Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Verlängerung des Umrüstungszeitraums für das Kohlekraftwerk Ibbenbüren
Meine Damen und Herren, die Fraktion der FDP hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ibbenbüren, das ist das umweltpolitische Waterloo des Johannes Rau.
({0})
Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preussag käme.
({1})
- Herr Vogel, Ihre Zwischenrufe höre ich besonders gerne. Das erinnert mich plastisch daran, wie ich den IG-Metall-Kongreß verfolgt habe: Da sprach Herr Schröder. Unten saßen Lappas, Dohnanyi, Vogel. Drei von den vieren sind nicht mehr im Amt. Wie lange bleiben Sie noch?
({2})
Meine Damen und Herren, als wir dieses Thema am 5. Dezember 1985 in einer Aktuellen Stunde diskutierten, habe ich der SPD-Fraktion gesagt: Buschhaus, Tempolimit und Ibbenbüren, das sind Beispiele für Doppelzüngigkeit, Irreführung und Wählertäuschung.
({3})
Die FDP war und ist für den Bau und die Inbetriebnahme des Kraftwerks Ibbenbüren, weil wir für die Arbeitsplätze der Zeche Ibbenbüren sind und sie sichern wollen.
({4})
Wir haben das Kraftwerk früher gemeinsam mit der SPD genehmigt, und wir haben die Betriebsgenehmigung durch Johannes Rau verteidigt. Die grünen Möchtegern-Partner der SPD waren vor einem Jahr gegen die Kohleverstromung in Ibbenbüren. Heute wollen sie nur noch Kohlestrom. Sie wechseln ihre Standpunkte öfter als die Hemden.
Meine Damen und Herren, die FDP ist für größtmöglichen Umweltschutz bei der Verstromung der Steinkohle.
({5})
Nur so kann der Jahrhundertvertrag ökologisch verantwortbar umgesetzt werden. Aber wir sind gegen umweltpolitische Augenwischerei. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hat die vagen Erklärungen der Betreiber über die Stickoxidminderung - es wimmelt darin von Worten wie „Bemühen" und „Flexibilität" - der Öffentlichkeit als Zusage, als fest terminierte Nachbesserungsvereinbarung verkauft.
({6})
Johannes Rau wörtlich in seiner Einweihungsrede in Ibbenbüren am 29. November 1985:
Ibbenbüren ist ein Bestandteil unseres Emissionsminderungsplans, mit dem wir beim Umweltschutz, bei der Luftreinerhaltung einen großen Schritt nach vorn kommen.
({7})
Johannes Rau hat nicht nur die Öffentlichkeit hinters Licht geführt, er hat wohl auch seine eigene Partei getäuscht. Oder hat der Kollege Hauff hier wider besseres Wissen am 5. Dezember 1985 gesagt:
Wir werden darauf bestehen, daß das Wort von Ministerpräsident Rau eingehalten wird, daß es bei den Fristen und Zahlen bleibt.
({8})
Nach 1988 muß Ibbenbüren voll entstickt sein.
Daran darf bei allen Beteiligten keinerlei Zwei19116
fel aufkommen. Das ist die Geschäftsgrundlage für die Inbetriebnahme.
({9})
Soweit der Kollege Hauff vor einem Jahr hier. - Nun: Frühestens 1989 kann eine Entstickungsanlage in Betrieb gehen.
({10})
Bis dahin werden die Betriebsstunden herabgesetzt. Und das nennt die SPD einen umweltpolitischen Erfolg. Dann wäre jede Betriebsstillegung ein umweltpolitischer Erfolg. Volksverdummung ist das.
Und wo, meine Damen und Herren, ist Johannes Rau? Was sagt er? Nichts. Er liegt wie ein Hase mit angelegten Löffeln in der Ackerfurche vor Ibbenbüren
({11})
und läßt die Stickoxide über sich hinwegwehen.
({12})
Im Düsseldorfer Landtag verhindert die SPD mit ihrer absoluten Mehrheit eine Diskussion über Ibbenbüren; sie wird geschäftsordnungsmäßig niedergestimmt. Das Thema ist nämlich zu peinlich für den NRW-Sonderwahlkampf des Bundestagswahlkampfes.
({13})
Wie man hört, ist schon am 12. Juni 1986 vom RWE ein Brief an die Landesregierung gegangen, um mitzuteilen, es würde wohl nichts mit den Fristen. Vielleicht kann uns der Herr Bundesratsminister dazu eine Aufklärung geben, die im Düsseldorfer Landtag verhindert wird.
Die FDP ist für die Arbeitsplätze im Steinkohlebergbau.
({14})
Wir sind für Umweltschutz. Aber wir sind gegen die Naivität und gegen die Inkompetenz des Kanzlerkandidaten Johannes Rau.
({15})
Er träumt nicht nur von der eigenen Mehrheit, er träumt auch von Arbeit, und er träumt von Umweltschutz. Er wird langsam zum Alptraum. Nach dem 25. Januar 1987 darf er ungestört weiterträumen.
({16})
Ich erteile das Wort dem Minister für Bundesangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Einert.
Minister Einert ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns nicht erst um den heißen Brei herumreden und die Öffentlichkeit mit einem Scheingefecht langweilen. Das Kraftwerk Ibbenbüren interessiert Sie in der Sache überhaupt nicht.
({1})
Es wird hochgeschaukelt, um Punkte im Wahlkampf zu machen,
({2})
ohne Rücksicht auf viereinhalbtausend Arbeitnehmer und ihre Familien. Auch Fragen der umwelttechnischen Machbarkeit interessieren Sie überhaupt nicht.
({3})
Das soll der Landesregierung ans Hemd geklebt werden. Damit versuchen Sie ein bißchen Honig zu saugen und sonst überhaupt nichts. Ich kann Sie nicht daran hindern, dieses Spiel fortzusetzen. Mit den Fakten hat das alles nichts zu tun;
({4}) denn die sind wie folgt.
Erstens. Das Kraftwerk Ibbenbüren erfüllt den von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages am 27. Juni 1984 gefaßten Buschhaus-Beschluß, aus dem sich dann allerdings CDU/CSU und FDP Ende Juli 1984 davongestohlen haben.
Zweitens. Ibbenbüren steht kurz vor der Inbetriebnahme einer zweiten Rauchgasentschwefelungsanlage. Es wird in 1987 den Schwefeldioxidgrenzwert von 400 mg/m3
({5})
fast ein Jahr vor der gesetzlich festgelegten Frist erreichen, wahrscheinlich sogar unterschreiten, und ist damit beispielhaft bei der Entschwefelung.
Drittens. Die Betreiber unterschreiten auch die ihnen nach Recht und Gesetz genehmigten Stickoxidemissionsfrachten um 48 %.
({6})
Sie gehen sogar um 23 % unter die Emissionsminderung, die im Emissionsminderungsplan für Ibbenbüren vereinbart worden ist.
Viertens. Es gilt nach wie vor die Vorgabe der Landesregierung an die Betreiber, daß die Summe der Emissionen in den Jahren 1986 bis 1988 im Sinne einer Fortschreibung der Vereinbarung vom Dezember 1985 und bei Berücksichtigung einer technisch bedingten einjährigen Verzögerung beim Bau einer Entstickungsanlage nicht überschritten werden darf. Wer eine solche Fortschreibung ablehnt, der müßte das Kraftwerk und den Zechenbetrieb stillegen, mit allen Konsequenzen für die Menschen in diesem strukturschwachen Raum.
Richtig ist, daß dem intensiven Bemühen der Betreiber, den Zeitpunkt des Einbaus einer Entstikkungsanlage von Ende 1988/Anfang 1989 auf Ende 1987/Anfang 1988 vorzuziehen, kein Erfolg beschieMinister Einert ({7})
den war. Das bedauert die Landesregierung. Es ist umweltpolitisch beklagenswert und soll überhaupt nicht beschönigt werden.
Aber, meine Damen und Herren, die Landesregierung kann nicht politisch für technische Zwänge in der Entwicklung einer Entstickungsanlage verantwortlich gemacht werden.
({8})
Bei der Größenordnung dieses Kraftwerks und der verwendeten Kohle ist weltweit Neuland betreten worden. Ich habe in einem vergleichbaren Fall einer ursprünglich optimistisch beurteilten Umwelttechnik - nämlich für das Großkraftwerk Mannheim - nicht gehört, daß dem Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg das Scheitern dieses Simultanverfahrens zum Vorwurf und, in Erinnerung an seine Einweihungsrede, zum Gegenstand einer Kampagne gemacht worden ist.
({9})
Niemand hielt damals eine Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag für erforderlich.
({10})
- Sie bestätigen doch meine Behauptung, daß Sie Buschhaus und Ibbenbüren überhaupt nicht mehr interessieren, daß es Ihnen auf den Kanzlerkandidaten ankommt.
({11})
Die letzte und scheinbar ausgeklügeltste Linie, der Landesregierung etwas anzuhängen, besteht darin - wie es hier heute morgen der Graf wieder getan hat -,
({12})
die Vereinbarung vom Dezember 1985 mit den Betreibern als billiges Entlastungsmanöver zu denunzieren. Dem setze ich ebenfalls Fakten entgegen:
Erstes Zitat aus dem Schreiben des RWE vom 12. Juni 1986:
Als erste Maßnahmenstufe ist der Bau einer Anlage beschlossen, die nach dem Prinzip der selektiven nichtkatalytischen Reduktion von NOx arbeitet. Erste Aufträge für diese Anlage werden bereits im Juli dieses Jahres erteilt.
Jetzt hören Sie gut zu, Graf Lambsdorff:
Der für die Errichtung dieser Anlage erforderliche Investitionsaufwand liegt in der Größenordnung von 20 bis 30 Millionen DM. Mit der Fertigstellung kann bis Herbst 1987 gerechnet werden.
({13})
Das ist nichts Unverbindliches.
Da der NOx-Minderungseffekt der genannten
ersten Maßnahme nicht ausreicht, um den endgültig angestrebten Emissionswert von 200 mg/m3 zu erreichen, muß als zweite Maßnahmenstufe ein zusätzliches Verfahren nachgeschaltet werden. Auch hierzu sind die Planungsüberlegungen
- diese sind hier vorgetragen um die Aufträge für das geeignete Verfahren baldmöglichst zu erteilen, um den Einbau der Anlage im Jahre 1987 vornehmen zu können.
Zweites Zitat aus einer gemeinsamen Erklärung von RWE und Preussag vom 31. Oktober 1986:
Im Sinne der Vereinbarung von Anfang Dezember 1985 war ein zweistufiges Verfahren zur Entstickung vorgesehen. Nachdem wir im Juni 1986 gegenüber der Landesregierung dieses zweistufige Verfahren in Aussicht genommen hatten, mußten wir nach umfangreichen Untersuchungen feststellen, daß seine Verwirklichung auf unüberwindliche technische Schwierigkeiten stieß.
Jetzt achten Sie bitte auf folgendes:
Daß die zugesagten Bemühungen, den Beginn der Entstickung mit Sekundärmaßnahmen von Ende 1988/Anfang 1989 um ein Jahr vorzuziehen, nicht realisiert werden können, ist damit weder der Landesregierung noch uns anzulasten, da sich die optimistischen Erwartungen der Lieferindustrie über diese vorzeitig einsetzbare Maßnahmenstufe mit einer direkten Ammoniakeindüsung in den Kessel leider nicht erfüllt haben.
Damit ist offensichtlich, daß alle gegen die Landesregierung und uns als Betreiber der Anlage in Ibbenbüren erhobenen Vorwürfe in der Sache unberechtigt sind.
Soweit das Zitat von Schreiben der Betreiberfirmen.
Das alles spricht für sich selbst. Wer danach immer noch behauptet, hier sei leichtfertig vorgegangen worden, dem werfe ich Unredlichkeit vor.
({14})
Nach den Zitaten aus diesen Briefen und verbindlichen Erklärungen sage ich auch: Wer das Gegenteil behauptet, sagt vorsätzlich die Unwahrheit.
({15})
Eine bekannte Herstellerfirma hat uns vor Weihnachten 1985, also wenige Wochen nach der Vereinbarung vom 4. Dezember 1985, wörtlich verkündet:
Wir sind in etwa zwei Monaten so weit, daß wir
eine Technik für Ibbenbüren anbieten können.
Die Vorwürfe, meine Damen und Herren, hätte ich hören wollen, wenn die Landesregierung nicht auf diese umwelttechnischen Perspektiven für Ibbenbüren gesetzt hätte! Aber vielen und Ihnen geht es ja gar nicht um die Fakten, sondern Sie blasen zur
Minister Einert ({16})
Jagd auf Ibbenbüren, obwohl es in Wirklichkeit um den Kanzlerkandidaten geht.
({17})
Das wird auch deutlich an einem Zitat, das ein Vorstandsmitglied der Preussag von und über Herrn Hasselmann in einer Pressekonferenz am 3. November dieses Jahres wiedergab: „Ich laß' mir doch diese guten Argumente gegen Herrn Rau nicht kaputtmachen!" Sie arbeiten nach derselben Methode.
({18})
Dann kommen Sie auch noch mit einer Fälschung. Am 13. November hat die „Rheinische Post" in Düsseldorf in einem Artikel über Ibbenbüren völlig falsch zitiert.
({19})
Sie hat geschrieben: „... die Schwierigkeiten aber letztlich für unüberwindbar gehalten werden". Sie hat einen Halbsatz hinzugefügt: „... und Ihnen auch mitgeteilt worden sind". Beides ist objektiv falsch und in dieser Zitierweise eine Fälschung.
({20})
Der Satz heißt:
Wir müssen heute zu unserer großen Enttäuschung feststellen, daß die hierbei damals zwar
bereits gesehenen, aber letztlich für überwindbar...
Dort steht nicht „für unüberwindbar". Das ist eine glatte Verkehrung ins Gegenteil. Auf solche Zitate berufen Sie sich und bauen Ihr Kartenhaus - mehr ist es nicht - auf.
Die Betreiber des Kraftwerks halten es für realistisch, Ende 1988 eine Entstickungsanlage betriebsbereit zu haben, mit der 200 mg/m3 als Zielwert erreicht werden können. Erste Aufträge für dieses Investitionsprogramm in Höhe von 190 Millionen DM sind erteilt. Die Landesregierung wird das entsprechende Genehmigungsverfahren auf das äußerste beschleunigen. Betreiber und Landesregierung werden ihre Arbeit tun. Wir werden uns durch Ihr Wahlkampfgetöse nicht davon ablenken lassen.
Es wäre im Sinne der Umweltpolitik und läge im Interesse der Arbeitnehmer in dieser strukturschwachen Region und diente der deutschen Kohle, wenn statt der taktisch gefärbten Aufgeregtheiten eine nüchterne, auf konkrete umwelttechnische Fortschritte gerichtete Betrachtung Platz greifen würde.
({21})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das
Kraftwerk Ibbenbüren kommt nicht aus den Schlagzeilen. Dafür sorgen der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rau
({0})
und sein Umweltminister Matthiesen und auch Sie, Herr Kollege Einert. Ich würde Ihnen empfehlen, die Dinge doch nicht auf den Kopf zu stellen.
Bei der heutigen Aktuellen Stunde geht es nämlich nicht in erster Linie um das Kraftwerk Ibbenbüren, sondern es geht um das Versagen der nordrhein-westfälischen Landesregierung.
({1})
Ich meine, Politiker sollten sich nicht aus der Verantwortung stehlen wollen.
({2})
Dieses haben wir eben erlebt, indem der Eindruck erweckt wurde, diese Landesregierung habe nicht verbindliche Zusagen an die Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen gemacht.
({3})
Ich erkläre für die Bundesregierung, daß für uns das Kraftwerk Ibbenbüren nicht zur Diskussion steht. Zur Diskussion stehen die unhaltbaren Versprechungen, die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung gemacht worden sind.
({4})
Zur Debatte steht der Emissionsminderungsplan,
({5})
der 1985 von Herrn Matthiesen vorgelegt wurde und mit dem den Bürgerinnen und Bürgern eindeutige und verbindliche Zusagen gemacht worden sind. Ihre Aufgeregtheit zeigt Ihr schlechtes Gewissen.
({6})
Zur Debatte - ich sage es noch einmal - stehen die von Anfang an unhaltbaren Zusagen und Versprechungen, die gemacht wurden, nämlich daß die Nachrüstung von Kraftwerken mit Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen, wie dort vorgesehen, besser und schneller erfolgen könnten als die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassene Verordnung über Großfeuerungsanlagen mit den Vorgaben, die damit gemacht worden sind.
Auf der Tagesordnung steht dieses Versagen, daß nämlich Ibbenbüren als eine umweltpolitische Großtat verkauft werden sollte. Für die Bundesregierung steht nicht zur Debatte, das Kraftwerk Ibbenbüren außer Betrieb zu nehmen oder gar 4 000 und mehr Arbeitsplätze zu gefährden. Wir stehen zu den Kumpeln an Rhein und Ruhr, wie es BunBundesminister Dr. Wallmann
deskanzler Kohl gestern noch einmal sehr nachdrücklich zum Ausdruck gebracht hat.
({7})
Wir kritisieren die Entscheidung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens. Wäre sie den Vorschlägen von uns und denen der Fachleute gefolgt, so wäre Ibbenbüren überhaupt nicht ins Gerede gekommen.
({8})
Jetzt müssen wir ein Kraftwerk in Kauf nehmen, obwohl die Entschwefelungsanlage bis heute nur teilweise installiert ist. Wir müssen Ibbenbüren akzeptieren, obwohl die Emissionen an Stickstoffoxiden jährlich 17 000 Tonnen ausmachen. Das ist der wesentliche Punkt, Herr Kollege Einert. Gerade darüber haben Sie nichts zu sagen gehabt.
({9})
Wir denken in diesem Augenblick natürlich auch an die Kampagne der SPD gegen Buschhaus. Die Landesregierung von Niedersachsen hat den Bürgern niemals etwas vorgegaukelt. Sie hat von Anfang an und ohne Wenn und Aber die tatsächliche Lage dargestellt. Nun holen die falschen Versprechungen die nordrhein-westfälische Landesregierung ein.
({10})
Nicht nur die Frage nach sachlich falschen Entscheidungen, sondern auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Politik muß sich diese Landesregierung jetzt gefallen lassen.
({11})
Wir, die Bundesregierung, stehen zum Verbund von Kohle und Kernenergie
({12})
- Jawohl, zur Kohle und Kernenergie. Ihr Opportunismus hat Sie eingeholt, auch in Hamburg, weil die Menschen gespürt haben, daß Sie Ihre Meinung je nach dem Winde drehen, daß Sie den Finger in die Luft stecken, um zu erfahren, woher denn die Strömung im Augenblick kommt.
({13})
Das haben die Bürgerinnen und Bürger erfahren; das haben sie gespürt.
({14})
Deswegen haben Sie von den Wählern die Antwort bekommen. Früher haben Sie zu diesem Verbund gestanden; inzwischen sind Sie ausgestiegen. Wir tun das nicht, meine Damen und Herren. Auf uns können sich die Menschen in unserem Land verlassen.
({15}) Deswegen sage ich: Wir stehen zu diesem Verbund, und wir wissen, daß wir auf die Kohle aus vielen Gründen nicht verzichten dürfen.
({16})
Sie muß sinnvoll eingesetzt werden. Sie kann z. B. über den Einsatz von Prozeßwärme am besten und sinnvollsten genutzt werden. Aber wir haben sie als Standbein auch für die Energieversorgung weiter nötig.
({17})
Der Bergbau in der Bundesrepublik Deutschland - und das heißt die dort beschäftigten und tätigen Menschen - kann sich auf uns verlassen. Ich sage noch einmal: Unsere Kritik richtet sich nicht gegen das Kraftwerk und schon überhaupt nicht gegen diejenigen, die im Bergbau beschäftigt sind, die dort ihre Pflicht erfüllen. Unsere Kritik richtet sich gegen eine unseriöse Umweltpolitik. Um vordergründiger Optik und scheinbarer Erfolge willen haben Sie Versprechungen gemacht.
({18})
Sie mußten wissen, daß Sie diese Versprechungen nicht würden einhalten können. Sie sind von den Versprechungen inzwischen eingeholt worden.
({19})
Ich habe gestern in der Presse folgendes Zitat gefunden: „Wir wollen keine ausgebeutete und vergiftete Umwelt hinnehmen und darum unsere Umweltpolitik verdeutlichen."
({20})
Das hat der Kanzlerkandidat der SPD und nordrhein-westfälische Ministerpräsident so erklärt. Was soll man von einer solchen Politik eigentlich halten?
({21})
Was soll man davon halten, daß der Emissionsminderungsplan jetzt über Nacht nachgebessert werden muß? Jetzt soll auf der Basis herkömmlicher Katalysatortechnik entstickt werden. Der vorgesehene Zeitpunkt für die Umrüstung kann nicht mehr eingehalten werden. Damit ist auch wertvolle Zeit für den deutschen Wald verlorengegangen.
({22})
Dabei kann es uns aus wahltaktischen Gründen nicht erfreuen, daß damit zugleich die umweltpolitische Glaubwürdigkeit der SPD verlorengegangen ist. Das wissen Sie, meine Damen und Herren. Deswegen - Graf Lambsdorff hat es erwähnt - haben Sie gestern oder vorgestern mit Ihrer Mehrheit im nordrhein-westfälischen Landtag eine Diskussion über Ibbenbüren verhindert.
({23})
Sie haben den Antrag heruntergestimmt, über dieses Thema eine sachliche Auseinandersetzung zu führen.
({24})
Große Worte. Und welche Taten?
({25})
Die Bundesregierung fordert die nordrhein-westfälische Landesregierung auf,
({26})
zu einer Politik der Offenheit, der Sachlichkeit und der Sachgerechtigkeit zurückzukehren.
({27})
Das Wort hat der Abgeordnete Fritsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hinauszögerung der Inbetriebnahme einer wirkungsvollen Entstickungsanlage im Kohlekraftwerk Ibbenbüren beweist einmal mehr, daß auch SPD-geführte Landesregierungen nicht in der Lage sind, geeignete Maßnahmen zur Beendigung des galoppierenden Waldsterbens in der Auseinandersetzung mit den Interessen der Energiewirtschaft durchzusetzen.
({0})
Gescheitert ist die SPD-Landesregierung von NRW vor allem deshalb, weil die SPD nicht die politische Kraft besitzt, umweltpolitisch dringend erf orderliche Maßnahmen durchzusetzen. Statt dessen hat sich die SPD-Landesregierung allein auf sogenannte freiwillige Vereinbarungen mit dem Energiegiganten RWE verlassen und steht nun zu Recht als begossener Pudel im Schwefeldioxid- und Stickoxidregen.
({1})
Weder wurden die Fristen für die Schwefeldioxidminderung eingehalten
({2})
noch denkt das RWE daran, die vereinbarten Minderungen des Stickoxidausstoßes auch wirklich durchzuführen.
Tatsache ist, daß bereits heute der reale Schadstoffausstoß aus den Kraftwerken des RWE weit höher liegt, als das die Vereinbarungen zwischen SPD-Landesregierung und dem RWE für 1986 vorsahen. Herr Minister Einert, meine Damen und Herren von der SPD, Ibbenbüren ist ein Bankrott sozialdemokratischer Umweltpolitik.
({3})
Der Einbau von Entstickungsanlagen fällt noch weiter hinter das zurück, was selbst baden-württembergische CDU-Landesregierungen für die dortigen Kraftwerke umgesetzt haben.
Angesichts der Tatsache, daß der Energiegigant RWE eindeutig gegen Beschlüsse der Umweltministerkonferenz der Länder verstoßen darf, ohne daß hieraus Konsequenzen resultieren, muß die Frage erlaubt sein, wer in der Bundesrepublik eigentlich die Umweltpolitik bestimmt. Immer deutlicher wird, daß die Umweltpolitik gerade im Energiebereich faktisch von wenigen großen Unternehmen bestimmt wird, die ihre Interessenlagen unabhängig zur Geltung bringen können, ob nun gerade der rote oder schwarze Filz an der Regierung ist.
({4})
Festgehalten werden muß allerdings auch, daß z. B. im CDU-regierten Berlin und in Niedersachsen die Entstickung der Kohlekraftwerke weit hinter dem zurückbleibt, was Politiker von Ihnen auf der rechten Seite dieses Hauses hier noch vor Jahresfrist vollmundig verkündet haben.
({5})
Dabei hätten gerade die Kohlekraftwerke eine gute Möglichkeit geboten, durch staatliche Maßnahmen eine rasche und mit geringem Investitionsaufwand verbundene Schadstoffminderung umzusetzen. Bereits durch den Einbau neuer stickoxidarmer Brenner in den Kraftwerken könnte, verbunden mit weiteren feuertechnischen Maßnahmen, die Stickoxid-emission aus Kraftwerken um 300 000 t reduziert werden. Trotzdem werden diese Maßnahmen in SPD- wie CDU-regierten Bundesländern nicht oder nur zögerlich umgesetzt. Es rächt sich heute, daß es der Gesetzgeber im Jahre 1983 bei Verabschiedung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung auf Druck der Energiewirtschaft versäumt hat, klare Fristen für den Einbau von wirkungsvollen Entstickungsanlagen in Kraftwerken festzulegen. Damit wurde der Energiewirtschaft die Möglichkeit eröffnet, selbst darüber zu bestimmen, wie der Stand der Umweltschutztechnik aussieht. Durch dieses eklatante Versagen der CDU/FDP-Bundesregierung wurde versäumt, bis 1988 den Stickoxidausstoß von heute rund 1 Million t allein aus Kraftwerken auf unter 200 000 t zu reduzieren, wie dies die GRÜNEN bereits 1983 gefordert haben.
Die erneute Kapitulation der Politik vor der Energiewirtschaft in Ibbenbüren bedeutet nicht nur ein Versagen sozialdemokratischer Umweltpolitik, sondern auch einen weiteren Todesstoß für den Wald.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete von Heereman.
({0})
- Herr Kollege, als Abgeordneter des Deutschen Bundestages.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich würde Frauen und Männern der GRÜNEN empfehlen, zu hören und zu lesen, was der Repräsentant der GRÜNEN vor Ort zum Kraftwerk Ibbenbüren sagt. Wenn es danach
ginge, wäre es schon längst geschlossen worden. Ihr Zwischenruf war höchst überflüssig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises, in dem das Steinkohlekraftwerk Ibbenbüren liegt. gibt es für mich in der Tat etliche aktuelle Probleme. Aktuell ist für mich die wirtschaftliche Strukturschwäche der Region des Tecklenburger Landes. Das Kraftwerk und die davon abhängige PreussagSteinkohlenzeche sind ein unverzichtbarer Existenzfaktor für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger. - Aktuell ist für mich, daß vom Bestand des Kraftwerks und der Steinkohlenzeche direkt knapp 5 000 und indirekt 10 000 Arbeitsplätze in der Region abhängen. Aktuell ist für mich, daß die Preussag-Zeche in einer erfreulich geburtenstarken, zugleich aber auch bedenklich wirtschaftlich schwachen Region derzeit rund 550 Ausbildungsplätze unterhält, die jungen Menschen Perspektiven für eine sichere Zukunft geben sollen.
({0})
Aktuell ist für mich schließlich auch, daß jetzt die öffentlichen Diskussionen um das Kraftwerk die Menschen in der Region zutiefst beunruhigen und um ihre Arbeitsplätze und ihre Zukunft fürchten lassen. Ich habe daher unlängst die Bundesminister Schäuble und Wallmann sowie den Vorsitzenden meiner Fraktion gebeten, dafür einzutreten, daß das Kraftwerk Ibbenbüren nicht zum Wahlkampfthema gemacht wird.
({1})
Deshalb will ich an dieser Stelle darauf verzichten, der nordrhein-westfälischen Landesregierung die eigentlich notwendigen Anmerkungen zu ihrer Informationsstrategie in dieser Sache und in der Umweltpolitik überhaupt mitzugeben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion um das Kraftwerk Ibbenbüren bedarf der Versachlichung. Wer die Anlage ungeprüft als größte Dreckschleuder der Nation hochspielt, weckt in der breiten Bevölkerung Ressentiments, die auf Grund der tatsächlichen Gegebenheit überhaupt nicht berechtigt sind.
({2})
Die Zeit, alle technischen Details, die dies belegen, im einzelnen aufzuführen, steht mir nicht zur Verfügung. Deshalb nur folgendes:
Erstens: Meiner gesicherten Kenntnis nach arbeitet das Steinkohlekraftwerk Ibbenbüren nach den strengen von der Großfeuerungsanlagen-Verordnung als unabdingbar festgesetzten Bestimmungen.
({3})
Zweitens: Mit Schwefelemissionen, die bei anderen Kraftwerken Sorgen machen, gibt es in Ibbenbüren die geringsten Probleme. Es wird Anthrazit-kohle verheizt, die ausgesprochen schwefelarm ist.
({4})
Zum anderen wurde der neue Block gleich bei der Inbetriebnahme mit einer Teilentschwefelung ausgerüstet. Im übrigen soll die gesamte Rauchgas-menge schon bis zum Herbst nächsten Jahres entschwefelt sein. Der geforderte S02-Emissionswert wird dann mit aller Sicherheit schon ein Vierteljahr vor Ablauf der in der GFAVO festgesetzten Frist unterschritten.
({5})
Probleme bereitet die Entstickung der Rauchgase. Die Betreiber haben im Dezember 1985 in einer Vereinbarung mit der Landesregierung erklärt, alles zu unternehmen, um den Einbau der Entstikkungsanlage zur sekundären Verminderung des NOx-Ausstoßes gegenüber dem ursprünglich gesetzten Termin um ein Jahr vorzuziehen.
Das zunächst vorgesehene technische Verfahren hat sich als nicht geeignet erwiesen. Man ist auf ein weitaus teureres, aber ökologisch besseres Verfahren umgestiegen.
({6})
Das brachte die kritisierten Verzögerungen mit sich, Verzögerungen, die meines Wissens aber nicht über den ursprünglich gesetzten Termin hinaus fortdauern. Bitte berücksichtigen Sie in diesem Zusammenhang, daß die jetzt mit der Landesregierung vereinbarte Fortschreibung der bisher geltenden NOx-Fracht für 1988 immerhin um 30 % unterhalb
({7})
der nach dem Emissionsminderungsplan zulässigen Grenzwerte liegt.
({8})
Ich habe mich immer wieder erkundigt. Ich werde alles unternehmen und unterstützen, um die in der Großfeuerungsanlagen-Verordnung als unabdingbar festgesetzten Bestimmungen durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, ich glaube hier klar sagen zu müssen, daß die Schwierigkeiten bald beseitigt sein werden. Die Entstickungsanlage muß optimal ausgebaut werden.
Mir ist außerordentlich daran gelegen, die Umwelt zu erhalten. Ich begrüße die strengen Vorschriften zur Emissionsverminderung, die der Bundesgesetzgeber auf Initiative der Bundesregierung und meiner Fraktion in die GFAVO eingebracht hat. Das Kraftwerk wird diesen Auflagen gerecht. Man sollte also nicht künstlich einen Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie hochstilisieren; das hilft niemandem. Meines Erachtens wäre es unsere Aufgabe, die Betreiber des Kraftwerks in ihren Bemühungen um eine weitere Emissionsverminderung zu unterstützen
({9})
und damit die Arbeitsplätze in der Region auf Dauer zu sichern. Mit der der Sache größtenteils überhaupt nicht entsprechenden Diskussion ist erheblicher Schaden angerichtet worden. Wir sollten diesen Schaden schleunigst reparieren, statt ihn jetzt mit Emotionen noch weiter zu vergrößern.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen, Herr Heereman, für diesen sachlichen und objektiven Beitrag herzlich danken.
({0})
Es ist erheulich, daß es unter Kennern und Sachverständigen den Grundkonsens gibt und daß man Fakten bewertet und der Versuchung widersteht, der die FDP mit ihren Fragen an die Bundesregierung erlegen ist. Herr Wallmann, der eigentlich gar kein Umweltminister, sondern ein Propagandaminister ist,
({1})
hat die FDP-Fragen erwartungsgemäß beantwortet.
({2})
- Genau, man merkt die Absicht; das ist richtig.
Meine Damen und Herren, die FDP hat die Frage gestellt, obwohl sie sehr genau weiß, daß sowohl die Betreiber als auch die Anlagenbauer und auch die Kumpels im Ibbenbürener Revier ihre Pflicht erfüllen und alles tun, um schnellstmöglich das zu erreichen, was wir alle gemeinsam wollen.
({3})
- Herr Rau hat nichts anderes getan, als sich auf die Aussagen der Betreiber zu berufen und das auch öffentlich zu verkünden.
({4})
Graf Lambsdorff, zwischenzeitlich hat sich herausgestellt, daß das so nicht möglich, nicht realisierbar ist. Das ist nicht zu bestreiten. Es kann aber auch nicht bestritten werden, daß man sich bei diesem Kraftwerk wie bei allen anderen Steinkohlekraftwerken darum bemüht, schneller unter die von der TA Luft, vom Bundes-Immissionsschutzgesetz und von der Großfeuerungsanlagen-Verordnung festgesetzten Werte zu kommen.
Graf Lambsdorff, Sie haben vorhin den Bau dieses Kraftwerks für sich in Anspruch genommen.
({5})
Helmuth Becker und ich erinnern uns daran, daß
wir gegen das Wirtschaftsministerium und gegen
viele andere kämpfen mußten - auch gegen die
FDP -, um dieses Kraftwerk überhaupt nach Ibbenbüren zu bekommen.
({6})
Das ist die Wahrheit. Die FDP hatte immer ein gebrochenes Verhältnis zur Kohle, und viele von Ihnen hängen heute noch der Theorie nach, die frühere FDP-Leute verkündet haben, nämlich mit 40 Millionen t Steinkohleförderung auskommen zu können.
Sie waren nie für eine Kohlevorrangpolitik und sind es auch heute nicht. Das beweist j a diese Bundesregierung in ihrem Energiebericht, auch wenn der Kanzler gestern auf Schacht Haltern I noch so verbale Erklärungen abgegeben hat.
({7})
Meine Damen und Herren, trotz Verzögerung des Baus und der Fertigstellung der Entstickungsanlagen liegen die ausgestoßenen Mengen weit unter den rechtlich möglichen und im Emissionsminderungsplan erwünschten Werten. Die für Ende 1987 gewünschte Inbetriebnahme der geplanten Teilentstickungsanlage und deren Probleme hat ausschließlich technische Gründe. Das wissen doch auch Sie. Das vorgesehene Verfahren hat sich als untauglich erwiesen. Die Kraftwerksbetreiber sind deshalb auf ein ökologisch besseres und wesentlich teureres Verfahren umgestiegen. Das muß man anerkennen. Das dürfen Sie nicht miesmachen. Mit der Art Ihrer Argumentation beleidigen Sie die Unternehmer, die Betriebsräte, die Bergleute und die Anlagenbauer, die alles versuchen, unter Berücksichtigung der spezifischen Verhältnisse dieses Kraftwerks Ibbenbüren
({8})
mit seinen Besonderheiten so schnell wie möglich zu entschwefeln und zu entsticken.
Meine Damen und Herren, die FDP-Anfrage und die Reaktion der konservativen Regierungsmehrheit beweisen einmal mehr, daß die jetzige Regierung mit der heimischen Kohle und deren Verstromung eigentlich wenig im Sinn hat. Ihnen geht es ja gar nicht darum die Debatte zu versachlichen, Ihnen geht es gar nicht darum, mehr für die Kohleverstromung zu tun, sondern Sie benutzen Ibbenbüren, um dem Ministerpräsidenten Rau einen Bonbon ans Hemd zu heften.
({9})
Das wird Ihnen nicht gelingen, weil die Bergleute sehr genau wissen, daß alles getan wird, um die Umweltauflagen zu erfüllen.
Gestern hat Herr Bundeskanzler Kohl nach einer Grubenfahrt im Kreis Recklinghausen erneut verbale Bekenntnisse zur Kohle abgelegt. Was Sie heute tun, ist ein Beweis dafür, daß sich CDU/CSU und FDP in einem Boot mit den GRÜNEN befinden.
({10})
Wolfram ({11})
Ihnen geht es gar nicht um die heimische Kohle, Ihnen geht es um eine vordergründige Wahlkampfmasche. Aber das machen wir nicht mit.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Kanzlerkandidat - oder sagt man jetzt besser: der Spitzenkandidat? - der SPD, Johannes Rau, hat nach dem Wahldebakel seiner Partei in Hamburg laut „FAZ" erklärt, die SPD werde ihre Themen nun inhaltlich deutlicher, straffer und sprachlich mehr zugespitzt vortragen, um die Wähler zu überzeugen. Unter anderem sei es das Ziel der SPD-Politik, eine ausgebeutete und vergiftete Umwelt zu verhindern. Diese Sprüche, meine Damen und Herren von der SPD, nimmt Ihnen der Bürger nicht mehr ab. Worte und Taten klaffen bei Ihnen immer weiter auseinander.
({0})
Im Dezember 1985 hat sich Ministerpräsident Rau mit seinen vollmundigen Erklärungen, die Entstikkung in Ibbenbüren werde auf seine Initiative hin früher, als von der Industrie geplant, durchgeführt, noch stolz an die Brust geklopft. Nun muß kleinlaut bekannt werden, daß die technischen Möglichkeiten das politische Wollen begrenzen. Ich darf daran erinnern, daß das Kraftwerk Ibbenbüren auf Drängen von Politikern aller demokratischen Parteien errichtet worden ist.
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Die FDP steht nach wie vor zu dieser richtigen Entscheidung. Damit sollen Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft und Infrastruktur in dieser Region erhalten werden. Das Kraftwerk sichert auch die Steinkohleförderung, trägt zur Stromversorgung und Stromerzeugung auf der Basis des Jahrhundertvertrages bei. Ihr Vorwurf, Erich Wolfram, Graf Lambsdorff sei noch nie ein Freund der Kohle gewesen, ist das Absurdeste, was ich zu diesem Thema von Ihnen - von Ihnen habe ich schon viel Absurdes gehört - in diesem Hause gehört habe.
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Ich erinnere daran, daß unter dem Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff der Jahrhundertvertrag für die deutsche Steinkohle zustande gekommen ist, der Hüttenvertrag und die Kokskohlenhilfe ausgebaut worden sind.
({3})
Und dann stellen Sie sich hier hin und stellen solche Behauptungen auf. Sie sollten sich schämen.
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Hiermit schaffen Sie kein Vertrauen für die deutsche Kohle. Sie sollten sich da mehr zurückhalten.
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Meine Damen und Herren, die FDP hat gleichzeitig immer wieder betont, daß auch Altanlagen auf den modernsten Stand der Umwelttechnik nachgerüstet werden müssen. In diesem Punkt lassen wir die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und ihren Ministerpräsidenten Johannes Rau nicht aus der Verantwortung.
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Das doppelzüngige Verhalten der SPD in Sachen Umweltschutz lassen wir so nicht durchgehen. Wenn es darum geht, umweltgerechtes Verhalten von anderen zu verlangen, werden große Worte geschwungen, dann wird auch mit zweierlei Elle gemessen. Bei den Entscheidungen um Buschhaus z. B. hat die SPD-Bundestagsfraktion bis auf drei Abgeordnete klar gegen die Arbeitsplätze in Helmstedt gestimmt. Hat das vielleicht daran gelegen, daß Helmstedt in Niedersachsen liegt?
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Am Kraftwerk von Ibbenbüren sehen wir, wie die Bürger durch vollmundige Ankündigungen des NRW-Ministerpräsidenten Rau verschaukelt werden: Statt ein Jahr früher, als in Aussicht gestellt, soll die Entstickungsanlage nun erst rund ein Jahr später ihren Betrieb aufnehmen können. Der nordrhein-westfälische Umweltminister Matthiesen erklärt dazu, die Betreiber hätten intensives Bemühen zugesagt. Darauf kann eine Landesregierung, die zudem den hoffentlich vorhandenen Sachverstand einiger Ministerien dazu heranziehen kann, keine Entscheidungen aufbauen.
Wir sind dagegen, den Bürgern umweltpolitische Erfolge vorzugaukeln, wenn es die entsprechende Technik noch gar nicht gibt. Wir sind dagegen, das Prinzip Hoffnung schon als erreichbaren Stand der Technik darzustellen. Dies versuchen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, nicht nur im Fall von Ibbenbüren. Sie verfahren ebenso bei Ihren Beschlüssen zur Energiepolitik mit dem Ausstieg aus der Kernenergie.
({8})
- Herr Kollege Wolfram, wir sind für Klarheit und Wahrheit.
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Das ist oft unbequem. Aber der Spitzenkandidat der SPD liebt es eben doch, „die Soße der Harmonie" über die Konflikte zu gießen - um dessen eigene Worte zu zitieren. Der Schwarze Peter
({10})
liegt nicht bei den von der Landesregierung bedrängten Betreibern und Herstellern, er liegt allein bei der Landesregierung in Düsseldorf. Ich weiß, daß Sie Angst vor Diskussionen haben.
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Deswegen haben Sie im Landtag mit der Geschäftsordnung verhindert, daß dieses Thema auf gutem,
demokratischem, parlamentarischem Weg besprochen und diskutiert wurde. Johannes Rau hat Angst.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Stahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lambsdorff, Herr Wallmann und Herr Beckmann, ich lese Ihnen einmal einen Teil des Schreibens des Betriebsrats von Ibbenbüren vor, den er Herrn Dr. Göhner, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Umwelt und Reaktorsicherheit, die Tage hat zukommen lassen
({0}) - am 12. November -:
Die Belegschaft der Steinkohlenbergwerke Ibbenbüren bittet um faire Behandlung des Themas Kraftwerk Ibbenbüren in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages am 14. November. Die erfolgreichen Bemühungen aller Parteien des Deutschen Bundestages in den 70er Jahren um die Erhaltung der Arbeitsplätze in Ibbenbüren haben dies verdient. Es geht in Ibbenbüren nicht um die Erhaltung der Arbeitsplätze zu Lasten des Umweltschutzes.
({1})
Graf Lambsdorff, wenn das, was Sie eben gesagt haben, völlig richtig ist, lassen Sie mich Ihnen doch einmal eines ins Gedächtnis zurückrufen: 1979 hat Herr Baum, der nicht anwesend ist und wahrscheinlich auch weiß, warum er nicht anwesend ist, einen ersten Entwurf einer GroßfeuerungsanlagenVerordnung vorbereitet, der vor allen Dingen an Ihrem Widerstand als Bundeswirtschaftsminister nicht ins Kabinett kam und daher nicht verabschiedet werden konnte.
({2})
Herr Baum hat 1980/81, Herr Lambsdorff, noch einmal den Versuch gemacht - Sie sollten hier widersprechen, wenn das nicht stimmt -,
({3})
den Entwurf ins Kabinett zu bringen, hat also nachgearbeitet und ist an Ihrem Widerstand und Ihren Beamten gescheitert.
({4})
Graf Lambsdorff, erst am 1. September 1982, d. h. noch im Kabinett Schmidt, ist dann, nachdem Sie laufend geblockt haben, auf Grund des Umweltberichts von Baum und vom Forschungsminister ein Auftrag vergeben worden, so daß dann im Frühjahr 1983 - Sie sollten das Kabinettsprotokoll und vor allen Dingen auch das Bulletin der Bundesregierung lesen - die Großfeuerungsanlagen-Verordnung mit ihren Eckwerten, die damals, am 1. September 1982, im Kabinett beschlossen wurden, mit den Einzelheiten auf den Tisch sollte.
({5})
- Das ist richtig. Sie haben - dies ist unbestritten -, nachdem Sie sich hier heute morgen als den größten Umweltschützer der Welt dargestellt haben,
({6})
die Verabschiedung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung um zwei oder drei Jahre hinausgezögert.
({7})
Damit haben Sie, Graf Lambsdorff, einige Millionen von Tonnen SO2 zu verantworten, die in der Bundesrepublik in dieser Zeit zusätzlich auf den Wald gefallen sind.
In diesem damaligen Kabinettsbeschluß, verehrter Graf Lambsdorff
({8})
- ja, mit Helmut Schmidt -,
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steht zu den Stickoxiden eine ganze Menge. Sie sollten das mal durchlesen. Im Mai oder im April, Graf Lambsdorff
({10})
- am 5. April 1984 -, haben die Umweltminister der Länder beschlossen: NOx 200 mg. Durch Ihre Verzögerung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung - das ist wohl auch unbestritten, dies sagt die Wirtschaft insgesamt - ist natürlich der Anreiz nicht dagewesen, auf diesem Gebiet neue Technologien zu entwickeln. Ich hoffe, Sie stimmen mir zu.
({11})
- Das müßten Sie aber eigentlich; denn Sie waren damals der Hauptbremser im Kabinett Schmidt in dieser Sache. Nun sprechen Sie doch mal mit Ihrem Kollegen Baum!
Herr Lambsdorff, nach Festlegung dieser Werte sind dann etwa 45 Pilotanlagen in verschiedenen Varianten mit verschiedenen Verfahren gebaut worden, und Sie sollten eigentlich wissen, daß es eine ganze Menge von verschiedenen Verfahren gab und daß man nicht auf die Erfahrungen von Japan und teils der USA bauen konnte, weil sie auf deutsche Verhältnisse nicht im Großmaßstab umzusetzen sind. Es ist Ihnen bekannt - das hat Herr Einert doch eben gesagt; tun Sie mal nicht so, als wenn Sie es nicht wüßten -, daß bei der Ibbenbürener Kohle durch die hohen flüchtigen Bestandteile bei Schmelzkammerfeuerung besondere
Stahl ({12})
Schwierigkeiten auftreten. Die sind eben auch dargestellt worden.
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- Der weiß das genau, nur Sie wissen es nicht. Dies ist doch der Punkt.
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Graf Lambsdorff, ich meine, daß Sie heute hier wirklich eine sehr schlechte Vorstellung gegeben haben.
({15})
Lassen Sie sich von Dr. Göhner mal den Brief der Betriebsräte geben. Lesen Sie den mal in Ruhe durch. Dann werden Sie feststellen, daß Sie heute auf einem großen Holzpferd saßen.
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Sagen Sie mir doch mal, warum die Kollegen Laermann und Baum, die von der Sache etwas verstehen, heute nicht gesprochen haben!
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Ein letzter Gedanke. Herr Bundesminister Wallmann, ich finde, daß auch Ihre Vorstellung als Bundesumweltminister heute hier eine traurige war.
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Nehmen Sie sich hier mal ein Beispiel an Herrn von Heereman, der dieses wichtige Thema in Sachlichkeit dargestellt hat. Ich meine, daß wir im Parlament, meine Damen und Herren, trotz des Wahlkampfs nicht vergessen sollten, daß wir alle Verantwortung für den Umweltschutz tragen.
Schönen Dank.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Belegschaft der Steinkohlebergwerke Ibbenbüren hat in der Tat Anspruch auf eine faire Behandlung des Themas Kraftwerk Ibbenbüren. Ich stimme diesem Schreiben, das wir gestern erhalten haben, ausdrücklich zu. Nur, Herr Kollege Stahl, ablenken gilt nicht.
({0})
Dies ist auch gar nicht das Thema, über das wir uns hier unterhalten. Es darf in der Tat nicht um die Infragestellung von Arbeitsplätzen in Ibbenbüren gehen. Hier gilt es, andere Punkte anzusprechen. Ein Vertreter der Belegschaft hat bei der Einweihung am 29. November 1985 gesagt, daß es darauf ankommt, daß dieses Kraftwerk Arbeitsplätze in der Zukunft bietet. Dies ist auch nicht die Frage; das wollen wir alle gemeinsam.
Bundeskanzler Helmut Kohl - Herr Dr. Wallmann hat darauf hingewiesen - hat am 13. November in dieser Woche bei seiner Grubenfahrt auf Haltern erklärt, daß er an seiner Kohlepolitik festhalten wird,
({1})
und dies im Interesse der in den Steinkohlenrevieren arbeitenden Menschen.
Herr Wolfram, ich will das noch einmal deutlich machen, weil Sie eben hier versucht haben, das auseinanderzudividieren. Entweder haben Sie nicht verstanden, über was wir diskutieren, oder Sie wollen es verdrängen. Ich nehme mal letzteres an.
({2})
Um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen:
({3})
- Herr Heereman hat diese Position genauso eingenommen und genau dasselbe festgestellt. Nur, täuschen Sie sich nicht: Die anderen Punkte wurden bereits von Dr. Wallmann angesprochen.
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- Ich weiß gar nicht, was Sie haben!
({5})
- Ich weiß gar nicht, was Sie haben. Hier nimmt der Kollege Heereman die Position wahr. Da gibt es nichts zu deuteln.
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Und nun suchen Sie da einen Keil zwischen uns zu treiben.
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Ich will Ihnen sagen, worauf es ankommt. Minister Wallmann hat es Ihnen ja schon gerade gesagt.
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In der Bundestagsdebatte am 5. Dezember hat ein Sprecher der SPD-Fraktion folgendes erklärt:
Meine Damen und Herren! Das Wort von Johannes Rau steht: 1988 geht eine Entstickungsanlage, die modernste der Welt, in Nordrhein-Westfalen in Betrieb.
({9})
Sonst, meine Damen und Herren - das sage ich auch für die SPD-Bundestagsfraktion -,
- so fährt der Genosse fort wird die Betriebsgenehmigung problematisiert. Aber ich sage Ihnen: Das Wort unseres Ministerpräsidenten steht.
Das Protokoll verzeichnet Beifall.
In dieser Aussage der SPD, die auch andere Redner bei der damaligen Debatte unterstrichen haben,
wird, wenn man die heutige Situation sieht, sehr deutlich:
({10})
Es setzt sich die Reihe der vollmundigen Ankündigungen fort, die der Kanzlerkandidat fern jeder Sachkenntnis abgegeben hat
({11})
und die er nicht einhalten kann. Man ist versucht, zu fragen: Und nun, Herr Rau? - um mit dem Motto von gestern abend hier fortzusetzen.
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- Daß Sie überhaupt da sind, wenn Sie gestern die Sendung gesehen haben, wundert mich.
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Seine Ankündigung von dieser Woche, die SPD sollte sich mehr dem Umweltschutz zuwenden, mag im Licht seiner vielen Fehleinschätzungen nur zu begrüßen sein. Wir erinnern uns sehr gut an die Auseinandersetzung, die die Sozialdemokraten im Hinblick auf die Inbetriebnahme von Buschhaus im Deutschen Bundestag inszeniert haben. Was wurde uns hier nicht alles vorgeworfen! Und wie wenig spielten die Arbeitsplätze in Buschhaus in Ihrer Argumentation eine Rolle!
({14})
Nur wenn es um Ibbenbüren ging oder wie heute geht, gelten für die SPD plötzlich andere Maßstäbe.
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Dann wird versucht, den Umweltminister in eine Ecke zu stellen, Herrn Heereman in einen besonderen Kasten zu stellen und hier Honig zu lecken.
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Was für ein doppelbödiger Eiertanz, meine Damen und Herren von der SPD!
Buschhaus arbeitet - und dies im Unterschied zu anderen Kraftwerken wie Ibbenbüren - so, wie es hier zugesagt wurde.
Der Kollege von der SPD hat am 5. Dezember ausgeführt, wenn das Wort von Johannes Rau nicht stehen sollte, d. h. wenn die Entstickungsanlage nicht bis 1988 eingebaut werde, dann werde die Betriebsgenehmigung problematisiert. Ich bitte Sie um eines, meine Damen und Herren von der SPD: Wenn wir nun schon wissen, daß der Ministerpräsident des Landes, Johannes Rau, sein Versprechen wieder einmal nicht einhalten konnte, realisieren Sie doch wenigstens Ihre Androhung nicht, erneut das Problem der Betriebsgenehmigung hier aufzuwerfen. Wir sind den dort arbeitenden Menschen in der Tat einen sicheren Arbeitsplatz schuldig.
Ich nehme auf meine eigenen Ausführungen am 5. Dezember 1985 Bezug: Das absurde Theater, das bei der Inbetriebnahme des Kraftwerks durch Herrn Rau und Herrn Matthiesen aufgeführt wurde,
({17})
war nicht nur ein Trauerspiel. Und dem Genossen der SPD, der fragt: „Was tut Johannes sich und uns nur an?", dem kann ich nur beipflichten.
Herzlichen Dank.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Becker ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe hier heute morgen eine ganze Menge von Leuten gehört, die an sich haargenau in Ibbenbüren Bescheid wissen. Aber die meisten von Ihnen haben Ibbenbüren überhaupt noch nie gesehen. Ich kann Ihnen nur sagen: Da sitzt der Kollege Rawe; da sitzt der Kollege Heereman. Wir sind zufällig da zu Hause. Ich kann Ihnen von 1971 an die Tage aufzählen, die wir mit diesen Problemen zugebracht haben. Sie haben mit dem, was Sie hier vortragen, überhaupt nichts zu tun,
({0})
gar nichts, weil Sie etwas ganz Wesentliches dabei außer acht lassen.
Ich will zuerst zu Ihren Ausführungen kommen, Herr Schmidbauer. Wir haben hier wegen Buschhaus zusammengesessen; das ist richtig.
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Sie wollen doch nicht bestreiten, daß in Ibbenbüren alle Werte, die wir für Buschhaus gefordert haben, eingehalten werden: jetzt, nächstes Jahr und übernächstes Jahr. Alle Werte werden eingehalten.
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Wenn Sie das bestreiten, dann muß ich Sie in die Reihe derer einordnen, die von dem Kraftwerk in Ibbenbüren reden, aber keine Ahnung vom Sachverhalt haben.
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Herr Graf Lambsdorff hat hier heute morgen einen völlig untauglichen Versuch unternommen; Herr Heereman hat das ja schon gesagt. Es soll hier unserem Kanzlerkandidaten Johannes Rau, der übBecker
rigens gestern, wie Sie festgestellt haben, im Fernsehen sehr hervorragend war,
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aus rein wahltaktischen und politischen Gründen eine Szene gemacht werden; das ist es. Dabei wird dieser große Industriebetrieb mit seinen 5 000 Mitarbeitern von der CDU/CSU - ich nehme Herrn Heereman ausdrücklich aus -, von der FDP und schließlich auch von den GRÜNEN in Mißkredit gebracht. Meine Damen und Herren, denken Sie einmal sowohl an diese Mitarbeiter als auch an ungefähr 30 000 Menschen in dieser Region, die durch diese Diskussion, die Sie auslösen, natürlich in Angst und Schrecken versetzt werden. Was wird denn passieren, wenn die GRÜNEN in Osnabrück fordern, das Kraftwerk müsse sofort geschlossen werden, wenn sie, so muß ich sagen, mit ganzen Kaskaden von Fehlinformationen und Fehlbehauptungen in diesem Raum Unruhe stiften?
Meine wirklich herzliche, dringende Bitte ist, daß Sie damit aufhören. Denn - hier wiederhole ich, was mein Kollege Stahl gesagt hat - alle Techniker und Ingenieure mit ihrem Wissen und ihrem Können sind aufgeboten, um für diesen größten Schmelzkammerkessel der Welt nun auch die beste Entstickungsanlage zu bauen, die es herzustellen gibt.
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Und ich sage noch einmal: Kein Wert der Großfeuerungsanlagen-Verordnung wird verletzt. Warum Sie nun immer noch an diesem Kraftwerk herummachen, sich dies zu überlegen bleibt Ihnen allein vorbehalten.
Ich sage Ihnen am Schluß: Der größte Verlierer dieser Aktuellen Stunde sind hier heute morgen Graf Lambsdorff und die FDP.
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CDU und GRÜNE sind trotz aller gegenteiligen Beteuerungen gegen das Steinkohlekraftwerk in Ibbenbüren eingestellt.
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Das haben die bisherigen Redner mit Ausnahme von Herrn Heereman bewiesen. Sie ruinieren den Ruf eines leistungsfähigen Unternehmens.
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Sie kränken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie schüren Angst um Arbeitsplatz und vor Umweltgefahren.
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Mindestens die Wählerinnen und Wähler im Münsterland und ganz bestimmt die Kumpel in Ibbenbüren wissen, daß sie sich bei der Lösung der Fragen in Ibbenbüren ausschließlich auf die Sozialdemokraten verlassen können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihre Bemerkung, Herr Kollege Becker, zu dem Fernsehauftritt von Herrn Rau gestern Abend zeigt, wie gering doch Ihre Ansprüche an Ihren Kanzlerkandidaten geworden sind.
({0})
Meine Damen und Herren, wenn der Sachverstand, von dem Herr Kollege Becker soeben gesprochen hat, von Ihnen, Herr Kollege Becker, im Spätherbst 1985 eingesetzt worden wäre, um Herrn Rau von einer, wie Herr Spalthoff vom RWE-Vorstand jetzt gesagt hat, voreiligen Zusage abzuhalten, dann wäre das ein sinnvoller Einsatz gewesen.
({1})
Denn Tatsache ist, daß die Betreiber des Kraftwerks auf Druck der Landesregierung Ende 1985 gesagt haben, wir werden uns bemühen, den Einbau der Entstickungsanlage um ein Jahr vorzuziehen. Herr Rau ist dann an die Öffentlichkeit gegangen und hat gesagt: Ich habe die verbindliche Zusage der Betreiber, daß ein Jahr früher entstickt wird.
({2})
Das war ein Täuschungsmanöver dieser Landesregierung, meine Damen und Herren.
({3})
Dieses Täuschungsmanöver ist die Ursache für die Rufschädigung, von der Sie geredet haben, Herr Kollege Becker. Herr Minister Wallmann hat es bereits gesagt. Es ist bedauerlich, daß durch diese im Ergebnis als Täuschung - ob bewußt oder unbewußt, sei dahingestellt - zu wertende Erklärung von Herrn Rau aus dem Jahre 1985 das Kraftwerk Ibbenbüren wieder ins Gerede gekommen ist.
({4})
Herr Spalthoff hat vor wenigen Tagen die Aussage von Herrn Rau in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Herrn Matthiesen so kommentiert: Sie sei voreilig und - so wörtlich -, es sei immer ein Unterschied, ob ein Ingenieur oder ein Politiker Aussagen mache. Meine Damen und Herren, das gilt ganz offensichtlich für die Aussagen von Herrn Rau.
Nun vergegenwärtigen Sie sich doch einmal, was Sie selbst in einer Aktuellen Stunde des Bundesta19128
ges im Dezember 1985 dazu gesagt haben. Ihr umweltpolitischer Sprecher, Herr Hauff - er ist leider nicht hier -, hat damals gesagt - ich zitiere das wörtlich aus dem Protokoll -:
Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen sagte letzte Woche: Die NOx-Emissionen sind zu hoch. RWE und Preussag werden und müssen rasch noch im ersten Halbjahr 1986 die Entscheidung über einen Katalysator treffen, der dann noch 1988 in Betrieb genommen wird. Das Wort von Johannes Rau gilt, auch für den Vorstandsvorsitzenden der RWE.
({5})
- Nichts von dem gilt. Weder konnte im ersten Halbjahr 1986 eine definitive Entscheidung über die Art der Entstickungsanlagen getroffen werden - schon die erste Hälfte dieses Wortes von Herrn Rau gilt nicht - noch ist sichergestellt, daß sie 1988 in Betrieb genommen werden kann. Heute wird davon geredet, daß sie sich jetzt bemühen werden, die Entstickungsanlage bis Ende 1988 zu bauen. Das ist meilenweit, mindestens in der Größenordnung eines Jahres, von dem entfernt, was der Herr Rau der Öffentlichkeit entweder wider besseres Wissen oder aus Uninformiertheit Ende 1985 vorgegaukelt hat, meine Damen und Herren.
({6})
Herr Einert, wir machen die Regierung Rau in der Tat nicht für die technischen Zwänge verantwortlich, die sich jetzt ergeben haben. Aber Herr Rau ist eben persönlich dafür verantwortlich, daß er trotz der damals schon bekannten technischen Zwänge eine solche - wie Herr Spalthoff sagt - voreilige Zusage gemacht hat.
({7})
Es war doch allen bekannt - Herr Stahl, Sie haben es damals in dieser Debatte hier erläutert -, daß vom Betreiber eine Entstickungsanlage verlangt wurde, die auf der ganzen Welt noch nicht existierte. Und trotzdem hat Herr Rau gesagt: Und ich habe die verbindliche Zusage ... Es war lediglich eine unverbindliche Erklärung, die Sie hier vorgetäuscht haben.
Nun, Herr Einert, zu dem Artikel in der „Rheinischen Post". Sie haben gesagt: Der Satz stimmt ja überhaupt nicht. Auf den Punkt, der dabei eine Rolle spielt, sind Sie hier überhaupt nicht eingegangen. Wir wissen mittlerweile, daß die Regierung Rau nach der jetzt aufgeflogenen Täuschung vom Dezember 1985 im Sommer dieses Jahres in Sachen Ibbenbüren ein zweites Vertuschungsmanöver versucht hat. Das RWE hat nämlich die Landesregierung bereits im Juni dieses Jahres darauf aufmerksam gemacht,
({8})
daß die Entstickungsanlage nicht - wie von Rau zugesagt - Ende 1987, Anfang 1988 in Betrieb gehen könne.
({9})
Diese Mitteilung des RWE haben Sie monatelang unter der Decke gehalten. Ich sage deshalb: Das ist nach der Täuschung vom Dezember 1985 in diesem Jahr ein zweites Vertuschungsmanöver.
({10})
Das ist die Politik des Herrn Rau, die der Umwelt leider nicht hilft.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Göhner, es wäre redlich, wenn Sie diesen Brief dann auch vorlegen und zitieren würden. Ich habe mich gerade erkundigt, was darin steht. Was Sie fomuliert haben, ist unzutreffend. Wir sind ja mittlerweile von Ihnen gewöhnt, daß Sie im Wahlkampf unzutreffende Formulierungen brauchen. Das ist nichts Neues hier.
({0})
Meine Damen, meine Herren, ich halte es für wichtig, hier kurz vor Abschluß der Aktuellen Stunde einmal festzustellen, daß Ibbenbüren kein Thema ist; es ist weder ein Thema für eine Aktuelle Stunde noch taugt es sonst zu einer fruchtbaren politischen Auseinandersetzung, die der Sache dient.
Ich darf die FDP-Bundestagsfraktion daran erinnern, daß am 7. April 1978 eine sogenannte Ibbenbürener Konferenz stattgefunden hat. In dieser Konferenz ist es gelungen, eine Grundsatzentscheidung für den Kraftwerksbau in Ibbenbüren vorzubereiten. Der Erfolg dieser Konferenz wurde nicht zuletzt dem damaligen Wirtschaftsminister Riemer zugeschrieben. Ich bedaure, daß wir, wenn es um Kohlevorrangpolitik geht, heute nicht mehr in der Lage sind, mit der FDP die gleiche Sprache zu sprechen wie im Jahre 1978. Sie sind zu Lasten des Landes Nordrhein-Westfalen aus der Kohlevorrangpolitik ausgestiegen.
({1})
Meine Damen und Herren, das war noch eine gute Zeit, als wir das mit Ihnen machen konnten. Das ist heute leider Gottes anders. Heute fühlen Sie sich - warum auch immer - in der Pflicht, die Kohle zu denunzieren und die Kernenergie ins Geschäft zu bringen. Das ist doch der entscheidende Punkt. Wir bedauern das. Und dort sitzt der Minister, der das gleiche macht.
({2})
Wer steckt denn hinter der Zeitschrift „Konsens", Herr Kollege Beckmann?
({3})
Wer formuliert „Die Kohle muß raus aus der Grundlast, in die Grundlast darf nur noch Kernenergie"?
({4})
Lesen Sie sich das einmal durch. Das ist Ihre Politik: Kernenergie, Kernenergie, Kernenergie.
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Wir werden Ihnen diese Absicht durchkreuzen, die Kernenergie zu Lasten der Kohle einzubringen, wo immer uns die Gelegenheit dazu gegeben wird.
({6})
Meine Damen und Herren, die Entstickung extrem niederflüchtiger Kohle ist eine technologische Herausforderung, die noch nirgends in der Welt angenommen, geschweige denn gelöst worden ist. Man kann nicht nur einen Teil des Wassers im Teekessel kochen, sondern muß das ganze Wasser kochen. So kann man auch die Entstickung der Kohle, wie sie in Ibbenbüren anfällt, nur großtechnisch, d. h. im laufenden Kraftwerksbetrieb erproben. Es hat sich herausgestellt, daß die zweistufige technische Lösung, also erst das Einsprühen von Ammoniak in den Rauchgasstrom und als zweites eine weitere Abscheidung der Stickoxide, nicht bis zum Ende des Jahres 1987 zur Verfügung stehen wird, wohl aber eine bessere Entstickung bis zum Jahre 1988. Das steht in dem Brief vom 4. November 1986, Herr Kollege Wallmann, den Sie von Herrn Minister Matthiesen - hören Sie genau zu - erhalten haben. Und dann stellen Sie sich hier hin und behaupten genau das Gegenteil.
({7})
Herr Kollege, das ist nicht redlich, wie Sie hier damit umgehen.
({8})
Ich möchte Ihnen einen Rat geben: Lesen, lesen und dann entsprechend vortragen. Herr Wallmann, so kenne ich Sie doch gar nicht.
({9})
Schon wieder sitzen Sie da und tun so, als wenn Sie das nicht wüßten.
({10})
Herr Wallmann, stellen Sie sich doch hier hin und sagen Sie das. Sie sollten doch nicht aus wahltaktischen Gründen mit den Arbeitsplätzen der Menschen spielen. Herr Wallmann, Sie sollten sich schämen,
({11})
wie Sie hier Politik machen.
Meine Damen und Herren, führt diese zeitliche Verzögerung bei Ibbenbüren zu einem erhöhten Ausstoß? Nein, muß ich sagen. Die Emission der
Stickoxide wird gemindert. In den Jahren 1986 bis 1988 werden es 48 % weniger Stickoxide sein.
({12})
Und wir wissen, meine Damen und Herren, daß den Sozialdemokraten im Lande Nordrhein-Westfalen der nach der Großfeuerungsanlagen-Verordnung zulässige Stickoxidausstoß noch zu groß war. Wir haben einen eigenen Emissionsminderungsplan festgelegt, weil wir mit Ihrer Politik nicht einverstanden waren, Herr Laufs. Nach unserem Emissionsminderungsplan, der viel enger ist als Ihrer, werden die Emissionen auch noch um 23 % reduziert. Das sind die Wahrheiten.
({13})
Es ist von allen Beteiligten vernünftig gehandelt worden - von allen Beteiligten. Ministerpräsident Johannes Rau und seine Landesregierung haben mit der Inbetriebnahme des Ibbenbürener Kraftwerkes erstens den Kohleabsatz, 5000 Arbeitsplätze und damit den Lebensunterhalt von 15 000 Menschen gesichert,
({14})
zweitens mit der Betriebserlaubnis ermöglicht, daß eine weltweit führende Entstickungstechnologie entwickelt und überall in Nordrhein-Westfalen frühestmöglich angewendet werden kann.
({15})
Das sind die Wahrheiten, meine Damen und Herren.
Die Betreiber haben einen technischen Weg, der sich als ungeeignet herausgestellt hat, verworfen und investieren jetzt wesentlich mehr in eine neuere Technik. Es bleibt dabei: Die Stickoxidemissionen in Nordrhein-Westfalen werden bis zum Ende dieses Jahrzehnts 70% weniger ausmachen. Es bleibt dabei: Nirgendwo in der Bundesrepublik Deutschland wird so viel für den Umweltschutz investiert wie im Lande Nordrhein-Westfalen.
({16})
Und es bleibt dabei, was der Ministerpräsident Johannes Rau in seiner Regierungserklärung am 10. Juni 1985 gesagt hat, einen Monat, nachdem er mit 52,1 % die überwältigende Zustimmung der Bevölkerung im Lande Nordrhein-Westfalen gefunden hatte:
Wir halten fest am Vorrang der heimischen Kohle. Unsere Kohle hat Zukunft.
Aber nur, wenn Sozialdemokraten die Mehrheit haben, sonst nicht.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Spies von Büllesheim.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lennartz, Sie haben in Ihrer künstlichen rhetorischen Erregung sogar den Satz untergebracht - ich habe ihn mir aufgeschrieben -,
({0})
wir würden die Kohle in Mißkredit bringen. ({1})
Herr Kollege Lennartz, wenn Sie das selber glaubten, wäre das sehr schlimm; denn dann wären Sie entweder total uninformiert oder nicht einsichtsfähig.
({2})
Da können Sie sich aussuchen, was Sie brauchen. Wahrscheinlich sind Sie beides. Aber das Schöne ist, daß Ihnen das nach dieser Politik der Bundesregierung in den letzten Jahren, einer Politik für die Kohle, draußen niemand abnimmt, sondern daß Sie durch solche Sätze einfach unglaubwürdig werden.
({3})
Es geht in dieser Debatte eben nicht um das Kraftwerk Buschhaus, um dessen Bestand und Inbetriebnahme.
({4})
- Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen. Ich verstehe ja, daß diese Aktuelle Stunde Ihnen unangenehm ist.
({5})
Es geht ja nicht um die Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus.
({6})
Es geht nicht einmal, Kollege Becker ({7}), um die augenblicklich zu hohen, aber leider gegebenen Schadstoffwerte. Es geht um den Wechsel der Argumentation in dieser Frage auf Ihrer Seite. Es geht um die Realitätsferne, und es geht um den Wankelmut der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Darum geht es. Das muß man deutlich machen.
({8})
Das Kraftwerk Ibbenbüren zu fordern, es zu fördern, es zu bauen,
({9})
Herr Kollege Stahl, Herr Kollege Wolfram, war eine Sache aller Parteien dieses Hauses, und es war eine Sache aller Parteien auf der Landesebene, und es war die Sache aller Parteien auf der Ortsebene, natürlich mit Ausnahme der GRÜNEN.
({10})
Tausende von Arbeitsplätzen wurden gesichert. Der Anschluß der Kohle von Ibbenbüren an ein hoffentlich besseres Zeitalter wurde damit gesichert.
({11})
- „So ein netter Mensch", das sagen Sie. Herr Kollege Wolfram, ich darf dieses Kompliment zurückgeben und sagen: Der Kollege Lennartz ist noch nicht so lange in diesem Hause, als daß er den Kampf für die Kohle hätte miterleben oder darum wissen können.
({12})
Buschhaus und Ibbenbüren, beides sind Kraftwerke mit, gemessen an den neuen Standards, wesentlich zu hohen Schadstoffwerten.
({13})
Beide hatten als Altanlagen einen Rechtsanspruch auf Inbetriebnahme. Beide dienen dem Erhalt von Arbeitsplätzen. Aber im Falle Buschhaus, im CDUgeführten Land Niedersachsen, haben Sie die Inbetriebnahme bis aufs Messer bekämpft. Nur der Kollege Adolf Schmidt und zwei weitere Kollegen haben mit uns für die Inbetriebnahme gestimmt.
({14})
Im Falle Ibbenbüren haben Sie anders gehandelt, weil es im Lande Nordrhein-Westfalen lag.
({15})
Deswegen haben Sie, rein politisch bedingt, besonders merkwürdig und eigentümlich eine Unterscheidung vorgenommen, die Sie die Glaubwürdigkeit in dieser Frage gekostet hat.
({16})
- Wie wir gerade von Herrn von Heereman gehört haben, hat die neue Diskussion um Ibbenbüren bei den Bergleuten und bei den Menschen dieses Raumes Unsicherheit und Existenzangst hervorgerufen.
({17})
Das war völlig unnötig, wie wir alle wissen.
({18})
- Diese neue Diskussion ist nur deswegen entstanden, weil die Landesregierung vollmundige Versprechungen gemacht hat, die sie nicht hat halten können.
({19})
Wir haben gestern abend von Ministerpräsident Rau gehört, daß er aus rein verfassungsrechtlichen Gründen nicht hier vor dem Bundestag erscheint.
({20})
Dr. Spies von Büllesheim
Er hat doch diese Unsicherheit und Angst in der dortigen Region erzeugt. Warum kommt er nicht heute hierhin, um dies hier zu erklären? Er ist nicht gekommen. Wie wir gehört haben, kommt er aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht. Er hat seinen Minister Einert geschickt.
({21})
Herr Minister Einert, Sie haben vorhin gesagt, wir seien am Kraftwerk Ibbenbüren nicht interessiert. Wie können Sie nach der Vorgeschichte dieses Kraftwerks so etwas behaupten? Wir haben für Ibbenbüren gekämpft.
({22})
- Hier in diesem Hause, Herr Kollege Becker, das wissen Sie ganz genau.
({23})
Es war falsch, daß die nordrhein-westfälische Landesregierung behauptet hat: Die Industrie hat uns falsche Versprechungen gemacht. Das ist die Methode „Haltet den Dieb". Es gab und es gibt keine vorbehaltlose Zusage der Industrie, das billigere und schneller einzuführende Ammoniakeindüsungsverfahren werde tatsächlich auch funktionieren. Nur ist das bei der Einweihung groß verkündet worden. Bereits Anfang 1988 sollte danach dann das Entstickungsverfahren wirksam sein. Man hat einfach den Mund zu voll genommen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
({0})
Verehrte Kollegen, eine Zeitung hat diesen Vorgang mit dem Wort „Rau auf Schleuderkurs in Ibbenbüren" überschrieben. Wie wir wissen und gestern noch einmal hören konnten, ist Rau nicht nur auf diesem Feld auf Schleuderkurs, sondern auch auf vielen anderen Feldern, so wie gestern abend im Fernsehen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete von Schorlemer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von vielen Orten meines Wahlkreises Osnabrück-Land ist das Kohlekraftwerk Ibbenbüren zu sehen. Daher eines vorweg: Niemand will die über 4 500 Arbeitsplätze dort in Gefahr bringen, wozu Sie von der SPD bei Buschhaus noch bereit waren.
({0})
Deshalb hat Ihnen der Wähler im Raum Helmstedt in diesem Jahr zweimal eine entsprechende Quittung verpaßt.
Als niedersächsischer Abgeordneter habe ich diese Aktuelle Stunde mit großem Interesse verfolgt. Ich habe mich immer wieder gefragt: Wie war es eigentlich damals bei Buschhaus? Wie ist es heute bei Ibbenbüren? Wie haben die jeweiligen Ministerpräsidenten gehandelt?
Zu Buschhaus ist von Ministerpräsident Albrecht von Anfang an gesagt worden: Durch eine Inbetriebnahme wird der Schadstoffausstoß nicht erhöht. Es ist sogar erreicht worden, daß die tatsächliche Emission von Schwefeldioxid vermindert wurde. Auch bei den Stickoxiden werden schon vor dem gesetzlich vorgesehenen Termin Fortschritte erzielt. Hier ist also nicht nur genau das eingetreten und eingehalten, was unser Ministerpräsident auch hier vor dem Bundestag zuvor erklärt hat, sondern noch mehr.
Ich meine, Herr Rau hätte heute Gelegenheit, hier zu Ibbenbüren Stellung zu nehmen, genau wie Herr Albrecht dies im Falle Buschhaus getan hat. Aber, Herr Minister Einert, ich weiß, warum er nicht kommt: Er muß sich noch von dem Reinfall von gestern abend erholen.
({1})
Herr Einert, Sie haben hier Minister Hasselmann erwähnt. Ich bitte Sie, sich von Ihren Zuträgern einmal den Bericht über die Aktuelle Stunde im Niedersächsischen Landtag zeigen zu lassen, die Mitte dieser Woche stattfand.
({2})
Dort hat sich der umweltpolitische Sprecher der Sozialdemokraten sehr unzufrieden mit der Haltung der nordrhein-westfälischen Landesregierung gezeigt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was meinen Sie wohl, was heute hier in diesem Raum los wäre, wenn Ibbenbüren in Niedersachsen und nicht in Nordrhein-Westfalen läge?
({3})
Wie würde Herr Schröder im Niedersächsischen Landtag zuschlagen! Was würden Sie heute hier veranstalten!
({4})
Für mich wird auch in dieser Debatte deutlich - verehrter Herr Vogel, das wissen Sie ja auch -: Bei Herrn Rau klaffen Worte und Taten meilenweit auseinander.
({5})
Das ist übrigens ein wichtiger Grund dafür, daß ihn die Wähler auch nicht zum Bundeskanzler machen möchten.
({6})
Er stellt sich nämlich in Ibbenbüren hin, weil er ja nicht für Kernenergie sein darf und kann, und macht feierlich große Aussagen. Heute stellt sich heraus: Das war leichtfertig, uninformiert, arglos, ohne Sachkompetenz, und es durfte politisch wohl auch gar nicht anders sein. Oder sollte schon zu Beginn etwas vertuscht werden? So ist z. B. in der Antwort der Staatskanzlei in Düsseldorf vom 26. Juni 1986 auf einen sorgenvollen Brief des Osnabrücker Oberstadtdirektors vom 21. Mai 1986 - ich erinnere: Die Mitteilung der RWE an die Landesregierung ist vom 12. Juni; am 15. Juni war übrigens in Niedersachsen Landtagswahl - kein Hinweis auf eine Erhöhung der Schadstoffemission enthalten, sondern es ist vielmehr der gegenteilige Eindruck erweckt worden. Also wurde auch hier noch Tage später eine Vertuschung betrieben. Es soll sogar einige gegeben haben - z. B. im Osnabrücker Land -, die die Worte von Herrn Rau in Ibbenbüren zur Umweltentlastung geglaubt haben.
({7})
Deshalb sind heute beispielsweise auch die Waldbesitzer sehr enttäuscht, ja verbittert.
Weil Herr Rau auf seiner letzten Bonner Pressekonferenz eine klarere Politik gegen die Ausbeutung der Natur gefordert hat, wird auch heute deutlich: Worte und Taten widersprechen sich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe lange darüber nachgedacht, ob es vertretbar ist, Herrn Rau als „Johannes den Täuscher" zu bezeichnen. Aber so, wie das mit dem Kohlekraftwerk in Ibbenbüren gelaufen ist, glaube ich, daß jene recht haben, die dies gesagt haben und jetzt dafür auch Gründe haben.
({8})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1987
- Drucksachen 10/6213, 10/6449 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0})
- Drucksache 10/6420 - Berichterstatter:
Abgeordneter Heyenn bb) Bericht des Haushaltsausschusses
({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/6421 Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler ({2})
Strube
Frau Seiler-Albring
Dr. Müller ({3})
({4})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes
({6})
Bericht der Bundesregierung zur Frage einer Anpassung der Einkommensgrenzen bei den Waisenrenten in der Sozialversicherung an volljährige Waisen in Ausbildung
Bericht der Bundesregierung zur Frage der Notwendigkeit einer Anpassung der im Gesetz bestimmten Höhe der Zahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung für die Krankenversicherung der Rentner an den durchschnittlichen Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung
Gutachten des Sozialbeirats zur Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Juli 1987 und zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzlage der Rentenversicherung bis zum Jahre 2000
- Drucksachen 10/6074, 10/6420 -
Berichterstatter: Abgeordneter Heyenn
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung und anderer sozialrechtlicher Vorschriften ({7})
- Drucksache 10/5957 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({8})
- Drucksache 10/6430 Berichterstatter: Abgeordneter Günther
({9})
d) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Fuchs ({10}), Frau Dr.
Präsident Dr. Jenninger
Däubler-Gmelin, Bachmaier, Frau Blunck, Buschfort, Catenhusen, Delorme, Dr. Diederich ({11}), Dreßler, Egert, Fiebig, Frau Fuchs ({12}), Glombig, Gilges, Frau Dr. Hartenstein, Hauck, Heyenn, Frau Huber, Ibrügger, Immer ({13}), Jaunich, Kirschner, Dr. Klejdzinski, Dr. Kübler, Kuhlwein, Frau Dr. Lepsius, Frau Luuk, Lutz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller ({14}), Frau Odendahl, Peter ({15}), Reimann, Frau Renger, Frau Schmedt ({16}), Frau Schmidt ({17}), Schreiner, Sielaff, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Urbaniak, Frau Weyel, Weinhofer, von der Wiesche, Witek, Wolfram ({18}), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung eines Kindererziehungsjahres in der gesetzlichen Rentenversicherung für ältere Frauen ({19})
- Drucksache 10/5571 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({20})
- Drucksache 10/6431 - Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dempwolf
Heyenn
bb) Bericht des Haushaltsausschusses
({21}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/6432 - Berichterstatter:
Abgeordnete Strube
Frau Seiler-Albring
Dr. Müller ({22})
Sieler ({23})
({24})
e) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD
Strukturreform der Alterssicherung
- Drucksachen 10/5857, 10/6294 Zu den Tagesordnungspunkten 37d und 37e liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/6423 und 10/6433 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 37 a bis 37 e 90 Minuten vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist an sich nicht meine Gewohnheit, eine Rede zu halten, die schnell und möglichst ohne Störungen vorgetragen werden soll. Heute geht es aber nicht anders, weil ich nur 20 Minuten Zeit habe, um ein Konzept vorzutragen, und weil mir daran liegt, daß das Konzept in der mir zur Verfügung stehenden Zeit möglichst vollständig vorgetragen wird.
Neben den Gesetzesvorlagen, über die hier zu entscheiden sind und denen wir zustimmen werden, haben Bundesregierung und Parlament heute vor allem den Bürgerinnen und Bürgern zu den mittel-und längerfristigen Zukunftsproblemen unserer Alterssicherung Rede und Antwort zu stehen. Eine solche Parlamentsdebatte zu führen, ist der Sinn der Großen Anfrage, die meine Fraktion eingebracht hat. Hier ist eine verbundene Debatte mit unzureichender Zeit vorgesehen,
({0})
offensichtlich mit der Absicht, daß zum Schluß keiner mehr weiß, was hinten und vorne ist.
({1})
Es sollen Nebelkerzen geworfen werden. Für meinen Teil jedenfalls werde ich versuchen, das zu verhindern.
Es trifft zwar zu, daß im Augenblick die Löcher in den Rentenkassen gestopft sind. Es war ja nach insgesamt vier Spargesetzen auf Kosten der Rentner und zu Lasten der Versicherten nun auch Zeit. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat erst jüngst verdeutlicht, daß es sich bei der Besserung der Finanzlage lediglich um ein Zwischenhoch handelt. Die von Herrn Minister Blüm vielgerühmte Sicherheit der Renten dauert nur bis 1990. Bis dahin ist eine Strukturreform der Rentenversicherung unabweisbar. Das heißt, diese Reform muß in der nächsten Wahlperiode beschlossen werden. Die eigenen Berechnungen der Bundesregierung zeigen den unabweisbaren Handlungsbedarf. In keiner einzigen der 15 Varianten des Rentenanpassungsberichts, von denen einige von völlig unrealistischen Arbeitsmarkthypothesen ausgehen, reicht die finanzielle Deckung weiter als bis in die Mitte der neunziger Jahre.
({2})
Für das Ende des 15-Jahres-Zeitraumes fehlen in der Rechnung der Bundesregierung zur Erfüllung der vorgeschriebenen Mindestschwankungsreserve im günstigsten Falle rund 139 Milliarden DM, im ungünstigsten Falle sogar sage und schreibe 276 Milliarden DM. Die Vorausberechnungen bis zum Jahre 2030, die die Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion hin angestellt hat, zeigen, daß das nur der Anfang der finanziellen Probleme ist. Nach der Jahrtausendwende ist mit einer kontinuierlich und stark steigenden finanziellen Belastung der Alterssicherungssysteme zu rechnen.
Deshalb, meine Damen und Herren, haben die Wähler, die ja meistens auch Beitragszahler oder Rentner sind,
({3})
das Recht, vor der Bundestagswahl 1987 zu erfahren, wie es auf Dauer weitergehen soll.
({4})
- Was hat das mit meiner Heimatstadt Hamburg zu tun? Auch die Hamburger möchten gerne wissen, wen sie am 25. Januar wählen sollen, und zwar gilt das für die SPD genauso wie für die CDU/CSU. Ich meine, Sie würden nie in Hamburg gewählt werden.
({5})
Die Parteien, die sich um das Vertrauen der Wähler bemühen, und die Bundesregierung, die im Amt bestätigt werden möchte, müssen vor der Wahl Klarheit schaffen, wie sie die Renten langfristig sichern wollen. Leider müssen wir feststellen, daß die Bundesregierung die öffentliche Diskussion scheut. Entweder ist sie unfähig zu einem Konzept, oder sie hat etwas zu verbergen, nämlich fertige Pläne für eine neue Welle des Sozialabbaus in der nächsten Wahlperiode.
({6})
Sie, Herr Bundesarbeitsminister, haben vor dreieinhalb Jahren, am 5. Mai 1983, hier im Bundestag erklärt: „Ich will die Rente nicht nur für 1984 sicher machen, sondern ich will sie bis ins Jahr 2000 sicher machen." Was ist daraus geworden? Dreieinhalb Jahre Flickschusterei und Finanzschieberei. Sie hatten dreieinhalb Jahre Zeit, Sie hatten komfortable Mehrheiten im Bundestag und vor allem im Bundesrat. Sie hatten kooperationsbereite Sozialpartner und eine Opposition, die zur Zusammenarbeit bereit war und mit einem eigenen Gesetzentwurf konzeptionelle Pionierarbeit und damit eine politische Vorleistung erbracht hat. Sie hatten die Chance, die Strukturreform durchzubringen, und haben sie nicht genutzt.
Jetzt stehen Sie, wie die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zeigt, mit leeren Händen da. Die Bundesregierung weiß praktisch auf keine unserer konkreten Fragen eine einzige konkrete Antwort.
({7})
Statt dessen hat die Bundesregierung lediglich Seite um Seite der Bundestagsdrucksache auf Kosten des Steuerzahlers mit Parteipropaganda gefüllt.
({8})
Ich kann aus Zeitgründen nur einige besonders wichtige Fragen aufzählen, die die Bundesregierung unbeantwortet gelassen hat. Es gibt keine konkrete Antwort auf die Fragen nach der künftigen Rentenformel. Es ist offen, ob die Bundesregierung von der bruttolohnbezogenen Rente nun endgültig Abschied nehmen will, ob und wie sie diese bruttolohnbezogene Rente modifizieren will, ob sie eine Nettoanpassung will oder ob sie weiterhin die Rentenanpassungen und die Rentenhöhe wie in den letzten Jahren mit Hilfe aller möglichen Tricks je nach Kassenlage manipulieren will.
({9})
Die Bundesregierung sagt nicht, welches Rentenniveau sie anstrebt. Es ist offen, ob sie das Rentenniveau angesichts wachsender demographischer Belastungen absinken lassen will oder ob die Rentner damit rechnen können, auch künftig an der Einkommensentwicklung angemessen beteiligt zu werden.
Die Bundesregierung schafft keinerlei Klarheit in der Frage des Bundeszuschusses. Offenbar lehnt der Bundesfinanzminister eine Beteiligung des Bundeshaushalts am demographischen Risiko der Rentenversicherung weiterhin kategorisch ab. Der Bundesarbeitsminister hat im Streit der Ressorts bei dieser zentralen Frage den kürzeren gezogen. Damit aber wäre das Bekenntnis der Bundesregierung zum Grundsatz der sozialen Ausgewogenheit als hohle Phrase entlarvt. Wir müssen feststellen, daß nach dem Willen der Bundesregierung die Rentner und Arbeitnehmer offensichtlich die Sicherung der Finanzierung ihrer Altersversorgung alleine bezahlen sollen, während diejenigen mit höherem Einkommen, das nicht der Beitragspflicht unterworfen ist, von zusätzlichen Belastungen freibleiben sollen.
({10})
Mit ihrer ausweichenden Antwort zur Frage des Bundeszuschusses setzt sich die Bundesregierung sogar dem Verdacht aus, daß sie mit Hilfe des Konzepts der Erstattung sogenannter versicherungsfremder Leistungen auf einen Rückzug des Bundes aus der Rentenfinanzierung spekuliert; denn es ist ein offenes Geheimnis, daß diese sogenannten versicherungsfremden Leistungen - was immer man darunter im einzelnen verstehen mag - schon allein wegen der allmählich auslaufenden Kriegsfolgelasten langfristig relativ an Gewicht verlieren.
Die Bundesregierung gibt keine Antwort auf die Frage nach ihren Absichten zur Rentenbesteuerung. Sie hält sich das Hintertürchen offen, daß die Rentner künftig vom Finanzamt verstärkt zur Kasse gebeten werden, um damit auch weiterhin, wie sie es in den vergangenen Jahren vielfach praktiziert hat, die Steuerentlastungen für Spitzenverdiener und Wahlgeschenke für die Klientel der Koalitionsparteien mit finanzieren zu können.
Die Bundesregierung weigert sich, ihre Pläne zur Reform der beitragslosen Zeiten zu verdeutlichen. Dadurch wird der Verdacht bestätigt, daß sie vor allem den Arbeitnehmern, deren Versicherungsbiographie z. B. durch Arbeitslosigkeit oder Krankheit unterbrochen wird, die Kosten der Neuregelung der Rentenversicherung aufbürden will; denn es fehlt eine klare Aussage darüber, daß die Bewertung der Ausbildungsausfallzeiten auf das sozialpolitisch vertretbare Maß, nämlich 75 % des Durchschnittseinkommens, zurückgeführt werden soll.
Die Bundesregierung schafft keine Klarheit in der Frage der Altersgrenzen. Sie weigert sich, eine
Erhöhung der Altersgrenzen zumindest so lange auszuschließen, wie weiterhin hohe Arbeitslosigkeit besteht. Dieses Versteckspiel bestätigt außerdem den Verdacht, daß sich die Bundesregierung - auch unabhängig von einem positiven Ausgang des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht - weiterhin die Option offenhält, das vorgezogene Altersruhegeld mit dem 60. Lebensjahr für Frauen abzuschaffen, so wie es ausweislich eines uns vorliegenden schriftlichen Ergebnisprotokolls eines Gespräches vom 13. Juni 1983 zwischen den Bundesministern Blüm, Stoltenberg und Graf Lambsdorff verabredet worden ist. Daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage nicht zu einem klärenden Wort bereit ist, beweist, daß dieser Plan nach der Bundestagswahl erneut aus der Schublade gezogen wird, wenn sich eine CDU/CSUFDP-Bundesregierung wieder im Amt befinden sollte, was wir verhindern mögen.
({11}) - Wollen.
({12})
Die Bundesregierung vermeidet jede Stellungnahme zur Problematik der Harmonisierung der Alterssicherungssysteme. Sie weigert sich, endlich zu den Vorschlägen der Sachverständigenkommission „Alterssicherungssysteme" Stellung zu nehmen. Bei ihr scheint immer noch nicht die Einsicht durchgedrungen zu sein, daß die wachsende Alterslast nicht allein ein Problem der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern ein Problem aller Systeme der Alterssicherung ist. Ganz offensichtlich stellt sich der Bundesarbeitsminister darauf ein, daß die Alterssicherung der Arbeitnehmer durch Beitragserhöhungen und Abflachung der Rentenanpassung einseitig immer weiter verschlechtert wird,
({13})
während die ohnehin viel besser ausgestalteten Sonder- und Zusatzversorgungssysteme, beispielsweise des öffentlichen Dienstes, tabu bleiben sollen. Wenn die Bundesregierung auf unsere Große Anfrage eine vernünftige Antwort gegeben hätte, dann bedürfte es dieser sogenannten Schwarzmalerei nicht.
({14})
Auf Grund dieser Tatsache sind wir geradezu verpflichtet, auf diese Gefahren hinzuweisen.
({15})
Sie sollten sich mehr mit diesen Problemen beschäftigen, damit Sie wissen, welche Zwischenrufe Sie machen.
Sogar unsere Frage, ob es nach Auffassung der Bundesregierung überhaupt eine in einem Gesetzespaket zusammengefaßte umfassende Strukturreform geben soll, bleibt ohne klare Antwort.
({16})
Das heißt im Klartext: Wenn eine CDU/CSU-FDPBundesregierung nach der Bundestagswahl wieder amtieren sollte - ich sage noch einmal: was wir verhindern wollen -,
({17})
dann wird sie sich überhaupt nicht um eine langfristig tragfähige und sozial ausgewogene Reform aus einem Guß bemühen. Vielmehr möchte sie nach bewährter Salamitaktik von Fall zu Fall dort am sozialen Netz herumschnippeln, wo sie am ehesten und mit dem geringsten politischen Widerstand Geld einsammeln kann.
({18})
Dies heißt nach allen bisherigen Erfahrungen, daß die Sicherung der Renten nach wie vor einseitig zu Lasten der sozial Schwachen gehen soll.
({19})
Präzise und eindeutig ist die Antwort der Bundesregierung leider nur dort, wo sie sozialpolitisch sinnvolle Reformansätze ablehnt. Das gilt z. B. für die Wiedereinführung von Rentenversicherungsbeiträgen der Bundesanstalt für Arbeit für die Arbeitslosen;
({20})
eine Forderung, die bekanntlich von der Selbstverwaltung der Rentenversicherung, den Gewerkschaften und den Arbeitgebern, einmütig getragen wird.
Ganz besonders kennzeichnend ist, daß Sie, Herr Bundesarbeitsminister, dort besonders eindeutig und klar werden, wo es darum geht, Verbesserungen für Rentner mit niedrigem Einkommen abzulehnen.
({21})
Sei es bei der Rente nach Mindesteinkommen, sei es bei der Einführung einer sozialen Grundsicherung, unbarmherzig, und ich sage: kaltschnäuzig,
({22})
benutzen Sie die gleichen rechtssystematischen Einwände der Rentenversicherung als Instrument zur sozialen Ausgrenzung und Altersarmut, gegen die Sie selber bei anderer Gelegenheit bedenkenlos verstoßen haben,
({23})
z. B. als Sie bei anderer Gelegenheit mit einem Federstrich Ansprüche auf Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten insbesondere für Frauen beseitigt haben oder als sie die Bedürftigkeitsprüfung bei den beitragsfinanzierten und lohnbezogen berechneten Witwenrenten eingeführt haben.
Die Antwort auf unsere Große Anfrage zeigt: Bundesregierung und Koalitionsparteien haben nicht nur in den vier Jahren seit der Wende keine langfristig tragfähige und sozial ausgewogene Reform zustande gebracht, sie würden sie auch nach der Bundestagswahl nicht zustande bringen. Dazu
fehlen ihnen der politische Wille und der innere Konsens.
({24})
- Sie haben doch noch einen Koalitionspartner. Mit dem wollen Sie doch weiterregieren.
({25})
Die SPD ist nach wie vor die einzige politische Kraft, die über ein klares und realistisches Reformkonzept verfügt. Hoffentlich bestreiten Sie das zumindest nicht.
Nach unserer Auffassung muß eine Strukturreform der Alterssicherung folgende Eckwerte enthalten:
Erstens die Wiederherstellung voller Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit für Arbeitslose;
({26})
denn ohne eine bessere Absicherung der Rentenversicherung gegenüber Konjunkturschwankungen und ohne risikogerechte Finanzierung der durch Arbeitslosigkeit bedingten Beitragsausfälle kann das Rentenversicherungssystem nicht dauerhaft stabilisiert werden.
({27})
Zweitens eine neue Rentenformel, die gewährleistet, daß auch die Rentner an der demographisch bedingten Steigerung des Beitragssatzes durch eine entsprechende Absenkung des Anpassungsgesetzes beteiligt werden.
({28})
- Ja, Sie sind immer nur im Negativen mit uns d'accord! Das ist mir völlig klar. Immer nur dann!
({29})
Drittens die Beteiligung des Bundes am demographischen Risiko. Wenn der Beitragssatz steigt, soll auch der Bundeszuschuß gegenüber dem geltenden Recht entsprechend erhöht werden. - Ich warte auf Ihren Beifall!
({30})
Viertens die Schaffung eines automatischen Regelmechanismus, der sicherstellt, daß die vom Gesetzgeber einmal getroffene Grundsatzentscheidung über die sozial ausgewogene Lastenverteilung langfristig Bestand hat. Dazu sollen Beitragssatz, Bundeszuschuß und Rentenanpassung auf Grund genauer gesetzlicher Vorgaben durch Rechtsverordnungen der Bundesregierung so aufeinander abgestimmt werden, daß ständige Reparatureingriffe des Gesetzgebers überflüssig werden.
({31})
- Na, gut!
Fünftens Ausbau der Rente nach Mindesteinkommen zur Dauerlösung. Auch da hoffe ich auf Ihr „D'accord"; denn die langfristig aus finanziellen Gründen notwendige Abflachung des Rentenanstiegs gegenüber der früheren reinen Bruttolohndynamik erfordert eine soziale Flankierung zugunsten der Kleinrentner.
({32}) Nun, bitte, Beifall!
Sechstens die schrittweise Harmonisierung der verschiedenen Alterssicherungssysteme - auch da erwarte ich Ihren Beifall; denn ohne Angleichung der verschiedenen Systeme ist es nicht möglich, die Generationensolidarität langfristig zu sichern. Wir hätten darüber längst reden können. Sie sind diesem Gespräch ausgewichen.
({33})
- Seit 1983, praktisch seit diese Wende-Regierung im Amt ist, liegt das Gutachten der Kommission „Alterssicherungssysteme" vor, die doch eigens dafür eingesetzt worden ist und in der Ihr Kollege Günther mitgearbeitet hat.
({34})
Das Ergebnis liegt seit 1983 vor. Nun reden Sie doch nicht so etwas!
Diese Notwendigkeit ergibt sich schon aus der Tatsache, daß die ungünstiger werdende Altersstruktur keineswegs allein die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten betrifft, sondern ebenso z. B. die Beamtenversorgung,
({35})
die Altershilfe der Landwirte und die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes.
Zur Harmonisierung gehört auch die ernsthafte Prüfung des Vorschlages der Kommission „Alterssicherungssysteme", einen Altersversorgungsbeitrag für Beamte einzuführen, allerdings nur bei Gewährung eines sozialen Ausgleichs für die Beamten der unteren Besoldungsgruppen.
({36})
Ich erwähne die Harmonisierung, ohne auf weitere Details einzugehen, damit nicht der Eindruck entsteht, ich hätte diese wichtige und nahezu einstimmig beschlossene Empfehlung der Sachverständigenkommission „Alterssicherungssysteme" unter dem Eindruck des Wahlkampfes vergessen. Meine Damen und Herren, Ehrlichkeit tut not, und zwar für uns alle. Sie wird von den Wählern erwartet.
Siebentens den Wertschöpfungsbeitrag. Damit sollen die für die Finanzierung der Alterssicherung
notwendigen Konsequenzen aus dem technologischen Wandel gezogen werden. Im Prinzip kommt es darauf an, die Rentner und die Beitragszahler am Ertrag des technischen Fortschritts, in dessen Folge Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzt werden, teilhaben zu lassen.
({37})
Achtens die Einführung einer sozialen Grundsicherung bei Alter und Invalidität. Damit wollen wir das Versicherungsprinzip keinesfalls aufheben. Dies ist etwas anderes als die Forderung einer Grundrente von seiten der GRÜNEN, von seiten Herrn Bangemanns oder von seiten Herrn Biedenkopfs.
({38})
Dies ist etwas anderes! Wir schlagen vor, nur in den Fällen, in denen die Rente für eine angemessene und bescheidene Lebenshaltung nicht ausreicht oder in denen überhaupt kein Rentenanspruch erworben werden konnte, in Ergänzung oder an Stelle der Versichertenrente eine soziale Grundsicherung durch die Rentenversicherung zahlen zu lassen, ich betone: zahlen zu lassen.
({39})
- Nun reden Sie doch nicht so etwas, Herr Bueb! Ich kann doch hier nicht mit Rentenhöhen kommen, die gar nicht bezahlbar sind. Das werde ich den Wählern nicht vorgaukeln. ({40})
Dabei soll sonstiges Einkommen auf die Leistung der sozialen Grundsicherung angerechnet werden. Die Aufwendungen für die soziale Grundsicherung sollen nicht von den Beitragszahlern getragen werden, sondern aus Mitteln des Bundeshaushalts kommen.
Meine Damen und Herren, ich kann feststellen: Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zeigt ebenso wie die Rentenpolitik der CDU/CSU-FDP-Koalition, die wir in der Vergangenheit über uns haben ergehen lassen müssen, daß es zum sozialdemokratischen Konzept einer Reform der Alterssicherung keinerlei vernünftige und sozial vertretbare Alternative gibt.
Das gilt übrigens auch für die GRÜNEN. Die Bundesregierung steht mit leeren Händen da, und die GRÜNEN bieten dauernd wechselnde Konzepte zur Grundsicherung an.
({41})
Da weiß zum Schluß ohnehin kein Mensch mehr, was die GRÜNEN nun eigentlich wollen.
({42})
Den begründeten Verdacht, daß im Falle eines konservativ-wirtschaftsliberalen Wahlsieges - den wir, das sage ich noch einmal, verhindern möchten und hoffentlich
({43}) - ja, hoffentlich auch verhindern werden -
Frau Kollegin, die endgültige Formulierung müssen Sie dem Redner überlassen.
Ich bin ja für jeden freundlichen Zuspruch dankbar.
Ich habe gesagt, den begründeten Verdacht, daß im Falle eines konservativ-wirtschaftsliberalen Wahlsieges neue soziale Einschnitte wie z. B. verschärfte Rentenbesteuerung, Anhebung der Altersgrenzen oder Verschlechterung des Rentenniveaus bevorstehen, hat die Bundesregierung nicht ausräumen können. Wer wirklich sichere Renten haben will, darf den Sirenengesängen,
({0})
Herr Kollege Cronenberg, des Herrn Blüm nicht folgen, der - dies ist auch ein kontinuierlicher Vorgang der letzten Jahre - den Wählern Sand in die Augen streut, den Wählern etwas vormacht,
({1})
d. h. den Wählern sagt, wir tun alles, um die sozialen Leistungen zu verbessern und die Stellung der Arbeitnehmer zu verbessern,
({2})
obwohl dies alles nur dem Sozialabbau und dem Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten dient.
({3})
- Ja, das ist wahr. - Die Wähler dürfen also den Sirenengesängen des Herrn Blüm nicht folgen,
({4})
sondern müssen dieser Bundesregierung das Vertrauen entziehen.
Mir tut es außerordentlich leid, und ich bitte dafür um mildernde Umstände, daß ich keine andere Wahl hatte, als dies in diesem Tempo und ohne hier Zwischenfragen zuzulassen
({5})
- die gar nicht erbeten worden sind; ich hatte gleich darum gebeten, es nicht zu tun -, in dieser Weise hier ablaufen zu lassen.
({6})
- Sonst hätte ich ja wohl damit rechnen müssen. - Ich finde das - ich muß es ganz offen sagen - skandalös, daß eine Große Anfrage einer Fraktion der Opposition unter diesem Zeitdruck mit allen anderen Gesetzentwürfen zusammengewürfelt in dieser Weise hier behandelt werden muß.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Pohlmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe fünf Legislaturperioden dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung angehört,
({0})
einem Ausschuß, der sicherlich zu den fleißigsten und den arbeitsintensivsten gehörte. In diesen vielen Jahren hat es manchen harten politischen Kampf gegeben, ohne den auch Fortschritt nicht möglich wäre, aber - ich möchte das hier ausdrücklich hervorheben - es hat auch ein hohes Maß an Kollegialität gegeben, wofür ich mich ausdrücklich bedanke, insbesondere auch bei dem Vorsitzenden dieses Ausschusses, Herrn Glombig,
({1})
obwohl Sie auch zum Schluß Ihrer langen Amtszeit hier im Deutschen Bundestag nicht gerade freundlich mit uns umgegangen sind. Aber wir kennen Sie und schätzen Sie, Herr Glombig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich, in meiner letzten Rede vor diesem Hohen Haus zum Thema der Anerkennung der Kindererziehungszeiten im Rentenrecht sprechen zu können, einer Sache, die der Arbeitsminister Blüm zu Recht, wie ich meine, als den großen sozialpolitischen Fortschritt bezeichnet hat. Sie wissen, daß wir allen Müttern helfen wollen, auch den Müttern, die vor 1921 geboren sind, auch den Müttern, die in ihrem Leben vielleicht keinen eigenen Rentenanspruch erworben haben. Sie kennen unsere Stufenregelung. Wegen der Kürze der Zeit kann ich sie hier nicht noch einmal darstellen. Wichtig ist aber, daß nach unseren Vorstellungen in vier Jahren bei allen - und ich betone hier: bei allen - Müttern Kindererziehungszeiten anerkannt werden.
({2}) Das ist ein großer Schritt nach vorn.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß unsere Regelung trotzdem nicht überall auf Zustimmung stoßen wird. Aber auch in der Sozialpolitik sollte das erste Gebot Solidarität heißen. Solidarität ist auch dann unerläßlich,
({3})
wenn die Schatten des Wahlkampfes schon tief fallen. Die schlimmen Folgen, wenn man Sozialpolitik zu kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung benutzt, ohne die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherung unseres Volkes in die Zukunft hinein im Auge zu behalten, haben wir bitter zu spüren bekommen. Schmerzhafte Reparaturen waren notwendig.
Deswegen lassen Sie mich den Wunsch äußern, daß wir der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherung immer einen hohen Rang einräumen, auch vor den vielen Wünschen, die Sie wie wir in bezug auf die Fortentwicklung der Sozialpolitik haben. Man kann nur das verteilen, was man wirklich in der Kasse hat.
({4})
Das Thema Anrechnung der Kindererziehungszeiten ist im Grunde kein Feld für Polemik. Nach meiner Überzeugung hätte es auch einen breiten Konsens verdient. Deswegen bedaure ich, daß Sie versuchen, aus dieser Sache Wahlkampfkapital zu schlagen. Auf der einen Seite wecken Sie bewußt Emotionen nach dem Motto: Diese böse Regierung läßt jene Generation von Müttern, die Aufbauarbeit geleistet haben, die in schwierigen Zeiten ihre Kinder großziehen mußten, im Stich.
({5})
Auf der anderen Seite - das ist im Grunde das Infame - verschweigen Sie, daß Ihr Gesetzentwurf mit der scheußlichen Bezeichnung „Trümmerfrauen-Babyjahrgesetz" 700 000 Mütter ausgrenzt, die deshalb keinen Pfennig erhalten, weil ihnen keine Rente zusteht.
({6})
Die Mutter, die nicht berufstätig war, aber beispielsweise sieben Kinder geboren und erzogen hat, geht bei Ihnen leer aus.
({7})
Ich finde das höchst ungerecht und unsozial.
Nehmen sie die Handwerkerfrau, nehmen Sie die Landfrau, die Witwe eines Postboten, die Witwe eines kleinen Einzelhändlers, der nicht der Rentenversicherung angehörte: Alle diese Müttter bekommen nach Ihren Vorstellungen nichts, auch nicht einmal stufenweise.
Sie wollen ferner den Zuschlag zur Witwenrente nur geben, wenn der Mann am 1. Januar 1986 tot war. Stirbt er später, beispielsweise 1987 oder 1988, erhält die Frau keinen Pfennig, egal wie viele Kinder sie in ihrem Leben großgezogen hat.
({8})
Ich finde, das ist ein schreiendes Unrecht, für das es im Grunde keine einzige vernünftige Begründung gibt.
({9})
Sie wollen die Kriegerwitwen, die in der schweren Nachkriegszeit ihre Kinder alleine aufgezogen und die vor 1986 wieder geheiratet haben, leer ausgehen lassen.
({10})
Sie werden verstehen, daß wir unter diesen Umständen - ich habe nur einige wenige Gründe genannt - Ihrem Gesetzentwurf unsere Zustimmung
versagen müssen. Sie setzen mit Ihrem Gesetzentwurf genau die Tradition des Modells eines Babyjahrs von 1972 fort, das nur denjenigen zugute kommen sollte, die auch ohne Anrechnung von Kindererziehungszeiten bereits einen Rentenanspruch hatten.
({11})
Sie begünstigen nach wie vor praktisch nur die erwerbstätigen Frauen und nicht die Hausfrauen.
({12})
Lassen Sie mich auch folgendes deutlich sagen: Ihre Vorstellungen sind finanziell unvertretbar. Das, was Sie vorschlagen, ist nicht solide.
Ein weiterer Grund für unser Nein ist die Tatsache, daß Sie mit Ihrem Entwurf dem Zufall Tür und Tor öffnen. Es ist nämlich nicht damit getan, einfach die Jahrgangsgrenze zu streichen; denn dann müßten auf einen Schlag die Versicherungsbiographien von mehr als 4 000 000 Frauen neu erstellt oder neu aufgearbeitet werden. Das erfordert einen immensen Verwaltungs- und Zeitaufwand.
({13})
Aber es wäre reiner Zufall, ob auch vor 1921 geborene Mütter alsbald nach Inkrafttreten des Gesetzes, ein Jahr später, zwei Jahre später oder noch später in den Genuß der Rentenerhöhung kommen. Was Sie vorschlagen, ist eine Stufenlösung nach dem Zufallsprinzip. Da wollen wir nicht.
({14})
Lassen Sie mich auch diese Frage noch stellen, meine Damen und Herren von der Opposition: Wie halten Sie es eigentlich mit den Müttern, die nicht bereits Rente beziehen und weniger als fünf Kinder haben, die also ihre Versicherungszeiten nachweisen und gegebenenfalls Nachversicherungsbeiträge leisten müßten? Ich frage Sie: Wollen Sie das wirklich alles den 70jährigen, den 80jährigen oder den älteren Frauen zumuten? Wollen Sie das wirklich? In Ihrem Entwurf steht das.
({15})
Wir lehnen das ab, weil wir es für die älteren Menschen für unzumutbar halten.
Bei uns bekommen die älteren Mütter das Baby-j ahr unabhängig von erziehungsrechtlichen Voraussetzungen und unabhängig von Beitragsnachentrichtungen oder anderen Bedingungen. Sie bekommen ohne Wenn und Aber pro Kindererziehungsjahr 25 DM. Die Alteren kommen als erste an die Reihe; das halte ich für sachangemessen und gerecht.
({16})
Meine Damen und Herren, ich habe an dem berühmten Wahlsonntag Herrn Brandt sehr aufmerksam zugehört. Er will das Thema „mehr Gerechtigkeit" in den nächsten Wochen deutlicher ansprechen.
({17})
Hoffentlich vergißt Herr Brandt nicht, darauf hinzuweisen, daß Sie in den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit für die Mütter nichts getan haben, obwohl die Kassen damals voll waren.
({18})
Wir wollen in der Tat mit unserer Regelung mehr Gerechtigkeit schaffen. Wir reden nicht darüber, sondern wir schlagen hier ein neues Kapitel „mehr Gerechtigkeit" auf;
({19})
denn die größte Ungerechtigkeit sind überhaupt keine Kindererziehungszeiten oder Kindererziehungszeiten für eine bestimmte Gruppe von Müttern.
({20})
Hier hätten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, eine große Chance, den vielen Worten Taten folgen zu lassen. Sie kritisieren aber nur, obwohl Sie selbst nichts zustande gebracht haben.
({21})
Das ist keine vernünftige, das ist keine gute Opposition. Sie sehen den Wahlkampf, Sie sehen den 25. Januar und nutzen jede Gelegenheit, die ältere Generation zu verunsichern.
({22})
Ich sage noch einmal, dieses Thema, verehrter Herr Glombig, hätte breiten Konsens verdient. Wir wollen den sozialen Fortschritt, und zwar Schritt für Schritt, mit Augenmaß für das finanziell Mögliche.
({23})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Ich bin am Ende meiner Redezeit.
({0})
Ich bin sicher, daß die Mehrheit der älteren Generation Verständnis für unseren Weg hat und letztlich der soliden Politik und nicht der Politik der leeren Versprechungen ihre Zustimmung geben wird.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren! Wie alle Jahre wieder gerät die Rentenanpassung zum ungerechten Geschäft auf Kosten der armen Alten, vor allen Dingen der armen alten Frauen. Die Bun19140
desregierung spricht von effektiven 3 % Erhöhung zum 1. Juli 1987.
({0})
Sie weiß genau, daß bis in die Mitte des kommenden Jahres noch die geringere Anpassung von diesem Jahr Gültigkeit hat. Das heißt im Klartext: Im kommenden Jahr bekommen die Rentnerinnen und Rentner höchstens 2,2 % mehr.
Vor dem Hintergrund der grassierenden Altersarmut ist eine derartige lineare Anpassung sozial ungerecht. Solange zwei Drittel aller Rentnerinnen in der Arbeiterrentenversicherung eine Rente von weniger als 500 DM beziehen, solange ein Drittel aller Rentnerinnen in der Angestelltenversicherung unter 500 DM Rente bekommen und solange selbst bei den angeblich überversorgten Doppelverdienerinnen, den Bezieherinnen einer Versicherten- und einer Hinterbliebenenrente, knapp die Hälfte, nämlich 47 %, ein Gesamteinkommen von unter 1 000 DM bezieht, so lange ist eine Rentenanpassung, die den Kleinstrentnerinnen und -rentnern erheblich weniger zukommen läßt als den Beziehern von höheren Renten, eine soziale Sauerei.
({1})
Für die Fraktion der GRÜNEN ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Bekämpfung der Altersarmut der entscheidende Blickwinkel für alle Rentenreformpläne.
Laut Bundesregierung - so steht es im Rentenanpassungsbericht 1986 - ist bis 1990 alles in Ordnung: Die Renten könnten bezahlt werden. Doch hinter dieser tröstlichen Grenze geht es dann los: Da spricht der Sozialbeirat von einem absehbaren Defizit von rund 200 Milliarden DM pro Jahr. Der Spruch von Blüm: „Die Renten sind sicher" entpuppt sich als glatte Rentenlüge. Schuld soll wieder einmal die sinkende Bevölkerungszahl und die steigende Lebenserwartung der Alten sein; 100 Erwerbstätige müßten im Jahre 2020 dann 59 Rentner und Rentnerinnen versorgen.
Bei dieser Rechnung bleiben die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger unberücksichtigt.
({2})
Deren Einrechnung würde nämlich das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnerinnen und Rentnern erheblich verändern.
Kein Wort auch zur Entwicklung der Frauenerwerbsquote, die bei uns bei 50 %, in Schweden aber weit über 80 % liegt! Die GRÜNEN fordern, daß allen Frauen, die erwerbstätig sein wollen, dies ermöglicht wird. Wir wollen deshalb Frauen von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit der Kindererziehung und der Pflege von Alten und Behinderten entlasten.
({3})
Wir fordern deshalb ein Betreuungsgeld für Kindererziehung von durchschnittlich 1 400 DM pro Monat. Dadurch wird Alleinerziehenden wie in Ehe oder eheähnlicher Gemeinschaft lebender Eltern die Möglichkeit eröffnet, sich zumindest zeitweilig der Erziehung ihrer Kinder zu widmen, ohne den Arbeitsplatz zu verlieren, ohne Benachteiligung bei der sozialen Sicherung hinnehmen zu müssen und ohne auf eine private Unterhaltsleistung angewiesen zu sein. Hinzukommen muß bei dieser Regelung die Arbeitsplatzgarantie.
Wir fordern zur Pflege von Alten und Behinderten ausreichende Mittel, damit Pflegende - meistens sind es in unserer Gesellschaft ja die Frauen - entlastet werden, und wir fordern eine drastische Arbeitszeitverkürzung und Verminderung der Überstunden in der Wirtschaft, um den jetzigen Arbeitslosen und vor allen Dingen den Frauen einen Arbeitsplatz zu garantieren, darüber hinaus aber den Frauen zu ermöglichen, erwerbstätig zu werden.
Die Frauenerwerbsquote würde dadurch deutlich steigen. Das Problem der Rentenfinanzierung könnte damit mit Sicherheit drastisch gemildert werden. Die Frauen könnten sich darüber hinaus eine eigenständige Rente erwerben.
Kein Wort im Rentenanpassungsbericht dazu, daß sich auf Grund der fortschreitenden Rationalisierung zunehmend mehr Unternehmen aus der sozialen Verantwortung stehlen und nur noch geringe oder überhaupt keine Beiträge mehr zur Sozialversicherung entrichten! Dringend geboten ist hier die Umstellung auf eine Bruttowertschöpfungssteuer - aber ganz; nicht nur teilweise, wie von der SPD gefordert.
Kein Wort auch zur Harmonisierung der Alterssicherungssysteme, die geboten ist, um Privilegien abzubauen und eine gerechte Umverteilung von oben nach unten zu betreiben!
({4})
Statt dessen der hirnrissige Vorschlag des Sozialbeirats, die Rentenaltersgrenze auf mindestens 65 Jahre hinaufzusetzen. Derartige Überlegungen machen deutlich, wie zynisch diese Sozialtechnokraten mit den Lebensplänen der Menschen umgehen.
({5})
So wurden in den letzten Jahren immer mehr ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, teils sogar mit staatlichen Bonbons wie dem Vorruhestands-geld, weit früher in Rente geschickt. Jetzt soll alles wieder ganz anders werden. Jetzt sollen sie arbeiten, bis sie in den Sarg kommen. Zudem würden sich durch eine Heraufsetzung der Altersgrenze die Erwerbstätigenquote und damit die Arbeitslosenquote erhöhen.
Der Vorschlag der GRÜNEN für eine Strukturreform der Rentenversicherung mit dem Ziel einer steuerfinanzierten Grundrente sowie einer darauf aufbauenden beitragsfinanzierten Zusatzrente würde viele Probleme lösen. Als Sofortmaßnahme schlagen wir eine bedarfsabhängige Mindestrente von 1200 DM für Alleinstehende vor. Wie in SchweBueb
den oder auch in Holland wäre damit das Problem
der Altersarmut behoben und existierte endlich für
alle Frauen eine eigenständige Sicherung im Alter.
Vor diesem Hintergrund wird auch der klägliche Charakter der gleichzeitig hier zu beratenden SPDInitiative für ein „Trümmmerfrauen-Babyjahrgesetz" deutlich.
({6})
Die GRÜNEN entziehen sich dem Vorschlag der SPD gleichwohl nicht, weil er eine strukturelle Verbesserung bedeutet.
({7})
Trotzdem: Wir finden es bezeichnend, daß die SPD eine solche Maßnahme während ihrer dreizehnjährigen Regierungszeit nicht vorgesehen hatte.
({8})
Der Vorschlag der Bundesregierung, die bescheidenen 25 DM pro Kind an Rentenzuschlag nur stufenweise an die vor 1921 geborenen Frauen zu zahlen, ist natürlich eine Spekulation mit dem Tod der Hochbetagten.
({9})
4,6 Millionen alte Mütter gehen nach dem Modell der Bundesregierung im Jahre 1986 leer aus.
({10})
Soweit ist es sozial nur gerecht, alle alten Mütter sofort in den Genuß des Babyjahres kommen zu lassen.
Im GRÜNEN-Rentenmodell wird für jedes Kind nicht nur ein Erziehungsjahr, sondern werden zu Recht drei Erziehungsjahre gefordert, zudem nicht nur mit 75%, sondern mit 100 % des Durchschnittsverdienstes der Beschäftigten.
({11})
Das Fazit: Nur gutverdienende Alte können von den etablierten Parteien etwas erwarten.
({12})
Bei der Hamburger Wahl haben die alten Frauen es bereits gemerkt: Der Anteil der GRÜNEN-Wählerstimmen bei den über 60jährigen stieg um 100%.
({13})
Dies werden wir bei der Bundestagswahl noch übertreffen.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es heute morgen so wie Eugen Glombig: Die stark zusammengestrichene Debattenzeit zwingt mich, die
Kollegen zu bitten, heute morgen keine Zwischenfragen zu stellen.
({0}) - Aber bitte, selbstverständlich.
({1})
Herr Kollege Bueb, Theodor Heuss hat einmal erklärt: eine funktionierende Wirtschaft ist die beste Sozialpolitik.
({2})
Ohne eine funktionierende Wirtschaft ist jede Sozialpolitik Makulatur. Denn nur das, was vorher erarbeitet worden ist, kann verteilt werden, Herr Bueb,
({3})
kann in den sozialen Ausgleich einbezogen werden. Und es ist nun einmal ein nicht zu bestreitender Erfolg
({4})
der von uns eingeleiteten Wirtschaftspolitik, daß wir die Renten heute real um 3 % erhöhen können.
({5})
Mehr Beschäftigte, mehr Beitragszahler und geringere Inflation, ja, null Inflation sind eben doch die beste Rentenpolitik.
Eine kritische Bemerkung zum Siebten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz muß ich aber doch machen: Wir hatten die Frage des Ausscheidens der Selbständigen neu zu regeln. Die vorgesehene Lösung möchte ich mit Radio Eriwan bewerten: theoretisch ja, praktisch nein. Nimmt der Selbständige sein Wahlrecht wahr, hat er unzumutbare Nachteile für seine Halbbelegung zu befürchten. Gott sei Dank ist es mir wenigstens gelungen, die Wahlmöglichkeiten auf zwei Jahre zu verlängern.
Meine Damen und Herren, mit Recht weisen die Redner der Koalition und wohl auch der Opposition auf die erfreuliche Rentenerhöhung hin. Selbst der SPD-Parteitag in Nürnberg hat schon vor einigen Monaten festgestellt: Im Durchschnitt betrachtet, ist die Leistungsfähigkeit des heutigen Alterssicherungssystems befriedigend. Meine Damen und Herren, das stimmt. Trotzdem dürfen wir diese Debatte nicht zu einer Jubelveranstaltung machen, sondern es erscheint mir geboten, daß wir uns mit der Zukunft beschäftigen.
Die Gründe dafür sind bekannt. Der ab Ende der 90er Jahre verschlechterte Altersaufbau zwingt zu rechtzeitigen Maßnahmen. Deswegen verlangen wir eine Strukturreform. Aber die Forderung nach einer Strukturreform darf keine Flucht aus der Wirklichkeit sein. Die Strukturreform darf keine einfache, höfliche Formulierung für Vertagung sein.
Cronenberg ({6})
Mit der Forderung nach der Strukturreform versuchen viele Politiker, so habe ich den Eindruck, sich zu verstecken, um ihren Wählern unangenehme Wahrheiten zu ersparen. Der Beitragszahler von heute - der Rentner von morgen - hat Anspruch darauf, daß die Renten auch in Zukunft solide finanziert werden, hat Anspruch darauf, zu wissen, welche Renten er für seine hohen Versicherungsbeiträge haben soll.
({7})
Vorab möchte ich noch einmal betonen: Ich bin sicher, daß unser Rentenversicherungssystem reformfähig und reformwürdig ist. Wir müssen die vorhandenen Möglichkeiten nur rechtzeitig wahrnehmen. Dabei darf es keine Tabus geben; alle haben ihren Beitrag zu leisten.
Die bruttolohnbezogene Anpassung kann nicht mehr praktiziert werden. Beitragssatz und Rentenniveau sind ebensowenig tabu wie der Bundeszuschuß. Am Ende dieses Jahrtausends werden die Menschen wahrscheinlich auch länger arbeiten müssen. Soweit meine Zeit reicht, will ich versuchen, dies im einzelnen zu begründen.
Die FDP hat schon 1979 gefordert, daß Rentner und Arbeitnehmer von Produktivitätsfortschritt gleichberechtigt profitieren sollen. Auf gut deutsch gesagt: nettoähnliche Anpassung. Ich nehme die Gelegenheit heute morgen wahr, mich bei beiden großen Fraktionen des Hauses einmal zu bedanken. 1979 hat man mir soziale Demontage vorgeworfen, heute finden wir die Idee in dem Parteiprogramm der SPD ebenso wie in dem der CDU vor.
({8})
Auch dies ist ein politischer Erfolg der Liberalen, wenn auch mit Verzögerung und wenn auch bei der Konkurrenz.
({9})
- Nein, das ist nicht gedreht. - Wichtig ist, festzuhalten, daß sich der Parlamentarische Staatssekretär Vogt von einer solchen Maßnahme einen Beitragsspielraum von 2 bis 3 Prozentpunkten verspricht. Ich meine, das ist des Schweißes der Edlen wert.
({10})
Es gibt einen alten Vorschlag - wie könnte es anders sein: vom Finanzminister; auch Sie, Frau Kollegin Fuchs, haben mit der Idee gespielt -, die Renten der normalen Besteuerung zu unterziehen. Ich möchte hier noch einmal deutlich machen: Ich bin gegen jede Art von Doppelbesteuerung. Erst aus versteuertem Einkommen die Beiträge zahlen und dann die Leistungen noch einmal versteuern, das ist systematisch falsch und unzumutbar.
Ein offenes Wort zur Ausfallzeit. Wenn wir heute ein Rentenversicherungssystem neu zu konzipieren hätten, würde wohl niemand auf die Idee kommen, beitragsfreie Zeiten wie Beitragszeiten zu bewerten. Natürlich weiß ich, daß wir dies nicht abschaffen können, aber eine gerechte, niemanden benachteiligende Abstaffelung für die Ausfallzeiten - für alle gleich - ist zumutbar. Das würde einen bedeutsamen Beitrag leisten.
({11})
- z. B. mit 80 % für das erste Jahr, mit 5% für das letzte Jahr. Dann ist der ewige Student draußen. Dies kann und wird nicht für die Rentner oder diejenigen gelten, die demnächst in die Rente gehen. Aber die Generation der 40jährigen hat Anspruch darauf, zu wissen, welche Auswirkungen dies auf ihre eigene Rente hat, damit sie in der Lage ist das Notwendige zu unternehmen, um ihren Lebensstandard im Alter zu sichern.
Das ist auch ein Beitrag zur Stärkung des Versicherungsprinzips. Wer lange Beiträge zahlt und wer hohe Beiträge zahlt, der muß auch eine hohe Rente erhalten.
({12})
Damit hier kein Mißverständnis entsteht: Dies ist eine klare Absage gegen jede Art von Einheitsrente.
Wie schon ausgeführt: Auch der Bundeszuschuß ist nicht tabu. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß die Aufwendungen, die nicht versicherungsbedingt sind, vom Bund zu erstatten sind. Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Die Leistungen für das sogenannte Babyjahr müssen dauerhaft vom Finanzminister und nicht vom Beitragszahler erbracht werden.
({13})
Alle weiteren Verbesserungen, die wir in diesem Zusammenhang ernsthaft zu diskutieren haben - Anrechnung der Pflegezeiten in der Rentenversicherung -, müssen vom Steuerzahler bezahlt werden und können nicht vom Beitragszahler finanziert werden.
({14})
Ich will mich heute auch nicht um das folgende heikle Thema drücken. In den letzten Jahren hat sich die Lebensarbeitszeit dramatisch verkürzt, nicht nur am Ende des Arbeitslebens; vielmehr erfolgt auch der Berufsbeginn später. Letzteres ist positiv zu bewerten, weil unsere Menschen länger und besser ausgebildet werden. Solche besser ausgebildeten Menschen benötigen wir, damit wir weiter an der Spitze des technischen und technologischen Fortschritts stehen. Ein späterer Berufseintritt und außerdem noch ein früherer Eintritt in die Rente sind nur zu verantworten, solange genügend Arbeitskräfte als Beitragszahler zur Verfügung stehen. Dies wird nach allen Prognosen am Ende des Jahrtausends nicht mehr der Fall sein. Wir werden dann auch ältere, erfahrene und tüchtige Menschen in unserer Wirtschaft benötigen. Wer dann länger arbeiten will und kann, muß dann selbstverständlich auch eine höhere Rente erhalten. Die positiven Auswirkungen auf die Rentenfinanzen sind nicht
Cronenberg ({15})
zu unterschätzen. Ein Jahr längere Lebensarbeitzeit wirkt sich zwischen 1 und 1,7 Beitragspunkten aus.
({16})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition und Koalition, nachdem Sie in der Frage der Rentenanpassung unseren Vorstellungen dankenswerterweise schon gefolgt sind, möchte ich noch einmal auffordern, unsere Vorstellungen über eine Teilrente zu übernehmen. Der gleitende Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand bei Zahlung einer Teilrente dient den Menschen und der Rentenversicherung zugleich. Das ist eigentlich ein vernünftiger Vorschlag. Er mag in Ihren Augen nur einen kleinen Makel haben: Die FDP hat es vorgeschlagen.
({17})
Meine Damen und Herren, jedermann weiß, daß zusätzliche Alterseinkommen einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Lebensstandards bedeuten. Hier spielen die Betriebsrenten und Zusatzrenten eine große Rolle. Mit Bedauern muß ich feststellen, daß die Rechtsprechung und der Gesetzgeber den Ausbau der betrieblichen Altersversicherung gestoppt haben. Versorgungszusagen werden sogar zurückgenommen.
Die Kollegen von der SPD wissen genau, daß ich immer vor dieser Entwicklung gewarnt habe. Früher habe ich mich der Zustimmung der Kollegen der CDU erfreut. Mit meinen Bemühungen, aus dieser richtigen Erkenntnis auch die richtigen Konsequenzen zu ziehen, war ich bisher leider nicht erfolgreich. Ich hoffe, in der nächsten Koalition wird es besser sein.
({18})
Wer die Betriebsrenten für einen sinnvollen und vernünftigen Beitrag zur Alterssicherung hält und gleichzeitig anerkennt, daß die Versorgungswerke Finanzierungsprobleme der Betriebe erleichtern können, muß uns in unseren Bemühungen unterstützen.
Meine Damen und Herren, ich begrüße es, daß es in einigen grundsätzlichen Fragen offensichtlich Übereinstimmung zwischen SPD, CDU, CSU und FDP gibt. Die sich verbessernde Liquiditätslage verführt. Sie verführt, die notwendigen Maßnahmen nicht rechtzeitig durchzuführen. Mit dem Mantel der Strukturreform werden sich widersprechende Forderungen zugedeckt, und von Woche zu Woche höre ich mehr Leistungsversprechen.
({19})
Die FDP wird - genau wie in der Vergangenheit - diesen Leistungsversprechen, wenn sie nicht solide finanziert sind, nicht zustimmen.
({20})
Wir bleiben mit beiden Beinen auf dem Teppich.
Auch dann, wenn es unpopulär ist, werde ich nein
sagen. Eine solide finanzierte Rentenversicherung
ist unser Ziel. Oberstes Ziel muß die Rentensicherheit sein. Deshalb bleibt es dabei: Ein wenig weniger ist mehr, mehr für die Rentner wie für die Beitragszahler.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in der letzten Minute, die mir übrigbleibt, ein persönliches Wort hier von dieser Stelle sagen. Ich möchte mich bei unserem Ausschußvorsitzenden, meinem Freund Eugen Glombig, sehr herzlich bedanken. Wir sind in der Sache sehr oft unterschiedlicher Meinung gewesen. Aber ich möchte von dieser Stelle ehrlichen Herzens sagen: Es war in der Vergangenheit eine faire Zusammenarbeit, wie ich sie mir in der Sozialpolitik immer wünsche. Ich für meinen Teil bedaure es sehr, daß ich mit Eugen Glombig in der nächten Legislaturperiode in der Sache nicht weiter von diesem Pult aus streiten kann. Aber ich wünsche ihm, daß er seine Beiträge zur Sozialpolitik von anderer Stelle, vielleicht auch mahnend, an das Parlament richten kann.
({21})
Lieber Eugen, ich wünsche Dir von hier aus alles Gute. Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit.
({22})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich will mich gern dem Respekt anschließen, der heute morgen dem Ausschußvorsitzenden entgegengebracht wird. Ich finde, es ist gut, daß wir in allem Tagesstreit nie den menschlichen Respekt verlieren. Dazu kann auch die Sozialpolitik einen Beitrag leisten; denn der sozialpolitische Ausschuß hat in dieser Legislaturperiode ein Übermaß an Arbeit geleistet. Dafür möchte ich allen Mitgliedern danken. Wir haben viel geschafft.
Wenn Sie mich fragen, was die wichtigte sozialpolitische Leistung war, dann sage ich: Es war die Rettung der Rentenversicherung. Das war die wichtigste Leistung dieser Legislaturperiode.
({0})
Es sind drei Ergebnisse, die ich hervorheben möchte:
Erstens. Die Rentenversicherung wackelt nicht mehr, sondern sie steht auf festen Füßen. Wir können mit Unterstützung der Sachverständigen, mit Unterstützung der Rentenversicherungsträger zu Recht feststellen: Die Rente ist sicher.
({1})
Der zweite Punkt: Die Rentner nehmen am Aufschwung teil,
({2})
erstens durch ein hohes Rentenniveau und zweitens durch Preisstabilität.
({3})
- Ja, die Preisentwicklung ist so niedrig wie seit 1953 nicht mehr. Ich bedanke mich sehr für den Zwischenruf.
({4})
Ich werde auf die einzelnen Punkte noch kommen.
Drittens. Wir haben auch die Zeit zu Reformen genutzt. Wir haben nicht nur gerettet, saniert, stabilisiert, sondern auch gestaltet. Ich nenne nur drei: Reform der Hinterbliebenenversorgung, die Gleichstellung von Mann und Frau im Rentenrecht und die Einführung von Kindererziehungszeiten.
Das sind also die drei Erkennungszeichen der Rentenpolitik der letzten Jahre: Stabilisierung der Renten, Teilhabe an der Wohlstandsmehrung und Weiterentwicklung unseres Rentenrechts.
Zur Rentensicherheit nur so viel in Zahlen: Die Rücklagen in der Rentenversicherung wachsen wieder. Sie werden 1990 auf 30 Milliarden DM angewachsen sein. Also, da braucht gar keiner das Rentenchinesisch zu verstehen, das muß jeder verstehen: Wenn wieder mehr Geld in der Kasse ist, wächst die Rentensicherheit. Ich bin immer nach der Wende gefragt worden. In der Rentenversicherung besteht die Wende darin, daß sich die Rücklagen 13 Jahre nach unten bewegten und jetzt wieder nach oben gehen. Das ist eine ganz typische Wende.
({5})
Ich will mich auch hier auf die Autorität der Rentenversicherungsträger stützen. Herr Doetsch hat auf der letzten Mitgliederversammlung seines Verbandes, also aller Rentenversicherungsträger - das ist keine parteipolitische Veranstaltung -, als Vorsitzender festgestellt, daß die Rentenversicherung nach Jahren der Sorge in eine Phase der Konsolidierung getreten ist. „Heute", so sagt er, „kann ich feststellen, daß diese erfreuliche Entwicklung anhält."
Zum zweiten Punkt: wachsender Wohlstand. Nach dem Stand der Lohnentwicklung 1986 werden sich die Renten im nächsten Jahr um 3,7 % erhöhen. Nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrags werden es rund 3% sein. Das sind 3 % bei Preisstabilität. Mark bleibt Mark. Das ist eine ehrliche Rentenerhöhung. Wir haben ein Spitzenrentenniveau, das Verhältnis der Rente zu vergleichbaren Einkommen. Wir haben ein Rekordniveau, meine Damen und Herren. Es liegt über dem Niveau, das 1980 der damalige Bundeskanzler unter dem Beifall der SPD als Rekordniveau ausgegeben hat. Wenn 71,1 % 1980 unter dem Beifall der SPD ein Rekordniveau waren, dann kann unser Niveau, das höher liegt, kein Sozialabbau sein.
({6})
Dann muß das mindestens auch ein Rekordniveau sein.
Die Preise sind stabil. Das ist die zweite Seite des Lebensstandards. Die Rentner wissen, was Inflation bedeutet. Sie wissen es besser als mancher Junge. Sie haben als Kind schlimme Zeiten erlebt, als die Mark nichts mehr galt, als Arbeitnehmer
Millionen verdienten und sich nichts dafür kaufen konnten. Mein Großvater hat mir immer erzählt, daß er seinen Lohn im Leiterwagen abgeholt hat. Er war Millionär. Es ging ihm aber hundeelend, weil er sich für das Geld nichts kaufen konnte. Rentner wissen, was Inflation ist. Wir haben der Preissteigerung das Ende bereitet. Das bedeutet für einen Durchschnittsrentner gegenüber 1982 einen Kaufkraftgewinn von 1 800 DM.
({7})
Das sind 1 800 DM nur durch Preisstabilität. Das ist mehr als eine 13. Durchschnittsrente.
({8})
Das ist - statistisch - das Geld für eine Jahresrechnung für Strom und Heizung. Herr Bueb, stellen Sie sich vor, ich hätte hier gesagt: Die Bundesregierung hat beschlossen, wir bezahlen den Rentnern für ein Jahr Strom und Heizung. Selbst Sie hätten Beifall spenden müssen. Sie müssen es auch jetzt. Denn wir haben durch Preisstabilität dasselbe erreicht.
({9})
Wir haben die Hinterbliebenenrentenreform durchgeführt, auf die das Verfassungsgericht sieben Jahre warten mußte. 1975 wurde sie in Auftrag gegeben. Wir haben sie durchgesetzt. Sieben Jahre lang ist bei Ihnen nichts geschehen. Wir haben sie nicht nur wegen des Verfassungsgerichts durchgeführt, sondern weil wir die Gleichstellung von Mann und Frau im Rentenrecht wollen. Ich glaube, wir können zu Recht sagen: Unsere Lösung ist frauenfreundlich - deshalb hat sie die Zustimmung der Frauenverbände gefunden -, sie ist sozial rücksichtsvoll - deshalb hat sie u. a. die Zustimmung der Gewerkschaften gefunden -, sie ist systemgerecht, und sie ist praktikabel.
Ich will weitere Reformen nennen. Eine möchte ich stets wiederholen, weil ich den Eindruck habe, sie ist bei den Bürgern noch gar nicht angekommen: Wir haben die Mindestwartezeit, um einen Anspruch auf Altersrente zu bekommen, von fünfzehn auf fünf Jahre gesenkt. Die Hauptnutznießer dieser Regelung sind Frauen, nämlich jene, die keine fünfzehn Jahre Beiträge gezahlt haben, weil sie aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind - beispielsweise zugunsten der Kindererziehung - und die vor der Tür der Alterssicherung stehengeblieben sind. Wir haben ihnen diese Tür geöffnet. Nochmals in Zahlen: Seit der Geltung dieser Regelung waren es 45 000 Bundesbürger, die auf diese Weise zum erstenmal überhaupt eine Rente erhalten haben.
({10})
Sie haben zwar keine große Rente erhalten, aber immerhin 225 DM. Wer sagt, das ist zu wenig, dem kann ich nur entgegnen: Das sind 225 DM mehr als bisher. 130 000 konnten ihre Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente in eine normale Altersrente überführen. Das war eine durchschnittliche Rentenerhöhung von monatlich 80 DM. Das ist solide Sozialpolitik, nicht die Sozialpolitik der großen Worte, sonBundesminister Dr. Blüm
dern handfest, lebensnah, dort eingreifend, dort korrigierend, wo Hilfe notwendig ist.
Jetzt will ich - wir diskutieren heute ja auch über diesen Änderungsantrag der SPD - über Kindererziehungszeiten sprechen und als erstes einmal festhalten: Es wird doch niemand glauben, daß wir nicht auch gern sofort und für alle die Kindererziehungszeiten eingeführt hätten. Natürlich hätten wir das gern getan. Aber die Sozialpolitiker, die etwas bewegen wollen, fangen mit dem, was heute möglich ist, heute an und warten nicht auf das Ideal im Jahre 2010. Wir haben die Tür einen Spalt geöffnet, den Fuß hineingestellt, und Sie sehen: Die Tür geht jetzt auf. Es ist ein altes Erfolgsrezept der Sozialpolitiker, Schritt für Schritt vorzugehen. Die Alles-oder-nichts-Politiker haben bisher immer nichts erreicht. Wir sind für die Schritt-für-SchrittSozialpolitik.
({11})
Wenn man anfangen muß, hat man natürlich immer schwere Entscheidungen zu treffen: Fangen wir mit den Älteren an, oder fangen wir mit den Jüngeren an? Es gibt für beide Entscheidungen gute Gründe. Das ist eine Güterabwägung. Für die Älteren spricht, daß sie ihre Kinder in schweren Zeiten großgezogen haben, in schwereren Zeiten, als sie heute herrschen. Meine Mutter hat mich im Luftschutzbunker großgezogen. Diese Mütter haben eine große Leistung erbracht.
Für die Jüngeren spricht folgendes. Was soll das Gesetz eigentlich? Das Gesetz soll bewirken, daß das neugeborene Kind seine Mutter im ersten Lebensjahr ganz behalten kann. Wenn der Vater sagt, er trete an die Stelle der Mutter, dann ist es der Vater.
({12})
- Wir überlassen diese Entscheidung jedem einzelnen. - Das Kind soll die Mutter oder den Vater ganz haben. Es soll jedenfalls keinen Druck, keinen Zwang geben, nur deshalb erwerbstätig zu sein, um im Alter nicht durch Renteneinbußen in wirtschaftliche Not zu geraten. Wenn das der Sinn der Kindererziehungszeiten ist, dann muß mit den Jungen begonnen werden, denn Kinder werden jetzt erzogen.
Meine erfreulichste Mitteilung, meine Damen und Herren, ist die Mitteilung, daß seit Inkrafttreten des auch von Ihnen, Frau Fuchs, bekämpften Gesetzes, das wir am 1. Januar eingeführt haben, bis jetzt 273 000 Frauen Kindererziehungszeiten angerechnet bekommen haben. Der durchschnittliche Steigerungsbetrag beträgt 54,40 DM. Das ist das Ergebnis unserer Sozialpolitik.
({13})
50 000 dieser Frauen haben mit Hilfe dieses Gesetzes überhaupt erst einen Rentenanspruch erworben. Laßt uns doch gemeinsam stolz darauf sein.
({14})
50 000 haben zum erstenmal einen Rentenanspruch.
Um es noch einmal zu sagen: 273 000 Mitbürgerinnen haben bis Oktober Kindererziehungszeiten angerechnet bekommen.
Jetzt geht es Schritt für Schritt weiter. Jedes Jahr kommen 300 000 bis 400 000 jahrgangsweise hinzu. Die Älteren beziehen wir in vier Schritten in die Lösung ein. Im nächsten Jahr werden es bereits 1,1 Millionen ältere Mitbürger sein, die im ersten Schritt Kindererziehungszeiten genießen können. Im Jahre 1990, wenn wir am Ziel sind, sind es 5,3 Millionen Mütter.
Wissen Sie, wieviel das mehr ist als zu Ihrer Zeit? - 5,3 Millionen mehr, denn Sie haben null geliefert.
({15})
Wieso die Null-Produzenten uns Vorwürfe machen können, wenn wir Kindererziehungszeiten einführen, verstehe ich nicht.
Herr Kollege Glombig, zu Ihrem schweren Vorwurf des Sozialabbaus: Bis 1990 kostet das 10,1 Milliarden DM. 10,1 Milliarden DM geben wir mehr aus. Wer will da von Sozialabbau sprechen? Da wird eine große Tür in eine neue Dimension der Rentenversicherung geöffnet.
Ich bin auch ganz sicher: Die Prüflinge im Fach Sozialpolitik werden sich beim Jahr 1986 merken müssen: Einführung von Kindererziehungszeiten. Das werden sie wissen müssen.
({16})
Wenn sie dann noch gefragt werden, wer damals regiert hat, dann muß selbst ein Kandidat der GEW sagen: CDU, CSU und FDP - weil es so ist.
({17})
Ich will mich der Kritik des Kollegen Pohlmann anschließen: Wie kommen Sie eigentlich dazu, uns als Vorbild Ihren Antrag zu empfehlen? In dem Antrag der SPD, in dem Oppositionsantrag, werden 700 000 Mütter nicht stufenweise, nicht zeitweise, sondern endgültig und für immer ausgeschlossen, und zwar alle, die mit der Rentenversicherung nichts zu tun haben. Das ist eine ungeheure Diskriminierung der Hausfrauen,
({18})
eine Diskriminierung der Postbotenwitwe, die nichts bekommen soll, der Polizeiwitwe, die nichts bekommen soll. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU und, ich nehme an, auch die FDP folgen einem solchen Klassendenken und dieser Klassengesellschaft, die da zwischen erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Frauen wieder errichtet wird, nicht.
Wir gehen, meine Damen und Herren, mit Gelassenheit und mit der Einladung zur Gemeinsamkeit in die nächste Legislaturperiode. Wir können uns diese Gelassenheit deshalb leisten, weil nun eine Strukturreform durchgeführt wird, die nicht von ständiger Einsturzgefahr begleitet wird. Wir suchen den Konsens, und, meine Damen und Herren, wenn ich das recht verstanden habe, ist doch auch auf Ihrer Seite die Bereitschaft hierzu vorhanden. Stellen Sie Ihr Licht doch wegen des Wahlkampfs nicht
unter den Scheffel. Noch in dieser Woche hat Ihr Parteivorsitzender ausdrücklich die Zusammenarbeit in Sachen Renten angekündigt.
Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie sich von diesem ganzen Pulverdampf nicht verunsichern. Ich glaube, daß es möglich ist, in großer Übereinstimmung und mit gutem Willen von allen Seiten eine Rentenreform durchzuführen. Ich denke, das sind wir auch den älteren Mitbürgern schuldig. Rentenversicherung gilt ja nicht für eine Legislaturperiode, auch nicht für zwei, sie gilt noch länger, als wir regieren, und wir wollen noch sehr lange regieren.
({19})
Aber selbst danach soll sie noch gelten.
({20})
Deshalb: Machen Sie keine Politik mit Rentenangst. Das ist die falsche Einleitung zu einer sachlichen Rentendiskussion.
({21})
- Ja, Kollege Glombig, da lese ich eine sozialdemokratische Anzeige: „Blüm will den Drei-Generationen-Vertrag kündigen. Die Zukunft der Rente ist in Gefahr." Das sind Saboteure des Rentnervertrauens, das sind Provokateure der Rentenangst.
({22})
Das sind die Unterminierer des Willens zur Einigung. Denn, meine Damen und Herren, wir wollen den Drei-Generationen-Vertrag auflösen? Wir haben ihn eingeführt. Der Verfasser dieser Anzeige hat anscheinend die Brille seitenverkehrt aufgesetzt.
Ich bleibe dabei: Die Rente muß weiterentwickelt werden. Wir fangen nicht am Punkt Null an. Das Haus muß renoviert werden; es wird nicht eingerissen. Wir wollen eine Weiterentwicklung der Rentenversicherung. Ich stimme mit Ihnen, auch mit der Opposition, überein, daß eine solche Anpassung an neue Gegebenheiten natürlich nicht nur die Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung ist. Wenn die Bevölkerung zurückgeht, geht sie nicht nur für die Rentenversicherung zurück, sondern für alle Sicherungssysteme, auch für das System des öffentlichen Dienstes, wobei ich nicht meine, daß wir einen Eintopf bilden sollen; gewachsene Systeme bleiben gewachsene Systeme.
Ziel und Orientierungspunkt: Die Rente wird nur so steigen können wir die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer, also das, was die Arbeitnehmer zum Ausgeben haben. Insofern ist das der Abschied von der Bruttolohnentwicklung, die so lange richtig war, solange die Rentner aufholen mußten. Aber ihr Einkommen hat sich seit Inkrafttreten der dynamischen Rente um 600 % erhöht, das der Arbeitnehmer um 550 %. Das ist den Rentnern gegönnt. Nur: Jetzt wachsen keine Bäume in den Himmel. Ich finde, auch um der Ehrlichkeit, um der Solidität willen muß gesagt werden, daß alte Steigerungsraten von 10%, 8% oder 6% sicher der Vergangenheit angehören. Aber keine Rente wird gekürzt. Die Renten bleiben sicher. Dafür steht auch diese Koalition.
Ich gehe auch in den Wahlkampf mit drei für Arbeitnehmer und Rentner wichtigen Mitteilungen: größte Preisstabilität seit 1953, höchste Reallohnentwicklung seit 1973, höchste reale Rentenerhöhung seit 1978. Wenn man sich auf Tatsachen stützt und mit Tatsachen Wahlkampf führt, dann sehen wir dieser Diskussion gerne entgegen.
Wir stehen für eine zuverlässige Rentenpolitik, für eine Rentenpolitik, die nicht mehr verspricht, als sie halten kann, die aber das Vertrauen der Rentner verdient. Denn wir stehen in der Pflicht, der Generation, die viel geleistet hat, den älteren Mitbürgern, unsere Solidarität zu gewähren, so wie wir uns, wenn wir alt sind, auf die Solidarität der dann Jüngeren stützen wollen.
({23})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Problem ist eben, daß es nicht gelingt, den Bundesarbeitsminister von seiten der vielen Beamten, die er hat, so zu programmieren, daß er wirklich in der Lage ist, mit uns über die langfristigen Perspektiven der Rentenversicherung zu reden. Angst in der Rentenversicherung, Herr Bundesarbeitsminister, schürt derjenige, der mit Halbwahrheiten, Verdrängungen und Verdrehungen von den Tatsachen ablenkt. Das ist erneut geschehen, und das ist sehr bedauerlich.
({0})
Ich will deswegen auch gar nicht den Versuch unternehmen, mich mit Ihnen noch einmal auseinanderzusetzen.
({1})
Sie haben wiederum - und das ist typisch für diese Bundesregierung - keinerlei Antwort auf die Große Anfrage gegeben, die die SPD-Bundestagsfraktion gestellt hat. Es bleibt dabei: Wir haben höhere Beiträge in den letzten Jahren gehabt. Wir haben Rente auf Pump gehabt, wir haben Renteneinschnitte gehabt. Und Sie stellen sich hier hin und tun so, als ob für die Zukunft alles in Ordnung wäre.
Zu unserem Konzept sagen Sie nur: Bitte, sozialer Konsens und Gemeinsamkeit. Ich sage Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister: Wir haben nach langen Diskussionen unser Konzept erarbeitet. Wir werden auch in der nächsten Legislaturperiode über dieses Konzept mit allen reden, die dazu bereit sind. Aber so, wie ich Sie dazu höre, haben Sie überhaupt nicht begriffen, wie man Strukturreform in der Alterssicherung anpackt.
({2})
Übereinstimmung gab es in einem Punkt. Lassen Sie mich deshalb, bevor ich zum Wildwest in der Rentenpolitik dieser Bundesregierung zurückkomme, positiv hervorheben: Auf Grund einer Initiative
Frau Fuchs ({3})
der SPD-Bundestagsfraktion ist es gelungen, das Sozialversicherungs-Wiedergutmachungsgesetz in einem wichtigen Punkt zu ändern. Es geht dabei um Rentenansprüche von deutschen Juden, die in den Vertreibungsgebieten Osteuropas gewohnt haben. Sie hatten bislang große verfahrensrechtliche Probleme, ihre Rentenzeiten anerkannt zu bekommen, wenn sie nach dem Krieg in ein nicht deutschsprachiges Land ausgewandert sind.
Durch die vorgesehene Neuregelung im siebten Rentenversicherungsänderungsgesetz wird nunmehr klargestellt, daß die im Vertriebenenrecht allseits anerkannte gesetzliche Vermutung eines andauernden Vertreibungsdrucks auch für Antragsteller nach dem Wiedergutmachungsgesetz gilt. Ich hoffe, daß sich damit auch die anhängigen Verfassungsbeschwerden durch Neubescheidung erledigen lassen. Für zahlreiche Juden, die jetzt in Israel oder in den Vereinigten Staaten wohnen, ist diese Regelung wichtig. Ich danke daher den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, die im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung unsere Initiative unterstützt haben.
({4})
Sie sagen, Herr Bundesarbeitsminister, die Frauen seien bei Ihnen, was die Rentenpolitik anlangt, fabelhaft aufgehoben.
({5})
Ich sage Ihnen: Die Frauen sind die Verlierer der Rentenpolitik der letzten vier Jahre.
({6})
Ich will das begründen. Erstens. Die Hinterbliebenenreform hat für keine Frau einen Pfennig mehr gebracht. Sie können froh sein, wenn sie keine Verschlechterungen hinnehmen müssen. Die 60%ige Witwenrente bleibt, wie sie ist. Wer als erwerbstätige Frau gut verdient hat, wird für diese Leistung auch noch bestraft.
({7})
Zweitens. Wer nun gehofft hat, in der Antwort auf die Große Anfrage würde gesagt, wie es weitergeht, der stellt fest: Für die Frauen wird es weder eine Rente nach Mindesteinkommen noch eine soziale Grundsicherung geben. Wer nicht ins Schema paßt, ist im Alter weiter auf Sozialhilfe angewiesen. Ja, im Gegenteil: Wir müssen vermuten, daß die Renten besteuert werden und daß die Altersgrenze für die Frauen sogar noch über das 60. Lebensjahr hinaus heraufgesetzt wird.
Das Eklatanteste aber ist die Abschaffung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente.
({8})
Es ist schon makaber, daß der Bundesarbeitsminiter das als Strukturreform ansieht. 100 000 Rentenanträge weniger, weil den Frauen ihre Erwerbs-und Berufsunfähigkeitsrente genommen worden ist. Herr Bundesarbeitsminister, ich formuliere es so deutlich: Es ist schäbig, wenn Sie diesen Frauen sagen, sie hätten ja nun nach fünf Kalenderjahren schon ein Altersruhegeld. Sie verschweigen doch
dabei, daß Sie den Frauen erst einmal die Berufs-und Erwerbsunfähigkeitsrente gestrichen haben und die meisten Frauen deshalb erst mit 65 Jahren ihr Altersruhegeld bekommen.
({9})
Das ist frauenfeindliche Politik.
({10})
Der nächste Punkt - da haben Sie wieder zu Lasten der Frauen entschieden - ist: Wir wollten in diesem Gesetz nun endlich das wichtigste Unrecht, daß für die Frauenerwerbsarbeit besteht, ändern.
({11})
Wir wollten, daß der Mißbrauch mit der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung abgeschafft wird. Sie haben auch dieses abgelehnt, meine Damen und Herren.
Es ist doch so: 1,5 bis 2 Millionen werden unterhalb der 410-DM-Grenze beschäftigt. Es gibt heute kaum noch ordentliche sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsverhältnisse.
({12})
Diese Frauen sind ohne Sicherung bei Krankheit und bei Alter. Die Mißstände bei diesen geringfügigen Beschäftigungen haben inzwischen ein Ausmaß angenommen, daß selbst die Arbeitgeber, nämlich z. B. der Bundesinnungsverband der Gebäudereinigerhandwerker, auf den Plan gerufen wurde.
({13})
Er ist mit uns der Auffassung, daß es Zeit ist, daß wir diese 410-DM-Grenze in der Sozialversicherung streichen.
({14})
Sie haben es wieder abgelehnt. Deswegen sage ich: Sie haben auch damit nichtordentlichen Teilzeitarbeitsverhältnissen Vorschub geleistet. Wenn Sie, Herr Bundesarbeitsminister immer davon reden, das Arbeitsrecht sei verkalkt, wir brauchten andere Arten von Arbeitsverhältnissen, dann müßte Ihr erster Schritt sein, dafür zu sorgen, daß den Frauen ordentliche Teilzeitarbeitsverhältnisse angeboten werden. Dann nämlich könnten sie ihre Arbeitszeit durchaus ihren persönlichen Bedürfnissen anpassen.
({15})
Ja, das ist es, die Frauen sind die Benachteiligten: keine Hinterbliebenenreform, Einkommensanrechnung bei den Witwenrenten - ich sage Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister: Die Gewerkschaften werden noch spüren, worauf sie sich mit Ihnen zusammen eingelassen haben, wenn erst einmal die Einkommensanrechnung vor sich geht -, keinerlei Verbesserungen, keine Rente nach Mindesteinkommen, keine soziale Grundsicherung, Abschaffung
Frau Fuchs ({16})
der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit bei einem großen Teil der Renten und weiterhin Beibehaltung der Geringfügigkeitsgrenze. Und dann tun Sie so als ob Sie nun mit Ihrer Anerkennung der Kindererziehungszeiten etwas Positives erreicht haben.
Ich will noch einmal sagen: Wir haben 1973 durch eine damals eigenartige Mehrheit im Deutschen Bundestag durch eine doppelte Rentenanpassung kein Geld mehr gehabt, und Sie haben abgelehnt, mit uns den Weg zum Einstieg in ein Kindererziehungsj ahr zu gehen.
({17})
Wir haben den Ersatz gesucht; denn wir wollten die Rente nach Mindesteinkommen für jene Frauen einführen, die zeitlebens schlecht verdient haben. Der eigentliche Einstieg in die Anerkennung von Kindererziehungszeiten ist doch wohl durch das Mutterschaftsurlaubsgesetz gelungen. Denn dort bekamen die erwerbstätigen Frauen immerhin sechs Monate in der Rentenversicherung als Kindererziehungszeit anerkannt. Blasen Sie sich also mit Ihrem Schritt nicht so auf.
Nun will ich sagen, was Sie uns für ein Kuckucksei ins Nest gelegt haben. Sie schließen die Frauen aus, die vor 1920 geboren sind.
({18})
Herr Pohlmann, damit wir uns richtig verstehen: es geht um die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung. Das ist das Konzept. Nach dem Antrag, dem Sie heute zustimmen können, würden ab 1987 4 Millionen Frauen für ihr Kind 25 DM zur Rente hinzubekommen, wenn Sie hier und heute unserem Gesetzentwurf zustimmen würden.
({19})
Sie stimmen dem aber nicht zu, sondern Sie sagen: Wir wollen neuerdings gar nicht mehr die Anerkennung von Kindererziehung in der Rentenversicherung. Sie wollen nämlich ein Alterskindergeld. Wenn Sie dies zusätzlich wollen, schlage ich Ihnen vor: Stimmen Sie zunächst einmal dem Konzept: Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung zu. Dann bekommen 4 Millionen Frauen im nächsten Jahr 25 DM pro Kind auf ihre Rente angerechnet. Dann können wir darüber nachdenken, ob wir dazu ein Alterskindergeld beschließen, das auch jene Frauen bekommen, die mit der Rentenversicherung überhaupt nichts zu tun haben.
({20})
Sie haben überhaupt keinen Grund, jetzt nicht dazu beizutragen, daß 4 Millionen Frauen ab nächstem Jahr diesen Zuschlag bekommen. Wenn Sie den Antrag heute ablehnen, bleibt unser Vorwurf zu Recht: Sie schließen die Trümmerfrauen von der Anerkennung der Kindererziehungszeiten unbarmherzig und unchristlich aus.
({21})
Soll es für die, die nach 1921 geboren sind, auch ein Kinderzuschlag werden, oder bleiben Sie dann dabei, daß wir dort die Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung wollen? Und wie wollen Sie eigentlich verfassungsrechtlich argumentieren, wenn Sie sagen, daß die einen einen Alterszuschlag und die anderen eine Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung bekommen, und das Ganze aus Steuermitteln?
({22})
Im übrigen, meine Damen und Herren: Worüber reden wir eigentlich?
({23})
Wir reden über die unverbindliche Aussage der Bundesregierung in irgendwelchen Papieren. Wir reden gar nicht über einen Gesetzentwurf. Wer wirklich will, daß 4 Millionen Frauen im Jahre 1987 zu ihrer Rente pro Kind 25 DM hinzubekommen, der muß hier und heute unserem Gesetzentwurf zustimmen.
({24})
Letzter Punkt: Von denen, die nach 1920 geboren sind, schließen Sie die Frauen aus, die durchgängig erwerbstätig gewesen sind. Wissen Sie, was Sie da machen? Wenn jemand nach der Geburt eines Kindes weiter berufstätig gewesen ist, so sind das nicht die reichen Frauen, sondern die Arbeiterinnen, die nach der Schutzfrist in den Betrieb zurückgehen.
({25})
Die schließen Sie von einer Anerkennung der Kindererziehungszeiten aus, denn wer durchgängig erwerbstätig war, hat von Ihrem Gesetz überhaupt nichts.
({26})
Deswegen sage ich Ihnen: Das ist ungerecht. Sie machen es nach dem Motto: Wer weitergearbeitet hat, bekommt kein Kindererziehungsjahr; wer aufgehört hat zu arbeiten, bekommt - allerdings auch nur dann, wenn er im ersten Lebensjahr des Kindes zu arbeiten aufgehört hat - ein Kindererziehungsjahr. Die anderen bekommen es nicht.
Meine Damen und Herren, das ist ja auch beim Kindergeld Ihre Philosophie: reiche Eltern - großes Kindergeld, arme Eltern - kleines Kindergeld.
({27})
Hier ist es das gleiche: Hausfrauen - volles Babyjahr, Arbeiterinnen - minderes Babyjahr oder gar kein Babyjahr.
({28})
Frau Fuchs ({29})
Das ist Ihre Politik, der Anstand und Geborgenheit fehlen.
({30})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pöppl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat hier heute erneut bewiesen, daß sie nicht nur nicht mit Geld umgehen kann, was zu Lasten der kleinen Leute geht, sondern, Frau Kollegin Fuchs, auch mit der Wahrheit nicht sehr gut umgehen kann.
({0})
Ich habe zu wenig Zeit zur Verfügung, um hier auf all Ihre fehlerhaften Darstellungen einzugehen.
({1})
Ich will nur einen Punkt herausheben: Für die erste Stufe des Alterskindergeldes sind die Mittel, nämlich 250 Millionen DM, bereits im Haushalt 1987 vorgesehen.
({2})
Was Sie dazu gerade verbreitet haben, ist eine Ihrer Unwahrheiten!
({3})
Meine Damen und Herren, mit dem heute zur Entscheidung anstehenden Rentenanpassungsgesetz 1987 erhalten die Rentner erneut eine verbindliche Antwort auf die für sie wichtigste Frage, auf die Frage nach der Sicherheit ihrer Renten.
({4})
Trotz nachhaltiger Bemühungen der Opposition, unter den Rentnern Angst und Unsicherheit zu verbreiten, läßt sich die unwiderlegbare Tatsache nicht mehr verschleiern,
({5})
daß es dieser Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP in der 10. Legislaturperiode gelungen ist, die Finanzgrundlagen der Rentenversicherung nach einer seit 1975 andauernden defizitären Entwicklung wieder zu stabilisieren und damit der Verunsicherung von heutigen und künftigen Rentnern ein Ende zu bereiten. Wir haben die Renten wieder sicher gemacht, und die Rentenkassen füllen sich heute wieder. Dies ist in der heutigen Rentendebatte eine der wichtigsten Feststellungen, und es ist die mit Abstand beste Nachricht für die 14 Millionen Rentenempfänger in der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Wir haben auch in der Rentenpolitik die vorgefundenen roten Negativzahlen zum Positiven gewendet.
({7})
Die Beteiligung der Beitragszahler und der Rentner an den notwendigen Sparmaßnahmen hat sich für die Rentner gelohnt. Sie können heute wieder darauf vertrauen, daß ihre Lebensplanung auf einem sicheren Boden steht.
({8})
Die SPD hat die Rücklagen der Rentenversicherung verwirtschaftet;
({9}) wir bauen sie Stück für Stück wieder auf.
({10})
- Herr Lutz, ich gehe nicht ein zweites Mal auf diese Zwischenrufe ein, weil Sie mir damit die Zeit stehlen wollen, hier das vorzutragen, was die Rentner draußen hören sollen.
({11})
Ohne unsere gemeinsamen Anstrengungen wäre die Rentenversicherung im August 1983 zahlungsunfähig gewesen. Das ist eine Tatsache!
({12})
Mit den von der Regierungskoalition beschlossenen strukturellen Maßnahmen werden wir bis zum Jahre 1990 wieder eine Rücklage
({13})
von sage und schreibe 29,8 Milliarden, d. h. eine Schwankungsreserve von 2,3 Monatsausgaben, aufbauen. Dies gibt uns die nötige Sicherheit, die gesetzliche Rentenversicherung ohne Zeitdruck auch an jene langfristigen Veränderungen anzupassen, die sich in der Alterssicherung vor allem aus der demographischen Entwicklung ergeben.
Ich will an dieser Stelle auf den Teilaspekt im Rentenanpassungsbericht 1986 eingehen, der sich mit der weiteren Verlängerung der Lebenserwartung befaßt hat. Gegenüber dem Rentenanpassungsbericht 1985 wird eine Verlängerung der Lebenserwartung bei einem 60jährigen Mann um eineinhalb und bei einer gleichaltrigen Frau um etwa zwei Jahre angenommen. Der erfreuliche Anstieg der Lebenserwartung, mit dessen Konsequenzen sich auch der Sozialbeirat wiederholt befaßt hat, war aber in den Jahren 1984 bis 1986 besonders ausgeprägt. Im Jahre 1985 hatten 60jährige Männer eine Lebenserwartung von rund 17 Jahren und gleichaltrige Frauen eine solche von 21 Jahren. Sollte sich diese Entwicklung weiter fortsetzen, würde die Lebenserwartung 60jähriger Männer und Frauen um mehr als drei Jahre steigen. Dies und
die zusätzlich hinzukommende Belastungswirkung der KvDR hätten dann selbstverständlich auch nicht unerhebliche Konsequenzen für die langfristige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung.
Wir wissen nicht, wie die tatsächliche Entwicklung weitergeht. Meines Erachtens müssen wir uns aber auf die aufgezeigte Möglichkeit einstellen, um unter allen denkbaren Umständen die Generationensolidarität auf Dauer gewährleisten zu können. Es erscheint mir wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Drei-Generationen-Vertrag für unsere Rentenversicherung nach dem Jahr 2000 vor seiner größten Bewährungsprobe stehen wird.
({14})
Ohne Jugend hätte die gesetzliche Rentenversicherung nach der Jahrtausendwende keine Zukunft. Deshalb wird eine weitere und noch verstärkte Förderung der Familie in der nächsten Legislaturperiode besondere Priorität haben müssen. Lassen wir doch die Familien und besonders die jungen Familien voll an unserer Wohlstandsgesellschaft teilhaben, dann werden Kinder auch wieder „in" sein, und wir werden auch wieder genügend Beitragszahler haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben nicht nur die Renten wieder sicher gemacht, nach 1986 - dies gilt es hier besonders festzuhalten - werden wir im Jahr 1987 erneut die höchste reale Rentensteigerung seit acht Jahren haben.
({15})
Entsprechend der Lohn- und Gehaltsentwicklung 1986 werden die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung und der Altershilfe für Landwirte um 3,7% angehoben. Es ist ein Eckpfeiler unserer Rentenpolitik, auch in Zukunft eine gleichgewichtige Entwicklung von Löhnen und Gehältern auf der einen und Renten auf der anderen Seite zu sichern.
({16})
Unter Berücksichtigung der um 0,7 % der Renten steigenden Beteiligung der Rentner an den Beiträgen für ihre Krankenversicherung erhöhen sich die verfügbaren Renten um 3%. Die Altersgelder bei der Altershilfe für Landwirte werden aber effektiv um 3,7 % erhöht, weil die Altersgeldbezieher bereits seit 1983 einen Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von durchschnittlich 6% zahlen. Damit gibt es für die Rentner nach 1986 auch im Jahre 1987 einen deutlichen realen Kaufkraftzuwachs. Wann hat es das jemals bei der SPD gegeben?
({17})
Über sechs Milliarden DM an zusätzlicher Kaufkraft kommen mit dieser Rentenanpassung für die
Rentner zur Auszahlung. Dies ist die zweite wichtige Nachricht für die 14 Millionen Rentner in unserer Bundesrepublik.
({18})
Es zeigt sich hier mit aller Deutlichkeit, daß eine solide Wirtschaftspolitik und eine solide Finanzpolitik
({19})
die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Sozialpolitik sind. Mit dieser Politik haben wir die höchste Preisstabilität seit 1953 erreicht. Davon profitieren am meisten die kleinen Leute.
({20})
Für die Rentner ist dabei jede Mark Rentenerhöhung eine Mark mehr im Portemonnaie.
Ich verstehe deshalb die Rechenkunststücke, die Sie hier aufgeführt haben, überhaupt nicht, auch nicht die Rechenkunststücke des Kollegen Heyenn, die er in der ersten Lesung hier vorgeführt hat.
({21})
Wir halten es in der Tat nicht für besonders seriös, wenn es die SPD immer wieder darauf anlegt, ihre in 13 Jahren aufgebauten Fehlleistungen dadurch zu verdecken, daß sie denjenigen, die das Rentenschiff erst wieder flott gemacht haben, mit statistischem Spielmaterial Prügel zwischen die Beine zu werfen versucht und hier mit Falschmeldungen von der Realität ablenkt.
({22})
- Das haben auch Sie heute gemacht, Herr Glombig.
({23})
Sie können es nämlich nicht lassen, uns die durch Ihr rentenpolitisches Fehlverhalten aufgezwungenen Sparmaßnahmen als unser Verschulden anzurechnen.
({24})
Ich möchte mit aller Deutlichkeit vor der Öffentlichkeit feststellen, daß die seit 1. Oktober 1982 notwendig gewordenen Sparmaßnahmen
({25})
eindeutig und allein auf Ihr Konto gehen.
({26})
Lassen Sie mich zum Abschluß noch einige Bemerkungen zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD zur Strukturreform der Alterssicherung und zu den Schwerpunkten der Strukturreform in der gesetzlichen Rentenversicherung machen.
({27})
Ich möchte darauf hinweisen, daß schon in dieser
Legislaturperiode wichtige strukturelle MaßnahPöppl
men zur Weiterentwicklung des Rentenrechts, z. B. die Gleichstellung von Mann und Frau bei den Hinterbliebenenrenten, die Anerkennung der Erziehungszeiten, die Festlegung des Grundsatzes einer gleichgewichtigen Entwicklung von Renten und verfügbaren Arbeitnehmerverdiensten und die Aktualisierung der Rentenanpassung, verwirklicht worden sind und nach unserer Auffassung in Fortsetzung des bisher schon eingeschlagenen Weges so gestaltet werden können, daß sie den Anforderungen der kommenden Jahrzehnte gerecht werden.
({28})
Bei der Weiterführung der Strukturreform in der Rentenversicherung müssen eine Reihe von sozialpolitischen, rentensystematischen, finanziellen, steuerlichen sowie wirtschaftspolitischen und auch verfassungsrechtlichen Aspekten berücksichtigt werden. Mit der erfolgreichen Rentenpolitik der letzten Jahre wurde Zeit gewonnen, eine gründliche und sorgfältige Vorbereitung der weiteren Strukturreform zu machen. Wir stehen hier insoweit nicht unter Zeitdruck. Das ist die Situation, die Frau Kollegin Fuchs aufgegriffen hat: Sie wollte uns unter Zeitdruck setzen. Das lassen wir nicht mit uns machen.
({29})
Es ist das Anliegen der Koalitionsfraktionen ebenso wie das der Bundesregierung, für die vor uns stehende Strukturreform eine möglichst hohe Konsensfähigkeit im Parlament und mit allen gesellschaftlich relevanten Gruppen zu erreichen.
({30})
Gerade weil wir dafür eintreten, daß dem Wähler vor der Wahl unsere Auffassung zur Strukturreform bekannt sein soll, will ich kurz auf die Eckpunkte und Grundsätze, an denen wir uns orientieren wollen, hinweisen, weil Sie immer danach fragen.
Erstens. Die Rentner und Beitragszahler müssen auf die Sicherheit und die Beständigkeit des Rentenversicherungssystems vertrauen können.
Zweitens. Das gegliederte Gesamtsystem der Alterssicherung muß erhalten bleiben. Zu dem bestehenden Rentensystem gibt es aus ordnungs-, sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Gründen keine akzeptable Alternative. Vorstellungen über jede Art staatlicher Grundsicherung werden von uns strikt abgelehnt.
({31})
Eine Ersetzung des bestehenden Rentensystems durch ein völlig anderes Rentensystem
({32})
würde mehr und nicht weniger Probleme bringen.
Drittens. Am Grundsatz der Lebensstandardsicherung und der Teilhabe der Rentner am wirtschaftlichen Fortschritt wird festgehalten.
({33})
Viertens. Die aus den demographischen Veränderungen erwachsenden Belastungen müssen alle an der Rentenversicherung Beteiligten, also Rentner, Beitragszahler und Bund, angemessen mittragen.
({34})
Fünftens. Die Alterssicherung muß weiterhin Alterslohn sein und darf nicht zu einer allgemeinen, dem staatlichen Zugriff ausgesetzten Sozialleistung umgewandelt werden.
Sechstens. Renten und verfügbare Arbeitnehmereinkommen sollen sich gleichgewichtig entwickeln.
Siebtens. Der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung muß verläßlich gemacht werden.
({35})
Dies sind unsere Grundsatzpositionen für eine Strukturreform der Rentenversicherung in der nächsten Legislaturperiode.
Zusammenfassend darf ich feststellen, daß wir in der Rentenpolitik wieder festen Boden unter den Füßen haben und daß die CDU/CSU-Fraktion die Garantie abzugeben bereit ist, daß unter ihrer Regierungsverantwortung auch die langfristige Sicherung der Rentenfinanzen für die Zeiträume 1990 bis 2030 gewährleistet wird.
Ich danke Ihnen.
({36})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 37 a, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 10/6213. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Tagesordnungspunkt 37b ab, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6420 unter Nr. 2, den Rentenanpassungsbericht 1986 zur
Vizepräsident Frau Renger
Kenntnis zu nehmen. - Das Haus ist damit einverstanden. Es hat ihn zur Kenntnis genommen.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 37 c, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/5957.
Ich rufe die Art. 1 bis 10, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 37 d, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5571. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6433. Wer diesem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 37e, und zwar über den hierzu vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6423. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Damit sind wir am Ende dieses Teils unserer Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der kassenärztlichen Bedarfsplanung
- Drucksachen 10/5630, 10/5886 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0})
- Drucksache 10/6444 - Berichterstatter: Abgeordneter Egert
({1})
Im Ältestenrat ist eine Beratungszeit von 30 Minuten vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker ({2}).
Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes zur Verbesserung der kassenärztlichen Bedarfsplanung soll durch regional begrenzte, zeitlich befristete und arztgruppenbezogene Zulassungsbeschränkungen in überversorgten Gebieten eine gleichmäßige und wirtschaftliche kassenärztliche Versorgung erreicht werden.
({0})
Hierbei müssen über 50 % der Region zur Niederlassung frei bleiben.
Durch steigende Arztzahlen wird insbesondere in Ballungsgebieten Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung gefährdet. Krankenkassen, Arbeitgeber und Gewerkschaften wie auch die kassenärztliche Bundesvereinigung befürchten bei überversorgten Gebieten einen erheblichen Anstieg des Belastungsvolumens für die Krankenkassen. Sie nehmen an, daß bei mehr Ärzten und weniger Patienten bei dem einzelnen Arzt durch vermehrten Konkurrenzdruck die Gefahr eines großzügigeren Umgangs mit den Leistungen besteht und die Kostenbelastung für die Krankenkassen dann vergrößert wird.
({1})
Denn entscheidend für die Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht nur die Arzthonorare, Frau Wagner, sondern viel mehr die veranlaßten Leistungen, wie Verordnungen von Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhauspflege und die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit mit den Folgen für Lohnfortzahlung und Krankengeldzahlung. Denn auf je 1 DM Arzthonorar kommen 4 bis 5 DM veranlaßte Leistungen.
({2})
Auch eine Änderung des Honorarsystems, wie es die Opposition vorschlägt, würde deshalb für die gesetzliche Krankenversicherung keine Entlastung bringen, eher das Belastungsvolumen sogar noch vergrößern; es bringt außerdem die Gefahr einer Qualitätsminderung bei der kassenärzlichen Versorgung.
Die Maßnahmen der begrenzten Zulassungsbeschränkung helfen andererseits in den bisher weniger gut versorgten Gebieten, die Qualität der ärztlichen Versorgung zu verbessern, ohne daß nach Ansicht der Krankenkassen dann sehr rasch auch eine wesentliche Kostensteigerung erfolgen würde.
Dr. Becker ({3})
Jedenfalls bleibt diese Lösung kostengünstiger als in überversorgten Gebieten.
Es wurde kritisiert, die vorgeschlagene Gesetzesänderung sei zu bürokratisch und arbeitsaufwendig. Demgegenüber gibt es heute bereits bei der kassenärztlichen Vereinigung Zahlenbasen, die nach der bestehenden gesetzlichen Vorschrift bei kassenärztlicher Unterversorgung geschaffen worden sind, so daß der bürokratische Aufwand nur verhältnismäßig gering sein wird.
Auch die verfassungsrechtlichen Bedenken, die es verschiedentlich gegeben hat, sehen wir als nicht mehr gegeben an, da sich gegenüber dem ÄrzteUrteil von 1960 die Situation erheblich verändert hat und jetzt der Gemeinwohlbelang für die gesetzliche Krankenversicherung mehr in den Vordergrund getreten ist; denn die Sicherstellung der finanziellen Stabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Gemeinwohlaufgabe. Die Berufsausübungsfreiheit findet ihre Grenzen in höherrangigen Gütern des Gemeinwohls.
({4})
- Nein, nein, Herr Glombig, so ist das nicht. Das Gemeinwohl ist das Wohl, das der Allgemeinheit dient.
Die Forderung der Opposition,
({5})
beim Kassenarzt Zulassungsgrenzen im Alter einzuführen, weisen wir zurück.
({6})
Demgegenüber unterstützen wir ein freiwilliges Aussteigen ab dem 62. Lebensjahr. Wir haben dafür die gesetzlichen Grundlagen geschaffen.
({7})
Von einzelnen Ärzteverbänden wurde kritisiert, das Gesetz sei ein Schritt in die falsche Richtung,
({8})
da es nicht dazu beitrage, die Zunahme der Zahl der Ärzte zu begrenzen, sondern sie lediglich reglementierend verteile.
({9})
Nun, meine Herren von der Opposition, die Begrenzung der Arztzahl war hier keineswegs die Aufgabe. Insofern geht die Kritik in die falsche Richtung.
({10})
Meine Fraktion betrachtet andererseits dieses Gesetz als einen Einstieg in die Problematik der kassenärztlichen Versorgung. Die se Problematik wird uns in der nächsten Legislaturperiode im Rahmen der geplanten Strukturreform weiterhin beschäftigen, einschließlich der Vorgaben durch die neuesten EG-Richtlinien. Wir werden eine Lösung suchen, um hier den Belangen der gesetzlichen Krankenversicherung, der Bevölkerung und der
Ärzte gerecht zu werden. Das ist eine schwierige Aufgabe, jedoch des Schweißes der Abgeordneten durchaus wert. Dazu sind Sie alle herzlich eingeladen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.
({0})
Herr Präsident! Herr Kollege, also wenn Sie nur reden würden, wenn Sie Ahnung hätten, würden Sie vermutlich für den Rest Ihres Lebens ins Schweigekloster eingesperrt werden. Aber das ist eine ganz andere Problematik.
({0})
Es gibt vermutlich nur wenige Gesetzentwürfe der vergangenen Jahre, bei denen Ziel und Wirkung eines Gesetzes in einem so großen Maß auseinandergefallen sind, wie es bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung der Fall ist.
Die Bundesregierung begründet ihren Gesetzentwurf u. a. folgendermaßen:
Sicherung von Wirtschaftlichkeit und medizinischem Nutzen ist zur Begrenzung des Kostenanstiegs in der gesetzlichen Krankenversicherung und damit zur Erhaltung ihrer Finanzierbarkeit unerläßlich. Die finanzielle Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung ist besorgniserregend. Der durchschnittliche Beitragssatz ist von 11,44 v. H. Ende 1984 bis Anfang 1986 auf 12,15 v. H. gestiegen. Bei mehreren Kassen hat der Beitragssatz die 14 v. H.Grenze überschritten. Das Beitragsaufkommen der Versichertengemeinschaft ist nicht beliebig vermehrbar. Weiterer Kostenanstieg gefährdet die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung.
Dieser Problembeschreibung seitens der Bundesregierung ist uneingeschränkt zuzustimmen.
({1})
- Das ist einer der seltenen Fälle,
({2})
in denen die Bundesregierung die Schärfe des Problemes immerhin erkennt. - Die durchschnittlichen Krankenversicherungsbeiträge sind die höchsten seit 1949. Zusammen mit den übrigen Sozialversicherungsabgaben - Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung - sowie der gegenwärtigen Lohnsteuersätze beläuft sich die Abgabenbelastung eines Arbeitnehmers mit Durchschnittsverdienst auf mehr als 42 %. Auch dies ist eine Höchstmarke seit 1949.
({3})
- Ja, das ist die Erblast der zukünftigen Regierungen.
Um die Analyse der Lage zu vervollständigen, sei noch auf folgende Faktoren hingewiesen:
Erstens. Selbst nach Auffassung der Bundesregierung treten ärztliche Unterversorgungssituationen in der Bundesrepublik im allgemeinen nicht mehr auf.
({4})
Das Angebot an kassenärztlichen Leistungen deckt somit jetzt schon den gesellschaftlichen Bedarf mehr als ab.
Zweitens. Die Bundesrepublik nimmt bezüglich der ärztlichen Versorgungsdichte mit einem Arzt pro 402 Einwohner jetzt schon eine weltweite Spitzenstellung ein.
Drittens. Die Zahl der Versicherten nimmt ständig ab, die Zahl der Kassenärzte steigt ebenso beständig. Die Zahl der in der gesetzlichen Krankenversicherung tätigen Kassenärzte und Vertragsärzte betrug 1971 noch 47 000, 1984 bereits mehr als 62 000. Für 1991 ist nach äußerst zurückhaltenden Schätzungen - nach äußerst zurückhaltenden Schätzungen! - mit mindestens 77 000 Kassenärzten zu rechnen.
({5})
Angesichts der hohen Zahl von Medizinstudenten wird der jährliche Nettozugang an Kassenärzten auf gut 2 500 veranschlagt.
({6})
Viertens. Die Erfahrung zeigt, daß sich die von jedem Arzt veranlaßten jährlichen Kosten im Durchschnitt auf ca. 1 Million DM belaufen. Dieses Kostenvolumen ist unabhängig von der jeweiligen Gesamtsumme der Kassenärzte. Im Klartext: Mit jedem weiteren Kassenarzt steigen die Arztkosten pro Jahr und Arzt um ca. 1 Million DM. Mitursächlich dafür ist, daß der Kassenarzt Art und Umfang seiner Leistung sowie die Dauer der Behandlung und damit letztlich die Höhe seines Einkommens weitgehend autonom bestimmen kann.
Angesichts der anskizzierten Problemfülle, die die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung in der Tat aufs schwerste gefährden wird, ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem berühmten Berg vergleichbar, der kreißt und ein Mäuslein gebiert. Der Gesetzentwurf zeichnet sich durch mehrere Absurditäten zusätzlich aus:
Erstens. Das Gesetz der Bundesregierung nimmt keinerlei Einfluß auf die rapide Zunahme der Zahl der Kassenärzte. Es wird in Zukunft nicht einen einzigen Kassenarzt weniger geben, sondern ganz erhebliche Zuwächse. Ich habe die Zahl soeben genannt.
Zweitens. Der Zuwachs der von den zusätzlichen Kassenärzten verursachten Kosten wird durch den Gesetzentwurf nicht um eine einzige Mark abgebremst.
Drittens. Es verbleibt als einzige Wirkung des Gesetzes, eine Zulassung neuer Kassenärzte in überversorgten Regionen zu verhindern, sie auf allerdings im Regelfall auch jetzt schon ausreichend versorgte Gebiete abzudrängen und damit neue Überversorgungsregionen mit neuen zusätzlichen Problemen zu schaffen.
({7})
Das ist in der Tat die einzige Wirkung. Das heißt: Das Gesetz steht von seiner Zielsetzung her in völligem Widerspruch zu seiner Wirkung, ist ein geradezu klassisches Beispiel einer absurden gesetzgeberischen Maßnahme. Es hat im übrigen selbst in den Koalitionsfraktionen, die ja, wie die Abstimmungen im Ausschuß gezeigt haben, über den Gesetzentwurf der Bundesregierung keineswegs besonders glücklich sind, Wirkungen hinterlassen.
({8})
- Ja, der Chefideologe Pöppl hat zugestimmt, aber das ist kein Wichtigkeitskriterium für den Gesetzentwurf. Fazit: Das erklärte Hauptziel des Gesetzes, die weitere Finanzierbarkeit und damit letztlich das System der gesetzlichen Krankenversicherung aus der tödlichen Umklammerung steigenden Kostendruckes herauszubringen, wird vollständig verfehlt. Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung ist nicht einmal seine eigenen Druckkosten wert.
({9})
Es gibt wohl nur wenige Beispiele, bei denen Ziel und Wirkung eines Gesetzes in so eklatantem Widerspruch stehen wie bei diesem Gesetz.
Das zentrale Dilemma der Bundesregierung besteht darin, einerseits die Schärfe des Problems deutlich erkannt zu haben - das ist, wie gesagt, selten genug -, andererseits aber nicht die geringste Kraft aufzubringen, versteinerte Lobby-Interessen aufzubrechen.
({10})
Die weitere Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung und das berechtigte Berufsinteresse des ärztlichen Nachwuchs lassen nur einen gemeinsamen Nenner erkennen: Die berufliche Eingliederung der nachwachsenden Ärztegeneration verträgt angesichts weitestgehend erreichter gesellschaftlicher Bedarfssättigung nur eine kostenneutrale Lösung. Jede andere Lösung käme einer quasi-öffentlichen Subventionierung überflüssiger und gar mißbräuchlicher Leistungen gleich.
Warum soll eigentlich eine verbindliche Festlegung der Altersgrenze bei den zur Kassenversorgung zugelassenen Ärzten - wie den allermeisten anderen Berufsgruppen in der Bundesrepublik Deutschland auch - nicht möglich sein? Während in manchen Berufsbereichen den Beschäftigten angesichts der Sättigung des Marktes zugemutet wird, mit dem 55. Lebensjahr oder gar noch wesentlich früher pensioniert zu werden, gibt es bei den
kassenärztlichen Vereinigungen Regionen, in denen bis zu 15% der praktizierenden Kassenärzte das 65. Lebensjahr teilweise weit überschritten haben. Ich denke, daß hier ein weites Feld von denkbaren gesetzlichen Regelungsmöglichkeiten besteht, die sich zu Recht auf eine wohlverstandene Generationensolidarität innerhalb der Ärzteschaft berufen könnten.
Das außerordentlich hohe Durchschnittseinkommen der Ärzte - nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes bei ca. 200 000 DM pro Jahr vor Steuern - bietet einen ganz erheblichen gesetzlichen Regelungsspielraum. Als Nebenbemerkung: Bei den Zahnärzten liegt übrigens der jährliche Durchschnittsverdienst um vieles, vieles darüber. Der Hinweis auf diese Zahlen hat mit Sozialneid nichts zu tun. In Wirklichkeit geht es um sehr ernste Fragen.
Erstens: Sind den bereits praktizierenden Ärzten angesichts des beschriebenen Einkommensniveaus finanzielle Zugeständnisse mit Blick auf die Berufs-und Zukunftschancen der nachwachsenden Ärztegeneration zumutbar? Meine Antwort ist ein uneingeschränktes Ja.
Zweitens: Wie verhält es sich eigentlich mit unserem Leistungsbegriff? Erbringen diejenigen, denen wir eine Gesamtabgabenquote von inzwischen über 42 % des Bruttoeinkommens zumuten - wobei die steigenden Krankenversicherungsbeiträge eine erhebliche Rolle spielen - eigentlich keine auch vom Staat schätzenswerte Leistung? Und wer kann andererseits unter Leistungsgesichtspunkten das Jahreseinkommen der ärztlichen Anbieterseite, etwa der Zahnärzte, eigentlich noch begründen? Wobei zwischen beiden Gesichtspunkten ein ursächlicher Zusammenhang besteht: Was die ärztliche Anbieterseite zusätzlich erhält, fehlt auf der Seite der Versicherten beim verfügbaren Einkommen.
Die Bundesregierung traut sich an diese Lösungen nicht heran, weil sie vor der geballten Lobby-macht kampflos in die Knie geht.
({11})
Das ist der eigentliche Punkt.
Noch merkwürdiger verhält es sich mit dem von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen häufig vorgetragenen Argument, eine gesetzliche Begrenzung der Arzthonorare führe zwangsläufig zu einer Minderung der ärztlichen Behandlungsqualität. Hier wird von seiten der Regierungsfraktionen ein Arztbild unterstellt, das den Arzt auf die Karikatur eines profitsüchtigen Geldraffers reduziert.
({12})
- Ja, das ist merkwürdigerweise eine durchgehende Erfahrung bei Ihnen.
Es gibt ja bei uns seit langem Berufe, die, ähnlich wie der Arztberuf, in hohem Maße durch menschliche Zuwendungsbereitschaft gekennzeichnet sind, z. B. der Lehrerberuf. Hier sind, wenn auch in ganz anderen gesetzlichen Zusammenhängen, die Verdienste pauschalisiert. Ich will das gar nicht oberflächlich vergleichen. Niemand ist bislang auf die Idee gekommen, nicht einmal einer Ihrer Chef ideologen - ich sehe ihn jetzt gar nicht; er scheint in Deckung gegangen zu sein; der sehr ehrenwerte Kollege Pöppl ist jetzt irgendwo in Deckung -,
({13})
besonders hervorragende oder - umgekehrt - besonders miserable Leistungen, etwa im Lehrerbereich, auf die Pauschalisierung der Einkommensstrukturen zurückzuführen. Sollte sich aber das Mißtrauen der Bundesregierung im Hinblick auf die Qualität der ärztlichen Versorgung bewahrheiten, wäre dies in der Tat ein Grund, auf neue Weise und sehr grundsätzlich über das System der kassenärztlichen Versorgung einschließlich der Preis-und Honorargestaltung nachzudenken.
Ich danke Ihnen. - Ich sehe inzwischen auch wieder den Kollegen Pöppl. Schönes Wochenende!
({14})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schreiner hat hier wieder einmal einen seiner so richtig vor Ideologie triefenden Artikel vorgelesen. Ich will ganz kurz nur zu zwei Punkten etwas sagen.
Herr Schreiner, Sie sind doch selber Jurist. Offensichtlich ist Ihnen die Freiberuflichkeit, die auch Sie als Jurist, nämlich als Rechtsanwalt, erreichen könnten, in ihren Grundzügen ständig fremd geblieben, denn sonst könnten Sie nicht fordern, eine Altersgrenze für Freiberufler einzuführen.
({0})
Ich kann Sie an dieser Stelle eigentlich nur fragen, ob Sie dann nicht auch für andere Berufsgruppen eine Altersgrenze einführen wollen.
({1})
- Ja? Herr Glombig, wie wäre es denn eigentlich mit einer Altersgrenze für Parteivorsitzende? Das wäre doch auch einmal etwas.
({2})
Herr Schreiner, wenn Sie sich hier so ausgiebig über Ärzteeinkommen auslassen: Sie haben sich sicherlich auch schon einmal ausgerechnet, daß der Herr Lappas nach den Informationen, die uns in den letzten Tagen über die Medien zugegangen sind, auch 2 000 DM gekriegt hat, aber jeden Tag. Jeden Tag hat er 2 000 DM gekriegt, 60 000 DM im Monat.
({3})
Die unterschiedlichen Maßstäbe, die Sie anlegen,
charakterisieren Sie. Wenn jemand von den Ge19156
werkschaften, d. h. von den Arbeitnehmergroschen, bezahlt wird,
({4})
kann er offensichtlich richtig zulangen. Aber wenn jemand Arzt studiert hat, muß er sich mit ganz anderen Dingen auseinandersetzen und auch begnügen.
({5}) Jetzt ernsthaft.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Nein.
({0})
Meine Damen und Herren, das vorliegende Gesetz zur Bedarfsplanung bei Überversorgung in der kassenärztlichen Versorgung
({1})
hat in der FDP-Fraktion keine Freude ausgelöst. Es hat auch nicht so sehr viele Freunde gefunden.
({2})
Erstens wird damit Bürokratie eingeführt. Das läßt sich nun einmal nicht leugnen. Bürokratie zusätzlicher Art sollten wir eigentlich zu vermeiden versuchen. Aber die viel tiefgehenderen Bedenken richteten sich dagegen, daß unter Umständen andere Prinzipien in Gefahr geraten könnten.
Die Berufsfreiheit ist im Grundgesetz garantiert, und die Niederlassungsfreiheit der Ärzte ist vom Verfassungsgericht festgeschrieben worden. Das sind die Überlegungen, die sehr sorgfältig geprüft werden mußten. Außerdem werden hier natürlich die sehr berechtigten Interessen der jungen Ärzte mit berührt, der jungen Ärzte, die natürlich auf die Dauer auch Zugang zur kassenärztlichen Versorgung haben müssen; denn wir können ihnen nicht zumuten, daß sie irgendwann einmal vor einer geschlossenen Tür stehen, obwohl sie eine Ausbildung gemacht haben.
({3})
Aber alles das, was in der kassenärztlichen Versorgung passiert, würde nur noch denjenigen zugute kommen, die schon drin sind. Wir haben an vielen anderen Stellen der Gesellschaft das Problem, daß wir immer wieder dafür sorgen müssen, daß die Türen auch für Berufszugänger geöffnet bleiben.
({4})
Deshalb mußten wir auch bei den Überlegungen zu
diesem Gesetz immer wieder ernsthaft prüfen, ob
die jungen Ärzte noch eine Chance in der Zukunft haben.
({5})
Wir haben letztlich nach vielen Überlegungen unsere Bedenken überwunden. Ich will das begründen: Auch in der Zukunft haben Ärzte, die mit ihrer Ausbildung fertig sind, jederzeit die Möglichkeit, sich niederzulassen. Sie können zwar nicht mehr wie in der Vergangenheit ganz frei den Ort ihrer Niederlassung wählen, aber immerhin müssen 50 der kassenärztlichen Gebiete für eine Niederlassung jederzeit offen bleiben. Die Zulassungssperren werden darüber hinaus zeitlich befristet ausgesprochen. Und diese zeitliche Befristung kann einmal verlängert werden. Außerdem ist in der zu verabschiedenden Fassung noch zusätzlich durch Änderungsanträge sichergestellt, daß den Belangen junger Ärzte jederzeit auch durch Eingreifen des Verordnungsgebers Rechnung getragen werden kann,
({6})
wenn in der Selbstverwaltung die Tendenz, closed shops zu schaffen, übermächtig werden sollte.
Die Kassenärzte, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben durch ihre Vergütungsvereinbarungen des Jahres 1986 Vorleistungen erbracht. Wir dürfen sie mit den Problemen steigender Ärztezahlen jetzt nicht alleine lassen.
Wir sagen aber auch ganz klar, daß die jetzt gefundenen Regelungen in der Strukturreform einer Überprüfung bedürfen.
({7})
Die Fragen steigender Ärztezahlen müssen in der Strukturreform erörtert werden. Sie dürfen nicht dazu führen, daß die Finanzierbarkeit des Systems dauerhaft gefährdet wird. Das heißt, eine Überprüfung auch der jetzt gefundenen Maßnahmen muß mit dem Ziel geschehen, jungen Ärzten den Zugang zum System zu erleichtern, aber letztlich auch dafür zu sorgen, daß die Beitragszahler nicht über Gebühr belastet werden. Das wird ein schwieriges Unterfangen. Aber es gibt dafür schon eine ganze Menge Vorschläge. Ich bin sicher, daß in der nächsten Legislaturperiode
({8})
die Koalition in der jetzigen Zusammensetzung auch diese Probleme bewältigen wird.
({9})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verbesserung der kassenärztlichen Bedarfsplanung hat das vorliegende Gesetz zum Ziel. Aber ist ein Bedarf im Gesundheitswesen nach einleuchtenden Kriterien eigentlich festzustellen? Wie bemißt sich denn der Bedarf? Kann man die Anzahl der niedergelassenen Ärzte als Kriterium nehmen, wie der vorliegende Gesetzentwurf es tut? Ich meine: nein. Ich stehe mit meiner Meinung nicht allein.
Wenn man überhaupt einen Bedarf feststellen kann - was ich bezweifle -, so höchstens den an Beratung, Verrichtung oder anderen Kriterien. Auf keinen Fall ist es die Anzahl der Ärzte. Aber die Anzahl der niedergelassenen Ärzte soll auch gar nicht gleichbleibend gehalten oder gar vermindert werden. Das kann der Gesetzentwurf überhaupt nicht. Dem stehen auch verfassungsrechtliche Bedenken entgegen.
Die Ärzte sollen in die verschiedenen Regionen gleichmäßig umverteilt werden. Wie Herr Blüm damit - wie er immer propagiert - zu einer finanziellen Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen kommen will, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Dieser Gesetzentwurf kann es beim besten Willen nicht.
({0})
Dies haben auch Ihre Koalitionsfreunde schon mehr oder weniger deutlich gesagt.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP, trotz massiver Bedenken doch zustimmen, so ist das ein Solidaritätsopfer für Ihren Minister, der endlich einmal einen Erfolg in Form eines Gesetzes vorlegen muß. Dieses Opfer ist Ihre Sache.
Interessant ist allerdings die Frage, wie sich die Gewerkschaften und Krankenkassen zu diesem Gesetz stellen. Die Krankenkassen lehnten das Gesetz erst einmal ab. Kurz vor der Anhörung im Ausschuß haben sie' dann - sehr zur Überraschung der SPD-Fraktion übrigens - ihre Meinung geändert. Die Erklärung des Geschäftsführers des AOK-Bundesverbandes auf die Frage, ob dieses Gesetz nicht lieber bis zur vorgesehenen Strukturreform im nächsten Jahr zurückgestellt werden sollte, auch vor der Erwartung, daß dann bessere und effektivere Gesetze vorgelegt werden, spricht Bände. Man muß nehmen, was man kriegen kann, hieß es da lapidar.
Das bedeutet doch:
Erstens. Die Krankenkassen erwarten eben keine großartige Strukturreform in der nächsten Legislaturperiode.
Zweitens. Sie haben auch Angst vor den Folgen einer solchen Strukturreform. Sie fürchten, daß der Wettbewerb der Krankenkassen als Lösung angeboten wird. Davor müssen sie sich auch fürchten. Denn das bedeutet, daß gerade bei den Ortskrankenkassen in den ländlichen Regionen das große Sterben der Kassen beginnt.
Drittens belegt es auch die Konzeptionslosigkeit der Krankenkassen, die mit Alternativen leider nicht aufwarten können.
Aber dieses Gesetz schadet den Krankenkassen nicht. Warum sollte man also nicht zustimmen? Vielleicht zeigt sich der Minister dann bei der anstehenden Strukturreform erkenntlich.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist nun der Meinung, daß durch das vorliegende Gesetz die Sicherung der Qualität und Wirtschaftlichkeit erreicht wird. Andererseits steht in seiner Stellungnahme, daß zu erwarten ist, daß durch eine gleichmäßigere regionale Verteilung theoretisch das Volumen der ärztlichen Honorare ansteigt. Was ist dann daran wirtschaftlich? Einen Satz weiter heißt es dann: Unter den Bedingungen der plafondierenden Honorarpolitik wird sich dies nicht ausgabenerhöhend auswirken. Ich verstehe das so: Das Gesetz steigert das Honorarvolumen; dies muß nun wieder durch andere Maßnahmen verhindert werden. Das ist wirklich eine tolle Logik. Gesundheitsgerechte Strukturpolitik und Leistungssteuerung überfordern die Kraft des DGB offensichtlich ganz erheblich.
Ich will noch einmal direkt auf das Gesetz kommen. In der Begründung des Gesetzentwurfes stehen ein paar richtige Analysen. Doch daraus werden überhaupt keine Schlüsse gezogen. Da steht z. B., daß auch bei sinkenden Patientenzahlen die Leistungsausweitung und damit die Einkommenskompensation durch Spielräume für medizinische Dispositionen des Arztes ermöglicht wird. Es heißt weiter, daß der Kassenarzt in der Lage ist, den Umfang seiner Leistungen weitgehend selbst zu bestimmen. Das ist also die Möglichkeit - die ihm die einzelne Leistungsvergütung bietet -, sein Einkommen zu steigern. Das ist doch der eigentliche Kern des Problems. Es ist nicht ein Zulassungs-, sondern ein Vergütungsproblem.
Deshalb fordern die GRÜNEN auch die pauschale Honorierung von Ärzten auf deutlich niedrigerem Niveau als das heute durchschnittliche Ärzteeinkommen. Wenn Sie diese Strukturen im nächsten Jahr angehen wollen, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite, Herr Blüm.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Entwurf dieses Gesetzes hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung zugestimmt, haben alle Spitzenverbände der Krankenkassen zugestimmt.
({0})
- Vielen Dank, Herr Glombig, für die Bestätigung meines Vortrags. Es haben die Gewerkschaften zugestimmt, und es haben die Arbeitgeber zugestimmt. Freilich, es gab auch wütende Proteste, es
gab Interessenverbände, die ganz anderer Meinung waren, Lobbyisten.
({1})
Ich bleibe dabei: Wir machen unsere Politik überhaupt nicht von Lobbyismus und Interessenvertretung abhängig. Was richtig ist, muß gemacht werden.
({2})
Ich will auch ganz ohne Umschweife hinzufügen: Wir lösen hier auch ein Wort ein, wir lösen eine Zusage ein, nämlich die Zusage der Koalitionsfraktionen gegenüber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, sie in Sachen Bedarfsplanung nicht alleinzulassen, das Instrumentarium veränderten Bedingungen anzupassen. Wenn es richtig ist, muß es gemacht werden.
Noch viel wichtiger ist, daß man sich auf unser Wort verlassen kann. Wenn wir etwa zusagen, machen wir es auch, gegen alle Widerstände.
({3})
Ich finde, daß das in einem System der Freiwilligkeit wichtig ist. Ein solches System ist auf Vereinbarungen angewiesen. Gerade in einem solchen System ist es wichtig, daß ein gegebenes Wort auch gehalten wird, daß man auf Freiwilligkeit setzen kann und Zusagen eingehalten werden.
Ich will auch hinzufügen, daß Kassenärztliche Bundesvereinigung und Krankenkassen für die zurückliegenden Jahre, für das laufende Jahr und auch für die kommenden Jahre vorbildliche Verträge abgeschlossen haben. Das ist nicht selbstverständlich. Von diesen Verträgen können sich manch andere, beispielsweise die Krankenhäuser und auch die Heil- und Hilfsberufe, eine Scheibe abschneiden. Es muß das Bewußtsein vorhanden sein, daß es unsere Krankenversicherung ist, daß sie nicht aus himmlichen Einnahmequellen gespeist wird. Wer sie überfordert, bringt sie zum Zusammenbruch. Insofern sitzen wir alle in einem Boot: Patienten, Versicherte, Ärzte, Pharmaindustrie. Wir werden das System nur erhalten, wenn es finanzierbar bleibt.
({4})
Es geht also einerseits um die Einlösung einer Zusage - nicht im Sinne eines Kuhhandels -, und es geht andererseits darum, das sachlich Richtige zu tun. Sachlich richtig ist, daß wir eine ausgewogene Verteilung auch der Ärzteniederlassungen brauchen, daß wir eine Konzentration der Ärzte in wenigen Ballungsgebieten verhindern müssen. Eine solche Konzentration wäre weder gesundheitspolitisch gut noch wirtschaftlich hilfreich. Sie sehen: Die Begriffe „Gesundheit" und „Wirtschaftlichkeit" sind keineswegs Gegensätze.
Ich bin auch sehr dankbar dafür, daß noch einmal festgestellt wurde - Frau Adam-Schwaetzer hat es gesagt -, daß es keine Zulassungssperren, sondern lediglich Zulassungsbeschränkungen geben wird, die es bisher im Zusammenhang mit einer Unterversorgung auch schon gab. Wir dehnen das Phänomen von Zulassungsbeschränkungen auf den Fall der Überversorgung aus.
Es bleibt dabei, daß das Problem der wachsenden Arztzahlen auch Fragen an die Krankenversicherung aufwirft. Ich will auch dazu noch einmal die Zahlen nennen. 1960 waren es 32 500 Ärzte; es kommen noch 4 500 Ersatzkrankenkassenärzte hinzu. 1986 sind es 64 000 Ärzte, und 1990 werden es 77 000 Ärzte sein.
Hier stellt sich erstens die Frage nach der Sicherung der Ausbildungsqualität. Es gibt nämlich Kapazitätsgrenzen für die Ausbildung. Da ist in Ihrer Zeit überhaupt nichts gemacht worden. Für die Ausbildung des Arztes am kranken Menschen werden die Möglichkeiten durch die Tatsache beschränkt, daß die Zahl der Ausbildungsobjekte nicht beliebig vermehrbar ist.
Ich will auch hinzufügen, daß alle, die vor der Wahl des zukünftigen Berufs stehen, wissen müssen, daß Einkommenssteigerungen wie in vergangener Zeit in Zukunft sicherlich auch für den Ärztestand nicht mehr vorhanden sein werden. Für die Motivation, den Beruf eines Arztes zu wählen, muß das nicht hinderlich sein, denn das Ethos des Arztes basiert darauf, dem kranken Menschen zu helfen.
({5})
Deshalb mein Respekt all denen gegenüber, die ihren Dienst am kranken Menschen tun, mein Respekt und auch meine Unterstützung für Lösungen, die die Selbstverwaltung trifft. Dieses Gesetz ist nichts anderes als ein verbessertes Instrumentarium für die Selbstverwaltung. Es liegt damit ganz im Sinne einer freiheitlichen selbstverantwortlichen Krankenversicherung.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Herr Kollege Dr. Faltlhauser hat zu diesem Punkt eine persönliche Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung eingereicht. Sie wird als Anlage abgedruckt.*)
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/5630 in der Ausschußfassung.
Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift, mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
*) Anlage 4
Vizepräsident Westphal
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 39 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen ({0})
- Drucksachen 10/5981, 10/6280 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksachen 10/6438, 10/6462 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Faltlhauser Kirschner
bb) Bericht des Haushaltsausschusses
({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/6439 -Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler ({3}) Strube
Frau Seiler-Albring
Dr. Müller ({4})
({5})
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Arbeitnehmerbeteiligungen am Produktivvermögen
- Drucksache 10/3955 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({6})
- Drucksache 10/6438, 10/6462 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Faltlhauser Kirschner
({7})
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Huonker, Jung ({9}), Kirschner, Rapp ({10}), Rappe ({11}), Urbaniak, Weinhofer, Dr. Wieczorek, Dr. Apel, Duve, Frau Fuchs ({12}), Roth, Dr. Spöri, Meininghaus, Reimann, Sieler, Stahl ({13}), Frau Traupe, Westphal, Wolfram ({14}), Würtz, Reuschenbach, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen
- Drucksachen 10/4747, 10/6443 Berichterstatter: Abgeordnete ...
Zu Punkt 39 a liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6440 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 39 a bis c 45 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Der Berichterstatter Herr Dr. Faltlhauser hat zu einer Korrektur das Wort erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weise darauf hin, daß in Art. 2 Nr. 2 unter Buchst. g in der uns vorliegenden Berichterstattungsfassung vom 12. November 1986 auf Seite 27 ein, wie ich annehme, redaktioneller Fehler vorliegt. Da heißt es in der zweiten Zeile entsprechend dem Änderungsantrag des federführenden Ausschusses zwar richtigerweise „neun Monate"; aber in der 16. Zeile des gleichen Abschnittes heißt es - wie es vorher schon geregelt war -: „zwölf Monate". Selbstverständlich, Herr Präsident, muß es auch in der 16. Zeile „neun Monate" heißen.
Ich hoffe, daß es übereinstimmt. Ist das im Ausschuß so festgehalten worden? Ich wäre dankbar, wenn ich da auch noch die Zustimmung der anderen Beteiligten hörte. - Dann wird die Korrektur entsprechend vorgenommen.
Ich eröffne nun die Aussprache. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erfolgreiche Politik beweist sich nicht durch Reden und Ankündigungen. Erfolgreiche Politik ist an Taten zu messen.
({0})
Weil dies so ist, ist diese Koalition und ist diese Bundesregierung so erfolgreich. Wir versprechen nicht nur, wir tun, was wir angekündigt haben. Wir halten Wort, auch bei der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand.
Vor dem 6. März 1983 haben wir das Vermögensbeteiligungsgesetz angekündigt. Am 1. Januar 1984 ist dieses Gesetz bereits in Kraft getreten.
({1})
Im Vorblatt dieses Ersten Vermögensbeteiligungsgesetzes haben wir wiederum angekündigt, daß wir noch in dieser Legislaturperiode eine zweite Stufe zum Vermögensbeteiligungsgesetz vorlegen. Am 1. Januar 1987 wird dieses zweite Gesetz in Kraft treten. Wir halten Wort.
Wir setzen damit den erfolgreichen vermögenspolitischen Weg der Union aus den 50er und 60er Jahren fort.
({2})
Von 1952 bis 1969 haben wir neun Vermögensbildungsgesetze verabschiedet. Von 1969 bis 1982 hat die SPD dagegen neun offizielle und dokumentier-bare Anläufe für eine vermögenspolitische Initiative gemacht. Neunmal ist nichts geschehen, neunmal gab es nur Rohrkrepierer.
({3})
Da die SPD den Arbeitnehmern nur immer Versprechungen gemacht hat, darf sie sich nicht wundern, daß ihr die Arbeitnehmer scharenweise davonlaufen. Das haben sie jetzt in Bayern und in Hamburg getan, und sie werden es am 25. Januar bei der Bundestagswahl wiederum tun, meine Damen und Herren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Huonker?
Nein, danke schön. Ich habe keine Zeit.
Ihr Kandidat läßt auf allen Straßen der Bundesrepublik plakatieren: Mehr für soziale Gerechtigkeit.
({0})
Die SPD, Herr Huonker, kann etwas für praktische soziale Gerechtigkeit tun, wenn sie heute hier in diesem Hause dem Zweiten Vermögensbeteiligungsgesetz ihre Zustimmung gibt.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr Nein zu diesem Gesetz wäre ein Nein zu den fundamentalen Interessen der Arbeitnehmerschaft in diesem Lande.
({1})
Die beiden Vermögensbeteiligungsgesetze dieser Legislaturperiode sind als Paket zu sehen. Das Zweite Vermögensbeteiligungsgesetz ist nur eine notwendige Abrundung des ersten. Das Grundanliegen dieses zweiten Gesetzes ist sehr einfach: Durch eine außerbetriebliche Anlageform - wir haben Sondervermögen nach dem Kapitalanlagengesetz gewählt - wird sichergestellt, daß Lohnanteile, die investiv als Produktivkapital angelegt werden sollen, nicht ausschließlich in die Aktiengesellschaften, in Großunternehmen fließen, sondern auch den mittelständischen Unternehmen zugute kommen können. Wenn z. B. in Zukunft in der Textilindustrie ein Tarifvertrag über Vermögensbildung abgeschlossen wird, dann zahlt die kleine Krawattenfabrik Garn und Zwirn OHG ihren Investivlohnanteil nicht zur Stärkung der Kapitalbasis von Mercedes, sondern vielleicht auch zur Investitionsfinanzierung des benachbarten mittelständischen Metallunternehmens.
Nun weist die Opposition immer darauf hin - ich erwarte die entsprechende Kritik auch von meinem Nachredner, Herrn Huonker -, daß die Sondervermögen mit technischen Problemen belastet sind, die nur schwer überwindbar sind.
({2})
Darauf hat die SPD auch in den 70er Jahren immer wieder hingewiesen. Ich sage Ihnen: Diese technischen Probleme waren bereits in den 70er Jahren eine willkommene Ausrede für die SPD, eine unwillkommene Vermögensbildung nicht durchsetzen zu müssen. Auch heute sind diese technischen Probleme für die SPD nur eine Ausrede, um nicht mit uns gemeinsam konstruktiv an der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand mitarbeiten zu müssen.
({3})
Die Experten, die wir im Bundestag gehört haben, haben uns überwiegend bestätigt, daß die Beteiligungssondervermögen, die außer Wertpapieren auch stille Beteiligungen an nicht börsennotierten Unternehmen erwerben können, ein geeignetes Instrument sind,
({4})
tarifvertraglich vereinbarte Investivlohnanteile an die mittelständische Wirtschaft zurückzuführen. Die Experten bestätigen auch, daß das Ertragswertverfahren bei der Bewertung der stillen Beteiligung als gelöst und praktikabel anzusehen ist. Ein Professor sagte wörtlich: Für die Bewertung bedarf es keines Diplommathematikers; das übersieht und beherrscht ein Student der Betriebswirtschaft im ersten Semester.
Wir glauben auch, daß die Liquiditätsproblematik dieser Investmentfonds zufriedenstellend gelöst ist. Dadurch, daß diese Fonds 70 % Aktien als Liqiditätspuffer führen müssen, haben sie genug Liquiditätsspielraum, um auch einem Rückzahlungsbegehren in einem großen Umfang gerecht zu werden. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen in den Beratungen auch diejenigen Regelungen ersatzlos gestrichen, die eine Aussetzung der Rückzahlbarkeit dann vorsahen, wenn der Wert der stillen Beteiligungen am Gesamtvermögen des Fonds von 30 auf 40 % gestiegen ist.
Die Experten der Anhörung bestätigen uns hierbei. Durch eine Rückzahlungsaussetzung - so sagten sie - würden die Anteilsscheine dieser Investmentfonds am Markt diskriminiert. Wir wollen aber Arbeitnehmerinvestmentanteile erster Wahl und nicht zweiter Wahl.
({5})
Durch unsere Entscheidung im federführenden Ausschuß haben wir diese Investmentpapiere voll wettbewerbsfähig am Markt gemacht.
Unsere beiden Gesetze sind ein Beitrag zu mehr Partnerschaft in dieser Gesellschaft. Wir wollen mit diesen Gesetzen Kapital und Arbeit versöhnen. Das Gegenkonzept heißt Klassenkampf. Klassenkampf heißt spalten. Ich frage den Kandidaten am Tag der
Verabschiedung dieses zweiten Vermögensbeteiligungsgesetzes:
({6})
Wer ist in dieser Gesellschaft für Versöhnen, und wer ist für Spalten? Wer für Versöhnen ist, muß heute für das Vermögensbeteiligungsgesetz stimmen.
({7})
Wir wollen mit diesem Gesetz erreichen, daß die immer teurer werdenden Arbeitsplätze nicht von wenigen Großaktionären, von anonymen Banken oder gar von Ölscheichs finanziert werden. Wir wollen, daß die einzelnen Arbeitnehmer am Firmenbesitz teilhaben.
Daß bereits die erste Stufe unseres Gesetzes sehr erfolgreich war, zeigt eine Untersuchung, die in dieser Woche von Professor Schneider und Hans-Günter Guski veröffentlicht wurde. Diese Untersuchung belegt, daß erstens der Zuwachs an betrieblicher Mitarbeiterbeteiligung seit dem 1. Januar 1984 - dem Termin des Inkrafttretens des ersten Gesetzes - viermal größer ist als vorher; daß sich zweitens das Produktivkapital in Arbeitnehmerhand innerhalb von drei Jahren auf 8,7 Milliarden DM versechsfacht hat; daß drittens seit dem 1. Januar 1984 21 Tarifverträge für mehr als 400 000 Arbeitnehmer abgeschlossen wurden. Diese großen Erfolge werden sich noch verstärken, wenn wir in dieser zweiten Stufe den Freibetrag nach § 19a des Einkommensteuergesetzes von 300 DM auf 500 DM anheben.
({8})
Die Opposition will diese Erfolge nicht zur Kenntnis nehmen. Verlassen Sie sich darauf, die Arbeitnehmer draußen im Land nehmen das zur Kenntnis. Allerdings müssen wir auch darauf achten, daß wir die Befragung, die die ABM unter freien Kreditinstituten durchgeführt hat, berücksichtigen, wonach die Unternehmer vielfach über die Möglichkeiten dieser Gesetze noch nicht ausreichend informiert sind.
Wir müssen hier aber auch etwas zu den Plänen und den Alternativen der Opposition sagen. Das einzige, was Sie hier vorzulegen haben als Alternative, ist die alte Idee vom Tariffonds, die Sie aus der Mottenkiste des SPD-Parteitages in Hannover von 1973 herausgekramt haben. Auf diesem Parteitag wurde deutlicher als in dem vorliegenden Antrag auf der Drucksache 10/4747, was mit dem Tariffonds eigentlich gewollt ist: die tarifvertraglich vereinbarte zwangsweise Festlegung von Arbeitnehmerkapital in einem Fonds, der dann in wenigen Jahren bedeutender Gesellschafter an 6 000 Kapitalgesellschaften sowie an vielen Personengesellschaften wäre. Bei dieser SPD-Idee, den Tariffonds, geht es also zum einen wieder ums große Geld und zum anderen um die ungestörte Verwaltung dieses großen Geldes durch Gewerkschaftsfunktionäre.
({9}) Ich glaube, daß es der deutsche Arbeitnehmer endgültig satt hat, sein mühsam erarbeitetes Geld von Gewerkschaftsbonzen selbstherrlich verwaltet zu sehen.
({10})
Berichterstatter zum Thema „Vermögensbildung" auf dem damaligen Tariffonds-Parteitag der SPD war kein geringerer als Walter Hesselbach. Ich zitiere aus seinen Ausführungen auf dem Hannoveraner SPD-Parteitag:
Die Forderung nach einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivmittelvermögen ist ein revolutionärer Akt. Es geht bei uns im speziellen Vorhaben der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen nicht in erster Linie um die Schaffung individuellen Reichtums für jedermann. Es geht um die Einleitung eines gesellschaftlichen und ökonomischen Prozesses.
Da spricht der kundige Lenker großer Arbeitnehmervermögen, da spricht einer der Hauptverantwortlichen des Neue-Heimat-Skandals.
({11})
Solchen Leuten sollen und wollen wir über Tariffonds nicht wiederum Arbeitnehmergroschen anvertrauen.
({12})
Wir wollen ganz im Gegensatz dazu den individuellen Reichtum für jedermann, wir wollen Vermögen für alle und Produktivkapital für alle. Die Tarifpartner sind ebenso wie die vielen tausend florierenden Unternehmen unserer Gesellschaft aufgefordert, unser gesetzgeberisches Angebot anzunehmen; denn wir bauen nicht auf Klassenkampf, sondern auf eine partnerschaftliche Zukunftsgestaltung.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Huonker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten wollen seit langem den Ausbau der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital. Die Überwindung der Arbeitslosigkeit, die notwendige Modernisierung und die ökologische Erneuerung unserer Industriegesellschaft erfordern gewaltige Sachinvestitionen. Wenn das Produktivkapital nicht noch stärker als bisher auf wenige konzentriert bleiben und die Ungleichheit bei der Vermögensteilung in diesem Bereich nicht noch weiter verstärkt werden soll, so ist eine neue Politik zur Förderung der Bildung von Produktivkapital in Arbeitnehmerhand notwendig.
({0})
Herr Dr. Faltlhauser, bei Ihrer Aufzählung habe ich festgestellt, daß Ihnen offenbar die Tatsache entgangen ist - dies wundert mich -, daß in der Zeitspanne, die Sie genannt haben, immerhin das
Dritte Vermögensbildungsgesetz verabschiedet worden ist, eingebracht von Walter Arendt das, wie Sie wissen müßten, erst über die Tarifvertragsfähigkeit den Durchbruch in diesem Bereich gebracht hat.
({1})
Die Erfahrungen mit den bisherigen Vermögensbildungsgesetzen zeigen, daß die staatliche Förderung der Vermögensbildung Breitenwirkung erst dann erzielt, wenn Tarifverträge über vermögenswirksame Leistungen abgeschlossen werden. Das Vierte Vermögensbildungsgesetz hat bislang eine Breitenwirkung nicht erzielt, obwohl einige kleinere Tarifverträge abgeschlossen worden sind. Daß in letzter Zeit betriebliche Modelle zugenommen haben, trifft zu. Sie haben das gesagt. Betriebliche Beteiligungsmodelle aber kumulieren Arbeitsplatz-und Vermögensrisiko der Arbeitnehmer. Sie sind deshalb für Tarifverträge mit Breitenwirkung ungeeignet.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab.
({2})
Der Gesetzentwurf verfehlt das Ziel, eine für Arbeitnehmer geeignete und tarifvertragsfähige Form der überbetrieblichen Produktivkapitalbeteiligung zu schaffen.
Wenn Sie nach den Diskussionen, die wir geführt haben, sagen, die Frage, ob man zustimmt oder nicht, habe etwas mit „versöhnen oder spalten" zu tun, erweckt dies den Eindruck, als ob Sie den Ernst des Sachverhalts, daß ein Gesetz auch in der Praxis funktionieren muß und man es deshalb sorgfältig formulieren muß, damit in der Anwendung keine Pannen passieren, nicht begriffen hätten.
({3})
Dies wundert mich, und ich glaube Ihnen das nicht. Das ist billigste Polemik, meine Damen und Herren!
Wahr ist, daß die Beteiligungssondervermögen Fonds zweiter Klasse sind. Sie sind damit als vermögenspolitischer Flop programmiert. Ein paar Gründe will ich nennen. Der Hauptgrund ist, daß der Gesetzentwurf den Widerspruch zwischen dem Kernelement des Investmentfondsprinzips, nämlich der Pflicht zur jederzeitigen Rücknahme der Anteile gegen Geld, einerseits und der notwendigen Sicherung der Liquidität des Beteiligungssondervermögens, also dem Anlegerschutz, andererseits nicht löst. Unsere Bedenken gegen die grundsätzliche Vereinbarkeit von Beteiligungssondervermögen mit dem Investmentprinzip wurden durch die Gesetzesberatungen verschärft. Wenn man zu dieser Erkenntnis kommt, ist das ein Sachargument und hat doch nichts mit dieser albernen Bemerkung von Ihnen zu tun, hier gehe es um „versöhnen statt spalten".
Die Bundesregierung hat sich viel dabei gedacht, Herr Bundesminister Blüm,
({4})
als sie die Vorschrift des § 25 h Abs. 2 in den Gesetzentwurf geschrieben hat. Das war ein Versuch, dieses Grundproblem zu lösen. Daran gab es harte Kritik. Nun hat die Koalition ohne ernsthafte Beratung diese Vorschrift in letzter Minute kurzerhand gestrichen.
({5})
Richtig ist zwar, daß durch diese ersatzlose Streichung das Problem im Zusammenhang mit der Beschränkung des Rechts auf jederzeitige Rückgabe beseitigt worden ist; zugleich aber, meine Damen und Herren, wird das Liquiditätsproblem der Beteiligungssondervermögen erheblich verschärft. Das heißt, Sie lösen auf der einen Seite ein Problem und schaffen auf der anderen Seite ein anderes. Dies ist zutiefst unseriös! Das bedeutet: Das Grundproblem des Beteiligungssondervermögens haben Sie im Grundsatz nicht gelöst, und deswegen ist das keine akzeptable überbetriebliche Anlageform.
Meine Damen und Herren, ein Kompromiß zwischen den Interessen der Anteilsinhaber, die ihre Anteile zurückgeben wollen, und den Interessen derjenigen, die diese behalten wollen, wurde nicht gefunden, und er ist auch nicht in Sicht. Wer das nicht glaubt, möge doch bitte die Begründung der Bundesregierung zu § 25h Abs. 2 nachlesen. Deutlicher als dort ist das nirgendwo gesagt.
Zweitens. Die Bewertung der stillen Beteiligungen in Beteiligungssondervermögen ist unseres Erachtens noch nicht geklärt. Herr Faltlhauser, Sie müssen in einer anderen Anhörung gewesen sein als ich. Lesen Sie doch bitte einmal das Protokoll nach!
Drittens. Das Bewertungsverfahren ist außerordentlich kompliziert und somit kostenaufwendig. Damit sind die Ertragsaussichten solcher Fonds gegenüber denen klassischer Investmentfonds von vornherein geschmälert.
Viertens. Das Beteiligungssondervermögen wird auch das Ziel verfehlen, zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der mittelständischen Wirtschaft nennenswert beizutragen. Sie wissen, wer sich mit einer stillen Beteiligung an einem Beteiligungssondervermögen beteiligt, der muß einen Jahresabschluß wie große Kapitalgesellschaften machen, einen Jahresabschluß, gegen den sich die mittelständische Wirtschaft vehement gewehrt hat, als es darum ging, die EG-Bilanzrichtlinie in deutsches Recht umzusetzen, und zwar wegen des unvertretbaren Zeit- und Kostenaufwands.
Meine Damen und Herren, ein mittelständisches Unternehmen, das sich über Beteiligungssondervermögen Kapital beschaffen wollte, liefe Gefahr, Zweifel an seiner Bonität zu wecken. Dieser Weg bleibt allenfalls - wie Professor Dieter Schneider in der Anhörung gesagt hat - als „letzte Alternative". Attraktiv könnte eine solche Kapitalbeschaffung höchstens für ertragsschwache Unternehmen sein; dann aber ließe doch eine Kapitalbeteiligungsgesellschaft besser die Finger von einer solchen Beteiligung.
Die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer hat, lieber Herr Faltlhauser, in der Anhörung gesagt, es stelle sich die Frage - ich zitiere -, „ob die Konstruktion des Gesetzentwurfs nicht auf die angesprochenen mittelständischen Unternehmen abschreckend wirkt". - Deutlicher kann man das nicht sagen.
({6})
Beteiligungssondervermögen bieten den Anlegern also weniger Rechte, weniger Sicherheit und grundsätzlich geringere Ertragsaussichten als klassische Investmentfonds. Beteiligungssondervermögen sind für die Anlage vermögenswirksamer Leistungen grundsätzlich eine ungeeignete Anlageform, jedenfalls für Arbeitnehmer, die im Rahmen der Einkommensgrenzen des Vermögensbildungsgesetzes gefördert werden.
Aus diesen Gründen und weil nach dem Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften die beteiligten Arbeitnehmer keinerlei Mitwirkungsrechte bei der Verwaltung der Fonds haben, werden Beteiligungs-sondervermögen auch nicht zu Tarifverträgen über vermögenswirksame Leistungen führen.
({7})
An dieser Bewertung ändert die Tatsache nichts, Herr Dr. Faltlhauser, daß sich, wie Reinhard Uhlmann im gestrigen „Handelsblatt" in bezug auf die Beteiligungssondervermögen zutreffend schrieb, die Koalition „kurz vor Toresschluß ... krampfhaft" bemüht habe, diesem „häßlichen Entlein ein paar schwanenähnliche Züge zu verpassen, um die Akzeptanz der Sondervermögen nachzubessern". Im Gegenteil, durch die Streichung des § 25 h Abs. 2 wird das Entlein nicht nur häßlich, sondern abstoßend häßlich. Und wenn Uhlmann schreibt, es werde „glücklicherweise niemand gezwungen, derartige Sondervermögen aufzulegen oder sich daran zu beteiligen", so hat er recht. Daß man dazu nicht gezwungen ist, ist das Beste an Art. 3 Ihres Gesetzentwurfes.
Die Erhöhung des Freibetrages des § 19a EStG begünstigt in der Praxis, Herr Dr. Blüm, ausschließlich betriebliche Beteiligungen,
({8})
bei denen Arbeitsplatz- und Vermögensrisiko - ich sagte das schon - kumulieren. § 19 a EStG ist eine zielungenaue Subvention. Mangels Einkommensgrenzen und wegen der progressiven Entlastungswirkung wird die Produktivkapitalbeteiligung um so stärker gefördert, je weniger die staatliche Förderung notwendig oder auch nur sinnvoll ist. Durch die Erhöhung dieser Subvention - Steuerausfall mindestens 70 Millionen DM im Jahr - dürften in erster Linie bestehende betriebliche Modelle begünstigt werden. Maßgebliche Impulse für die Produktivkapitalbeteiligung jener Arbeitnehmer, die bislang noch kein Produktivvermögen besitzen,
dürften hiervon nicht ausgehen, schon gar nicht durch überbetriebliche Beteiligungsformen.
Herr Präsident, meine Damen und H erren, die SPD-Fraktion hat mit ihrem Antrag vom 29. Januar 1986 auf der Drucksache 10/4747 zu Arbeitnehmerbeteiligungsgesellschaften gezeigt, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen nach ihrer Auffassung nötig sind, um eine breite Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital zu ermöglichen. In diesem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, ein Organisationsgesetz über Arbeitnehmerbeteiligungsgesellschaften vorzulegen. Gegen Überlegungen, Arbeitnehmer auf dem Weg über gemeinsame Einrichtungen im Sinne des Tarifvertragsgesetzes und über Tariffonds zu beteiligen, werden seit Jahr und Tag dieselben abgestandenen Argumente vorgetragen. Sie haben heute, Herr Dr. Faltlhauser, keine Ausnahme gemacht. Ich stelle fest: Die Bundesregierung selbst sieht in ihrem Entwurf des Unternehmensbeteiligungsgesetzes eine überbetriebliche Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen über gemeinsame Einrichtungen vor. Daß die entsprechende Vorschrift dann von der Koalitionsmehrheit gestrichen worden ist, ändert nichts an der Tatsache, daß die Bundesregierung weder rechtliche noch ordnungspolitische Bedenken sah, als sie diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat.
({9})
Herr Abgeordneter - Huonker ({0}): Ich muß jetzt zu Ende kommen, es gibt sonst Ärger. Es wollen ja viele nach Hause in den Wahlkreis.
({1})
Wenn Sie immer von diesen anonymen Fonds reden, dann sage ich Ihnen: Sie wissen j a gar nicht, was eine „gemeinsame Einrichtung" ist.
({2})
Eine gemeinsame Einrichtung wird von Arbeitnehmern und Arbeitgebern verwaltet. Wer in diesem Zusammenhang dieses Wohnungsunternehmen erwähnt, macht entweder billige Polemik oder offenbart, daß er von der Sache überhaupt keine Ahnung hat.
Die SPD-Fraktion beantragt auf Drucksache 10/6440 die Einbeziehung des Bausparens in den Förderrahmen von 936 DM. Die Begründung ist in diesem Antrag enthalten; darauf verweise ich.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen - das ist interessant - haben angekündigt, daß sie unseren Änderungsantrag ablehnen werden. Ihre Gründe sind fadenscheinig. Es wird nämlich gesagt - das ist im Bericht, der Ihnen heute zu den Gesetzen vorliegt, niedergeschrieben -, daß diese Maßnahme für die nächste Legislaturperiode - ich zitiere - sehr wohl zu überlegen sei. Ich frage: Warum nicht jetzt? Dieses Thema wird seit Jahren diskutiert, der Gesetzentwurf des Landes Niedersachsen liegt seit über zwei Jahren im Bundes19164
rat. Warum haben Sie nicht darüber nachgedacht und nicht daran gearbeitet?
Ich nenne Ihnen den Grund: Der Parlamentarische Staatssekretär Vogt hat mir in der Fragestunde vor wenigen Wochen - ich denke, das war am 16. Oktober - erklärt, die Bundesregierung schließe dies aus grundsätzlichen Erwägungen auch für die nächste Legislaturperiode definitiv aus. Ich frage also: Was gilt jetzt?
Das Verhalten der Koalition in dieser Frage riecht mir sehr nach Wählertäuschung. Wenn Sie diesen Verdacht widerlegen wollen - ich fordere Sie dazu auf -, stimmen Sie unserem Antrag zu. Sie können dadurch beweisen, daß Sie für die Steigerung der Effizienz der Bausparförderungen sind. Vertröstungen auf die nächste Legislaturperiode helfen nicht weiter. Es wird dann allerdings darauf ankommen, daß der Bundesrat bei seinem Beschluß bleibt. Das gilt insbesondere für die Landesregierung Baden-Württemberg.
Ich komme zum Schluß. Das vermögenspolitische Konzept der Koalition ist Flickwerk. Dies übrigens auch deshalb, weil niemand mehr ernsthaft behaupten kann, daß das Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften irgend etwas mit der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen zu tun habe. Daß die Koalition den in unserem Antrag gewiesenen Weg aus ideologischer Verbohrtheit - Sie, Herr Dr. Faltlhauser, haben mit Ihrer Rede heute einen Beweis dafür geliefert - ablehnt, ist schlimm.
({3})
Noch schlimmer ist - das wurde j a verstärkt durch die Art Ihres Vortrags hier -, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung jetzt eiligst nach minimaler Beratung als Wahlspeck verabschiedet werden soll, obwohl viele Probleme - jeder Sachkenner weiß das - ungelöst sind, und ich sage: als ein Wahlspeck, der wegen dieser vielen ungelösten Probleme voller häßlicher Würmer ist. Ihr Gesetzentwurf wird, wenn er verabschiedet wird, keine durchschlagende Wirkung entfalten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP unterstützt das Zweite Vermögensbeteiligungsgesetz,
({0})
denn damit wird ein Versprechen aus der Regierungserklärung eingelöst, und es beruht auf den Grundüberlegungen des Freiburger Programms der FDP von 1971
({1})
zur Stärkung der Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen. Ich darf daraus einen Satz zitieren: Liberale Vermögenspolitik zielt auf eine gleichmäßigere Vermögenspolitik, und zwar nicht durch einen einmaligen Akt der Korrektur bestehender Verhältnisse, sondern vielmehr durch die ständige Beteiligung breiter Schichten insbesondere am Zuwachs des Produktivvermögens.
({2})
In den 13 Jahren der sozialliberalen Koalition haben wir in diesem Bereich, insbesondere bei der überbetrieblichen Vermögenspolitik, keine Fortschritte erzielen können.
({3})
Das lag nicht an dem mangelnden Willen der FDP dazu, sondern an den Vorstellungen der Sozialdemokraten, dies nur und ausschließlich mit dem Medium der Tariffonds machen zu können. Gegen diese Tariffonds sprechen, Herr Huonker, wichtige Argumente. Es kommt nicht darauf an, ob das immer wieder die gleichen sind, sondern darauf, ob sie richtig oder falsch sind.
({4})
Richtige Argumente zu wiederholen ist vernünftig. Deshalb will ich einige dieser Argumente anführen:
Erstens. Tariffonds würden sich zu immer mächtigeren Kapitalsammelstellen entwickeln, die auf Grund der Machtzusammenballung die Gefahr der Aussschaltung des Wettbewerbs und der Monopolisierung des Marktgeschehens herbeiführen würden.
Zweitens. Tarriffonds würden nicht in fairem Wettbewerb mit anderen Kapitalsammelstellen stehen, sie könnten vielmehr auf Grund von Tarifverträgen das gesamte Beteiligungskapital der Arbeitnehmer beherrschen.
({5})
Drittens. Auf Grund Ihres Einflusses in den Tariffonds erhielten die Gewerkschaften einen unakzeptablen Einfluß auf die Unternehmenspolitik, einmal weil sie die Arbeitnehmerseite vertreten, und zum anderen, weil sie als Kapitaleigner über die Fonds dann auch auf der anderen Seite Einfluß ausüben könnten.
({6})
Das wäre eine Machtstellung, die unser Wirtschaftssystem nicht ertragen könnte; denn das wäre dann der Weg in den Gewerkschafts- und Funktionärsstaat, und den haben wir nicht gewollt und wollen wir auch in der Zukunft nicht.
({7})
Viertens. Schließlich würde mit der Einrichtung von Tariffonds unsere Politik für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und für mehr Dezentralisation und Wettbewerb konterkariert. Das Tarifvertragsrecht muß gerade im Sinne einer stärkeren Individualisierung der Verträge durch den Einbau
von Tariföffnungsklauseln weiterentwickelt werden.
Im übrigen, meine Damen und Herren, haben die Erfahrungen bei der Neuen Heimat doch mindestens eines gezeigt,
({8})
daß die Gewerkschaften schon bei der Verwaltung ihres eigenen Vermögens den notwendigen Sachverstand und das gebotene Verantwortungsbewußtsein haben vermissen lassen.
({9})
- Das ist nicht originell, aber wahr. Unter diesen Umständen kann es wohl niemand verantworten, Ihnen auch das Sparkapital der Arbeitnehmer anzuvertrauen.
Dieses Vermögensbeteiligungsgesetz bietet nun drei wesentliche Neuerungen: Einmal wird der Betrag in § 19a des Einkommensteuergesetzes von 300 DM auf 500 DM erhöht, der dann auch für die Überlassung von Vermögensteilen an eigene Arbeitnehmer gilt, zweitens wird der Anlagenkatalog im Vermögensbildungsgesetz die in § 19 a des Einkommensteuergesetzes um die GmbH-Anteile ausgeweitet, und schließlich werden die Beteiligungs-sondervermögen neu eingeführt.
Herr Kollege Huonker, ich gebe zu, daß niemand gegenwärtig in der Lage sein kann zu sagen, welche Auswirkungen dies in der Praxis haben wird; denn das ist ein neues Angebot, und man muß - ich bin ein Mann der Praxis, und deswegen halte ich sehr viel von der Praxis - abwarten, welche Auswirkungen es in der Praxis haben wird. Aber wir haben in der Vergangenheit viele Gesetze novelliert, weil sie der Praxis nicht gerecht geworden sind. So werden wir das in Zukunft auch tun müssen, wenn eine Regelung der Praxis nicht gerecht werden sollte.
Wenn Sie schon Herrn Uhlmann aus dem „Handelsblatt" zitieren, sollten Sie ihn wenigstens im Gedankengang im Zusammenhang zitieren. Er hat nämlich gesagt:
Die umstrittene Bewertung für die stillen Beteiligungen wird trotz alledem Glaubenssache bleiben.
Dem kann man eigentlich nicht widersprechen. ({10})
Für die vermögenspolitische Gemeinde ist das beabsichtigte Ertragswertverfahren plausibel und praktikabel. Die Skeptiker schütteln dagegen nur die Köpfe und prognostizieren ein Scheitern.
Das tun auch Sie.
Über diesen Streit wird die Zukunft entscheiden, und es wird ... glücklicherweise niemand
gezwungen, derartige Sondervermögen aufzulegen oder sich daran zu beteiligen.
({11})
Das stimmt genau mit der Überzeugung überein, die ich habe. Überlassen wir es doch einmal der Praxis, zu zeigen, welche Auswirkungen das haben wird, und dann können wir daraus die Konsequenzen ziehen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel ({0}).
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf gibt die Bundesregierung vor, dem tapferen Schneiderlein Konkurrenz zu machen. Die Vorschläge zur Gründung von Unternehmensbeteiligungssondervermögen im Rahmen der Vermögensbildung sind der aberwitzige, höchst komplizierte und für kaum jemanden zu durchschauende Versuch, mehrere Fliegen auf einen Streich zu erlegen.
({0})
Mit dieser großspurigen, zweite Stufe der Vermögensbildung genannten Maßnahme sollen die deutsche Wirtschaft und insbesondere die mittelständischen Unternehmen mit Eigenkapital versorgt werden, sollen die Arbeiter reicher und die deutsche Wirtschaft investitionsfreudiger und arbeitsplatzschaffender werden,
({1})
und nach wie vor gilt die Zielsetzung der ersten Stufe der Vermögensbildung, nämlich jedem Arbeiter mit dem Besitz von Unternehmensanteilen den Eindruck zu geben, er sei ein kleiner Quandt, Flick oder Thyssen, und damit den Gegensatz von Kapital und Arbeit zu versöhnen oder, wie Faltlhauser sagte, den Klassenkampf zu beenden.
({2})
Original hieß das damals im Jahreswirtschaftsbericht 1983:
Die auf privatem Eigentum an Produktivmitteln beruhende Wirtschaftsordnung wird gefestigt, wenn immer mehr Arbeitnehmer persönliches Eigentum am Produktivvermögen besitzen und somit eine breite Schicht von Eigentümern diese Ordnung trägt.
({3})
Dies ist zugleich ein wichtiger Beitrag zur partnerschaftlichen Integration der Arbeitnehmer in ihr arbeitgebendes Unternehmen und zur systemkonformen Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft.
Vogel ({4})
Neben diesen ideologischen Zielen und diesem Herumgesülze ging es der Regierung damals und geht es ihr natürlich heute in erster Linie um die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen und nicht um die Interessen der Arbeitnehmer.
({5})
So werden auch nach diesem Gesetz Arbeitnehmer, deren Sparzulage in Aktien oder stillen Beteiligungen von Unternehmen der Atomindustrie angelegt ist, weiterhin eine höhere Sparzulage als diejenigen bekommen, die ihr Geld in einem Bausparvertrag oder in einem Prämiensparvertrag anlegen.
({6})
Bei den relativ niedrigen Beträgen, um die es sich hier handelt, von Vermögensbildung zu sprechen ist sowieso eine Unverschämtheit für sich. Nachdem die mit dem Ersten Vermögensbildungsgesetz eingeführte betriebliche Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmenskapital - wohlgemerkt nicht an den Unternehmensentscheidungen - sich offensichtlich als Flop erwiesen hat, sollen die Arbeitnehmer ihr Geld nunmehr wieder in Investmentfonds zweiter Klasse und in stille Beteiligungen anderer Unternehmen investieren können.
({7})
- Herr Lutz, ich bin im Finanzausschuß und nicht im A + S-Ausschuß.
({8})
Diese Beteiligungen an Sondervermögen bieten keinerlei Mitbestimmungsrechte für die Anleger. Das ist j a auch weder gewollt noch beabsichtigt.
({9})
Statt z. B. für den Ausbau von derlei Rechten Vorschläge zu machen, beschäftigt sich der Entwurf mit geradezu rührender Akribie mit dem Berechnungsverfahren der Werte stiller Beteiligungen, die täglich von den Depotbanken durchgeführt werden müssen, selbstverständlich auf Intervention der Depotbanken dann bei Haftungsausschluß der berechnenden Banken. Veräußerbarkeit muß eingerechnet werden. Das Risiko der Beteiligung, die Rendite der umlaufenden Anleihen des Bundes und der Sondervermögen der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost mit annähernd gleicher Restlaufzeit sind zu berücksichtigen. Eine pauschalierte Größe muß festgelegt werden. Es muß Verordnung über Verordnung erlassen werden. Welch sinnlose Verschwendung von Gehirnschmalz! Welch unsinniges Beschäftigungsprogramm für Diplommathematiker!
({10})
Wenn Sie sagen, daß auch Betriebswirte das heute können, dann hängt das damit zusammen, daß das Betriebswirtschaftsstudium immer mehr zu einem mathematischen Studium geworden ist, was sehr bedauerlich ist.
({11})
Ich muß sagen: Viel lieber hätte ich eine Bundesregierung, die Vorschläge zur Förderung selbstverwalteter Unternehmen macht und zum Ausbau der Beteiligung von Arbeitnehmern am betrieblichen Entscheidungsprozeß Vorschläge vorlegt.
({12})
Übrigens, wenn jemand glaubt, daß die SPD mit ihrem Antrag Vorschläge in dieser Richtung entwickelt, so muß ich ihn leider enttäuschen. Der SPD-Vorschlag ist im Kern dasselbe in sanftem Orange.
({13})
Gemessen an dem geradezu revolutionären Titel, der die „Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen" vorsieht, ist der Inhalt trivial. Statt Anteilen an offen kapitalistisch arbeitenden Unternehmungsbeteiligungsgesellschaften sollen die Arbeitnehmer Anteile an Arbeitnehmerbeteiligungsgesellschaften, die natürlich nach denselben Regeln arbeiten, erwerben können bzw. die Anteile werden im Weg der Tarifauseinandersetzung ausgehandelt, und diese erhalten sie dann als Gehaltserhöhungen.
({14})
Das sanfte Gruseln, Herr Huonker, überkommt mich aber, wenn ich lesen muß, daß der von der SPD benannte Sachverständige Prof. Dr. Schwark bei der Anhörung am 22. Oktober erklärt hat - ich zitiere aus dem Ausschußbericht -:
({15})
Der Hauptzweck der vorgeschlagenen Arbeitnehmerbeteiligungsgesellschaften sei nicht die Gewinnerzielung, sondern die Bündelung der Arbeitnehmerbeteiligung im Interesse der Verwaltungsvereinfachung. Mit den Arbeitnehmerbeteiligungsgesellschaften über gemeinsame Einrichtungen solle lediglich eine sinnvolle Organisation für Arbeitnehmerbeteiligungen geschaffen werden. ({16})
Ich kann nur sagen: Offensichtlich hat die SPD bis heute nichts aus den Neue-Heimat- und BGAGSkandalen gelernt,
({17}) wenn sie uns das hier als Alternative anbietet. ({18})
Zusammengefaßt: Die hier zu verabschiedenden Vorlagen sind das Papier nicht wert, worauf sie stehen. Die hochgesteckten Pläne der Bundesregierung werden sich nicht erfüllen. Es wird keine Akzeptanz für die Unternehmensbeteiligungsgesellschaften geben,
({19})
Vogel ({20})
und das tapfere Schneiderlein bleibt letztendlich mit dem leeren Handtuch in der Hand zurück.
({21})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Herr Vogt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Vogel ({0}), ich nehme zu Ihren Gunsten an, daß Sie an den Beratungen dieses Gesetzentwurfs im Finanzausschuß teilgenommen haben.
({1})
Aber ich muß feststellen: Im federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben sich DIE GRÜNEN des guten Rats enthalten. Sie haben durch Abwesenheit geglänzt.
({2})
Um so bemerkenswerter sind Ihre großen Worte, die Sie jetzt gefunden haben.
({3})
Persönliches Eigentum auch am Kapital der Wirtschaft ist eine tragende Säule unserer sozialen Ordnung.
({4})
Es macht den Bürger unabhängiger, es stärkt seine persönliche Freiheit. Und: Persönliches Eigentum schafft auch mehr soziale Sicherung. Deshalb wollen wir, daß privates Eigentum breit gestreut wird, meine Damen und Herren.
({5})
Wir wollen, daß die Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben, und das geht über den Lohn allein nicht. Das verlangt Miteigentum am Produktivkapital.
({6})
Denn die Verteilungskonflikte zwischen Arbeit und Kapital sind nur dann aufzulösen, wenn die Arbeitnehmer am Produktivkapital der Wirtschaft mitbeteiligt sind. Deshalb fördern wir die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer. Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer bedeutet mehr soziale Gerechtigkeit und stärkt den sozialen Frieden.
({7})
Meine Damen und Herren, die SPD ist bei der Lösung dieser Aufgabe gescheitert; über vollmundige Ankündigungen ist sie nicht hinausgekommen. Sie, die Sozialdemokraten - auch der Kollege Huonker -, haben immer den Mund bewegt, aber mit den Füßen sind Sie auf der Stelle getreten. Herr Kollege Huonker, daran hat auch Ihr Beitrag heute nichts geändert. Sie sollten sich bitte darüber informieren, wann die Tariffähigkeit von vermögenswirksamen Leistungen eingeführt worden ist. Das war nämlich Mitte der 60er Jahre beim 312-DMGesetz, als die CDU/CSU und die FDP Regierungsverantwortung getragen haben. Sie haben dann den 312-DM-Betrag 1971 mit der FDP aud 624 DM erhöht. Aber dann war schon Sense, bis Sie 1982 aus der Regierungsverantwortung abgelöst werden mußten.
Ihr Antrag auf Einrichtung von Tariffonds eignet sich eigentlich auch nur als Schamtuch,
({8})
um Ihr Versagen zu verdecken. Neben fachlicher Inkompetenz enthüllt dieser Antrag nur eins: Sie begreifen den Arbeitnehmer immer noch nur als Objekt kollektiver Betreuung.
({9})
Sie nehmen den Arbeitnehmer als mündigen Bürger nicht ernst, Sie spielen sich als sein Vormund auf. Denn Sie wollen durch die Konstruktion Ihrer Tariffonds de facto nicht,
({10})
daß der Arbeitnehmer über vermögenswirksame Leistungen zum Zwecke der Kapitalbeteiligung frei verfügt.
({11})
- Nein. - Doch die Arbeitnehmer brauchen Sie als Vormund nicht, meine Damen und Herren.
({12})
Mit dem Ersten Vermögensbeteiligungsgesetz haben wir eine neue Weichenstellung vorgenommen. Die 80er und 90er Jahre sollen im Zeichen der verstärkten Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital stehen.
({13})
Deshalb lehnen wir es auch ab, Herr Kollege Huonker, das Bausparen in den dritten Korridor zwischen 624 DM und 936 DM einzubeziehen. Das soll für Kapitalbeteiligungen reserviert bleiben. Das heißt j a nicht, daß die Bedingungen für das Bausparen im weiteren Gesetzgebungsverfahren in der nächsten Legislaturperiode in anderen Bereichen nicht wesentlich verbessert werden könnten.
Dieses Vermögensbeteiligungsgesetz von 1984 war für die betriebliche Vermögensbildung ein voller Erfolg; Expertenuntersuchungen zeigen das. Die Zahl der Arbeitnehmer, die an ihrer Firma beteiligt sind, steigt seit 1984 jährlich um 50 000, doppelt so stark wie vorher. Heute sind rund 1,1 Millionen Arbeitnehmer am betrieblichen Vermögen beteiligt, und zwar mit 14,2 Milliarden DM Beteiligungskapital. 1983 waren es erst 770 000 Mitarbeiter, die nur 5,5 Milliarden DM Beteiligungskapital hielten. Innerhalb von drei Jahren stieg die Zahl der Verträge über den Erwerb von Aktienfondsantei19168
len mit vermögenswirksamen Leistungen von praktisch null auf mehr als 130 000.
({14})
Zu diesem Erfolg, meine Damen und Herren, hat wesentlich beigetragen, daß alle kostenlosen oder verbilligten Zuwendungen der Arbeitgeber an ihre Belegschaften in Form von Beteiligungskapital - unter bestimmten Bedingungen bis zu 300 DM - steuer- und sozialabgabenfrei blieben. Diese steuerliche Begünstigung von Vermögensbeteiligungen wird jetzt durch die Erhöhung des Lohnsteuerfreibetrages nach § 19 a Einkommensteuergesetz von 300 auf 500 DM deutlich verbessert.
({15})
Das bedeutet für den einzelnen Arbeitnehmer: Nach dem alten 624-DM-Gesetz betrug die staatliche Förderung der Vermögensbildung für den einzelnen Arbeitnehmer maximal nur 206 DM. Nach dem neuen Gesetz beträgt sie künftig bis zu 560 DM im Jahr. Wenn ein Arbeitnehmer diese Förderung sechs Jahre lang voll nutzt, kann er sein eingesetzten Kapital von 7 324 DM nach sechs Jahren auf 14 135 DM fast verdoppeln. Das ist nicht Sozialabbau, das ist sozialer Fortschritt, meine Damen und Herren.
({16})
Das Zweite Vermögensbeteiligungsgesetz eröffnet und fördert gleichzeitig einen neuen Weg zur Arbeitnehmerbeteiligung an solchen mittelständischen Unternehmen, an denen eine unmittelbare Beteiligung nicht möglich ist. Die Voraussetzung dafür schafft die Zulassung von Beteiligungssondervermögen, die außer börsennotierten Wertpapieren auch stille Beteiligungen an nicht börsennotierten Firmen enthalten müssen.
Das ist - zugegeben - vermögenspolitisches Neuland. Wer aber nicht wagt, vermögenspolitisches Neuland zu betreten, der bleibt eben auf der Stelle stehen, auf der Sie seit mehr als einem Jahrzehnt stehengebleiben sind, meine Damen und Herren.
({17})
- Lieber Kollege Huonker, die Koalitionsfraktionen haben § 25h aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gestrichen.
({18})
Ich gehe davon aus - ich habe an diesen Beratungen teilgenommen -: nach sorgfältiger Auswertung der Sachverständigenanhörung. Was machen denn Sachverständigenanhörungen noch für einen Sinn, wenn daraus anschließend nicht Konsequenzen gezogen werden sollen?
({19})
Hinter uns liegt ein langer Weg. Max Webers These, Politik sei das Bohren von dicken Brettern, hat sich eindrucksvoll bestätigt. Bei Ihnen sind wir noch nicht durch das Brett durchgekommen - ich gebe es zu -, aber letztlich zählt das Ergebnis.
({20})
Vor allem die Vorschläge des Bundesrates haben uns sehr geholfen. Wir konnten auf ihnen aufbauen.
Meine Damen und Herren, das Erste Vermögensbeteiligungsgesetz ist auch von den Tarifpartnern genutzt worden, allerdings nicht in dem Umfang, wie wir uns dies wünschen würden.
({21})
Sie haben es zuwenig genutzt. Das mag seinen Grund darin gehabt haben, daß die indirekte außerbetriebliche Anlage bisher noch nicht in die Förderung einbezogen war. Das wird jetzt anders.
({22})
Deshalb bekommen die Tarifpartner eine neue Möglichkeit. Sie bekommen neue Handlungsspielräume, in ihre Einkommenspolitik nicht nur den Nominallohn, nicht nur die Arbeitszeit, sondern auch die Kapitalbildung der Arbeitnehmer einzubeziehen.
Deshalb bitte ich die Betriebspartner und die Tarifpartner zum Abschluß dieses Gesetzgebungsverfahrens: Nutzen Sie die neuen Chancen im Interesse der Arbeitnehmer aus!
({23})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 39 a der Tagesordnung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/5981 in der Ausschußfassung.
Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/6440 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
({0})
Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? Ich bitte um das Handzeichen! - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Art. 2 bis 8, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit der vom Berichterstatter vorgeschlagenen Berichtigung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Vizepräsident Westphal
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zu Punkt 39b der Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6438, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/3955 für erledigt zu erklären.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über Punkt 39c der Tagesordnung ab, die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 10/6443. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4747 abzulehnen.
({1})
Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 25. November 1986, 9 Uhr ein.
Ich wünsche ein angenehmes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.