwickelt wurde, weiterentwickelt wird. Wenn sich die Gewerkschaft in Frage gestellt hat, dann durch jene Diskussion, die in der Gewerkschaft selbst entstanden ist, weil sie sich moralischer Postulate bedient hat und den einfachsten Anforderungen von Prüfungen heute selbst nicht genügt. ({122}) Wir haben das Haushaltsdefizit zurückgeführt. Wir haben auf den Kreditmärkten Zinserleichterungen mit herbeigeführt. Wir haben vor allem etwas erreicht, was in diesen Jahren ganz wichtig war, nämlich daß es wieder lohnend ist, Geld in Unternehmensinvestitionen und damit auch in Arbeitsplätze zu stecken. ({123}) - Sie glauben doch diesen Unsinn selbst nicht. Wenn Sie draußen mit den Bürgern reden, wissen Sie doch so gut wie ich, daß dieses Massenelend nur in Ihrem Kopf existiert. ({124}) Durch Steuersenkungen für Einkommensbezieher und Unternehmungen haben wir neue Spielräume geschaffen, und zwar in einer Größenordnung von immerhin rund 25 Milliarden DM. Die Wirkungen sind eingetreten. So sind die Investitionen in der Industrie allein in den Jahren 1985 und 1986 real um ein Drittel gestiegen. Wer sich des Zusammenhangs zwischen Investitionen einerseits und der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen andererseits bewußt ist, der weiß, daß die Investitionsdynamik von heute gleichbedeutend ist mit Arbeitsplätzen und Beschäftigung morgen. Das ist ein Grundsatz unserer Politik, und dabei werden wir bleiben. Meine Damen und Herren, bei alldem ist deutlich geworden, daß die Prinzipien der Sozialen Markt19320 wirtschaft unter allen Umständen auch in unseren Verhältnissen, in unserem Land die beste Voraussetzung und die beste Grundlage für eine gute Zukunft einer modernen Volkswirtschaft sind. Meine Damen und Herren, auch in der Sozialpolitik haben wir den Handlungsspielraum zurückgewonnen. Wir haben insbesondere bei der Sicherung der Altersversorgung deutlich gemacht, daß wir einen sorgenfreien Lebensabend unserer alten Mitbürger garantieren wollen. Sie haben am Ende Ihrer Amtszeit hinterlassen, daß Anspruch und Wirklichkeit nicht mehr in Übereinstimmung gebracht werden konnten. Sie wollen einfach nicht wahrhaben, daß Sozialisten immer wieder die gleiche Erfahrung machen mußten, daß niemand ungestraft auf Dauer über die Verhältnisse des Landes leben kann. ({125}) Meine Damen und Herren, wenn Opfer abverlangt werden mußten, dann führt doch gar kein Weg daran vorbei, daß die zu verteilenden Leistungen an das anzupassen waren, was eben von Arbeitnehmern und Unternehmungen gemeinsam erarbeitet wurde. ({126}) - Über Vermögensbildung können Sie doch nicht reden. Sie haben doch gar nichts gemacht. ({127}) - Herr Kollege Vogel, auch das Mißverständnis ist ja ganz gut. Sie als angebliche Arbeitnehmerpartei haben doch nichts in der Vermögensbildung gemacht. Sie haben in den ganzen Jahren geschwiegen. Sie haben nichts dazu beigetragen. ({128}) Sparsame Haushaltspolitik und eine Sozialpolitik mit Augenmaß haben neue Möglichkeiten geschaffen, denen zu helfen, die vor allem auf die Hilfe des Staates angewiesen sind. Ich nenne die Familien mit Kindern, die wir aus dem politischen und gesellschaftlichen Abseits der 70er Jahre wieder herausgeholt haben. Mit dem Erziehungsgeld, mit der Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht und mit steuerlichen Erleichterungen haben wir uns gerade hier für eine neue Politik entschieden. Meine Damen und Herren, Sie haben keinen Grund, an diesem Thema herumzukritisieren, denn Sie haben ja über einem Jahrzehnt nichts zugunsten der Familie getan. ({129}) Allein das Steuerpaket mit einer Summe von über 10 Milliarden DM, das zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft trat, ist ein Beispiel dafür, was wir zugunsten der Familie zustande gebracht haben. ({130}) Wenn Sie, wie Sie behaupten, es wirklich ernst meinen mit der Familie, auch in Ihrem Programm, dann frage ich Sie schlicht und einfach: Warum gibt es bis heute in Nordrhein-Westfalen keine Landesstiftung „Mutter und Kind" und kein Landeserziehungsgeld? ({131}) Gerade in Nordrhein-Westfalen - die dortige Landesregierung ist ja im Blick auf den 25. Januar von besonderem Interesse - wird gegenwärtig von Ihren Genossen exemplarisch vorgeführt, daß derjenige, der seine Finanzen nicht in Ordnung halten kann, auch in der Sozialpolitik am Ende hilflos und tatenlos dasteht. ({132}) Während es für die Bürger in Nordrhein-Westfalen täglich Anschauungsunterricht in Sachen Sozialabbau gibt, konnten wir hier in Bonn in der Tätigkeit der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung gemeinsam wichtige Hilfen verbessern: die Erhöhung des Wohngeldes um immerhin rund 1 Milliarde DM, die spürbare Anhebung der Sozialhilfesätze um 8 %, die zweimalige Verlängerung der Zahlung von Arbeitslosengeld, 100 000 Plätze - das ist eine Verdreifachung der Zahl der bisher zur Verfügung stehenden Plätze - für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Wiedereinführung des Kindergeldes für arbeitslose Jugendliche, das Sie, meine Damen und Herren von der SPD, bekanntlich gestrichen hatten, um nur wenige Beispiele zu nennen. Dazu kommen - ich sage es Ihnen noch einmal - die Initiativen zur Vermögensbildung. Wie können Sie es überhaupt wagen, heute als Partei aufzutreten, die die Interessen der Arbeitnehmer vertritt, wenn Sie in diesen zentralen Punkten nichts, aber auch gar nichts zur Entwicklung und Gestaltung einer künftigen sozialen Gesellschaft beigesteuert haben? ({133}) Meine Damen und Herren, allein diese Zahl macht deutlich, wie abwegig Ihre These vom Sozialabbau ist: Insgesamt sind die Sozialleistungen in dieser Legislaturperiode um 80 Milliarden DM auf insgesamt 604 Milliarden DM gestiegen, und dies trotz aller Schwierigkeiten. Wir wissen, daß Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik keine getrennten Veranstaltungen mit getrennten Kontenführungen sind, sondern daß ihre jeweiligen Erfolge eng und unlösbar zusammengehören und daß man überhaupt nur helfen kann, wenn andere die notwendigen Mittel vorher erarbeitet haben. Solidarität und Solidität, das ist ein Wortpaar, das gehört für uns zusammen. Das markiert auch unsere Marschrichtung für die nächsten Jahre. Meine Damen und Herren, Sie haben auch von der Umweltpolitik gesprochen. Es ist schon beachtlich, wie jemand, der nichts, aber auch gar nichts auf diesem Gebiet beigesteuert hat, von Umweltpolitik sprechen kann. ({134}) Sie müssen das allerdings tun, weil Sie sich ja immer mehr in das Vertrauen Ihrer neuen Partner im Sinne der rot-grünen Kombination hineinreden wollen. ({135}) Meine Damen und Herren, bei unserer Regierungsübernahme haben wir hier wirklich ein freies Feld vorgefunden. ({136}) Ich frage Sie ganz einfach: Herr Abgeordneter Vogel - Sie waren doch Mitglied einer Bundesregierung -, ({137}) was haben Sie denn in den Jahren getan, als Japan und die USA das umweltfreundliche Auto eingeführt haben? Sie haben nichts getan. Sie haben gar nichts getan. ({138}) Wenn die strengen Bestimmungen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der Novelle zur Technischen Anleitung „Luft" bereits vor zehn Jahren in Kraft getreten wären, dann wären die Verhältnisse heute natürlich günstiger. Die von dieser Bundesregierung zügig gefaßten Beschlüsse zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen zeigen doch ganz konkrete Wirkungen. ({139}) Der Schwefelausstoß aus Kraftwerken wird bis 1993 um mehr als 75 % verringert. Das können Sie doch nicht bestreiten. Ihr Beitrag zu dieser Politik war Null. ({140}) Die Schadstoffabgabe aus Industrieanlagen nimmt von Jahr zu Jahr drastisch ab. Der Anteil umweltfreundlicher Autos an der Neuzulassung beträgt inzwischen 60 %. Erinnern Sie sich noch an die Debatte zu diesem Punkt, an Ihre Prognosen? Nichts, aber auch gar nichts von Ihren Prognosen ist inzwischen eingetreten. ({141}) Überall in der Bundesrepublik Deutschland kann heute bleifrei getankt werden. Auch in unseren Nachbarländern wird das Netz bleifreier Tankstellen dichter. Die verschärften Anforderungen zur Luftreinhaltung führen nach Schätzung von Experten zu zusätzlichen Investitionen in einer Größenordnung von bis zu 60 Milliarden DM. Unsere Politik verbessert also nicht nur Umwelt, sie schafft Investitionen und damit Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren, die von mir angeregte Sonderkonferenz zur Reaktorsicherheit der Internationalen Atomenergie-Organisation Ende September in Wien hat gezeigt, daß es glücklicherweise auch möglich ist, jenseits aller ideologischen Grenzen Fortschritte zugunsten einer besseren Umwelt zu machen. Herr Abgeordneter Vogel, da Sie so gerne zur Kernkraft zitieren: Daß sich kürzlich die Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig ({142}) für die weitere Nutzung der Kernenergie ausgesprochen hat, zeigt doch die Realitätsferne all derer, die im Alleingang zum Ausstieg aufbrechen wollen. ({143}) In Wahrheit, Herr Abgeordneter Vogel, glaube ich Ihnen auch gar nicht, daß Sie aussteigen wollen. Ich glaube, daß Sie vor der Wahl ganz bewußt noch ein paar Wähler, die Angst haben, für sich gewinnen wollen. Ich glaube zum zweiten, daß Sie sich auf diesem Weg bei den GRÜNEN anschleichen wollen, um mit denen zusammen die Macht in unserem Land zu übernehmen. ({144}) Meine Damen und Herren, es muß Sie doch nachdenklich stimmen, daß Sie immer und bei jeder Gelegenheit die Dritte Welt und ihre Sorgen und Nöte im Munde führen, nur bei diesem Thema nicht. Wenn Sie die Debatte bei den Vereinten Nationen zum Thema Kernkraft verfolgt haben, wissen Sie, daß es doch gerade die Länder der Dritten Welt waren, die an die Industrienationen eindringlich appelliert haben, Kernkraft weiterhin zu nutzen. Man sieht doch an diesem Beispiel, daß Sie auch in dieser zentralen Frage deutscher Politik international völlig in die Isolierung geraten sind. Wenn die Generalversammlung der Vereinten Nationen zugleich einstimmig eine Verbesserung der Sicherheit fordert, dann ist dies auch ein Erfolg unseres beharrlichen Eintretens für internationale Verbesserung der Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Noch etwas, meine Damen und Herren, weil es angesprochen wurde: Der Chemieskandal in Basel hat deutlich gemacht, ({145}) daß internationale Standards zum Schutz unserer Umwelt nicht nur beim Thema Kernenergie auf der Tagesordnung stehen. Es ist in jeder Weise unverständlich und in keiner Weise zu entschuldigen, daß nach den Erfahrungen der letzten Jahre mit einem solchen Risikopotential derart leichtfertig umgegangen wurde. ({146}) Ich füge klar hinzu: Wir brauchen die chemische Industrie und ihre Erzeugnisse; wir müssen aber erwarten, daß bei Herstellung und Lagerung ein Maximum an Vorsicht und Vorsorge gewährleistet wird. ({147}) Wenn jemand sich nicht daran hält bzw. im Unglücksfall durch Nachlässigkeit oder sogar Vertu19322 schungsversuche den Schaden vergrößert, dann ist das schlicht und einfach Umweltkriminalität. ({148}) Hier besteht sowohl im internationalen wie im nationalen Rahmen sicherlich Handlungsbedarf, wobei mehr noch als bisher das Prinzip einer ausreichenden Vorsorge in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt werden muß. Das gilt auch für die chemische Industrie in der Bundesrepublik Deutschland. Die Vorfälle der letzten Tage zeigen dies ganz deutlich. Wir werden deshalb im engen Zusammenwirken mit den Bundesländern prüfen, wie der Vollzug bestehender Sicherheitsvorschriften verbessert werden kann und ob die Vorschriften zum Umgang mit gefährlichen Stoffen verschärft werden müssen. Angesichts des hohen Risikopotentials, mit dem man in der chemischen Industrie notwendigerweise umgehen muß, muß auch sichergestellt werden, daß die Firmen und die Betreiber die notwendige Eigenverantwortung mit Sorgfalt auch in der Unterrichtung gegenüber den staatlichen Stellen und der Öffentlichkeit wahrnehmen. Die Sanierung und Revitalisierung des Rheins ist nicht nur, aber auch und vor allem im Interesse unserer Trinkwasserversorgung unerläßlich. Darüber hinaus gilt: Auch und gerade im Umweltschutz können wir eben Probleme nicht allein mit Vorschriften und Verboten lösen, sondern wir brauchen auch neue Verfahren, brauchen neue Technologien, brauchen neue technische Lösungen ({149}) in der Industriegesellschaft zugunsten des Umweltschutzes. Meine Damen und Herren, gerade bei den Kohlekraftwerken erleben wir ja zur Zeit auf eindrucksvolle Weise, welcher Schub durch neue Technik möglich gemacht wurde. Wir haben dafür in den letzten vier Jahren neue gesetzliche Rahmenbedingungen gesetzt. In diesem Zusammenhang ist es allerdings ein ziemliches Trauerspiel, wie Sie, Herr Abgeordneter Vogel, heute zu dem Themenbereich „Ibbenbüren" Stellung beziehen. Ich erinnere mich noch sehr gut an Ihre Ausführungen, an Ihre Panikmache zum Thema „Buschhaus". Buschhaus dient heute als ein Paradebeispiel für eine fortschrittliche Technologie und Entwicklung. ({150}) Und damals sprachen Sie, meine Damen und Herren, von der „Dreckschleuder der Nation"! ({151}) Der blanke Opportunismus der deutschen Sozialdemokratie wird an diesem Beispiel ganz besonders deutlich. ({152}) Wir werden unsere Zukunftsaufgaben nur dann lösen können, wenn wir innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ein gesellschaftliches Klima schaffen, das offen ist für das notwendige Gespräch, das fähig macht zum Anhören und zum Tolerieren anderer Meinungen, das offen ist für Innovation und das offen ist für technischen Fortschritt. Meine Damen und Herren, wenn in diesem Jahr in der Bundesrepublik von der öffentlichen Hand und der Wirtschaft insgesamt ein Betrag von 54 Milliarden DM für Forschung und Entwicklung ausgegeben wird, ist das ein Stück Abschlagszahlung für die Zukunft unseres Landes. Es ist zugleich eine Markierung für den Weg in die Zukunft. ({153}) Wir brauchen auch in der kommenden Legislaturperiode noch große Anstrengungen, um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern und zu stärken. Das gilt für den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, das gilt für unsere Einbindung in die Weltwirtschaft, und das gilt für die vielen notwendigen Veränderungen und Anpassungen des nächsten Jahrzehnts. Mit der bei uns bereits in Gang befindlichen Diskussion über die Strukturreform des Steuersystems hat ja ein Teil der Schaffung der neuen Gestaltungsbedingungen der 90er Jahre schon begonnen. Mit der Anpassung der Rentenversicherung an die katastrophalen demographischen Zahlen sowie mit der Kostenbegrenzung im Gesundheitswesen stehen weitere wichtige Stichworte auf der Tagesordnung der nächsten Jahre. Nicht zuletzt will ich auf die weitreichenden Wirkungen der sich durch den Einsatz neuer Techniken ergebenden Möglichkeiten verweisen. Weiterbildung, lebenslanges Lernen, größere Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung und vieles andere mehr, das sind Fragen, auf die wir die richtigen Antworten geben müssen. Wir haben in den vergangenen vier Jahren versucht, unseren Beitrag dazu zu leisten, daß wir in den kommenden Jahren zu den richtigen, zu den angemessenen Antworten auf diese Fragen kommen können. Es sind günstige Voraussetzungen geschaffen worden. Wir haben Chancen und Perspektiven erarbeitet, um diese Zukunftsaufgaben mit Zuversicht und begründetem Optimismus in Angriff nehmen zu können. Meine Damen und Herren, auf dieser Basis werden wir, die Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP, uns dem Wähler stellen. Wir werden uns dem Wählervotum im Vertrauen darauf stellen, daß die große Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger weiß, was in diesen vier Jahren geschehen ist. Wir tun das in der selbstverständlichen Überzeugung, daß wir versucht haben, im Rahmen des uns Möglichen unsere Pflicht zu tun, und wir sind bereit, auch nach der Wahl in diesem Amt weiterhin unsere Pflicht zu tun. Wir bitten unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger dafür um ihr Vertrauen. Wir bitten sie, nüchtern über diese vier Jahre Bilanz zu ziehen und dann ganz persönlich ihre Entscheidung zu treffen. Dann, meine Damen und Herren, ist uns vor dieser Entscheidung am 25. Januar nicht bange. ({154})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, zuerst einmal muß ich einen Ordnungsruf erteilen. Herr Abgeordneter Schreiner, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf für die Bemerkung „Lügenkanzler". Vielleicht darf ich an dieser Stelle auch einmal eine Bemerkung machen. Ich würde mich sehr freuen, wenn persönliche verbale Beleidigungen in der künftigen Debatte für alle Mitglieder des Hauses entfallen. ({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man das zweifelhafte Vergnügen hat, nacheinander Herrn Bangemann und Herrn Kohl zuhören zu müssen und sich dann sagen zu müssen, daß die beiden Leute tatsächlich ein Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland regieren, ({0}) dann wird man eher schwermütig. ({1}) Ich glaube aber, Herr Bundeskanzler, daß diese Regierung Kohl-Bangemann einen Rekord gebrochen hat. Ich glaube, daß sie wie keine andere Vorgängerregierung Sachpolitik und die Lösung von politischen Problemen durch Propaganda und Kosmetik ersetzt hat. Dabei hat die Umwandlung des Presseamtes unter dem strammen Parteimann Ost in ein Bundesamt für Propaganda gute Hilfe geleistet, und die Täuschung der Öffentlichkeit ist fast zur Methode geworden. Es tut mir leid, Herr Kollege Waigel, daß Sie sich da heute angeschlossen haben, denn Sie hätten schon der heutigen Tagespresse entnehmen können, daß Herr Scherf richtiggestellt hat, was Sie ihm vorwerfen. ({2}) Und die Äußerung, die Sie Herrn Lafontaine untergeschoben haben, ist nicht von Herrn Lafontaine gemacht worden. Aber in der Diffamierung seid ihr halt groß. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Keine Zwischenfrage. - Ich glaube allerdings, daß in der Person des Herrn Bundeskanzlers auch ein erhebliches Maß von Selbsttäuschung mitschwingt. Herr Bundeskanzler, daß wir in der Beurteilung von Sachfragen in so erstaunlichem Maße voneinander abweichen, das liegt, glaube ich, daran, daß Sie, wenn Sie von Realität sprechen, nicht die Tatsachen meinen, sondern das Wunschbild, das Sie sich von diesen Tatsachen machen oder jedenfalls über diese Tatsachen verbreiten lassen. Die Kollegen Apel und Vogel haben in sehr eingehender Darlegung aufgezeigt, daß der Widerspruch zwischen Tatsachen und Regierungspropaganda immer größer wird. Ob das um den Konjunkturablauf und seine wirtschaftlichen Risiken geht, um die Massenarbeitslosigkeit, um die unsoziale Umverteilung von unten nach oben, bei der die Reichen Steuern zurückbekommen und für Trümmerfrauen und Schüler kein Geld da ist, ob es um Ihre ungerechte Steuerreform geht, um die Pleiten- und Subventionsrekorde, um die Defizite, die nun noch ein bißchen schneller steigen, da die Bundesbankgewinne zu fließen aufhören, ({0}) ob es um die Katastrophen im Bereich der Atomwirtschaft und im Bereich der Chemie geht, ob es um die mangelnden Fahndungserfolge bei der Bekämpfung des Terrorismus geht - ein besonders düsteres Kapitel des Herrn Zimmermann -, überall wird der Widerspruch zwischen Regierungspropaganda, oder, wie der Herr Bundeskanzler das nennt, seinen Optimismuskampagnen und den Tatsachen sowie den Problemen, vor denen dieses Land steht, deutlich. ({1}) Herr Bundeskanzler, mein Kollege Manfred Reimann, der Sie hoffentlich auch in diesem Wahlkampf in Ihrem Wahlkreis Ludwigshafen wieder schlagen wird, wird Ihnen nachher noch einmal in bezug auf die sozialen und wirtschaftlichen Fragen, die Sie angesprochen haben, an Hand Ihres eigenen Wahlkreises Ludwigshafen vorführen, was Ihre Sozial- und Wirtschaftspolitik für die Arbeitnehmer draußen wirklich bedeutet. ({2}) Ich möchte mich hier zunächst der Tatsache zuwenden, daß auch in der Außenpolitik die Sache für Sie - mit „Sache" meine ich die Position, das Ansehen, den Einfluß der Bundesrepublik in der Welt - sehr viel weniger bedeutet als Ihre eigene Propaganda. Die Doppelzüngigkeit reicht hier bis zur bewußten Täuschung. Herr Bundeskanzler, da Sie mich darauf angesprochen haben: Wie war das denn mit Reykjavik? Sie haben doch nach Reykjavik gesagt, es sei kein schwarzer Sonntag für die Abrüstung gewesen, wir hätten keine Jahre verloren. Sie haben sogar eine Optimismuskampagne gestartet - wieder Public Relations statt Politik -, die kam aber schon zu Ende, als die amerikanischen Wahlen gelaufen waren. Da war sie nämlich in Amerika auch zu Ende. Heute kann man doch nur feststellen, daß Sie, wenn Sie überhaupt noch daran festhalten, daß Reykjavik ein Erfolg gewesen sei, das nur in dem Sinne tun, daß glücklicherweise nichts zustande gekommen sei. ({3}) Dr. Ehmke ({4}) Wie sagte doch der Herr Strauß, der ja immer offener redet als Sie? Er sagte am Wochenende auf dem kleinen CSU-Parteitag: ({5}) „Eine rasche Unterschrift hätte uns gewaltige Schwierigkeiten bringen können." - Das ist doch die Wahrheit. Sie haben eine Optimismuskampagne unter Wahlkampfgesichtspunkten geführt. Inzwischen sind Sie dabei, selbst das zu demontieren, was selbst Reagan noch von Reykjavik beibehalten hat. Aber darauf werde ich noch zurückkommen. Ihre Außenpolitik besteht aus drei Teilen: Liebdienerei in Washington unter Verletzung deutscher und europäischer Interessen; gegenüber der Sowjetunion und Osteuropa, auch der DDR, ein dumpfes Zurückgleiten in den Kalten Krieg und im Bereich von Rüstungskontrolle und Abrüstung ein Übergang von Abstinenz zu Widerstand. In der Debatte über Ihre Regierungserklärung nach dem Washington-Besuch habe ich schon gesagt, daß die Rückkehr Ihrer Außenpolitik zu Anklängen an den Kalten Krieg mit der Rechtsentwicklung der Union zusammenhängt, mit jenem dumpfen Stammtisch-Mief, von dem wir heute bei meinen beiden Vorrednern ja so manche Kostprobe geboten bekommen haben. An die Adresse von Herrn Waigel sei gesagt: Daß ein Mann wie Hans Maier in dieser Situation aus seinem Amt heraus- ) geworfen wird, zeigt ebenfalls, daß in der Union die Weichen wieder einmal in Richtung auf die Spießer und die Stahlhelmer gestellt sind. Das ist nämlich identisch. ({6}) So erleben wir denn die laufenden Peinlichkeiten des amtierenden Bundeskanzlers bis hin zum „Newsweek"-Interview, seine Angriffe auf die östlichen Nachbarn zu rechten Wahlkampfzwecken und - wie der Herr, so's Gescherr - die Dummejungensprüche des Herrn Kanzleramtschefs, wobei man diese Bezeichnung noch eher als Verharmlosung ansehen muß; denn die Propagandaparole, die Sowjetunion mische sich in den deutschen Wahlkampf ein, ist nur eine dreiste Verdrehung der Tatsache, ({7}) daß Sie, Herr Kohl, aus rechten Wahlkampfzwekken mit unseren außenpolitischen Interessen Schindluder treiben. ({8}) Der Herr Außenminister Genscher hat dazu auf seinem FDP-Parteitag harte Worte gefunden, auch in Richtung Bundeskanzler. Hier aber, Herr Genscher, schweigen Sie. Ich kann nur sagen: Ihre Position in Bonn wird immer erbarmungswürdiger. Wenn ich mir den Widerspruch ansehe zwischen dem, was Sie sagen oder was Herr Möllemann in Istanbul gesagt hat oder was Kollege Schäfer zur Frage der Null-Lösung gesagt hat, und dem, was in der Regierung wirklich passiert, ({9}) sehe ich mich leider in meiner Meinung bestätigt, daß die Frage, ob die FDP in der Regierung ist oder nicht, nur noch für die Postenverteilung von Bedeutung ist, aber nicht mehr für die Entscheidung in außenpolitischen Sachfragen. ({10}) Nicht nur der Dauerclinch zwischen Herrn Strauß und Herrn Genscher, auch die Angriffe des CDUStahlhelms auf den Bundespräsidenten und andere moderate Unionspolitiker zeigen: Der Stahlhelm ist dabei, die Reste der von Herrn Kohl versprochenen, aber nicht gehaltenen Kontinuität in der deutschen Außenpolitik zu beseitigen. Darum ist Herr Huyn auch so fröhlich. Der daraus folgende desolate Zustand unserer Außenpolitik trifft mit einem ähnlich desolaten Zustand der amerikanischen Außenpolitik zusammen. Präsident Reagan ist in dreifacher Hinsicht schwer angeschlagen: einmal durch seine Niederlage bei den Senatswahlen, dann durch die fortwährende Demontage seitens der rechten Flügelmänner in Amerika und ihrer Handlanger in Europa, vor allem auch in der Bundesrepublik, fast allen dessen, was er in Reykjavik als Teilfortschritte verabredet hat, schließlich durch seine Affäre der Waffenlieferung in den Iran. Angesichts dieser Situation in Bonn und Washington nimmt es nicht wunder, daß die NATO in einem Zustand der Verwirrung gelandet ist. Ich darf vielleicht bitten, falls Sie zu ernsthaftem politischen Nachdenken noch bereit sind, darüber nachzudenken, ob es nicht wirklich einmalig ist, daß sich das westliche Bündnis im folgenden Zustand befindet: Der amerikanische Präsident spricht in Reykjavik mit Herrn Gorbatschow eine Null-Lösung für Mittelstreckenwaffen in Europa ab und bringt sie, wie verabredet, am Genfer Verhandlungstisch ein. Das ist die Auskunft, die uns die amerikanische Regierung gegeben hat. Aber der amerikanische NATO-Oberbefehlshaber und sein deutscher Vertreter bezeichnen diesen Vorschlag des amerikanischen Präsidenten als unsinnig - was zugleich ein interessantes Schlaglicht auf das Verhältnis von politischer Führung und Militär im westlichen Bündnis wirft. Während der Präsident die Abschaffung dieser Waffen verabredet, beschließen die Verteidigungsminister der NATO für die westlichen Mittelstreckenwaffen - die nach Reagans Willen und Aussage gerade abgeschafft werden sollen - neue Einsatzrichtlinien, die zum erstenmal den Einsatz dieser Waffen auf dem Territorium der Sowjetunion vorsehen. Die Herren Wörner und Kohl und andere Leute, die noch mehr Angst vor einer wirklichen Abrüstung als vor einem Atomkrieg haben, sind dabei, die Null-Lösung mit lauter Zusatzforderungen zu befrachten, um sie zu Fall zu bringen, während sie gleichzeitig den Wählern und Bürgern vortäuschen Dr. Ehmke ({11}) - auch heute wieder, Herr Bundeskanzler -, sie seien für die Null-Lösung. Die Doppelzüngigkeit des Herrn Bundeskanzlers verrät sich in Formulierungen wie der, die Null-Lösung - die er doch selbst mit vorgeschlagen hat; das war doch ein westlicher Vorschlag - sei für ihn „akzeptabel". Da lobe ich mir den Klartext von Herrn Strauß. Originalzitat: Ich bin auch, Gott sei Dank, mit Helmut Kohl völlig einig, daß wir die Null-Lösung bei Mittelstreckenraketen in Europa nicht anstreben dürfen. Sie aber beschwindeln unser Volk, Herr Bundeskanzler. ({12}) Es ist unbestritten, daß auf dem Gebiet der Kurzstreckenraketen und der konventionellen Waffen ebenfalls vertragliche Vereinbarungen erforderlich sind. Die deutschen Sozialdemokraten haben im Gegensatz zu der bisher untätigen Bundesregierung auch für den Bereich der Kurzstreckenraketen und der konventionellen Waffen Abrüstungsvorschläge gemacht. Aber wir sind dagegen, die mögliche Null-Lösung bei Mittelstreckenwaffen in ein Paket mit diesen Fragen zu binden, so wie wir auch gegen das sowjetische Paket sind, das die Null-Lösung bei Mittelstreckenwaffen mit der Weltraumrüstungsfrage verbinden will. Wir sagen den Sowjets und den amerikanischen Freunden: Europa darf nicht Geisel des amerikanischen SDI-Programms werden. ({13}) Wir sind vielmehr dafür - in diesem Punkt deckt sich unsere Auffassung mit der des Außenministers -, so schnell wie möglich eine separate Null-Lösung anzustreben und den Impetus eines solchen Erfolgs für Fortschritte in den anderen Bereichen zu nutzen. Im übrigen hat die Bundesregierung bei Aufstellung der Pershing-Raketen und der Marschflugkörper selbst nie behauptet, diese Waffen sollten die schon damals vorhandene Überlegenheit der Sowjets im Kurzstreckenbereich und im konventionellen Bereich ausgleichen. Es ging allein um ein Gegengewicht zu den sowjetischen SS-20-Raketen. Insofern aber, Herrn Bundeskanzler, würde eine Null-Lösung nicht nur eine Rückkehr zum Status quo ante, sondern eine wesentliche Verbesserung der westlichen Position darstellen, und zwar aus drei Gründen. Erstens hat sich die Sowjetunion bereit erklärt, auf die Anrechnung der französischen und britischen Atomraketen im Mittelstrecken-Zusammenhang zu verzichten. Zweitens würde die Abschaffung der SS 20 dazu führen, daß Westeuropa im Gegensatz zu der Zeit vorher auch keine SS-4- und SS-5-Raketen mehr bedrohen würden. Schließlich hat sich die Situation insoweit zugunsten des Westens geändert, ({14}) daß seit dem November 1983 die Amerikaner Hunderte von seegestützten Cruise Missiles stationiert haben, so daß die Lage günstiger ist, ({15}) als sie vor dem Beginn von Rüstung und Nachrüstung war. Ich sage: Wer behauptet oder behaupten und streuen läßt -- wir wissen ja, Herr Wörner, wie das von der Hardthöhe ausgeht -, daß man auf jeden Fall, weil es in der sogenannten Eskalationsleiter kein Loch geben dürfe, atomare Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden haben muß, dem geht es nicht um Abrüstung, sondern dem geht es um die Bedrohung sowjetischer Kommandozentralen und Raketensilos von deutschem Boden aus und der nimmt dafür die tödliche Bedrohung unserer Städte und der in ihr lebenden Menschen durch die sowjetischen Mittelstreckenwaffen in Kauf. ({16}) ({17}) Wer das tut, macht einen beschränkten Atomkrieg in Europa wahrscheinlicher und stärkt damit nicht die Ankoppelung Europas an Amerika, sondern ruft die Gefahr der Abkopplung hervor. Da muß ich sagen: Ich schäme mich, daß in einer solchen Existenzfrage wie der Null-Lösung in dieser Regierung diese Eierei und diese Doppelzüngigkeit festzustellen sind. ({18}) Dazu paßt dann auch, Herr Bundeskanzler, daß aus Ihren Reihen die Null-Lösung bei Mittelstrekkenwaffen nicht nur mit Forderungen nach gleichzeitiger Lösung bei den Kurzstreckenraketen belastet, sondern nun auch noch die Möglichkeit einer weiteren Nachrüstung in diesem Bereich hereingemogelt wird. Herr Kohl und Herr Wörner bestreiten das, aber Franz Josef Strauß spricht auch insofern Klartext. Er sagte am vergangenen Wochenende: „Entweder müssen die Kurzstreckenraketen einbezogen werden, oder wir müssen in Europa, auf europäischem Boden, eine gleichwertige Nachrüstung vollziehen." Da lobe ich mir die Ehrlichkeit von Strauß und sage noch einmal: Ich halte es für verheerend, daß in Bayern Klartext gesprochen wird und hier in Bonn Täuschungsmanöver veranstaltet werden. Diese Doppelzüngigkeit der Union könnte ich auch an der Frage Weltraumrüstung, Unterhöhlung des ABM-Vertrages, Teststoppabkommen oder Zustimmung zu neuen chemischen Waffen demonstrieren; die Doppelzüngigkeit ist inzwischen leider durchgängig. ({19}) Die Wirkungen eines solchen, nach meinem Urteil verächtlichen Verhaltens der Bundesregierung liegen auf der Hand. - Herr Genscher, ich muß das sagen, es tut mir leid, auch wenn Sie Opfer dieser Entwicklung sind. Mein Urteil gilt der Regierung insgesamt. - Große, ich fürchte, nicht so schnell Dr. Ehmke ({20}) wiederkommende Abrüstungsmöglichkeiten werden vertan; ({21}) den Bürgern und den Bürgerinnen wird nicht die Wahrheit über die eigentliche Position der Bundesregierung gesagt, und die Glaubwürdigkeit des westlichen Bündnisses und seiner Abrüstungsvorschläge wird erschüttert; denn offenbar haben j a die Herren Kohl, Wörner und andere die Null-Lösung nur in der Erwartung vorgeschlagen, daß die Sowjets sie nicht annehmen würden. Bei dieser Unklarheit und Doppelzüngigkeit, lieber Herr Rühe, ist es kein Wunder, daß die Regierung auf dem Gebiet der Entspannungspolitik mit leeren Händen dasteht. Herr Kohl, Sie hatten, als Sie Kanzler wurden, versprochen, Frieden zu schaffen mit immer weniger Waffen. Sie sind dabei, Unfrieden zu schaffen mit immer mehr Waffen. Das ist eine Politik gegen unser eigenes Volk. ({22})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dregger.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Auch Sie, meine Damen und Herren der SPD, wissen natürlich, daß unsere Regierungsbilanz am Ende dieser Legislaturperiode hervorragend ist. ({0}) Sie können das natürlich nicht sagen, und dafür habe ich Verständnis. Ich will auch nicht wiederholen, was meine Kollegen heute morgen, zunächst der CSU-Landesgruppenchef, Theo Waigel, und der Bundeskanzler, Helmut Kohl, und gestern der erfolgreiche Finanzminister, Gerhard Stoltenberg, und weitere Kollegen, vorgetragen haben. Ich will mich heute nicht mit den Leistungen unserer Regierung beschäftigen, sondern mit Ihnen, mit der Lage der SPD, und dann noch mit einem ganz anderen Thema, nämlich mit der Zukunft. ({1}) Ihre Lage - ich glaube, darin stimmen wir überein - ist beklagenswert; nicht nur wegen der katastrophalen Niederlagen in Hamburg und in Bayern. ({2}) Viel schlimmer noch ist die Identitätskrise, Herr Kollege Vogel, in der sich Ihre Partei befindet. ({3}) Die SPD hat die Mitte geräumt und ist zu den grünen Aussteigern übergelaufen. Das ist die Wirklichkeit. ({4}) Schon 1981 hat Richard Löwenthal, der große alte Mann der SPD, seine Partei beschworen, sie solle sich von den grünen Ideologen des Aussteigertums unmißverständlich abgrenzen, weil die Partei sonst Gefahr laufe, sich selbst zu desintegrieren. Herr Kollege Brandt, der Parteivorsitzende, hat damals die Mahnung Löwenthals mit dem arroganten Satz abgetan, er, Brandt, brauche sich durch Löwenthal nicht über die Arbeiterbewegung aufklären zu lassen. ({5}) In gleicher Weise hat Brandt damals Frau Renger und den ehemaligen Hamburger Bürgermeister Professor Weichmann - man muß schon sagen - abgebürstet. ({6}) Ich will die Frage nicht untersuchen, ob Herr Kollege Brandt selbst zur Arbeitswelt jemals einen engeren Bezug gehabt hat als die von ihm gerügten prominenten Parteifreunde. Aber das Verhalten Brandts gibt mir Anlaß zu der Frage, was in seinen Augen Arbeitswelt und Arbeiterbewegung noch miteinander zu tun haben. ({7}) Sollten Herr Lappas und die Manager der Neuen Heimat, von denen sich Herr Brandt nicht in gleicher Weise distanziert hat, ({8}) nach seiner Meinung mehr mit der Arbeiterbewegung zu tun haben als die Professoren Löwenthal und Weichmann und die Kollegin Renger, denen ich immer meinen Respekt bekundet habe und heute auch bekunden möchte? ({9}) Wir in der Union haben in dieser Hinsicht keine Identifikationsprobleme. ({10}) Für uns sind - um bei meinem hessischen Beritt zu bleiben - z. B. die Kollegen Norbert Blüm und Otto Zink, beide gelernte Werkzeugmacher, und mein Frankfurter Kollege Helmut Link, gelernter Elektromechaniker ({11}) alle drei alte IG-Metaller, alle drei mehrere Jahre hindurch Betriebsratsmitglieder, Norbert Blüm und Otto Zink auch lange Jahre Vorsitzender der Jugendvertretung bei Opel Rüsselsheim -, durchaus überzeugende Repräsentanten der Arbeiterbewegung. Wir sind stolz, daß sie zu uns gehören. ({12}) Im übrigen: Niemand kann leugnen, daß die Voraussagen Löwenthals aus dem Jahre 1981 eingetrofDr. Dregger fen sind. Die SPD hat sich in der Tat selbst desintegriert. Sie hat Kompaß und Orientierung verloren. Sie ist dabei, nicht nur aus der modernen Industriegesellschaft auszusteigen, sondern auch aus den politischen, militärischen, ideellen und moralischen Bindungen an unsere Partner im Westen. ({13}) Das ist nicht der einzige Grund für die desolate Lage der SPD. Ein anderer Grund ist ihr Umgang mit dem eigenen Kanzlerkandidaten. Es hat noch keinen Kanzlerkandidaten gegeben, der von seiner eigenen Parteiführung so demontiert worden wäre wie Johannes Rau. ({14}) Wie ist das zu werten? Gewiß, Herr Rau ist leidensfähig; das hat er bewiesen. Aber er ist gewiß nicht durchsetzungsfähig. Rau läßt sich als Kanzlerkandidat der SPD in der Rolle einer Galionsfigur am SPD-Schiff anbringen. ({15}) Am Steuerrad der SPD hat er nichts zu suchen. Meine Damen und Herren, wer als Kanzlerkandidat nicht einmal die SPD regieren kann, der ist allemal ungeeignet, Deutschland zu regieren. ({16}) Es gibt noch einen dritten Grund für Ihr Desaster, meine Damen und Herren der SPD: Sie haben keine Ahnung von Opposition. Ich habe sie viele Jahre ausüben müssen, Herr Kollege Pfeffermann: in Hessen, nicht ohne Erfolg. Eine Opposition muß hellwach sein. ({17}) Eine Opposition muß neue Fragen aufwerfen, ({18}) aber solche, die die Bürger wirklich interessieren, nicht so ein parteipolitisches Heckmeck, mit dem Sie uns langweilen. ({19}) Eine Opposition muß neue Antworten geben, überzeugende Antworten. ({20}) Wo bleiben Ihre Fragen, wo bleiben Ihre Antworten? Ich sehe nichts und höre nichts, und ich bin gewiß nicht taub oder blind. ({21}) Schimpfen allein, meine Damen und Herren, genügt jedenfalls nicht. Wer glaubt, gegen eine auf den Wogen des Erfolgs schwimmende Regierung ({22}) - und diese Regierung hat Erfolg, es hat nie eine erfolgreichere von ihr gegeben ({23}) mit Erfolg anschimpfen zu können, der irrt. ({24}) Was soll Ihr leeres Geschwätz vom „Sozialabbau", von der „neuen Armut", von der „sozialen Kälte"? Das hat doch mit der Lebenswirklichkeit dieses Landes nicht das geringste zu tun. ({25}) Herr Kollege Vogel, unsere Mitbürger reden nicht von der „neuen Armut", sondern von der Neuen Heimat, und dazu haben sie allen Anlaß. ({26}) Jens Feddersen schreibt am 20. November 1986 in der „Bunten" - ich zitiere -: Angst verkauft sich schlecht. Miesmacherei ist kein Ratgeber. ({27}) Pessimismus ist kein Stimulans. Weltschmerz ist wenig gefragt. Cassandra ({28}) bringt keine Stimmen. So ist es, meine Damen und Herren, so ist es, in der Tat. ({29}) Während Sie, meine Damen und Herren der SPD, noch miesmachen, bereiten wir uns auf die nächste Legislaturperiode vor. Ich will fünf Schwerpunkte für den materiellen und danach weitere fünf Schwerpunkte für den Bereich jenseits von Angebot und Nachfrage nennen. Erste Aufgabe: forschen, ausbilden, qualifizieren. Dieses Land ist nur reich durch seine Menschen. Wir brauchen weniger Mundwerker, wir brauchen mehr Handwerker, mehr Facharbeiter und mehr Nobelpreisträger. ({30}) Bei dieser Gelegenheit ein Dank an die Handwerksmeister und an die anderen Ausbildungsbetriebe, die in den letzten Jahren Ausbildungsrekorde, einen nach dem anderen, zugunsten junger Menschen herbeigeführt haben. ({31}) Und zugleich eine Bitte an diese Ausbildungsbetriebe, sich nun verstärkt der beruflichen Weiterbildung zuzuwenden. Es fehlen Facharbeiter. Sie fallen nicht vom Himmel, sie müssen ausgebildet werden. ({32}) Wir stellen im Bundeshaushalt im kommenden Jahr 5,6 Milliarden DM für diesen Zweck zur Verfügung. Das ist gegenüber 1982 eine Steigerung um 49,5%. Zweite Aufgabe: in neue Techniken investieren, das machen, was die anderen noch nicht machen. Wir brauchen viele Nixdorfs. Wir müssen diesen noch unbekannten Nixdorfs eine Chance geben. Wir müssen Forschung und Wissenschaft zusammenführen. Sie dürfen nicht Feinde sein, wie linke Bildungsideologen es in den 70er Jahren gepredigt haben, ({33}) sie gehören zusammen. Wir haben die Mittel für die Forschungsförderung, vor allem für den Mittelstandsbereich, von 20 Millionen DM im Jahre 1982 auf 214 Millionen DM im nächsten Jahr mehr als verzehnfacht. ({34}) Was unsere freie und soziale Wirtschaftsordnung der sozialistischen überlegen macht, sind nicht unsere Großunternehmen - bei allem Respekt, den auch sie verdienen. Entscheidend sind die Kleinen, die Neuen, die Aufsteiger, die Einsteiger, ({35}) die eine neue Idee auf eigenes Risiko realisieren. ({36}) Die dritte Aufgabe ist die große Steuerreform. Nach ersten Schritten in der hinter uns liegenden Legislaturperiode mit steuerlichen Entlastungen vor allem zugunsten der Familien und der Alleinstehenden mit Kindern brauchen wir jetzt die große Reform, die vereinfacht, die entlastet und zugleich Steuersubventionen abbaut. Beides gehört zusammen: Ohne Senkung der Steuertarife kein Abbau der Steuersubventionen, und ohne Abbau der Steuersubventionen keine durchgreifende Ermäßigung der Tarife.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gnädige Frau, bitte sehr.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dregger, nachdem Sie nun vier Jahre lang trotz aller Ankündigungen die Subventionen nicht gesenkt, sondern drastisch angehoben haben, - Dr. Dregger ({0}): Was haben wir angehoben?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nachdem Sie in vier Jahren die Subventionen entgegen Ihrem Versprechen nicht gesenkt, ({0}) sondern drastisch angehoben haben von - ich muß es sagen, weil die Kollegen dazwischenrufen -28 Milliarden in 1982 auf 40 Milliarden in 1986, was veranlaßt Sie zu der Hoffnung oder dem Optimismus, daß Ihnen das nunmehr gelingen könnte?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gnädige Frau, als Sie sich zu Wort meldeten, hatte ich die Erklärung noch nicht gegeben. Aber ich habe sie inzwischen gegeben. ({0}) Ich habe nämlich gesagt: Keine grundlegende Verminderung der Subventionen ohne Absenkung der Tarife, und keine Senkung der Tarife ohne Abbau der Subventionen. Diese beiden Elemente hängen zusammen. Das erklärt es, daß wir nach einer ersten Konsolidierung, die beträchtlich gewesen ist, diese Aufgabe in der zweiten Legislaturperiode anpacken können. Entscheidend ist die Anhebung der Grundfreibeträge, vor allem der Freibeträge für Kinder. ({1}) Es war eine schlimme Verirrung, alles Mögliche steuerlich abzugsfähig zu machen, nur die Kosten für Kinder nicht - als ob sie Luxus wären! ({2}) Entscheidend ist ferner die Abflachung des Progressionsverlaufs zugunsten der mittelständischen Existenzen sowohl im Arbeitnehmer- wie im mittelständischen Unternehmerbereich. Denn die Einkommensteuer ist die größte Unternehmensteuer. Wir müssen sie reduzieren, um es den kleinen und mittleren Betrieben zu ermöglichen, ihre viel zu geringe Eigenkapitalquote zu verbessern, ohne die sie weder investieren noch Arbeitsplätze schaffen können. Und wir müssen den Einkommen- und Lohnsteuertarif senken, um der Schwarzarbeit zu begegnen. Die Steuer- und Abgabenlast hat auf Grund der schlimmen Fehler, die von sozialdemokratischen Bundeskanzlern und Finanzministern zu verantworten sind, ein Ausmaß erreicht, das nicht nur Leistung hemmt, sondern auch eine ständige Versuchung zur Steuerhinterziehung ist. ({3}) Die vierte Aufgabe ist die Rentenstrukturreform. Norbert Blüm hat unsere Sozialversicherungssysteme vor dem Zusammenbruch gerettet. Er hat insbesondere die Rentenversicherung stabilisiert. Die Renten sind sicher bis in die 90er Jahre hinein. ({4}) Aber dann wirkt sich das aus, was ich für das größte Unglück unseres Volkes nach dem Zweiten Weltkrieg halte. Ich meine den Geburtenrückgang. Er ist ein Unglück nicht nur wegen der Rentenfinanzierung. Wenn junge Menschen fehlen, ({5}) dann fehlt es an neuen Ideen, an Innovationen, am Gleichgewicht der Generationen. Wir müssen uns auf die Folgen dieser Entwicklung im Rentenbereich einstellen. Die fünfte Aufgabe sind schließlich Reformen im Bereich der Agrarpolitik. Das ist die schwierigste Aufgabe, da wir in diesem Bereich mehr bewahren als verändern wollen - wir wollen vor allem die klein- und mittelbäuerliche Struktur bewahren - und da wir diese Aufgabe über die Preispolitik nicht im nationalen, sondern nur im europäischen Rahmen steuern, d. h. mitsteuern können. Das Ziel unserer Agrarpolitik ist klar: Wir wollen die Überproduktion im Lebensmittelbereich durch ein Bündel von Maßnahmen vermeiden, um den Bauern angemessene Preise garantieren zu können. ({6}) Für die Verbraucher ist das kein Problem: Der Anteil, den wir für die menschliche Ernährung einsetzen, wird immer geringer. Wir lehnen es entschieden ab, den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auch in diesem Bereich über sinkende Preise herbeizuführen, weil das den Tod einer großen Zahl bäuerlicher Existenzen bedeuten würde, die wir brauchen als selbständige, als bodenverbundene Menschen, die unsere herrliche und schöne Kulturlandschaft erhalten. ({7}) Die Bauern, meine Damen und Herren, brauchen jetzt verläßliche Freunde, die sie über die Krise hinwegführen. Wir sind dazu entschlossen, in der Europäischen Gemeinschaft wie im nationalen Rahmen. Und wir sind dazu auch in der Lage. Als drittgrößte Industrienation und als zweitgrößte Welthandelsnation mit einer blühenden Volkswirtschaft können wir auch finanziell diese Aufgabe bewältigen. Eine leistungsfähige Industrie ist nicht eine Alternative, sondern eine Voraussetzung für eine lebensfähige Landwirtschaft, die wir erhalten wollen. ({8}) Nun zu unseren Aufgaben und Verantwortungen im Bereich jenseits von Angebot und Nachfrage. Ich nenne ebenfalls fünf Aufgaben. Erste Aufgabe: Schutz des Lebens; insbesondere des ungeborenen Lebens; ({9}) nicht durch verschärfte Strafdrohungen, sondern durch einen Bewußtseinswandel, der unsere sittliche Verantwortung für das Leben und unsere Freude an Kindern wieder in den Vordergrund rückt. ({10}) Der Bewußtseinswandel ist vor allem eine Sache der Männer. Ich bin überzeugt: Wenn die Männer ihren Frauen oder Freundinnen beistünden, dann gäbe es keine Massenabtreibungen in Deutschland. ({11}) - Zurufe von den GRÜNEN) Unser familienpolitisches Programm hat die Weichen gestellt. Hervorheben möchte ich neben vielem anderen die eigenständige Alterssicherung für die Mütter. Was Helmut Kohl mit seinen Ministern und mit unserer nachdrücklichen Unterstützung auf diesem Felde auf den Weg gebracht hat - die Anerkennung eines Erziehungsjahres je Kind als rentenbegründend und rentensteigernd -, gehört zu den großen Sozialreformen unseres Volkes und ist nur vergleichbar etwa mit der dynamisierten Altersrente. ({12}) Meine Damen und Herren, auf diesem Felde werden wir so lange fortfahren, bis die skandalösen Ungerechtigkeiten bei denen, die Kindern das Leben schenken und sie erziehen, im Vergleich zu denen, die es nicht können oder nicht wollen, abgebaut sind. ({13}) Zweite Aufgabe jenseits von Angebot und Nachfrage: Schutz der deutschen Nation, und zwar der ganzen deutschen Nation. Wir brauchen einen elementaren Patriotismus, der so selbstverständlich ist wie Familiensinn. ({14}) - Das hat nichts mit Wahlkampf zu tun. Das sollte die Haltung aller deutschen Patrioten und deutschen Demokraten sein. ({15}) Die deutsche Nation wurde 1933 nicht gegründet, und sie wurde 1945 auch nicht begraben. ({16}) Wir halten daher fest am Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und an der Einheit der deutschen Nation, ({17}) und wir wollen Frieden, der auf den Menschenrechten beruht. Der Mord an der Mauer war eine Schandtat, ein Anschlag auf den Frieden und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ich fordere - das habe ich bereits einmal im Reichstag in Berlin getan - die Grenzsoldaten der DDR auf, keinen Mord zu verüben. ({18}) Ich flehe sie an: Schießen Sie in die Luft, aber nicht auf Menschen, nicht auf deutsche Landsleute, die von dem einen Teil Deutschlands in den anderen gehen wollen! ({19}) Dritte Aufgabe jenseits von Angebot und Nachfrage: Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gegen Gefahren und Verwüstung. Wir Lebenden sind nur Treuhänder. Wir können die Kulturlandschaft nicht unverändert, aber wir müssen sie unversehrt an die nächste Generation weitergeben. Ausstieg aus der Technik geht nicht. Aber wir müssen Gefahren beherrschen und Schäden vermeiden; wo sie eingetreten sind, diese Schäden wieder gutmachen. Waldsterben scheint bei SPD und GRÜNEN nicht mehr in zu sein. ({20}) Wenn Buschhaus heute genehmigt würde, hätten Sie uns möglicherweise für den Nobelpreis vorgeschlagen, weil es ja kein Kernkraftwerk ist, sondern ein modernes Braunkohlekraftwerk. ({21}) Wir aber verlieren wegen der einen Aufgabe die andere nicht aus dem Blick. Wir sind nicht bereit, Untaten gegen unsere Umwelt widerspruchslos hinzunehmen. ({22}) Das gilt für Basel wie für Ludwigshafen und Hoechst. Ich gehe immer noch davon aus, daß die Kette von Unfällen am Rhein in den letzten Tagen nicht bestellt und nicht bewußt herbeigeführt ist. Das vorausgesetzt - ich gehe immer noch davon aus -, können solche Unfälle verhindert werden und sie müssen verhindert werden. Von unserer deutschen Industrie erwarten wir mehr als die Erfüllung der Vorschriften. Wir erwarten von Ihnen, meine Herren, daß Sie in jeder Hinsicht vorbildlich sind. ({23}) Das technische Können und die Finanzkraft unserer Unternehmen reichen in jedem Falle dazu aus. ({24}) Wir unterstützen unseren Umweltminister. Wenn es notwendig ist, die Vorschriften zu verschärfen oder gar Strafnormen zu verhängen, dann sollte das geschehen. Wir lassen uns unsere Landschaft nicht kaputtmachen. ({25}) Vierte Aufgabe jenseits von Angebot und Nachfrage: Wahrung des inneren Friedens. Meine Damen und Herren, in der Demokratie ist fast alles erlaubt. ({26}) Eines nicht, nämlich Gewalt. Wer Gewalt übt oder zuläßt, zerstört die Demokratie. Deswegen können wir das nicht zulassen. ({27}) Wir werden noch in dieser Legislaturperiode zusammen mit der FDP ein erstes Maßnahmenpaket verabschieden. Nach unserer Auffassung müssen weitere folgen. Meine Fraktion hat die Vorgänge in Wackersdorf und Brokdorf schon in der Sommerpause untersucht ({28}) und ein Vorschlagspaket erarbeitet, das wir nach gewonnener Bundestagswahl in die Koalitionsverhandlungen einbringen werden. ({29}) Ich meine, wir müssen handeln. Das sind wir dem inneren Frieden schuldig, das sind wir der Autorität des demokratischen Staates schuldig, die, wenn sie einmal verloren gegangen ist, schwer wiederherzustellen ist. Denken Sie an Weimar! Das sind wir nicht zuletzt unseren Polizeibeamten schuldig, von denen schon über 500 in den ersten sechs Monaten dieses Jahres teilweise schwer verletzt worden sind. ({30}) Und schließlich fünftens: die Wahrung des äußeren Friedens. Der letzte Krieg hat die Lage in Europa grundlegend verändert. In Europa gibt es keine Großmächte mehr. Es gibt nur noch zwei Weltmächte, die Sowjetunion und die USA. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, eine Mittelmacht ohne atomare Bewaffnung, brauchen eine intakte Allianz mit den westeuropäischen Demokratien und den nordamerikanischen Demokratien einschließlich der Weltmacht USA, wenn wir die geographische Nähe der Sowjetunion hier bei uns aushalten wollen. Der Schulterschluß mit Frankreich, mit Großbritannien und den anderen europäischen Verbündeten muß enger werden, auch in der Sicherheitspolitik. Ich bin dem Herrn Bundeskanzler gerade für diesen Teil seiner Rede besonders dankbar. Es laufen enge Konsultationen mit Paris und London. Mein Stellvertreter, Kollege Rühe, wird in den nächsten Tagen nach London und Paris reisen. Ich halte es für ganz wichtig, daß wir eine gemeinsame europäische Position zu den Abrüstungsverhandlungen mit den Weltmächten erarbeiten. Herr Kollege Ehmke, Sie haben so vieles gesagt. Sie müssen doch immer wieder einmal die Grundfragen durchdenken. Es ist doch so, daß die beiden Weltmächte, die Sowjetunion und die USA, nur eine tödliche Gefahr zu befürchten haben, nämlich den Atomkrieg. Wir haben mitten in Europa zwei tödliche Gefahren zu bedenken: den Atomkrieg und den sogenannten konventionellen Krieg; denn wenn es zum Kriege kommen sollte, was Gott und unsere gute Politik verhindern mögen - ({31}) - Schämen Sie sich in diesem Zusammenhang. Wenn Sie schon nicht an Gott glauben, können Sie nicht über andere lachen, die es tun. ({32}) - Es geht um eine Existenzfrage unseres Volkes. Wie benehmen Sie sich eigentlich im Deutschen Bundestag! ({33}) Sie sind gewählte Vertreter des deutschen Volkes, ({34}) und Sie sollen seine Sicherheit garantieren und dazu beitragen und bei einem solchen Thema nicht dumm schwätzen. Schrecklich ist das ja. ({35}) Unser deutsches und europäisches Interesse, das mit dem von Großbritannien, Frankreich und den anderen voll übereinstimmt - ({36}) Ich erinnere mich noch an die große Rede, die der französische Staatspräsident Mitterrand wegen der Nachrüstung im Deutschen Bundestag gehalten hat. Dabei versank die SPD immer mehr unter den Tischen. Herr Mitterrand hat die Rede nicht uns zuliebe gehalten, sondern weil er der Überzeugung war, daß ein Gleichgewicht in Europa eine Existenznotwendigkeit auch für Frankreich ist. ({37}) Deswegen, meine ich, kommt es darauf an, daß wir eine europäische Position erarbeiten, die gewährleistet, daß die Verringerung der einen Gefahr, der tödlichen Gefahr, die außer uns natürlich auch die Weltmächte berührt, nämlich der atomaren Gefahr, nicht dadurch erkauft wird, ({38}) daß sich die andere tödliche Gefahr, die nur uns mitten in Europa betrifft, die Gefahr eines konventionellen Krieges vergrößert. Deswegen brauchen wir ausgewogene Lösungen. ({39}) - Mein lieber Herr Ehmke, wenn Sie doch auch nur für eine Nullösung im Mittelstreckenbereich wären! Sie sind doch immer noch dafür, daß die Sowjetunion im Mittelstreckenbereich 420 Sprengköpfe bekommt und der Westen null. ({40}) Nun rücken Sie doch endlich einmal von Ihren Nürnberger Parteitagsbeschlüssen ab. Sie können doch nicht sowjetischer sein als die Sowjetunion. Ändern Sie doch Ihren Parteitagsbeschluß von Nürnberg! ({41}) Es sollte doch wenigstens in diesem Bereich von Sicherheit, von Frieden, von nationaler Existenz möglich sein, einen Konsens herbeizuführen, und nicht dieses -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Entschuldigung, Herr Abgeordneter. Professor Ehmke, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dem Redner die Chance ließen zu sprechen, statt ihn durch laufende Zwischenrufe zu unterbrechen. ({0})

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch ein Wort zur Sowjetunion sagen, die für uns Partner und Bedrohung zugleich ist. Die Antwort auf die Bedrohung lautet seit Konrad Adenauer: deutsche Bundeswehr, westliche Allianz und amerikanische Präsenz in Deutschland und damit in Europa. Das sind die Faktoren, auf denen unsere Sicherheit und auch unsere Wohlfahrt beruhen. Kein Mensch würde hier investieren, wenn wir im Schatten der sowjetischen Hegemonie leben müßten und es dieses Gleichgewicht nicht gäbe. ({0}) Diese Grundlagen unserer Sicherheit sind 1960 von Herbert Wehner für die SPD übernommen worden. Damals bestand darüber Konsens bis zum Ende der Ara Schmidt. Seitdem hat sich die SPD von diesem Konsens wieder abgesetzt. Ich habe das in meiner Haushaltsrede vom 10. September im einzelnen dargelegt. Wir, die Union und die Koalition, sind nicht bereit, uns den Teppich unserer Sicherheit unter den Füßen wegziehen zu lassen. Aber wir sind bereit, mit der Sowjetunion zusammenzuarbeiten, wo immer es geht. Das ist vor allem in Kunst und Wissenschaft, in Wirtschaft und Technik der Fall. Sowohl bei meinen Gesprächen im Dezember in Moskau als auch im Oktober in Bonn mit der Delegation des Obersten Sowjets wurde mir von sowjetischer Seite erklärt: Die Bundesrepublik Deutschland ist unser solidester Wirtschaftspartner in der Welt. Zweitens: Wir wollen die Produktivität der sowjetischen Wirtschaft steigern, und wir erwarten dazu einen Beitrag der Deutschen. Die deutschen Ingenieure können das am besten. Meine Damen und Herren, ich habe das beides gehört, gerne gehört. Ich sage dazu: Wir werden diesen Beitrag in einer Weise leisten, die die Sicherheitsinteressen unseres Bündnisses nicht gefährdet, aber diese Sicherheitsinteressen auch nicht überbewertet. Meine Damen und Herren, bei der kommenden Wahl stehen zwei Grundentscheidungen zur Disposition. Die Alternativen lauten: westliche Allianz oder Isolierung zwischen Ost und West. Wir stehen für das eine und Sie für das andere. Die zweite Alternative: Soziale Marktwirtschaft oder Schulden, Inflation und Massenarbeitslosigkeit wie vor 1982. Hier ist ohnehin klar, wer für was steht. Vor der Dramatik dieser Entscheidung treten alle anderen Fragen in den Hintergrund. ({1}) Deshalb ist die Wahl von 1987 die wichtigste Bundestagswahl seit 1949. Sie ist eine Richtungswahl, eine Schicksalswahl. Wir wissen, um was es geht. ({2}) Immer mehr Bürger spüren es auch, um was es geht. Das gibt uns Zuversicht. Ich danke Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Als Abgeordneter des Wahlkreises Ludwigshafen möchte ich an einigen Beispielen aufzeigen, wie sich die Politik in den letzten vier Jahren des Bundeskanzlers für die Bürgerinnen und Bürger unserer Heimatstadt ausgewirkt hat und wie sie sich noch auswirken wird und kann. Denn hinter den Sprüchen des Bundeskanzlers: „Ich liebe meine Heimat; Ludwigshafen profitiert aus der Bonner Politik" verbirgt sich in Wirklichkeit folgendes Bild. Beginnen wir mit der Städtebauförderung. 23 Millionen DM sind bisher nach Ludwigshafen geflossen, das meiste zu unserer Regierungszeit. Die Städtebauförderung läuft aus. Mit dem Auslaufen der Maßnahmen, Herr Bundeskanzler, nehmen Sie nicht nur vielen mittelständischen Handwerkern in Ludwigshafen Aufträge weg, Sie gefährden auch weitere Arbeitsplätze, und Sie schaffen damit wahrscheinlich auch weitere Konkurse. Des weiteren verhindern Sie die Schaffung zusätzlicher preiswerter sanierter Wohnungen für viele junge Menschen in den Stadtteilen Hemshof und Gartenstadt. Aber die Regierung sagt ja zur Familie. Mit der Änderung der Berechnungsgrundlage - Herr Bangemann hat es angesprochen - der Gewerbesteuer 1983, der Steuerreform 1986 und mit der Halbierung der Abschreibefristen für Wirtschaftsgebäude haben Sie nachteilig in die Finanzen der Stadt eingegriffen. ({0}) Aber wie sehr haben Sie unsere Stadt und die Menschen belastet durch Gesetze, die tief in das soziale Netz hineingeschnitten haben? ({1}) Dieser von Ihnen verabschiedete soziale Kahlschlag hat den Sozialhilfeetat von 11,1 Millionen DM im Jahre 1981 auf 23 Millionen im Jahre 1985 ansteigen lassen. ({2}) Das ist mehr als eine Verdoppelung; das sind 107 % mit steigender Tendenz. Der Personenkreis, der in Ludwigshafen durch Ihre Politik Sozialhilfe bezieht, hat sich um 60 % erhöht. Das ist keine Erhöhung der Sozialhilfe, sondern die Erhöhung des Personenkreises. ({3}) Mehr als ein Drittel davon sind wegen Arbeitslosigkeit hilfebedürftig geworden, ({4}) nicht zuletzt deshalb, weil Sie die Arbeitslosenunterstützung drastisch gekürzt haben, obwohl Sie jetzt über 5 Milliarden DM Überschüsse in Nürnberg angehäuft haben. Ich fordere Sie erneut auf: Geben Sie das Geld den Arbeitslosen zurück. ({5}) Das bedeutet auch eine große Unterstützung für unsere Heimatstadt, für alle Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik, die dann die nicht zu zahlende Sozialhilfe für dringende andere Arbeiten in der Gemeinde ausgeben können und somit gleichzeitig zur Arbeitsbeschaffung beitragen. Wenn das nicht geschieht, dann bleibt der Eindruck bestehen, daß Sie Ihren beschäftigungs- und sozialpolitischen Bankrott auf die Kommunen abwälzen. Die Städte und Gemeinden sollen bezahlen, was Herr Stoltenberg an Steuergeschenken für die Reichen gebracht hat. ({6}) Unsere Stadt ist auch die Stadt der Chemie. Das ist eine Branche mit vielen Aufträgen und hohen Gewinnen. Herr Kanzler, Ihre Aussage vom Aufschwung kann man hier voll übernehmen. Aber was sollen die vielen tausend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ludwigshafen vom Aufschwung halten, ({7}) wenn Sie ihnen ungeachtet des Aufschwungs die Weihnachtsfreibeträge streichen wollen und die Weihnachtsprämien mit Sozialversicherungsbeiträgen belegten, ({8}) während Sie gleichzeitig den Wohlhabenden und Begüterten, also denjenigen, die über 100 000 DM verdienen, ({9}) die Ergänzungsabgaben zurückzahlten? Was werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erst sagen, ({10}) wenn sich herausstellt, daß es stimmt, daß Sie wieder Karenztage bei Krankheit einführen wollen ({11}) oder wenn Sie die Zuschläge für 10 000 Schichtarbeiter zu versteuern gedenken? ({12}) - Erzählen Sie das den Presseberichterstattern, die in den Zeitungen darüber geschrieben haben. ({13}) Noch schlimmer ist es, daß in Ludwigshafen - trotz der florierenden Chemie - die Arbeitslosigkeit nicht abgebaut werden konnte. Dort gibt es nach wie vor 14 000 registrierte Arbeitslose, ohne die Dunkelziffer mitzurechnen. ({14}) Ich frage Sie alle - auch Sie, Herr Zwischenrufer -: ({15}) Was nützt uns denn eigentlich ein Aufschwung, der an diesen Menschen vorbeigeht? ({16}) Das ist doch der Grund dafür, daß Sie nicht mehr von den Arbeitslosen, sondern nur noch von der Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze reden. Das ist eine mehr oder weniger geschickte Verschleierung des Problems der Massenarbeitslosigkeit. Die Jugendarbeitslosigkeit hält einen traurigen Rekord dabei. 10 % der Arbeitslosen sind Jugendliche unter 20 Jahre. Viele von ihnen sind Sozialhilfeempfänger. Ein Politiker hat einmal gesagt: Ich halte dies für die schlimmste Anklage gegen eine Gesellschaft, wenn für junge Leute die ersten Schritte aus der Welt des Kindes in die der Erwachsenen ein Schritt in die Welt der Arbeitslosigkeit ist. - Dieser Politiker waren Sie, Herr Bundeskanzler. ({17}) Aber wie heißt es denn in Ihren CDU-Publikationen: Ludwigshafen profitiert von der Bonner Politik. Das ist ein trauriger Profit, den die Ludwigshafener hier eingefahren haben. Von 1983 bis 1985 konnten allein 1 554 Jugendliche nach Schulende nicht in Ausbildungsstellen vermittelt werden, trotz Lehrstellengarantie. ({18}) Und was soll aus den vielen jungen Menschen werden, meine Damen und Herren der CDU, ({19}) die durch die von Ihnen vorgenommenen Änderungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes in befristete Arbeitsverhältnisse hineingetrieben werden? Die können ihre Zukunftsplanung vorerst wohl vergessen. ({20}) - Herr Zwischenrufer, das sind Anspruch und Wirklichkeit in Ludwigshafen. Wie sich der Bundeskanzler zu den Problemen seiner Heimat weiter stellt, zeigt auch seine Haltung zu dem dringend notwendigen Ausbau des Nahverkehrs in der Rhein-Neckar-Region und besonders in Ludwigshafen. Der Bund hat sich durch den Kabinettsbeschluß vom 23. November 1983 der Übernahme der zusätzlichen Kosten für den regionalen Verkehr entzogen. In Ludwigshafen ist die Zahl der Pendler inzwischen auf 60 000 angewachsen. Entsprechend nimmt die Belastung der Luft durch Stickoxide, verursacht durch den Autoverkehr, besorgniserregende Ausmaße an. ({21}) Bereits seit Januar dieses Jahres hat der Verkehrsverbund Rhein-Neckar einen Gemeinschaftstarif für Zeitkarten eingeführt, der den Fahrgästen aus der Region das Umsteigen z. B. von Bussen in die Bahn erleichtert. Aber das ist alles nicht umsonst zu haben. So dürfte ein sogenanntes Umweltabonnement nur dann eingeführt werden können, wenn sich der Bund an den verbundsspezifischen Kosten, insbesondere am Ausbau des Nahverkehrs im Rhein-Neckar-Raum beteiligen würde. Davon will der Kanzler nichts wissen. Weil Sie immer nach dem Oberbürgermeister schreien, zitiere ich ihn. In mehreren Briefen wandte sich unser Oberbürgermeister Dr. Ludwig mit der Bitte um Aufhebung des folgenschweren Kabinettbeschlusses an den Kanzler; doch diesen rühren die unlösbaren Probleme des Nahverkehrs nicht. Wie geht es eigentlich weiter mit dem Mietrecht, wenn Sie im Januar 1987 wiedergewählt werden? In Ludwigshafen gibt es Tausende von Wohnungsuchenden. Was machen Sie anläßlich dieser Wohnungsnot? Sie ziehen den Bund seit Beginn des Jahres aus dem sozialen Wohnungsbau zurück. Wo ist denn Ihr klares, eindeutiges Kanzlerwort gegen den CDU-Staatssekretär Erhard, daß es nicht zur Wiederherstellung der freien Kündigungsmöglichkeiten für Mietwohnungen kommt? 60 000 Mieter warten mit ihren Familien darauf. ({22}) Wo haben Sie klargestellt, daß es mit Ihnen eine Streichung der dreijährigen Kündigungssperre bei Eigenbedarf in Fällen der Umwandlung von Mietwohnungen in Einzeleigentum nicht gibt? Wissen Sie eigentlich, was die von Herrn Erhard ausgeplauderte Abschaffung des Vergleichsmietensystems in Ludwigshafen mit der Mietfreigabe der Sozialwohnungen bewirkt? ({23}) - Ich weiß, es paßt Ihnen nicht. Das gleiche passiert, wenn Sie die Gemeinnützigkeit aufheben werden. Gerade die alten Menschen, die in abgelösten Sozialwohnungen wohnen, werden besonders hart getroffen und die jungen Menschen dazu. Aber offensichtlich sind das nicht die Leistungsträger, die Sie im Auge haben. Sie passen nicht in Ihr Weltbild von der geistig-moralischen Wende, die sich als Weg in die Ellenbogengesellschaft erwiesen hat. Zu diesen Leistungsträgern gehören auch nicht die vielen Sportvereine, denen Sie trotz der Gemeinnützigkeit Steuererleichterungen verweigern. ({24}) Ja, mehr noch: Noch nicht einmal dem Steuerfreibetrag von 3 600 DM im Jahr für Übungsleiter und ehrenamtliche Helfer sind Sie in der Lage zuzustimmen, obwohl gerade diese Menschen viel für die Erziehung junger Menschen tun. ({25}) Aber, Herr Bundeskanzler, Ihre Liebe zur Pfalz darf ich wohl auch noch ansprechen, denn die angeblich geliebte Heimat, die Pfalz, haben Sie zu dem meist bedrohten Gebiet der Erde gemacht. ({26}) Nach drei Jahren Wende ist unsere pfälzische Heimat das mit Atomwaffen, Giftgas und anderen Massenvernichtungswaffen am dichtesten bestückte Territorium dieser Erde. ({27}) Gebieten Sie endlich dem Fluglärm Einhalt, der die betroffenen Menschen bis an den Rand des Wahnsinns treibt, wofür Sie nur ein Lachen übrighaben. ({28}) Herr Bundeskanzler, ich weiß nicht, mit wem Sie in Ludwigshafen Gespräche führen, daß Sie zu der Auffassung kommen, daß die Menschen an Ihrer Politik profitiert haben. ({29}) In meinem Bürgerbüro in Ludwigshafen häufen sich jedenfalls die Probleme der Menschen, die durch Ihre Politik verursacht worden sind. ({30}) Der Profit für Ludwigshafener Bürgerinnen und Bürger - wie Sie es schreiben - ist offenbar etwas für ganz wenige Betroffene. Die Masse der Bürgerinnen und Bürger geht bei Ihrer Politik leer aus. Ja, mehr noch: Sie müssen draufzahlen wie in allen anderen Städten und Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland auch. Ich sage Ihnen, auch wenn Sie jetzt wieder in hämisches Gegrinse und Gelächter ausbrechen: Ihre Politik ist zum Scheitern verurteilt, weil sie nur für wenige in diesem Lande gilt. ({31}) Wir Sozialdemokraten werden dasein, wenn es soweit ist, hoffentlich schon im Januar 1987. Wir werden Ihre Hinterlassenschaft in der Politik neu gestalten. ({32}) Wir werden uns bemühen, wieder eine Politik zu entwickeln für alle Menschen in dieser Gesellschaft. ({33}) Uns reicht ein Kanzler aus Ludwigshafen - falls Sie Ihren Zwischenruf so meinen. Wir wollen keinen mehr. Wir wollen den Rau als Bundeskanzler haben, und dafür treten wir ein. ({34})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ertl.

Josef Ertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000493, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter, lieber Kollege und Freund Horst Ehmke, mit noch so viel Wortgewalt wird es nicht gelingen, die FDP und Genscher auseinanderzubringen. ({0}) - Das heißt natürlich im Klartext, verehrter Freund Vogel aus Bayern: Wer sich mit Genscher anlegt, legt sich mit der FDP an, ({1}) weil sie ihn in der Außenpolitik voll trägt. ({2}) Lieber bayerischer Landsmann, über die Vielgestaltigkeit der SPD sind wir uns natürlich im klaren, aber daß der Vogel jetzt schon genau weiß, was der Ehmke denkt, ist natürlich eine neue Variante. Aber man lernt j a nie aus. ({3}) - Ach nein, verehrter Freund, das halten wir noch leicht aus! Herr Präsident, meine Damen und Herren, für einen jungen Mann aus meiner Generation ({4}) war es schwierig, nach 1945 überhaupt ein Verhältnis zu dem in der Entwicklung befindlichen Staat zu finden. So war ich vor 40 Jahren lange Zeit ein Suchender, vielleicht sogar einer derjenigen, die nach all diesen bitteren Enttäuschungen des Mißbrauchtwerdens immer mehr dazu neigten, die Zukunft „ohne mich" und somit ohne eigene Mitverantwortung zu sehen. ({5}) - Wenn Sie deutlicher reden würden, wäre es nützlich, aber Wirrwarr ist bei den GRÜNEN ja Methode. Wenn ich mich dann nach reiflicher Überlegung entschlossen habe, meine Stimme den Freien Demokraten zu geben, waren im Jahre 1946, als es um die bayerische Verfassung ging, drei wesentliche Punkte entscheidend. ({6}) - Über Fehler nachzudenken, würde ich Ihnen einmal raten, Bueb! Da kommen Sie aus dem Denken nicht mehr heraus, soweit Sie dazu überhaupt in der Lage sind! ({7}) Da war erstens das Bekenntnis der Freien Demokraten zu einem gemeinsamen Deutschland, zur Verwirklichung eines wiedervereinigten Deutschland. Ich fand das damals sehr weitsichtig und hielt das auch als junger Mensch, der noch nicht einmal einen Beruf hatte, für die einzige Möglichkeit, die eigene Zukunft zu gestalten. Damals gab es zwar nicht die These „no future", aber es gab tatsächliche keine Aussicht in irgendeiner Form. Man war schon froh, daß man irgendwo einen Arbeitsplatz hatte oder eine Tätigkeit ausüben konnte, ganz gleich, welche. Zweitens. Diese Partei hatte damals, als Hunger und Not Deutschland beherrschten, den Mut, zu sagen: Wir brauchen eine freie Wirtschaft, eine von staatlichen Reglementierungen, von Bezugsscheinen u. ä. befreite Wirtschaft, in der jeder das kaufen kann, was er braucht, und in der die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, daß er sich das dazu notwendige Geld verdienen kann. ({8}) - Ja, es fehlt Ihnen leider an Bildung, Herr Bueb, an geschichtlicher Bildung. Was Sie sagen, ist ein Irrtum, ein für diesen Staat und für diese Gesellschaft fataler Irrtum. Weil Sie so wenige historische, geistige und kulturelle Wurzeln haben, neigen Sie zu dieser engen und fanatischen Sicht, die so gefährlich für diesen Staat und diese Gesellschaft ist. ({9}) Ihnen fehlt die geistige Weite! ({10}) Drittens. Diese Partei setzte sich leidenschaftlich für die Erziehung der Kinder in Schulen, die nicht nach Konfessionen getrennt waren, ein. Ich sage offen, mich interessierten damals nicht Programme - ich bekenne auch heute noch, sie sind für mich nicht der wesentliche Inhalt meines politischen Denkens -, aber mich interessierten diese drei wesentlichen Punkte. So wurde später aus dem Wähler ein Mitglied dieser Partei. Verzeihen Sie, daß ich mit diesem persönlichen Rückblick beginne in der Phase, wo ich meine politische Aktivität beende. Es folgte 1961 die Berufung zum Bundestagsabgeordneten. Nach den Jahren der absoluten Mehrheit der CDU/CSU von 1957 bis 1961 begrüßten viele Wähler das Wiedererstarken der FDP. Zwei Ereignisse in Europa waren damals von besonderer Bedeutung und setzten wesentliche Rahmenbedingungen. Es gab erstens bereits die Römischen Verträge, und es gab große Konferenzen infolge dieser Verträge. Ich erinnere nur an die Konferenz von Stresa, in der die Agrarpolitik entsprechend den Artikeln 39, 40, 41 und 44 ausformuliert wurde. Es gab noch keine genauen Zielvorstellungen über diese Agrarpolitik. Und es gab den schrecklichen 13. August 1961, geprägt von Mauerbau und Stacheldraht. Deutschland war ursprünglich in Zonen geteilt. Nun erschien auch Wiedervereinigung kaum mehr, vielleicht sogar nicht mehr möglich. Keiner wußte, wie sich der Weg in Europa weiterentwickeln würde. Trotzdem bahnte sich überall wirtschaftliches Wachstum an. Ich fange gern mit diesen beiden Eckpunkten an, weil ich meine, daß sie für die Gegenwart so wichtig sind und vielleicht auch für die Zukunft bleiben werden. Es bleibt der historische Auftrag: Wie werden wir das geteilte Deutschland und damit das geteilte Europa überwinden? Wie werden wir für die Deutschen ein menschliches Leben in Freiheit ermöglichen ohne Mauer und Stacheldraht? Ich meine, die Entwicklung in Europa hat in den letzten 20 Jahren eher Hoffnungen gesetzt, als Hoffnungen vernichtet. Sicherlich gab es Rückschläge. Uns alle hat es tief betroffen gemacht, als wir jetzt wieder von tödlichen Schüssen an der Mauer lesen mußten. Menschenrechte werden vielfach verletzt. Ich erwähne das nicht zur Entschuldigung. Ich sage es, weil wir uns alle dieser historischen notwendigen Aufgabe tagtäglich bewußt sein sollten. Aber ich meine, es gibt Hoffnungen. Gott sei Dank ist die Zeit so weit, daß heute die Grenzen ihre ursächliche Bedeutung verlieren. Was auf lange Sicht bleiben wird, sind die Völker und ihre Kulturen. Das Wissen, daß es keine Autarkie mehr gibt, ist eine beglückende Phase. Selbst die Großmächte können gottlob nicht mehr isoliert agieren. Es gibt keine These mehr vom Volk ohne Raum. Das gilt weltweit. Dies ist eine der wesentlichsten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fortbewegungen gewesen, nicht zuletzt verursacht durch die Interdependenz der Industriegesellschaft. Ich sage das nicht zuletzt wegen der kleinen Auseinandersetzung am Anfang. Vielleicht sollte man über diese Interdependenz einmal mehr nachdenken. Das katastrophale Ereignis in Tschernobyl hat uns die Dimensionen klargemacht, in denen wir auch durch die Anwesenheit atomarer Waffen leben. Es hat hoffentlich einen Denkprozeß ausgelöst. Ich kann das nur wünschen. Wer immer mit dieser Waffe spielt, muß wissen: Er spielt mit seinem eigenen Untergang. Wer immer auf den Knopf drückt, muß wissen: Es ist auch sein Ende. Die Einsicht kann vielleicht die große Hoffnung sein, ein globales Denken über totalen Verzicht auf Atomwaffen auszulösen. Wieviel Geld könnte gespart werden! Und wäre es nicht besser, dieses Geld in die Entwicklung der Infra- und Wirtschaftsstruktur der Dritten Welt, überhaupt für die Menschheit, einzusetzen, um insgesamt für alle Menschen in der Welt mehr Lebensqualität zu schaffen? ({11}) Die Welt braucht also Öffnungen. In Europa ist diese Öffnung begonnen worden, zunächst in der Europäischen Gemeinschaft der Sechs, dann in der Neuner- und nun in der Zwölfer-Gemeinschaft. Und ich wünsche mir, daß eines Tages die Föderation der Europäer alle demokratischen Europäer umfaßt und eine Option für den östlichen Teil Europas eröffnet, vorausgesetzt, daß die Grundsätze menschenwürdigen, freiheitlichen Lebens auch im Osten Europas immer mehr Anwendung finden. Europa ist durch diese Entwicklung in den vergangenen 25 Jahren offener geworden. Die Zeit des Kalten Krieges ging Gott sei Dank zu Ende. Das Verhältnis zu Jugoslawien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei, Polen wurde zunächst in ein flexibleres und heute in ein offenes, ja, zu einigen dieser Völker sogar in ein enges, freundschaftliches verwandelt. Der Wandel macht sich überall bemerkbar, bis hin zur neuen Wirtschaftsdiskussion in der Sowjetunion und der Sowjetunion mit allen anderen Beteiligten. ({12}) Die FDP und ihre Minister leisten einen entscheidenden Beitrag zu dieser neuen Politik der Öffnung zum Osten und zur DDR. Ich betone noch einmal: Wir waren uns immer bewußt, daß es ein schmaler Grat ist und diese Politik auch oft von Rückschlägen begleitet sein würde. Insgesamt sind wir zwar noch nicht zufrieden, aber dankbar, daß es ein Weg der Öffnung war, der viele Hoffnungen in der DDR geweckt hat. Wann immer ich dort mit Menschen rede - das Problem ist: Wann dürfen wir mehr reisen? Wir wollen j a nicht bei euch bleiben. Aber kommen wollen wir zu euch. ({13}) Dieser Schritt war nach der zubunkernden Politik der Hallstein-Doktrin in den 60er Jahren dringend notwendig. Gestaltung und nicht mehr Bestrafung war und ist der Geist dieser Politik. Aber lassen Sie mich zur Europäischen Gemeinschaft zurückkehren; nach dem, was ich in unserem Lande immer wieder höre und lese, kann ich nur sagen: dieser vielgescholtenen Gemeinschaft. Von vornherein gab es grundsätzliche Unterschiede. Ich habe das Glück gehabt, noch an Integrationsverhandlungen unter Konrad Adenauer beteiligt gewesen zu sein. Frankreich suchte den Mitfinancier und den großen Markt für die Agrarprodukte - für die eigenen - und wurde in diesem Verlangen von den Benelux-Staaten begleitet. Deutschland suchte den größeren Markt für seine sich in der Entwicklung befindende Industrie. So kam das Junktim zwischen Zollunion und gemeinsamem Agrarmarkt zustande. Wer immer diese Agrarpolitik kritisiert, der stelle sich die Frage nicht isoliert, sondern immer im Zusammenhang mit der Zollunion. Er muß wissen, was auf dem Spiel steht. Jedermann muß sich im klaren sein - und er muß eigentlich nur im Protokoll des Bundestages nachsehen, dann könnte er es sogar lesen -, daß durch die Erweiterung von neun auf zwölf Staaten die Probleme des Agrarmarktes noch unlösbarer wurden, zumindest im Sinne von Marktgleichgewicht und ausgewogenen Strukturen. Ich habe Herrn Dregger gehört, daß das vordringliche Ziel das Marktgleichgewicht sei. Ich kann ihn zu diesem Vorhaben nur beglückwünschen. Ich bin neugierig, wann es eintreten wird. Das werde ich als Zuschauer beobachten - von fernen Gestaden. Es gibt natürlich offene Flanken. Das muß man deutlich ansprechen, ohne es zu kritisieren. Da sind z. B. die Importe aus den Vereinigten Staaten. Ein Drittel der in den Niederlanden erzeugten Milch wird auf der Basis von Importen erzeugt. Ich komme später zum Selbstversorgungsgrad zurück. Es kommt alles ohne Zollbelastung herein, auch Importe aus der Dritten Welt. Welche Völkergemeinschaft oder welcher Staat ist ähnliche internationale Bindungen eingegangen wie die EG, z. B. mit den AKP-Staaten - wobei durch das Lomé-Abkommen nahezu 96% aller Agrarprodukte liberalisiert sind -, mit den Maghreb-Staaten, mit Maschrik-Staaten, mit Israel. Ich meine, hier ist die EG Beispiel für die USA, für die Sowjetunion und für Japan. Dies alles ist geschehen, ohne überhaupt die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Markt zu haben. Es war ökonomisch natürlich nicht richtig, einen gemeinsamen Agrarmarkt mit gemeinsamen Preisen zu schaffen, ohne eine gemeinsame Währung zu haben. ({14}) Allein darin bestehen die großen Unterschiede und Verwerfungen. Sie werden bleiben, solange es nicht zu einer gemeinsamen Währungspolitik kommt. ({15}) Wenn Sie mir erlauben, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht, weil ich mich selbst beweihräuchern möchte: Ich möchte hier doch gerne zu Protokoll geben, was ich vor beinahe 22 Jahren, am 10. Dezember 1964, in diesem Hohen Hause zu diesem Thema gesagt habe. Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, dann möchte ich das doch gerne schriftlich festgehalten haben. Der Ausbau eines gemeinsamen Agrarmarktes hat dabei größere Fortschritte gemacht als die Harmonisierung im Bereich der Wirtchafts-, Sozial- und Finanzpolitik. Daher muß hier die Frage gestellt werden, ob es überhaupt möglich ist, den Agrarmarkt isoliert von den übrigen Bereichen der Volkswirtschaft zu harmonisieren, oder ob nicht eine Gesamtharmonisierung mit dem Ziel einer politischen Vereinigung herbeigeführt werden muß. Die kommenden Verhandlungen in Brüssel werden beweisen, inwieweit die deutschen Zugeständnisse für die Harmonisierung des europäischen Agrarmarktes sich tatsächlich auch auf die politische Einigung Europas fördernd auswirken werden. Diese Passage meiner Rede ist damals nicht sehr beachtet worden. Aber es wäre gut gewesen, man hätte sie beachtet. Lassen Sie mich jetzt einige kurze Feststellungen machen. Ich meine, die Bilanz ist positiver, als sie bei uns beurteilt wird. Sie ist aber auch nicht so gut, daß sie nicht verbessert werden könnte. Ich möchte hier ganz schlicht festhalten: Allein von 1958 bis 1973 haben sich in der Sechser-Gemeinschaft das Bruttosozialprodukt verdreifacht, der innergemeinschaftliche Handel mehr als versiebenfacht, der Drittlandshandel mehr als verdreifacht. Diese Tendenz hat sich für die erweiterte Gemeinschaft fortgesetzt. So ist allein der Binnenhandel von 1958 bis heute um das 25fache gestiegen. Kurz bevor ich mein Ministerium verlassen habe, habe ich eine Untersuchung machen lassen. Herr Kiechle kann sie aus den Akten hervorholen. Der Auftrag an meine Volkswirte lautete: Wie viele Arbeitsplätze werden allein durch den Außenhandelsbilanzüberschuß in Deutschland gesichert? Das ist natürlich eine Schätzung. Das kann niemand verbürgen. Die Schätzung lag bei 250 000 bis 500 000. Der Herr Finanzminister, der freundlicherweise zuhört, wird wissen, was es bedeutet, das Geld für 250 000 Arbeitslose aufzubringen. Es ist fast exakt der Nettobeitrag der deutschen Zahler. Daher sind unsere Partner oft so empfindlich, wenn sie aus unserem Lande das Wort „Zahlmeister" hören. Denn die können auch rechnen. Sie haben auch Handelsbilanzen. Sie können ihr Defizit genau ausrechnen. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Die Verbraucher sind dabei nicht schlecht gefahren. Wenn heute ein Arbeitnehmer durchschnittlich weniger als 18 % seines Nettoeinkommens für Lebensmittel ausgibt, ist das mit ein Verdienst dieser Politik. Natürlich muß irgend jemand die Kosten tragen. Denn auch Nahrungsmittel können nicht zum Nulltarif produziert und verkauft worden. ({17}) Es gibt so viele erfreuliche Tatbestände. Es ist eines der wichtigsten Ereignisse und eines der größten Verdienste dieser Regierung, daß wir wieder zum Stabilitätsführer in der Welt geworden sind. Aber mich schmerzt es ein klein wenig, daß der Beitrag der Nahrungsmittel dabei vergessen wird. Das ist nämlich das Opfer der Bauern für diese Stabilität. ({18}) Es wird höchste Zeit, daß sich die Allgemeinheit da ein klein bißchen erinnert. ({19}) Denn so sehr eitel Freude sein mag über den derzeitigen Zustand, über Kaufkraftzuwachs und was alles zu begrüßen ist, die Bauern haben keinen Kaufkraftzuwachs, über den sie sich freuen könnten, sondern sie haben erhebliche Kaufkraftverluste zu beklagen. Dieses Europa kann heute wirtschaftlich eine Führungsrolle in der Welt übernehmen, was es auch in die Lage versetzen sollte, den Mittelmeerraum zu stabilisieren. Wenn das Mittelmeer ein Meer der Anlieger bleibt, kann unsere Mitgestaltung bis nach Südafrika eine effizientere sein, und gemeinsam könnte eine Stabilisierung des Nahen und des Mittleren Ostens erreicht sein. Aber folgendes ist für mich noch wichtiger. In diesen Jahren hat sich eine Grundstimmung in Europa aufgebaut, von der ich mir gewünscht hätte, daß es sie vor 100 oder 80 Jahren gegeben hätte. Trotz ihrer Mängel, die diese Gemeinschaft heute immer noch hat: Hätte es sie vor 100 oder 80 Jahren gegeben, wären uns wahrscheinlich zwei Weltkriege erspart geblieben. ({20}) In unserem Land gäbe es keine Mauer und keinen Stacheldraht, und ich habe Zweifel, ob es dann ein sowjetisches Imperium in dieser Form geben würde. Ich glaube, wir alle sollten nicht ganz vergessen, wieviel Unglück die Verblendung in nationale Hybris über Europa und die Welt gebracht hat. ({21}) Daher muß dieser Weg, meine ich, konsequent fortgesetzt werden. Er darf nicht zu Lasten einer einzelnen Gesellschaftsgruppe - ich sage es noch einmal -, der Bauern, gehen. Es bedarf eben der Solidarität aller Menschen in Deutschland und in Europa, um bei dieser schwierigen unterschiedlichen Interessenlage, die ich geschildert habe, endlich einen Grundkonsens für den Weg in die Zukunft zu finden. Kollege Dregger - ich glaube, er meint es sehr ernst - hat gesagt: Wir brauchen eine neue Agrarpolitik. Ich sage: Da müssen Sie sich sehr ernsthaft wappnen. Ich spreche aus Erfahrung. Da müssen Sie sich mit guten Argumenten eindecken und müssen die Interessenlagen genau abschätzen. Ich meine, es wäre schon gut, wenn man sich in diesem Europa einmal einigen würde, was man eigentlich an Agrarproduktion will, was Marktgleichgewicht ist. Sind es 100 %, 105, 107, 110 %? Ich sage das nicht ohne Grund. Die Zeit erlaubt es mir nicht, auf Details einzugehen. Ich möchte nur eine Zahl nennen: Bei Butter haben die Niederlande und Irland einen Selbstversorgungsgrad von 475 bzw. 419 %. Ich sage Ihnen: Wenn Sie die auf Marktgleichgewicht zurückführen, ist nicht zu sagen, was sie mit ihrer Landwirtschaft machen würden. Ich könnte Ihnen Beispiele für den Wein nennen. Es gibt genügend Literatur. Allen, die sich mit diesem Thema befassen, kann ich nur mit gutem Grund den Rat geben: Schauen Sie sich einmal die wahren Verhältnisse bezüglich Produktionspotential, Interessenlage, Außenhandel genau an! Dann werden Sie ein schweres Feld zu beackern haben. Ich sehe meinen Freund Kiechle, und ich sage ihm das in der notwendigen Distanz. Beim Blättern und Bilanzziehen ist mir folgendes in die Hand gekommen, wobei ich gar nicht darauf eingehen will, welche Bestände wir 1983, 1982 und 1981 gehabt haben. Das können Sie nachlesen. Ich will auch wirklich ohne Ressentiments oder Emotionen dieses feststellen, aber ich verstehe, warum der Kollege Kiechle am 2. April 1981 hier in diesem Hohen Hause folgendes sagte: Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt hat hier z. B. vor kurzem noch von riesigen Butterbergen und Zuckerhalden gesprochen. Völlig zu Unrecht! Es gibt sie gar nicht. ({22}) Ich weiß, wie schwierig es ist. Es ist aber auch meine Pflicht, einige Anregungen zu geben, theoretisch denkbare Wege aufzuzeigen. Wenn ich mir die Bilanzierung und denkbare Wege anschaue - auch ich habe keine Patentlösung; sie gibt es ja auch nicht -, sehe ich drei Möglichkeiten: erstens eine gewisse Desintegration, d. h. eine teilweise Regionalisierung der Agrarpolitik. Das wäre ein möglicher Weg, ein klippenreicher Weg. Zweitens käme ein Abbau der Stützmechanismen in Betracht. Man muß wissen, das bedeutet schwerwiegende einkommenswirksame Maßnahmen. ({23}) Ich sage aber trotz des Zwischenrufs freimütig: Man sollte darüber nachdenken, ob man immer gut beraten ist, wenn man hundertprozentige Interventionsgarantien gibt; immer mit dem Ziel: Wir wollen eine breit gestreute Landwirtschaft. Drittens - der Weg ist ja beschritten worden; ich will dazu nichts sagen; das soll kein aktueller Beitrag sein - käme eine direkte Mengensteuerung in Frage. Herr Präsident, wenn ich noch fünf Minuten Zeit habe - es ist meine letzte Rede -, dann würde ich das gerne noch nutzen. Sonst höre ich auf. Wahrscheinlich wird man alle drei Elemente in eine kritische Prüfung einbeziehen müssen. Lassen Sie mich noch einige abschließende Bemerkungen machen. Deutschland ist unverändert ein großartiges Industrieland mit ländlicher Ausprägung. Die meisten Menschen wohnen noch immer in kleinen und mittleren Gemeinden. Wir haben Gott sei Dank kaum Ballungszentren. Wir müssen alles tun, um diese ländliche Struktur für eine menschenwürdige, funktionsfähige Landschaft zu erhalten. Die Bauern haben bis heute die Kulturlandschaft erhalten, mit den Förstern. ({24}) Daher muß auch ihr Platz in der Industriegesellschaft von morgen gesichert bleiben, und zwar in einer vielfältigen Struktur. Ich meine, das kommt einer intakten Umwelt am ehesten zugute. Gut ausgebildete, mit Können und Wissen ausgestattete Bauern sind besser als staatlich besoldete Landschaftsgärtner. ({25}) Dörfer ohne Bauern gibt es nicht. Daher muß eine aktive ländliche Politik betrieben werden einschließlich des Ausbaus der Wirtschafts-, Regional-und Infrastruktur. Deutschland ist unverändert eines der freiheitlichsten Länder der Welt. Immer wieder höre ich bei den vielen Begegnungen - wo immer ich mich im Ausland mit Menschen unterhalte -: Eure Probleme möchten wir haben. - Wir Deutschen sollten nicht nur immer Nabelschau betreiben. Wir sollten uns auch einmal in die Lage der anderen Völker hineinversetzen. ({26}) Wir gelten als Hort eines beachtlichen Wohlstands. Die Form dieser Rede verbietet es mir, Vergleiche zu ziehen. Aber wir sollten einmal Vergleiche ziehen zwischen Facharbeitern und SozialhilErtl feempfängern in einzelnen Staaten. Ich mache das nicht zu meiner Zufriedenheit. Zufriedenheit darf es in der Politik nie geben, zumindest nicht in Form von Selbstgefälligkeit. ({27}) Sicherlich ist das Klima sozial besonders ausgewogen gegenüber fast allen übrigen Demokratien. Ich sage heute in Dankbarkeit: Das ist das Werk aller Parteien. Ich möchte dafür ausdrücklich allen danken. Ich hoffe, daß die Solidarität der Demokraten die Aufgaben der kommenden Zeiten gemeinsam lösen hilft. ({28}) Das zu erhalten und für die Zukunft zu sichern ist aber auch unser aller Aufgabe. Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Demokratie verlangt Liberalität, auch im Umgang miteinander. Wir alle sind nur Menschen. Und ich füge gleich hinzu: Keiner von uns hat sich nicht schon einmal vergaloppiert. Aber die Kraft, nachher hinzugehen und zu sagen: Es tut mir leid, ist etwas Herrliches. ({29}) Daher meine ich, wir sollten uns alle bemühen, untereinander mehr Liberalität zu pflegen. Was unserem Lande, was dem Deutschen in seiner Sehnsucht nach Endlösungen fehlt, ist ein positives Verhältnis zur Toleranz. Auch das Streben nach absoluter Mehrheit paßt in diese Kategorie hinein. ({30}) Das paßt vielmehr in eine Freund-Feind-Kategorie hinein. Lassen Sie uns daher immer über Toleranz nachdenken. Ich meine, wir sollten uns gerade über diesen Punkt nach den Wahlen in Bayern und Hamburg Gedanken machen. Beide Wahlen geben einem ernsthaften Demokraten zu tiefem Nachdenken Anlaß. ({31}) Als sich eine Partei, eine kleine Partei in Italien auflösen wollte, gab es dort eine große Diskussion. Mir hat sehr imponiert, daß alle großen Parteien gesagt haben: Wir möchten nicht in einer Parteienlandschaft leben, in der es nur große Parteien gibt. - Es wäre gut, so etwas einmal in Deutschland zu hören. Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich haben wir die bitteren Erfahrungen mit der Parteienzersplitterung in Weimar im Kopf. Aber wir müssen wissen: Diese unsere Gesellschaft ist eine vielfältige, eine, wie man so schön sagt, pluralistische Gesellschaft. Dementsprechend müssen auch die politischen Orientierungen stattfinden. Natürlich gibt es drei Grundströmungen - ich gehe jetzt der Größe nach vor, damit der Kleine nicht größenwahnsinnig wird -: die konservative, die sozialdemokratische/sozialistische und die liberale; das sind geistige Grundströmungen. Und wenn eine dieser Grundströmungen - ({32}) - Die GRÜNEN haben leider keine geistige Grundströmung. ({33}) Das ist ihr Manko. Ich könnte Ihnen geistige Väter nennen. Das wäre aber für Sie sehr peinlich. Das möchte ich Ihnen, da ich wirklich in einer Abschiedsstimmung bin, ersparen. ({34}) Aber ich bin gern zu einem Privatissimum bereit. ({35}) - Hoffentlich. Bis jetzt waren Sie es nicht. Ich teile die Auffassung von Herrn Dregger, daß Sie Gewalt anders einschätzen als ein Demokrat. ({36}) - Nein, das ist keine Unverschämtheit. ({37}) Sie können ja das Gegenteil beweisen. Dann bin ich gern bereit, mich dafür zu entschuldigen. ({38}) Ich meine, es muß weiterhin möglich sein, im Wettbewerb miteinander zu stehen. Dabei geht es immer um die Fragen: Wo sind die Grenzen der Eigenverantwortlichkeit, wo besteht die Notwendigkeit zur Solidarität, zur Subsidiarität? Es ist eine klassische Aufgabe der FDP, Konfrontation in unserem Lande abzubauen und Katalysator für Kooperation, für eine konstruktive Zusammenarbeit zu sein. Liberale müssen gegen das Totale, gegen das Absolute sein, und wir sind es. Wir bejahen den Kompromiß, weil er für eine gesittete Gesellschaft unerläßlich ist. Jeder muß seine Chance und die gleichen Möglichkeiten haben, allerdings durch eigene Anstrengungen, durch eigene Leistungen seine Position im Leben gestalten. Dann sind auch Profit und Gewinn nichts Unsittliches. Aber wer mehr verdient, hat auch die Pflicht, für die anderen mehr zu tun. ({39}) Meine Freunde, ich bin zum letzten Mal hier an diesem Pult. Daher möchte ich gern noch einige wenige Bemerkungen mit Blick auf die kommende Zeit machen. Es geht mit Riesenschritten auf das Jahr 2000 zu. Ich glaube, wir müssen uns fragen: Sind wir für die kommende Zeit gerüstet? Werden wir es nicht mit einer Situation zu tun haben, die dadurch gekennzeichnet ist, daß es in den kochentwickelten Ländern Bevölkerungsrückgang und in den Entwicklungsländern Überbevölkerung gibt? Damit wird die Kluft zwischen arm und reich weiter immer größer, auch der Hunger in der Welt wird größer werden. Sechs Milliarden Menschen werden es sein. Es ist zu befürchten, daß Not, Armut und Arbeitslosigkeit in weiten Teilen der Welt trotz aller Anstrengungen eher größer werden. Daher meine ich: Hier brauchen wir eine weltweite Zusammenarbeit. Das läßt sich nicht mit einigen zersplitterten Entwicklungshilfen lösen, das ist eine große Herausforderung. Wir haben eine weitere Herausforderung zu bestehen, nämlich die Alternativen für den Fall X zu finden, der im nächsten Jahrhundert eintritt, und zwar im ersten Viertel dieses Jahrhunderts, daß das Öl als fossiler Energieträger ausgeht. Wer da heute nicht Vorsorge betreibt, versündigt sich an der Existenz seiner Kinder und Enkel. ({40}) Wir müssen natürlich nach unseren Ressourcen schauen. Wir müssen unsere Welt, unsere Umwelt in Ordnung halten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen jetzt am Schluß alles Gute wünschen. Ich möchte ausdrücklich sagen: Ich bin sehr glücklich darüber, daß ich in diesem Hause u. a. auch viel menschliche Wärme und Freundschaft gefunden habe, und zwar bei allen Parteien. Ich sage offen: es gibt viele in den anderen Fraktionen, die mir vielleicht manchmal näherstehen als mancher in der eigenen Fraktion. ({41}) Aber ich meine, das gehört zu dem Grundsatz „Leben und leben lassen". ({42}) Ich sage allen auch: Seien Sie nachsichtig mit mir! Und ich schäme mich nicht, zu sagen: Ich bitte um Entschuldigung. Ich wollte niemals in meinem Leben jemanden kränken. Sollte ich es jemals getan haben: ich habe es nicht gerne getan. Und ich sage Ihnen, die Sie zurückkehren, und den Jüngeren: Glück auf! Wir haben die längste Epoche des Friedens in der Geschichte nicht nur seit es Deutschland, sondern seit es Europa gibt. Mögen die kommenden Bundestage Horte der Freiheit, der Toleranz, der Liberalität sein! Mögen sie aber auch Horte sein, die für Kinder und Enkel eine gesicherte Zukunft in Frieden und Freiheit schaffen! Ich wünsche Ihnen alles Gute. ({43})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Lieber Josef Ertl, der Beifall des ganzen Hauses beweist, daß die besten Wünsche Sie in der Zukunft begleiten werden. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Suhr.

Heinz Suhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002289, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Ertl, ich wünsche Ihnen einen angenehmen und fröhlichen Ruhestand, in dem Sie noch viele Maß nach dem bayerischen Reinheitsgebot gebrauten Bieres trinken können und dürfen. Ich habe hier ein Buch über die Arbeit der grünen Opposition in den letzten vier Jahren. Das wollte ich eigentlich dem Herrn Dregger schenken. Aber ich schenke es Ihnen, weil ich glaube, bei dem Herren Dregger ist Hopfen und Malz verloren. ({0}) Ich wollte das Buch dem Kollegen Dregger schenken, weil Herr Biedenkopf da sehr viel Differenziertes über die GRÜNEN zu sagen weiß, u. a., daß sie dafür gesorgt hätten, daß die Frauen in der Union jetzt zu Parteikongressen ihre Kinder mitbringen und dort stricken dürfen. So viel zu den Einflüssen grüner Familienpolitik auf die CDU. Wir beraten hier den Haushalt eines Bundeskanzlers, der die Insignien der Macht: Zepter, Reichsapfel und Birne, fest im Wahlkampf umklammert hält, eines Kanzlers in vollem Saft, der sich nicht zu scheuen hätte, wie weiland Mao Zedong durch den Jangtsekiang zu schwimmen, um dem Volk den Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte zu zeigen. Aber wir stünden bei der derzeitigen Verschmutzung des Rheins dann leider mit einem Kanzler da, der unter Umständen Hautkrebs hätte, an dem nicht nur die BASF, sondern auch andere aus der chemischen Industrie mit Rang und Ruf ihren Anteil hätten. Chemie ist, wenn man trotzdem grinst so wie der Bundeskanzler. Chemie ist Leben - sagt die Industrie -, ist Optimismus. Mit der chemischen und den Risiken der Atomindustrie weiter für die Zukunft Deutschlands! Da bleibt kein Auge trocken und kein Fisch am Leben. Der Verband der Chemischen Industrie hat am 16. November, zwei Tage nach der Katastrophe von Basel, erklärt, daß es im Leben eben immer ein Risiko gebe. Uns wird mittlerweile klar, daß wir von dieser Bundesregierung mit ihrem optimistischen Mut zum Risiko nahtlos untergebuttert werden. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie eindringlich bitten, entweder den Saal zu verlassen oder aber in Ruhe dem Redner zuzuhören. Das gilt auch für den Abgeordneten Gallus.

Heinz Suhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002289, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, vielleicht können Sie die Zeit, in der Herr Gallus so stört, meiner Redezeit hinzurechnen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie können versichert sein: Ich werde Ihnen das auf die Redezeit nicht anrechnen. Ich werde Ihnen das Wort auch erst wieder erteilen, wenn die notwendige Ruhe im Saal wiederhergestellt ist. Frau Abgeordnete Karwatzki, würden auch Sie die Güte haben, entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen. Vizepräsident Cronenberg Ich glaube, Herr Abgeordneter Suhr, Sie können in Ihrer Rede fortfahren. Bitte sehr.

Heinz Suhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002289, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mit der Risikobereitschaft dieser Bundesregierung zum Nuklearkrieg, zu den atomaren und chemischen Restrisiken der Großtechnologien, mit diesem Mut zum tödlichen Risiko sind wir international Spitze. ({0}) Da gestern das Hauptargument unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit war, wollte ich einmal einige andere Felder anführen, auf denen wir auch international durchaus Spitze sind, z. B. was die verantwortungslosen Interviews unseres Regierungschefs angeht. Was die völkische Rechtslastigkeit des Unionswahlkampfs angeht, da sind Sie allerdings nur national Spitze. Sie haben in den letzten Wochen und Monaten systematisch den Haß gegen Ausländer und Asylanten geschürt. Sie haben den Haß gegen die Anti-AKW-Bewegung geschürt und gegen die Alternativbewegungen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich bitte Sie, sich zu mäßigen.

Heinz Suhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002289, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann haben Sie den Haß gegen die Gewerkschaften geschürt, und nun kommt der immer wieder funktionierende Kommunistenhaß: gegen die Sowjets, gegen die DDR. Wir GRÜNEN treten unbedingt ein für die Aufhebung des Schießbefehls, für den Abriß der Mauer und für den Abbau des Stacheldrahts sowie für eine Entspannungspolitik, für eine friedliche Koexistenz mit dem Osten. Aber das, was Sie hier im Wahlkampf treiben, geht nach unserer Auffassung zu weit, denn Sie säen Haß in der Bevölkerung. ({0}) - Herr Bohl, der Bundeskanzler hat vor kurzem auf einer Wahlveranstaltung in Göttingen erklärt: Die sowjetischen Führer waren immer Realisten. Das ist der entscheidende Unterschied zu den braunen Abenteurern, die Deutschland von 1933 bis 1945 regierten. Der Kanzler hat damit den Völkermord an Juden, die Verbrechen an Sinti und Roma und an Homosexuellen, er hat die vielen Millionen Toten in Rußland, in Polen und in vielen anderen Ländern in Europa als „kleines Abenteuer der Nazis" abgetan. ({1}) - Das hat der Bundeskanzler im Wahlkampf getan. Wer so redet und besinnungslos rechte und völkische Emotionen schürt, der sät Haß zwischen den Völkern - und das alles nur, um eventuell die letzten Anhänger der Stahlhelmfraktion an die Wahlurne zu treiben. Wenn hier ein Vergleich angebracht ist, dann vielleicht der, daß die Firma Flick im Dritten Reich von 1933 bis 1945 den Nazis 7,5 Millionen Reichsmark an Spenden zukommen ließ und auch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg die Bonner Landschaft entsprechend pflegte. Die Wähler und Wählerinnen werden nicht vergessen, daß auch dieser Bundeskanzler diverse Umschläge entgegennahm oder entgegennehmen ließ. ({2}) „Frieden schaffen mit weniger Waffen" versprach uns dieser Bundeskanzler vor vier Jahren im Wahlkampf. Was wir erlebt haben, war eine beispiellose Aufrüstung und Optimierung der Waffensysteme. ({3}) Wer heute die neue Bedrohungsanalyse aus dem Hause Wörner sieht mit dem Systemvergleich zwischen NATO und Warschauer Pakt, in der steht „Der Warschauer Pakt ist dem Westen in allen Waffensystemen überlegen", der fragt sich doch, warum die Russen nicht schon seit Jahrzehnten bei uns einmarschiert sind, wenn diese Propaganda stimmt. So kommen wir nicht zu einem friedlichen Miteinander in Mitteleuropa an der Nahtstelle zwischen den Machtblöcken. Weil wir über den Haushalt des Bundeskanzlers reden: Dazu gehört auch das Bundespresseamt. Unter Regierungssprecher Friedhelm Ost wird hauptsächlich Agitation statt Information betrieben. Herr Ost scheut auch nicht davor zurück, Journalisten zu bespitzeln und zu benoten, die sich immer noch trauen, diesen famosen Bundeskanzler zu kritisieren. ({4}) Wir sind auch in einem anderen Punkt international konkurrenzlos, nämlich was die Zahl unserer Bundesnebenaußenminister angeht. Während wir hier debattieren, sitzt Franz Josef Strauß in Riad mit den Herren von Krauss-Maffei, der Panzerschmiede, mit Hanns Arnt Vogels von MBB, mit den Herren von Siemens und Thyssen, um Leo 2 und andere Waffensysteme an Saudi-Arabien zu verkaufen. Der Herr Außenminister der CSU in spe zeigt, wo es langgehen soll und wo es langgehen wird - sollte Herr Genscher einmal abtreten müssen -, nämlich nach der schlimmen Devise - und das zeigen auch die Zunahmen der Rüstungsexporte -: Am deutschen Rüstungswesen soll die Welt genesen. Als Gastgeschenk bringt dieser Waffenhändler der Ministerpräsidentenklasse einen lebenden Falken nach Riad mit. Das ist der Stil deutscher Außenpolitik, daran sollte sich der Herr Genscher ein Beispiel nehmen. Nicht gebratene Tauben ins Watergate-Hotel, sondern Jagdfalken bringt man in den Nahen Osten. Das ist die Symbolik unserer Friedenspolitik. ({5}) Wir GRÜNEN haben viele hundert Vorschläge gemacht, nicht nur in den Haushaltsberatungen der letzten vier Jahre, z. B. anstatt die Rüstungsindustrie aufzublähen, die Innovationen der Arbeitskreise „alternative Fertigung" in den Rüstungsbetrieben aufzunehmen und endlich sozial und ökologisch nützliche Dinge zu produzieren. Vom energiesparenden Schiffsantrieb bis zur Kraft-Wärme-Koppelung, von Telebussen bis zu Rauchgasreinigungsanlagen, Solarheizungen und Windkraftwerken haben wir konkrete Alternativen für Leos, für Tornados und für Raketenwerfer vorgelegt. Mit dem gleichen Investitionsvolumen könnten wir in der Rüstungsindustrie mit einem Konversionsprogramm 20 % mehr Arbeitsplätze schaffen, als derzeit vorhanden sind. Im Unterschied zur Bundesregierung nehmen wir GRÜNEN das Problem der Massenarbeitslosigkeit ernst. Ihre Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Sie die letzten vier Jahre betrieben haben, hat ökologisch und abrüstungspolitisch, sozial- und beschäftigungspolitisch versagt. Ihre Konsolidierung bedeutet Fortschreibung der alten Armut und Zunahme der neuen Armut sowie die soziale Ausgrenzung und vor allem einen Ausbau der Ellenbogengesellschaft. Herr Lambsdorff hat gestern erklärt, Öko-Sozialisten wollten drei Sorten Leberwurst. Ich habe dem Herrn Lambsdorff geglaubt und habe alle grünen Programme durchgesehen. Aber ich habe die Stelle leider nicht gefunden. Es steht auch nicht darin. Aber ich habe festgestellt, daß darin steht, daß jede Rentnerin sich zumindest eine Sorte Leberwurst sollte leisten können und daß sich auch für Trümmerfrauen Leistung wieder lohnen sollte. ({6}) Natürlich wissen wir, daß sich der Herr Lambsdorff 15 Sorten Leberwurst leisten kann. ({7}) Er hat ja auch genügend aus Flicks schwarzen Kassen entgegengenommen. Wir hoffen, daß die FDP im Januar unter 5 % bleibt. Dann hat der Herr Lambsdorff genügend Zeit, so lang und so viel Leberwurst zu essen, wie er will. Herr Waigel, ich habe auch in unserer Mitgliedskartei nachgesehen: Kassandra ist nicht Mitglied der Grünen Partei, das darf ich Ihnen mitteilen. ({8}) Wir aber bringen den Mut auf, Fakten festzustellen. Wir entwickeln konkrete Konzepte gegen Ihre zerstörerische Politik im Umweltbereich. ({9}) Die Bundesregierung steht konzeptionslos vor den großen Problemen der Zukunft. Ich denke, die Wählerinnen und Wähler werden am 25. Januar wissen, was sie zu tun haben, nämlich die ökologische und radikaldemokratische Kraft im Deutschen Bundestag zu stärken. Ich komme gleich zum Ende. ({10}) - Ja, ich weiß, das wird Sie freuen. Einen Satz aber gestatte ich mir noch. Es ist doch völlig klar, daß das einzige wirksame Mittel zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit die Arbeitszeitverkürzung ist. Deswegen werden wir auch die Gewerkschaften unterstützen, wenn sie in der nächsten Tarifrunde für eine weitere Verkürzung der Wochenarbeitszeit eintreten. Wir wissen: Der Kanzler hält Arbeitszeitverkürzung für dumm und töricht. Aber gegen den erbitterten Widerstand wurden mit der Arbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie über 100 000 Arbeitsplätze erkämpft. Die Regierungspolitik - nicht nur im beschäftigungspolitischen Bereich, auch im Umweltbereich, im rüstungspolitischen Bereich und im Sozialbereich - ist nicht nur dumm und töricht, sondern sie ist inhuman, antiökologisch, höchst gefährlich und verantwortungslos. Sie ist irrational. Ich danke Ihnen. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele von uns waren heute morgen überrascht, als Bundeswirtschaftsminister Bangemann plötzlich das Wort ergriff. Er kam aus einer Koalitionsverhandlung. Wie man hörte, ging es dabei um die Antiterrorgesetzgebung. Darüber haben wir hier kein Wort gehört. Was haben Sie eigentlich beschlossen zum Thema Innere Sicherheit? ({0}) Wie kommt es eigentlich, daß der Bundeswirtschaftsminister ausgerechnet beim Etat des Bundeskanzlers zur Wirtschaftspolitik das Wort ergreift, von der er auch nichts versteht? ({1}) So ändern sich die Zeiten. Herr Ertl, es hat heute gutgetan, Sie zu hören, und es hat auch etwas weh getan, Abschied zu nehmen. ({2}) Sie wissen: Sie sind Bayer, und ich bin Schleswig-Holsteiner. Es war für mich oft schwierig, Sie zu verstehen. Aber ich habe mich immer darum bemüht. ({3}) Wissen Sie, bei Herrn Bangemann verstehe ich alles, aber ich weiß nie, was er sagt. ({4}) Es hat auch gutgetan, weil Sie an alte Zeiten der sozialliberalen Koalition erinnert haben. Vielleicht begreifen Sie, daß es für Ihren einstigen Koalitionspartner schwer sein muß, heute von der CDU/CSU eine Litanei über sozialistische Mißwirtschaft zu hören, als ob es nicht von 1969 bis 1982 eine Koalition gegeben hätte, die aus dem Mief der Adenauer-Republik ein modernes Deutschland gemacht hat. ({5}) - Lachen, meine Herren von der FDP, ist die Reaktion Ihres heutigen Koalitionspartners. ({6}) „Ich behaupte: Wer die Chance der Kronzeugenregelung nicht nutzt, macht sich zum Komplizen des Terrorismus selber", so sprach vor wenigen Wochen der Generalsekretär der CDU, Geißler. Wo ist er eigentlich heute? Gemeint hat er alle, die es mit ihrem Rechtsempfinden nicht vereinbaren konnten, daß ein Mörder, so er nur bereit ist, seine Kumpanen zu verraten, straffrei ausgehen und auf Staatskosten auch noch versorgt werden sollte. Solche Vorschläge waren in der sozialliberalen Koalition nach der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer vor über zehn Jahren aus guten Gründen verworfen worden. Jetzt wurden sie nach der Ermordung des Diplomaten Gerold von Braunmühl wieder hervorgeholt. Die SPD war auch dieses Mal dagegen. Sie wurde deshalb Ziel der Diffamierung von Herrn Geißler. Die FDP war diesmal für die Kronzeugenregelung. Jedenfalls hat Herr Bangemann Herrn Zimmermann in seiner Sorgen bereitenden Unbekümmertheit eine Zusage dafür gegeben. Nun ist er am Wochenende von seinem Parteitag zu einem Teilrückzug genötigt warden. Natürlich, Herr Bangemann steht auch voll hinter der halben Lösung. Nach dem Motto „Alles oder nichts" wollen jetzt aber Kohl und Strauß nichts mehr von der Kronzeugenregelung wissen. Was haben Sie denn nun eigentlich im Kabinett heute morgen beschlossen? ({7}) Sind denn nun alle Parteien und Abgeordneten im Deutschen Bundestag Komplizen der Terroristen geworden, ({8}) oder hat die SPD ganz einfach recht gehabt, oder war das, um im Jargon Ihres Generalsekretärs zu bleiben, einfach eine Terroristenkomplizenlüge? Meine Damen und Herren, ging es Herrn Geißler überhaupt um die Bekämpfung des Terrorismus, oder ging es ihm nur wie so oft um die Diffamierung politisch Andersdenkender? ({9}) Ging es ihm dabei gar nicht um unseren Staat und seine Bedrohung durch Terroristen, sondern um seine Partei und die Chance, das zu nutzen? Glaubwürdigkeit ist eine Voraussetzung für die Bekämpfung des Terrorismus im Innern, so wie außenpolitische Glaubwürdigkeit die Voraussetzung ist, um den internationalen Terrorismus bekämpfen zu können. Mein Kollege Hans-Jürgen Wischnewski hat in der Debatte nach den Attentaten in Berlin und nach dem Vergeltungsangriff der Amerikaner auf Libyen hier im Bundestag sechs Vorschläge dazu gemacht. Sie haben keinen davon aufgegriffen. Ich greife das Thema jetzt auf, weil ich befürchte, daß wir uns wieder mit dem Terrorismus werden beschäftigen müssen. ({10}) Noch im April dieses Jahres hat der Bundeskanzler nach dem Attentat auf die Diskothek „La Belle" in Berlin und nach dem Bombenangriff auf libysche Städte und die Zivilbevölkerung damit eine Rechtfertigung geliefert, daß er gesagt hat, „nachrichtendienstliche Erkenntnisse würden eindeutig für die Steuerung durch offizielle libysche Stellen sprechen". Die SPD hat damals die amerikanische Vergeltungsaktion aus Gründen der Humanität und des Völkerrechts verurteilt, und sie hat Zweifel an der Beweiskraft der nachrichtendienstlichen Erkenntnisse geäußert. Wir haben zugleich wirtschaftliche Sanktionen und den Abbruch diplomatischer Beziehungen gegenüber Staaten befürwortet, denen die Unterstützung terroristischer Aktionen eindeutig nachgewiesen werden kann. In den vergangenen Tagen haben wir nun erfahren, daß im Falle des „La Belle"-Anschlages die Qualität der nachrichtendienstlichen Erkenntnisse in der Bundesregierung immer noch umstritten ist. Bei der Berliner Staatsanwaltschaft soll eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens bevorstehen. Ganz anders liegt der Sachverhalt bei einem Bombenanschlag, der ebenfalls im April und ebenfalls in Berlin auf ein deutsch-arabisches Büro erfolgt ist und der mehrere Schwerverletzte forderte. Heute ist über die Angeklagten in Berlin das Urteil gesprochen worden. Ich kenne den Wortlaut und die Begründung noch nicht. Aber vorgestern hat die Staatsanwaltschaft in der Gerichtsverhandlung erklärt, daß dieser Terroranschlag „ohne Unterstützung durch den syrischen Bereich nicht möglich" gewesen wäre; man wisse nur nicht, auf welcher politischen Ebene dies geschehen sei. Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft sind der Bundesregierung seit langem bekannt gewesen. Warum hat sie stillgehalten? ({11}) Vor vier Wochen wurde der Bruder einer der in Berlin Angeklagten von einem englischen Gericht verurteilt, weil er auf abscheuliche Weise seine schwangere Verlobte dazu mißbrauchen wollte, ein israelisches Verkehrsflugzeug auf dem Londoner Flughafen in die Luft zu sprengen. Weil es vor dem englischen Gericht bewiesen wurde, daß dieser Mann von offiziellen syrischen Stellen gesteuert wurde, brach die britische Regierung die diplomatischen Beziehungen zu Syrien ab. Der britische Außenminister forderte die befreundeten Regierungen auf, dem Beispiel zu folgen, wie es auf dem Wirtschaftsgipfel in Tokio erst im Mai vereinbart worden war. Die Bundesregierung hielt sich zurück. Warum? In einem Interview mit einer amerikanischen Zeitung erklärte der französische Ministerpräsident Chirac, Kohl habe in einem Gespräch mit ihm die These vertreten, daß der Anschlag eine Provokation gewesen sei, um Syrien in Verlegenheit zu bringen, wahrscheinlich von Leuten, die mit dem israelischen Geheimdienst in Verbindung stünden. Herr Kohl hat diese Äußerung seines französischen Kollegen sofort dementiert. Herr Chirac hat sein Interview auch dementiert. Es ist nicht weniger glaubwürdig als das Dementi von Herrn Kohl zur sogenannten ,,Newsweek"-Affäre. ({12}) Es ist aber auch nicht mehr glaubwürdig, denn auch in diesem Fall wurde ein Tonband veröffentlicht. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, daß Herr Kohl diese Äußerung gemacht hat. Nach allem, was er den Israelis schon angetan hat, nicht auch noch solche Spekulation! Ich möchte Herrn Kohl glauben. Aber wer glaubt ihm sonst noch? ({13}) Wer nach den Erklärungen für die Nachsicht Kohls gegenüber Syrien sucht, der muß auf den Namen Franz Josef Strauß stoßen. Der CSU-Vorsitzende rühmt sich seit langem guter persönlicher Beziehungen zu dem syrischen Staatschef Assad. Da es diplomatische Beziehungen zwischen Bayern und Syrien bekanntlich nicht gibt, muß es sich ja wohl um eine besondere Form von Nebenaußenpolitik handeln. ({14}) Strauß hat Assad jedenfalls mehrfach besucht und ihm immer die besten Zeugnisse ausgestellt. Deshalb ist er auch noch im März dieses Jahres mit einem Staatssekretär aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit nach Damaskus gefahren, um Geld für Syrien locker zu machen, übrigens Geld, das von der sozialliberalen Koalition gesperrt worden war, nachdem man einen syrischen Staatsangehörigen bei einem Terroranschlag in der Bundesrepublik erwischt hatte. ({15}) Das ist die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. ({16}) Strauß hat mit Assad wohl auch Geschäftliches regeln wollen, und die Familie Strauß hat überhaupt eine Affinität zu Damaskus. ({17}) - Woher ich das weiß? Weil ich im Gegensatz zu Ihnen Zeitung lese, Agenturberichte studiere, Ausschußsitzungen besuche, mir Antworten der Bundesregierung anhöre, mit ausländischen Diplomaten spreche. Gelegentlich höre ich mir sogar Herrn Strauß an, wenn er sich seiner hervorragenden Beziehungen in den Nahen Osten rühmt. ({18}) - Ja. - Denn immer wenn Herr Strauß in den Nahen Osten reist, begleiten ihn die guten Wünsche der deutschen Rüstungsindustrie. Oft sind die Herren auch in persona dabei, so wie jetzt in Saudi-Arabien. ({19}) Meine Damen und Herren, den Zusammenhang zwischen Waffenexportpolitik und Bekämpfung des internationalen Terrorismus habe ich nicht erfunden. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Tokio wurde im Mai ein Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus verabschiedet. Der Punkt Nummer eins lautete - ich zitiere -: Weigerung, Waffen in Staaten auszuführen, die den Terrorismus finanzieren oder unterstützen. Der Bundeskanzler hat diesen Katalog mit ausgehandelt. Jedenfalls hat er ihn mit unterschrieben. Möglicherweise hat er ihn sogar vorher gelesen. ({20}) Sie wissen, daß damals nicht nur Libyen, sondern z. B. auch der Iran gemeint war. Wir wissen heute, daß zum gleichen Zeitpunkt amerikanische Stellen mit der iranischen Regierung verhandelten und Waffen lieferten. Ich frage die Bundesregierung: Sind Berichte in der amerikanischen Presse zutreffend, daß auch aus der Bundesrepublik Waffenteile und Rüstungsgüter an den Iran geliefert worden sind? Ist das in Absprache mit amerikanischen Regierungsstellen geschehen? Stimmt es, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit auch Rüstungsgüter für den Irak genehmigt hat? Hat die Bundesregierung also an beide kriegführenden Staaten geliefert, die in Verdacht stehen, den Terrorismus zu fördern und zu finanzieren, obwohl das Grundgesetz solche Lieferungen verbietet? Wer trägt die Verantwortung dafür? Nur Mut, meine Herren! Franz Josef Strauß hat nämlich gerade in Saudi-Arabien verlangt, die Bundesrepublik müsse bei Waffenexporten herauskommen „aus der ewigen Ängstlichkeit". Frankreich beteuert, keine neuen Waffen nach Syrien liefern zu wollen. Die italienische Regierung beschließt, daß Waffen bis auf weiteres nur noch in NATO-Staaten ausgeführt werden dürfen. Die britische Regierung zeigt große Verärgerung, daß der Irak im Krieg Geschütze benutzt hat, die aus britisch-italienisch-deutscher Kooperation von Großbritannien an Saudi-Arabien mit der Bedingung geliefert worden sind, sie nicht weiterzugeben. In den USA gibt es eine Regierungskrise über Waffenexporte an den Iran. Und der bayerische Ministerpräsident Strauß erklärt in Saudi-Arabien, die Bundesrepublik müsse ihren Waffenexport verstärken und er sei - man höre und staune - für ein Gleichziehen mit der klaren Linie Englands, Frankreichs und Italiens. Deshalb befinden sich in seinem Gefolge auch Lobbyisten der deutschen Rüstungsindustrie. Deshalb kritisierte Strauß noch einmal die Weigerung Helmut Schmidts, an SaudiArabien Panzer vom Typ Leo II zu verkaufen. ({21}) Die Bundesrepublik müsse herauskommen - Zitat - aus der ewigen Ängstlichkeit. Helmut Schmidt konnte man Ängstlichkeit wahrlich nicht vorwerfen; gemeint ist Herr Kohl. Herr Kohl soll endlich den Mut haben, sich zu der Politik von Franz Josef Strauß zu bekennen. Heute morgen gibt es einen neuen sensationellen Skandal am Waffenmarkt. Gegen alle Beteuerungen und Erklärungen der Bundesregierung, gegen Beschlüsse der UNO und der Europäischen Gemeinschaft sind von einem Unternehmen aus der Bundesrepublik die Konstruktionszeichnungen für U-Boote an das Apartheidsregime in Südafrika verkauft worden. ({22}) Den Schaden trägt die deutsche Außenpolitik. Den Schaden werden übrigens auch deutsche Arbeitnehmer tragen, denn schließlich werden durch solche abenteuerlichen Geschäfte nicht nur der Ruf und das Ansehen der deutschen Wirtschaft im Ausland geschädigt, sondern auch ganz konkret die Exportchancen in der Dritten Welt. ({23}) Politisch wird die Sache dadurch, daß Franz Josef Strauß dieses Geschäft angeregt haben soll. Die Bundesregierung soll es nach Beratungen im Bundessicherheitsrat abgelehnt haben. ({24}) - So ist es, sagt der Außenminister. Herr Außenminister, was gilt denn da noch die Entscheidung der Bundesregierung, wenn der Chef eines bundeseigenen Unternehmens ihr zuwiderhandelt? ({25}) Fühlte er sich sicher? War er gedeckt? War die Anregung von Franz Josef Strauß mehr wert als die Entscheidung des Bundeskanzlers, Herr Außenminister!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Gansel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann?

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gansel, wenn Sie - was ich durchaus verstehe - monieren, daß Blaupausen für Unterseeboote an Südafrika verkauft worden sind, aber auf der anderen Seite dann sagen, daß damit Arbeitnehmer geschädigt sind, wollen Sie damit andeuten, daß nach Ihrer Ansicht die deutschen Werften für Südafrika die Unterseeboote bauen sollten? ({0})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Reddemann, Sie haben wirklich nicht begriffen, ({0}) worum es beim Thema Waffenexporte und Südafrika geht. Beim Thema Waffenexporte geht es darum, daß wir in einem Bereich, der unsere eigene Sicherheit in der Bundesrepublik nicht tangiert, den Test liefern für die Glaubwürdigkeit unserer Abrüstungsbemühungen. Das ist der eine Punkt. ({1}) Der andere Punkt ist: Bei Südafrika geht es darum, daß, wenn man von Regimen spricht, die den Terrorismus fördern, das rassistische südafrikanische Regime sicherlich ein Regime ist, daß nahe daran und dabei ist, die eigene Mehrheit der Bevölkerung zu terrorisieren. ({2}) Dann gibt es ein Drittes, Herr Reddemann: Wer nicht begreift, was es für diese Welt, in der es einen großen Fortschritt darstellt, daß Rassismus nirgendwo mehr außer in Südafrika offizielle Staatsideologie ist, politisch und wirtschaftlich bedeutet, wenn sich die deutsche Bundesregierung ausgerechnet mit diesem Regime noch arrangiert, der begreift nicht die großen Entwicklungen der Weltpolitik. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Herr Abgeordneter Reddemann, Sie haben die Möglichkeit, eine weitere Zwischenfrage zu stellen.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, da ich Ihnen im Zusammenhang mit Südafrika gar nicht widersprechen möchte, muß ich Sie nur auf Ihre Bemerkung aufmerksam machen, daß die deutschen Arbeitnehmer geschädigt würden. Ich frage Sie deswegen: Wie bekommen Sie diese beiden völlig gegensätzlichen Auffassungen, die Sie eben vertreten haben, logisch zusammen? ({0})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben noch immer nicht begriffen, worum es geht, Herr Reddemann. ({0}) Offenbar ist bei Ihnen nur die Alternative möglich: entweder Waffen liefern oder Konstruktionspläne. Eine dritte Möglichkeit sehen Sie offenbar nicht. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort! Lassen Sie sich bitte nicht stören. ({0})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich ist dieser Themenbereich nur einer von denen, die unsere Sicherheit tangieren, aber er ist einer, bei dem sich wie sonst nur selten die Frage stellt: Wer bestimmt eigentlich die Richtlinien der Politik? ({0}) Nach dem Grundgesetz macht es der Bundeskanzler, nach den Presseveröffentlichungen und nach der Wahlstrategie macht es Herr Geißler, aber wenn es um Einflußnahme und um ganz handfeste Interessen geht, dann ist Franz Josef Strauß da, Herr Genscher, der Franz Josef Strauß, der es auf Sie abgesehen hat, ({1}) der Franz Josef Strauß, ({2}) der jetzt in der Zeitung zu sehen war, in Saudi-Arabien mit diesem Vogel auf dem Arm. ({3}) - Das habe ich erwartet! Wir alle haben ja dieses Foto in den Zeitungen gesehen, aber als ich Franz Josef Strauß so sah mit dem Vogel, habe ich nicht an unseren Vogel gedacht, sondern meine Assoziation war: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. ({4}) Herr Präsident, es ist Aufgabe des Parlaments, die Regierung zu kontrollieren. Das ist die äußerste Sicherheit und die letzte Sicherheit, die das parlamentarische System bieten kann. Aber es bleibt ein Restrisiko, das diese Regierung verkörpert und das ethisch nicht zu verantworten ist! ({5}) Lassen Sie mich noch ein Wort zu Herrn Dregger sagen, denn seine Spur wird j a nicht durch die wohltuende Rede von Herrn Ertl verwischt sein: Herr Dregger, Sie brauchen deutsche Sozialdemokraten nicht darüber zu belehren, was Patriotismus ist. ({6}) Denn für uns ({7}) kam nur Patriotismus in Frage, weil Nationalismus von vornherein ausschied. ({8}) Deshalb sind wir z. B. 1972 in den Wahlkampf mit dem Satz gezogen: Deutsche, ihr könnt wieder stolz sein auf euer Land. Was wir in jenen Jahren geschaffen haben, macht uns auch heute noch stolz! ({9}) Ja, es ist noch immer so: Unsere deutsche Muttersprache ist eine schöne Sprache, auch wenn Herr Kohl versucht, sie zu verhunzen. ({10}) Ja, es ist noch immer so: Unser deutsches Vaterland ist ein schönes Land, noch immer, obwohl der Rhein lange nicht mehr so schön ist, wie man ihn besingt. ({11}) Es ist aber auch so, daß die Jahre seit 1983 ihre Spuren hinterlassen haben. Wir haben über 2 Millionen Arbeitslose, 400 000 mehr als damals, und damals war es schon schlimm genug; das hat uns ja schon umgetrieben. Vier Jahre lang Sozialabbau, und da hat sich der Herr Dregger hier hingestellt und hat den Mut gehabt, von „Geschwätz über Sozialabbau" zu reden! Ja, Herrgott nochmal, begreifen Sie denn nicht, was es bedeutet hat, wenn bei den Rentnern das Kindergeld reduziert worden ist, ({12}) was es bedeutet hat, wenn bei den Schwerbehinderten - ({13}) - Schauen Sie, Herr Dregger, es macht einen Teil des Problems aus, daß Sie darüber lachen. Ich darf noch einmal wiederholen: daß bei den Rentnern der Kinderzuschlag gestrichen wird. ({14}) Wissen Sie denn gar nicht, daß es Hunderttausende gibt, die sich kaputtgearbeitet haben, ({15}) die als Frührentner, die als Erwerbs- und Beruf sun-fähige Kindergeld für ihre Kinder kriegen müssen? ({16}) Wissen Sie das denn gar nicht, daß Sie bei dieser Gruppe der Rentnerinnen und Rentner, die sowieso das geringste Einkommen haben, das Kindergeld von 150 auf 50 DM beim ersten Kind gekürzt haben? ({17}) Wissen Sie nicht, daß Sie dazu noch einmal SchülerBAföG gestrichen haben, und wissen Sie, was das an der Verschlechterung konkreter Lebenschancen bedeutet hat? ({18}) Das sind auch die Menschen, für die wir uns immer verantwortlich fühlen werden. Wir wissen, das ist keine Mehrheit. Das wissen wir, aber dies wird immer zur Sozialdemokratie gehören, ({19}) daß wir uns für sie mitverantwortlich fühlen. ({20}) Daß starke Schultern mehr tragen müssen als schwache Schultern, das wird immer unsere Aufgabe sein. ({21}) Diese Minderheiten in unserer Bevölkerung sind nicht die Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie, eine Million Mitglieder und viele ihrer Freunde und Sympathisanten, das sind Menschen, die Erfolg haben, die etwas leisten können, die die Gesellschaft noch zusätzlich mitgestalten wollen, aber - da unterscheiden wir uns von Ihnen - nicht nur für sich selbst, sondern für unser Volk.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Gansel, erstens haben Sie sehr deutlich Ihre Redezeit überschritten, ({0}) und zweitens liegen zwei Meldungen zu Zwischenfragen vor. Ich muß Sie allerdings bitten, zu Ende zu kommen. Ob Sie bei dieser Geschäftslage die Fragen zulassen, überlasse ich Ihrer Entscheidung.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte um Entschuldigung, ich lasse sie nicht mehr zu!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie lassen sie nicht zu. Dann bitte ich Sie auch bei aller Großzügigkeit, zu Ende zu kommen. Wir sind insgesamt schon so spät dran, daß ich es nicht verantworten kann, die Redezeit noch weiter zu verlängern. ({0})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Satz „Versöhnen statt Spalten" - ({0}) - Schauen Sie, „Versöhnen statt Spalten" bleibt für uns ja richtig, weil wir nicht zulassen wollen, daß diese Bundesregierung gegeneinander ausspielt: BAföG gegen Babyjahr, Soldaten gegen Friedensbewegung, Umweltschützer gegen Industrie, Junge gegen Alte. Nein, wir wollen für alle Politik machen. Wir sind die Partei der großen gesellschaftlichen Kompromisse. ({1}) Deshalb kämpfen wir für unsere eigene Mehrheit. Und deshalb werden wir neben all den Fragen, bei denen es um das Geld und um die Qualität unseres Staates geht, jeder Wählerin und jedem Wähler zwei Fragen stellen. ({2}) Wir werden Sie fragen: Erstens: Können Sie verantworten, daß ausgerechnet an einer deutschen Bundesregierung nach dem Treffen von Reykjavik die historische Chance kontrollierter Abrüstung in Ost und West scheitern soll? ({3}) Und die zweite Frage: Können wir verantworten, ({4}) können Sie verantworten, daß nach Tschernobyl so weitergemacht wird wie davor? ({5}) Ich sage Ihnen - jenseits aller Parteipolemik -, der Satz „Weiter so, Deutschland!" ist das Dümmste, was man in diesem Zusammenhang sagen kann. Darüber werden wir aufklären, dagegen werden wir kämpfen ({6}) in den Monaten, die vor uns liegen. Und in der nächsten Stunde werden wir erst einmal den Etat des Bundeskanzlers ablehnen. Danke sehr. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst gern dem Kollegen Gansel sagen: ({0}) Ich hatte erwartet, daß die Debatte durch die großartige Rede, die unser Kollege Ertl hier gehalten hat, abgeschlossen sein würde. ({1}) Ich möchte dem Kollegen Ertl dafür danken. Diese Rede wird mir ebenso unvergeßlich bleiben wie die erste Rede, die er als Bundesminister für Landwirtschaft hier im Deutschen Bundestag gehalten hat. In beiden Fällen wurden seine Menschlichkeit, sein Patriotismus und sein großes europäisches Engagement so deutlich. Herr Kollege Gansel, wenn bei uns jemand gegen die Gesetze verstößt, geschieht das, was in einem Rechtsstaat notwendig ist. Das gilt auch bei dem Transfer von Blaupausen ohne Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz. Der Bundesminister der Finanzen hat deshalb, nachdem er davon Kenntnis erhalten hatte, das notwendige Verfahren eingeleitet. Dort wird das entschieden. Was da geschieht, ist kein Argument gegen die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung, sondern es ist die Untersuchung eines strafwürdigen Tatbestandes. ({2}) Meine Kollegen, wenn Sie schon vom Begriff der Glaubwürdigkeit heute den ganzen Vormittag Gebrauch machen und dann im Zusammenhang mit Waffenexporten nach Saudi-Arabien hier glauben, eine Attacke gegen die Bundesregierung reiten zu können, muß ich Sie daran erinnern, daß Ihr Teil in der Bundesregierung, die wir gemeinsam getragen haben, sich für Waffenexporte nach Saudi-Arabien eingesetzt hat, so wie es heute ein anderer Teil der gegenwärtigen Bundesregierung tut. Das ist immer durch die Koalition gegangen. ({3}) Nun tun Sie doch nicht so, meine Kollegen, als seien Sie hier im Zustand der totalen Unschuld, sondern bekennen Sie sich dazu, daß damals von Ihrer Seite Zusagen in dieser Richtung gemacht worden sind. ({4}) Herr Kollege Gansel - das muß ich Ihnen nun auch sagen -: In der Diskussion über den Kronzeugen sollten Sie sehr vorsichtig sein. ({5}) Es hat im Jahre 1975 einen Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen über die Einführung einer Kronzeugenregelung ({6}) mit Straffreiheit auch für Mörder gegeben. ({7}) - Es ist so. Sehen Sie sich die Unterlagen an. Nicht nur die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat damals im Bundesrat dieser Vorlage zugestimmt, sondern sämtliche Landesregierungen, also auch alle von der SPD geführten Landesregierungen. ({8}) Das war im ersten Durchgang -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmude?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Bitte schön, Herr Kollege. ({0}) - Die Herren müssen sich verständigen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zuerst hatte sich der Abgeordnete Schmude gemeldet.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Bitte.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister Genscher, nachdem Sie die Absicht von Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien während der sozialliberalen Regierungszeit angesprochen hatten, frage ich Sie: Erinnere ich mich falsch an unsere gemeinsame Regierungszeit, ({0}) wenn ich behaupte, daß der damalige Bundeskanzler Schmidt ohne Ihren Widerspruch, Herr Genscher, das Vorliegen solcher Zusagen stets in Abrede gestellt und noch während unserer gemeinsamen Regierungszeit klargestellt hat, daß es solche Waffenlieferungen nicht geben werde? Erinnere ich mich da falsch?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Kollege Schmude - -({0}) - Würden Sie mir erlauben, zu antworten, oder wollen Sie die Antwort nicht hören? Es ist richtig, daß die damalige Bundesregierung, und zwar sowohl durch den deutschen Botschafter in Saudi-Arabien wie durch den Kollegen Wischnewski als Verantwortlichen im Kanzleramt, im Sommer 1982 mitgeteilt hat, daß diese Lieferungen nicht stattfinden würden. Das ändert nichts an der Tatsache, daß vorher Zusagen in dieser Richtung gemacht worden sind. Es ist auch begründet worden, warum diese Zusagen nicht eingehalten werden können. Ich werfe Ihnen das doch gar nicht vor. Es ist doch möglich, daß man in dieser Frage unterschiedlicher Meinung ist. Was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß Sie heute so tun, als ob eine solche Waffenlieferung nach Saudi-Arabien in Ihrer Fraktion niemals erwogen worden wäre. ({1}) Das ist falsch, meine Kollegen. ({2}) - Herr Kollege Vogel, ich möchte jetzt in meiner Rede fortfahren. ({3}) Seien Sie bitte in gleicher Weise zurückhaltend bei der Kronzeugenregelung. Schauen Sie sich das Protokoll des Bundesrates an. Da ist nun einmal ({4}) die Beschlußfassung auch mit den anderen Stimmen vorgenommen worden. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren - ({6}) - Wenn ich mich irre, Herr Kollege Vogel, können Sie das hinterher klarstellen. ({7}) Meine verehrten Kollegen, diese Debatte sollte zu einer Generalabrechnung über die Politik der Bundesregierung werden. Als Ergebnis des Erfolges der Bundesregierung in allen Bereichen ist sie zu einer Generalabrechnung über die Politik der Opposition geworden. ({8}) Wir haben mit der Politik der sozialen Marktwirtschaft, mit einer verantwortlichen Finanzpolitik eine Sozialpolitik zum Anfassen durchgesetzt, ({9}) nämlich Preisstabilität. Preisstabilität ist etwas für den kleinen Mann, für den Rentner, für den Empfänger kleiner Einkommen. Vor allem er profitiert von stabilen Preisen, nicht die anderen. ({10}) Neue Hoffnung und neue Zuversicht sind in unserem Lande entstanden, wirtschaftspolitisch, außenpolitisch und abrüstungspolitisch. Sie haben in den ersten Jahren dieser Regierungskoalition mit dem Argument der sozialen Kälte argumentiert. Ich will Ihnen sagen, meine Kollegen: Es hat in diesen vier Jahren ein einziges Mal, da allerdings sehr deutlich, einen Hauch von sozialer Kälte in diesem Land gegeben: als über die Köpfe von Tausenden von Arbeitnehmern, von Hunderttausenden von Mietern für eine Mark der Neue-Heimat-Wohnungskonzern verschoben wurde. Das war soziale Kälte. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Bundesminister, ich muß Sie unterbrechen, weil der Abgeordnete Rappe eine Zwischenfrage zu stellen wünscht. Lassen Sie die zu?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Ich möchte jetzt keine Zwischenfragen mehr beantworten. Ich möchte darauf hinweisen, daß ich mir gewünscht hätte, daß alles das, was wir auch in leidenschaftlichen Auseinandersetzungen hier im Deutschen Bundestag über Arbeitnehmerrechte, über Probleme von Mietern, über Mitbestimmung gehört haben, praktiziert worden wäre, als es darum ging, das Schicksal der Neuen Heimat zu entscheiden. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden diese erfolgreiche Wirtschaftspolitik, für die die Namen meiner Freunde Otto Graf Lambsdorff und Martin Bangemann stehen, konsequent fortsetzen. ({1}) Wir werden mit dieser Wirtschaftspolitik weiter Erfolg für unser Land haben. Der Unterschied in der Stimmung in unserem Land ist mit Händen zu greifen. 1982 hatten viele, viele Arbeitnehmer, die noch einen Arbeitsplatz hatten, Sorge um ihren Arbeitsplatz. Heute haben viele Menschen, die noch keinen Arbeitsplatz haben, wieder Hoffnung, daß auch sie wieder einen Arbeitsplatz bekommen können. Das ist der Unterschied in der Stimmung in unserem Lande. ({2}) Der Herr Kollege Ehmke hat mich gebeten, hier einige Bemerkungen zur Außenpolitik zu machen. Ich will Ihrem Wunsch gern Folge leisten, Herr Kollege Ehmke. ({3}) Auch außenpolitisch ist die Arbeit der letzten vier Jahre von großem Erfolg gewesen. Wir haben Europa ein gutes Stück vorangebracht. Wir haben mit der gemeinsamen Akte neue Grundlagen der Entscheidungsfähigkeit in Europa geschaffen. Deutschland und Frankreich haben das gemeinsam an erster Stelle bewirken können. Wir haben in der Außenpolitik erreichen können, daß wir mit dem Eureka-Projekt Europa neue Zukunftshoffnung geben, neue Zuversicht für die technologische Zusammenarbeit. ({4}) - Das war eine deutsch-französische Kooperation, Herr Kollege, weil nämlich Deutschland und Frankreich das Herzstück des Fortschritts in Europa sind und weil wir in diesem Europa nur dann auch in Zukunft Arbeitsplätze sichern, Renten garantieren, jungen Menschen Lebenschancen einräumen können, wenn wir die von Ihnen, den GRÜNEN, gepredigte Technologiefeindlichkeit überwinden können. Das ist unser gemeinsames Ziel, das werden wir fortsetzen. ({5}) Meine Damen und Herren, es ist auch möglich gewesen, daß wir im Bereich der Agrarpolitik, abgestützt durch Maßnahmen für den deutschen Bauern und für den bäuerlichen Familienbetrieb, erste Schritte zum Abbau der Überproduktion erreicht haben. Gleichzeitig ist es vorangegangen mit der Politik der Zusammenarbeit in ganz Europa. Wir haben jetzt in Wien die dritte Folgekonferenz im Rahmen des KSZE-Prozesses. Hier werden wir über neue Perspektiven in Europa sprechen. Zur gleichen Zeit können wir feststellen, daß die Großmächte, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion in Reykjavik wichtige Annäherungen über die Beseitigung der Mittelstreckenraketen in ganz Europa erzielt haben. Ich habe heute mit großem Interesse festgestellt, daß sich die Kollegen der SPD hier zum Wächter, zum Gralshüter der Null-Lösung für die Mittelstreckenraketen aufgespielt haben. Meine verehrten Kollegen, wenn wir Ihnen gefolgt wären, hätten wir diese Null-Lösung nicht als reale Möglichkeit bekommen; denn Sie waren ja bereit, 1983 mit mindestens 140, in manchen Entschließungen 160 SS-20-Systemen zu leben, was mehr als 300 oder 400 atomare Sprengköpfe bedeutet, die gegen unser Land gerichtet waren. ({6}) Deshalb sage ich Ihnen: Wir werden an dieser Politik festhalten, die amerikanischen genauso wie die sowjetischen Mittelstreckenraketen gänzlich zu beseitigen. ({7}) Es gibt nichts anderes für die nationalen Interessen unseres Landes für die Interessen Europas. Wenn wir uns jetzt Gedanken darüber machen, daß im Anschluß an ein Ergebnis über die Mittelstreckenraketen auch über gemeinsame Obergrenzen für die Kurzstreckenraketen auf einem niedrigeren Niveau verhandelt werden muß, dann entspricht das doch auch unseren nationalen Interessen; denn wir sind die Hauptbedrohten. ({8}) Da sollten wir uns doch nicht, meine verehrten Kollegen, damit abfinden wollen, daß auf der anderen Seite Kurzstreckenraketen da sind. Der Generalsekretär der SED, Erich Honecker, hat innerhalb der letzten Tage in einer Rede vor dem Zentralkomitee folgendes gesagt: „Wenn die Frage der Mittelstreckenraketen gelöst wird, dann besteht auch keine Notwendigkeit mehr, taktische Raketen unter 1 000 km Reichweite in der DDR zu haben. Dann wäre die Möglichkeit gegeben, dieses Teufelszeug vom Boden der DDR zu entfernen." ({9}) Da kann ich nur sagen: Das muß ein gemeinsames Verhandlungsziel sein. Bitte kritisieren Sie nicht, wenn wir uns bemühen, exakt das in Verhandlungen zu erreichen! ({10}) - Was dazu zu sagen ist, Herr Kollege, hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt bei der Tagung in Istanbul bereits zum Ausdruck gebracht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, europäische Interessen zu bündeln, europäische Interessen wahrzunehmen, das ist uns im Rahmen der Westeuropäischen Union gelungen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie diese Debatte unter sieben Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union über die Notwendigkeit miterlebt hätten, außer über die Mittelstreckenraketen im Anschluß auch über die Kurzstreckenraketen zu verhandeln und auch das konventionelle Gleichgewicht auf niedrigem Niveau herzustellen, dann wären Sie erstaunt gewesen, wie sehr sich die Bundesregierung in Übereinstimmung mit ihren wichtigsten europäischen Partnern in allen sicherheitspolitischen Fragen befindet. ({11}) Es ist wiederum eine deutsch-französische Initiative, die es vermocht hat, daß wir schon in Halifax auf der NATO-Frühjahrstagung den Beschluß gefaßt haben, der Sowjetunion Verhandlungen über das konventionelle Stärkeverhältnis anzubieten, damit wir eben bei geringer werdender atomarer Rüstung auch im konventionellen Bereich sicherstellen können, daß unser Ziel der Kriegsverhinderung aufrechterhalten werden kann. Es besteht doch kein Zweifel: Jeder Krieg würde für uns Vernichtung bedeuten, ganz gleich, ob es ein konventioneller oder ein atomarer Krieg wäre. Hier hat die Bundesregierung gezeigt, daß sie mit einer realistischen Außen- und Sicherheitspolitik, daß sie mit einer aktiven Europapolitik dazu beitragen kann, das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland im westlichen Bündnis, das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft, das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland bei den Abrüstungsverhandlungen und im West-Ost-Verhältnis zu stärken. Würden wir eines dieser Elemente beseitigen, meine verehrten Kollegen, würden wir eines dieser Elemente vernachlässigen, dann würde das in der Tat bedeuten, daß wir unserer Außenpolitik, unseren nationalen Interessen und ihrer Wahrnehmung die Grundlage entziehen. Wenn die GRÜNEN auch bei dieser Bundestagswahl die Forderung nach dem Austritt aus der NATO erheben, ({12}) nach der Beseitigung der Bundeswehr, ({13}) dann sage ich Ihnen: Derjenige, der die NATO verlassen will, der die Bundeswehr beseitigen will, macht diese Bundestagswahl wirklich zu einer Schicksalswahl über die nationalen Sicherheitsinteressen unseres Landes. ({14}) Wir werden über diese Frage auch in diesem Wahlkampf in aller Offenheit sprechen. Wir werden das auch deshalb tun, weil wir die Unterstreichung der Bedeutung unseres Beitrages für die gemeinsame Sicherheit auch unseren Soldaten schuldig sind, die ihren Dienst in der Bundeswehr tun. Ich sage allen Ihren Verunglimpfungen zum Trotz: Der Dienst in der Bundeswehr ist Friedensdienst. Dafür danken wir unseren Soldaten. ({15}) Wir werden bei dieser Politik, die sich auf gesicherte Freiheit gründet, nie vergessen, daß es Deutsche auch jenseits der Grenze gibt, die Europa in dieser Zeit noch trennt und teilt. ({16}) Wir werden nie vergessen, daß es dort Europäer gibt. Meine Damen und Herren, in diesem Jahr ist der Friedenspreis des deutschen Buchhandels an WlaBundesminister Genscher dyslaw Bartoszewski verliehen worden. Er hat in Frankfurt gesagt: Es ist auch eine Realität festzustellen, daß außer der Europäischen Gemeinschaft so etwas wie eine europäische Gemeinsamkeit existiert. Man soll diese europäische Gemeinsamkeit im Historischen und im Geistigen, die dem europäischen Raum immer verbunden war, wach erhalten. Die europäische Gemeinsamkeit im Geistigen, im Denken, in der Wissenschaft, in der Kultur, in der Kunst darf und wird auch die Verschiedenheit der politischen, der wirtschaftlichen und der sozialen Systeme überdauern. Dem ist nichts hinzuzufügen. Das ist die große Hoffnung der Europäer. Diese Hoffnung werden wir nur dann erfüllen können, wenn wir für uns hier die Freiheit bewahren, die gesicherte Freiheit; denn eines haben wir aus unserer Geschichte gelernt: Zuerst haben wir die Freiheit verloren und dann den Frieden. ({17})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier im Rahmen des Einzelplans 04 eine außenpolitische Debatte geführt wird, dann haben die GRÜNEN einiges dazu zu sagen. Herr Gansel hat das Problem der Waffenexporte zu Recht angesprochen. Es ist ein Skandal, daß sich die Bundesrepublik in den letzten Jahren unter die fünf größten Waffenexporteure der Erde hinaufgekämpft hat. Auch da sind wir wieder einmal globale Spitze. Allerdings meinen wir, Herr Gansel, daß die Alternativen, die Sie vorgeschlagen haben, so überzeugend tatsächlich nicht sind. ({0}) Denn Ihre Überwachungsperson, die quasi als Ombudsman fungieren soll, ist unseres Erachtens nicht mehr als ein weiterer Mitwisser dieser ganzen Geschichte. Denn politische Macht wird sie nicht haben. Die politische Macht, Waffenexporte zu verhindern, wird es nur geben, wenn es eine breite Mobilisierung der Öffentlichkeit gibt, die hier ein eindeutiges Stopp sagt. Unsere Außenwirtschaftsverordnung ist restriktiv genug, um jeglichen Waffenexport zu unterbinden. Es kommt hier lediglich auf den politischen Willen dazu an. Wenn Sie von den Sozialdemokraten sagen, daß nur Waffenexporte in Drittweltländer verboten, aber in andere NATOStaaten erlaubt sein sollen, dann haben Sie genau das Problem, das Sie der Union heute vorwerfen, daß nämlich irgendwelche Blaupausen auch nach Südafrika gelangen. Denn dann werden die Blaupausen ganz legal z. B. an Frankreich geliefert, und von Frankreich gehen sie dann nach Südafrika. Wir sollten auch sehen, daß die Politik der Union hier keine Wende, sondern Kontinuität bedeutet. Es war eine SPD-Regierung, unter der von 1972 bis 1983 sechs U-Boote in das faschistische Chile geliefert wurden ({1}) und dies alles, um die bundesdeutschen Exporte zu steigern. Ich will noch einiges zu anderen Formen der Unterstützung militaristischer Regimes sagen. Es geht ja nicht nur um Waffenexporte, sondern auch um die Exporte von Polizei. Herr Warnke hat sich erlaubt, das furchtbare Regime in Guatemala mit Polizeihilfe auszustatten. Dies als eine weitere Methode, mit der militaristische Diktaturen in der Dritten Welt von der Union unterstützt werden. Für El Salvador wird Entwicklungshilfe gegeben, obwohl jeder weiß, daß dort die Voraussetzungen für Entwicklungshilfe überhaupt nicht vorhanden sind. Folglich wird sie als Budgethilfe gegeben. Budgethilfe für El Salvador heißt aber nichts anderes, als die salvadorianische Kriegswirtschaft zu unterstützen. ({2}) Das sind weitere Beispiele für Außenpolitik. Vor zwei Wochen haben wir erlebt, wie Sie sich weigern, sich von den Terrorbanden der Contras in Nicaragua zu distanzieren. Der neueste Clou der Warnkeschen Außenpolitik gegen das Auswärtige Amt hat sich gestern nacht bzw. heute morgen ereignet, als der bundesdeutsche Exekutivdirektor in der Weltbank nicht gegen den Weltbankkredit für Chile gestimmt hat - und dies, obwohl wir im Auswärtigen Ausschuß mehrheitlich - mehrheitlich, inklusive FDP - der Ansicht waren, daß diese Kredite nicht ausgezahlt werden sollten. Da hat sich die CSU wieder einmal an den „Genscheristen" vorbeigemogelt und ihre rechtsradikale Außenpolitik durchgesetzt. Wenn der Kanzler die Sowjetunion beschimpft, wenn er die DDR beschimpft, dann glaube ich nicht, daß dies harmlose Ausrutscher sind. Meines Erachtens steckt dahinter vielmehr System, nämlich das System, die Rechtsradikalen möglichst noch in die Union zu integrieren und gleichzeitig den „Genscheristen" einen gewissen Profilierungsraum zu geben, um wieder die Mehrheit bilden zu können. Unseres Erachtens ist auch die Genscher-Politik nicht die Alternative zur Unionspolitik. Die Alternative heißt nur: Ablösung. ({3}) Und Ablösung heißt auch mehr als SPD-Alleinregierung, die es sowieso nicht geben wird. ({4}) Als einziger authentischer Ausdruck der Friedensbewegung existiert heutzutage nur noch die Partei der GRÜNEN, ({5}) nachdem die SPD-Fraktion letzte Woche die eigenen Anträge, die von der eigenen Partei in Nürnberg beschlossen worden sind, ({6}) nämlich Anträge zur Kündigung des Wartime Host Nation Support-Programms und zur ersatzlosen Abschaffung der Pershing II, hier im Bundestag abgelehnt hat. ({7}) Eine neue Friedenspolitik im nächsten Jahr wird es nur mit den GRÜNEN geben; dazu gibt es gar keine Alternative. ({8}) Die Friedensbewegung ist aufgefordert, den Parteien im Bundestag in die Hacken zu treten. ({9}) Wir als GRÜNE haben gar keine Angst davor. Aber wir sind der Ansicht, daß die SPD durchaus noch sehr viel Schubkraft von hinten braucht, weil sie allein nicht so beweglich ist, wie sie uns hier vorzumachen versucht hat. Herr Genscher, Sie werfen uns vor, wir wollten aus der NATO austreten. Sehen Sie: Mittlerweile hat sich doch in der Bundesrepublik herumgesprochen, daß Ihre Außenpolitik nur zu einer Verhärtung der Blöcke führt - mit der Perspektive, irgendwann die Überlegenheit der NATO sicherzustellen. Unseres Erachtens gibt es nur eine einzige Chance, wirklich zum Frieden zu kommen, ({10}) nämlich wenn wir eine Abrüstungsspirale dadurch in Gang setzen, daß wir als erste einseitige Abrüstungsschritte unternehmen. Und das heißt immer, den Bruch mit der NATO zu provozieren, zu riskieren, herbeizuführen. Zu dieser Politik stehen wir. Wir hoffen da auf viel Zustimmung im Januar. Danke. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt ({0}). ({1})

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Inzwischen ist das Urteil des Berliner Gerichts bekanntgeworden. Das Gericht hat die beiden Angeklagten zu 13 bzw. 14 Jahren Haftstrafe verurteilt. Es hält die Verwicklung syrischer Stellen in den Anschlag für gegeben und erwiesen. Es hat außerdem einen Haftbefehl gegen einen mutmaßlichen syrischen Geheimdienstoffizier erlassen, der die Bombe transportiert haben soll. Herr Bundesaußenminister, was gedenken Sie jetzt zu tun? ({0}) Sind Sie der Meinung, daß man jetzt weiter stillhalten soll oder darf? Sind Sie der Meinung, daß man Geldsäcke, Geldinteressen oder diplomatische Floskeln höher einschätzen soll als den Kampf gegen den internationalen Terrorismus? ({1}) Wenn Sie jetzt nicht konsequent handeln, setzen Sie sich dem Vorwurf aus, daß Ihre gesamte Diskussion über Rechtsänderungen in Wirklichkeit nur zur Diffamierung innenpolitischer Minderheiten gedient hat, nie aber zur Bekämpfung des Terrorismus. ({2}) Sie haben auf die Fragen und Vorwürfe von Norbert Gansel hier nicht geantwortet. ({3}) Sie haben auch nichts dazu gesagt, daß er behauptet hat, ({4}) daß der Staatsbetrieb, die Werft in Kiel, diese Unterlagen mit Rückendeckung von CDU/CSU-Politikern - insbesondere aus Bayern - nach Südafrika geliefert hat. Sind Sie nicht mehr bereit, haben Sie nicht mehr den Mut, haben Sie nicht mehr die Kraft, hier auf solche Fragen und Vorwürfe zu reagieren? Herr Genscher, Sie haben sich freiwillig in die Babylonische Gefangenschaft der CDU/CSU begeben. Sie machen rhetorische Freischwimmerübungen. Aber die außenpolitische Melodie bestimmen andere, nämlich Strauß und Dregger. Das gilt gegenüber Südafrika. Das gilt bei der Bekämpfung des Terrorismus. Das gilt bei der Frage der Mittelamerikapolitik. Und das gilt in der Frage der Mittelstreckenwaffen. In der Südafrikapolitik, die einmal Ihr großes Vorbild für eine eigenständige liberale Politik darstellen sollte, steht die Bundesregierung heute rechts von der Reagan-Administration. ({5}) Ihre Namibiapolitik ist gescheitert. In der Mittelamerikapolitik haben Sie sich besonders in der Politik gegenüber Nicaragua an die Politik der Reagan-Administration angepaßt. Das war schon früher so bei der Frage der Zeichnung der UN-Seerechtskonvention. Stets ist es die gleiche Melodie. Liberalen Worten folgt stets der Umfall zu konservativen Taten. ({6}) Voigt ({7}) Herr Bundesaußenminister, Sie sind ein Meister der Reisediplomatie. Aber Sie versuchen auch stets, den irreführenden Eindruck zu erwecken, als habe sich nur dadurch, daß Sie gereist sind, in der Abrüstungspolitik irgend etwas bewegt. Es wäre besser, Sie wären häufiger in Bonn und versuchten, sich gegenüber den CDU/CSU-Politikern hier in der Fraktion, dort im Bundeskanzleramt und im Warnke-Ministerium durchzusetzen. ({8}) Sie versuchen in Wirklichkeit nur, die Angriffe von Strauß zu instrumentalisieren, um ein liberales Profil vorzutäuschen, das Sie auf Grund Ihrer Taten in der Außenpolitik in Wahrheit nicht mehr haben. ({9}) Daß Strauß, Dregger und Genscher sich gleichermaßen auf die Zustimmung von Bundeskanzler Kohl berufen, ist dabei nur ein weiterer Beitrag zur Unberechenbarkeit unserer Außenpolitik gegenüber dem Ausland. Es reicht nicht aus, Herr Bundesaußenminister, daß Sie in New York vor den Vereinten Nationen und bei der KSZE in Wien, ({10}) - Sie können hören und lesen, aber offensichtlich nicht gleichzeitig nachdenken; offensichtlich hören Sie in New York und Wien genausowenig hin -, von der zweiten oder einer neuen Phase der Entspannungspolitik reden, während hier in Bonn die Gegner der ersten Phase der Entspannungspolitik weiter das Wort schwingen. Sie werden mit Ihrer kleinen Schlauheit nie die Kraft haben zu einem großen außenpolitischen Wurf. Natürlich war es taktisch schlau, daß Sie das SDI-Abkommen nicht persönlich unterzeichnet haben, sondern dies Bundeswirtschaftsminister Bangemann überließen. Das war taktisch schlau, aber dadurch ist weder der wirtschaftspolitische Vorteil der Bundesrepublik Deutschland gemehrt noch der außenpolitische Schaden verringert worden. Mit dem SDI-Abkommen hat sich die Bundesregierung an eine falsche strategische Konzeption gefesselt. Sie hat damit die Abrüstung blockiert. Wir werden uns von dieser Selbstfesselung befreien; wir werden dieses SDI-Abkommen kündigen. ({11}) Sie sind mitverantwortlich dafür, daß die Bundesregierung ihre Haltung zum nuklearen Teststopp verändert und aufgeweicht hat. Sie sind mitverantwortlich dafür, Herr Bundesaußenminister, daß es keine klare Stellungnahme der Bundesregierung gegen die Absicht der Vereinigten Staaten gibt, die Obergrenzen des SALT-II-Vertrags zu überschreiten. Diese Bundesregierung ist doppelzüngig, und zu dieser Doppelzüngigkeit, Herr Bundesaußenminister, gehören eigentlich auch Sie. Denn es ist Bestandteil dieser Doppelzüngigkeit, wenn Herr Dregger einerseits redet und Herr Genscher andererseits sagt. Dies nennt man die sogenannte Abdekkungsstrategie von jeweiligen liberalen und rechtsradikalen Flügeln und Unterstützern innerhalb einer Koalition. Dies ist innenpolitische Taktik, ist Wahltaktik. Dies ist nicht außenpolitische Konzeption. Dies ist Mauschelei, dies ist nicht Außenpolitik. Dies ist der Beitrag zum Verfall unseres Einflusses in der internationalen Politik. ({12}) Herr Bundesaußenminister, Sie wissen doch genau so gut wie wir, daß die Mehrheit in Ihrer Koalition abrüstungsfürchtig und abschreckungssüchtig ist. Sie wissen genau so gut wie wir, daß, während Sie und der Bundeskanzler sich öffentlich formal zur Null-Lösung bekennen, gleichzeitig Ihre Emissäre in Washington und in Brüssel gegen die NullNull-Lösung mobil machen. Das ist die Doppelzüngigkeit, die Sie wieder einmal vor den Wahlen den deutschen Bürgern vorzuspielen versuchen. ({13}) Vor den Wahlen geht es um Abrüstung, und nach den Wahlen geht es um Nachrüstung. Jetzt reden Sie für die Null-Null-Lösung, machen aber in Wirklichkeit schon gegen sie mobil. Unter der Hand bereiten Sie die neue Nachrüstung bei den Kurzstreckenraketen vor. Unter der Hand bereiten Sie ein europäisches SDI vor. Dies versuchen Sie gleichzeitig mit einem Abrüstungskonzept gegenüber den Wählern zu verkaufen. Sie sprechen vom Frieden mit immer weniger Waffen, aber die Regierungskoalition hat Angst vor einem Frieden mit immer weniger Waffen. Herr Bundesaußenminister, Sie reden und handeln gemeinsam mit dem Bundeskanzler gegen die Interessen des deutschen Volkes, wenn Sie jetzt nicht eindeutig den Mut haben, sich zur Null-Null-Lösung zu bekennen, wenn Sie nicht deutlich machen, daß Sie sich von der Interviewpraxis des Bundeskanzlers im Ausland distanzieren. Dieser Bundeskanzler hat im Ausland neue Feindbilder geschürt und nicht Feindschaft abgebaut. ({14}) Er hat die Versöhnung mit Israel gefährdet, er hat neue Befürchtungen in Polen geweckt. Er hat in der Sowjetunion alte Feindbilder belebt und gegenüber der Sowjetunion neue Feindbilder belebt. Dieser Bundeskanzler ist nicht in der Lage, in Europa Frieden zu stiften, weil er selber Feindbilder schürt. ({15}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt ein Stück, in dem vom Biedermann und den Brandstiftern die Rede ist. Dieser Bundeskanzler ist einer Voigt ({16}) jener Brandstifter, die sich selber für einen Biedermann halten. ({17}) Er appelliert an die tiefen Instinkte des deutschen Stammtischs, der deutschen Spießbürger, und hofft, durch die Emotionalisierung der Vorurteile, die dumpf in der Vergangenheit unseres Volkes wurzeln, wieder eine breite Mehrheit in diesem Volk parlamentarisch zu repräsentieren. ({18}) Der Appell an die niedrigsten Instinkte im deutschen Volk weckt einen Ungeist, der anschließend im Ausland Sorge und Befürchtung weckt. Sie säen jetzt, was möglicherweise andere ernten. Ich bitte Sie und appelliere an Sie, diesen Appell an die dumpfen Emotionen der Vorurteile gegen Minderheiten, gegen unsere östlichen Nachbarn und auch gegen Minderheiten im eigenen Lande im Wahlkampf nicht zuzulassen, sondern sich auf die demokratischen Traditionen unseres Grundgesetzes zu besinnen und auch im Wahlkampf den Appell an die niedrigsten antidemokratischen Instinkte fallenzulassen und nicht fortzuführen. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es liegen mir aber viele Beschwerden aus der Bevölkerung über die Unruhe in diesem Saal vor. Ich übermittle Ihnen dies gerne einmal, weil alle Präsidenten immer den Versuch machen, uns alle dazu zu bringen, daß wir uns in dieser Hinsicht ein wenig vorbildhafter verhalten. ({0}) Meine Damen und Herren, es haben zwei Kollegen gewünscht, eine persönliche Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung abzugeben. Zuerst hat dazu der Abgeordnete Waigel das Wort.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe heute vormittag in meinem Debattenbeitrag ausweislich des Protokolls u. a. folgendes gesagt: Können Sie sich eigentlich noch erinnern, was Oskar Lafontaine im „Stern" über die Blutspur von Rosa Luxemburg bis hin zu Helmut Schmidt gesagt hat? Abweichend vom Manuskript habe ich in freier Rede ein Interview von Oskar Lafontaine im „Stern" vom 15. Juli 1982 und einen Artikel im „Vorwärts" verwechselt. Das bedauere ich. Diese Richtigstellung ist im Interesse der Beteiligten und der Tatsachenfeststellung notwendig. In dem Gespräch von Herrn Lafontaine mit dem „Stern" vom 15. Juli 1982 heißt es: Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit ... . Er fährt dann fort: Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben. Das ist es, was ich in meinem Debattenbeitrag kritisieren und angreifen wollte. Darauf hat Helmut Schmidt - und auch das habe ich in meiner Rede angesprochen - mit Schreiben vom 14. April 1986 geantwortet, und zwar an den Parteivorsitzenden: Ich habe seinerzeit ohne gehörige öffentliche Gegenäußerung meinerseits ertragen, daß ein Mitglied des Parteivorstandes mir öffentlich attestiert hat, mit meinen „Sekundärtugenden" könne man auch ein KZ leiten. Das apostrophierte Interview im „Vorwärts" vom 5. April 1986 - Margarethe von Trotta über „Rosa" und die SPD: Damals hatten die Frauen mehr zu sagen -, hat folgenden Wortlaut: Durch die deutsche Geschichte zieht sich eine Blutspur - ({0}) - Ich lege hier die Quellen und Dokumente offen, damit keinerlei Verwechslung mehr passieren kann. ({1}) Ich wiederhole das: Durch die deutsche Geschichte zieht sich eine Blutspur. Vom Berliner Landwehrkanal, in den die Reichswehr die Leiche der ermordeten Luxemburg warf und mit dessen nachtschwarzem Wasser dieser Film endet, zieht diese Blutspur sich über Auschwitz und Dachau, über Benno Ohnesorg, Rudi Dutschke und Stammheim bis zu Günther Sare, der vor ein paar Monaten in Frankfurt von einem Wasserwerfer zermatscht wurde. Dagegen hat sich wiederum im gleichen Brief, den ich vorher zitiert habe, abgedruckt in der „Frankfurter Rundschau", Helmut Schmidt entschieden verwahrt und das zurückgewiesen. Ich stelle hiermit die Fakten an Hand der vorliegenden Quellen und Dokumente richtig. ({2}) Ich bleibe bei meiner Aufforderung: Bringen Sie zunächst solche Äußerungen in Ihrer Partei in Ordnung, bevor Sie den Stil anderer kritisieren. Das Motto „Versöhnen statt Spalten" sollten Sie zunächst in den eigenen Reihen ernst nehmen, bevor Sie andere anklagen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Waigel, Sie haben den Ministerpräsidenten des Saarlandes für eine Äußerung in Anspruch genommen, die er nicht geDr. Vogel tan hat. Der „Vorwärts"-Redakteur, der diese Äußerung getan hat, ist entlassen worden. Es ist hoch bedauerlich, daß Sie sich für diese verleumderische Äußerung nicht entschuldigt haben. ({0}) Der Herr Bundesaußenminister hat ausgeführt, alle Bundesländer - auch die sozialdemokratischen Bundesländer - hätten im Jahre 1975 einen Gesetzentwurf eingebracht - er hat dies zu mir gewandt ausgeführt -, in dem vorgesehen gewesen sei, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch bei Mord völlige Straffreiheit eintreten könne. Herr Bundesaußenminister, Sie haben geirrt. Die Wahrheit ist, daß der Bundesrat einstimmig, also mit der Stimme des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Genscher, diesen Vorschlag nicht gemacht hat, sondern - ({1}) - Nordrhein-Westfalen hat sich durch die Argumentation überzeugen lassen. Es war also einstimmig. ({2}) - Ja, das ist der Unterschied zu Ihnen: Sie lassen sich nicht überzeugen, Sie halten an Ihrem Irrtum fest. ({3}) Mir geht es jetzt, Herr Kollege Genscher - vielleicht können wir das jetzt gleich in der Sitzung in Ordnung bringen -, um die Tatsache: Der Bundesrat hat, anders als Sie es behauptet haben, keine Lösung vorgeschlagen, die Straffreiheit für Mord vorsah, sondern einstimmig bei Mord nur eine Strafmilderung nach Versuchsgrundsätzen vorgesehen. Ich überreiche Ihnen die Drucksache und wäre dankbar, wenn Sie, anders als Herr Kollege Waigel, die Sache gleich in Ordnung brächten. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort zu einer weiteren Erklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe die folgende Erklärung ab: Ich habe mich bei meinem Diskussionsbeitrag auf das Protokoll des Bundesrates vom 11. Juli 1975 bezogen. Dort ist eine Erklärung des Herrn Justizministers Dr. Posser, Nordrhein-Westfalen, wiedergegeben, in der es heißt: ({0}) - Gut. Können wir uns darauf verständigen, daß Sie nur Zwischenrufe machen, wenn etwas streitig ist, Herr Kollege? ({1}) - Danke. Ich zitiere also aus dem Beitrag des Herrn Kollegen Dr. Posser: Der Gesetzesvorschlag der Bundesregierung weicht in einem entscheidenden Punkt von dem Gesetzentwurf des Bundesrates ab. Er sieht bei Straftaten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, nur die Möglichkeit der Strafmilderung, nicht aber die Möglichkeit des Absehens von der Bestrafung vor. So Herr Dr. Posser. Er führt weiter aus: Im übrigen ergibt sich aus dem Gesetzentwurf des Bundesrates, daß in den Fällen, in denen an sich eine lebenslange Freiheitsstrafe verwirkt ist, nur ausnahmsweise ein völliger Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch in Betracht kommt. Daher würde ich es begrüßen, - so weiter Herr Dr. Posser wenn der Bundesrat insoweit der Empfehlung des Rechtsausschusses folgte, in welcher der Gesetzentwurf des Bundesrates aufgegriffen ist. Ich kann das nur so wiedergeben. Darauf habe ich mich bezogen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, nachdem wir nun alles von allen Seiten ganz genau dokumentiert wissen und danach unsere Möglichkeiten bei der Abstimmung ausrichten können, kommen wir zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6558 unter Ziffer 1. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 04 - Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - in der Ausschußfassung. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP verlangen gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, in meinem Vademecum steht, daß jetzt die Mittagspause eintritt. Damit kann ich Sie leider nicht beglücken. Wir machen eine Pause, bis das Ergebnis der Auszählung mitgeteilt werden kann. Dann setzen wir die Debatte mit der Beratung des Einzelplanes 05 - Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - fort. Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, auf den Drucksachen 10/6304 und 10/6331 Vizepräsident Westphal bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 412 ihre Stimme abgegeben. Es gab keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben gestimmt: 242 Abgeordnete. Mit Nein haben gestimmt: 170 Abgeordnete. Es hat keine Enthaltungen gegeben. 19 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 11 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 8 Abgeordnete. Enthaltungen hat es nicht gegeben. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 412 und 19 Berliner Abgeordnete; davon ja: 242 und 11 Berliner Abgeordnete nein: 170 und 8 Berliner Abgeordnete Ja CDU/CSU Dr. Abelein Frau Augustin Bayha Dr. Becker ({0}) Berger Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({1}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Breuer Broll Brunner Bühler ({2}) Dr. Bugl Carstens ({3}) Carstensen ({4}) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard ({5}) Eylmann Dr. Faltlhauser Fellner Fischer ({6}) Francke ({7}) Funk Ganz ({8}) Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerlach ({9}) Gerstein Glos Dr. Göhner Dr. Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz ({10}) Haungs Hauser ({11}) Hauser ({12}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({13}) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({14}) Jagoda Dr. Jahn ({15}) Dr. Jobst Jung ({16}) Keller Kiechle Klein ({17}) Dr. Köhler ({18}) Dr. Köhler ({19}) Dr. Kohl Kolb Kraus Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({20}) Lamers Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich Lenzer Link ({21}) Linsmeier Dr. Lippold Löher Lohmann ({22}) Louven Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Dr. Möller Dr. Müller Müller ({23}) Müller ({24}) Müller ({25}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Petersen Pfeffermann Pfeifer Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Reddemann Repnik Dr. Riedl ({26}) Dr. Riesenhuber Rode ({27}) Frau Rönsch ({28}) Frau Roitzsch ({29}) Rossmanith Roth ({30}) Rühe Ruf Sauer ({31}) Sauer ({32}) Saurin Sauter ({33}) Sauter ({34}) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({35}) Schemken Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({36}) von Schmude Schneider ({37}) Dr. Schneider ({38}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({39}) Schulhoff Dr. Schulte ({40}) Schultz ({41}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Dr. Sprung Dr. Stark ({42}) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Strube Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Dr. Unland Vogel ({43}) Vogt ({44}) Dr. Voigt ({45}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Weiß Werner ({46}) Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({47}) Windelen Wissmann Dr. Wittmann Wittmann ({48}) Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Frau Berger ({49}) Boroffka Buschbom Dolata Kalisch Kittelmann Dr. h. c. Lorenz Dr. Pfennig Schulze ({50}) Straßmeir FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({51}) Eimer ({52}) Engelhard Ertl Dr. Feldmann Gallus Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Kleinert ({53}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Dr. Rumpf Schäfer ({54}) Frau Dr. Segall Dr. Solms Dr. Weng ({55}) Wolfgramm ({56}) Berliner Abgeordneter Hoppe fraktionslos Handlos Voigt ({57}) Vizepräsident Westphal Nein SPD Dr. Ahrens Amling Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({58}) Berschkeit Bindig Frau Blunck Brandt Buckpesch Büchler ({59}) Büchner ({60}) Dr. von Bülow Catenhusen Collet Conradi Dr. Corterier Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Ehmke ({61}) Dr. Emmerlich Dr. Enders Esters Ewen Fiebig Franke ({62}) Frau Fuchs ({63}) Gerstl ({64}) Gilges Glombig Grunenberg Haehser Hansen ({65}) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Hauck Dr. Hauff Heistermann Herterich Hiller ({66}) Dr. Holtz Frau Huber Ibrügger Immer ({67}) Jahn ({68}) Jansen Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Dr. Klejdzinski Klose Kolbow Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Matthöfer Meininghaus Möhring Müller ({69}) Dr. Müller-Emmert Nagel Nehm Neumann ({70}) Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Paterna Pauli Dr. Penner Pfuhl Porzner Purps Ranker Rappe ({71}) Reimann Frau Renger Reschke Reuter Rohde ({72}) Roth Sander Schäfer ({73}) Schanz Dr. Scheer Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({74}) Schmidt ({75}) Frau Schmidt ({76}) Schmidt ({77}) Schmitt ({78}) Dr. Schöfberger Schreiner Schröer ({79}) Dr. Schwenk ({80}) Sielaff Sieler ({81}) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Steiner Frau Steinhauer Stockleben Dr. Struck Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vogelsang Voigt ({82}) Vosen Waltemathe Walther Weinhofer Dr. Wernitz Westphal Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer ({83}) Wischnewski Dr. de With Wolfram ({84}) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt Berliner Abgeordnete Dr. Diederich ({85}) Egert Löffler Frau Luuk Dr. Vogel Wartenberg ({86}) DIE GRÜNEN Auhagen Bastian Bueb Fischer ({87}) Fritsch Frau Kelly Lange Dr. Müller ({88}) Rusche Dr. Schierholz Schmidt ({89}) Senfft Tatge Tischer Vogel ({90}) Volmer Frau Wagner Werner ({91}) Frau Zeitler Berliner Abgeordneter Ströbele Damit ist der Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts, angenommen worden. Ich rufe nun auf: Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - Drucksache 10/6305, 10/6331 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Rose Hoppe Suhr Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6506 bis 10/6510 und 10/6558 unter Nr. 2 vor. Vielleicht darf ich den Geschäftsführer der GRÜNEN bitten, rechtzeitig hier oben bekanntzugeben, ob wir das in einer Abstimmung erledigen können oder ob getrennte Abstimmungen notwendig sind. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung des Ältestenrats sind für die Beratung bis zu zwei Stunden vorgesehen. Es muß j a nicht so sein. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Würtz.

Peter Würtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorgelegten Haushaltsentwurf im September hat sich die Bundesregierung nicht mit Ruhm bekleckert. Nach den Beratungen im Haushaltsausschuß und den dort vorgenommenen Nachbesserungen, insbesondere im Personalbereich, kann man von einem befriedigenden Etat sprechen. Ich will meinen Kollegen Rose und Hoppe deutlich sagen, daß sie dabei kräftig mitgeholfen haben. Meine Damen und Herren, die Gesamtausgaben steigen zwar etwas geringer als im Entwurf vorgesehen - dies wegen der Dollarkursanpassung bei den Pflichtbeiträgen zu internationalen Organisationen -, sind jedoch mit 3,2 % beachtlich. Schon jetzt möchte ich aber auf einen Schönheitsfehler hinweisen: Die von den Koalitionsfraktionen beschlossenen globalen Ausgabensperren von 3 bzw. 6 % bei den Arbeitsmitteln der Auslandsvertretungen werden erhebliche Sorge bereiten, denn gerade hier besteht besonderer Nachholbedarf. Ich halte nichts davon, mit der einen Hand zu geben und mit der anderen zu nehmen. Ich glaube, dies ist keine glückliche Entscheidung. Demgegenüber sind im Personalbereich 101 neue Stellen sowie Mittel für 44 zusätzliche Hilfskräfte im Haushalt enthalten, so daß man hoffen kann, daß der Haushalt damit bei der Wahrnehmung der zusätzlichen Aufgaben im Bereich des Asyls und der Sicherheit gute Erfolge zeitigen wird. Nun soll allerdings nach dem Beschluß der Regierungsfraktionen durch Stelleneinsparungen ein Teil von dem wieder genommen werden, was vorher aus guten Gründen bewilligt wurde. Diesem Verfahren können wir nicht zustimmen. Natürlich dienen einige dieser neuen Stellen auch dem strukturellen Bedarf; trotzdem müssen im Sinne des von uns für erforderlich gehaltenen Stufenplans folgende Punkte weiterverfolgt werden: Erstens. Für den Ausbau des mittleren Dienstes, für die Erweiterung der Personalreserve sowie für operative Stellen ist mehr Personal notwendig. Zweitens. Der Aufgabenzuwachs muß auch im Amt in Bonn personelle Konsequenzen haben. Ich bin es leid, immer wieder darauf hinweisen zu müssen, daß wir bis zum heutigen Tage in der Zentrale in Bonn kein ausreichendes Personal für soziale Dienste und Frauenfragen, für die technischen Bereiche und für das Krisenmanagement haben. Ich halte es geradezu für beschämend, daß wir immer wieder davon hören, daß ein Mitarbeiter wegen völliger Arbeitsüberlastung und ungenügender Beachtung der körperlichen und der seelischen Belastung durch den Dienst im Ausland keinen Ausweg mehr wußte. Hier ist nach meiner Auffassung dringend Abhilfe geboten. Drittens. Weitere Stelleneinsparungen sollten im vorliegenden Haushalt 1987 durch das Auswärtige Amt nicht mehr erbracht werden. Meine Damen und Herren, ich freue mich aber darüber, daß beim Ehegattenzuschlag zum erstenmal ein Mindestbetrag von 100 DM eingesetzt wurde, obwohl ich gern der Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses, den Ehegattenzuschuß höher anzusetzen, gefolgt wäre. ({0}) Für den Ehegattenzuschlag bei der Aufwandsentschädigung müssen nach meiner Meinung Faktoren wie Aufgabe des Berufs, Verlust der eigenen Alters- und Sozialversorgung, kostenlose Mitarbeit der Ehefrau sowie besondere Schwierigkeiten der privaten Lebensführung und der Schulausbildung der Kinder im Ausland angemessener berücksichtigt werden. Ich glaube, daß im sozialen Bereich hingegen gewisse Verbesserungen erreicht sind, insbesondere bei der Bemessung des Kaufkraftausgleichs für den einfachen und den mittleren Dienst, beim Mietzuschuß, bei den Schulbeihilfen sowie bei den Reisebeihilfen im Ausland. Weitere Verbesserungen werden vor allem im Sinne der jüngsten Empfehlungen des Auswärtigen Ausschusses und des Innenausschusses geprüft werden müssen. Ich denke dabei an die Verbesserung der Ersatzleistungen für Ehepartner bei Körper-, Sach- und Vermögensschäden, an eine Ausweitung der Sonderurlaubsverordnung für Ehepartner, an die Verbesserung der versorgungsrechtlichen Lage der Ehepartner sowie an die Anhebung und Vereinheitlichung des Auslandszuschlags für den einfachen und den mittleren Dienst. ({1}) Sicher müssen wir auch die Abschaffung des negativen Kaufkraftausgleichs prüfen. Die Sach- und Investitionsausgaben sind für das Funktionieren unseres auswärtigen Dienstes von erheblicher Bedeutung. Hier gab und gibt es Engpässe, die infolge der überproportionalen Kostensteigerungen im Ausland das Arbeiten erschwert oder sogar beeinträchtigt haben. Ich bin der Auffassung, daß wir der Gefährdungslage der Mitarbeiter im Ausland noch mehr Beachtung schenken müssen. ({2}) Mit der Entscheidung, bei den Bewachungskosten die Zweckbestimmung des Titels zu erweitern, sind wir, so glaube ich, auf dem richtigen Wege. Eine moderne Büro- und Informationstechnik ist für den auswärtigen Dienst unerläßlich, soll die wachsende Flut der Informationen und der Informationsverarbeitung bewältigt werden. ({3}) Dies wird eine gewisse Stellenvermehrung unumgänglich machen. Die Ausgaben für politisch-operative Aufgaben sind das Handwerkszeug unseres Dienstes und des Bundesaußenministers. In Anbetracht der Zeit möchte ich hier nur auf die humanitäre Hilfe und unseren Beitrag für den Hohen Flüchtlingskommissar eingehen. Wie im Vorjahr haben wir die humanitäre Hilfe mit 54 Millionen DM angesetzt. Diese Ausgaben für die Sofort- und Katastrophenhilfe sowie die Flüchtlingshilfe sind bedeutsam und werden vom Bundesfinanzministerium wie bisher bei nicht vorherzusehenden Ereignissen auf Grund des Notfallcharakters aufgestockt. Der Haushaltsausschuß hat einvernehmlich unseren Regelbeitrag für den UNFlüchtlingskommissar um eine Million DM auf sieben Millionen DM erhöht. Mit unseren Gesamtleistungen für den UNCR liegen wir 1986 nach dem derzeitigen Stand an der zweiten Stelle hinter den USA, ein nach meiner Meinung für die Bundesrepublik Deutschland annehmbaren Platz. Ich bin auch der Auffassung, daß der Bundesaußenminister mit der Entscheidung des Haushaltsausschusses für das Programm „Südliches Afrika", den zusätzlichen Verpflichtungsermächtigungen für 1988 bis 1990 von 12 Millionen DM, gut leben kann. Wir haben eine Sperre im Haushaltsausschuß für dieses Programm, das ja die verehrte Frau Kollegin Hamm-Brücher ins Leben gerufen hat, eingebracht. Aber ich glaube, daß wir gerade in diesem Bereich für die Benachteiligten in Südafrika etwas tun können. ({4}) Meine Damen und Herren, der Haushalt des Auswärtigen Amtes schafft die Voraussetzungen zur sachgerechten Arbeit für die Bürger unseres Landes und auch unserer Industrie im Ausland. Herr Bundesaußenminister, nützen Sie diese Chance! ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Würtz hat mit freundlichen Worten ausgedrückt, daß wir uns alle im Haushaltsausschuß sehr bemüht haben, den Einzelplan des Auswärtigen Amts auch für das Jahr 1987 zu neuen Höhen zu bringen und damit dem Außenminister auch die Gelegenheit zu geben, seine und der Bundesregierung Außenpolitik durchzusetzen. Ich möchte, weil es heute den ganzen Tag über doch einige außenpolitische Irritationen gegeben hat, bevor ich auf den Haushalt selber eingehe, noch ein bißchen was über Probleme sagen, die wir in der letzten Zeit in der Presse gelesen haben: daß z. B. eine deutsch-sowjetische Verstimmung eingetreten sei, daß, wie es heute dauernd geheißen hat, mit dem Nahen Osten etwas passiert sei oder daß wir mit Südafrika oder mit verschiedenen anderen Problemregionen in der Welt zu tun hätten. Immer wieder nämlich lauten Zeitungsüberschriften: Moskau setzt die Kampagne gegen Bonn fort. In der Tat, meine Damen und Herren, muß es sich um eine Kampagne im wahrsten Sinne des Wortes handeln; denn die angelsächsische Bedeutung dieses Wortes entspricht unserem Begriff Wahlkampf. Und darum handelt es sich. Wer nämlich unterhalb der donnernden Schlagzeilen liest, weiß, daß die praktische Politik gegenüber den Ostblockstaaten eigentlich recht vernünftig und erfolgreich ist. Eben hat z. B. der tschechoslowakische Außenminister Chnoupek die Beziehungen zu Bonn positiv beurteilt. Da klingt es eben nicht anders als komisch, wenn man uns Deutschen ab und zu revanchistische oder militaristische Tendenzen unterstellt. Dieses Ritual der Ablenkung oder der Gegnereinschüchterung brauchen die sozialistischen Staaten offensichtlich. Doch nicht wir sind es, die 1968 die Tschechoslowakei überfallen haben, ({0}) nicht wir sind es, die in Afghanistan einmarschiert sind, und nicht wir sind es, die friedliche Spaziergänger jenseits unserer eigenen Grenzen erschießen. Weil heute vormittag so viel von „Weiter so!" die Rede war - und da hieß es: Wir Sozialdemokraten nicht! -, sage ich: Von uns aus ist diese Politik, die von der anderen Seite gemacht wird, nicht zu unterstützen. Nicht weiter so! Meine Damen und Herren, wenn man diese und andere Völkerrechtsverletzungen beim Namen nennt, ist man noch lange kein Revanchist. Wir wollen nur die Wahrheit sagen, damit Unrecht nicht auf Dauer zugelassen wird. Das ist unsere Auffassung von Politik. Die SPD sollte daher lieber die Gemeinsamkeit der Demokraten betonen und sich nicht ständig auf die Seite der anderen begeben; denn was sie jetzt gemeinsam mit den GRÜNEN macht, ist meinem Geschmack nach schändlich. ({1}) Beide Gruppen, SPD und GRÜNE, fallen der Bundesregierung ständig in den Rücken. Das Lob aus den Kreml-Gemächern wird einer fairen Oppositionsarbeit vorgezogen. Da paßt es ins Bild, wenn man alles Böse in Washington und in Bonn, das Zukunftsheil der Meinschheit aber in Moskau wittert. Die früher von der SPD so scharf zurückgewiesene Tatsachenbehauptung von einer Bedrohung durch den Osten wird in roter Magie zu einer Bedrohung aus dem Westen umgesetzt. Soweit haben es Desinformation und rot-grüner Gedächtnisschwund inzwischen gebracht. Da steht von Herrn Ehmke am 24. September 1986 in der „Neuen Ruhr-Zeitung", er sei für den Abzug der US-Truppen aus Europa. ({2}) Wenn ich mir das in dem Zusammenhang vorstelle, daß wir wegen der geburtenschwachen Jahrgänge sowieso Schwierigkeiten haben, heißt das nur, daß die Amerikaner verschwinden sollen, damit andere die Macht in Westeuropa erhalten. Da hilft, meine Damen und Herren, um mit Ihrem Kanzlerkandidaten zu sprechen, wirklich nur noch ein Bibelspruch: Sehet euch vor vor falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. ({3}) Matthäus 7,15 - damit Sie auch wissen, wo Sie nachlesen müssen. Meine Damen und Herren, es ist heute vormittag auch noch einmal gesagt worden und paßt in diesen Zusammenhang, daß der bremische Senator Scherf dem amerikanischen Präsidenten etwas Schlimmes gewünscht hat. Es hat hier so geheißen, als habe man sich davon distanziert. Ich möchte noch mal aus einer Zeitung vom 25. Oktober 1986 zitieren, weil es hier heißt: Henning Scherf wörtlich: „Wenn Reagan in die Grube fährt, ist der Krieg zu Ende. Die Friedens- und Aufbauperspektive der mittelamerikanischen Republik ist eng mit der Person des US-amerikanischen Präsidenten verbunden." Er hat also wörtlich gesagt: „Wenn Reagan in die Grube fährt ...". Er hat es später noch in der „Nordsee-Zeitung", am 18. November 1986, vertieft, indem er sagte, man könne in dieser Situation, bei der es ums tägliche Überleben gehe, nicht mit dem europäischen Pazifismus kommen. Aber die Chancen der Nicaraguaner stünden dann gut, wenn der USPräsident, der sich selbst als Contra bezeichne, in zwei Jahren, bei der nächsten Wahl, sein Amt aufgeben müsse, es sei denn - so steht hier wörtlich zitiert -, „er geht vorher mit seinem Krebs unter die Erde. Hoffentlich kommt der Wechsel vor zwei Jahren". ({4}) Meine Damen und Herren, wenn Sie das immer noch nicht glauben sollten: In „Radio Bremen" fragte am 21. November dieses Jahres Hans Jürgen Pape den Senator Scherf: Ist das nun wörtlich so wiedergegeben? Haben Sie das so gesagt? Darauf Bürgermeister Dr. Henning Scherf: Ich habe eine freie Rede gehalten. Ich habe überhaupt nicht gewußt, daß ein Journalist dabei war. Ich weiß nicht jedes Wort genau. Und meine Auffassung kann ich Ihnen sagen. Die habe ich da gesagt. Die sage ich auch an jedem anderen Platz. ({5}) Ich bin davon fest überzeugt, daß, sobald der amerikanische Präsident Reagan sein Amt niederlegt, egal wie, egal durch welche ... Der Satz wird dann ein bißchen verworren. Er geht nicht mehr richtig zu Ende. Unten heißt es: Das hat nichts damit zu tun, daß ich dem amerikanischen Präsidenten den Tod wünsche. Ich wünsche ihm aber und den vielen, die seine Opfer sind in Nicaragua, daß seine Arbeit so schnell wie möglich zu Ende geht. Jeder Tag, den er da länger im Amt ist, bedeutet in Nicaragua für unschuldige Menschen den Tod. Und das ist für mich nicht eine Sache, die mich links liegen läßt ... ({6}) Im Grunde behauptet er nach wie vor dasselbe: Jeder Tag, den Reagan eher aus seinem Amt geht - wie er sagte -, egal wie, ist ihm nur angenehm. Meine Damen und Herren, was ist dazu zu sagen? Warum stellen Sie sich nicht hierher und fordern genauso die Distanzierung? ({7}) - Ich fordere sie von Ihnen. Er hat sich nicht selber distanziert. Er hat es noch mal bestätigt, daß er im Grunde genommen so denkt. Ich möchte, daß Sie sich von solchen Aussagen distanzieren, weil das mit einer friedlichen Zusammenarbeit sowohl im westlichen Bündnis als überhaupt unter gesitteten Menschen nichts mehr zu tun hat ({8}) und mit „Weiter so", wie Herr Vogel heute vormittag sagte, schon zweimal nicht. Meine Damen und Herren, jetzt viel zum Haushalt im einzelnen, was Stellen, Verbesserungen und Zukunftsaufgaben angeht, zu sagen, ist nicht mehr nötig. Kollege Peter Würtz von der Sozialdemokratischen Partei, nicht von den Sozialisten, hat hier schon vieles erwähnt. ({9}) - Das ist dem Kollegen Peter Würtz sehr angenehm. Er würde sich niemals als Sozialist bezeichnen lassen. Er hat hier erwähnt, daß wir vieles gemacht haben, um dem auswärtigen Dienst insgesamt zu einem besseren Zukunftsbild zu verhelfen und damit auch dazu beizutragen, daß unsere Diplomaten in der Welt draußen die zukünftigen Aufgaben besser bewältigen können. Das ganze Parlament hat sich bemüht, und manche Kollegen bei Koalition wie Opposition schufteten als Vordenker. Ich freue mich, daß sich der Auswärtige Ausschuß, daß sich die Frau Kollegin Huber und eine Reihe anderer sehr bemüht haben, um Verbesserungen zu bringen. Vorgedacht haben diese Kollegen. Nachdenken mußten wir im Haushaltsausschuß, wie man das in die Tat umsetzt. Wir können insgesamt zufrieden sein. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der gesamte Einzelplan des Auswärtigen Amtes mit seiner Steigerungsrate von 3,2 % ist Grundlage einer Politik, die auf den Frieden und den spezifischen deutschen Beitrag zur Freundschaft der Völker ausgerichtet ist. Die Steigerungsrate könnte im übrigen noch deutlicher ausfallen, wäre nicht durch die Dollarkursentwicklung eine sinnvolle Ausgabenbremsung eingetreten. Hier wirkt sich die Stärke der D-Mark und damit die Leistungskraft der deutschen Währung aus. Außenpolitik zu betreiben mit dem Hintergrund einer kräftigen Wirtschafts- und Währungsmacht bringt doppelten Spaß. Diesen Vorzug vernünftig einzusetzen, erwartet sich der Steuerzahler nach dem alten lateinischen Satz „Do ut des": Man darf auch durchaus etwas nehmen, wenn man etwas gibt. ({10}) - Dieser Satz ist vielleicht auch nicht verkehrt. Bei Ihnen wäre es gut, wenn Sie sich beide Hände waschen würden. ({11}) Meine Damen und Herren, es stand längere Zeit nichts in unseren Medien über Südafrika. Es ist reiner Zufall, daß heute plötzlich wieder wegen eines Ereignisses, das eine Werft zu verantworten hat, über Südafrika gesprochen wird. Ich bin - ich sage das ganz offen - zunächst nicht dafür gewesen, daß man bei dem Sonderprogramm „Südliches Afrika" eine große Aufstockung macht. Wir Berichterstatter, die Kollegen Peter Würtz, Günther Hoppe und ich, haben uns trotzdem dazu durchgerungen, zunächst einen kleinen Sockel dazuzugeben, eine Erhöhung von drei auf dreieinhalb Millionen DM. Aber es gab am Schluß bei den HaushaltsberatunDr. Rose gen doch noch die deutliche Aufstockung um 12 Millionen, zwar nicht in einem Jahr, sondern in einem gestreckten Zeitrahmen. Das Ziel ist klar. So wie der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 25. September dieses Jahres angekündigt hat, man wolle ein Ausbildungsprogramm für die schwarze und farbige Bevölkerung und deshalb zusätzliche Haushaltsmittel auf den Weg bringen, so ist es jetzt geschehen, nach dem klaren Motto: versprochen und gehalten, und nach der Devise: Verstärkte kulturelle Zusammenarbeit mit der nichtweißen Bevölkerung ist ein Schritt zur friedlichen Zukunft Südafrikas. ({12}) Denn Bildungsförderung ist das wichtigste Instrument der Chancengleichheit. Meine Damen und Herren, natürlich wollen wir keinen umgekehrten Rassismus. Die weiße Bevölkerung Südafrikas wird von uns deshalb nicht vernachlässigt und schon gar nicht verteufelt. Doch Hilfsprogramme haben eher die nichtweißen Bevölkerungsteile nötig. So sollen die vorhandenen deutschen Schulen und sonstigen Bildungsprogramme zunehmend den Nichtweißen erschlossen werden. Wir Deutsche treten nicht als Weltverbesserer auf. Aber wir freuen uns, wenn Menschen in anderen Regionen der Welt unsere Angebote annehmen. Da allerdings der gesamte Inhalt des erweiterten Sonderprogramms „Südliches Afrika" noch nicht klar ist, haben wir - wie bereits erwähnt - eine qualifizierte Sperre ausgesprochen. Denn Parlamentarier wollen mitreden, wenn die Regierung etwas tut. Das ist das originäre Recht des Parlaments. Das wollen wir auch einsetzen. ({13}) Meine Damen und Herren, die Haushaltszahlen bestätigen die große Bedeutung des Gesamthaushalts des Auswärtigen Amtes, aber ganz besonders auch die des Kulturhaushalts. Wir haben hier eine Zuwachsrate von 5,4 % zu verzeichnen. Sie liegt also deutlich über der des Gesamthaushalts von 1,9%. Von 728 Millionen DM in 1982 steigerte man sich auf 864 Millionen DM im Jahre 1987. Trotzdem muß man selbstkritisch zugeben: Der große inhaltliche Sprung nach vorn ist noch nicht gelungen. Die erste Regierungserklärung des Bundeskanzlers von 1983 pflanzte nämlich die Förderung der deutschen Sprache klar in den Mittelpunkt der auswärtigen Kulturpolitik. Die Erfüllung dieser Kanzlerworte würde mehr Geld erfordern. Wir müssen erst überlegen, wie wir das schaffen. Ich meine, wir sollten uns in Zukunft mehr um die Investitionen im Außensektor bemühen. Um-und Neubauten sowohl der deutschen Schulen als auch der Botschaften wären dringend notwendig. Hier kann man gegenrechnen: Mieten kosten oft viel mehr, als wenn man in die Zukunft investiert. ({14}) Die Diskussion über das Schicksal der weiteren deutschen Schul- und Kulturpräsenz im Ausland muß daher sofort beginnen. Die Öffentlichkeit sollte die Tatsache wissen, daß es auch neue Wirkungsorte des Goethe-Instituts gibt, nämlich Budapest und Peking, was ab dem nächsten Haushalt insgesamt anlaufen soll. Ich bin dankbar, daß man auch in sozialistischen Ländern mit dem Goethe-Institut zu einer Regelung kommt. Nun noch ein Sonderproblem, nämlich die internationalen Organisationen. Eine davon, die UNESCO, ist schon lange im Gerede, und ich betone nochmals den klaren Austrittsbeschluß des CSUParteitages. Ich muß die Bundesregierung hier noch einmal auffordern, ihre bisherige Haltung zu überprüfen. Leider ist aber auch die Organisation der Vereinten Nationen ins Gerede gekommen. Am letzten Wochenende berichtete die „Süddeutsche Zeitung", daß die UNO vor dem finanziellen Ruin steht. ({15}) Nicht der Absprung der USA ist diesmal schuld, sondern die Säumigkeit vieler Länder und vor allem die Haushaltspraxis. Wer an die Geschichte des Völkerbundes denkt, kann die Zerschlagung der Vereinten Nationen natürlich nicht wollen, auch nicht deren finanzielles Ausbluten, allerdings auch nicht die östliche Zahlungsnachlässigkeit bei gleichzeitiger antiwestlicher Propaganda. ({16}) Ich erwarte von der Bundesregierung auch hier ein schlüssiges Konzept, wie ohne zusätzliche deutsche Finanzbelastung der Krise der UNO Einhalt geboten werden kann. Es zahlt sich hier bestimmt aus, daß Herr Außenminister Genscher nahezu jeden Winkel der UNO kennt und daß er deshalb seine verantwortungsvolle Tätigkeit dort erfolgreich einsetzen kann. Meine Damen und Herren, wir haben mit dem Haushalt des Auswärtigen Amts eine Zukunftsinvestition gemacht. Die GRÜNEN haben wieder eine Reihe von Änderungs- und Streichungsvorschlägen eingebracht, die alle inkonsequent sind, besonders auch beim Ausstattungshilfeprogramm; denn hier würde die deutsche Außenpolitik gerade in der Dritten Welt deutlich zurückgeworfen. Wir können diesen Änderungsanträgen nicht zustimmen. Für unsere Seite, für die CDU/CSU-Fraktion, kann ich die Bundesregierung nur ermuntern, das bisherige 56-Millionen-DM-Programm fortzusetzen. Wir selber stimmen dem Haushalt des Bundesministers des Auswärtigen zu. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer ({0}).

Ulrich Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000556, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn ich mich kurzfassen will, will ich Ihnen unsere Vorstellungen von Außenpolitik skizzieren, einer Außen19362 Fischer ({0}) politik, die sich an den Interessen der Menschen orientiert und nicht an den Interessen von multinationalen Konzernen, sogenannten Bündnisinteressen und einer weltweiten Sicherheitspolitik, die nach unserer festen Überzeugung die Freiheit aller Menschen zunehmend bedroht. Wir treten für eine grundsätzliche Entmilitarisierung der internationalen Politik der Bundesrepublik ein. Die Probleme dieser Welt, Hunger und soziales Elend in der Dritten Welt, ökologische Krisen, die drohende Atomkriegsgefahr, können nicht durch die Anhäufung von immer mehr Waffen und neuen, effektiveren Polizeiapparaten gelöst werden. Wir treten ein für eine grundlegende Zivilisierung von Macht, d. h. für eine Entmilitarisierung in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft, im ökonomischen Bereich, wo wir alle diejenigen unterstützen, die darüber nachdenken, wie die Produktion von Waffen auf die Produktion von zivilen Produkten umgestellt werden kann, im kulturellen Bereich, wo wir uns gegen die Militarisierung der Sprache, gegen die Darstellung militärischer Heldenfiguren, wie „Rambo", wehren, im Verhältnis zur Natur, wo wir alle die zerstörerischen, industrialistischen Scheinsiege über die Natur in aller Welt erleben, die immer häufiger zu neuen Katastrophen führen. Das alles heißt aber für uns, an erster Stelle eine Politik der Abrüstung zu verfolgen. Wir GRÜNEN begrüßen die Vorschläge der UdSSR, ohne deshalb unsere vorbehaltlose Verurteilung des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan in irgendeiner Weise in Frage zu stellen; da sind wir mit allen Parteien in diesem Hause einig. Wir wollen aber gleichzeitig mögliche Abrüstungsschritte nicht durch Junktims, welcher Seite auch immer, blockiert sehen, weder durch ein Junktim der Sowjetunion, die jede Abrüstung vom Verzicht auf SDI abhängig macht, noch durch die NATO, die jede Abrüstung an vorherige konventionelle Aufrüstung koppelt. Wir GRÜNE treten ein für einseitige Abrüstungsschritte - auch einzelner Staaten - und hoffen, damit politische Signale für eine Entmilitarisierung unseres Kontinents zu setzen. Wir treten ein für eine Politik der Auflösung der Militärblöcke. Die Blockstrukturen sind schon heute in der Krise. Spätestens in Reykjavik wurde deutlich, daß für die USA mit ihrem starren Festhalten an SDI weder die Interessen der Menschen noch die der anderen NATO-Staaten wichtig sind. Mit SDI wird es „Zonen unterschiedlicher Sicherheit" zwischen Westeuropa und den USA geben, egal, ob dies Herrn Kohl gefällt oder nicht. Die Krise der militärischen Blockstrukturen ist für uns aber zugleich eine politische Krise. Die Blockstrukturen in Europa waren 40 Jahre lang auch ein Mittel, um alte Nationalismen und Chauvinismen stillzuhalten; nicht zuletzt den deutschen Nationalismus und seine verbrecherische Politik in diesem Jahrhundert. Jetzt, wo die Blockstrukturen in die Krise geraten, muß sich die Bundesrepublik entscheiden: Will sie angesichts der Krise der NATO ihre eigene politische und wirtschaftliche Macht durch die Wiederbelebung eines bundesrepublikanisch-deutschen Nationalismus neu definieren? Genau das scheint uns der Weg zu sein, den die CDU/CSU mitsamt ihren ideologischen Beratern in diesen Tagen zu gehen versucht und der unser Land in eine fatale politische, militärische und wirtschaftliche Konkurrenz zu den USA, genauso zur UdSSR, zu Japan und anderen Staaten bringen wird. Wir sind überzeugt, die Bundesrepublik sollte statt dessen die Ansätze zu einer Politik der Versöhnung und der Vertrauensbildung qualitativ verstärken. Wir erinnern an die französische Aussöhnung. Wir erinnern auch an Brandts Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos. Allein eine solche Politik - nicht eine Politik forcierter Konfrontation, Kollege Rose, wie Sie sie vorhin vorgestellt haben - kann nach unserer festen Überzeugung produktive Auswege aus der Krise der bisherigen Bündnissysteme aufzeigen. ({1}) Wir wollen Selbstbestimmung mit freiwilliger Selbstbeschränkung der Bundesrepublik verbinden; Selbstbestimmung insofern, als nicht mehr ausschließlich die Interessen der USA die Außenpolitik der BRD prägen sollten; auch das wurde aus Ihrem Beitrag deutlich, Kollege Rose. Freiwillige Selbstbeschränkung insofern, als wir klarmachen müssen, daß für uns Selbstbestimmung nicht erneut Ausleben eines großdeutschen Machtstrebens bedeuten kann. Eine solche Politik der Selbstbeschränkung heißt für uns konkret: endgültige völkerrechtliche Anerkennung der Grenzen in Mitteleuropa als Voraussetzung für die Durchlässigkeit dieser Grenzen; Anerkennung der DDR - natürlich nicht Anerkennung des Schießbefehls der DDR; das ist für uns ebenso klar -; einseitige Abrüstungsschritte; Verzicht auf den Besitz oder den Mitbesitz, auf die Kontrolle oder Lagerung von ABC-Waffen; Verzicht auf die Ausplünderung der Dritten Welt; Herstellung von gleichberechtigten Beziehungen zu allen Ländern der Dritten Welt. Wir wollen unsere Sicherheit nicht mehr auf die Bedrohung anderer gründen. Wir wollen unseren Reichtum ebensowenig auf die Armut anderer Menschen gründen. Eine solche Politik geht für uns in eins mit allen positiven Ansätzen einer Demokratisierung und Entstaatlichung von Außenpolitik. Von der demokratischen Opposition in Osteuropa haben wir sehr viel über die Bedeutung einer zivilen Gesellschaft gelernt, auch von der Fähigkeit dieser Menschen in Osteuropa, im Widerspruch zu hochgerüsteten Staatsapparaten Beziehungen zu Menschen und Gruppen untereinander und auch im Verhältnis zu anderen Ländern herzustellen. Wir GRÜNEN verstehen uns als eine Kraft, die in solidarischem Dialog über die Grenzen der Blöcke und Nationalstaaten hinweg - auch nach Osteuropa, auch in die Dritte Welt - mit allen zusammenarbeitet, die für Demokratie, für Menschenrechte, die für gerechte Fischer ({2}) soziale Beziehungen, die für Frieden und Umweltschutz eintreten. Erst wenn es wirklich Raum für die Aktivität solcher Bewegungen gibt, werden die Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten aus dem ideologisierten und militarisierten Schlagabtausch zwischen Ost und West herausgelöst werden können. Dann können sie als das gelten, was sie wirklich sind: die solidarische und gemeinsame Anstrengung zur Schaffung menschenwürdiger Verhältnisse. Maßstab unserer außenpolitischen Vorstellungen sind deshalb nicht mehr die Interessen einzelner Nationalstaaten. Es sind die Interessen der einzelnen Menschen, die mehr sind als die Bürger und Bürgerinnen ihres Staates. Es sind die Interessen ökologischer Systeme, die nicht an nationalstaatlichen Grenzen enden. Es sind die globalen Interessen am Erhalt unserer Erde. Außenpolitik muß sich heute nach unserer festen Überzeugung zugleich als Weltinnenpolitik verstehen. In diesem Rahmen müssen gemeinsam Wege gesucht werden, um den inneren und äußeren Frieden, den Frieden zwischen Menschen und Natur, herrschaftsfreie Beziehungen zwischen den Geschlechtern und den Generationen überall auf der Welt herzustellen. Lassen Sie mich in aller Kürze noch einige beispielhafte Anmerkungen zum vorliegenden Einzelplan machen. Wir haben schon im Haushaltsausschuß dagegen protestiert, daß im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes wiederum 164 Millionen DM sogenannter NATO-Verteidigungshilfen auftauchen, die die von uns kritisierte Militarisierung der Außenpolitik voll bestätigen. Diese Gelder kommen vor allem undemokratischen Regimen wie dem der Türkei zugute, das um den Preis des Verzichts auf die Freizügigkeit der türkischen Arbeitsemigranten in Europa u. a. mit diesen Millionen seinen Krieg gegen das kurdische Volk bestreitet und im Auftrag der NATO in benachbarten Staaten, z. B. im Irak und auf Zypern, als regionale Polizei- und Ordnungsmacht agiert. Militärhilfe und Waffenexport als Mittel der Außenpolitik, damit wächst die Gefahr - das Geheimabenteuer des US-Präsidenten im Iran belegt dies nachdrücklich -, daß auch die deutsche Außenpolitik, wenn sie solche Praktiken betreibt, mehr und mehr zum Anhängsel bündnis- und sicherheitspolitischer Interessen verkommt. Und Herr Strauß als designierter Außenminister einer eventuellen zukünftigen CDU/CSU-Alleinregierung ({3}) bestätigt in diesen Tagen diese Linie mit seiner Nebenaußenpolitik in Saudi-Arabien voll und ganz: Die offiziell immer noch beschworene Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik muß nach Meinung der Unionsrechten endlich vom Tisch, das - Zitat Strauß - „Gleichziehen mit der klaren Linie Englands, Frankreichs und Italiens" bei Waffenexporten ist das erklärte Ziel. Auch die im Haushaltsausschuß einvernehmlich festgehaltene Streichung der Polizeiausbildungshilfe an Guatemala im Einzelplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird vor diesem Hintergrund zum Pyrrhussieg, wenn von den Haushältern gleichzeitig auf die Möglichkeit hingewiesen wird, für derartige Ausgaben lieber den entsprechenden Titel im Einzelplan des Auswärtigen Amtes zu nutzen. ({4}) Trotz der von den USA heraufbeschworenen Finanzkrise der Vereinten Nationen, deren materieller Fortbestand über das Jahresende hinaus nach wie vor in den Sternen steht - nichts ist sicher, was die UN anlangt -, wird der Pflichtbeitrag der Bundesrepublik dagegen im Entwurf des Einzelplans auf Grund des günstigeren Dollarkurses sauber um die entsprechenden Millionen heruntergefahren. Auch wir leugnen nicht die notwendigen Reformen innerhalb der UNO, können bisher aber nur erkennen, daß der Versuch der USA, mit finanziellem Druck mehr politischen Einfluß in der UNO zu gewinnen - im übrigen beklagen wir die nicht erfolgten Zahlungen der Sowjetunion und anderer Länder genauso -, die Arbeit großer Teile des für uns alle - für Sie genauso wie für uns - wichtigen Menschenrechtsbereichs der UNO quasi lahmlegt. Die freiwilligen Leistungen der Bundesrepublik im Rahmen der UNO sind unbestritten. Warum aber konnte sich das Auswärtige Amt nicht entschließen, die Mittel für den UNHCR angesichts der weltweiten Flüchtlingskatastrophe einseitig und unabhängig von den Aufwendungen anderer Industriestaaten deutlich heraufzusetzen, wie wir das gefordert haben? ({5}) Warum war es nicht einmal möglich - übrigens der Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses entsprechend -, unseren bescheidenen grünen Wunsch nach einem einmaligen freiwilligen Beitrag von 40 000 DM für den „Voluntary Fund for Indigenous Populations" der UNO im Haushaltsansatz zu berücksichtigen? Die Liste falscher Schwerpunktsetzungen im Rahmen des Entwurfs ließe sich beliebig fortsetzen. Die besonderen Probleme des auswärtigen Dienstes und ihre völlig unzureichende Berücksichtigung im vorliegenden Einzelplan muß ich aus Zeitgründen leider beiseite lassen. Das gleiche gilt für den KSZE-Prozeß, den wir GRÜNE mit großer Aufmerksamkeit verfolgen und dem wir eine außerordentliche Bedeutung beimessen. Gerade aber auch im Hinblick auf die KSZE muß sich der verantwortliche Minister, müssen Sie sich, Herr Genscher, fragen lassen, ob wir Sie mit diesem Haushaltsansatz noch beim Wort nehmen können, daß für Sie, wie Sie seinerzeit versicherten, die Men19364 Fischer ({6}) schenrechtspolitik - ungeachtet aller Bündnisund Wirtschaftsinteressen - Richtschnur Ihres außenpolitischen Handelns sei. ({7}) Ich persönlich glaube ja, daß dies für Sie persönlich die Richtschnur Ihres Handelns ist. Das gilt auch für Ihre Mitarbeiter. Die Mehrheit Ihrer Koalitionspartner und mit Ihnen die Mehrheit des Hauses scheint da jedoch - allen verbalen Beteuerungen zum Trotz - ganz anderer Ansicht zu sein. Ich danke Ihnen. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen vom Haushalt und der Außenpolitik! Es trifft sich j a, daß die Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amts auch die letzte außenpolitische Debatte dieser Legislaturperiode sein wird. ({0}) Ich bin meinen Vorrednern sehr dankbar, daß wir in dieser Runde diesmal der Versuchung widerstanden haben, auch diese Debatte in eine Wahlkampfarena umzufunktionieren. Das ist ein guter Stil. Dennoch ist es eine wichtige, passende und notwendige Gelegenheit, auf den wichtigen Feldern unserer auswärtigen Beziehungen Bilanz zu ziehen und auch einen Ausblick auf die künftige Legislaturperiode zu versuchen. Liebe Kollegen, nachdem wir erst vor wenigen Wochen über die Situation des auswärtigen Dienstes, über seine ja leider weiter anhaltende Personal- und Stellenmisere sowie über die Notwendigkeit der Schaffung eines eigenen Gesetzes für den auswärtigen Dienst sehr ausführlich debattiert haben, möchte ich heute zum Haushalt dieses für unser Ansehen in der Welt so entscheidenden Ministeriums nur noch ganz wenige Sätze verlieren. Es wurde ja auch von den Haushältern erwähnt, daß es trotz einiger erfreulicher Etatverbesserungen und einer Steigerung über den Durchschnitt des Bundeshaushalts hinaus auch in diesem Jahr und für das nächste Jahr bisher nicht gelungen ist, den notwendigen Sprung nach vorn zu tun. Dennoch werden wir uns schrittweise weiter darum bemühen, Herr Minister. ({1}) Denn es geht natürlich nicht an, daß wir auf die Dauer immer nur Löcher stopfen und hinter den dringenden Bedürfnissen dieses Amts hinterherhinken. Zur außenpolitischen Bilanz dieser Legislaturperiode möchte ich für meine Fraktion einige Feststellungen treffen. ({2}) - Es ist ja eine sehr erfolgreiche Bilanz, Herr Kollege Voigt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um allen zu danken, zuvörderst dem Herrn Bundesaußenminister und seinen Mitarbeitern, die zum Erfolg, zum Ansehen, zur Berechenbarkeit und zur Zuverlässigkeit unserer Außenpolitik so entscheidend beigetragen haben. ({3}) - Dazu muß man manchmal fliegen, Herr Kollege Schierholz. Das dürfte Ihnen nicht anders ergehen, falls Sie das mal tun sollten, was ich, ehrlich gesagt, nicht hoffe. ({4}) Wir Liberalen möchten keinen Zweifel auch daran lassen, daß es diese erfolgreiche Außenpolitik ist, die mit an vorderster Stelle der Erfolgsbilanz der Bundesregierung steht. Deshalb können wir Störungen oder auch nur Irritationen dieses Kurses nicht gutheißen. Jede Neben-Außenpolitik, von welcher Seite und aus welcher politischen Richtung auch immer sie betrieben wird, könnte nämlich diesen klaren Kurs gefährden. Wir warnen davor. Außenpolitik steht in der alleinigen Zuständigkeit der Bundesregierung und des hierfür zuständigen Ministers, nicht in der Zuständigkeit einer Partei oder eines Parteivorsitzenden, auch nicht eines Bundeslandes oder seines Ministerpräsidenten. Außenpolitik - das hat das Schicksal großer deutscher Außenpolitiker von Bismarck bis Gustav Stresemann uns doch gelehrt - ist viel zu sensibel, als daß sie sich für die Austragung innen- oder gar parteipolitischer Positionskämpfe eignen würde. Das gilt heute nach unserer Überzeugung vor allem für die geduldige Fortsetzung unserer realistischen Entspannungspolitik. Das gilt auch - nach der Debatte von heute morgen unterstreiche ich das - für die Glaubwürdigkeit unserer Südafrikapolitik. Und das gilt auch für den Fortbestand unserer bisher und, soweit es an uns liegt, sicher auch in der Zukunft weiter gültigen restriktiven Waffenexportpolitik. Unsere außenpolitische Devise ist deshalb: Kurs halten; Irritationen vermeiden; Kurswechsel nicht zulassen. Kurs halten ist das Gütesiegel liberaler Außenpolitik. Wir schätzen uns sehr glücklich, daß wir in HansDietrich Genscher hierfür einen hochqualifizierten ({5}) und weltweit angesehenen Lotsen haben. Den wollen wir auch behalten. ({6}) - Eine Bilanz zu ziehen, ist ja erlaubt. Ich greife niemanden an, sondern ich ziehe Bilanz. Sie können mich ja widerlegen. Aber ich glaube, daß werden Sie gar nicht erst versuchen. ({7}) In diesem Zusammenhang nenne ich einige beispielhafte Meilensteine dieses Kurses aus den letzten Jahren. Der eine ist der europäische Einigungsprozeß. So mühsam und gelegentlich auch wechselvoll er vorangeht, glaube ich doch, mit der Europäischen Akte und dem Weltraumforschungsprojekt Eureka, an dem sich ja auch Nicht-EG-Mitgliedstaaten beteiligen ({8}) - beides übrigens deutsche Initiativen -, wird dieser Prozeß wichtige Fortschritte machen, wenn es gelingt, diese Möglichkeiten nutzbar zu machen. Wenn wir die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt auf solchen wichtigen Feldern europäischer Interessen stärken, wird das zu guter Letzt auch den politischen Einigungsprozeß voranbringen. Hierbei dürfen wir nicht müde werden. Als zweiten Meilenstein und Fortschritt möchte ich die Zusammenarbeit der EG mit anderen regionalen Staatenzusammenschlüssen erwähnen. Hier sind doch sehr erfreuliche Fortschritte bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den ASEANStaaten festzustellen. Auch der Abschluß eines Kooperationsabkommens zwischen der EG und zentralamerikanischen Staaten wird die wirtschaftliche Entwicklung in dieser Region stärken und für beide Regionen von Vorteil sein. So etwas geht hier meistens unter, meine Damen und Herren, aber es ist doch eine wesentliche außenpolitische Leistung, wenn man weiß, wie kompliziert solche Abkommen über regionale Zusammenarbeit sind. ({9}) Ich möchte auch noch eine politische Anmerkung machen; denn es erweist sich als besonders wichtig, Demokratisierungsprozesse in diesen Regionen zu stärken, in Lateinamerika ebenso wie in Südostasien. So begrüßen wir Liberalen beispielsweise ausdrücklich, daß nach dem Besuch von Bundesaußenminister Genscher auf den Philippinen schon bald nach dem - übrigens: verdienten - Sturz von Ferdinand Marcos eine intensive Beratung und Unterstützung der Bemühungen der bewundernswert tapferen Präsidentin Corazon Aquino eingeleitet wurde. Wir wünschen den Bemühungen auch zur inneren Befriedung dieses liebenswerten Landes und seiner liebenswürdigen und liebenswerten Menschen den verdienten Erfolg, und wir wünschen den Frieden in diesem Land. ({10}) Dritter Punkt, meine Damen und Herren: Kurs halten, das gilt auch für unser Verteidigungsbündnis und bei der Realisierung der Devise unserer Regierung „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen". ({11}) - Hören Sie doch mal zu. Ich spreche j a für meine Fraktion. ({12}) - Aber wohl! Herr Genscher hat es heute früh gesagt, und ich wiederhole es für meine Fraktion: Das heißt konkret, wir müssen folgerichtig die in Reykjavik zum Greifen nahen Abrüstungsvorstellungen im Bereich der europäischen Mittelstrekkenwaffen zugunsten einer Null-Lösung auf beiden Seiten ebenso unterstützen wie die schrittweise Reduzierung der atomaren Langstreckenwaffen bis Anfang der neunziger Jahre. Darin stimmen wir doch überein. ({13}) Seit dem ersten NATO-Doppelbeschluß 1979 setzen wir uns im Mittelstreckenbereich für eine Null-Lösung auf beiden Seiten ein. ({14}) Nun, da diese Null-Lösung in Sichtweite ist, dürfen wir sie keinesfalls dadurch gefährden, daß wir die Problematik des Ungleichgewichts bei Kurzstrekkenraketen sozusagen additiv draufsatteln. Natürlich sind wir der Meinung, daß sichergestellt werden muß - Herr Genscher hat es heute früh gesagt -, daß unmittelbar nach dem Abschluß einer Mittelstreckenwaffenvereinbarung auch dieser Bereich konsekutiv ebenso auf die Agenda der Abrüstungsgespräche gehört wie die gleichgewichtige Reduzierung der konventionellen Rüstung. Aber man sollte bitte doch nicht versuchen, eine nun greifbare Chance, die wir früher beinahe nur als einen Traum angesehen haben, durch Draufsatteln zu torpedieren. ({15}) Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die Erklärung der NATO-Minister und die Beschlüsse von Halifax. Sie sind nämlich in diesem Zusammenhang sehr interessant und sehr wichtig. In der ersten Erklärung wird die Politik der Allianz bekräftigt: Der Westen lädt die Staaten des Warschauer Pakts zu Verhandlungen mit dem Ziel ein, zu einer drastischen Reduzierung der Rüstung zu kommen. Diese Politik der Zusammenarbeit und gleichgewichtigen Abrüstung bekräftigt ja auch die Gültigkeit des Harmel-Konzepts für das Bündnis. In einer zweiten Erklärung werden - übrigens zum erstenmal in diesem Rahmen und auf Grund einer deutsch-französischen Initiative - Vorschläge zur umfassenden konventionellen Abrü19366 stung gemacht, weil j a, wie wir alle wissen - die Eingeweihten jedenfalls -, MBFR nur einen kleinen Teilaspekt der konventionellen Rüstung behandelt - und den seit Jahren leider auch ohne Erfolg. Bei dieser Gelegenheit hat sich übrigens einmal mehr gezeigt, wie wichtig unsere enge Zusammenarbeit mit Frankreich ist, und zwar nicht nur für die Europäische Gemeinschaft, sondern auch für das Bündnis. Nun erhoffen wir allerdings für Ende des Jahres auf einen positiven Bericht der in Halifax eingesetzten Arbeitsgruppe zur Konkretisierung dieser Beschlüsse oder Empfehlungen. Der vierte Punkt. Trotz der derzeitigen Trübung des deutsch-sowjetischen Verhältnisses, die wir Liberalen sehr bedauern, besonders bedauern nach dem erfolgreichen Besuch des Außenministers in Moskau in diesem Sommer - wir halten diese Trübung für überwindbar, wenn wir sie hier nicht pausenlos zerreden, meine Damen und Herren von der SPD -, möchten wir feststellen, daß der Dialog mit den Staaten des Warschauer Paktes nicht unterbrochen ist, sondern daß er intensiv fortgesetzt wurde - das hat Herr Kollege Rose, glaube ich, vorhin auch erwähnt - und durch positive Ergebnisse z. B. im Bereich der kulturellen Zusammenarbeit in Ungarn und Rumänien sogar ausgebaut wird. Sehr hoffnungsvoll hat sich die Zusammenarbeit im Rahmen des KSZE-Prozesses entwickelt. Das hat eigentlich kaum jemand erwartet. Wenn wir uns daran erinnern, daß die KSZE-Folgekonferenz von Madrid schon beinahe zu scheitern drohte und nur durch die ungeheuren Anstrengungen auch des deutschen Außenministers dann fortgesetzt wurde, in die KVAE-Konferenz von Stockholm einmündete, dort große Fortschritte erbracht hat, daß nun der hoffnungsvolle Start in Wien hinter uns liegt, dann muß man sagen, daß es ein großes Verdienst und ein positives Ergebnis dieser Legislaturperiode war. Dankbar dürfen wir also feststellen, daß es keinen Rückfall in eine Ost-West-Eiszeit gegeben hat - wie von mancher Seite hier prophezeit -, und hinzufügen, daß wir natürlich alles vermeiden und verhindern müssen, was zu Rückschlägen in diesem diffizilen Bereich führen könnte. ({16}) Kurs halten als Gütesiegel, das wünschen wir Liberalen - das muß ich nach der Debatte von heute früh sagen - auch bei der Fortsetzung unserer Südafrikapolitik. Ich zitiere aus der Entschließung des Rates der Südafrikanischen Christlichen Kirchen: „Apartheid ist Sünde." Meine Damen und Herren, ich glaube, in so wenigen Worten könnte es nicht klarer ausgedrückt werden. ({17}) Und Kurshalten auch bei der Fortsetzung einer restriktiven Waffenexportpolitik und bei der Intensivierung des Nord-Süd-Dialogs und Kurshalten, Herr Kollege Rose, meine ich, im Bereich der Fortsetzung der dringend notwendigen Reformen im Rahmen der UNESCO. Wir möchten aber unserem Außenminister danken, daß wir trotz mancher anderen Meinung in diesem wichtigen multilateralen Gremium weiterarbeiten und daß wir die Reformen, die dort nötig sind, dann auch durchsetzen werden. Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen nachdenklichen Ausblick auf internationale - genauer gesagt: weltweite - Aufgaben machen, bei deren Lösung offenbar die herkömmlichen Instrumente der Außenpolitik nicht mehr voll ausreichen. Hinter dem Begriff „Außenpolitik" verbirgt sich heute ja viel mehr als nur die Pflege zwischenstaatlicher Beziehungen. Auf vielen Feldern ist Außenpolitik zur Weltinnenpolitik geworden. Das heißt: Eine staatenübergreifende Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung liegt vor, wie es im Aufruf für ein Friedenskonzil der Christenheit heißt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum letzten Absatz. Herr Präsident, ich habe schon auf acht Minuten meiner Redezeit verzichtet. Hierzu zählt nicht nur das Bemühen um friedliche Konfliktlösungen in den Krisenherden der Welt. Hierzu gehört auch eine engagierte Menschenrechtspolitik, um die wir uns verstärkt hier im Parlament kümmern wollen. Hierzu gehört die solidarische Bekämpfung des Flüchtlingselends. Und hierzu gehört der Kampf gegen die ökologische Selbstzerstörung unserer Lebensgrundlagen auch in den Entwicklungsländern. Das alles ist nicht mehr Außenpolitik, sondern diese Probleme sind Weltinnenpolitik. ({0}) Wir werden darüber nachzudenken haben, mit welchen besseren Instrumenten sie zu lösen sind. ({1}) Es lag mir daran, nicht nur eine Bilanz zu geben, sondern auch einen Ausblick unserer mühseligen Arbeit zu geben, weil die Verantwortung für die friedliche Entwicklung in der Welt ein besonderes Anliegen unserer deutschen Außenpolitik und Weltinnenpolitik sein muß. Vielen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordneten Stobbe.

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, zu Beginn ein Wort zu Syrien, genauer: zu dem Berliner Urteil und der Beteiligung von staatlichen syrischen Stellen an einem Terrorakt in meiner Stadt Berlin. Es ist ja erst wenige Wochen her, da haben die europäischen Staaten - dazu die USA und Kanada - in Stockholm ein Dokument beschlossen, in dem sie sich feierlich dazu verpflichtet haben, sich gegenseitig beim Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen und terroristische Aktivitäten auf eigenem Boden nicht zu dulden. Ich stelle deshalb die Frage an Sie - die Entwicklung und der Prozeß in Berlin laufen ja schon einige Zeit; die Bundesregierung war darüber unterrichtet -, ob Sie auf Grund dieses Dokuments mit der DDR gesprochen haben, damit sie etwas gegen diese syrischen Stellen unternimmt. ({0}) - Diese Frage haben wir im Ausschuß schon vor geraumer Zeit gestellt. Wenn ja, wäre ich dankbar, wenn Sie etwas dazu sagen könnten. Wenn nein, fordere ich Sie auf, diesen Schritt zu gehen und mit der DDR zu sprechen im Sinne des Stockholmer Dokuments. Ich möchte Sie auch bitten, diese Schritte auf der Grundlage von eigenen Entscheidungen zu gehen, die die Haltung der Bundesregierung im Kampf gegen den Terrorismus dieser Art unter Beteiligung staatlicher Stellen unmißverständlich klarstellen. Das heißt, ich gehe so weit, zu fordern, daß Sie als Bundesregierung bereit sein sollten, auch den Schritt eines Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zu Syrien zu gehen. ({1}) Ich als Sozialdemokrat bin es leid, in der deutschen Innenpolitik von Herrn Geißler der Komplizenschaft mit Terroristen bezichtigt zu werden, nur weil wir einen rechtsstaatlich höchst zweifelhaften Vorschlag aus der Koalition ablehnen, ({2}) und gleichzeitig eine Bundesregierung zu beobachten, die sich in dieser Frage laut Auskunft im Auswärtigen Ausschuß höchst lau verhalten hat. ({3}) Ich wäre dankbar, wenn Sie dazu noch etwas sagen würden. ({4}) Ich wäre auch dankbar, wenn Sie etwas zu den Fragen sagen würden, die Herr Gansel Ihnen heute gestellt hat. Ich habe Sie genau beobachtet und habe genau zugehört: Sie sind ausgewichen. Herr Außenminister, ich muß überhaupt sagen: Ausweichen scheint Ihre Stärke in dieser Koalition zu sein. ({5}) Das reizt dazu, sich in Abänderung einer ursprünglich geplanten Rede mit Ihrer Position in dieser Regierung ein wenig auseinanderzusetzen; denn die Koalition aus CDU, CSU und FDP war ja mit dem Ziel angetreten, im Innern eine konservative Wende zu erzwingen, aber in den Außenbeziehungen sozialliberale Kontinuität walten zu lassen. Das war von Anfang an ein Widerspruch in sich. Die SPD ist deshalb nicht müde geworden, ({6}) Herrn Genscher vor Selbsttäuschung zu warnen; denn der Druck der CDU/CSU auf die geistig-politische Substanz des sozialliberalen Entspannungsdenkens war vorhersehbar, war unausweichlich in dieser Koalition und hat sich, wie die Entwicklung gezeigt hat, schon in der Regierung Kohl/Genscher ständig verstärkt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher?

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja bitte, Frau Kollegin.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, darf ich den Spieß einmal umkehren und Sie fragen, wie es die SPD eigentlich mit der Kontinuität ihrer Außenpolitik in der sozialliberalen Koalition gehalten hat?

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die SPD steht in der Kontinuität ihrer Beschlüsse. ({0}) Die SPD hat im Plenum und in der deutschen Offentlichkeit oft genug darauf hingewiesen. Sie haben Grundlagen der sozialliberalen Entspannungspolitik verletzt, ({1}) u. a. auch dadurch, daß Sie gegen veränderte außenpolitische Parameter beider Weltmächte, aber auch unserer westlichen Führungsmacht, nicht aktiv angegangen sind. ({2}) Heute muß die SPD feststellen, daß in der Regierung Kohl/Bangemann von dieser außenpolitischen Kontinuität keine Rede mehr sein kann. Herr Außenminister, Sie hatten diesen Anspruch auf Kontinuität erhoben, weil er in ganz entscheidendem Maße der Legitimierung des von Ihnen betriebenen Koalitionswechsels diente. Aber wie konnten Sie auch nur einen Augenblick lang annehmen, daß die CDU/CSU Sie bei der Fortführung Ihrer Außenpolitik tatsächlich unterstützen würden? Sie haben bei der Wende so getan, als hätten Sie vergessen, daß diese Parteien die Entspannungspolitik bis aufs Messer bekämpften. Dafür zahlen Sie jetzt einen hohen Preis. Die gegen Sie anhaltenden politischen Quertreibereien aus der CSU und aus der Stahlhelmfraktion in der CDU belegen, daß starke Kräfte in den Reihen Ihres Koalitionspartners eine ganz andere Außenpolitik wollten und wollen ({3}) und durchsetzen. ({4}) Gewiß, Sie kämpfen gelegentlich dagegen an. Das wollen wir Ihnen bescheinigen, und das haben wir Ihnen auch bescheinigt, ({5}) aber Sie gleichen dann gewissermaßen einem umgekehrten Phönix, dessen Gefieder im grellen Licht der von Ihrem Koalitionspartner gezündeten Feuer zwar immer wieder einige Augenblicke lang leuchtet, der dann aber abstürzt. Wenn er aus der Asche wieder aufsteigt und die Bühne der Außenpolitik betritt, dann ist er zerrupft, zerzaust und im wahrsten Sinne des Wortes verkohlt. ({6}) Die Wahrheit ist, daß schon lange nicht mehr Kontinuität den Kurs Ihrer Außenpolitik bestimmt, sondern Ihre kontinuierliche Kapitulation vor dem außenpolitischen Wendedruck. ({7}) Ich muß Ihnen deshalb sagen, daß sich das Stichwort von der Kontinuität, das wir damals natürlich gerne aufgenommen haben, als die große Lebenslüge unseres Außenministers erwiesen hat. ({8}) Ich möchte einige Fehlleistungen der deutschen Außenpolitik auflisten. Wollten Sie nicht, Herr Außenminister, auf der Grundlage einer festen Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnis eine Verständigungspolitik mit Osteuropa fortsetzen, bei der unser Verhältnis zur Sowjetunion die zentrale Rolle spielt? ({9}) Herausgekommen ist dabei die Fehlleistung, daß sich unser Verhältnis zur Sowjetunion verschlechtert hat, wie die jüngsten Besuchsabsagen erneut beweisen. ({10}) Da hilft doch auch nicht der Hinweis des Bundeskanzlers auf den Abschluß des technisch-wissenschaftlichen Abkommens, das ja schon in grauer Vorzeit konzipiert war. ({11}) Verschlechtert hat sich dieses Verhältnis in einer Zeit, in der eine neue sowjetische Führung auf fast allen für uns interessanten Gebieten mit neuen Denkansätzen aufwartet, die im Interesse aller Deutschen abgeprüft werden müssen. Doch von einer Weiterentwicklung, von einer Mehrung der politischen Substanz in den deutsch-sowjetischen Beziehungen kann in den letzten vier Jahren nun weiß Gott keine Rede sein. Weiter: Sollte in unserem Verhältnis zur Volksrepublik Polen nicht jene besondere Hinwendung zum Ausdruck kommen, zu der wir Deutschen auf Grund der Geschichte verpflichtet sind? Ich stelle fest, daß die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Polen auf eine unerträgliche Art und Weise belastet worden sind durch politisches Geschwätz über das Deutsche Reich in seinen Grenzen von 1937. ({12}) Nein, die Bundesrepublik Deutschland ist in den letzten Jahren in diesen Verhältnissen nicht weitergekommen. ({13}) Statt dessen gibt es neue Spannungen. Wer aber die mühsame Aussöhnung mit Polen gefährdet, setzt die ganze mühevoll geschaffene Entspannung in Europa aufs Spiel. - Ich muß Ihnen sagen: Dieser Zwischenruf war sehr entlarvend. Sie wollen etwas mit Geld heilen, was nur politisch aus einer ganz bestimmten Gesinnung heraus überhaupt in Ordnung gebracht werden kann, wenn überhaupt. ({14}) Blicken wir in unser eigenes westliches Bündnis hinein! Wir haben es als Opposition oft gesagt, und wir sagen es auch heute, und zwar gegenüber dem Außenminister wie dem Bundeskanzler gleichermaßen: Das Fehlen einer kritischen Auseinandersetzung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit fundamental veränderten außenpolitischen Positionen der USA muß sich verhängnisvoll auf den inneren Zusammenhalt des Bündnisses auswirken. Gewiß, im Bündnis war es immer notwendig, angesichts sich verändernder Verhältnisse neue Positionsbestimmungen für die Politik gegenüber dem anderen Bündnis vorzunehmen. ({15}) Insofern reden wir hier auch keineswegs einer einfachen Fortschreibung der Entspannungspolitik der ersten Phase das Wort. ({16}) Die Bundesrepublik hat ein selbstverständliches Interesse daran, Lehren zu ziehen und diese in eine zweite Phase der Entspannung einzubringen. Aber die Formulierung dieser Politik kann nur im Dialog im Bündnis entstehen, und dieser Dialog muß angesichts veränderter amerikanischer Positionen notwendigerweise kritisch sein. Denn es gibt doch einen globalen amerikanischen Unilateralismus, der die Bedeutung des westlichen Bündnisses und auch einzelner Partner im Bündnis drastisch herabgestuft hat. Das können Sie doch als Außenminister nicht übersehen. Dies wird bei SDI exemplarisch deutlich. ({17}) Die Europäer waren eben nicht eingeladen, mit der amerikanischen Regierung über einen solchen Plan zu diskutieren, ob er denn überhaupt Sinn macht und in Angriff genommen werden soll. ({18}) Dennoch arbeitet die Bundesregierung unverdrossen mit einem unkritischen Bild der Reagan-Administration. Herr Außenminister, wo bleibt Ihr Kontinuitätsanspruch, wenn Sie in der Diskussion über das zur Zeit entscheidende Hindernis für einen Durchbruch in der Abrüstung, nämlich das SDI-Programm, nicht Ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen zugunsten der Erhaltung des ABM-Vertrages? ({19}) - Das ist meine These. Nehmen wir Reykjavik. Herr Außenminister, Sie haben sich genauso wie der Herr Bundeskanzler wider besseres Wissen daran beteiligt, aus diesem gescheiterten Gipfel einen Erfolg machen zu wollen. Die Warnungen der Opposition haben Sie nicht nur überhört, Sie haben sie abgetan. Jetzt aber müssen Sie in der „Herald Tribune" - ({20}) - warten Sie doch mal ab, Herr Rühe! - Jetzt aber müssen Sie in der „Herald Tribune" lesen - es handelt sich um die Ausgabe vom vergangenen Montag -, was James Reston über den politisch angeschlagenen amerikanischen Präsidenten schreibt. Der amerikanische Starjournalist zitiert Donald Regan, Präsident Reagans wichtigsten Berater im Weißen Haus. Ich wäre dankbar, wenn Sie das Zitat - es ist ganz kurz - auch wirklich hören würden. Regan sagt - ich zitiere -: Einige von uns sind wie eine Reinigungskolonne, die einer Parade auf der Hauptstraße folgt, um mit Schaufeln sauberzumachen. Wir nahmen Reykjavik und drehten eine Sache, die in Wahrheit schlimm war, zu etwas um, das ziemlich gut aussah. ({21}) Ich finde, das ist ein erhellendes, zugleich aber ein für die Bundesregierung äußerst peinliches Eingeständnis des Stabschefs im Weißen Haus. Herr Bundeskanzler, Herr Außenminister, in eine solche Situation kommen Sie eben, wenn Sie amerikanische Vorgaben einfach nur so nachplappern. ({22}) - Das kann ich Ihnen sagen: Ich gehöre zu denen, die es als eine Pflicht empfinden, im Deutschen Bundestag das deutsche Volk vor denen zu warnen, die aus der ersten politischen Sache Abrüstung eine Public-Relations-Angelegenheit machen. ({23}) Und das ist hier geschehen, und zwar leichtfertig. Es ist auch keine Schwarzmalerei, wenn ein Vertreter der Opposition so spricht, sondern es ist notwendig, um unser Volk auf die Wahrheit aufmerksam zu machen. ({24}) Und noch eine Fehlleistung: Wollten wir nicht gemeinsam, daß die deutsche Außenpolitik auf einem Geschichtsbild aufbaut, das die Deutschen als lernwillig und lernfähig hinsichtlich ihrer Vergangenheit zeigt? Was aber ist geschehen? Herr Genscher, müssen Sie Ihre Außenpolitik nicht im Dunstkreis eines selbstgefällig verkürzenden und damit auf gefährliche Art und Weise verharmlosenden Geschichtsbildes durchführen, welches den Herrn Bundeskanzler Kohl immer erneut zu den fatalsten Äußerungen verleitet? Können Sie denn bestreiten, daß Ihr eigener Kanzler Sie außenpolitisch von einer Peinlichkeit in die andere taumeln ließ, von der Gnade der späten Geburt in Israel über Bitburg bis hin zu diesem Goebbels-Gorbatschow-Vergleich? Vor dem Hintergrund dieses Geschichtsverständnisses des Herrn Bundeskanzlers wirkt Ihr außenpolitischer Kontinuitätsanspruch, wenn Sie ihn denn überhaupt noch aufrechterhalten, zutiefst unglaubwürdig. Das Fazit, das die SPD ziehen muß, ist, daß es in der Koalition von CDU/CSU und FDP kein gemeinsames außenpolitisches Fundament gibt, mit der Folge eines Gesichts- und Gewichtsverlustes, welcher die Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Gefüge vermindert hat. Herr Außenminister, Sie waren Mitkonstrukteur der deutschen Entspannungspolitik, welche in Ergänzung zur notwendigen Westbindung der Bundesrepublik Deutschland die Verständigung mit dem Osten herbeiführte. In der von Ihnen mitbegründeten Koalition aus CDU/CSU und FDP leiten Sie jetzt bestenfalls einen Reparaturbetrieb in Sachen Entspannung. ({25}) Doch die von Ihren Partnern angerichteten Schäden werden immer größer, und ihre Behebung gelingt Ihnen immer weniger. ({26}) Das ist als außenpolitische Bilanz sehr mager, wird den von Ihnen selbst gesetzten Ansprüchen in keiner Weise gerecht und bleibt als Politik gegenüber den außenpolitischen Notwendigkeiten der Bundesrepublik Deutschland weit hinter dem zurück, was unser Volk braucht. ({27})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stercken.

Dr. Hans Stercken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002246, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stobbe! Ich möchte zu dem Ton und der Art und Weise zurückkehren, mit der wir sonst im Auswärtigen Ausschuß und auch in internationalen Begegnungen die schwierigen - ({0}) - Es geht nicht nur um Vornehmheit. Ich kann mir nicht vorstellen, daß bei unseren Gesprächen, die wir hier jüngst mit einer sowjetischen Delegation geführt haben oder die die Delegation des Auswärtigen Amtes kürzlich mit der sowjetischen Delegation in Wien gehabt hat, irgendeiner dieser Gedanken dort den frenetischen Applaus gefunden hätte, den Ihre Ausführungen gerade in Ihrer Fraktion gefunden haben. ({1}) Ich rate deshalb dringend, Herr Kollege Stobbe, sich beispielsweise, da das Ihnen ja nicht so schwer fallen kann, an Gorbatschow zu orientieren, von dem ich eine völlig von Ihrer Deutung abweichende Analyse des Reykjaviker Gipfels gehört habe. Ich frage mich: Warum ist diese Form der Kritik, die Sie uns wieder vorgetragen haben, ({2}) nun wirklich das Privileg der deutschen Sozialdemokratie? Warum ist es nicht die Analyse, die wir tagtäglich nicht nur in den Blättern der Sowjetunion oder aus dem Munde Gorbatschows, sondern auch bei der KSZE aus dem Munde Schewardnadses hören? Warum versuchen Sie, hier etwas zu betreiben, was die Publizistik der eben genannten Staaten versucht in diesem Augenblick in diesem Lande zu unterstützen, weil sie Wahlkampfhilfe geben möchte? ({3}) Ein ruhiger außenpolitischer Beobachter hat Veranlassung, in dieser Situation zu sagen: Liebe, liebe Ratgeber aus allen Teilen dieser Welt, schaut mal erst, wie es bei euch daheim zugeht, wie da gewählt wird! Sollen wir dann demnächst auch Wahlkampfhilfe für irgendeine sowjetische Partei beispielsweise geben können? Das ist von unserer Seite, glaube ich, zurückzuweisen, weil es aus einem Land kommt, das nun nicht gerade als Experte für Wahlen in freien Ländern angesehen werden kann. ({4}) Kehren wir zum Haushalt des Auswärtigen Amtes zurück; denn wir wollen mit der Gewährung dieser Mittel eine Politik ermöglichen, die Frieden und Sicherheit für unser Land und für Europa gewährleistet. Denn Außenpolitik ist - das immer wieder zu betonen können wir nicht müde werden - Friedenspolitik, und in diesem Sinne sind auch die Bediensteten des Auswärtigen Amtes gleichermaßen wie die Dienstleistenden in der Bundeswehr Dienstleistende am Frieden dieses Landes, Dienstleistende am Frieden Europas. Deshalb sollten wir, so meine ich, soweit sich die Kollegen dem anschließen, Ihnen, Herr Bundesminister, insbesondere auch für die Bediensteten des Auswärtigen Amtes den Dank dieses Hohen Hauses aussprechen und dies mit dem Versprechen verbinden, daß die Bemühungen um eine bessere Ausstattung und eine weitere Sicherung des Dienstes des Auswärtigen Amtes auch in der nächsten Legislaturperiode anhalten werden. Dankbar bin ich auch und insbesondere deshalb, weil sich die außenpolitischen Beiträge dieses Parlaments - und nur diese rechtfertigen ja eine so umfassende Tätigkeit in aller Welt - sehr eingehend in die außenpolitischen Bemühungen des Außenministeriums integriert haben. Ich glaube, wir haben das gegenseitig als eine wertvolle Unterstützung empfunden. In der Wahrung deutscher Interessen ist Parlamentariern vieles möglich, zu dem ein Auswärtiges Amt nicht befähigt ist. Meine Damen und Herren, nun ein kleiner Seitenstrahl auf das Thema „Bund und Länder im Bereich der Außenpolitik", denn ich halte es für wichtig, daß wir das noch in dieser Legislaturperiode einmal markieren: Es gibt einen Auswärtigen Ausschuß des deutschen Bundesrates, und da wir inzwischen mit so vielen Auswärtigen Ausschüssen in aller Welt in Beratungen eingetreten sind, könnte ich mir vorstellen, daß wir in der nächsten Legislaturperiode auch einmal mit dem Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates tagen, ({5}) um dabei zu überlegen, was die Beschwernisse auf beiden Seiten sind, damit sie auch in den beiden Kammern einmal einer Beratung unterworfen werden. ({6}) Meine Damen und Herren, was mit dieser Außenpolitik im Interesse der Bundesrepublik Deutschland weiter geleistet werden soll, möchte ich im Lichte einiger besonders aktueller Probleme erläutern. Ich sagte schon, Frieden und Sicherheit sollen auf der Grundlage des Gleichgewichts gefestigt werden. Dies wollten Sie, Frau Kollegin Hamm-Brücher, mit Ihren Überlegungen sicherlich nicht ausschließen, daß das Gleichgewicht auch im Bereich der konventionellen Waffen oder im Bereich der Defensivwaffen eine Zielsetzung unserer Politik ist. Wer nämlich weiterhin in einem der wichtigen Rüstungsbereiche eine Überlegenheit anstrebt oder festschreiben möchte, gefährdet möglicherweise eine ausgewogene Lösung in allen Bereichen. Bei den konventionellen und den Defensivwaffen liegen noch keine realistischen Lösungsmöglichkeiten vor. Ich sehe unsere vorrangige Aufgabe darin, insbesondere bei den konventionellen Waffen in Europa ein annehmbares Gleichgewicht anzustreben. Im Bereich der nuklearen Waffen liegen schon respektable Verhandlungsergebnisse auf dem Tisch. Die Sowjetunion sollte auch für die konventionellen Streitkräfte Obergrenzen akzeptieren, wie es seit Jahren bei den MBFR-Verhandlungen in Wien versucht wird. Wer dem Trugschluß erliegt, konventionelle Waffen stellten keine sonderliche Bedrohung dar, dem empfehle ich, sich sorgsam mit der Feuerkraft heutiger konventioneller Waffen - unter Einbezug der konventionell umgerüsteten Raketen aller Reichweiten - zu befassen. Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu den auf beiden Seiten in Entwicklung begriffenen Defensivsystemen. Kossygin wurde schon am 9. Februar 1967 auf einer Pressekonferenz gefragt: Sind Sie der Ansicht, daß man sich über ein Moratorium für den Ausbau von Raketenverteidigungssystemen einigen kann, wenn ja, unter welchen Bedingungen? Hier Kossygins Antwort: Welche Waffen müssen als Spannungsfaktor betrachtet werden, die Offensiv- oder die Defensivwaffen? Ich glaube, Verteidigungssysteme, die einen Angriff abwenden sollen, bilden keine Ursache des Wettrüstens. Sie stellen vielmehr einen Faktor dar, der die Vernichtung von Menschen verhindert. Seit dieser Zeit streiten sich die Gelehrten, ob das Laserabwehrsystem um Moskau, ob Antiraketenraketen, Killersatelliten und das Lenkungssystem von Krasnojarsk mit dem ABM-Vertrag vereinbar sind. ({7}) Wir haben noch mehr Gelehrte, Herr Kollege Stobbe, die sich streiten, seit unsere amerikanischen Verbündeten eine Nachrüstung auf diesem Gebiet versuchen. Ich empfehle die Gelassenheit des niederländischen Ministerpräsidenten Lubbers, der nach seinem Besuch in Moskau vor wenigen Tagen sagte, daß das energische Festhalten der Sowjets an einem Verhandlungsjunktim zwischen einer Reduzierung der europäischen Mittelstreckenraketen und dem SDI-Projekt kein unüberwindliches, sondern ein verhandlungstaktisches Problem sei. Zu den Aufgaben der deutschen Außenpolitik gehören weitere Beiträge zur Festigung der deutschamerikanischen Beziehungen. Mehr Jugend aus beiden Ländern müssen wir zueinanderführen. ({8}) Das Parlament bietet ein eigenes Austauschprogramm an, meine Damen und Herren; aber die Geister, die wir gerufen haben, werden wir heute nicht mehr los. Wie viele junge Menschen melden sich in unseren Abgeordnetenbüros und möchten dabei berücksichtigt werden! Es ist ein großes Verlangen. Ich glaube, wir müssen dies jetzt auch in unserer Verantwortung hier im Parlament deutlich machen. Es muß etwas geschehen, um dieser enttäuschten Jugend, die wir abweisen müssen, auch eine Chance, eine Möglichkeit zur Begegnung mit jungen Menschen in den Vereinigten Staaten zu verschaffen. Die Atlantische Gemeinschaft haben wir immer als eine Brücke empfunden. Der Pfeiler, auf dem wir leben, ist Europa, weithin getragen von der Kooperation der besonders auch heute vielfach schon beschriebenen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich; ein Modellfall, wie es einmal der Deutsche Bundestag beim Abschluß des deutsch-französischen Vertrages festgestellt hat. Ich gebe zu bedenken, Herr Außenminister: in steigendem Maße führen die Gespräche mit unseren britischen, italienischen, spanischen Kollegen zu der Idee, daß ähnliche Vereinbarungen der Intensivierung politischer Zusammenarbeit auch mit diesen Staaten denkbar sein sollten. Dieser Deutsche Bundestag hat dies einmal als Präambel dem deutsch-französischen Vertrag vorangestellt. Ich glaube, hier ist ein Feld, auf dem sich unsere europäischen Initiativen im nächsten Jahr dringend erweitern können. Eine letzte Bemerkung, meine Damen und Herren, gilt dem Komplex der KSZE. Die Delegation des Deutschen Bundestages, die dort war, hat mehr Bewegung, mehr Flexibilität festgestellt; aber sie hat auch festgestellt, wie schwierig es wird, daß wir uns in der Frage des Korbes III jetzt auf eine Einigung oder auf drastische Fortschritte beziehen können, weil wir nicht das gleiche Verständnis von den Menschenrechten haben. Wir denken an die individuellen Menschenrechte. Die Gesprächspartner aus der Sowjetunion sprachen nur von kollektiven Rechten, die durch gesellschaftliche Kräfte oder Organisationen wahrzunehmen seien. Belastend für diesen Prozeß, für den wir auch der deutschen Delegation in Wien Erfolg wünschen, ist natürlich ein Ereignis, wie wir es alle, wie ich denke, miteinander in den letzten Tagen erlitten haben. Die Frage, wie menschlich oder wie unmenschlich es in Deutschland zugeht, ist durch, hier wurde heute gesagt: den Tod eines Menschen, ich sage: den Mord an einem Menschen mitten in Deutschland deutlich geworden. Das ist nicht die Normalität, das ist abnorm. Ich meine, der Deutsche Bundestag sollte in der Trauer über den Mord an einem deutschen Landsmann der DDR einmal mehr die Empfehlung geben, dem Beispiel der Bundesrepublik Deutschland zu folgen und einen Gewaltverzicht auszusprechen, einen Gewaltverzicht, der natürlich auch die Anwendung von Gewalt mitten in Deutschland ausschließt. Ich kann mir sonst beim besten Willen nicht vorstellen, daß man sich bei der KSZE in Wien zur Jause trifft und daß die Beauftragten der Völker im gleichen Zeitraum aufeinander schießen. Anspruch und Wirklichkeit müssen zur Übereinstimmung kommen. Friedenspolitik schützt zunächst das Leben. Entspannung schaffen heißt Spannungsursachen beseitigen. Außenpolitik muß verdeutlichen, daß in aller Welt die Spannung andauert, wenn den Völkern nicht das Selbstbestimmungsrecht gewährt wird. Wie soll ich Vertrauen empfinden, wenn mir Freiheit und Recht vorenthalten werden? Außenpolitik ist nicht nur Analyse, Außenpolitik ist aktiver Beitrag zur Lösung der Spannungsursachen. Geben wir dem Auswärtigen Dienst die materielle Voraussetzung zum Einsatz für deutsche, europäische und atlantische Interessen! Unterstützen wir seinen Beitrag zur Festigung des Friedens! ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bevor ich das Wort weiter gebe, muß ich zunächst den Abgeordneten Genscher fragen, ob er als Minister sprechen will. Dann sind Sie nach der Verfassung dran. Als Abgeordneter würde jemand anders vor Ihnen dran sein. - Sie wollen als Minister reden. Bitte, dann sind Sie dran. ({0})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Kollege, diese vergebliche Hoffnung hatten Sie auch schon vor vier Jahren. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe zunächst Anlaß, Ihnen auch im Namen der Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes für das Verständnis zu danken, das wir in dieser Legislaturperiode bei allen Fraktionen gefunden haben. Insbesondere ist auch die Debatte dankbar empfunden worden, die wir neulich über die Lage des Auswärtigen Dienstes hatten. Herr Kollege Stobbe, Sie haben nach der Reaktion der Bundesregierung auf den Ausgang des Prozesses in Berlin gefragt. Die Bundesregierung wird ihre Entscheidung noch heute abend treffen und morgen bekanntgeben. Ich glaube, es ist angemessen, daß wir die Fakten des Urteils einbeziehen und ich das vor allen Dingen dann tun kann, wenn die Debatte, die mich selbst betrifft, hier abgeschlossen ist. Ich würde gern, Herr Kollege Stobbe, noch einmal auf eine Frage eingehen, die die ganze Debatte durchzogen hat, nicht nur heute, sondern seit dem Abend der Beendigung der Reykjavik-Konferenz, nämlich wie diese Konferenz zu bewerten ist. Hier bin ich wirklich einer gänzlich anderen Meinung als Sie. Wir haben inzwischen eine internationale Entwicklung, die durch viele Ereignisse gekennzeichnet ist, die die Menschen wachgerüttelt haben, auch in ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Zukunft der Menschheit. Tschernobyl ist das große, das wachrüttelnde Ereignis aus dieser Zeit. Die Rheinverschmutzung dieser Wochen ist ein weiteres Beispiel für grenzüberschreitende Gefahren. Etwas, was die Menschen auch hätte wachrütteln sollen, was in diesem Umfang, weil kaum vorstellbar, nicht geschehen ist, sind sinkende Atom-U-Boote, von denen keiner weiß, wann sie einmal schreckliche Wirkungen für die ganze Menschheit haben werden. ({0}) Der Blick in die Sahel-Zone zeigt, was die Verunreinigung der Luft für die wirkliche Vernichtung natürlicher Lebensgrundlagen bedeutet. Das alles macht deutlich, daß wir im Grunde die Überlebensaufgaben nur noch als Weltinnenpolitik verstehen können, wie es hier von verschiedenen Rednern gesagt worden ist. Wir werden alle diese Probleme und auch die Zukunft unserer Menschheit nur meistern können, wenn wir uns nicht jedesmal der „Hilfe danach" rühmen, der Hilfe nach einer Rheinverschmutzung mit Ersatzzahlungen an die Betroffenen, der Hilfe nach Tschernobyl durch die großartige ärztliche Leistung des amerikanischen Arztes, der nach Moskau gegangen ist, auch der Hilfe nach dem Zweiten Weltkrieg. Kommt es zur großen atomaren Katastrophe, gibt es keine Hilfe danach, weil es kein Danach mehr gibt. Hier ist ein neues Denken notwendig. ({1}) Wenn etwas Reykjavik ausgezeichnet hat, dann die Tatsache, daß die beiden Männer, die sich dort gegenübersaßen, dieses neuen Denken in Ansätzen wirklich gezeigt haben. Das hat es ihnen möglich gemacht, Herr Kollege Stobbe, auf beiden Seiten, über ihren Schatten zu springen, auch Positionen zu überwinden, die in der Vergangenheit Ergebnisse von Verhandlungen behindert haben. Ich denke, daß wir diesen neuen Ansatz im Denken nicht gering einschätzen sollten. Das ist für mich das Entscheidende aus Reykjavik. Ich sage Ihnen: Niemand wird zurück können in die Zeit vor Reykjavik. Das kann man versuchen; das werden auch manche versuchen. ({2}) Man sollte es auch nicht niedriger hängen, als es ist. Nehmen Sie Reykjavik einmal als Anfang eines neuen Denkens, einer neuen Entwicklung. Lassen Sie uns auf dem aufbauen - so wie es die Bundesregierung sagt -, was dort an Annäherungen erzielt worden ist. Wenn wir als Ergebnis aus Reykjavik erreichen könnten, daß es zur doppelten NullLösung kommt, daß also die atomaren Mittelstrekkenraketen größerer Reichweite aus Europa gänzlich verschwinden, die sowjetischen und die amerikanischen, daß es bei hundert Sprengköpfen der Amerikaner in Amerika und hundert Sprengköpfen der Sowjetunion im asiatischen Teil der Sowjetunion bleibt, wäre das nicht ein großer Fortschritt für die Menschheit ({3}) und übrigens auch die Bestätigung einer realistischen Politik? Ich habe Ihnen heute in meinem ersten Beitrag in der Atmosphäre dieser Sache etwas leidenschaftlicher als jetzt vorhalten müssen - ich wiederhole es jetzt -, daß Sie durch den Ausstieg - damit komme ich zu Ihrer Bemerkung zur Kontinuität - Ihrer Partei aus der Politik, die wir einmal gemeinsam verantwortet haben, bereit waren hinzunehmen, daß die Sowjetunion 140 Systeme, d. h. dreimal 140 Sprengköpfe; behalten hätte. Wenn die Frage der Kontinuität auftritt, Herr Kollege Stobbe, dann müssen Sie sich diese Frage selbst stellen. Hätten Sie auf Ihrem Kölner Parteitag nicht den früheren Bundeskanzler mit 4 % Ihrer Delegiertenstimmen alleingelassen, sondern sich hinter uns gestellt in einer Politik, die die neue Regierung im Sinne der alten fortgeführt hat - diese Kontinuität kann man sehr wohl unterstreichen -, dann hätten Sie beigetragen, daß eine solche Entwicklung möglich wurde. ({4}) Sie haben zum ABM-Vertrag Fragen gestellt. Ich will sie gern beantworten. Die Bundesregierung läßt keinen Zweifel daran, daß sie dafür eintritt, daß der ABM-Vertrag auch in Zukunft in seiner restriktiven Auslegung beachtet wird. Das haben wir in der NATO-Außenministersondersitzung im Oktober 1985 vertreten. Das ist die Meinung aller Bündnispartner. Die Amerikaner haben uns das zugesichert. Auch im Verhältnis der offensiven zu den defensiven Waffen ist ein neuer und gemeinsamer Denkansatz der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion deutlich geworden, nämlich daß man sich für eine bestimmte Zeit über die weitere Anwendung des ABM-Vertrages verständigt. Was man noch nicht hat entscheiden können, ist, was nach Ablauf dieser Frist geschehen soll. Aber daß darüber weiter verhandelt werden muß, muß unser gemeinsames Ziel sein. Lassen Sie mich ein Drittes sagen, das auch zur Kontinuität deutscher Sicherheitspolitik gehört. Es hat eine Zeit gegeben, wo wir alle der Meinung waren, daß wir als ein Land, das selbst darauf verzichtet hat, chemische Waffen zu produzieren oder zu besitzen, einen besonderen Rechtstitel haben, von allen anderen Ländern dieser Welt zu verlangen, daß die chemischen Waffen weltweit beseitigt werden. Warum begnügen Sie sich heute mit der Forderung nach der Beseitigung in Europa, wo Sie doch genau wissen, daß das Problem gar nicht die regionale Ausdehnung ist, sondern daß das Problem der Verifikation ist? Die ist schwieriger, wenn man nur für eine bestimmte Region diese Waffen ächtet und nicht für die ganze Welt. ({5}) Haben wir nicht selbst als Europäer die Verantwortung, dafür zu sorgen, daß nicht nur wir in Europa von dieser Geißel der Menschheit freigehalten werden? Wir wollen doch auch nicht, daß Industriestaaten des Nordens chemische Waffen produzieren, die dann in der Dritten Welt eingesetzt werden können. ({6}) Auch die Völker der Dritten Welt haben einen Anspruch darauf, von dieser Geißel befreit zu werden. Jetzt sind wir in der Abrüstungskonferenz in Genf ganz nahe beieinander. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam dafür streiten, daß die chemischen Waffen weltweit beseitigt werden! Sie sprechen von den Problemen in der Atlantischen Allianz. Meine Damen und Herren, es kann doch gar nicht anders sein, als daß es unterschiedliche Auffassungen in einem Bündnis gibt, vor allen Dingen, wenn es ein Bündnis von demokratischen Ländern mit einer offenen öffentlichen Meinung ist. Die unterschiedlichen Auffassungen werden auch ganz offen ausgetragen. Ich fand, daß die Tagung der Außen- und Verteidigungsminister der Westeuropäischen Union in Luxemburg eine deutliche Bestätigung größeren europäischen Selbstbewußtseins, auch größerer europäischer Übereinstimmung war, als wir es in der Vergangenheit erlebt haben. Herr Kollege Wörner wird Ihnen diesen Eindruck bestätigen, wie ich das auch sagen kann: Diese sieben Länder, die dort zusammensaßen, Frankreich, England, Italien, Luxemburg, Belgien, die Niederlande und wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind zu gleichen Ergebnissen gekommen, nämlich daß wir wünschen, daß es eine Verständigung zwischen den beiden Großmächten über die Beseitigung der Mittelstreckenraketen größerer Reichweite gibt, daß wir aber auch wollen, daß Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite geführt werden, damit wir nicht das neue Kapitel einer neuen Grauzone mit neuen Instabilitäten bekommen, sondern damit wir auch da gleiche Obergrenzen auf niedrigerem Niveau schaffen. Mein Gott, warum sollen wir denn nicht aufnehmen, was der Generalsekretär der SED gesagt hat - ich habe das in meinem ersten Beitrag zitiert -, daß das Teufelszeug aus der DDR und der CSSR weg soll, wenn eine Verständigung über Mittelstreckenraketen größerer Reichweite erzielt ist? Wenn wir das auch fordern, dann kritisieren Sie uns doch nicht, daß wir die Verhandlungen über die anderen Fragen behindern. Das liegt alles in der Kontinuität einer deutschen und europäischen Sicherheitspolitik. Dasselbe, meine verehrten Kollegen von der SPD, gilt doch auch für die Politik, die wir als Europäer machen. Als wir zusammen regierten, Herr Kollege Stobbe, war es eine Initiative der Bundesrepublik Deutschland, die vorgeschlagen hat, daß die Europäische Gemeinschaft ein Kooperationsabkommen mit den ASEAN-Staaten schließt, damit diese wichtige Entwicklungs- und Industrieregion, wie ich hoffe, bald eine noch besser entwickelte Industrieregion Südostasiens, mit uns kooperieren kann, politisch und wirtschaftlich. Das hat sich großartig entwickelt. In der Kontinuität dieser Entwicklung liegt es, daß die jetzige Bundesregierung vorgeschlagen hat, ein gleichartiges Kooperationsabkommen mit den Staaten Zentralamerikas zu schließen. Das haben wir auch geschlossen, und wichtige Stabilisierungseffekte in den Staaten Zentralamerikas sind bereits Ergebnis dieser Zusammenarbeit mit den Staaten der Europäischen Gemeinschaft. Jetzt sind wir dabei, das nächste Kooperationsabkommen - wie ich hoffe, recht bald - zustande zu bringen, nämlich mit den Staaten der Golfregion, wo eine Stabilisierung im Interesse des Friedens in der nah- und mittelöstlichen Region und auch im Interesse der Energieversorgung der Welt wichtig ist. Hier ist die Europäische Gemeinschaft also selbstbewußt als ein Faktor des Friedens in der Welt, als eine Region tätig, von der friedliche und nicht kriegerische Initiativen ausgehen, was es in der Vergangenheit gegeben hat. Die Fortschritte, die wir in der Europäischen Gemeinschaft mit der Einheitlichen Europäischen Akte machen konnten sind doch erheblich. Dazu kann man wirklich auch nur ja sagen und das unterstützen. Was Eureka angeht, der Schritt zur europäischen Selbstbehauptung in den neuen Technologien, die Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an der Definitionsphase für Hermes, damit wir an der friedlichen bemannten Weltraumfahrt teilnehmen können, das alles ist Ausdruck europäischer Selbstbehauptung, damit unser demokratisches Europa seinen Platz in einer Welt einnehmen kann, die immer weniger von der Bipolarität zwischen Moskau und Washington bestimmt wird, in der die Volksrepublik China ihre Rolle spielt, in der wir als Europäer unsere Rolle spielen müssen. Ich sage „Europäer", nicht nur gemeint als die Staaten der Europäischen Gemeinschaft, sondern ich meine das ganze Europa. Meine verehrten Kollegen, alles das, was wir in der Europäischen Gemeinschaft vom Beginn ihrer Gründung geleistet haben, zeigte Mut zur Zukunft. Was die Europäische Gemeinschaft heute braucht, ist der Mut zum ganzen Europa. Man wartet auf uns, man wartet darauf, daß wir in der Zusammenarbeit, in der Nutzung der Möglichkeiten der Schlußakte von Helsinki weitergehen. Die nationalen Interessen, die wir Deutschen haben, können wir nur verwirklichen, die können wir wirklich nur durchsetzen, wenn wir in Europa zu einem besseren Verhältnis zwischen West und Ost kommen. Ein deutscher, ein nationaler Alleingang hilft uns nichts. Aber unsere nationalen Interessen in das größere Europa einzubetten, das ist deutscher Beitrag zu einem friedlichen Europa, das ist aber auch Wahrnehmung eigener nationaler Interessen. Deshalb kann deutsche Außenpolitik, deshalb muß sie immer europäische Friedenspolitik sein. Dabei wird es bleiben; dafür möchte ich Ihnen garantieren. Ich danke Ihnen. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Huber.

Antje Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000968, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind es ja gewöhnt, daß bei der Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amtes von den großen Ereignissen in der Welt die Rede ist, von den Hintergründen, von Bündnissen, Spannungen und Verhandlungen. Das ist auch gut und richtig so. Trotzdem, finde ich, ist kein Grund gegeben, jetzt Erfolgsbilanz zu ziehen und Lobeshymnen zu verbreiten, Frau Hamm-Brücher. Es sind allzu viele Fragen offengeblieben trotz einiger guter Ansätze, die wir vermerken. Man muß in der Außenpolitik ganz besonders vorsichtig sein mit der Verkündung von Ergebnissen, die man vielleicht erst Jahre später wird erreichen können. Es ist doch eher so, daß wir täglich, manchmal erschwert durch neue Peinlichkeiten und neue Vorfälle, um Lösungen zittern, die wir doch alle erhoffen. Wenn es jetzt in der Außenpolitik eine Gemeinsamkeit gibt, dann die, daß wir uns doch oft gemeinsam bedrückt fühlen und keineswegs über Themen froh sind, die wir im Wahlkampf ausschlachten könnten. Das wollen wir überhaupt nicht. Wir möchten gerne, daß wir gerade in der Außenpolitik besonders gut dastehen; denn wir sind mit unserer geographischen Lage ein Land, das eine gute Außenpolitik ganz besonders nötig hat. ({0}) Ich möchte nicht, daß die Debatte heute endet, ohne daß wir aus unserer Sicht auch noch ein Wort zum Haushalt gesagt haben. Der Haushalt soll nicht ganz als Nebensache abgetan werden; denn er gibt ja dem Auswärtigen Amt das Rüstzeug, um seine kontinuierliche Vertretung in der Welt sicherzustellen. Ich möchte hervorheben, Herr Außenminister, daß der Auswärtige Dienst in den letzten Jahrzehnten viele neue Aufgaben zugewiesen bekommen hat. Gleichzeitig hat er viele Stellen eingebüßt, so daß wir den Nachholbedarf nur ganz allmählich decken. Das alles ist eigentlich sehr paradox. Aber es ist eben so eingetreten. Wir können nicht erfreut darüber sein, daß der Nachholbedarf nur stückweise gedeckt wird und daß wir erst in jüngster Zeit die sozialen Bedürfnisse stärker in den Mittelpunkt unserer Betrachtung gestellt haben. Das war alles schon vor 15 Jahren offenkundig, damals, als Außenminister Brandt das Gutachten zur Reform des Auswärtigen Dienstes in Auftrag gegeben hat. Eigentlich haben wir heute nicht weniger, sondern mehr Probleme. Der jetzt vorgelegte Haushalt steigt zwar ein bißchen mehr als der Haushalt allgemein. Aber nun ziehe ich einmal die Rüstungssonderhilfe für Portugal ab, ebenso die einmaligen Summen für Botschaftsbauten, den Erwerb des Postministeriums. ({1}) und die jährlichen Anpassungen. Dann bleibt doch eine sehr bescheidene Verbesserung übrig, und das zu einer Zeit, in der die Regierung und die sie tragenden Fraktionen sich nicht genug tun können zu sagen, wie gut es uns doch gehe, in der Milliarden Steuergelder zum Verteilen übrig sind und in der phantastische Steuernachlaßvorschläge gemacht werden. Eine bessere Zeit für bessere Ansätze kann es doch gar nicht geben. Das muß man einmal sagen. ({2}) - Ich habe noch nie einen ausgestellt. Aber wenn wir Geld haben, sollten wir es auch richtig ausgeben. Es gehört zur Verantwortung der Parlamentarier, auch dafür zu sorgen, daß der Staat und seine Dienste funktionsfähig bleiben. ({3}) Man kann nicht nur mit Steuergeschenken winken. Es gehört zur Redlichkeit, heute klar zu sagen, daß es trotz der Stellenverbesserungen an den Auslandsvertretungen und in den Goethe-Instituten, die natürlich begrüßt werden, immer noch so ist, daß eine große Unterversorgung im mittleren Dienst besteht. Das wurde schon vor 15 Jahren beklagt. Das ist immer noch so. Eine Unterversorgung besteht auch bei Sachmitteln, besonders auf dem Gebiet der Bürotechnik. Wir waren jetzt mit einer Gruppe in Asien. Da haben wir wieder gesehen, wie mittelalterlich einige Vertretungen ausgerüstet sind. Tagelang von jeglichen Nachrichten aus der Bundesrepublik abgeschnitten, vertreten sie unser Land in bedeutenden Ländern, z. B. auf den eben genannten Philippinen. Ich kann auch Ungerechtigkeiten bei Einstufungen nicht übersehen. ({4}) Wir betrauen manche Leute in der Welt, die Repräsentanten der ganzen Bundesrepublik sind, mit schweren Aufgaben, während ihr Gehalt in keinem Verhältnis zu der Verantwortung steht, die sie wahrnehmen. Das kann sich doch sicher nicht immer weiter so fortsetzen. Den sozialen Problemen hat sich das Haus erst in letzter Zeit nachhaltiger gewidmet. Ich will hier nicht auf Einzelheiten eingehen. Aber es bleibt noch manches zu tun. An dieser Stelle möchte ich aber das Problem der Frauen im Auswärtigen Dienst hervorheben. Die Attraktivität des Auswärtigen Dienstes wird erst wiederhergestellt sein, wenn eine bessere Regelung für die Ehegatten gefunden wird, ({5}) die unter Verzicht auf eigenes Einkommen, eigenen Beruf und eigene Rente ({6}) ihre Dienste draußen unentgeltlich leisten, und das wird dort von ihnen auch erwartet. ({7}) So schön es auch ist, daß der Haushaltsausschuß in seiner großen Güte nun einen Mindestbetrag für den Ehegattenzuschlag festgesetzt hat: Aber diese 100 DM sind wahrlich keine Lösung des Problems. ({8}) Auch im Kulturbereich gibt es noch viele Mängel und Engpässe. Dieser Bereich steht im Haushaltsplan ganz hinten. Wer da aber meint, daß es schon sinnvoll sei, wenn der hinten steht, der vergißt, daß es auch von unseren Aktivitäten abhängt, wie viele Menschen auf der Welt Deutsch lernen ({9}) und enge, freundschaftliche Beziehungen zur Bundesrepublik wünschen, das zahlt sich politisch immer aus. Die meisten Probleme, meine lieben Kollegen, sind nicht neu. Sie sind, wie gesagt, schon seit 15 Jahren offenkundig und haben sich zum Teil noch verschärft. Fünfmal hat die Regierung seither einen Bericht zur Reform des Auswärtigen Dienstes vorgelegt. Das fünfte Mal ohne Nummer vor dem Titel, damit man nicht mehr merkt, wie sehr sich diese Reform verschleppt. Schuld daran sind bestimmt nicht die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, des Auswärtigen Dienstes. Sie haben die dringendsten Verbesserungen oft genug sogar gegen die Spitze ihres eigenen Hauses durchsetzen müssen. Und sie haben oft ordentliche, gute Arbeit geleistet, nicht wegen guter, sondern trotz schlechter Ausstattung. Dafür gebührt ihnen Dank. ({10}) Aber neben dem Minister, der für einen fühlbaren, wenn auch allmählichen Reformvollzug mehr hätte tun müssen und statt dessen manches dem Parlament überließ, haben auch wir Politiker schuld, wir, die wir uns speziell mit der auswärtigen Politik befassen. Es ist uns nicht gelungen, vor dem ganzen Parlament, wie man hier heute wieder sehen kann, und in der Öffentlichkeit das Bild einer eher nonchalanten, sekttrinkenden Diplomatie zu zerreißen und statt dessen die harte Alltagsarbeit der Auslandsvertretungen an schwierigen Orten der Welt ins Bewußtsein zu rücken ({11}) und das wechselvolle, familienunfreundliche und oft risikoreiche Leben dieses Berufsstandes aufzuzeigen, der nur dann einmal ins Licht tritt, wenn irgendwo ein Mord oder ein Unglück passiert, wie jetzt jüngst geschehen. Wie kein anderer ist dieser Berufsstand auf Wechsel und Wegsein programmiert. Deswegen hoffe ich, daß wir - wie schon andere Länder vor uns mit Erfolg - es doch noch zustande bringen, daß dieser Berufsstand ein eigenes Gesetz bekommt. Vorarbeit dazu haben wir jedenfalls geleistet. Es gibt in unserem Parlament nicht viele Bereiche, in denen sich die Abgeordneten in der Vergangenheit so oft mit der Rolle des Zuhörers und späten Kommentators begnügt haben wie in der Außenpolitik, obwohl die Außenpolitik doch ganz handfeste - nicht bloß verteidigungspolitische, sondern auch wirtschaftliche und kulturelle Grundlagen hat. Auch daran mag es liegen, daß die Realitäten, mit denen es der auswärtige Dienst zu tun hat, so sehr im Verborgenen geblieben sind. Der Haushalt 1987 ist jedenfalls nur ein kleiner Schritt mit punktuellen Verbesserungen. Wir sind dafür zwar dankbar, aber ein strukturelles Konzept, wie man das Notwendige - und da fallen einem vergleichbare Länder durchaus positiv ein - auch in kleineren Schritten tun kann, ist er nicht. Dies bleibt weiterhin eine Zukunftsaufgabe für Regierung und Parlament. ({12}) Ich denke, daß ich, als ich vor mehr als 17 Jahren hier an dem Pult meine erste Rede hielt, optimistischer war als heute. Aber es muß bei Einsicht, Kooperationsfähigkeit und ernstem Willen doch möglich sein, zu Lösungen zu kommen. Man kann doch nicht immer nur über die Probleme reden. Und so wünsche ich denn dem Auswärtigen Ausschuß, daß er sich künftig mehr Gewicht verschafft. ({13}) Und dem Auswärtigen Dienst wünsche ich, daß die nächsten 15 Jahre besser für ihn sein mögen. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Da dies, Frau Kollegin Huber, Ihre letzte Rede in diesem Parlament gewesen ist, möchte ich für Ihre Mitarbeit im Namen aller danken. ({0}) Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Nach einer mir vorhin gegebenen Zusage kann über alle Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN in einer einzigen Abstimmung entschieden werden. Ich rufe also die Anträge zusammengefaßt auf. ({1}) - Das überlassen Sie bitte dem Präsidententisch hier. Sonst muß ich die Mehrheiten genauer feststellen; und dann kommt vielleicht gerade mit einem Ohr im Sand eine Mehrheit zustande. ({2}) Es handelt sich um die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6506 bis 10/6510 und 10/6558 unter Nr. 2. Wer diesen Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Änderungsanträge sind mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05. Wer dem Einzelplan 05 - Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - Drucksachen 10/6314, 10/6331 - Berichterstatter: Abgeordnete Löher Dr. Friedmann Dr. Weng ({3}) Frau Seiler-Albring Frau Traupe Walther Dr. Riedl ({4}) Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - Drucksache 10/6326 Berichterstatter: Abgeordnete Walther Rossmanith Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6537, 10/6559, 10/6560 und 10/6558 unter Nr. 3 vor. Auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Einzelpläne 14 und 35 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Frau Traupe hat das Wort.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Interessanterweise beraten wir den Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren immer zu recht später Tageszeit. ({0}) - Das ist wahrscheinlich ein Beweis dafür, wie hoch das Ansehen des Bundesverteidigungsministers in seiner eigenen Fraktion und auch in der Regierung ist. ({1}) Am Ende einer Legislaturperiode bietet es sich an, eine Bilanz der Verteidigungspolitik dieser Bundesregierung zu ziehen. Vier Jahre saß der CDUKollege Dr. Wörner auf dem Stuhl des Verteidigungsministers, vier Jahre, in denen er nicht mithalf, konkrete Abrüstungsschritte in Europa voranzubringen, in denen er sich nicht an ernsthaften Überlegungen beteiligte, wie man die Zahl der konventionellen Waffen im Herzen Europas verringern könne, ohne eine Gefährdung freilich des eigenen Landes. Im Gegenteil. Zu keiner anderen Zeit fanden in der Bundesrepublik Deutschland so viele militärische Übungen und Großmanöver statt. Zu keiner anderen Zeit wurde die Bevölkerung so sehr durch Tiefflüge betroffen. ({2}) Zu keiner anderen Zeit wurden die Soldaten so stark belastet. Und zu keiner anderen Zeit war das menschliche Klima zwischen einem Minister und seinen zivilen wie militärischen Mitarbeitern so gestört. ({3}) Ob Sie sich nicht vielleicht manchmal im stillen dessen schämen sollten, Herr Wörner, was Sie früher über die Verteidigungsminister Georg Leber und Hans Apel gesagt haben? Sie, Herr Dr. Wörner, haben sich als Mann großer Worte und theatralischer Auftritte erwiesen. Die Verantwortung für unser Land stand dahinter zurück. ({4}) Unbestritten ist, daß es ein Verteidigungsminister im demokratischen Staat nicht leicht hat. Er muß und soll sich vielen kritischen Fragen stellen. Doch angesichts der gewaltigen Waffen- und Truppenmassierung in Mitteleuropa hätte gerade der deutsche Verteidigungsminister mit konkreten Abrüstungsvorschlägen in die Allianz gehen, aber auch Gespräche mit den Verteidigungsministern des Warschauer Pakts suchen müssen. ({5}) Damit Sie sich erst gar nicht an der falschen Stelle loben, Herr Dr. Wörner: Der Abzug von mehr als 1 000 atomaren Sprengköpfen aus der Bundesrepublik war überfällig. ({6}) Wer die Wirkung und die Reichweite dieser atomaren Sprengköpfe kennt, kann sich immer nur entsetzt fragen, wer in unserem Land solche Waffen hat aufstellen lassen. ({7}) - Das ist ein Irrtum; die sind älter. Nun hatte ich als Haushaltsberichterstatterin meiner Fraktion die Möglichkeit, Ihre Arbeit als Bundesminister während der ganzen Zeit „begleiten" zu können. Deshalb kann ich feststellen: Von Jahr zu Jahr, Herr Kollege Dr. Wörner, ist Ihr Umgang mit dem Verteidigungs- wie dem Haushaltsausschuß schlechter, unparlamentarischer geworden. Im Grunde waren auch die Unionskollegen in beiden Ausschüssen froh, wenn Sie dort erst gar nicht erschienen. Ihr Parlamentarischer Staatssekretär, unser Kollege Würzbach, gibt es den eigentlich noch, außer auf Empfängen und öffentlichen Veranstaltungen? ({8}) Haben wir nicht einmal das Instrument der Parlamentarischen Staatssekretäre eingeführt, damit sie dem Parlament regelmäßiger zur Verfügung stehen sollten? Doch so chaotisch, meine Damen und Herren, wie im ablaufenden Haushaltsjahr 1986 ging es in den zehn Jahren, in denen ich nun im Bundestag und im Haushaltsausschuß bin, noch bei keinem Verteidigungsminister zu. ({9}) Da es zur Politik dieser Bundesregierung gehörte, überhöhte Haushaltsansätze bei militärischen Beschaffungstiteln zu haben, haben Sie sich in vier Jahren, Herr Wörner, immer mehr zum Gefälligkeitsminister gegenüber der Rüstungsindustrie degradiert. Ich hoffe, die Informationen treffen zu, daß Ihnen der Finanzminister allein in diesem Jahr gut eine Milliarde DM aus Ihrem Etat für Mittel, die nicht verbraucht werden mußten, abnehmen will. Damit würden wir recht bekommen, als wir am Anfang des Jahres 1986 verlangten, weit mehr als eine Milliarde Mark zu sparen. ({10}) Es ist schon makaber, Herr Wörner, zu verfolgen, wie Sie sich 1984 Ihrer weitschauenden Bundeswehrplanung rühmten. In Wirklichkeit aber - ich erinnere an die Bestellungen von sieben Challenger-Maschinen, vielen Munitionsarten, der ausgerechnet 35 ECR-Tornados, obwohl es sinnvoller gewesen wäre, 72 oder wenigstens 40 zu kaufen, oder von 150 Leopard 2, obwohl die Division 250 brauchte, oder des dritten Flottendienstboots - stellten Sie nicht die Sicherheit für unser Land in den Mittelpunkt Ihrer Arbeit, sondern Sie betrieben Industriebefriedigungsaktionen! ({11}) Ihr Bluff mit dem großen Technologieprogramm, wonach noch mehr High-Tech in der deutschen Wirtschaft entwickelt werden sollte, ist nichts anderes als ein großes Geldrauswerfprogramm. Selbst die Industrie hat ja in diesem Jahr Probleme, für die überreichlichen Forschungsmittel einen sinnvollen Bedarf nachzuweisen. Eben deshalb kann - Gott sei dank - der Finanzminister zulangen. Im Verteidigungshaushalt muß sich jedoch die Sicherheit des eigenen Landes widerspiegeln. Bei Ihnen steht viel zu sehr die Auslastung zu großer Rüstungskapazitäten im Mittelpunkt. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie das Geld der Steuerzahler verschleudern, Herr Minister; denn die qualifizierten zivilen Mitarbeiter und Soldaten haben zu Recht Bedenken gegenüber großspurigen technologischen Verbesserungen und den überhöhten Rechnungen, die Ihnen die Industrie auch deshalb schreibt, weil sie die Mittel in Ihrem Haushalt besser kennt als Sie und die meisten Politiker Ihrer Fraktion. ({12}) Gerade deshalb teile ich auch die Forderung der SPD, die Rüstungsausgaben zu begrenzen und als politisches Signal nach innen und nach außen den Anteil der Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt zu senken. ({13}) Was für uns entscheidend ist: Man kann es. Meine Damen und Herren von der Koalition, der amerikanische Kongreß und das englische Unter19378 haus haben es uns gerade vorgeführt, daß man im Verteidigungsbereich erheblich sparen kann. Sie haben die Wünsche ihrer Verteidigungsminister zurückgeschnitten. Ihr Haushaltsentwurf könnte nach unserer Vorstellung für das Jahr 1987 gut um 1,6 Milliarden DM gekürzt werden. ({14}) - Du bist ja auch nie da. Außerdem verstehst du nichts davon; das ist klar. Wir haben Ihnen diese Vorschläge ganz seriös unterbreitet. ({15}) - Erfreulicherweise, Herr Kollege Biehle, haben die Kollegen der CDU, der CSU und der FDP im Haushaltsausschuß wenigstens Kürzungsvorschläge in Höhe von 448 Millionen DM im Detail mitgetragen, und Sie haben darüber durch die globale Minderausgabe, die j a auch diesen Haushalt noch einmal trifft, etwa die Hälfte der Mittel, die wir gekürzt haben wollen, auch fortgenommen. ({16}) Unverforen war der zeitliche Druck, unter den das Parlament bei großen Beschaffungen - Herr Biehle, das geht Sie nun wieder an -, wie den 35 ECR-Tornados, den 250 Leo 2 oder der Freigabe von 380 Millionen DM für die Konzeptions- und Definitionsphase des Jägers gestellt wurde, ohne daß wir kritische Fragen stellen konnten. Dinge, Herr Biehle, die im Bundesministerium der Verteidigung monatelang strittig gewesen sind, ({17}) sollten im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuß in einer Woche entschieden werden. Da wir alle Aufgaben im Wahlkreis und auch Funktionen in der Partei an anderer Stelle haben, kann niemand in so kurzer Zeit solch wichtige Fragen in der eigenen Fraktion sorgfältig beraten. Selbst dann, wenn man als Berichterstatter, lieber Herr Biehle, sehr intensiv mit den Dingen beschäftigt ist, braucht man bei solchen großen und wichtigen Projekten Zeit, um nachzufragen. ({18}) Wenn in der Presse, aber auch in der Truppe der immer geringer werdende Konsens in der Verteidigungspolitik zwischen den großen Parteien beklagt wird, dann liegt auch in Ihrem Umgang, Herr Wörner, mit dem gesamten Parlament und der Opposition ein wichtiger Grund. Ich werfe Ihnen vor und bedauere das zugleich, daß es so ist, daß Sie aus wahltaktischen Gründen keinen Konsens mit der Opposition in wichtigen Fragen gesucht haben. Sie sind aber auch gar nicht in der Lage - was ja viel interessanter ist -, auf sorgfältig zu prüfende Fragen um die Entwicklung eines modernen Abfangjägers vernünftige Antworten zu geben. Gerade die Dimension dieses Projekts verlangt dies; denn noch sind die 380 Millionen DM nicht mit entsprechenden Aufträgen belegt, Herr Kollege von Hammerstein. Oder wollen Sie vielleicht, meine Damen und Herren von der Koalition, die Sie dann in die Opposition kommen, daß wir in der neuen Legislaturperiode prüfen, vielleicht auch in einem Untersuchungsausschuß, wer denn eigentlich dafür gesorgt hat, daß die Entwicklungskosten ohne einen sorgfältigen Nachweis beim Jäger 90 von Jahr zu Jahr explodiert sind. Wer anders ist dafür verantwortlich zu machen als der Minister Wörner und vielleicht einige Vertreter der Industrie? So intensiv sich der Verteidigungsminister bemüht hat, das Geld der Steuerzahler zur Industrie zu schaffen, ({19}) so wenig hat er sich um die Lage der Soldaten und seiner zivilen Mitarbeiter gekümmert. ({20}) Nichts hat er in den letzten vier Jahren für die zivilen Mitarbeiter getan. Doch: einen dritten Staatssekretär bestellt, von dem wir überhaupt nicht wissen, was er eigentlich tut. Viele andere Stellen bei den zivilen Mitarbeitern hingegen sind gekürzt worden. Auch im Haushaltsjahr 1987 muß der Verteidigungshaushalt im personellen Bereich wieder als Steinbruch herhalten. Neue Stellen in anderen Ressorts werden im Verteidigungsbereich eingespart. Gerade die immer komplexer werdenden nationalen und internationalen Waffenentwicklungen verlangen qualifizierte Fachleute mit technischen, juristischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Allein das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung hat 1972 noch mit 19 421 Mitarbeitern seine auch damals sehr umfangreiche Arbeit geleistet. 1985 waren es noch 17 862 Bedienstete bei einem heute wahrscheinlich sogar doppelt so umfangreichen Arbeitspensum. Prüfen Sie einmal, wie es sich verhält. Für 150 internationale Programme hat der Verteidigungsminister nicht genügend Mitarbeiter und nicht einmal genügend Reisekosten. Gute Mitarbeiter können viel Geld sparen, vor allen Dingen dann, wenn man sie sorgfältig prüfen läßt. Sie kommen nämlich sogar, Herr Biehle, der Industrie auf die Schliche, wenn man das will. Erfreulich an der augenblicklichen personellen Lage der zivilen Mitarbeiter ist allein die hohe Zahl der Auszubildenden. Aber auch die könnte noch angehoben werden; denn die Altersstruktur gerade bei den zivilen Mitarbeitern wird von Jahr zu Jahr kritischer. Warum haben Sie, Herr Wörner, nicht gegenüber dem Bundesfinanzminister für neue Stellen gekämpft und dafür Einsparungen im Rüstungsbereich angeboten? Kritisch ist aber auch die Lage der Soldaten. Es ist richtig, daß zwischen 1983 und 1987 die Zahl der Zeitsoldaten gestiegen ist. Die Lage der Soldaten ist jedoch nicht besser geworden. In keinem anderen Ressort gibt es mehr die Besoldungsgruppe A 2 Frau Traupe nur bei den Soldaten. Zoll und Grenzschutz wurden besser bedient vom Finanz- und Innenminister. Schlimmer aber ist es, daß nur ein paar kosmetische Verbesserungen bei der Struktur erfolgten. Besonders im Unteroffiziers- und Feldwebelbereich, aber auch im militärfachlichen Dienst und auch bei den Offizieren ist die Enttäuschung darüber gewachsen, daß man für einen harten Dienst und sehr lange Arbeitszeiten weder angemessen bezahlt wird noch menschliche Anerkennung erhält. Im Gegenteil: Immer mehr Frauen sind über die Belastung verbittert, die ihre Männer durch ihre Berufswahl für sich und ihre Familien übernommen haben. Wenn sogar „Bundeswehr aktuell" am 17. November 1986 auf das „Hammelburger Manifest" der enttäuschten Hauptleute eingeht, zeigt dies nur, wie sehr sich die Stimmung unter den Soldaten in den vier Jahren Ihrer Regierungszeit verändert hat. Wenn angesichts von 2 800 auf ihre Beförderung wartenden Hauptleuten der neue Generalinspekteur mit der Schaffung von 260 Stabsoffiziersstellen in den Jahren 1983 bis 1985 antwortet und die Frühpensionierung von 350 Offizieren in 1986 als Lösung präsentiert, der weitere 790 folgen sollen, dann befriedigt das nicht. ({21}) - Natürlich sind die Probleme beim Heer erheblich größer, Herr Wellershoff, als bei der Marine. Für die sachliche Zusammenarbeit im 11. Deutschen Bundestag sollten die personellen Fragen der Bundeswehr in den Mittelpunkt gestellt werden. Da haben wir Sozialdemokraten mehrfach die Zusammenarbeit angeboten. Wegen der vielen unbequemen und ungelösten Fragen haben Sie, Herr Dr. Wörner, diese nicht mit uns diskutieren wollen. Auch hier hat es kein Bemühen um Konsens gegeben. Dies aber haben die im Verteidigungsbereich für uns alle arbeitenden Menschen nicht verdient. Die SPD-Fraktion lehnt aus den vorgetragenen Gründen Ihren Verteidigungshaushalt ab. ({22})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich spreche zugleich für meinen Kollegen Paul Löher, der seit Jahren insbesondere die Personaltitel des Verteidigungshaushalts betreut hat. Herr Löher kandidiert nicht wieder für den Deutschen Bundestag und hat deshalb heute darauf verzichtet zu sprechen. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, um Paul Löher sehr herzlich für die auch warmherzige menschliche Betreuung der Soldaten bei der Bundeswehr und auch des Zivilpersonals an dieser Stelle zu danken. ({0}) Frau Traupe hielt es für richtig, eben darauf hinzuweisen, daß der Verteidigungsminister nicht in zufriedenstellendem Maß mit dem Parlament zusammenarbeiten würde. ({1}) Ich möchte dem entschieden und aus Überzeugung widersprechen. Der Verteidigungsminister ist ein vielgefragter Mann: Er soll nicht nur im Ministerium sein; er soll bei der Truppe sein; er ist auf internationaler Ebene ein gesuchter Gesprächspartner. ({2}) Überall soll er sein. Er hat da viel an Rat, an Wissen und an Persönlichkeit einzubringen. Deshalb danke ich ihm dafür, daß er jederzeit zur Verfügung steht. ({3}) Dieser unser Dank gilt auch an die zivile Seite der Hardthöhe. Ich möchte für die zivile Seite namentlich den beiden Staatssekretären, Herrn Staatssekretär Ermisch und Herrn Staatssekretär Professor Timmermann, danken. Stellvertretend für die militärische Seite möchte ich dem Generalinspekteur danken. ({4}) Frau Traupe hielt es eben für richtig, in eine Generalabrechnung für die letzten vier Jahre Verteidigungspolitik einzutreten. Frau Traupe, wenn Sie die Haushaltsdebatte so anlegen, gehe ich hierauf sehr gerne ein. Gestern hat Ihr Kollege Wieczorek in seiner Eigenschaft als Obmann im Haushaltsausschuß gesagt: Wenn Herr Rau Kanzler werden sollte, womit wir alle nicht rechnen, ({5}) wolle er als erstes den Anteil des Verteidigungshaushalts am Gesamthaushalt auf jenen Anteil zurückführen, der 1982 gegeben war. Im Jahre 1987 liegt der Verteidigungshaushalt bei 18,9 % am Gesamthaushalt. Er lag 1982 bei 18,3% am Gesamthaushalt. In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt dies, daß Sie von der SPD diesen vorliegenden Haushalt um 1,7 Milliarden DM kürzen wollen. ({6}) In diesem Rahmen lagen auch die Kürzungsanträge, die Sie im Parlament gebracht haben. Es waren im Haushaltsausschuß etwas mehr als 1,5 Milliarden DM. Nur, meine Damen und Herren insbesondere von der SPD, Sie müssen sich einmal klarwerden, was Sie denn eigentlich wollen. Ihr abrüstungspolitischer Sprecher Herr Bahr betont vehement, daß er die Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen wolle, und er weist gleichzeitig darauf hin, daß dann die konventionelle Verteidigung um so mehr an Bedeutung gewinne. ({7}) Er sagt sehr deutlich und ohne Einschränkung, daß diese konventionelle Verteidigung aber erheblich teurer sei als die heutige Form der Verteidigung. ({8}) Mit anderen Worten: Herr Bahr sagt: Die Verteidigung wird mehr Geld kosten, und Herr Rau sagt, er will den Anteil des Verteidigungshaushalts und damit insbesondere seinen Ansatz herunterfahren. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, dann komme ich mit meiner Zeit nicht hin. - Sie haben j a genug Redner. Zu allem Überfluß gibt es dann bei Ihnen in der SPD noch das von Bülowsche Papier, das ja die Bundeswehr letztlich auf eine Milizarmee zurückführen will, ({0}) auf einen Kernbestand von etwa 400 000 Soldaten und dazu etwa 800 000 Reservisten. Wer sich jemals mit der Materie befaßt hat, der weiß, daß es die teuerste aller Lösungen ist, wenn man Soldatenplätze mit Reservisten besetzt. Ein Reservistenjahr kostet rund doppelt so viel wie ein Wehrpflichtigenjahr. ({1}) d. h. zu deutsch, was von Bülow will, ist noch teurer als das, was heute im Verteidigungshaushalt steht. ({2}) Es sind aber nicht nur die Finanzansätze, die bei Ihnen so auseinanderklaffen. Im Grunde genommen ist es auch die Konzeption, die bei Ihnen so auseinanderklafft. Wenn Herr Rau sagt, falls er Kanzler würde, wolle er zunächst einmal den NATO-Doppelbeschluß aufkündigen, dann läuft es j a in der Richtung darauf hinaus, was Sie auf dem Nürnberger Parteitag gesagt haben. Auf dem Nürnberger Parteitag haben Sie gesagt, Sie wollen auf den Zustand von 1979 zurück. ({3}) Das heißt, Sie wollen, Herr Voigt, den Russen konkret 420 Raketensprengköpfe atomarer Art zugestehen. ({4}) Das ist seine Aussage, an der es nichts zu deuteln gibt. Sie widersprechen sich da am laufenden Band. Sie verhandeln mit der SED; Sie verlangen eine atomwaffenfreie Zone, aber nicht die Vernichtung dieser Waffen, sondern Sie verlangen nur, daß diese Waffen zurückgezogen, mithin im Hinterland zusätzlich gelagert werden. ({5}) An jedem Flugplatz, an dem die zusätzliche Lagerung stattfindet, gründen Sie aber sofort Bürgerinitiativen und gehen massiv dagegen vor. Sie sprechen auf Ihrem Nürnberger Parteitag davon, daß die strukturelle Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr hergestellt werden müsse. Mit anderen Worten: Die Bundeswehr dürfe - so Sie - keinen Angriffskrieg führen können. Ich frage Sie nur: Wer hat denn 13 Jahre lang die Bundeswehr geführt? Was haben denn da Ihre Minister bloß aufgebaut, ({6}) wenn Sie heute der Bundeswehr vorwerfen, sie könne jederzeit einen Angriffskrieg führen? Das sind doch Vorwürfe an Ihre ureigenste Adresse. ({7}) Werden Sie doch einmal mit sich einig, was Sie da eigentlich wollen. ({8}) Frau Traupe, dieses Beispiel zeigt wie viele andere: Es gibt in Ihrer Fraktion auf jedem Gebiet der Politik mehrere Richtungen. Kommen Sie einmal mit sich ins klare, bevor Sie ernsthaft Regierungsverantwortung anstreben. ({9}) Nun Frau Traupe, haben Sie eben ein aus Ihrer Sicht schlechtes Beispiel angeführt, indem Sie da sagten, beim Kampfflugzeug der neunziger Jahre sei alles zu schnell gegangen. Wer sich mit der Materie beschäftigte - Sie haben es auch getan; ich weiß dies genau -, der hat sich seit Monaten mit dem Thema Kampfflugzeug der 90er Jahre befassen können. Was Sie damals wollten, war in Wirklichkeit folgendes: Sie wollten, daß der Verteidigungsminister zu jener Zusammenkunft der Verteidigungsminister geht, ohne daß er eine vollwertige Unterschrift unter das entsprechende MOU hätte setzen können. Sie wollten eigentlich einen Parlamentsvorbehalt mit der Folge, daß die Unterschrift nicht vollwertig gewesen wäre. Wir sind einen anderen Weg gegangen. Das wissen Sie; das sollten Sie der Fairneß halber sagen. Wir haben zunächst nur die Entwicklungskosten freigegeben und wollen uns nach Abschluß der Definitionsphase klipp und klar frei entscheiden können. Wir haben nicht das ganze Flugzeug freigegeben, wir haben nur die Definitionsphase freigegeben und nicht mehr. Wir wollen im Frühjahr einwandfrei vergleichen können, ob das, was die deutsche Industrie mit ihren Verbündeten hier entwickelt, eine ernsthafte Alternative zu dem ist, was Amerika möglicherweise anbietet. Dieses Vorgehen halte ich für richtig. ({10}) Als wir den Verteidigungshaushalt berieten, standen wir vor einer Gesamtproblematik. Der Entwurf des Haushalts, den uns der Finanzminister vorgelegt hatte, sah ja ein Steigen der Neuverschuldung von 620 Millionen DM vor. Im Laufe der Beratungen kamen weitere Nachforderungen, und es kam die Erkenntnis dazu, daß das Steueraufkommen beim Bund im nächsten Jahr etwa 1 Milliarde DM niedriger sein werde, als bisher unterstellt wurde. Wenn wir die Dinge hätten laufen lassen, dann wäre die Neuverschuldung um etwa 2,5 Milliarden DM gestiegen. ({11}) Statt dessen haben wir so gekürzt, daß die Neuverschuldung um 1 Milliarde DM sinkt. Dies war natürlich nicht möglich, ohne auch im Verteidigungshaushalt, der ja der zweitgrößte im Bundeshaushalt ist, Einsparungen vorzunehmen. Herr Verteidigungsminister, wir haben darüber manch kritisches Wort getauscht. Ich weiß: Jede Mark, die wir gestrichen haben, hat Ihnen auch ganz persönlich wehgetan. Bisweilen hatte ich den Eindruck, als wäre es ein Schnitt in Ihr Fleisch. ({12}) Ich schätze es - das muß ich ausdrücklich sagen -, wenn ein Minister und seine Leute so engagiert für ihre Aufgabe kämpfen. Wir kamen nicht umhin: Wir mußten 450 Millionen DM aus Ihrem Haushalt herausstreichen. Ich möchte aber ausdrücklich sagen: Dies geschah, ohne daß die Verteidigungsfähigkeit auch nur im geringsten geschmälert worden wäre. Wir haben auch kein einziges Projekt gestreckt oder gestrichen. Wenn wir etwa in Anpassung an den Dollarkurs 90 Millionen DM herausgenommen haben, so war dies im Grunde genommen eine formale Anpassung. Wenn wir 190 Millionen DM herausgenommen haben, weil Zeitsoldaten jetzt bereit sind, länger zu dienen, wodurch die Nachversicherung nicht so anfällt, wie ursprünglich unterstellt, dann ist das im Grunde genommen ein Vorgang, der die Verteidigungsfähigkeit erhöht, obwohl wir dafür 190 Millionen DM weniger brauchen. Wenn wir die Preise für Benzin und Diesel, also für Energie, der jetzigen Preissituation angepaßt haben und im übrigen der Tatsache Rechnung getragen haben, daß die Lager voll sind, dann ist dies eine finanzielle Anpassung, ohne daß im übrigen die Verteidigungsfähigkeit tangiert wird. Nun ist es aber nicht so, Frau Traupe, als wäre in den vier Jahren nicht eine ganze Menge sowohl im Personal- als auch im Materialsektor geschehen. Ich darf nur einmal daran erinnern: Herr Horn, wir haben im nächsten Haushalt Mittel für 2 000 längerdienende Soldaten mehr angesetzt. Damit haben wir in dieser Legislaturperiode 14 000 Längerdiener mehr. Es sind jetzt insgesamt 265 000. Wir haben 16 000 Unteroffiziere neu gewonnen. Das ist ein wichtiger Tatbestand, wenn man dem Vorwurf des Gammelns begegnen will, einem Vorwurf, den man immer weniger hört. Wir haben in diesen vier Jahren 3 850 Planstellen bei der Bundeswehr zusätzlich genehmigt. Die Stellen werden z. B. benötigt, um die Heeresstruktur IV vollenden zu können oder um neue Projekte - wie beim Tornado oder bei der Fregatte - beginnen zu können und anderes mehr. Nicht zu vergessen: Wir haben auf Grund des Personalstrukturgesetzes die vorzeitige Pensionierung von 1 200 Offizieren eingeleitet. Das bedeutet eine Verjüngung des Offizierscorps und im übrigen einen Abbau beim Verwendungsstau. ({13}) Ich möchte darauf hinweisen, daß wir als Berichterstatter 50 Millionen in den Haushalt eingebracht haben, um arbeitslosen Zeitsoldaten nach ihrer Entlassung helfen zu können. ({14}) Wir haben darüber hinaus im Rahmen der Unterhaltssicherung weitere 11 Millionen Mark in den Haushalt eingestellt. Ich möchte daran erinnern: Obwohl wir den Wehrsold, das Weihnachtsgeld und das Entlassungsgeld erst am 1. Oktober 1984 erhöht haben, werden Wehrsold und Weihnachtsgeld schon wieder zum 1. Januar 1987 erhöht. Wir werden im Zusammenhang mit der Verlängerung der Wehrdienstzeit erneut am 1. Oktober 1989 sowohl den Wehrsold, wie das Weihnachtsgeld, wie auch das Entlassungsgeld erhöhen. ({15}) Die Maßnahmen auf diesem personellen Sektor ließen sich beliebig verlängern. Mit anderen Worten: Es ist eine konsequente Politik der Verbesserung der Personalsituation ({16}) und damit der Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit betrieben worden. ({17}) Ähnliches gilt im übrigen auch auf dem Materialsektor. Wir haben z. B. „Patriot" und „Roland" auf den Weg gebracht, was einer Verbesserung der Luftverteidigung Europas dient. ({18}) Wir haben „MARS" auf den Weg gebracht. Wir haben z. B. 35 ECR-Tornados zur besseren Aufklärung und zur besseren Durchsetzungsfähigkeit dieses Waffensystems bestellt. ({19}) Ich darf daran erinnern: Wir haben 150 Leopard-2Panzer in Auftrag geben können. Wir werden demnächst über ein drittes Flottendienstboot entscheiden, und wir werden darüber hinaus noch eine ganze Menge anderer Dinge in Arbeit nehmen kön19382 nen. Auch auf dem Materialsektor ist die Verteidigungsfähigkeit erhöht worden. Für beides, für die Tatsache des Fortschritts auf dem personellen wie auf dem materiellen Sektor, möchte ich ein herzliches Dankeschön sagen. Nun sind eben kritische Worte im Zusammenhang mit der Rüstungsindustrie gefallen. Als heute morgen Herr Gansel hier sprach und die Blaupausen der Kieler Werft erwähnte - ich mißbillige, daß deren Verkauf ohne entsprechende Genehmigung erfolgte -, als er generell zu Attacken gegen die Rüstungsindustrie ausholte und als auch Sie, Frau Traupe, eben viele kritische Worte gesagt haben, da würde ich einmal am liebsten fragen: Sind Sie denn dagegen, daß z. B. die Werft in Kiel jetzt drei Containerschiffe baut, für die der Bundesverteidigungsminister je Schiff 75 Millionen DM zuschießt, weil die Schiffe im Ernstfall der NATO zur Verfügung stehen? ({20}) - Nun frage ich Sie, Herr Waltemathe: Sind Sie als Bremer Abgeordneter, dagegen, daß die Bremer „Vulkan" zwei Containerschiffe baut, für die aus dem Verteidigungshaushalt 50 Millionen DM gezahlt werden? Soll ich Ihr Nicken als Ablehnung dieses Auftrags verstehen? ({21}) - Eben nicht. Aber dann prangern Sie es gleichzeitig wieder an. Sind Sie dagegen, daß wir ein drittes Flottendienstboot an die Neue Flensburger Gesellschaft geben - zu den zwei Booten dazu, die bereits gebaut werden? ({22}) Hier widersprechen Sie, aber das ist genau Rüstungsindustrie. Hier halten Sie große Reden, wenn es konkret wird und wenn es um Ihre Wahlkreise geht, stellen Sie es plötzlich ganz anders dar. ({23}) Ich möchte hier auch ein für allemal mit dem Vorurteil aufräumen, als würden wir eine reinrassige Rüstungsindustrie unterhalten. Wir haben in Deutschland kaum ein Rüstungsunternehmen, das ausschließlich von der Verteidigung lebt. Es gibt einige wenige auf dem Waffen- und Munitionssektor, sonst aber nicht. Bei den Werften ist der Anteil des Baus für die Marine von 5% auf jetzt 10 % gestiegen, weil die zivilen Aufträge zurückgegangen sind. Selbst in der Luftfahrtindustrie ist der Bundeswehranteil unter 60 % gesunken. Damit wir auch einmal den Umfang sehen: Diese sogenannte Rüstungsindustrie hat im letzten Jahr für 21 Milliarden DM Güter produziert, aber auf den Export fallen insgesamt nur 2,5 % des gesamten Exports. Das entspricht einem Prozent unseres Sozialprodukts. Das heißt, in Beschäftigtenzahlen ausgedrückt: 250 000 Menschen arbeiten in dieser Rüstungsindustrie. Zugegeben, nicht wegen der Beschäftigung dieser Unternehmen geben wir die Aufträge dorthin. Ebensowichtig, wie eine leistungsfähige Bundeswehr für unsere Verteidigung ist, ist eine leistungsfähige Rüstungsindustrie. Ich habe die herzliche Bitte an den Verteidigungsminister, bei unseren Bündnispartnern auch für die Produkte unserer Industrie zu werben. ({24}) Aus diesem einseitigen Zug muß ein Zug auf Gegenseitigkeit werden. ({25}) Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland kann nicht isoliert von der Sicherheitslage in der Welt gesehen werden. Mehrfach ist heute der Name „Reykjavik" gefallen. Wir wollen doch ehrlich sein: In Reykjavik ist etwas in Gang gekommen, etwas in Richtung Abrüstung auf dem atomaren Sektor. Wenn es richtig ist, daß der Osten uns auf dem konventionellen Sektor überlegen ist, wenn es richtig ist, daß der Osten auch auf dem Sektor der Kurzstreckenraketen überlegen ist, und wenn es richtig ist, daß allenfalls bei den Mittelstreckenraketen in der Kampfkraft ein ungefähres Gleichgewicht besteht, ({26}) dann müßte eigentlich, wenn ich logisch denke, bei einem schrittweisen Vorgehen zunächst einmal das Übergewicht auf dem konventionellen Sektor abgebaut werden und dann das Übergewicht auf dem Sektor der Kurzstreckenraketen, bis man zu einer Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen kommen könnte. ({27}) Ich weiß natürlich auch, daß eine Diskussion und eine Willensbildung in Gang gekommen sind, die diese Schrittfolge nicht mehr zulassen. Wenn man aber mit der Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen beginnt, dürfen, so meine ich, die Verhandlungen nicht isoliert über Mittelstreckenraketen geführt werden, sondern dann müssen auch die anderen Waffensysteme, die mit anderer Reichweite, im Auge behalten werden. ({28}) Nun, in jedem Falle aber - ich danke für den Zwischenruf - wird die konventionelle Verteidigungsfähigkeit künftig an Bedeutung gewinnen. Dies heißt wiederum, daß auch auf Deutschland Anforderungen zukämen, die aus meiner Sicht weder wirtschaftlich noch politisch in der Weise verkraftbar wären, daß der deutsche Verteidigungshaushalt beliebig gesteigert werden könnte. Vor diesem Hintergrund habe ich tatsächlich die folgende Überlegung in die politische Diskussion eingeführt. ({29}) - Ich spreche hier als freier Abgeordneter! ({30}) Das Abrücken von atomaren Systemen bedeutet j a im Grunde genommen ein Auseinanderrücken der Militärblöcke. Das heißt, dazwischen könnte durchaus Raum für eine Wiedervereinigung Deutschlands entstehen, wobei ich betonen möchte: Dies ist aber ein Sicherheitskonzept, das sich aus sich heraus tragen muß. Das heißt, es muß nicht nur im deutschen Interesse, sondern muß auch im westlichen Interesse und ebenso im östlichen Interesse liegen. ({31}) Ich habe den Eindruck, daß durch die KSZE- und die KVAE-Konferenzen eine Änderung des Bewußtseins in beiden Blöcken in Gang gekommen ist. Wenn dort von der Selbstbestimmung der Völker die Rede ist, muß dies letztendlich eben auch auf freie Wahlen in beiden Teilen Deutschlands hinauslaufen. ({32}) Da sich dann der Charakter der beiden Systeme ändern wird - ihr militärischer Charakter wird nicht mehr so im Vordergrund stehen wie bisher - und da j a, wie ich außerdem sehen muß, im Grunde jedes NATO-Land einen anderen Status in der NATO hat, könnte dann eine Phase beginnen, in der ein wiedervereinigtes Deutschland durchaus Partner seiner westlichen Verbündeten sein könnte, ohne dadurch Mißtrauen im Osten hervorzurufen. Dafür daß dies einigermaßen akzeptiert würde, wäre Voraussetzung, daß ein solchermaßen wiedervereinigtes Deutschland durch westliche Demokratien „verbürgt" würde. Ich möchte diesen Gedanken hier nicht weiterführen; meine Zeit ist auch gleich abgelaufen. Mir kommt es nur darauf an, nicht im reinen Raketendenken steckenzubleiben, sondern ein Stück deutscher Politik operativ auf der Weltbühne einzuführen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schierholz?

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, meine Zeit ist gleich um. - Ich wollte dies in die operative Politik eingeführt haben. Mir liegt daran, daß wenigstens der Fuß in die Türe gestellt wird, wie gesagt, im allseitigen Sicherheitsinteresse. Nochmals, verehrter Herr Verteidigungsminister, recht herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit, die wir hatten. Ich möchte Ihnen und Ihren Herren weiterhin viel Glück bei dieser schwierigen Arbeit wünschen. Sie dürfen sicher sein, daß auch in Zukunft unsere Zusammenarbeit fruchtbar gestaltet werden wird. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bastian.

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den gestern veröffentlichten Zahlen brechen die Rüstungsausgaben im Weltfriedensjahr alle Rekorde. In jeder Minute werden 3,4 Millionen DM für Waffenkäufe ausgegeben. Im selben Zeitraum verhungern 40 Kinder. Bis zum Jahresende werden 1 800 Milliarden DM für Rüstung verschwendet sein. Mit weniger als 1/3% dieser unvorstellbaren Summe, nämlich mit knapp 5 Milliarden DM, könnte eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit in den Ländern der Dritten Welt, die Malaria, ein für allemal beseitigt werden; doch dieses Geld steht nicht zur Verfügung. ({0}) Und so werden die Menschen in diesen Ländern weiter an Malaria dahinsiechen und sterben, genauso wie weiterhin Jahr für Jahr 20 Millionen Kinder in unserer so schönen Welt elend zugrunde gehen werden, weil die Menschheit so klug ist, dafür zu sorgen, daß pro Kopf der Erdbevölkerung mehr Kilo Sprengstoff als Brot produziert werden. ({1}) Niemand sage, das wäre nicht auch unsere Schuld. Auch unsere ständigen Forderungen nach mehr militärischem Schutz und nach wirksameren nuklearen Garantien der westlichen Führungsmacht, unser ständiges Pochen auf militärische Stärke sind mitverantwortlich dafür, daß die Rüstungsausgaben der NATO die des Warschauer Paktes Jahr für Jahr beträchtlich übersteigen, wobei die Bundesrepublik mit dem für 1987 vorgesehenen Militärhaushalt von über 50 Milliarden DM einen stolzen sechsten Platz in der Weltrangliste der Länder mit den höchsten Rüstungsausgaben einnimmt, und dies schon ohne Berücksichtigung der verschleierten Rüstungsausgaben im Gesamthaushalt. Wenn man sich diese Zahlen vergegenwärtigt, wird klar, welchen Wahnsinnstanz wir aufführen, indem wir eine Aufrüstungspolitik finanzieren, die sich immer katastrophaler vom Versprechen des Bundeskanzlers entfernt, Frieden mit immer weniger Waffen schaffen zu wollen. ({2}) Nicht jeder Vorgänger des Bundeskanzlers im Amt hat es mit der Wahrheit stets genau genommen, doch so ungeniert hat noch keiner die Öffentlichkeit getäuscht, wie Bundeskanzler Kohl das am Beginn seiner Kanzlerschaft mit jenem erkennbar nicht ernstgemeinten Versprechen getan hat. Was hätte ansonsten nähergelegen, als dieses Versprechen schon bei der Entscheidung über die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen in unserem Land vor nunmehr drei Jahren durch einen Verzicht auf eben dieses Ausrüstungsvorhaben einzulösen, dessen destabilisierende Wirkung damals vorauszusehen war und von den Kritikern des Vorhabens auch vorausgesagt wurde. ({3}) Was hätte nähergelegen, wenn es dem Kanzler mit seiner Ankündigung ernst gewesen wäre, als in der Folge im Bündnis und gegenüber den Vereinigten Staaten auf ernsthafte Abrüstungsschritte zu drängen und jenem unseligen Vormachtstreben der USA entgegenzuwirken, das die NATO vom ursprünglichen Sicherheitskollektiv gleichberechtigter Länder vor den Augen des Kanzlers und mit seiner willfährigen Unterstützung in eine Hilfstruppe zur Durchsetzung amerikanischer Weltmachtinteressen umgewandelt hat? Doch nichts davon kam Bundeskanzler Kohl und seinem Verteidigungsminister in den Sinn. Im Gegenteil, der Bundeskanzler hat bei allen nur möglichen Gelegenheiten dem amerikanischen Präsidenten bedingungslose Gefolgschaft auch gegen die offensichtlichen Interessen der Menschen in beiden deutschen Staaten offeriert. Diese Willfährigkeit hat der Kanzler auch beim bisher größten Betrugsmanöver in der an solchen Enttäuschungen ja nicht gerade armen Geschichte ehrgeiziger Rüstungsvorhaben unter Beweis gestellt, nämlich bei der sogenannten Strategischen Verteidigungsinitiative der USA. Vielleicht hat Herr Kohl ja wirklich nicht begriffen, daß dieses Projekt alles andere als defensiv ist, ({4}) weil es beim gleichzeitigen Ausbau der amerikanischen nuklearen Offensivpotentiale nur als Ergebnis eines Strebens nach der risikolosen Fähigkeit zur nuklearen Offensive bewertet werden kann. Trotzdem hätten er und sein Verteidigungsminister erkennen müssen, daß es keine Abrüstung geben wird, solange die USA entschlossen sind, am SDIProgramm über die Forschungsphase hinaus festzuhalten. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, im Augenblick nicht. Ich habe leider nur sehr wenig Redezeit. ({0}) Er hätte die in diesem Punkt sehr eindeutigen Erklärungen aus dem Kreml ernst nehmen sollen, die keinen Zweifel daran lassen, daß auch Vereinbarungen über den Abbau der Mittelstreckenraketen in Europa nicht möglich sein werden, solange der amerikanische SDI-Stolperstein nicht aus dem Weg geräumt ist. Aber es wird ja ohnehin immer offenkundiger, daß der Bundeskanzler diesen Abbau, daß er Abrüstung gar nicht will. Schon vor Reykjavik, als sich bei den Mittelstreckenraketen ein Verhandlungsergebnis auf der Basis der von ihm früher als großartige amerikanische Friedensoffensive gepriesenen Null-Lösung abzuzeichnen schien, hat Herr Kohl zugelassen, daß aus seiner Partei plötzlich Bedenken gegen einen so weitgehenden Raketenabbau geäußert wurden, die selbst in den USA irritierten. ({1}) Nachdem das Desaster von Reykjavik, die brutale Vernichtung der Menschheitshoffnung auf Abrüstung durch das Festhalten des amerikanischen Präsidenten am SDI-Vorhaben, seine Sorge, es könnte zu einer Null-Lösung für Westeuropa kommen, zerstreut hatte, ist der Kanzler vollends auf jene Linie eingeschwenkt, die General Rogers, von den deutschen Generalen Altenburg und Mack dienstbeflissen sekundiert, vor wenigen Tagen mit militärischer Offenherzigkeit markiert hat: Null-Lösung kommt nicht in Frage, weil, wie der General betonte, der sogenannte NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979 von Anfang an eine Illusion gewesen sei und die amerikanischen Mittelstrekkenwaffen mit der sowjetischen SS-20 nichts zu tun hätten, was die Kritiker dieser nuklearen Aufrüstung Westeuropas immer schon gewußt und gesagt hatten. So ist die Katze doch noch aus dem Sack gekommen, als erneuter Beweis dafür, daß man der Bundesregierung in ihrer Sicherheitspolitik nicht glauben kann, ({2}) weil ihre Aussagen zur Bedrohung, zu angeblich unverzichtbaren Sicherheitsvorkehrungen und zum vorgetäuschten Abrüstungswillen unrichtig sind. Weitere Beweise gibt es genug. Ich brauche nur auf das Wartime Host Nation Support-Abkommen, auf die Pläne für eine europäische Atomstreitmacht, bei der man dann endlich auch die Hand am Drücker hätte, auf die ständigen Plädoyers des Verteidigungsministers für eine europäische Verteidigungsinitiative und auf die militärischen Inhalte von Eureka hinzuweisen. Doch läßt die Kürze der Zeit Ausführungen dazu nicht zu. So möchte ich mich auf die abschließende Feststellung beschränken, daß die GRÜNEN es ablehnen, an der Finanzierung einer Unsicherheitspolitik mitzuwirken, die auf bewußter Täuschung der Öffentlichkeit beruht, ({3}) von einer gezinkten Bedrohungsvorstellung ausgeht, die Abschreckung mit Massenvernichtungswaffen für unverzichtbar hält, den Ersteinsatz von Nuklearwaffen ausdrücklich vorsieht, die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen auf unserem Boden gutheißt und die bedingungslose Unterstützung des amerikanischen Vor- und Übermachtstrebens den eigenen Interessen voranstellt. ({4}) Ich habe gerade noch einen Beweis, der mir soeben in die Hände gekommen ist, dafür mitgebracht, wie primitiv dieses Zinken von Daten vonstatten geht, wenn es sich darum handelt, sowjetische Überlegenheit darstellen zu wollen. In dem jüngsten Faltblatt der Bundesregierung über NATO und Warschauer Pakt wird in einem Kräftevergleich bei den Daten der strategischen Nuklearraketen nur die Zahl der Trägersysteme aufgeführt, weil, wie wir ja alle wissen, die Sowjetunion da den Vereinigten Staaten leicht überlegen ist. Die Zahl Deutscher Bundestag - 10.Wahlperiode - 249. Sitzune. Bonn. Mittwoch. den 26. November 1986 19385 der Gefechtsköpfe, die von diesen Trägersystemen transportiert werden, wird verschwiegen, weil dann das Bild sowjetischer Überlegenheit nicht aufrechzuerhalten wäre, weil, wie wir ebenfalls wissen, die Amerikaner auch mit weniger Trägerraketen mehr Gefechtsköpfe transportieren können als die Sowjets mit mehr Raketen. ({5}) Das ist ein ganz gravierendes Beispiel für die primitive Art und Weise, wie die Öffentlichkeit getäuscht ({6}) und ein Horrorszenario sowjetischer Überlegenheit vorgeführt wird, das der tatsächlichen Nachprüfung nicht standhält. ({7}) - Leider ist es vom Bundespresseamt in so großer Zahl verteilt, daß man befürchten muß, daß es an allen Schulen vorrätig ist. ({8}) - Ja natürlich, das ist klar. Einigermaßen orientierte Leute, wie wir sie zum Glück in der Friedensbewegung haben, erkennen diesen Schwindel natürlich sehr schnell. Nur die Nichtorientierten fallen darauf herein, und das ist die miese Spekulation bei solchem Propagandamaterial. Danke schön. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 10. September dieses Jahres haben wir den Bundeshaushalt der Verteidigung in erster Lesung hier behandelt. Die Regierung übergab uns einen Entwurf, in dem die Ausgaben für den Verteidigungshaushalt mit 51,3 Milliarden DM angesetzt waren. In sehr intensiven und im großen und ganzen sehr kollegialen Beratungen haben wir diesen Entwurf geprüft und legen heute ein Ergebnis vor, das mit einer Summe von 50,8 Milliarden DM abschließt. Daß im Verteidigungsministerium ob dieser vorgenommenen Kürzungen nicht eitel Freude herrscht, versteht sich von selber. Ich bin jedoch der Ansicht, daß die Kürzungen sachgerecht sind, an keinem Punkt zu Lasten des Auftrages der Bundeswehr gegangen sind und daß unsere inhaltlichen Veränderungen qualitative Verbesserungen bewirkt haben. ({0}) Die Steigerungsrate von 1,9 % entspricht exakt der Steigerung des Gesamthaushalts. Wir meinen, daß in dieser moderaten Zunahme zum Ausdruck kommt, daß wir uns der Tatsache bewußt sind, daß Ausgaben für Verteidigung in solcher Höhe in starker Konkurrenz zu anderen Politikbereichen stehen und deshalb besonders sorgfältig geprüft und eingesetzt werden müssen. Unsere Ablehnung weitergehender Kürzungsanträge der Opposition entspricht aber der Einsicht, daß trotz aller Bemühungen um Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung eine optimal ausgestattete Bundeswehr mit motivierten Soldaten und zivilen Mitarbeitern von lebenswichtiger Bedeutung für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sind. ({1}) - Frau Kollegin, ich habe Ihnen im letzten Jahr an dieser Stelle schon gesagt, daß wir uns von niemandem vorschreiben lassen, was wir kürzen, wo wir kürzen und wo wir gemeinsam mit Ihnen etwas darauflegen. ({2}) - Lieber Kollege Peter Würtz, wir unterhalten uns gerne anschließend draußen. Jetzt hörst du erst einmal zu. ({3}) Ausrüstung und Struktur der Streitkräfte des Warschauer Paktes stellen nach wie vor ein Bedrohungspotential dar, das uns bei Verschiebung der Gleichgewichte der Gefahr äußerer Erpressung ausliefern kann. Dieser Gefahr vorzubeugen muß ein Grundanliegen liberaler Sicherheitspolitik sein, für die die Sicherheit vor äußerer Pression Voraussetzung für freiheitliche Gestaltung des innerstaatlichen Lebens ist. Wir meinen, der Verteidigungshaushalt 1987 ist solide und bedrohungsgerecht. Die Mittel für den Bereich Forschung und Entwicklung steigen überproportional. Die Einführung moderner Munition und Munitionsbevorratung ist deutlich verbessert worden. Die zulaufenden Waffensysteme werden mit den erforderlichen Führungssystemen ausgestattet - um nur einige Teilaspekte anzusprechen. Allen drei Teilstreitkräften sind die Mittel zur Verfügung gestellt worden, die sie in die Lage setzen, die vorhandenen Waffensysteme und Ausrüstungen in optimalem Zustand zu erhalten, sinnvolle und notwendige Maßnahmen zur Kampfwerterhaltung und Kampfwertsteigerung zu ergreifen und die Beschaffung der Waffensysteme der 90er Jahre vorzubereiten. Andererseits, meine Kollegen und Kolleginnen, können wir nicht die Augen davor verschließen, daß die Kostenentwicklung bei den komplexen und hochmodernen Waffensystemen besorgniserregend ist. Diese Sorge verstärkt sich noch unter dem Aspekt, daß bei einer möglichen Reduzierung der Zahl der nuklearen Gefechtsköpfe die Fähigkeit zur konventionellen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland noch höhere Priorität erhält. Diese Komplexität und Kostenentwicklung bei den modernen Waffensystemen zwingen uns zunehmend auf den Weg der internationalen Rüstungskooperation. Diese ist zwar unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Struktur der Bewaffnung im Bündnis wünschenswert, andererseits macht mir die konkrete Abwicklung bei diesen Kooperationen nach wie vor und zunehmend Sorge. ({4}) Ich nenne hier nur beispielhaft die Entwicklung bei RAM und bei der Panzerhaubitze, die nicht leben und nicht sterben kann. Internationale Rüstungskooperationen dürfen kein Selbstzweck sein. Sie dürfen weder Einbahnstraße hinsichtlich des Technologietransfers und der Verwertbarkeit der Ergebnisse sein noch dürfen sie zu Sackgassen, d. h. zu Milliardengräbern werden. ({5}) Angesichts der auf uns zukommenden internationalen Kooperation, z. B. beim Jäger 90 und der NATOregatte, müssen unsere Verhandlungspositionen durch geeignete Vertragsbedingungen optimiert werden. Es muß im Extremfall auch möglich sein, eine Kooperation zu verlassen, ohne daß der bündnispolitische Himmel einstürzt. Wir begrüßen nachdrücklich die Bestrebungen des Ministers, durch organisatorische Maßnahmen die Effizienz des gesamten Rüstungsmanagements zu optimieren. Eine Nebenbemerkung: Wer verhandeln will, muß präsent sein. Aus diesem Grund haben wir die Reisekostenansätze erhöht, weil wir gesehen haben, daß es wohl nicht sein darf und sein kann, daß internationale Konferenzen in der zweiten Jahreshäfte nicht oder personell nur unvollkommen wahrgenommen werden können, weil die Reisekasse leer ist. Allerdings werden wir im Verlauf des nächsten Haushaltsjahres sehr genau prüfen, ob der Schlüssel und die Bewirtschaftung für diese Mittel sachgerecht sind oder ob wir hier doch Veränderungen vornehmen müssen. Wir erwarten, daß der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, dem ich für sein nicht einfaches Amt an dieser Stelle Erfolg und eine sichere Hand wünsche, die Bundeswehrplanung sorgfältig analysiert und gegebenenfalls in Teilbereichen revidiert, um Kostenentwicklung und Finanzrahmen im Gleichgewicht zu halten. Herr Generalinspekteur, wir sichern Ihnen hierbei unsere Unterstützung gern zu. Ich möchte nun zum entscheidenden Träger der Verteidigung kommen, ohne den auch das beste Gerät sinnlos wäre: die Menschen in der Bundeswehr. Die Motivation unserer Soldaten ist der wichtigste Faktor für eine optimale Auftragserfüllung. Der Soldat muß sich nicht nur mit dem Auftrag der Streitkräfte identifizieren, er muß sich auch in der Gesellschaft wiederfinden, er muß sich hier sozial und emotional eingebunden fühlen. Hier waren Defizite zu beseitigen. Lassen Sie mich nur einige wenige Beispiele nennen, die entweder auf Betreiben der FDP oder mit ihrer vollen Unterstützung durchgesetzt worden sind. Zu nennen wären die Verbesserungen auf dem Gebiet der Auslandsbesoldung, der Erhöhung der Vergütung für Spitzendienstzeiten, die Verbesserung der Berufsförderung für Soldaten auf Zeit, Verbesserung der Auslandsschulbeihilfen, die vorzeitige Einberufung arbeitsloser Wehrpflichtiger und die Einberufung von Wehrpflichtigen, die studieren wollen, in der Weise, daß ihnen keine Fehlzeiten erwachsen, Erhöhung - das wurde bereits von Dr. Friedmann genannt - des Wehrsoldes, des Weihnachtsgeldes und des Entlassungsgeldes. ({6}) Ein besonderes Anliegen ist meiner Fraktion die Absicherung der ausscheidenden Zeitsoldaten gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit. Wir haben während der Haushaltsberatungen 50 Millionen DM für den Haushalt 1987 eingestellt und die Regierung aufgefordert, ein geeignetes Konzept zu entwickeln. Wer den Anteil der Längerdiener in der Bundeswehr erhöhen will, woran angesichts der demographischen Entwicklung kein Weg vorbeiführt, der muß dafür sorgen, daß die Soldaten auf Zeit, die nach ihrem Ausscheiden aus der Bundeswehr nicht gleich einen Anschlußarbeitsplatz finden, im Extremfall nicht auf das Sozialamt verwiesen werden müssen. ({7}) Wir haben diese Gelder eingestellt, und ich muß sagen, daß ich die Pressemitteilungen von einigen Kollegen aus der SPD zu diesem Thema als ganz besonders wenig hilfreich empfinde. Ich habe hier noch etwas anderes stehen, aber das sage ich dann lieber doch nicht. Wer hat denn lange Jahre den Verteidigungsminister gestellt; wer hat denn in all diesen Jahren die Gelegenheit gehabt, hier tätig zu werden? ({8}) Wir erwarten von der Regierung eine solide Regelung, und zwar für das gesamte Jahr 1987. Es wäre unerträglich, wenn auf der einen Seite frei werdende Haushaltsmittel für die Beschaffung von Waffensystemen, die auf der Zeitachse noch nicht dran gewesen wären - z. B. für den Leo 2 -, zur Verfügung gestellt würden, auf der anderen Seite aber diese wesentliche soziale Sicherungsmaßnahme nicht durchgeführt würde. ({9}) In der nächsten Legislaturperiode ist mit Vorrang die Lösung des Problems der extrem hohen Dienstzeitbelastung anzupacken. Auf Betreiben meiner Fraktion findet demnächst eine Anhörung vor dem Verteidigungsausschuß statt. Ich sagte bereits, daß sich der Soldat in dieser Gesellschaft, die er verteidigen soll, wiederfinden muß. Das bedeutet, daß die hohe Dienstzeitbelastung in einer freizeitorientierten Gesellschaft, die die 35-Stunden-Woche anstrebt, zu einem Schlüsselproblem wird. Es wird ein Hauptanliegen meiner Fraktion sein, in Zukunft dafür zu sorgen, daß vor allem geeignete organisatorische Maßnahmen gefunden werden, mit denen die Dienstzeitbelastung gesenkt werden kann. Für Soldaten wird es niemals wie in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens geregelte Dienstzeiten geben. Dafür ist ein angemessener finanzieller Ausgleich zu finden, der von der bisherigen Regelung der Vergütung von Spitzendienstzeiten abweicht. Er muß u. a. individuell bemessen sein. ({10}) Wir werden dem Familienumfeld der Soldaten künftig größere Aufmerksamkeit widmen müssen. Wir werden weiter nach Regelungen suchen müssen, mit denen Familien, die unter den berufsbedingten Versetzungen des Ehemannes oder Vaters besonders leiden, vor vermeidbaren Härten geschützt werden können. Schließlich möchte ich noch auf die Einbindung der Reservisten in die Streitkräftestruktur eingehen. Die Reservistenkonzeption liegt uns noch nicht vor. Wir wissen aber, daß wir hier vor außerordentlichen Schwierigkeiten sowohl in personeller als auch in finanzieller Hinsicht stehen werden. Auf Grund der demographischen Entwicklung wird die Bundeswehr zu einer Zeit mit diesem absehbaren Mehrbedarf an Reservisten konfrontiert, in der die Personalknappheit auf dem Arbeitsmarkt ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Arbeitgebern zusätzlich beeinträchtigt. Die Reservistenkonzeption wird neben rein organisatorischen Vorsorgemaßnahmen im Bereich der Infrastruktur deutliche Verbesserungen sowohl in materieller Hinsicht als auch in bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung des Dienstes mit sich bringen. Weder wird es angehen, daß Teile der Reservisten finanzielle Benachteiligungen bei Besoldung und Rentenansprüchen haben, noch wird es angehen, daß sie ihre Verwendung als verfehlt, inhaltslos und ärgerliche Zeitverschwendung empfinden. ({11}) Lassen Sie mich abschließend noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Wir müssen in Zukunft verstärkt darauf achten, daß bei der Planung neuer Waffensysteme, bei der Entwicklung ihrer Komponenten und Teilkomponenten und des Verbundes aller Waffen der Bundeswehr im Verein mit den NATO-Partnern Aspekte der Rüstungskontrollpolitik berücksichtigt werden. ({12}) - Ich bedanke mich, Herr Voigt, für Ihre Zustimmung. - Das bedeutet konkret, daß wir einerseits den militärpolitischen Erfordernissen Rechnung tragen müssen - ich hoffe, da stimmen Sie auch zu -, ({13}) daß wir andererseits aber auch immer überlegen müssen, inwieweit durch das Unterstreichen des defensiven Charakters bestimmter Waffensysteme auch hier ein Beitrag zur Vertrauensbildung geleistet und damit eine Chance zur Rüstungsbegrenzung und möglichen Rüstungsminderung genutzt werden kann. Ich betone es nochmals: Im Hinblick auf die Struktur der Bundeswehr der 90er Jahre müssen wir bereits jetzt organisatorische, personelle und waffentechnische Strukturen planen, und zwar so, daß die defensive Struktur der Bundeswehr weiterhin betont wird. Wir müssen die Entwicklung der Waffentechnologie nutzen, der Personalsituation der Streitkräfte Rechnung tragen. Das heißt, wir müssen das tun, was rüstungskontrollpolitisch nutzbar und finanzierbar ist. ({14}) Wir sind in der auslaufenden Legislaturperiode auf vielen Gebieten einen Schritt vorangekommen. Wir sehen hinsichtlich der Bundeswehrplanung für die nächsten zehn Jahre Problembereiche und Risiken. Wir werden insbesondere im Hinblick auf die Preisentwicklung bei Rüstungsgütern ein waches Auge haben, d. h. hinsichtlich der bei der Beschaffung angewandten Verfahren und Methoden. Noch wichtiger sind uns die Situation der Menschen in den Streitkräften, ihr soziales Umfeld und ihre Identifizierung mit dieser Gesellschaft. Die FDP bietet dem Koalitionspartner und dem Verteidigungsminister auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch bei unterschiedlicher Beurteilung mancher Probleme und Schwerpunktsetzung in manchen Gebieten ihre Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung der Zukunftsprobleme an. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu Beginn der Bundeswehr danken. Denn die Bundeswehr hat sich in den drei Jahrzehnten ihres Bestehens zu einem verläßlichen Instrument der Verteidigung im Bündnis entwikkelt. ({0}) Auf dem Höhepunkt der Konfrontation zwischen Ost und West gegründet, unter schwierigen Umständen aufgebaut, in die Normalität staatlicher Institutionen hineingewachsen, hat sie ihren Beitrag zur Erhaltung des Friedens leisten können. Die Bundeswehr hat den Status der Bundesrepublik und die Möglichkeiten der Mitsprache im Bündnis durch ihre Leistungen verbessert und zur Stabilität der westlichen Allianz beigetragen. ({1}) Dies war mit eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Ostpolitik. Die Bundeswehr ist mit der Politik der Entspannung und Rüstungskontrolle verbunden. Offiziere der Bundeswehr sind Mitglieder von Delegationen europäischer Sicherheits- und Rüstungskontrollkonferenzen; sie wirken an Verhandlungen konzeptionell mit. Die Bundeswehr hat keine leichte Aufgabe zu erfüllen. Ihr nicht nur an Jahrestagen zu danken, sondern ihre Probleme rechtzeitig aufzugreifen, das bleibt die Aufforderung an alle Bundesregierungen und auch an unser Parlament. Die Mittel müssen den Aufgaben angemessen sein, für die der Bund Streitkräfte unterhält. In den 90er Jahren wird die Zahl der Wehrpflichtigen abnehmen. Die verfügbaren finanziellen Mittel werden nicht zunehmen. Das strategische Konzept und das Rüstungsprofil werden sich verändern. Die Streitkräfte können nicht die Last verdrängter Probleme und einer widersprüchlichen Sicherheitspolitik tragen. Der Auftrag der Bundeswehr muß für die Gesellschaft nicht nur nachvollziehbar und akzeptabel, sondern er muß für den Soldaten auch erfüllbar sein. Zur Weiterentwicklung der Bundeswehr fordern wir Sozialdemokraten deshalb: Die Bundeswehrplanung für die kommenden Jahrzehnte muß den Erfordernissen der Vorneverteidigung gerecht werden und sich an dem Ziel der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit orientieren. Da die von der Bundesregierung vorgelegte Bundeswehrplanung diesen Ansprüchen nicht entspricht, lehnt die SPD sie ab. Eine Reform der Streitkräftestruktur muß dem Ausbau der stabilitätsfördernden Fähigkeit zur Vorneverteidigung dienen und insbesondere die Funktion der Panzerabwehr, der Sperren und der Luftverteidigung stärken. Die Struktur der Streitkräfte soll die Fähigkeit zur politischen Krisenbewältigung stärken; sie darf keineswegs krisenverschärfende Wirkungen erzeugen. ({2}) Der personelle Verteidigungsumfang muß qualitativ verbessert werden. Der personelle Friedensumfang muß eine grenznahe Deckung ermöglichen, die vor vollendeten Tatsachen durch Überraschungsangriffe wirksam schützt, ausreichen, um in einer Krise die Heranführung alliierter Streitkräfte zu sichern, Vereinbarungen und deutschen Zusagen im Rahmen der Vorneverteidigung entsprechen. Im Rahmen dieser Erfordernisse müssen größere Teile der Streitkräfte auf Kaderverbände reduziert und Präsenzlücken durch Verfügungsbereitschaft und Reservisten abgedeckt werden, muß das Ausbildungssystem so gestaltet werden, daß jeder Wehrpflichtige am Ende seines Grundwehrdienstes für seine zukünftige Verwendung als Reservist ausgebildet ist. Deshalb lehnt die SPD die Verlängerung des Wehrdienstes auf 18 und des Ersatzdienstes auf 24 Monate ab, ({3}) und sie wird es auch rückgängig machen. ({4}) Die Verlängerung führt zu einer Ausweitung der schon heute beklagenswerten Unterbeschäftigung vieler Wehrpflichtiger in den Kasernen und lenkt von der auch aus anderen Gründen dringend erforderlichen Änderung der Bundeswehrstruktur ab. Außerdem, Herr Minister, belastet sie auch zuviel die Ausbilder selbst, die dann mit den Wehrpflichtigen beschäftigt sind, die besser in der Reservistenausbildung beschäftigt würden. ({5}) Hier ist ein Widerspruch: auf der einen Seite Erhöhung der Grundwehrdienstzeit, auf der anderen Seite 400 000 Wehrübungen. Das ist für die Bundeswehr nicht nachvollziehbar. Deshalb nahm auch General Dr. Wachter - denn das ist ein Heeresproblem - seinen Hut, weil er als zweitoberster Soldat des Heeres diese Probleme und den Widerspruch Ihrer Planung klar gesehen hat. ({6}) Die Bundeswehrplanung von Verteidigungsminister Wörner ist gescheitert. Deshalb arbeitet die Hardthöhe im stillen bereits an einer völligen Neufassung. Das wissen doch auch Sie ganz genau. Aber vor den Wahlen wird es der Öffentlichkeit verschwiegen. Herr Wörner hat die wichtigste Aufgabe seines Ressorts, die Personal-, die Rüstungs- und die Finanzplanung zur Deckung zu bringen, verfehlt. Gewiß, seine Ausgangsposition - das muß ich ihm bescheinigen - war denkbar schlecht. Hatte sich doch der Bundeskanzler in der wichtigsten Frage, nämlich beim Personal, gegenüber den USA auf die Erhaltung einer Friedenspräsenz der Bundeswehr von 495 000 Mann festlegen lassen, die - was jeder Sachkenner wußte - von vornherein unhaltbar war. ({7}) Bereits am 30. September 1983 hatte der damalige Generalinspekteur gemeldet - bitte, Frau SeilerAlbring, dem Generalinspekteur Altenburg werden Sie ja wohl noch glauben können -: Trotz der vorgeschlagenen, als realisierbar beurteilten Gegenmaßnahmen wird der derzeitige Umfang aktiver männlicher Soldaten in den 90er Jahren auf ca. 420 000 - ohne Maßnahmen sogar unter 300 000 - absinken. Eine Änderung/Modifizierung der derzeitigen Struktur ist daher nicht zu umgehen. Folglich sind Entscheidungen zu treffen über die neue Struktur der Streitkräfte in den 90er Jahren ... Wenn wir Sozialdemokraten dies fordern, werden wir vom Minister in die Ecke gestellt. Der Generalinspekteur hat es gefordert. Er hat nicht recht behalten. Aber die Bundeswehr wird diese Misere austragen müssen. ({8}) Die notwendigen Entscheidungen sind bis heute nicht getroffen, und sie werden auch vor den Wahlen nicht mehr kommen, ({9}) weil der Union und der FDP die Verlängerung des Grundwehrdienstes auf dem Rücken der jungen Wehrpflichtigen als das kleinere Übel erschien. Selbst wenn damit das Personalproblem keineswegs gelöst werden kann, ließ sich damit doch der Eindruck entschlossenen Handelns vordergründig erwecken. Sie, meine Damen und Herren von Union und FDP, haben am 18. Oktober 1984 in einer unverzeihbaren Nacht-und-Nebel-Aktion mit Ihrer Mehrheit die Fiktion des Bundeskanzlers von einer 450 000 Mann stark bleibenden Bundeswehr gebilligt. Weil das Personalproblem in erster Linie das Heer trifft, hat der zweitoberste Soldat seinen Abschied genommen. Während die Wochenarbeitszeit unserer Gesellschaft zurückgeht, ist die hohe Dienstzeitbelastung zum brisantesten Problem der Truppe geworden. ({10}) Dadurch wird es schwerer und teurer, in Konkurrenz mit der Wirtschaft geeignete Längerdiener für die Streitkräfte der 90er Jahre zu finden. Die Bundeswehr wird in den 90er Jahren weniger Soldaten haben. Dennoch wird der Personalbereich erheblich teurer. Der steigende Mittelbedarf für das Personal und die absehbaren Kostensteigerungen für Beschaffungen sprengen den durch die Finanzleitlinie gesetzten Rahmen. Deshalb widerhole ich die von der SPD gestellten Forderungen nach einer Rüstungsklausur und der Einsetzung einer Wehrstrukturkommission. Das ist unumgänglich. ({11}) Das auffallendste Kennzeichen der Sicherheits-und Verteidigungspolitik der Bundesregierung ist der Verfall der politischen Führung angesichts vielfältiger Herausforderungen: Im Ost-West-Verhältnis bieten sich mit der Abrüstungsoffensive von Herrn Gorbatschow neue Chancen für einen Ausgleich, für eine neue Runde der Entspannung. Die Regierung Reagan nimmt kaum mehr Rücksicht auf ihre Verbündeten. In der letzten Sitzung der Nordatlantischen Versammlung in Istanbul war für alle ersichtlich, daß der Druck der USA auf die Verbündeten - Herr Franke, das wissen auch Sie - vehement zunimmt. In der NATO ist die militärische Strategie im Wandel, nicht zuletzt wegen des amerikanischen SDI-Projekts, das der vereinbarten „flexible response" mit der Allgemeinen Nuklearen Reaktion das Rückgrat nimmt, die relative Verwundbarkeit aller europäischen Territorien vergrößert und zu allem Überdruß auch noch von der Regierung Kohl unterstützt wird - mit Brief und Siegel. ({12}) Die Antwort des Bundeskanzlers auf diese sicherheitspolitische Herausforderung ist Konzeptions-und Ratlosigkeit. Am Beispiel der Null-Lösung für SS 20, Pershing II und Cruise Missiles in Europa wird klar, daß der Amtsnachfolger von Helmut Schmidt weder dessen Verständnis von Richtlinienkompetenz übernommen, noch dessen rüstungskontrollpolitische Ziele überhaupt verstanden hat. Einstweilen sind die Herren Genscher und Rühe Befürworter, die Herren Dregger, Strauß und Todenhöfer Gegner der vollständigen Beseitigung der nuklearen eurostrategischen Systeme. ({13}) Zum Verfall der politischen Führung bei uns und im Bündnis: In diesen Chor der Dissonanzen stimmen dann zu allem Überfluß die höchsten NATOGenerale noch ein. Der Oberbefehlshaber der NATO, General Rogers, sein Stellvertreter, General Mack, und der Vorsitzende des Militärausschusses, General Altenburg, wenden sich unisono gegen die von den Politikern in Reykjavik getroffene Obereinstimmung einer Null-Lösung im Mittelstreckenbereich, ({14}) die damals nur an dem SDI-Projekt Reagans scheiterte. ({15}) General Rogers droht sogar mit seinem Rücktritt bei einer auf die Mittelstreckensysteme bezogenen Null-Lösung. So der General in Istanbul vor dem Militärausschuß. ({16}) Dies signalisiert den Verfall der politischen Führung. Wer hat eigentlich das Sagen im Bündnis? Ratifizieren die Politiker nur die Vorgabe der Militärs? Was sagt eigentlich der Bundeskanzler dazu? Warum läßt er seinen Außenminister im Regen stehen? Warum stellt er jetzt schon künftige Koalitionsarithmetik, warum stellt er Wahlkampfauseinandersetzungen vor die nationalen Interessen seines in dieser Frage existentiell betroffenen Landes? ({17}) Und dann, meine sehr verehrten Kollegen: Hat man denn die Öffentlichkeit schlichtweg belogen, als man die Nachrüstung mit der wachsenden Gefahr der sowjetischen Mittelstreckenraketen be19390 gründete? War es eine Reaktion auf eine echte militärische Bedrohung, oder war es eine binnengeleitete Rüstungsdynamik, die perspektivlos in die Krise führt? Es braucht nicht zu verwundern, daß die Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung in Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine beängstigende Negativbilanz erzeugt hat. Die Kanzlerpartei droht mit ihrer Parole „Weiter so", was j a eigentlich nur heißen kann, daß offenbar weiterhin alle erfolgversprechenden Ansätze torpediert werden sollen, auch in Europa und insbesondere in der Bundesrepublik mit Rüstungskontrolle und Abrüstung Ernst zu machen. Die SPD setzt gegen diesen Politikansatz, der Rüstung mit Sicherheitspolitik und Lippenbekenntnisse mit Abrüstungsbemühungen verwechselt, ihr Konzept einer Strategie der Kriegsverhütung und ihre damit übereinstimmende Rüstungskontrollpolitik. Wie einstimmig auf dem Nürnberger Parteitag beschlossen, fordert die SPD, Strategie, Struktur und Bewaffung der NATO-Streitkräfte nach Maßgabe konsensfähiger zentraler Kriterien zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern. Dazu zählen die Fähigkeit zur Vorneverteidigung ohne Abhängigkeit von Nuklearwaffen zum Zweck der Kriegsführung, die Fähigkeit zur Krisenbewältigung ohne Eskalationszwänge und die Fähigkeit zu Rüstungskontrolle, Abrüstung und militärischer Entspannung. ({18}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD wird daher auch die SDI-Unterstützung aufkündigen und - wie es das im Januar 1985 zwischen den Außenministern Shultz und Gromyko beschlossene und beim Genfer Gipfel bekräftigte Junktim vorsieht - darauf drängen - ich darf aus diesem Kommunique zitieren -: ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern und es auf der Erde selbst zu beenden und zugleich die Kernwaffen zu begrenzen, zu verringern, sowie die strategische Stabilität zu stärken. Ihr Fehler, meine Damen und Herren von der Union, besteht darin, daß Sie Sicherheitspolitik nur unter einseitigen militärischen Kategorien betreiben wollen. Dieser Satz, von Außenminister Genscher 1980 im Deutschen Bundestag an Sie gerichtet, hat auch heute noch seine Gültigkeit. Wir lehnen aus diesen Gründen den Verteidigungshaushalt ab. ({19})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Bundesminister der Verteidigung das Wort. ({0})

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich sehr herzlich bei dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, bei den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, aber insonderheit bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern bedanken, bei Frau Seiler-Albring, bei Frau Traupe, beim Kollegen Friedmann, beim Kollegen Löher, dessen Ausscheiden ich sehr bedauere und dem auch ich Dank sagen möchte, und beim Kollegen Weng. Ich weiß, was das bedeutet. Ich kann nur sagen: Wir stoßen bei allen Kolleginnen und Kollegen auf großes Verständnis und haben die nötige Kontrolle - wie sie vorgesehen ist -, aber auch die nötige Unterstützung im Grundanliegen der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland. Dafür möchte ich mich in aller Form - auch im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums - bedanken. Liebe Frau Traupe, ich habe Sie natürlich eingeschlossen; denn ich nehme ihre Rede von vorhin als das, was sie wahrscheinlich auch sein sollte: ein bißchen Wahlkampf am heutigen Tage. ({0}) Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie das alles ernst meinen. Liebe Frau Traupe, wir haben an diesem Tag unisono eine Melodie vernommen: Heute morgen hat man uns dargestellt, wie schlimm es in der Bundesrepublik Deutschland sozial, wirtschaftlich und finanziell aussähe. Ein Katastrophenbild voll neben der Wirklichkeit. Dann kam das Bild der Außenpolitik: eine Katastrophe. Die Bundesregierung hat die deutschen Interessen verraten usw. Das war voll neben der Wirklichkeit. ({1}) Jetzt reden Sie von der Truppe. Da kann ich nur sagen: Mit dem, was in der Truppe los ist, hat das überhaupt nichts zu tun. Sie stehen auch hier voll neben der Wirklichkeit. ({2}) Liebe Frau Traupe, jetzt reden Sie vom Konsens. Nehmen Sie mir doch einmal ab: Ich hätte den Konsens gerne. Der Verteidigungsminister hätte am liebsten Konsens in den Grundfragen der Sicherheitspolitik. Wer hat denn den Doppelbeschluß initiiert, beschlossen und ist dann aus diesem Doppelbeschluß ausgestiegen? Das war doch die SPD, das waren doch Sie. Wer war früher gegen atomwaffenfreie Zonen und ist heute für atomwaffenfreie Zonen? Das ist doch die SPD. Wer war früher für die Strategie des Bündnisses und verkündet nun lautstark, man brauche eine andere Strategie? Das ist doch die SPD. Sie haben den Konsens gebrochen, weil Sie aus der Verantwortung geflüchtet sind in dem Augenblick, als Sie in die Opposition gegangen sind. ({3}) Frau Traupe ({4}) - ich habe leider nur 14 Minuten, lieber Kollege Horn, sonst würde ich gern auf Ihre Zwischenfrage eingehen -, ich habe eine Blütenlese allein der letzten Monate mitgebracht. Da heißt es: ({5}) Die Stadt Münster übernimmt die Patenschaft für das Kommando des I. Korps der Bundeswehr. Das beschloß der Hauptausschuß gestern mit den Stimmen von CDU und FDP. Die SPD sprach sich gegen die Ratsvorlage aus. Nächster Schlag: „SPD-Kritik an Schülerbesuch bei Bundeswehr", „Senator Grolle ist gegen die Ausstellung ,Unser Heer`", „Schulsenator kritisiert Waffenschau", „Gelöbnisfeier in Bad Bergzabern - Die Jungsozialisten der SPD protestieren", „SPD-Kandidat verurteilt öffentliches Gelöbnis". ({6}) Hier halten Sie Festreden zur Bundeswehr, und draußen blockieren Sie Kasernen, streiten Sie gegen öffentliche Gelöbnisse, bekämpfen Sie die Bundeswehr und fordern Sie zur Wehrdienstverweigerung auf. ({7}) Wenn Sie das in Ordnung gebracht haben, dann können Sie wieder hierher kommen und von Konsens reden. ({8}) Jetzt zur Lage der Soldaten. ({9}) Ich habe mir einmal liebe Frau Traupe, allein die besonderen Leistungen Ihrer Regierung zusammenstellen lassen: Heraufsetzung der besonderen Altersgrenze für Soldaten um ein Jahr - SPDeschluß -, Kürzung des einmaligen Ausgleichs für Berufssoldaten bei Zurruhesetzung vor dem 65. Lebensjahr, Besoldung für Soldaten auf Zeit erst ab 7. Monat, teilweiser Wegfall oder Kürzung der Verpflichtungsprämie, Kürzung der Übergangsbeihilfe, Anrechnung von Ausbildungsgängen auf die Berufsförderung, Senkung der Beitragszahlungen an die Krankenkasse, Senkung der Beitragszahlungen an die Rentenkasse für alle Grundwehrdienstleistenden von 100 auf 75%. Angesichts dieser verheerenden Bilanz spreche ich Ihnen das Recht ab, sich für die Lage der Soldaten so massiv zu engagieren, wie Sie es im Augenblick tun. ({10}) Wir dagegen haben mit diesem Haushalt ein Zeichen der Entschlossenheit gesetzt, das Notwendige zu tun, um die Sicherheit für unsere Bürger aufrechtzuerhalten. ({11}) Dazu muß die Bundeswehr einsatzfähig gehalten werden. Sie muß auch in den späten 80er und 90er Jahren ihren Auftrag erfüllen können. Bundeswehr und Bündnis bleiben auch im kommenden Jahrzehnt das Unterpfand unserer Sicherheit. Wer sie schwächt, gefährdet den Frieden und die Freiheit. Lieber Kollege Horn, ich will mich nicht mit Ihrer Alternative beschäftigen, weil mir die Zeit dazu fehlt. ({12}) Aber eines kann ich nur sagen: Sie wollen weniger Geld, Sie wollen weniger Soldaten, Sie wollen weniger Wehrpflicht. Dann sagen Sie, wir müßten die Vorneverteidigung aufrechterhalten. Das geht nicht: Ihre Beschlüsse schwächen nicht nur die Abwehr- und Verteidigungskraft der Bundesrepublik Deutschland, sie isolieren uns im Bündnis, sie führen zum Abzug der Amerikaner, und sie bedeuten das Ende der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. ({13}) Wir dagegen haben unserem Volk die Freiheit bewahrt und den Frieden gefestigt. Wir haben die Bundeswehr stärker gemacht, haben ihr Ansehen in der Öffentlichkeit verbessert ({14}) und haben ihr Selbstvertrauen zurückgegeben. Wir haben dazu beigetragen, daß Bewegung in das OstWest-Verhältnis kam. ({15}) Wir haben die Friedensdiskussion bestanden, und wir haben das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland in der internationalen Politik verstärkt. ({16}) Ich kann nur sagen: Die Arbeit dieser Bundesregierung auf dem Sektor der Sicherheits- und Verteidigungspolitik kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland genützt hat. ({17}) Ich habe die Schwerpunkte meiner Arbeit zu Beginn der Legislaturperiode festgelegt. Wir haben sie konsequent durchgehalten. Sie finden sie auch im Haushaltsplan 1987. An erster Stelle Personal, dann Betrieb und Ausbildung, ({18}) Forschung und Entwicklung, Peripherie, Beseitigung von Schwächen und Beschaffung neuer Waffensysteme. Ich sage noch einmal: Im Mittelpunkt all meiner Bemühungen und Maßnahmen ({19}) stand und steht die Sorge um die Mitarbeiter, und zwar um die Soldaten wie um die Zivilen. Ich habe mein Wort eingelöst. Die Erfolge unserer Maßnahmen liegen auf der Hand. Nur Böswillige können sie leugnen. Wir haben heute die beste Personallage und die beste Unteroffizierslage in der Geschichte der Bundeswehr. Das beweist am besten die Attraktivität unserer Streitkräfte. Wir haben weniger arbeitslose und ausscheidende Zeitsoldaten als bei anderen vergleichbaren Altersgruppen. Das beweist die Wirksamkeit unserer Berufsförderung und unserer anderen Maßnahmen. Die Bundeswehr wurde aus den Kasernen herausgeholt. Sie wird nicht versteckt. Sie stellt sich häufig und mit großer Zustimmung öffentlich dar. Das beweist: Die große Mehrheit unserer Bevölkerung steht hinter unserer Bundeswehr und dem Dienst unserer Soldaten. ({20}) 29 000 zusätzliche Zeitsoldaten, jetzt inzwischen 16 000 zusätzliche Unteroffiziere: Wir haben doch den Verwendungs- und Beförderungsstau angepackt. Wir haben ihn bei den Offizieren, bei den Unteroffizieren, bei den Offizieren des militärfachlichen Dienstes, angepackt; 4 000 neue Planstellen, liebe Frau Traupe. Gemessen an dem, was Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben, nämlich überhaupt nichts, muß ich, da Sie das Problem dargestellt haben, sagen, daß wir uns sehen lassen können. Die Verjüngung ist im Gange. ({21}) Mehr als 30 % der 600 Bataillonskommandeure und mehr als 20% der 1 900 Kompaniechefs jenseits des Grenzalters sind herausgelöst. Das ist ein erster Schritt. Das ist noch nicht genug. Ich habe Verständnis für die Hauptleute, die noch nicht befördert sind. Aber gemessen an der verzweifelten Situation, als Ihre Regierung aufhörte, wo man 13 Jahre nur geredet und nichts getan hat, kann ich nur sagen, ist die Stimmungslage heute in der Bundeswehr definitiv besser. Wer sie besucht, weiß das auch. ({22}) Wir haben die Spitzendienstgrade für die Unteroffiziere eingeführt, wir haben im sozialen Bereich ein ganzes Bündel von Maßnahmen beschlossen, während Sie geredet haben. ({23}) Wir haben für Kälte- und Nässeschutz gesorgt, Berufschancen der Zeitsoldaten - davon sprach ich bereits - verbessert. Auch in der Frage der Dienstzeitbelastung sind wir nicht untätig geblieben. ({24}) Wir haben die fehlenden 35 Millionen DM bereitgestellt, Zulagen wieder in vollem Umfang bezahlt und inzwischen um 10% angehoben. Was haben Sie denn in Ihrer Regierungszeit getan? ({25}) Wenn Sie mich schon stellen, dann wollen wir hier einmal zur Sache reden. Wo Sie den finanziellen Ausgleich für Dienstzeitbelastung gekürzt haben, haben wir ihn aufgestockt. Wo Sie 8 000 Zeit-soldatenstellen gekürzt haben, haben wir die Lücke geschlossen und haben aufgefüllt. Wo Sie dem Verwendungs- und Beförderungsstau bei Offizieren des Truppen- und militärfachlichen Dienstes sowie bei den Unteroffizieren tatenlos gegenüberstanden, haben wir gehandelt und angefangen, ihn schrittweise zu beseitigen. Wo Sie im wahrsten Sinne des Wortes planlos gehandelt haben, haben wir die Bundeswehr wieder auf eine klare planerische Grundlage gestellt. Zu keiner Zeit Ihrer Regierung ist so viel für die Soldaten geschehen wie in den vier Jahren unserer Regierungszeit. ({26}) Natürlich muß noch etwas passieren. Wir müssen die Dienstzeitbelastung verringern und besser entgelten. Wir müssen die Absicherung unserer Zeitsoldaten gegen Arbeitslosigkeit weiter verbessern. Frau Seiler-Albring, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Das Geld erlaubt es, vom 1. Januar 1987 an so zu verfahren. Das wird das Ziel unserer Maßnahme sein. ({27}) Schließlich müssen wir verstärkte Hilfen für Familien beim Umzug finden, ({28}) wobei ich ausdrücklich erwähne: In einer Kritik bin ich mit Ihnen einig, und zwar was die zivilen Mitarbeiter anbelangt. Hier muß ebenfalls etwas geschehen. Ein letztes Wort zur Planung. Sie sagen, sie sei gescheitert, Herr Horn. Am Anfang dieses Jahres haben Sie nur gesagt: Ihr werdet niemals 40 000 Weiter- und Erstverpflichtungen in einem Jahr erreichen. Das hat es auch noch nie gegeben, vom Anfangsjahr der Bundeswehr abgesehen. Was haben Sie gemacht? Katastrophenprophezeiungen. Was stellen wir heute fest? Wir haben die 40 000. So ist es mit Ihrer Kritik an der Bundeswehrplanung. Die Planung ist realistisch, sie gründet auf sauberen Berechnungen des von Ihnen zitierten General Altenburg und wird fortgesetzt von Admiral Wellershoff. Ich kann nur sagen: Wir wissen selbst, daß diese Planung anspruchsvoll ist. Wir wissen, daß es da Probleme gibt. Aber Problembeschreiber in Gestalt der SPD haben wir genug. Wir lösen die Probleme, kann ich nur sagen. ({29}) Dazu ist diese Planung da. Sie wird auch umgesetzt werden. Diese Regierung hat die Kraft gehabt, die dazu nötigen Maßnahmen zu ergreifen. ({30}) Wir haben Punkt für Punkt umgesetzt, was wir versprochen hatten. Deswegen können wir uns in der Truppe und vor der Truppe zeigen, meine Damen und Herren. Wer Sicherheit will, muß die Bundeswehr einsatzbereit halten. Wer Sicherheit will, der muß die Strategie dieses Bündnisses wirksam halten. Er darf nicht zulassen, daß Kriege wieder führbar werden, weder nukleare noch konventionelle. ({31}) Er muß das Bündnis intakt halten. Wer das Bündnis schwächt, wer laufend die Amerikaner angreift und sowjetische Politik mehr oder minder übernimmt, der wird das Bündnis nicht intakt halten können. ({32}) Dieses Ziel ist mit dem Haushalt 1987 gesichert. Daher bitte ich sehr herzlich, diesem Haushalt zuzustimmen. Unser Weg in die Zukunft, so wie im Haushalt 1987 vorgezeichnet, führt in die Sicherheit. Der von Ihnen vorprogrammierte Weg Ihrer Nürnberger Beschlüsse führt in die Unsicherheit. ({33}) Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, daß unseren Bürgerinnen und Bürgern auch in den kommenden Jahren der Friede erhalten bleibt, daß ihre Freiheit sicher bleibt, daß sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können. Dem dient unsere Bundeswehr, dem dient unsere Bündnispolitik, und dem dient der Haushalt, wie wir ihn vorgelegt haben. Ich danke schön. ({34})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, darf ich nach § 31. unserer Geschäftsordnung zu einer Erklärung zur Abstimmung der Frau Kollegin Traupe das Wort erteilen.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN, die sich ja im Verteidigungsausschuß nur durch teilweise Mitarbeit auszeichnen, haben uns hier im Plenum zwei Anträge vorgelegt. Ich meine den Änderungsantrag auf Drucksache 10/6537 und den Entschließungsantrag Drucksache 10/6538. Ich möchte für mich erklären - aber ich vermute, daß sich meine Fraktion dem anschließt -, daß ich beide Anträge ablehnen werde, und zwar mit folgender Begründung. Bei dem ersten Antrag ist es den verehrten Kollegen der GRÜNEN entgangen, daß sich die Bundeswehr seit den 70er Jahren, seit unserer Regierungszeit bemüht, Umweltschutz zu betreiben. Sie spart Energie auf Grund eines Programms ein, das wir selbst auf den Weg gebracht haben. Das ist erfreulicherweise fortgesetzt worden. Wir haben außerdem vorgeschlagen - den Kollegen ist auch das entgangen -, allein in Kapitel 14 12 mehr Geld für eine bessere Infrastruktur, die auch Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Verbesserung der Kanalisation erfaßt, auszuweisen. Leider hat Herr Friedmann nicht mitgemacht. In dem zweiten Antrag finde ich eine persönliche Auffassung von mir wieder, nämlich daß keine deutsche Firma einen 30 % übersteigenden Anteil an der Wehrtechnik haben sollte, damit sie auf diese Weise nicht zu abhängig von der öffentlichen Hand wird. Ich habe nicht das geringste Verständnis dafür, daß wir diesen Firmen, die gut an der Rüstungsindustrie verdienen, nun auch noch eine Umstellung ihrer Produktpalette mit den Geldern des Staates finanzieren sollen. Deswegen möchte ich auch dies ablehnen und erklären, daß ich die beiden Anträge mehr als Show-Anträge im Hinblick auf den Wahlkampf ansehe, so daß nicht die Möglichkeit besteht, sie sachlich zu bearbeiten. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14, und zwar zuerst zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat sich damit einverstanden erklärt, daß wir über die drei Änderungsanträge zu Einzelplan 14 gemeinsam abstimmen. Es handelt sich um die Anträge auf den Drucksachen 10/6537, 10/6559 und 10/6560. Wer stimmt für die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Änderungsanträge sind abgelehnt. Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über den Einzelplan 14 ab. Wer dem Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Wir kommen jetzt zu Einzelplan 35. Hierzu liegt auf Drucksache 10/6558 unter Nummer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenpro19394 Präsident Dr. Jenninger be! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. ({0}) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 35. Wer dem Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit - Drucksachen 10/6319, 10/6331 Berichterstatter: Abgeordnete Esters Borchert Frau Seiler-Albring Suhr Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6550 bis 10/6554 vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Brück.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Armut in den Ländern der Dritten Welt, Krankheiten, Hunger und Elend, sie dürfen uns schon aus mitmenschlicher Solidarität nicht gleichgültig lassen. ({0}) Entwicklungszusammenarbeit beruht auf mitmenschlicher Verantwortung für die eine Welt. Sie ist eine langfristig angelegte Gemeinschaftsaufgabe. Das sind Zitate aus der Rede, die der Bundeskanzler vor zwei Wochen anläßlich des 25jährigen Bestehens des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit hielt. Ich kann diesen und auch anderen Passagen in der Rede des Bundeskanzlers in der Jubiläumsveranstaltung zustimmen. Die Frage, die ich mir jedoch stelle, ist folgende: Handelt die Bundesregierung entsprechend? ({1}) Wenn ich mir den Etat des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, den wir heute beraten, ansehe, ist die Antwort auf diese Frage: Nein. Es wird deutlich: Die Rede des Bundeskanzlers war eine der üblichen Sonntagsreden, auch wenn sie an einem Freitag gehalten worden ist. ({2}) Auch der Haushalt für 1987 macht deutlich: Der Stellenwert der Entwicklungspolitik in der deutschen Politik ist gesunken. Das ist daraus zu ersehen, daß die Bundesregierung einen Etatentwurf vorgelegt hatte, in dem die Steigerungsrate für die Entwicklungspolitik unter der Steigerungsrate des Gesamthaushalts lag. ({3}) Daß die Steigerungsrate für Entwicklungspolitik in dem uns jetzt nach der Ausschußberatung vorliegenden Entwurf um 0,4 % über der Steigerungsrate des Gesamthaushaltes liegt, ist darauf zurückzuführen, daß im Haushaltsausschuß in übrigen Bereichen gekürzt worden ist, nicht darauf, daß der Ansatz für Entwicklungspolitik gesteigert worden ist. Auch der Haushalt für das Jahr 1987 wird dafür sorgen - und deshalb lehnen wir ihn auch ab -, daß der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik weiter zurückgehen wird. Dafür sorgen einesteils die zu niedrige Steigerungsrate, aber auch das ständige Steigen der Rückflüsse aus den Ländern der Dritten Welt. Die Zinsen, die die Entwicklungsländer auf die von uns gewährten Kredite zahlen, und die Tilgungen sind mittlerweile neben dem Bundesbankgewinn und den Abführungen der Bundespost die größten Verwaltungseinnahmen des Bundes. Dies empfinden wir als einen entwicklungspolitischen Skandal. Deshalb hatten wir bereits bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit des Deutschen Bundestages bis zum 30. April dieses Jahres Lösungsvorschläge zur künftigen Verwendung von Tilgungs- und Zinsrückflüssen aus der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit im Rahmen des Einzelplans 23 vorzulegen. Diese Lösungsvorschläge sind von der Bundesregierung nicht erarbeitet worden, obwohl ich weiß, daß auch viele der Kolleginnen und Kollegen bei den Koalitionsfraktionen der Auffassung sind, daß es eine vernünftige Regelung für die Wiederverwendung der Rückflüsse geben muß. Leider waren sie aber nicht bereit, im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit unserem Antrag zuzustimmen, wonach im Einzelfall Tilgungen und die Zahlung von Zinsen erlassen werden sollten oder aber in nationale Entwicklungsfonds überführt werden sollten. Wenn wir hier keine Lösung finden, wird der Tag nicht mehr allzu fern sein, da der Rückfluß aus Tilgungen und Zinsen insgesamt größer sein wird als unsere neuen Leistungen an die Länder der Dritten Welt. ({4}) Bei einigen Ländern ist das ja schon der Fall. Dann wird es einen Nettotransfer von Kapital aus den Entwicklungsländern in die öffentlichen Kassen der Bundesrepublik Deutschland geben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es hier im Deutschen Bundestag jemanden gibt, der dies will. Daß die Baransätze zu niedrig ausfallen, ist darauf zurückzuführen, daß diese Bundesregierung die Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 nach der Wende drastisch zurückgeführt hat. Selbst die in dem Haushalt, den wir jetzt verabschieden, enthaltenen Verpflichtungsermächtigungen haben das Niveau von 1982 noch nicht wieder erreicht. ({5}) Wir Sozialdemokraten weisen seit Jahren vergeblich darauf hin, daß ein Absenken der Verpflichtungsermächtigungen bald auch zu einem Absinken der Barleistungen führen muß. Es gehört zum entwicklungspolitischen Einmaleins, das man heute Verpflichtungsermächtigungen braucht, um Projekte vorbereiten zu können, damit in einigen Jahren das Geld, das die deutschen Steuerzahler zur Verfügung stellen, auch sinnvoll verwendet werden kann. Deshalb hatten wir Sozialdemokraten in den Ausschußberatungen die Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen um rund 1 Milliarde DM beantragt. Dies wurde von den Koalitionsfraktionen jedoch abgelehnt. Wir dachten uns dabei auch, daß ein Teil der Verpflichtungsermächtigungen genutzt werden sollte, um den Frontlinienstaaten im südlichen Afrika stärker zu helfen. ({6}) Angesichts der Ausnutzung wirtschaftlicher Macht durch die Republik Südafrika gegenüber den Frontstaaten halten wir dies für notwendig. ({7}) Meine Damen und Herren, die Beratungen des Haushaltsentwurfs für das Jahr 1987 und die damit zusammenhängenden Beratungen der Rahmenplanung haben mir gezeigt, daß unser bisheriges Verfahren, nämlich eine Rahmenplanung zu erstellen, in der für die einzelnen Länder Quoten festgelegt sind und in der bereits Projekte und Ersatzprojekte genannt werden, sehr fragwürdig ist. Die Soll-IstVergleiche aller Jahre machen uns deutlich, daß diese Rahmenplanung zumeist Makulatur ist, weil von ihr in erheblichem Ausmaß abgewichen wird. Die Rahmenplanungen und der Soll-Ist-Vergleich in der jetzigen Form waren der Versuch, dem Parlament mehr Einfluß auf die Verteilung der deutschen Hilfe zu geben. Heute wissen wir wohl, daß das nicht gelungen ist. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoller ist, Quoten für die einzelnen Sektoren, beispielsweise für landwirtschaftliche Entwicklungen, festzulegen. Das gäbe uns die Möglichkeit, die Länder stärker zu bedenken, die vernünftige Projektvorschläge machen. Ich weiß, daß diese Überlegungen nicht ganz einfach in die Tat umzusetzen sind, da es unterschiedliche Interessen auch in der Bundesregierung gibt, aber ich wollte diese Überlegungen in dieser Haushaltsdebatte vortragen, um uns alle zum Nachdenken anzuregen. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Borchert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anforderungen an die Entwicklungspolitik haben sich seit dem Beginn der 80er Jahre gewandelt. Die Schuldenkrise zahlreicher Entwicklungsländer vor allem in Lateinamerika, die Hungerkatastrophe in Afrika und die Fehlentwicklungen, die wir sicher auch in der Entwicklungspolitik, in der Entwicklungshilfe, zu beklagen hatten, haben zu Ernüchterung und Nachdenklichkeit geführt. Unsere Anstrengungen sind in dieser Situation darauf gerichtet, durch Gespräche den Politikdialog und durch eine Koordinierung der Gebermaßnahmen die Wirksamkeit der weiter steigenden finanziellen Mittel der Entwicklungshilfe zu verbessern. Wir haben in diesen Jahren die Entwicklungshilfe entideologisiert. Herr Kollege Brück ich hatte bei Ihren Ausführungen den Eindruck, daß der Wahlkampf offensichtlich auch das Erinnerungsvermögen etwas getrübt hat. Wenn Sie darauf hinweisen, daß der Einzelplan 23 in diesem Jahr nur um 0,4% steigt, dann will ich Sie an die Zahlen in den Jahren erinnern, in denen Sie in diesem Ministerium noch Verantwortung trugen. Im Jahre 1980 stieg der Gesamthaushalt um 6 %, der Einzelplan 23 um 5,1%, also um 0,9% unter der Durchschnittssteigerung, in 1981 um 1,4 %, in 1982 um 0,5%. Addiert heißt das, daß der Gesamthaushalt in diesen drei Jahren um 16 % stieg, während der Haushalt für die Entwicklungspolitik nur um 10% stieg. Dann heute zu kritisieren, daß in all den Jahren, in denen wir die Verantwortung haben, der Haushalt stärker steigt als der Gesamthaushalt, und dann nur die geringere Steigerungsrate zu kritisieren, ist, glaube ich, angesichts der Zahlen der letzten Jahre Ihrer Regierungszeit reiner Wahlkampf. Ich nehme an, daß wir nach dem Wahlkampf über diese Zahlen mit Ihnen wieder sachlicher diskutieren können. ({0}) In diesem Jahr steigt der Haushalt stärker, und die Zahlen dieser Jahre zeigen, daß wir den Haushalt nicht zu Lasten der Entwicklungsländer konsolidieren. Wir haben den Mitteleinsatz von Jahr zu Jahr gesteigert und haben die Effizienz der eingesetzten Mittel verbessert. Mit 6,9 Milliarden DM liegt auch in diesem Jahr der Gesamtplafond deutlich über der Steigerungsrate des Haushalts und deutlich über dem des Vorjahres. Die Verpflichtungsermächtigungen für die bilaterale finanzielle und technische Zusammenarbeit und für sonstige bilaterale und multilaterale Maßnahmen liegen mit 5,8 Milliarden DM deutlich über dem Soll des Jahres 1986, das etwa 5,2 Milliarden DM betrug. Ich möchte aus dem heute zur Beschlußfassung vorliegenden Haushalt drei Punkte besonders erwähnen. Die Verpflichtungsermächtigungen für die bilaterale technische Zusammenarbeit hat der Haushaltsausschuß um 150 Millionen DM auf 1,2 Milliarden DM angehoben. Hierin kommt die Überzeugung zum Ausdruck, daß wir in der Entwicklungspolitik eine langfristige Planung gerade auch der personellen Hilfe brauchen. Wir betonen mit dieser Steigerung auch, daß wir der personellen Hilfe besondere Bedeutung beimessen. Bei der finanziellen Zusammenarbeit haben wir mit der Strukturhilfe ein neues Instrument geschaffen. Mit diesem Instrument wird der Notwendigkeit entsprochen, flexibel auf neue Herausforderungen in den Entwicklungsländern zu reagieren, Veränderungen, die durch teilweise gravierende Verschlechterungen der wirtschaftlichen und der sozialen Rahmenbedingungen entstanden sind. Die Strukturhilfe wird in Anlehnung an die bereits geübte Praktik der Weltbank und auch einiger anderer Geber eingesetzt werden. Der Haushaltsausschuß wird die Entwicklung dieses Instruments intensiv und kritisch beobachten. Wir werden darauf achten, daß hieraus keine Haushaltshilfe wird, sondern daß diese Strukturhilfe zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen führt und damit die Effizienz der Mittel weiter steigert. ({1}) In der Entwicklungshilfe sind Staat und Gesellschaft gefordert. Institutionen mit langjähriger Erfahrung, z. B. die Hilfswerke der Kirchen, Stiftungen, aber auch viele andere Organisationen, sind seit Jahren erfolgreich für die Dritte Welt tätig. Es gibt auch eine große Zahl privater Organisationen, die hier mit Erfolg arbeiten. Wir haben daher die Mittel für die Zuwendungen zu Maßnahmen der nichtstaatlichen Träger deutlich erhöht. Ich meine, auch in der Entwicklungspolitik muß das Subsidiaritätsprinzip gelten, daß der Staat dort einzugreifen hat, wo private Träger die Aufgabe nicht oder nicht allein bewältigen können. Die internationale Verschuldung von Ländern der Dritten Welt bewegt uns alle. Die Bundesregierung hat in enger Konsultation mit dem Haushaltsausschuß 36 der am wenigsten entwickelten Länder die Schulden erlassen und unterstützt sie nur noch mit Zuwendungen. Mit diesem Schuldenerlaß hat die Bundesregierung weltweit zwei Drittel aller Schuldenerlasse übernommen. Die Lösung der Schuldenkrise liegt aber nicht in einem generellen Schuldenerlaß im Rahmen der Entwicklungspolitik. Die Entwicklungsländer werden auch in Zukunft Kredite benötigen, um damit produktive Investitionen zu finanzieren. ({2}) Die Auslandsverschuldung ist dann unbedenklich, wenn aus den Erträgen der Investitionen der Schuldendienst finanziert werden kann. Zur Bewältigung der Schuldenkrise der Dritten Welt müssen die Industrieländer und die Entwicklungsländer betragen. Ich glaube, den Entwicklungsländern kann niemand die Aufgabe abnehmen, die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, die erforderlich sind, damit Leistungsbereitschaft und Eigeninitiative die Entwicklungsmöglichkeiten in den Ländern schaffen. Es ist aber unsere Aufgabe, die Aufgabe der Industrieländer, durch ein dauerhaftes, inflationsfreies Wachstum die Voraussetzungen für weiter sinkende Zinssätze zu schaffen und die Märkte für die Produkte der Entwicklungsländer zu öffnen. ({3}) Ich glaube, nur wenn die Bekämpfung des Protektionismus mehr als ein Lippenbekenntnis ist, haben die Entwicklungsländer die Möglichkeit, genügend Exporterlöse zu erwirtschaften, um ihr eigenes Wirtschaftswachstum zu sichern und damit den Schuldendienst leisten zu können. Es stellt sich aber - da stimme ich dem Kollegen Brück zu - die grundsätzliche Frage, ob die in größerem Umfang zurückfließenden Zins- und Tilgungsleistungen als normale Einnahmen im Bundeshaushalt verbucht werden können. Ich habe auf diesen Problembereich bereits bei der Haushaltsdebatte im Vorjahr hingewiesen. ({4}) Wir werden den Antrag der GRÜNEN, einen länderbezogenen Fonds zu schaffen, ablehnen, weil damit die Probleme nicht zu lösen sind. ({5}) - Herr Brück hat eine andere Forderung gestellt. Wir werden aber in der nächsten Legislaturperiode die vorliegenden Vorschläge zu prüfen haben. ({6}) Wir werden auch nach neuen Lösungen für diese Fragen zu suchen haben. ({7}) Ich glaube, daß wir dabei sowohl entwicklungspolitische Überlegungen zu berücksichtigen haben als auch haushaltspolitische Fragen wie Fragen der Haushaltskontrolle, aber auch der Haushaltsklarheit. Dies ist eine Aufgabe, die in der nächsten Legislaturperiode den Einfallsreichtum aller herausfordern wird. Die Berichterstatter haben bei den Haushaltsberatungen 1987 den Bundesminister der Finanzen gebeten, für den Haushalt 1988 ein Konzept für eine Art Generalbereinigung zur Zusammenfassung der Ausgaben für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit im Einzelplan 23 vorzulegen. Unter haushaltsmäßigen Gesichtspunkten bedeutet dies, daß entwicklungspolitische Maßnahmen auch in den Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gehören und nicht unter fachlicher Überschrift von anderen Ressorts wahrgenommen werden. ({8}) Ich glaube, daß es auch im Verhältnis zu den Entwicklungsländern erforderlich ist, daß eine Entwicklungszusammenarbeit aus einem Guß politisch, haushaltsmäßig und personell von einem Ressort vertreten wird. Nur so ist eine ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung möglich. Der Einzelplan 23 für das Haushaltsjahr 1987 bietet eine Grundlage für eine solide Entwicklungspolitik. Wir werden diesem Haushalt zustimmen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Warnke, vor wenigen Tagen haben Sie in einem glanzvollen Festakt das 25jährige Jubiläum Ihres Ministeriums gefeiert. Da von der grünen Opposition keine Rednerin eingeladen war, möchte ich die heutige Haushaltsdebatte als Gelegenheit nutzen, ({0}) Ihnen, Herr Warnke, nachträglich zum Festakt zu gratulieren. ({1}) Was zählen schon 21 Jahre BMZ, bevor Sie das Ruder ergriffen haben? In Ihrer unnachahmlichen Art haben Sie der BMZ-Politik einen CSU-Stempel aufgedrückt, ({2}) der alles, was vor der Wende war, verblassen ließ. Herzlichen Glückwunsch, Herr Warnke, zum Glanzlicht Ihrer Amtsperiode, nämlich der Polizeihilfe für Guatemala! Wer will ernsthaft bezweifeln, daß die junge Demokratie Guatemalas von unseren vielfältigen Erfahrungen in der Terroristenbekämpfung profitieren kann? Nur ein paar Idealisten halten sich noch immer daran auf, daß der heutige Polizeichef Caballeros ein ausgebildeter Spezialist in der Aufstandsbekämpfung ist und Angehöriger des Geheimdienstes der Armee war, welcher Massaker gegen die indianische Zivilbevölkerung verübt hat und als Killertruppe bekannt ist. ({3}) Und wer ist schon so kleinlich, Anstoß daran zu nehmen, daß Sie bei diesem feinen Geschäft kurzerhand die TZ-Durchführungsrichtlinien außer Kraft gesetzt haben? Die GTZ ist doch selber daran schuld, wenn sie zunehmend ausgeschaltet wird, weil Betriebsrat und ÖTV-Betriebsgruppe ihre neugierigen Nasen in delikate Geschäfte stecken, die sie nichts angehen. Sie haben es wirklich nicht verdient, Herr Warnke, daß der Haushaltsausschuß jetzt Ihren verdienstvollen Neuansatz zerschlagen hat und ab 1987 die BMZ-Polizeihilfe einfach verboten ist. Was sollen Sie nun den Polizisten in Peru und Uruguay erzählen, die sich doch schon so auf die neuen BMW-Motorräder gefreut haben? ({4}) Diesen frechen Kerlen von der GTZ haben Sie es jetzt aber richtig gezeigt. Wie Sie diese Institution kaltgemacht haben - gut gemacht, Herr Warnke! Es mindert Ihren Ruhm gar nicht, daß der Kollege Esters von der SPD den Weg dafür bereitet hat, sozusagen in Amtshilfe von Parlament zu Exekutive. Wer von Ihnen ist eigentlich auf den trefflichen Einfall gekommen, in Zukunft auch Unternehmen direkt mit der Durchführung von TZ-Maßnahmen zu beauftragen, an denen eine Gebietskörperschaft beteiligt ist? Hat Herr Esters da an die kränkelnden Kommunalbetriebe im Ruhrgebiet gedacht, die ein bißchen an den BMZ-Projekten verdienen können? Oder will der Finanzminister auf diesem Umweg den Consulting-Töchtern von Lufthansa und Bundesbahn Nebeneinnahmen verschaffen? Herzlichen Glückwunsch, Herr Warnke, daß Sie die bonner Entwicklungshilfe endlich mit dem höchsten Güteprädikat, nämlich dem Weltbanksiegel, verziert haben! Warum soll sich das BMZ den Kopf über eine eigene Strukturhilfe zerbrechen, wenn die Weltbank doch schon seit 1980 diese schönen Anpassungsprogramme erfunden hat? Hauptsache, die Dritte Welt wird an den Weltmarkt und an die Bedürfnisse der reichen Länder angepaßt. Aber war es denn wirklich nötig, Herr Warnke, daß Sie den Berichterstattern für den Einzelplan 23 im Haushaltsausschuß so peinliche Formulierungen zugemutet haben, wie z. B., daß ein „Junktim geschaffen [wird] zwischen strukturellen Reformprogrammen in dem betreffenden Entwicklungsland und dem Einsatz von Strukturanpassungsdarlehen" oder daß „die Partnerländer zu politischen Vorleistungen und Entscheidungen zu bewegen" sind? Da haben Sie es schon besser mit den zarten Seelen im AWZ gemeint, denen Sie die anstößigen Passagen im sonst identischen BMZ-Vermerk vorenthalten haben. Herzlichen Glückwunsch auch dazu, Herr Warnke, daß Sie das mit der Exportförderung so elegant hinbekommen haben! Über 40% beträgt der Anteil der Mischkredite an den gesamten Finanzierungszusagen bei der Kapitalhilfe für die ersten drei Jahre Ihrer Amtsperiode. Vor allem die Firma Siemens wird sich bestimmt an die großzügigen Zuwendungen aus dem BMZ erinnern, wenn Sie bald einmal Hilfe brauchen werden. ({5}) Bei so viel Beschäftigungswirksamkeit kann ja wohl auch verkraftet werden, daß für die LLDCs und die Länder Afrikas südlich der Sahara die Zusagen für 1984 und 1985 auf einen Tiefpunkt gesunken sind. Und die paar Projekte in der ländlichen Entwicklung und bei der Grundbedürfnisbefriedigung, die wegen der Mischfinanzierung dran glauben mußten, hätten j a den Hunger in der Dritten Welt auch nicht beseitigt. Was beschwert sich eigentlich das Parlament, daß es in der Entwicklungspolitik immer mehr ausgeschaltet würde? 49 % der Vorhaben bei der FZ waren doch 1985 in der Rahmenplanung aufgeführt. Und bei der TZ war es sogar die Hälfte der Projekte. Nebenbei bemerkt: Die 50-Millionen-DM-Grenze für die Pflicht zur vorherigen Unterrichtung auch bei Reprogrammierungen früherer Zusagen ist doch nicht die Welt. Dafür muß doch nicht gleich der Bundesrechnungshof eingeschaltet werden. Bei einem der beiden reprogrammierten Vorhaben aus dem Jahr 1985, deren Finanzvolumen 50 Millionen DM übersteigt und wo Sie, Herr Warnke, so bravourös den Haushaltsausschuß und den AWZ entgegen den Bestimmungen des Haushaltsvermerks für die FZ nicht vorher informiert haben, ({6}) handelt es sich um die Sanierung der Düngemittelfabrik Kafue in Sambia mit 68 Millionen DM, ein Musterbeispiel der Förderung privatwirtschaftlicher Aktivitäten aus dem BMZ-Haushalt. ({7}) Ein bundesdeutscher Anlagenbauer stellt eine Fabrik in Sambia auf, die nicht richtig die Produktion aufgenommen hat, und weigert sich, seinen Gewährleistungsverpflichtungen nachzukommen. Also springt das BMZ ein und bringt die Anlage mit Steuergeldern ins Laufen. ({8}) Was zählt es da schon, daß die reprogrammierten Gelder wichtigen Entwicklungshilfeprojekten weggenommen werden, z. B. bei der Maismühle Kitwe 10 Millionen DM, bei der Förderung für Klein- und Mittelindustrie 2 Millionen DM und bei der Errichtung von dezentralen Getreidesilos 10 Millionen DM? ({9}) Mein besonderer Glückwunsch, Herr Warnke, gilt der Tatsache, daß Sie endlich mal der Welt bewiesen haben, daß wir keine Vasallen der USA sind. Beim Weltbankkredit für Chile hat sich die westliche Führungsmacht j a dezent enthalten. Aber so viel Rücksichtnahme auf innenpolitische Kritik haben Sie nicht nötig. Ihr Vertreter im Exekutivrat der Weltbank hat mit seiner positiven Stimmabgabe Pinochet bestimmt auf den richtigen Weg bei der Einhaltung der Menschenrechte gebracht. Ich möchte Ihnen unseren herzlichen Dank aussprechen, Herr Warnke, für die längst überfällige Umwälzung bei der ideologischen Gesamtausrichtung der Entwicklungspolitik. Jetzt wissen wir endlich, wie das Elend in der Welt beseitigt werden kann: Hilfe muß zuallererst uns selber nützen, wer gegen den Westen aufbegehrt, bekommt nichts, der Markt wird schon alles richten. ({10}) Und da die Dritte Welt für ihre Armut selbst verantwortlich ist, brauchen wir kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. ({11}) Mein letzter Glückwunsch geht mehr an Ihren Kollegen Stoltenberg. Schön, daß wir nicht auf die Zinsen und Tilgungen aus der Dritten Welt verzichten müssen, wo doch bei uns die Steuereinnahmen so arg zurückgegangen sind! Die 1,5 Milliarden DM im nächsten Jahr aus der Dritten Welt - dies ist immerhin der viertgrößte Einnahmeposten für den Bundeshaushalt neben den Steuern - kann die Regierung ja gut zur Haushaltssanierung gebrauchen. Nach so vielen Glückwünschen noch ein Wort in eigener Sache. Auf Änderungsanträge zum BMZHaushalt wollten wir natürlich nicht ganz verzichten, denn nobody is perfect, Herr Minister. Erstens fordern wir Erweiterungen des Stellenplans für die neuen Bereiche Frauen, Ökologie und sozial-kulturelle Aspekte, die in der bisherigen BMZ-Struktur zu kurz kommen. ({12}) Dann fordern wir einen generellen Schuldenerlaß für die FZ-Kredite. In geeigneten Fällen könnten die Tilgungs- und Zinszahlungen in einheimischer Währung an gesellschaftlich kontrollierte Entwicklungsfonds geleistet werden. Herr Brück, Sie haben genau das gleiche - ich vermute, bei den GRÜNEN abgeschrieben -, so daß wir Ihrer Unterstützung sicher sein können. ({13}) Wir fordern weiter die Wiederaufnahme und Ausweitung der Hilfe an Nicaragua und die Streichung der Mittel für El Salvador und Guatemala. Ferner haben wir den Antrag gestellt, die Ausgaben für die DEG in voller Höhe zu streichen. Damit wollen wir beispielhaft zum Ausdruck bringen, daß wir die Maßnahmen zur Förderung von Privatinvestitionen und anderen Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit grundsätzlich ablehnen, da sie im Rahmen einer binnenmarkt- und selbsthilfeorientierten Entwicklungsstrategie untauglich sind. Charakteristisch für die Qualität der DEG-Investitionen ist das Ölpalmprojekt Palmoriente in Ekuador. Vor wenigen Wochen war der Präsident der Konföderation der Tieflandindianer Ekuadors, Cristobal Tapuy, auf Einladung der neu gegründeten Menschenrechtsorganisation FIAN in der Bundesrepublik. In einem Gespräch mit den GRÜNEN charakterisierte er das wirtschaftliche Engagement der DEG mit folgenden Worten - mit diesen Worten möchte ich schließen -: Wir wollen nicht, daß unsere Gebiete durch agroindustrielle Unternehmen ... erobert und die Wälder ... ausgeplündert werden. Sie werden 15 bis 20 Jahre ökonomische Schätze rausziehen, später, wenn der Urwald nichts mehr hergibt, werden sie das Gebiet verlassen, und wir Indianer werden die Leidtragenden sein ... Das wichtigste Ziel der Indígena-Völker ist, ihr Land zu bewahren und auf ihm zu leben. Nimmt man es uns weg, so sind wir tote Völker. ({14}) Sorgen wir mit einer anderen Entwicklungspolitik dafür, daß sie am Leben bleiben! ({15})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rumpf.

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Eid, bei so vielen Glückwünschen für das Ministerium weiß ich gar nicht mehr, was ich noch sagen soll. ({0}) Ich wundere mich nur, daß es immer so schwierig ist, Ihre Persönlichkeitsstruktur zu unterscheiden. Wenn Sie mit uns irgendwo in der Dritten Welt sind, sind Sie eigentlich viel netter, als wenn Sie hier sprechen. ({1}) - Selbstverständlich wollen auch wir die Regierung kontrollieren. Wir werden sie auch kristisieren. Nur, man braucht ja nicht so bissig zu sein. Seien Sie doch so nett, wie Sie es sonst auch sind! Aber Sie müssen sich wahrscheinlich vor Ihrer Gruppe immer besonders hervortun. ({2}) Wenn wir über den Haushalt des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit diskutieren, sollten wir dreierlei tun. Wir sollten Rückschau halten auf die vergangenen vier Jahre der Legislaturperiode, eine Analyse des Haushaltes für das kommende Jahr vornehmen und eine Vorausschau für die Zukunft versuchen, wünschenswerte Veränderungen formulieren. Für die FDP-Fraktion will ich das tun. Die Rückschau auf unsere geleistete Arbeit in den vergangenen vier Jahren ist insgesamt positiv. ({3}) Wir hatten am 5. März 1982 in diesem Hohen Hause gemeinsam beschlossen, in der Entwicklungspolitik drei Schwerpunkte zu bilden: Erstens die Förderung und Intensivierung der ländlichen Entwicklung; zweitens die besondere Berücksichtigung der ärmsten Länder dieser Welt, vor allem im Sahel und auf dem afrikanischen Kontinent; drittens die Bewahrung oder Wiederherstellung der natürlichen Ressourcen. Wir sehen und wir erkennen an, daß sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit bemüht hat, diesen Forderungen des Parlaments gerecht zu werden. ({4}) Besonders der Anteil der ärmsten Länder an den Regierungszusagen hat bei der Finanziellen und bei der Technischen Zusammenarbeit insgesamt über 50% erreicht. Frau Eid, ich versuche, das in vollen Worten zu sagen. Ich verwende keine Abkürzungen: TZ, FZ, GTZ. Denn das deutsche Volk versteht das überhaupt nicht. Ich werde also versuchen, das ausführlich zu benennen. ({5}) Hinsichtlich der Berücksichtigung der übersektoralen Schwerpunktbereiche - ländliche Entwicklung, Energie, Grundbedürfnisorientierung in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit - ist ebenfalls unseren Grundlinien gefolgt worden. So hat sich der Anteil der ländlichen Entwicklung in der Finanziellen und in der Technischen Zusammenarbeit von 22,8% im Jahre 1982 auf 27,5% im Jahre 1985 erhöht. Im Schwerpunktbereich Grundbedürfnisbefriedigung konnten die Mittel von 28,4% auf 34,8% erhöht werden. Dabei sind wir uns doch alle darüber im klaren, daß viele Anstrengungen nicht zum Erfolg geführt haben, weil die Projekte aus den verschiedensten Gründen nicht durchgeführt oder konkretisiert werden konnten. Das lag entweder an der mangelnden Planungsreife oder auch am Unvermögen der Umsetzung in den einzelnen Ländern. Der Bundestag hat mit Anträgen und Entschließungen versucht, dem Bundesministerium Orientierungshilfen an die Hand zu geben. Ich erinnere an die Anträge zur Förderung des kleinen und kleinsten Gewerbes und des Handwerkes sowie zur Förderung der bäuerlichen Betriebe, zur Förderung der Selbsthilfeorganisationen und des Kreditwesens. Es muß aber ausdrücklich anerkannt werden, daß die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und der Deutsche Entwicklungsdienst ihre Arbeit eindeutig auf diese Schwerpunkte hin orientiert haben. Dafür danken wir. ({6}) Wir wollen aber zugleich anmerken, daß auch hier noch vieles verbesserungsbedürftig ist. ({7}) Vor allem möchte ich davor warnen, die guten Ansätze im bürokratischen Dickicht ersticken zu lassen. Auch die Nicht-Regierungsorganisationen haben sich in den vergangenen Jahren noch stärker auf die genannten Schwerpunkte konzentriert. Hier wird eine bessere Koordination untereinander und mit staatlichen Stellen notwendig sein. Wenn ich den Blick auf den Haushalt 1987 richte, so darf ich feststellen, daß er wieder angemessen steigt. Mit 8,7 Milliarden DM leistet die Bundesrepublik Deutschland alleine mehr als der gesamte Ostblock, der nur etwas über 6 Milliarden DM aufbringt. Zwar erreichen wir damit unser gestecktes Dr. Kumpf Ziel von 0,7 % des Bruttosozialprodukts leider immer noch nicht. Es ist aber bei diesem Prozentsatz zu berücksichtigen, in welchem Umfang das Bruttosozialprodukt jeweils gestiegen ist und - vor allem - was in diese Zahl eingerechnet wird. Ein Beispiel: Unsere französischen Nachbarn rechnen ihre für die kulturelle Zusammenarbeit zur Verfügung gestellten Mittel in diesen Prozentsatz ein, während bei uns die Goethe-Institute unberücksichtigt bleiben. In den skandinavischen Ländern, die zum Teil mehr als 1% des Bruttosozialprodukts an Entwicklungshilfe errechnen, ist die gesamte nichtstaatliche Hilfe im allgemeinen wesentlich geringer als bei uns. Wie dem auch sei: Bedauerlich für uns Freie Demokraten bleibt vor allem, daß insbesondere im privaten Bereich, bei den privaten Investoren ein dramatischer Rückgang zu verzeichnen ist. Damit komme ich zum Ausblick und auf das, was noch verbessert werden kann, und das ist natürlich nicht wenig. Für die FDP will ich die wichtigsten Probleme nennen: Ich denke an die Verschuldungskrise, bei der noch keine Lösung in Sicht ist. Ich denke an die zunehmende Verletzung der Menschenrechte in immer mehr Ländern. Ich denke an die immer deutlicher werdenden ökologischen Folgen auf Grund von politischen und auch auf Grund von wirtschaftlichen Fehlentscheidungen in den Ländern Afrikas. ({8}) Ich denke nicht zuletzt an die sozialen Folgen in diesen Ländern, die im Verlaufe ihrer Entwicklung ja erhebliche gesellschaftliche Umwälzungen zu verzeichnen haben, ({9}) z. B. was die Rolle der Frauen dort betrifft. Ich denke an die schwerwiegenden Probleme der Exporte, insbesondere auch im Agrarbereich, und nicht zuletzt an die zunehmende Militarisierung in vielen Entwicklungsländern. ({10}) Die Probleme des Agrarmarktes in der Europäischen Gemeinschaft dürfen nicht auf Kosten der Entwicklungsländer gelöst werden. Diesen Kernsatz möchte ich ausdrücklich wiederholen, weil er in unsere Entschließung zum Aufbau einer eigenständigen Nahrungsversorgung der Entwicklungsländer leider nicht eingegangen ist. Immer wieder begegnen wir in der Dritten Welt Projekten, die von uns finanziert oder mitfinanziert werden und bei denen zigtausend Hektar von Wald vernichtet werden müssen. Wenn solche Staudämme zur Energiegewinnung wichtig sind, meine Damen und Herren, dann muß wenigstens gewährleistet sein, daß das Holz, der wichtigste Rohstoff in diesen Ländern, auch genutzt werden kann, auch wenn das Projekt dadurch verzögert wird. Zum politischen Dialog mit unseren Partnern muß auch gehören, daß Urwälder oder andere seltene Ökosysteme nicht weiter reduziert werden. In den Industrieländern können wir heute, was den gesamten Umweltschutz angeht, auf viele Erfahrungen zurückblicken, auch auf bittere Erfahrungen im eigenen Lande. Meine Damen und Herren, es müssen doch wirklich nicht unbedingt alle Fehler, die wir gemacht haben, überall auf der Welt wiederholt werden. ({11}) Zur Zukunft einer besseren und erfolgreichen Zusammenarbeit gehört sicher auch die Lösung des Problems der Überbevölkerung. In vielen Ländern sind Anstrengungen sinnlos, wenn die Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge, der Verhinderung der Landflucht, der Empfängnisverhütung und der besseren Koordinierung aller staatlichen und nichtstaatlichen wie auch der internationalen Organisationen nicht verbessert werden. Und schließlich müssen wir auch einen Weg finden, daß die Rückflüsse an Zinsen und Tilgungen aus Entwicklungsländern - Herr Borchert hat darauf hingewiesen - irgendwann einmal zu bestimmten Schwerpunktaufgaben wiederverwendet werden können, ({12}) z. B. für die Rettung von Ökosystemen, für bevölkerungspolitische Maßnahmen oder ganz einfach dafür, daß die Nahrungsversorgung aus eigener Kraft Wirklichkeit wird. Sie sehen, es ist viel zu tun. Die Lösung kann nicht lauten: alles aufgeben, wie es zum Teil aus der SPD verlautet. ({13}) - Na ja, Sie wissen das ganz genau. ({14}) Die Bundesrepublik Deutschland - und jetzt zitiere ich steht in der vordersten Reihe derjenigen, die sich um die Förderung der Völker der Dritten Welt verdient gemacht haben. Dies sagte anläßlich der 25-Jahr-Feier des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Namen aller afrikanischen Staaten der Botschafter der Republik Senegal, Herr Cheikh Leye, und hob hervor, daß die traditionellen deutschen Werte wie Freigiebigkeit und Humanismus bei der Entwicklungshilfe wirklich eine Rolle gespielt haben. Wir können auf 25 Jahre Entwicklungshilfe zurückblicken. Wir können auch aus den Fehlern lernen. Wir können neue Fehler vermeiden. ({15}) Beispielsweise müssen wir auch einmal darüber nachdenken, ob wir unsere Projekte nicht zu früh übergeben, ob wir nicht viel zu kurzfristig denken, ob wir die Zusammenarbeit nicht lieber auf ganz andere, viel längere Zeiträume und auf Dauer anleDr. Rumpf gen sollten. Der Haushalt 1987 kann nur eine Station auf diesem Weg sein. Deshalb stimmen wir ihm zu. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Herr Warnke. ({0})

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Sie haben, Frau Kollegin Eid, viel Mühe auf Ihre Gratulationsrede verwendet. Sie haben ein bißchen wenig auf die Beurteilung unserer deutschen Entwicklungshilfe bei den Partnern in der Dritten Welt gehört. Vor allem: Sieh, das Gute liegt so nah! Sie haben ganz übersehen, zu etwas zu gratulieren, wozu wirklich Anlaß gewesen wäre: daß wir nach dem Höchststand der deutschen Entwicklungshilfe im vergangenen Jahr nun in diesem Haushalt mit fast 7 Milliarden DM wiederum einen Höchststand haben. ({0}) - Warten Sie nur ab! - Beides - das vergangene Jahr und dieses Jahr - ist keine Selbstverständlichkeit zu einer Zeit, wo die Wiedergewinnung finanzieller Solidität unsere Finanzen in Anspruch genommen hat. Ich danke dem Parlament für seine Unterstützung, insbesondere den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ich danke auch den Mitbürgerinnen und Mitbürgern für ihre Zustimmung zur Fortführung und zum Ausbau unserer Entwicklungszusammenarbeit. Herr Kollege Brück, dieser Höchststand ist trotz aller Prozentbruchteile und trotz aller Rückflußproblematik erreicht worden. Ich habe mit Aufmerksamkeit gehört, daß dieses Haus der Rückflußproblematik in der kommenden Legislaturperiode die ihr gebührende Aufmerksamkeit widmen will. Nur, mit den Verpflichtungsermächtigungen, lieber Herr Kollege Brück, sind Sie in dem Denken der 70er Jahre steckengeblieben. Wir haben zu Hunderten von Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen, die zu Ihrer Zeit eingegangen worden waren, reprogrammieren müssen. Denn mit Verpflichtungsermächtigungen können Sie keinen Hungernden sattmachen. Deshalb haben wir jetzt das neue Instrument schnell abfließender Strukturanpassungshilfe geschaffen und werden es schnell und wirksam als moderne Entwicklungshilfe einsetzen. ({1}) Das Jahr 1987 wird das bisherige Gesamtvolumen deutscher öffentlicher Leistungen den 150 Milliarden DM nahebringen. Es wäre gut, wenn auch Sie von den GRÜNEN zur Kenntnis nähmen: Schwerpunkt ist und bleibt in diesem Haushalt die Hilfe für die Armsten. Wir werden den Anteil für die ärmsten Länder von 23 auf 26% steigern. In der Tat kommt es nicht auf die Quantität an. Deshalb haben wir die Steigerung der Wirksamkeit vor die Steigerung der Millionen gesetzt. Noch immer wird international auf diesem Gebiet zuviel vergeudet. Wir haben deshalb in dieser Legislaturperiode zielorientierte Projektplanung eingeführt, die Erfolgskontrolle verstärkt und die Abstimmung der Geber untereinander intensiviert. Die Neuorientierung der deutschen Entwicklungshilfe begreift Entwicklung als Entfaltung der schöpferischen Kräfte der Menschen und Völker der Dritten Welt. Das heißt, nicht wir bestimmen das Ziel, sondern wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe. Ich danke den Kirchen, daß sie sich bereit gefunden haben, ihre reichen Erfahrungen auf dem Gebiet der Selbsthilfe einzubringen, um der staatlichen Entwicklungspolitik zu helfen, wirksamer als in der Vergangenheit Selbsthilfe im Idealfall für ganze Regionen und nicht nur für kleine Entwicklungsinseln wirksam werden zu lassen. ({2}) Wir wollen damit den Begriff der Selbsthilfe von einer Leerformel auf ein konkretes und operationales Arbeitsprinzip bringen. Meine Damen und Herren, der Politikdialog, den wir über die Rahmenbedingungen mit den Entwicklungsländern führen, ist für uns keine Einbahnstraße. Anders leben, damit andere überleben, das bedeutet: Wir brauchen den Mut zum Strukturwandel auch bei uns selbst. Wir müssen unsere Märkte offenhalten, damit die Menschen in den Entwicklungsländern die Früchte ihres Fleißes auch selbst ernten können. Wir müssen den europäischen Agrarmarkt in seiner Struktur reformieren, ({3}) damit nicht Milliarden den Landwirten bei uns vorenthalten werden und zur Subvention von strukturellen Überschüssen zum Schaden der Menschen in der Dritten Welt auf dem Weltmarkt verwendet werden. ({4}) Aber Mut zum Strukturwandel, meine Damen und Herren von SPD und GRÜNEN, das heißt vor allem: Wir müssen uns heute auch aus entwicklungspolitischer Verantwortung der Kernenergie und anderer moderner Techniken der Energieerzeugung bedienen. Jede andere Politik führt zur Verteuerung von und zum Raubbau an nicht ersetzbaren Energieträgern wie Öl und Kohle, auf die die Entwicklungsländer noch Jahrzehnte angewiesen sein werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Ich bedaure; die Kürze der Zeit läßt mich sonst nicht zum Schluß kommen. ({0}) - Wenn es nicht angerechnet wird: sehr gern, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Mann, bitte. ({0})

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, wenn auch Brasilien sicherlich kein klassisches Land der Dritten Welt ist: Stimmen Sie mir zu, daß das Atomprogramm in Brasilien runde 30 Milliarden DM kostet und daß diese Mittel für ganz andere Zwecke, beispielsweise - wenn wir bei der von Ihnen erwähnten Energiepolitik bleiben - für regenerative Energieträger oder aber auch für Wasserkraft - nicht so gigantisch wie jetzt in Brasilien, sondern dezentral - viel sinnvoller angelegt wären? ({0})

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Herr Kollege, Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, daß die Atomenergie in Brasilien aus Mitteln der deutschen Entwicklungshilfe finanziert worden ist. ({0}) Sie stehen gegen alle Länder der Welt, die vor 14 Tagen in den Vereinten Nationen die friedliche Nutzung der Kernenergie beschlossen haben. In ideologischer Verblendung setzen Sie sich über die Existenzinteressen unserer Arbeitnehmer mit derselben Rücksichtslosigkeit hinweg wie über die Existenzinteressen der Menschen in der Dritten Welt. ({1}) Meine Damen und Herren, deutsche Politik ist auf Grund der Erfahrungen dieses Jahrzehnts geprägt vom Eintreten für Menschenrechte, für Frieden und für Freiheit. Diese Grundprägung bringen wir im Rahmen der Neuorientierung auch in unsere Entwicklungspolitik ein. ({2}) Deshalb haben wir die Hilfe für El Salvador und für Guatemala wieder aufgenommen, zur Unterstützung von Staatsmännern wie Napoleon Duarte und Vinicio Cerezo, die sich unter Einsatz ihres Lebens für Freiheit, für Menschenrechte und gegen die Extremisten von rechts und von links in ihren Ländern behaupten. ({3}) Deshalb haben wir die Neuzusagen für Nicaragua eingestellt, solange die Sandinisten in Zentralamerika Unfrieden stiften. ({4}) Wir wollen eine politische Lösung. Wer aber will, daß in Nicaragua die Demokratie Fuß faßt, wer militärische Lösungen ablehnt, der ist nur glaubhaft, wenn er die Menschenrechtsverletzungen durch die Sandinisten beim Namen nennt, ({5}) wenn er die Verletzung der Pressefreiheit beim Namen nennt, wenn er die politischen Gefangenen beim Namen nennt, die heute in Nicaragua alle durch sandinistische Verursachung leiden müssen. ({6}) Wer die demokratische Entwicklung in Nicaragua will, ({7}) muß den demokratischen Kräften in diesem Land, muß den Liberalen, muß den Christlich-Sozialen, muß den Sozialdemokraten ({8}) und auch den Konservativen seine moralische Unterstützung bekunden, ({9}) die dort nicht im sicheren Port des Deutschen Bundestages ({10}) große Reden führen und „Mörder" schreien, sondern die dort ihre eigene Freiheit, ihre körperliche Unversehrtheit, ja, ihr Leben aufs Spiel setzen im Einsatz für die Demokratie in Nicaragua. Und hier wie anderswo ist die SPD in den 70er Jahren stekkengeblieben, hält den Sandinisten die Stange und läßt nicaraguanische Sozialdemokraten im Stich. Da ist der Skandal um das ({11}) Vorstandsmitglied der SPD, den Bremer Senator und Bürgermeister Henning Scherf, der Präsident Reagan einen frühen Tod wünscht, nur damit die Sandinisten in Nicaragua freies Spiel haben. Damit zerstört die SPD nicht nur das Vertrauensverhältnis zum amerikanischen Verbündeten, sondern auch dringend notwendige Überparteilichkeit in der Stabilisierung Zentralamerikas. ({12}) Der vorliegende Haushalt gibt uns die Möglichkeiten, die vor uns stehenden Aufgaben anzupakken: Ernährungssicherung aus eigener Kraft angesichts anhaltender Bevölkerungsexplosion, Bildung und Ausbildung frei von verfehlten europäischen Vorbildern, mehr Spielräume für Selbsthilfe, Kampf gegen das Vordringen der Wüste in Afrika und Schutz der tropischen Regenwälder, in der Tat, Herr Kollege Rumpf. Eine Aufgabe aber will ich besonders hervorheben: Das ist eine bessere Würdigung der Stellung der Frauen im Entwicklungsprozeß. Wir brauchen dafür keine neuen Stellen. Wir haben die Kraft, das, was notwendig ist, durch Schwerpunktsetzung im eigenen Haushalt zu tun. ({13}) Meine Damen und Herren, mit der Neuorientierung hat die Bundesregierung den gewandelten Bedingungen der 80er Jahre Rechnung getragen. So ist es möglich gewesen, die Modeerscheinung des Hilfepessimismus in unserem Lande in den letzten Jahren zu überwinden. Das Engagement des Bundespräsidenten auf seinen Reisen in die Dritte Welt, in seinem Auftreten innerhalb der Bundesrepublik hat dazu viel beigetragen. Wir danken ihm dafür, und wir werden unseren Weg fortsetzen von der Entwicklungshilfe über die Entwicklungszusammenarbeit zu der Entwicklungspartnerschaft mit den Völkern der Dritten Welt. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Ströbele, ich rüge Sie für Ihre Bemerkung an den Minister „Ihre Mörderbanden". Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Darf ich davon ausgehen, daß wir über die Anträge gemeinsam abstimmen können? ({0}) - Dann stimmen wir gemeinsam ab. Ich rufe die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6550, 10/6551, 10/6552, 10/6553 und 10/6554 auf. Wer diesen Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 23: Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Gegenstimmen der GRÜNEN und der SPD ist der Einzelplan 23 in der zweiten Lesung angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen - Drucksachen 10/6321, 10/6331 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Diederich ({1}) Frau Berger ({2}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 60 Minuten vorgesehen; es kann auch weniger sein. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Diederich.

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beziehungen beider deutschen Staaten beruhen heute auf zwei wesentlichen Fundamenten, dem Grundlagenvertrag und den damit verbundenen Konkretisierungen, den Vereinbarungen zwischen Helmut Schmidt und Erich Honecker vom Werbellinsee 1981. Ich möchte feststellen: In den vier Jahren ihrer Regierungsverantwortung zehrte die Bundesregierung von dem, was die sozialliberale Koalition erreicht hatte. Was ich vermisse, ist ein angemessenes Verhandlungskonzept dieser Bundesregierung für die Zukunft. Ich kann mich da wohl auch auf Aussagen aus den Bereichen der Koalition stützen. Ich möchte weiter feststellen: Noch im Jahr 1982 hatte uns ja der von mir sehr verehrte Kollege Lorenz einen Stufenplan vorgestellt. Davon ist seither nicht mehr die Rede. Was wir von der Bundesregierung fordern, ist ein klares Konzept für die Fortschritte in der Frage der Deutschlandpolitik. Es sind sicherlich eine Reihe kleiner Schritte in dem Sinne und auf der Grundlage gemacht worden, die die sozialliberale Regierung gelegt hat. Aber ich halte es nicht für verwunderlich, wenn der Fortschritt mühseliger wird; denn wer kann glauben, daß ein Kanzler, der andere Staatsmänner mit Goebbels vergleicht, damit den Schießbefehl an der Mauer wegbekommt ({0}) oder die Versäumnisse des Herrn Jenninger hinsichtlich der unterschiedlichen Behandlung von Berlinern und Bundesbürgern durch die DDR korrigieren oder Fortschritte in der Ausfüllung des Kulturabkommens erzielen oder etwa den Abschluß eines Umweltschutzabkommens befördern kann? Ich weiß, daß da etwas passiert. Aber wir wissen auch, daß das politische Verhalten dieser Regierung und in dieser Regierung dazu führt, Hemmnisse aufzubauen. Wenn man etwas in der deutschen Frage erreichen will, muß man miteinander reden. Um miteinander reden zu können, muß man auch die richtigen Ausgangspositionen im Umgang schaffen. Ich sehe dies bei diesem Kanzler nicht gegeben, der die Deutschlandfrage im wesentlichen als Propagandainstrument für den Wahlkampf einzusetzen gedenkt. ({1}) Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich mich der Politik des Ministeriums zuwenden. Ich möchte einige besorgte Worte an den Minister richten. In der Beschreibung der Aufgaben des Ministeriums im Vorwort zum Einzelplan hieß es 1982 u. a.: Die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums soll durch objektive Information die Probleme des Verhältnisses beider deutscher Staaten zueinander ({2}) und die Deutschlandpolitik der Bundesregierung darstellen. Dr. Diederich ({3}) Ich glaube, das ist eine Aufgabenbeschreibung, der alle Seiten des Hauses zustimmen können und dürfen, mit Ausnahme der GRÜNEN, die das Ministerium ja auflösen möchten. Herr Schierholz, ich kann Ihnen auch zu Ihrer Entschließung, von der ich gar nicht weiß, ob sie nun vorliegt oder nicht, die Sie aber jedenfalls vorlegen wollten, sagen, daß wir natürlich der Auflösung dieses Ministeriums nicht zustimmen werden, ohne daß ich das jetzt im einzelnen begründen will. ({4}) Ich komme zur Aufgabenbeschreibung zurück. Es ist ja interessant, daß dieser an sich allgemeingültige Satz aus der Aufgabenbeschreibung im Jahre 1985 geändert worden ist. Ich glaube, das ist bezeichnend. Jetzt heißt es nämlich: Die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums soll die Deutschlandpolitik der Bundesregierung darstellen ... Dann heißt es weiter: ... das Bewußtsein von der Einheit der Nation wachhalten und durch objektive Information über die Probleme im geteilten Deutschland unterrichten. ({5}) Das heißt, damit soll das Bundesministerium unter einem gewissen Aspekt sozusagen zu einem Hilfsinstrument des Bundespresse- und Informationsamtes gemacht werden. Herr Minister, dies erfüllt uns mit Sorge, denn die Öffentlichkeitsarbeit für die Bundesregierung in den Vordergrund zu stellen und die objektive Information über die Probleme des geteilten Deutschlands in den Hintergrund zu drängen ist eine Sache, die wir nicht akzeptieren können und bei der Sie unsere Hilfe nicht haben werden. ({6}) - Herr Sauer, hören Sie mir bitte zu. Ich möchte das, was ich gesagt habe, durch die Praxis belegen; ich klammere mich sonst nicht so sehr an Worte, obwohl es ja doch manchmal hilfreich ist, auf das Gedruckte zu gucken. Mit Besorgnis beobachten wir die Tendenz zu einer von Parteibuchwirtschaft geprägten Personalpolitik in Ihrem Ministerium. ({7}) Gerade in den letzten Monaten wurde der im Ministerium über viele Jahre, zum Teil noch aus Zeiten der Großen Koalition gesammelte Sachverstand für die Fragen der DDR und die Beziehung zwischen den beiden deutschen Staaten zurückgedrängt. Es wurden bewährte Mitarbeiter - ich möchte sagen, ohne Grund - verdrängt und das nicht nur auf der Leitungsebene. Meine Damen und Herren, ich möchte davor warnen - es ist jetzt nicht die Zeit, das im einzelnen an Hand des Personalplans und der Organisationsspinne zu belegen -, daß das CDU-Parteibuch und die Nähe zu den Vertriebenenverbänden im Bundesministerium entscheidend werden ({8}) und daß die wirkliche fachliche Qualifikation, die man sich nur durch Sachverstand und Beschäftigung in der Sache über viele Jahre erwerben kann, in den Hintergrund gedrängt wird. ({9}) Deutschlandpolitik darf nicht in den Dienst einer Partei gestellt werden. ({10}) - Herr Sauer, Sie können so lange schreien, wie Sie wollen. Ich werde diese Feststellungen hier dennoch treffen. ({11}) - Ich möchte jetzt hier nicht mit einzelnen Namen arbeiten. Ich möchte aber sagen, daß die Ablösung des Herrn Meixner durchaus ein Signal gewesen ist. Das ist nur ein Name von vielen. Herr Sauer, ich bin bereit, Ihnen das an vielen Personen nachzuweisen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Sauer?

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja bitte.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie die Freundlichkeit besitzen, dann Ihren Vorwurf zu belegen, es wären aus dem Bereich der Vertriebenenverbände Leute in das Ministerium geholt worden?

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Sauer, ich möchte jetzt hier nicht im einzelnen Namen von Mitarbeitern aufzählen. Aber ich komme an einer anderen Stelle noch einmal zu einem Punkt, wo ich versuche, Ihnen in der Praxis nachzuweisen, daß meine Behauptung richtig ist. ({0}) Meine Damen und Herren, die Berichterstatter haben es begrüßt, daß einzelne Titel, die der Verstärkung des Kontakts der Menschen in beiden deutschen Staaten, der Intensivierung der deutschlandpolitischen Forschung und der Verstärkung des Besucherverkehrs nach Berlin dienen, mit zusätzlichen Mitteln versehen worden sind. Ich möchte Gelegenheit nehmen, an diesem Punkt meiner Mitberichterstatterin Frau Berger für die langjährige Zusammenarbeit zu danken. Frau Berger, ich möchte auch hier sagen, daß ich in dieser Arbeit viel von Ihnen gelernt habe und daß ich mich gern an die Zusammenarbeit erinnern werde. In sachlicher Hinsicht sind wir immer einer Dr. Diederich ({1}) Meinung gewesen, auch wenn uns manchmal politische Auffassungen trennten. ({2}) - Also, meine liebe Brigitte, das stimmt nicht. Wir haben uns als wahre und richtige Haushälter verhalten. Wir haben versucht, die Mittel des Bundes dort einzusetzen, wo sie den größten Effekt erzielen. Ich glaube, die Dinge, die wir vertreten haben, haben wir auch im Haushaltsausschuß überzeugend vertreten. ({3}) - Ja, ja, das ist auch sehr nett. Ich hoffe, daß ihr auch in Zukunft für Berlin all das tun werdet, was für Berlin notwendig ist. Ich möchte nur kurz einmal darauf eingehen, wofür zusätzliche Mittel verwendet werden. Angewachsen gerade in diesem Haushalt - übrigens nicht nur in diesem Haushalt; das Ministerium soll j a für die ganze Bundesregierung koordinieren, insofern gibt es da eine Mitverantwortung ({4}) sind nämlich die Ausgaben für Vertriebenenverbände. Das kann man noch akzeptieren. Aber es ist doch eine sehr einseitige Entwicklung. Denn an anderen Stellen wird mit der Begründung, es sei nicht genügend Geld da, im Ministerium gespart. Herr Sauer, um Ihnen einen Beleg zu geben: Es ist überhaupt nicht einzusehen, daß der „DDR-Report", der seit vielen Jahren als Pressespiegel im Ministerium erscheint, plötzlich auf eine zweimonatliche Erscheinungsweise reduziert werden soll, nicht aus sachlichen Gründen, sondern mit der Begründung, es sei nicht hinreichend Geld da. ({5}) - Ich habe im Prinzip nichts gegen Vertriebene, Herr Lintner, aber ich glaube, daß die Rolle der Vertriebenenverbände in dieser Gesellschaft begrenzt werden sollte, daß es hier keine weiteren Ausweitungen geben sollte und geben kann. Wir haben an anderer Stelle hier darüber diskutiert. ({6}) Ich möchte auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Das Ministerium führt mit den Bücherpaketen eine gute Tradition fort. Das fällt in den Bereich objektive Information, wie es die Aufgabenstellung des Ministeriums ist. Ich begrüße das ausdrücklich. Herr Minister, die Aktualisierung darf nicht als ein Vorwand für die Einführung einseitiger politischer Tendenzen dienen. Ich habe mir das neue Bücherpaket sehr intensiv angesehen. Ich habe auch namhafte Kenner der DDR-Fachliteratur befragt. Ich möchte hier ein kurzes Resümee ziehen. Ich kann, wie gesagt, die einzelnen Bücher hier nicht auf den Tisch legen, aber ich bin gern bereit, Ihnen das im einzelnen zu belegen, auch wenn Sie mir das nicht abnehmen, Herr Sauer. ({7}) Es sind kaum noch Monographien zum politischen und gesellschaftlichen System der DDR darin enthalten. Man muß ja sehen, daß diese Bücherpakete für Schulen gedacht sind und daß sie didaktisches Hilfsmaterial für Lehrer sein sollen. ({8}) Das finden wir positiv. Aber dazu braucht man wissenschaftlich fundierte Literatur, die einen Überblick vermittelt. Statt dessen finden wir, daß Einzelaspekte sehr stark betont werden: Wehrerziehung, Friedensbewegung, Staatssicherheitsdienst, Massenmedien, Erlebnisberichte, Autobiographisches. Das ist für sich genommen auch noch nicht negativ. Aber wenn man sich die Literatur dann im einzelnen anguckt, sieht man: Es ist ideologisch befrachtete Literatur statt analytischer und struktureller Begleitliteratur für die Pädagogik. ({9}) Ich konstatiere in dem neuen Bücherpaket eine gefährliche propagandistische Tendenz, ({10}) die eher einseitig und konservativ ist. Herr Minister, wir fordern das Ministerium auf, dies zu korrigieren. Kehren Sie zu pluralistischen und objektiven Informationen zurück!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lintner?

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Herr Lintner.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Diederich, halten Sie eigentlich die Schilderung der Wirklichkeit in der DDR für ideologisch überfrachtet oder befrachtet? ({0})

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, man kann die Wirklichkeit in der DDR natürlich unter vielen Aspekten schildern, Herr Lintner. Da Sie wissen, daß Literatur unter sehr subjektiven Aspekten geschrieben wird, ist es wichtig, ein Spektrum darzustellen. Ich habe hier betont, daß es wichtig und notwendig ist, gerade für die Didaktik, für den Lehrer, der j a in der Regel kein Fachmann in dem Bereich ist, vor allen Dingen aufbereitende systematische Literatur anzubieten, die einen Überblick ermöglicht und die die gesamte Perspektive in ihrer Breite darstellt. Denn wir wollen kein verzerrtes Bild von der DDR geben, sondern wir wollen Deutschland in seiner ganze Vielfalt darstellen, und dies ist in diesem Bücherpaket nicht mehr an allen Dr. Diederich ({0}) Stellen gewährleistet. Ich appelliere an Sie, das zu verbessern. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gut, aber wir wollen hier jetzt eigentlich nicht in einen Dialog eintreten.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Diederich, ich werde keine Zwischenfrage mehr stellen, aber ich möchte Sie jetzt doch fragen: Halten Sie die Schilderung der Allgegenwart des MfS und auch der Tatsache, daß Kriegspropaganda oder, wenn Sie so wollen, Erziehung zum Haß betrieben wird, für eine einseitige tendenziöse Darstellung der Wirklichkeit in der DDR?

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber Herr Lintner, Sie haben mich nicht verstanden. Natürlich ist das ein Aspekt, der auch dargestellt werden muß. Nur, ich fordere, daß wir das gesamte Spektrum des gesellschaftlichen Lebens der DDR darstellen und uns hier nicht einseitig auf bestimmte einzelne, sehr emotionsgeladene Aspekte konzentrieren. ({0}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier noch etwas zu einem letzten Punkt sagen. Sie wissen, daß sich RIAS Berlin um die Beteiligung an einer terrestrischen Fernsehfrequenz in Berlin bewirbt. Der US-Kongreß hat eine Ermächtigung ausgesprochen, daß ab Herbst 1987 Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesregierung hat bereits früher signalisiert, daß sie bereit ist, hier etwas zu leisten und die übrige Finanzierung zu übernehmen. Ich möchte jetzt nicht über die Details sprechen. Im Haushaltsplan sind zunächst etwas weniger als 9 Millionen DM für die Planungskosten eingestellt worden. Dieser Ansatz wurde auf Antrag der SPD im Haushaltsausschuß qualifiziert gesperrt. Das heißt, daß der Haushaltsausschuß und damit das Parlament noch hinreichend Gelegenheit haben wird, sich mit den Einzelheiten zu befassen. Ich möchte hier nur folgendes feststellen: Der RIAS hat sich, was sein Rundfunkprogramm betrifft, in der Vergangenheit bewährt. Inwieweit sich die jetzige Programmreform bewährt, werden wir nach einiger Zeit sehen, wenn die erste modische Welle vorüber ist. Ich möchte allerdings anmerken, daß für meinen Geschmack in den Hörfunkprogrammen erstaunlich wenig Information, dafür aber sehr, sehr viel Musikteppich enthalten ist. Aber das ist ein Punkt, über den man an anderer Stelle diskutieren muß. RIAS-Fernsehen bedeutet in dem Zusammenhang aber eine andere Dimension. Ich möchte noch einmal notifizieren, woran wir Sozialdemokraten im Haushaltsausschuß und die gesamte Fraktion natürlich vor dem Parlament unsere Stellungnahme knüpfen wollen: ({1}) - Ich bin nicht Mitglied dieses Unterausschusses, Herr Hennig. Da ist Ihr Zwischenruf nicht gerechtfertigt. Aber alle, die im Haushaltsausschuß waren, werden bestätigen, daß ich mich im Haushaltsausschuß, der dafür zuständig ist, intensiv damit befaßt habe. - Wir knüpfen unsere Stellungnahme also an folgendes: Erstens. Es darf keinen Staatsrundfunk geben, weder einen Rundfunk der Bundesregierung noch einen Rundfunk der Schutzmacht. Zweitens. Es müssen dieselben Regeln wie für staatlich finanzierte Sender - also ähnlich wie die Deutsche Welle oder Deutschlandfunk - gelten und auch die Mindestregeln, die das Bundesverfassungsgericht im Urteil zu den privaten Fernsehanstalten aufgestellt hat. Das heißt für uns: Das Aufsichtsgremium, das vorgesehen und angekündigt ist, muß wirklich wirksam sein. Es muß den Intendanten und die Anstalt wirklich kontrollieren können. Es darf nicht nur ein Beirat sein, der Zierde darstellt, sondern er muß etwas zu sagen haben. ({2}) - Herr Schulze, Sie wissen, daß das Quatsch ist, was Sie da sagen. ({3}) Wir kennen natürlich auch die Begrenzungen, unter denen ein Aufsichtsgremium des RIAS arbeitet. ({4}) - Ich habe über die Zusammensetzung überhaupt nichts gesagt. Ich möchte nur die Kompetenzen feststellen. Es kommt darauf an, daß im Hinblick auf eine pluralistische Personalpolitik, auf die Erfüllung des Programmauftrags und die Abschirmung gegen die Staatseinwirkung das Aufsichtsgremium hinreichend und wirksam tätig werden kann. Meine Damen und Herren, wir lehnen den Einzelplan 27 ab. Der Herr Dregger hat heute morgen von Einheit der Nation und Selbstbestimmungsrecht gesprochen. Für mich tut diese Bundesregierung - ich sage dies als ein engagierter Berliner - nicht genug dafür. Sie reagiert, aber sie agiert nicht. „Weiter so, Deutschland!" schreiben Sie über Ihre Wahlplakate. Aber offenkundig ist nur die Bundesrepublik gemeint. Unsere Antwort ist: Wir brauchen eine neue Phase der Entspannungspolitik und eine neue Phase der Deutschlandpolitik. Unsere Antwort auf die Parole der CDU „Weiter so, Deutschland!" lautet: „So nicht!, aus Verantwortung für das ganze Deutschland!" Dr. Diederich ({5}) Meine Damen und Herren, der Herr Ertl hat heute in seiner Rede beeindruckend davon gesprochen, ({6}) daß eine der Hauptaufgaben, die er in seiner politischen Laufbahn gesehen hat, war, die Frage zu beantworten: Wie werden wir das geteilte Deutschland und das geteilte Europa überwinden? Ich gehe aus dem Bundestag auch mit dem Vorhaben, dafür weiterzuwirken. Ich möchte hier die Bitte aussprechen, daß Sie alle gemeinsam versuchen, diesen Weg voranzugehen und für eine neue Deutschlandpolitik für das ganze deutsche Volk wirksam zu sein und hier Ergebnisse zu erzielen, die es uns möglich machen, solche schrecklichen Ereignisse, wie sie in den letzten Tagen an der Mauer geschehen sind, in Zukunft zu verhindern, weil dann Mauer und Stacheldraht keine hindernden Grenzen mehr darstellen, sondern durch die Menschen, die von Ost nach West und von West nach Ost gehen, überwunden werden können. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Berger ({0}).

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Nils Diederich, die ersten Vorbemerkungen lagen weit unter Ihrem sonstigen Niveau. Weiterhin hätte ich mir gewünscht, daß Sie Ihre Bemerkungen über die Personalpolitik in den Berichterstattergesprächen vorgetragen hätten; dann hätten wir darüber eingehender diskutieren können als in der knappen Zeit, die hier zur Verfügung steht. Drittens muß ich natürlich Ihren Hinweis auf die Einschränkung der Tätigkeit von Vertriebenenverbänden zurückweisen und Ihnen auch in aller Offenheit sagen, daß wir im Gegenteil die Arbeit der Vertriebenenverbände und der Landsmannschaften durch eine Aufstockung der Mittel im Haushalt fördern wollen. ({0}) - Ja, natürlich! Herr Kollege Diederich, es ist für mich schlicht und einfach nicht nachvollziehbar, daß die SPDFraktion trotz der Zustimmung zum Einzelplan 27 im innerdeutschen Ausschuß und im Haushaltsausschuß ({1}) hier im Plenum die Ablehnung angekündigt hat. - Herr Büchler, wenn Sie sich bei der Beratung nicht geäußert haben, kann doch ich nichts dafür. Schauen Sie im Protokoll nach! Im innerdeutschen Ausschuß und im Haushaltsausschuß ist dem Einzelplan 27 zugestimmt worden. ({2}) - Nein, Sie haben nur Empfehlungen gegeben, haben aber nicht empfohlen, ihn abzulehnen. Herr Büchler, Sie sind kein Gigant. Mit Ihrem Nein ausgerechnet zu diesem Einzelplan - da schließe ich an die Worte an, die Sie, Kollege Diederich, zum Schluß hier gesprochen haben - müssen Sie fertig werden, denn nach fünf Jahren Konsolidierung des Einzelplans 27 liegt Ihnen mit dem Haushaltsentwurf 1987 ein Einzelplan zur Zustimmung vor, der von 439 Millionen DM bei Regierungsübernahme 1982 auf nunmehr 809 Millionen fast verdoppelt ({3}) und neu strukturiert wurde. ({4}) Die Zahlen sind gleichsam auch ein Programm. Öffentlichkeitsarbeit im weitesten Sinne wurde unter sozialdemokratischer Führung eher kleingeschrieben. Wir sind da anderer Meinung. Wir leben mit der Teilung, aber wir haben auch dafür zu sorgen - -({5}) - Ich weiß gar nicht, was es da bei Ihnen, Herr Kollege Heimann, als ehemaligem Bundessenator und als Berliner Abgeordneten zu lachen gibt. ({6}) Ich weiß das überhaupt nicht und muß mir das wirklich ernsthaft verbitten! Wir leben mit der Teilung, aber wir haben dafür zu sorgen, daß sich die Menschen bei uns nicht einfach damit abfinden. Innerdeutsches braucht viel Öffentlichkeit, braucht immer neue Anstöße gegen die Gewöhnung und gegen die Gleichgültigkeit. ({7}) Es werden ja immer weniger, die Deutschland noch als Ganzes erlebt haben und für die Rügen, Greifswald, Görlitz, Dresden und Dessau keine „FremdOrte" sind. Umgekehrt werden es immer mehr, die Mallorca besser als Dresden kennen, schon der Sonne und der bequemen Reisemöglichkeiten wegen. Das gilt besonders für junge Menschen. Sie sind in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht unbedingt neugierig auf die DDR, anders als die Gleichaltrigen drüben, die sehr genau wissen, wie es bei uns aussieht. Hier haben wir angesetzt. 1985 sind gemeinsam mit den Bundesländern 4 667 Gruppenreisen in die DDR mit rund 68 000 Teilnehmern unterstützt worden. Nach Berlin und an die Grenze zur DDR fuhren 10 204 Gruppen mit insgesamt 335 000 Teilnehmern. Für 1986 und 1987 ist mit wesentlichen Steigerungen zu rechnen. Im diesjährigen Haushaltsansatz sind 19 Millionen DM mehr für Studienreisen in die DDR, für Begegnungen und für den kulturellen Austausch Frau Berger ({8}) angesetzt worden als im letzten Jahr der früher für die Regierung Verantwortlichen, 19 Millionen DM mehr. Wir wissen inzwischen, daß viele Begegnungen Jugendlicher mit Gleichaltrigen in der DDR zu erfreulich positiven Eindrücken geführt haben. Untersuchungen haben ergeben, daß Schüler vor Reiseantritt bis zu 80 % der Meinung waren, sie reisten in ein „anderes Land", die DDR sei Ausland wie Frankreich oder die Schweiz. Nach der Rückkehr waren nur noch 20 % dieser Meinung. Die große Mehrheit hatte, salopp gesprochen, die Verwandtschaft wiederentdeckt. Wir begrüßen es außerordentlich, daß das Interesse von Schulklassen und Jugendgruppen an Berlin-Reisen und Reisen in die DDR wächst, obwohl die Kostenzuschüsse von 5 DM pro Tag und Teilnehmer und die Erstattung von 80 % der Reisekosten relativ bescheiden sind. Früher mußten bereits ab Mitte des Jahres Anträge aus Mangel an Mitteln abgelehnt werden. Dies ist heute anders, weil wir Vorsorge getroffen haben. Ich möchte jedoch bei dieser Gelegenheit an die Bundesländer appellieren, ihrerseits zusätzliche Haushaltsmittel vor allem für Klassenfahrten in die DDR und nach Berlin bereitzustellen. In der vergangenen Woche konnten wir in den Zeitungen lesen, daß Baden-Württemberg eine Million DM zusätzlich zur Verfügung gestellt hat. Wir können nur hoffen, daß dieses gute Beispiel Schule macht. Von Lehrern wissen wir - der Kollege Diederich hat das Thema angesprochen -, wie sehr es an geeigneten Materialien über das Leben in der DDR fehlt. Auf meine Anregung hin ist eine Zeitschrift entstanden, die aus dem Einzelplan 27 finanziert wird, „Wir in Ost und West". Kritisch muß ich anmerken, daß seit 1985 erst drei Nummern erschienen sind. ({9}) - Herr Kollege Büchler, ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, Sie sind ein Gigant, insbesondere in der Qualität Ihrer Zwischenrufe. Kritisch muß ich also anmerken, daß seit 1985 erst drei Nummern erschienen sind. Erfreulich ist, daß alle Ausgaben von Jugendlichen und auch von Lehrern positiv aufgenommen worden sind. Wir brauchen auch die Lehrer; sie müssen uns helfen, die Jugend wieder neugierig auf das zu machen, was von uns getrennt ist. Viel zu viele Jahre ist da zuwenig geschehen, was den hohen Anspruch der Präambel des Grundgesetzes erfüllt. Ich meine, wir haben einen erheblichen Nachholbedarf im Deutschunterricht. ({10}) Ebenso wie die Herausgabe der angesprochenen Zeitschrift dient auch die Unterstützung deutschlandpolitischer Seminare dem, was so vereinfachend mit der „deutschen Frage" umschrieben wird. Die Zahl der Teilnehmer an Seminaren und Tagungen nahm von rund 94 000 im Jahre 1982 auf rund 128 000 im vergangenen Jahr zu. Für 1986/87 ist mit weiteren Steigerungen zu rechnen. Die Anforderungen an deutschlandpolitischer Literatur beim Gesamtdeutschen Institut sind seit 1982 von rund 42 000 Anfragen auf 83 000 im Jahre 1986 gestiegen. ({11}) Bei den Berichterstattergesprächen hat Herr Minister Windelen eine eindrucksvolle Übersicht über die Aktivierung und Neuorientierung des Haushalts seit der Bundestagswahl 1983 vorgelegt. Die Zeit erlaubt mir nicht, auf alle Positionen dieser Übersicht einzugehen, bei denen die Ausgaben gegenüber denen von 1982 wesentlich verstärkt wurden. ({12}) Ich nenne daher nur Neuorientierung und Verstärkung der deutschlandpolitischen Forschungs- und Bildungsarbeit, Aufstockung der Zonenrandförderung, verstärkte Förderung der deutschlandpolitischen Arbeit der Vertriebenenverbände und Landsmannschaften und die Erhöhung der Mittel für Begegnungen. Wir rechnen auch damit, daß durch das im Mai unterzeichnete Kulturabkommen Kontakte hinüber und herüber zunehmen werden. Auch dafür ist Vorsorge getroffen. Die Berichterstatter haben mit Bundesminister Windelen, mit Staatssekretär Rehlinger und mit Mitarbeitern des Ministeriums den Einzelplan beraten und dabei alle erbetenen Auskünfte erhalten. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das bedeutet wohl, daß Sie keine Zwischenfrage zulassen.

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So ist es. Alle Ausgaben, auch die Ausgaben für den besonderen humanitären Bereich, unterliegen der Kontrolle des Parlaments. Die besonderen Bemühungen der Bundesregierung im humanitären Bereich waren in den letzten vier Jahren außerordentlich erfolgreich. Hierfür möchte ich Herrn Bundesminister Windelen und besonders Staatssekretär Rehlinger danken. ({0}) Mir liegt auch daran, in diesem Zusammenhang einen zuverlässigen Partner in meinen Dank einzubeziehen, der mit Stetigkeit auf der anderen Seite bemüht war, schwere menschliche Schicksale unter den gegebenen Umständen erträglicher zu machen. Ich meine Professor Wolfgang Vogel. ({1}) Frau Berger ({2}) - Ich stelle fest, Herr Dr. Schierholz, daß es Ihnen an Herz, Verstand und an Erkenntnis der Lage der Nation fehlt. ({3}) Zum Schluß möchte ich sagen: Dank auch für eine langjährige kollegiale Zusammenarbeit an meine Berliner Kollegen Lothar Löffler und Nils Diederich, die dem Deutschen Bundestag künftig nicht mehr angehören werden, was ich sehr bedaure. Sie werden hier fehlen. Dank auch allen Mitarbeitern des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen für die 1986 geleistete Arbeit. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Einzelplan 27 zu. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch gerade nach Ihrer Rede, Frau Berger, muß ich mich fragen: Was ist eigentlich Sache in der Politik der Bundesregierung gegenüber der DDR? Da läßt der Bundeskanzler persönlich seit gut 14 Tagen keine Gelegenheit aus, um in aggressiver und demonstrativer Weise über die DDR herzuziehen. ({0}) Da wird einerseits das menschenfeindliche System angeprangert, und auf der anderen Seite bemühen sich die Fachleute für die kleinen Schritte, für humanitäre Erleichterungen - und in diesem Sinne war gerade Ihre Rede, Frau Berger - darum, das Kulturabkommen zu loben, das Umweltschutzabkommen zu avisieren und ähnliches. Ich frage Sie: Welche neuen Erkenntnisse treiben Sie eigentlich - das frage ich hier insbesondere den leeren Stuhl - zu dieser Kampagne gegen die DDR? ({1}) Eine solche Politik ist aus unserer Sicht voller Widersprüche, unausgegoren, konzeptionslos und nur auf Show und innenpolitische Vorteile angelegt; ({2}) denn die verbal-radikale Verurteilung der DDR ist nicht etwa Ausdruck einer glaubhaften und ungeteilten Menschenrechtspolitik, für die wir GRÜNEN uns einsetzen, sondern Mittel zum Zweck. Wann hat sich diese Regierung jemals für die Mitglieder der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR eingesetzt, ({3}) die nicht nur die Militarisierung dort beklagen, sondern auch die Aufrüstung bei uns scharf brandmarken? Nicht um die demokratischen Rechte dieser Menschen auf freie politische Betätigung und Freizügigkeit geht es, sondern um die Instrumentalisierung der Menschenrechtsfrage für eine nationalistische Ausrichtung ihrer Politik. Und davon zeugt auch der Haushalt. ({4}) Einer solchen Politik widersprechen wir natürlich. Und wir fragen, Herr Windelen: „Ostpreußen ist deutsches Land", sagen Sie so etwas auch hier im Deutschen Bundestag? Und der Kanzler sagt: Mit unserem Vaterland meine ich nicht nur die Bundesrepublik und den anderen deutschen Staat, - hört, hört! sondern auch die Menschen jenseits von Oder und Neiße. ({5}) - Diese Äußerungen, Herr Sauer, sind ein Kniefall vor den großdeutschen Träumern, die den Unionsparteien bei der Bayern-Wahl zu Herrn Schönhuber weggelaufen sind. Was hat Herr Strauß - so möchte ich hinzufügen - eigentlich Herrn Schönhuber geboten, damit er nicht zur Bundestagswahl antritt? ({6}) Doch über diese wahltaktischen Überlegungen in den Unionsfraktionen hinaus geht es offensichtlich um eine Neuakzentuierung der Deutschlandpolitik, die auf Konfrontation statt auf Dialog setzt und die Tür für eine Politik im Interesse von menschlichen Erleichterungen, von Abrüstung, von Verbesserungen im Umweltschutz und in anderen Bereichen zuschlägt. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, daß die offenen und die versteckten Zuwendungen an die Vertriebenenverbände im Einzelplan 27 erneut kräftig aufgestockt werden, ({7}) während die Bundesregierung z. B. in den Verhandlungen über die Werra-/Weser-Entsalzung mit einem Taschengeld herkommt. ({8}) Die großmäulige Politik des Bundeskanzlers, Herr Böhm, torpediert den längst fälligen und möglichen Abschluß eines Umweltabkommens mit der DDR und gemeinsame Maßnahmen beider deutscher Staaten z. B. zur Luft- und Wasserreinhaltung - ich sage nur: Elbe! Elbe! Elbe! - auf Monate, wenn nicht auf Jahre. ({9}) - Eine Zwischenfrage der Herren Kollegen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Möchten Sie die beantworten?

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie die Zeitguillotine anhalten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wir haben hier keine Guillotine. Ich halte die Uhr selbstverständlich an, wenn Sie die Zwischenfrage zulassen. - Das scheint der Fall zu sein. - Herr Reddemann.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Da ich kein Jakobiner bin, ist die Frage des Fallbeils ohnehin kein Problem.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das hat von Ihnen auch keiner angenommen.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Sie, Herr Kollege Schierholz, fragen, ob es nicht zweckmäßiger gewesen wäre, daß Sie all das, was Sie hier vortragen, bei den langen und ausführlichen Beratungen im Ausschuß genannt hätten, während Sie statt dessen bei den meisten dieser Gelegenheiten leider nicht anwesend waren?

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist völlig richtig, Herr Reddemann. Ich bedaure, bei der entscheidenden Sitzung nicht dabei gewesen sein zu können. Auf die Details des Haushalts komme ich mit Ihrer freundlichen Genehmigung gleich noch zurück. - Jetzt kommt Herr Lintner.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wollen Sie Herrn Lintner auch noch hören? - Bitte, Herr Lintner.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schierholz, halten Sie einen finanziellen Beitrag der Bundesregierung in Höhe von mehreren hundert Millionen DM für die Werra-Entsalzung für einen Pappenstiel?

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wieviel?

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mehrere hundert Millionen Mark. ({0}) Oder müssen Sie zugeben, daß Sie die konkrete Höhe des Beitrags gar nicht kennen?

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber selbstverständlich kenne ich die. ({0}) Ich weiß auch, was es in den Verhandlungen mit den Ländern an Mühe gekostet hat, Herr Lintner. ({1}) - Hessen, Niedersachsen, Bremen; es waren alle beteiligt. Ich vertrete bekanntlich einen Wahlkreis, der von dieser Problematik konkret betroffen ist. ({2}) Hunderte Millionen Mark, Herr Windelen wird sich freuen. Die finde ich im Haushalt nicht wieder. Drei- oder vierhundert Millionen DM ist genau unsere Forderung, Herr Lintner. Ich freue mich, daß Sie die unterstützen. ({3}) Ich frage Sie hier, meine Damen und Herren - es geht jetzt weiter -: Gilt in den Unionsfraktionen eigentlich noch das Wort von Herrn Rühe zur politischen Bindungswirkung der Ostverträge, ({4}) oder hat sich der Schönhuber-Flügel um Herrn Dregger mit seinem Konfrontationskurs längst durchgesetzt? ({5}) Jede verantwortungsbewußte Politik, die die friedenspolitische Verantwortung der beiden deutschen Staaten mit Inhalt füllen will, muß nach unserer Meinung die Oder-Neisse-Grenze und die DDR mit allen Konsequenzen völkerrechtlich verbindlich anerkennen. ({6}) Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen hingegen symbolisiert allein schon durch seine Existenz den anachronistischen Anspruch der Bundesrepublik, alle Deutschen in den Grenzen von 1937 als Staatsmacht zu vertreten und zu repräsentieren, ({7}) bis der gewünschte deutsche Nationalstaat, ({8}) der als Wunschvision bei Ihnen Pate steht, mit der Bundesrepublik als bestimmendem Kern errichtet werden kann. Das ist der Hintergrund, Herr Jäger. Das wissen Sie doch sehr genau. Unser Antrag auf Auflösung des innerdeutschen Ministeriums und der Überführung seiner Abteilungen ins Auswärtige Amt, ({9}) ins Bundeskanzleramt, in die Bundeszentrale für politische Bildung ({10}) natürlich nehmen wir auch gerne Ihren Vorschlag hier zu Protokoll, Herr Hennig - steht für eine Politik, die von nationalstaatlichen Zielsetzungen Abschied nimmt und den notwendigen Schritt zur Selbstanerkennung der Bundesrepublik vollzieht. Das steht heute auf der Tagesordnung. ({11}) Jetzt wollte ich eigentlich - die Uhr ist leider auf 0 - noch etwas zu den Haushaltsposten sagen, nämlich zu Personalpolitik, Bücherpaketen, RIAS, Förderung bzw. völlig ausgebliebener Förderung - von diesem Ministerium kann man das auch nicht erwarten - aller Eisenbahnstrecken von und nach Berlin. Ich nehme an, die Präsidentin gibt mir keine 15 Minuten dazu. Deswegen sage ich jetzt nur noch zwei Sätze. Wir GRÜNEN wollen den Selbstbetrug gesamtdeutscher Identität und Perspektive endlich beenden und damit eine selbstkritische Hinwendung der bundesrepublikanischen Gesellschaft zur eigenen demokratischen Verfassung und die Herausbildung einer eigenen demokratischen Identität voranbilden. Weder mit dieser Regierung noch mit diesem Haushalt des BMB ist solch eine Politik zu machen. Deswegen lehnen wir, wie Sie verstehen werden, diesen Haushalt ab. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Außerhalb der Tagesordnung hätte ich ihn noch gerne eine Weile weiterreden lassen. Meine Damen und Herren, Herr Ronneburger hat jetzt das Wort.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar dafür, daß die Reihenfolge der Redner im letzten Moment korrigiert worden ist, ({0}) weil mir das Gelegenheit gibt, auf den einen oder anderen Punkt von Herrn Dr. Schierholz einzugehen. Herr Diederich, gestatten Sie mir eingangs, daß ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck gebe, mit welcher Bemerkung Sie Ihre Rede heute eingeleitet und mit welcher anderen Bemerkung Sie sie beendet haben. Sie haben zunächst einmal gesagt, diese Regierung habe keine Konzeption in der Deutschlandpolitik. Darf ich Sie, Herr Professor Diederich, daran erinnern, daß der von Ihrer Fraktion gestellte Minister für innerdeutsche Beziehungen im Jahre 1980 in einem Vortrag vor dem Kuratorium unteilbares Deutschland in Berlin ausdrücklich erklärt hat: Wer von ihm, wer von seiner Regierung, von seinem Ministerium eine ganz exakte Konzeption für jede Maßnahme der Deutschlandpolitik verlange, der verkenne die Situation, mit der wir es zu tun haben im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nur wenn das nicht auf meine Zeit angerechnet wird, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Auf keinen Fall.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ronneburger, erinnern Sie sich an die Worte Ihres Kollegen Hoppe, der die Bundesregierung extra aufgefordert hat, Perspektiven in die Deutschlandpolitik zu bringen?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde; denn es wird ganz wichtig und notwendig sein, Herr Kollege Büchler, daß wir uns einmal gerade auch angesichts der Rede von Dr. Schierholz auf die Grundlagen unserer gemeinsamen Deutschlandpolitik besinnen. Daraus wird sich ergeben, was Konzeption heißt. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist es Ihnen denn recht, daß Herr Hoppe davon gesprochen hat, daß diese Regierung keine Perspektiven in der Deutschlandpolitik hat, sondern wir erst wieder solche brauchen?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Mir ist eine solche Äußerung von Herrn Hoppe nicht bekannt, und wenn Sie sie hier so zitieren, ist sie zweifellos aus dem Zusammenhang gerissen. Ich bin gern bereit, mich mit Herrn Hoppe darüber auseinanderzusetzen. Hier geht es nämlich, Herr Kollege Dr. Schierholz, vor allen Dingen um die Frage: Auf welcher Grundlage beruht denn diese Politik? Sie verkennen, daß es rechtliche Grundlagen in der Verfassung, in der Präambel der Verfassung gibt, Sie verkennen offenbar, daß es vertragliche und rechtliche Grundlagen insgesamt gibt, die uns in unserer Deutschlandpolitik binden, die uns nicht nur binden, weil es rechtliche und verfassungsrechtliche Bestimmungen sind, sondern weil diese Bestimmungen unserer politischen Grundauffassung entsprechen und weil wir auch in Zukunft dann in Deutschland eine Politik um der Menschen willen machen wollen. ({0}) Von daher, Herr Kollege Diederich, ist Ihre abschließende Bemerkung so völlig unverständlich. Haben wir nicht 1984 gemeinsam eine Entschließung zum Bericht zur Lage der Nation verabschiedet, ({1}) wo alles festgelegt ist? Sie scheiden von diesem Punkt, von diesem Rednerpult, aus diesem Plenum, wo wir Sie sicherlich in Zukunft an manchem Tage und in manchem Zusammenhang sehr entbehren werden, indem Sie eine neue Deutschlandpolitik fordern. ({2}) Wir brauchen keine neue Deutschlandpolitik, ({3}) wir brauchen eine Politik, die sich für die Erhaltung des Friedens einsetzt, ({4}) wir brauchen eine Politik, die die Situation der Menschen im geteilten Land verbessert; aber wir haben auch nie ein Hehl daraus gemacht, daß wir eine Politik betreiben, die das Ziel der deutschen Einheit im Sinne der Präambel des Grundgesetzes vor Augen hat, von der wir nicht abweichen werden. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Ronneburger?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege Ronneburger, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich nicht von einer neuen Deutschlandpolitik, sondern von einer neuen Phase der Deutschlandpolitik gesprochen habe? Ich habe also neue Aktivität verlangt. Würden Sie das bitte zur Kenntnis nehmen?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Diederich, ich bin gern bereit, mich mit Ihnen gemeinsam an das unkorrigierte Protokoll zu setzen, das von heute geschrieben worden ist. Sie haben nicht von einer neuen Phase, Sie haben von einer neuen Deutschlandpolitik gesprochen. Das mag ein Versehen gewesen sein - ich akzeptiere das gerne -, aber auch bei der neuen Phase der Deutschlandpolitik sind meine Bedenken nicht ausgeräumt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wieviel unbefangener wären wir heute in diese Aussprache über den Einzelplan 27 gegangen, wieviel unbefangener hätten wir die vielen noch ungelösten Fragen der Deutschlandpolitik ansprechen können, Herr Kollege Dr. Schierholz, wenn nicht in diesen Raum hinein praktisch noch das Echo der Schüsse von Montag zu hören gewesen wäre! Ich kann nur sagen: Wir haben in der Vergangenheit nie darauf verzichtet, auch auszusprechen, was um der Menschen willen in Deutschland gesagt werden muß. Wir können das auch in diesem Zusammenhang nicht verschweigen. Ich füge in aller Offenheit und im Bewußtsein hinzu, daß wir das Ziel der deutschen Einheit und auf dem Wege dorthin das Ziel der guten Nachbarschaft nicht aus dem Auge verlieren werden: Wer sich in der DDR der Hoffnung hingeben sollte, daß mit Schüssen an der Mauer die Einheit der deutschen Nation zerstört werden könnte, der allerdings hängt einer Illusion nach. ({0}) Tatsächlich ist das Gegenteil richtig. Die Tatsache, daß eine technisch perfekte und dichte Grenze und der Schießbefehl die beiden Teile des deutschen Volkes voneinander trennen müssen, ist ein Beweis dafür, daß man auf diese Weise die Einheit der Nation nicht auflösen kann. Wir werden, sosehr uns dieser Vorfall wieder einmal daran erinnert, wie weit jedenfalls die DDR noch in ihrem Handeln vom dem Zustand guter Nachbarschaft entfernt ist, ({1}) in aller Offenheit, Herr Kollege Ströbele, auch in Zukunft sagen, wo Menschenrechte verletzt werden. Aber wir werden darüber hinaus bereit sein, im Interesse der Menschen im geteilten Land - in dem Sinne, für die, die davon betroffen sind, die Lasten der Teilung leichter zu machen - unsere Politik fortzusetzen. ({2}) Deswegen, Herr Bundesminister, gehe ich, was Ihren Einzelplan angeht, nur auf einen einzigen Satz ein, nämlich auf den letzten Satz im Vorwort des Einzelplans. Dieser Satz lautet: „Wesentliche Änderungen gegenüber dem Vorjahr sind nicht eingetreten." Und wenn denn die Zahlen des Haushaltes Ausweis für die geplante Politik sind, dann bedeutet dieser Satz, daß eine kontinuierliche - nicht eine neue oder auch mit einer neuen Phase beginnende - Deutschlandpolitik auch über den 25. Januar des nächstens Jahres hinaus fortgesetzt werden wird; eine Deutschlandpolitik, die mit den Realitäten lebt und die doch das Ziel nicht aus dem Auge verliert, daß eines Tages die Freiheit, angesichts der auch der Kollege Schierholz in diesem Hause sprechen kann, allen Deutschen zur Verfügung steht und nicht nur denen auf dieser Seite der Grenze. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.

Heinrich Windelen (Minister:in)

Politiker ID: 11002525

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen! Mein erstes Wort heute abend als vermutlich letzter Redner in dieser Debatte ist ein Wort des Dankes an die Kolleginnen und Kollegen des innerdeutschen Ausschusses und des Haushaltsausschusses für eine sachgerechte und für eine faire Beratung meines Einzelplans sowie für die Zustimmung, die dieser Einzelplan in den Fachausschüssen erfahren hat. Herr Kollege Diederich, Ihre Kritik muß ich ertragen. Ich kann sie auch ertragen, weil ich sie für unberechtigt halte. Ich habe Verständnis dafür, daß Ihre Fraktion einen solchen Beitrag von Ihnen erwartet hat. Deswegen möchte ich bei dem bleiben, was ich mir vorgenommen hatte. Ich wollte Ihnen genauso wie der Kollegin Berger herzlich für die Arbeit als Berichterstatter danken. Ich habe unsere Zusammenarbeit, Herr Kollege, und Ihr deutschlandpolitisches Engagement stets geschätzt. Ich habe meinerseits versucht, dies durch Offenheit, durch volle Information und auch durch umfassende Unterrichtung zu beantworten und zu honorieren. Sie werden dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören; ich bedaure das. Aber Sie werden in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit sowohl der Deutschlandpolitik, als auch, wie ich erfahren habe, meinem Haus, wenn auch nur sehr mittelbar, verbunden bleiben. ({0}) Herr Kollege Diederich, Sie haben an unserer Öffentlichkeitsarbeit und hier besonders an den Bücherpaketen Kritik geübt. Ich möchte darauf nicht im einzelen eingehen. Wir freuen uns sehr darüber , daß gerade die Bücherpakete eine sehr große Aufnahme gefunden haben, eine beträchtliche Erhöhung der Abnahmezahlen in allen Bundesländern. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Dies ist für mich eigentlich ein besserer Maßstab als eine Kritik, die ich - und offenbar auch die Abnehmer - als nicht begründet empfinde. Herr Kollege Heimann, Sie haben eine angeblich einseitige, parteipolitisch ausgerichtete - ({1}) - Ja, ich weiß, es ist unverzeihlich. Ich bitte die Stenographen, den Namen Heimann in jedem Fall durch den Namen Diederich zu ersetzen. ({2}) Aber vielleicht ist dies eine Anwandlung von Spökenkieken. Ich könnte mir denken, daß Herr Kollege Heimann Sie, Herr Kollege Diederich, in Ihrer Aufgabe beerben wird. ({3}) Herr Kollege Diederich, Sie haben an einer angeblich einseitigen und parteipolitisch ausgerichteten Personalpolitik Kritik geübt; so etwas sei kreditschädigend. Ich meine, Herr Kollege Diederich, Sie sollten sich vielmehr um die Kreditschädigung des innerdeutschen Ministeriums durch dunkle Machenschaften sorgen, die wir und die auch die Gerichte bis heute noch nicht aufklären konnten. ({4}) Auch die 5,6 Millionen DM öffentlicher Mittel sind immer noch nicht aufgefunden. Ich fürchte, auch der Kollege Franke wird unter dieser Rufschädigung noch lange zu leiden haben. Herr Kollege Heimann - ({5}) - Herr Kollege Diederich, ehe Sie andere kritisieren, sollten Sie erst dreimal durchs eigene Haus gehen. Ich denke noch mit Schrecken daran, wie Horst Ehmke damals als Kanzleramtsminister mit dem Personal des Kanzleramtes umgegangen ist, ({6}) um Leute wie Guillaume unterzubringen. Bei uns werden Sie so etwas nicht erleben. Im übrigen: Sie haben nicht den mindesten Anlaß, sich über parteipolitische Benachteiligung im innerdeutschen Ministerium zu beklagen. ({7}) Auch jetzt noch gehören 18 Referatsleiter Ihrer Partei an, ({8}) nur acht der CDU. ({9}) Aber ich habe nicht vor, hier aufzurechnen. Auch SPD-Mitarbeiter sind zuverlässig. Sie nehmen ihre Arbeit ernst, genauso wie ihre CDU- und FDP-Kollegen. Ich sortiere nicht nach Parteibuch und hätte gewünscht, Sie hätten das auch so getan. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, jetzt möchte Herr Diederich eine Zwischenfrage stellen.

Heinrich Windelen (Minister:in)

Politiker ID: 11002525

Bitte schön, Herr Kollege Diederich.

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, würden Sie meine Bemerkung entgegennehmen, daß ich es natürlich, wenn meine Vermutungen falsch gewesen sind, bedauere, daß ich das gesagt habe, aber darf ich Ihnen die Hinweise, die es gibt, gelegentlich vortragen? ({0})

Heinrich Windelen (Minister:in)

Politiker ID: 11002525

Ja, das dürfen Sie, wie Sie wissen, jederzeit. Aber ich nehme an, daß Sie offenbar einen besonderen Fall im Auge haben, den Sie dem Bereich der Vertriebenenverbände zugeordnet haben. Ich weiß nicht, ob es inzwischen diskriminierend ist, wenn Mitarbeiter in Vertriebenenverbänden arbeiten. Wenn Sie diesen Mitarbeiter meinen, dann darf ich Ihnen sagen: Er gehörte schon dem Vertriebenenministerium an. ({0}) Er hat lange Jahre in der Fraktion und in der Verwaltung des Deutschen Bundestages gearbeitet. Er hat diese Tätigkeit unterbrochen. Er kommt jetzt wieder in ein Ministerium. Ich finde, dies ist eine sehr sachgerechte Entscheidung. ({1}) - Ich wollte jetzt eigentlich, Herr Kollege Büchler, meine Rede fortsetzen. Aber bitte schön.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht ist es ganz hilfreich, Herr Minister, wenn Sie etwas zu den Umwälzungen im Ministerium ({0}) und dem Hineinnehmen von neuen Mitarbeitern in den letzten zwei Tagen sagen.

Heinrich Windelen (Minister:in)

Politiker ID: 11002525

Herr Kollege, ich hatte nicht vor, Entscheidungen, die allein der Minister in seiner Organisationsgewalt zu treffen hat, vor dem Deutschen Bundestag auszubreiten. Das wäre auch ganz ungewöhnlich. ({0}) Die Bundesregierung kann eine gute Bilanz ihrer Deutschlandpolitik vorlegen. Das ist vor allem ein Erfolg für die Menschen im geteilten Deutschland. Unsere Politik ist deswegen erfolgreich, weil sie von klaren Grundsätzen ausgeht und weil sie beharrlich praktische Ergebnisse anstrebt. Grundsatztreue und solide Fortschritte für die Menschen: das sind die Kennzeichen dieser Politik. Dabei soll es auch künftig bleiben. ({1}) - Der Kanzler bestimmt die Richtlinien der Politik, und er interessiert sich besonders für die Deutschlandpolitik, ({2}) wofür ich ihm verbunden bin. ({3}) Also bleibt die Einheit unseres Vaterlandes auch in Zukunft unser Ziel. ({4}) Daran halten wir fest. Niemand sollte vor den heutigen Gegebenheiten mutlos werden. Sie sind nicht das letzte Wort der Geschichte. Nichts ist beständiger als der geschichtliche Wandel. Diesen Wandel spüren wir heute überall in der Welt. Bisher unverrückbar erscheinende Positionen kommen in Bewegung. ({5}) Das starre Blockdenken weicht der Einsicht, gemeinsam in einer Welt zu leben. Ideologien verlieren an Bedeutung. Die Völker Europas besinnen sich zunehmend auf ihr verbindendes Erbe. Europa strebt zueinander. Das gilt besonders für seine Mitte. Der Weg zur Einheit führt über die Freiheit. Denn die Freiheit ist der Kern der deutschen wie der europäischen Frage. ({6}) Beide Fragen können nur gemeinsam gelöst werden. Die Politik der Bundesregierung richtet sich danach. Sie begreift ihre Deutschlandpolitik als gesamteuropäische Friedenspolitik. ({7}) Auch die innerdeutschen Beziehungen sind Bestandteil dieser Friedenspolitik. Es ist eine Politik für mehr Menschlichkeit im geteilten Deutschland. Denn was den Menschen nützt, nützt auch dem Frieden. Am Ende dieser Legislaturperiode können wir feststellen, daß wir in den innerdeutschen Beziehungen ein gutes Stück vorangekommen sind. ({8}) Die Ausgangslage 1982 war schwierig. Nach der Mindestumtauscherhöhung und nach den Geraer Forderungen im Oktober 1980 drohte auch noch die Nachrüstungsdebatte die Deutschlandpolitik zu blockieren. ({9}) Unverändert belasten der Schießbefehl, Kontaktsperren, Einreiseverbote und viele andere Probleme die innerdeutschen Beziehungen. Dennoch hat sich die Situation entkrampft, auch wenn wir von Normalität und guter Nachbarschaft noch weit entfernt sind. ({10}) In folgenden Bereichen gab es deutliche Fortschritte: teilweise Korrektur der Mindestumtauschsätze, Verbesserungen in der Grenzabfertigung, vollständiger Abbau der Selbstschußanlagen und der Vorfeldminen, Erleichterungen im Reiseverkehr in die DDR, erhebliche Steigerungen bei Westreisen von jüngeren DDR-Bewohnern, Abschluß des Kulturabkommens und Zunahme des kulturellen Austauschs, ({11}) Genehmigung zahlreicher Übersiedlungen, Beginn von Städtepartnerschaften, ({12}) Beginn des Jugendaustauschs, Beschleunigung des Post- und Telefonverkehrs. - Ich weiß, daß Ihnen dies alles nicht in den Kram paßt. Ihnen wäre es ja viel lieber, wir hätten die von Ihnen herbeigesehnte Eiszeit. Es ärgert Sie ja, daß Ihre finsteren Prognose nicht eingetreten sind. Sie werden auch in Zukunft nicht eintreten. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büchler?

Heinrich Windelen (Minister:in)

Politiker ID: 11002525

Ich wollte das eigentlich nicht mehr tun, Frau Präsidentin, auch im Interesse der Kollegen, die bisher ausgehalten haben, ({0}) und zwar deshalb, wie ich annehme, um mich zu hören und nicht die Zwischenfragen des Kollegen Büchler. ({1}) Ich fahre in der Aufzählung fort: Beschleunigung des Post- und Telefonverkehrs; Regelungen im Umweltschutz für Berlin ({2}) und Bayern; Verbesserung der Transitwege nach Berlin ({3}); gemeinsamer Abbau von Kalivorkommen; Übernahme des S-Bahn-Betriebs in Berlin ({4}). Meine Damen und Herren, dies sind einige wichtige Ergebnisse von vier Jahren Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung. ({5}) Es ist eine Bilanz, wie sie wohl niemand vor vier Jahren vorausgesagt hätte. ({6}) Doch für uns ist dieses erfreuliche Ergebnis kein Anlaß zu Selbstzufriedenheit, sondern vielmehr ein Ansporn für unsere Arbeit in der Zukunft. Die Deutschlandpolitik steht besonders im Blickpunkt des öffentlichen Interesses, nicht nur bei uns, sondern auch bei unseren Nachbarn im Ausland. Wir dürfen nicht außer acht lassen: Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen ist weiter lebendig. Unsere Jugend interessiert sich wieder mehr für die Vergangenheit und die Gegenwart unseres Vaterlandes. Wir bemerken ein wachsendes Engagement, und wir können berechtigt annehmen, daß dies auch so bleiben wird. Was wir in den letzten Jahren erreichen konnten, läßt uns mit Zuversicht in die Zukunft schauen. Ich sagte schon, daß wir trotz beachtlicher Fortschritte von normalen, gutnachbarschaftlichen Beziehungen mit der DDR noch immer weit entfernt sind. ({7}) Aber wir lassen uns nicht entmutigen, und wir werden unsere Politik auch zukünftig von Vernunft und von Realismus sowie von gutem Willen leiten lassen. In der nächsten Legislaturperiode werden wir uns vor allem in folgenden Bereichen um weitere Fortschritte bemühen: um noch mehr Begegnungen von Menschen in Deutschland, um noch mehr kulturellen und wissenschaftlichen Austausch, um gemeinsame Maßnahmen zur Erhaltung der Natur und zum Schutz unserer Umwelt sowie um weitere Verbesserungen der Verkehrsverbindungen nach Berlin ({8}). Wir nehmen die Wünsche der Menschen im geteilten Deutschland ernst. Sie bleiben Ausgangspunkt und Ziel unseres Handelns. Auf der Basis klarer Grundüberzeugungen konzentrieren wir uns auf das Machbare. Aber wir werden nicht schweigen, wenn Menschenrechte in Deutschland verletzt werden, wenn in Deutschland nach wie vor auf Deutsche geschossen wird, ({9}) nur weil sie versuchen, als Deutsche von Deutschland nach Deutschland zu gehen. ({10}) In diesem Sinne werden wir unsere innerdeutsche Politik fortsetzen. Der vorliegende Haushalt bietet dafür eine gute Grundlage. Ich bitte Sie um die Annahme. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 27 - Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN in zweiter Lesung angenommen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. November 1986, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.