Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich unserem Kollegen, dem Abgeordneten Biehle, zu seinem 60. Geburtstag gratulieren, den er am 15. November 1986 gefeiert hat. Alle guten Wünsche des Hauses.
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1987 ({1})
- Drucksachen 10/5900, 10/6209 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
- Drucksachen 10/6301 bis 10/6331 Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne. Ich rufe auf:
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
- Drucksachen 10/6308, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek ({3}) Roth ({4})
Suhr
Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 10/6324 Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek ({5}) Austermann
Suhr
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 10/6328 Berichterstatter: Abgeordnete Roth ({6})
Borchert
Hoppe
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 10/6318, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Dr. Pfennig
Dr. Müller ({7})
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6513 bis 10/6515 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die soeben genannten Einzelpläne eine verbundene Beratung von vier Stunden vereinbart worden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Vier Jahre Wirtschafts- und Finanzpolitik der liberal-konservativen Koalition lassen heute eine objektive Bewertung ihrer Ergebnisse zu. Wir stellen dabei fest: Die Ziele, die sie sich selbst gesetzt haben, haben sie deutlich verfehlt.
({0})
Wir gehen mit schweren Hypotheken in die nächste Legislaturperiode. Unser Land hatte am Ende der Regierung von Helmut Schmidt,
({1})
am Ende einer langjährigen Rezession vor vier Jahren 1,8 Millionen Arbeitslose.
({2})
Heute haben wir 300 000 Arbeitslose mehr,
({3})
obwohl die Bundesregierung in den vergangenen Jahren massive, unverdiente Konjunkturgeschenke in den Schoß gefallen sind. Die Dollaraufwertung bescherte unserem Land einen Exportboom in bisher ungekannter Größe. Der Ölpreisverfall setzte bei unseren Verbrauchern Milliarden an Kaufkraft frei.
({4})
Die Hälfte des Wachstums von 1984 und 1985 kam durch die Abwertung der Deutschen Mark gegenüber dem Dollar zustande, und die Hälfte des Wachstums dieses Jahres geht auf den Sturz der Ölpreise zurück.
Ich füge hinzu: Die Bundesregierung hat zu diesen Wachstumsimpulsen nichts beigetragen.
({5})
Im Gegenteil, sie hat es versäumt, diese wirksamen Impulse durch eine kluge Politik so zu verstärken, daß der Aufschwung auch auf dem Arbeitsmarkt wirksam wurde.
({6})
Ein unzureichendes Wirtschaftswachstum, explodierende Unternehmensgewinne, anhaltende Massenarbeitslosigkeit, eine wachsende neue Armut:
({7})
das sind die Markenzeichen der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Koalition.
({8})
Die vollmundigen Versprechungen, die Sie vor vier Jahren gegeben haben, nämlich die Massenarbeitslosigkeit bis 1985 auf 1 Million abzubauen, sind inzwischen wie Seifenblasen zerplatzt.
({9})
Noch im Februar dieses Jahres hatte der Finanzminister für dieses Jahr ein reales Wirtschaftswachstum von 3,5 bis 4 % angekündigt.
({10})
Am Ende dieses Jahres, nämlich gestern, hat der Sachverständigenrat den Bundesminister der Finanzen korrigiert. Er hat ihm mitgeteilt, daß sich das Wirtschaftswachstum für 1986 nur auf 2,5% belaufen wird.
Und während der Finanzminister für das nächste Jahr mit 3% realem Wirtschaftswachstum rechnet - interessanterweise hat er auch seinen Bundeshaushalt auf ein Wachstum von 3 % gegründet -, sagt der Sachverständigenrat: Es wird nur ein Wirtschaftswachstum um 2 % geben. Das sind immerhin 33% weniger, als von Herrn Stoltenberg und von Ihnen erwartet.
({11})
Mit anderen Worten: Hier entlarvt sich der ganze hohle Zweckoptimismus des Finanzministers.
({12})
In einem Punkt kommen Sie doch an den ganzen Aussagen des Sachverständigenrats überhaupt nicht vorbei. Der Sachverständigenrat erwartet für Ende 1987 weit mehr als 2 Millionen Arbeitslose. Dazu kommt die mehr als 1 Million nicht mehr registrierter Arbeitsloser.
({13})
Mit anderen Worten: Wir werden in den nächsten Abschwung mit massiver Massenarbeitslosigkeit hineingehen.
({14})
Das ist das Ergebnis Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik.
({15})
Für dieses Ergebnis trägt die Finanzpolitik von Herrn Stoltenberg zentrale Verantwortung. Er hat durch seine ungerechte Steuer- und Finanzpolitik die kaufkräftige Nachfrage gebremst. Er will diese Politik fortsetzen. Er trägt die Verantwortung dafür, daß sich bei Städten und Gemeinden auch im Jahr 1986 die Investitionen nicht erholen, sondern weiterhin auf Rekordtiefen verharren.
Der Bundesfinanzminister hat die Investitionen des Bundes verkommen lassen. Der Anteil der Investitionen soll nach seinem Willen in den nächsten Jahren neue Tiefstände erreichen.
({16})
Das alles hat Hunderttausende von Arbeitsplätzen gekostet.
({17})
Dieser Auschwung ohne Kraft
({18})
hat seinen Höhepunkt überschritten. Er läuft aus.
Das Statistische Bundesamt meldet einen deutlichen Rückgang der Industrieproduktion. Die Kapazitätsauslastung liegt gegenwärtig, wie das IfoInstitut berichtet, unter dem Wert des Jahres 1985. Die Auftragseingänge beim verarbeitenden Gewerbe haben in den letzten Monaten abgenommen und liegen sogar unter dem Vorjahresstand. Geradezu dramatisch ist der Auftragsrückgang beim Export; Auftragsbestände werden abgebaut.
Deswegen sage ich - die Zahlen des Sachverständigenrats weisen absolut dasselbe aus -: Die von Ihnen verbreitete Konjunktureuphorie wird längst nicht mehr von den tatsächlichen Wirtschaftsdaten gedeckt.
({19})
Deswegen haben j a auch die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute erst vor wenigen Wochen von Herrn Stoltenberg und seiner Finanzpolitik sofortiges Handeln gefordert, um ein Durchhängen der Konjunktur im nächsten Jahr zu vermeiden.
({20})
Der Sachverständigenrat zeichnet zwar, auch wenn das durch die Zahlen, die er selber verwendet, nicht gedeckt ist, ein positiveres Bild der konjunkturellen Entwicklung des nächsten Jahres. Aber, meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat sagt selbst, daß sein Optimismus nicht unumstritten ist.
Ich will Ihnen ein Beispiel dafür geben. Der Sachverständigenrat erwartet - diese Erwartung ist einigermaßen kühn -, daß sich unser Export im nächsten Jahr erholt, daß er kräftig zulegt. Dabei unterstellt der Sachverständigenrat zweierlei: erstens Ruhe an der Währungsfront und zweitens keinerlei zusätzliche Exporthemmnisse für unsere Produkte.
Genau das, meine Damen und Herren von der Koalition, ist aber nur erreichbar, wenn die Bundesregierung endlich handelt, wenn sie zusammen mit der EG, zusammen mit Japan, zusammen mit den USA endlich ihre Verantwortung für den Welthandel übernimmt und die Weltwirtschaft stabilisiert.
Seit Monaten fordern unsere Handelspartner von uns konjunkturelles Handeln; seit Monaten verweigert die Bundesregierung diese konzertierte Aktion internationaler Wirtschaftspolitik. So verspielen Sie, Herr Kollege Stoltenberg, nicht nur internationales Ansehen, Sie schaden uns und unserer Exportwirtschaft auch selbst am meisten.
({21})
Dabei hat der Bundesfinanzminister interessanterweise immer dann viel Geld, wenn es um seine eigene Kundschaft geht. Dann knickt er ein; so 1984, als ihm wütende Landwirte in seinem Wahlkreis, in Rendsburg, den Prozeß machten.
({22})
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion, Herr Kollege Stoltenberg, wurden für die umsatzstarken Betriebe der deutschen Landwirtschaft bis 1991 22 Milliarden DM bereitgestellt.
({23})
Heute wissen doch alle, daß die bäuerlichen Familienbetriebe von dieser massiven Geldspritze wenig haben.
({24})
Ihre Schwierigkeiten nehmen dramatisch zu. Wenn Sie so gern auf den Sachverständigenrat und sein gestriges Gutachten hören, dann befolgen Sie die Ratschläge auch in einem anderen Punkt! Der Sachverständigenrat fordert Sie nämlich auf, Ihre verfehlte Agrarpolitik endlich zu beenden.
({25})
Er sagt wörtlich: Hören Sie auf, unseren Landwirten unerfüllbare Illusionen vorzugaukeln. Dem ist nichts hinzuzufügen.
({26})
Herr Kollege Stoltenberg, natürlich freue ich mich darüber, daß durch den Bau von drei Containerschiffen in Kiel und von zwei weiteren in Bremen den Kieler und den Bremer Werftarbeitern vorübergehend Arbeit gegeben wird.
({27})
Erschreckend ist aber, daß für diese vorübergehende Arbeitsbeschaffungsmaßnahme allein vom Bund 240 Millionen DM gezahlt werden müssen.
({28})
Aber ich sage Ihnen dazu folgendes: Als die vier norddeutschen Küstenländer, zwei von Ihnen regiert - Schleswig-Holstein und Niedersachsen -, vor einigen Wochen mit einem umfangreichen Programm zugunsten der Küstenregionen und hier insbesondere der Werftstandorte gekommen sind
({29})
und 850 Millionen DM einwerben wollten, hat Herr Stoltenberg das eiskalt vom Tisch gefegt. Er ist bereit, 300 Millionen DM zu zahlen. Das hilft allerdings nicht weiter. Doch für eine punktuelle Aktion haben Sie aus Gründen des Stimmenkaufs für die Bundestagswahl 1987 plötzlich Geld.
({30})
Aber diese Liste ist j a noch gar nicht beendet: Eine Milliarde DM zusätzlich hat Herr Stoltenberg, um in Kiel und München Panzer bauen zu lassen, Panzer, die die Bundeswehr überhaupt nicht aufnehmen kann, die sie nur aufnehmen kann, wenn sie fast gleichwertige Panzer an die Türkei verschenkt.
({31})
Auch das sichert vorübergehend zwar Arbeitsplätze - daran gibt es ja wohl keinen Zweifel -, aber ich frage Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition: Was ist das eigentlich für eine
Finanzpolitik? Ohne Linie, ohne Perspektive, ohne Verstand
({32})
wird mit Blick auf den Wahltag ausschließlich Stimmenkauf versucht. So können Sie aufgebrachte Wähler vielleicht vorübergehend beruhigen, aber, meine Damen und Herren, der Bakschisch
({33})
kann doch nicht an die Stelle zukunftsorientierter, den Konjunkturverlauf verstetigender Finanzpolitik treten.
({34})
Wir lehnen diese kurzatmige Strohfeuerpolitik ab. Sie ist falsch, und, meine Damen und Herren, sie wärmt ja auch kaum über den Wahltag hinaus. Unsere Landwirte, unsere Werftarbeiter und die Werften wissen doch, daß sie dauerhafte Hilfen und dauerhafte Perspektiven brauchen, nicht aber einmalige Hilfe, die dann gegeben wird, um sich nach dem Wahltag auf dieser einmaligen Unterstützung auszuruhen.
Wir sagen Ihnen: Die Arbeitsmarktprobleme unseres Landes sind vor allem struktureller Natur und verlangen mittel- und langfristige Lösungen. Wir wissen, daß es kein Patentrezept gibt, um die Massenarbeitslosigkeit binnen kurzem völlig zu beseitigen.
({35})
Es gibt aber Mittel und Wege, um der Massenarbeitslosigkeit massiv zu Leibe zu rücken.
({36})
Wir fordern diese Mittel und Wege seit der Wende. Wir wollen sie nach den Wahlen umsetzen
({37})
und Ihrem eklatanten Nichtstun damit ein Ende bereiten.
({38})
Wir halten - im Gegensatz zu Ihnen - eine weitere, schrittweise Arbeitszeitverkürzung für notwendig. Wir werden die Konjunktur durch Steuersenkungen für die kleinen und mittleren Einkommen stützen und beleben. Unser Steuertarif 1988 bringt mehr Geld in die Haushaltskassen der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Dadurch wird die Massenkaufkraft gestärkt, die Binnennachfrage stabilisiert und ein wirksamer Beitrag zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit geleistet.
Wir werden zur Stärkung der Investitionskraft der kleinen und mittleren Unternehmen eine steuerfreie Investitionsrücklage einführen. Sie lehnen sie ab, obwohl Ihre Mittelstandspolitker draußen dafür gefochten haben. Aber die haben ja in Ihrer Fraktion nichts zu melden.
({39})
Dafür wollen Sie eine Umverteilung zugunsten der Spitzenverdiener.
({40})
Sie wollen die Senkung der Spitzensteuersätze, wir dagegen wollen die steuerfeie Investitionsrücklage. Wir wollen Investitionen fördern. Wir wollen Investitionen in Arbeitsplätze ermöglichen.
({41})
Wir wollen Unternehmensgründungen und Unternehmenserweiterungen fördern.
({42})
Wir werden die Investitionstätigkeit im privaten und im öffentlichen Bereich durch unser Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" erhöhen. Auf diese Weise ermöglichen wir privaten und öffentlichen Unternehmen, Städten und Gemeinden den Zugang zu zinsgünstigen Krediten und zu Zuschüssen für Umweltinvestitionen. Im Gegensatz zu Ihnen werden wir auf diese Art und Weise mehrere 100 000 Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig einen wesentlichen und wirksamen Beitrag zu einem verbesserten Umweltschutz leisten.
({43})
Wir werden im Gegensatz zum Bundesminister der Finanzen die Investitionen des Bundes anheben und auf höherem Niveau stabilisieren. Wir werden im Gegensatz zu Ihnen die Gemeindefinanzen, die Sie j a weiter demontieren wollen - und damit gefährden Sie weitere Arbeitsplätze -, auf eine solide Grundlage stellen. Wir wollen, daß unsere Städte und Gemeinden mehr investieren können. Wir wollen, daß auf diese Art und Weise mehr Arbeitsplätze auch vor Ort im Kleingewerbe und im Ausbaugewerbe geschaffen werden.
({44})
Wir werden unser Projekt aktive Arbeitspolitik verwirklichen. Wir wollen arbeitslosen Jugendlichen und dauerhaft Arbeitslosen ein Beschäftigungsangebot machen. Wir wollen ihnen dabei realistische und zukunftsorientierte Berufschancen und Berufsqualifikationen bieten. Es ist doch ein gesellschaftlicher Skandal ersten Ranges, daß in einem der reichsten Länder der Welt, der Bundesrepublik Deutschland,
({45})
derzeit 500 000 Jugendliche unter 25 Jahren ohne Arbeit und ohne Zukunftsperspektive sind.
({46})
Das muß beendet werden.
Es ist auch ein Skandal, daß heute schon Arbeitnehmer von Mitte bis Ende 40 als altes Eisen gelten, daß wir auf ihre große berufliche Erfahrung verzichten. Auch dieser Skandal darf nicht länger hingenommen werden.
({47})
Wir werden in der nächsten Legislaturperiode durch diese aktive Arbeitspolitik bis zu 400 000 arbeitslosen Jugendlichen und dauerhaft Arbeitslosen, insbesondere in den Problemregionen der Bundesrepublik Deutschland
({48})
- so z. B. bei Ihnen, Herr Seiters -, Arbeit schaffen.
({49})
Wir halten es deswegen auch für zumutbar,
({50})
daß die 4 % der Spitzenverdiener - ({51})
- Ja, zu denen z. B. Hans Apel gehört. Er hält es für zumutbar, daß er eine Ergänzungsabgabe für die bezahlt, die arbeitslos sind; das allerdings.
({52})
Da unterscheiden wir uns von Ihnen allerdings sehr deutlich. Wir übernehmen Mitverantwortung für das Schicksal der sozial Schwachen, während Sie nichts weiter tun, als an den Egoismus derer zu appellieren, denen es gutgeht.
({53})
Unsere Politik ist solide finanziert. Wir werden dafür keine neuen Schulden machen. Die Steuerlastquote unserer Volkswirtschaft bleibt konstant. Wir werden allerdings die Lasten gerechter verteilen. Die breiteren Schultern müssen und können mehr als bisher tragen.
Dazu einige Zahlen. In der Zeit von 1982 bis 1986 stieg das Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 164 Milliarden DM. Dabei blieben 154 Milliarden DM netto übrig.
({54}): Aha!)
Im gleichen Zeitraum, von 1982 bis 1986, mußten sich alle Arbeitnehmer mit einer Erhöhung ihres Bruttoeinkommens um 139 Milliarden DM begnügen. Davon blieben bei den Arbeitnehmern nur 53 Milliarden DM übrig.
({55})
Damit wird klar, was Ihre Politik bewegt hat: Den Arbeitnehmern werden 62 % ihres zusätzlichen Einkommens über Steuern und Abgaben abgeknöpft, den Kapitaleignern und den Unternehmern dagegen nur 6 %. Deutlicher läßt sich wohl nicht zeigen,
wie einseitig Ihre Steuer- und Finanzpolitik zupackt.
({56})
Sie ziehen den Lohnsteuerzahlern das Fell über die Ohren; diese sind in Ihrer Politik zu den Melkkühen der Nation geworden.
({57})
Es ist Ihnen - das muß ich zugeben - sehr lange gelungen, diese Politik der Privilegierung der Privilegierten vor der großen Mehrheit unserer Bevölkerung zu verbergen. Immer wieder haben Sie, Herr Kollege Stoltenberg, die Steuerzahler auf die Steuersenkung am 1. Januar 1986 vertröstet; aber heute wissen wir, wie groß die Verbitterung und die Enttäuschung der großen Mehrheit der Steuerzahler ist.
({58})
80% haben von dieser Steuersenkung laut genauen Umfragen nichts gemerkt.
({59})
Das ist j a auch gar kein Wunder; denn Sie haben gleichzeitig auf Grund Ihrer verfehlten Politik im Gesundheitswesen zugelassen, daß die Krankenversicherungsbeiträge massiv erhöht wurden.
({60})
Was Sie an 12 DM dem Durchschnittsverdiener im Monat in die Tasche gesteckt haben, haben Sie ihm auf der anderen Seite wieder herausgezogen; da merkt niemand etwas.
({61})
Herr Kollege Friedmann, die von Ihnen bereits beschlossene Steuersenkung zum 1. Januar 1988 macht noch klarer, wohin die Reise gehen soll. Derzeit liegt der Durchschnittsverdienst eines verheirateten Arbeitnehmers bei etwa 3 000 DM im Monat. Zum 1. Januar 1988 gibt es allerdings die erste Senkung um eine Steuermark erst für einen Familienvater, der 4 000 DM im Monat verdient.
({62})
Sie reden gerade von den Kindern und werden mir wohl zustimmen, daß Sie am 1. Januar 1988 für die Familien mit Kindern, für die Kinder nichts, gar nichts tun.
({63})
Dafür wird der Spitzenverdiener mit 23 000 DM Monatseinkommen zusätzlich zu den mehreren tausend Mark, die er bereits am 1. Januar 1986 kassiert hat, noch einmal 4 136 DM Steuersenkung im Jahr bekommen, und das nennen Sie dann Gerechtigkeit, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({64})
Wenn die Familienverbände, die Gewerkschaften und wir diese Politik ablehnen und ihre Korrektur fordern, dann spricht der Finanzminister von Sozialneid. Der Finanzminister hat dieses böse Wort vom Sozialneid erst vor kurzem wieder benutzt.
({65})
Her Stoltenberg, Sie sagen, mit diesem bösen Wort wollten Sie die sozial Schwächeren nicht treffen, sondern uns. Herr Kollege Stoltenberg, die sozial Schwächeren, die Lohnsteuerzahler und die kleinen Selbständigen, haben Sie hinlänglich mit Ihrer Steuer- und Finanzpolitik getroffen. Da kommt es auf eine verbale Entgleisung mehr oder weniger durch Sie nicht an.
({66})
Wir sagen Ihnen ganz kühl, Herr Kollege Stoltenberg: Wir bewerten hier nicht Ihre Sprache und Ihre Vokablen, wir bewerten die von Ihnen geschaffenen Fakten, und die sprechen gegen Sie und dafür, daß Ihre Steuerpolitik die Fortsetzung Ihrer unsozialen Umverteilung von unten nach oben mit anderen Mitteln ist.
({67})
Bemerkenswert ist im übrigen die aktuelle koalitionsinterne Debatte über den künftigen Subventionsabbau als Finanzierungsquelle weiterer Steuersenkungen.
({68})
Der Finanzminister will seine Steuersenkung des Jahres 1990 zum Teil über Subventionsabbau finanzieren. Nach dem Willen des Finanzministers sollen 10 Milliarden DM an Steuersubventionen verschwinden. Allerdings haben Sie, Herr Kollege Stoltenberg, bisher genau das Gegenteil getan. Heute liegen die Subventionen des Bundes um ein Drittel über dem Niveau von 1982. Die Steuersubventionen haben Sie sogar um 15 Milliarden DM explodieren lassen.
({69})
Nun erklärt die FDP, Graf Lambsdorff,
({70})
- aber er hat für die FDP gesprochen, denke ich -,
daß 10 Milliarden DM Subventionsabbau überhaupt
nicht ausreichten; 20 bis 25 Milliarden DM an Subventionen müßten abgebaut werden.
({71})
- . Graf Lambsdorff, Herr Kollege Vogel, hat am 5. November gesagt, für diesen 20 bis 25 Milliarden DM Subventionsabbau gebe es keine Alternative.
({72})
Das war natürlich auf den Koalitionspartner gezielt. Deswegen hat der bayerische Finanzminister Streibl auch sofort reagiert. Er hat gesagt, FDP und Lambsdorff müßten sich den Vorwurf der Steuerlüge gefallen lassen,
({73})
wenn die FDP vor den Bundestagswahlen nicht klipp und klar sagte, welche Subventionen sie denn nun streichen wollte.
({74})
Meine Damen und Herren, das Wort „Steuerlüge" ist hart, aber es ist zutreffend. Ich muß bestätigen: Es ist zutreffend.
({75})
- Herr Kollege, dieses Wort „Steuerlüge" trifft dann natürlich nicht nur die FDP, es betrifft insbesondere den Bundesminister der Finanzen und die CDU. Sie weigern sich ja ebenfalls, vor dem Wahltermin den Bürgern die Wahrheit zu sagen.
({76})
Sie soll bis zum Wahltag verschleiert werden.
Die erkennbaren Konturen Ihrer Steuerpolitik sagen uns aber, wohin die Reise gehen soll. Das können wir doch alle in Ihrem gemeinsamen Regierungsprogramm lesen: weiterer Abbau der Unternehmensbesteuerung, Senkung der Spitzensteuersätze, hohe Steuerentlastung für die sehr gut Verdienenden, ein Trinkgeld für den Normalverdiener.
({77})
Finanzieren wollen Sie das durch die Anhebung der Verbrauchsteuern, der Mehrwertsteuer.
({78})
Sie wollen beim Abbau der Steuervergünstigungen vor allem die Arbeitnehmer schröpfen.
({79})
Der Arbeitnehmerfreibetrag soll angegriffen werden,
({80})
die steuerfreien Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge, der Weihnachtsfreibetrag.
Wir stellen Ihrer Steuerpolitik unser Konzept für mehr Steuergerechtigkeit, für wirtschaftliche Vernunft, für einen wirksamen Familienlastenausgleich gegenüber. Wir werden die Steuersenkung zum 1. Januar 1988 so umgestalten, und zwar aufkommensneutral, ohne eine Mark zusätzlich auszuDr. Apel
geben, daß 80 % aller Ledigen und 90 % aller Verheirateten eine höhere Steuerentlastung bekommen als nach Ihren Vorstellungen.
({81})
- Herr Kollege, die Einkommensteuer ist bei 90 % der Unternehmen ihre Unternehmensteuer. Wenn wir bis zu 100 000 DM Jahresgewinn entlasten, dann entlastet das auch die große Mehrheit der Unternehmen.
Allerdings unterscheiden wir uns in einem Punkt, das gebe ich zu. Wir wollen Steuerpolitik für die kleinen und mittleren Unternehmen machen; Sie denken, wenn Sie über Steuerpolitik reden, nur an die ganz großen.
({82})
Herr Kollege, Sie können nicht bestreiten, daß die ungerechten Kinderfreibeträge zu einer massiven Ungerechtigkeit geführt haben. Wir werden sie abschaffen. Wir werden, ohne eine zusätzliche Mark auszugeben, dafür sorgen, daß dem Staat jedes Kind wieder gleichviel wert ist.
({83})
Wir werden ab 1. Januar 1988 das monatliche Kindergeld für das erste Kind auf 100 DM, für das zweite auf 200 DM und für jedes weitere auf 300 DM anheben.
({84})
Wir werden die weiteren notwendigen Strukturänderungen unseres Steuersystems in der nächsten Legislaturperiode durchsetzen. Herr Kollege Stoltenberg, hören Sie endlich auf, unredlich zu argumentieren. Wir werden wie in der Zeit der sozialliberalen Koalition auch in der nächsten Legislaturperiode, etwa um das Jahr 1990, die heimlichen Steuererhöhungen zurückgeben. Allerdings werden wir uns von Ihnen auch dann in einem Punkte unterscheiden: Bei uns liegt der zentrale Entlastungsbereich bei den kleinen und mittleren Einkommen und nicht bei den Spitzenverdienern.
({85})
Nach vier Jahren Haushaltspolitik des Finanzministers haben sich die Schulden des Bundes um über 100 Milliarden DM auf 415 Milliarden DM erhöht,
({86})
obwohl, Herr Kollege Friedmann, dem Bundesfinanzminister in diesen vier Jahren unverdient fast 50 Milliarden DM Bundesbankgewinne in den Schoß gefallen sind.
({87})
Wenn wir über Haushaltskonsolidierung reden, dann verwenden wir am besten Ihre eigenen Zahlen, die des Bundesfinanzministeriums. Das Bundesfinanzministerium hat uns auf eine Anfrage mitgeteilt, daß die Haushaltskonsolidierung des Finanzministers jährlich weniger als 3 Milliarden DM ausmacht. Für die vier Jahre sind das 11,5 Milliarden DM. Da reiben sich unsere Steuerbürger allerdings die Augen. Das können sie nicht verstehen. Denn die Lohnsteuerzahlungen sind in Rekordhöhen gestiegen. Die Mehrwertsteuer wurde erhöht.
({88})
Den Arbeitslosen, den Rentnern, den Wohngeldbeziehern, den Schülern und Studenten, den Familien mit Kindern wurden von Ihnen von 1983 bis 1985 allein 60 Milliarden DM weggenommen, 20 Milliarden DM pro Jahr!
({89})
Aber die einseitig auferlegten Opfer wurden von Ihnen weder zur Haushaltskonsolidierung noch im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit eingesetzt. Sie wurden umverteilt.
({90})
Diese Opfer finanzieren die Steuersenkungen für die Unternehmen in Höhe von 10 Milliarden DM jährlich. Sie finanzieren die Explosion der Steuersubventionen um 15 Milliarden DM von 1982 bis heute. Da sind die vielen Milliarden geblieben, die Sie der großen Mehrheit unseres Volkes abgeknöpft haben. Nur im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit hat diese Politik nichts bewirkt.
({91})
Wenn wir den Entwurf des Bundeshaushalts 1987 und die mittelfristige Finanzplanung betrachten, dann stellen wir fest, daß sie den gestellten Anforderungen nicht gerecht werden. Gefordert werden vom Haushalt und von der mittelfristigen Finanzplanung Ehrlichkeit, Haushaltsklarheit, ein Haushaltskonzept, in dem Plus und Minus, Einnahmen und Ausgaben, politische Absichten und bereits erkennbare Risiken genau und nachprüfbar vermerkt und finanziell abgesichert sind.
({92})
Meine Damen und Herren, die uns vorgelegten Dokumente erfüllen diese Ansprüche nicht.
({93})
Da sagen Ihnen z. B. die Steuerschätzer voraus - ich will gar nicht von den Zahlen des Sachverständigenrates reden; er kommt zu Steuerausfällen von 3,3 Milliarden DM im nächsten Jahr -, daß Ihnen im nächsten Jahr 800 Millionen DM an Steuereinnahmen fehlen werden. Sie unterziehen sich nicht dem mühevollen Geschäft, diesen hohen Fehlbetrag durch Kürzungen Posten für Posten hereinzuholen.
({94})
Da reicht Ihnen ein allgemeiner Beschluß. Sie wollen augenscheinlich die Haushaltssperre, die als Notmaßnahme durchaus vorgesehen ist, zum dauerhaften Bestandteil Ihrer Haushaltspolitik machen.
({95})
Sie können doch nicht bestreiten, meine Damen und Herren von der Koalition, daß die Europäische Gemeinschaft so gut wie pleite ist. Ihr Festhalten an der verfehlten EG-Agrarpolitik - Sie sind geradezu Promotor der Fortsetzung dieser verfehlten Agrarpolitik ({96})
hat an dieser Situation der Europäischen Gemeinschaft beträchtlichen Anteil.
({97})
Auch wenn wir ganz vorsichtig rechnen,
({98})
kommen wir zu dem Ergebnis, daß derzeit der Europäischen Gemeinschaft 22 Milliarden DM fehlen.
({99})
Unser Anteil verlangt von uns eine Finanzierung von etwa 6 Milliarden DM.
({100})
Da fragen wir den Finanzminister: Wo haben Sie Vorsorge getroffen für diese drückende Ausgabenlawine?
({101})
Sicherlich, sie kann noch eine kurze Zeit aufgehalten werden. Aber, Herr Kollege Stoltenberg, Sie oder Ihr Nachfolger werden für die verfehlte EGAgrarpolitik, für die Milliarden, die in Brüssel fehlen, zahlen müssen. Da hilft auch kein Lächeln.
({102})
Wir fragen Sie, wann Sie endlich Vorsorge für diese Ausgabenlawine treffen werden. Insbesondere aber fordern wir Sie auf, endlich in Brüssel mitzuhelfen - das Bremserhäuschen verlassen -, um diese verfehlte EG-Agrarpolitik zu beenden. Sie nützt niemandem - nicht einmal unseren Bauern.
({103})
Sie beschließen, meine Damen und Herren von der Regierung und von der Koalition, den Einstieg in milliardenschwere Programme, für deren Finanzierung in den kommenden Jahren in Ihrer Finanzplanung erkennbar kein Geld vorhanden ist. Dazu gehört die Entscheidung über den Jäger 90, dazu gehört die Entscheidung über das Forschungsprojekt Hermes. Wir sehen durchaus den forschungspolitischen Sinn von Hermes ein. Aber, Herr Kollege Stoltenberg, vom Finanzminister muß verlangt werden, wenn solche Großprojekte beschlossen werden, daß er uns sagt, woher das Geld kommen soll. Sonst werden sein Haushalt und seine mittelfristige Finanzplanung zu einem Muster ohne Wert.
({104})
Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, machen in Ihren Wahlprogrammen milliardenschwere Versprechungen. Finanzielle Deckung zeigen Sie nicht vor.
({105})
Vor der Niedersachsenwahl, Herr Kollege Cronenberg, haben Sie das Babyjahr für die alten Damen, für die Trümmerfrauen, versprochen.
({106})
- Gnädige Frau, an Ihrer Stelle würde ich mich allerdings schämen;
({107})
denn was Sie beschlossen haben, wird nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Million ältere Frauen nicht mehr erreichen, weil sie vorher verstorben sind. Dies ist ein schlimmes Geschäft mit dem Tode, das Sie hier machen.
({108})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jagoda?
Ja.
Herr Kollege Dr. Apel, können Sie mir, weil Sie in Ihrer Regierungszeit ein solches Gesetz nicht vorgelegt haben, sagen, wie viele Frauen in der Zwischenzeit gestorben sind?
({0})
Herr Kollege, können Sie sich noch daran erinnern - ich kann es in jedem Falle, weil ich zu diesem Zeitpunkt bereits Mitglied des Deutschen Bundestages war -, daß Sie im Jahre 1972 unseren Vorschlag zum Babyjahr mit der Stimmengleichheit abgelehnt haben,
({0})
weil inzwischen Sozialdemokraten und Freie Demokraten die Koalitionsseiten gewechselt hatten?
({1})
- Nein, keine weiteren Zwischenfragen.
Keine weitere Zwischenfrage.
- Bitte sehr.
Ich habe Ihnen gesagt, wie es war. Sie haben es 1972 verhindert.
({0})
Stellen Sie sich heute nicht in die Pose - ({1})
- Dies ist die Wahrheit. Sie haben es damals nicht gewollt.
({2})
Meine Damen und Herren, Sie haben Glück, daß Sie in den vier Jahren Ihrer Amtszeit 48 Milliarden DM Bundesbankgewinne zur Haushaltsfinanzierung hatten. Allerdings wissen Sie selbst: Diese Finanzierung ist mit großen Risiken belastet. Die Gewinnabführungen der Bundesbank unterliegen großen Schwankungen. Sie gehen z. B. 1987 bereits zurück.
({3})
Sie können auf Null gehen, wie es zu unserer Zeit normalerweise der Fall war. Wir hatten in zwei Jahren von 13 Jahren einmal bescheiden, einmal mehr Bundesbankgewinne. Kollege Stoltenberg, wo haben Sie eigentlich Vorkehrungen getroffen, um dann, wenn der Bundesbankgewinn ausbleibt, den Bundeshaushalt weiter ohne massive Anhebungen der Neuverschuldung zu finanzieren?
({4})
Sie können doch nicht fortfahren wie im Jahre 1987, Volkswagen und VEBA zu verscherbeln und dafür 3,2 Milliarden DM zu kassieren. Einmal können Sie unseren Bundesschatz versilbern, dann aber nicht mehr. Was machen Sie dann?
Sie leben mit Ihrer Haushaltspolitik und mit Ihrer Finanzpolitik von der Hand in den Mund.
({5})
Ihre Parole ist ganz augenscheinlich: Augen zu und durch! Nur so ist diese Art von Vorlage des Haushalts 1987 und die ihn begleitende Finanzplanung zu verstehen.
Die Haushalts-, Steuer- und Finanzpolitik dieser Koalition orientiert sich vor allem an einem Datum, nämlich dem Wahltag des Jahres 1987.
({6})
Unerfüllbare Versprechungen und ungedeckte Risiken sollen verkleistert und überspielt werden. Das gelingt aber nicht.
Wir stellen fest: Die Finanz- und Steuerpolitik dieser Koalition ist ungerecht. Nach der Umverteilung durch einseitige Streichoperationen in der Vergangenheit zu Lasten der Mehrheit soll nun die
Umverteilung von unten nach oben unter dem Deckmantel „Steuerreform" fortgesetzt werden.
({7})
Ich unterstreiche, Herr Kollege: Ungerechtigkeit ist das zentrale Prinzip Ihrer Steuerpolitik.
({8})
Ihre Finanzpolitik ist wirtschaftspolitisch falsch.
({9})
Sie setzt einseitig auf die Stärkung der Investitionsfähigkeit und vernachlässigt dabei, daß nur dann neue Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn die neu geschaffenen Kapazitäten für ihre Produkte auch Absatz finden. Deshalb muß die Finanz- und Steuerpolitik auch die Massenkaufkraft stärken. Ihre Finanzpolitik wie Ihre Steuerpolitik, Herr Kollege, nehmen - das kann nach vier Jahren nicht mehr bestritten werden - achselzuckend die Massenarbeitlosigkeit zur Kenntnis.
({10})
Sie nehmen tatenlos in Kauf - tatenlos! -, daß wir mit mehr als zwei Millionen Arbeitslosen in den nächsten konjunkturellen Abschwung gehen. Wir können uns diese Politik nicht mehr leisten.
({11})
Unser Land braucht eine bessere Politik. Wir brauchen eine Bundesregierung,
({12})
die die einseitige Steuerpolitik zugunsten einer Minderheit beendet und eine Steuerpolitik für die große Mehrheit unserer Bevölkerung betreibt.
({13})
Wir brauchen eine Bundesregierung, die sich ihrer Verantwortung für die Konjunktur und die Beschäftigung nicht länger entzieht
({14})
und endlich wirksam die Massenarbeitslosigkeit bekämpft.
({15})
Wir brauchen eine Bundesregierung, die sich nicht am nächsten Wahltag, sondern an der Zukunft unseres Landes und an der Zukunft unserer Wirtschaft orientiert. Wir müssen die Zukunft unseres Landes gestaltend in die Hände nehmen, wenn wir eine Zukunft haben wollen.
({16})
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten stellen den deutschen Wählern dieses Kontrastprogramm vor.
({17})
Wir wollen für dieses Programm die Verantwortung übernehmen, weil dieses Programm im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung unseres Landes ist.
Schönen Dank.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Carstens ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1987, den wir in dieser Woche abschließend beraten, ist der fünfte Haushalt in Folge, der pünktlich zum 1. Januar in Kraft treten kann. Das hat es zu SPD-Zeiten überhaupt nicht gegeben, und wenn, dann war es eine Ausnahme.
({0})
Es ist aber auch der fünfte Haushalt in Folge, durch den die Konsolidierung der Staatsfinanzen einen kräftigen Schritt vorankommt. Das heißt, wir haben in den letzten Jahren die Neuverschuldung Jahr für Jahr ein Stück weit abbauen können. Ich freue mich, diese Feststellung hier heute treffen zu können,
({1})
weil ich zutiefst davon überzeugt bin, daß diese Finanzpolitik ganz wesentlich dazu beiträgt, daß sich die Wirtschaft in unserem Lande - so wie bisher schon - auch in den nächsten Jahren zugunsten der Bevölkerung unseres Landes weiter aufwärts entwickelt.
({2})
Das ist eine ganz wesentliche Ausgangsposition für das, was wir hier beschließen und was Zielvorgabe unserer Finanzpolitik ist.
Zunächst möchte ich mich bei Ihnen allen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, ganz herzlich dafür bedanken, daß die Beratungen dort oben in der 25. Etage des Neuen Hochhauses so zügig abgewickelt werden konnten. Ich bedanke mich namens meiner Kollegen von der CDU/CSU ganz besonders beim Ausschußvorsitzenden, bei Herrn Rudi Walther.
({3})
Bedanken darf ich mich aber auch bei den Kollegen von der SPD, da wir doch recht partnerschaftlich, sachlich und fair zusammengearbeitet haben, was mit einigen Einschränkungen sogar für die GRÜNEN zutrifft.
Wir haben bei den Beratungen feststellen können, daß wir mit der FDP - und das hat uns sehr gefreut - in diesem Jahr wie schon in den letzten vier Jahren völlig übereingestimmt haben. Das war eine Voraussetzung dafür, daß diese Politik überhaupt durchgehalten werden konnte.
Ich darf mich auch bei all den Mitarbeitern der Ministerien bedanken, insbesondere bei den Mitarbeitern des Finanzministers, aber auch bei den Mitarbeitern des Rechnungshofes, der anderen Ministerien, des Deutschen Bundestages - speziell des Sekretariats des Haushaltsausschusses - und der Fraktionen. Sie haben uns gut zugearbeitet, so daß wir auch von dorther die nötige Unterstützung für die Beschlußfassungen gehabt haben, die zu diesem doch recht ansehnlichen Ergebnis geführt haben.
Als Sprecher der Haushaltspolitiker unserer Fraktion möchte ich einen besonderen Dank unserer Fraktion sagen, insbesondere dem Fraktionsvorsitzenden Dr. Dregger, denn der totale Schulterschluß unserer Fraktion mit dem Bundesfinanzminister war die Voraussetzung dafür, daß wir selbst im Wahljahr bei einem abnehmenden Bundesbankgewinn weiter konsolidieren konnten und eine Politik durchhalten konnten, die schon so viel Gutes für unser Land und für unsere Bevölkerung gebracht hat.
({4})
Wir sind bei einer Neuverschuldung von 22,3 Milliarden DM gelandet. Das haben zu Beginn der Beratungen im September dieses Jahres selbst die größten Optimisten nicht für möglich gehalten. Wir haben den Regierungsentwurf, den Entwurf des Finanzministers, der schon gut in Ordnung war, bei der Neuverschuldung noch um 2 Milliarden DM verbessern können, und wir sind im Vergleich zu 1986 sogar um 1,4 Milliarden DM weiter heruntergekommen, denn wir hatten uns im letzten Jahr 23,7 Milliarden DM Neuverschuldung vorgenommen.
Wenn Sie sich einmal überlegen, was das in dem Fall bedeutet hätte, daß sich der Bundesbankgewinn nicht verändert hätte, wenn wir in diesem Jahr noch von dem vorjährigen Bundesbankgewinn hätten ausgehen können,
({5})
kommen Sie zu dem Ergebnis, daß bei den Beratungen eine Neuverschuldung von 16,8 Milliarden DM herausgekommen wäre. Es ist ein wirklich gutes Ergebnis, das unsere Regierung und unsere Fraktion hier vorlegen können!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Fuchs ({0})?
Herr Präsident, ich möchte darum bitten, daß zunächst davon abgeCarstens ({0})
sehen wird. Ich möchte mich wie der Kollege Apel verhalten.
({1})
Wir haben sogar davon gehört, daß auf Grund dieses guten Beratungsergebnisses die SPD sich genötigt sah, aus ihren Unterbezirken schon verteiltes Programmaterial für den Wahlkampf zurückziehen zu müssen, weil man dort noch von einer Erhöhung der Neuverschuldung ausgegangen sein soll.
({2})
Vielleicht kann das von der SPD im Laufe des Tages dementiert oder bestätigt werden.
Zu diesem Beratungsergebnis sollte nun der finanzpolitische Sprecher der SPD, Herr Apel, heute Stellung nehmen. Wie die Stellungnahme ausgefallen ist, haben wir ja alle miterlebt.
({3})
Mein Fazit aus dieser Rede ist, daß das Schüren von Neidkomplexen kein Programm ersetzen kann.
({4})
Wenn sich Herr Apel genötigt sah, im Zusammenhang mit dem Haushalt und der Finanzplanung von „Muster ohne Wert" zu reden, möchte ich ihm antworten, daß die SPD in ihrer gesamten Regierungszeit nicht einen einzigen Haushalt vorgelegt hat, der so solide gewesen ist wie der Haushalt 1987.
({5})
Wenn Sie, Herr Kollege Apel, meinen, unseren Bürgern immer wieder sagen zu sollen, daß es ihnen in den letzten Jahren immer schlechter gegangen sei, müssen Sie sich nicht wundern, wenn man Ihre Worte überhaupt nicht mehr ernst nimmt im deutschen Volk.
Wie Sie weiter mit Ihren Widersprüchlichkeiten fertig werden wollen, müssen Sie selbst wissen. Sie müssen sich schon festlegen, ob Sie nun Steuerentlastung oder Steuererhöhung wollen, Ausgabenausweitung oder Ausgabenreduzierung, ob Sie mehr oder weniger Schulden machen wollen. Alles gleichzeitig, Ihr Programm „Arbeit und Umwelt" durchführen, Ergänzungsabgabe einführen und gleichzeitig die Nettokreditaufnahme und die Steuerlastquote senken,
({6})
das durchdenken Sie bitte noch einmal neu, bevor Sie weiter darüber in der Öffentlichkeit reden!
({7})
Herr Kollege Apel, ich möchte Ihnen sagen, daß ich mich persönlich immer wieder darüber wundern muß, mit welchem Mut der Verzweiflung - das muß es j a wohl sein ({8})
Sie sich ans Pult stellen und so tun, als wenn Sie mit den zwei Millionen Arbeitslosen, die wir in Deutschland haben, nichts zu tun hätten.
({9})
Ich kann Ihnen nur sagen, daß das deutsche Volk, wenn wir Ihre Mißwirtschaft in den 70er Jahren
({10})
nicht erlebt hätten, nie mit einer solch hohen Arbeitslosigkeit zu tun gehabt hätte. Und Sie stellen sich hier hin und reden darüber!
({11})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Apel?
Ja, bitte schön.
Bitte sehr.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir im letzten Aufschwung, den wir unterstützt haben, z. B. durch unser Zukunftsinvestitionsprogramm, eine Million neuer Arbeitsplätze geschaffen haben und daß damals in der Tat nicht nur das Wachstum wesentlich höher, sondern die Arbeitslosigkeit wesentlich niedriger war,
({0})
daß erst am Ende der sozialliberalen Koalition durch den massiven Ölpreisschock
({1})
und durch die dann tief einschneidende Rezession
({2})
die Arbeitslosigkeit zugenommen hat, und sind Sie bereit, zuzugeben, daß Sie seit vier Jahren Aufschwung haben, der sich allerdings nur in den Unternehmensgewinnen niederschlägt, während sich am Arbeitsmarkt überhaupt nichts tut?
({3})
Herr Kollege Apel, ich gehe davon aus, daß Sie eines der 17 Programme meinen, welche die SPD in ihrer Regierungszeit durchgezogen hat,
({0})
die überwiegend kredit- und abgabenfinanziert waren. Die Gesamtbewertung für alle 17 Programme heißt, daß das die falsche Lösung ist, daß das der falsche Lösungsansatz ist
({1})
Carstens ({2})
und daß alle Programme zusammengenommen mehr Verschuldung und eine höhere Arbeitslosigkeit gebracht haben.
({3})
Ihre Antwort auf die Probleme der Arbeitslosigkeit lautet nach wie vor: Sie wollen mehr ausgeben - mit Krediten und Abgaben finanziert - und weniger arbeiten. Das ist schon immer der falsche Lösungsansatz gewesen, um Arbeitslosigkeit abzubauen.
({4})
Dann muß ich mich weiter wundern, wenn Sie immer wieder von den hohen Beträgen der Neuverschuldung sprechen, mit denen wir noch heute zu tun haben, die wir zwar erheblich gemindert haben, aber die auch uns noch zu hoch sind.
Herr Kollege Apel, auch hierzu folgende Antwort: Es ist in der Tat so, wie es in einem Zwischenruf des Kollegen Dr. Friedmann schon anklang. Wenn wir die Schulden, die Sie uns hinterlassen haben, nicht hätten übernehmen müssen - wir müssen dafür natürlich auch Zinsen bezahlen, nämlich runde 30 Milliarden DM im Jahr -, dann hätten wir jetzt keine Neuverschuldung, sondern dann hätten wir jetzt Überschüsse im Bundeshaushalt.
({5})
Dann ein offenes Wort zu Ihren Vorwürfen in Fragen Trümmerfrauen. Herr Kollege Apel, ich fand schon beschämend, wie Sie sich hier dargestellt haben. Sie sprechen von 1972 und von Beschlüssen, die damals unseretwegen nicht zustande gekommen seien. - Ich hörte soeben von Kollegen, die damals dabeigewesen sind, daß der Kollege Schiller der SPD damals gefehlt habe,
({6})
daß das seine persönliche Schuld gewesen sei. Aber, Herr Kollege Apel, sagen Sie mal: Wann hat denn die SPD regiert? 1972, oder regierte sie auch noch 1976 und 1979 und 1980 und 1981? Ich stelle fest: In der ganzen Zeit haben Sie nichts, aber auch gar nichts für die Trümmerfrauen beschlossen.
({7})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Nein, Frau Kollegin Fuchs, der Redner hat es soeben abgelehnt.
Dann kann hinzugefügt werden, daß wir durch politische Beschlußfassungen, die zu Beginn der nächsten Legislaturperiode - vorausgesetzt, daß die Bürger unseres Landes uns bestätigen, was ich hoffe und wovon ich ausgehe - unverzüglich umgesetzt werden, dafür sorgen, daß alle älteren Frauen nach einer kurzen Übergangszeit in diese Trümmerfrauenregelung einbezogen werden. Sie wollten nur diejenigen einbeziehen, die vorher berufstätig waren. Bei uns werden alle Frauen einbezogen.
({0})
Aber, meine Damen und Herren, ich hatte mir eigentlich vorgenommen, nicht so sehr auf die Negativa der SPD-Zeit einzugehen. Ich habe mir vielmehr vorgenommen, von dem Positiven zu berichten, was durch unsere Regierungstätigkeit zustande gekommen ist.
({1})
Man muß dabei natürlich darauf aufmerksam machen, wie die Lage Ende 1982 war: explodierende Schulden, rasanter Anstieg der Arbeitslosigkeit, leere Kassen in Nürnberg und bei den Rentenversicherungsanstalten. Die Eigeninitiative wurde geradezu erdrückt, und, wie gesagt, die Arbeitslosigkeit schoß nach oben. Es wurden Grenzbereiche fürs Überleben unserer Sozialen Marktwirtschaft erreicht. Deswegen wurde es im Herbst 1982 höchste Zeit für die politische Wende.
({2})
Schon heute können wir eine recht positive Zwischenbilanz vorlegen. Schauen wir uns die Beschäftigtenzahlen an. Während zur Zeit der SPD, von 1980 bis 1983, rund 1 Million Arbeitsplätze vernichtet wurden, nimmt die Beschäftigung bei uns sei dem Jahreswechsel 1983/84 zu. Die Sachverständigen haben gestern die Meinung vertreten, daß wir von Ende 1983 bis Ende 1987 netto zusätzlich 800 000 Beschäftigte haben werden. Die Kurzarbeit konnte - zumindest in den Sommermonaten - so gut wie abgebaut werden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden wir im nächsten Jahr, im Sommer, erstmals wieder unter die ZweiMillionen-Grenze kommen. Die SPD - auch Herr Rau - hat noch unlängst gesagt, man müsse erwarten, daß die Zahl der Arbeitslosen auf über 3 Millionen ansteige. Der Kollege Jens hat sogar gemeint, es würden 3,5 Millionen.
({3})
Beim Abbau der Arbeitslosigkeit schließe ich nicht aus, daß wir eher als angenommen auf unter 2 Millionen - auch im Jahresdurchschnitt - kommen; auf alle Fälle aber wird die Zahl der Arbeitslosen nicht auf 3 Millionen ansteigen, sondern sie wird unter 2 Millionen fallen. Unsere Politik wird diesen Weg auch weiterhin fortsetzen.
({4})
Das Wirtschaftswachstum hat erheblich zugenommen, im Durchschnitt der letzten Jahre um zwischen 2 und 3% real, was sich sehen lassen kann, was der Breite des Volkes Vorteile bringt und was
Carstens ({5})
es uns ermöglicht, die Arbeitslosigkeit langsam, aber um so sicherer abzubauen.
Die Gutachter haben gestern zum Ausdruck gebracht,
({6})
daß dieser Aufschwung sich im Jahre 1987 fortsetzen würde und - das war sehr wichtig - daß es Ende des Jahres nach ihrer Einschätzung zu einer gesteigerten Aufwärtsbewegung kommt. Das heißt dann für uns, daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen können - dem steht von der Faktenlage her auch nichts im Wege -, daß wir auch im Jahre 1988 einen wirtschaftlichen Aufschwung haben werden.
({7})
Das wäre dann schon der längste Aufschwung, den wir seit Kriegsende jemals gehabt haben. Wenn sich das nicht sehen lassen kann: solide Finanzen, ohne Inflationsraten, bei absolut stabilem Geld, dann kann ich mir gar nicht vorstellen, was aus der Sicht auch der SPD sonst noch wünschenswert sein könnte. Also setzen wir auch diesen Weg fort.
Folgendes zu sagen liegt mir besonders am Herzen: Bei Diskussionen im Lande stelle ich des öfteren fest, daß gerade auch in jüngeren Kreisen - aber nicht nur dort - die Meinung vertreten wird, daß eine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung nicht gut, nicht gesund und nicht wünschenswert sei, z. B. wegen der Umweltbelastung und wegen des Ressourcenverbrauchs. Da muß man wissen, daß wir durch die Politik, die wir gestalten, zu einem modernen Wachstum in der Lage sind. Nehmen Sie einmal die Pkws:
({8})
Die Mittelklassewagen verbrauchen nicht mehr wie früher elf, zwölf oder mehr Liter - die Fabrikanten mögen sich gar nicht mehr zeigen, die solche Autos verkaufen wollen -, die Wagen verbrauchen jetzt sechs, sieben, acht Liter. Wir haben die Regelung betreffend Katalysatoren eingeführt, wodurch viel weniger Schadstoffe in die Luft gelangen.
({9})
Wir haben dafür gesorgt, daß bleifreies Benzin verwandt werden kann. Wir sind imstande zu sagen, daß wir die Großfeuerungsanlagenverordnung beschlossen haben.
({10})
Das alles zusammengenommen führt dazu, daß es zur Zeit möglich ist, die Wirtschaft aufwärtszuentwickeln und die Umwelt weniger zu belasten als vorher. Das ist ein ganz wesentlicher Faktor.
({11})
Weiterhin haben wir heute absolute Preisstabilität. Was heißt für die Bürger absolute Preisstabilität? Das ist, meine Damen und Herren, die sozialste Politik, die überhaupt vorstellbar ist; denn jede zusätzliche Mark ist heute auch eine Mark mehr wert, für alle Bürger unseres Landes, auch für Rentner, auch für Sozialhilfeempfänger, für Arbeitslose, für Arbeitnehmer wie für Unternehmer. Da sprechen Sie, Herr Kollege Apel, von sozialer Demontage.
Nein, ich bin der Meinung, wir haben das Recht, hier zu sagen: Wenn man einige Teilbereiche der Landwirtschaft und einige Sonderbereiche herausnimmt - aber wirklich nur einige wenige -,
({12})
dann kann man wirklich sagen, daß es den meisten bundesdeutschen Bürgern heute besser geht als vor vier Jahren, man kann sogar sagen: viel besser geht.
({13})
Das werden wir auch bei den Wahlen im Januar 1987 merken. Deswegen stellen wir uns dieser Auseinandersetzung gern, Herr Kollege Apel. Die Bürger sollen aber selbst beurteilen, welcher Zustand sozial gerechter ist, ob der zu SPD-Zeiten oder der zu CDU/CSU-FDP-Zeiten.
1982 - das ist das Vergleichsjahr - sank das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte - der Hauptbrocken dieses Einkommens ist bei den Arbeitnehmern Lohn bzw. Gehalt - um real 3 %. Dieses Einkommen der privaten Haushalte steigt voraussichtlich in diesem Jahr um gut 4%, Löhne und Gehälter steigen zwischen 3,5 und 4,5%. Einiges andere - Zinsen, Mieten, Erträgnisse - könnte noch dazukommen. Wenn das außen vor gelassen wird, dann steigt dieses Einkommen in diesem Jahr um 4 %. Zu SPD-Zeiten sank es real um 3 %,
({14})
zu CDU/CSU-FDP-Zeiten steigt es real um 4 %.
({15})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. - Wir haben darüber hinaus auch an die Kreise gedacht, die zur Zeit nicht in der Lage sind, für ihr eigenes Einkommen zu sorgen, nämlich an die Arbeitslosen. Wir haben einige Male die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld - bis zu 24 Monaten je nach Alter der Arbeitslosen - verlängert, eine sehr soziale Tat.
({0})
Das ist eine sehr soziale Gesetzgebung gewesen, an die die SPD damals zu ihrer Zeit überhaupt nicht gedacht hat. Jetzt kommt sie auch gar nicht mehr auf den Punkt zu sprechen, weil sie kaum einen Ansatzpunkt für Kritik sieht. Trotzdem sagt die SPD auf ihrem Parteitag im August dieses Jahres, das soziale Klima verschlechtere sich, die Einkommen der Arbeitnehmer und ihrer Familien kämen unter Druck und die Armut in der Gesellschaft wachse. Ja, meine Damen und Herren von der SPD, das wäre so gekommen, wenn sie weiterregiert hätten.
({1})
Carstens ({2})
Wir werden diese erfolgreiche Haushaltspolitik der letzten vier Jahre fortsetzen. Wir reduzieren das Haushaltsdefizit über niedrige Ausgabenzuwächse und entlasten gleichzeitig im steuerlichen Bereich. Diese Entlastungsmaßnahmen haben bei der Neuverschuldung, die jetzt auf 22,3 Milliarden DM begrenzt wurde, das beste Ergebnis seit 1977 erbracht. Wenn man es auf den Anteil am Ausgabenvolumen des Haushalts umrechnet, dann ist es sogar das beste Ergebnis seit 1974.
({3})
Das ist so bemerkenswert, weil die Verschuldung erst nach 1974, als nämlich Helmut Schmidt regierte und Hans Apel sein Finanzminister war, so richtig losging. Wir haben also schon das Jahr 1974 erreicht. Wenn wir Apels ersten Haushalt mit einbezögen, dann würden wir ganz erheblich unter diesen Ansätzen liegen.
Herr Kollege Apel, ich möchte Ihnen sagen: Wir können inflationsbedingte Steuereinnahmen zur Deckung der Haushalte nicht heranziehen. Denn bei uns gibt es ja keine inflationsbedingten Steuermehreinnahmen. Wir haben eine absolut stabile Währung. Wenn jemand 3 % oder 4 % mehr Lohn und Gehalt bekommt, dann ist das eine reale Erhöhung; sie ist nicht inflationsbedingt. Hierüber haben Sie sich damals immer wieder finanziert. Aber bei uns gibt es gar keine inflationsbedingten Steuermehreinnahmen.
({4})
Deswegen brauchen wir diese auch nicht zu entlasten. Wir werden aber gleichwohl zu erheblichen Steuerentlastungen auch in der nächsten Periode kommen.
Ich möchte diese Rede hier zum Anlaß nehmen, um auch die Kommunen und alle Länder zu bitten und aufzufordern, den Pfad der Konsolidierung nicht aufzugeben.
({5})
Ich hoffe, daß das gelingt. Denn wenn der Bund allein voranmarschiert, dann reicht das nicht aus. Auch die Länder und die Kommunen müssen mitmachen. Sie haben das in den letzten Jahren bereits gut praktiziert. Ich hoffe im Sinne der Bürger unseres Landes, daß es auch in Zukunft so sein wird.
({6})
Meine Damen und Herren, wir haben, wie gesagt, neben der Zurückführung der Neuverschuldung auch jeweils Steuern senken können. Einen Schritt haben wir durchgezogen; der zweite folgt 1988.
({7})
Hierzu ist festzustellen, daß wir beim ersten Schritt ganz bewußt und gezielt und gewollt dafür gesorgt haben, daß nicht irgendwelche Großen oder Mittleren entlastet werden; vielmehr haben wir ganz gezielt bei der Entlastung derer angesetzt, die Kinder haben.
({8})
Das war ein Kernpunkt unserer politischen Aussage, unseres politischen Wollens; dazu stehen wir.
({9})
Eine Familie mit normalem Einkommen zwischen 2 500 und 3 000 DM brutto und zwei Kindern hat eine Steuerentlastung von mindestens 80 bis 90 DM im Monat bekommen,
({10})
was immerhin im Jahr eine Steuerentlastung von 1 000 DM ausmacht, ohne daß dafür mehr gearbeitet werden mußte. Das ist eine wirklich gute und richtige Entscheidung gewesen, an der wir uns auch in Zukunft orientieren wollen.
({11})
- Ich freue mich über Ihren Zwischenruf in dieser Richtung, Herr Dr. Dregger, und ich stimme Ihnen voll und ganz zu.
({12})
Meine Damen und Herren, dieser Weg ist zugleich in sich logisch und schlüssig. Er kann auch dauerhaft durchgehalten werden, denn, meine Damen und Herren, lassen Sie sich nicht durch die Zeitungsmeldungen irritieren, die man in der letzten Woche lesen konnte. Da hatte man den Eindruck, als wenn die Steuereinnahmen im Jahre 1987 gegenüber 1986 zurückgehen würden. So ist es nicht. Nur die Schätzungen vom Frühjahr mußten ein wenig zurückgenommen werden. Wir werden allein beim Bund im nächsten Jahr etwa 10 Milliarden DM mehr Steuern einnehmen
({13})
als im Jahr 1986. Durch die geringfügigen Ausgabensteigerungen von 1,9 % geben wir nur etwa 5 Milliarden zusätzlich aus.
({14})
Der echte Konsolidierungsschritt beträgt also 5 Milliarden DM. Diesen Betrag kann man zum Zurückführen der Neuverschuldung verwenden - das bringt eine stabile Währung; das bringt niedrige Zinsen; das ist sehr gut für die wirtschaftliche Entwicklung und auch sozial -, und man kann diesen Betrag teilweise zum Senken der Steuern benutzen.
({15})
Das weitet den Handlungsspielraum der Unternehmer und der Privaten aus und gibt Luft für neue Investitionen.
Das ist unser Weg in den letzten Jahren gewesen. Wenn wir die Bestätigung im Januar bekommen,
Carstens ({16})
wird dieser Weg fortgesetzt - mit allen positiven Auswirkungen für unsere Bürger im Lande.
({17})
Meine verehrten Damen und Herren, mit dieser geringen Ausgabensteigerung von nur 1,9 % kann man viel machen, weil es eine reale Steigerung ist. Diese 5 Milliarden DM werden ja nicht durch Inflationsraten aufgefressen, sondern stehen echt zur Verfügung. So konnten wir mit diesem Wenigen an Mehr wirklich viel mehr bewirken: für die Landwirte, vor allem im agrar-sozialen Bereich,
({18}) und für die Familien.
({19})
Wir konnten auch den Jahrhundertvertrag mit der Kohle einhalten, und wir werden das auch in Zukunft tun. Mit den Werften werden wir ein Verfahren entwickeln, damit sie nicht im Regen stehen bleiben.
({20})
Oder möchte die SPD hier fordern, daß wir der Kohle und den Werften nicht helfen? Ich habe Diesbezügliches bislang nicht gehört.
({21})
Wir haben auch die Mittel zur Verfügung gehabt, um für den Mittelstand etwas zu bewirken. Wir haben mehrere Male die Steuern gesenkt. Das war eine wichtige Maßnahme für den Mittelstand, die sich entsprechend positiv auswirken wird. Vor allem haben wir uns, wie gesagt, bemüht, viel für die Familien zu tun.
Aber diese Politik, mit nur knapp 2 % auszukommen,
({22})
kann natürlich nur dann durchgehalten werden, wenn man mit den Steuergroschen der Bürger wirklich solide umgeht. Da darf man sich, Herr Kollege Apel, keinen Tornado-Vorfall erlauben.
({23})
Dann geht das nicht. Man darf dann auch keine bundeseigenen Unternehmungen haben, die jedes Jahr 600, 700 Millionen DM Verluste machen.
({24})
Der jetzige Bundesfinanzminister hat dafür gesorgt, daß sich das in kurzer Zeit geändert hat. Ich war erst vor einigen Tagen bei der Geschäftsleitung der Salzgitter AG und konnte feststellen, daß sie jetzt zwei Jahre hintereinander imstande gewesen ist, durch gutes, ordnungsgemäßes und gekonntes Wirtschaften schwarze Zahlen zu schreiben. Nur so kann man dafür sorgen, daß dauerhaft 2 und 3% Ausgaben mehr ausreichen.
Bei der Bundesbahn ist es ähnlich.
({25})
Deren Verluste stiegen von Jahr zu Jahr. Jetzt hat es ein klares Konzept gegeben. Wir haben einen tüchtigen Präsidenten an der Spitze, der zwar schon früher da war, aber erst durch unsere Politik das Rückgrat bekommen mußte.
({26})
Und schon sind wir imstande gewesen, die Verluste der Bahn zurückzufahren, statt sie aufzustocken.
({27})
Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, daß wir uns durch diese Politik imstande sehen, selbst bei geringen Ausgabensteigerungen echte, reale Politik zu machen.
Unser Ziel ist es, die Staatsquote zu senken. Denn die Staatsquote ist das Fieberthermometer staatlicher Intervention. Die Staatsquote, der Anteil des Staates am Wirtschaften, am Bruttosozialprodukt, muß zurückgeführt werden.
({28})
Denn darüber kann dauerhaft zu einer Gesundung der Wirtschaft beigetragen werden.
({29})
Das verbinden wir mit dem Senken der Steuern und mit dem Abbau der Subventionen. Denn unser Ziel für die nächste Wahlperiode ist es, zu einer Steuerreform zu kommen, bei der prinzipiell alle Bürger
({30})
weniger und nicht mehr Steuern zahlen und wir zu einem überschaubareren System kommen,
({31})
das die Bürger besser als das heutige als logisch und richtig erkennen können.
Lassen Sie mich zusammenfassen, meine Damen und Herren. Diese Bundesregierung ist 1982 mit dem Ziel angetreten,
({32})
den marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen über eine konsequente Konsolidierung beim Haushalt zu stärken. Diese Erneuerung ist eingeleitet. Heute existieren mehr Mark, mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze und weniger Staat als vor vier Jahren. Es herrscht bei fast allen Bürgern mehr Wohlstand als vor vier Jahren.
({33})
Die Erwartungen für die Zukunft sind optimistisch. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Wenn wir - ich sage noch einmal: was ich hoffe und was ich glaube - am 25. Ja19192
Carstens ({34})
nuar 1987 von den Bürgerinnen und Bürgern die Bestätigung bekommen sollten, dann wird es nicht nur bei Erwartungen bleiben, sondern dann werden sich die Erwartungen auch erfüllen.
Herzlichen Dank.
({35})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel ({0}).
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Wenn die Bundesregierung, in diesem Fall vertreten durch Manfred Carstens oder auch durch Bundesfinanzminister Stoltenberg, ab und zu ihre Erfolge abfeiert, dann darf einer nie fehlen, nämlich der sogenannte Konsolidierungserfolg. Die Regierung ist nun schon fünf Jahre beim konsolidieren und hat - oberflächlich betrachtet - die Nettoneuverschuldung des Bundes von 37,4 Milliarden DM im Jahre 1981 auf inzwischen 22,3 Milliarden DM heruntergedrückt.
({0})
Aber lassen Sie uns einmal genauer hinschauen. Die im Haushaltsplan 1987 veranschlagte Nettoneuverschuldung hat mit 22,3 Milliarden DM die Höhe der Neuverschuldung des Jahres 1980 von 27,1 Milliarden DM kaum unterschritten. Diese Höhe wurde damals von der CDU/CSU als ganz besonders skandalös empfunden.
({1})
Wenn Sie noch berücksichtigen, daß im Jahre 1980 keinerlei Bundesbankgewinn abfiel, im Jahre 1987 aber wiederum 7 Milliarden DM als Beitrag der Bundesbank zur Deckung des Bundeshaushalts vorgesehen sind, relativiert sich der angebliche Konsolidierungserfolg schon sehr.
({2})
Damals fielen auch noch Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 2,1 Milliarden DM an. Heute fallen diese Zuschüsse weg, weil entsprechende Belastungen auf die Beitragszahler bzw. die Arbeitslosen verschoben wurden.
({3})
Einen Augenblick Herr Kollege Vogel. Ich bitte die Damen und Herren, die im Gang stehen, entweder Platz zu nehmen oder aus dem Saal zu gehen. Es ist noch genügend Platz vorhanden.
Bitte, fahren Sie fort, Herr Kollege.
Den verschiedenen Bundesregierungen seit 1980 standen durch Neuverschuldung und Bundesbankgewinne jeweils zwischen 25 und 40,9 Milliarden DM zur Verfügung. Der wirkliche Sparerfolg der jetzigen Bundesregierung bewegt sich also in einer Größenordnung von ca. 11 Milliarden DM, wenn man ins Verhältnis setzt, daß im Jahre 1987 die Summe aus Nettoneuverschuldung und Bundesbankgewinn 29,3 Milliarden DM beträgt, wohingegen dieser Betrag im Jahre 1983 40,9 Milliarden DM ergab.
Unberücksichtigt ist hierbei immer noch, daß zur Nettoneuverschuldung 1987 von 22,3 Milliarden DM eigentlich j a auch noch die 3,3 Milliarden DM hinzugerechnet werden müßten, die der Bund aus der Verscherbelung von Bundesvermögen - sprich: von VW-Anteilen und Veba-Anteilen - gewinnt.
Das über Jahre hinweg angesammelte Vermögen der Bundesrepublik Deutschland wird nun innerhalb kürzester Zeit verhökert, damit diese Bundesregierung angebliche Konsolidierungserfolge ausweisen kann.
({0})
Alles in allem ergibt sich somit ein Konsolidierungserfolg von kaum 8 Milliarden DM. Dafür mußten aber Rentner, Familien, Sozialhilfeempfänger, Schüler, Studenten und Kranke diese riesigen Konsolidierungsopfer bringen, die ihnen, angefangen beim Haushaltsbegleitgesetz 1983, abverlangt wurden. Dieses Opfer beläuft sich für dieses Jahr auf immerhin 40 Milliarden DM.
Trotz dieser Opfer haben Sie, Herr Stoltenberg, es nicht geschafft, den Haushalt auch nur einigermaßen zu konsolidieren. Trotzdem müssen Sie für nächstes Jahr für 22 Milliarden DM neue Kredite aufnehmen und haben unter dem Strich nur ganze 8 Milliarden DM an Konsolidierungserfolg erwirtschaftet.
Da fragt man sich doch: Wie haben Sie da eigentlich gewirtschaftet? Wo haben Sie das ganze Geld eigentlich gelassen? Wohin ist denn diese Differenz von mindestens 33 Milliarden DM verschwunden? Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wurde dieses Geld jedenfalls nicht verwandt. Es ist vor allem in die Kassen der Unternehmen geflossen und hat dort zu regelrechten Gewinnexplosionen geführt.
Bei den Steuererleichterungen für die Wirtschaft hat diese Wende-Regierung wahrlich nicht geklekkert. Die Wirtschaft wird am Ende des nächsten Haushaltsjahres mehr als 40 Milliarden DM an Steuern weniger gezahlt haben, als sie ohne diese Wende-Regierung hätte zahlen müssen. Allein die Änderung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude wird in dem Haushalt für 1987 zu Einnahmeausfällen von 2,3 Milliarden DM führen.
Das hat natürlich Folgen für die Verteilung des Volkseinkommens hervorgebracht: In den letzten vier Jahren ist das Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer um 15,2%, das Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen dagegen um 47,6% gewachsen. Das Scharfe an der Geschichte ist aber, daß die Nettoeinkommen der Unternehmer auf Grund der Steuerentlastung stärker angestiegen sind als ihre Bruttoeinkommen, nämlich um 53 %. Dagegen war es bei den Arbeitnehmern weiter so, daß die Abgabenquote gestiegen ist. Ihr Zuwachs der Nettoeinkommen betrug in den letzten vier Jahren lediglich 10,7 %, am Bruttoeinkommen, wie geVogel ({1})
sagt, 15,2%. Hier zeigt sich doch sehr deutlich, wem genommen und wem gegeben wurde.
({2})
Die Bundesregierung versucht nun, ihre Umverteilungspolitik mit der Hypothese zu rechtfertigen: Steigende Nettogewinne erhöhen die Investitionsbereitschaft, und steigende Investitionen senken die Arbeitslosigkeit. Beide Teile der Hypothese sind von der Entwicklung der letzten Jahre eindeutig widerlegt worden.
Bei einem Vergleich der Entwicklung der Gewinne und der Investitionen zeigt sich, daß ein zunehmend kleinerer Teil der Gewinne in Anlageinvestitionen fließt. So stiegen z. B. die Bruttogewinne der Produktionsunternehmen in den Jahren 1980 bis 1984 um 27 %, die Bruttoanlageinvestitionen dagegen nur um 8%. Entsprechend ist das Geldvermögen der Unternehmen angewachsen, wobei insbesondere reine Finanzanlagen im Ausland sehr beliebt gewesen sind.
({3})
Der größte Teil der Investitionen dient der Rationalisierung. Von den Investitionen der Produktionsgüterindustrie waren 1985 69 % Rationalisierungs- und Ersatzinvestitionen; bei der Verbrauchsgüterindustrie waren es sogar 78 %.
Daß die Steuerentlastung der Unternehmen nur der Umverteilung zugunsten der Gewinneinkommen dient und die Verknüpfung mit dem Arbeitsmarkt eher umgekehrt wirkt, macht folgender Vergleich deutlich: Während die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in den Jahren 1980 bis 1985 um 50 % gestiegen sind, sind die registrierten Arbeitslosenzahlen nicht gesunken, sondern um 158% gestiegen.
({4})
Aber lassen Sie mich zu den Umverteilungen zurückkommen, Umverteilungen, die von dieser Regierung vor allen Dingen auch durch die Steuerpolitik vollzogen wurden. Damit setzt sich natürlich auch - und dies gehört zu den Dingen, die beim alten geblieben sind - der Marsch in den Lohnsteuerstaat fort. Trotz des Steuerentlastungsgesetzes wird die Lohnsteuer auch im nächsten Jahr wesentlich stärker als die Körperschaftsteuer und vor allen Dingen stärker als die veranlagte Einkommensteuer steigen. Getreu dem Motto „Gott sei Dank kann ich meine Statistiken jetzt selber machen" versucht der Bundesminister der Finanzen neuerdings mit dem Hinweis auf statistische Überschneidungen, die entsprechenden statistischen Informationen hier zurückzuhalten.
({5})
Im neuesten Finanzbericht sind die Zahlen für die Lohn- und die veranlagte Einkommensteuer schon nicht mehr separat ausgewiesen. Es ist ein Armutszeugnis, daß der Finanzminister zu solchen Mitteln
greifen muß, um zu verhindern, daß die Ergebnisse seiner Politik bekanntwerden.
({6})
Zum Glück hat sich die Gruppe Steuerschätzung diesen Maulkorb noch nicht umhängen lassen; dort liegen die Zahlen noch getrennt vor.
Wir haben das kassenmäßige Aufkommen aus der Lohnsteuer und der veranlagten Einkommensteuer um die Erstattungen und um die Zulagen bereinigt, die aus dem Aufkommen jeweils gezahlt wurden. Auch bei dieser Bereinigung bleibt es dabei, daß die Lohnsteuer in ihrem Aufkommen im nächsten Jahr um 9,5 %, die veranlagte Einkommensteuer, also praktisch die Einkommensteuer der Besserverdienenden, dagegen nur um 1,5 % anwachsen wird.
Der Marsch in den Lohnsteuerstaat, d. h. der steigende Anteil der Lohnsteuer am gesamten Steueraufkommen, läßt sich auch so interpretieren, daß andere Steuern unterdurchschnittlich gestiegen sind.
({7})
Hier ist interessant, welche das sind. Neben der Körperschaftsteuer und der veranlagten Einkommensteuer, deren Anteil am Steueraufkommen stetig gesunken ist, sind dies in den letzten Jahren vor allem auch die Mineralölsteuer und z. B. die Vermögensteuer gewesen. Wäre die Mineralölsteuer so erhöht worden, daß sie seit 1982 wenigstens in Höhe der durchschnittlichen Wachstumsrate der gesamten Steuern gestiegen wäre, hätte ihr Aufkommen um 2,8 Milliarden DM höher gelegen, als es heute der Fall ist.
({8})
Bei der Vermögensteuer wären es 1,6 Milliarden DM gewesen. Das sind Steuerverzichte, Verzichte genau in den Bereichen, in denen unter Umweltaspekten oder, wie bei der Vermögensteuer, unter Sozialstaatsaspekten eine höhere Besteuerung wünschenswert gewesen wäre.
({9})
Aber das Hinnehmen von Steuerverzichten gehört zu den Stärken des Bundesfinanzministers. Das wird ihm in jedem Gutachten des Bundesrechnungshofs neu bescheinigt. War es letztes Jahr die nicht stattfindende Besteuerung von Zinseinkommen, so ist es dieses Jahr nach Mitteilung des Bundesrechnungshofes der viel zu hohe Anteil der Pkw-Kosten, der als Betriebskosten abgesetzt wird. Wir meinen, das sind beides Steuerverzichte, die nicht irgendwem zugute kommen, sondern besonders die hohen Einkommen begünstigen. Das ist kein Zufall, sondern das hat System.
Dieses System der einseitigen Begünstigungen hat seinen vorläufigen Gipfel im Steuersenkungsgesetz 1986/88 gefunden. 6 DM monatliche Entlastung für Kleinverdiener, 305 DM monatliche Entlastung für Großverdiener, also mehr als das Fünfzigfache. Da mutet die Ungleichbehandlung beim Kin19194
Vogel ({10})
derlastenausgleich noch bescheiden an. Hier wird hohen Einkommen zweieinhalbmal soviel Entlastung für ein Kind vergönnt, wenn die Eltern reich sind, als wenn sie mit kleinen Einkommen auskommen müssen.
({11})
Die unsoziale Verteilungswirkung der größten Steuerreform ist nun mittlerweile sehr, sehr vielen Wählern in unserem Lande deutlich geworden. Sie versuchen jetzt, davon abzulenken, indem Sie nur noch von der geplanten Supersteuerreform sprechen. 40 bis 45 Milliarden DM Verringerung des Aufkommens an Einkommensteuer versprechen Sie. Wer die angekündigten 20 Milliarden Subventionsstreichungen tragen muß, darüber schweigen Sie sich wohlweislich noch aus. Wir ahnen da nichts Gutes.
Aber nicht nur die Regierungsfraktionen versuchen sich in Steuersenkungsversprechen zu überbieten, auch die SPD bietet mit. Getreu dem Motto ihres Kanzlerkandidaten „Versöhnen statt spalten"
({12})
- oder steuerpolitisch ausgedrückt: Steuersenkungen sowohl für den Fließbandarbeiter wie für den Fabrikdirektor - propagiert die SPD Steuerentlastungen für fast alle.
({13})
Sie propagiert, daß neun von zehn Verheirateten und acht von zehn Ledigen nach ihrem Plan stärker entlastet werden sollen als nach dem, was Sie den Kohl-Tarif nennen. Rein rechnerisch wäre damit für Rau eigentlich die absolute Mehrheit gesichert. Dann müßte allerdings gewährleistet sein, daß z. B. Alleinstehende mit geringem Einkommen für 9 DM mehr in der Tasche rot wählen. Ob das hinhaut, meine Damen und Herren von der SPD, da habe ich allerdings so meine Zweifel.
({14})
Aber Ihr Tarifvorschlag ist ja weniger auf die unteren Einkommensgruppen gemünzt als vielmehr auf den Mittelstand, auf die Ingenieure oder, wie es in Glotzscher Diktion heißt, auf die sogenannte technische Intelligenz.
({15})
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, eine etwas gleichmäßigere Verteilung der Steuerentlastung stellt noch keine Alternative dar. Eine etwas weniger unsoziale Steuerpolitik ist noch keine soziale Steuerpolitik. Wer die Gießkanne zum Prinzip seiner Finanzpolitik erhebt, kann natürlich nicht gezielte Politik betreiben.
({16})
Ich will einige Kritikpunkte an Ihren Vorschlägen besonders erläutern.
Erstens. Sie wollen den Grundfreibetrag, also das steuerfreie Existenzminimum, von heute 4 536 DM auf 5 022 DM im Jahr anheben. Glauben Sie allen Ernstes, daß jemand mit 5 050 DM über dem Existenzminimum lebt? Zugegeben, das ist natürlich besser als das Versprechen von Stoltenberg, irgendwann - vielleicht 1990 oder später einmal - den Grundfreibetrag zu erhöhen.
({17})
Aber auch bei Ihrem Vorschlag bleibt es dabei: Erwerbseinkommen unterhalb des Sozialhilfeniveaus sollen noch zusätzlich durch Besteuerung verringert werden.
({18})
Es ist wirklich erstaunlich: Bei jeder steuerpolitischen Diskussion außerhalb dieses Hauses wird von allen Parteien beteuert, der Grundfreibetrag müsse so hoch sein, daß Erwerbseinkommen bis zur Höhe des Sozialhilfeniveaus steuerfrei sind. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber keine Partei hat das in ihrem Steuerkonzept - mit Ausnahme der GRÜNEN.
({19})
Wir schlagen vor, daß der Grundfreibetrag auf runde 10 000 DM im Jahr angehoben wird. Winken Sie das nun nicht mit dem Argument ab, das sei nicht finanzierbar. Die Finanzierbarkeit hängt natürlich vom weiteren Tarifverlauf ab.
Damit komme ich zum zweiten Kritikpunkt an dem SPD-Vorschlag. Danach sollen Steuerpflichtige mit geringem Einkommen um 9 DM im Monat entlastet werden. Ledige Durchschnittsverdiener hätten 24 DM mehr zur Verfügung als nach dem Steuersenkungsgesetz. Erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 120 000 DM bzw. ab 240 000 DM für Verheiratete wäre die Steuerlast höher als nach dem geltenden Tarif. Das heißt, eine Mehrbelastung wird gerade den Reichsten - 0,5% der zusammen veranlagten Ehepaare - zugemutet. Immerhin ein sozialer Fortschritt gegenüber der zweiten Stufe der Regierungsreform, die j a Steuervergünstigungen für sogenannte Leistungsträger mit über 130 000 DM in Höhe von 2 089 DM vorsieht.
Dies zeigt, die SPD scheut sich vor einem Tarifvorschlag, der eine wirklich gerechte Umverteilung der Steuerlast zur Folge hätte. Aus diesem Grunde kann sie keine höhere Entlastung der unteren Einkommen vorschlagen. Wer keinem was nehmen will, kann natürlich auch keinem was geben.
Daß Sie, Herr Apel, hier noch für die Ergänzungsabgabe gesprochen haben, hat mich, gelinde gesagt, überrascht. In der neuesten Steuerbroschüre der SPD, herausgegeben vom Parteivorstand, ist jedenfalls von der Ergänzungsabgabe nicht mehr die Rede. Ehrlich gesagt, ich habe es dort eigentlich auch gar nicht vermißt, da der Kanzlerkandidat auch die Bezieher gehobener EinkomVogel ({20})
men mit sich versöhnen will, und da würde eine Ergänzungsabgabe nur unnötig spalten.
Daß Sie keine wirkliche Alternative zum Steuerkonzept der Regierungsparteien vorlegen wollen, wurde auch in Ihrem „Handelsblatt"-Interview, Herr Apel, besonders deutlich. Da sprechen Sie davon, daß Sie auch eine Verschiebung des Beginns der oberen Proportionalzone, in der der Grenzsteuersatz 56 % beträgt, erwägen. Die große Steuerkoalition läßt da grüßen, kann ich nur sagen.
Die einzige seriöse Alternative zum jetzigen Tarif ist der Vorschlag der GRÜNEN,
({21})
weil wir den Mut aufbringen zu sagen: Untere Einkommen müssen massiv entlastet werden, Steuerausfälle sind angesichts der wichtigen Aufgaben des Staates nicht hinnehmbar. Deshalb müssen obere Einkommen stärker belastet werden, als es heute der Fall ist. Wir schlagen deshalb vor, daß die Steuerentlastung aus der Grundfreibetragserhöhung mit zunehmendem Einkommen verringert wird, daß der ledige Durchschnittsverdiener von heute 37 000 DM genauso belastet wird wie heute und Bezieher überdurchschnittlicher Einkommen eine Mehrbelastung hinnehmen müssen. Durch diese Konstruktion ist unser Vorschlag aufkommensneutral, d. h. er hätte keinen Steuerausfall zur Folge. Dies ist für uns ein wesentlicher Eckpunkt. Wir halten die Bekämpfung der Umweltzerstörung, der Armut und der Arbeitslosigkeit für absolut vordringlich gegenüber allgemeinen Steuersenkungen.
({22})
Wir vertreten dies nicht nur aus Gründen der Solidarität, sondern auch aus Gründen der wirtschaftlichen Vernunft. Dabei halten auch wir die Abgabebelastung des Durchschnittsverdieners für zu hoch und sehen es auch als unser Ziel an, die Sozialabgaben- und Lohnsteuerbelastung schrittweise zu senken.
({23})
Aber, meine Damen und Herren, angesprochen auf Ihre Steuerreformvorschläge: Stellt es wirklich eine Verbesserung von Lebensqualität dar - das frage ich insbesondere Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie -, wenn der Normalverdiener nach Ihrem Vorschlag 24 DM monatlich mehr zur Verfügung hat, um es, wie Sie in Ihrer wirtschaftspolitischen Begründung ausführen, in die bundesdeutschen Kaufhäuser zu tragen? Ist das erhöhte Lebensqualität, wenn die Kaufkraft für fünf oder sechs zusätzliche Kästen Mineralwasser zur Verfügung steht, wenn gleichzeitig das Wasser aus der Leitung wegen der zu hohen Nitratbelastung
({24})
oder wegen der Rheinvergiftung ungenießbar geworden ist? Oder ist es Erhöhung der Lebensqualität, wenn aus den Steuerersparnissen von drei Monaten eine Gasmaske, Billigausführung für 70 DM, für den Fall angeschafft werden kann, daß nebenan ein Chemiewerk in die Luft geht? Was helfen zusätzliche 24 DM dem Normalverdiener, wenn es zur Normalität des Alltags gehört, daß er Angst um seinen Arbeitsplatz, Angst vor der Arbeitslosigkeit und allen ihren Folgen haben muß?
({25})
Wir meinen deshalb, daß sich die SPD hier auf den falschen Weg begibt, auf den Wahltrampelpfad der Steuersenkungsversprechen, und daß sie besser den Gewerkschaften gefolgt wäre, die Kräfte jetzt auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu konzentrieren. Wir fügen hinzu: auf die Bekämpfung von Armut und Umweltzerstörung. Nur so kann es gelingen, die Abgabenlast langfristig zu senken.
Wenn wir weiter das Wachstum der Umweltschäden hinnehmen, dann wird der Teil unseres Einkommens, den wir zur Reparatur, zur Kompensation oder dann zur Verhinderung weiterer Schäden ausgeben müssen, ob privat oder öffentlich, wesentlich höher sein als heute. Daß es dann die Arbeitnehmer und die unteren Einkommen weiter am stärksten treffen wird, lehrt die Vergangenheit, lehrt die Gegenwart, und das lehren solche abstrusen Zukunftspläne wie der Wasserpfennig der CDU-Regierung in Baden-Württemberg.
({26})
Zum dritten Kritikpunkt, zum Familienlastenausgleich. Auch hier kleckert die SPD und bietet damit keine Alternative zum Regierungskonzept. Auch wir sind für die Streichung der Kinderfreibeträge und für die Erhöhung des Kindergeldes; aber wir lehnen die Staffelung des Kindergeldes nach der Ordnungszahl der Kinder ab. Warum ist das erste Kind weniger wert als das dritte?
({27})
Wir wollen statt dessen, daß das Kindergeld, dem finanziellen Bedarf entsprechend, nach dem Lebensalter der Kinder gestaffelt wird, daß Kinder bis sieben Jahre 210 DM Kindergeld erhalten sollen, von sieben bis zehn Jahren 330 DM, von elf bis vierzehn Jahren 400 DM und fünfzehn Jahre und mehr 450 DM im Monat.
Wir kritisieren aber auch die Höhe des Kindergeldes in dem SPD-Vorschlag: 100 DM für das erste Kind, das sind für untere Einkommen gerade 4 DM im Monat mehr als heute, für hohe Einkommen allerdings 64 DM weniger. Eine Familie mit durchschnittlichem Arbeitnehmereinkommen und zwei Kindern hätte unter einer Rau-Regierung 58 DM mehr an Einkommensleistung für die Kinder, eine Familie mit drei Kindern 92 DM mehr. Unter dem Strich also: Bei der Bundesregierung gibt es völlig unzureichende Leistungen für Kinder, und sie sind darüber hinaus unsozial verteilt; bei der SPD gäbe
Vogel ({28})
es für alle gleichermaßen unzulängliche Unterstützungen für Familien.
Natürlich wird unserem Vorschlag unisono wieder eine Nichtfinanzierbarkeit entgegengehalten werden. Doch seriöse Rechnungen zeigen: Durch einen Umbau des Familienlastenausgleichs, der heute ein Volumen von über 80 Milliarden DM hat, wäre nicht nur ein solch hohes Kindergeld, sondern auch noch ein Betreuungsgeld in Höhe von durchschnittlich 1 000 DM für die ersten zwei Lebensjahre eines Kindes ohne weiteres finanzierbar. Dies zeigt: Der finanzielle Spielraum ist beträchtlich, vorausgesetzt allerdings, es wird endlich mit der Politik der massiven finanziellen Begünstigung der Ehe Schluß gemacht.
({29})
60 % der Leistungen des Familienlastenausgleichs werden heute nicht für Kinder ausgegeben, sondern sind an den Tatbestand Ehe geknüpft. Der Splittingvorteil ist heute mit maximal 1 370 DM im Monat bis zu 14mal so hoch wie die finanziellen Leistungen für das erste Kind. Die Bundesregierung will diese Diskrepanz im nächsten Jahr auf das 16fache erhöhen, die SPD will sie leicht, nämlich auf das 12,6fache, verringern.
Die GRÜNEN schlagen statt dessen vor, den Splittingtarif abzuschaffen,
({30})
und eine Verdoppelung des Grundfreibetrages für Ehepaare auf 20 000 DM einzuführen. Das hat folgende Verteilungswirkungen: Ehepaare mit geringem Einkommen zahlen bis zu 200 DM weniger Steuern im Monat als heute, während für Spitzenverdiener der Steuervorteil aus der Ehe um 10 433 DM verringert wird.
({31})
- Ich lasse keine Zwischenfrage zu. Ich habe nur noch eine Minute. - Die Steuerpläne der GRÜNEN unterscheiden sich von allen anderen Parteien auch im Bereich der Unternehmensbesteuerung: Wir sehen nämlich in der Besteuerung einen wesentlichen Ansatzpunkt, um einen ökologischen Strukturwandel in der Wirtschaft, um einen ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft zu forcieren.
({32})
Wir haben in dieser Legislaturperiode eine Anzahl von Gesetzentwürfen hierzu vorgelegt: für eine Schadstoffabgabe auf die Emissionen aus Feuerungsanlagen, einen Gesetzentwurf für die Einführung einer Chlorsteuer, für die Einführung einer Sondermüllabgabe, um nur einige zu nennen. All diese Entwürfe wurden von der großen Koalition der Wachstumsfetischisten und der Umweltignoranten in diesem Hause abgelehnt. Dabei ist die Argumentation, solche Abgaben würden die Wirtschaft belasten und damit zu weiterer Arbeitslosigkeit führen, in zweierlei Hinsicht falsch: Erstens haben wir jetzt weitere vier Jahre die Erfahrung machen müssen, daß die Wirkungskette - erhöhte Gewinne gleich erhöhte Investitionen gleich erhöhte Beschäftigung - nicht stimmt. Zweitens schlagen wir eine Kombination von Umweltabgaben und die Verwendung des entsprechenden Aufkommens für Zuschüsse und Unterstützungen für Investitionen vor, durch die Produktionsverfahren wie auch Produkte umweltverträglicher gemacht werden. Das heißt, die Schadstoffabgabe würde z. B. für die Förderung von Entstickungs- und Entschwefelungsmaßnahmen verwandt werden. Unter dem Strich stellt dies also keine zusätzliche Belastung des gesamten Unternehmenssektors dar. Es stellt aber eine Hinlenkung der Ressourcen auf eine um-wertverträglichere Wirtschaft dar.
({33})
Sie haben sich all diesen Vorschlägen - wie vielen anderen unserer Vorschläge zur Bekämpfung von Armut, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung - verweigert.
Unsere Alternativen zu Ihrer Haushaltspolitik, Herr Stoltenberg, liegen schon lange vor, und zwar in unserem Programm zum Umbau der Industriegesellschaft, das man jederzeit bei unserer Bundesgeschäftsstelle beziehen kann.
({34})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0}) Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ein Satz noch: Meine Kolleginnen und Kollegen werden unsere detaillierten Verbesserungsvorschläge bei den einzelnen Geschäftsbereichen darlegen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Rede meines Vorredners war eines schon sehr interessant und spannend, nämlich die Frage, ob er wirklich in der Lage ist, schneller zu reden,
({0}) als man zuhören kann.
Meine Damen und Herren, solide, zukunftsorientiert und mutig, das sind die Adjektive, die der vorliegende Haushaltsentwurf 1987 in der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses verdient:
({1})
solide, weil die Ausgabendisziplin für die Beratungen erneut oberste Richtschnur war und mit nur 1,9 % Wachstum auf der Ausgabenseite zum fünftenmal hintereinander die Steigerung deutlich gerinDr. Weng ({2})
ger ist als der Anstieg des nominalen Bruttosozialproduktes - das ist Haushaltskonsolidierung -,
({3})
zukunftsorientiert, weil die konsequente Haushaltssanierung ein wesentlicher Beitrag dafür ist, daß die Wirtschaftsentwicklung einen überaus erfreulichen Verlauf nimmt, und mutig, weil wir uns nicht scheuen, einen erneuten Sparhaushalt wenige Wochen vor der Bundestagswahl zu verabschieden. Mutig auch deshalb, weil die Mehrheit des Haushaltsausschusses aus CDU/CSU und FDP sofort und konsequent gehandelt hat, als die Steuerschätzungen für das kommende Jahr einen geringeren Zuwachs an Steuereinnahmen voraussagten, als dies ursprünglich prognostiziert worden war.
({4})
Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat für die trotz politischer Gegensätze zügige Arbeit des Gesamtausschusses zu danken. Der Dank gilt insbesondere dem Vorsitzende Rudi Walther und seinem Stellvertreter.
({5})
Wir danken den Mitarbeitern im Sekretariat des Haushaltsausschusses ebenso wie den vielen Beamten der Ministerien für die hervorragende Unterstützung, von der die Qualität unserer Arbeit abhängt. Hierbei darf auch der Bundesrechnungshof nicht unerwähnt bleiben.
Der Dank für die gute menschliche Atmosphäre bei der Arbeit am gemeinsamen politischen Ziel gilt den Kollegen des Koalitionspartners und hier insbesondere meinem Freund Manfred Carstens. Trotz mancher unterschiedlicher Auffassungen in Sachfragen haben wir konstruktiv zusammengearbeitet. Der vorliegende Haushalt ist unser gemeinsamer Erfolg,
({6})
ein Erfolg, für den in der Öffentlichkeit das hohe Ansehen des Herrn Bundesfinanzministers spricht. Dies zeigt natürlich auch, daß die Bürger im Land die Notwendigkeiten öffentlicher Finanz- und Haushaltspolitik erkannt haben. Natürlich gehört Herr Stoltenberg nicht meiner Partei an. Wer weiß, vielleicht wäre er sonst in manchen Dingen noch etwas konsequenter.
({7})
Denn die doch etwas wagemutige Subventionskonstruktion im Zusammenhang mit dem Bau von Containerschiffen auf einer Kieler Werft steht natürlich nicht außerhalb jeder Kritikmöglichkeit.
({8})
Meine Damen und Herren, wer das gestern veröffentlichte Sachverständigengutachten der fünf
Weisen für die Entwicklung der deutschen Entwicklung liest
({9})
und daran denkt, daß die Haushaltspolitik einen wesentlichen Teil der politischen Voraussetzungen für die Wirtschaftsentwicklung ausmacht, der kann rundherum zufrieden sein. Das Gutachten ist optimistisch. Es gibt keinen Ansatz zu dem, was hier von den Rednern der Opposition versucht worden ist, nämlich zu Miesmacherei. Es ist für meine Partei besonders erfreulich, daß unsere Anregung einer großen Steuerreform für die kommende Wahlperiode von den Weisen als besonders dringend bezeichnet wird.
({10})
Wenn der wirtschaftliche Aufschwung mit seinen deutlichen Erfolgen auch auf dem Arbeitsmarkt fortgesetzt werden soll, dann muß der Staat hierfür diesen wichtigen Impuls geben.
Das Gutachten bestätigt uns in nahezu jeder Hinsicht so sehr, daß es für mich nicht überraschend ist, daß der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion die Abschaffung solcher Gutachten verlangt. Meine Damen und Herren, wenn schon gute Noten für die Koalition und ihre Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik gegeben werden, dann soll es die Öffentlichkeit nicht auch noch von neutraler Seite erfahren.
({11})
In diesem Zusammenhang ist die Feststellung nicht übertrieben, daß die Opposition im Haushaltsausschuß jede realistische Alternative zu den Vorstellungen der Koalitionsgruppe vermissen ließ. Im Gegenteil wurde unser entschlossenes Handeln - wie auch heute hier an vielen Stellen - bemäkelt. Da aber Miesmacherei draußen bei den Bürgern nicht attraktiv ist, ist es natürlich weder überraschend, daß die Haushaltsrede der SPD-Fraktion heute früh nicht von ihrem Haushaltssprecher gehalten wurde, noch, daß der Kanzlerkandidat der SPD dieser Debatte erneut fernbleibt.
Meine Damen und Herren, ich habe schon in der ersten Lesung darauf hingewiesen: Heute legt der Deutsche Bundestag in wesentlichen Grundzügen die Haushaltsgestaltung des ersten Jahres der neuen Wahlperiode fest. Wer den ehrlichen Anspruch auf politische Führung im kommenden Jahr deutlich machen wollte, der müßte sich an dieser Debatte beteiligen.
({12})
Aber Raus Auftreten in der Energiedebatte des Deutschen Bundestages hat ja schon deutlich gemacht, daß er es mit der Selbstdarstellung bei kontroverser Sachdebatte nicht ganz so leicht hat wie bei Wahlversammlungen mit ausgesuchten SPDGenossen in sozialdemokratischen Hochburgen.
({13})
Dr. Weng ({14})
Selbst der „Spiegel", der sich ja üblicherweise nicht durch besonders kritische Haltung gegenüber den Oppositionsgruppierungen SPD und GRÜNE auszeichnet, hatte damals unter der Überschrift „Steine statt Brot" geschrieben:
Kandidat Rau im Bundestag, erster Auftritt, großer Reinfall.
So überrascht es nicht, daß er auch heute wieder kneift.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie, daß ich zum Ablauf der Beratungen einige wesentliche Eckpunkte erwähne. Die gemeinsame Haushaltsgruppe der Koalition hatte bei ihrer Klausursitzung in Berlin in der vierten Septemberwoche folgende Marschrichtung festgelegt: Die vom Finanzminister ursprünglich vorgesehene leichte Erhöhung der Nettoneuverschuldung gegenüber dem Vorjahresansatz sollte durch Ausgabenkürzungen in der erforderlichen Höhe wenigstens auf den Stand von 1986 zurückgeführt werden. Natürlich kannten wir die Gründe, die zum Regierungsansatz geführt hatten. Die Preissteigerungsrate von nahe null Prozent, in einigen Monaten sogar unter Null, ist ein großer Erfolg unserer Politik, der aber eben bei den Steuereinnahmen die genannten Auswirkungen hat.
({15})
Ebenso hatten die verhältnismäßig niedrigen Tarifabschlüsse die Steuereinnahmeerwartungen gemindert.
({16})
Natürlich schlägt sich der erste Schritt der beschlossenen Steuerreform in gleicher Weise nieder wie der um rund 5,5 Milliarden DM niedriger ausfallende Bundesbankgewinn für 1987. Trotzdem waren wir der Meinung, daß ein Anstieg der Nettoneuverschuldung ein falsches Signal setzen würde.
({17})
Und wir sind stolz darauf, daß wir nicht nur das Ziel Vorjahresansatz erreicht haben, sondern um rund 1,4 Milliarden DM unter diesem Vorjahresansatz bleiben. Unseren damals erklärten Willen, die Ausgaben um nicht mehr als 3 % steigen zu lassen, haben wir deutlich überboten. Nur 1,9 % wird die Ausgabensteigerung betragen.
Schon damals bei der genannten Klausursitzung hatten wir uns dahin gehend festgelegt, daß unabweisbare Mehrausgaben in einzelnen Ministerien wo immer möglich durch Umschichtungen in demselben Einzelplan erreicht werden müßten. Wir haben auch der Entwicklung des Dollarkurses Rechnung getragen, die wir für den Haushalt möglichst zeitnah berücksichtigen wollten und berücksichtigt haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Herr Präsident, das ist die einzige, die ich gestatte, weil sonst auch ich im Zeitablauf in Probleme komme.
({0})
Herr Kollege Kühbacher, bitte.
Herr Kollege Weng, ich bedanke mich ausdrücklich. - Wollen Sie in die Erfolgsbilanz nicht noch einführen, daß es Ihre Haushaltsgruppe war, die nachhaltig dafür gesorgt hat, daß die Benzinpreise in der Bundesrepublik gesenkt wurden und daß auch die Ölpreise herabgesetzt worden sind? Das fehlt eigentlich noch in Ihrer Aufzählung.
({0})
Wir haben, Herr Kollege, diese Minderausgaben berücksichtigt, und zwar in letzter Minute, damit nicht Sparkassen für die Regierung entstehen. Insoweit haben Sie mit Ihrer Frage recht.
Wir können natürlich nicht für uns in Anspruch nehmen, daß wir an der Senkung der Ölpreise weltweit „schuld" gewesen seien.
({0})
So weit gehen die Kompetenzen der Bundesregierung sicherlich nicht.
Meine Damen und Herren, daß wir im Bereich des neuen Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ausdrücklich eine Ausnahme von der Regel beschlossen haben, daß der Ausgleich im jeweiligen Einzelplan herzustellen sei und daß es keine Aufstockung eines Einzelplanes geben dürfe, darauf komme ich noch zurück.
Die Opposition hat uns immer den Vorwurf des Kaputtsparens gemacht. Auch vom Koalitionspartner, insbesondere aus Bayern, sind solche Töne ab und zu mal zu hören gewesen. Die Entwicklung auch und gerade auf dem Arbeitsmarkt zeigt, daß unser Kurs richtig ist.
({1})
Meine Damen und Herren, über 800 000 Arbeitsplätze mehr werden 1987 zur Verfügung stehen. Es ist richtig, Herr Kollege Suhr. Ich habe die Zeitungen bereits heute morgen studiert, und genau diese Zahlen sind aktuellster Stand.
Daß der Rückgang der Arbeitslosenzahl nur relativ klein ist, liegt hauptsächlich an den erneut zusätzlich auf den Markt drängenden Arbeitskräften. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gehört eindeutig auf die positive Seite unserer Bilanz. Die Alternativen der SPD sind die alten gescheiterten Ladenhüter geblieben: neue Ausgabenprogramme, durch Schulden finanziert. Dies lehnen wir auch weiterhin strikt ab.
({2})
Dr. Weng ({3})
Erlauben Sie mir einige Anmerkungen zu speziellen Einzelpunkten, in denen meine Fraktion in den Beratungen des Haushaltsausschusses besondere politische Schwerpunkte gesetzt hat.
Erstens. Die Mittelstandspolitik im Bereich des Bundesministeriums für Wirtschaft hat erneut eine Stärkung durch den Ausschuß erfahren. Dies betrifft nicht nur die erneut verbesserten Unterstützungen im Rahmen des Eigenkapitalhilfeprogramms zur Gründung selbständiger Existenzen und bei der gesamten Förderung der Leistungssteigerung im mittelständischen Bereich, deutlich gemacht haben wir vor allem auch eine verbesserte Förderung der Forschung im Mittelstandsbereich. Es ist richtig und notwendig, daß kleine und mittlere Unternehmen für ihre Personalaufwendungen im Forschungsbereich staatliche Zuschüsse erhalten; denn hier würde sonst der strukturelle Wettbewerbsnachteil gegenüber den Großen zu erheblichen Einschränkungen bei der Forschungstätigkeit führen. Es ist aber ebenso wichtig, daß im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen staatlich unterstützt wird. Wir haben den Ansatz der Bundesregierung erhöht und wissen, daß diese industrielle Gemeinschaftsforschung ihre Ergebnisse ausdrücklich auf die Bedürfnisse von Klein- und Mittelindustrie ausrichtet. Zwar werden nicht alle Wünsche erfüllt werden können, aber immerhin werden die Möglichkeiten von 93 Forschungsvereinigungen, die rund 26 000 fast ausschließlich kleine und mittlere Unternehmen aus 32 Industriesparten repräsentieren, mit dieser Maßnahme entscheidend verbessert.
({4})
„Mittelstand im Mittelpunkt": Unser Engagement hat deutlich gemacht, daß dies nicht nur ein Schlagwort für uns ist, sondern Handlungsaufforderung, die wir in konkrete Beschlüsse umgesetzt haben.
Meine Damen und Herren, mittelstandsorientierte Politik haben wir zum zweiten auch im Bereich der Privatisierung erreicht. Mit der Rückführung der Anteile des Bundes an der VEBA, dem Volkswagenwerk und der DSL-Bank werden ordnungspolitisch richtige Schritte in die Wege geleitet. Natürlich dienen die Erträge aus diesen Veräußerungen auch der Haushaltskonsolidierung, aber unser politisches Anliegen geht weit darüber hinaus: Wir wünschen den Rückzug des Staates aus Beteiligungen und Dienstleistungen überall da, wo staatliches Handeln nicht hoheitlich gefordert ist.
({5})
Der Versuch, von diesem wichtigen politischen Ziel abzulenken, ist zum Scheitern verurteilt. Meine Fraktion bekennt sich zwar eindeutig zu den Grundzügen öffentlicher Verwaltung und insbesondere des Berufsbeamtentums, und hiervon wird es auch keine Abkehr geben, aber muß deshalb z. B. für alle Zeiten die Post ein Monopol auf die Endverbrauchergeräte haben? Kühlschrank und Elektroherd werden schließlich auch nicht beim Elektrizitätswerk erworben.
({6})
Das Thema Privatisierung bleibt für uns auf der Tagesordnung. Die Überlegung, ob mit den Erlösen nicht z. B. Kapital gemeinnütziger Stiftungen aufgestockt werden kann, werden wir im kommenden Jahr vertiefen.
({7})
Privatisierung auch bei staatlich verursachten Monopolen: Wir hatten die Änderung des § 29 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung zur Koalitionsvereinbarung gemacht. Freie Ingenieure sollten ebenso wie der Technische Überwachungsverein Untersuchungen an Kraftfahrzeugen durchführen dürfen. Und wo stehen wir heute? Meine Damen und Herren, gerade die CSU, die uns für unser öffentliches Ringen um bessere Wege bei vielen Gesetzgebungsvorhaben der vergangenen Jahre als unzuverlässig darzustellen versucht hat, hat hier ohne jede öffentliche Diskussion auf Kommando aus Bayern den Weg der Abkehr beschritten.
({8})
Denn wer nun anbietet, daß die freien Ingenieure die Kraftfahrzeugüberwachung genauso machen dürfen wie der TÜV, aber dies nur mit halben Prüffristen, der führt das Anliegen ins Abseits.
({9})
Ich bin unserem Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann ausdrücklich dafür dankbar, daß er in dieser Angelegenheit mit aller Konsequenz antritt und auf der Erfüllung der getroffenen festen Vereinbarungen beharrt.
Zum dritten: Die Gründung des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit beinhaltet nach unserer Überzeugung einen echten Neubeginn für die Umweltpolitik, dies um so mehr, als dieses Ministerium mit einem eigenen Ausschuß des Deutschen Bundestages unterbaut wurde und so die tatkräftige - ({10})
- Wenn Sie das schon vor vier Jahren gefordert haben, müßten Sie ja um so froher sein, daß es jetzt gekommen ist, Herr Kollege Suhr!
({11})
Ich wollte sagen, daß durch diesen Unterbau die tatkräftige Unterstützung einer vorwärtsgerichteten Umweltpolitik durch die in diesen Bereichen besonders engagierten Mitglieder des Parlaments aus allen Fraktionen ermöglicht worden ist.
Jeder weiß, daß ein neu eingerichtetes Ministerium immer mit gewissen Startschwierigkeiten
Dr. Weng ({12})
kämpfen muß. Die notwendigen und zur Arrondierung sinnvollen Abteilungen aus anderen Ministerien herauszulösen ist oft genauso schwierig, wie von Anfang an die erforderliche personelle Ausgestaltung zu erhalten.
Natürlich konnte es nicht unser Ziel sein, hier in Bonn das nachzuvollziehen, was der hessische Umweltminister gemacht hat, nämlich seine grünen Parteifreunde in größtem Umfange mit gut bezahlten hohen Stellungen zu bedienen.
({13})
- Dies ist eine Entwicklung, Herr Kollege Vogel in diesem Falle meine ich den Kollegen Vogel von
den GRÜNEN; ein Vogel kommt ja selten allein -,
({14})
die der Bund der Steuerzahler in Hessen als eine grandiose Selbstbedienung bezeichnet hat - für den Fall, daß es Sie interessiert, habe ich die schriftliche Unterlage hier -,
({15})
die er als einen einsamen und sicherlich traurigen Rekord der hessischen GRÜNEN bezeichnet hat. - Daß Sie hier dagegen anzuschreien versuchen, zeigt ja, daß Sie wohl der Auffassung sind, dort sei das Richtige gemacht worden, indem man Parteifreunde mit B-6-Positionen bedient hat.
({16})
Wir haben im Bereich dieses Bundesministeriums auf realistische Weise die notwendigen Personalstellen zur Verfügung gestellt, und wir haben eine deutliche Aufstockung der Finanzmittel beschlossen.
({17})
Hier hat der Haushaltsausschuß - und dies ist auch auf meine Anregung hin geschehen - die politische Auseinandersetzung mit dem Bundesfinanzminister nicht gescheut. Dies gilt insbesondere für die Unterstützung des Ankaufs von Naturschutzprojekten mit gesamtstaatlicher Bedeutung, bei denen wir den Regierungsansatz mehr als verdoppelt haben. Dadurch soll eine gewisse Zahl von Naturschutzgebieten, die von freien Trägern oder von Gebietskörperschaften angekauft werden und unterhalten werden müssen, mitbezahlt werden.
({18})
- Es ist eine gute Entscheidung, Herr Kollege Carstens! Natürlich kann man hier in der Kürze der
Zeit leider nicht alle diese schönen Projekte, für die
es bereits jetzt Bezuschussungsanträge gibt, beschreiben; das würde zu weit führen.
({19})
Was uns aber besonders motiviert hat, war, daß in diesem wichtigen Umweltbereich nicht grünes Geschrei, Herr Kollege Suhr, sondern bürgerliches Engagement auch dann einmal staatliche Förderung - die beibehalten wird - erfahren kann, wenn es sich nicht um eine ureigene Aufgabe des Bundes handelt.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten des Parlaments bleibt die Haushaltsberatung in Ausschuß und Plenum des Deutschen Bundestages ein wichtiger Teil unserer Tätigkeit. Diese Beratung gibt dem Parlament die Möglichkeit der direkten Einflußnahme auf die Regierungspolitik. Wir sind der ARD deshalb auch in diesem Jahr wieder dankbar, daß mit einigen Sendungen der vergangenen Wochen in einer breiten Öffentlichkeit größeres Verständnis für unsere Arbeit geweckt werden konnte.
({20})
- Das muß sein, Herr Kollege Suhr, denn unser Streben nach Bürgernähe bedarf der Unterstützung durch die Medien.
({21})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konsolidierungsziel der Koalition ist noch lange nicht erreicht. Bei einem Gesamtausgabevolumen von 268,5 Milliarden DM für 1987 haben wir immer noch eine Nettokreditaufnahme von 22,3 Milliarden DM vorsehen müssen. Aber der Haushaltsausschuß hat seine Arbeit für dieses Jahr bestmöglich gemeistert. Meine Fraktion nimmt das Ergebnis des Mehrheitsbeschlusses mit Befriedigung zur Kenntnis. Was wir versprochen haben, haben wir gehalten.
Mit dem Haushalt 1987, den wir in dieser Woche im Plenum des Bundestages diskutieren und dann verabschieden wollen, werden wir uns im Januar dem Wähler stellen, und zwar in dem sicheren Bewußtsein, in der Haushaltspolitik vier Jahre lang das Richtige und das Mögliche geleistet zu haben.
Ich danke Ihnen.
({22})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte Haushaltsdebatte in dieser Wahlperiode ist Anlaß zu einer Bilanz über vier Jahre neuer Finanzpolitik, ihrer Wirkungen auf das wirtschaftliche und soziale Leben unseres Volkes und einer Vorausschau für die wichtigsten Aufgaben der Zukunft. Es
ist eine politische Bilanz, die wir ziehen, nicht eine kaufmännische. Aber da es um Zahlen und für die meisten Menschen auch nachprüfbare Fakten geht, sollte sich niemand so weit von den Tatsachen und dem ernsthaften Stand der wirtschafts- und finanzwissenschaftlichen Diskussion entfernen, wie das bei Herrn Kollegen Apel der Fall war.
({0})
Zu den Ergebnissen gehört: Erstens. Eine zurückhaltende Ausgabenpolitik hat Wachstum und Preisstabilität entscheidend gefördert und erste Spielräume für Steuerentlastungen geschaffen. Das ist für viele eine neue Erfahrung. Sie steht im Widerspruch zu der Theorie und Praxis der in den 70er Jahren bestimmenden linken Kräfte, die einen falsch verstandenen Keynes so umsetzten, daß durch ständige hohe kreditfinanzierte Programme zwar kurzfristig Beschäftigungseffekte erzielt wurden, aber langfristig eine strukturelle Erhöhung der Arbeitslosigkeit die Folge war.
({1})
Zweitens. Die Haushalts-, Steuer- und Währungspolitik ergänzen sich seit dem Neubeginn 1982 in positiver Weise. Wir haben gefährliche Zielkonflikte abgebaut und damit das nationale und internationale Vertrauen in die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland gefestigt. Herr Kollege Apel, Sie haben noch einmal auf die Appelle oder Mahnungen unserer Freunde im Westen, der Amerikaner, Bezug genommen, wir sollten eine noch expansivere Politik betreiben. Ich komme darauf noch einmal zurück. Diese Vorstellung, daß es auf dem ganzen Erdball zwei Länder gibt, die jetzt die Konjunktur entscheidend fördern können, nämlich Japan und die Bundesrepublik Deutschland, ist ja auch Ausdruck eines gewachsenen Vertrauens in unsere Möglichkeiten,
({2})
sogar - sagen wir dann einschränkend - eine gewisse Überschätzung unserer Möglichkeiten. Daß diese Diskussion natürlich eine sehr positive Einschätzung der Bundesrepublik widerspiegelt, weiß jeder.
Die Umverteilung - um diesen auch heute wieder oft gebrauchten Ausdruck aufzunehmen - hin zu den arbeitsplatzschaffenden und -sichernden Investitionen hat produktive Kräfte ausgelöst und auch die Trendwende in der Beschäftigungsentwicklung ermöglicht. Weil wir doch ganz irreführende Ausführungen gehört haben - ich sage das ganz höflich; sie zeichneten sich vor allem dadurch aus, Herr Kollege Apel, Herr Kollege Vogel, daß wir sie schon zum vierten Male in diesem Hohen Haus gehört haben
({3})
und viermalige Richtigstellung ohne jede Wirkung
auf Ihre Redenschreiber oder Sie selbst bleiben -,
({4})
weil wir also ganz irreführende Ausführungen über die Wirkungen einer Politik, die stärker auf private Investitionen setzt, gehört haben, will ich auch dies an Ihre Adresse, Herr Kollege Vogel, sagen: Die Ausrüstungsinvestitionen werden in der Gesamtbilanz 1985/86 preisbereinigt um rund 20% steigen. Diese maßgebende Initiative zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, zu ihrer Modernisierung ist - neben den Ausbildungsinvestitionen für junge Menschen - eigentlich das Positivste und Wichtigste, was in diesen Jahren geschehen ist.
({5})
So kommt es eben zu jener von Herrn Kollegen Carstens und Herrn Kollegen Weng auch an Hand von Zahlen aufgezeigten Entwicklung, die - ich wiederhole es noch einmal - zur Folge hat, daß Ende dieses Jahres rund 600 000 Menschen mehr in unserer Volkswirtschaft als vor zweieinhalb Jahren erwerbstätig sind. Das ist der Grund für die Vorhersagen unabhängiger Institutionen in diesen Wochen, von der EG-Kommission und der OECD bis zum Sachverständigenrat, die - bei allen Varianten in den einzelnen quantitativen Erwartungen - davon ausgehen, daß wir 1987 mit einer weiteren Zunahme der Arbeitsplätze um etwa 250 000 rechnen können. Voraussetzung dafür ist freilich - das wird nun in dem von Ihnen, Herr Kollege Apel, einseitig zitierten Gutachten der Sachverständigen klar gesagt -, daß die Grundzüge einer auf freiheitlicher und sozialer Marktwirtschaft beruhenden Politik ohne Bruch fortgesetzt werden und daß auch die Tarifpartner ihren Beitrag dazu leisten. Das sind die beiden Prämissen.
({6})
- Sie glauben doch selbst nicht, Herr Kollege Wieczorek, daß das ein Allheilmittel ist, um die Arbeitsmarktprobleme zu lösen. Da Sie selbst zu den Leuten gehören, die ständig wesentlich länger als 35 Stunden in der Woche arbeiten, und da Sie auch Mitarbeiter haben, die das tun, kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie das nach Ihren eigenen Erfahrungen wirklich als Rezept für alle empfehlen können.
({7})
- Ein anderes Mal diskutieren wir das noch vertieft.
Meine Damen und Herren, zu den Folgerungen gehört: Unsere Finanzpolitik muß auch weiterhin mit Vorrang noch bessere Bedingungen für wirtschaftliche Dynamik, für Innovation auf breiter Front, für hohe Investitionen und mehr Arbeitsplätze fördern. Damit gewinnen wir zugleich die wichtigsten Voraussetzungen für eine dauerhafte Stärkung der sozialen Sicherungssysteme - die Sachverständigen haben recht, wenn sie uns im Hinblick auf die demographischen Veränderungen der nächsten 30 Jahre auf die Größe dieser Aufgabe hinweisen -, aber auch für eine aktivere Umwelt19202
Schutzpolitik, die letzten Endes nur von einer blühenden, dynamischen, wachsenden Volkswirtschaft finanziert werden kann.
({8})
Das ist ein Punkt, den die GRÜNEN, wie ihre verworrenen Reden über ökonomische Sachverhalte immer wieder zeigen, bis heute nicht begriffen haben.
({9})
- Das ist doch vergleichsweise höflich, wenn ich einmal überlege, mit welchen Injurien und Unterstellungen Sie uns hier bedenken.
Nur so schaffen wir auch die Voraussetzung für einen wirksamen deutschen Beitrag zur Bewältigung der internationalen Wirtschafts- und Währungsprobleme.
Meine Damen und Herren, eine niedrigere Steuerlastquote, ein in sich schlüssigeres Steuersystem, also eine Steuerreform, die insbesondere zu einer nachhaltigen Senkung des überhöhten Lohn- und Einkommensteuertarifs führt, gehört zu den wichtigsten Aufgaben der kommenden Wahlperiode.
Die Ausgaben des Bundes sind von 1983 bis 1986 im Jahresdurchschnitt um rund 2 % gestiegen, gegenüber einer jährlichen Zuwachsrate von etwa 9 % in den 70er Jahren und auch noch von über 6% in den letzten Regierungsjahren der sozialdemokratisch geführten Koalition, als man mit dem Sparen anfing, aber zu spät, um das Steuer noch wenden zu können. Nur so konnte die weit überhöhte, in den wirtschaftlichen und sozialen Folgen zunehmend negative Neuverschuldung zurückgeführt werden. Die Haushaltsdefizite sanken bei Bund, Ländern und Gemeinden von 74 Milliarden DM im Jahr 1981 auf knapp 39 Milliarden DM im Jahr 1985 ab. Für 1987 dürfte sich nach unseren letzten Gesprächen im Finanzplanungsrat eine Nettokreditaufnahme für die drei Ebenen von insgesamt rund 40 Milliarden DM ergeben.
Das war kein „Kaputtsparen" wie die SPD jahrelang behauptete. Herr Kollege Apel hat all die alten abgenutzten Formeln wieder gebracht, aber von Kaputtsparen war heute nicht mehr die Rede. Das war auch keine soziale Demontage - ich gehe noch auf Ihre entsprechenden Unterstellungen ein, Herr Kollege Apel -, sondern eine wesentliche Voraussetzung für einen Aufschwung in Stabilität, für die Überwindung der Inflation und der Inflationsmentalität.
({10})
Immer mehr Menschen erfahren die positiven Wirkungen dieses Kurses, und wir erfahren ihre Reaktionen in wichtigen Regionalwahlen, zuletzt in Hamburg und Bayern.
({11})
Herr Kollege Apel, Sie haben wieder vom Sozialabbau und den sozialen Ungerechtigkeiten geredet. Ich habe mir noch einmal die von Ihren sachkundigen Sprechern nicht bestrittenen Zahlen des Sozialberichts der Bundesregierung angeschaut. Die
Summe aller Sozialleistungen lag im Jahre 1982 bei 524 Milliarden DM. Sie wird 1986 auf 604 Milliarden DM ansteigen, einschließlich der sozialen Sicherungssysteme natürlich.
({12})
Damit liegen die Sozialleistungen 1986 um 80 Milliarden DM oder 15,3 % höher als 1982. Das sind die sozialen Sicherungssysteme insgesamt. Aber ihre Stärkung auch durch gezielte Entscheidung dieser Mehrheit widerlegt doch die törichte Behauptung, daß hier Sozialabbau erfolgt sei.
({13})
Das alles ist nicht mehr überzeugend, auch in der Einschätzung von immer mehr Menschen.
Da Sie, Herr Kollege Apel, das wieder mit einigen sehr heftigen Attacken, die uns nicht mehr bewegen, weil wir sie zum dritten Mal hören, mit der sozialen Ungerechtigkeit und ähnlichen Phrasen belegt haben, will ich Ihnen nur eines dazu sagen: Die finanz- und wirtschaftspolitischen Reden des Kollegen Hans Apel erinnern immer mehr Bürger in der Qualität an die wohnungswirtschaftlichen Reden Ihres Parteifreundes Ernst Breit - damit wir einmal diese Sache hier klarstellen können.
({14})
Die Sparleistung unserer Bürger, die private Kapitalbildung dient heute wieder ganz überwiegend zukunftsorientierten Investitionen. Sie dient der Modernisierung unserer Volkswirtschaft, die konsequent weitergehen muß, wenn wir auch in zehn oder 20 Jahren zu den ökonomisch führenden Nationen gehören wollen. Nur so können wir langfristig angemessene berufliche Chancen für die Menschen und verläßliche Sozialleistungen sichern. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses und natürlich ganz besonders den Koalitionsfraktionen dankbar, daß sie dies mit ihren Beschlüssen zum Bundeshaushalt 1987 nachdrücklich bekräftigt haben.
Unsere aktuellen Probleme liegen in der Tat vor allem auf der Einnahmeseite. Der beträchtliche Rückgang der Importpreise bei uns, erfreulich verstärkt durch das wachsende internationale Vertrauen in die deutsche Mark, führt kurzfristig zu beträchtlichen Steuermindereinnahmen. Die erhebliche Übertragung von Steuereinnahmen des Bundes an die Europäische Gemeinschaft akzentuiert diesen Sachverhalt.
Herr Kollege Apel, Sie haben auf Probleme der EG hingewiesen. Die gibt es, das ist richtig. Wir haben in diesem Jahr gut 4 Milliarden DM Steuereinnahmen des Bundes an die Europäische Gemeinschaft übertragen. Sonst hätten wir auch in diesem Jahr einen um 4 Milliarden DM besseren Abschluß. Nur muß nach Auffassung der Mitgliedsregierungen - dies ist nicht die spezifische Meinung der Bundesregierung - die Europäische Gemeinschaft nach der erheblichen Stärkung ihrer Finanzkraft im Jahre 1986 nun auch 1987 mit dem
Einnahmerahmen auskommen. Das ist die ganz vorherrschende Meinung der Mitgliedstaaten. Entsprechend werden wir uns auch bei den Budgetberatungen, die übrigens jetzt gerade in diesen Tagen stattfinden, verhalten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Apel?
Ja, bitte sehr.
Herr Bundesfinanzminister, stimmen Sie mit mir darin überein, daß mindestens 22 Milliarden DM in Brüssel fällig werden auf Grund der Überschüsse, die vergammeln - wenn ich das einmal so sagen darf -, auf Grund der Überschüsse, die nicht abgesetzt werden können, auf Grund der schnell wachsenden Bestände insbesondere bei Butter und Magermilchpulver? Stimmen Sie mir zu, daß diese Summen - 6 Milliarden DM werden es für uns - nirgendwo etatisiert sind, daß deswegen hier eine Lawine auf Sie zurollt, die finanziert werden muß, und daß es deswegen auch keinen Zweck hat zu sagen: Brüssel mach mal! - Das können Sie um so weniger sagen,
({0})
als Sie ja in Brüssel für die Fortsetzung der verfehlten Agrarpolitik sind.
Ich kann dieser Vielfalt der Fragen und Aussagen nicht uneingeschränkt zustimmen, Herr Kollege Apel.
({0})
Jedenfalls kann ich versuchen, den Kern Ihrer Frage zu erkennen, was nicht ganz leicht ist, und dazu Stellung zu nehmen.
({1})
- Herr Kollege Vogel, Sie sind da besser geübt im täglichen Umgang mit Herrn Apel, das ist schon richtig.
Nach diesem Intermezzo möchte ich folgendes sagen: Die Bundesregierung hat im Frühjahr einen Grundsatzbeschluß zu den Prioritäten in der Europäischen Gemeinschaft gefaßt. Sie hat damals gesagt: Im Hinblick auf die bedrängenden ungelösten Probleme des Agrarmarktes,
({2})
bei denen Sie freilich nicht der beste Ankläger sind, wenn man die schlimmen Fehler, Herr Kollege Apel, der siebziger Jahre betrachtet,
({3})
muß die Gemeinschaft bis auf weiteres ihre Mittel,
die ja anwachsen - sie werden auch 1987 anwachsen, und zwar stärker als die nationalen Einnahmen des Bundes -, für die obligatorischen Aufgaben einsetzen. Sie muß also das, was an Rechtsverpflichtungen besteht, in erster Linie bedienen. Dazu gehört nun einmal neben einigen Bereichen der Regionalpolitik der Argrarmarkt. Sie muß, was den Kommissaren und den Beamten, aber auch unseren parlamentarischen Kollegen in Brüssel und in Straßburg sehr schwer fällt, unter diesen Bedingungen eine Fülle von vielleicht schönen, nicht immer schönen, aber jedenfalls interessanten Ideen neuer Politiken, die sehr viel Geld kosten, zurückstellen. Das ist unsere Auffassung.
Ein überproportionaler Anteil unserer Steuereinnahmen geht an die Europäische Gemeinschaft. Aber schließlich muß ja auch dieses Hohe Haus in seiner nationalen Verantwortung in den kommenden Jahren noch Spielraum haben, die wichtigsten staatlichen Aufgaben in der Bundesrepublik Deutschland zu finanzieren. Beides ist doch notwendig.
({4}) Daraus ergibt sich die genannte Einschätzung.
Herr Bundesminister, der Abgeordnete Apel möchte noch eine Frage stellen.
Ich muß etwas an die Kolleginnen und Kollegen denken, die auch noch reden wollen. Ich bitte um Nachsicht, Herr Kollege Apel.
Meine Damen und Herren, 1987 rechnen wir außerdem mit einem erheblich verringerten Bundesbankgewinn. So wird die vom Haushaltsausschuß endgültig erarbeitete Vorlage mit einem noch niedrigeren Ausgabenwachstum von 1,9 % und einer Neuverschuldung von nur noch 22,3 Milliarden DM der veränderten Situation absolut gerecht. Ich möchte das noch einmal wirklich mit Anerkennung unterstreichen.
({0})
Meine Damen und Herren, auch für die Zukunft gilt: Ausgabendisziplin und bessere Wachstumsbedingungen sind keine Gegensätze. Die gesamtwirtschaftlichen Aussichten für 1987 sind vielmehr ermutigend. Ich unterstreiche das unter Hinweis auf die insgesamt positiven Aussagen unabhängiger Institutionen und Sachverständiger. Ihre Prognosen für die kommende Zeit, für 1987, liegen quantitativ verständlicherweise in einer gewissen Bandbreite. Die EG-Kommission und die OECD gehen für die Bundesrepublik Deutschland 1987 von einem preisbereinigten Wachstum von 3,25 % aus. Das gestern veröffentlichte Gutachten des Sachverständigenrates spricht von einem Zuwachs im Jahresverlauf von real 2,5%, im Jahresdurchschnitt von etwas über 2 %.
Herr Kollege Apel, ich glaube, Sie haben etwas gewaltsam versucht, dieses Gutachten für Ihre fragwürdigen Thesen zu okkupieren. Ich habe vor acht Tagen in Brüssel noch einmal im Ministerrat die
Begründung des zuständigen EG-Kommissars Alois Pfeiffer - uns allen ja gut bekannt als langjähriges Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes - für die optimistische Prognose von 3,25 % gehört. Ich habe gestern natürlich auch mit großer Aufmerksamkeit die Begründung von Herrn Professor Schneider für die verhaltenere quantitative Prognose gehört.
Nur, es ist, wie ich glaube, nicht zulässig, daraus die Folgerungen zu ziehen, die Sie hier parteipolitisch vorgenommen haben. Viele Aussagen des Gutachtens bekräftigen vielmehr unseren Kurs. Andere - auch kritische - Anmerkungen verstehen wir als einen Appell, die erforderlichen Entscheidungen für eine weitere Stärkung der privaten Investitionen, für die Steuerstrukturreform, für die Rückführung der Staats- und Steuerquote und für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu treffen. Herr Kollege Apel, soweit die Sachverständigen uns kritisiert haben - und wir sollten das ernst nehmen -, kritisieren sie uns nicht, weil wir nicht Ihren Vorschlägen folgen, sondern weil wir uns nicht genug konsequent in einer ordnungspolitisch anderen Richtung von Ihren Konzeptionen absetzen. Das ist die Quintessenz des gestrigen Gutachtens.
({1})
Die SPD - ich sage das auch unter dem Eindruck Ihrer heutigen Rede, Herr Apel - wird immer unglaubwürdiger, wenn sie weiterhin im 'wesentlichen Zukunftspessimismus verbreiten will. Schon am 7. September 1983, bei der ersten Lesung des Haushaltsentwurfs 1984, haben Sie als Sprecher der SPD für das bevorstehende Jahr, also 1984, eine tiefe Rezession und Massenarbeitslosigkeit vorausgesagt.
({2})
Diese Prognose haben Sie praktisch Jahr für Jahr wiederholt. Wir reden von der „tiefen Rezession", Herr Kollege Apel. Was Sie hier ständig den Bürgerinnen und Bürgern erzählen wollen, hat mit der Realität nichts zu tun.
({3})
Zuletzt habe ich vor der heutigen Rede eine Schlagzeile von Ihnen im „Handelsblatt" vom 31. Oktober dieses Jahres gelesen. Da hieß es: „Konjunktur: Hans Apel sieht schwarz."
({4})
Da haben Sie wahrscheinlich an die Parteikonjunktur in Hamburg und Bayern gedacht, meine Damen und Herren. Da war ja die Prognose richtig.
({5})
Das trifft nicht die Erfahrungen und Erwartungen der meisten Menschen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich.
Als Sie heute sagten, das Motiv meiner Finanzpolitik sei „Augen zu und durch!", habe ich mir gedacht: Das Zitat hast du doch gelesen. Das habe ich in einem Bericht einer großen deutschen Zeitung über die Beratungen Ihres Bundesvorstands nach der verlorenen Hamburg-Wahl gelesen. Da hat einer Ihrer Mitstreiter, der lange im Deutschen Bundestag war, gesagt, das Verhalten der Parteiführung erinnere ihn an das Motto „Augen zu und durch!".
({6})
Aber da sollten Sie doch nicht jetzt sozusagen in die finanzpolitische Diskussion in der Polemik gegen uns transportieren.
({7})
Als noch mal die abgedroschene Formel von der „Umverteilung von unten nach oben" kam, erinnerte ich mich
({8})
an einen Bericht über die Sitzung des Landesvorstands Ihrer Partei in Bayern am Tag nach der Bayern-Wahl. Da wurde gesagt, die Erkenntnis des Vorstandes der bayerischen Sozialdemokratischen Partei sei auch, daß man mit diesen Formeln wie „Umverteilung von unten nach oben" die Menschen nicht mehr beeindrucken könne, weil das deren Erfahrungen nicht mehr entspreche. Diese Botschaft ist noch nicht bei Ihnen angekommen, meine Damen und Herren.
({9})
- Es wird immer eine schrumpfende Minderheit geben, die solchen Parolen folgt. Aber sie wird kleiner werden. Ich sage Ihnen das voraus.
({10})
- Ich war etwas nachdenklich geworden, daß Herrn Kollegen Apel auch nach gewissen Rückschlägen, die ja auch wir auf unserem politischen Weg erlebt haben, Herr Vogel, nichts weiter eingefallen war als die Wiederholung der alten, unbrauchbaren Formeln, die offensichtlich die Menschen zur Zeit nicht sehr beeindrucken.
({11})
Unsere Finanzpolitik muß kalkulierbar und verläßlich bleiben
({12})
und zugleich handlungsfähig sein, um neuen Herausforderungen zu begegnen. Dazu gehören möglichst realistische Annahmen. Herr Kollege Apel,
ich habe Sie ja als Anwalt für Haushaltswahrheit und -klarheit eindrucksvoll reden hören. Ich will Ihnen das mal sagen: In den Jahren der SPDgeführten Bundesregierung wurde der Haushaltsrahmen immer wieder gesprengt. So war die Neuverschuldung des Bundes 1980 um 2,9 Milliarden DM höher, als in dem vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Etat veranschlagt, 1981 um 3,6 Milliarden DM, 1982 um 10,4 Milliarden DM. Und nach dem Regierungswechsel, nachdem wir, die Koalition und die Bundesregierung, die Verantwortung übernommen hatten, lag die Nettokreditaufnahme 1983 um 9,4 Milliarden DM unter dem Ermächtigungsrahmen.
({13})
Herr Bundesminister!
einen kleinen Moment! Darf ich das noch sagen: 1984 war sie 5,3 Milliarden DM niedriger, 1985 um 2,6 Milliarden DM. Auch 1986 werden wir trotz der verhaltenen Steuereinnahmen aller Voraussicht nach die Kreditermächtigung in Höhe von 23,7 Milliarden DM nicht völlig auszuschöpfen brauchen.
Bitte, Frau Kollegin.
Bitte sehr, Frau Matthäus-Maier.
Herr Stoltenberg, da Sie von höherer Neuverschuldung sprechen: Geben Sie mir zu, daß Sie in jedem Jahr Ihrer Regierung Ihre Neuverschuldung um über 12 Milliarden DM hätten anheben müssen, wenn Sie nicht jährlich 12 Milliarden DM Bundesbankgewinne gehabt hätten,
({0})
die nicht einzustellen Sie versprochen hatten, als Sie in der Opposition waren? Herr Häfele hat hier im Deutschen Bundestag gesagt: Das Einstellen von Bundesbankgewinnen ist schlimmer als eine Neuverschuldung.
({1})
Das waren eine Frage und eine Behauptung. Ich möchte zunächst etwas zu der Frage sagen. Wir hatten erstmals einen hohen Bundesbankgewinn - wenn ich mich recht erinnere: von 10,5 Milliarden DM - im letzten Jahr Ihrer Regierungsverantwortung. Der Bundesbankgewinn erreicht im Jahre 1986 mit 12,7 oder 12,8 Milliarden DM - ich kann mich um 100 Millionen DM irren - sozusagen den Gipfel. Das ist eine Differenz von 2,3 oder 2,4 Milliarden DM gegenüber dem letzten Regierungsjahr der Sozialdemokratischen Partei.
Diese 2,3 oder 2,4 Milliarden DM können Sie in einer Modellrechnung über den Konsolidierungserfolg absetzen, wenn Sie - was korrekt und ehrlich ist - das Jahr 1982 als Ausgangspunkt nehmen.
({0})
- Diese Fünfjahresrechnungen sind doch schlechte Tricks, lieber Herr Vogel. Ihre Schlußbilanz war 1982 und nicht 1978. Bleiben Sie in einer solchen Debatte doch einmal logisch. Das sind doch alles Tricks.
({1})
- Sie machen es durch Zwischenrufe ein bißchen schwieriger, eine ruhig gestellte Frage ruhig zu beantworten.
Die können Sie absetzen. Aber die Situation ist jetzt dadurch verändert, daß wir durch die Höherbewertung der D-Mark gegenüber dem Dollar und durch die erfreulich niedrigen Zinsen den drastischen Rückgang auf 7 Milliarden DM haben. Das ist sehr beachtenswert.
Ich sage noch einmal: Daß es auch und insbesondere durch die weiterführenden Beschlüsse der Kollegen im Haushaltsausschuß möglich war, einen Rückgang des Bundesbankgewinns von fast 6 Milliarden DM ohne eine Erhöhung der Neuverschuldung aufzufangen, ist eine sehr respektable Leistung.
({2})
Wir wollen, meine Damen und Herren, den überhöhten Staatsanteil und die Steuerquote schrittweise weiter zurückführen. Das ist nur unter den Bedingungen einer wachsenden Volkswirtschaft möglich. Wenn die frei werdenden Mittel im privaten Sektor produktiver angelegt werden, dient dies auch unseren Gemeinschaftsaufgaben, unseren Zukunftsaufgaben. Wir sind der Meinung, daß nicht der Staat allein oder vorrangig, bei aller Verantwortung, die er hat, zur Lösung von Gemeinschaftsaufgaben beitragen soll. Wir sind der Überzeugung, daß der private Sektor, daß die freien, mündigen, sozial engagierten Bürger einen entscheidenden und noch größeren Beitrag dazu leisten müssen. Das ist auch ein fundamentaler Unterschied.
({3})
Die Erfahrungen der letzten Jahre sind durchaus ermutigend. Der Aufschwung, zunächst stark vom Export geprägt, wird seit 1984 vor allem durch die erwähnten erheblich gestiegenen privaten Investitionen und seit 1986 erfreulicherweise durch einen kräftig wachsenden privaten Verbrauch der breiten Schichten der Bevölkerung - nicht einiger weniger Privilegierter - getragen.
({4})
Trotz steigender Beschäftigtenzahlen haben wir eine noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit und beträchtliche sektorale und regionale Probleme.
({5})
Wir müssen sie ernst nehmen.
Aber, meine Damen und Herren - ich will Ihnen das noch einmal sagen, Herr Apel, weil Sie das erneut übersehen haben -: Wir haben im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit die Instrumente ge19206
zielter Beschäftigungspolitik ganz erheblich verstärkt. 1987 sollen 5,6 Milliarden DM allein für berufliche Fortbildung und Qualifikation zur Verfügung stehen.
({6})
Das sind 49,5 % mehr als in Ihrem letzten Regierungsjahr 1982.
({7})
Ferner sollen 3,2 Milliarden DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Das sind 270% mehr als vor fünf Jahren.
Sie müssen doch einmal mit den Sprüchen aufhören, die leider auch Herr Ernst Breit pausenlos verbreitet,
({8})
wir seien passiv in puncto Arbeitsmarktpolitik, wir würden nur auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft vertrauen.
({9})
Das sind doch alles Sprüche und Nebelkerzen, wenn man einmal die Entwicklung dieser großen Leistungen des Bundes für Qualifikation und Arbeitsbeschaffung sieht.
({10})
Steigende öffentliche Investitionen, vor allem bei den Kommunen und der Bundespost, kommen hinzu. Ich habe mich wirklich sehr gewundert, Herr Kollege Apel, daß Sie hier in so bekannten Sprüchen sagen, ich, wir würden die Investitionen der Städte und Gemeinden verkommen lassen,
({11})
sie seien notleidend. Ich habe noch einmal die Zahlen zur Hand genommen, die wir am letzten Freitag in einem Kreis verantwortlicher und sachkundiger Finanzpolitiker - ich unterstreiche das nach Ihrer Rede ({12})
mit den Finanzministern der Bundesländer und den Präsidialmitgliedern der kommunalen Spitzenverbände im Finanzplanungsrat vier Stunden erörtert haben. Aus den Unterlagen der kommunalen Spitzenverbände - gar nicht so sehr der Bundesregierung; wir müssen hier natürlich den kommunalen Spitzenverbänden und den Ländern vertrauen - ergibt sich folgendes: Die Sachinvestitionen der Gemeindehaushalte betrugen 1985 32 Milliarden DM. Sie sind dann im nächsten Jahr erfreulicherweise auf 34 Milliarden DM angestiegen, und sie werden nach den Aussagen der Gemeinden im Jahre 1987 36 Milliarden DM ausmachen. Das sind Steigerungsraten zwischen 4,7 und 6,5%. Da können Sie nicht davon reden, daß wir die kommunalen Investitionen verkommen lassen. Es ist geradezu absurd, bei diesen Zahlen so etwas zu sagen.
({13})
- Also, eine kurze Frage, jetzt eine kurze?
Bitte sehr.
Herr Kollege Stoltenberg, weil Sie es sind und weil es sonst für Sie auch schwierig zu verstehen ist, eine kurze Frage: Sind Sie bereit, die gesamte statistische Reihe vorzulesen, so daß deutlich wird, daß es 1986 zwar ein bescheidenes Wiederaufleben gegeben hat,
({0})
aber z. B. die Bauinvestitionen der Gemeinden und der Städte immer noch auf dem Niveau der 60er Jahre liegen?
({1})
Herr Kollege Apel, der Anstieg hat nach dieser Statistik der Kommunen bereits 1985 begonnen. Denn da war bereits eine Steigerungsrate von 4,7 % gegenüber 1984 festzustellen.
({0})
- Nein, Sie wollen die Diskussion jetzt auf Vergleichszahlen in den 60er Jahren erweitern.
({1})
Da kann ich Ihnen hier eine andere Vergleichszahl nennen, nämlich die hinsichtlich der Investitionsausgaben des Bundes von 1969 bis 1982. Sie erregen sich hier furchtbar, daß die Investitionsquote in unserer Finanzplanung leicht rückläufig ist. In Ihrer Regierungszeit ist die Investitionsquote bei den Ausgaben des Bundes von 17 % auf ganze 13,1% zurückgegangen. Wie kommen Sie eigentlich dazu, sich bei dieser Bilanz, die Sie hinterlassen haben, so furchtbar über andere Leute aufzuregen?
({2})
Alle diese Versprechungen, die Sie hier vor der Wahl machen, sind doch nicht sehr überzeugend. Sie sagen, wir wollen die Investitionen steigern. Sie haben sie in Ihrer Regierungszeit massiv verfallen lassen. Sie sagen, wir wollen die Freibeträge für Kinder im Steuerrecht abschaffen und werden dann das Kindergeld massiv erhöhen. Zu viele Menschen erinnern sich, daß Sie das 1981 ohne soziale Differenzierung um eine Milliarde DM gekürzt haben. Das ist eine Hinterlassenschaft aus Ihrer Regierungszeit.
({3})
Meine Damen und Herren, auch in der kommenden Wahlperiode geht es darum, eine möglichst konfliktfreie Übereinstimmung von Haushalts-, Steuer- und Währungspolitik zu erreichen. Deshalb müssen wir ein Gleichgewicht zwischen Steuersenkungs- und Konsolidierungspolitik finden. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Darüber einmal sachkundig zu diskutieren, wird nach der Wahl vielleicht wieder eher möglich sein; es wäre lohnend.
Eine niedrigere Steuerlast und eine bessere Steuerstruktur verstärken Wachstumskräfte. Aber ich stimme dem Sachverständigenrat zu, wenn er auf Grund der amerikanischen Erfahrungen vor übersteigerten Erwartungen bezüglich einer Selbstfinanzierung von Steuersenkungen warnt.
({4})
Und weil wir die Steuern senken wollen, weil wir die Steuerstruktur verbessern wollen, sind auch Länder und Gemeinden zur Ausgabenbegrenzung aufgerufen; ich unterstreiche das, was Manfred Carstens hier schon gesagt hat. Einige laufen uns ein Stück aus dem Ruder; das muß man sehr klar sagen. Auf diesem Wege helfen wir auch der Bundesbank bei ihrer erfolgreichen Stabilitätspolitik.
Herr Kollege Apel, auch Ihre Anklagen hinsichtlich des Anstiegs der Lohnsteuerquote sind erstaunlich. In Ihrer Regierungszeit ist der Anteil der Lohn- und Einkommensteuer am Gesamtsteueraufkommen von 33 % auf 40% angestiegen.
({5})
Das ist eine geradezu dramatische Entwicklung zu Lasten der arbeitenden Menschen, ist das Ergebnis von 13 Jahren, in denen Sie regiert haben.
({6})
- Der Anteil der Lohn- und Einkommensteuer ist von 33 auf 40 % gestiegen. Wir können uns über die Zahlen nachher auseinandersetzen, wenn Sie das wünschen.
({7})
Das ist natürlich der Grund, weswegen wir eine grundlegende Steuerreform, den linear-progressiven Tarif brauchen, der die unerträgliche Grenzbelastung für die Mehrzahl der arbeitenden Menschen drastisch verringern muß und der insbesondere die mittleren Einkommen, die Facharbeiter, die kleinen Selbständigen, die Angestellten und Beamten vergleichbarer Einkommensgruppen, entlasten soll. Das ist unser Ziel, Herr Kollege Apel,
({8})
und nicht all das, was Sie hier an abwegigen Unterstellungen mit Geheimplänen und Umverteilungsgesichtspunkten phantasiereich vorgetragen haben.
Ich möchte dazu länger reden, aber ich sehe, daß einige schon ein bißchen besorgt auf die Uhr schauen. Ich auch.
Meine Damen und Herren, wir müssen auf diesem Wege konsequent weitergehen. Ich sagte es schon: Wir sind entschlossen, die Steuerpolitik zu einem Kernstück unserer Politik der kommenden Jahre - weit über die Finanzpolitik hinaus - zu machen.
Ermutigend ist die Erwartung des Sachverständigenrates - so in dem Gutachten nachzulesen -, daß sich der Aufschwung nach einer verhaltenen Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte 1987 wieder verstärkt. Für uns ist eine lang anhaltende Periode des Wachstums in Stabilität, der Zunahme der Beschäftigung wichtiger als eine kurzfristige Phase hoher Expansionsraten, die nicht von Dauer sein kann. Wir haben das im September - ich habe mich darauf bezogen - unseren amerikanischen Freunden klargemacht. Ein verhalteneres, aber anhaltendes Wachstum in Stabilität ist wichtiger als ein kurzfristiges Hochfahren mit Inflation, das dann wieder in einen Abschwung einmündet.
({9})
Wir sind für wirtschaftliches Wachstum mit einem strengeren ökologischen Ordnungsrahmen. Aber wir sind keine Wachstumsfetischisten.
({10})
Zur dauerhaften Verbesserung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation gehört eine Verringerung der Steuerquote. Sie, Herr Apel, haben das in Ihrem im August 1986 in Nürnberg beschlossenen Wahlprogramm grundsätzlich abgelehnt. Damit haben Sie sich den Zugang zu einer anhaltenden Senkung der Einkommen- und Lohnsteuerlast für die arbeitenden Menschen versperrt.
({11})
Sie müssen das endlich einmal in der zeitlichen Perspektive sehen, Herr Apel, und nicht immer nur vordergründig auf Jahresrechnungen schauen. Der heute 38- bis 40jährige tüchtige Arbeiter, der 38 000 oder 40 000 DM verdient, hat doch zu Recht die Erwartung, durch Tarifverträge und beruflichen Aufstieg in 10 oder 15 Jahren auch einmal 55 000 und 60 000 DM zu verdienen.
({12})
Diese persönliche Lebensperspektive müssen Sie doch einmal sehen. Wenn Sie dann sagen, Sie wollten die da unten entlasten, aber die ab 60 000 DM mehr belasten, dann belasten Sie auch die qualifizierten Arbeiter hinsichtlich ihrer Perspektiven für die kommenden Jahre.
({13})
Herr Bundesminister, das veranlaßt den Abgeordneten Apel, den Wunsch nach einer erneuten Zwischenfrage zu äußern.
Da ich kurz vor Abschluß meiner Ausführungen stehe, möchte ich das nicht weiter mit Herrn Apel vertiefen.
Meine Damen und Herren, diese Alternative - darin liegt sicher auch der Wert der heutigen Diskussion und Auseinandersetzung - ist für jedermann erkennbar. Wir wissen, daß noch große Aufgaben vor uns liegen. Aber wir glauben nach der Bilanz der letzten Jahre, daß wir sie in einer Gemeinschaftsleistung mit der Politik erneuerter sozialer Marktwirtschaft meistern können.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Wieczorek ({0}).
({1})
Herr Präsident, vielleicht warten wir noch einen Moment, bis sich die Reihen wieder beruhigt haben.
({0})
Herr Abgeordneter, ich habe Verständnis dafür und bitte die Kollegen, die das Haus verlassen wollen, dies schnell zu tun, damit der Abgeordnete Wieczorek anfangen kann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Stoltenberg hat soeben seine Ausführungen damit begonnen, daß er gesagt hat, er wollte eine Bilanz aus seiner Sicht ziehen. Herr Minister, Sie gestatten, daß ich die Bilanz aus meiner Sicht ergänze, vielleicht auch etwas anders ziehe und dabei möglicherweise nicht auf Ihr Verständnis stoße. Ich bitte auch von vornherein um Verständnis dafür, daß die Striche vielleicht nicht so scharf sind, sondern daß das eine oder andere hier von mir vielleicht etwas holzschnittartiger dargestellt wird.
({0})
Meine Damen und Herren, die Haushaltsberatungen im Ausschuß des Deutschen Bundestages haben nämlich unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
({1})
Diese Bundesregierung und die Parlamentarier der Koalition nehmen nämlich die Beratungen zum Bundeshaushalt 1987 nicht mehr ernst. Finanzielle Probleme werden auf den Zeitpunkt nach der Bundestagswahl verschoben,
({2})
ungedeckte Wahlversprechen haben Konjunktur. Neue Ankündigungen für die nächste Legislaturperiode sollen die Negativrekorde der letzten vier Jahre übertünchen.
({3})
Ihre angeblichen Sparerfolge beim Haushalt 1985 sind in Wirklichkeit, Herr Kollege Carstens, der haushaltspolitische Offenbarungseid.
({4})
Sie haben die Wirklichkeit aus den Augen verloren. Sie haben die Chance vertan, den weltweiten wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit zu nutzen.
({5})
Sie haben sich mit der Massenarbeitslosigkeit abgefunden und warten darauf, daß die Probleme der
vielen arbeitslosen Menschen von selbst erledigt
werden. Sie haben über 2 Millionen registrierte arbeitslose Menschen abgeschrieben.
({6})
Ihre gesamte Haushalts- und Finanzpolitik ist nur noch auf den Wahltermin ausgerichtet.
({7})
Aber, meine Damen und Herren, täuschen Sie sich nicht, Sie versuchen, die Rechnung ohne den Wirt zu machen, Herr Kollege Weng. Wenn Sie den Wähler für dumm verkaufen wollen, werden Sie sich wundern.
({8})
Sie preisen immer wieder die niedrigen Ausgabensteigerungsraten im Bundeshaushalt. Von 1983 bis 1987 sollen die Ausgaben des Bundes nach Ihren Planungen um knapp 10% steigen. Aber was steckt denn wiklich hinter dieser Zunahme von nur 10 %? Sie haben die Sozialleistungen regelrecht zusammengeknüppelt.
({9})
Der Sozialetat wird auch 1987 noch unter dem Volumen des Jahres 1982 liegen. Der Etat für Bildung und Wissenschaft wird 1987 ebenfalls unter dem Volumen von 1982 liegen, und Sie selbst sind auf dem besten Weg, diesen Etat verkommen zu lassen.
({10})
Der Forschungsetat - meine Damen und Herren, das nächste Beispiel - wird 1987 nur knapp über dem Volumen von 1982 liegen. Die Ausgaben für Forschung und Technologie werden mit 5% seit 1982 nur halb so stark gestiegen sein wie die Gesamtausgaben des Bundes. Das ist Ihre Perspektive für die Zukunft von Forschung und Technologie.
({11})
Die Ausgaben für Jugend, Familie und Gesundheit werden mit knapp 4 % weniger als halb so stark ansteigen wie die Gesamtausgaben des Bundes. Das ist das traurige Ergebnis Ihrer Familienpolitik.
({12})
Herr Bundesfinanzminister, wohin ist das Geld gegangen? Ich will es Ihnen sagen: Der Verteidigungsetat ist um 15% ausgeweitet worden, den Landwirtschaftsetat haben Sie um fast 30 % erhöht,
({13})
und der Etat des Wirtschaftsministers weist eine
Steigerung von 25% aus. Das sind alles SteigerungsWieczorek ({14})
raten, die weit über dem Durchschnitt des Anstiegs des Gesamthaushalts liegen.
({15})
Sie brauchen sich nicht aufzuregen: Noch nie ging es den Bauern so schlecht wie bei Ihnen, und noch nie wurde so viel Geld für die Landwirtschaft ausgegeben.
({16})
Die Bauern mit kleinem und durchschnittlichem Einkommen sind in arger Existenznot. Das ist die Folge Ihrer verfehlten Politik in Brüssel, Ihrer verfehlten Agrarpolitik. Trotz der großen Steigerungsraten im Wirtschaftsetat müssen wir Jahr für Jahr Pleitenrekorde hinnehmen. Irgend etwas - das müssen Sie sich doch selbst sagen - stimmt an Ihrer Politik nicht.
({17})
Die Haushaltspolitik ist unter Ihrer Regierungsverantwortung in die falsche Richtung gelaufen. Es ist Zeit für eine Umkehr, damit Schlimmeres verhütet wird.
({18})
- Wir haben nie eine Politik vertreten, bei der ein Mehr-Schuldenmachen zum Inhalt eines Antrages gemacht worden ist. Es war falsch, was bisher hier gesagt wurde. Ich bitte den Bundesfinanzminister, sich hier zu korrigieren. Es hat keinen sozialdemokratischen Antrag in den letzten fünf Jahren gegeben, der darauf hinzielte, die Nettokreditaufnahme zu erhöhen.
({19})
Ich beweise Ihnen auch gleich, wo die Finanzreserven stecken, mit denen Sie vernünftige Dinge finanzieren können.
({20})
- Wir haben keine Illusionen. Wir sind kühle, nüchterne Rechner, Herr Kollege.
Was wollen wir? Ich will es Ihnen sagen: Wir wollen der Forschung wieder den Rang einräumen, der ihr gebührt, allerdings mit anderen Schwerpunkten und mit einer anderen Richtung, beispielsweise in Richtung nichtnuklearer Energieforschung. Wir wollen im Bildungs- und Wissenschaftsetat alles tun, um der Jugend eine Chance und eine Perspektive für die Zukunft zu eröffnen.
({21})
Wir wollen die Investitionen verstärken, wir wollen die Familienförderung gerechter gestalten, wir wollen eine wirkliche Umstrukturierung der Haushalte. Wenn ich Umstrukturierung sage, heißt das, daß
wir die Ausgabenschwerpunkte anders als Sie setzen wollen.
({22})
Dazu werden wir z. B. die Verteidigungsausgaben auf den Anteil des letzten Haushaltes der sozialliberalen Koalition zurückführen, ohne daß hierdurch die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes beeinträchtigt wird.
({23})
Aber sehen wir uns doch den Haushaltsentwurf der Koalition noch etwas näher an. Die Beratungen im Haushaltsausschuß - ich habe es schon angedeutet - waren ein Trauerspiel. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben die Kollegen der Koalitionsfraktionen zu reinen Erfüllungsgehilfen Ihrer Politik gemacht.
({24}): Das lassen wir mit uns
nicht machen!)
Ich habe schon im September in einer Presseerklärung vorausgesagt, was in den Ausschußberatungen passieren wird. Und glauben Sie mir, ich bin keineswegs stolz darauf, daß sich alle Voraussagen tatsächlich bewahrheitet haben. Was haben Sie getan?
Sie haben bloße Schätzwerte wie Zinsen und Gewährleistungen herabgesetzt. Sie haben die Subventionen weiter aufgestockt, weil Sie kein vernünftiges Konzept haben, um z. B. den Problemen der Küstenländer und ihrer Werften entgegenzuwirken. Ihr einziges Ziel war es, die Höhe der Neuverschuldung für das kommende Jahr optisch unter die des Vorjahres zurückzuführen. Jedes Mittel war Ihnen dazu recht: Arbeitslosigkeit, neue Armut, finanzielle Lage der Familien. All diese zentralen Punkte spielten dabei keine Rolle. Als das Ziel gefährdet war, griffen die Parlamentarier der Koalition zur Notbremse, indem sie ihr Budgetrecht aufgaben. Das habe ich überhaupt nicht verstanden.
({25})
Sie wissen doch genau, was eine Haushaltssperre bedeutet: Sie bedeutet politische Handlungsunfähigkeit.
({26})
Sie bedeutet Verabschiedung von der politischen Gestaltungsmöglichkeit. Damit hat die Mehrheit dieses Parlaments die Gestaltungsmöglichkeit des Haushaltes der Exekutive zurückgegeben. Und das, meine Damen und Herren, ist Ihrer unwürdig.
({27})
Es ist ein haushaltspolitischer Offenbarungseid. Es ist deshalb anmaßend, hier große Festtagsreden über ihre Leistungen zum Bundeshaushalt zu halten.
({28})
Statt dessen sollten Sie den Arbeitslosen im Lande Ihr Versagen beim Abbau der Massenarbeitslosigkeit erklären. Sie sollten den Bürgern reinen Wein einschenken, was sie nach den Wahlen tatsächlich noch erwartet. Wenn Sie im Haushalt 1,4 Milliarden DM an Ausgaben exakt festgelegt
Wieczorek ({29})
haben, die Mittel dann aber gesperrt haben, dann heißt das: 1,4 Milliarden DM wollen Sie gar nicht erst ausgeben; Sie überlassen es dem Finanzminister, wo er bei seinem Sparen die Schwerpunkte setzt. Das heißt mit anderen Worten: 1,4 Milliarden DM bedeuten 40 000 Arbeitsplätze; diese besetzen Sie in diesem Jahr nicht. Das ist hausgemachte Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren.
({30})
Aber das ist Ihre Finanzpolitik, die ich ein Armutszeugnis nenne. Das nenne ich einen Schlag ins Gesicht für die arbeitslosen Menschen, die Sie hier völlig vergessen haben. Mit solchen Maßnahmen verringern Sie nämlich die hausgemachte Arbeitslosigkeit nicht, sondern Sie erhöhen Sie.
Meine Damen und Herren, rechnet man die Haushaltssperre und die globalen Minderausgaben in den verschiedenen Einzelplänen zusammen und rechnet sie zur Neuverschuldung hinzu, Herr Bundesfinanzminister, dann liegt Ihre Neuverschuldung in diesem Jahr deutlich über der Summe, die Sie für 1986 haben, und zwar ganz deutlich, denn die 1,4 Milliarden DM müssen Sie dazuzählen. Sie haben Ihr Ziel nicht erreicht, die Neuverschuldung 1987 unter den Betrag von 1986 zurückzuführen.
Herr Bundesfinanzminister, niemand kann Ihnen die Verantwortung dafür abnehmen, daß Sie von 1983 bis 1986 den Schuldenstand des Bundes um 100 Milliarden DM erhöht haben und nach Ihrem eigenen Finanzplan bis 1990 weitere 100 Milliarden DM zusätzlicher Verschuldung aufzubringen haben.
({31})
Sie haben ein Negativvermögen - das mir viel zu hoch erscheint - in der Größenordnung von etwas über 300 Milliarden DM übernommen. Sie sind schon jetzt bei über 415 Milliarden DM, und Sie werden noch vor Ende der nächsten Legislaturperiode nach Ihrer eigenen Planung bei fast 700 Milliarden DM angekommen sein.
({32})
Sie verkünden draußen, daß Sie hier eine Sparaktion machen wollen, daß Sie die Schulden des Bundes zurückführen. In Wirklichkeit tun Sie genau das Gegenteil.
({33})
- Ich gehe von dem aus und werte das, was der Finanzminister hier vorgelegt hat, Herr Kollege Waigel. Wenn die Wahl vorbei ist, werden die Sachen anders aussehen.
({34})
Bei uns wird es eine derart unsolide Finanzplanung nicht geben.
({35})
- Sie brauchen keine Sorgen zu haben, Herr Kollege, woher das Geld kommt. Ich komme darauf gleich zurück.
({36})
Ich will Ihnen einmal den Bundesbankgewinn vorrechnen. Auch wenn es Ihnen nicht paßt, Herr Kollege Friedmann: Das sind Fakten, das sind Tatsachen, die müssen Sie einfach hinnehmen. Auch wenn es einem nicht paßt, muß man sich ein bißchen beherrschen können.
Bis 1990 planen Sie Bundesbankgewinne in der Größenordnung von 75 Milliarden DM ein. Um 75 Milliarden DM läge die Verschuldung des Bundes noch höher, wenn dieser Geldregen von der Bundesbank ausgeblieben wäre. Diese 75 Milliarden DM hat Ihnen die Regierung Schmidt als Erbe hinterlassen.
({37})
- Das ist Erblast aus einer anderen Sicht, meine Damen und Herren.
({38})
Aber Sie müssen den Fakten schon ins Auge blikken.
({39})
Lassen Sie uns aber weitergehen in das Jahr 1987, und lassen Sie uns untersuchen, wie Sie jetzt noch versuchen wollen, den Ausgleich zu bekommen.
({40})
- Es tut weh, ich weiß.
({41})
- Herr Kollege, wenn ich jetzt das aussprechen würde, was mir dazu einfällt, bekäme ich einen Ordnungsruf. Und für den geht Ihnen die Würde ab.
({42})
Ich wäre den Damen und Herren Abgeordneten dankbar, wenn Sie sich mit den Zwischenrufen ein wenig zurückhielten; denn sonst sind sie nicht mehr verständlich.
Herr Präsident, mich stört es nicht. Ich bin selbst ein geübter Zwischenrufer. Darum habe ich damit keine Probleme.
Ich will aber meine Ausführungen zur Neuverschuldung nun weiterführen. In diesen Haushalt
Wieczorek ({0})
haben Sie schlicht und einfach, als Sie keinen Ausgleich mehr hinbekommen haben, 3,3 Milliarden DM eingesetzt, die Sie aus Verscherbelung von Bundesvermögen beziehen.
({1})
Ich meine die Erlöse aus dem Verkauf von VEBA und VW. Diese beiden großen gesunden Unternehmen mußten verkauft werden, damit ein Ausgleich für den Rückgang der Bundesbankgewinne gefunden werden konnte. Wenn Sie die Privatisierung unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten preisen,
({2})
nenne ich das das Stopfen von Haushaltslöchern durch die Verscherbelung von Bundesvermögen.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie hatten vier Jahre Zeit, die angekündigte Wende herbeizuführen.
({4})
Sie hatten vier Jahre Zeit, die Massenarbeitslosigkeit zurückzuführen. Sie hatten vier Jahre Zeit, die Schulden abzubauen. Und was haben Sie getan?
({5})
Statt sich um den inneren Frieden in dieser Republik zu sorgen, haben Sie durch aggressive Politik und dumme Parolen unsere Gesellschaft gespalten.
({6})
Für mich als praktizierenden Katholiken gilt immer noch das Motto des Katholikentages von 1949.
({7})
Dieses Motto des Katholikentages hieß: „Gerechtigkeit schafft Frieden". - Herr Kollege, wenn Sie etwas Geduld hätten und etwas mehr zuhörten, könnten Sie sich, glaube ich, mit meinen Ausführungen voll identifizieren; denn dieses Motto des Katholikentages 1949 „Gerechtigkeit schafft Frieden" hat mein Leben bestimmt.
({8})
Es hat damals auch am Beginn der ersten Regierung Adenauer gestanden; denn der Katholikentag 1949 war auf dem katholischen Sektor der Auftakt für die Bundesrepublik Deutschland. Das hätten eigentlich eher Sie sich überlegen können.
({9})
„Gerechtigkeit schafft Frieden" muß das Motto sein, das wir über unsere Politik legen lassen können müssen. Wir dürfen uns keine ungerechte Politik erlauben, die den sozial Schwächeren trifft.
Die Zahlen, die Herr Minister Stoltenberg hier bezüglich der Sozialausgaben genannt hat, sprechen genau das Gegenteil dessen aus, was er damit sagen wollte. Daß die Sozialausgaben gestiegen sind, ist die Folge davon, daß mehr Sozialhilfe nötig wird, daß mehr Menschen in Not sind.
({10})
Darum sind die Ausgaben für die Sozialhilfe gestiegen.
({11})
Wir haben nämlich noch nie einen so hohen Anteil von Menschen gehabt, die auf Sozialhilfe angewiesen waren. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Das sind Tatsachen, die sich in den letzten vier Jahren ergeben haben.
Lassen Sie mich zu einem anderen Feld kommen und in gleicher Weise noch einmal den Bundeskanzler zitieren. Der Bundeskanzler hat hier im Dezember 1982 wörtlich gesagt:
Wir wollen nicht, daß Mittel, die von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen, auf Bürger verteilt werden, die selbst leistungsfähig sind.
Was ist aber tatsächlich passiert? Sie haben den Kleinen in die Tasche gegriffen und den Wohlhabenden gegeben.
({12})
Sie haben Arbeitnehmern, Rentnern, Arbeitslosen, Schülern, Studenten und Familien
({13})
Belastungen in Größenordnungen von 60 Milliarden DM aufgebürdet.
({14})
Im Unterschied dazu haben Sie die Spitzenverdiener ungeschoren gelassen. Sie haben sogar vorzeitig die Zwangsanleihe zurückgezahlt. Herr Bundeskanzler, ich würde Sie gerne fragen:
({15})
Wie stehen Sie eigentlich heute da mit Ihrer Aussage von damals, daß Sie Mittel, die von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen, nicht an Bürger verteilen wollten, die selbst leistungsfähig sind?
({16})
In Wirklichkeit haben Sie genau das Gegenteil von dem getan, was Sie angekündigt haben.
In dieses Bild, meine Damen und Herren, passen auch die großspurigen Ankündigungen zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit. In den ersten beiden Jahren Ihrer Regierungszeit wollten Sie die Arbeitslosigkeit auf eine Million abbauen. Heute ha19212
Wieczorek ({17})
ben wir fast 400 000 arbeitslose Menschen mehr als 1982.
Die Kosten für die Arbeitslosenhilfe sind explodiert und um 9 Milliarden DM gestiegen, die Kosten für Sozialhilfe auf 20 Milliarden DM gestiegen. Mit 55 Milliarden DM jährlich werden die öffentlichen Haushalte durch die Arbeitslosigkeit belastet. Hätten Sie Ihre Ankündigungen und Versprechungen gehalten, dann wäre ein finanzieller Spielraum von mehr als 25 Milliarden DM pro Jahr vorhanden. Das wären bis heute schon 60 Milliarden DM. Was hätten Sie damit alles in Bewegung setzen können, um Menschen in Arbeit zu bringen!
({18})
Ich sage Ihnen auch, was wir damit machen wollen. Wir wollen damit das „Sondervermögen Arbeit und Umwelt" umsetzen. Wir wollen das Projekt „Aktive Arbeitspolitik", wir wollen wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugend- und der Langzeitarbeitslosigkeit. Wir wollen, daß die öffentlichen Investitionen endlich verstärkt werden und der Bund hier mit gutem Beispiel vorangeht und nicht immer andere zu verstärkten Investitionstätigkeiten auffordert und selbst die Investitionen verkommen läßt.
({19})
Herr Bundesminister, es ist Zahlenspielerei, wenn Sie hier im Deutschen Bundestag verkünden, daß Ihre Investitionen hochgegangen seien. Sie haben in Ihre Investitionen das BAföG-Darlehen mit aufgenommen und zählen es als Investition mit.
({20})
- Sie haben in Ihren Investitionsannahmen auch die Gewährleistungen mit drin.
({21})
Die alle werden mit hineingenommen, die zähle ich aber unter „Arbeit schaffen" nicht mit. Bei den Gewährleistungen habe ich schon das letztemal gesagt: Da gibt es eine Ausnahmesituation. Ich wäre bereit, sie mit hineinzunehmen, dann aber vorher. Es geht nicht an, etwa mit Taschenspielertricks hier dauernd Statistiken zu schönen; das ist Ihre Lieblingsbeschäftigung.
({22})
Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wollen eine wirksame Bekämpfung regionaler und sektoraler Strukturkrisen. Auch hierzu müssen Investitionen und Innovationen gefördert werden,
({23})
damit den Standorten von Kohle, Stahl und Werften tatsächlich geholfen wird.
Ich nehme den „Vorsitzenden" zurück und ersetze ihn durch „Präsident". Einverstanden, Herr Waigel? - Prima! Dann haben Sie Ihre Ruhe, und das Haus hat einen Moment Gelegenheit zu entspannen. Ich sehe das j a ein.
Ich gehe zu einem anderen Problemfeld über, das vom Bundesfinanzminister eben falsch dargestellt wurde.
({24})
- Mein Zustand ist gut, und der meiner Partei entspricht meinem persönlichen Zustand.
({25})
- Sie glauben gar nicht, wie vital ich noch bin.
({26})
- Lacht nicht an der falschen Stelle, Freunde!
({27})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte jetzt auf die Lage der Gemeinden kommen, die eben vom Finanzminister aus meiner Sicht nicht sauber dargestellt wurde. Wir wollen nämlich, daß der Bund endlich seine Investitionen macht, aber wir wollen auch, daß die Investitionskraft der Gemeinden erhalten bleibt, und nicht etwa, daß sie die großen, dringenden Aufgaben, die sie auf dem Gebiet der Umweltsanierung und der ökologischen Erneuerung haben, nicht tragen können. Die Gemeinden sind nach wie vor der größte Investor der öffentlichen Hand. Es kann nicht angehen, daß die Finanzlage der Gemeinden durch Maßnahmen des Bundes immer mehr eingeengt wird.
({28})
Es kann nicht angehen, daß die Gemeinden mit dem Rücken an der Wand stehen und ihre Investitionen nur deshalb herunterfahren, um ihre Sozialhilfeausgaben finanzieren zu können.
({29})
Es muß endlich damit Schluß gemacht werden, daß sich der Bund auf Kosten der Länder und Gemeinden entlastet.
Der Bundesfinanzminister brüstet sich mit niedrigen Zuwachsraten bei den Ausgaben im Bundeshaushalt, gleichzeitig kritisiert er auch heute morgen wieder die größere Ausgabensteigerung bei Ländern und Gemeinden. Die Ursachen für die höheren Ausgaben bei Ländern und Gemeinden werden durch die eigene Dokumentation der Bundesregierung aufgedeckt. Aus dem eben zitierten Sozialbericht 1986 ergibt sich nämlich die Belastung der öffentlichen Hand durch die Sozialleistungen. In den Jahren 1982 bis 1986 stiegen die Finanzierungslasten für die Gemeinden um 21 %, die der Länder um 19%, dagegen nahm die Belastung des Bundes um knapp 5 % zu. Das ist das Ergebnis, welches der Bundesfinanzminister mit den Verschiebungen der
Wieczorek ({30})
Bundeslasten auf Länder und Gemeinden erzielt hat!
({31})
Aber, Herr Bundesminister, lassen Sie mich für die Sozialdemokraten noch einmal ganz deutlich sagen: Haushalte von Ländern und Gemeinden sind keine Verschiebebahnhöfe für finanzielle Risiken des Bundes.
({32})
Lassen Sie mich nun zu den Subventionen kommen, zu dem wohl traurigsten Kapitel Ihrer bisherigen Regierungsarbeit.
({33})
Auch da darf ich noch einmal den Bundeskanzler zitieren, der hier im Januar 1982 gesagt hat:
Ich erinnere an den Vorschlag der fünfprozentigen Kürzung, einen Vorschlag, der nicht nur so dahingesagt war.
Offensichtlich, Herr Bundeskanzler, war das aber doch nur so dahingesagt;
({34})
denn von 1982 bis heute sind die Subventionen des Bundes um über 33 % gestiegen.
({35})
Wenn man die Steuersubventionen von Bund, Ländern und Gemeinden zusammennimmt, kommen hier noch einmal 50 % zusammen.
Lassen Sie uns doch gemeinsam untersuchen, wieviel Mittel eigentlich frei würden, wenn Sie die Kraft gehabt hätten, die Voraussetzungen umzusetzen, die gegeben waren, als Sie an die Regierung kamen. Was wäre alles da, wenn Sie die Ankündigung der Kürzung um 5% wirklich eingehalten hätten? 1982 lag die Finanzhilfe bei 13 Milliarden DM. Wenn ich eine fünfprozentige Kürzung bis heute durchrechne, dürften das jetzt bestenfalls noch 10,5 Milliarden sein. Tatsächlich aber liegen Sie im Augenblick nicht bei 10,5 Milliarden, sondern bei 15,5 Milliarden. Statt 2,5 Milliarden einzusparen, wie Sie großspurig angekündigt hatten, haben Sie für 2,5 Milliarden mehr subventioniert als vorher. Anspruch und Wirklichkeit klaffen also um 5 Milliarden auseinander, um 5 000 Millionen Mark oder 125 000 Jahresarbeitsplätze.
({36})
So können Sie es sauber und ordentlich nachrechnen; dann wird ein Schuh daraus, und dann vergeht Ihnen auch das ironische Grinsen. Ich merke auch, daß sie wesentlich ruhiger geworden sind.
({37})
Ich gehe noch einen Schritt weiter und untersuche gemeinsam mit Ihnen noch einmal die von Ihnen gewährten Steuervorteile, die Steuersubventionen von Bund, Ländern und Gemeinden. Da ist die Rechnung noch schlimmer: 1982 lagen die Subventionen bei 30 Milliarden Mark. Nach einem jährlichen Abbau um 5% hätten sie jetzt bei 23 Milliarden liegen müssen. Tatsächlich liegen sie bei 44,5 Milliarden DM. Dieses Anwachsen kann man nur als explosionsartig ansehen. Auch hier also nicht etwa, wie Sie es versprochen hatten, eine Senkung um 7 Milliarden DM, sondern ein Zuwachs und gegenüber der Zielvorgabe eine Differenz von mehr als 20 Milliarden DM! Auch das ist das Geld, das wir benutzen wollen, um eine gezielte Arbeitsmarktpolitik zu betreiben.
({38})
Herr Stoltenberg, Sie sollten heute über Probleme der Einnahmeseite des Bundeshaushaltes nicht klagen; denn wenn Sie klagen, müßten Sie redlicherweise auch zugeben, daß Ihre Liquidität durch ihre eigene Politik gefährdet ist, durch die übertriebenen Subventionen und durch die übertriebenen Steuergeschenke und daß Sie ihre nächste Steuerreform nicht mehr finanzieren können.
({39})
Sie müßten dann auch zugeben, daß Sie zwar den Unternehmen einen Steuervorteil von 10 Milliarden DM eingeräumt haben, daß damit aber keinesfalls irgendwo eine Initialzündung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verbunden gewesen ist.
Ich will Ihnen ein aufschlußreiches Beispiel für ungerechte Steuerpolitik geben: Ein verheirateter Einkommensbezieher mit einem jährlichen Bruttoeinkommen von 305 000 DM erhält durch die Steuersenkung 1988 einen Vorteil von 4 138 DM. Ein verheirateter Gehaltsempfänger mit einem jährlichen Bruttoeinkommen von 32 000 DM erhält dagegen 1988 keinen Pfennig.
({40})
Wissen sie, wen ich da verglichen habe? Ich habe unseren Bundeskanzler mit dem Saaldiener verglichen, der uns hier immer die Post hereinbringt. Auf der einen Seite steht der Saaldiener, der keinen Pfennig bekommt, und auf der anderen Seite steht ein Gehalt in der Größenordnung, wie der Bundeskanzler es bekommt, dessen Höhe ich in ihrer Berechtigung gar nicht anzweifeln möchte. Mir geht es nur darum, die Entlastung um 4 138 DM bei 305 000 DM Jahreseinkommen der Tatsache gegenüberzustellen, daß der kleine Mann schlecht wegkommt, der hier wirklich die Lasten zu tragen hat.
({41})
- Ich habe das nicht mit der Tätigkeit des Bundeskanzlers verglichen, sondern ich habe an zwei uns allen bekannten Personen deutlich gemacht, wie eine Steuerreform, wie sie jetzt angelegt ist, auch wirken kann.
({42}) Meine Zeit - ({43})
Wieczorek ({44})
- Nein, meine Redezeit ist zu Ende. Ich würde gerne mit Ihnen den Dialog weiter fortsetzen. Ich hoffe sehr, daß ich Sie, wenn Sie sich jetzt so erregt haben und dann zur Ruhe gekommen sind, zum Nachdenken gebracht habe. Ich danke Ihnen sehr dafür, daß Sie mir so aufmerksam zugehört haben und so impulsiv mitgegangen sind.
Herzlichen Dank.
({45})
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wieczorek, Gerechtigkeit schafft Frieden. In der Tat: Frieden und Gerechtigkeit, zentrale Ziele unser, ich hoffe, aller Politik.
({0})
Das beinhaltet die Feststellung, daß Frieden auch etwas mit der Abwesenheit von Gewalt zu tun hat. Gewalt steht - darüber wollte ich Sie bitten nachzudenken - in einem Verhältnis zur Sprache. Über Sprachradikalismus entwickelt sich Gewalt.
({1})
Wenn so besonnene Kollegen wie der Kollege Wieczorek Begriffe wie „Sozialleistungen zusammenknüppeln",
({2})
„zu Erfüllungsgehilfen degradieren" und wie die Begriffe alle heißen, gebraucht, dann bitte ich ihn und Sie alle darum, einmal darüber nachzudenken.
Debatten der Haushalts- und Finanzpolitiker zeichneten sich in der Vergangenheit im allgemeinen dadurch aus, daß sie versuchten, bei den Fakten und Daten zu bleiben, um den Anspruch der Seriosität aufrechtzuerhalten.
({3})
Dann gibt es einfach böse Worte, die seriöserweise nicht verwendet werden können,
({4})
z. B. das Wort von der Steuerlüge.
({5})
Ich habe ja Verständnis dafür, daß es ein wenig schwierig ist, ökonomisch gegen die Fakten zu argumentieren.
({6})
- Herr Kollege Apel, ich lasse keine Zwischenfrage zu, ich habe nämlich nur acht Minuten Zeit.
({7})
Meine Damen und Herren - ({8})
Meine Damen und Herren, Entschuldigung, ich muß den Redner einmal unterbrechen. Ich wäre dankbar, wenn Sie dem Redner die Chance ließen, wenigstens einen Satz zu Ende zu bekommen.
Nein, ich hätte das jetzt als exemplarisches Beispiel acht Minuten lang zu Ende gespielt mit „Meine Damen und Herren" und Zwischenrufen. Dann hätte ich vorgeführt, wie Parlamentarismus „auf SPD zu deklinieren" ist.
({0})
Herr Kollege Wieczorek hat in der Tat als letztes einen Punkt angesprochen, über den es sich lohnt nachzudenken: Es handelt sich um die Frage des unterbliebenen Subventionsabbaus. Es wird überhaupt nicht darum herumgeredet, daß uns dies in dieser Legislaturperiode nicht gelungen ist. Aber vielleicht sagt uns Herr Wieczorek, wo wir anfangen sollen. Vielleicht bei den Finanzhilfen für die Finanzierung der knappschaftlichen Rentenversicherung,
({1})
vielleicht bei der Finanzierung der Sozialpläne im Bereich der abzubauenden Arbeitskräfte in der Stahlindustrie, vielleicht bei der Kokskohlenbeihilfe oder wo auch immer?
Wir haben aus dem vergeblichen Bemühen, hier ernsthaft weiterzukommen, etwas gelernt, insbesondere was die Steuersubventionen betrifft. Wir haben gelernt, daß ein durchgängiger Abbau von Steuersubventionen überhaupt nur in Verbindung mit einer drastischen Senkung der Steuern und der Tarife möglich ist.
({2})
Denn unendlich viele Steuersubventionen sind doch überhaupt nur erfunden worden, um den unerträglichen Belastungsdruck unseres überhöhten Tarifgefüges aufzulösen und erträglich zu machen. Ob es sich um den Weihnachtsfreibetrag handelt, oder ob es sich um dieses oder jenes handelt
({3})
- nein, ich will das nicht abbauen -: Das alles sind
Maßnahmen, die eingeführt worden sind, um den
unerträglichen Druck auf Grund des Steuertarifs zu mildern und zu senken.
({4})
- Sorry, Frau Kollegin; was für Herrn Apel gilt, muß leider auch für Sie gelten.
Meine Damen und Herren, ich will noch eine weitere Anmerkung zu dem machen, was Sie als die Steueralternative dargestellt haben, Herr Apel, und zwar ohne irgendwelche Beschönigungen und Verkleisterungen. Sie wollen die Steuerentlastungsstufe 1988 rückgängig machen. Wenn man sich das im Detail anguckt, dann heißt das: Sie wollen die Arbeitnehmer und die Selbständigen ab etwas über 40 000 DM in die Steilwand der Progression hineintreiben.
({5})
- Natürlich stimmt das. Ich habe Ihr Programm sehr genau studiert. Bei etwas über 40 000 DM springen Sie über auf den Tarif 81, und das hat die entsprechenden Wirkungen.
({6})
- Natürlich ist das zutreffend. - Sie wollen das Ehegatten-Splitting kappen, und Sie wollen die Kinderfreibeträge streichen
({7}) und dafür das Kindergeld erhöhen.
Meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister hat bereits darauf hingewiesen: Wir haben 1981 das Kindergeld miteinander um 1 Milliarde DM gekürzt. Ich füge hinzu: Wir haben noch ein weiteres getan, in der alten Regierung und in der neuen. Wir haben von 1975, dem Zeitpunkt der Einführung, an bis zum 31. Dezember 1985 das Erstkindergeld bei 50 DM belassen. Ich kann dazu nur sagen: Wer den schönen Satz zitiert, dem Staat sei jedes Kind gleich lieb und teuer, verkennt fundamental, wer eigentlich in unserer christlich-abendländischen Gesellschaft in erster Linie dafür da ist, sich um den Unterhalt der Kinder zu kümmern. Wer die Alimentierung, wer den Unterhalt unserer Kinder den Haushaltszwängen unserer Finanzminister überläßt, handelt nach meinem Dafürhalten verantwortungslos, wie nämlich die zehn Jahre von 1975 bis 1985 eklatant und deutlich bewiesen haben.
({8})
- Das ist sehr wohl ein Grund, gnädige Frau.
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben übrigens das Ergänzungskindergeld eingeführt und angehoben, wie Sie wissen.
Ich will Ihnen einmal etwas verdeutlichen. Nach den Steuerplänen, die wir für die nächste Legislaturperiode entwickelt haben, würde ein verheirateter abhängig Tätiger mit zwei Kindern bei einem Bruttolohn von 25 326 DM steuerfrei sein. Nach dem Programm der SPD, das ja angeblich alle - 80 % oder 90 % - entlasten soll, müßte dieser Mann ungefähr 2 200 DM Lohnsteuer zahlen.
({10})
- Moment, Moment, lassen Sie mich doch ausreden! - Ich bin ein fairer Mensch. Ich rechne die Differenz, die sich aus Ihren Vorschlägen auf Erhöhung des Kindergeldes und dem nach unseren Vorstellungen zu zahlenden Kindergeld ergibt, dagegen, und es bleibt nach SPD-Programm eine Belastung von rund 1 300 DM für diesen Bürger.
({11})
Nun frage ich Sie: Wer ist eigentlich sozial, und was ist die Gerechtigkeit?
({12})
Herr Abgeordneter, das Drängen des Abgeordneten Apel veranlaßt mich, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Ja, das will ich gerne tun.
Die Zeit werde ich Ihnen nicht anrechnen. - Herr Abgeordneter Apel, nun haben Sie die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir bei der Beseitigung der Kinderfreibeträge bei gleichzeitiger kostenneutraler Erhöhung des Kindergeldes für das erste Kind 100 DM, für das zweite Kind 200 DM, also 300 DM im Monat geben werden, und sind Sie bereit, zuzugeben, daß auch nach Ihrer Rechnung 300 mal zwölf immer noch 3 600 DM sind und daß deswegen Ihre Rechnung überhaupt nicht stimmt? Sind Sie deswegen bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß bis zu einem Familieneinkommen von 2 800 DM im Monat, wenn Sie das Kindergeld gegenrechnen, bei unserem Konzept überhaupt keine Abgaben an den Staat fällig werden?
Herr Kollege Apel, erstens: Natürlich kann ich rechnen.
({0})
Ich darf aber nicht Ihre Rechnung aufmachen, weil sie nämlich eine Roßtäuscherrechnung ist. Ich kann nicht zwölf mal 300 rechnen,
({1})
sondern ich muß zwölf mal 300 minus zwölf mal dessen, was die anderen auch in ihrem Konzept haben, rechnen. Nur das ist die Differenz, meine Damen und Herren.
({2})
Zweitens: Diese Rechenmethode, Kindergeld umzurechnen in angeblich steuerfreies Einkommen,
({3})
ist ideal geeignet, Verwirrung bei den Bürgern zu stiften.
({4})
Herr Abgeordneter Gattermann, da ist noch ein Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Wenn der Herr Präsident dabei bleibt -
Ich werde noch einmal dabei bleiben, die Zeit nicht anzurechnen. Dann allerdings läßt es die Geschäftslage nicht mehr zu. - Herr Abgeordneter, Sie haben die Möglichkeit.
Herr Kollege Gattermann, würden Sie mir zustimmen, daß dieses Mal den armen Steuerzahler das Pferd treten würde, das den Kollegen Apel damals getreten hat, als er seine ersten Steuerreformpläne vorgelegt hatte?
Herr Kollege, ich bin so fair, zu dem SPD-Programm zu sagen, daß das berühmte „Apelsche Pferd" die steuerpflichtigen Arbeitnehmer in der Kategorie von etwa 30 000 bis 40 000 DM Einkommen erst in anderthalb bis zwei Jahren treten wird, nicht sofort.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sich mich die Dinge angesichts des Zeitrahmens abschließen. Wir haben einen Kranz vorzüglicher Wirtschaftsdaten. Es gibt ein Datum, das weniger erfreulich ist, aber das ist mehr demographisch als von der Wirtschaftslage her bedingt. Wir haben also auch zunehmende Beschäftigungszahlen. Wir haben eine Finanzpolitik gemacht, die über vier Jahre im Durchschnitt weniger Steigerungsraten auswies als die Hälfte der nominalen Steigerungen des Bruttosozialprodukts. Dies hat uns überhaupt erst wieder finanziellen Handlungsspielraum geschaffen. Uns stören die 100 Milliarden DM aufaddiert neue Verschuldung aus der letzten Legislaturperiode natürlich genauso wie Sie; aber vielleicht stört es Sie gar nicht, weil Verschuldungspolitik zu Ihrer üblichen Finanzierungspolitik gehört.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, entscheidend ist, daß der Zinsaufwand, den unser Bundeshaushalt zu verkraften hat und der inzwischen - wie die mittelfristige Finanzplanung ausweist - auf einem stabilisierten Niveau liegt,
({2})
nicht weitersteigt und nicht laufend steigt wie und das bitte ich sozusagen auf der Zunge zergehen
zu lassen - der Anteil der Zinsen am Bundeshaushalt von 2,46 % im Jahr 1970 auf jetzt 12 %. Auf diesem Niveau haben wir es jetzt stabilisiert, und wir werden es senken mit dieser soliden Finanz- und Haushaltspolitik, die wir fortsetzen.
({3})
Meine Damen und Herren, bevor ich dem Abgeordneten Spilker das Wort gebe, habe ich das Vergnügen und die Ehre, den Präsidenten der Interparlamentarischen Gruppe der Volksrepublik Ungarn, Herrn Sandor Barcs, zu begrüßen.
({0})
Ihr Besuch, Herr Präsident, ist Ausdruck der engen und freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen unseren Parlamenten und unseren Gruppen in der Interparlamentarischen Union. Ich begrüße Sie herzlich und wünsche Ihnen, daß Sie einen angenehmen und auch informativen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Wir bedanken uns für Ihren Besuch, Herr Präsident.
({1})
Nun hat der Abgeordnete Spilker das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Selbsttoren von Herrn Wieczorek in der zweiten Halbzeit
({0})
- die waren sehenswert, muß ich schon sagen - und den vorangegangenen von Herrn Apel wollen wir uns jetzt wieder dem Bundeshaushalt 1987 zuwenden.
({1})
Zunächst darf ich einmal feststellen, daß wir unser Vorhaben aus dem Spätherbst 1982 wahrgemacht haben, in der nun zu Ende gehenden 10. Legislaturperiode die damals zerrütteten öffentlichen Finanzen Schritt für Schritt wieder in Ordnung zu bringen. Nicht nur die Staatsfinanzen waren bekanntlich Ende 1982 in Unordnung geraten. Für den Bürger nicht mehr begreifbare und unfaßbare Schulden belasteten die Fiskalpolitik und haben dazu beigetragen, daß mit der unsoliden Finanzpolitik auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik ins Schleudern geraten sind.
Mit diesem Finanzminister Gerhard Stoltenberg - Sie waren dazu leider nicht fähig, Herr Apel - wurde im Spätherbst 1982 entschieden, mit der erfolglosen und geradezu gefährlichen Finanzpolitik der Regierung Schmidt endgültig Schluß zu machen. Sparmaßnahmen wurden eingeleitet, die Konsolidierungspolitik wurde beschlossen,
({2})
und der damals eingeleitete und beschrittene Weg in den Folgejahren bis hin zu diesem Bundeshaushalt 1987 konsequent fortgesetzt.
({3})
Es stellt sich doch jetzt die Frage: Hat sich diese Politik bewährt und für die Bürger positiv ausgewirkt? Bevor ich diese Frage - mit einem eindeutigen Ja im übrigen - beantworte, möchte ich dies sagen: Der Haushalt 1987 ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Gesundung der öffentlichen Finanzen. Mit ihm setzen wir unsere erfolgreiche Politik fort.
Im Haushaltsausschuß konnten erfreulicherweise noch einige Änderungen erarbeitet werden.
({4})
Wir sollten vielleicht auch einmal unseren eigenen Kollegen danken für die hervorragende und in den letzten Monaten auch aufreibende Arbeit mit dem Erfolg, über den hier bereits gesprochen wurde.
({5})
Mit der Absenkung der Nettokreditaufnahme auf gut 22 Milliarden DM haben wir nunmehr noch eine Kreditfinanzierungsquote von rund 8,3 %. Das ist das beste Ergebnis seit 13 Jahren. Zu Ihrer Zeit, meine Damen und Herren von der SPD, war die Kreditfinanzierungsquote etwa doppelt so hoch, wenigstens in den Jahren 1981 und 1982. Damals belief sie sich auf 15 bzw. 16%. Das heißt, so viel Ausgaben haben Sie über Kredite finanziert. Selbst wenn ich - ich gebe zu - ausnahmsweise einmal den Zahlen der Opposition folge und zur Nettokreditaufnahme den Bundesbankgewinn hinzurechne - das wird j a hier immer wieder erwähnt -, zeigt sich im Vergleich zu 1982, daß wir heute um über 18 Milliarden DM besser dastehen. Das sind, wenn ich es so ausdrücken darf, rund 40%.
({6})
Herr Apel, diese Zahl sollten Sie sich merken, und nicht immer mit pessimistischen Phrasen hier um sich schlagen.
({7})
- Auch ich bin sehr beeindruckt, Herr Wieczorek, heute früh ganz besonders von Ihnen, Herr Apel. Ich war sogar von Ihrer Selbsternennung zum Spitzenverdiener beeindruckt. Ich muß übrigens mal im Handbuch nachschauen, wie sich das alles verhält. Ich fand das großartig. Aber auch Sie sind betroffen. Wenn wir in der nächsten Legislaturperiode eine Steuerreform machen, gehen auch bei Ihnen die Belastungen zurück. Es steht j a nichts entgegen, daß Sie die Gelder, die Sie dann sparen, Ihrer Partei oder der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Verfügung stellen.
({8})
- Sie haben sich zum Spitzenverdiener gemacht, nicht ich.
({9})
Ich dachte, es gibt bei Ihnen nur den Herrn Lappas und ein paar andere. Aber anscheinend habe ich mich da getäuscht.
({10})
Ich komme zu meiner Frage zurück.
({11})
Die solide und Vertrauen schaffende Finanzpolitik dieser Bundesregierung, die Sie, Herr Apel, bestritten haben, mit Bundesminister Stoltenberg als Finanzminister hat in dieser Legislaturperiode entscheidend zur Verbesserung der fundamentalen Grundlagen der gesamten Volkswirtschaft beigetragen. Im Vergleich zu den Jahren 1981 und 1982, also den letzten Jahren Ihrer Regierungsverantwortung, hat sich die grundlegende Neuorientierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik durchgesetzt, zu neuem Optimismus und, was sehr wichtig ist, zu neuem Vertrauen geführt.
Ich möchte dies anhand ganz weniger Beispiele zeigen und damit die vorher gestellte Frage beantworten. Aus Wirtschaftsrückgang der Jahre 1981 und 1982 wurde Wirtschaftswachstum. Der Sachverständigenrat sagt:
Eine anhaltend gute Binnenkonjunktur, weiter zunehmende Beschäftigung und ein nahezu stabiles Kosten- und Preisniveau: dies werden voraussichtlich die Merkmale der wirtschaftlichen Entwicklung im Jahr 1987 sein. Der Aufschwung behält somit sein solides Fundament.
({12})
- Ich komme schon darauf. Warten Sie nur ab.
Aus Inflation zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung wurde Preisstabilität, totale Preisstabilität. Erstmals in einem Aufschwung stiegen die Preise langsamer als das gesamtwirtschaftliche Einkommen.
Meine Damen und Herren, die Kennzeichen Ihrer Politik in den Jahren 1980 bis 1982 waren: rückläufige Wirtschaftsentwicklung und steigende Inflation.
({13})
Ich stelle dem gegenüber: Kennzeichen unserer Politik sind Wirtschaftswachstum und Stabilität.
({14})
Aus Einkommensverlusten der Arbeitnehmer und Rentner wurden reale Einkommenssteigerungen. Aus hohen Beschäftigungsverlusten in den Jahren 1981 und 1982 wurde eine beachtliche Zunahme an Arbeitskräften. Erstmals nach Jahren geht die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr zurück, während 1981 und 1982 die Arbeitslosenzahl mit fast 1 Million geradezu explodierte. Der Sachverständigenrat: Im Ganzen gesehen, gehört die Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt, wie sie sich in diesem Jahre ergeben hat und wie wir sie für das nächste Jahr erwarten, auf die Haben-Seite der wirtschaftlichen Bilanz. Das deckt sich nicht mit dem, was Sie da heute produzierten, Herr Kollege Apel.
({15})
- Der ist ja Spitzenverdiener!
({16})
In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode haben wir die Grundlagen unserer Volkswirtschaft und unserer sozialen Sicherungssysteme auf ein tragfähiges Fundament gebracht. Dieses Fundament werden wir in der kommenden Legislaturperiode weiter festigen und ausbauen.
Hierzu gehört auch eine durchgreifende Steuerreform, über die in letzter Zeit von Zuständigen und weniger Zuständigen viel diskutiert worden ist. Dabei ist für uns völlig klar, daß Steuersenkungen und Ausgabendisziplin zwei Elemente einer soliden Finanzpolitik sind. Das eine geht - ohne Schuldenmacherei - ohne das andere nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, immer mehr Bürger und Unternehmer - ich sprach eben die Pläne zur Steuerreform an - sind in den vorangegangenen Jahren in eine leistungsfeindliche Progression hineingewachsen. Schon in den 70er Jahren war der Ruf nach einer ordnenden Reform drängender geworden. Leider hatte die von der SPD geführte Bundesregierung zu keiner Zeit die Kraft und den Willen, nachhaltig Erleichterung zu schaffen. Im Gegenteil: Die Steuerschraube wurde immer mehr angezogen und das Steuerrecht immer verwirrender. Ausnahmen, Interventionen, Sonderregelungen haben immer neuen Regelungsbedarf geschaffen.
Noch Ende der 50er Jahre fielen nur 5 % der Steuerzahler in die Progressionszone. Ende der 80er Jahre werden es nahezu 70% sein, wenn nichts Entscheidendes geschieht.
Bereits bei mittleren Einkommensgruppen wird schon heute jede zusätzlich verdiente Mark mit 40%, 50 % oder gar 60% an Steuern und Abgaben belastet. Diesen Zustand, meine Damen und Herren, wollen und müssen wir beenden.
({17})
Nach den Sprüchen von heute früh, Herr Apel, darf ich Sie daran erinnern, daß Ihre verfehlte Steuerpolitik von 1971 bis 1981 23 Steuererhöhungsprogramme auf den Weg gebracht hat.
({18})
- Ich werde noch sagen, was Sie unter Steuerentlastung verstehen. Warten Sie nur ab.
Die Steuerquote ist in der Zeit der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung von 22,8 % auf 24 % des Bruttosozialprodukts angestiegen.
({19})
- Die Soße in allen Ehren; den Quatsch überlasse ich Ihnen, gnädige Frau. Die Steuerbelastung unserer Bürger wuchs im Vergleich zur Entwicklung der Volkswirtschaft um 15 Milliarden DM stärker an.
Die Bestandsaufnahme ergibt weiter, daß bei uns die Steuer- und Abgabenlasten auch im internationalen Vergleich zu hoch sind. So liegt unsere Abgabenquote bei nahezu 40 %, während wirtschaftlich erfolgreiche Länder wie die USA, Japan und die Schweiz deutlich niedrigere Quoten aufweisen.
({20})
Gleichzeitig hat sich unsere Steuerstruktur verschlechtert. Der Anteil der Steuern vom Einkommen am Gesamtsteueraufkommen ist während der Regierungsverantwortung der SPD von rund 33 % auf 40 % angestiegen.
Diese Entwicklung zu Lasten der Bürger und der Wirtschaft gilt es zu stoppen. Die Bürger haben uns 1983 den Auftrag erteilt, die zerrütteten Staatsfinanzen neu zu ordnen und der Umverteilungspolitik, die die Steuereinnahmen verschleuderte, die Inflationsrate anheizte, 2 Millionen Arbeitsplätze vernichtete und einen riesigen Schuldenberg hinterließ, endgültig ein Ende zu setzen.
({21})
Unsere Aufgabe ist es - so sehen wir die Politik -, Staat und Gesellschaft für die anstehenden Zukunftsaufgaben vorzubereiten und die inneren Wachstumskräfte unserer Volkswirtschaft durch ein leistungs- und bürgerfreundliches Steuerrecht zu stärken.
({22})
Die Weichen dafür wurden bereits in dieser Legislaturperiode gestellt. Ich möchte nicht alle Steuersenkungen aufzählen; meine Zeit reicht leider nicht. Ich erinnere an das Haushaltsbegleitgesetz 1983, das Steuerentlastungsgesetz 1984 und schließlich an das Steuersenkungsgesetz 1986/88, durch das etwa 19,4 Milliarden DM für die Bürger freigesetzt wurden. In der ersten Stufe wurden vor allem Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen und die Familien mit insgesamt 10,9 Milliarden DM entlastet. 1988 wird der Hauptteil der Progressionsabflachung mit einem Volumen von zusätzlich 8,5 Milliarden DM wirksam.
Die Senkung der Einkommensteuer stellt gleichermaßen einen wichtigen Beitrag zur Rückführung der Unternehmensbesteuerung dar.
Über die Notwendigkeit einer Steuerreform in der nächsten Legislaturperiode, meine Damen und Herren, gibt es einen breiten Konsens. Auch die SPD hat dieses Thema in der letzten Zeit als Wahlkampfschlager entdeckt. Aber anstatt sich durch sachlich fundierte Vorschläge Kompetenz zu verschaffen, kommt sie wieder mit den alten, abgegrifSpilker
fenen Vorschlägen, mit denen sie in der Vergangenheit, wenn sie einmal die Gelegenheit dazu hatte, jämmerlich versagt hat.
({23})
Die Steuerpolitik der CDU/CSU lautet - ganz einfach: Besser niedrige Steuersätze mit weniger Ausnahmen als hohe Steuersätze mit vielen Ausnahmen. Wir wollen Steuerübersicht haben. Wir wollen dem Bürger ermöglichen, daß er überhaupt erkennt, was er an Steuern und wofür er Steuern zahlt.
({24})
Und wir wollen auf der anderen Seite ein gerechteres System. Dafür werden wir uns einsetzen, meine Damen und Herren,
({25})
und das werden wir auch realisieren.
({26})
Daß im Mittelpunkt dieser Steuerreformpolitik ein leistungs- und wachstumsfreundlicher, sanft und gleichmäßig ansteigender Einkommensteuertarif stehen wird, ist in der Zwischenzeit durch Veröffentlichungen und Pressekonferenzen bekanntgeworden. Im übrigen steht diese Steuerreform, was ihre Ausgestaltung angeht, noch in der Diskussion, und wir sollten sie jetzt auch nicht zerreden.
({27})
Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode, wie wir uns das vorgenommen haben, darangehen, diese Arbeit leisten und dann auch zum Erfolg kommen.
({28})
- Das, was Sie jetzt gesagt haben, paßt nicht ganz zu Ihrer Bemerkung über den Katholikentag in Ihrer Rede.
({29})
- Ich meine, das Wort „Amen" paßt hier nicht.
({30})
Die SPD, die sich mit ihren Steuererhöhungsprogrammen einen Namen gemacht hat, war bei neuen Vorschlägen für Steuer- und Abgabenerhöhungen immer sehr erfindungsreich. Während die CDU/CSU, wie gesagt, auch für die nächste Legislaturperiode Steuersenkungen und Ausgabenzuwachsbegrenzung als Grundpfeiler ein und derselben Finanzpolitik ansieht, will die SPD den Rückfall in die Mißwirtschaft der 70er Jahre proben durch: Einführung einer Ergänzungsabgabe für Besserverdienende, Revitalisierung oder Erhöhung der Gewerbesteuer, Kappung des Ehegatten-Splittings,
({31}) Abschaffung der Kinderfreibeträge,
({32}) Anhebung der Einheitswerte für Grundbesitz,
({33}) Besteuerung des Energieverbrauchs,
({34})
Einführung einer Sparbuchsteuer, Rücknahme der seit 1985 verkürzten Abschreibungsdauer für Wirtschaftsgebäude,
({35})
Rücknahme der Senkung der betrieblichen Vermögensteuer.
({36})
Meine Damen und Herren, ich sagte: proben und darf hinzufügen: Proben kann die SPD im Wahlkampf
({37})
- das geht zu Lasten ihrer Parteikasse und nicht zu Lasten unserer Bürger -,
({38})
aber realisieren wird sie ihre Pläne nicht. Das werden unsere Bürger auf Grund ihrer Erfahrungen, die sie in den 70er Jahren sammeln konnten, mit ihrer Entscheidung am 25. Januar nächsten Jahres zu verhindern wissen.
Ich danke Ihnen.
({39})
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da mir nur noch fünf Minuten Zeit bleiben,
({0})
will ich hier nur einen Gedanken, Herr Finanzminister, anschließen, der zur Bewertung dieses Haushaltes führt. Am Ende einer Legislaturperiode ist das j a üblich. Die Kollegen der CDU/CSU haben j a einen bestimmten Katalog, nämlich einen Kriterienkatalog, nach Karlsruhe gegeben. Da er bis heute nicht zurückgezogen worden ist, gehe ich davon aus, daß dies die Kriterien sind, die Meßlatte ist, die Sie selbst an den Haushalt anlegen, den Sie hier verabschieden.
Da gehts um den Investitionsbegriff, den Sie zur Prüfung nach Karlsruhe gegeben haben. Ich gehe davon aus, daß Sie dem höchsten Gericht nicht etwas geliefert haben, was dort für den Papierkorb bestimmt ist. Sie haben gefordert, der Begriff der investiven Ausgaben des Bundes müsse enger gefaßt werden, damit dieser Begriff mit der Verfassung in Übereinstimmung stehe. Sie wollten, daß
Gewährleistungen, Darlehensrückflüsse, Veräußerung von Beteiligungen und Sachvermögen, Rückflüsse aus Kapitaleinlagen, Abschreibungen auf Sachvermögen und zu hoch ausgewiesene Zuschüsse an die Deutsche Bundesbahn abgezogen werden.
Wenn man das tut, kommt man für die Haushalte, die die konservative Bundesregierung vorgelegt hat, zu folgendem Ergebnis. 1983 überschritt der Bereich der Neuverschuldung den der berühmten investiven Ausgaben mit 8 Milliarden DM. Der Bundeshaushalt war damit nach Ihrer Meßlatte, die Sie nach Karlsruhe gegeben haben, verfassungswidrig. 1984 bis 1986 waren es jeweils rund 10 Milliarden DM,
({1})
um die die Investitionen nach dem Investitionsbegriff, den Sie gewählt haben, niedriger waren als die Neuverschuldung.
({2})
Und nach Abschluß der Haushaltsberatungen, Herr Kollege Friedmann, sind es im Jahr 1987 sogar 13 Milliarden DM,
({3})
um die die Höhe der investiven Ausgaben des Bundes nach Ihren eigenen Maßstäben korrigiert werden müßte, damit der Bundeshaushalt der Verfassung standhält.
({4})
Wenn der Bundesfinanzminister soeben verdeutlicht hat, welch schwierige Situationen unter Umständen hinsichtlich der Finanzierung der öffentlichen Ausgaben entstehen können, dann bleibt im Grunde nur eines - am Samstag hat der Bundesfinanzminister das in der Presse selbst angedeutet -: daß für die Finanzierung der Steuersenkungsprogramme mit hohen Entlastungen, die von allen möglichen Kolleginnen und Kollegen der Koalition draußen verkündet werden, auch eine Erhöhung der Neuverschuldung in Betracht käme. Der baden-württembergische Ministerpräsident spricht davon, daß man dann auch in den Bereich der Mehrwertsteuer und der Konsumsteuern gehen müsse.
Wenn man den Berg sieht, den wir zur Finanzierung in die nächste Legislaturperiode mitnehmen, dann, fürchte ich, werden Sie den Weg gehen, den Lothar Späth in die Debatte eingeführt hat. Das trifft dann allerdings wieder die breiten Schichten unserer Bevölkerung. Das Ganze muß man vor dem Hintergrund der Diskussion um die Senkung des Spitzensteuersatzes und der Dinge sehen, die damit etwas zu tun haben.
Fazit: Da Sie das alles unterschrieben haben, was nach Karlsruhe gegangen ist - nicht der Finanzminister; er gehörte damals nicht dem Bundestag an -, müßten Sie entweder das, was Sie dort abgeliefert haben, als Makulatur zurückziehen, oder Sie müßten selbst zu der Bewertung kommen, daß der Haushalt, den wir verabschieden, mit der Verfassung - nach Ihren Grundsätzen, die Sie nach Karlsruhe geliefert haben - nicht vereinbar ist.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Roth ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte dieser Woche wird für die Opposition zu ihrem offenkundig bittersten Wahlprüfstein.
({0})
Schon die Auftaktrede des Kollegen Apel war eine schlimme Offenbarung des Ausmaßes Ihrer politisch-fachlichen Isolierung.
({1})
Sie merken offenbar überhaupt nicht, wie weit Sie sich bereits ins politische Abseits hineindiskutiert haben.
({2})
Ausgerechnet am Lack des Finanzministers wollen Sie herumkratzen!
({3})
Dabei steht im „Spiegel" von gestern, daß selbst von den sozialdemokratischen Wählern nur ein Drittel einen anderen Finanzminister wollen. Zwei Drittel des noch verbliebenen SPD-Anhangs sind für Stoltenberg, meine Damen und Herren.
({4})
Ein geradezu einzigartiges Kompliment für den Bundesfinanzminister!
({5})
Sie suchen doch immer nach einem Menschenfischer. Stoltenberg ist ein Menschenfischer,
({6})
und zwar nicht durch Verkündigung, sondern durch politische Leistung.
({7})
Meine Damen und Herren, der Konsolidierungserfolg unserer Haushaltspolitik ist durch sozialdemokratische Zahlenakrobatik - das hat der Vormittag gezeigt - nicht zu erschüttern. Die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand ist, gemessen an ihrem Anteil am Bruttosozialprodukt, in vier Jahren auf 2 % halbiert worden. Die jährliche Kapitalbildung unserer Volkswirtschaft geht wieder vorrangig in den privatwirtschaftlichen Sektor, an die Investoren, an diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen. Bei halbierter Zinslast sind die Sachanlagen wieder weit attraktiver als die Finanzanlagen.
({8})
Roth ({9})
Über den Weg der Investitionen und des wirtschaftlichen Wachstums ist es zu einem nachhaltigen Beschäftigungsanstieg gekommen, und diesen Weg werden wir mit aller Konsequenz weitergehen.
({10})
Das wird auch von der ganzen Welt anerkannt, nur nicht von der deutschen Opposition. Sie versuchen unentwegt, uns weiter krankzurechnen, auch am Tag nach der Veröffentlichung des Sachverständigengutachtens.
({11})
Dabei liegt die Nettokreditaufnahme des nächsten Jahres mit knapp 22,3 Milliarden DM bereits 8 Milliarden DM niedriger als die Zins- und Zinseszinslasten, die wir aus sozialdemokratischen Schulden Ihrer Regierungszeit vor 1982 bezahlen müssen. Ohne diese schlimme Erblast hätten wir bare Überschüsse in der Kasse; das ist die Situation.
({12})
Wenn Sie wollen, kann ich es auch mal ganz anders ausdrücken: Um heute für nur ein Jahr die Zinsen auf die von der SPD hinterlassenen Schulden zu bezahlen, hätten wir seit 1949, also zehn Legislaturperioden des Deutschen Bundestages lang, stündlich 100 000 DM auf die Seite legen müssen. Das hätten wir tun müssen, um die Zinsen Ihrer Schuldenlast für ein einziges Jahr aufbringen zu können. Das ist die Wahrheit.
({13})
Der Kollege Spöri, der gerade noch dagewesen ist, hat schon recht mit seinem öffentlichen Stoßseufzer: Das Schuldenthema ist das Glaskinn der SPD; Sie müssen das nur zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren.
Auch Ihr Argumentationsschema mit der Gewinnabführung der Deutschen Bundesbank ist wenig stichhaltig; das ist verschiedentlich angeklungen. Der Gewinn ist 1987 3,5 Milliarden DM niedriger als im letzten Regierungsjahr der SPD, 1982. Selbst wenn man ihn nicht berücksichtigte, wäre die Kreditaufnahme mit 29,3 Milliarden DM im Vergleich zu Ihrem letzten Regierungsjahr mit sage und schreibe 47,7 Milliarden DM Kreditaufnahme bei gleicher Rechnung immerhin um 18,4 Milliarden DM niedriger. Minister Stoltenberg und auch wir würden liebend gern auf den Bundesbankgewinn verzichten,
({14})
wenn uns jemand die Zinshypothek Ihrer Regierungsjahre abnehmen würde.
({15})
Ihre Kaputtsparpropaganda hat sich längst in Wohlgefallen aufgelöst; mit Ihrem Vorwurf der
Schuldenmacherei machen Sie sich schlichtweg nur noch lächerlich. Eine Partei, die mit ihren Angriffsbildern wie auch mit ihren eigenen Wahlkampfzielen so durcheinandergerät wie die SPD, muß sich schon die Frage gefallen lassen, wann sie eigentlich einmal oppositionsfähig werden will. Ihr Kandidat Rau sagt gleichsam zur eigenen Aufmunterung draußen in der Öffentlichkeit, er sei „verliebt ins Gelingen".
({16})
Verliebt ins Gelingen, das war Helmut Schmidt auch. Aber gerade als es um Geld und Finanzen ging, ist er an sozialdemokratischer Maßlosigkeit gescheitert,
({17})
an der geradezu fatalen Überschätzung der Einnahmemöglichkeiten ebenso wie an der abenteuerlichen Unterschätzung der Ausgabendynamik Ihrer Politik. Erst als die schwerste Wirtschaftskrise nach 1945 kam, haben Sie einzusehen begonnen - wenigstens die Nachdenklichen unter Ihnen -, daß die schwersten zurechenbaren Fehler in den Aufschwungsphasen vor 1974 und nach 1978 gemacht wurden, als Geld- und Finanzpolitik in einen heillosen Gegensatz zueinander gekommen sind.
Meine Damen und Herren, die neue Mehrheit des Hauses und der Bundesfinanzminister haben die Lektion von damals begriffen. Wir haben die Lehren daraus gezogen. Fünf Jahre der finanzpolitischen Vernunft haben das Land mit Aufschwung, mit Stabilität und neuen Arbeitsplätzen wieder nach vorn gebracht. Die Menschen wissen, was auf dem Spiel steht. Rückfalltäter sind jetzt nicht gefragt.
({18})
Da ich gerade bei Herrn Rau bin: Er hat ein weiteres Lieblingswort in den Wahlkampf eingeführt, und zwar „unersättlich". Ich finde, er ließe besser davon ab, denn die Menschen erschrecken, wenn sie aus dem Mund eines SPD-Politikers das Wort „unersättlich" hören. Sie denken nämlich dabei unmittelbar an Schulden und an Steuererhöhungen. Ersparen Sie das den Bürgern draußen.
({19})
Wenn wir am Freitag den fünften Sparhaushalt in Folge zum Gesetz erhoben haben werden, dann wird sich der Gesundungsprozeß - so wie es die Sachverständigen ja auch testiert haben - fortsetzen. Unser einziges Wahlgeschenk an die Bürger ist die neue Verläßlichkeit des Staates.
({20})
Man wird in der neueren Finanzgeschichte lange suchen müssen, um eine vergleichbar dauerhafte Periode zu finden, in der die unbedingte haushaltspolitische Disziplin des Gesetzgebers so zielgerichtet und so erfolgreich in den Dienst einer nachhaltigen Stabilisierung gestellt worden ist. Die vom Wähler berufene Mehrheit aus CDU/CSU und FDP
Roth ({21})
hat erreicht, daß der Staat endlich aufhört, Störfaktor der wirtschaftlichen Entwicklung zu sein. Die neue Finanzpolitik überfordert nicht, wie es früher war, das Zuwachspotential der Wirtschaft. Ganz im Gegenteil: Sie fördert die Wachstumskräfte, indem sie sich selbst engere Grenzen bei Einnahmen und Ausgaben setzt. Die Politik kurzsichtiger, für den steuerzahlenden Bürger kostspieliger Effekthascherei ist Vergangenheit.
Worauf es jetzt ankommt, ist, den eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen und die erreichten Erfolge auszubauen. Die zurückgewonnenen Handlungsspielräume sind zu kostbar, als daß sie durch wirre Experimente oder durch unkalkulierbare Mehrheitsverhältnisse wieder aufs Spiel gesetzt werden dürften. Der Gestaltungsauftrag unserer zweiten Regierungsphase wird die Strukturfragen des Steuersystems, der sozialen Sicherheit und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit berühren. Deshalb treten wir, gestützt auf diese erfreuliche Zwischenbilanz, vor die Bürgerinnen und Bürger und bitten um den Auftrag zum „Weiter so" auf dem Weg zum Fortschritt in der Bundesrepublik Deutschland.
({22})
Es ist beunruhigend genug, wenn der niedersächsische SPD-Chef Gerhard Schröder bekundet, historisch gesehen sei die Zeit noch nicht reif für ein rotgrünes Bündnis.
({23})
Ich frage: Was ist das für ein historisches Verständnis der SPD, wenn der Großvater die Enkel in eine Richtung träumen läßt, die der Übergangskandidat mit der Vaterrolle nicht müde wird, ein politisches Abenteuer zu nennen? Was ist das für ein Verständnis?
({24})
- Meine Damen und Herren, Sie verstehen vieles nicht und Sie wollen auch unsere Erfolge nicht zur Kenntnis nehmen: daß wir den höchsten Stabilitätsgrad, das günstigste reale Wirtschaftswachstum pro Kopf in der Welt haben. Kein europäisches Land hat einen stärkeren kontinuierlichen Beschäftigungsanstieg. Unsere Arbeitnehmer können in diesem Jahr 1 000 DM mehr ausgeben oder sparen. Ein Familienvater mit zwei Kindern spart 1 000 DM Steuern. Wer Kredite abtragen muß, zahlt weniger Zinsen. Geringerverdienende erhalten einen Kindergeldzuschlag; sie erhalten ein höheres Wohngeld. Die Sozialhilfe ist um 8 % angehoben worden. Wir bezahlen allgemeines Erziehungsgeld, und es gibt Erziehungszeiten im Rentenrecht. Dies untermauert den Fortschritt für die Familien. Das war ein Kernstück unserer Politik.
({25})
In der nächsten Periode werden wir die Kinderfreibeträge erhöhen.
Da versucht der Abgeordnete Vogel immer mit seinem roten Wahlkampfkärtchen in der Gegend zu schwenken. Meine Damen und Herren, Ihre Wahrnehmungsfähigkeit ist auf angebliche Minusrekorde reduziert. Ich würde Ihnen raten, noch einmal in der Rede von Professor Schiller in der Heidelberger Universität aus dem letzten Jahr nachzulesen, wo er vom mühsamen Bußgang der Konsolidierung nach den Sünden der 70er Jahre gesprochen hat. Tätige Reue würde Ihnen besser zu Gesicht stehen.
({26})
Meine Damen und Herren, wir haben wie in den Vorjahren für die erkennbaren Haushaltsrisiken Vorsorge getroffen. Wir haben ohne Zögern auf die stabilitätsbedingten Mindereinnahmen bei den Steuern mit einem Spareingriff beim staatlichen Eigenverbrauch reagiert. Durch die Vorschrift des Haushaltsgesetzes werden 3 % der sächlichen Verwaltungsausgaben und 6 % der nichtgebundenen Zuweisungen und Zuschüsse gesperrt. Das sind 1,1 Milliarden DM oder 0,4% der Ausgaben.
Diese Steuermindereinnahme ist ein Geschenk der Stabilität an unsere Bürger. Sie profitieren nicht nur vom Steuerentlastungsgesetz 1986/88, sondern sie sind auch nicht mehr das Opfer der heimlichen, der inflationsbedingten Steuerzugriffe. Da auch der Staat auf der Ausgabenseite Nutznießer dieser erfreulichen Stabilität ist, sollte ihm die Sparvorschrift des Gesetzgebers keinerlei Schwierigkeiten bereiten.
Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Wir werden den Haushalt so fahren, wie er jetzt beschlossen ist. Wir haben Spielraum für Schuldeneindämmung, für Steuersenkungen, zur Entfaltung der Wirtschaft und für mehr Arbeitsplätze. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Unser Wahlgeschenk an die Bürger ist die neue Qualität der Staatlichkeit. Wir werden den Bundesfinanzminister unterstützen, diese Politik nach Kräften fortzusetzen. Wir werden auch in den nächsten Jahren Kurs halten.
Herzlichen Dank.
({27})
Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte an diesem Vormittag hat gezeigt: Die Finanz- und Haushaltspolitik dieser Regierung in den letzten vier Jahren ist das sichtbare Zeichen für die Wende, die 1982 notwendig war und die durchgesetzt wurde.
({0})
1981 bis 1982 befand sich die Bundesrepublik in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise der Nachkriegsgeschichte. Die volkswirtschaftliche Leistung ging zurück. Die Defizite der öffentlichen Haushalte überschritten alles bis dahin Vorstellbare. Die Arbeitslosigkeit stieg von 890 000 1980 auf über 2 Millionen im Winter 1982/83. Normalerweise hätte man sagen müssen, daß die jetzige Opposition
eine Schamfrist des Schweigens von wenigstens einer Legislaturperiode hätte hinter sich bringen müssen,
({1})
bevor sie wieder mit den alten Vorschlägen kommt.
({2})
Die Finanzpolitik hatte ihren Handlungsspielraum durch die maßlose Verschuldung verspielt. Die Geldpolitik mußte sich auf die Bekämpfung der Inflation konzentrieren. Unsicherheit und Angst vor der Zukunft lähmten Investoren und Verbraucher.
Heute, vier Jahre danach, können wir sagen: Wir haben anhaltendes Wirtschaftswachstum, Geldwertstabilität, mehr Einkommen für Arbeitnehmer,
({3})
wachsende Investitionen, mehr Arbeitsplätze, Herr Lambinus.
({4})
Vor allen Dingen ist die internationale Position der Bundesrepublik gefestigt. Für diese positive Entwicklung gibt es nur einen Grund: Der Wohlstand auf Pump wurde beendet.
({5})
Was Wohlstand auf Pump für die Masse der Bevölkerung bedeutet, ist klar, glaube ich. Einkommenseinbußen, sinkende Kaufkraft, steigende Zinsen, weniger Arbeitsplätze, das war Ihre Politik.
Wir betreiben heute Politik bei nicht mehr vorhandener Inflation. Inflationspolitik ist eine ungerechte Politik, wenn man weiß, was sie für Sparer bedeutet.
({6})
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Im Jahre 1981 haben die Sparer rund 82 Milliarden DM Zinsen für ihre Sparguthaben bekommen. Das entsprach einem Zinssatz von etwa 6,5%. Bei einer Inflationsrate von 6,3 % heißt das, daß 97 % der Zinsen auf Grund der Inflationsrate weg waren. In diesem Jahr gibt es 100 Milliarden DM an Zinsen, 100 Milliarden DM mehr in die Taschen der Sparer. Wenn jemand sagt, das sei ungerecht, dann hat er einen falschen Weg eingeschlagen.
({7})
1982 fanden wir 300 Milliarden DM Schulden vor.
({8})
Das Ergebnis des Schuldenrausches der 70er Jahre von Helmut Schmidt und seinen Freunden war ein gewaltiger Schuldenberg, der Monte Sozi. Für diesen Berg waren in den letzten vier Jahren 103 Milliarden DM an Zinsen erforderlich. Das entspricht fast genau dem Betrag, den wir für Neuverschuldung aufgenommen haben. Das heißt, jede Mark neuer Schulden mußte aufgebracht werden, um die Zinsen für Ihre Schulden zu bezahlen. Die Regierung hat also mit ihrem Programm kostendeckend gearbeitet, ist mit dem Haushalt 1987 weiter auf dem Weg der Zurückführung der Schulden.
({9})
Dabei werden wir bleiben; denn diese Politik einer geringeren Nachfrage der öffentlichen Haushalte am Kapitalmarkt sorgt für niedrige Zinsen. Die Zinsen sind in unserer Regierungszeit um rund 5% auf rund 6 % runtergegangen. Ich bin der Meinung, daß die Banken in diesem Jahr mit einem halben Prozentpunkt durchaus noch weiterhelfen könnten.
Aber auch die Entwicklung bei den Zinsaufwendungen der öffentlichen Hand haben wir in den Griff bekommen. In den Bundeshaushalten 1983 bis 1986 mußten 114 Milliarden DM für Zinsen aufgebracht werden. In diesem Jahr zahlt jeder steuerzahlende Bürger von einer DM, die er an Steuern abgibt, 14 Pfennig nur für Zinsen - nur für die Zinsen für Ihre Schulden. Dies muß man einmal deutlich sagen, um die Dimension zu erkennen, die diese Belastung für die Zukunft bedeutet: 14 Pfennig Zinsen für die Bundesschuld bei jeder Steuermark.
Allein dieses Beispiel zeigt, wie unmoralisch die alte Schuldenpolitik ist und daß eine sparsame Haushaltspolitik eine ethische Dimension hat.
({10})
Dies vielleicht auch zu Ihrem Satz „Gerechtigkeit schafft Frieden", Herr Wieczorek. Als ebenfalls praktizierender Katholik sage ich Ihnen: Es hat auch eine ethische Dimension, wenn man eine sparsame Haushaltspolitik betreibt.
({11})
Bei den Zinsaufwendungen des Bundes ist angesichts der zurückgehenden Verschuldung der Höchstpunkt absehbar. Nachdem die Zinsaufwendungen in den letzten Jahren in Milliardensprüngen gestiegen waren, wird zum erstenmal im nächsten Jahr ein Sprung von lediglich einer halben Milliarde DM möglich sein, und es ist absehbar, daß die Zinsaufwendungen weiter heruntergehen.
Diese enormen Leistungen muß man besonders anerkennen, wenn man weiß, daß es uns gelungen ist, erhebliche zusätzliche Belastungen im Haushalt aufzufangen.
({12})
Erziehungszeiten, Kokskohlenbeihilfe, Wohngeld, Finanzhilfen für die Küste und die Erhöhung der Gemeinschaftsaufgabe haben zusätzliche Belastungen von 2,6 Milliarden DM mit sich gebracht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mann?
Nein.
Dazu gab es 5,5 Milliarden DM weniger Bundesbankgewinn und weniger Steuereinnahmen. Dies macht die Dimension der Konsolidierung deutlich.
Für mich als norddeutschen Bundestagsabgeordneten ist es besonders wichtig, daß es erstmals gelungen ist, ein konkretes Zukunftsprogramm für die Küste aufzulegen, für die Werftstandorte dort mehr zu tun, was 1979 und 1980 offensichtlich nicht möglich war. Wir helfen den Werftstandorten. Ich glaube, daß dies zeigt, daß wir nicht nur sparen, sondern daß wir gezielt sparen, um z. B. auch den Bürgern im Norden zu helfen. Bei Ihnen gab es jeweils säuerliche Zustimmung zu den einzelnen Programmen und neue Kritik.
Meine Damen und Herren, private Investitionen brauchen Luft. Das gilt auch für die Zukunft. Dafür ist die maßvolle, sparsame Haushaltspolitik ein sichtbares Zeichen und der wichtigste Faktor. In diesem Sinne wollen wir den Haushalt 1987 verabschieden - für eine bessere Zukunft.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen jetzt nicht vor, so daß wir zu den Abstimmungen über den Einzelplan 08 kommen können.
Zunächst möchte ich über die vorliegenden Änderungsanträge der GRÜNEN abstimmen lassen.
Es handelt sich zunächst um den Änderungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/6513.
Wer stimmt für diesen Antrag? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Nun haben wir den nächsten Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6514 vorliegen.
Wer stimmt für diesen Antrag? ({1}) Gegenprobe! ({2})
Enthaltungen? - Dann ist auch dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Nun kommen wir zu dem Antrag auf Drucksache 10/6515. Es handelt sich ebenfalls um einen Änderungsantrag der GRÜNEN.
({3})
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 08.
Wer dem Einzelplan 08 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Einzelplan 08 angenommen worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 32.
Wer dem Einzelplan 32 - Bundesschuld - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Einzelplan 32 angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 60.
Wer dem Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Angenommen.
Ich rufe nun den Einzelplan 20 - es handelt sich um den Einzelplan des Bundesrechnungshofes - in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Nun könnten wir in die Mittagspause eintreten, wen es nicht noch den Wunsch des Abgeordneten Wieczorek ({4}) nach Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung gäbe. - Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist nicht Trick 17, nichts dergleichen, sondern ich muß für meine Fraktion eine Erklärung zur Abstimmung abgeben, weil wir einige Punkte, die in den Anträgen der GRÜNEN stehen, nicht so global abgestimmt stehenlassen können. Gestatten Sie mir auch, daß ich Ihnen die eine Seite wortwörtlich verlese, weil das so zu Protokoll gehört.
Es geht um die Anträge 10/6513 bis 10/6515 zum Einzelplan 08:
Erstens. Jahresversammlung des IWF. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit Jahren Mitglied des IWF und der Weltbankgruppe. So sehr eine Kritik an dem Sinn der Jahresversammlung berechtigt sein mag, besteht jedoch keine Alternative. Besonders in Zeiten des zunehmenden Protektionismus und der Währungskrisen, die die Weltwirtschaft zu unterminieren drohen, muß die Bundesrepublik auf ein reibungsloses Funktionieren der Weltwirtschaft bedacht sein. Als exportorientiertes Land ist die Bundesrepublik darauf angewiesen, bei allen Entwicklungen und Veränderungen in internationalen Währungsfragen aktiv und gestaltend mitzuwirken. Die Begründung der GRÜNEN geht daher an den Interessen unseres Landes vorbei.
Zweitens. Kapitalzuführung an Unternehmen des industriellen Bundesvermögens. Dem Antrag der GRÜNEN zur Verwendung der Privatisierungserlöse für andere Aufgaben des Bundes können die
Wieczorek ({0})
Sozialdemokraten nicht zustimmen, weil wir die Privatisierung von VW und VEBA ablehnen. Es ist ein Widerspruch bei den GRÜNEN, gegen eine Privatisierung zu sein und gleichzeitig die Verkaufserlöse aus einer solchen Privatisierungsaktion für andere Zwecke ausgeben zu wollen.
Drittens. Ausgaben für bundeseigene Forsten. Dem Einsatz von Mitteln für bundeseigene Forsten stimmen wir ausdrücklich zu. Für diesen Verwendungszweck sind im Haushalt 1987 bereits erhöhte Mittel vorgesehen. Es ist nicht zu ersehen, daß der Bund bei seinen Forsten seinen haushaltsrechtlichen Verpflichtungen nicht in ausreichendem Maße nachkommt. Deshalb mußten wir den Antrag der GRÜNEN ablehnen.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Geduld.
({1})
Da unsere Geschäftsordnung nach § 31 eine Erklärung für eine Fraktion nicht zuläßt, unterstelle ich einmal, daß Sie für sich und andere Abgeordnete gesprochen haben und somit der Form Genüge geleistet ist.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Morgensitzung. Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt. Ich wünsche eine angenehme Mittagspause.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe auf Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksachen 10/6309, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Glos Dr. Weng ({0}) Frau Simonis
Dr. Müller ({1})
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6516 bis 10/6528 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich zuerst die Hunderttausende von Erkälteten im Lande grüße.
({0})
Auch ich bin erkältet. Wir lassen uns nicht unterkriegen!
({1})
Ich darf Ihnen gute Besserung wünschen!
({0})
Verehrter Herr Weng, Sie dürfen sicher sein, daß Frau Simonis noch reden wird, ganz sicher!
({0})
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat der Bundesregierung einen kräftigen Dämpfer versetzt. Herr Minister, vor kurzem hörte man noch: 3 bis 4 % Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr. Man hörte vor kurzem auch noch: deutlicher Abbau der Arbeitslosigkeit. Nun hat der Sachverständigenrat 2 % für das nächste Jahr vorausgesagt und hat gleichzeitig festgestellt, es sei keinerlei Abbau der Arbeitslosigkeit zu erwarten.
({1})
Das ist das Ergebnis am Anfang dieser Haushaltswoche, zu dem Sie Stellung nehmen müssen, insbesondere, Graf Lambsdorff zu der Frage: Wo ist denn das neue Wirtschaftswunder? Wo ist bei 2 % Wachstum und bei Stagnation der Massenarbeitslosigkeit das täglich verkündete Wirtschaftswunder?
({2})
Die Wahrheit ist: Das ist der schwächste Konjunkturaufschwung seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Die Wahrheit ist: Im fünften Jahr des Konjunkturaufschwungs haben wir 400 000 Arbeitslose mehr als zu Beginn der Regierungszeit Kohl.
({4})
Die Wahrheit ist: 1986 werden wir 14 000 Pleiten haben, 6 000 mehr als im Jahr 1981.
({5})
Damals wurde von Ihnen von sozialistischer Mißwirtschaft geredet.
({6})
Was sind jetzt 6 000 Pleiten mehr? Reaktionäre Mißwirtschaft, oder wie soll man das nennen?
({7})
Die Wahrheit ist: Die Chancen dieses Konjunkturaufschwungs wurden verspielt und vertan.
({8})
Wir stimmen dem Sachverständigenrat ausdrücklich zu:
({9})
Die finanziellen Bedingungen für die Unternehmen, mehr zu investieren und damit mehr Arbeitsplätze zu schaffen, sind heute so gut wie selten zuvor. Gerade der jüngste Monatsbericht der Bundesbank zeigt: Die Großunternehmen schwimmen im Geld.
Wir stimmen mit dem Sachverständigenrat nicht überein, wenn er behauptet, glänzende Finanzierungsbedingungen würden schon für sich genommen dazu ausreichen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
({10})
Die Erfahrungen der letzten Jahre beweisen ganz eindeutig das Gegenteil.
({11})
Systematisch hat die Bundesregierung den Einfluß der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage auf die Investitionsentscheidungen unterschätzt.
({12})
Schon lange nicht mehr hatten wir so optimale Angebotsbedingungen der Volkswirtschaft. Aber eindeutig fehlt es an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage, weil die Bundesregierung diese Seite der Politik völlig vernachlässigt hat.
({13})
Der amerikanische Außenminister Shultz hat vor zwei Wochen vorgerechnet, daß die USA zwei bis drei Millionen Arbeitsplätze an das Ausland verloren haben. Wir müssen jetzt davon ausgehen, daß die USA mit allen Mitteln versuchen werden, diese Arbeitsplätze wieder zurückzuholen, wenn das nicht bei uns, die wir in den letzten Jahren Überexporte gehabt haben, zu Arbeitsplatzverlusten führen soll. Ich kann nicht verstehen, wie die Bundesregierung das weiterhin behaupten kann.
({14})
Spätestens jetzt, Herr Bundeswirtschaftsminister, wäre Vorsorge in der Binnenwirtschaft gegenüber der ausfallenden Außennachfrage notwendig.
({15})
Ich sage auch: Ich bin sehr skeptisch gegenüber der Schätzung des Sachverständigenrates, der 1,5% plus real im Export für das Jahr 1987 voraussieht. Wir haben in den ersten neun Monaten des Jahres 1986 einen Rückgang der Nachfrage von außen um 1,5 bis 2 %. Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann lassen Sie sich doch wenigstens von Herrn Giersch überzeugen, der ja jahrelang Ihr geliebter Berater war.
({16})
Giersch schreibt zusammen mit Nobelpreisträger Modigliani vor kurzem:
Der Sturz des Dollars, der in Europas Exportindustrien Arbeitsplätze zerstören wird, macht es notwendiger denn je zuvor, in Europa Maßnahmen zur Stärkung der Nachfrage zu ergreifen.
Giersch hat recht: Spätestens jetzt ist Vorsorge notwendig. Nachdem die Traumkonstellation von der Außenwirtschaft her - Unterbewertung der D-Mark, Ölpreisverfall - ausgelaufen ist, ist jetzt eine Antwort von der Bundesregierung notwendig, nachdem sie von diesen äußeren Bedingungen zwei, drei Jahre profitiert hat.
({17})
Was ist denn die Bilanz des Aufschwungs seit 1982? Wir hatten eine drastische Umverteilung von unten nach oben, eine Gewinnexplosion, dennoch eine sehr, sehr schwache Zunahme der Investitionstätigkeit, dafür aber einen unglaublichen Export von Geldvermögen,
({18})
eine Vervierfachung des deutschen Nettoauslandsvermögensbesitzes in nur drei Jahren. Ich sage es noch einmal: Vervierfachung in nur drei Jahren bei Geldexporten. Das ist das Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung.
({19})
Noch nie in einem Wirtschaftsaufschwung gab es in so kurzer Zeit eine so rücksichtslose Umverteilung der Einkommen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern:
({20})
1,9 Millionen Selbständigen-Haushalte haben 154 Milliarden DM mehr bekommen, knapp 13 Millionen Arbeitnehmer-Haushalte mußten sich mit einem Drittel der Summe, nämlich 53 Milliarden DM, begnügen.
({21})
Das läßt sich auch in Einzeldaten sagen: Die Daten der Jahre 1982 bis 1985, die jetzt vorliegen, zeigen den ganzen Umfang der Umverteilung: Die Einkommen der Selbständigen stiegen um 10,4 %, die Einkommen der Arbeitnehmer stiegen um 1,5%,
({22})
die Einkommen der Rentner und Pensionärshaushalte fielen um 2%,
({23})
die Einkommen der Arbeitslosen-Haushalte sanken um unglaubliche 12,5 % in den letzten vier Jahren.
({24})
Das ist Politik der sozialen Kälte und nichts anderes.
({25})
Nun wird eingewendet, daß durch Umverteilung von unten nach oben Gewinne Investitionen gebracht hätten und diese Investitionen wieder Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze seien. Welcher Zynismus liegt darin, daß Sie gestern das Sachverständigenratsgutachten loben, obgleich es Ihnen
sagt, daß im fünften Jahr des Konjunkturaufschwungs kein zusätzlicher Arbeitslosenabbau kommt!
Das ist reiner Zynismus.
Meine Damen und Herren, wir haben zur Zeit 2,2 Millionen registrierte Arbeitslose. Wir haben zur Zeit 1,3 Millionen nicht registrierte Arbeitsuchende.
({26})
Das sind zusammen 3,5 Millionen Menschen, die keine Erwerbstätigkeit haben. Das ist zur Zeit da, und Sie loben eine derartige Prognose für das Jahr 1987.
({27}) - Abg. Wissmann
[CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, auf Grund der Beschränkung nicht.
({0})
Wann hat es das schon einmal gegeben, daß - totzt Konjunkturaufschwung - die Zahl der Arbeitslosen im Aufschwung um 400 000 zugenommen hat? Das heißt aber, daß die große Umverteilung, die Sie begrüßt haben, die Sie gefördert haben, auch steuerpolitisch, überhaupt keine Wirkung am Arbeitsmarkt gehabt hat. Die Leute wurden ärmer, aber sie bekamen nicht mehr Arbeit. Das ist die Wahrheit.
({1})
Meine Damen und Herren, der Abstand zwischen den armen und den reichen Regionen in der Bundesrepublik hinsichtlich der Arbeitslosenquote ist in den letzten Jahren immer größer geworden.
({2})
Herr Bundeswirtschaftsminister, 1982 betrug der Abstand zwischen dem besten und dem schlechtesten Arbeitsamtsbezirk 10 %. Inzwischen beträgt er 20%. Welche Antworten hat diese Bundesregierung auf die Lage im niedersächsischen Leer mit einer Arbeitslosenquote von 23 %, der höchsten überhaupt? Welche Antwort hat sie für Emdem mit 20%, für Heide mit 18%,
({3})
für Dortmund und Flensburg mit 17 %, für Saarbrücken, Passau, Deggendorf mit über 16 %? „Weiter so" in diesen Gegenden? Übrigens, von den genannten acht Arbeitsamtsbezirken, die an der Spitze waren, liegen sechs in CDU-geführten Ländern.
({4})
Aber, meine Damen und Herren, ich fange gar nicht an, auf dieser primitiven Ebene vorzurechnen.
Ich habe nur die Frage an die Bundesregierung: Was macht sie dagegen, daß der Wirtschaftsraum der Bundesrepublik Deutschland auseinderfällt?
({5})
Diese Krisenregionen stecken doch in einem Teufelskreis: Massenarbeitslosigkeit schafft Schwäche der örtlichen Wirtschaft; Schwäche der örtlichen Wirtschaft schafft schwache Einnahmen der Gemeinden und der Kommunalverbände. Die können weniger ausgeben. Zusammen mit der schwachen Nachfrage bedeutet das erneut mehr Arbeitslosigkeit. Darauf wird keine Antwort formuliert, weder in diesem Etat noch in den Aussagen des Bundeswirtschaftsministeriums.
({6})
Die Bundesregierung läßt Krisenregionen vor die Hunde gehen. Sie hat kein Konzept beispielsweise für die lebensbedrohende Krise an den Werftstandorten. Sie hat kein Konzept für die Stahlindustrie. Sie hat kein Konzept zur Sicherung der einzigen einheimischen Energiequelle, Steinkohle und Braunkohle.
({7})
Sie hat keine Idee, wie die Krisenregionen aus dem Teufelskreis der Arbeitslosigkeit und der Depression herausfinden werden. Meine Damen und Herren, für die Krisenbranchen der deutschen Wirtschaft war der Konjunkturaufschwung seit 1982 eine Atempause. Sie wurde von dieser Bundesregierung überhaupt nicht genutzt.
({8})
Wir sind in der Stahlkrise - da können Sie reden, mit wem Sie wollen aus dem Stahlbereich, mit Unternehmern, Managern, Kapitaleignern oder Arbeitnehmervertretern, Arbeitsdirektoren - nach vier Jahren Regierung Bangemann im Ressort des Wirtschaftsministers wieder am Vorabend der Situation vor fünf Jahren.
({9})
Der Bundesfinanzminister hat Finanzhilfen des Bundes für seine Heimatregion an der Küste ebenso konzeptionslos ausgeworfen wie vor der Niedersachsenwahl neue Agrarsubventionen. Da hat er übrigens vom Sachverständigenrat unsere Kritik exakt bestätigt bekommen.
({10})
Wenn Sie den Sachverständigenrat so loben, dann verurteilen Sie damit auch Ihre unsinnige Agrarpolitik.
({11})
Meine Damen und Herren, nach dem MilliardenSubventionsregen an die Großagrarier in Norddeutschland nunmehr einige hundert Millionen für Reeder und Werften, damit die Union im Januar
über die Runden kommt: Das ist die einzige Konzeption.
({12})
Das ist die Art von Industriepolitik dieser Regierung. Für Regionen mit verfestigter hoher Arbeitslosigkeit wie Oberfranken, in Rheinland-Pfalz, an der Ruhr, an der Saar verweigert die Bundesregierung ihre Hilfe.
Geradezu dramatisch ist der Kurswechsel, den die Bundesregierung in der Kohlepolitik in diesen Tagen vollzieht. Da spricht der Parlamentarische Staatssekretär Grüner vor einigen Tagen von der Notwendigkeit, die Kohleförderung auf die kostengünstigsten Anlagen zu konzentrieren,
({13})
und er schließt ausdrücklich weitere Zechenstillegungen nicht aus.
({14})
Es ist bezeichnend, daß die Bundesregierung in ihrem Energiebericht vor einigen Wochen den Begriff „Kohlevorrang" nicht mehr verwendet.
({15})
Es ist bezeichnend, daß die bewährten Instrumente - der Kohlevorrang, Jahrhundertvertrag, Hüttenvertrag, Investitions- und Innovationshilfe - bewußt nicht mehr genannt werden.
({16})
Die Krise im deutschen Bergbau, von der Sie jetzt immer wieder aus der Bundesrepublik hören, ist eine Krise, die die Bundesregierung durch Unterlassen selbst herbeiführt.
({17})
Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht zwei Sachen gleichzeitig machen: Einerseits loben Sie sich, Sie hätten mitgeholfen, die Ölpreise zu senken, aber für die Folgen der Ölpreissenkung bei der Kohle stehen Sie nicht gerade. Das geht nicht zusammen.
({18})
Die Kumpel wollen wissen, ob der Kohlevorrang noch gilt oder nicht. Sie wollen wissen, ob es weitere Zechenstillegungen gibt. Sie wollen wissen, ob es in der Zukunft noch Arbeitsplätze im Kohlebergbau auch über das jetzige Auslaufen des Jahrhundertvertrags hinaus gibt. Was ist mit dem Jahrhundertvertrag?
({19})
Im Energiebericht steht kein Wort über die Verlängerung. Heute haben Sie eine gute Chance, das zu sagen.
Meine Damen und Herren, der Aufschwung seit 1984 stand außenwirtschaftlich unter einem günstigen Stern. Es war - ich habe es schon gesagt - außenwirtschaftlich eine Traumkonstellation. Die Hälfte unseres Wachstums 1984 und 1985 verdanken Sie Exportboom und Ölpreisverfall. Das waren Glücksfälle. Sie wissen aber selbst: Der Welthandel stagniert, Japan ist bereits in der Rezession, in Amerika deutet sie sich an, der Höhepunkt des achten Konjunkturzyklus nach dem zweiten Weltkrieg ist überschritten. Sie wissen das.
Für einen erneuten Exportboom der deutschen Wirtschaft fehlen alle Voraussetzungen. Deshalb plädieren wir für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel. Wir Europäer müssen alle gemeinsam für mehr Arbeitsplätze sorgen.
({20})
Die Bundesrepublik ist das Land in Europa, das in dieser Politik für mehr Arbeit an der Spitze stehen muß. Sie ist von der Wirtschaft her das stärkste Land in Europa und hat deshalb eine besondere Verantwortung. Sie müssen deshalb nicht sagen: Wir allein können keine Lokomotive sein, sondern Sie müssen einen europäischen Zug zusammenkoppeln für mehr Arbeit. Das ist die Aufgabe, die vor uns steht.
({21})
Machen wir uns nichts vor: Die Stimmen aus den USA werden lauter, sie fordern eine stärkere Expansion.
({22})
Wenn sie nicht kommt, werden die Drohungen immer stärker: Sie machen einen neuen Protektionismus. Das können Sie aus jedem Bericht aus den USA nachlesen.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung wiederholt ständig, sie habe kein Patentrezept gegen Massenarbeitslosigkeit. Patentrezepte hat keiner, die gibt es nicht; aber es gibt Elemente einer Politik, die zusammenpassen. Ich nenne zehn Punkte:
Erstens. Wir müssen die Umverteilung von unten nach oben beenden. Die Massenkaufkraft hat eine weit größere Bedeutung, als Sie jemals eingeschätzt haben.
({23})
Zweitens. Der Staat muß gezielt steuer- und ausgabenpolitisch mittlere und untere Einkommensgruppen entlasten und nicht den Spitzensteuersatz senken.
({24})
Drittens. Wir müssen unser Steuersystem umbauen, damit Investitionen in Sachkapital gegenüber Geldvermögensanlagen bevorzugt werden.
({25})
Viertens. Das sage ich in Richtung auf die CDU und die CSU erneut: Damit kleine und mittlere UnRoth
ternehmen Benachteiligungen bei der Investitionsfähigkeit verlieren, muß eine steuerfreie Investitionsrücklage sofort durchgesetzt werden.
({26})
Fünftens. Der Investitionsstau bei den Gemeinden in Höhe von 50 Milliarden DM insbesondere im Bereich der Umweltinvestitionen muß abgebaut werden.
Sechstens. Das Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" muß realisiert werden. Es schafft 400 000 Arbeitsplätze.
({27})
Siebtens. Die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen muß mit einem Sonderprogramm bekämpft werden.
({28})
Achtens. Wir müssen die Maßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz quantitativ und qualitativ ausbauen und befristete Arbeitsverträge sofort wieder abschaffen.
({29})
Neuntens. Wir müssen die Einkommenslage der Ärmsten der Armen, der Sozialhilfeempfänger und der Arbeitslosen - ich erinnere an die 12,5% Minus -, endlich wieder nach oben bringen.
({30})
Zehntens. Wir müssen die vorhandene Arbeit durch eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit reduzieren.
({31})
Meine Damen und Herren, wir stehen jetzt am Vorabend einer Tarifrunde. Der Bundeskanzler hat jetzt Gelegenheit, seine Worte „dumm, töricht und absurd" in der Arbeitszeitverkürzung zurückzunehmen. Das gehört in diese Haushaltsdebatte.
({32})
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am 4. Mai 1983
({33})
den folgenden Satz gesagt: „Aufgabe Nummer eins ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit." Blüm und Geißler haben das interpretiert: innerhalb von zwei Jahren eine Million Arbeitslose weniger. Das Ergebnis der Politik ist: 2,2 Millionen registrierte Arbeitslose, 1,3 Millionen nicht registrierte, vergessene Arbeitslose, 3,5 Millionen Arbeitslose zu diesem Zeitpunkt. Das ist das Ergebnis der Versprechungen der Regierung Kohl.
({34})
Diese Bundesregierung trägt dafür die Verantwortung. Sie hat mit ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik nichts getan, um das Heer der Arbeitslosen zu verringern. Sie hat den Menschen große Opfer abverlangt. Sie hat aber inzwischen vor der Massenarbeitslosigkeit resigniert. Diese Bundesregierung hatte auf Grund der Weltwirtschaft eine große Chance. Sie hat sie verspielt und vertan. Sie sollte zugeben,
({35})
daß sie nicht in der Lage ist, das Problem Massenarbeitslosigkeit überhaupt anzupacken.
({36})
Das Wort hat der Abgeordnete Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Rede des Kollegen Roth angehört hat,
({0})
fragt man sich, in welchem Land er eigentlich ist, von welchem Land er redet. Es war die Rede eines Mannes, der à la baisse spekuliert hat und von der Hausse überrascht worden ist und deswegen recht traurig ist. Herr Roth, Sie wären doch froh, wenn Ihre Prophezeiungen aufgegangen wären. Sie haben uns doch eine viel höhere Arbeitslosigkeit prophezeit. Sie haben uns doch 4 Millionen Arbeitslose prophezeit,
({1}) und wir sind jetzt in der Nähe von 2 Millionen.
({2})
Auch dieses Sachverständigengutachten, das Sie angeführt haben, gibt uns in den allermeisten Punkten recht. Es gibt für uns überhaupt keinen Grund, die Wachstumszahlen zu korrigieren.
({3})
In der Tat: Nicht nur die maßgeblichen nationalen Institute, sondern auch die internationalen Organisationen wie die OECD oder der IWF stellen unserer Wirtschaftspolitik die besten Zeugnisse aus.
Wenn ich die Devisenbörse betrachte, dann zeigt sich, welches Vertrauen in die DM auch dort besteht. Unsere D-Mark ist fest und stark wie seit langer Zeit nicht mehr. Tatsache ist: Der Aufschwung wird 1987 in sein fünftes Jahr gehen. Er hat eine „solide Basis" - so steht es wörtlich im Gutachten - und ist „robust", und es spricht alles dafür, daß sich dieser Aufschwung auch über 1987 hinaus fortsetzt. Weiterhin werden privater Verbrauch und Unternehmensinvestitionen die Konjunkturstützen bleiben. Auch die deutsche Bauwirtschaft schließt auf. Dieses dauerhafte, spannungsfreie und reale Wirtschaftswachstum von fast 14% in fünf Jahren
({4})
sucht in der Bundesrepublik Deutschland seinesgleichen. 14 % in fünf Jahren, wenn Sie das in den fünf Jahren davor geschafft hätten, hätten Sie nicht abtreten müssen, Frau Kollegin Fuchs.
({5})
Unsere Weltspitzenstellung in Sachen Stabilität wird auch 1987 bestehen bleiben. Das bedeutet ein kräftiges Mehr an Kaufkraft für den Verbraucher. Das bedeutet Sicherung der Kleinverdiener, Geldsparer und Rentner. Gerade diesen stillen Erfolgen unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik wünschte ich manchmal mehr Beachtung in der Öffentlichkeit.
({6})
Eine weitere positive Auswirkung unserer Stabilitätspolitik zeigen auch die jüngsten Steuerschätzungen. In diesem und im nächsten Jahr werden die Bundesbürger jeweils 2,9 Milliarden DM weniger an Steuern zahlen müssen, als ursprünglich angenommen.
({7})
- Auch Sie gehören dazu! - Die volkswirtschaftliche Steuerquote geht von 23,6 auf 23,1 % deutlich zurück. Das macht natürlich dem Finanzminister kurzfristig etwas Sorgen, wenn man es rein vom Haushaltsausgleich her sieht. Aber an die Stelle der heimlichen Steuererhöhungen zu Zeiten der SPD-Regierung und der Inflationspolitik, die damals betrieben worden ist, sind jetzt stille Steuererleichterungen getreten.
Gott sei Dank - Herr Roth, das müssen Sie zugeben - steigt auch die Zahl der Beschäftigten ständig: 600 000 neue Arbeitsplätze bis jetzt!
({8})
Das Sachverständigengutachten sagt uns voraus, daß wir die Zahl der neuen Arbeitsplätze auf 800 000 erhöhen werden. Im Oktober verzeichneten wir den stärksten Rückgang der Arbeitslosenzahl in diesem Monat seit 1952. Für 1987 rechnen Wirtschaftsforscher mit einer Abnahme der Zahl der registrierten Arbeitslosen um bis 100 000, womit ein Durchstoß in der Nähe der 2-Millionen-Grenze vielleicht möglich ist.
({9})
Ich möchte hier aber eines sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Verantwortung für die Arbeitslosigkeit oder den Arbeitsmarkt bei uns im Land hat nicht nur die Bundesregierung, sondern Verantwortung dafür haben in allererster Linie die Tarifpartner. Dazu bitte ich Sie, Ihre Freunde aus den Gewerkschaften darauf hinzuweisen, daß sie mit maßvollen Tarifforderungen helfen, diesen Aufschwung zu stabilisieren und nicht zu gefährden.
({10})
Ich bin der Meinung, daß das Geheimnis unseres Erfolges
({11})
die Tatsache war, daß wir wieder konsequent auf Soziale Marktwirtschaft gesetzt haben. Wir sind der festen Überzeugung, daß die Soziale Marktwirtschaft ein Ordnungsprinzip ist, dem sich die Union in ganz besonderem Maß verpflichtet weiß.
({12})
Wir wissen auch, daß keine andere Wirtschaftsordnung so viele Produktivkräfte freisetzen kann und daß keine andere Wirtschaftsordnung derartige Aufstiegschancen, so großen Wohlstand und so viel soziale Sicherheit für alle bietet.
({13})
Die Grundgedanken der sozialen Marktwirtschaft wieder zu beleben und zu stärken war in der Vergangenheit und bleibt in Zukunft vorrangiges Ziel und Daueraufgabe unserer Wirtschaftspolitik.
Wir sind auch der Meinung, daß wir trotz der Auslese, die in einer freien Wirtschaftsordnung immer wieder nötig ist, stützend in den Markt eingreifen müssen, wo es notwendig ist. Für uns bedeutet Freiheit des Marktes nie ein bequemes Alibi für staatliches Nichtstun. Ich kann Ihnen ein paar Punkte aufzählen, wo wir mit dem Haushalt des Wirtschaftsministers eingegriffen haben, obwohl wir unter dem Diktat des Sparens gestanden sind. Es ist uns gelungen, die Prioritäten neu zu setzen. Für uns ist es z. B. selbstverständlich, daß wir der heimischen Kohlewirtschaft erhöhte Mittel bereitgestellt haben, um die Verpflichtungen, die sich aus dem Hüttenvertrag ergaben, zu erfüllen. Wir haben auch die haushaltsmäßigen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Steinkohlebevorratung weitergeführt werden kann.
({14})
Denn der Markt würde derzeit keinen Abbau der Kohlehalden vertragen. Dank unserer seriösen und soliden Politik muß kein Kumpel Angst um seinen Arbeitsplatz haben. Sie sollten hier nicht mit der Angst von Arbeitnehmern um ihre Arbeitsplätze Politik machen wollen. Herr Roth, das ist unseriös.
({15})
Wir helfen auch - das ist heute kritisiert worden - der bedrohten Werftindustrie. Natürlich können wir fehlende Nachfrage am Weltschiffmarkt nicht stimulieren oder gar ersetzen. Das ist selbstverständlich. Wir können aber abfedern und abmildern. Das ist getan worden.
Wir helfen auch, indem wir zusätzliche Mittel für die regionale Strukturpolitik zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen gezielt im Norden zur Verfügung stellen.
Selbstverständlich halten wir weiter am erfolgreichen Airbus-Programm fest,
({16})
auch wenn das Teilen unseres Koalitionspartners - ich gebe allerdings zu: weniger bedeutenden Teilen unseres Koalitionspartners - nicht immer gefällt. Hier möchte ich dem selbsternannten Mittelstandspapst Grünbeck doch ein paar zusätzliche Anmerkungen mit auf den Weg geben.
Die Airbus-Industrie beschäftigt in Deutschland unmittelbar 21 000 Menschen. Die MesserschmidtBölkow-Blohm GmbH, der deutsche Partner am Airbus-Projekt, vergibt im Bereich Luft- und Raumfahrt Unteraufträge an Fremdfirmen in Höhe von 3,4 Milliarden DM pro Jahr. Diese Aufträge verteilen sich auf über 19 000 Lieferanten, davon 17 000 in der Bundesrepublik. Über zwei Drittel dieser Firmen kriegen Aufträge von jeweils unter 10 000 DM ab. Insgesamt 85% der Unterauftragnehmer haben Aufträge von jeweils bis zu 50 000 DM. Es ist selbstverständlich, daß es sich dabei hauptsächlich um kleine und mittlere Unternehmen handelt.
Ich kann nur sagen: Von diesem plumpen Versuch, den Koalitionsfrieden zu stören, ist nur Lächerlichkeit übriggeblieben.
({17})
Der furiose Start von Herrn Grünbeck hat mit einer Bauchlandung geendet.
({18})
- Ich kann zugeben, lieber Kollege Vizepräsident, daß ansonsten - das bestätige ich Ihnen gern - die Zusammenarbeit mit der FDP und mit dem Minister gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik ausgezeichnet war, falls das Ihre Frage sein sollte.
({19})
Herr Abgeordneter Glos, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?
Schönen Dank, Herr Präsident. Herr Abgeordneter Glos, ich würde gern wissen, ob Sie mit mir der Meinung sind, daß letztendlich die Produktion von Airbussen im Ergebnis zu Gewinnen und nicht zu dauerhaft subventionierten Verlusten führen sollte.
Vielen Dank. Ich bin selbstverständlich mit Ihnen genau dieser Meinung. Wenn wir berechnen, was der Airbus per Saldo gebracht hat, dürfen wir nicht nur die Subventionen auf der einen Seite sehen, sondern wir müssen andererseits auf der Haben-Seite der Bilanz die vielen technologisch hochwertigen Arbeitsplätze sehen.
({0})
Wir müssen auf der anderen Seite sehen, daß beispielsweise unsere nationale Fluggesellschaft, die Lufthansa, beim Einkauf viel Geld sparen konnte, weil es einen Wettbewerber gab. Ich bin überzeugt, daß sich im Haushaltsausschuß wieder eine Mehrheit findet, wenn es darum geht, die Finanzen der Airbus-Industrie auf noch solidere Grundlagen zu stellen.
({1})
Im übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir neue Prioritäten im Einzelplan 09 gesetzt. Ich darf aufzählen: Die gesteigerte Handwerksförderung erleichtert die beschleunigte Anpassung an die fortschreitende Entwicklung der Technik.
In den Existenzgründungsprogrammen ist sichergestellt, daß das Eigenkapital-Hilfe-Programm und die Ansparförderung auch im nächsten Jahr fortgesetzt werden können.
Die Unternehmensberatung für mittelständische Unternehmen und Existenzgründungen bleibt weiterhin gewährleistet.
Die Fördermittel für die industrielle Gemeinschaftsforschung unterstützen besonders mittlere und kleine Unternehmen.
Auch die Personalkostenzuschüsse für Forschungspersonal dienen der weiteren Verbesserung der technologischen Leistungsfähigkeit mittelständischer Unternehmen.
Ein letzter Punkt: Die freien Tankstellen werden bei der Umstellung ihrer Anlagen auf bleifreies Benzin unterstützt.
({2})
- Wir haben dies in der Vergangenheit verwirklicht. Es ist von uns eingeführt worden, und es ist von uns in diesem Jahr fortgesetzt worden. Herr Kollege Wolfram, Sie sollten doch zumindest die neueste Version des Haushalts lesen.
({3})
Wir sind der Meinung, daß die Erhaltung des Wettbewerbs auf diesem Sektor ein Stück wirksamer Verbraucherpolitik ist, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es hat sich gezeigt, daß unsere Maßnahmen helfen, gerade leistungsfähige mittelständische Firmen zu fördern. Daran entscheidet sich, ob unser Land den Kampf um die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft auf dem Gebiet der technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Neuerungen für sich entscheiden kann. Ich bin der Meinung: Die mittelständische Wirtschaft fördern heißt das Rückgrat unserer Volkswirtschaft stärken.
({4})
Daß hier ein enger Ausgabenrahmen kein Hindernis darstellt, belegt die Entwicklung des Haushalts des Bundeswirtschaftsministers. Einschließlich des am Ende dieser Woche zur Verabschiedung anstehenden Einzelplans für das Jahr 1987 verzeichnen wir seit 1984 für den Gesamthaushalt des Bundeswirtschaftsministers 3,7 % Steigerung.
Gleichzeitig konnten jedoch die Ausgaben, welche die strukturelle Benachteiligung des gewerblichen Mittelstands abmildern helfen, um insgesamt 31,2 % gesteigert werden. Das ist eine konsequente Umschichtung in die richtige Richtung, die wir als Gemeinschaftsleistung von CDU/CSU und FDP bewirkt haben.
({5})
Wo bleibt die wirtschaftspolitische Alternative der SPD und ihrer grünen Handlanger?
({6})
Zumindest aus den Ausführungen des Herrn Roth war dies nicht herauszuhören. Im Gegenteil: Wenn Sie in der Lage gewesen wären, eine gute Wirtschaftspolitik zu betreiben, dann hätten Sie uns dies in der Vergangenheit beweisen können.
({7})
Ihre Forderungen lauten doch nur: höherer Staatsanteil. Das bedeutet mehr Staatsverschuldung,
({8})
höhere Steuern und Abgaben, neue Inflation, das bedeutet wieder neue Zinssteigerungen.
({9})
Schließlich führt dies alles nicht zu weniger, sondern zu mehr Arbeitslosigkeit.
({10})
Mit mehr Staat, mit höherer Steuerbelastung, vor allem für die Leistungsträger, und mit mehr Schulden kann weder spannungsfreies wirtschaftliches Wachstum noch eine Lösung der schwierigen Arbeitsmarktprobleme erzielt werden.
Wer dies alles nicht glaubt, der soll sich doch einmal an Beispielen orientieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({11})
Ich sage Ihnen gern das Geheimnis. Das Geheimnis heißt Nordrhein-Westfalen. Schauen Sie doch einmal hin: Dies ist ein Beispiel, abschreckend zwar - ich gebe es zu -, aber für jeden Wähler nachvollziehbar.
({12})
Dort heißt, wenn ich es richtig weiß, der Ministerpräsident Johannes Rau. Johannes Rau hat die
Schulden seines Landes seit 1977 mehr als verdreifacht.
({13})
Diese Mittel hat er offenbar nicht dafür eingesetzt, um das Ruhrgebiet - einen an sich infrastrukturell bestens ausgestatteten Raum - wirtschaftlich attraktiver zu machen, sondern dieses Geld - ({14})
Meine Damen und Herren, ich bitte, mit Zwischenrufen etwas zurückhaltender zu sein.
({0})
Dieses Geld ist hauptsächlich für Konsumausgaben verplempert worden. Die SPD-Landesregierung hat es versäumt - darüber hilft Ihre Schreierei überhaupt nicht hinweg, Herr Kollege Wolfram -, dem sich seit vielen Jahren abzeichnenden Strukturwandel im Montanbereich rechtzeitig wirksam zu begegnen. Und ich frage Sie jetzt: Was hätten wir von einem Mann und seiner Partei in der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten,
({0})
die eine Region mit besten Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung so eklatant heruntergewirtschaftet haben?
({1})
Ich kann Ihnen ein praktisches, gutes Beispiel bringen. Da werden Sie mir verzeihen, wenn ich in meine Heimat, den Freistaat Bayern, schaue. Er ist nämlich ein Beispiel für vernünftige Wirtschaftspolitik. Nach drei Jahrzehnten Regierungsverantwortung der CSU lassen sich die Erfolge dort sehen. Bayern ist heute das Land mit der größten Wirtschaftsdynamik.
({2})
Sein reales Wirtschaftswachstum betrug 1985 4,2 % - Ich gebe gerne zu, daß Baden-Württemberg in ähnlich guter Lage ist. Ich könnte auch noch andere Bundesländer finden.
({3})
Aber jetzt alle Bundesländer aufzuzählen würde zu weit führen. Ich bin aber der Meinung, daß allein der Vergleich zwischen Bayern und NordrheinWestfalen Bände spricht.
({4})
Der Wähler hat ja jetzt eine Entscheidung vor sich. Er kann ja jetzt wählen, ob er den sozialistischen Weg gehen will - ich würde ihn einmal mit dem nordrhein-westfälischen Weg personifizieren
- oder ob er einen christsozialen oder christdemokratischen Weg der Wirtschaftspolitik gehen will.
({5})
Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte hervorbringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte hervorbringt. Jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen, und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben.
Lukas 6, 43-46.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wirtschaftspolitik der CDU/CSU ist deutlich an ihren Früchten zu erkennen. Diese überaus erfolgreiche Politik wird auch in Zukunft fortgesetzt, fortgeführt werden.
({7})
Ich bin überzeugt: Dazu werden wir vom deutschen Wähler den Auftrag erhalten. Dieser Haushalt, den wir verabschieden, leistet dazu einen entscheidenden Beitrag. Er ist - wie seine Vorgänger seit dem Regierungswechsel - ein Beitrag zur weiteren Rückführung des Staatsanteils, zu einem andauernden Aufschwung, zu stabilen Preisen, zu steigenden Realeinkommen, zu niedrigen Zinsen,
({8})
zur Stärkung der Unternehmen und zu mehr neuen Arbeitsplätzen.
Deswegen sollten Sie diesem Haushalt zustimmen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tatge.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um den Wirtschaftshaushalt ermöglicht mir, Bilanz zu ziehen, die Bilanz einer verkorksten Regierungspolitik. Die Frage drängt sich auf: Wer ist Bangemann, was will er, für welche Politik steht er? Genaues weiß man nicht. Seit der Übernahme des Amtes als Bundeswirtschaftsminister durch Bangemann fehlen Sachkompetenz und jegliches Engagement zur Lösung der ökonomischen und der dringendsten ökologischen Fragen.
Vor dem Hintergrund anhaltender Massenerwerbslosigkeit hat die Armut in einer Weise zugenommen, die vor Jahren unvorstellbar gewesen ist. Zur Bilanz dieser Regierung gehören 2,8 Millionen Sozialhilfeempfänger im Jahre 1985. Bei mehr als einem Viertel der Sozialhilfeempfänger ist der Arbeitsplatzverlust die Hauptursache für den Sozialhilfebezug. Sie lassen Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose für Ihre Politik zahlen.
Das gleiche gilt für die ökonomischen Auswirkungen der bedrohlichen Konzentration in der bundesdeutschen Wirtschaft. Tausende von kleinen Ladenbesitzern müssen auf Grund der Handlungsverweigerung der Bundesregierung ihre Läden aufgeben. Die bestehende Versorgungsinfrastruktur läßt man zum Teufel gehen. Dafür gibt Bangemann bereitwillig den Lobbyisten des Großhandels nach, wenn sie - wie die Firma Aldi bei der Beratung des Abfallbeseitigungsgesetzes - nur genügend Druck machen.
Der Daimler-Benz-Konzern übernimmt nacheinander mehrheitlich oder vollständig MTU, Dornier, den Elektrokonzern AEG und wird somit gleichzeitig zum größten Rüstungskonzern. Bangemann sekundiert, fördert diesen Konzentrationsprozeß, der selbst nach Aussagen des Präsidenten des Bundeskartellamtes, Kartte, eine Gefahr für die demokratische Verfassung darstellt - ich zitiere -, „weil sie nicht mehr regierbar sind, sondern selbst die Regierung übernehmen, weil diese Unternehmen einen großen Teil der Steuern zahlen und der Arbeitsplätze stellen, mit ihren riesigen Investitionsvolumen die Industriepolitik bestimmen".
Das klägliche Verhalten des Wirtschaftsministeriums in der Energiediskussion und der ignorante, bornierte und läppische Energiebericht der Bundesregierung sind ein weiterer Meilenstein des Versagens. Vergebens wartet man auf eine vorausschauende Wirtschaftsstrukturpolitik, die z. B. im Bereich der Chemiepolitik schon längst Konversions- und Forschungsprojekte hätte anregen und durchsetzen können.
Auch unterstelle ich der Bundesregierung und dem Bundeswirtschaftsministerium den klaren Willen, mit Priorität erst einmal die Interessen der gro-Ben Konzerne von Daimler, Deutsche Bank, Bayer, BASF und Hoechst wahrzunehmen und durchzusetzen, um diese Konzerne vor ökonomischen und politischen Veränderungen zu bewahren und ihre Macht zu sichern.
Auch international versteht sich das Wirtschaftsministerium - und leider auch der überwiegende Teil des Wirtschaftsausschusses - als Handelsvertreter bundesdeutscher Industrieprodukte im Ausland, als kleiner Filialleiter mit großem Geltungsbedürfnis.
Wenn man jedoch politisch wollte, könnte man handeln. Erstens. Wir haben ein Paket zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit erstellt und im Deutschen Bundestag eingebracht. Es reicht von einer Novellierung des Arbeitszeitgesetzes über die Förderung örtlicher Beschäftigungsinitiativen bis hin zu gezielten Investitionsprogrammen, die einen Umbau der Industriegesellschaft ermöglichen würden.
Zweitens. Als Kernstück des Energiewendehaushalts haben wir mit dem eingesetzten Betrag von 3 Milliarden DM ein Programm zur Förderung der Energieeinsparung und der Nutzung regenerativer
Energiequellen vorgesehen als Antwort für einen Ausstieg aus der Atomenergie und für den Aufbau von Alternativen. Maßnahmen sind die Förderung dezentraler Heizkraftwerke, die Förderung industrieller Kraft-Wärme-Kopplung sowie der Wasser-und Windkraftnutzung; darüber hinaus die Förderung von Bioenergie und thermischer Sonnenenergienutzung, Maßnahmen zur Wärmedämmung und modernen Heizungstechnik im Wohnungssektor, Maßnahmen des Nah- und Fernwärmeausbaus und der Förderung stromsparender Haushaltsgeräte.
({0})
Ein komplettes Programm, das zeigt, wie eine Umstrukturierung im Bereich Energie möglich und realistisch ist.
Drittens. Ebenso haben wir seit vier Jahren Jahr für Jahr unsere Anträge zur Konversion der Chemieindustrie eingebracht. Wie notwendig diese Auseinandersetzung mit der Chemieindustrie ist, zeigen die kriminellen und unverantwortlichen Methoden der chemischen Großkonzerne in den letzten Tagen und Wochen. So kann man erfahren, daß ein Konzern wie die BASF mit Genehmigung der rheinland-pfälzischen Behörden 50 bis 100 kg an Metazachlor, einem hochgiftigen Unkrautbekämpfungsmittel, täglich in den Rhein einleiten darf. Ohne Rücksicht auf Verluste leitet dieser Konzern über 2 000 1 dioxinhaltiger und hochgiftiger 2, 4-d-Essigsäure in den Rhein ein. Dann wird gelogen, was das Zeug hält. Belogen werden das Düsseldorfer Umweltministerium, das Mainzer Umweltministerium, das Hessische Umweltministerium und natürlich auch der Wahrer der Chemieinteressen, Umweltminister Wallmann.
Da wird gesagt, dieser Stoff sei in wenigen Tagen abbaubar, wobei Tatsache ist, daß man mit einer Zeit von bis zu vier Monaten rechnen muß. Ebenso klar ist, daß man mit den Folgeprodukten in Form von langlebigen Stoffen wie chlorierten Phenolen und Chlorbenzolen, die sich im Fettgewebe anreichern, konfrontiert wird. Nun sollen die diversen Umweltpolitiker der Union nicht kommen und sich über die Informationspolitik der Chemieindustrie beklagen: Die Chemieindustrie geht mit ihnen so um, wie sie es verdienen,
({1})
selbstbewußt, arrogant, mit dem Wissen um ihre Macht und im Wissen darum, welche Politiker von ihnen abhängig sind.
({2})
- Die waren für unseren Energiewendehaushalt, Frau Simonis.
Wir wollen eine Entgiftung der chemischen Industrie und haben im September das „Konzept einer Sanften Chemie" eingebracht.
({3})
Ein Teil dieser Konzeption hat sich in dem von mir
schon erwähnten Antrag „Konversion der Chemieindustrie" niedergeschlagen. Wir haben darin vorgesehen, daß eine umfassende Bewertung chemischer Produkte und Produktionsbereiche vorgenommen wird. Finanziert werden sollen betriebliche Umstellungskomitees sowie Modellanlagen und -versuche. Wir wollen die Bereitstellung von günstigen Krediten und Steuererleichterungen, wir wollen Beratungshilfen, begleitende Forschung und Evaluierung und eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen.
({4})
Das Konzept der Sanften Chemie versucht die chemikalienorientierte Blickverengung zu überwinden und rückt die Herstellungs- und Bearbeitungsprozesse von Substanzen in den Mittelpunkt des Interesses. Erfolgreiche Ansätze existieren bereits in den Sektoren Pflanzenschutz, Wasch- und Reinigungsmittel, Farben, Lacke, Holzschutzmittel, Kunststoffe, Konservierung, Kosmetik und Medizin. Das Verbot zahlreicher Chemikalien, der Abbau bestimmter chemischer Branchen und die Umstellung von chemischen Betrieben auf neue Produktionsbereiche sind nach heutigem Erkenntnisstand unvermeidlich.
Gerade die Erfahrung und erfolgreiche Praxis der Naturfarbenhersteller, wie der Firma Schusser in Kärnten, aber auch der Firmen Livos, Auro Pflanzenchemie und anderer mehr in der Bundesrepublik Deutschland, oder auch der neuartige, biologisch abbaubare Kunststoff auf Zellulose-Basis der Firma ICI-Chemical in Großbritannien beweisen, daß ökologisch sinnvolle Innovationen dann möglich sind, wenn sich die Verantwortung gegenüber der Umwelt mit wirtschaftlichen Überlegungen verbindet. Hier könnte ein Bundeswirtschaftsminister Pfähle einschlagen und Zeichen setzen.
Die verheerenden Auswirkungen der Atom- wie der Chemieindustrie zeigen eben auch die ökonomische Irrationalität und die im System angelegte Verschwendung unserer Produktion. Der gesamte Abfall in diesem Bereich wird sozialisiert, der Steuerzahler wird für die Folgekosten in Anspruch genommen, und wir alle müssen die gesundheitlichen, politischen und ökonomischen Kosten tragen.
Aber zu Ihrer politischen und ideologischen Abhängigkeit von der Großindustrie kommt eine Verhärtung und Abschottung gegen Bewegungen und neuen Ideen aus der Bevölkerung. Daß die Bundesregierung z. B. in der Anhörung zum Energiebericht so hilflos ausgesehen hat, läßt eigentlich nur den Schluß zu, daß neben der Abhängigkeit von den Energieversorgungsunternehmen Georg Christoph Lichtenberg recht hat, indem er sagt: „Die meisten Glaubenslehrer verteidigen ihre Sätze nicht, weil sie von der Wahrheit derselben überzeugt sind, sondern weil sie die einmal behauptet haben."
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Wissmann hat mich eben gebeten: Heute bitte keine Bibelzitate! Ich will dieser Bitte gern entsprechen.
({0})
Meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat hat seine Empfehlungen für die künftige Wirtschaftspolitik auf die einprägsame Kurzformel „Bewahren und Reformieren" gebracht. Bewahren, d. h. die Haushaltskonsolidierung verteidigen, die Zinssenkung nicht preisgeben, die Preissteigerungsrate niedrig halten und den Wachstumskurs fortsetzen, damit auch der Beschäftigungsanstieg weitergehen kann. In Kurzform: Die unbezweifelbaren Erfolge der Wende müssen gefestigt werden.
Deutlicher, als es in einer kürzlichen Meinungsbefragung des „Politbarometers" zum Ausdruck kam, kann es überhaupt nicht gesagt werden: Mehr als 50 % der Bevölkerung beurteilen ihre eigene wirtschaftliche Position als gut oder gar als sehr gut, 35 % beantworten diese Frage mit „teils, teils", und nur 9 % der Bevölkerung sagen, daß es ihnen „schlecht" oder „sehr schlecht" gehe. Dies ist eine entscheidende, eine wichtige Antwort zur Beurteilung unserer Politik.
Die Steigerung der realen Kaufkraft, der Konsumkraft des durchschnittlichen Verbrauchers machen sich bemerkbar, und der Einzelhandel wird das beste Weihnachtsgeschäft seit vielen Jahren erleben. Wenn dabei jetzt, meine Damen und Herren, von der Droge „Luxuskonsum" gesprochen wird, so sei festgehalten, daß der Luxus von heute nur zu oft der Massenkonsum von morgen ist.
({1})
- Vor wenigen Jahren waren Farbfernseher und Mittelklassewagen natürlich noch Luxuseinrichtungen, heute sind sie Massenkonsum; Sie alle wissen das. Ich habe aber Ihre Zwischenrufe erwartet.
({2})
Meine Damen und Herren, griesgrämige Ökosozialisten möchten gar zu gerne vorschreiben, daß es nur drei Sorten Leberwurst gibt und daß luxuriöse Armbanduhren aus den Schaufenstern unserer Geschäfte zu verschwinden haben.
({3})
In der Marktwirtschaft aber entscheidet der Verbraucher: Seine Kaufentscheidung macht den Markt, der Konsum bestimmt Produktion und Vertrieb und nicht umgekehrt. Schon gar nicht bestimmt der Staat.
Reformieren, sagt der Sachverständigenrat. Reform ist kein Schreckwort. Reform heißt Verbesserung, obwohl bei den Sozialdemokraten Reformieren längst nur noch mit Geldausgeben gleichgesetzt wird. Was heißt Reform unter den heutigen volkswirtschaftlichen Umständen? Es heißt Sicherung des Wachstums in Stabilität, unter Umständen, die binnen- und außenwirtschaftlich schwieriger werden. Der Antriebsmotor für die deutsche Wirtschaft verlagert sich noch stärker vom Export auf die Binnenkonjunktur. Diese gilt es, durch eine umfassende Steuerreform mit deutlichen Entlastungswirkungen für Unternehmen und Private zu stützen. Die Steuern dürfen nicht nur umverteilt werden, wie es die Sozialdemokraten vorschlagen. Sie müssen herunter. Das Existenzminimum muß steuerfrei bleiben. Der linear progressive Tarif muß mit der Sonderbelastung des Mittelstandes Schluß machen. Eine Senkung des Spitzensteuersatzes ist schon aus Gründen der Sicherung des Investitionsstandortes Bundesrepublik Deutschland notwendig. Ob die unbelehrbaren Verfechter, Herr Roth, der steuerstundenden, nicht aber steuersenkenden Investitionsrücklage den Hinweis des Sachverständigenrates begreifen, daß dieser Schritt konzentrationsfördernd wäre? Einen schleichenden Einstieg in die Investitionslenkung hat CDU-Generalsekretär Geißler ihn genannt. Recht hat er.
Meine Damen und Herren, eine Steuerreform kann nur erfolgen, wenn der Subventionsabbau und auch der Abbau von Steuervergünstigungen endlich gelingt. Das muß auch zur Steuervereinfachung führen. Die Kompliziertheit unseres Steuersystems bedeutet gerade für den durchschnittlichen Steuerzahler ein hohes Maß an Ungerechtigkeit. Dieser Teil der US-Steuerreform ist ebenso bewundernswie nachahmenswert. Werden wir die Kraft dazu haben? Es ist die Stunde klarer ordnungspolitischer Entscheidungen gekommen. Dabei geht es nicht nur um Geld. Es geht um den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, wenn wir den Subventionsabbau, die Privatisierung, die Deregulierung fordern.
Herr Kollege Glos, Sie haben das Airbus-Thema aufgeworfen. Es bereitet den Haushältern ja wohl Sorgen. Eines steht doch wohl fest: Der break-evenpoint fliegt immer schneller davon, als der Airbus hinterherfliegen kann. Die Erfahrungen machen wir seit zehn Jahren.
({4})
Die Verteidigung des Airbus aber sichert dem Kollegen Glos einige rühmende Zeilen in der nächsten Ausgabe des „Bayernkurier". Das war es dann sicher auch wert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Riedl?
Bitte sehr, wenn ich die Zeit nicht angerechnet bekomme. Gern, Herr Präsident.
Ich rechne das nicht an.
Danke schön, Herr Präsident. Herr Kollege Graf Lambsdorff, sind Sie nicht bereit zuzugeben, daß gerade Sie als Bundeswirtschaftsminister in den 70er Jahren in hervorragender Weise - was wir damals als Opposition anerkannt haben - den Airbus mit hohen Beträgen gefördert und damit einige tausend ganz wertvolle Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen
Dr. Riedl ({0})
und gesichert haben? Warum distanzieren Sie sich denn heute davon?
({1})
Sie verstehen in einer etwas gereizten Überempfindlichkeit eine Frage und den Hinweis darauf, daß das ein Problem bedeutet, als Distanzierung. Ich weiß ja, daß wir in der Airbus-Finanzierung in einer Weise stecken, daß keiner heraus kann. Ich weiß aber auch, daß die Fortsetzung der derzeitigen Airbus-Finanzierung mit der vor uns hergeschobenen Bugwelle dieses ungeheuren Bürgschaftsvolumens uns vor haushaltspolitische Fragen und Probleme stellt, die es zu besprechen, zu ändern und zu verbessern gilt.
({0})
Es geht doch nicht darum, den Airbus wegzuwerfen, sondern es geht darum, die Finanzierung auf eine etwas vernünftigere Grundlage zu stellen.
({1})
Meine Damen und Herren, immer kassieren die Großen die Subventionen: 140 Millionen DM für Daimler-Benz. Was bekommt denn eigentlich der Schlossermeister in Rastatt, der seinen Betrieb durch Grundstückserwerb erweitern will? Der bekommt natürlich nichts.
({2})
Ist es nicht peinlich, daß jetzt die EG-Kommission dafür sorgen muß, daß sich die politischen Nachfahren Ludwig Erhards marktwirtschaftlich verhalten?
({3})
Privatisierung heißt, der Staat hat im Wettbewerb mit Privaten nichts zu suchen, weil er ihnen dort unfaire Konkurrenz macht. Gegen die Finanzkraft eines Bundes- oder Landesfinanzministers kann kein Privater erfolgreich konkurrieren.
({4})
Meine Damen und Herren, warum redet eigentlich der Postminister von einer möglichen Privatisierung des Telekommunikationsbereichs wie der Teufel vom Weihwasser? Gehört ein Schlüsselbereich unserer technischen Entwicklung in die Hand des Staates?
({5})
Gibt es uns nicht zu denken, daß man in der ganzen Welt andere Wege geht? Ist es richtig, meine Damen und Herren, daß die notgedrungen defizitären Bereiche der Post die Weiterentwicklung einer Zukunftstechnologie dauerhaft belasten? Kann gewerkschaftliches Organisationsdenken hier ausschlaggebend sein?
Nicht mehr Steuern und Abgaben oder Beschäftigungsprogramme mit neuen Schulden sind das Gebot der Stunde.
({6})
Aber das nicht stabilitätsgefährdende Wachstumspotential muß genutzt werden. Das heißt eben, Steuern und Subventionen herunterfahren, den Wettbewerb stärken, die Einrichtungen der sozialen Sicherung langfristig reformieren, die Probleme der europäischen Agrarpolitik lösen. Es bedeutet ständigen Einsatz der Bundesrepublik Deutschland für offene Märkte in der Welt. Wer zu einem Drittel seines Bruttosozialprodukts vom Export abhängt, der braucht die Welt. Nur unverantwortliche grüne Politamateure können der Bundesrepublik empfehlen, sich aus der Weltwirtschaft abzumelden.
({7}) Acht Millionen Arbeitsplätze weniger wären das.
Wir wissen, wie sehr die Außenwirtschaft unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung beeinflußt. Der offene Markt Bundesrepublik ist eine ständige Aufforderung, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und auszubauen. Damit sichern wir uns die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung. Deshalb muß die Bundesrepublik Deutschland an vorderster Front gegen den weltweit grassierenden Hang zu mehr Protektionismus stehen. Sie darf sich dabei nicht von den Wünschen unserer Industrie, auch nicht der Stahlindustrie, ans Gängelband nehmen lassen. Protektionismus ist wie ein Ölfleck auf dem Wasser. Er breitet sich unaufhaltsam aus, wenn man ihn auch nur teilweise entstehen läßt.
Die Diskussion um die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte wird weitergehen. Die FDP unterstützt Bundesregierung und Bundesbank in ihrer Haltung, die notwendigen Anpassungen nicht über Währungsinterventionen, Zielzonen, feste Wechselkurse oder gar über eine laxe Geldmengenpolitik zu suchen. Die Nachrichten über ein angebliches währungspolitisches Abkommen zwischen den USA und der Bundesrepublik analog dem zwischen den USA und Japan erfüllen uns eher mit Mißtrauen.
({8})
Nach meinem Eindruck haben die Japaner die Vereinigten Staaten bei dieser Abmachung elegant aufs Kreuz gelegt. Sollen wir jetzt zur Entlastung dienen?
({9})
Im heutigen Bericht des „Handelsblattes" heißt es dazu:
In jedem Falle gehe es aber bei diesem tripolaren Stabilisierungssystem nicht um klar definierte Zielzonen, sondern um eher lockere Stabilitätsbereiche auf einem mit den makroökonomischen Grunddaten adäquaten Niveau der drei Währungen.
({10})
Dr. Graf Lambsdorff - Auf Deutsch:
({11})
There is no business but show business.
Aber es sei noch einmal gesagt, meine Damen und Herren: Wir besitzen ein Wachstumspotential, dessen Nutzung die Stabilität nicht gefährden würde. Entfesseln wir die deutsche Volkswirtschaft wenigstens teilweise
({12})
aus dem Netz von Steuer- und Abgabendruck, Regulierungswut und Staatseingriffen. Es wird zu unser aller Nutzen sein.
({13})
Der Allfürsorger Staat drückt heute mehr und mehr gerade den, für den er angeblich sorgen will, nämlich den vielzitierten kleinen Mann.
({14})
Meine Damen und Herren, das Thema Arbeitslosigkeit bleibt bedrückend. Die Prognose des Sachverständigenrates stimmt trübe.
({15})
Sie geht - realistischerweise, muß man leider sagen - von den jetzigen Rahmenbedingungen aus. Wenn Staat und Tarifpartner auch in Zukunft nicht an Tabus rühren wollen, dann werden wir mit zwei Millionen Arbeitslosen dafür büßen. Aber wenn wir Schluß machen mit Sockellohnerhöhungen und starren Tarifverträgen, wenn wir Lohnnebenkosten abbauen und Beiträge senken, wenn wir damit der Schwarzarbeit das Wasser abgraben, wenn wir dafür sorgen, daß Arbeit wieder rentabel wird, dann können wir beim Abbau der Arbeitslosigkeit vorankommen, auch und gerade in den Problemgebieten, Herr Roth, die Sie genannt haben. Wenn man aber glaubt - ich zitiere den Finanzminister aus seiner Haushaltsrede zur ersten Lesung -, einer maroden Werft in Schleswig-Holstein dieselbe Lohnerhöhung wie Daimler Benz zumuten zu müssen, dann werden wir die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen, und es bleibt die Schuld derjenigen, die dafür Verantwortung tragen.
({16})
Dennoch, meine Damen und Herren: Vier Jahre Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung haben uns weit gebracht.
({17})
Die nächsten vier Jahre werden und müssen uns noch sehr viel weiter bringen.
Ich bedanke mich fürs Zuhören.
({18})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Simonis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Pastoren wissen es: Wenn den Menschen bänglich wird, gehen Sie in die Kirche oder greifen zur Bibel. Die Häufigkeit, mit der von der rechten Seite des Hauses in letzter Zeit die Bibel zitiert wird, läßt auf große Bänglichkeit bei Ihnen deuten.
({0})
Wie intim des Grafen Kenntnis über die Droge „Luxus" ist, kann ich nicht beurteilen. Aber das Problem der Sozialdemokraten ist nicht, Herr Graf
({1})
- ich streiche den „Herrn", ich lasse es beim „Graf" -, ob sich etwa ein Werftarbeiter bei uns in Schleswig-Holstein einen Zobel für 74 000 Mark oder eine Uhr für 25 000 Mark oder ein Gramm von irgendeiner ausgefallenen Trüffelpastete für 250 Mark leisten kann, uns geht es darum, ob der Werftarbeiter mit den 1 600 Mark netto seine Familie und sich selber durchbringen und daß er seinen Arbeitsplatz behalten kann.
({2})
Vor etwa drei Wochen sprach der Wirtschaftsminister vor dem Nautischen Verein zu Kiel. Zum Abschluß der Veranstaltung sangen die „Knurrhähne", der Wirtschaftsminister, der gebeten worden war, mitzusingen, stellte sich mit offenem Mund dazu - die „Kieler Nachrichten" haben es der Nachwelt überliefert - und erklärte, er könne nicht singen, aber wenigstens so tun, als ob.
({3})
So wie mit dem Singen, Herr Bangemann, ist es bei Ihnen auch mit der Wirtschaftspolitik,
({4})
nur leider mit größerer Schadenswirkung für die Beteiligten. Sie tun so, als ob, und können es doch nicht.
Im November 1985 lehnten Sie im Haushaltsausschuß den Antrag der SPD, für die Werften Mittel zur Umstrukturierung zur Verfügung zu stellen, mit folgenden Hinweisen ab, a) den Werften gehe es hervorragend, b) sie brauchten kein Geld aber c) mehr Markt. - Ein Jahr später zittern Tausende von Arbeitnehmern um ihren Arbeitsplatz, gehen Werften in Konkurs, liegt die Arbeitslosigkeit im Norden bei den Werftstandorten mindestens bei 15%.
In einem Interview nach der Veranstaltung des Nautischen Vereins gaben Sie zu, daß wir in der Bundesrepublik um Kapazitätsabbau in der Schiffbauindustrie nicht herumkommen. Und dann geht es wörtlich weiter:
Es gibt keinen Katalog, wann, wo und wie eine Arbeitsplatzverringerung im Schiffbau erfolgen soll.
Und etwas später sagen Sie als Rettung für das Ganze, man solle mit dem Gejammere über das Nord-Süd-Gefälle aufhören. Das ist alles ein bißchen dünne für den Mann,
({5})
der als Wirtschaftsminister dafür verantwortlich ist, daß Milliardenbeträge eingesetzt werden, um Regionalpolitik zu machen, um Strukturpolitik zu machen, um Beschäftigungspolitik zu machen, um Jugendarbeitslosigkeit, Frauenarbeitslosigkeit, Behindertenarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
({6})
Nach dieser Bauchlandung in Sachen prognostischer Urteilsfähigkeit hätte man erwartet, daß Sie bei den diesjährigen Haushaltsberatungen etwas vorsichtiger formulierten. Aber wieder einmal ging Ihr fröhlicher Optimismus mit Ihnen durch. Stahlprobleme? Die gibt es nicht. Obgleich die Stahlfirmen schon wieder rote Zahlen schreiben, gibt es aus Ihrer Sicht keinen Grund zum Eingreifen, überhaupt keinen Anlaß, den Entwicklungen entgegenzusteuern. Die Gerüchteküche spricht von Fusion der drei großen Stahlfirmen, um zu rationalisieren. Der Wirtschaftsminister macht in Optimismus. Eigentlich müßte dem Stahlarbeiter mit Blick auf den Werftkollegen angst und bange werden; denn auch wenn es der Wirtschaftsminister nicht wahrnehmen will, es mehren sich die bedrohlichen Zeichen, daß Massenarbeitslosigkeit und Massenentlassungen im Stahlbereich anstehen.
({7})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lammert?
Ja.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Lammert.
Frau Kollegin Simonis, wie beurteilen Sie die internationalen Erfahrungen gerade im Stahlbereich, wonach in den Ländern, in denen die öffentlichen Fördermittel für die nationale Stahlindustrie am höchsten waren, der Verlust an Arbeitsplätzen ebenfalls größer war als in Ländern mit geringerer öffentlicher Förderkulisse?
({0})
So einfach, wie Sie das jetzt hier darstellen wollen, um den Wirtschaftsminister zu entlasten, ist das nicht.
({0})
Es ist ein bißchen komplizierter. Der Wirtschaftsminister hat es auch nicht begriffen; denn deswegen
hat er zugelassen, daß die Stahlsubventionierungen
in Italien und Frankreich über den vereinbarten Termin hinaus weitergeführt werden können,
({1})
wodurch bei uns in der Bundesrepublik das Problem überhaupt erst losgeht.
({2})
Es gäbe genug Signale, wenn man sie nur wahrhaben wollte. Die Weltwirtschaft zeigt Ermüdungserscheinungen. Die Konjunktur in den USA erlahmt. In Japan wird in der Zwischenzeit von „Krise" geredet. Die Verschuldungsprobleme der Dritten Welt nehmen zu. Die OPEC-Staaten leiden unter dem Ölpreisverfall. - Für Fachleute ist es keine Frage, daß der kräftige Rückgang des Auftragseingangs aus dem Ausland damit zu tun hat. Die Beurteilung der Bundesregierung: Ein Sommerloch. Nun ist gerade im Exportgeschäft weder der Urlaub noch der Sommer eine bestimmende Komponente. Aber was macht es? Den Wirtschaftsminister kann diese Tatsache überhaupt nicht kratzen. Um 15% gehen im August die Auftragseingänge aus dem Ausland zurück. Er erklärt es, da er j a nicht zugeben kann, daß er sich geirrt hat, für einen statistischen Ausreißer.
Die Zahl der Arbeitslosen bleibt für das Jahr 1987 und weit darüber hinaus nach Ihren eigenen Angaben in der mittelfristigen Finanzplanung bei weit über zwei Millionen. Der Sachverständigenrat korrigierte die noch im Sommer genannte Wachstumsrate kräftig nach unten und mahnt zur Vorsicht. Die „Süddeutsche Zeitung" bemerkt, daß sich sogar der Sachverständigenrat noch auf schwankendem Boden bei seinen Berechnungen bewegt; die Regierung fühlt sich bestätigt.
Nach einer Vorhersage des IFO-Instituts in München werden sich die Anlageinvestitionen im nächsten Jahr halbieren. Konsequenzen für eine Beschäftigungspolitik, für ein Abfedern möglicher konjunktureller Umbrüche werden nicht ergriffen. Während uns hier noch erzählt wird, daß Optimismus angesagt ist, können Sie heute bei dpa nachlesen: „Der Optimismus der Unternehmer läßt nach." Wer hatte nun eigentlich recht, Sie mit Ihrem fröhlichen Optimismus oder wir mit unseren Mahnungen?
({3})
Bereits im Oktober hatten die führenden deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die nicht Kassandra waren, sondern sich rühmen, angeblich etwas von Wirtschaft zu verstehen, in ihrem Herbstgutachten dem Finanzminister vorgeworfen, er berücksichtige bei seiner Politik gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge und strukturelle Erfordernisse nicht. Wie kann er auch?! Ein Finanzminister, der mit der Mentalität eines Hauptabteilungsleiters der Sparabteilung der Sparkasse wirtschaftet, und ein Wirtschaftsminister, der im wesentlichen seine eigenen Parteipannen beseitigt, können gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
nicht erkennen und notwendigen strukturellen Erfordernissen nicht nachkommen.
({4})
Läßt man einmal Revue passieren, wie Sie versucht haben, die Werftenkrise zu lösen, dann fällt vor allem der Dilettantismus auf.
({5})
Vor einem Jahr war angeblich alles noch in Butter. Dann mußten Fregatten, die in keiner Bedrohungsanalyse stehen, und Flottendienstboote, die ebenfalls in keiner Bedrohungsanalyse stehen, nachgeschoben werden, weil offensichtlich doch nicht alles in Butter war. Zum Schluß kam als Höhepunkt vorausschauender Regionalpolitik der Auftrag für drei Containerschiffe für die American President Line. Mit 40 % Subventionen, nämlich 225 Millionen DM, übernimmt der deutsche Steuerzahler
({6})
die Bezahlung dieser Schiffe für einen amerikanischen Reeder.
300 Millionen DM stellen Sie den vier norddeutschen Küstenländern zur Verfügung, um innerhalb von zwei Jahren Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Die Zitterpartie für die Werftarbeiter ist nicht zu Ende, nicht für die bei HDW und erst recht nicht für die anderen Wahlstandorte. „Wahlfänger" nennen die Werftarbeiter denn auch diese Hilfen, bei denen bestenfalls klar ist, daß in Rendsburg bis zum Mai, in Flensburg und Büsum bis Ende nächsten Jahres die Arbeit gesichert ist. Es ist sicher kein Küstenklatsch, wenn befürchtet wird, mit den Containerschiffen sollte nicht Arbeit gesichert, sondern HDW auf Privatisierungsniveau gehoben werden.
Wir werden Sie nicht aus der Verantwortung für HDW entlassen. Wir werden darauf dringen, daß HDW in der öffentlichen Hand bleibt, und daß die Arbeitsplätze dort oben sicher sind.
({7})
Sollten die fünf Weisen recht haben, dann werden ihnen in den folgenden Jahren nach ihren eigenen Planungen, die sie im Finanzplanungsrat miteinander verabredet haben, 12 Milliarden an Steuereinnahmen fehlen. Dann sieht es allerdings düster aus, nicht nur für den Norden Deutschlands, sondern auch für die anderen Regionen wie den Bayerischen Wald, das Zonenrandgebiet, das Saarland, den Aachener Raum, in jedem Stahl- und Kohlestandort. Es fehlt Ihnen nicht nur an Geld, es fehlt Ihnen an Ideen, und es fehlt Ihnen vor allem am Willen, etwas zu machen.
({8})
Sie, die Sie ablehnen, Neuverschuldung einzugehen, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, lassen erkennen, daß Sie Neuverschuldung zulassen werden, um Steuersenkungen zu machen. Dies ist der absolute Wahnsinn einer verfehlten Wirtschaftspolitik.
({9})
Es kann dem Wirtschaftsminister passieren, daß es ihm so geht, wie dem Mann, von dem man annahm, daß er Pläne gehabt hat. Beim Aufräumen seines Schreibtisches fand man in seinen Schubladen tote vertrocknete Fliegen.
({10})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor man sich streitet, sollte man vielleicht doch einen Blick in das Sachverständigengutachten werfen. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten die Ziffern 1, 12 und 14 aus der Kurzfassung. In Ziffer 1 heißt es:
In der Bundesrepublik hat sich der Aufschwung 1986 fortgesetzt. Nachfrage und Produktion sind das Jahr über zwar nicht stetig, im ganzen aber weiter deutlich gestiegen. Mit 2,5% war der Zuwachs des realen Sozialprodukts im vierten Aufschwungjahr etwa so hoch wie im dritten. Dabei sind die vorhandenen Produktionsmöglichkeiten nicht nur besser ausgelastet worden, sondern sie sind auch verstärkt gewachsen. Der Beschäftigungsanstieg hielt unvermindert an, und die Zahl der Arbeitslosen ist - anders als in den Jahren davor - leicht zurückgegangen. Das Preisniveau - und das sticht unter allem anderen besonders hervor - ist in diesem Jahr stabil geblieben. Noch einmal zugenommen hat der Überschuß im Leistungsverkehr mit dem Ausland.
Meine Damen und Herren. Das ist die Ziffer 1 des Sachverständigengutachtens!
Ich zitiere nun die Ziffer 12:
Die Perspektiven für 1987 bleiben günstig. Die Wirtschaft der Bundesrepublik befindet sich weiter auf Wachstumskurs. Der Wechsel zu einer kräftigeren Binnenkonjunktur ist in vollem Gange. An Stelle des Exports ist der private Verbrauch neben den Investitionen zur Stütze der Konjunktur geworden. Von Bedeutung ist dabei, daß der Aufschwung nun auch auf die Bauwirtschaft übergreift.
({0})
- Daß Sie das alles zum erstenmal hören, weiß ich ja, und deswegen lese ich es Ihnen ja vor!
({1})
In der Ziffer 14 heißt es:
Eine anhaltend gute Binnenkonjunktur, die ihre Impulse von steigenden Investitionsausgaben und Konsumausgaben erhält, weiter zunehmende Beschäftigung und ein nahezu stabiles Preis- und Kostenniveau, dies werden vor19240
aussichtlich die Merkmale der wirtschaftlichen Entwicklung im Jahre 1987 sein.
({2})
Der Aufschwung behält somit sein solides Fundament. Das läßt die Perspektiven auch für die Zeit nach 1987 günstig erscheinen. Die Chancen bleiben gut, daß die Beschäftigung weiter steigt und der Abbau der Arbeitslosigkeit vorankommt.
({3})
Meine Damen und Herren. es sind die unabhängigen Sachverständigen, die das gesagt haben!
({4})
- Ich sage das nur, damit hier endlich einmal die Grundlage dessen klar ist, worüber wir diskutieren. Diese Aussagen sind nicht von der Bundesregierung beeinflußt; das weiß jeder. Der Sachveständigenrat besteht aus unabhängigen Persönlichkeiten, die ihr eigenes Urteil fällen und die es auch anders gefällt hätten, wenn das ihrer Überzeugung entsprochen hätte.
({5})
Meine Damen und Herren, dies alles ist noch viel günstiger, wenn man folgendes bedenkt - das sage ich vor allem der Opposition -: Vor zwei Jahren ist hier bejammert und beklagt worden, der Aufschwung stütze sich allein auf den Export. Ich kann mich noch an die Diskussionen erinnern, in denen man hier sagte: Na j a, es ist vielleicht ganz schön und ganz gut, aber es ist eine große Gefahr, daß es nur eine Stütze der Konjunktur gibt. Jetzt haben wir Binnennachfrage, jetzt zieht der Konsum an, jetzt haben wir eine verstärkte Investitionstätigkeit auf dem Binnenmarkt, jetzt gleichen wir das, was wir im Export an entsprechendem Zuwachs nicht mehr haben, durch Binnennachfrage aus. Und dann fängt jetzt das Gejammere an, daß der Export nachgelassen hat!
({6})
Meine Damen und Herren, wenn dann wieder das Stichwort von der Umverteilung von unten nach oben fällt, sage ich Ihnen: Das schlechteste Datum für die Beschäftigten war im Jahre 1982, als nämlich eine Anlage in Geldkapital rentabler geworden war als eine Sachanlage. Zu investieren - was sowieso normalerweise risikoreicher ist, als Geld anzulegen - war weniger ertragreich geworden, als sein Geld anzulegen, so daß sogar große deutsche Firmen dazu übergegangen waren, Geld, statt es zu investieren, wie eine Bank zu verwenden, nämlich es anzulegen und von den Erträgen zu leben.
({7})
Das war das Ergebnis einer Politik, die keine Rücksicht darauf genommen hat,
({8})
daß ein Unternehmen investieren muß, wenn es Arbeitsplätze schaffen will.
({9})
- Daß das das Ergebnis einer Politik war, die wir verlassen haben, die wir aufgegeben haben, wissen Sie sehr wohl! Das war der Grund, aus dem wir das nicht weitergemacht haben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie nicht dem glauben, was die Bundesregierung Ihnen dazu sagt
- und das ist j a bei einer Opposition, die unbelehrbar ist, auch nicht anzunehmen -, dann schauen Sie in die Berichte der Bundesbank. Im April-Bericht dieses Jahres ist die Bundesbank an Hand einer empirischen Untersuchung, die sich auf 14 000 Unternehmen erstreckte, dem Zusammenhang nachgegangen, der zwischen Ertragslage, Eigenkapitalbildung, Investitionstätigkeit und Schaffung von Arbeitsplätzen besteht. Was jeder weiß, der in der Wirtschaft tätig ist, hat sich dort bestätigt: Wenn ein Unternehmen keinen Ertrag hat, muß das zu Lasten der Eigenkapitalquote gehen. Die Eigenkapitalquote war bis vor kurzem gesunken. Wir haben bei großen deutschen Unternehmen eine Eigenkapitalquote von 25%, im Durchschnitt der kleinen und mittleren eine solche von 10 % und in manchen Branchen, beispielsweise in der Baubranche, inzwischen von 2 %, d. h. dort arbeiten Unternehmen mit 98 % Fremdkapital. Um das zu ändern, brauchen Unternehmen Ertrag, der ihnen die Verstärkung der Eigenkapitalquote, Investitionen und damit Schaffung von Arbeitsplätzen erlaubt. Das ist das einhellige Ergebnis dieser Untersuchung der Bundesbank. So machen wir unsere Politik.
({10})
Der Kapitalexport, der beklagt wird, ist zu großen Teilen ein Ergebnis der weltweiten Verflechtung der deutschen Industrie. Ein Land, das zu einem Drittel seines Sozialprodukts darauf angewiesen ist, außenwirtschaftliche Beziehungen aufrechtzuerhalten, muß im Ausland investieren. Sie verlangen das ja auch.
({11})
- Herr Roth, Kapitalexport besteht zum Teil aus Mitteln, die im Ausland investiert werden. Es wäre besser, wenn Sie sich das einmal ansähen, denn Sie verlangen ja zu Recht,
({12})
daß sich die deutsche Industrie engagiert, und zwar nicht nur in anderen Industrieländern, sondern auch in Entwicklungsländern.
({13})
Sie verlangen ja zu Recht, daß diese internationale Verflechtung zunimmt. Die deutsche Industrie macht nichts anderes.
Nun muß man wirklich sagen: Sie müssen schon sehr erkältet sein, Herr Roth, wenn Sie die Behauptung aufstellen können, daß die Sachverständigen im fünften Jahr des Aufschwungs vorhergesagt haben, es werde kein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen. Das ist einfach falsch.
({14})
- Sie können es j a nachlesen.
Der Sachverständigenrat hat einen weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit und einen Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen von etwa 250 000 im nächsten Jahr prognostiziert.
({15})
Was hier zu den Werften gesagt wurde, haben wir schon versucht, im Haushaltsausschuß auszuräumen.
({16})
Frau Simonis, es ist übrigens nicht nur das falsch, was Sie dazu sagen, sondern auch Ihre Behauptung über das Singen: Die „Knurrhähne" in Kiel haben nur deswegen bestehen können, weil ich mitgesungen habe. „Rowling home" haben wir gesungen.
({17})
Aber es macht j a nichts. Da alle Ihre Behauptungen falsch waren, habe ich auch ruhig hinnehmen können, daß auch diese Behauptung noch zusätzlich falsch war. Das hat mich nicht weiter erregt. Es war vollkommen klar, daß sich die Situation der Werftindustrie 1985 nach den Zahlen, die wir alle hatten, anders als in diesem Jahr darstellte.
({18})
- Was heißt „nee"? Dann kann ich Ihren Antrag, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 10/4354 vom 25. November 1985, also Ende November 1985, nicht verstehen. Da schreibt die SPD-Fraktion in der Begründung:
({19})
Diese Maßnahmen ,,... haben dazu beigetragen, daß der Umstellungsprozeß von der Auftragslage her jetzt in geordneten Bahnen verläuft." - Werftindustrie! - „Die Bundesregierung beabsichtigt nunmehr, Kürzungen ..." vorzunehmen. „Hierdurch würde die erreichte Stabilisierung ernsthaft gefährdet." - Das ist Ihr Text. Dann stellen Sie sich hier hin und sagen: Die Bundesregierung beurteilte die Situation der Werften 1985 falsch. Sie haben sie genauso beurteilt wie wir.
({20})
Was ich mit dem Gejammere vom Nord-Süd-Gefälle gemeint habe, ist einfach folgendes: Wenn die Länder des Nordens ständig wiederholen, daß es ein Nord-Süd-Gefälle gibt, daß es in Bayern und Baden-Württemberg bessere wirtschaftliche Bedingungen gibt, dann werden sich eines Tages überhaupt keine Menschen mehr dort ansiedeln, weil sie ja sagen müssen: Die eigenen Länder haben kein
Zutrauen in ihre Entwicklung. Das habe ich gesagt. Das ist der Punkt.
({21})
Dann hat Herr Roth die Behauptung aufgestellt, der Jahrhundertvertrag sei nicht erwähnt worden. Meine Damen und Herren, auch den Energiebericht hat die Opposition nicht gelesen.
({22})
- Auch die Verlängerung steht drin, Herr Roth. Ich danke Ihnen für den Zwischenruf, weil Sie mir dadurch die Möglichkeit geben, mein Zitat abzukürzen. Auf Seite 20 steht:
In der kommenden Legislaturperiode werden die Vertragspartner über eine Anschlußregelung des Verstromungsvertrages für die Zeit nach 1995 verhandeln. Die Bundesregierung wird diese Verhandlungen aktiv begleiten. Bei dieser Gelegenheit werden auch die Hilfen aus dem Verstromungsfonds, insbesondere der Ölausgleich, überprüft werden müssen.
({23})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Minister, können Sie mir und den Betroffenen nach Ihren zuletzt gemachten Ausführungen erklären, warum Sie die Arbeitslosigkeit in Ostfriesland bei einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 24 % im Jahr - 600 Bürgerinnen und Bürger müssen inzwischen bei Mercedes in Stuttgart arbeiten - nicht bekämpfen konnten?
Ja, das kann ich Ihnen sagen: weil es nicht möglich ist, den Gewerkschaften und Ihnen klarzumachen, daß differenzierte Tarifverträge der eigentliche Vorteil für solche Regionen sind. Das ist der Grund dafür.
({0})
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Stahlkrise und zur Industriepolitik, insbesondere zum Airbus, sagen.
Meine Damen und Herren, die Stahlkrise ist noch nicht beendet, aber sie kann nicht so beendet werden, wie sich das die Opposition, insbesondere auch die saarländische Regierung vorstellt, nämlich daß man einfach erneut ein Faß öffnet, in dem schon 3 Milliarden DM verschwunden sind. Das kann nicht die Lösung der Stahlkrise sein.
Deswegen befürworte ich das, was die Stahlindustrie selber gesagt hat, nämlich daß sie ein Verfahren zur Stillegung von Kapazitäten ausarbeiten will, das über den Kauf von Quoten erlaubt, daß Unternehmen selber aus diesen Erträgen die Stillegung von Kapazitäten finanzieren können. Das begleiten wir. Die Bundesregierung hat im letzten Wirtschaftsministerrat der Gemeinschaft dafür gesorgt - wie übrigens auch in der Kohlepolitik -, daß diese Politik möglich bleibt.
Wir haben in der Kohlepolitik in der Europäischen Gemeinschaft eine Formulierung durchgesetzt, die erlaubt, daß die Steinkohlepolitik fortgeführt werden kann. Ich habe den Strompfennig angehoben.
({1})
- Ja, auf 4,5%. Sie nehmen das ja gar nicht zur Kenntnis. Sie wollen die Atomenergie aufgeben und gefährden damit einen Konsens, durch den die Steinkohle allein überleben kann.
({2})
Sie machen die Steinkohlepolitik zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung
({3})
und gefährden dadurch einen Konsens, mit dem wir bisher gelebt haben. Sie gefährden die Zukunft des deutschen Steinkohlenbergbaus. Das ist die Wahrheit.
({4})
Ein letztes Wort zum Airbus. Erstens. Meine Damen und Herren, der Airbus ist eine Unternehmung, bei der viel technologisches Know-how für die deutsche und die europäische Luftfahrtindustrie zustande kommt.
({5})
Das ist eine ganz wichtige Bedingung, unter der wir diese Förderung begonnen haben.
Zweitens. Wir brauchen eine Konkurrenz gegenüber den großen amerikanischen Herstellern, denn das, was Boing heute mit dem Jumbo verdient, wird in die Verbilligung der Preise anderer Modelle gesteckt und führt zu einem Wettbewerb, den der Airbus heute zu bestehen hat.
Drittens - das sage ich jetzt mit allem Nachdruck -: Das setzt aber voraus - wir sind bereit, die Altlasten zu übernehmen und Entwicklungskosten zu begleiten -, daß die industriellen Gesellschafter in dem Unternehmen eine stärkere Verantwortung übernehmen.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Jens?
Ja, wenn Sie mir das nicht anrechnen, Herr Präsident.
Bitte schön.
Herr Minister, ich muß noch einmal auf Ihre Behauptung im Zusammenhang mit der Kohlepolitik zurückkommen. Können Sie mir denn wenigstens bestätigen, daß wesentlich mehr Steinkohle verstromt werden könnte, daß insbesondere auch Braunkohle für die Grundlast zur Verfügung stehen würde und daß die vorhandene Kernkraft zur Zeit die Kohle verdrängt, und ist es richtig, daß in dem Energiebericht das Wort „Kohlevorrang" nicht mehr vorkommt, obgleich es in den Energieprogrammen der sozialliberalen Koalition deutlich genannt worden ist?
Herr Jens, ich kann Ihnen das nicht bestätigen. Ich habe ja gesagt: Wir haben alle praktischen Maßnahmen getroffen, die notwendig sind, um die Steinkohle zu sichern. Ich will es noch einmal aufzählen: Wir haben unsere Politik in der Europäischen Gemeinschaft abgesichert. Ich habe den Strompfennig erhöht. Wir haben einen Hüttenvertrag abgeschlossen, der bis an das Ende dieses Jahrhunderts reicht, und wir sind auch bereit, bei den neuen Verhandlungen über die Fortsetzung des Jahrhundertvertrages Beistand zu leisten. Aber, meine Damen und Herren, das setzt voraus, daß wir diese vernünftige Politik überhaupt fortführen können. Herr Jens, wenn wir das machen, was Sie beschlossen und vorgeschlagen haben, dann ist es in der Tat aus mit der deutschen Steinkohle. Mehr noch: Dann wird die deutsche Wirtschaft wieder auf einen Abwärtspfad kommen, den Sie ja schon genau beschrieben haben - Sie haben es ja schon gesagt -: Erhöhung von Abgaben, Erhöhung von Steuern. Was sind Ihre Programme, wenn ein Problem entsteht: Was fällt der SPD ein? - Man muß das Problem lösen, indem man eine Behörde einrichtet, und diese Behörde braucht neue Steuern und Abgaben.
({0})
Wenn man dann nach zehn Jahren hinsieht, dann ist das Problem größer geworden, die Behörde ist immer noch da, und man hat 70 Milliarden DM mehr Schulden.
({1})
Diese Politik, Herr Jens, wollen wir nicht fortführen. Ich bin ganz sicher: Eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung will das auch nicht. Deswegen werden Sie im nächsten Jahr noch da stehen, wo Sie jetzt stehen, und mich als Wirtschaftsminister fragen. Das ist auch gut so.
({2})
Herr Abgeordneter Roth, ich bitte Sie, mit Ihren Zwischenrufen einzuhalten.
({0})
Präsident Dr. Jenninger
- Nein, meine Damen und Herren, es ist langsam unerträglich geworden. Wir bekommen laufend Anrufe aus der zuhörenden Bevölkerung, daß diese Zwischenrufe hier - und ich richte mich an alle Seiten des Hauses - unerträglich geworden sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pfennig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Bilanz einer erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik der Koalition gehört sicher auch ein Wort zu Berlin.
In diesen Tagen findet in Berlin zum dritten Mal die BIG-Tech statt, die Spezialmesse für junge Unternehmer und neue Technologien im Berliner Innovations- und Gründerzentrum, kurz BIG genannt, das seinen Sitz in der ehemaligen AEG-Fabrik in der Ackerstraße in Berlin-Wedding hat.
Diese Messe zeugt vom Erfolg der vom Berliner Senat betriebenen Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitspolitik. Der Gedanke, Forschergeist der Universitäten mit kaufmännischem Gründerdenken zu kombinieren, um der Stadt langfristig eine erweiterte Perspektive in der Wirtschaft, bei den Arbeitsplätzen und auch in der Bevölkerungsentwicklung zu geben, zeigt laufend neue gute Ergebnisse.
Die Bundesregierung hat ihren Teil dazu beigetragen, z. B. gezielt auch mit der Förderung von Forschung und Entwicklung bei kleinen und mittleren Unternehmen in Berlin aus dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministers. Diese Förderung aus dem Bundeshaushalt ist eine wesentliche Begleitmaßnahme des Bundes zu den eigenen Berliner Initiativen.
In das Berliner Innovations- und Gründerzentrum, das seit seiner Gründung innerhalb der gesamten Europäischen Gemeinschaft große Beachtung gefunden hat, mag inzwischen der Alltag eingekehrt sein. Das dahinter stehende Konzept zeigt unverändert seine Wirkung. Das wird deutlich aus der erstmaligen Beteiligung von Großkonzernen bei der BIG-Tech. Es wird aber auch deutlich bei dem heute vom Bundespräsidenten eröffneten Doppelinstitut für Produktionstechnik der TU Berlin und der Fraunhofergesellschaft, in dem unter anderem die großen Fahrzeughersteller Auftragsforschung betreiben lassen. Es ist erfreulich, daß sich wegen dieses Konzepts des Senats, aber auch dank der Initiativen des Bundespräsidenten und des Engagements von Bundeskanzler Kohl und der gesamten Bundesregierung zahlreiche Firmen mit neuen Fertigungsanlagen, Versuchszentren und Forschungsprojekten in Berlin niedergelassen oder ihre Aktivitäten in der Stadt ausgeweitet haben.
Der finanziellen Solidarität des Bundes und seiner soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik ist es zu verdanken, daß auch in Berlin die wachstumsfördernden Akzente der Senatspolitik deutlich hervortreten konnten. Nach vielen Jahren der Stagnation hält sich der Zuwachs des realen Bruttosozialprodukts der Stadt nach überdurchschnittlichen Steigerungsraten in den Vorjahren jetzt im Bundesdurchschnitt. Es ist ein Nettogewinn an Arbeitsplätzen vorhanden und erstmalig ein Wanderungsgewinn bei der deutschen Wohnbevölkerung nach Berlin zu verzeichnen. Dies beweist, daß die Leistungen des Bundes für Berlin dort auch tatsächlich jetzt in substantielle Politik umgesetzt wurden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang speziell ein Wort zur Bundeshilfe sagen, weil oftmals der Gedanke besteht, dies sei der größte Subventionstopf des Bundes.
({0})
Nach Beschluß des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages soll sich die Bundeshilfe 1987 für Berlin auf 11,958 Milliarden DM belaufen. Das bedeutet eine Steigerung von 3,1 %.
({1})
- Ich komme speziell noch auf die Grün-Alternativen zu sprechen; machen Sie sich darauf gefaßt.
Die Zuwachsrate der Bundeshilfe liegt damit wieder ein wenig über dem Anstieg der Gesamtausgaben im Bundeshaushalt.
Dennoch ist eine bemerkenswerte Trendumkehr zu verzeichnen. Der Anteil der Bundeshilfe am Berliner Haushaltsvolumen sinkt nämlich im Zeitraum von 1981 bis 1987 von 54,1 auf 51,9%. Berlin verhält sich nicht nur beim Sparen bundestreu angesichts der eigenen Deckungsprobleme des Bundes, sondern es hat sich auch auf seine eigene Kraft besonnen. Die Zeiträume der Vergangenheit, in denen man sich in Berlin nur darauf konzentrierte, entweder die Bundeshilfe verbessern oder die Berlin-Förderung ausweiten zu lassen, sind vorbei. Zusammen mit einer günstigeren Entwicklung der Steuereinnahmen, in der die zunehmende Wirtschaftskraft Berlins zum Ausdruck kommt, haben ein neues Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen auch in Berlin zu einer vorsichtigen, auf Subventionsabbau bedachten und die wachstumsfördernden Aspekte bedenkenden Ausgabengestaltung geführt.
Andererseits zeigen die Zahlen der Bundeshilfe, daß es durch gemeinsame Bemühungen des Bundes und Berlins möglich war, eine über mehrere Jahre dauernde angespannte Finanzlage nicht zu Lasten der finanzpolitischen Substanz in Berlin gehen zu lassen. Berlin nimmt diese Entwicklung als Beweis dafür, daß der Bund die Bundeshilfe und die sonstige Förderung Berlins nicht nur als eine Kriegsfolgelast versteht, die es Jahr für Jahr routiniert zu bewältigen gilt, sondern daß er auch auf die zukunftsgerichtete gesamtstaatliche Funktion Berlins achtet. Dies kommt auch bei den Leistungen des Bundes für die 750-Jahr-Feier und anläßlich der Benennung Berlins zur Kulturstadt Europas 1988 deutlich zum Ausdruck.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß es ungeachtet eines sichtbaren Rückgangs der Bundeshilfequote im Berliner Haushalt unbestreitbar bleibt, daß Berlin auch zukünftig mehr als 50 % seines Haushaltsvolumens durch Bundeshilfe bestreiten muß. Die Benachteiligungen Berlins liegen insbesondere nach wie vor im fehlenden Umland mit seinen Auswirkungen auf den teuren Wohnungs19244
markt, auf die Konzentration des Freizeitangebots allein auf die Stadt, auf die Umweltbelastungen, die Altlasten, die hohen Kosten für die Altenbetreuung und schließlich auch auf übergroße Problemgruppen, insbesondere Drogenabhängige, arbeitslose Jugendliche und Asylanten. Eine positive überregionale Funktion nimmt Berlin nur unter erheblichem finanziellen Aufwand als Zentrum von Kultur, Forschung und Lehre wahr.
Die Wirtschaft Berlins ist nach wie vor durch ein hohes Kostenniveau bei Löhnen, Materialien, Grundstücken und Energie belastet. Diese Strukturprobleme, zu denen auch gehört, daß sich trotz guten Zuredens der Bundesregierung Firmenzentralen in Berlin kaum niederlassen, will der Senat auch in Zukunft durch gezielte Innovations- und Qualifizierungsmaßnahmen vornehmlich im technologischen und Dienstleistungsbereich überwinden. Gleichzeitig erwartet er davon eine, freilich nur langsam wirkende Verringerung der strukturell bedingten Arbeitslosigkeit.
Ein weiteres Absinken der Bundeshilfequote ist deshalb kaum vertretbar, wenn man einerseits an die große Wachstumsdynamik der kommunalen Ausgaben Berlins denkt, andererseits aber auch an die mutmaßlichen Entwicklungen bei den Steuereinnahmen, bedingt durch die kommenden Steuerreformen. Auch bei der Vorausschau über einige Jahre muß festgestellt werden, daß die Stadt weiterhin wie bisher einen angemessenen Bundeshilfeanteil einkalkulieren können muß.
Die bis jetzt erzielten Erfolge einer gemeinsamen Politik von Bund und Berlin zur langfristigen Stärkung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kraft Berlins müssen fortgesetzt werden. Dies ist schon deswegen nötig, um einer Politik kräftig entgegenzusteuern, wie sie jüngst von Grün-Alternativen in ihren „20 Thesen zu West-Berlin" vorgeschlagen wurde.
({2})
Diese verlangen, abgesehen von ihrem kommunistischen Sprachgebrauch,
({3})
unverhohlen die Abkoppelung Berlins von der Rechts-, Wirtschafts-, Finanz- und politischen Einheit mit dem Bund.
({4})
Angeblich soll Berlin als Friedensstadt, gemeint ist wohl: als Freie Stadt, danach eine besonders gute Wirtschaftspolitik betreiben können, im Handel und Wandel mit dem Osten, verbunden mit einer selbständigen Außenpolitik.
Ich frage mich, ob das vielleicht auch das Modell für die gesamte Bundesrepublik im Verhältnis zum Westen sein soll, das die Grün-Alternativen uns vorschlagen wollen.
({5})
Ich denke jedenfalls, daß wir allen diesen Überlegungen eine klare Absage erteilen sollten.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung erteilte ich der Frau Abgeordneten Simonis das Wort.
({0})
Die von den GRÜNEN zum Einzelplan 09 eingebrachten Änderungsanträge lehne ich ab.
Die Anträge der GRÜNEN enthalten einen Teil überlegenswerter Maßnahmen,
({0})
die zum Teil jedoch unausgegoren - wie z. B. die Subventionierung einer anständigen Chemiepolitik - und zum Teil fromme Wünsche sind. Ein schlüssiges Gesamtkonzept ist für uns nicht erkennbar, insbesondere welche Wirkungen diese Maßnahmen für Wirtschaft und Verbraucher bedeuten und mit welchen finanziellen Belastungen dies verbunden ist. Außerdem wird mit den Anträgen deutlich, daß die Finanzierung nur über eine Erhöhung der Neuverschuldung zu verwirklichen ist. Dies lehnen wir ab.
({1})
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6516 bis 10/6528.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6516? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6517? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6518? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6519? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6520? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6521? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Präsident Dr. Jenninger
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6522? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6523? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6524? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6525? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6526? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6527? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6528? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09. Wer dem Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
- Drucksache 10/6322, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Müller ({0}) Austermann
Dr. Weng ({1})
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6492 bis 10/6496 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 60 Minuten vorgesehen. - Ich sehe: Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zander.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Einzelplan 30 kann die Regierung Kohl/Bangemann in diesem Jahr wirklich keinen Staat machen. Ich frage mich: Wo waren denn eigentlich die großen Worte, die in Sonntagsreden der Bundesminister so beliebt sind, als der Haushalt aufgestellt wurde?
Während Forschung und Technologie für unsere heutige Welt, für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und für eine menschliche Zukunft unbestritten eine immer größere Bedeutung gewinnen, muß sich der Forschungsminister mit einem deutlichen unterdurchschnittlichen Anstieg seines Haushalts begnügen.
Der Forschungshaushalt schrumpft, während die Probleme der Zukunftssicherung dramatisch wachsen.
Nicht in Festreden, sondern im Haushalt und seinen Zahlen zeigt sich tatsächlich, welchen Stellenwert die Bundesregierung dem Bereich Forschung und Technologie in ihrer Arbeit gibt. Entgegen den schönen Reden des Ministers - die von ihm übrigens stets mit dem erhobenen Zeigefinger vorgetragen werden;
({0})
er erinnert mich immer an den Pfeiffer mit drei f, wenn er das macht - sank in der Amtszeit von Bundesminister Riesenhuber der Anteil der Forschungsausgaben am Bundeshaushalt.
Der Forschungshaushalt ist auch in diesem Jahr - übrigens wie immer - praktisch auf alle Felder der Politik orientiert, weil überall geforscht wird. Das gilt im Verkehrsbereich mit modernen Nahverkehrs- und Transportsystemen, das gilt im Bereich des Arbeitsministers mit dem Programm zur Humanisierung der Arbeit, das gilt im Bereich der Umwelt- und Gesundheitsforschung gleichermaßen. Es ist also völlig unmöglich, in der begrenzten Redezeit von 15 Minuten auch nur annähernd auf die Themen einzugehen. Deshalb ist man gezwungen, sich auf einige wenige Schwerpunkte zu beschränken.
({1})
- Das ist völlig richtig. Aber auch den Genies der Regierungskoalition wird es in 15 Minuten nicht gelingen, im einzelnen auf die 7,5 Milliarden DM einzugehen. Ich bin also gespannt, was Sie mit Ihrer Zeit machen.
Ich werfe dem Forschungsminister und der Regierungskoalition Fehler und Unseriosität in den Bereichen Energieforschung, Weltraumforschung und Technologiefolgenabschätzung vor.
({2})
Ich fürchte leider, Herr Bundesminister, daß Sie dabei sind, aus ideologischen Gründen Zukunftsoptionen für uns alle zu verspielen.
({3})
Wir erinnern uns doch noch alle daran, meine Damen und Herren, wie besorgt die Menschen in diesem Frühsommer nach Tschernobyl waren und was die Minister alles versprochen und angekündigt haben. Ich muß heute aber leider feststellen: Auf dem Gebiet der Kernenergie kennt die Bundesregierung offenbar nur ein unverdrossenes „Weiter so!", während die alternativen Energien, das Energiesparen und die damit verbundenen Forschungs19246
aufgaben trotz wiederholter Ankündigung nicht in dem erforderlichen Ausmaß gefördert werden.
Der Bundeskanzler selbst hatte laut Bulletin der Bundesregierung am 23. Juli 1986 erklärt - ich zitiere ihn -:
Wir unterstützen die Forschung auf dem Gebiet alternativer Energiequellen mit Nachdruck. Die nötigen Mittel werden wir bereitstellen.
Aber das ist so eine Sache mit den Versprechungen und Ankündigungen Ihres Bundeskanzlers!
In dem von der Bundesregierung vorgelegten Energiebericht nennt die Bundesregierung als die „nötigen Mittel" für das „mit Nachdruck" verfolgte Ziel der Erforschung alternativer Energien bescheidene 200 Millionen DM für die Jahre 1987 bis 1990.
({4})
- Regieren Sie, oder regieren wir hier? Wir hatten in der Zeit der sozialliberalen Koalition - ich werde Ihnen die Zahlen noch vorführen - die Erforschung alternativer Energien wesentlich höher dotiert.
({5})
Das, was Sie hier machen, bedeutet für den Haushalt 1987 eine Aufstockung des entsprechenden Titels um 20 Millionen DM. Diese Aufstockung wird aber zugleich durch eine Absenkung in Höhe von 10 Millionen DM beim Kohleforschungstitel zum Teil wieder zurückgenommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Boroffka?
Herr Präsident, ich möchte die kurze Zeit, die ich habe, ohne Zwischenfrage sprechen.
Ich finde, diese Rückführung der Erforschung alternativer Energiequellen ist unverantwortlich und wird den Sorgen der Menschen nach Tschernobyl nicht gerecht.
({0})
Es fehlt auch nicht an mahnenden Stimmen. Der Herr Bundespräsident hat in einer Rede am 7. Oktober vor der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen ausgeführt - ich darf ihn zitieren -:
Wir können, wie zu Recht gesagt wird, nicht auf verfügbare Energiequellen verzichten, wenn wir sie nicht durch andere ersetzen können. Ob wir sie aber werden ersetzen können, hängt davon ab, wie ernst wir es mit der Suche nach Alternativen und ihrer Förderung wirklich meinen. Müssen wir nicht alle unsere wissenschaftlichen und technischen Kapazitäten, unsere Anreize und Mittel schwerpunktartig darauf konzentrieren, um jede Option neuartiger Energiegewinnung zu prüfen und so weit und so bald wie möglich zu entwickeln? Denn von welchen Energien die Menschen im Jahre 2020 weltweit leben werden, entscheidet sich nicht
nach der Jahrtausendwende, sondern in den nächsten Jahren.
Ich finde, der Bundespräsident verdient hier Zustimmung.
({1})
Aber bei der Bundesregierung fehlt es am ernsthaften Willen bei der Suche nach alternativen Energiequellen.
({2})
Dies, meine Damen und Herren, belegen die Ansätze, die Sie heute beschließen wollen. Dies belegt auch die Tatsache, daß Sie weiterhin ein Mehrfaches für die Kernenergie ausgeben.
({3})
- Also, Herr Kollege Rose, Ihre Reiseaktivitäten führen Sie in viele Teile der Welt,
({4})
aber offenbar nicht in die Teile, in denen die richtigen Projekte im notwendigen Ausmaß aus dem Bundeshaushalt gefördert werden.
({5})
Dafür gibt es eine Fülle von Beispielen in der Literatur. Wenn mancher Abgeordnete manchmal weniger in der Welt als vielmehr in der deutschen Fachliteratur zu Hause wäre, wäre das von Vorteil.
({6})
Meine Damen und Herren, die amtierende Bundesregierung hat die nichtnukleare Energieforschung seit 1982 systematisch heruntergefahren. 1983 wurden die Mittel zunächst auf 545 Millionen DM abgesenkt. Sie lagen 1986 bei 428 Millionen DM. 1987 waren es zunächst 422 Millionen DM, die dann in den Beratungen um die genannten 10 Millionen DM erhöht wurden. Hiermit, meine Damen und Herren, ist die Aussage des Bundeskanzlers, daß diese Bundesregierung die Erforschung alternativer Energien mit Nachdruck vorwärtsbringen will, nun weiß Gott nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Und wenn Sie die Finanzplanung der sozialliberalen Koalition von 1982 mit den tatsächlichen Aufwendungen dieser Bundesregierung auf dem Gebiet nichtnuklearer Energien vergleichen, dann können Sie feststellen, daß die Bundesregierung der Erforschung und Umsetzung nichtnuklearer Energieversorgung seit ihrem Amtsantritt jährlich praktisch 200 bis 300 Millionen DM entzogen hat. In der Regierungszeit dieser Koalition summiert sich das inzwischen schon auf 1 Milliarde DM.
({7})
Wie man andererseits weiß, meine Damen und Herren, wurde die Kerntechnik seit dem Beginn ihrer Förderung Ende der 50er Jahre bis heute mit 25 bis 30 Milliarden DM gefördert. Auch weiß man,
daß die Kernenergie am Beginn ihrer Förderung ebenfalls nicht wirtschaftlich war. Niemand hat von den kerntechnischen Unternehmen damals verlangt, sich mit 50% an den Kosten der Forschung zu beteiligen.
({8})
Aber gerade dies macht diese Bundesregierung jetzt mit den Forschungsvorhaben auf dem Sektor der nichtnuklearen Energieforschung.
({9})
Das kann doch nur bedeuten, daß der zuständige Bundesminister nicht daran interessiert ist, den Weg in Richtung auf einen Verzicht auf Kernenergie ernsthaft zu suchen und zu gehen.
({10})
- Schönen Dank für die Bestätigung dieses politischen Vorhabens. Dann klatschen Sie nicht Beifall bei den Worten des Bundespräsidenten, der Sie auffordert, Alternativen zu prüfen. Beides paßt nicht zusammen.
({11})
Was Sie auf diesem Gebiet machen, ist, insbesondere bei einer Förderquote von 50%, eine reine Alibiveranstaltung geworden. Wir brauchen hier höhere Fördersätze als 50 %. Dann kommen auch mehr Wasserstoff-, mehr Wind-, mehr Sonnenenergieprojekte in die Diskussion. Sie mögen sich jetzt zwar noch nicht tragen, aber für eine sichere Energieversorgung könnten sie ganz andere Strategien eröffnen, als wir sie jetzt kennen. Schauen Sie in die Fachliteratur! Sie ist voll von Projekten, und der Ruf nach mehr Fördermitteln der öffentlichen Hand ist eigentlich nur noch von tauben Ohren zu überhören.
({12})
Die SPD fordert eine wesentliche Erhöhung der Fördermittel für alternative Energieforschung und höhere Fördersätze auf diesem Sektor. Anträge, die wir im Haushaltsausschuß dazu gestellt haben, sind mit Ihrer Mehrheit rigoros niedergestimmt worden.
({13})
Meine Damen und Herren, während die Bundesregierung die für unsere Zukunft entscheidende Energieforschung vernachlässigt, stürzt sie sich im Weltraum in finanziell nicht gesicherte Abenteuer. Abgesehen davon, daß der Forschungshaushalt nur unterdurchschnittlich steigt, drücken große Projekte im Weltraumbereich schon heute auf alle anderen Förderungsbereiche, und dieser Druck wird sich in den nächsten Jahren erheblich erhöhen.
Ich möchte hier, um keinen falschen Eindruck hervorzurufen, von Anfang an betonen, daß die
SPD-Bundestagsfraktion eine Strategie eines unabhängigen Europas im Weltraum befürwortet.
({14})
Das gilt für Ariane V, das gilt für Hermes. Wir haben auch unsere Bedingungen für eine Beteiligung an der amerikanischen Raumstation formuliert.
Aber wir können nicht übersehen, daß die von mir genannten Projekte in Haushaltsdimensionen hineinwachsen, die unter dem Gesichtspunkt einer gesicherten Finanzplanung unverantwortlich sind, wenn das Haushaltsvolumen des Einzelplans 30 in der Finanzplanung auf die in den nächsten Jahren vorgesehenen Steigerungsraten festgeschrieben bleibt. Wir brauchen eine deutliche Erhöhung des Weltraumbudgets; sonst wird die übrige, breitangelegte Forschungsförderung in der Bundesrepublik
- und dabei besonders die Grundlagenforschung
- Schaden erleiden.
Ich erinnere daran, daß die Präsidenten aller großen Forschungseinrichtungen und Forschungsorganisationen ebenfalls dringend davor gewarnt haben, diese großen Weltraumprojekte im geltenden Finanzplan des Einzelplans 30 durchzuführen. Ich kann mich dieser Kritik nur anschließen und die Bundesregierung auffordern, nicht nur diese Projekte zu verfolgen, sondern auch ihre Finanzierung sicherzustellen. Sonst, meine ich, ist ein Finanzdesaster programmiert, das an ähnliche Größenordnungen im Verteidigungsbereich erinnert.
Der Einzelplan 30 enthält viele Förderungsbereiche, die nicht unproblematisch sind. Die Fragen, ob die Forschung insgesamt nur friedlichen Zwecken dient, ob ein möglicher Nutzen den Menschen wirklich zugute kommt, ob die Forschung nicht in Grenzbereiche vordringt, in denen es problematisch wird, ob sie der weiteren Forschung nicht besser verschlossen bleiben sollten, stellen sich an einigen Stellen bei der Bearbeitung dieses Haushaltes. Natürlich liegt die letzte Verantwortung bei diesen Themen bei der Bundesregierung. Aber wir meinen, daß hier auch die parlamentarische Kontrolle dringend notwendig ist. Wir haben daher bei den Einzelberatungen sorgfältig darauf geachtet, daß im Forschungshaushalt nur friedliche Projekte gefördert werden - also beispielsweise nicht SDI-Projekte -, daß aber auch keine gemeinsamen Forschungsprojekte mit dem rassistischen Südafrika geplant werden.
Bundesminister Riesenhuber hat darüber hinaus auf Fragen zu Protokoll des Haushaltsausschusses gegeben, daß keine Forschungsprojekte gefördert werden, die sich auf Manipulationen mit menschlichem Erbgut beziehen.
In diesen Zusammenhang gehört auch, daß wir erst im Haushaltsausschuß die Ansätze für die Forschungen und die nötigen Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet der AIDS-Erkrankungen aufstokken mußten. Alle acht Monate verdoppelte sich bisher die Zahl der Erkrankungen, ohne daß eine Eindämmung dieser Entwicklung oder eine Heilungschance in Sicht wäre. Das hat alle Fraktionen dazu veranlaßt, der Bundesregierung noch einmal durch
Aufstockung der Mittel auf diesem Gebiet die Hand zu führen.
Moderne Technik wird immer problematischer. Harrisburg, Tschernobyl, Seveso, Bhopal, die sich häufenden Vergiftungen unserer Flüsse mahnen. Es ist daher wichtig, auf diesem Gebiet den Folgen technologischer Entwicklungen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Hier habe ich zu kritisieren, daß die Mittel im Bundeshaushalt, die für die Technologiefolgenabschätzung vorgesehen sind, trotz einer geringen Steigerung immer noch zu niedrig sind. Wir fordern an dieser Stelle eine deutliche Erhöhung der Mittel für diesen Problembereich. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode auch unsere Forderung nach einer Einrichtung wiederholen, die sich mit Technologiefolgenabschätzung befaßt.
({15})
Meine Damen und Herren, Bundesminister Riesenhuber hält - wie aus Ihren Zwischenrufen ja zu ersehen ist, offenbar in Übereinstimmung mit Ihnen - den Ausbau der Kernenergie für unverzichtbar. Er ruiniert die Erforschung alternativer Energiequellen, und er sieht einer ungewissen Zukunft seines Einzelplans wegen der großen Weltraumprojekte entgegen. Das ist nicht unsere Politik. Seinem Haushalt können wir daher nicht zustimmen.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Zander, ich glaube, Sie haben den Forschungshaushalt nicht gelesen; sonst hätten Sie solche Dinge nicht erzählt, wie Sie es getan haben.
Der Forschungshaushalt ist wie kein anderer Haushalt ein Zukunftshaushalt, ein Haushalt, der die richtigen Wege in die Zukunft beschreibt und das erläutert, was wir unter dem Weg in die Richtung einer modernen, humanen Industriegesellschaft, eines modernen Industriestaates verstehen.
({0})
Dazu brauchen wir mehr Aufgeschlossenheit. Ich glaube, wir können an Hand der Haushaltsansätze deutlich machen, daß es diese Aufgeschlossenheit auch tatsächlich gibt.
Wir haben in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen für Forschung, Entwicklung und Innovation in der Wirtschaft deutlich verbessert und unsere Wettbewerbsfähigkeit gesteigert. Wer mit uns j a sagt zum technischen Fortschritt, zur Zukunft, der muß auch sagen, daß wir 1982 eine notwendige, eine richtige Kurskorrektur vorgenommen haben. Technikfeindlichkeit und Pessimismus - Pessimismus, das neue SPD-Zukunftsprogramm - sind out, und eine vernünftige Forschungspolitik ist in.
Technischer Fortschritt ist unverzichtbar. Er schafft mehr Freiräume für Arbeitnehmer, humanere Arbeitsbedingungen. Er sorgt für einen sparsamen Umgang mit knappen Rohstoffen. Er hilft bei der Lösung von Umweltproblemen. Wir haben dabei klare Leitvorstellungen. Wir wollen die Großforschungseinrichtungen flexibler machen. Die Forderung geht nach mehr Flexibilität innerhalb dieser Einrichtungen. Wir wollen das Innovationsbewußtsein in der Wirtschaft steigern. Wir wollen die Eigeninitiative durch unbürokratische Maßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen unterstützen. Wir wollen vor allen Dingen besonders herausragende Wissenschaftler noch stärker als bisher fördern, wie wir das mit dem neuen Spitzenforschungsprogramm bereits eingeleitet haben.
Was der Kollege Zander hier gesagt hat, war weitgehend falsch. Erstens: Der Forschungshaushalt schrumpft nicht, er steigt um 1,6 %. Wenn ich berücksichtige, daß wir in der Energieforschung 270 Millionen DM zurückführen, dann heißt das, daß wir einen wesentlich stärkeren Spielraum haben. Es kommt nicht unbedingt immer darauf an, wieviel Geld man hat, sondern darauf, was man mit dem Geld macht.
({1})
Der zweite Punkt ist, daß wir Reaktorsicherheit verstärken, der dritte Punkt, daß wir den Ansatz für alternative Energien auf 232 Millionen DM verstärken. Wir haben dafür in den letzten Jahren 550 Millionen DM ausgegeben. Dagegen nimmt sich Ihr Growian bescheiden aus. Ich meine, daß es unvernünftig ist, ein einzelnes Projekt gezielt zu fördern. Dabei ist es nicht so sehr, wie gesagt, die Frage des Wachstums des Haushalts, sondern die Frage, wofür das Geld ausgegeben wird.
Seit 1982 ist der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den deutschen Unternehmen selbst, also über den Bundesforschungshaushalt hinaus, ständig gestiegen, insgesamt um mehr als ein Drittel, von 24,5 Milliarden DM auf 32,8 Milliarden DM, d. h. 60 % des Gesamtbudgets bringt die private Wirtschaft auf. Wenn man das vergleicht, sind wir weltweit gleich nach den Japanern an der Spitze.
({2})
Der Bundeshaushalt stellt im Forschungshaushalt 7,5 Milliarden DM bereit; auch dies ist eine beachtliche Summe. Die Förderung wirtschaftsbezogener Technologien wurde bei uns deutlich reduziert, auch die direkte Projektförderung, aber dafür wurde die Grundlagenforschung, seit wir an der Regierung sind, von 26 % um 10 % auf 36 % gesteigert.
Meine Damen und Herren, die wichtigsten Veränderungen seit 1982 erfolgten in den Bereichen, die nicht mehr im Vordergrund stehen, z. B. in Fragen der Reaktorforschung, z. B. im Bereich des Straßen- und Schienenverkehrs. Verstärkt haben wir bei den wichtigen Zukunfts- und Schlüsseltechnologien, bei der Biotechnologie, der Informationstechnik, der Waldschadens- und Klimaforschung, der biologischen Forschung und der Gesundheitsforschung. Hier haben wir verstärkt, und da sehen wir auch Zukunftsaufgaben.
Dabei muß gesehen werden, daß die deutschen Industriebetriebe in wichtigen Bereichen der
Mikroelektronik und der aus ihr abgeleiteten Informations- und Kommunikationstechnik in Teilbereichen immer noch hinterherhinken.
Bei der Datenverarbeitung ist die Bundesrepublik seit langem ein Nettoimporteur. Ebenso sind die Japaner und die Amerikaner bei der Biotechnologie und besonders der Gentechnologie überlegen. Hier liegen, meine ich, gerade auch für den Norden erhebliche Wachstumsmöglichkeiten und vor allen Dingen auch Chancen. Ich sage dies auch zu dem Kollegen Eigen als Präsident des Bauernverbandes: Dies gilt auch für Wachstumsfelder im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe, wo es uns gelingen muß, neue Produkte auf Überschußflächen mit neuen Ergebnissen zu züchten.
Meine Damen und Herren, eine besondere Rolle spielt die Verstärkung von Maßnahmen, die vor allem kleinen und mittleren Unternehmen beim Aufbau von Forschungskapazität helfen. Ich muß aus persönlicher Kenntnis einzelner Vorgänge sagen, daß es nichts hilft, wenn wir die Forschungsbürokratie durch eine andere Bürokratie ersetzen, die dann vielleicht den kleinen Unternehmen neue Schwierigkeiten macht.
({3})
Ich glaube, daß hier durchaus noch einiges verbesserungsbedürftig ist und daß wir nicht nur den großen Anteil der verstärkten Mittel, sondern auch sehen müssen, daß wir noch besser und noch unbürokratischer helfen könnten.
Die Zurückhaltung im marktnahen Bereich hat auch Spielräume für neue Forschungsförderungen gebracht. Ich nenne dabei insbesondere den Ausbau der Weltraumforschung. Dieser Forschungsbereich bietet vielversprechende Zukunftsperspektiven für Grundlagenforschung, für industrielle Nutzung - z. B. im Bereich der Telekommunikation -, für Vorsorgeaufgaben, Klimaforschung, Umweltbeobachtung und für die internationale Kooperation. Er war gewissermaßen das erste Eureka-Projekt. Langfristige Entscheidungen sind gefallen, z. B. in der Beteiligung an Ariane V, in der Beteiligung an der geplanten Weltraumstation Columbus.
({4})
- In der Definitionsphase. Wir sind dabei. Wir haben auch der Definitionsphase von Hermes zugestimmt, aber wir sind der Meinung: Bevor wir neue finanzielle Verpflichtungen eingehen, die unübersehbar werden könnten, sollten wir im Jahr 1987 eine grundsätzliche Diskussion darüber führen, in welche Richtung wir im Bereich der Weltraumforschung weitergehen wollen, was unsere finanzielle Kapazität mittragen kann und wo wir vielleicht reduzieren müssen. Hier gilt es, eine grundsätzliche Kosten-Nutzen-Analyse aufzumachen und dabei zu sehen, was wir dringend brauchen und was möglicherweise reduziert werden kann.
Wir geben 1987 für die Raumfahrt 1 Milliarde DM aus, 1995 könnten es bei der entsprechenden Fortführung der jetzt vorhandenen Planung 2,5 Milliarden DM sein. Das wäre etwa ein Drittel des gesamten Forschungshaushaltes. Ich glaube, wir müssen aufpassen, daß die Spielräume für andere wichtige Zukunftsaufgaben erhalten bleiben. Wir werden dies diskutieren müssen.
({5})
Lassen Sie mich zu anderen Bereichen des Themas Eureka etwas sagen, der europäischen Kooperation. Hier ist gewissermaßen mit privatem Geld, ohne eine übertriebene staatliche Forschungsförderung viel erreicht worden. Ich bin unserem Forschungsminister insbesondere dafür dankbar, daß er auf der ersten Konferenz in Hannover einen Durchbruch erzielt hat, daß seit dem Jahre 1985 ein Ruck durch die großen und mittelständischen Unternehmen in unserem Land, aber auch europaweit gegangen ist, daß vielfältige Produkte entwickelt werden sollen und auch entwickelt werden. Ich nenne nur einige Beispiele: Entwicklung der Lasertechnik, ökologische Forschung, biotechnologische Forschung, Materialforschung, Fertigungstechniken, europäische Meeresforschung, Operationssaal 2000.
Sie haben hier einen Pappkameraden aufgebaut, indem Sie das Thema SDI angesprochen haben.
({6})
Ich kann mich an keine einzige Diskussion, an keinen einzigen Haushaltstitel erinnern, in dem im Forschungshaushalt das Thema SDI angesprochen worden ist. Ich glaube, das sollte deutlich zurückgewiesen werden, um nicht den Eindruck zu erwekken, daß über den Forschungshaushalt Verteidigungsausgaben getätigt werden.
({7})
Meine Damen und Herren, eine Korrektur der Forschungspolitik haben wir auch bei der Förderung erneuerbarer Energien vorgenommen. Ich habe dazu bereits ein paar Sätze gesagt.
({8})
Die Zeit der Halbherzigkeiten bei den erneuerbaren Energien ist vorbei. In den letzten vier Jahren gab es 550 Millionen DM für die Förderung. Gleichzeitig wurde die Förderung der Kernenergie drastisch zurückgefahren. Auch dies wurde vergessen zu erwähnen. 1987 stehen erstmals Mittel für die großtechnologische Windkraftförderung bereit. Die Energieversorgungsunternehmen haben im Gespräch mit dem Forschungsminister ihre Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, eine Arbeitsteilung vorzunehmen: Im Süden unserer Republik mehr Solarenergie, im Norden mehr Windenergie fördern und mehr investieren. Wir werden 1987 für erneuerbare Energien 232 Millionen DM ausgeben können. Hinzu kommen mindestens gleich hohe Beträge der Energieversorgungsunternehmen, der Kraftwerksbetreiber. Es bleibt zu hoffen, daß die Unternehmen bei den Abnahmepreisen ihren Beitrag dazu leisten, daß die Nachfrage wesentlich stärker werden kann, daß der private Eigentümer, der auf seinem Hof eine Windkraftanlage errichten möchte, auch die
19250 Deutscher Bundestag - 1U. Wahlperiode Austermann
Gewähr erhält, für den überschüssigen Strom einen anständigen Preis zu bekommen.
Es wäre auch zu wünschen - das sage ich an die Adresse des Bundeswirtschaftsministers -, daß die Investitionszulage für derartige Investitionen auf etwa 20 % angehoben wird. Die einheimische Energiequelle Wind muß mit einer großen Kraftanstrengung gefördert werden. Wir glauben, daß wir dazu auf dem richtigen Wege sind.
({9})
Ich sage noch einmal sehr deutlich, daß diese erneuerbaren Energien auf absehbare Zeit keine Alternative zur Kernenergie sind.
({10})
Ich sage das aus meiner Erfahrung in einem Wahlkreis, in dem zwei Kernkraftwerke arbeiten, Arbeitsplätze sicherstellen, umweltfreundlichen Strom produzieren.
({11})
Ich sage - und wer den Bürgern etwas anderes deutlich zu machen versucht, der täuscht die Bürger -: Mit Investitionen in der Größenordnung von etwa einer Milliarde DM können Sie maximal 1 % unseres Stroms über Windenergie erzeugen. Trotzdem wollen wir Überlegungen in diese Richtung anstellen. Der Ersatz der Kernkraftwerke allein in Schleswig-Holstein durch Windenergie würde etwa 100 000 Windmühlen erfordern.
({12})
Sie können sich selber vorstellen, ob das ein wünschenswerter Zustand ist.
Meine Damen und Herren, das Energiekonzept der SPD „Raus aus der Atomkraft" ist kein Ausstiegskonzept, sondern ein Abstiegskonzept. Dies muß man deutlich sagen. Man muß dabei auch erklären, daß die Großprojekte aus diesem Bereich, THTR 300 oder SNR 300, von denen hier erstaunlicherweise heute nicht geredet wurde, unter SPDKanzlern ins Werk gesetzt wurden. Wir haben sie finanzierbar gemacht. Wir sorgen insgesamt für mehr Reaktorsicherheit im Inland und Ausland.
Im letzten Jahr wurde die Haushaltsdebatte unter anderem mit dem Thema Industrieförderung im Bereich der Mikroelektronik bei der Entwicklung neuer Mikrochips bestimmt. Ich erinnere mich, daß insbesondere der Kollege Laermann hierzu seine Meinung zum Ausdruck gebracht hat. Der Bund fördert aus dem Forschungshaushalt bei den führenden Elektrotechnik-Betrieben mit 320 Millionen DM inzwischen eine neue Mikrochip-Generation. Heute sind wir den Firmen Siemens und Valvo dankbar, daß sie diese Entwicklung aufgenommen haben und daß sie sich mit den zwei anderen großen internationalen Wettbewerbern Japan und USA messen wollen und, so glaube ich, auch bald messen können. Die Mikrotechnologie ist eine der stärksten Wachstumsbranchen mit jährlichen Zuwachsraten von 20 % und mehr. Sie sichert neue Arbeitsplätze. Sie sichert die Arbeitsplätze im Inland in vielen
Branchen. Dieser Weg mußte eingeschlagen werden. Wir stehen hinter dieser Förderung. Wir glauben, daß es in Regensburg und Hamburg-Harburg durch Bundesmittel richtige Schritte zum Erfolg mit vielen neuen Arbeitsplätzen gibt.
Es bleibt zu hoffen, daß die Technischen Universitäten im Norden ebenfalls den Wettbewerb aufnehmen: durch eine neue und stärkere Förderung der Ingenieurwissenschaft im Bereich Informatik und Kommunikationswissenschaften. Auch das sollte deutlich gesagt werden. Auf diesem Wege stehen neue Anstrengungen bevor. Die europäischen Elektronikriesen wollen sich in einem Eureka-Projekt zusammenschließen, ein Institut für Informationstechnik aufbauen. Ich glaube, daß der Norden auch hierfür einen guten Standort bieten kann.
Ohne das Thema Nord-Süd-Gefälle, das in der letzten Debatte eine Rolle gespielt hat, aufnehmen zu wollen, glaube ich, daß der Forschungshaushalt hier Überlegungen stützen kann.
Meine Damen und Herren, Sie würden mich falsch einschätzen, wenn Sie nicht von mir erwarteten, daß ich etwas zum Thema Meeresforschung und Meerestechnologie sage. Beide Bereiche werden im Haushalt 1987 stärker als je gefördert. Wir haben die Mittel auf meine Anträge hin um 9 Millionen DM aufgestockt. Wir haben eine klare Aussage zum Institut GEOMAR gemacht: ohne daß vorhandene sinnvolle Aktivitäten bei Senckenberg, AWI, bei GBR und bei der Biologischen Anstalt Helgoland, behindert werden sollen, wollen wir in Kiel eine wesentliche Verstärkung im Bereich der Grundlagenforschung für Meereskunde vornehmen. Ich glaube, daß diese Entscheidung richtig, vernünftig und unbedingt notwendig war.
Meine Damen und Herren, in den nächsten Jahren gilt es, daß wir dabei bleiben, mit einem Haushalt der Zukunft in der Forschungsförderung die Bundesrepublik nicht wieder zweitklassig werden zu lassen, daß wir Spitze bleiben, daß der technische Fortschritt selber weiterentwickelt wird, daß wir in der Lage sind, im Interesse von Arbeitsplätzen technischen Fortschritt aus unserem Land zu exportieren, und daß das Ganze ökonomisch und ökologisch verantwortbar, akzeptabel und vernünftig bleibt.
Nach vier Jahren Regierungszeit haben wir wieder ein Klima geschaffen, das positiv ist für Forschungsförderung, für technischen Fortschritt. Die SPD steht mit dem Rücken zur Zukunft.
({13})
Es wäre falsch, den Weg der Vergangenheit wieder einzuschlagen.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller ({0}).
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn der recht kurzen Zeit, die ich für diesen Etat zur Verfügung habe, ein Lob aussprechen. Ich möchte betonen, daß die Mittel für TechnikfolgenDr. Müller ({0})
abschätzung, die in diesem Haushalt drin sind, gut verwandt werden. Ich möchte die Hoffnung zum Ausdruck bringen, Herr Riesenhuber, daß Ihr Engagement in dieser Richtung weiter gedeiht und das Parlament eine Chance bekommt, Technikfolgenabschätzung zu betreiben. - Soviel vorweg.
Ansonsten habe ich an diesem Haushalt eine Reihe von Dingen auszusetzen. Dabei bitte ich etwas zu bedenken. Dieser Haushalt, das, was in diesem Haushalt ausgegeben wird, bestimmt unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder mehr als andere Ausgaben.
({1})
Was in Forschung investiert wird, was in Wissenschaft investiert wird, ist Zukunftschance. Deswegen gilt es, die Ausgaben dafür sehr sorgfältig zu betrachten.
Nun muß ich allerdings feststellen, Herr Riesenhuber, daß die Handlungsmöglichkeiten, die Sie mit den Forschungsgeldern haben, in zunehmendem Maße schrumpfen. Die Forschungsgelder sind im wesentlichen festgelegt für Nuklearenergieforschung - 906 Millionen DM -, Weltraumforschung - 1,1 Milliarden DM -, Beschleunigerforschung -868 Millionen DM. Das sind ca. 3 Milliarden DM in diesen drei Projekten! Keiner kann mir sagen - gerade hier im Wasserwerk, wo andere Wasserwerke entlang des Rheins gerade wieder geschlossen werden -, daß dieses nun wirklich der relevante Forschungsbedarf für die Zukunft ist. Er ist es nicht.
Ein Beispiel. Würden wir in der Bundesrepublik in der Zukunft in dem Bereich der sanften Chemie, wie das Stichwort immer heißt - ich liebe es nicht -, mehr investieren, würden wir hier Forschung betreiben, dann würden wir Vorsorge in die Richtung betreiben, daß uns die Katastrophen, die wir zur Zeit rheinauf, rheinab haben, erspart bleiben. Ich gehe davon aus, daß wir nur dann, wenn sich eine Forschungspolitik der ökologischen Probleme offensiv annimmt, Lösungsalternativen zur Verfügung haben, die sozialverträglich sind, die Arbeitsplätze schaffen und erhalten und die uns überhaupt eine Zukunft schaffen, die jenseits von Weltraum, Beschleunigern und Nuklearenergie liegt.
Ein Beispiel, das vielleicht für Norddeutschland ganz wichtig wäre, Herr Austermann. Sie kritisieren die Windenergie.
({2})
Bedenken Sie doch bitte, wo Sie aus einem strukturschwachen Gebiet kommen, das auch noch mit Atomkraftwerken gebeutelt ist, daß in Dänemark im Bereich der Windenergie immerhin 20 000 Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Das ist eine Exportindustrie, die ich übrigens für sehr richtig und gut halte.
({3})
Das ist etwas, was zu exportieren wirklich lohnt.
20 000 Arbeitsplätze entlang der Küste, das ist
schon ein gewisser Batzen, mit dem man gerade in
strukturschwachen Gebieten wirklich etwas erreichen könnte.
({4})
Die Nutzung der Windenergie, die Forschung dafür, die Förderung, die Umsetzung von Windenergie in Kombination mit modernster Computertechnologie, ist in der Bundesrepublik verschlafen worden.
({5})
Dazu soll man stehen. Und man sollte klarmachen, daß hier die Zukunft einiges bringen könnte.
({6})
Das gleiche gilt für den gesamten Bereich Wasserstoff. Auch das ist eine Energieform, wo Forschungsbedarf vorhanden ist, kein Zweifel. Hier wären wir, wenn viel früher investiert würde, wenigstens in der Lage, zu beurteilen, ob das nicht die Energieform der Zukunft wäre, die uns die Chance schaffte, ohne Wohlfahrtsverlust, ohne Arbeitsplatzverlust Energieformen zu entwickeln, die sozialverträglich und insbesondere umweltverträglich sind.
Ein Letztes, weil ich zum Schluß kommen muß: Ich finde es sehr wichtig, daß es uns gelungen ist, die Mittel für AIDS-Forschung in diesem Haushalt zu erhöhen. Ich möchte aber betonen, daß AIDS natürlich nicht nur ein Problem der Forschung ist.
({7})
- Herr Austermann, Sie machen den Zwischenruf „Der GRÜNEN". Nein, das glaube ich nicht, Herr Austermann. AIDS ist nicht nur ein Problem der GRÜNEN. Es ist sicher auch ein Problem Ihrer Partei, um es deutlich zu betonen. - Herr Austermann, ich bedanke mich trotzdem für diesen Zwischenruf.
({8})
Entscheidend sollte aber sein, daß wir uns in diesem Bereich engagieren, nicht nur auf der Seite der Forschung, sondern selbstverständlich auch auf seiten der Aufklärung; denn das ist das Entscheidende, was zur Zeit im Bereich von AIDS getan werden kann. Ansonsten betone ich, daß in diesem Zusammenhang alle Forschungsmöglichkeiten beschleunigt ausgenutzt werden müssen, um in Zukunft überhaupt die Chance zu haben, diese Seuche, die zur Zeit insbesondere die Dritte Welt betrifft, zu bekämpfen, und um so Forschungsgelder zukunftsgerichtet auch im gesundheitspolitischen Bereich investieren zu können.
({9})
- Ich habe das betont, Herr Austermann. Ich finde es richtig. Ich finde bloß, daß dieses Forschungsgebiet für die Zukunft mehr Bedeutung haben müßte, als es im Augenblick noch der Fall ist. Vielleicht wären wir uns dann beim nächsten Haushalt da einig. Das wäre großartig.
({10})
Dr. Müller ({11})
Dieser Forschungsetat bietet uns für die Zukunft, für die Lösung der entscheidenden Probleme, die wir haben, der ökologischen Probleme und der technischen Probleme, wenig Aussicht. Deswegen betone ich, daß wir diesen Forschungshaushalt ablehnen. Gleichzeitig sage ich, daß wir mit den Anträgen, die wir hier vorgelegt haben, versucht haben, deutlich zu machen, wo eine problemorientierte Forschung in Zukunft angesetzt werden müßte.
Ich bedanke mich.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laermann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem stimme ich mit Herrn Zander überein: Es ist schwierig, in kurzer Zeit hier den gesamten Haushalt und alle relevanten Themen zu behandeln. Auch ich denke, daß wir einig darüber sind, daß ein solcher Haushalt, ein Zahlenwerk, weit mehr ausweist als nur Zahlen, daß sich im Haushalt die Grundlagen der Forschungspolitik manifestieren. Deswegen möchte ich zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen kommen und mich dabei auf die jedenfalls für mich in dieser verfügbaren Zeit wichtigsten Themen konzentrieren.
Die Ergebnisse der Grundlagenforschung von heute - hier stimme ich mit Herrn Müller überein: hier geht es um unsere Zukunft - sind nun mal die Voraussetzungen für die technischen Entwicklungen von morgen, auch für die gesellschaftlichen Entwicklungen von morgen, weil diese nämlich wiederum die Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung, für den Strukturwandel sind, weil sie die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir neue und sichere Arbeitsplätze bekommen. Deswegen ist es so richtig und so notwendig - und dies kommt ja im Haushalt zum Ausdruck, ganz im Gegensatz zu der Auffassung, die Sie vorhin vertreten haben -, daß die Grundlagenforschung ganz entscheidend verstärkt worden ist, wobei wir erkennen und auch einsehen müssen, daß die Aufwendungen für die Grundlagenforschung ständig steigen, weil die Projekte komplexer werden, größer werden und nahezu für nationale Größen schon zu groß geworden sind. Hier muß mehr internationale Kooperation angesetzt werden. Dies geschieht, wie sich an vielen Beispielen beweisen läßt.
Im Bereich der angewandten Forschung und der industrienahen Entwicklung bestehen wir nach wie vor auf der Forderung - und hier spreche ich für meine Fraktion -, daß wir noch stärker von der direkten zur indirekten Forschungsförderung umsteigen müssen.
({0})
Wir wollen hier mehr mittelstandsorientierte Politik haben. Dazu gehört auch eine weitere drastische Reduzierung des bürokratischen Aufwandes vor allem bei dem Antrags-, Bewilligungs- und Abrechnungsverfahren. Hier sind viel zuviel Reibungsverluste, viel zuviel Bürokratie, und die kostet Geld. Das Geld könnten wir besser für den eigentlichen
Zweck, nämlich Förderung von Forschung und Entwicklung, einsetzen.
({1})
Manches mittelständische Unternehmen schreckt zu Recht vor diesem bürokratischen Wust zurück oder wirft das Handtuch.
({2})
Die Großen kennen sich aus, sie unterhalten Beziehungen zu den Mitgliedern der Administration, und die Kleinen verlieren beim Rennen um die Forschungsförderungsmittel die Schuhe. Das darf nicht sein. Es ist schon erstaunlich, Herr Minister, welche Kapriolen der Amtsschimmel immer wieder neu schlägt. Ich weiß, Sie können das nicht alles in Ihrem Haus übersehen; ich möchte deshalb wieder einmal darauf hinweisen.
({3})
Ich möchte hier nur als ein Beispiel auf die unverständliche Absicht hinweisen, die Marktpreise als Kalkulationsgrundlage für Förderungsanträge an das BMFT zu streichen. Das benachteiligt wiederum die kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber den Großunternehmen. Diese Maßnahme und die ihr zugrunde liegende Denkweise entspricht nicht der Einstellung der FDP. Das möchte ich hier deutlich sagen.
Ich stelle mir auch die Frage, ob es richtig ist - das richtet sich nicht an Ihr Haus, sondern das richtet sich an den Finanzminister und den Haushaltsausschuß -, in der Titelgruppe 6 alles mit einer 6%igen Sperre zu belegen. Ich denke, es ist notwendig und richtig, hier Ausnahmen zuzulassen,
({4})
insbesondere wenn es sich um den Bereich Wissenschaft und Forschung handelt. Hier ist diese 6 %ige Sperre wegen der Entscheidungen, die getroffen worden sind, für die langfristigen Entwicklungen und die Ergebnisse, die wir von Forschung und Entwicklung erwarten, nahezu existentiell gefährdend. Wir erwarten, daß es hier durchaus Ausnahmen gibt.
Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß sich die Umorientierung in den Schwerpunkten der Forschungsförderung weiter vollzieht, und zwar unter Berücksichtigung der notwendigen Kontinuität. Herr Müller, hier kann man keinen Stop-and-goHaushalt fahren, sondern muß natürlich Kontinuität in dem Sinne wahren, daß wir umsteuern können. Dieses sehen wir im Ansatz, und ich denke, Sie sehen dieses auch, soweit wir uns ernsthaft mit diesen Dingen auseinandersetzen.
In erster Linie möchte ich hier die weitere drastische Reduzierung der Mittel für die nukleare Energieforschung nennen. Wir hatten nun mal das Brüter-Ei. Die Mittel dafür sind in diesem Jahr schon auf ein Drittel zurückgefahren worden, worauf ich nur hinweisen möchte. Die Mittel in diesem Bereich konzentrieren sich - doch wohl zu Recht; ich
nehme an, daß niemand dagegen ist, vor allen Dingen keiner von den GRÜNEN - auf den Bereich Sicherheitsforschung und auf den Bereich Endlagerung. Irgendwo muß ja das Loch mal her, wo das ungeliebte Zeug beerdigt werden muß.
({5})
Da müssen die Mittel hin, und ich denke, daß es richtig ist, wenn wir dies tun.
Es geht auch kein Weg daran vorbei, und Sie müssen einsehen und sich eingestehen, verehrte Kollegen von der Opposition: Dafür müssen sinnvoll und planmäßig - ich betone das ausdrücklich - die Mittel zur Erschließung erneuerbarer Energiequellen wie Sonne, Wind und Biomasse sowie zur Entwicklung neuer umweltfreundlicher Energietechniken und zur rationellen Energieverwendung verstärkt werden. Das ist sehr, sehr wichtig. Ich glaube, wir sind uns hier einig, aber dies kann man nicht übers Knie brechen. Denken Sie nur einmal daran, daß Sie bei Nutzung der Sonnenenergie etwa über die Photovoltaik oder über Solarstromkraftwerke für 1 000 MW 70 km2 aktive Fläche brauchen. Das mag die Größenordnung verdeutlichen, die hier,
({6})
wenn sie denn wirklich zu Buche schlagen soll, anzusetzen ist, was das Ausmaß der Anlagen angeht. Wo haben wir diese Flächen?
Ich möchte an dieser Stelle aber auch ganz nachdrücklich dafür eintreten, daß Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet neuer Kohletechnologien, insbesondere der Kohleveredelung und daraus folgender neuer Energietechniken und Energiestrukturen, weiter gefördert werden.
({7})
Es dürfte, Herr Kollege Wolfram, die Sorge nicht unberechtigt sein, daß angesichts der derzeitigen niedrigen Ölpreise die Aktivitäten auf diesem Gebiet erlahmen könnten. Dies darf im Interesse der verantwortlichen Daseinsvorsorge in Zukunft nicht geschehen!
({8})
Die Umsteuerung im Haushalt kommt, so denke ich, auch in anderen Bereichen zum Ausdruck. Ich denke an die Frage, wie wir uns jetzt viel stärker auf Umwelttechnologien konzentrieren. Umwelttechnologien als neuer Schwerpunkt sind ganz wichtig. Umweltschutz, Biotechniken, Medizinforschung, all das sind Forschungsbereiche, die sich auf das Gebiet der Lebenswissenschaften beziehen, und ich denke, daß wir gut beraten sind, da neue Schwerpunkte zu setzen. Der Minister hat recht daran getan, neue Förderungsschwerpunkte herauszustellen. - Das war das, was ich hier zu diesem Punkt deutlich und nachdrücklich sagen möchte.
Wir haben hier in der vorletzten Woche über die Neukonzeption der Großforschungseinrichtungen und über die Umsteuerung gesprochen. Die Umsteuerung auch in Richtung auf Technikfolgenbewertung kommt ja in den neuen Aufgabenstrukturen und den neuen Inhalten der Großforschungseinrichtungen sehr deutlich zum Tragen. Da wir darüber erst kürzlich gesprochen haben, brauche ich hier nicht darauf einzugehen.
Verehrte Kollegen, lassen Sie mich, weil meine Redezeit abläuft, nur noch ganz kurz ein Wort zur Raumfahrt sagen. Zukünftig werden in der Luft-und Raumfahrt, vor allem in der Raumfahrt, zunehmend Ressourcen gebunden werden. So notwendig und unverzichtbar unser Engagement in der Raumfahrt ist - das wird ja auch von Ihnen nicht bestritten; auch Sie vertreten das ja nachdrücklich -, so unbestreitbar richtig ist es auch, daß dies in ausgeprägter europäischer Kooperation und nur in europäischer Kooperation zu leisten ist.
({9})
Ebenso notwendig und unverzichtbar ist es, dafür zunächst ein schlüssiges nationales Konzept bezüglich der langfristigen Entwicklungen und Ziele vorzulegen. Ich denke, daß dies in der nächsten Zeit geschehen wird. Das ist ja wohl auch eine der Voraussetzungen dafür, daß die Mittel, die für „Hermes" vorgesehen sind, entsperrt werden.
Ich glaube, ich darf dies abschließend bemerken, daß dieser Haushalt trotz des einen oder anderen Kritikpunktes deutlich macht, daß die Umsteuerung in der Forschungs- und Technologiepolitik auf dem richtigen Wege ist. Das muß mit einer Kontinuität geschehen, die der Forschung und auch der Sicherheit derjenigen, die in diesem Bereich tätig sind, zugute kommt. Ansonsten können wir keine vernünftigen Ergebnisse erwarten. Wir erwarten, daß sich diese Entwicklung in diesem Haushalt weiter vollzieht und daß wir entsprechend unseren politischen Vorgaben auch in den nächsten Haushalten solche Ansätze finden werden. Wir stimmen dem Haushalt insgesamt zu.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in aller Kürze den für den Forschungshaushalt Hauptverantwortlichen, den Minister selbst, und einige Sachthemen, die ihn betreffen, ansprechen.
Wir Sozialdemokraten stellen fest, daß der Forschungsminister seiner Verantwortung auch in diesem Forschungshaushalt nicht gerecht wird.
({0})
Ich will das begründen. Die Kritik der Sozialdemokraten richtet sich gegen die generelle Tatenlosig19254
keit des Ministers in wichtigen Schicksalsfragen unseres Landes.
({1})
Da war die Katastrophe in Tschernobyl, da ist die Vergiftung des Rheins, die aus deutschen Quellen noch weiter gespeist wird, und da ist schließlich die in den letzten Zügen liegende Nordsee, um nur diese Themen kurz anzusprechen.
({2})
Was haben diese Dinge mit dem Forschungsminister und mit dem Haushalt zu tun? Wenn sich eine Umweltkatastrophe ereignet, gibt es eine Riesendiskussion über Verantwortlichkeiten, Folgen und Schadensbegrenzungen. In dieser Diskussion hält sich der Bundesforschungsminister, wie wir feststellen können, immer vornehm zurück.
({3})
Die Belastungen für Menschen und Umwelt steigen. Die Menschen sind verunsichert, das Ökosystem leidet. Plötzlich erscheint der Bundesforschungsminister vor der Presse und erklärt, jetzt lasse er mit wenigen Millionen DM die Probleme erforschen, z. B. die Ursachen für die Waldschäden oder der Nordseeverschmutzung, oder er werde die Mittel für die Wasserforschung um einige Millionen DM wachsen lassen.
({4})
Damit wurde dann alles getan, um die Probleme zu lösen. Als habe man die Probleme mit der Inangriffnahme dieser Forschungsfelder praktisch schon gelöst! Damit ist dann, wie wir feststellen können, das Thema vom Tisch.
Wir Sozialdemokraten werfen dem Bundesforschungsminister vor, daß er der Bevölkerung Sand in die Augen streut.
({5})
Er ist der Verharmloser der Bundesregierung, anstatt Wächter und Warner zu sein, was seine Pflicht als Forschungsminister wäre. Herr Minister, Sie wissen doch ganz genau, wo z. B. die Mängel in der chemischen Industrie liegen. Sie kommen doch selbst aus der chemischen Industrie.
({6})
Wir brauchen doch keine Rhein- und Nordseeanalysen. Sie und die Herren der chemischen Industrie wissen doch ganz genau, was an jedem Tag da rein-gekippt wird. Wir wissen es alle: Salze, Dünnsäure, Ole, ungeklärte Stadtabwässer,
({7})
giftige Abwässer und Abfälle aus allen Produktionszweigen. Da können Sie, Herr Minister, doch nicht hingehen, vor der Nation auftreten und uns alle mit ein wenig Forschungsaktivität einzulullen versuchen. Der Forschungsminister hat nicht die Aufgabe, mitzuteilen, wieviel DM an Steuermitteln er aufwendet, um den Dreck im Rhein zu analysieren, den Kriminelle mit weißem Kragen dort hineingeschüttet haben.
({8})
Seine Aufgabe ist es, auf die Gefahren der Technik, auf die Verantwortungslosigkeit von Teilen der Industrie beim Umgang mit der Technik und auf gefahrlosere Produktionsverfahren hinzuweisen.
Im übrigen ist festzustellen, daß die Umweltforschung des Bundesforschungsministeriums die Ministerien der Herren Wallmann, Zimmermann, Kiechle und Bangemann überhaupt nicht interessieren.
({9})
Die Umweltverschmutzung und die Umweltzerstörung schreiten weiter fort. Durch Forschung alleine können wir praktisch gar nichts lösen. Da müssen Gesetze her, da müssen Strafen her, da müssen die Umweltkriminellen zur Verantwortung gezogen werden,
({10})
da brauchen wir, um dieses Problem zu lösen, keine Sandmännchen, die uns einschläfern sollen.
({11})
Wie war das bei SDI? Nachdem der Forschungsminister anfänglich einige Bedenken geäußert hatte, hat er sich zurückgezogen, die Freiheit der Wissenschaft und den ungehinderten Technologietransfer aus den USA dem Wirtschaftsminister überlassen, der dann in seiner fachlichen Inkompetenz, wie vorausgesagt, versagt hat.
({12})
Der Schaden - auch für den Osthandel - ist unabsehbar.
Ich darf nur an Hand dieser wenigen Beispiele feststellen, daß eine geistig-moralische Verantwortung bei dem Minister liegt, seinen Kenntnisstand aus Forschung und Wissenschaft seinen Kollegen und auch Ihnen zu erklären, damit Sie endlich von diesem Weg der völligen Hörigkeit vom BDI abweichen.
Wir werden übrigens die Anträge der GRÜNEN ablehnen. Ich glaube - es sind ja nur noch drei Vertreter von Ihrer Fraktion da -, Sie haben selbst kein Interesse an diesen Anträgen.
({13})
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie, Dr. Riesenhuber.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich erst einmal für eine Zusammenarbeit bedanken, die sich
in dieser Debatte nicht voll und an jeder Stelle uneingeschränkt niedergeschlagen hat. Aber was ich aus den Diskussionen im Haushaltsausschuß und im Forschungsausschuß in den letzten Jahren gehört habe, war, daß eigentlich alle Punkte, die wir im Grundsatz angelegt haben, als überzeugend und in der Sache wohlbegründet aufgenommen worden sind.
Ich möchte ein kleines Mißverständnis beseitigen, dem Herr Zander aus verständlichen Gründen aufgesessen ist. Sie sagten, Herr Zander, daß der Haushalt des Forschungsministers schrumpfe. Die Zahlen sehen so aus: Von 1982 bis 1987 wächst der Bundeshaushalt um etwas mehr als 9%. Der Forschungshaushalt wächst in dieser Zeit um 14,5%. Jetzt möchte ich Ihnen einmal sagen, wo das Mißverständnis entstanden ist. Wir haben Ende 1982 etwas vorgefunden, was vornehme Leute als „Bugwelle" bezeichnet haben. In der Sache war das nichts anderes als die Tatsache, daß Verpflichtungen für den Schnellen Brüter eingegangen worden sind, die im Haushalt nicht abgedeckt waren.
({0})
Das haben wir hier in einem Nachtragshaushalt in einer geordneten Weise bereinigt. Dies ist also eine zusätzliche Leistung. Der eigentliche Haushaltsansatz für 1982 war noch niedriger; er betrug nämlich 6,57 Milliarden DM. Wenn Sie darauf aufbauen, dann haben wir einen Zuwachs von fast 1 Milliarde DM, rechnerisch von 14,5%. Dies unterstreicht klar und überzeugend, daß die Bundesregierung der Forschung und der Technik für die Zukunft unseres Landes Priorität beimißt. Zu diesem Zuwachs von über 1 Milliarde DM über die Jahre müssen Sie noch die 600 Millionen DM hinzuzählen, die wir aufbringen mußten, um Ihre unseriöse Haushaltsbetrachtung der Vergangenheit zu bereinigen. Das ist die Wahrheit.
({1})
Die zweite Frage lautete: Was haben wir in diessem Jahr strukturell gemacht? Strukturell sind wir ja sehr ordentlich gefahren. Wir hatten einige wesentliche und prioritäre staatliche Aufgaben, die nicht angemessen unterstützt worden waren. Dazu gehört beispielsweise die Grundlagenforschung. Ich bedanke mich für das, was die meisten Redner übereinstimmend gesagt haben. Wir haben in der Grundlagenforschung in dieser Zeit einen Zuwachs von fast 1 Milliarde DM gehabt. Der ganze Haushalt ist in dieser Zeit geringer gewachsen. Wir haben also in der Grundlagenforschung in einer erheblichen Weise aufgestockt, und zwar zu Lasten von Bereichen, die nicht in der unmittelbaren Verantwortung des Staates liegen. Wir haben dies bei sehr großen Projekten getan. Wir haben dies bei Hunderten von einzelnen Projekten in den Universitäten getan, also dort, wo Grundlagenforschung betrieben wird. Wir haben dies in einer internationalen Zusammenarbeit getan. Wir haben dies bei neuen internationalen Großprojekten getan. Dort, wo Wissenschaft bei der Zusammenführung der besten Köpfe in Europa in ihrer besten Möglichkeit gewährleistet ist, haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen. Dies ist eine Aufgabe des Staates. Ich bedanke mich für die freundschaftliche Weise, in der der Haushaltsausschuß und das Parlament uns dabei geholfen haben, nicht nur die finanziellen Mittel bereitzustellen, sondern auch die Grundlagenforschung zu entbürokratisieren, was die Verfügbarkeit über die Stellenpläne bis zur Verfügbarkeit über Betriebs- und Investitionsmittel erhöhte. Das hat die Entscheidungsmöglichkeiten der Wissenschaftler ganz wesentlich gestärkt.
Wir haben die Umweltforschung weiter vorangetrieben. Ich bedanke mich auch hier für die Unterstützung. Es ist in der Tat so, daß die Mittel für die Umweltforschung in dieser Zeit um 50 % gestiegen sind; die Steigerung meines Haushalts beträgt 14,5%. Dies bedeutet einen Zuwachs wie es ihn noch nicht gab, denn auch hier besteht eine Verantwortung des Staates für die Zukunft.
Die Mittel für die Gesundheitsforschung steigen in diesem Jahr wieder um 22 %, und das ist richtig. Was AIDS betrifft, so kann ich nur eines wiederholen: Glauben Sie nicht, daß Geld hier immer der Schlüssel ist. Die paar Millionen DM kriegen wir hier - bei allem Respekt vor dem Geld - hin. Knapp sind immer die hervorragenden Teams. Wir werden - dies habe ich schon erklärt - in diesem und in anderen Bereichen, die ich als vordringlich bezeichnet habe, immer imstande sein, die besten Leute und die richtigen Projekte zu fördern. Mit dem Zuwachs an Geld wächst nicht automatisch der Zuwachs an Ideen. Ich habe dies hier schon 1983 ausgeführt, als AIDS öffentlich noch kein Thema war. Auch hier bedanke ich mich für die Unterstützung.
({2})
Wir haben die Aufwendungen im Bereich der Klimaforschung, um nur einen weiteren Bereich der Vorsorgeforschung zu nennen, versechsfacht. Das ist nicht nur eine Aussage über das, was wir jetzt getan und erreicht haben, sondern das ist auch, wie ich zugeben muß, eine Aussage über das außerordentlich niedrige Niveau der Förderung, die wir damals hier vorgefunden haben.
Ich möchte dem, was zutreffend über den Bereich Weltraum gesagt worden ist, hier nichts mehr hinzufügen. Im Bereich Weltraum haben wir in der Tat eine Steigerung von 50 % durchgesetzt, weil wir die internationale Zusammenarbeit fördern wollen. Wir haben die Sache andererseits so aufgebaut, daß wir in der Definitionsphase mit größter Behutsamkeit an die Großprojekte herangehen. Wir gehen nicht mit Hurra-Patriotismus an großartige Projekte heran, sondern wir bereiten sie so intensiv vor, wie ich es bei Projekten der Vergangenheit immer gern gesehen hätte.
Es ist hier zu der Frage der nichtnuklearen Energien in einer meines Erachtens überzeugenden und erschöpfenden Weise vom Kollegen Austermann gesprochen worden, im Finanziellen, aber auch im Strukturellen. Daß hier im Finanziellen seit Tschernobyl etwas geschehen ist, zeigen die Zuwächse, die hier genannt worden sind. Es sind weit überpropor19256
tionale Zuwächse. Daß hier gleichzeitig die Bereitschaft bei der Industrie bis hin zu den großen EVUs gestiegen ist, mit uns in die Zusammenarbeit einzutreten und dabei sehr große Projekte aufzugreifen, hat es ermöglicht, diesen Zuwachs an Geld sinnvoll einzusetzen.
Schließlich meine ich, daß auch Weltraumforschung zu den großen staatlichen Projekten gehört, die jenseits der Reichweite der Industrie liegen, die aber für die Integration der Techniken in der freien Welt und für den Durchbruch zu neuem Wissen unverzichtbar sind.
Ich möchte mich auch auf das, was insbesondere von Herrn Laermann und Herrn Austermann zutreffend über die Forschungsförderung der Wirtschaft gesagt worden ist, beziehen. Ich weise nur auf eins hin: In einer Zeit, wo wir gesagt haben, die Wirtschaft müsse verantwortlich sein, und wo wir uns deshalb zügig aus der Förderung der Wirtschaft zurückgezogen haben, hat die Wirtschaft diese Verantwortung erkannt. Herr Austermann hat, glaube ich, darauf hingewiesen, daß sie in dieser Zeit ihre Aufwendungen gesteigert hat wie niemals zuvor. Genau das ist die Rollenverteilung: Der Staat muß hoheitlich die Rahmenbedingungen setzen, die Wirtschaft muß in ihrer Verantwortung das Neue entwickeln. Wir stützen da, wo es notwendig ist, aber grundsätzlich vertrauen wir auf die Dynamik der Wirtschaft, die die Arbeit zu tun hat. Der Staat vollbringt schon eine große Leistung, wenn er sie nicht mehr als nötig bei der Arbeit stört.
({3})
Ich möchte das aufgreifen, was der Kollege Laerman zu den kleinen und mittleren Unternehmen gesagt hat. Die kleinen und mittleren Unternehmen sind noch nie so gefördert worden wie jetzt.
({4})
Ich spreche von den Summen und ich spreche von den Strukturen. Ich sage Ihnen die Fakten: Die Fakten sind so, daß die Großunternehmen im Durchschnitt 4,5 Pfennig für jede Forschungsmark aus dem Haushalt des BMFT bekommen, die kleinen und mittleren aber 11 bis 12 Pfennig. Ich kann das auch mit anderen Zahlen belegen, aber ich habe hier nur begrenzte Zeit.
Ich möchte hier auf die Frage der indirekten und unbürokratischen Förderung eingehen. Ich unterstützte diese mit Leidenschaft. Ich will nur darauf hinweisen, wie die Tatsachen sind: Wir hatten für indirekte Programme in 1982 einen Ansatz von 115 Millionen DM. Wir liegen jetzt im Jahre 1986 bei 419 Millionen DM. Wir haben die Beträge fast vervierfacht. Die indirekten Programme wurden unbürokratisch abgewickelt, beispielsweise durch die AIF.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller?
Wenn das nicht von meiner Zeit abgeht, bitte sehr.
Herr Minister, Sie verfügen über eine erhebliche globale Minderausgabe. Können Sie für das nächste Haushaltsjahr garantieren, daß keine Einsparungen im Bereich der Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen erfolgen werden?
Sehr verehrter Herr Kollege Müller, ich werde den Haushalt respektieren, aber ich werde hier keine Prognosen über Volumina oder Bewilligung von Anträgen geben; denn was wir machen, richtet sich nach den Programmen, die wir festgelegt haben, und nach der Norm, die das Parlament uns setzt. Darüber hinauszugehen wäre der Sache nicht gerecht.
({0})
Ich möchte darüber hinaus sagen: Was wir hier tun, haben wir nie als Transfer von Ressourcen oder Subventionen verstanden. Wir wollen vielmehr vor allem Strukturen ändern. Dies geschieht bei der Auftragsforschung mittelständischer Unternehmen für wissenschaftliche Institute. Das geschieht bei Verbundprojekten, die beispielsweise der VDMA, also die Wirtschaft selbst organisiert. Dies geschieht bei Eureka in europäischer und internationaler Zusammenarbeit, dies geschieht in unterschiedlichen Bereichen, so daß die Wettbewerbsfähigkeit zunimmt, und diese haben wir in den letzten Jahren in vielen wichtigen Bereichen in einer beeindruckenden Weise wiedergewonnen.
Lassen Sie mich einen letzten Bereich ansprechen. Herr Vosen, ich habe Ihre Rede mit Interesse gehört. Den Zusammenhang mit der Wirklichkeit habe ich nicht an jeden Punkt voll gesehen, aber das mag auf sich beruhen. Was mich aber hier beeindruckt hat, war, daß Herr Zander sagte, der Ansatz für die Technikfolgenabschätzung sei zu niedrig. Herr Zander, ich habe Ihnen im Ausschuß dargelegt - ich kann es hier nicht im einzelnen tun -, daß das, was wir für die Technikfolgenabschätzung tun, ein Vielfaches von dem ist, was jemals im Forschungsministerium geschehen ist. Das geht von der Erforschung der Waldschäden bis zur Mikroelektronik und zu Arbeitsplätzen, zu den Folgen der Informationstechnik für Arbeit und Freizeit.
({1})
- Lieber Herr Vosen, das möchte ich Ihnen an einem Beispiel zeigen. Sie haben hier gesagt: Da wird geforscht und geforscht! Sie haben mich gefragt: Was tun Sie? Jetzt bringe ich Ihnen ein Beispiel. Bei der Erforschung der Waldschäden muß ich erst wissen, was ist, bevor ich tun kann, was
hilft. Was war der Fall? Seit 1981 spricht Deutschland von den Waldschäden.
({2})
- Verehrte Kollegin, ich möchte daran erinnern, daß ich damals für die Opposition in den ersten Monaten des Jahres 1982 eine Initiative im Parlament gestartet habe - diese liegt ja bei den Akten -, indem wir - ich glaube, es war eine Große Anfrage - der Bundesregierung in etwa 50, 60 detaillierten Fragen nach einer monatelangen Vorbereitung die Probleme dargestellt haben, mit der Bitte, dies aufzugreifen. Dies alles ist nachzulesen. Als ich im Oktober 1982 in das Forschungsministerium kam, stand für die Erforschung der Waldschäden eine Summe von insgesamt 0,2 Millionen DM zur Verfügung. Ich frage Sie: Wie will man überhaupt sinnvoll handeln, wenn die Forschung nicht die richtigen Fragen stellt, die Probleme nicht aufarbeitet und Entscheidungen dann entweder nicht stattfinden oder beliebig und damit unverantwortlich sind? Das ist doch wohl offenkundig die Aufgabe.
({3})
Was wir gemacht haben, war einerseits, daß wir so schnell wie möglich die Forschung aufgezogen haben. Es bestand nicht eine mangelnde Bereitschaft der Wissenschaftler. Wir haben innerhalb von wenig mehr als einem halben Jahr für Dutzende von Millionen nach einer intensiven Diskussion der Wissenschaft Projekte festgelegt. Wir haben gleichzeitig - denn wir wissen natürlich: Es nützt nichts, wenn wir alles erforschen; dann haben wir nämlich eine prima Wissenschaft, aber keinen Wald mehr - die Großfeuerungsanlagen-Verordnung verabschiedet. Darüber wurde bis 1982 jahrelang diskutiert, aber nicht entschieden. Wir haben entschwefelt; wir haben damit der Umwelt, den Arbeitsplätzen und der neuen Technik geholfen.
({4})
TA hat noch nie eine solche Rolle gespielt wie in der Arbeit der letzten vier Jahre. Hier muß ich dem Kollegen Müller mit Respekt zustimmen.
Ich möchte auch noch auf einen Bereich hinweisen, wo wir durchaus Fragen aufgegriffen haben, und ich freue mich, daß das Parlament sie auch aufgegriffen hat. 1982 hat niemand darüber gesprochen - übrigens auch nicht in den Kirchen und nicht in der Wissenschaft -, was Gentechnologie und Medizintechnik für den Umgang mit menschlichem Erbgut bedeuten können. Wir haben diese Fragen gestellt, und v rir haben sie aufgegriffen. Ich habe fast ein Jahr gebraucht, bis ich das erste Gespräch mit Mitgliedern des Parlaments, mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Bereichen im September 1983 geführt habe. Wir haben dieses Gespräch mit den Kirchen, mit der Wissenschaft und mit den Verbänden weitergeführt.
Ich bin mit Leidenschaft für die Freiheit der Forschung. Aber sie findet dort ihre Grenze, wo die Würde des Menschen berührt werden kann. Dies rechtzeitig zu erkennen ist eine Aufgabe des Staates.
({5})
Deshalb haben wir hier nicht nur technokratisch abgewickelt, was hier im Haushalt eine Rolle spielen kann. Dies hat seinen Wert. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, als erfolgreiche Industrienation im internationalen Wettbewerb zu bestehen, gleichzeitig aber einer technisch geprägten Welt die Dimension der Menschlichkeit hinzuzugewinnen. Nur daraus kann eine verantwortbare Zukunft entstehen.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6492 bis 10/6496. Können wir darüber gemeinsam abstimmen?
({0})
- Meine Damen und Herren, es stehen jetzt die Anträge der GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6492, 10/6493, 10/6494, 10/6495 und 10/6496 zur Abstimmung. Wer diesen Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Anträge sind abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30.
Wer dem Einzelplan 30 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan ist in der zweiten Lesung angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
- Drucksachen 10/6323, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Dr. Diederich ({1}) Dr. Müller ({2})
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag von bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Besteht das Einverständnis des Hauses? - Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Diederich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt 22 Jahre her, seit Georg Picht seine These von einer bevorstehenden deutschen Bildungskatastrophe formulierte, die, wie er damals sagte, einträte, wenn die Bildungsausgaben quantitativ nicht drastisch gesteigert würden. Das traf sich damals mit dem Ideal, daß alle Menschen in unserer Gesellschaft ohne
Dr. Diederich ({0})
Rücksicht auf Ansehen oder Herkunft gleiche Chancen haben sollten. Willy Brandt hat das genannt: „Mehr Demokratie wagen!" Ich stelle an den Anfang meiner Ausführungen, daß dies für Sozialdemokraten heute noch gilt. Jeder junge Mensch, ohne Ansehen seiner familiären Herkunft und materiellen Ausstattung, soll die Förderung erhalten, die notwendig ist, um ihn seinen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten zu lassen, aber auch, um ihm den Zugang zu den Möglichkeiten zu öffnen, die unsere Gesellschaft bietet. Dies sind wir uns als eine der reichsten Industrienationen um unserer Zukunft willen schuldig.
({1})
Wenn ich auf dieser Folie das bildungspolitische Resümee der Regierung Kohl ziehe, muß ich sagen: Das sieht ganz anders aus. Es ist von Abbau, Kahlschlag und Privatisierung gekennzeichnet.
({2})
Die Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft - es tut mir leid, daß ich das wiederholen muß, Frau Wilms - ist zu einer Abwicklungs- und Liquidationsunternehmerin der bundesdeutschen Bildungspolitik geworden. Dies spiegelt auch der Haushaltsplan in großen Teilen wider. Ich möchte jetzt hier nicht im Zahlenwerk im einzelnen blättern, sondern mich auf einige Grundaspekte konzentrieren.
Es ist eine Tatsache, daß Ende September noch 46 000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz suchten.
({3})
Vier Jahre lang haben wir nun das Spiel erlebt, daß die Ministerin daraufhin ankündigt, bald werde es keine Jugendlichen mehr geben, die einen Ausbildungsplatz suchen müssen. Ich stelle fest: Diese Bundesregierung hat zuwenig getan, um den benachteiligten und den schwächeren Jugendlichen adäquate Ausbildungsplätze zu vermitteln. Wir betonen die Verstärkung der Maßnahmen für ausbildungsplatzsuchende Jugendliche, besonders für Mädchen. Dies werden wir noch längere Zeit brauchen. Es ist eine Tatsache, daß die Chancen für Mädchen immer noch ungünstiger als für Männer sind. Dies haben Sie, Frau Ministerin, selber dargestellt. 7,7 % der Mädchen in gewerblich-technischen Berufen: Das ist immer noch beschämend wenig. Ich wiederhole: Chancengleichheit ist ein Prüfstein für Demokratie. Das bedeutet: Wir müssen die Schwächeren überproportional fördern und Modelle entwickeln, wie den Schwächeren der Anschluß an unser Bildungssystem ermöglicht werden kann. Hier liegt der grundlegende Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie wollen Vorzeigeeliten fördern. Das sind nur wenige. Wir wollen die Schwächeren fördern und sie leistungsfähig machen. Das sind die Ziele.
({4})
Die Bundesregierung hat die Haushaltskonsolidierung auch durch den Ausverkauf des Ausbildungsförderungssystems herzustellen versucht.
Heute erhalten weniger Studenten als vor zehn Jahren Bundesausbildungsförderung, und wenn, dann fast ausschließlich auf Darlehensbasis. Wir werden den Ausverkauf dieses Ausbildungsförderungssystems immer wieder kritisieren. Vor allen Dingen der Kahlschlag des Schüler-BAföG wird inzwischen allgemein kritisiert. Diese Ausbildungsförderung für Schüler war und ist für uns ein Eckstein für die Herstellung der Chancengleichheit und auch für die Mobilisierung unserer Bildungsreserven. Deswegen hat Johannes Rau zu Recht diesen Punkt zu einem Hauptziel seines Regierungsprogramms gemacht.
({5})
Meine Damen und Herren, ich denke, daß wir uns über die Parteigrenzen hinweg einig sind, daß die Leistungsfähigkeit und auch die Leistungsbereitschaft junger Menschen gefördert werden müssen. Nicht einig sind wir uns über die Art, wie das zu erfolgen hat. Ihre Politik konzentriert sich auf die Förderung von Spitzenleistung.
({6})
- Das gehört auch dazu, zugegeben. Aber Sie konzentrieren sich darauf, zu Lasten der Schwächeren. Wir möchten die Bildungsreserven von der Basis her mobilisieren. Das heißt, daß die Förderung wieder sehr viel breiter angelegt werden muß, als das bisher der Fall war.
Meine Damen und Herren, auch die Abgeordneten der Opposition im Haushaltsausschuß haben sich nach Parlamentarierpflicht bemüht, in den Haushaltsberatungen ihren Beitrag zu leisten. Ich will nicht im einzelnen aufzählen, wo wir zu verändern, zu verbessern versucht haben. Ich muß sagen: Leider ist die Bilanz dünn geblieben.
Lassen Sie mich aber einen Satz einflechten: Ich möchte allen Mitarbeitern des Ministeriums danken; denn die Beamten dort haben nach bestem Wissen und Gewissen ihre Pflicht getan. Es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre, aber ich glaube, man sollte dies doch hervorheben.
({7})
Aber manchmal habe ich mich fragen müssen, ob es für einen loyalen Beamten nicht eine zu große Last ist, eine Politik zu verteidigen, die im wesentlichen darauf aus ist, die eigene Tätigkeit überflüssig zu machen.
Bei allen Bemühungen im einzelnen haben wir hier Bilanz über die verfehlte Politik einer gesamten Regierung zu ziehen. Während die Gesamtausgaben des Bundes von 1982 bis 1985 um 5,1 % angestiegen sind, gingen die Ausgaben des Bundes für Bildung und Wissenschaft um 12,2 % zurück.
({8})
Während die Gesamtausgaben des Bundes von 1982
bis 1990 um 21% steigen sollen, sollen die Ausgaben
für Bildung und Wissenschaft weiter zurückgehen,
Dr. Diederich ({9})
und zwar von 1982 bis 1990 um 17 %. Da ist die Schere, die sich zeigt.
({10})
Das Ausgabenvolumen des Ministeriums ist nicht nur absolut gesunken, meine Damen und Herren; es sinkt auch spürbar der Anteil der Bildungsausgaben am Gesamthaushalt. Die Koalitionsregierung Kohl hat eine Sanierung auf Kosten der Zukunftsinvestitionen betrieben. Sie will dies auch in Zukunft weiter betreiben.
({11})
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich darf Stimmen aus Ihrem Lager zitieren. Wenn der RCDS sagt, es sei völlig unverständlich, daß gerade im Bildungsbereich geschnitten wird, wenn er sagt, man müsse mit Verbitterung feststellen, daß lustlos am Bildungswesen herumrepariert wird, dann ist das nur ein Beleg für meine Feststellung.
Meine Damen und Herren, kommen Sie hier nicht mit dem Argument, das sei alles auf die demographische Entwicklung zurückzuführen. Ich meine, die technologischen und zivilisatorischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte können nur bestanden werden, wenn möglichst viele hochqualifizierte Menschen an der Zukunftsgestaltung teilnehmen, wenn Kreativität und Innovationsgeist entwickelt werden. Das bedeutet, daß wir diesem Bereich nicht Mittel entziehen sollten, sondern die frei werdenden Mittel intensiver dazu benutzen sollten, um junge Menschen zu fördern, und zwar in der Breite und nicht nur an der Spitze.
({12})
Meine Damen und Herren, wenn dies nicht geschieht, dann glaube ich, daß uns diese Bundesregierung sehr bald in die Gefahr einer neuen Bildungskatastrophe ganz anderer Art bringt, als wir sie vor einem Vierteljahrhundert hatten.
({13})
Wir als Sozialdemokraten werden uns in diesem Rahmen nicht bewegen können und nicht bewegen wollen. Wir fordern zu einem Wechsel in der Bildungspolitik auf, zu einer neuen Bildungspolitik, mit der Chancengleichheit wiederhergestellt und eine offene Gesellschaft bewirkt wird. Wir fordern, wie ich sagen möchte, eine neue Phase der Bildungsreform. Meine Damen und Herren, verweisen Sie nicht auf die Verfassungslage. Die Bundesregierung trägt eine hohe Verantwortung für die gesamtstaatliche Entwicklung, auch für die Entwicklung unseres Bildungssystems - dies muß dreimal unterstrichen werden -, und die Instrumente dafür sind auch hinreichend vorhanden.
({14})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Unsere Schritte sollen sein: intensivere Maßnahmen zur Beseitigung der Ausbildungsplatznot, insbesondere bei Frauen und Mädchen, eine Wiederherstellung des Schüler-BAföG, eine wirksame schrittweise Veränderung der allgemeinen Ausbildungsförderung für Studenten, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen.
Meine Damen und Herren, der Haushalt, der uns vorliegt, wird von uns abgelehnt, allerdings nicht wegen dieser oder jener Einzelheit, der auch wir zustimmen, sondern deshalb, weil er diese Schlüsselforderungen, die auch für die Zukunft unserer Gesellschaft wesentlich sind, nicht erfüllt, ihnen nicht gerecht wird. Wir wollen eine andere Politik.
({15})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Rose.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der gesamte Bundeshaushalt 1987 setzt auf eine solide Haushaltsführung, und auch der Haushalt für das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft verfolgt dieses Ziel. Es kommt nicht auf die ständige Erhöhung von Mitteln, sondern auf die Inhalte der Politik an.
({0})
Der Bundeshaushalt 1987 setzt auch in seinem Einzelplan 31 neue Schwerpunkte oder führt Schwerpunkte fort, die wir als richtig erkannt haben. Bevor ich aber zu diesen Schwerpunkten komme, möchte ich doch noch zumindest ein Beispiel des Kollegen von der SPD, des Professors Dr. Diederich, aus meiner Sicht beleuchten. Er sagt immer wieder, er und die SPD seien die besseren Sachwalter der studierenden Jugend,
({1}) weil sie für das BAföG seien.
({2})
Nun, meine Damen und Herren, es gibt zwei wahre Punkte: Wahr ist zunächst einmal, daß nicht erst die jetzige Bundesregierung Eingriffe in das BAföG-System vorgenommen hat. Vielmehr hat, nachdem das BAföG eingeführt worden ist, eine SPD-geführte Bundesregierung schon sehr bald Eingriffe vorgenommen. So ist z. B. bereits im August 1974 erstmals ein Darlehensanteil in der Förderung eingeführt worden. 1976 und 1977 erfolgte dann eine Ausweitung dieser Darlehensförderung. Später kam dann unter unserer Verantwortung die volle Umstellung auf Darlehen.
({3})
Wahr ist auch, meine Damen und Herren, daß - anders als bei sonstigen Darlehensnehmern - während der gesamten Laufzeit keine Zinsen zu zahlen sind. Darüber hinaus kann man bei nicht allzuschwer zu erfüllenden Bedingungen sogar größere Beträge erlassen bekommen. Nun frage ich Sie, wenn wir einmal nicht bloß von Studenten, sondern von der deutschen Bevölkerung allgemein reden: Wer sonst - außer studentischen Darlehens19260
nehmern - kann derartige, von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellte Darlehen bekommen, für die er keine Zinsen zahlen muß?
({4})
Das sogenannte gemeine Volk könnte sich über solche Vorzüge nur freuen.
({5})
Es gibt hier also keinen Grund, zu jammern und sich über Nachteile bzw. zu geringe Vorteile zu beklagen.
Außerdem, meine Damen und Herren - als letzter Satz zu diesem Beispiel -: Wenn Sie sich ständig über das beklagen, was hier mit dem BAföG im Bundeshaushalt geschehen sei, so schauen Sie doch in Ihr Musterland Nordrhein-Westfalen. Dort ist ja wegen finanzieller Schwindsucht für Studenten überhaupt nichts mehr übrig.
({6})
Meine Damen und Herren, ich möchte zu den zwei Schwerpunkten kommen, die wir uns in diesem Haushalt 1987 wieder gestellt haben, nämlich die weitere Förderung überbetrieblicher Ausbildungsstätten und den Hochschulbau.
({7})
Bei ersterem in absehbarer Zeit das Ausbildungsziel von 77 000 Plätzen zu erreichen ist mit Sicherheit eine erfreuliche Sache und wird auch dankbar registriert. Denn dann gibt es, über das gesamte Bundesgebiet verteilt, Berufsbildungsangebote, die Klein- und Mittelbetrieben, besonders des Handwerks, zur Verfügung stehen. Ihre Bedeutung ist jedoch über die betriebsergänzende Lehrlingsausbildung längst hinausgewachsen. Wir wissen, daß die technologische und wissenschaftliche Entwicklung so dynamisch ist, daß es zu zusätzlichen Aufgaben kommt. Wir müssen deshalb mit zunehmender Tendenz Weiterbildung für Gesellen, Facharbeiter und Meister anbieten und die Chance der überbetrieblichen Ausbildungsstätten im Technologietransfer, besonders für kleine und mittlere Betriebe, sehen.
Unser Ziel dabei soll, meine Damen und Herren, sein, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovations-kraft dieser Betriebe zu stärken, zur Vermeidung und zum Abbau von Arbeitslosigkeit beizutragen, die Qualität der beruflichen Bildung zu sichern und damit deren Attraktivität auch im Wettlauf um geburtenschwache Schulentlaßjahrgänge der nächsten Zeit aufrechtzuerhalten.
({8})
Die weitere Förderung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten bekommt damit eine neue Qualität. Ich erwarte deshalb von der Bundesregierung, daß sie die technologische Weiterentwicklung sieht und daß sie die erforderliche Modernisierung und optimale Nutzung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten auch sichert. Wir haben lange im Haushaltsausschuß - und dieses Jahr auch im Plenum - darum gebeten, bis zum Sommer 1987, also rechtzeitig zum Haushalt 1988, ein Konzept für die künftige Förderung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten vorgelegt zu bekommen. Ich bin der Meinung, da kann sich die neue Bundesregierung, die wahrscheinlich nach der Wahl wieder so zusammengesetzt sein wird, mit Sicherheit große Meriten erwerben.
Nun zum Hochschulbau. Ich kann wirklich nicht verstehen, daß man das Schrumpfen dieses Bereichs als selbstverständlich hinzunehmen scheint. Der Hochschulbau ist im Gegenteil geeignet, die erforderliche Infrastruktur für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben bereitzustellen. Diese aber muß oberste Maxime gestaltender Politik sein.
Ich bin überzeugt, daß der Hochschulbautitel des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft für 1987 trotz eines kleinen Rückgangs ausreicht, um diese gegenwärtigen Anforderungen der Hochschulen zu erfüllen; denn wenn ich einmal die Zeit der jetzigen Koalition mit der Zeit davor vergleiche, so ergibt sich eindeutig eine positive Bilanz für die heute regierenden Parteien.
({9})
- Herr Vorsitzender des Haushaltsausschusses, ich sage Ihnen die Zahlen, damit Sie sie auch immer präsent haben. Die von der SPD geführte Bundesregierung hatte 1980 den Bundesanteil an den Hochschulbauausgaben auf 850 Millionen DM und 1981 sogar auf nur 680 Millionen DM gedrückt. Dann kam Gott sei Dank die neue Bundesregierung und hat diesen tiefen Einschnitt, der ja bleibenden Schaden verursacht hat und für den sich so manche Hochschulstadt auch heute noch bei der SPD bedankt, durch eine starke Wiederanhebung dieses Bautitels ausgeglichen, so daß man den sozialdemokratischen Flurschaden einigermaßen wieder ausbessern konnte.
Wir haben die Mittel 1983 wieder auf 1,23 Milliarden DM und auch 1984 auf 1,20 Milliarden DM angehoben. Wir liegen auch jetzt für den Haushalt 1987 noch weit über den Planvorstellungen der Sozialisten.
({10})
Denn uns liegt die echte wissenschaftliche Ausbildung der Studenten und die hochmoderne Ausstattung ihrer Arbeitsplätze auch in Zukunft am Herzen.
Nun wird so gerne gesagt, die Studienanfängerzahlen gehen zurück, deshalb kann man auch die Ausgaben zurückfahren. Ich bin hier völlig anderer Ansicht. Zwar steigen heute weniger Abiturienten ins Studium ein, und die Altersjahrgänge insgesamt werden schwächer. Doch wird die Zahl der Studenten noch bis Mitte der 90er Jahre über 1 Million liegen.
Die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" ist aber auch weiter notwendig, weil in den 70er JahDr. Rose
ren eine Reihe von Infrastruktureinrichtungen nicht geschaffen wurden - Bibliotheken, Mensen und was es da alles gibt - und wir deshalb einen großen Nachholbedarf haben. Auch der Bau von Hochschulkliniken und so manche Modernisierung werden uns fordern.
Ganz besonders hervorzuheben ist auch der noch nicht abgeschlossene Ausbau junger Universitäten, die wirtschaftliche und kulturelle Schrittmacherfunktionen in bisher benachteiligten Regionen haben. Erlauben Sie mir deshalb, das Beispiel einer jungen Universität zu erwähnen, eine von hier aus entfernt liegende, nämlich Passau. Wer könnte es politisch verantworten, daß diese Hochschulstätte trotz ihres bereits erworbenen guten Rufs im Regen stehengelassen wird, nur weil sie einen späteren Start hatte? Das Studentensoll von 4 000 ist bereits heute deutlich überschritten, obwohl die Fakultät für Mathematik und Informatik sowie andere Einrichtungen noch nicht einmal fertig sind. Das beweist doch die Beliebtheit auch von kleinen Universitäten. Das gilt vor allem auch dann, wenn sie mitten in die Altstadt integriert sind. Dort kommen die Studenten gerne hin.
({11})
Man sollte deshalb aufhören, solche kleinen Universitäten zu verunsichern. Man sollte regionalpolitisch wichtige Bildungsstätten lieber promovieren statt dezimieren.
({12})
In den 15 Jahren seit Schaffung der Gemeinschaftsfinanzierung ist die Zeit für Wissenschaft und Forschung nicht stehengeblieben. Wir werden neue Anforderungen haben. Wir werden besonders die Naturwissenschaften und die Technikwissenschaft zu neuen Höhen bringen müssen. Gerade am letzten Wochenende stand in der „Süddeutschen Zeitung" eine Klage von deutschen Nobelpreisträgern, daß die Spitzenforschung - lieber Kollege Dr. Diederich, Spitzenforschung brauchen wir - an den deutschen oder auch süddeutschen Universitäten nicht mehr so ist, wie man es sich gerne wünscht.
({13})
Ich kann hier eigentlich wirklich nur sagen: Wir müssen deshalb auch hier umdenken und schauen, daß wir zu einer vermehrten Förderung auch in der Spitzenforschung kommen; denn nobelpreiswürdige Wissenschaftler gehören auf deutsche Forschungseinrichtungen und nicht ins Ausland.
({14})
Meine Damen und Herren, ich darf für die CDU/ CSU-Fraktion selbstverständlich Zustimmung zu diesem Haushalt signalisieren,
({15})
und ich wünsche der Frau Minister auch in Zukunft eine glückliche Hand.
({16})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Zeitler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die konservative Bildungspolitik hat abgewirtschaftet. Das zeigt uns der vorliegende Haushaltsentwurf für 1987, an dem als erstes auffällt, daß bei einer Gesamtsteigerung des Haushaltsvolumens um 2,9 % der Bereich Bildung und Wissenschaft derjenige ist, der 1987 mit 2,5% - das sind 100 Millionen DM - die stärksten Kürzungen einsteckt. Die Kürzungen im Bereich Bundesrat und Versorgung sind nicht annähernd so hoch wie die im Bildungsbereich, und daraus läßt sich nur eines schließen: daß diese Regierung und ihre Bildungspolitiker nicht viel von Bildung halten und schon gar nicht von Bildung und Ausbildung, die nicht im Interesse von Unternehmen stattfinden.
({0})
Jeder weiß mittlerweile, daß hunderttausend Jugendliche wieder ohne Ausbildungsplatz geblieben sind, trotz des Lehrstellenversprechens des Kanzlers in der Regierungserklärung 1983. Trotz dieses Versprechens zögern Sie im Bildungsministerium nicht, fast 90 Millionen DM im Bereich der beruflichen Bildung einzusparen. Beim Sonderprogramm für berufliche Bildung werden es 48 Millionen DM sein und bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten 41 Millionen DM, wie übrigens in diesem Jahr auch.
Die Aufstockung des Benachteiligtenprogramms um 72 Millionen DM im Gegenzug dazu sollten Sie wirklich nicht an die große Glocke hängen. Einerseits ist es wirklich bedauerlich, daß jährlich mehr Jugendliche in die Ecke der Benachteiligten gedrängt werden. Hier muß man sich wirklich fragen, worin diese Benachteiligung besteht und wer sie verursacht. Mit den Jugendlichen hat sie meines Erachtens nicht mehr viel zu tun. Andererseits bleiben unter dem Strich Einsparungen von 17 Millionen DM im Bereich beruflicher Bildung bestehen, die Inflationsrate noch nicht mitgerechnet.
Als Unverfrorenheit empfinde ich auch die Kürzungen im Hochschulbau. 120 Millionen DM weniger werden 1987 für den Hochschulbau bereitgestellt, und das angesichts überfüllter Hochschulen. Mittlerweile kommen zwei bis drei Studenten auf einen Studienplatz, die Universitäten sind unmenschliche Massenbetriebe, aber das Bildungsministerium will 120 Millionen DM sparen! Die Erklärung, daß die Länder ihre Anteile nicht aufbringen können und deshalb die Bundesmittel in den letzten Jahren nicht abgefragt wurden, ist pharisäerhaft. Hier verstecken Sie sich hämisch hinter bürokratischen Richtlinien, statt auf die Nöte an den Hochschulen zu reagieren.
({1})
Ihr Bestreben, Frau Wilms, Breitenbildung zu verhindern, wurde auch in der Gesetzgebung zur Ausbildungsförderung in den letzten Jahren deutlich. Die erste Hürde haben Sie schon durch die Abschaffung des Schüler-BAföG errichtet; das be19262
trifft zwar nicht diesen Haushalt, aber es ist nicht vergessen. Die zweite Hürde war die Umstellung auf Volldarlehen. Und jetzt kommt die schleichende Kürzung. Da die Bedarfssätze und die Freibeträge ungenügend angepaßt werden, treffen die Voraussetzungen, um überhaupt gefördert zu werden, auf immer weniger Studierende zu. Die Förderungsquote ist auf 25% gesunken. Für den Haushalt bedeutet das, daß trotz geringfügiger Anpassung von Bedarfssätzen und Freibeträgen und trotz steigender Studentenzahlen die Darlehenssumme nahezu konstant geblieben ist und insgesamt gesehen die Einnahmesteigerung durch Rückzahlungen die Ausgabensteigerung übertrifft, d. h. die Ausgaben werden unter dem Strich geringer. Und das bei einer steigenden Zahl von Studierenden!
Ich möchte hier kurz auf unseren Antrag zur Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung für alle hinweisen, in den u. a. die alte Forderung vieler Studentengenerationen nach elternunabhängiger, existenzsichernder Grundsicherung mit aufgenommen wurde.
({2})
Zurück zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung. Insgesamt zeigt der Abbau im Bildungsbereich und insbesondere die Tatsache, daß in den sensibelsten Bereichen abgebaut wird, daß Bildung nicht als Recht eines jeden Bürgers gesehen wird. Bildung und Ausbildung werden „von oben" gewährt oder eben nicht, je nachdem, wie die Interessenlage da oben ist und wie voll oder leer die Töpfe sind.
({3})
Und sie wird in der Art und Weise gewährt, wie es denen da oben effektiv erscheint. Was effektiv ist, läßt sich an der Gewichtung der bildungspolitischen Inhalte festmachen.
({4})
Konservative Bildungspolitik dient erstens der Eliteförderung. Das zeigt nicht zuletzt das Verhältnis Geförderte/Geldleistung. Durchgängig werden für Leistungswettbewerbe, Förderung von Hoch-qualifizierten und Spitzenforschung jährlich höhere Beträge freigegeben. Diese Förderung und Forschung beschränkt sich fast ausschließlich auf die naturwissenschaftlichen und die Technologiebereiche bzw. auf Spitzenleistungen des Technologietransfers. Eliteförderung im Dienst der Anpassung an industrielle Prozesse, darauf reduziert sich konservative Bildungspolitik.
Neben Eliteförderung bleibt konservative Bildungspolitik inaktiv. Ziel ist, insbesondere die Jugendlichen ruhig zu halten und/oder aufzubewahren. So wird versucht, durch Programme Jugendliche zu befrieden. Das Benachteiligtenprogramm z. B. wäre mit all seinen Mängeln längst überflüssig geworden, wenn die Bundesregierung einem Umlagefinanzierungsgesetz zugestimmt hätte. Ebenso könnte man sich weitere Versuche wie Mädchen in Männerberufen sparen, wenn man aus den Ergebnissen endlich Konsequenzen ziehen würde und eine Quotierung von Ausbildungsplätzen unterstützen würde.
({5})
Solche strukturellen Änderungen würden es auch möglich machen, die aussichtslosen Ausbildungen in ein- oder zweijährigen Fachschulen, die Ausbildungen zum Metzger, Bäcker, zur Friseuse oder Arzthelferin abzubauen.
Daß Sie versuchen, die Menschen mit ihren Anliegen abzuspeisen, beweisen auch die jeweils 300 000 DM, die Sie nächstes Jahr zusätzlich für künstlerisch-musische Bildung und Umwelterziehung ausgeben wollen.
({6})
Welchen Wirbel haben Sie damit in der Presse gemacht, und wie mickrig ist das, was Sie damit wollen! Zum Beispiel zielt ihre Umwelterziehung ausschließlich auf „Mentalitäts- und Verhaltensänderungen von breiten Bevölkerungskreisen", so Ihre eigene Pressemeldung. Es wird nicht nach den Verursachern und den Produktionsstrukturen gefragt. Diese Aufklärungsarbeit sollte besser vom Bundespresse- und -informationsamt betrieben und nicht als Bildung verkauft werden. Es ist mehr vonnöten.
Wir fordern, daß sich Bildung kritisch zu gesellschaftlichen Entwicklungen stellt. Die Probleme des Umweltschutzes, der Friedenspolitik, der Arbeitslosigkeit und sozialen Verelendung breiter Schichten der Bevölkerung machen die gemeinsame Anstrengung aller am Bildungsprozeß Beteiligten nötig. In der Bildungsplanung - die Sie von der Regierung offensichtlich unnötig finden, sieht man sich den Haushaltsentwurf an -, im Hochschulbereich und in der beruflichen Bildung müssen Vorhaben unterstützt werden, die sich kritisch damit auseinandersetzen, was Bildung und Ausbildung sein kann oder soll angesichts der Entwicklungen im Verhältnis Mensch/Maschine. Diese kritische Distanz, die meines Erachtens Bildung von Anlernen und Anpassen unterscheiden würde, fehlt in den Ansätzen des konservativen Bildungshaushaltes völlig.
({7})
Auch der Aufbau von Wissenschaftsläden, von alternativen Forschungseinrichtungen ist mittlerweile vonstatten gegangen, ohne daß von staatlicher Seite Interesse oder Unterstützung gezeigt worden wäre.
({8})
Wahrscheinlich weiß der Verfassungsschutz besser darüber Bescheid als die Bildungspolitiker. Der Schwerpunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzung und gesellschaftlichen Engagements liegt heute in diesen außerstaatlichen Einrichtungen. Staatliche Bildungspolitik hat hier freiwillig auf Kompetenz verzichtet.
Für diesen Bildungshaushalt werden Sie landauf, landab keine Unterstützung finden.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte damit einleiten, daß ich sage: Ein Bildungspolitiker, der angesichts eines ihm vorgegebenen Rahmens, wie ihn quantitativ der Haushalt setzt, voll zufrieden sein könnte, ist, egal ob er in der Opposition oder in der Regierung ist, nicht leicht zu finden. Aber da gilt bekanntlich Schopenhauers Mahnung
({0})
in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit - das ist eine Auftragsarbeit für Herrn Kuhlwein; verderben Sie ihm nicht das Vergnügen -: Man solle sich von Widerwärtigkeiten nicht so besetzen lassen, daß sie durch fortgesetztes Brüten darüber und Ausmalen mit grellen Farben und nach vergrößertem Maßstab zu einem Ungeheuer anschwellen, über das man dann außer sich gerät. - Dafür haben wir schon einige Beispiele gehabt. Oppositionen neigen offensichtlich dazu, diesen warnenden Hinweis zur argumentativen Methode umzufunktionieren. Dazu waren heute einige Beispiele da.
Kürzlich lag im Bildungsausschuß ein Antrag vor, in dem die SPD von einer ordnungspolitisch gewollten sozialen Sperrung der Hochschulen durch die auch von mir differenziert beurteilten vor einigen Jahren durchgeführten Änderungen beim BAföG sprach. Das ist ein Vorwurf, der ähnlich absurd ist wie der, wenn ich aus der im gleichen Antrag enthaltenen Forderung nach einer Überprüfung aller bildungspolitischen Neuerungen darauf, ob sie neben ihrer Wirtschaftlichkeit auch sozialverträglich, umweltverträglich, friedensfördernd und kulturfördernd seien, die ordnungspolitisch gewollte Wiedereinführung einer säkularisierten Inquisition mit allem Zubehör, das wir aus der Geschichte kennen, konstruieren wollte. Damit stünden sich Absurditäten einander gegenüber. Ich glaube, Sie wissen das.
Tatsache ist, die FDP hat ihren Beitrag dazu geleistet, daß in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten das Bildungswesen durch Bund und Länder ausgebaut und für die jungen Menschen der geburtenstarken Jahrgänge geöffnet wurde. Auch künftig wird das Bürgerrecht auf Bildung von jedem Menschen mit gleichen Chancen wahrgenommen werden.
Unter diesem Gesichtspunkt beurteilen wir auch den Einzelplan 31, der im realistischen Zusammenhang deutlich macht, welchen Beitrag der Bund zu Bildung und Wissenschaft leisten kann. Tatsache ist eben: Fast 40% des Einzelplans werden für die individuelle Ausbildungsförderung aufgewendet. Gegenüber dem Vorjahr ist sogar eine leichte Steigerung festzustellen. Das liegt an dem, was hier eben etwas diskriminierend gesagt worden ist: Neben der Anpassung der Bedarfssätze und der Freibeträge gab es die Beseitigung einiger struktureller Probleme, den Wegfall der sogenannten Ferienmonatsregelung, die Verbesserung der Förderung für Behinderte, die Verbesserung der Förderung für verheiratete Auszubildende und die Verbesserung des Studiums im Ausland. Ich sage allerdings, daß es in diesem Bereich nach wie vor Defizite gibt, die anzugehen Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein wird.
Zu begrüßen ist auch, daß die Haushaltsansätze für die Studien- und Promotionsförderung der Begabtenförderungswerke, für die Förderung der Leistungswettbewerbe und für das Programm zur Förderung der Spitzenforschung weiterhin gut ausgestattet sind.
Trotz allem, was gesagt worden ist: Wie gewagt die Behauptung einer sozialen Schieflage ist, ja, daß sie eigentlich nur mit geschlossenen Augen erhoben werden kann, zeigt sich daran, daß das Benachteiligtenprogramm - das eben auch nicht so gewürdigt worden ist, wie es das verdient - in den letzten Jahren erheblich aufgestockt worden ist und daß zu 1986 noch einmal eine Aufstockung um 21 % auf 407 Millionen DM erfolgte. Mit diesen Mitteln können rund 7 000 Jugendliche - ist das nichts? - in die Vollausbildung und 7 500 Jugendliche bei den ausbildungsbegleitenden Hilfen neu in die Förderung aufgenommen werden.
({1})
Mit diesem Programm erhalten 1987 rund 29 000 benachteiligte Jugendliche eine Ausbildungschance, die sie sonst schwerlich gehabt hätten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Wenn Sie hier soviel über Hilfen für Benachteiligte sprechen, können Sie mir dann erklären, verehrter Herr Kollege, warum Ihre Partei im Haushaltsausschuß unseren Antrag abgelehnt hat, einen Notfonds für ausländische Studenten einzurichten?
Das Bedauern darüber bringe ich als Bildungspolitiker hier noch ausdrücklich zum Ausdruck.
({0})
- Das ist nun mal so. Was heißt hier „hö, hö", Herr Kuhlwein? Wie oft haben Sie als Parlamentarischer Staatssekretär „hö, hö" gesagt! Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern.
({1})
Meine Damen und Herren, der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat die Bundesregierung bei den Haushaltsberatungen außerdem aufgefordert, im Zusammenwirken mit der Bundesanstalt für Arbeit ein Ausbildungsprogramm für junge Mädchen und Frauen zu schaffen. Ich glaube, hier ist eine Aufgabe, die weiterhin konkreter Ausfüllung bedarf.
Ich begrüße nachdrücklich, daß der Beitrag für den Hochschulbau trotz der Minderung gegenüber dem Vorjahr auf dem hohen Niveau von rund 1 Milliarde DM bleibt. Es ist schon daran erinnert worden, daß dieser Haushaltsansatz 1981 und 1982 auf 800 bzw. 900 Millionen DM abgesunken war. Hier soll der Bund auch weiterhin einen hohen Beitrag leisten. Es ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß die Hochschulen auch in einer Zeit des hohen Andrangs von Studenten arbeitsfähig bleiben und die Verbesserung der Qualität der Ausbildung möglich bleibt.
Um jetzt zu dem Punkt, der eben Ihre Bemerkungen hervorgerufen hat, Herr Kuhlwein, zurückzukommen: Ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich es bedaure, daß der im vergangenen Jahr eingeführte Leertitel für Zuschüsse an zentrale Einrichtungen zur Unterstützung von unverschuldet in Not geratenen ausländischen Studenten nicht ausgefüllt worden ist. Es handelte sich j a nicht um die Einführung einer allgemeinen Ausbildungsförderung für ausländische Studenten, sondern um die aktuelle Hilfe aus humanitären Gründen in besonderen Situationen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß noch auf einen Punkt zurückkommen, der auch in den Ausführungen von Frau Zeitler, wie ich finde, nicht richtig gewürdigt worden ist. Ich meine damit die Ausgaben, die, sei es in Forschung, Modellversuchen oder Wettbewerben, für Maßnahmen im Bereich der musisch-künstlerischen Bildung vorgesehen sind. Das tritt natürlich hinter den großen Ausgabeblöcken quantitativ zurück. Das ist nicht zu bestreiten. Auch wenn der Bund, wie wir wissen, hier keine großen Kompetenzen hat, so sind doch die Möglichkeiten, Anstöße zu geben und im Rahmen der Bildungsplanung Perspektiven zu entwickeln, nicht zu unterschätzen und deshalb zu begrüßen; denn trotz dieser begrenzten Kompetenzen gewinnen doch solche Anregungen eine besondere Bedeutung auch aus der Tatsache, daß, nachdem in den letzten Jahren der ohnehin knapp bemessene Anteil kultureller und künstlerischer Bildungsinhalte, künstlerischer Betätigungen und auch der Begegnung mit künstlerischer Praxis immer wieder von Unterrichtskürzungen und Unterrichtsausfällen an den Schulen betroffen war, jetzt unter dem Vorzeichen zurückgehender Schülerzahlen die Chance der Erweiterung und Vertiefung besteht. Ich meine, das sollte man nutzen; denn gerade wenn auf der einen Seite technologische Innovationen vor den Toren der Schulen nicht haltmachen und nicht haltmachen dürfen, kommt es wesentlich darauf an, junge Menschen auch in ihrer musischkünstlerischen Kreativität zu fördern, wenn wir keine Kluft zwischen technisch-naturwissenschaftlicher und musisch-künstlerischer Kultur, aber auch nicht zwischen eigenem Tun und der Beschränkung auf eine passive Zuschauerrolle entstehen lassen wollen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich sagte schon: Einen mit einem Haushalt zufriedenen Bildungspolitiker gibt es nicht. Um noch einmal Schopenhauer zu zitieren:
Oft suchen wir das Trübe der Gegenwart aufzuhellen durch Spekulationen auf günstige Möglichkeiten und ersinnen vielerlei schimärische Hoffnungen, von denen jede mit einer Enttäuschung schwanger ist, die nicht ausbleibt, wenn jene an der harten Wirklichkeit zerschellt.
({3})
Nun beurteile ich die Gegenwart nicht so trübe - das haben Sie aus meinen Ausführungen erkannt -, und ich sehe auch keine unmittelbare Beeinträchtigung der qualitativen Aspekte durch die hier beklagten quantitativen Zurückführungen, aber ich glaube, es gibt doch angesichts der künftigen Entwicklungen die Notwendigkeit, nicht nur für die gegenwärtig immer noch starken, sondern auch für die zahlenmäßig schwächeren folgenden Jahrgänge bzw. die auf diese zukommenden Anforderungen, den Anteil des Bundes an den ja in der Hauptsache von Ländern und Kommunen zu tragenden Aufwendungen für Bildung und Wissenschaft in einem der gesamtstaatlichen Verantwortung angemessenen Verhältnis zu halten, was sich dann auch im Verhältnis unseres Haushalts zum Gesamthaushalt widerspiegeln muß.
Meine Damen und Herren, insgesamt gilt: Für uns bleibt Bildungspolitik das wichtige Fundament für die Möglichkeiten des einzelnen, seine Lebenschancen wahrzunehmen. Dazu gehört der Kampf auch der Bildungspolitiker um Haushaltsanteile. Und so bringt das Leben dann seine Früchte.
Ich bedanke mich.
({4})
Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft, Frau Dr. Wilms.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die vier Jahre dieser Legislaturperiode Revue passieren läßt, so können wir feststellen, daß es gelungen ist, große Bildungsprobleme zu lösen und gleichzeitig Zukunftsperspektiven zu entwickeln.
Als Beispiel für die Erfolge der Bildungspolitik in dieser Legislaturperiode nenne ich den Abbau der Lehrstellenengpässe. Es ist gelungen, die Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft erheblich zu steigern; in bisher nicht gekanntem Umfange werden von der Wirtschaft Ausbildungsplätze bereitgestellt.
({0})
Über 200 000 Lehrstellen wurden zusätzlich geschaffen. Insgesamt sind heute 1,8 Millionen Jugendliche in der beruflichen Ausbildung.
Flankierend dazu hat die Bundesregierung in den letzten Jahren das Benachteiligtenprogramm für Jugendliche mit besonderen Schwierigkeiten ausBundesminister Frau Dr. Wilms
geweitet. Ich erinnere noch einmal daran: von 49 Millionen DM im Haushalt 1982 auf 407 Millionen DM im Haushalt für das kommende Jahr. 1982 konnten durch dieses Programm 2 000 Jugendliche mit Ausbildung versorgt werden, 1987 werden es 30 000 Jugendliche sein, die durch die Bundeshilfe eine Ausbildung bekommen.
Darüber hinaus haben wir über zahlreiche Modellversuche zur Bewältigung struktureller Aufgaben in der Berufsbildung beigetragen. Herr Kollege Diederich, hier sind insbesondere die Probleme der Mädchen angesprochen.
Zwar ist noch nicht alles befriedigend gelöst - da haben Sie völlig recht -, nur - hier stimmen Sie mir sicher zu - kann niemand, weder Sie noch ich, die Mädchen in bestimmte berufliche Richtungen zwingen.
({1})
Ich nenne als weiteres Beispiel für die positive Entwicklung das Bundesausbildungsförderungsgesetz. In dieser Legislaturperiode ist es gelungen, die Ausbildungsförderung des Bundes endlich finanziell grundlegend zu sichern.
({2})
Mit zuvor nie gekannter Regelmäßigkeit - hören Sie bitte einmal zu! - konnten jährlich die Freibeträge vom Elterneinkommen zwischen 2 und 4 % und alle zwei Jahre die Bedarfssätze entsprechend angehoben werden. In Verbindung mit der zugleich gewonnenen Preisstabilität, von der Sie, meine Kollegen von der Opposition, nicht gerne etwas hören, steigt erstmals seit 1971 der reale Wert der Förderungsbeträge nach BAföG. Diese neue finanzielle Solidität ermöglichte auch strukturelle Verbesserungen wie etwa die Ausweitung der Förderungsleistungen für Auslandsstudien oder die Begünstigung verheirateter Studenten und solcher, die ein Kind betreuen.
Ich möchte noch ein drittes Beispiel für erfolgreiche Bildungspolitik in Erinnerung rufen. Mit den seit 1982 kräftig ausgeweiteten Haushaltsansätzen von 1,1 bis 1,2 Milliarden DM pro Jahr für den Hochschulbau konnten den Hochschulen neue Kapazitäten zur Verfügung gestellt und die Vorleistungen der Länder schneller als erwartet abgebaut werden. Die vorige Bundesregierung hatte leider die Leistungen des Bundes für den Hochschulbau rapide abgebaut. Da sich nun das Ende der Phase des quantitativen Ausbaus im Hochschulbau nähert, verschiebt sich für die Zukunft auch der Schwerpunkt der Rahmenplanung vom quantitativen Ausbau zur Sicherung der Qualität, zur Verbesserung der Infrastruktur in Forschung und Lehre. Wir haben im letzten Jahr bereits damit begonnen, z. B. mit Hilfe des Computer-Investitionsprogramms die Geräteausstattung nachhaltig zu verbessern. Gerade der Hochschulbau markiert mit besonderer Deutlichkeit die Umbruchsituation, in der wir bildungspolitisch stehen.
Neben die quantitativen Probleme treten nun zunehmend die qualitativen. Hier sind neue Perspektiven zu entwickeln, und der Einzelplan 31 macht solche Perspektiven bereits für das kommende Jahr deutlich.
Im Vordergrund steht - das möchte ich noch einmal ausdrücklich unterstreichen - die Sicherung von Qualität und Leistung des Bildungswesens sowie die Anpassung des Bildungssystems an neue Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft. Dies zeigt sich an den erhöhten Ansätzen für die Studien- und Promotionsförderung, an Ansätzen, die insgesamt auf 84 Millionen DM erhöht wurden, und dies zeigt sich auch an dem Ausbau eines Systems von Leistungswettbewerben, für die der Etatansatz seit 1983 um 167 % erhöht wurde. Die Zahl der Leistungswettbewerbe stieg von 3 auf 13, womit vielen jungen Menschen die Chance geboten wird, sich in ihren Fähigkeiten und Leistungsmöglichkeiten darzustellen.
Im Etatansatz für die Deutsche Forschungsgemeinschaft stehen für das nächste Jahr 575 Millionen DM bereit. Ergänzt werden die Projekte durch Programme für eine gezielte qualifizierte Nachwuchsförderung und Spitzenforschung mit noch einmal 27,6 Millionen DM insgesamt.
Meine Damen und Herren, einer wachsenden internationalen Zusammenarbeit im Bereich von Bildung und Wissenschaft kommt in den nächsten Jahren eine große Bedeutung zu. Deshalb sind die Ansätze für den Personalaustausch über die Grenzen hinweg auf allen Ebenen deutlich erhöht worden. 1987 stehen hierfür insgesamt 43 Millionen DM zur Verfügung; das bedeutet eine Steigerung um 40% gegenüber 1983.
Mit allem Nachdruck und mit besonderer Sympathie möchte ich hier auch einen Bereich erwähnen, dem wir uns in den letzten zwei Jahren verstärkt zugewandt haben, nämlich dem musisch-kulturellen Bereich. Ich denke, gerade vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer Forcierung naturwissenschaftlicher und technischer Entwicklungen ist es erforderlich, der Jugend den Bereich der Kultur verstärkt zu öffnen.
({3})
Wir haben hier einige wichtige Ansätze auf den Weg gebracht, so etwa das Förderprogramm „Bildung und Kultur". Auch sind zwei neue Wettbewerbe aus der Taufe gehoben worden, das „Treffen junger Komponisten" und der Wettbewerb „Schüler schreiben". Eine neue Initiative ist auch das Treffen „Kultur und Sport". Ich glaube, daß gerade auf diesem Felde viele, viele Möglichkeiten in den nächsten Jahren auf eine Aktivierung warten.
Meine Damen und Herren, insgesamt möchte ich sagen, daß der Einzelplan 31 für das Jahr 1987 den neuen Aufgaben Rechnung trägt, vor denen das Bildungssystem in den nächsten Jahren stehen wird. Er ist Ausdruck einer Politik, die besondere Schwerpunkte setzt, die Benachteiligte fördert, die Begabte fordert und die eine qualifizierte Breitenausbildung forciert. Ich denke, daß dieser Haushalt damit auch den Anforderungen einer sozialen Bil19266
dungspolitik Rechnung trägt und die Chancengerechtigkeit im Bildungswesen verwirklichen hilft.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß der Beratungen über diesen Haushalt allen Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß für Rat und Tat und Unterstützung sehr herzlich danken. Insbesondere möchte ich den Herren Berichterstattern meinen Dank für verständnisvolle und engagierte Arbeit sagen. Ich glaube, bei aller Kritik im einzelnen hat es insgesamt eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit gegeben.
Vielen Dank.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 31, Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einzelplan 31 ist in zweiter Lesung angenommen.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
- Drucksachen 10/6306, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster ({0})
Dr. Riedl ({1}) Kühbacher
Frau Seiler-Albring Dr. Müller ({2})
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
- Drucksachen 10/6327, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster ({3}) Kühbacher
Dr. Müller ({4})
Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksachen 10/6325, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete von Hammerstein Kühbacher
Dr. Müller ({5})
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6511, 10/6512 und 10/6558 unter Nr. 4 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Einzelpläne 06, 36 und 33 60 Minuten vorgesehen. Der Fraktion DIE GRÜNEN wird eine über die 5,5 Minuten hinaus auf 10 Minuten aufgerundete Redezeit zugestanden. Ist das Haus damit einverstanden? - Danke schön.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sollte Sie, Herr Bundesinnenminister, eigentlich wundern, daß es draußen dunkel ist, daß die Kameras abgeschaltet sind, wenn Sie mit Ihrem Einzelplan vor dem Parlament stehen.
({0})
- Ja natürlich, Herr Kollege Bötsch. Ich weiß ja, daß es an Ihnen und an der glücklichen Fügung des Ältestenrates und der Koalitionsfraktionen liegt, daß ausgerechnet die CSU-Minister immer erst auftreten, wenn das Fernsehen schon weg ist. Das muß doch Gründe haben.
({1})
Es spricht auf keinen Fall für eine erfolgreiche Politik.
({2})
Herr Innenminister, Sie müssen sich fragen lassen, warum Sie denn versteckt werden. Versteckt werden Sie, Herr Innenminister, weil man nach vier Jahren Ihrer Regierungspolitik feststellen muß: Außer den großen Ankündigungen, außer dem großen Schein ist kaum etwas nachgeblieben. Sie, Herr Minister, sind bei weitern hinter den Anforderungen, die Sie selbst in der Öffentlichkeit an einen Innenminister Baum gestellt haben, zurückgeblieben. Das ist das Fazit.
({3})
Herr Kollege Bötsch, es ist die Frage, was denn der Innenminister an Bilanz vorzulegen hat. Er wird heute dem staunenden Parlament vortragen wollen, wie enorm doch der Haushalt 1987 gewachsen sei. Sehen Sie, Herr Minister, da kommt auch die erste Frage: Wer hat denn das im wesentlichen veranlaßt? Wenn Sie sich den Regierungsentwurf einmal anschauen, Ihre Durchsetzungsfähigkeit vor dem Mord an Herrn von Braunmühl, werden Sie feststellen müssen, daß da eigentlich nichts war. Zum Bereich Terrorismus wird mein Kollege Nöbel noch Ausführungen machen. Aber, Herr Minister, es ist doch eigentlich eine bittere Erkenntnis, daß erst ein Toter in Bonn Sie in Aktion ruft.
({4})
Das ist der entscheidende Punkt.
Vier Jahre Ankündigung, z. B. der Innenminister als Minister des öffentlichen Dienstes: Was ist denn nachgeblieben, wenn man einmal aufmerksam hinschaut? Wo ist denn die versprochene Änderung und Milderung bei § 55 BVG? Sie wissen ganz genau, daß dies in Form einer Großen Koalition - Übereinstimmung zwischen alter Regierung und Bundesrat, also auch CDU- und CSU-Ländern -1981 eingeführt worden ist. Sie haben laut getönt,
was Sie alles machen würden. Bis heute hat sich auf diesem Gebiet nichts getan.
({5})
Herr Minister, Sie haben sich gegenüber dem öffentlichen Dienst versündigt, als Sie der Absenkung der Eingangsbesoldung zugestimmt haben, weil der öffentliche Dienst damit auf mittlere Sicht konkurrenzunfähig wird gegenüber den Bereichen, mit denen er es tatsächlich zu tun hat. Herr Minister, der öffentliche Dienst hat von Ihnen als fürsorglichem Minister nichts zu erwarten.
({6})
- Herr Kollege Broll, ich hoffe ja, daß Ihnen Ihr Pfeifen im Dunklen hilft. Aber so wie sich der Minister für den öffentlichen Dienst nicht eingesetzt hat, so wenig tut er das auch im eigenen Hause. Wir können das an einem Beispiel einmal deutlich machen, nämlich an den vollmundigen Ankündigungen und an dem mangelnden Durchsetzungsprofil des Ministers, z. B. zum Bundesgrenzschutz. Sie, Herr Broll, und ich wissen, daß die Bundesgrenzschutzbeamten - es sind die mittleren Beamten - durch Abordnung ihren Dienst seit Jahren in den Brennpunkten der Bundesrepublik 400, 500 km weg von ihrem eigentlichen Dienstort entfernt versehen müssen. Der Minister weiß das auch. Gelegentlich, wenn er einmal ins Ministerium kommt, läßt er sich das vielleicht vortragen, wenn er zwischen Tennisspielen und Fußballschauen Zeit für die tatsächlichen Probleme hat.
({7})
- So ist die Wahrheit.
Was ist denn in den letzten vier Jahren in diesem Bereich passiert? Die Abordnungen nehmen ständig zu, ebenso die Überstunden.
({8})
- Herr Broll, was ist des Rätsels Lösung? Inzwischen hat der Minister für das Jahr 1987 eine Kommission eingesetzt, die untersuchen soll, wo denn für den Bundesgrenzschutz im Westen eine Unterkunft gefunden werden soll, aus der die Beamten dann unmittelbar ihrem Dienst im Bonner, im Frankfurter und im Karlsruher Raum nachgehen sollen. Unser ganzes Drängen hat nichts genutzt. Der Minister ist - das ist eine Tatsache - entscheidungsschwach. Er schiebt schwierige Entscheidungen vor sich her, läßt sich von anderen, von Staatssekretären im Ausschuß vertreten, er selber bringt nichts. Und wenn nichts hilft, setzt er eine Kommission ein. Das ist die Wahrheit.
Was ist mit den kleinen Beamten beim Bundesgrenzschutz? Herr Minister, ist es nicht so, daß die Frau Kollegin Seiler-Albring ihnen dazu verhelfen mußte, daß z. B. Mittel für die Verbesserung der persönlichen Schutzausrüstung für Polizeibeamte im Haushalt eingestellt wurden, während Sie nur von Hubschraubern, Pumas und sondergeschützten
Fahrzeugen träumen? Sehen Sie, Herr Minister, Sie liefern den GRÜNEN den Vorwand dafür, die angebliche Militarisierung des Bundesgrenzschutzes kritisieren zu können, während Ihnen die originären Sorgen der kleinen Beamten, die Tag für Tag ihren Dienst unter zum Teil schwierigsten Umständen zu versehen haben, völlig egal sind.
Aber abgesehen von diesem Bereich, Herr Minister, gibt es andere Punkte, in bezug auf die ich für mich nur feststellen kann: außen hui, innen pfui.
({9})
- Ja, da können Sie lachen, Herr Olderog. - Ich nenne z. B. den Bereich der Kulturpolitik. - Herr Olderog, das ist j a auch ein Problem: Wenn der Minister nicht solch vollmundige Erklärungen abgeben würde, dann müßte man j a auch nicht so reden. Wenn Sie genau hinschauen, dann müssen Sie doch feststellen: Der Minister gibt an. Er gibt richtig an. Und wenn man dahinterleuchtet, zerplatzen die Seifenblasen.
({10})
In der Kulturpolitik können Sie das feststellen. Der Minister hat sich dafür eingesetzt, daß die Filmförderungspreise in der Bundesrepublik um Millionenbeträge angehoben werden. Warum? Damit er einmal im Jahr als der Kulturförderer Zimmermann die Filmpreise vor der staunenden Offentlichkeit und vor einer breiten Presse verleihen kann.
Ich möchte einmal die Frage stellen, warum die Bundesrepublik nicht in der Lage ist, den notleidenden Künstlern in der Bundesrepublik - da gibt es eine soziale Verpflichtung - wenigstens 750 DM im Monat zukommen zu lassen. Das ist exakt die Pfändungsfreigrenze. Da sagt dieser Minister, es sei kein Geld dafür vorhanden. Wenn man entsprechende Anträge im Innenausschuß stellt - Kollege Broll weiß das -, dann wird dem zugestimmt, auch von Ihnen, Herr Kollege Broll. Und wenn es dann zum Schwur kommt, setzt es der Minister weder beim Finanzminister durch noch macht er Mittel dafür frei.
({11})
- Ja, natürlich. Aber die Kollegen der CDU und CSU und FDP im Haushaltsausschuß stimmen diesem Vorhaben nicht zu. Das ist das, was ich zu kritisieren habe: Großer Schein, aber wenn es um die wirklichen sozialen Sorgen geht, dann ist nichts dahinter. Man könnte diese Kette beliebig fortsetzen, aber ich will die restlichen drei Minuten auf ein anderes Thema verwenden, weil das noch viel deutlicher aufzeigt, womit wir es bei diesem Minister tatsächlich zu tun haben.
Es gibt gar keine Zweifel, daß der Bereich der zivilen Verteidigung und des zivilen Katastrophenschutzes ein ungeliebtes Kind des gesamten Parlaments ist. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Die Bundesregierungen haben sich an diesem Thema immer vorbeigemogelt. Aber dieser Minister
hat nun wirklich den Beweis dafür geliefert, daß ihm das, was in diesem Bereich - es handelt sich um einen Etat, der ja knapp unter der Milliardengrenze liegt - passiert, völlig egal ist. Erst die Katastrophe von Tschernobyl hat ihn zum Aktionismus veranlaßt, zu einem Aktionismus, der ihm dann durch eine entsprechende Organisationsentscheidung der Bundesregierung aus der Hand genommen wurde. Ich will mich über den Bundesumweltminister Wallmann gar nicht auslassen. Aber hier wird ja deutlich, daß die Bundesregierung die fahrlässige Handhabung des Innenministers im Bereich des Katastrophenschutzes nun wirklich erkannt hat.
({12})
Herr Minister, wenn wir beide uns darüber unterhalten, warum Sie es zulassen, daß Jahr für Jahr dreistellige Millionenbeträge für Sirenen, für Sirenenüberprüfung und für die Anmietung von Sirenenleitungen bei der Deutschen Bundespost und den Warndienst ausgegeben werden, und wenn ich Sie frage, ob Sie erklären können, was die Sirenen, die dienstags oder mittwochs in den einzelnen Dörfern und Städten heulen, bedeuten, dann müssen Sie antworten: Das weiß ich nicht. So wie Sie es nicht wissen, so weiß es niemand in der Bevölkerung. Trotzdem lassen Sie es zu, daß dreistellige Millionenbeträge ausgegeben werden. Herr Minister, können Sie mir sagen, was das soll?
({13})
- Lassen Sie mich das doch mal ausführen, und unterbrechen Sie mich doch nicht, weil Sie den Minister beschützen wollen.
({14})
Diese dreistelligen Millionenbeträge werden ausgegeben
({15})
- nein, ich kenne diese auch nicht -, um vorzutäuschen, es werde etwas für den zivilen Katastrophenschutz getan. Die Bevölkerung soll in Sicherheit gewiegt werden. Tatsächlich ist der zivile Katastrophenschutz auf Null.
Meine Damen und Herren, jetzt einmal ganz im ernst: Stellen wir uns doch einmal gemeinsam vor, wir wären im Ausland und hier würde sich irgendeine Katastrophe ereignen, z. B. ein Chemieunfall, was ja alles passieren kann.
({16})
Jetzt beantworten Sie sich doch selbst einmal die Frage: Könnten Sie ruhig schlafen, wenn Sie Ihre Familie in der Obhut dieses Innenministers wüßten? Beantworten Sie sich diese Frage selbst!
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Riedl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich den Herrn Kühbacher hier so reden höre, dann erinnere ich mich an sein Lob vor drei Jahren an den Bundesinnenminister Dr. Friedrich Zimmermann, für das er in seiner Fraktion heftigst gescholten worden ist.
({0})
Damals hat er ehrlich und offen geredet; als er dann zurückkam, hat ihm der „Onkel Herbert" einen über den Löffel gezogen, und jetzt muß er hier so reden.
({1}) Das ist natürlich alles makaber.
Lieber Kollege Kühbacher, noch eines dazu: Wenn ich nicht wüßte, wie Sie im Haushaltsausschuß die Maßnahmen für die innere Sicherheit alle mittragen, dann würde ich hier sagen: Das war wirklich dummes Zeug, was Sie hier geredet haben, wirklich dummes Zeug.
({2})
Ich muß dabei bleiben, daß es wirklich nicht zu verantworten war, was Sie gesagt haben.
({3})
Allein das, was Sie zum öffentlichen Dienst gesagt haben: Da bekommen die Beamten des öffentlichen Dienstes seit Jahren zum ersten Mal wieder real fast 4 % Besoldungserhöhung.
({4})
Die Stimmung draußen im öffentlichen Dienst - daß Sie das ärgert, verstehe ich - ist in der Tat für uns ganz hervorragend; und da stellen Sie sich hin und pinkeln den Minister an. Also, das geht wirklich in die falsche Richtung.
({5})
Herr Kollege Kühbacher, eines will ich Ihnen allerdings in großem Ernst hier sagen: Daß Sie die Ermordung des Herrn von Braunmühl in einen so makabren Zusammenhang mit den außerordentlich vernünftigen Haushaltsentscheidungen zur Verbesserung der Personal- und Sachausstattung der deutschen Polizei gebracht haben, muß ich hier mit aller Empörung zurückweisen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich möchte in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht, einmal skizzieren, was in diesem Haushalt im Einzelplan 06 für die innere Sicherheit angesichts der inneren und äußeren Bedrohungslage gemacht worden ist. Ich möchte mich sowohl bei Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesminister, als auch bei Ihren hervorragenden Mitarbeitern im Haushaltsreferat und bei Ihnen, Frau Kollegin Seiler-Albring, für die ganz ausgezeichnete Zusammenarbeit bedanken. Sie haben es uns ermöglicht, außerordentlich schnell das umzusetzen, was bei dieser schwierigen HaushaltsDr. Riedl ({7})
lage gar nicht so einfach war, nämlich eine Haushaltssteigerung von 9,1% gegenüber dem letzten Jahr durchzusetzen, obwohl wir in den anderen Bereichen eine Gesamtglobalkürzung von 1,9% erreichen mußten, um die Staatsverschuldung weiter abzubauen. Dafür ein herzliches Dankeschön. Das hat im übrigen auch ermöglicht, daß das Bundeskriminalamt heute mit dieser auch in den letzten vier Jahren zustande gekommenen Personal- und Sachausstattung - das kann man ohne Übertreibung sagen - das wohl beste Bundeskriminalamt in der westlichen Welt ist.
({8})
- Herr Kollege Walther, Sie sind doch viel zu lange im Geschäft, als daß Sie nicht wissen, wie schwierig es trotzdem ist, in der Terrorfahndung greifbare Erfolge so zu erzielen, wie wir alle uns das vorstellen.
Meine Damen und Herren, darf ich die drei Schwerpunkte hier kurz herausstreichen? Erstens. Das Bundeskriminalamt wird in 1987 nochmals um 210 neue Stellen aufgestockt. Wir stocken die Sachmittel um z. B. 13 Millionen DM für die Beschaffung von zusätzlichen insgesamt 52 sondergeschützten Kraftfahrzeugen auf.
Zweitens. Eine historische Leistung: Der Bundesgrenzschutz wird durch 1 150 neue Stellen erheblich verstärkt. Mit diesen neuen Stellen wird eine weitere Einsatzabteilung im Landesinneren aufgestellt
({9})
sowie die bestehenden Einsatzabteilungen, hier vor allen Dingen die Grenzschutzabteilung West, verstärkt. Mit dieser weiteren Verlagerung des Bundesgrenzschutzes in das Landesinnere zeigt sich ein beginnender Strukturwandel, mit dem auf die veränderten Ausgangslagen richtigerweise reagiert wird.
Meine Damen und Herren, nach den jüngsten Erfahrungen bei den besonders gewalttätigen Großdemonstrationen z. B. in Brokdorf und Wackersdorf hat uns alle die außerordentlich hohe Zahl der zum Teil sehr schwer verletzten Polizisten wahnsinnig erschüttert. Wir haben im übrigen in diesem Jahr 1986 allein bis heute rund 1 000 mehr oder weniger schwer verletzte Polizisten zu beklagen. Das waren 1985 gottlob noch 160.
Wir müssen deshalb die persönliche Schutzausstattung der einzelnen Polizisten, die Ausstattung mit Führungs- und Einsatzmitteln und die Geräte zur besseren Beweisdokumentation verstärken. Es geht ja wohl nicht an, daß diese gewalttätigen Demonstranten zum Teil wesentlich besser ausgerüstet sind als unsere Polizisten, wobei ich hier nur das Stichwort „schwere Ausrüstung" nehme, die den Polizisten eine leichte Beweglichkeit im Vergleich zu diesen Gewalttätern fast unmöglich macht.
Drittens. Die Ausrüstung der Bereitschaftspolizeien der Länder haben wir ebenfalls verstärkt, und wir haben die erforderlichen Mittel um fast 30 % gesteigert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren - und das sage ich jetzt noch einmal an die SPD, an den Kollegen Kühbacher und die Frau Kollegin SeilerAlbring gerichtet -, die SPD hat ja im Haushaltsausschuß all diese Dinge mitgetragen.
An die GRÜNEN gewandt: Die GRÜNEN haben in Konsequenz ihres Parteiprogramms Anträge im Haushaltsausschuß gestellt, die - und ich sage das jetzt hier in aller Öffentlichkeit, meine Damen und Herren, damit es auch die Leute draußen wissen - darauf hinauslaufen, unsere Polizei und unsere Sicherheitsbehörden abzuschaffen. Das war der Sinn Ihrer Anträge.
({10})
- Das war nicht unerhört, Herr Dr. Müller. Der Antrag war von Ihnen. Sie haben ihn gestellt. Eine Abschaffung der Polizei, so wie Sie es wollen,
({11})
kommt für uns, meine Damen und Herren, nicht in Frage.
({12})
Meine Damen und Herren, die personellen und die finanziellen Voraussetzungen für mehr innere Sicherheit sind aber - ich sage das hier mit allem Ernst, und ich sage das auch an unseren Koalitionspartner - nur ein Teil dessen, was die Politik leisten muß. Gleichwertig daneben müssen die Sicherheitsorgane von der Politik, vom Gesetzgeber, also von uns hier im Deutschen Bundestag, verbesserte rechtliche Möglichkeiten erhalten, um der veränderten Sicherheitslage gerecht zu werden.
Deshalb bitte ich die Damen und Herren Kollegen im Rechtsausschuß und im Innenausschuß, vor allen Dingen die von den Koalitionsfraktionen, alle bis heute vereinbarten und vorgelegten Sicherheitsgesetze schnellstmöglich und noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden, damit am 1. Januar 1987 ein in sich logisches und dementsprechend wirksames Sicherheitspaket mit materiellen und rechtlichen Möglichkeiten der deutschen Polizei insgesamt zur Verfügung steht.
({13})
Meine Damen und Herren, Herr Bundesminister, darf ich noch ein Wort zur Polizeiführungsakademie des Bundes und der Länder in Hiltrup verlieren. Ich habe diese Einrichtung kürzlich besucht. Viele Kollegen hier haben das in der Vergangenheit auch schon getan. Ich messe dieser Einrichtung eine große Bedeutung bei. Ich habe allerdings den Eindruck, daß von ihr nicht das geleistet werden kann, was man von einer Polizeiakademie erwarten muß,
({14})
Dr. Riedl ({15})
nämlich eine an den aktuellen Ereignissen orientierte Aus- und Fortbildung der führenden Polizeibeamten Deutschlands.
({16})
Mir erscheint der Apparat dort viel zu schwerfällig.
({17})
Hier sind allerdings in erster Linie die Innenminister der Länder gefordert, diesem Führungsinstrument der deutschen Polizei die entsprechenden Vorgaben zu geben.
({18})
Das setzt natürlich voraus, daß die Akademie personell und finanziell so ausgestattet wird.
({19})
- Herr Kollege Walther, ich bedanke mich für die Zustimmung -, daß sie von allen Bundesländern als übergreifendes Planungs- und Führungsinstrument begriffen und angenommen wird. Es muß eine Auszeichnung - Herr Bundesminister, wenn Sie dies bitte den Länderinnenministern bei der nächsten Konferenz sagen - für jeden Polizeibeamten des höheren Dienstes werden, an der Polizeiführungsakademie einige Jahre lehren, forschen und arbeiten zu dürfen.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die Bewahrung des inneren Friedens in der Bundesrepublik Deutschland bedarf starker, leistungsfähiger Sicherheitskräfte. Diese müssen in der Lage sein, die vielfachen, schwierigen Aufgaben zu meistern. Dazu brauchen wir zufriedene und leistungsbereite Vollzugsbeamte, die sich von ihrem Dienstherrn unterstützt und ermutigt fühlen, und dies auch von der Politik.
Meine Damen und Herren, deshalb muß auch z. B. sichergestellt sein, daß die große Zahl der wegen der ständigen Einsatzbelastungen nicht mehr durch Freizeit auszugleichenden Überstunden finanziell angemessen abgegolten wird. Das folgende richte ich jetzt an uns im Haushaltsausschuß, an uns im Innenausschuß, an die Bundesregierung, an uns alle: Meine Damen und Herren, Beträge, mit denen man heutzutage - ich darf es einmal so salopp sagen - nicht einmal einen Babysitter bekommt, sind in diesem Zusammenhang nicht angemessen. Wir brauchen dringend auch eine einheitliche Anerkennung geleisteter Bereitschaftszeiten.
Für die jungen Polizeibeamten, die in Ausübung ihres Dienstes auf Dauer polizeidienstunfähig geworden sind, muß durch gesetzliche Regelung sichergestellt werden, daß sie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes weiterbeschäftigt werden. Bei dauernder allgemeiner Dienstunfähigkeit ist die Versorgung wesentlich zu verbessern. Ich bedanke mich, Herr Minister, hier insbesondere dafür, daß Sie in den letzten drei Jahren schwerverletzte, verletzte, aber wieder dienstfähig gewordene Polizeivollzugsbeamte vor allen Dingen des Bundesgrenzschutzes jetzt in der zivilen Verwaltung, z. B. beim Bundesamt in Zirndorf, einsetzen. Das ist eine gute Sache.
Schließlich gehört dazu, daß die gesetzlichen Grundlagen für die Aufgaben der Polizei so beschaffen sind, daß ihr die Arbeit nicht noch erschwert wird, wobei ich damit auch meine, daß Polizisten in Uniform von bürokratischer Schreibtischarbeit weitgehend, mehr als bisher, entlastet werden.
Herr Abgeordneter!
Ich spreche noch einen Schlußsatz, Herr Präsident.
Ich möchte - sicher in Ihrer aller Namen - allen deutschen Polizeibeamten, die in unserem Rechtsstaat ihren schweren Dienst zu unser aller Sicherheit tun, für ihre aufopferungsvolle Pflichterfüllung von dieser Stelle aus den Dank des Deutschen Bundestages aussprechen.
Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Der Bundesinnenminister hat sich vor einigen Tagen in Mannheim als Polizeiminister bezeichnet und hinzugefügt, daß er diese Bezeichnung als besonders ehrenvoll ansehe. Ich kann nur sagen: So sieht sein Haushalt auch aus. Der Haushalt des Bundesinnenministers ist durch Aufrüstung im Inneren geprägt,
({0})
Aufrüstung aller Sicherheitsämter des Bundes, mit mehr Bespitzelung, mehr Beobachtung, mehr Kontrolle der Bevölkerung und mehr Polizei in allen Bereichen. Wir haben von 1970 bis 1987 eine Steigerung des Etats für die innere Sicherheit von 457 Millionen DM auf 1,8 Milliarden DM,
({1})
also eine Steigerung um mehr als 300 %.
Wenn man sich die einzelnen Bereiche der Bundessicherheitsbehörden ansieht, stellt man fest: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat eine zweistellige Steigerungsrate um mehr als 12 %.
Das Bundeskriminalamt - darauf hat der Kollege Riedl bereits hingewiesen - hat eine Steigerungsrate allein im personellen Bereich von 210 Beamten. Dazu kommen Materialsteigerungen. Insgesamt ist auch hier die Steigerungsrate des Etats zweistellig. Wo bleibt da eigentlich die Forderung des Verfassungsgesetzgebers und auch der Alliierten, daß es keine Bundespolizei in der Bundesrepublik Deutschland geben soll, sondern daß die Polizei dezentral organisiert sein soll? Wir haben inzwiStröbele
schen eine Bundespolizei. Sie umfaßt nach den neuesten Aufstockungen 3 387 Beamte. Es ist eine Superbehörde, die da in Wiesbaden entsteht und die überall in der Bundesrepublik Filialen eingerichtet hat.
Wir haben als dritten Bereich den Bundesgrenzschutz. Auch darauf ist bereits hingewiesen worden. Der Kollege Riedl ist der Auffassung, daß eine Steigerung von über 1 000 Stellen besonders hervorzuheben und besonders vorbildlich sei. Wir haben in den letzten Monaten viele Gesetze und viele Einzelinitiativen diskutiert, wonach die Grenzkontrollen an den Grenzen im Westen zurückgehen sollen. Wozu werden da eigentlich die vielen tausend neuen Grenzbeamten gebraucht? Ist das, was Sie hier vorhaben und in der Bundesrepublik Deutschland etablieren wollen, nicht tatsächlich inzwischen zu einer zivilen Armee für die Sicherheit und Ordnung im Inneren geworden?
({2})
Es ist eine Armee von fast 20 000 Mann, die die irreführende Bezeichnung, es handele sich hier um Grenzschutzbeamte, weiterhin hat. Von Grenzschutz kann bei den meisten keine Rede sein. Wenn man fragt, in welche Richtung diese Aufrüstung tatsächlich zielt, muß man feststellen
({3})
- das sieht man an den 23 Wasserwerfern, die Sie zusätzlich anschaffen wollen, und an den 300 geschützten Sonderfahrzeugen -, daß die Aufrüstung in eine ganz andere Richtung zielt. Sie haben es in einem Nebensatz erwähnt: Ihnen geht es um die Leute, die bei Wackersdorf auf der Straße sind, die demonstrieren,
({4})
die um Wackersdorf und Brockdorf auf den Feldern sind, die in Berlin, Frankfurt oder auch in Bonn demonstrieren. Um die geht es. Gegen die brauchen Sie diese Ausrüstung.
({5})
Gegen die brauchen Sie diese zivile Armee. Sagen Sie das doch ehrlich, sagen Sie das doch klar, und versuchen Sie nicht, das zu vertuschen.
({6})
- Herr Kollege Olderog, langsam reicht es mir, daß Sie uns immer mit der Frage der Gewalt kommen.
({7})
Ich frage Sie, Herr Kollege Olderog: Was sagen Sie dazu, daß Ihre Freunde von der Industrie die Bevölkerung seit Wochen damit terrorisieren, daß sie tonnenweise und absichtlich und vorsätzlich hochgiftiges Material in den Rhein einleiten? Ist das keine Gewalt gegen Sachen? Ist das keine Gewalt gegen
Personen? Herr Kollege Olderog, ist das keine Gewalt? Überprüfen Sie erst einmal Ihr Verhältnis zur Gewalt, bevor Sie hier solche Zwischenrufe machen.
({8})
Da habe ich nirgendwo erlebt, daß Sie nach Sondergesetzen schreien und daß Sie Sondermaßnahmen haben wollen. In diesem Bereich tun Sie nichts. Das sind Ihre Freunde, mit denen Sie nach wie vor zusammensitzen.
({9})
Das sind Ihre Kumpane. Sie sind die Sympathisanten dieser Gewalttäter. So muß man es hier feststellen.
({10})
Um die entscheidenden Fragen, die sich heute in unserer Gesellschaft stellen, wollen Sie sich herumdrücken: um die Frage, wie der Frieden auch in Mitteleuropa gesichert werden kann, wie die Ausplünderung der Dritten Welt beendet werden kann, wie der ganz aktuellen Bedrohung durch die Kernenergie begegnet werden kann, wie der Umweltvergiftung und der Umweltzerstörung begegnet werden kann.
Darauf haben Sie - Sie setzen sich mit den inhaltlichen Problemen nicht auseinander - nur die autoritäre Antwort: mehr Polizei, mehr Soldaten, mehr Aufrüstung, mehr Waffen, mehr Material. Das ist Ihre Philosophie. Ihre Politik heißt: Weiter so, weiter so mit dem Sterben der Wälder,
({11})
weiter so mit dem Gift im Rhein, weiter so mit dem Ausbau der Atomenergie, und weiter so mit der Hochrüstung zu immer mehr Kriegsgefahr!
Genauso, wie Ihre Außenpolitik oder Ihre Sicherheits- und sogenannte Friedenspolitik darauf ausgerichtet ist, mit immer mehr und immer gefährlicherer und immer tödlicherer Rüstung zu arbeiten, so können Sie sich inneren Frieden offenbar auch nur vorstellen mit immer mehr Polizisten, mit immer mehr Waffen, mit immer mehr Soldaten.
({12})
Da erinnere ich mich an die Devise von Friedrich Wilhelm IV. Als die Menschen in Deutschland Mitte des letzten Jahrhunderts für mehr Demokratie auf die Straße gingen, fiel Ihren Vorvätern, den Vorvätern dieses Parlaments in der Frankfurter Paulskirche auch nur ein, die Auseinandersetzung mit dem Volk - eigentlich mit ihrem Volk - mit polizeili19272
chen Mitteln zu lösen. Der Einsatz der Polizei war angesagt.
Nur wenige Wochen später ließ Friedrich Wilhelm IV. nach dem Motto „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten" dieses Parlament auseinanderjagen.
Sie können sich selber die Antwort geben, wo Sie mit dem, was Sie im Augenblick in der Bundesrepublik anstellen, stehen.
({13})
So wie dieses deutsche Parlament damals, so stehen Sie heute zwischen dem Getretenwerden von seiten der Bevölkerung, die begonnen hat, ihre Überlebensinteressen selbst in die Hand zu nehmen, einerseits und der Komplizenschaft mit den Interessen „derer da oben", beispielsweise der Konzerne, andererseits.
({14})
Weil Sie offensichtlich immer weniger die Interessen der Menschen in der Bundesrepublik vertreten, versuchen Sie wie weiland Friedrich Wilhelm IV., diese Menschen mit immer mehr Soldaten in Schach zu halten. Demokratie heißt doch eigentlich „Herrschaft des Volkes". Das ist doch etwas anderes als das, was Sie sich darunter vorstellen. Das, was sich auf den Straßen in Berlin, auf den Straßen in Frankfurt oder auch vor einem Jahr noch hier in Bonn oder auf den Feldern vor Wakkersdorf und Brokdorf in den letzten Jahren ereignet und artikuliert hat, ist ein Stück direkte Demokratie, der auch Sie sich auf Dauer nicht entziehen können. Aber statt froh zu sein, daß es seit Jahren eine solche lebendige Demokratie in der Bundesrepublik gibt,
({15})
anstatt zur Kenntnis zu nehmen, daß es ohne diese Demokratie und ohne diese Demokraten, die dort auf die Straße gehen, ein Umdenken beispielsweise in der Umweltpolitik nie gegeben hätte,
({16})
daß es kein verändertes Parteiprogramm der SPD gegeben hätte, statt dessen immer mehr Vergiftung der Umwelt und der Menschen in der Bundesrepublik stattgefunden hätte,
({17})
erlassen Sie immer nur schärfere Gesetze. Vorhin kam ja auch wieder der Ruf: neue Sicherheitsgesetze, neue Gesetze für den Verfassungsschutz, neue Gesetze für das Bundeskriminalamt, neue Vorschriften für das Strafgesetzbuch und neue Verordnungen. Sie investieren immer mehr Milliarden in Soldaten, in den Kampf im Innern und in den Kampf nach außen.
Wir dagegen versuchen, mehr Demokratie und mehr Bürgerfreiheit zu finden.
({18})
Wir meinen, auch in einem Parlament muß man das
finden können, nicht nur draußen auf der Straße.
Dabei haben die Demokraten, die von ihren demokratischen Rechten draußen Gebrauch machen, unsere volle Unterstützung. Wir sind hier im Parlament, und wir wollen im Parlament versuchen, mehr Demokratie durchzusetzen.
({19})
Ihre Aufrüstung im Innern lehnen wir ab. Wir wollen diese Milliarden sparen und sie lieber für demokratische Institutionen, Einrichtungen ausgeben,
({20})
etwa für das Recht jedes Bürgers zur Einsicht in alle Akten der Verwaltung. Wenn Sie damit ernst machen wollen, daß jeder einzelne Verwaltungsbeamte letztlich ein Angestellter der Bürger, ein Angestellter des Souveräns, nämlich des Volkes, ist, dann müssen Sie auch den Zugriff zu den und den Einblick in die Akten, die bei einer Verwaltung geführt werden, möglich machen.
({21})
Das würde Demokratie bedeuten. Genauso würde es mehr Demokratie bedeuten - für Sie alle, für uns alle, auch in den Ausschüssen, wäre das sehr, sehr hilfreich -, wenn wir uns beispielsweise durch Volksentscheid oder durch Bürgerentscheid, hin und wieder die Meinung des Volkes zu aktuellen Überlebensfragen der Bevölkerung einholen und unsere Entscheidung daran ausrichten könnten.
({22})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Der letzte Satz. - Deshalb setzen wir dem Etat dieses sich selbst so nennenden Polizeiministers mit seinem Konzept der Mauer, der Autorität gegen die Zukunft, gegen eine menschlichere Zukunft für uns alle die Offensive für mehr Demokratie, für direktere Demokratie, .. .
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
... für konkretere Demokratie entgegen. Danke.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.
Herr Müller, warum bloß haben Sie denn hier nicht geredet? Mit Ihren Argumenten kann man sich wenigstens noch auseinandersetzen,
({0})
manchmal macht es sogar auch noch Spaß. Das, was Sie gesagt haben, Herr Ströbele, lasse ich so stehen. Es wundert mich überhaupt nicht, daß die Opfer des Terrorismus, all die Mordopfer, die HinFrau Seiler-Albring
terbliebenen in Ihren Ausführungen überhaupt nicht vorgekommen sind.
({1})
Lieber Herr Kollege Kühbacher, als Sie Ihre Rede vorhin mit dem Hinweis auf die Tageszeit begannen, habe ich mir so gedacht, daß Sie als einer der Kundigen in diesem Raume eigentlich am allerbesten wissen müßten, wie dieser Haushalt tatsächlich beschaffen ist. Er braucht das Licht des Tages nicht zu scheuen.
({2})
Sie wissen, wir wissen, daß die Steigerungsraten im Bereich der inneren Sicherheit in diesem Jahr selbstverständlich massiv sind. Aber Sie wissen doch auch, daß in diesem Haushalt z. B. die Kulturförderung angesiedelt ist, die im nächsten Jahr um 8,1 % steigen wird, daß dort die Sportförderung angesiedelt ist, die eine vernünftige und hervorragende Vorbereitung unserer Olympia-Teilnehmer im nächsten Jahr ermöglichen wird. Sie wissen, daß wir - das war einer Ihrer Wünsche - z. B. die Begrüßungsgabe für die Kinder von Aussiedlern gemeinsam erhöht haben - zwar vielleicht nur Kleinigkeiten, die aber einem bis dato benachteiligten Kreis von Kindern den Übergang in eine oft sehr fremde Welt sehr wohl erleichtern können. Also ich glaube, im Grunde sind wir uns einig, daß dieser Haushalt, den wir im wesentlichen gemeinsam gestaltet haben, in Ordnung geht.
Meine Damen und Herren, die Beratungen zu diesem Haushalt standen in diesem Jahr unter Voraussetzungen, die normalerweise so nicht gegeben sind. Die Verschärfung der Situation bei der inneren Sicherheit, die zunehmende Bedrohung durch den Terrorismus, das Ansteigen der AsylbewerberZahlen wegen des trostlosen Imports menschlichen Elends durch gewissenlose Geschäftemacher via Ost-Berlin - all dies hat nicht unwesentliche Nachbesserungen beim Einzelplan des Innenministers notwendig gemacht.
Ich glaube, wir haben auf diese Herausforderungen in klarer, zielgerichteter und gleichzeitig angemessener Weise geantwortet. Es hat an keiner Stelle - dies, lieber Kollege Riedl, betone ich hier aus gegebenem Anlaß noch einmal sehr nachdrücklich - zwischen uns und anderen Kollegen der Koalitionsfraktionen, den anderen Berichterstattern Dissens über die zu treffenden Maßnahmen gegeben. Wir haben sie gemeinsam getragen.
Wir haben unsere Entscheidungen in dem klaren Bewußtsein getroffen, daß die Zielscheibe des Terrorismus nicht die eine oder andere politische Gruppierung ist, sondern daß er alle bedroht, die sich den Prinzipien und Werten einer freiheitlichen Demokratie verbunden fühlen.
Die Bürger unseres Landes haben einen Anspruch darauf, daß die Politiker Sorge dafür tragen, daß sie vor Gewalttaten und Rechtsbruch geschützt werden. Ich betrachte es als Aufgabe der Liberalen, die angemessene Zweck-Mittel-Relation nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Ausgaben für die innere Sicherheit steigen im kommenden Jahr um 156 Millionen DM. Das ist, wie schon gesagt, eine Steigerungsrate von 9,1 %. Wir haben Konsequenzen gezogen aus den Erkenntnissen der Großdemonstrationen des Jahres, sowohl personell wie auch im Bereich der Sachmittelausstattung. Wir haben den Bundesgrenzschutz verstärkt. Aber ebenso wichtig ist - das ist von Dr. Riedl schon angesprochen worden -, daß wir die Polizeien der Länder und auch den Bundesgrenzschutz mit dem notwendigen Gerät für die Dokumentation, d. h. zur Sicherung gerichtsverwertbarer Beweise gegen Gewalttäter, verstärkt haben und vor allen Dingen auch im Bereich des persönlichen Schutzes, der persönlichen Ausstattung der in den Einsatz geschickten jungen Beamten einiges auf den Weg bringen konnten.
Wer sich die Video-Aufnahmen von Kindern am Bauzaun einmal angesehen hat, dem fehlen die Worte ob der Aufforderung von Robert Jungk zur Gewalt gegen Wasserwerfer und Hubschrauber.
({3})
Mir ist ein intakter Wasserwerfer allemal lieber als
ein Kind, das durch eine verirrte Stahlkugel im
Rucksack seiner Mutter am Bauzaun verletzt wird.
({4})
Die Forderung der GRÜNEN nach Abschaffung des Bundesgrenzschutzes - wie wir das j a eben wieder gehört haben - kann man wohl nur aus ihrem ungeklärten und diffusen Verhältnis zur Gewalt ableiten. Herr Ströbele, ich glaube, Sie sind so lange nicht diskussionsfähig, bis Sie das nicht eindeutig klargestellt und sich davon distanziert haben.
Dennoch, das Ziel muß sein, das politische Konfliktpotential in unserer Gesellschaft nicht zuletzt durch eine offensive Informationspolitik zu verringern. Je besser uns das in Zukunft gelingt, desto kleiner werden die Probleme sein, denen sich die Polizei durch politisch motivierte Gewalttäter gegenübersieht.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Nein.
Mit anderen Worten: Die Politik muß sich davor hüten, umstrittene politische Fragen auf dem Rükken der Polizei auszutragen.
Die latente und konkrete Bedrohung durch den Terrorismus - nicht erst die Ermordung eines Bonner Diplomaten - führten zu weiteren Verstärkungen im Bereich des Bundeskriminalamtes. Hierauf ist schon eingegangen worden. Wir erwarten - das muß das Amt auch wissen - eine ständige Optimierung der Fahndung und Personenschutzkonzepte. Und wir erwarten Erfolge.
({0})
Wer erinnert sich heute noch daran, daß wir bei den Haushaltsberatungen des letzten Jahres einige
Stellen aus dem Bereich des Bundesamtes in Zirndorf wegen der sinkenden Asylbewerberzahlen ins Umweltbundesamt verlagern konnten? Aus der sprunghaft steigenden Asylbewerberzahl des Frühsommers und Sommers hat die Koalition schnell personelle Konsequenzen gezogen und das Bundesamt in Zirndorf um 360 Mitarbeiter verstärkt.
Vor zwei Wochen hat der Deutsche Bundestag das Asylverfahrensrecht erneut geändert, um die Asylverfahren weiter zu beschleunigen und den Asylmißbrauch besser als bisher zu bekämpfen. Wir Liberalen halten am Grundrecht auf politisches Asyl fest. Wir wissen aber auch, daß wir konsequent und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln den Mißbrauch dieses Grundrechts bekämpfen müssen. Ganz wesentlich erscheint uns dabei, die Asylverfahren so schnell wie möglich durchzuführen und die rechtskräftig abgelehnten Asylbewerber auch tatsächlich in ihre Heimatländer zurückzuführen, so menschlich anrührend das im Einzelfall auch sein mag.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wird auf Grund unserer Entscheidung künftig schneller als bisher die Verfahren abwickeln können. Wir erwarten, daß nun auch die Länder die entsprechenden personellen Konsequenzen ziehen und die Verwaltungsgerichte und Ausländerbehörden personell so ausstatten, daß auch auf diesen Ebenen die Verfahren zügiger abgewickelt werden können. Je schneller die Bundesländer ihre bisherige Praxis ändern und tatsächlich auch diejenigen, deren Anträge rechtskräftig abgelehnt sind - meine Damen und Herren, wir wissen, daß dies ca. 70 % der abgelehnten Asylbewerber sind -, in ihre Heimatländer zurückschicken, um so wirkungsvoller wird dieses sein.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf den Bereich eingehen, der eigentlich aus dem Bundesinnenministerium ausgelagert worden ist, nämlich auf das Stichwort Umweltschutz. Wir haben eine wesentliche Aufgabe hier zurückbehalten, und das ist der Schutz unseres Großökosystems Nordsee durch den Bundesgrenzschutz.
({1})
Der Schutz der Nordsee vor Umweltstraftätern durch den BGS ist eine wesentliche Aufgabe, die dieser Organisation nach wie vor obliegt.
({2})
Mit der Einstellung von Haushaltsmitteln für die Ersatzbeschaffung eines BGS-Bootes in der Nordsee ist in Zukunft sichergestellt, daß erstmalig rund um die Uhr und unabhängig vom Wetter in der Nordsee die Fahndung nach Umweltverschmutzern durchgeführt werden kann.
In der Vergangenheit konnten nur weniger als 10% von den festgestellten Verschmutzungen einem Verursacher zugeordnet werden. Das lag u. a. daran, daß die vorn Bundesgrenzschutz in der Nordsee eingesetzten Überwachungsboote völlig überaltert und modernen Anforderungen nicht mehr gewachsen waren.
Meine Damen und Herren, wir haben es geschafft, daß die Mittel für dieses Boot - ich hoffe, es werden demnächst noch mehr Boote - eingestellt worden sind. Ich möchte hier aber ausdrücklich und sehr nachdrücklich betonen, daß dieses nicht heißen darf und soll, daß den anderen in der Nordsee tätigen Organisationen und Vereinen etwas von ihren Aufgaben genommen werden soll. Das BGS-Boot für die Nordsee, meine Damen und Herren, ist eine zusätzliche Komponente, um das Ziel zu erreichen, dem wir uns alle verschreiben sollten, nämlich dem Schutz der Nordsee vor Umweltstraftätern und ihrer Überführung und schließlichen Bestrafung.
({3})
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Nöbel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, Sie haben das sehr charmant vorgetragen, anders als Ihr Parteifreund Graf Lambsdorff.
({0})
Dieser hat Bundesinnenminister Zimmermann am Wochenende als den „erfolglosesten Innenminister aller Zeiten" - wörtliches Zitat - abqualifiziert. Er zeigt heute zunächst in der „Bild"-Zeitung - er wird es gleich im Anschluß hier wieder beweisen -, was er kann, nämlich Stammtischpolitik.
({1})
Jetzt kündigt er in der Tat einen Katalog von Maßnahmen an, der für die Bekämpfung des Terrorismus nichts, aber auch gar nichts bringt, jedoch bestens dazu geeignet ist, meine Damen und Herren, den freiheitlichen Rechtsstaat auszuhöhlen, Bürgerrechte einzuschränken und auf ungewollte Weise - das gebe ich zu - den Terroristen sogar in die Hände zu arbeiten.
({2})
- Herr Olderog, wir haben heute schon genug gestritten. Lassen Sie mich hier ein bißchen in Frieden!
Mit dem von ihm immer wieder geforderten Vermummungsverbot und der Wiedereinführung des Landfriedensbruchtatbestandes wird nicht ein einziger Terrorist gefaßt.
({3})
Die Vermummung ist gegenwärtig bereits verboten; das weiß er nicht. Die Polizei ist nur gezwungen, hiervon Gebrauch zu machen.
({4})
Die Wiedereinführung des Landfriedensbruchtatbestandes führt in letzter Konsequenz nur dazu, daß Unschuldige, die an keinerlei Gewalttätigkeiten beteiligt sind, bei einer Demonstration plötzlich strafbar werden, bloß weil sie sich nicht rechtzeitig entfernt haben.
Völlig unverständlich wird die Forderung, Präzisionskatapulte zu verbieten. Sie sind bereits durch das Waffengesetz verboten. Sollte eine weitere Präzisierung dieser Rechtsvorschriften notwendig sein, dann wird man dies vom Gesetzgeber her auch leisten.
({5})
- Ich habe nur ein paar Minuten Zeit.
Komisch ist nur, daß Herr Zimmermann Präzisionskatapulte verbieten will, während er sich gleichzeitig dafür ausspricht, daß künftig jedermann ohne jeden Nachweis eines entsprechenden Bedürfnisses Gewehre und Schrotflinten erwerben kann.
({6})
Also: Herr Zimmermann ist auf der einen Seite für die Liberalisierung des Waffenrechts. Eine Bundestagsdrucksache liegt vor.
({7})
Und auf der anderen Seite spielt er den starken Mann und will Bürgerrechte einschränken. Es ist ein starkes Stück, die Liberalisierung des Waffenrechts wörtlich damit zu begründen:
Das Waffengesetz aus dem Jahre 1972 verfolgte das Ziel, den illegalen Besitz von Schußwaffen sowie die Kriminalität mit Schußwaffen wirksamer zu bekämpfen. Im Vordergrund der Verschärfungen stand die gezieltere Bekämpfung des Terrorismus ... Das Waffengesetz aus dem Jahre 1972 hat unter dem Eindruck der damals begangenen terroristischen Gewalttaten die erste Zielsetzung
- nämlich die Bekämpfung des Terrorismus - in den Vordergrund gestellt ...
Das heißt: 1984 ging Herr Zimmermann davon aus: Mit der Wende ist der Terrorismus am Ende.
({8})
Es ist unglaublich: Da liegt das gesamte Instrumentarium zur Terrorismusbekämpfung aus der Zeit der sozialliberalen Koalition auf dem Tisch. Herr Zimmermann hat nichts gemacht, er will - wie ich eben zitiert habe - sogar abbauen, er hat nichts fortgeschrieben.
Wir waren erfolgreich: Seit 1972 wurden mehr als 75 Mitglieder des harten Kerns der Terroristen verhaftet, den ordentlichen Gerichten zugeführt und verurteilt.
Die heute dritte oder vierte Generation der Terroristen wird genauso gefaßt werden wie alle Vorgänger. Die meisten heute in der Terrorszene Aktiven sind erst seit relativ kurzer Zeit dabei. Nur eine einzige Terroristin, Inge Vieth, hat sich seit Mitte der 70er Jahre dem polizeilichen Zugriff entziehen können. Alle anderen sind gefaßt worden. Wir halten fest, meine Damen und Herren, daß unsere Polizei mit ihrem hervorragenden Fahndungsapparat in der Vergangenheit äußerst erfolgreich gewesen ist.
({9})
Herr Minister, Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht, was ja beweiskräftig vorliegt, seit Ihr Parlamentarischer Staatssekretär anläßlich der Festnahme der Terroristen Klar und Schulz am 18. November 1982
({10})
- das weiß ich, ja - kurz nach der Wende verlauten ließ - in der gleichen Zeitung, in der er sich heute exponiert ({11})
- der Herr Minister -: „Der Regierungswechsel hat die Sicherheitsbehörden positiv motiviert." Das ist unheimlich. Das Gegenteil ist der Fall. Deshalb kommt das, was sich als Haushaltssteigerung anhört, zu spät, allerdings noch rechtzeitig vor den Bundestagswahlen.
Es ist dringend geboten, daß der Methode der Ablenkungsgesetzgebung ein Ende bereitet wird. Konzentrieren Sie sich endlich auf das, worauf es ankommt. Es ist ein Skandal - ich habe mir das letzten Montag angesehen -, wenn die sich im Bereich des Grenzschutzamtes Frankfurt/Main-Flughafen im Einsatz befindlichen Durchleuchtungsapparaturen wegen der außerordentlich schlechten Bildqualität nur noch bedingt einsatzfähig sind. Die eingesetzten Grenzschutzbeamten werden herangekarrt, haben für diese bestimmten Zwecke überhaupt keine Ausbildung, und Tausende von Flugreisenden können dort ohne Kontrolle ausreisen.
({12})
Sie sollten, Herr Zimmermann - oder muß man das mit Herrn Schäuble besprechen -, sich im Kabinett dafür stark machen, daß Beamte des Bundeskriminalamtes an deutschen Botschaften an den Ländern etabliert werden, in denen dies für die internationale Terrorismusbekämpfung relevant erscheint. Dies gilt ganz besonders auch für den Rauschgiftsektor.
({13})
Dies ist die Stunde der Fahndung, nicht die eines Show-Masters. Sehen Sie sich doch einmal an, wie das in den Jahren zwischen 1970 und 1982 gemacht worden ist: die Modernisierung des Bundeskriminalamtes, des Bundesgrenzschutzes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Wir haben deren Aufgaben nicht nur gesetzlich neu festgelegt, sondern
die Sicherheitseinrichtungen des Bundes sowohl materiell als auch personell ausgebaut und zu dem gemacht, was sie heute sind.
Die Innenausschußsitzung heute hat bei mir alle Befürchtungen noch übertroffen. Das geht allmählich in die Richtung, daß jeder, der straffällig wird, Terrorist ist oder zumindest Komplize der Terroristen, wie Unionsedelmann Geißler formuliert. Öffentlich streiten sich Generalbundesanwalt und der Präsident des Bundeskriminalamtes darüber, wer echter Terrorist ist und wer nicht.
Ich will Ihnen deutlich sagen: Die SPD-Fraktion verurteilt wie alle rechtstreuen Bürger Anschläge auf Strommasten und Verkehrseinrichtungen. Das ist doch klar. Die sind verboten, sind mit hohen Strafen belegt, und die Staatsanwaltschaften ermitteln gegen die jeweiligen Täter.
({14})
Wer aber diese Taten bereits in den Bereich des Terrorismus rückt, der wird damit zwangsläufig den Preis der Sympathisanten erhöhen.
({15})
Hüten wir uns davor - ich greife ein Wort auf, das der Vorsitzende des Innenausschusses heute benutzt hat -, das Strafgesetz zum Instrument zur Pflege des terroristischen Nachwuchses zu machen.
({16})
Wir haben j a im Januar ähnliche Hektik und Mißachtung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte der Opposition bei der Beratung des Personalausweis- und Paßgesetzes erlebt.
({17})
Nun ist das jahrelange Nichtstun im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus durch terroristische Anschläge überholt worden. Man ist in die Defensive geraten. Jetzt also müssen die Emotionen befriedigt werden. Bis zur Stunde weiß die Koalition immer noch nicht, wie. Strauß sagt „Zickzack", ist aber selber für das ganze Hickhack. Die drei FDPMinister stimmen im Kabinett dem Kronzeugen zu, die FDP in zwei Fraktionssitzungen. Der Parteitag pfeift ihn zurück, den Herrn Bangemann, der nicht nur so heißt, wenn er auch anders tut,
({18})
indem er mit der Fahne vorauslief: Die Terroristen haben uns den Kriegszustand aufgezwungen. Jetzt scheint der Krieg schon halb vorbei. Wir können vielleicht sogar beim § 129a Einsicht erwarten.
Meine Damen und Herren, das beste wäre: Weg mit dem Showgesetz insgesamt!
({19})
Für die Terrorismusbekämpfung brauchen wir einen langen Atem, eine hartnäckige Polizei, eine Bevölkerung, die Sicherheitsorgane vorbehaltlos unterstützt.
({20})
Was wir nicht brauchen, Herr Olderog, das sind z. B. Sie,
({21})
das ist eine Einschränkung des Demonstrationsrechts, sind gesetzgeberische Übertreibungen und Politiker, die ihre Hilflosigkeit durch starke Worte zu verdecken suchen.
Ich danke Ihnen.
({22})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Haushalt 1987 ist eine sachgerechte Antwort auf die innenpolitischen Herausforderungen: 9,5 % Steigerung beim Einzelplan 06, 4,6 % beim Einzelplan 36, bei einer Steigerung des Gesamthaushalts von 1,9%, 157 Millionen DM allein für die innere Sicherheit. Das ist nicht das erste Mal. Wir haben beim Bundesgrenzschutz, im Bereich des Bundeskriminalamtes und beim Bundesamt für Verfassungsschutz Personal- und Sachmittel auch schon in den letzten Jahren entscheidend erhöht, weil diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen die innere Sicherheit als eine ihrer wichtigsten Aufgaben betrachten.
Ich nutze die Gelegenheit, den Mitarbeitern aller dieser Behörden meinen Dank für ihre Arbeit auszusprechen.
({0})
In diesem Haushalt ist auch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf in seinem Personalbestand entscheidend gestärkt worden. Der Bestand hat sich fast verdoppelt.
({1})
Was den öffentlichen Dienst anbetrifft - einer der Redner hat mein Verhältnis zu ihm und meine Leistungen für ihn attackiert - : Ich glaube, daß ich in den letzten drei Jahren die erfolgreichsten Tarifverhandlungen geführt und abgeschlossen habe, die es im öffentlichen Dienst seit langem gegeben hat.
({2}) Das sieht auch der öffentliche Dienst so.
({3})
Auch die finanziellen Mittel für die Kulturarbeit sind gestiegen. Seit meinem Amtsantritt sind die Kulturförderungsmittel schon bis 1986 um 100 Millionen DM gestiegen. Die für 1987 erreichte SteigeBundesminister Dr. Zimmermann
rung um weitere 19 Millionen DM auf 252 Millionen DM zeigt, daß die Förderung der Kultur in der Politik dieser Regierung und der sie tragenden Fraktionen einen wichtigen Platz einnimmt, genauso wie die ostdeutsche Kulturarbeit, für die die Mittel ebenfalls erhöht wurden.
Auch bei der Sportpolitik können sich die bereitgestellten 101 Millionen DM für 1987 sehen lassen. Nach den Leitlinien für den Spitzensport des Deutschen Sportbundes wird eine optimale Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1988 möglich sein. Die notwendigen Olympia-Stützpunkte können eingerichtet werden, und für eine optimale sportwissenschaftliche, medizinische und soziale Betreuung der Spitzensportler ist gesorgt.
Wir drücken uns auch nicht, wie hier gesagt worden ist, vor dem ungeliebten Zivil- und Katastrophenschutz. Für 1987 steigen die Ansätze auf die Rekordsumme von 787 Millionen DM. Wir wissen also, was wir auf diesem wichtigen Gebiet tun müssen.
Mein ausdrücklicher Dank für die tatkräftige Unterstützung gilt dem Haushaltsausschuß, insbesondere den für die Einzelpläne 06 und 36 zuständigen Berichterstattern. Sie haben in dieser Debatte gesprochen. Ich schließe dabei - ich streiche das nicht aus meinem Manuskript - den Berichterstatter der SPD-Fraktion ausdrücklich mit ein.
({4})
Ich danke ihm für seine sachliche Arbeit. Seine heutige Rede war unter seinem eigenen Niveau.
({5})
Die Berichterstatter haben mit großer Sachkunde und Umsicht dafür Sorge getragen, daß die Umsetzung unserer Politik in finanzielle Größen möglich war. Sie haben damit eine wesentliche Voraussetzung dafür geschaffen, daß wir auch in den nächsten Jahren auf dem Gebiet der Innenpolitik erfolgreich sein können. Ich danke allen, die dabei mitgeholfen haben.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Kühbacher das Wort. Bitte schön, Herr Kühbacher.
Meine verehrten Kollegen! Eine Erklärung zur Abstimmung: Die GRÜNEN haben drei Änderungsanträge zu dem jetzt zu behandelnden Komplex eingebracht, zu denen ich rundheraus sagen muß
({0})
- nein, nein, auch zum Einzelplan 36; Sie kennen Ihre eigenen Anträge nicht -: Die SPD kann sie nicht annehmen.
Ich erkläre zur Abstimmung: Die SPD ist für die Volkszählung. Die Ablehnung der Volkszählung durch die GRÜNEN zeigt ihr Staatsverständnis und daß sie überhaupt nicht daran interessiert sind, daß vernünftige Daten erhoben werden.
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Ihr zweiter Antrag, die Bereitschaftspolizeien der Länder künftig ohne Autos, ohne Funkgeräte, ohne persönliche Schutzausrüstung, ohne Reizstoffsprühgeräte in Demonstrationen gehen zu lassen, von denen Sie genau wissen, daß sie gewalttätig verlaufen, zeigt, daß Sie im Kern dafür sind, die Bereitschaftspolizeien der Länder abzuschaffen. Einen ähnlichen Antrag haben Sie schon einmal gestellt. Wir lehnen Ihren Antrag rundheraus ab.
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- Weil ich eine Erklärung zur Abstimmung gebe, Herr Kollege Olderog.
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Der dritte Antrag der GRÜNEN, den Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung - aufzulösen, zeigt, daß die GRÜNEN in diametralem Widerspruch zu ihren Ansprüchen an Umweltschutz stehen. Wenn die GRÜNEN beantragen, keinen Katastrophenschutz durch den Bund mehr vorzuhalten, können Sie sich nicht hier hinstellen und Wasser- und Rheinverschmutzung beklagen.
Wer solche wirren und irreführenden Anträge stellt, demaskiert sich selbst. Wir lehnen alle Anträge ab.
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Meine Damen und Herren, wir kommen also beim Einzelplan 06 zuerst zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6511? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6512? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 06.
Wer dem Einzelplan 06 - Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zu Einzelplan 36.
Vizepräsident Westphal
Hier liegt auf der Drucksache 10/6558 unter Nr. 4 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 36 ab. Wer dem Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Einzelplan 33. Wer dem Einzelplan 33 - Versorgung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist dieser Einzelplan angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksachen 10/6301, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Walther Deres
Suhr
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 01 - Bundespräsident und Bundespräsidialamt - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist dieser Einzelplan einstimmig angenommen worden.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 10/6302, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Echternach Frau Seiler-Albring
Suhr
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6505 vor. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6505. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt worden.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 02 ab. Wer dem Einzelplan 02 - Deutscher Bundestag - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 02 ist bei einigen Enthaltungen einstimmig angenommen worden.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 10/6303, 10/6331 Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Waltemathe
Dr. Müller ({0})
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 03 - Bundesrat - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist dieser Einzelplan einstimmig angenommen worden.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 26. November 1986, um 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.