Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/26/1986

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, vorab darf ich Sie darauf hinweisen, daß sich auf den Sitzen Wahlunterlagen für die nachher stattfindende Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste befinden. Sie bestehen aus einem Wahlausweis und einer Stimmkarte. Ich bitte Sie, diese Unterlagen aufzubewahren. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde beantragt. Ich rufe daher den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zur geplanten Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Cattenom ({0}) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.

Willi Tatge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002300, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Was wir in den letzten Tagen an Weissagungen und Glaubensbekenntnissen von der Bundesregierung wie von der Landesregierung von Rheinland-Pfalz gehört haben - so z. B. die Senkung der radioaktiven Abgabewerte von 15 auf 3 Curie pro Block in Cattenom - erinnert doch sehr an eine Erzählung aus dem Grimmschen Märchenbuch. ({0}) In dem uns erzählten Märchen treten zwei Hauptfiguren auf: ein Umweltminister und ein Ministerpräsident, wie weiland Hänsel und Gretel. Je tiefer sie in den Wald kamen, d. h. je näher die Wahlen sind, desto lauter pfeifen und tönen sie. Dabei sind beide keineswegs so liebenswerte Figuren wie Hänsel und Gretel. Die Rolle, die sie spielen, entspricht eher dem Märchen vom Schwarzkäppchen und dem bösen Vogel. ({1}) Denn während die einen klug und ehrlich sind, ist von Wallmann und Vogel zu erwarten, daß sie nichts unversucht lassen werden, um abzuwiegeln und die Bevölkerung zu belügen. ({2}) Denn für die Realität gelten folgende Tatsachen: Erstens. In einem Interview sagte der Planer des französischen Atomprogramms, Rémy Carlé, zu der „taz" auf die Frage: „Warum wollen Sie die Höchstgrenze für radioaktive Abgaben in Cattenom nicht - wie von der Bundesregierung gewünscht - von 15 Curie auf 3 Curie verbindlich heruntersetzen?" - „15 Curie" - so sagte er - „sind doch gut. Warum soll das, was für die Leute im Rhone-Tal gut ist, nicht auch für die Leute an der Mosel gut sein?" Zweitens. Allan Malfon, Chef der Atomzentrale Cattenom, ließ in den letzten Wochen verlautbaren, daß die EdF sich allein an den genehmigten 15 Curie orientieren will. Malfon wortwörtlich: „..., weil wir Cattenom nicht gleich abschalten wollen, wenn mal mehr als 3 Curie ins Wasser abgegeben werden." Übrigens ist auch klar, daß sich ohne zusätzliche Maßnahmen zur Zurückhaltung radioaktiver Abgaben in die Mosel die von Minister Wallmann geforderten Grenzwerte ohnehin nicht erreichen lassen. Derartige zusätzliche Maßnahmen sind aber nicht vereinbart worden. Drittens. Bei Betrachtung der tatsächlichen Abgabewerte französischer Atomkraftwerke stellt sich zudem heraus, daß sie für die Praxis ohne Bedeutung sind. Für das AKW Fessenheim wurden 25 Curie in den Rhein genehmigt und im Jahr 1980 23,7 Curie abgeleitet. Für Budey bei Lyon wurden 55 Curie genehmigt und 1980 sogar 59,3 Curie abgeleitet. Als Fazit muß man feststellen, daß sich die rheinland-pfälzische Landesregierung lächerlich macht, wenn sie behauptet, daß für die Mammut-Anlage in Cattenom mit einem maximalen Ausstoß von 4 mal 3 Curie zu rechnen sei. Ebenso ist festzuhalten, daß es entgegen der Darstellung von Minister Wallmann allein der Willkür der EdF überlassen bleibt, bis zu 60 Curie in die Mosel abzuleiten. Und dies kann von bundesdeutscher Seite noch nicht einmal kontrolliert werden. So gibt es innerhalb der westlichen Welt ein neues Bündnis, die Atom-Achse Bonn-Paris. Die bundesdeutsche Regierung kann nicht frei handeln, kann sich nicht glaubwürdig mit der französischen Atompolitik auseinandersetzen, solange noch ein Atomkraftwerk in der Bundesrepublik Deutschland weiterbetrieben wird. ({3}) Sie kann es auch nicht, wenn in der deutsch-französischen Kommission ebenso liber die Wiederaufarbeitung deutscher Brennstäbe in La Hague verhandelt wird. Diese Atompolitik der Achse Bonn-Paris geht, wie seit Jahrhunderten, zu Lasten der Grenzregionen. Die Dummen sind wieder einmal die Menschen an der Mosel, an der Saar und in Lothringen. Den Preis zahlen wieder einmal die Korn-munen in diesem Gebiet, vor allem die Bauern und Winzer. Tatsache ist auch, daß eine radioaktiv belastete Mosel für die Bewässerung der Weinberge benützt werden muß, und auf Grund der Versiegelung der Landschaft die Kellereien mit Moselwasser überflutet werden. Eine solche Politik entzieht Bauern und Winzern an der Mosel die Existenzgrundlage. ({4}) Abschließend möchte ich noch an einem Beispiel den Filz zwischen Politik und Atomlobby verdeutlichen. Wider besseren Wissens hat der TÜV Baden ein positives sicherheitstechnisches Gutachten zu Cattenom erstellt. Im Vorstand des TÜV Baden sitzt Herr Guck. Herr Guck ist gleichzeitig Präsident des Deutschen Atomforums und Vorstandsmitglied der Baden-Werke. Und siehe da, die Baden-Werke haben 1979 ein Milliardendarlehen an die EdF gewährt, damit Cattenom gebaut werden kann, und sie wollen aus Cattenom Strom beziehen. Da entscheidet also einer, der aus Cattenom Strom und Profit beziehen will, offiziell für die Bundesregierung über die Sicherheit der Anlage. Die politische Konsequenz kann für uns nur lauten: Vogel muß abgewählt werden, und Wallmann muß gehen, wenn man den Filz zwischen Atomlobby und Politik herausbringen will. ({5}) Ich fordere die Landesregierung von RheinlandPfalz auf, sich der Klage des Saarlandes, der Stadt Trier und des Kreises Trier-Saarburg anzuschließen. Die Bundesregierung muß Sicherheitsüberprüfungen mit unabhängigen Wissenschaftlern aus ökologisch orientierten Forschungsinstituten durchführen sowie eine eigene Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen. Danke schön. ({6})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).

Hans Werner Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer über die Haltung der Bundesregierung zu Cattenom in Frankreich spricht, muß auch über die Haltung der früheren, SPD-geführten Bundesregierungen und über die Haltung der jetzigen SPD-Landesregierung an der Saar sprechen. Ich bin Abgeordneter des Wahlkreises direkt an der französischen Grenze, rund zehn Kilometer von Cattenom entfernt. Ich bin mit der Informationspolitik der Franzosen auch nicht zufrieden, und ich bemühe mich, mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln seit zehn Jahren hier in diesem Hause - in Frankreich kann ich das ja nicht tun - darum, die Massierung von Kernkraftblöcken an der Obermosel zu verhindern, genau wie die saarländischen CDU-Ministerpräsidenten Röder und Zeyer. ({0}) Cattenom liegt in Frankreich. Die Franzosen haben 1978 entschieden, Block 1 und 2 zu bauen, 1979 Block 3 und 4. Am 29. November 1979, also vor sieben Jahren, habe ich in der Fragestunde hier im Deutschen Bundestag die damalige Bundesregierung gebeten, in einem Spitzengespräch mit Giscard d'Estaing eine kleinere Dimensionierung der Anlage Cattenom zu erreichen. ({1}) Die hochmütige, zynische, ja schnoddrige Antwort des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Sperling von der SPD lautete: Bundeskanzler Schmidt benötige keinen Hinweis, um sich im Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten mit den Fragen zu befassen, die die Bevölkerung in meinem Wahlkreis berühren. - Lesen Sie es im Protokoll nach! ({2}) Wer angesichts solcher und ähnlicher Antworten auf zahlreiche Anfragen an die Regierung unter SPD-Verantwortung jetzt dieser Regierung Vorwürfe macht, der hat aber jede Glaubwürdigkeit verloren, meine Damen und Herren. ({3}) Tschernobyl war für die SPD Saar der willkommene Anlaß vom eigenen Versagen abzulenken, ein Versagen, daß die Saarländer inzwischen mit drei Begriffen belegen: Schulsterben, Kliniksterben und Fischsterben, meine Damen und Herren. Natürlich zwingt uns Tschernobyl zum Nachdenken. Aber, wer so kaltblütig der eigenen politischen Ziele wegen aus diesem Ereignis bei den Menschen Angst schürt, ja eine regelrechte Hysterie der Angst erzeugt, wer wie der saarländische Umweltminister falsche Tatsachen in einer Fernsehsendung unwidersprochen läßt und weiter wirken läßt, weil ihm diese Horrormeldungen ins politische Konzept passen, ({4}) und wer gar wie der saarländische Ministerpräsident von Cattenom als der „Zentrale des Todes" spricht - ein sehr schlimmes Wort -, ({5}) Müller ({6}) der handelt verantwortungslos, meine Damen und Herren. ({7}) Es sind doch einfach Fragen zu stellen: Da beschließen die beiden Landesregierungen Rheinland-Pfalz und Saar im Januar dieses Jahres ein gemeinsames Vorgehen beim Bau und beim Betrieb von Cattenom. Im Mai wird dies alles über Bord geworfen. Im Bundesrat erklärt Minister Wallmann im Juni, Cattenom sei so sicher wie das deutsche Philippsburg. Kein Widerspruch vom saarländischen Vertreter. Da tagt die deutsch-französische Kommission für Reaktorsicherheit im Mai. Der saarländische Vertreter sagt kein einziges Wort der Kritik am Sicherheitsstandard von Cattenom. Jede Erklärung von Fachleuten, sei sie von Birkhofer oder anderen, wird als Beschwichtigung diffamiert. Die Sowjetunion wird aber gelobt, weil sie nach dem Unglück von Tschernobyl die Schlußfolgerung gezogen hat, keine Kernkraftwerke mehr in dichtbesiedelte Gebiete zu bauen. ({8}) Aber dort wird weitergebaut. Welch ein Zynismus, meine Damen und Herren! ({9}) Es gibt nur eine einzige Erklärung: Aus Mangel an sonstigem Erfolg verlegt man sich auf Panikmache. Was macht man damit alles kaputt! Ich will nur zwei Dinge nennen: Zum einen: Das Aufwühlen der Unterschiede in der Beurteilung dieser Fragen führt zu einer Zerrüttung des deutsch-französischen Verhältnisses. Zum anderen wird die gemeinsame Geschäftsgrundlage in der bundesdeutschen Energiepolitik ohne Not aufgegeben. Noch ist der SPD offenbar nicht bewußt, was sie mit der Aufkündigung energiepolitischer Gemeinsamkeiten alles riskiert und verliert. Darüber werden wir ja hier in der nächsten Woche ausführlich zu reden haben. Mit einem Wort: Das Saarland gerät immer mehr in die Isolation, und dann soll das Saar-Memorandum zu einem Erfolg führen. Ich darf der Bundesregierung, Bundesumweltminister Wallmann und dem rheinland-pfälzischen Minister Töpfer für ihre Besonnenheit danken. ({10}) Denn diese Besonnenheit erreicht etwas für die Bevölkerung. Ich darf Sie herzlich bitten, auf dem beschrittenen Wege weiterzufahren. Danke schön. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich im Gegensatz zum Kollegen Müller darum bemühen, dem Ernst des Themas etwas gerechter zu werden. Die Atomzentrale am Rande des französischen Dörfchens Cattenom und in unmittelbarer Nähe der deutsch-französischen Grenze wird in mancherlei Hinsicht als besonders bedrohlich empfunden: In Cattenom sind vier Atomkraftwerke mit insgesamt 5 200 Megawatt zu erzeugenden Stromes geplant. Die Atomanlage ist damit eine der größten nuklearen Zusammenballungen auf der ganzen Welt. Der unter Sicherheitsgesichtspunkten bedeutsame Umkreis von 50 Kilometern umgreift - auch dies ist weltweit einzigartig - vier selbständige Nationalstaaten. Schwerwiegende Bedenken bestehen, ob bei einem Störfall das System der notwendigen, länderübergreifenden Informationen und die Koordinierung von Katastrophenschutzmaßnahmen überhaupt auch nur ansatzweise funktionieren können. Im genannten Umkreis von 50 Kilometern leben mehr als 1,5 Millionen Menschen in vier Nationalstaaten. Nirgendwo sonst auf der ganzen Welt wohnen auch nur annähernd so viele Menschen im Schatten eines Atomkraftwerks. Der ehemalige Chef der französischen Reaktorsicherheitskommission, Christian de Torquat, wandte sich bereits am 5. Februar 1978 brieflich an die französische Zentralverwaltung für Kohle, Gas und Elektrizität - ich zitiere -: Der Standort Cattenom weist besonders unter dem Gesichtspunkt der Verteilung der Bevölkerung deutlich ungünstigere Bedingungen auf als die meisten der bisher für die Errichtung von nuklearen Anlagen ausgewählten Standorte. ({0}) Und er fährt fort: Mir verbleibt nur, meine seit über zwei Jahren geäußerten Bedenken bezüglich des Standortes Cattenom nachdrücklich zu unterstreichen. ({1}) Ich stelle als Abgeordneter des Wahlkreises Saarlouis-Merzig-Wadern, in dessen unmittelbarer Nähe sich der Atomkoloß befindet, mit nicht geringer Verbitterung fest: Keine deutsche Bundesregierung - und schon gar nicht die jetzige - hat sich mit Cattenom auch nur annähernd so kritisch befaßt wie der ehemalige Chef der französischen Reaktorsicherheitskommission. Eine weitere Besonderheit: Die Mosel wird der radioaktiv am höchsten belastete Fluß Europas sein. Zur Sicherheitslage nur ein Wort: Die Anlage in Cattenom ist, was von niemandem bestritten wird, gegen den Absturz größerer Flugzeuge nicht gesichert. In der Nähe befindet sich der Großflughafen Luxemburg, befinden sich aber auch französische Militärbasen. Noch bevor in der Atomzentrale Cattenom die nuklearen Reaktionen in Gang gebracht worden sind, kam es in den vergangenen Monaten und Jahren zu einer ganzen Serie von Störfällen. Wir sorgen uns um die zukünftige Sicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir sorgen uns um die Natur, die radioaktive Belastungen in der Luft, im Wasser und im Boden erfahren wird. Wir sorgen uns um die Arbeitsplätze unserer Bergleute an der Saar und an der Ruhr, ({2}) die von einer Atomstrom-Schwemme bedroht sind. Wir fordern das Bundesland Baden-Württemberg auf, darauf hinzuwirken, daß die bestehenden Stromabnahmeverträge mit der Atomzentrale in Cattenom baldmöglichst aufgekündigt werden. ({3}) Spätestens nach Tschernobyl kann auch die badenwürttembergische Landesregierung den Import von Atomstrom nicht mehr so behandeln wie den Import von Käse, Rotwein oder Weißbrot. Nicht die Politiker, die vor den Gefahren der Atomenergie warnen, produzieren Angst, Angst produziert eine Technik, die versagen kann, aber nicht versagen darf - um des Überlebens der Menschen willen. In einer gemeinsamen Erklärung zur, wie es heißt, „Herausforderung Kernenergie - Ruf in die Verantwortung" vom 3. Juni 1986 formulieren die Bischöfe von Luxemburg, Metz und Trier das wirkliche Problem so: Das ganze Modell wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen steht auf dem Prüfstand. Der Mensch, der sich weitgehend als Herr der Welt sieht, erweist sich als unfähig, die Prozesse, die er selbst in Gang gesetzt hat, zu bewältigen. Er beherrscht die Dinge nicht mehr, die Dinge beherrschen ihn. ({4}) Kardinal Höffner gab Radio Luxemburg vor wenigen Tagen am Ende des Katholikentages in Aachen ein Interview. Er sagte: Eine Sicherheit der Atomkraftwerke von 999,9 genügt nicht, weil es dann, wenn der Ausnahmefall eintritt, eine Katastrophe für Menschen und kommende Geschlechter weit über die Grenzen der Länder hinaus gibt. ({5}) Eben dieses von Kardinal Höffner angesprochene tödliche Risiko in Zeit und Raum wird von den Befürwortern der Atomenergie in das die wirklichen Gefahren total verharmlosende Wort vom Restrisiko verkleidet. Wer Cattenom hinnimmt, wer im eigenen Land weiterhin auf die Atomenergie vertraut, der ist zur Verantwortung für die Menschen und die Schöpfung nicht fähig. ({6}) In Frankreich wird glaubhaft die Ängste der deutschen Bevölkerung nur derjenige vortragen können, der bereit ist, auch hier im eigenen Land die Gefahren abzutragen, also den Weg in die Atomenergie zu verlassen. Zum Abschluß: Die deutsch-französische Freundschaft ist angesichts jahrhundertelanger Erbfeindschaft ein unschätzbares Gut. Wirkliche Freundschaft verträgt nicht nur offene Worte und Kritik; wirkliche Freundschaft lebt sogar von Offenheit und vertrauensvoller Kritik. Eine deutsche Bundesregierung, die die französische Staatsregierung über die Sorgen und Ängste der deutschen Bevölkerung, insbesondere auch der Grenzbevölkerung, nicht aufklärt und sich nicht um Abhilfe bemüht, leistet der deutsch-französischen Freundschaft einen Bärendienst. Das wirkliche Fundament dieser Freundschaft sind die Völker. Die Angst vor der zerstörerischen Gewalt der Atome kann, wenn sie nicht ernstgenommen wird und wenn nicht wirkliche Abhilfe geschaffen wird, zur Angst vor Freunden werden. Die Bundesregierung hat bislang nichts unternommen, um diese Gefahren zu bannen. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich falsch, wenn gesagt wird, die Bundesregierung habe nichts unternommen. Sie ist von Anfang an, seit Cattenom geplant und gebaut wird, mit den Franzosen im Gespräch. Auch in der letzten Zeit, nach Tschernobyl, hat Umweltminister Wallmann in Frankreich Verhandlungen geführt. Ich entnehme einem Vermerk, daß Herr Dr. Wallmann seinem französischen Gesprächspartner mit großem Nachdruck die Sorgen der Bevölkerung in den grenznahen Regionen dargelegt hat und daß die französischen Partner von diesen Darlegungen beeindruckt waren. ({0}) Es stimmt also überhaupt nicht, wenn gesagt wird, wir stünden tatenlos da und sähen zu, was dort geschieht. Sie müssen sehen, Herr Kollege: Cattenom und die anderen französischen Kraftwerke werden nach einer ganz anderen Energiephilosophie gebaut, als wir sie haben, getragen von der Mehrheit der französischen Bevölkerung. ({1}) Noch wählen nicht wir die französische Regierung. Es gibt souveräne Entscheidungen der französischen Regierung. Ich weiß nicht, wie wir uns verhalten hätten, wenn wir die Entscheidung über Cattenom hätten treffen müssen. Aber sie ist getroffen worden, und jetzt bleibt überhaupt nur der Weg, in gut nachbarschaftlichem Sinne mit den Franzosen zu verhandeln. ({2}) Das haben wir 1980/81 gemacht. Herr Kollege Hauff, vor mir liegt eine Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik, unterschrieben von meinem damaligen Staatssekretär Hartkopf, über den Informationsaustausch bei Vorkommnissen oder Unfällen, die radiologische Auswirkungen haben können. Dieser Weg ist weiter beschritten worden. Wir bemühen uns um Zusicherungen. Wir müssen Informationen bekommen, wir müssen gemeinsam eine Notfallplanung machen können. Die Grundlagen dafür sind vorhanden. Wir müssen immer wieder auch die Möglichkeit bekommen, bewerten zu können, was in Cattenom geschieht. Auch das ist jetzt gesichert. Der letzte Verhandlungserfolg, nämlich daß der Betreiber niedrigere Werte bei der Einleitung in die Mosel zugesagt hat, ist doch dieser Bundesregierung zuzuschreiben. ({3}) Es ist verhandelt worden, und es ist etwas erreicht worden. Ich habe Erfahrungen in bilateralen Verhandlungen mit allen möglichen Staaten. Ich möchte sagen: Wäre es nur immer so wie mit den Franzosen! Wir haben j a noch andere Nachbarn, welche die Kernenergie nutzen. ({4}) Manchmal bin ich selbst gar nicht so sicher, ob wir - ich denke da an Gorleben - unseren Nachbarn von Anfang an die gleichen Informationen gegeben haben, wie wir sie jetzt von den Franzosen verlangen, meine Damen und Herren. ({5}) Die Sorgen der Grenzbevölkerung werden gesehen. Wir werden alles tun, um mit der gegebenen Lage fertig zu werden. Sie ist gegeben. ({6}) - Wir müssen mit der Lage fertig werden, daß die Franzosen entschieden haben, dort Kraftwerke zu bauen und sie in Betrieb zu nehmen. Wir sind bisher mit dieser Lage fertig geworden. Ich verstehe, daß nach Tschernobyl ein besonderes Informations- und Diskussionsbedürfnis besteht. Nur, Herr Lafontaine: Mit Klagen werden Sie nicht weiterkommen. Das ist der falsche Weg. ({7}) Das ist auch nicht der Weg, der früher beschritten worden ist. Das ist eine Kraftpose, die Sie hier in Szene setzen, ohne daß Sie bis heute der Bevölkerung nachweisen können, daß Sie auf diesem Weg etwas erreichen. Ich habe erwähnt, daß die Franzosen eine ganz andere Kernenergiephilosophie haben. Sie haben eine andere als meine Partei. Für mich und meine Partei ist Kernenergie eine Übergangsenergie. Wir wollen da heraus. Wir brauchen alternative Energien. Wir müssen nicht unrealistische Ausstiegsszenarien ausarbeiten, aber wir haben den ernsthaften Wunsch, Alternativen zu entwickeln und eines Tages an die Stelle der Kernenergie zu setzen. Das ist unsere Politik. Ich weiß nicht, wie dieses Beispiel wirkt. Wenn wir eines Tages andere Energien anbieten können, dann hoffe ich, daß die Franzosen und alle anderen Nachbarn auch diesen Weg gehen. Es gilt also, bilateral und multinational im Sinne eines gutnachbarlichen Verhältnisses alles zu tun. Diese Konferenz in Wien, der Versuch, international zu Abmachungen über Strahlenschutz, über Katastrophenschutz, über Notfallschutz zu kommen, wird von uns unterstützt, und auf diesem Wege müssen wir weiterschreiten. Eine Alternative gibt es dazu nicht. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten des Saarlandes das Wort. Ministerpräsident Lafontaine ({0}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Problem Cattenom will ich für die saarländische Landesregierung folgende Erklärung abgeben: Es wird keinen Frieden geben - schrieb der am 2. April 1976 in Luxemburg zum ersten Ehrenbürger Europas ernannte Jean Monnet wenn die Staaten auf der Basis nationaler Souveränität wieder hergestellt werden, mit all dem, was eine Politik des Prestiges und der wirtschaftlichen Protektion mit sich bringt. Er verlangte damals die Europäisierung von Kohle und Stahl, weil in diesem Bereich der Schlüssel für wirtschaftliche Macht wie auch für das Arsenal, in dem die Waffen für den Krieg geschmiedet werden, sei. Meine Damen und Herren, was für Kohle und Stahl galt, gilt heute für die Nukleartechnologie. In der Tradition der französischen Politik begründete François Mitterrand in seiner Schrift „Ici et maintenant" die französische Militärpolitik wie folgt: Man überläßt anderen nicht die Entscheidung, wenn Leben und Tod auf dem Spiel stehen. Freiheit stand neben Gleichheit und Brüderlichkeit auf den Fahnen der Französischen Revolution. Freiheit ist das Recht jedes Menschen, seine eigene Existenz zu bestimmen. Freiheit ist das Recht jedes Landes, jeder Region, die eigene Existenz zu bestimmen. Dieser Idee der Freiheit verpflichtet, hat Hans Jonas in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung" gefordert, daß das Handeln nicht das ganze Interesse der mitbetroffenen anderen aufs Spiel setzen darf. Gegen diesen dem Freiheitsbegriff verpflichteten neuen Kategorischen Imperativ des Zeitalters der Großtechnologie wird weltweit verstoßen. Der „Realpolitiker" wird uns raten, uns damit abzufinden. Er wird sein Heil im Aushandeln von Grenzwerten suchen, im Fordern international angeglichener Si18062 Ministerpräsident Lafontaine ({1}) cherheitsstandards, wobei er übersieht, daß schon der Austausch sicherheitsrelevanter Technologien Verboten unterliegt. Er fordert ein weltweit wirkendes nukleares Haftungssystem, wobei er in den Kategorien der Versicherungswirtschaft argumentiert und übersieht, daß das menschliche Leben weltweit bedroht ist und damit haftet. Er fordert das Verursacherprinzip und denkt in materiellen Kategorien. Die Überlebenden werden das Verursacherprinzip anders interpretieren. Solange die politisch Verantwortlichen die Totalität der Nukleartechnologie nicht begreifen, werden sie nicht erkennen, daß diese nicht beherrschbare Technik nicht, Herr Kollege Baum, der nationalen Souveränität unterworfen bleiben darf. ({2}) So wie Jean Monnet mit der Montanunion in die Welle der nationalen Souveränität eine Bresche schlagen wollte, so gilt es heute, in das Containment der internationalen Verdrängung der atomaren Gefahr Breschen zu schlagen. ({3}) Cattenom wird damit wie viele andere großtechnische Anlagen zum Testfall für die europäische Einigung. Cattenom steht daher neben anderen Anlagen dieser Art für die Frage, ob die Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weiterhin Grundlage der europäischen Einigungspolitik bleiben, ob jeder europäische Mitgliedstaat sie, diese Werte, auch für den Nachbarstaat gelten läßt. Diese Werte verlangen zwingend eine Änderung des Euratom-Vertrages. Die Nachbarstaaten und die Nachbarregionen müssen mitbestimmen können, wenn ihr ganzes Interesse auf dem Spiel steht. ({4}) Daher ist es zu begrüßen, meine Damen und Herren, daß das Europäische Parlament, dem j a so viele verbale Sympathieerklärungen auch in diesem Hause abgegeben wurden, gefordert hat, Cattenom nicht in Betrieb zu nehmen. ({5}) Daher wäre es wünschenswert, wenn die Regierungen der Mitgliedstaaten, im besonderen die Regierungen Frankreichs und der Bundesrepublik, dieses Votum des Europäischen Parlaments respektieren würden. Daher kann es kein Dauerzustand sein, meine Damen und Herren, daß bisher nur die Regierungen Dänemarks, Griechenlands, Irlands, Luxemburgs und Portugals darauf bestehen, daß die Wahl der Kernkraftwerksstandorte nicht mehr der alleinigen nationalen Verfügung unterworfen sein darf. Die Feststellung: Wir haben die sichersten Kernkraftwerke der Welt, ist Ausdruck vergessen geglaubter nationaler Selbstüberschätzung. ({6}) Unter diesem Gesichtspunkt ist es unverständlich, daß die Regierung Frankreichs die Mahnung des für die französische Kernkraftplanung zuständigen Direktors Christian de Torquat, der Standort Cattenom weise in bezug auf die Verteilung der Bevölkerung deutlich ungünstigere Merkmale gegenüber den bisherigen Standorten für Kernkraftwerke auf, schlicht ignoriert hat. Wie hätte Christian de Torquat geurteilt nach dem Unfall von Tschernobyl? Die „Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke" ({7}) - und hier erlauben Sie mir den Einschub: Daher ist die Reduzierung der Dimensionierung der Anlage etwa von 5 200 auf 4 300, 3 000 oder 2000 MW nicht das Problem -, gibt für einen Block von 1 300 MW, wobei deren Voraussetzungen vom wissenschaftlichen Standpunkt mit vielen Fragezeichen versehen werden müssen, als größten Kollektivschaden - das können Sie alle nachlesen - somatische Spätschäden mit 104 000 Todesfällen an. Und weil hier die Glaubwürdigkeit angesprochen ist, Herr Abgeordneter Müller: Derjenige, der die damalige Bundesregierung mit der gleichen Konsequenz kritisiert hat wie die heutige Bundesregierung, mit der gleichen Kompromißlosigkeit, der ist glaubwürdig. ({8}) Derjenige, der heute die Bundesregierung in Schutz nimmt und damals kritisiert hat, der ist nach meinem Verständnis nicht glaubwürdig, ({9}) um dieses Problem einmal anzusprechen. - Sehr viel, wenn Sie das wissen wollen. Die Tatsache, daß die Mehrheit der politisch Verantwortlichen die geringe Wahrscheinlichkeit des Schadensfalls so interpretiert, daß bis zum Eintritt des Schadensfalls noch lange Zeit vergehen wird - eine völlige Verkehrung der Wahrscheinlichkeitstheorie -, macht es notwendig, immer wieder darauf hinzuweisen, daß auch die geringste Wahrscheinlichkeit heißt: Morgen kann der unwahrscheinliche Fall eintreten. Im Geiste Jean Monnets fordere ich daher die französische Regierung auf, auch angesichts der Serie von Fehlern bei den Probeläufen, Cattenom nicht in Betrieb zu nehmen. ({10}) Nach den Worten des EDF-Präsidenten Marcel Boiteux wurde Cattenom für den Export gebaut. Eine schöne neue Nachdenklichkeit, die sich da auftut! Man ist nachdenklich gegenüber der Produktion weiterer kernenergetischer Anlagen, aber man finanziert Anlagen in anderen Regionen, um den dort produzierten Strom zu importieren. Ich fordere dazu auf, sich durch die Reduzierung der politischen Diskussion, auf die Belastung der deutsch-französischen Beziehungen angesichts der existenziellen Bedrohung des Mitgliedstaates Luxemburg und der Diskussion innerhalb des Europäischen Parlaments und der Europäischen Gemeinschaft nicht dem Vorwurf übersteigerter nationaler Selbstbezogenheit auszusetzen. Ich fordere dazu auf, einzusehen, daß nicht derjenige die gutnachbarlichen Beziehungen aufs Spiel setzt, der sich dagegen wehrt, daß sein ganzes Interesse Ministerpräsident Lafontaine ({11}) durch das souveräne Handeln des Nachbarstaates betroffen ist, sondern derjenige, der durch sein Handeln das ganze Interesse der Nachbarregionen aufs Spiel setzt. Im Geiste Jean Monnets müssen Breschen geschlagen werden in das Containment der internationalen Verdrängung, der von keiner Risikostudie geleugneten Möglichkeit der Vernichtung der Lebensgrundlagen ganzer Regionen. Verantwortliche Politik, meine Damen und Herren, muß das Wort des Philosophen Günther Anders verstehen: Die Möglichkeit unserer endgültigen Vernichtung ist, auch wenn diese niemals eintritt, die endgültige Vernichtung unserer Möglichkeiten. ({12})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. ({0})

Dr. Walter Wallmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002415

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht in der Tat um das Prinzip Verantwortung, von dem hier eben die Rede gewesen ist, wobei man allerdings, wenn man dieses Prinzip Verantwortung von Hans Jonas zitiert, hinzufügen muß, daß er damit gleichzeitig eine Absage an das Prinzip Angst verbindet. ({0}) Deswegen darf es keine Politik und keine Geschäfte mit der Angst geben. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Ministerpräsident, es ist nicht üblich, von der Bundesratsbank aus - wie auch von der Regierungsbank aus - Zwischenrufe zu machen. ({0})

Dr. Walter Wallmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002415

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Herr Rau laut Meldung ddp vom 24. September 1986, also vor zwei Tagen, erklärt hat, ein sofortiger Ausstieg sei nicht zu verantworten, dann gehört das zu einer jener vielen Kehrtwendungen und Merkwürdigkeiten zum Thema friedliche Nutzung der Kernenergie, die wir von der SPD seit einiger Zeit erleben. Daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, auch in diesem Fall gemeinsame Sache mit den GRÜNEN machen, macht mich betroffen; ich sage das in aller Offenheit. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie unterstellen nämlich der gegenwärtigen französischen Regierung, aber nicht nur ihr, sondern auch den sozialistischen Vorgängerregierungen - ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner. ({0})

Dr. Walter Wallmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002415

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kenne das von Ihnen, Sie haben nichts zu sagen. Deswegen werden Sie laut und rufen in den Raum. Das sind keine Argumente! ({0}) Meine Damen und Herren, Sie unterstellen der gegenwärtigen französischen Regierung, den sozialistischen Vorgängerregierungen und übrigens auch nicht zuletzt dem gegenwärtigen Staatspräsidenten Mitterand, seines Zeichens auch Sozialist, sie setzten Leben und Gesundheit der ihnen anvertrauten Menschen zynisch aufs Spiel. Ich sage Ihnen, diese Arroganz ist für mich unerträglich, und sie ist politisch unverantwortlich. ({1}) Wer sich den Thesen, die wir eben von Herrn Lafontaine über die Verantwortungs- und Skrupellosigkeit der französischen Regierung gegenüber dem eigenen Volk wie gegenüber der Bundesrepublik Deutschland gehört haben, nicht anschließt, der wird von Ihnen, aus SPD und insbesondere von der saarländischen Landesregierung, denunziert und herabgesetzt. Auch dies ist die Wahrheit. ({2}) Ich sage für die Bundesregierung mit allem Nachdruck: Es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, daß die französische Regierung Leben und Gesundheit ihrer Bürger genauso ernst nimmt wie die Regierung Kohl ihre Pflichten gegenüber unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. ({3}) Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Französische Ingenieure und Techniker arbeiten genauso gewissenhaft und sorgfältig wie ihre deutschen Kollegen. Auch dies muß hier festgestellt werden. ({4}) Sie von der SPD wissen dieses alles. Sie werden von den Sorgen der Menschen, ja auch gar nicht umgetrieben, sondern es geht Ihnen um ein ganz großes Vertuschungsmanöver. ({5}) Sie wollen vergessen machen, daß das Kernkraftwerk Cattenom mit dem Einverständnis einer SPDgeführten Bundesregierung gebaut worden ist. ({6}) Sie spekulieren auf die Vergeßlichkeit der Menschen. Und dies ist die Vorgeschichte: Das Kernkraftwerk Cattenom ist seit 1975 in Planung und im Bau. Es steht jetzt kurz vor der Fertigstellung. Block 1 soll in Betrieb gehen. Noch zu Zeiten der SPD-geführten Bundesregierung, nämlich im Juli 1979 und im März 1982, ({7}) wurden die Baugenehmigungen für die Blöcke 1 und 2, nämlich 1979, sowie 3 und 4, nämlich 1982, erteilt. Es ist daher ebenso abwegig, und ich füge hinzu, wie unredlich, die Regierung Kohl in irgendeiner Weise dafür mitverantwortlich zu machen oder im Zusammenhang mit Cattenom irgendeine Verbindung herzustellen. Das ist die Wahrheit. ({8}) Ich sage ein drittes, meine Damen und Herren, woran der Bundesregierung entscheidend liegt. Die SPD-geführte Bundesregierung Schmidt hat durch ihr Verhalten auf französischer Seite einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Daran ist jede Bundesregierung, gleichgültig, von wem gestellt, nach Treu und Glauben gebunden. Dies gilt nicht nur rechtlich, sondern in erster Linie politisch. Auf uns Deutschen lastet die geschichtliche Hypothek der politischen Unberechenbarkeit und insbesondere der Wortbrüchigkeit, seit es das nationalsozialistische Regime gegeben hat. Bei unseren Nachbarn in Europa ist diese Erinnerung noch wach. ({9}) Deswegen können wir, die Bundesrepublik Deutschland, uns einen Zickzackkurs in der Politik, vor allem in der Außenpolitik, nicht leisten. ({10}) Wir halten uns an die Regeln des Rechts und des Anstands. ({11}) Deutsche Politik muß berechenbar bleiben. Alles andere wäre ein Verhängnis. Aus diesem Grunde werden wir das von der Regierung Schmidt in Kenntnis aller relevanten Umstände auf französischer Seite geschaffene Vertrauen in die Beständigkeit unserer Politik respektieren. Viertens. Die Entscheidung, das Kernkraftwerk Cattenom zu bauen, ist eine französische Entscheidung; wir wollen das nicht vergessen. Wir wollen aber auch nicht vergessen, daß es deutsch-französisch zusammengesetzte Gremien gab und gibt. In ihnen sind alle anstehenden Entscheidungen in bezug auf Cattenom vorab beraten und bewertet worden. ({12}) Dies gilt namentlich für die deutsch-französische Kommission, die übrigens 1976 auf Drängen der damaligen Ministerpräsidenten Kohl und Röder wegen Cattenom eingerichtet wurde. ({13}) Dies gilt auch für viele andere Gremien. Erst nach Beratung und nach Bewertung in diesen Gremien wurden in Frankreich die jeweiligen Entscheidungen getroffen. In allen Fällen haben die Vertreter der deutschen Seite - dazu zählen auch die Vertreter des Saarlandes und von Rheinland-Pfalz - nach gründlichen Beratungen ihr Einverständnis erklärt. ({14}) In diesen Gremien konnten Verbesserungen gerade im Interesse der grenznahen Bevölkerung erreicht werden. In ihrer Sitzung vom 26. bis 28. Mai - hören Sie genau zu - 1986, also nach Tschernobyl, hat die deutsch-französische Kommission ihre 1982 getroffene Feststellung bekräftigt, daß die Sicherheit des Kernkraftwerks Cattenom gegeben und mit der deutschen Kernkraft und ihren Anlagen vergleichbar ist. ({15}) Gegen diese Feststellung erhob kein Mitglied der Kommission irgendwelche Einwendungen, auch nicht die Vertreter des Saarlandes. ({16}) Kommentare zum Thema „Glaubwürdigkeit der saarländischen Landesregierung" erübrigen sich damit. ({17}) Auch die letzten Bewertungen der Frage der Sicherheit haben all dies bestätigt. Unsere Gespräche und Konsultationen mit der französischen Seite haben dazu geführt - fünftens -, die radiologischen Einleitungen in die Mosel auf maximal 3 Curie pro Block und Jahr und nicht, wie immer wieder behauptet wird, auf 15 Curie pro Block und Jahr zu reduzieren. ({18}) - Behaupten Sie nicht einfach etwas, sondern stellen Sie sich hierhin, und belegen Sie das! Seien Sie endlich einmal redlich vor der deutschen Öffentlichkeit und machen Sie nicht Ihre Politik mit der Angst! ({19}) Auch innerstaatlich ist in Frankreich dafür gesorgt, daß diese Werte eingehalten werden. Jetzt sind 40 Politiker aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz nach Cattenom eingeladen. ({20})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

In der Aktuellen Stunde gibt es keine Zwischenfragen, Herr Abgeordneter Schreiner.

Dr. Walter Wallmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002415

Das heißt, sie können alles in Augenschein nehmen und mit den Verantwortlichen diskutieren. Über das Ergebnis der Bewertungen durch die Reaktorsicherheitskommission der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs ist am vergangenen Dienstag in Mainz Rechenschaft gelegt worden. Sechstens. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß mit dem von ihr eingeschlagenen Weg der Zusammenarbeit mit unseren französischen Nachbarn viel mehr für die deutsche Bevölkerung erreicht worden ist ({0}) und weiter erreicht werden wird als mit dem von der Landesregierung des Saarlandes gewählten Weg der Konfrontation, leider auch der Verdächtigungen und der persönlichen Herabsetzungen. ({1}) Frankreich ist ein souveräner Staat. Nur durch das vertrauensvolle Miteinander werden wir Fortschritte erreichen. Das gilt auch weltweit. Wir machen uns keine Illusionen: Die SPD, vor allem die saarländische Landesregierung, hat auch nicht das geringste Interesse z. B. an einer internationalen Bewertung des Kernkraftwerkes Cattenom, etwa durch die Internationale Atomenergie Agentur in Wien. Im Gegenteil, sie will Angst verbreiten, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Deswegen ist das schlimme Wort von Herrn Lafontaine, Cattenom sei eine Todeszentrale, eine Gefahr für das deutsche und französische Miteinander und damit für eine gedeihliche Fortentwicklung im Interesse nicht nur dieser beiden Staaten, sondern Europas. ({3}) Meine Damen und Herren, Sie von der SPD führen zuerst Entscheidungen in vielen, vielen Angelegenheiten herbei. ({4}) Anschließend tun Sie so, als hätten Sie niemals etwas damit zu tun gehabt. Und schließlich verdächtigen Sie diejenigen, die jene Entscheidungen vollziehen, die Sie herbeigeführt haben. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn alles in Ordnung ist, Herr Minister, muß ich mal fragen: Weshalb haben Sie mit der französischen Regierung über Störfälle und anderes mehr überhaupt verhandelt? So in Ordnung kann es wohl nicht sein. Meine Damen und Herren, nach Tschernobyl hat die Bundesregierung landauf, landab verkündet: Unsere Kernkraftwerke sind die sichersten; so etwas wie in Tschernobyl kann bei uns nicht geschehen. - Wer so denkt und redet, muß ja wohl dafür sorgen, daß auch die Kernkraftwerke unsere Sicherheitsstandards haben, die im Westwind genau vor unserer Haustür liegen. Was heißt das denn: „unsere Kraftwerke", Herr Wallmann und Herr Bundeskanzler? Sind das die, die wir gebaut haben, oder die, deren Ladung wir abkriegen, wenn etwas geschieht? Ich will damit sagen, daß Sie als Bundesregierung die völlig falschen Maßstäbe anlegen, wo Sie handeln müßten. Sie müssen doch dafür sorgen, daß ein Kernkraftwerk in unserem Vorgarten genauso sicher ist wie ein Kernkraftwerk, das wir in unseren eigenen Hof gesetzt haben. Und das ist bei Cattenom unstrittig nicht der Fall. ({0}) Cattenom ist in der Bundesrepublik nicht genehmigungsfähig. Es ist z. B. nicht gegen Flugzeugabsturz ausgelegt. Das bedeutet, daß wir hier nicht nur mit einem Restrisiko leben, sondern mit einem Echtrisiko. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie versäumt haben, diesen Punkt zum Gegenstand ernsthafter Verhandlungen mit der französischen Regierung zu machen. Meine Damen und Herren, ich will noch einen Punkt herausstellen: Cattenom ist auch im übrigen ein unheimliches Kraftwerk. Können Sie sich vorstellen, Herr Wallmann, daß aus einem Kühlkreislauf plötzlich 400 000 cbm Wasser austreten? Wissen Sie, was das heißt, Herr Wallmann? Aber es interessiert Sie nicht; Sie unterhalten sich ja gerade. ({1}) Um 400 000 cbm zu transportieren, brauchen Sie 13 500 Tankwagen. Das ist eine Autoschlange von 400 km. Das sind 80 Freibäder von 25 mal 50 m und 4 m Tiefe oder eine Wassersäule von 25 mal 50 m, 320 m hoch. Das ist da passiert. Sehen Sie das vor sich, Herr Wallmann? Aber allen Ernstes: Das bedeutet doch vor allem, daß der Störfall überhaupt nicht beherrscht wurde. Das bedeutet doch, daß niemand das Wasser gleich abdrehen konnte. Das muß doch zehn, zwanzig oder mehr Stunden geflossen sein. Da muß doch alles überschwemmt gewesen sein. Auch die Reaktorsicherheitsabteilung in Ihrem Ressort konnte sich gestern nachmittag dies alles noch nicht vorstellen. Das können die gar nicht. Darüber hat man anscheinend aber auch nicht nachgedacht. Ich bin davon überzeugt, daß ein solcher Störfall nicht Auslegungsstörfall ist, weil sich kein verantwortlicher Kernkraftwerksbauer so etwas überhaupt vorstellen kann. Einen solchen Vorfall hat es in der Geschichte der Kerntechnik überhaupt noch nicht gegeben. Menschen und Überwachungssysteme haben hier versagt. Ich kann mir nicht ausmalen, meine Damen und Herren, was passiert wäre, wenn der Reaktor in Cattenom zu diesem Zeitpunkt in Betrieb gewesen wäre. Bis heute gibt es keine klare und eindeutige Darstellung und Ursachenanalyse dieses unheimlichen Vorfalls. Das ist skandalös. Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie uns und die Bevölkerung im Grenzgebiet offiziell über diesen Störfall unterrichtet. Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Kernenergiegegner werden von der Bundesregierung, wie wir sehen, immer noch als Spinner, Chaoten, staatsgefährdende Kräfte klassifiziert. Sie finden sich in den Computern des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes wieder. Seit Kardinal Höffner seine Stimme mit der Mehrheit des Volkes gegen die Kernenergie erhoben hat, sehe ich für die christliche Partei nun nur noch den Weg, so rasch wie möglich aus der Kernenergie auszusteigen - trotz Strauß muß das möglich sein - und unsere französischen Freunde ebenfalls davon zu überzeugen. Im übrigen: Einen Kardinal im Polizeicomputer möchte ich mir nicht vorstellen. Auch zu einem anderen Zeugen gegen die Kernenergie möchte ich noch ein Wort sagen: Carl Friedrich von Weizsäcker hat in seinem neuesten Buch vom Juli, „Die Zeit drängt", gesagt, daß er für die Zeit, für die wir planen können, nicht mehr zur Kernenergie als leitender Energiequelle raten kann. - Zwei Zeitzeugen, die man nicht als Chaoten und Spinner bezeichnen kann und darf!

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Letztes Wort. Meine Damen und Herren, ich bitte den Umweltminister, seinem Titel Ehre zu machen und nicht in den Verdacht zu geraten - da sind Sie bei mir -, Atomminister zu sein. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Schartz.

Günther Schartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Meine Herren! Wir sprechen heute über das französische Kernkraftwerk Cattenom. Mir erscheint es notwendig, daß ich diese Tatsache in Erinnerung rufe. Der Standort dieses Kraftwerks ist in Frankreich. Die französische Regierung hat die Planung genehmigt; die französische Regierung hat den Bau genehmigt; die französische Regierung entscheidet, ob Cattenom in Betrieb genommen wird: ja oder nein. Ich sage dies, um deutlich zu machen, wie eng die Einwirkungsmöglichkeiten der deutschen Bundesregierung und auch der Länderregierungen auf Cattenom sind. Wir sollten nicht so tun - auch draußen nicht, Herr Ministerpräsident Lafontaine -, als ob wir darüber zu entscheiden hätten. Ich spreche hier als Vertreter der Bürger im Trierer Land. Meine Mitbürger und ich in der Stadt Trier und im Landkreis Trier-Saarburg sind in Sorge wegen Cattenom. Wir erwarten, daß unsere Sicherheit für jetzt und für die Zukunft gewährleistet wird. Wir erwarten, daß die französische Regierung unsere Sorgen ernst nimmt. Dabei sehe ich durchaus das Problem, daß es für die französische Regierung schwer ist, Cattenom nicht in Betrieb zu nehmen, weil dort viele Milliarden verbaut worden sind. Ich sehe auch das Problem der französischen Regierung, daß man in Frankreich mit Unverständnis zu rechnen hat, wenn wegen der deutschen und luxemburgischen Proteste Cattenom nicht in Betrieb genommen wird, aber an 30 anderen Stellen in Frankreich die Belastung durch Kernkraftwerke, die vielfach nach dem gleichen System gebaut sind, der französischen Bevölkerung auferlegt wird. Ich glaube, daß die französische Regierung in voller Verantwortung für ihre Bürger und für die Bürger in ihren Nachbarstaaten handelt. Herr Ministerpräsident Lafontaine, lassen Sie mich etwas aus der Vergangenheit sagen: In Deutschland sind die Möglichkeiten der Einflußnahme versäumt worden. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD: Die SPD wollte Cattenom. ({0}) Sie haben es versäumt, in dem einzig möglichen Stadium der Einflußnahme, im Stadium der Planung, etwas gegen Cattenom zu tun. Ihre Regierung hat der französischen Regierung das Sicherheitsattest ausgestellt. Sie haben im Deutschen Bundestag erklärt, daß beide Systeme - das deutsche wie das französische Kernkraftsystem - die Belange und die Sicherheit der Bevölkerung sicherstellten. Sie von der SPD wollten Cattenom. Sie waren nicht bereit, einen offiziellen Protest gegen Cattenom einzulegen. Ihr Bundeskanzler Helmut Schmidt war nicht bereit, mit dem französischen Staatspräsidenten über Cattenom zu sprechen. Das mußte unser Bundeskanzler Helmut Kohl tun. ({1}) Herr Lafontaine, Sie haben eben den Standort Cattenom als falsch bezeichnet. Ich darf zitieren, was Ihre Regierung mir zu dieser Frage gesagt hat: Gegen den Standort Cattenom mit einem Kernkraftwerk von zwei Blöcken können nach den Erkenntnissen der bisherigen Beratungen keine sachlich gerechtfertigten Gründe geltend gemacht werden, jedenfalls nicht, soweit die sicherheitstechnischen Fragen und die Probleme der Moselbelastung zufriedenstellend gelöst werden. - Das hat mir Ihr Parlamentarischer Staatssekretär Sperling am 28. November 1979 im Bundestag erklärt. ({2}) Schartz ({3}) Lesen Sie es im Protokoll nach. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Cattenom steht, und wir müssen mit Cattenom leben. Ich will nur festhalten: Erstens. Für die Menschen - im Trierer Land stelle ich die Forderung - in Cattenom wollten Sie keine Inbetriebnahme der Kernkraftwerksblöcke 3 und 4. Zweitens. Eine erneute sicherheitstechnische Überprüfung ist notwendig. Sie muß nach den neuesten sicherheitstechnischen Erkenntnissen durchgeführt werden. Drittens. Die Abgabe von Radioaktivität darf die nach deutschem Recht zulässigen Höchstwerte nicht überschreiten. Viertens. Ich würde es für richtig halten, wenn dort eine internationale Kontrollstation errichtet würde. Ich weiß, daß ich dabei in den Bereich der Utopisten gerückt werde. Ich meine aber, Kernkraft ist so wichtig und für alle Länder dieser Erde so bedeutsam, daß hier ein erster Schritt getan werden sollte. Fünftens. Wir brauchen die Einrichtung einer umfassenden betreiberunabhängigen Überwachungskontrolle. Sechstens. Wir brauchen ein zuverlässiges Meldesystem. Siebtens. Wir brauchen die objektive Information der Bevölkerung über Cattenom. ({5}) Das sollte die Bundesregierung tun. Das Feld der Information darf nicht politischen Kabarettisten überlassen werden. ({6}) Cattenom ist zu ernst für politische Schaustücke. In diesen Bereich katalogisiere ich das, was der saarländische Umweltminister Leinen getan hat. Herr Ministerpräsident Lafontaine, schicken Sie sachkundige Leute an die deutsch-französische Grenze, die dort Messungen vornehmen, keine Kabarettisten mit Ministergehalt. ({7}) Zum Schluß möchte ich ein Wort an den Vertreter der französischen Regierung, der dieser Debatte beiwohnt, richten. Sagen Sie bitte Ihrer Regierung, daß außer den Kriegen der Vergangenheit nichts das Verhältnis der Menschen im deutsch-französischen Grenzraum so belastet hat wie Cattenom.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Abgeordneter Schartz, bitte kommen Sie zum Schluß.

Günther Schartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Richten Sie sich nach unseren Sorgen. Sie sind eine alte Kulturnation; richten Sie sich nach unseren Sorgen! ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Minister für Umwelt und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz. Staatsminister Dr. Töpfer ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Landesregierung von Rheinland-Pfalz darf ich hier folgende Erklärung abgeben: Die Sicherheit der Menschen und der Schutz der Umwelt sind und bleiben kompromißlos Maßstäbe, mit denen die Landesregierung von Rheinland-Pfalz jegliche friedliche Nutzung der Kernenergie beurteilt. Wer mit dieser Technologie leichtfertig umgeht, wer höchste Sicherheitsnormen nicht nachprüfbar einhält und wer überhöhte radiologische Emissionen im Wasser und in der Luft duldet, handelt verantwortungslos, ja, verbrecherisch; denn er gefährdet das Leben von Menschen, die in solchen Kernkraftwerken arbeiten oder in der Umgebung leben. Er gefährdet aber auch räumlich und zeitlich weit entfernt lebende Menschen. Dies ist für uns die zentrale und erste Konsequenz aus Tschernobyl. ({1}) Diese bedingungslose Forderung nach Sicherheit gilt für uns ohne Einschränkung. Sie gilt vor allen Dingen weltweit, ({2}) für Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie für Kernkraftwerke in Frankreich, für Kernkraftwerke in Großbritannien ebenso wie für solche in der DDR, für die in den USA genauso wie für die in der Sowjetunion. ({3}) - Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß von derselben Seite auch gleich noch derselbe Beifall kommt. ({4}) - Na ja, das ist ja fein. Die sicherheitstechnischen Anforderungen zur Errichtung und zum Betrieb von Kernkraftwerken, die in der Bundesrepublik Deutschland bindend vorgeschrieben sind und hier detailliert überprüft werden, gewährleisten die sichere Nutzung der Kernenergie. Deshalb können wir diese Energie verantworten. Wir verantworten sie bis zu einer besseren Energie, die erforscht und einsatzfähig gemacht werden kann. ({5}) Ich bin ganz sicher, daß die SPD genau dieselbe Wertung hat. Wer nämlich entscheidet, noch in zehn Jahren Kernenergie zu nutzen, der muß davon überzeugt sein, daß Kernenergie sicher genutzt werden kann. ({6}) Ein weltweiter Verzicht auf diese Technologie bei diesem Sicherheitsstandard wäre weder wirtschaftlich noch ökologisch, vor allem auch nicht ange18068 Staatsminister Dr. Töpfer ({7}) sichts der drängenden Weltprobleme der Zukunft vertretbar. Der Verzicht, der Ausstieg ist auch moralisch nicht zu verantworten. ({8}) Ich wende mich mit allem Nachdruck, Herr Abgeordneter Schreiner, gegen den Alleinvertretungsanspruch auf Moral bei denen, die einseitig und kopflos aus einer solchen Technologie aussteigen wollen. ({9}) Wir bauen und betreiben sichere Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen, daß dies auch weltweit so ist. Wir brauchen bei der Nutzung dieser Energie eine Sicherheitspartnerschaft im wahrsten Sinne des Wortes, ({10}) damit die 370 Kernkraftwerke in der Welt, die wir eben nicht abstellen können, auch auf Dauer sicher betrieben werden können. Dies ist die sinnvolle und richtige Konsequenz, die der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gezogen hat und die es möglich gemacht hat, in Wien eine Konferenz über Sicherheit und Information abzuhalten. ({11}) Dies ist Verantwortung. Herr Ministerpräsident Lafontaine, wenn man hier Hans Jonas zitiert und wenn man auf die Heuristik der Furcht von Hans Jonas hinweist, dann bin ich damit sehr einverstanden. Nur muß man doch sagen, daß Hans Jonas dieses Buch nicht als eine alleinige Aussage für die Kernkraft verfaßt hat. Prinzip Verantwortung, Heuristik der Furcht - ja, aber eben in der Alternativabschätzung all dessen, was wir in diesem Leben an Risiko eingehen. Auch die Nutzung von Kohle und anderen Energieträgern ist beim besten Willen nicht ohne Heuristik der Furcht auf Dauer zu betreiben. ({12}) Wir fordern gleiche Sicherheit vor allem bei den Kernkraftwerken unserer Nachbarn, bei den Anlagen, die unmittelbar jenseits unserer Grenze liegen, weil wir die Sorgen, die Ängste, die Beklommenheit der Menschen in dieser Grenzregion sehr ernst nehmen, Menschen, die über viele Generationen immer in Angst, in Furcht und Beklommenheit vor Nachbarn gelebt haben. Gleiche Sicherheit, gleiche radiologische Emissionen, gleiche Informationen, das waren und sind die Forderungen, die ab 1976 von den beiden Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, von Dr. Kohl und Dr. Vogel, direkt und mit Hilfe der jeweiligen Bundesregierung kompromißlos und hartnäckig gegenüber Frankreich vertreten worden sind. Mit der deutsch-französischen Kommission konnte ein Gremium geschaffen werden, das weltweit ohne Beispiel ist. Nirgendwo sonst, meine Damen und Herren, haben zwei souveräne Staaten so umfassend Informationen über Kernenergie ausgetauscht, haben so vorbehaltlos verhandelt wie Deutschland und Frankreich in dieser Kommission - es gibt weltweit dafür keinen anderen Beleg -, über Kernkraftwerke und ihre Sicherheit in Fessenheim und Neckarwestheim, über Cattenom und Philipps-burg II. Durch harte, aber sachliche Informationen und Verhandlungen konnten wichtige Erfolge erzielt werden: Erstens die Gewährleistung eines gleichen Sicherheitsstandards, durch die DFK, die deutschfranzösische Kommission und die Reaktorsicherheitskommission bestätigt. Ich halte es auch für eine wissenschaftliche Unredlichkeit, immer dann, wenn ein vorher unbestritten tätiges wissenschaftliches Gremium ein im Ergebnis nicht passendes Resultat erbringt, dieses in der Wissenschaftlichkeit herabzusetzen und seinen Rücktritt zu fordern. ({13}) Ein gleiches Vorgehen haben wir auch bei der Strahlenschutzkommission erlebt. ({14}) Zweitens. Wir haben die völkerrechtlich verbindliche Festlegung der Emissionen auf 3 Curie pro Block und Jahr. Das ist keine Festlegung eines Wertes, sondern der gilt zusammen mit dem Minimierungsgebot. Ich persönlich habe das 1982 zusammen mit Herrn Hartkopf in Metz durchgesetzt. Ich kann mir hier einfach nicht vortragen lassen, es sei nicht intensivst verhandelt worden. Ich persönlich habe dabeigesessen. Herr Kollege Baum hat darauf aufmerksam gemacht. Drittens. Wir haben die Gewährleistung unmittelbarer Information. Lassen Sie mich das aufgreifen, was Herr Abgeordneter Schartz gesagt hat. Auch ich wünsche mir hier mehr. Wir sind sicher, daß wir zusammen mit der Bundesregierung dieses Mehr erreichen werden. So danke ich der Bundesregierung. Ich danke insbesondere meinem Kollegen Herrn Bundesumweltminister Wallmann dafür, daß er in der kurzen Zeit, in der er tätig ist, mit großem Nachdruck unsere Sorgen aufgenommen und sie mit zum Erfolg geführt hat. ({15}) Dies sind Erfolge von Verhandlungen zwischen freundschaftlich eng verbundenen Nationen, die nach dem furchtbaren Weltkrieg Gräben zugeschüttet und Feindschaften begraben haben. Meine Damen und Herren, die deutschfranzösische Freundschaft ist ein wesentlicher Garant für den Frieden in Europa. Meine Damen und Herren, Frankreich hat Zusagen gemacht, und wir vertrauen darauf, daß diese Zusagen eingehalten werStaatsminister Dr. Töpfer ({16}) den, und wir können darauf vertrauen, weil Frankreich nicht zuletzt bis zur Volksabstimmung im Saarland sein einmal gegebenes Wort auch eingehalten hat. ({17}) Natürlich ist es auch unter Freunden das gute Recht, gerichtliche Auseinandersetzungen auf ein Ziel hin zu führen. Nicht die Klage ist es also, die wir vornehmlich am Vorgehen der saarländischen Landesregierung kritisieren. Dies ist ihr gutes Recht. Dies war uns bekannt. Dies ist nicht zu kritisieren. Was wir auf das schärfste mißbilligen und zurückweisen, ist vielmehr die Tatsache, daß die saarländische Landesregierung und daß der Ministerpräsident dieses Landes über Cattenom bewußt und in Kenntnis der weitreichenden Konsequenzen für das deutsch-französische Verhältnis einen Stellvertreterkrieg führen, das eigentliche Ziel aber die innenpolitische Wirkung in der Bundesrepublik Deutschland ist. ({18}) Meine Damen und Herren, dies ist nicht eine Behauptung. Man muß sich vielmehr die Wortwahl, das Vokabular ansehen. Dies ist immer notwendig, wenn man etwas bewerten will. Man muß nur die Worte zur Kenntnis nehmen. Da wird von der Zentrale des Todes gesprochen, da wird von der Todeszone gesprochen, da wird die deutsch-französische Grenze zu einer Giftgrenze erklärt, da wird Frankreich als eine Atommafia aus Regierung, Administration und Industrie diffamiert. ({19}) Da wird bedenkenlos die Aktualisierung des Unwahrscheinlichen - mit über 100 000 Toten - vorgenommen usw. Meine Damen und Herren, wer so spricht, wer so außer Kontrolle gerät, der muß sich fragen lassen, ob er ein Sicherheitsrisiko ist. ({20}) Hier geht es doch offenbar nicht um höhere Sicherheit für das Kernkraftwerk Cattenom und damit für die Bevölkerung in diesem Raum; hier geht es um Emotionalisierung der Menschen an Saar und Mosel im Vorfeld von Wahlen. ({21}) Hier wird blindlings das gefährdet, ja zerstört, was in 40 Jahren aufgebaut worden ist. Meine Damen und Herren, dies wird um so problematischer, wenn man - wie der Abgeordnete Müller schon gesagt hat - die Einäugigkeit betrachtet, mit der das geschieht. Da wird im gleichen Artikel darauf hingewiesen, daß die Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Frankreich eine Verpflichtung sei, und gesagt, die Sowjetunion habe ihre Konsequenz aus dem Tschernobyl-Unfall gezogen. Sie hat sie nicht dadurch gezogen, daß sie die Kraftwerke mit diesem Sicherheitsrisiko abgestellt hat, sondern - so Herr Lafontaine - dadurch, daß sie in anderen Regionen weiterbaut. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat in der Vergangenheit mit allen Bundesregierungen in Verhandlungen gut zusammengearbeitet. Wir haben viel erreicht. Wir müssen weiter verhandeln im Sinne guter nachbarschaftlicher Verhältnisse. Ich danke Ihnen. ({22})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, nach meinen Feststellungen hat die von der Bundesregierung bzw. vom Bundesrat in Anspruch genommene Redezeit mehr als 30 Minuten betragen. Damit verlängert sich nach den Richtlinien die Dauer der Aussprache ebenfalls um 30 Minuten. Wir fahren deshalb mit der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr geehrten Damen! Meine sehr geehrten Herren! Mit Sorge begleitet die Bevölkerung in Rheinland-Pfalz die nunmehr über zehnjährige Planungs- und Aufbauphase des Kernkraftwerks Cattenom an der Mosel, und seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ist das Projekt Cattenom zum großen Unruheherd in der Bevölkerung geworden. ({0}) - Ja, geschürt. - Dann nehmen Sie einmal zur Kenntnis, daß diese Skepsis gegenüber dem Projekt keine parteipolitischen Grenzen kennt. Sie müssen sich nur einmal mit Ihren Leuten unterhalten. ({1}) Trotzdem hält nicht nur der Bundeskanzler stur an seinem Atomkurs fest. Auch die derzeitige Landesregierung in Rheinland-Pfalz verfolgt diese politische Linie trotz der überwiegenden Ablehnung der Bevölkerung im eigenen Land. ({2}) Der Sturm gegen die Inbetriebnahme von Cattenom - so geschehen in Trier - beweist die Brüchigkeit dieser Politik. Trotz allem beläßt es die rheinland-pfälzische Landesregierung bei schönen Worten, ja mehr noch: Zur Zeit überschlagen sich die Umweltminister Töpfer und Wallmann mit Eigenlob über ihre vermeintlichen Verhandlungserfolge in Sachen Cattenom. Der Erfolg bezieht sich auf die Verpflichtung der Betreiberorganisation EdF gegenüber der französischen Regierung, jährlich pro Reaktorblock nur noch eine radioaktive Konzentration von drei Curie in die Mosel einzuleiten. Für uns ergeben sich daraus folgende Fragen: Wer hat denn eigentlich in Paris verhandelt, wenn der sogenannte Erfolg ausschließlich eine Abspra18070 che zwischen dem Betreiber und der französischen Regierung ist? ({3}) Wieso verkauft die Bundesregierung diese Absichtserklärung als einen Erfolg, wenn sie - so scheint es - weder auf die Einhaltung der Verpflichtungen noch auf ihre Durchführung den geringsten Einfluß hat? Sollte aber über die Verpflichtung bzw. Absichtserklärung hinaus eine Vereinbarung bestehen, die Landes- und Bundesregierung Einflußmöglichkeiten sichert, dann: bitte vorzeigen, Herr Töpfer. ({4}) Gegenseitige Erklärungen von Staatssekretären reichen da nicht aus. Wie soll die Bevölkerung in Rheinland-Pfalz den Regierungen von Bund und Land noch Glauben schenken, auch angesichts der jüngsten Störfälle in Cattenom, die sich während des Probeablaufs ereigneten? Daraus ergeben sich neue Fragen: Kennt die rheinland-pfälzische Regierung die Höhe der Radioaktivitätsabgaben in die Mosel bei Störfällen, wie sie sicherlich in Cattenom zu erwarten sind, und sollen die zu erwartenden Radioaktivitätsabgaben nach Ansicht der Landesregierung unter den Begriff des sogenannten Restrisikos fallen, mit dem wir Rheinland-Pfälzer fertig werden müssen? Beschwichtigungsversuche durch das Vorgaukeln von Erfolgen, die keine sind, helfen niemandem. ({5}) Wir rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten wollen zum Wohle unserer Bevölkerung die Inbetriebnahme des Pannenreaktors in Cattenom verhindern und unterstützen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln die Proteste der Bevölkerung, notwendig eingereichte oder einzureichende Klagen, wie z. B. die Klagen der Stadt Trier, des Kreises Trier-Saarburg, des Saarlandes und der 37 luxemburgischen Gemeinden gegen den Genehmigungsbescheid des französischen Industrieministers vom Februar 1986. ({6}) Die Sicherheitsstudie zu Cattenom läßt berechtigte Zweifel darüber zu, ob sich eine Reaktorkatastrophe wie in Tschernobyl nicht gerade hier wiederholen lassen kann. Deshalb meinen wir Sozialdemokraten, daß im Interesse der Menschen die künftige Energieversorgung ohne Kernenergie auskommen muß. ({7}) Aus dieser Sorge heraus gilt insbesondere für Rheinland-Pfalz: Cattenom darf nicht ans Netz. Ich bringe hier die Sorgen der Bevölkerung von Rheinland-Pfalz ein, die das Recht des Umdenkens für sich in Anspruch nimmt ({8}) und Lehren aus Tschernobyl und den jüngsten Erfahrungen mit Störfällen in Cattenom zieht. Meine Damen und Herren der CDU, wir Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz meinen, daß dieser Anspruch: Cattenom darf nicht ans Netz! der deutsch-französischen Freundschaft keinen Abbruch tut. ({9}) Denn unter Freunden muß es möglich sein, seine Interessen klar und deutlich geltend zu machen und klar und deutlich zu vertreten. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD führt um Cattenom einen Gesinnungskampf. ({0}) Sie polarisiert, sie emotionalisiert und moralisiert in einer Weise, die in der Dialogunfähigkeit und in der Unfähigkeit, Realitäten nüchtern zu bewerten, enden muß. ({1}) Die außerordentlich wichtige politische Auseinandersetzung um die technischen Risiken unserer modernen Industriegesellschaft ist keine moralistische Veranstaltung, bei der es um den Heilsweg der absolut gefahrlosen Energieversorgung oder den Weltuntergang geht. Gefordert sind vielmehr eine sorgfältige wissenschaftliche Abwägung, Sachlichkeit, Vernunft und Augenmaß. Für uns sind dies keine Sekundärtugenden, Herr Ministerpräsident Lafontaine. Vernunft und Erfahrung sagen uns, daß die Risiken jeder großtechnischen Energieerzeugung länderübergreifend sind. Dies gilt für die Klimaveränderungen durch den Assuan-Staudamm, die Risiken der fossilen Verbrennung mit ihrer irreversiblen Veränderung der Erdatmosphäre ebenso wie für die Risiken der Kernenergie. Die Probleme können nicht im nationalen Alleingang und schon gar nicht mit Schaum vor dem Munde und rücksichtsloser Konfrontation gegen unsere benachbarten Freunde gelöst werden. ({2}) Wie man zu wirklichen Fortschritten kommt, haben der Bundeskanzler und der Bundesumweltminister in Wien und Paris gezeigt. Bei der SPD herrscht verkehrte Welt total. ({3}) Es war doch nicht die SPD, es waren die damaligen CDU-Ministerpräsidenten Helmut Kohl und FranzJosef Röder, die 1976 Bundeskanzler Helmut Schmidt ihre Bedenken gegen diese Zusammenballung von Kernkraftwerken in Cattenom vortrugen. ({4}) - Ja, man muß auf die unglaublichen Polemiken der SPD hin immer wieder betonen, daß die SPDgeführte Bundesregierung damals keine Veranlassung sah, sich gegen die französischen Kernkraftpläne zu wenden. So ist noch am 29. März 1982 ein Regierungsgespräch unter der Leitung des deutschen Innenstaatssekretärs zu einer eindeutig positiven Bewertung gelangt. ({5}) Das Vorhaben Cattenom war von Beginn an die zentrale Aufgabe für die 1976 gegründete deutschfranzösische Kommission für Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen. Auf ihrer Sitzung vom 26. bis 28. Mai 1986 - wir müssen das immer wieder betonen -, also nach dem Unfall von Tschernobyl, hat die Kommission die bereits 1982 getroffene Feststellung erneuert, daß die für die Kernkraftwerke Cattenom und Philippsburg II bereits verwirklichten oder vorgesehenen Sicherheits-, Strahlen-, Umwelt- und Notfallschutzmaßnahmen insbesondere im Hinblick auf potentielle grenzüberschreitende Auswirkungen vergleichbar sind und daß für die in Grenznähe lebende Bevölkerung im Hinblick auf die jeweilige ausländische Anlage ein analoger Schutz zu erwarten ist wie in der Umgebung der eigenen Anlage. Gegen diese Feststellung hat der Vertreter des Saarlandes in der deutsch-französischen Kommission keinerlei Einwendungen erhoben. Das war vor vier Monaten. Seit dieser Sitzung der deutsch-französischen Kommission, in der das Saarland unmittelbar, also nach dem Unfall in Tschernobyl keine Einwände gegen die Sicherheit von Cattenom erhoben hat, haben sich keine neuen Tatsachen ergeben, die die totale Kehrtwendung der SPD begründen könnten. ({6}) Die Antwort, warum Cattenom bis zum Mai sicher war und danach angeblich nicht mehr, sind Sie, Herr Lafontaine, schuldig geblieben. ({7}) Hat die SPD elementare Sicherheitsinteressen der Bevölkerung früher vernachlässigt? Dies ist nicht anzunehmen. Richtig ist wohl, daß Sie, Herr Lafontaine, begonnen haben, die Ängste der Menschen politisch zu mißbrauchen und mutwillig aufzuputschen, um wider besseren Wissens Katastrophenstimmung zu verbreiten. ({8}) Dies ist zutiefst unseriös und einer verantwortlichen Landesregierung unwürdig. Diese schlimme Politik wird Sie einmal einholen, und Sie werden erbärmlich aussehen. Uns geht es um die Sicherheit der Bürger in der wirklichen Welt, wie wir sie heute vorfinden. Die Bundesregierung hat in intensiven Gesprächen mit dem französischen Nachbarn eine Verbesserung des Strahlenschutzes erreicht. Die Bundesregierung hat erfolgreich erste Schritte zu einem höheren internationalen Sicherheitsstandard eingeleitet und durchgesetzt. Wir werden auf diesem Wege fortschreiten. Ich bedanke mich. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Angst vor Cattenom wurde vor allem durch den Unfall im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ausgelöst und dann von unverantwortlichen Politikern geschürt. ({0}) Cattenom ist in keiner Weise mit Tschernobyl vergleichbar. ({1}) Der Sicherheitsstandard ist unvergleichlich höher. Aber mit dieser Feststellung allein läßt sich die Angst leider nicht abbauen. Bei Probeläufen von Teilbereichen des Kraftwerkes sind Ereignisse eingetreten, die diese Angst verstärkt haben. Wir von der FDP meinen, daß beste Aufklärung und Information der Bürger, und zwar nur beste Aufklärung und Information, diesen Ängsten begegnen können. ({2}) Was war geschehen? Am 3. August 1986 ist beim Abdichten eines Daches mit heißem Bitumen Teer auf den Boden gelaufen, wo Abfälle lagen, die in Brand geraten sind. Rauchentwicklung führte zu ängstlichen Fragen und Reaktionen; eine Gefahr bestand nicht. Am 21. August 1986 wurde Kühlwasser aus der Mosel in den Kühlturm geleitet. Dieses Kühlwasser dient als Zuschußwasser zum Ausgleich der Kühlturmverluste durch Verdampfung, wenn der Reaktor in Betrieb ist. Da er noch nicht in Betrieb war, lief dieses Wasser aus der Kühlturmschüssel über - es war im wahrsten Sinne des Wortes überflüssig - und drückte dabei Sicherheitsventile auf. ({3}) - Ja, das sind die Tatsachen. Das ist die Aufklärung, die von Ihrer Seite nicht zu erwarten ist, weil Sie einen Wahlkampfschlager daraus machen wollen. ({4}) Es war kein Wasser aus dem Primärkreis und auch nicht aus dem Sekundärkreis des Reaktorbereiches. Mit dem Kernkraftbetrieb hatte es überhaupt nichts zu tun. Dies wurde sofort klargestellt. Leider hat aber der saarländische Umweltminister Jo Leinen die Angst weiter geschürt, als er mit einem Testwagen zur Messung von Radioaktivität anrückte und ein Presseteam herbeirief. ({5}) Er konnte dadurch von seinem Versagen bei der Vergiftung der Saar und der Mosel ablenken, das einige Wochen vorher ein riesiges Fischsterben zur Folge hatte. ({6}) Am 12. September 1986, meine Damen und Herren, schmorte beim Austesten aller Einzelsysteme eine Kabelisolierung durch. Auch hier bestand keine Gefahr. ({7}) - Herr Duve, auch Sie können manchmal noch etwas dazulernen. ({8}) Die Unterrichtung durch die Betreiber erfolgte in jedem der drei Fälle routinemäßig und wie vereinbart. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun kann man aber - leider - einmal vorher geschürte Angst nicht allein durch Rationalität und durch Argumente beseitigen. Die Bevölkerung will sehen, daß zu ihrer Sicherheit noch mehr getan wird, ({9}) und dies ist auch unsere Forderung. Die FDP-Bundestagsfraktion appelliert hier - gemeinsam mit unseren liberalen Freunden an der Saar und an der Mosel ({10}) an die Bundesregierung. Die Anrainer müssen erwarten können, daß die Sicherheitsdiskussion der Fachleute nicht zu einer Angelegenheit von Glaube, Zweifel und Hoffnung gerät, sondern sie müssen Sicherheit haben. Wenn das Saarland, Luxemburg, die Stadt Trier und der Landkreis Trier-Saarburg den Weg der Klage beschreiten, so muß dies zu Verhandlungen mit Frankreich über noch mehr Sicherheit führen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Cattenom muß zu einem Symbol deutsch-französischer Zusammenarbeit, der Durchsetzung größtmöglicher Sicherheit und allerbester Kooperation werden. Die Bundesregierung wird unseren Freunden dies deutlich machen, und die FDP wird sie darin unterstützen. ({11}) Im übrigen ist Cattenom bereits heute ein Beispiel sehr guter Zusammenarbeit. Die Praxis der Zusammenarbeit mit Frankreich ist schon längst viel weiter fortgeschritten als etwa das, was man in Wien auf der Konferenz versucht hat. Wenn nun der saarländische Ministerpräsident Lafontaine keinen Strom aus Cattenom beziehen will, dann muß er eben neue Kohlekraftwerke bauen. Diese werden den Wald trotz moderner Filteranlagen weiter schädigen. ({12}) Auch das kann nicht der Weisheit letzter Schluß sein. Es ist auch keine zukunftsorientierte und keine seriöse Politik. Denn diese Schädigung bleibt nicht auf das Saarland beschränkt, sondern wirkt sich - wie heute schon aus vielen saarländischen Emissionsquellen - auf die Wälder von RheinlandPfalz, Hessen, Baden-Württemberg und auf den Alpenraum aus. Nachher, gleich im Anschluß hieran, haben wir einen Tagesordnungspunkt zur ökologischen Situation des Alpenraumes zu behandeln. ({13}) Wie wollen Sie sich denn dann in diesem Zusammenhang verhalten? Sie können doch nicht das eine so und das andere so sehen. ({14}) Sie können sich doch nicht immer nur die guten Seiten der Politik heraussuchen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Höchster Sicherheitsstandard und schnellste, lückenlose Informationspolitik machen Cattenom erträglich. Kooperation, nicht Konfrontation ist das Gebot der Stunde. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten des Saarlandes das Wort. ({0}) Ministerpräsident Lafontaine ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich in der Debatte so oft angesprochen wurde, werden Sie dafür Verständnis haben, daß ich noch einmal zu einigen Argumenten Stellung nehme. ({2}) Zunächst einmal zur Versachlichung der Debatte: Bundesminister Wallmann hat hier unterstellt oder den Vorwurf erhoben, daß diejenigen, die eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber der Kernenergie haben, den anderen unterstellten, sie würden in zynischer Weise das Leben der Menschen aufs Spiel setzen. ({3}) Ich stelle hier klar, daß ich der Auffassung bin, daß niemand in der Debatte das Recht hat, dem anderen dieses zu unterstellen, ({4}) Ministerpräsident Lafontaine ({5}) und daß derjenige, der solche Vorwürfe erhebt, gefälligst zitieren oder solche Vorwürfe unterlassen soll. ({6}) - Ich will gern auf Ihren Zwischenruf eingehen. Der Begriff „Zentrale des Todes" stammt von mir. Ich habe nichts zurückzunehmen. ({7}) Meine Bewertung der Kernenergie ist ganz, ganz anders als Ihre. ({8}) Es wäre doch möglich, daß Sie dies zur Kenntnis nehmen, daß Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir in der Bewertung der Kernenergie grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen haben. ({9}) Nun will ich ein Wort des Abgeordneten Laufs aufnehmen. Er sagte: Sie verbreiten wider besseres Wissen Katastrophenstimmung, und Ihre schlimme Politik wird Sie eines Tages ganz jämmerlich oder erbärmlich - genau habe ich es nicht mitschreiben können - aussehen lassen. ({10}) - Oder einholen. Es kommt auf den Sinn einer Aussage an. ({11}) Es wäre besser, der Abgeordnete Laufs hätte im Hinblick auf seine Bewertung meiner Politik recht; denn dann würde nichts passieren. Es wird schlimm für ihn, wenn unsere Mahnungen richtig sind. Dann wird ihn seine schlimme Politik auf ganz andere Art und Weise einholen, ({12}) und er wird noch viel, viel jämmerlicher - um seine Worte zu gebrauchen - aussehen. ({13}) Als Bundesminister Wallmann glaubte, hier auf die Philosophie von Hans Jonas eingehen zu können, sprach er davon, daß der Begriff der Angst von Hans Jonas in seiner Philosophie nicht in dem Sinne gebraucht werde, wie ich ihn hier benutzt habe. Ich habe dann von der Bundesratsbank aus dazwischengerufen: Ist Ihnen der Begriff „Heuristik der Furcht" bekannt? (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das sollten Sie nicht tun! Ich sage Ihnen, Herr Bundesminister Wallmann, daß Sie nach meinem Urteil die Philosophie von Hans Jonas völlig falsch dargestellt haben. ({14}) Dies kann eine unterschiedliche Ausgangsposition ausmachen; ({15}) denn die Heuristik der Furcht beinhaltet j a gerade, daß man Angst nicht verdrängen, sondern daß man sie sich bewußtmachen soll, um zu richtigen Urteilen zu kommen. ({16}) Meine Damen und Herren, nachdem ich gesagt habe, ich bin nicht berechtigt, einem anderen Zynismus bei der Behandlung des menschlichen Lebens zu unterstellen, möchte ich ein Wort des Ministers für Umwelt des Landes Rheinland-Pfalz aufgreifen und auch dieses klarstellen: Natürlich gilt das Prinzip der Heuristik der Furcht nicht nur für die Kernenergie. ({17}) Auch hier möchte ich an Ihre Adresse gerichtet einen gemeinsamen Boden beschreiben. Meine Damen und Herren, ich bin in erster Linie von Herrn Bundesminister Wallmann in polemischer Form angegriffen worden, was mich angesichts des Auftretens in der Öffentlichkeit sehr überrascht hat. Zunächst einmal wurde uns vorgeworfen, wir hätten uns in der damaligen Sitzung der deutsch-französischen Kommission nicht erneut eingelassen, und dies sei ein besonderer Beweis unserer Unglaubwürdigkeit. ({18}) Zur rechtlichen Bewertung der Relevanz beider Kommissionen, die hier arbeiten - es gibt j a zwei Kommissionen, und wenn man die Reaktorsicherheitszusammenkünfte hinzunimmt, gibt es drei; vielleicht gibt es auch noch mehr, die ich gar nicht kenne -, verweise ich auf die Ausführungen des saarländischen Justizministers. Diese sollten Sie mit in Ihr Urteil einbeziehen. Aber, meine Damen und Herren, wenn der Ministerpräsident des Saarlandes im schriftlichen Verkehr mit dem Präsidenten der Französischen Republik und dem Premierminister der Französischen Republik mehrfach die Haltung des Saarlandes darlegt, ({19}) die grundlegende Ablehnung darlegt, dann ist es wohl verständlich, daß ein Beamter in Kommissionen nicht gebetsmühlenartig die Position der saarländischen Landesregierung wiederholt. ({20}) Ministerpräsident Lafontaine ({21}) Zur Sache: Es wird hier auch von dem Minister des Landes Rheinland-Pfalz sowie von dem Bundesminister Wallmann davon gesprochen, daß die französischen Kernkraftwerke den gleichen Sicherheitsstandard hätten wie die deutschen Kernkraftwerke. Dem stehen zwei Aussagen derselben Minister oder derselben Regierung entgegen: Erstens. Es gäbe eine ungleiche Sicherheitsphilosophie. Wer dies sagt und gleichzeitig darauf verweist, daß ganz andere Regelkreise geschaltet sind, ganz andere technische Geräte eingesetzt sind, um im Fall des Falles die Katastrophe zu verhindern, begibt sich auf sehr glattes Eis, wenn er behauptet, es gäbe die gleichen Sicherheitsstandards. Aber eines müssen Sie dann endgültig aufgeben, nämlich die nach Tschernobyl gebetsmühlenartig wiederholte Formel: Wir haben die sichersten Kernkraftwerke der Welt. Die läßt sich dann j a wohl mit dieser Aussage nicht mehr in Übereinstimmung bringen. ({22}) Zweitens. Sie haben hier von einem großen Verhandlungserfolg der Bundesregierung gesprochen. Ich kann nur sagen: ach Gott, ach Gott! Was ist dieser Verhandlungserfolg? Die EdF versichert dem französischen Staat, sie wolle sich an seine Vorgaben halten. Zu deutsch: Die Geschäftsführung versichert dem Gesellschafter, sie wolle sich an seine Vorgaben halten. Nur bedenken Sie bitte, daß der Gesellschafter, der französische Staat, sich - auch nach der Kritik aus Ihren Reihen - nicht an die bestehenden Abkommen hält. Was ist das für ein Erfolg, meine sehr geehrten Damen und Herren? Ich bedaure außerordentlich, daß Sie kein Wort zur Serie der Pannen bei den Probeläufen in Cattenom gesagt haben. Ich hätte von dem zuständigen Bundesminister heute hier in dieser Debatte ein einziges Wort der Bewertung zu diesen ganzen Pannen erwartet. ({23}) Meine Damen und Herren, wenn Sie hier in polemischer Art und Weise die Formel in den Raum stellen, daß man in die Verhandlungen keine Minister oder Kabarettisten mit Ministergehalt, sondern sachkundige Leute schicken soll, dann passen Sie auf, daß diese nette Formel nicht auf Sie zurückfällt. ({24}) Nun etwas, was mich bei dem hier mit so großer Verve vorgetragenen Bekenntnis zur deutsch-französischen Freundschaft wirklich empört: Was berechtigt Sie eigentlich, meine Damen und Herren, auch in der heutigen Debatte wieder kein Wort zu dem Mitgliedstaat Luxemburg zu sagen? ({25}) Wo ist die Glaubwürdigkeit Ihres Bemühens um das gutnachbarschaftliche Verhältnis, wenn Sie kein einziges Wort zu den existentiellen Sorgen dieses Staates sagen? Das kann doch nur so erklärt werden, daß sich das Denken in Quantitäten verloren hat und Qualitäten nicht mehr gesehen werden. ({26}) Minister Wallmann hatte hier davon gesprochen, daß persönliche Herabsetzungen bei solchen Auseinandersetzungen das Mittel der Politik geworden seien. Ich sage noch einmal: Ich habe zwei Angebote für die weitere Debatte gemacht, aber ich stelle fest, Herr Bundesminister Wallmann, daß Sie eine ganze Reihe von Verbalinjurien an die Adresse anderer hier losgelassen haben. Ich hätte von Ihnen etwas anderes erwartet. ({27})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich wenigstens anerkennen, daß der Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Lafontaine, in den Bundestag gekommen ist, während es bisher der Kanzlerkandidat der SPD vermieden hat, hier im Bundestag zu den brennenden Problemen der deutschen Politik Stellung zu nehmen. ({0}) Allerdings, Herr Ministerpräsident, ist es Ihnen nicht gelungen, die Aussagen der Redner der CDU, unseres Umweltministers Wallmann und des Ministers Töpfer in irgendeiner Weise zu entkräften. Ganz im Gegenteil, trotz Ihres zweimaligen Auftritts sind Sie die Antworten schuldig geblieben. ({1}) Meine Damen und Herren, mit Cattenom verbindet die SPD und vor allen Dingen der saarländische Ministerpräsident Lafontaine inzwischen die Grundsatzfrage, ob die friedliche Nutzung der Kernenergie überhaupt noch technisch beherrschbar und damit politisch verantwortbar ist. Die Betreiber dieses Kernkraftwerks und die für Cattenom politisch Verantwortlichen müssen deshalb Verständnis dafür haben, daß wir hier grundsätzlich die gleichen Sicherheitsmaßstäbe anlegen, wie wir dies in der Bundesrepublik Deutschland bei unseren Kernkraftwerken gewohnt sind und wir dies nach Tschernobyl sogar noch in verstärktem Maße tun. Als Politiker will ich mich heute nicht auf technische Detailfragen einlassen. Als Politiker stelle ich aber fest, daß die von Ministerpräsident Lafontaine behaupteten sicherheitstechnischen Mängel von den mir bekannten Sachverständigen und Experten nicht bestätigt werden. So haben sich die international angesehehen Vorsitzenden der deutschen Reaktorsicherheitskommission, Professor Birkhofer, und der Kernforschungsanstalt Jülich, Professor Häfele, ausdrücklich dafür verbürgt, daß Cattenom in seinem Sicherheitsstandard den AnsprüEngelsberger chen deutscher Kernkraftwerke gerecht wird. Ich weiß, Herr Ministerpräsident, Sie sind von Beruf Physiker. Aber in der Frage, ob Sie über die Kompetenz der eben genannten Herren verfügen, möchte ich meine Zweifel anmelden. ({2}) Auch die einvernehmliche Zusammenarbeit der deutsch-französischen Expertenkommission, die den Sicherheitsstandard des Kernkraftwerks Cattenom seit über zehn Jahren kritisch überprüft, hat nach Tschernobyl noch einmal ausdrücklich festgestellt, daß der Sicherheitsstandard von Philippsburg und der von Cattenom vergleichbar sind. ({3}) Wenn aber Cattenom dem hohen Sicherheitsstandard der deutschen Kernkraftwerke vergleichbar ist, dann ist Cattenom nach menschlichem Ermessen auch so sicher wie deutsche Kernkraftwerke, und dann besteht auch kein Anlaß zu Panikmache. Aber genau dies haben Sie, Herr Ministerpräsident, und hat die SPD getan! Der KWU-Vorstandsvorsitzende Klaus Barthelt hat im „Spiegel" in dieser Woche ausdrücklich erklärt: Wir gehen nicht davon aus, daß es Störfälle nicht geben darf. Im Gegenteil! Wir gehen davon aus, daß es technische Pannen gibt und daß menschliches Fehlverhalten passieren kann. ({4}) Und wir sorgen durch unsere Technik dafür, daß die Sicherheit für die Umgebung erhalten bleibt ... Ich schließe aus, daß es Tote gibt. Ich schließe aus: verwüstetes Gelände, auf Dauer unbewohnbar, wie gewisse Horror-Szenarien angelegt sind. Ich schließe also aus: eine katastrophale Wirkung wie bei Tschernobyl. So KWU-Chef Barthelt. ({5}) Um jeden Zweifel auszuschließen, möchte ich deshalb die Forderung Minister Wallmanns noch einmal nachdrücklich unterstützen, daß nach der Inbetriebnahme von Tschernobyl und der Beteiligung der zuständigen internationalen Behörde in Wien auch das Kernkraftwerk Cattenom noch einmal auf seinen Sicherheitsstandard überprüft wird, so wie Minister Wallmann das für die in der Bundesrepublik Deutschland betriebenen Kernkraftwerke angeordnet hat. Aber geht es der SPD überhaupt ernsthaft um den Sicherheitsstandard französischer oder deutscher Kernkraftwerke? Die SPD und die GRÜNEN versuchen nach Tschernobyl, sich darin zu überbieten, die deutsche Bevölkerung mit ständig neuen Hiobsbotschaften und Angstkampagnen in Furcht und Schrecken zu versetzen. Die Frage nach der politischen Akzeptanz der Kernenergie ist deshalb inzwischen längst zu einer Frage nach unser aller politischen und persönlichen Glaubwürdigkeit geworden. Wenn ich daran denke, daß derselbe Herr Lafontaine, der wegen Cattenom angeblich keinen Schlaf mehr findet, wenige Tage nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl ausgerechnet in Moskau sein Verständnis für die unverantwortliche Informationspolitik der Sowjetregierung zum Ausdruck gebracht hat, ({6}) dann frage ich mich, ob dieser Mann inzwischen einer paramarxistischen Bewußtseinsspaltung unterliegt ({7}) oder ob er ein eiskalter Zyniker oder Machtpolitiker ist. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß!

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident: Ich möchte hier zum Ausdruck bringen, daß die unverantwortlichen Parolen der SPD im Zusammenhang mit der Kernenergiepolitik ({0}) letzten Endes Schaden für unser deutsches Volk und für unsere Energieversorgung als Auswirkung haben werden. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einmal zum Ablauf dieser Debatte eine Bemerkung machen. Es ist für unsere Stenographen fast unmöglich geworden, die große Zahl von Zwischenrufen und dauernden Zwischenreden aufzunehmen. ({0}) Ich bitte, auf die besondere Situation dieses Raumes Rücksicht zu nehmen. ({1}) Ich darf Sie alle - und das geht auch an die Adresse - ({2}) - Wenn nicht einmal der Präsident ohne Zwischenrufe reden kann, frage ich mich, was das eigentlich soll, meine Damen und Herren! ({3}) Präsident Dr. Jenninger Es gehört auch zur politischen Kultur eines Landes, daß man sich gegenseitig zuhören kann. ({4}) Ich sage das an die Adresse aller Seiten des Hauses. ({5}) Das Wort hat der Abgeordnete Brück.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Engelsberger, der Ministerpräsident des Saarlandes ist hierher in diese Debatte gekommen, weil er die Sorgen und die Ängste der Menschen im Saarland ({0}) in diese Debatte einbringen wollte. ({1}) Würde ich in Ihrem Stil argumentieren, dann müßte ich fragen: Wo bleibt denn der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz? ({2}) Aber ich will nicht in diesem Stile argumentieren, weil ich glaube, die Art und Weise, wie Sie, Herr Kollege Engelsberger, wie der Kollege Laufs und der Kollege Rumpf hier argumentiert haben, entspricht nicht dem Ernst der Sache, über die wir uns hier heute morgen unterhalten. ({3}) Ich habe mich in dieser Debatte gemeldet, weil ich einem Vorwurf begegnen will, der in den letzten Wochen und auch heute wieder in dieser Debatte erhoben worden ist, daß nämlich die Proteste von Deutschen gegen das Kernkraftwerk Cattenom die deutsch-französische Freundschaft belasten. ({4}) Ich will dazu sehr persönlich folgendes sagen. Ich wohne mit meiner Familie 50 km Luftlinie von Cattenom entfernt. Für mich ist daher die Diskussion um dieses Kernkraftwerk keine abstrakte Diskussion. Ich wohne aber auch mit meiner Familie 15 km Luftlinie von der deutsch-französischen Grenze entfernt. Ich habe den Zweiten Weltkrieg als Kind erlebt. Ich habe danach hautnah den deutsch-französischen Streit um meine Heimat erlebt. Deshalb ist für mich auch die deutschfranzösische Freundschaft kein abstrakter Begriff. Ich empfinde es als großes Glück, daß die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich heute nicht mehr die Grenze ist, die ich als Kind erlebt habe. Ich empfinde es als großes Glück, daß die Menschen in Deutschland und in Frankreich sich freundschaftlich begegnen. ({5}) Aber gerade deshalb, weil dies so ist, dürfen wir doch nicht die Probleme, die sich uns stellen, einfach unter den Teppich kehren. ({6}) Wenn man - das ist heute schon gesagt worden, und ich will es wiederholen - mit den Handlungen eines Freundes nicht einverstanden ist, muß man das diesem Freund ganz offen sagen. ({7}) Ich weiß, daß Franzosen dies für ganz selbstverständlich halten. ({8}) Sie vertreten ihre Interessen mit aller Deutlichkeit, und letzten Endes achten sie nur die, die ihre Interessen ihrerseits deutlich vertreten. Wer in der Diskussion um das Kernkraftwerk Cattenom schon eine Belastung der deutsch-französischen Freundschaft sieht, der hat im Grunde Zweifel an der Festigkeit dieser deutschfranzösischen Freundschaft. ({9}) Wer den Deutschen, die gegen dieses Kernkraftwerk protestieren, eine antifranzösische Haltung unterstellt, der muß die dann auch dem Europäischen Parlament unterstellen; ({10}) denn dieses hat sich am 11. September 1986 gegen eine Inbetriebnahme von Cattenom ausgesprochen. Antifranzösisches Europäisches Parlament? Ist es antifranzösisch, vor einem französischen Gericht zu klagen, oder ist es nicht geradezu ein Zeichen für die fortschreitende Integration in Europa und auch für die deutsch-französische Freundschaft, daß Deutsche vor einem französischen Gericht gegen eine Handlung der französischen Regierung klagen können? ({11}) Müssen wir nicht von der französischen Regierung verlangen, daß sie bestehende Verträge hält? Schließlich hat das Verwaltungsgericht in Straßburg, ein französisches Gericht, in seinem Urteil vom 8. September dieses Jahres bestätigt, daß im Falle von Cattenom Frankreich gegen den Art. 37 des Euratom-Vertrages verstoßen hat. ({12}) Meine Damen und Herren, die Diskussion um Cattenom zerstört nicht die deutsch-französische Freundschaft. Wer gute Nachbarschaft haben will, der muß dafür sorgen, daß der Nachbar auf der anderen Seite keine Angst hat, und das dient der deutsch-französischen Freundschaft mehr als ein Verschweigen der Probleme. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte ({0}).

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich heute morgen die Koalitionsreden angehört hat, dann entsteht der Eindruck, als hätte es Tschernobyl nie gegeben. ({0}) Herr Wallmann, wo ist Ihre Nachdenklichkeit, die Sie hier am Anfang an den Tag gelegt haben, eigentlich geblieben? ({1}) Sie wollten doch die Ängste und Sorgen der Bürger ernst nehmen. Nachdem wir Ihre Rede gehört haben, kann man nur feststellen: Von diesem Vorsatz ist nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben. ({2}) Sie haben geäußert, daß Cattenom den gleichen Sicherheitsstandard besitzt wie deutsche Kernkraftwerke. Da gibt es wirklich Parallelen: Die Risse, die in Cattenom festgestellt worden sind, haben wir auch in Krümmel, in einem deutschen Kernkraftwerk, und die Nichtabsturzsicherheit des Kernkraftwerks in Cattenom kennen wir auch von den AKWs in Würgassen oder in Brunsbüttel, und die erhöhte Jodfreisetzung, mit der wir rechnen müssen, wenn Cattenom einige Jahre in Betrieb ist, wird genauso in den Unterlagen zur Genehmigung der WAA von Wackersdorf prophezeit. Es gibt also den Vergleich, und man muß feststellen: Deutsche Atomkraftwerke sind genauso unsicher wie das französische in Cattenom. ({3}) Insofern stimmt die Behauptung: Cattenom ist die Zentrale des Todes. Aber es stimmt auch die Behauptung: Jedes Atomkraftwerk, in Frankreich, in der Bundesrepublik, auf der ganzen Welt, ist eine Zentrale des Todes. ({4}) In diesem Zusammenhang fordert die CDU dann, Atomkraftwerke in alle Welt zu exportieren. Mit welcher moralischen Verantwortung können Sie mit dieser Forderung auftreten, da Sie doch ganz genau wissen, daß die Länder der Dritten Welt weder finanziell noch technisch noch umweltpolitisch in der Lage sind, diesen Atomkraftwerkeexport auszuhalten? Sie schreiten Schulter an Schulter mit der Atomlobby, und wir alle müssen befürchten, daß Sie uns, die gesamte Bundesrepublik, Europa, letztlich nach Ihrer Philosophie die gesamte Welt, in eine atomverstrahlte Zukunft reißen wollen. Diese Bundesregierung ist in Sachen Atomenergie inzwischen zu einer kleinen radikalen Minderheit geworden, die mit Gewalt ihr Atomprogramm weiterhin auf Kosten zukünftiger Generationen durchsetzen will. ({5}) Sie werfen - auch am heutigen Tag mehrmals - der SPD vor, sie würde sich nicht mehr an frühere Absprachen halten, sie hätte ihre Position verändert. Damit wollen Sie doch nur übertünchen, daß Sie völlig unfähig sind, auch nur einen ganz, ganz kleinen Schritt dazuzulernen. Sie haben überhaupt keine Lernfähigkeit, und das in so existenziellen Fragen wie der Atomenergie, der Energiepolitik, Fragen, die unsere Zukunft betreffen. Dies ist das Schlimme. Ich kann nur noch einmal festhalten: Die GRÜNEN werden weiterhin alle parlamentarischen und außerparlamentarischen Möglichkeiten nutzen, damit Cattenom nicht ans Netz geht. Und wir werden fortfahren, ({6}) so lange unruhig zu sein, gewaltfrei gegen Atomkraftwerke zu demonstrieren, bis alle Atomkraftwerke stillgelegt werden. Nur, wir müssen in der Bundesrepublik anfangen. Wir haben letztlich erst dann das Recht, auf andere Länder einzuwirken, ihre Atomkraftwerke stillzulegen, wenn die Bundesrepublik atomkraftwerkfrei geworden ist. ({7}) Zum Schluß möchte ich noch einen Satz zu dem Vorwurf sagen, wir hätten inzwischen das Waldsterben vergessen. ({8}) Ausgerechnet die Parteien, die über Jahre effektive Maßnahmen zur Luftreinhaltung verhindert haben, wollen uns dies vorwerfen. ({9}) Dies ist meines Erachtens nicht mehr zu überbieten. ({10}) Wir haben Ihnen Studien vorgelegt - wir werden dieses noch verfeinern -, die ganz klar deutlich machen, daß man Atomkraftwerke und Waldsterben nicht gegeneinander ausspielen kann und darf. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß.

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was wir müssen, ist, sowohl alles gegen das Waldsterben zu tun als auch gleichzeitig die Atomkraftwerke abzuschalten. Beides ist möglich! ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brück, Ihre Frage, warum der Ministerpräsident des Saarlandes hier ist, läßt sich einfach be18078 antworten. Können Sie sich vorstellen, daß er seinen zuständigen Minister alleine hier nach Bonn hätte gehen lassen können, um in dieser Debatte Aussagen zu Cattenom zu machen? ({0}) Hier hat es natürlich der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz wesentlich einfacher, wie Sie gehört haben. ({1}) Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich finde es schlimm, was Sie hier gemacht haben, indem Sie auf den Kollegen Dr. Laufs falsch eingegangen sind und ihn mit einem zukünftigen Störfall in Verbindung gebracht haben. ({2}) Ich muß Ihnen sagen: Ihr kompromißloser Antiatomkurs ist in der Tat bei Ihren Aussagen für Sie persönlich ohne Risiko. Das ist der Unterschied zwischen denen, die in der Verantwortung stehen, verantwortlich handeln müssen, und denen, die nur Apokalypse projizieren und damit immer darauf hinweisen können: wenn heute nicht, dann vielleicht im nächsten Monat, im nächsten Jahr. - Das ist der Unterschied. ({3}) Deshalb finde ich es unfair, wenn Sie hier den Kollegen Laufs in dieser Art und Weise diffamieren. ({4}) Ich frage mich in der Tat: Was ist das für eine Politik, für eine politische Strategie, die Ängste der Menschen schürt und sie ständig, je nach Bedarf, in eine andere Richtung lenkt? Was soll eigentlich durch die Abfolge von künstlich erzeugten Angstpsychosen mit ständig wechselnden Themen erreicht werden? Einem aufmerksamen Beobachter fällt auf - darüber konnte auch der Kollege Schulte nicht hinweggehen, der natürlich wußte, warum er das Thema Waldsterben anschnitt -, daß inzwischen hier keine Rede mehr von Dioxinen, von Formaldehyd oder gar von Waldsterben ist. ({5}) Was gestern noch mit Sorge vorgetragen wurde, wird heute auch von Ihnen bedenkenlos über Bord geworfen. ({6}) Seit Tschernobyl gibt es einen neuen Trend. So, wie noch vor kurzem autofreie Sonntage als Mittel gegen das Waldsterben angepriesen wurden, heißt das neue Wundermittel, der neue Slogan: Aussteigen, Abschalten. Oder, Herr Lafontaine, was noch schlimmer ist, Kernkraftwerke werden als „Zentralen des Todes" bezeichnet. Dies ist Zynismus. Und Sie haben hier noch ausgeführt, daß Sie zu diesem Begriff stehen! ({7}) Die SPD steigt aus, sie mobilisiert neue Ängste, sie kocht damit ihr Süppchen, und Herr Lafontaine will auch noch auf den Fettaugen mitschwimmen. Da verliert die SPD sämtliche Glaubwürdigkeit. ({8}) - Herr Hauff, Sie sind heute zu Recht nicht in die Bütt gegangen. Es wäre fürchterlich gewesen, bei Ihrem Zickzack-Kurs hier zu demonstrieren - ({9}) - Ich nehme den Ausdruck zurück. ({10}) Ich habe gerade auf Herrn Kollegen Hauff geschaut. Was seit Jahren auch für die SPD Gültigkeit hatte, ja, was sie mit aufgebaut hat, wird heute als lästig abgestreift, ist vergessen und unrichtig. Es muß j a heute umgesteuert werden. Die SPD nennt dies Lernprozeß; ich nenne dies tagespolitischen Opportunismus. ({11}) Seit vielen Jahren gibt es im Hinblick auch auf das Kernkraftwerk Cattenom gemeinsame Kornmissionen, Gutachten und eine enge Kooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Die Dichte der Informationen und das gegenseitige Vertrauen haben ständig zugenommen. Neu aufkommende Fragen wurden zusätzlich diskutiert und im gegenseitigen Einvernehmen beantwortet. Nach Tschernobyl soll dies nun nicht mehr gelten; Mißtrauen und Zweifel treten an die Stelle von Vertrauen; das Schüren von Ängsten an die Stelle des Austauschs von Sachargumenten, Ideologie an die Stelle hochqualifizierten Sachverstands unabhängiger Experten. Jo Leinen läßt - wider besseres Wissen - Meßwagen ausschwärmen, um Radioaktivität zu messen, wo keine sein kann. Jo Leinen beantwortet die Frage eines Nachrichtenmagazins: „Warum haben Sie übertriebene Zahlen so lange stehenlassen?" folgendermaßen: „Die Sendung hat Dinge an die Öffentlichkeit gebracht, die in dieser Form bisher nicht diskutiert wurden; das war dringend notwendig." Das war seine einzige Stellungnahme zu dem enormen Vorwurf, daß er, obwohl er es besser wußte, aus politischen Gründen geschwiegen hat.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß, bitte.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist mit Sicherheit eine falsche Politik. Ich denke, daß wir auf unserem Weg, auf einem verantwortbaren Weg, mit dieser sensiblen Technologie weitergehen sollten. Herr Bundesumweltminister, wir danken Ihnen für Ihre Gespräche, für Ihre Mühen in diesem Zusammenhang. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe Punkt 30 a: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste - Drucksache 10/6011 - und Zusatzpunkt 7 a der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste - Drucksache 10/6045 Meine Damen und Herren, interfraktionell sind eine verbundene Aussprache und ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Prüfung und Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste durch ein besonderes Vertrauensgremium haben wir im Sommer eine neue dauergesetzliche Rechtsgrundlage in der Bundeshaushaltsordnung geschaffen. ({0}) Dadurch wird es möglich, künftig das Genehmigungsgremium zu Anfang einer Legislaturperiode für deren gesamte Dauer zu wählen und einzusetzen. ({1}) Für die Prüfung und Genehmigung der Wirtschaftspläne 1987, die in den nächsten Wochen parallel zu den Haushaltsberatungen 1987 erfolgen wird, ist es aber notwendig, heute das Vertrauensgremium noch einmal für den Rest dieser Legislaturperiode neu zu wählen und einzusetzen. Die Rechtsgrundlage der letzten, Anfang dieses Jahres durchgeführten Wahl war das Haushaltsgesetz 1986. Haushaltsgesetze sind aber Zeitgesetze und damit in ihrer Wirkung auf den jeweiligen Haushalt beschränkt. Deshalb kann das alte Vertrauensgremium nur die Wirtschaftspläne für 1986, nicht aber diejenigen für 1987 prüfen und genehmigen. Daher ist die heutige Wahl und Einsetzung nötig. Das Kapitel Vertrauensgremium haben wir nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Januar dieses Jahres, das im übrigen die parlamentarische Praxis, die wir hier gehabt haben, voll und ganz bestätigt hat, ({2}) bereits zweimal eingehend diskutiert, so daß ich mich auf die knappe Wiederholung unseres Standpunktes beschränken kann: Erstens. Wir wollen, daß das Parlament sein Budgetbewilligungsrecht auch im sicherheitspolitisch sensiblen Bereich der Nachrichtendienste ausübt. ({3}) Zweitens. Diese Prüfung im Detail kann ohne Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Dienste, Herr Kollege Suhr, nicht in der Öffentlichkeit oder in einem 37köpfigen Gremium, eben dem Haushaltsausschuß, erfolgen, ({4}) sondern nur in einem kleinen Gremium. Drittens. Heute steht das Prüfungsgremium auf einem rechtlich gesicherten Fundament: a) Es beruht auf einem Gesetz, das seine Aufgaben und Befugnisse festlegt. b) Es wird vom Parlament als Ganzem und nicht mehr - wie früher - nur vom Haushaltsausschuß eingesetzt. c) Seine Mitglieder müssen bei der Wahl die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhalten. ({5}) Die sensible Materie macht es nämlich notwendig, daß jedes Mitglied auch das ausdrückliche Vertrauen der Mehrheit der Kollegen hier im Bundestag hat. Viertens. Mit dieser Lösung sind die Rechte des Parlaments als Ganzem voll gewahrt. Gewahrt sind auch die Rechte der parlamentarischen Minderheit. Die Zahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums ist nämlich so gewählt, daß keine Oppositionspartei von vornherein ohne Chance ist, einen Vertreter in das Gremium zu entsenden. ({6}) Auch wenn nicht jede Fraktion bei der Wahl zum Zuge kommen sollte, bleibt die Regelung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes verfassungskonform; denn der Schutz der Minderheit beinhaltet nur das Verbot des Ausschlusses der Opposition schlechthin, nicht jedoch das Gebot, jede parlamentarische Gruppierung, und sei sie auch noch so klein, an jedem Gremium zu beteiligen. ({7}) Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, daß das auch von den SPD-Kollegen im Haushaltsausschuß so gesehen wird, zeigt die Tatsache, daß diese dort der Ergänzung der Bundeshaushaltsord18080 nung in diesem Sinne im Frühsommer 1986 bereits zugestimmt hatten. ({8}) Erst hier im Plenum haben Sie dann dagegengestimmt, weil Sie sich offensichtlich höheren Fraktionseinsichten oder -zwängen beugen mußten. Wir bedauern das, sehen aber darin eine Bestätigung unseres Kurses. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen und unserem Wahlvorschlag zu folgen. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Juni dieses Jahres wurde gegen unsere Stimmen beschlossen, das Verfahren zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste in die Bundeshaushaltsordnung aufzunehmen. Wir haben diese Änderung der Bundeshaushaltsordnung nicht aus sachlichen, sondern aus politischen Gründen abgelehnt; denn dahinter steht die Frage, ob alle Fraktionen dieses Hauses in diesem Gremium vertreten sind, und genau dieses Thema ist der Gegenstand unserer heutigen Aussprache. Für uns Sozialdemokraten gibt es in dieser Frage auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Anfang dieses Jahres keinen Zweifel. Die Bürger unseres Landes haben 1983 durch ihre Stimmabgabe entschieden, daß sich der Deutsche Bundestag aus fünf Parteien und vier Fraktionen zusammensetzt. ({0}) Damit ist es auch Bürgerwillen, daß vier Fraktionen an der parlamentarischen Willensbildung entsprechend ihrer parlamentarischen Stärke beteiligt werden, und damit gehört es für uns zu einer parlamentarischen Selbstverständlichkeit, daß die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste von den Mitgliedern aller vier Fraktionen geprüft und zur Genehmigung dem Bundestag vorgeschlagen werden. Ich habe im Juni dieses Jahres angekündigt, daß die SPD auch künftig bei der Wahl des Gremiums für die Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste beantragen wird, daß alle Fraktionen dieses Hauses diesem Gremium angehören, und daß wir auch in Zukunft dafür eintreten, daß keine Entwicklung eingeleitet wird, die den in einer Demokratie gebotenen Minderheitenschutz außer acht läßt. Wir Sozialdemokraten stehen zu unserem Wort und fordern Sie deshalb auf, dieses hier zu wählende Gremium aus sieben Parlamentariern bestehen zu lassen, aus drei Mitgliedern der Fraktion der CDU/CSU, aus zwei Mitgliedern der Fraktion der SPD und je einem Mitglied der Fraktion der FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie sehr herzlich, sich noch einmal sehr sorgfältig zu überlegen, ob Sie eine Fraktion dieses Hauses von der Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste ausschließen wollen. Wenn man eine solche Entwicklung konsequent zu Ende denkt, so erkennt man, daß sie auch dazu führen könnte, daß Sie und Ihre augenblickliche Mehrheit im Ernstfall sogar bestimmen können, welche Abgeordneten der Opposition die Regierung kontrollieren dürfen. Das kann doch wohl nicht Ihre Absicht sein. ({1}) Meine Bitte an Sie geht dahin, dem Antrag der SPD zuzustimmen, das Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste auf sieben Personen auszuweiten. Denn die Haushaltskontrolle muß das vornehmste Recht des Parlaments und aller seiner Fraktionen bleiben. Sollten die Koalitionsfraktionen wider Erwarten unserem Antrag nicht zustimmen, dann geht meine Bitte an alle Mitglieder dieses Hauses, den vorgeschlagenen Kolleginnen und Kollegen aus der Mitte des Haushaltsausschusses ihre Stimme zu geben. Sie haben sich in der Vergangenheit als gute Kontrolleure und Vertreter des gesamten Parlaments erwiesen. Ich bin sicher, sie werden es auch in Zukunft tun. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Kollegen Esters muß natürlich bewußt sein, daß das Haus in seiner Mehrheit den SPD-Antrag, der in den vergangenen zwei Jahren schon zweimal gleichlautend gestellt worden war, auch heute wieder ablehnen wird, weil es für diesen Antrag keine echte Begründung gibt. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Mehrheit ein Gremium zur Prüfung und zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste beschlossen. Dieses Gremium hat sich bewährt. Eine bewährte Regelung, die noch dazu durch Wahl des Deutschen Bundestages mit qualifizierten Mitgliedern des Bundestages ausgefüllt war, einfach zu verändern, dafür gibt es sicherlich keinen Grund. Die Fakten sind bekannt. Bis zu dieser Wahlperiode hat in einer Art Kollegialprinzip der Haushaltsausschuß die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste genehmigt. Dieses Kollegialprinzip, das rechtlich keine Grundlage hatte, war auf Grund der neuen Zusammensetzung nicht durchzuhalten, ({0}) weswegen der Deutsche Bundestag aufgefordert war, eine rechtliche Grundlage zu schaffen. Er hat diese rechtliche Grundlage geschaffen. Er hat hier Beschluß gefaßt, über die Geschäftsordnung, über die Bundeshaushaltsordnung. Er hat festgelegt, daß ein Gremium von fünf Mitgliedern aus dem Kreise Dr. Weng ({1}) des Haushaltsausschusses, also ein Gremium von Sachkundigen, die auf jeden Fall eine Gewähr für sachkundige, für vernünftige Arbeit bieten, ({2}) hier im Bundestag zu wählen ist. Dieser Beschluß des Deutschen Bundestages war vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten. Das Bundesverfassungsgericht hat aber dem Deutschen Bundestag in seinem Urteil vom 14. Januar 1986 recht gegeben. ({3}) - Ich meine, meine Damen und Herren, wer das Verfassungsgericht in seiner Urteilsfindung in dieser Weise kritisiert, wie es gerade durch Zwischenrufe der GRÜNEN geschieht, der zeigt sein Verfassungsverständnis in großer Deutlichkeit. ({4}) Die Wahl, der wir uns heute hier gegenübersehen, hat zwei Ziele. Zum ersten wird das Gremium auf Grund der rechtlichen Voraussetzungen in Ausgewogenheit zwischen der Mehrheit einerseits und der Opposition andererseits zu wählen sein. Zum zweiten werden wir ein Gremium zu wählen haben, das dem Anspruch dieses Hauses gerecht werden soll, die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste zu gewährleisten. Das ist j a schließlich der Grund, warum wir die heute gültigen Regelungen einführen mußten. Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß gemäß unserem Antrag, dem Antrag der Koalition auf Drucksache 10/6011, entsprechend der Gepflogenheit, entsprechend der Rechtsgrundlage dieser Wahlperiode verfahren wird, daß hier fünf qualifizierte Persönlichkeiten gewählt und mit der Aufgabe betraut werden, Persönlichkeiten, die seither schon - hier kann ich dem Kollegen Esters voll zustimmen - Gewähr dafür waren, daß die Ziele, die der Deutsche Bundestag sich in der Frage gegeben hatte, auch eingehalten wurden. Aus genannten Gründen wird meine Fraktion dem Koalitionsantrag ebenso zustimmen, wie sie den Antrag der SPD auf Veränderung des Gremiums erneut ablehnen wird. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Suhr. - Ich bitte um etwas mehr Ruhe, meine Damen und Herren.

Heinz Suhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002289, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden uns an der Wahl des Kontrollgremiums für die Wirtschaftspläne der Geheimdienste nicht beteiligen, weil wir diese Wahl für eine Farce halten, so wie sie aufgezogen worden ist und wie Sie versucht haben, mit plumpen Tricks die Haushaltsordnung so zu verändern, daß die GRÜNEN aus diesem Kontrollgremium ferngehalten werden. ({0}) Wir werden den Antrag der SPD unterstützen, daß dieses Gremium um ein Mitglied der GRÜNEN erweitert wird. Sollte dieser Antrag abgelehnt werden, werden wir das Hohe Haus verlassen und werden Sie alleinelassen bei dieser Gemeinheit der Pseudodemokraten. ({1}) Grundlage für Ihr Vorgehen ist ein skandalöses Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Abgeordneten aufteilt in Abgeordnete erster und zweiter Klasse, in solche, die Geheimdienste kontrollieren dürfen, und solche, die es nicht dürfen. Sie schaffen damit eine Grundlage, auf der Sie auswählen zwischen Abgeordneten, die Ihnen genehm sind, und solchen, die Ihnen unangenehm sind. Wir verstehen natürlich, daß Ihnen die GRÜNEN als Kontrolleure der Geheimdienste unangenehm sind. Trotzdem wäre es doch ein Minimum an Demokratieverständnis, daß Sie an den Tag legen müßten, ({2}) daß die GRÜNEN an der Kontrolle der Geheimdienste beteiligt sind. Sie brauchen sich nicht über Staatsverdrossenheit bei der Jugend, über Parteiverdrossenheit zu wundern, wenn Sie so vorgehen und wenn Sie so aufteilen in genehme und unangenehme Demokraten. Das ist zutiefst undemokratisch, und es ist ein Skandal, wie Sie hier vorgehen. ({3}) Hier wird ein Gremium ohne die GRÜNEN zusammengebastelt, wo aufgeteilt wird in angenehme und unangenehme Kontrolleure. Die GRÜNEN wurden und werden zu einem Zeitpunkt aus der Kontrolle der Geheimdienste ausgeschaltet, wo Sie von der Regierungskoalition mit den Sicherheitsgesetzen eine kaum beschränkte Blankoermächtigung für Spitzeldienste im Inland ins Werk setzen. ({4}) Mit Ihrem Vorgehen, mit dem Ausbau der Zusammenarbeitsmöglichkeiten der Geheimdienste greifen Sie tief in die Persönlichkeitsrechte der Bürger ein. Dabei wollen Sie die GRÜNEN ausschalten. Sie wollen uns fernhalten von der Kontrolle dieser Vorgehensweise. Das halten wir für undemokratisch und skandalös. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/6011 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Vizepräsident Frau Renger Meine Damen und Herren, ich kann wohl davon ausgehen, daß sich nach Annahme des Antrags auf Drucksache 10/6011 eine Abstimmung über den Antrag der SPD erübrigt, da er hier mit Mehrheit schon praktisch entschieden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30b und den Zusatztagesordnungspunkt 7b auf: Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste - Drucksache 10/6012 Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste - Drucksache 10/6046 Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP schlagen auf Drucksache 10/6012 die Abgeordneten Carstens ({0}), Dr. Riedl ({1}) und Hoppe vor. Die Fraktion der SPD benennt auf Drucksache 10/6046 die Abgeordneten Walther und Kühbacher. Ich bitte Sie nunmehr um Ihre besondere Aufmerksamkeit für einige Hinweise. Wie bereits angekündigt, wird hier im Ersatzplenarsaal der Ablauf einer Wahl etwas anders sein müssen als bisher. Nach dem soeben gefaßten Beschluß ist ein Gremium einzusetzen, das aus bis zu fünf Mitgliedern besteht. Die Mitglieder müssen dem Haushaltsausschuß angehören. Das ist bei den vorgeschlagenen Abgeordneten der Fall. Nach 10 a der Bundeshaushaltsordnung ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 261 Stimmen erhält. Auf den Sitzen haben Sie das alles schon vorgefunden und wissen nun sicherlich auch schon, wie Sie abzustimmen haben. Ich bitte Sie, auf den Wahlausweis, der als Nachweis Ihrer Teilnahme an der Wahl gilt, Ihren Namen zu schreiben. Haben Sie das alle gemacht? - Wunderbar. Tun Sie das bitte handschriftlich und in Druckbuchstaben. Wer das nicht kann, soll sich helfen lassen. ({2}) Sie können auf dem Stimmzettel höchstens fünf Namensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmzettel, die mehr als fünf Ankreuzungen oder auch Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung auf dem Stimmzettel. Eine geheime Wahl ist nicht vorgeschrieben. Bevor Sie die Stimmzettel in die aufgestellten Wahlurnen stecken, müssen Sie Ihren Namen auf den Wahlausweis schreiben und diesen dem Schriftführer an der Wahlurne übergeben. Die Schriftführer haben die Plätze eingenommen. Ich eröffne die Wahl. Meine Damen und Herren, haben jetzt alle ihre Stimmkarte abgegeben? ({3}) Kann ich die Abstimmung nunmehr schließen? ({4}) - Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung der abgegebenen Stimmkarten. Meine Damen und Herren, mir wurde gesagt, daß die Auszählung etwa 45 Minuten in Anspruch nehmen wird. Darauf wollen wir j a sicherlich nicht warten, so daß wir jetzt in der Tagesordnung fortfahren. Einverstanden? ({5}) - Gut. - Sie sind hier vollwertiges Mitglied des Hauses, wie Sie wissen. ({6}) - Da haben Sie in gewisser Weise recht. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Vahlberg, Schmidt ({7}), Dr. Schöfberger, Amling, Bamberg, Büchler ({8}), Gerstl ({9}), Dr. Glotz, Dr. Haack, Haase ({10}), Kißlinger, Kolbow, Lambinus, Lutz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller ({11}), Porzner, Reuter, Frau Schmidt ({12}), Sieler, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Stiegler, Verheugen, Wolfram ({13}), Weinhofer, Dr. Wernitz, Wimmer ({14}), Dr. de With, Dr. Hauff, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Ökologische und ökonomische Situation im deutschen Alpenraum - Drucksache 10/5872 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({15}) Sportausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Verteidigungsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 60 Minuten vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Leider haben wohl alle Kolleginnen und Kollegen aus der Norddeutschen Tiefebene den Plenarsaal verlassen. Wenn Hochgebirgsprobleme dort anfallen würden, hätten wir uns dafür stark gemacht, uns auch dieser Probleme anzunehmen. Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im November vergangenen Jahres hat der Deutsche Bundestag die Situation der Alpen diskutiert. Anlaß der Debatte damals war eine Große Anfrage der SPD zur ökologischen und ökonomischen Situation im deutschen Alpenraum. Damals habe ich in meiner Bewertung der Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage von einem zaghaft erwachenden Bewußtsein gesprochen, das man bei der Bundesregierung feststellen könne. Ich habe damit die Hoffnung verbunden, daß aus diesem Bewußtsein auch Taten erwachsen würden. Seitdem ist nun ein Jahr vergangen. Zum Umweltschutz hat es viel Geklappere auf seiten der Bundesregierung gegeben, auf der Ebene der unverbindlichen Sonntagsreden. Aber immer dann, wenn es mittels Anträgen aus der SPD-Fraktion oder auch von seiten der GRÜNEN zum Umweltschutz substantiell werden sollte, wenn konkrete Maßnahmen vorgeschlagen wurden, hat es auf seiten der Unionsfraktionen, auf seiten der Koalition „Bloff!" gemacht. Ich denke an das Abfallbeseitigungsgesetz, an eine wirksame Strategie zur Müllvermeidung. ({0}) Da haben Sie sich widersetzt. Alle unsere Änderungsanträge zum Bundesverkehrswegeplan wurden von Ihnen nach dem Motto „Es lebe die Betonpolitik" weggebürstet. Unserem Antrag auf Einführung des Tempolimits - einer Maßnahme, mit der man gerade auch dem Bergwald helfen könnte, weil, wie wir inzwischen wissen, in den Höhenlagen die Stickoxide besonders giftig wirken - haben Sie sich bisher verweigert. Das Tempolimit wäre die einzige Maßnahme, mit der man sofort wirksam helfen könnte. Diese Maßnahme würde zudem nichts kosten. In den Bergwäldern gibt es inzwischen keinen älteren Baum mehr, der nicht geschädigt ist. ({1}) Die jungen Bäume wachsen nicht mehr so nach wie früher. Sie wissen: Sie könnten allein mit dem Tempolimit die Luft um 32 000 t Stickoxid jährlich entlasten. Aber Sie wollen dies nicht. Sie wußten schon vor dem ominösen Großversuch, daß Sie keine konkreten Konsequenzen aus diesem Großversuch ziehen würden. Der Großversuch war im Grunde genommen eine Großveralberung der Bürger dieses Landes. ({2}) Das Waldsterben ist eine Katastrophe in Zeitlupe. Wir beobachten die Schadensentwicklung auf dem Boden und mit der Scanner-Technik aus dem Weltraum. Modernste Technologie wird eingesetzt, um die Schäden zu erkennen. Aber wir müssen auch den Mut haben, nun endlich Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen. Mit dem vorliegenden Antrag machen wir einen weiteren Versuch, die Bundesregierung zum Handeln zu animieren. Es ist ein umfassendes Programm, mit dem wir viele Probleme aufgreifen. Ich nenne beispielsweise das Problem der Bergvegetation. Ich muß hier nicht noch einmal auf den Zusammenhang zwischen dem Bergwaldsterben, der Schädigung der Bergvegetation und der Gefahr des Abrutschens von Hängen eingehen. Das haben wir schon im November des vergangenen Jahres abgehandelt. Ich will nur auf eine Untersuchung der bayerischen Staatsforstverwaltung verweisen, die feststellt, daß zwei Drittel der Berghänge in Gefahr sind zu rutschen, wenn das Bergwaldsterben so weitergeht wie bisher. ({3}) - Das sollte bekannt sein. Wir wissen, daß in der Schweiz ein Dorf bereits evakuiert werden mußte. Weitere, heute noch bewohnte Täler sind in Gefahr. Wir haben das Artensterben aufgegriffen. Wir machen Aussagen zum Transitverkehr in den Alpen. Von uns werden die Probleme der weiteren touristischen Erschließung des Alpenraums behandelt. Wir müssen uns vergegenwärtigen: Es gibt - das sind alte Zahlen, die ich hier habe; die neuesten Zahlen stehen mir gar nicht zur Verfügung - zwischen Grenoble und Garmisch-Partenkirchen 13 000 Skiliftanlagen mit 40 000 Skiliften und 120 000 km Skipisten. Man hat ausgerechnet, daß man mit der in der Schweiz vorhandenen Liftkapazität alle Schweizer auf die Berge schaffen könnte. ({4}) - Das ist in Deutschland nicht viel anders, Frau Kollegin. ({5}) Werte Frau Kollegin Geiger, Sie kommen j a nach mir hier ans Rednerpult. Dann können Sie das ausführen. Wenn man die Folgen für die Berghänge kennt - Bodenverdichtung, Schwund der Wurzelmasse, Verkürzung der Vegetationsperiode -, dann muß man sich dagegen wehren, Frau Kollegin Geiger, wenn immer noch diskutiert wird, den Wallberg, den Hochfelln oder andere Hänge durch Sprengung und Aufschüttung für den Skilauf zurechtzustutzen, weil es keine skigerechten Berge oder Berghänge sind. Ich bin auch ein begeisterter Skiläufer, ich will diesen Sport nicht niedermachen. Aber ich meine, jetzt muß mit dieser Entwicklung Schluß sein. Viele unserer Vorschläge könnten von der Bundesregierung aufgegriffen und umgesetzt werden, viele unserer Vorschläge müssen in Zusammenarbeit mit der bayerischen Staatsregierung bearbeitet werden. Den Mut sollte der Bundesumweltminister aufbringen. Die bayerischen Alpen sind ja entgegen einer weit verbreiteten Ansicht nicht das Eigentum der CSU, sondern auch der Bundesumweltminister hat eine Zuständigkeit für den Alpenraum. Eine Reihe von Problemen sind allerdings nur im internationalen Maßstab zu lösen: etwa eine gemeinsame Forschung, die aufgezogen werden müßte, eine gemeinsame Raumordnungsplanung im werkehrlichen Bereich, in der Industrieerschließung, soweit sie überhaupt noch erfolgen sollte, im Bereich des Tourismus. Aber auch die Schaffung grenzüberschreitender Naturschutzräume würde eine internationale Zusammenarbeit erforderlich machen. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, zu einer internationalen Alpenschutzkonferenz einzuladen. ({6}) - Das haben wir schon vor einem Jahr gefordert, ich erneuere diese Forderung hiermit. Es ist völlig richtig, ich erneuere sie. Ich sage ja, auf diesem Feld ist nichts geschehen. Ich meine, daß eine solche Konferenz eine Alpenschutzkonvention erarbeiten sollte, also etwas Ähnliches, wie wir es schon in bezug auf die Nordsee geschaffen haben. Meine Damen und Herren, die Alpen als große und großartige Natur- und Kulturlandschaft müssen so erhalten bleiben, wie wir diese Landschaft heute kennen. Wir brauchen dazu eine nationale Anstrengung, wir brauchen dazu die internationale Zusammenarbeit im Interesse der dort lebenden Bewohner und im Interesse aller Menschen, die sich an dieser Landschaft erfreuen wollen. Wir bitten Sie alle, alle Seiten dieses Hauses, unseren Antrag zu unterstützen. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Vahlberg hat soeben bedauert, daß die Kollegen aus der norddeutschen Tiefebene nicht anwesend wären. ({0}) Ich muß Sie ergänzen, Herr Vahlberg, ich bedaure, daß nicht einmal alle Antragsteller des Antrages, den Sie vertreten haben, hier heute anwesend sind. ({1}) Der heute vorliegende Antrag der SPD ist geradezu ein negatives Musterbeispiel dafür, was man einen parlamentarischen Schaufensterantrag nennt. Denn dieselben Themen und dieselben Probleme sind von der SPD vor knapp einem Jahr mit ihrer Großen Anfrage zum selben Betreff aufgeworfen worden. Aber die Verfasser dieses Antrages wollten offensichtlich keine Kenntnis nehmen, was in der Antwort der Bundesregierung und in der Parlamentsdebatte vom November letzten Jahres zu diesem Thema bereits gesagt wurde, denn sonst wäre ja der heutige Antrag gegenstandslos. Ich weiß aus eigener Anschauung, wie alarmierend gerade der Zustand unseres Gebirgswaldes ist. Aber ich weiß auch, daß wir diesen Zustand nicht durch ständiges Lamentieren oder Demonstrieren, sondern nur durch wirkungsvolle umweltpolitische Maßnahmen verbessern werden. ({2}) Ich weiß vor allem, daß die SPD und die GRÜNEN mit ihrer neuerlichen Antikernkraftpolitik auf dem besten Wege sind, alle umweltpolitischen Erfolge wieder zunichte zu machen, die die unionsgeführte Bundesregierung und die bayerische Staatsregierung auf den Weg gebracht haben. Allein die Abschaltung der 19 in Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke, die bundesweit 36 % zu unserer Stromerzeugung beitragen, brächte bei Ersatz durch fossile Kraftwerke eine zusätzliche Umweltbelastung von 870 000 Tonnen Schwefeldioxid, von 400 000 Tonnen NOx sowie von 75 000 Tonnen Staub. Auf die Problematik des CO2-Belastung fossiler Brennstoffe und der damit auch den Bergwald bedrohenden irreparablen Klimaveränderung verweise ich aus Zeitgründen nur am Rande. Es ist deshalb ein Ausdruck Ihrer politischen Unverfrorenheit, wenn Sie uns heute einen Antrag vorlegen, in dem Sie ein Sofortprogramm zur Rettung der Alpenwälder fordern und gleichzeitig bundesweit den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie propagieren. Denn dieses kernenergiepolitische Ausstiegskonzept wäre wirklich das letzte, was wir unserem Bergwald noch antun können, nachdem das von Ministerpräsident Rau im letzten Jahr in Gang gesetzte, extrem umweltschädliche Kohlekraftwerk Ibbenbüren und die hohen Schornsteine des Reviers unseren Bergwald schon genügend strapaziert haben. Herr Kollege Vahlberg, Sie haben auf das Tempolimit hingewiesen und gesagt, daß die Temporeduzierung auf den Autobahnen 32 000 t Stickoxide einsparen würde. Das trifft zu. Aber das Kraftwerk Ibbenbüren, das Ministerpräsident Johannes Rau im Juni dieses Jahres in Betrieb gesetzt hat, spuckt zusätzlich 20 000 t Stickoxide aus. Meine Damen und Herren, mit dieser Politik wollen Sie den Bergwald retten. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger?

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Heinz Suhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002289, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie es nicht für notwendig halten, auch die 32 000 t Stickoxide zu reduzieren und deswegen für ein Tempolimit eintreten.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die 32 000 t Stickoxide werden wesentlich reduziert durch den Einbau von Katalysatoren, den die Bundesregierung ja erfolgreich als erste in Europa und in der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt hat. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Frau Präsidentin, die Zeit würde nicht ausreichen. Ich habe diese Frage beantwortet. Ich möchte mit meinem Konzept fortfahren und noch etwas zum Fremdenverkehr sagen. Die ca. 4 Millionen Urlauber im Jahr sind für die Bevölkerung unserer Alpenregion nicht nur ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, sondern sie sind für uns zugleich eine Bestätigung für die Schönheit unserer Heimat und für die Liebenswürdigkeit seiner Bewohner. Das ist für uns aber auch eine Verpflichtung, die Attraktivität dieser Landschaft und das ökologische Gleichgewicht dieses gegenüber Umwelteinflüssen besonders sensiblen Biotops zu erhalten. Aber hierzu wird meine Fraktionskollegin Geiger sicher noch im einzelnen Stellung nehmen. ({0}) - Dazu trägt es in besonderm Maße bei, Herr Kollege Pfeffermann. ({1}) - Ich danke für den Beifall. Ich möchte abschließend auf ein gerade meinen Wahlkreis betreffendes Sonderproblem hinweisen, nämlich die von den GRÜNEN und von der SPD gegen alle Regeln der Vernunft bekämpfte Bewerbung der Region Berchtesgaden und des Chiemgaus um die Olympischen Winterspiele 1992. Meine Damen und Herren, was Sie hier praktizieren, ist ein absolutes Hinterwäldlertum und ist kennzeichnend für die zunehmende Provinzialität Ihrer politischen Perspektiven. Wie ist die Lage? Die verkehrstechnische Anbindung durch ein internationales Fernstraßen-, Eisenbahn- und Flughafennetz ist in der Region in hervorragender Weise gelöst. Die Flughäfen Salzburg und München liegen in unmittelbarer Nähe, und auch die Straßenverkehrsbelastung durch die Olympischen Winterspiele würde nicht über diejenige eines verkehrsreichen Sommertages im Juli oder August hinausgehen. Irreparable Naturzerstörungen oder Landschaftsschäden sind nicht zu erwarten. Es ist eindeutig erwiesen, daß die bereits erschlossenen Skigebiete am Jenner und Unterberg für die Durchführung alpiner Damen- und Herrenwettbewerbe grundsätzlich geeignet sind. Darüber hinaus stehen in der Region adäquate Alternativstrecken zur Verfügung. Auch die notwendigen Veränderungen an Sprungschanzen und Langlaufloipen sind aus ökologischer Sicht vertretbar, Herr Vahlberg. Landschaftszerstörende Eingriffe sind auch da nicht zu erwarten, wo die Anpassung an die internationalen Standards noch herbeigeführt werden muß. Wohl aber würde dadurch die Attraktivität dieser Wintersportregion wesentlich gesteigert. ({2}) Ohne jetzt aus Zeitgründen auf weitere Details eingehen zu können, möchte ich abschließend feststellen, eine unverantwortliche Zerstörung oder Beeinträchtigung der Natur ist deshalb durch die Olympischen Winterspiele insgesamt nicht zu erwarten. Im Gegenteil, ein umfassendes Konzept während der Spiele und danach hätte sogar eine umweltpolitische Pilotfunktion, so wie der von der bayerischen Staatsregierung bereits 1972 auf den Weg gebrachte Alpenplan für die gesamte Alpenregion eine inzwischen international anerkannte Pilotfunktion erlangt hat. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten Ihre ökologischen Vorschläge für den deutschen Alpenraum besser noch einmal im stillen Kämmerlein überdenken. Denn, wie schon Ihre Große Anfrage gezeigt hat, praktizieren Sie nicht nur den Ausstieg aus der modernen Industrie- und Wohlstandsgesellschaft, sondern wenn es nach Ihnen und Ihren heute wieder propagierten Umsteuerungsplänen ginge, dann könnte sich die Bundesrepublik Deutschland nicht einmal mehr um die Ausrichtung internationaler Sportwettbewerbe, geschweige denn um Olympische Spiele bewerben. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte ({0}).

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe selten eine Rede gehört, die so strotzte von politischer Ignoranz und Dummheit. ({0}) Herr Engelsberger, nur eine Zahl, weil Sie das Thema AKW und Waldsterben angesprochen haben: Durch Ihre Politik wird die Reduzierung der Stickoxidemissionen bis zum Jahre 2000 bestenfalls auf eine Million t Jahresausstoß möglich sein. Durch die Vorschläge der GRÜNEN, die AKW 's abzuschalten und gleichzeitig drastisch etwas zur Bekämpfung des Waldsterbens zu tun, erreichen wir eine Senkung auf unter 130 000 t pro Jahr. Beides ist möglich. Nehmen Sie das bitte einmal zur Kenntnis. ({1}) Zum drittenmal innerhalb von einem Jahr debattieren wir hier im Bundestag über die ökologische Situation in der Alpenregion. Alle Redner der Regierungsparteien versuchen den Eindruck zu erwecken, nichts läge ihnen mehr am Herzen als die Rettung der Alpenwälder. Der Tenor war: Die Probleme sind erkannt und alle Gegenmaßnahmen bereits getroffen. Über den Wahrheitsgehalt solcher Lobhudeleien kann sich jeder ein Bild machen, der sich vor Ort über das aktuelle Ausmaß der Waldschäden informiert. ({2}) - Ja, manchmal hat man den Eindruck, Sie wohnen dort nicht. Das Hochwaldsterben schreitet dramatisch fort, immer mehr Baum- und Pflanzenarten sind betroffen. Latschenbestände sterben inzwischen großflächig ab. Daß angesichts dieser Katastrophe gerade jene Politiker, die mit ihrer schadstofffreundlichen Lobby-Politik hierfür verantwortlich sind, sich heuer als Alpenretter aufspielen, muß schon als Schulte ({3}) Gipfel des zynischen Heuchlertums bezeichnet werden. ({4}) - Ja, man muß das so kraß sagen. Bis zum heutigen Tag weigert sich diese Bundesregierung genauso wie die Bayerische Staatsregierung, dringend notwendige Rettungsmaßnahmen durchzuführen. ({5}) Seit Jahren liegen detaillierte Forderungen der Naturschützer vor. Der Deutsche Alpenverein hat eine Katastrophenkarte erarbeitet, der Bund Naturschutz einen umfassenden Forderungskatalog vorgestellt. Die GRÜNEN haben verschiedenste Anträge in den Bundestag eingebracht. Die SPD macht sich noch rechtzeitig vor der Landtagswahl einige Forderungen für ihren Antrag zu eigen. Doch, was nützt dies alles? In diesem Jahr steigen die giftigen Stickoxidemissionen weiter an. In den Alpen stammen diese Abgase zu 70 bis 80 % aus dem Straßenverkehr, nicht aus Ibbenbüren. Man weiß inzwischen, daß besonders die hohen Ozonkonzentrationen den Bergwäldern stark zusetzen. Da die Ozonbildung besonders durch Stickoxide gefördert wird, muß der Verkehr als Hauptverursacher des Waldsterbens im Alpenraum betrachtet werden. ({6}) Für die Alpen wird es sich als besonders fatal auswirken, daß Stickoxide aus dem Verkehr noch jahrelang steigen sollen. Meine Damen und Herren, schuld daran ist diese Bundesregierung. ({7}) Ihr ist es gelungen, das Tempolimit und die Einführung des Katalysators zu verhindern. ({8}) - 0,9% der jetzigen Fahrzeuge sind mit einem Katalysator ausgerüstet, mehr nicht, 0,9 %! Man kann nur feststellen: neben dem Energiesektor gibt es wohl keinen anderen Bereich der Umweltpolitik, in dem diese Bundesregierung so erbärmlich versagt hat. Dabei sind Tempolimit-Großbetrug und Katalysatorpleite wohl die zwei größten Beiträge der beiden CSU-Minister Dollinger und Zimmermann, die hier auch wieder durch Abwesenheit glänzen, zur Beschleunigung des Bergwaldsterbens, wobei der Verkehrsminister zusätzlich mit zahlreichen neuen Bundesstraßen und Autobahnen dafür sorgt, daß auch immer mehr und immer schneller katalysatorfrei im Alpenraum gefahren wird. ({9}) Schnelle Pisten sind auch notwendig: schließlich will die Regierung den Lkw-Verkehr ({10}) bis zum Jahre 2000 noch um 50 % anwachsen lassen. Auch die Zuschauermassen, die alljährlich zu den Motorsportveranstaltungen in den Alpen- und Alpenvorraum strömen, brauchen neue Straßen, ebenso die vielen neuen Skipisten, Liftanlagen und Hotels. Für die Winterolympiade in Berchtesgaden macht sich die CSU - wir haben es hier wieder gehört - besonders stark. Schließlich braucht man den Massenskitourismus in den Alpen und will ihm einen neuen Wachstumsschub geben. Als wenn es nicht genug Skizirkus, nicht genug Hotels, nicht genug Pisten, nicht genug Straßen, Wilddichte und Schadstoffe in den Alpen gäbe! Meine Damen und Herren, wir können uns hier noch so viele Reden von der Koalition anhören, was zählt, ist einzig und allein die Politik, die betrieben wird. Da steht fest: An der Alpenzerstörungspolitik halten CDU/CSU und FDP gleichermaßen fest. ({11}) Die Grenzen des Wachstums werden in den Ökosystemen am ehesten sichtbar, die wie die Alpen besonders sensibel auf Umwelteingriffe reagieren. Die ungebrochene Wachstumsideologie - Herr Engelsberger, Ihre Rede war dafür ein Paradebeispiel - wird dort am ehesten zu dem Zusammenbruch ganzer Lebensregionen führen. Wenn viele Alpentäler unbewohnbar werden, hat dies weitreichende soziale, ja existentielle Folgen für hunderttausende Alpenbewohner. Ich hoffe, daß besonders diese Menschen nicht länger bereit sind, jene zu wählen, die hierfür die Verantwortung tragen. ({12}) Ich hoffe, daß die Alpenbewohner den gleichen Mut aufbringen wie die Oberpfälzer und der CSU die Stirn zeigen, und ich fordere alle Bayern auf: Unterstützt die notwendigen Maßnahmen zur Rettung der Alpen, wählt am 12. Oktober diese Alpenzerstörerparteien, CSU vorneweg, ab! Danke schön. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege Schulte, ich möchte Sie bitten, daß Sie sich bei Ihrer nächsten Rede der sehr unkollegialen Redeweise, die Sie am Anfang gebrauchten, enthalten. Vielleicht erinnern Sie sich, was Sie gesagt haben. ({0}) Ich darf jetzt noch das Ergebnis der Wahl bekanntgeben: abgegebene Stimmen 322, davon gültig 322, keine Enthaltungen, keine ungültigen Stimmen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Carstens 300 Stimmen, auf den Abgeordneten Riedl 300 Stimmen, auf den Abgeordneten Hoppe 300 Stimmen, auf den Abgeordneten Walther 283 Stimmen, auf den Abgeordneten Kühbacher 284 Stimmen. Die genannten Abgeordneten haben nach § 10 a der Bundeshaushaltsordnung die erforderliche Mehrheit von 261 Stimmen erreicht, sind damit Vizepräsident Frau Renger als Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste gewählt. Jetzt hat der Herr Abgeordnete Paintner das Wort.

Johann Paintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001672, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen! Mein Kollege Engelsberger hat kritisiert, daß die einbringende Fraktion sehr schlecht vertreten ist. Ich möchte den Stiel umdrehen und feststellen, daß mir mein Fraktionsvorsitzender vorhin noch ins Ohr geflüstert hat: Die FDP ist die alpenfreundlichste Fraktion: Vizepräsident, Fraktionsvorsitzender, Fraktionsvorstand, Professor. ({0}) Ich meine, dies soll auch mal festgehalten werden. Ich möchte nicht in das Horn der GRÜNEN stoßen, aber ich meine, daß unsere Bevölkerung im Alpenraum dies sicherlich auch zur Kenntnis nimmt. Meine Damen und Herren, der Inhalt des SPD-Antrages ist nicht neu. In den Antworten zu verschiedenen Anfragen hat die Bundesregierung bereits ausführlich zu den angesprochenen Problemen Stellung genommen, und, was noch viel wichtiger ist, die Bundesregierung und auch die bayerische Staatsregierung haben bereits gehandelt. Lassen Sie mich einige Punkte herausgreifen: Sie fordern ein Sofortprogramm zur Rettung der Alpenwälder. Das wirksamste Sofortprogramm ist die drastische Minderung der Schadstoffimmissionen. ({1}) Diese Regierung hat die entscheidenden Maßnahmen durchgesetzt. ({2}) - Mein Kollege von den GRÜNEN, ich nehme an, daß Sie auch den „Spiegel" lesen. ({3}) Genau dieser „Spiegel" hat am 15. September geschrieben - das können Sie nachlesen -: Die von der Bundesregierung gesetzten Ziele und die teilweise eingeleiteten Maßnahmen sind im europäischen Vergleich ohne Beispiel. Und darum, meine ich, können Sie hier sehr vieles reden, aber die Bevölkerung draußen sieht, was geschieht. Das ist eine klare Aussage eines Nachrichtenmagazins, das sicherlich uns als FDP nicht gerade so nahesteht. Natürlich müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, durch forstliche Maßnahmen die Widerstandsfähigkeit der Waldbestände zu verbessern und den Schadensverlauf zu mildern. Bereits 1984 - ich wiederhole: 1984 - hat diese Bundesregierung auf Grund der Waldschäden neue forstliche Förderungsmaßnahmen in die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" aufgenommen und die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe immerhin um 20 Millionen DM aufgestockt. Die Sanierung von Alpenschutzwäldern - und für diese Aufgabe ist das Land zuständig, wie Sie wissen - wird schon seit langer Zeit von der bayerischen FDP immer wieder gefordert. ({4}) Wir wissen, daß dabei standort- und herkunftsgerechte Baumarten auch den höchstmöglichen Schutz vor Lawinen und Muren bieten. Es ist die Aufgabe der bayerischen Landesregierung, entsprechend zu handeln. Die im Antrag der SPD geforderte generelle Anpflanzung von Pioniergehölzen ist der falsche Weg, weil Pioniergehölze nicht die gleiche Schutzwirkung entfalten. Sie kommen nur in Frage, wenn eine Wiederbestockung mit den Hauptbaumarten zunächst nicht möglich ist. Derzeit gibt es nach Ansicht der Fachleute keine Veranlassung, vom bewährten Konzept der Bewirtschaftung und Sanierung der Schutzwälder abzugehen. Die für die nächsten Jahre geplanten Maßnahmen müssen nach Auffassung der bayerischen FDP in einem umfassenden Schutzwaldsanierungsprogramm zusammengestellt werden. Natürlich müssen für diese Programme erhebliche Mittel von den Ländern aufgewendet werden. Die Verbißschäden durch das Schalenwild sind gravierend und gefährden in vielen Teilen der Alpen die notwendige Verjüngung der Schutzwälder. Durch eine konsequente Anwendung der jagdrechtlichen Vorschriften können die Schalenwildbestände reduziert werden. Die bayerischen Behörden haben bereits Maßnahmen eingeleitet, die eine Anpassung der Wildbestände zum Ziel haben. ({5}) Ich appelliere, nicht an Sie, sondern an die bayerischen Jäger, die hier eine große Verantwortung tragen - ({6}) - Ja, wissen Sie, wenn ich an Sie appellieren müßte, wäre das sowieso schon gefährlich. Hier sage ich nur: Ich appelliere an die bayerischen Jäger. Sie haben eine große Verantwortung. ({7}) - Das müssen Sie sagen. ({8}) Ich sage Ihnen nur das eine: Es ist der Stolz eines Jägers, große Wildbestände im Revier zu haben. Aber die Erhaltung des Naturgutes Wald, insbesondere des Schutzwaldes, hat, meine ich, hier Vorrang. Die Schalenwildbestände sind größer denn je. Die Reduzierung auf einen waldverträglichen Bestand ist unumgänglich. ({9}) Auch die Ablösung des Waldweiderechts ist eine bayerische Angelegenheit. ({10}) - Ich danke. ({11}) - Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu. ({12}) Die Aktivitäten zur Ablösung dieser Rechte müssen verstärkt werden, dies aber so, daß unsere Almbauern - und wenn Sie auch davon eine Ahnung haben, gehen Sie mal hinauf, und reden Sie mal mit den Almbauern - keinen finanziellen Schaden erleiden. Sie sehen also, meine Damen und Herren: Der SPD-Antrag - von den GRÜNEN rede ich gar nicht - geht ins Leere. Die Bundesregierung kann weiterhin bei ihren Maßnahmen zur Erhaltung der Bergwälder mit der FDP-Fraktion in diesem Hause und, dessen bin ich sicher, mit der zukünftigen FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag rechnen. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Bamberg.

Georg Bamberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Anwesende! Gaston Rebuffat, ein berühmter französischer Bergführer, soll einmal auf die ewige Bergsteigerfrage, warum Menschen denn auf die Berge stiegen oder auf die Berge gingen, geantwortet haben: „Viele Wege führen zu Gott, einer davon über die Gipfel der Berge." Ein anderer, dessen Name Ihnen möglicherweise geläufiger ist, nämlich Luis Trenker, hat auf dieselbe Frage weniger pathetisch geantwortet: „Weil sie halt da sind, die Berg'." In der Tat, sie sind immer noch da, „die Berg"`, die Voralpenlandschaft, die Alpenlandschaft und alles, was dazu gehört. Aber: in den 30 Jahren, die seit diesen Aussprüchen vergangen sind, hat es eine halbe Generation Menschen - wie in anderen Bereichen übrigens auch, wenn ich an die Meere denke - geschafft, diesen Lebensraum Alpen zumindest zur Zerstörung frei zu geben. Ich bin der Meinung: Wenn wir nicht radikal umschalten, werden die Anhänger des Philosophen-Bergführers Rebuffat ihren Weg zu Gott nicht mehr über die Berge finden, weil sie zwar noch da sind, aber anders, als jener sie uns mit seinem Ausspruch nahebringen wollte. Mein Anliegen ist es einerseits, einmal mehr auf die bekannten, immer wieder zur Verharmlosung gebrachten Katastrophen - es ist ja heute wieder zum Ausdruck gekommen, wie verharmlost wird - wie z. B. das Sterben der Bergwälder, hinzuweisen und Folgerungen zum Erhalt und zur Rettung vorzuschlagen, andererseits, ganz einfach persönliche Beobachtungen und Erfahrungen zu erzählen, an denen erkennbar wird, wie sehr sich die ökonomische und ökologische Situation - mir ist der Ausdruck im übrigen zu geschwollen -, ich meine: der Zustand des gesamten Alpenraumes in dem vorhin angesprochenen Zeitraum, verändert hat. Ich erzähle das als einer, der nicht nur mit dem Auto, mit dem Bus oder mit der Seilbahn oder sonstigen Aufstiegshilfen im Alpenraum - nicht nur im deutschen Alpenraum - unterwegs war und der vieles kennenlernen konnte. Ich meine den unsachgemäßen Gebrauch der Natur durch die Bergsteiger oder solche, die sich für Bergsteiger halten. Natürlich - das weiß ich - ist das nicht die Hauptursache der jetzigen Dimension der Erschütterung - im übrigen meiner Meinung noch am ehesten zu reparieren -, aber es ist symptomatisch für die gesamte Zerstörungsspirale: Um immer mehr Menschen Regionen zu erschließen, die noch zu meiner aktiven Bergsteigerzeit einer ganz winzigen Elite vorbehalten blieben - natürlich spielen hier die wirtschaftlichen Erwägungen die große Rolle -, baute man immer mehr Bergstraßen, Bergbahnen, Aufstiegshilfen, erschloß immer grandiosere Gletscherregionen ({0}) - auch die Skiläufer, selbstverständlich -, ging immer höher hinauf. Ein Beispiel: Weil Chamonix z. B. mit seiner Seilbahn nur auf 3 805 m kommt, muß Zermatt das kleine Matterhorn - Egi de Midi - erschließen und kommt dann auf 4 000 m, ein Konkurrenzdenken, das meiner Meinung nach unmöglich ist. Im übrigen - auch das gehört festgestellt -: Es sind grandiose Leistungen, dank denen es nicht mehr nur den ehemals reichen Abenteurern und Weltenbummlern vorbehalten blieb, eine Traumwelt zu genießen bzw. sich mit der unbändigen Natur zu messen, sondern sich die Bergwelt auch „den kleinen Leuten" erschloß, übrigens auch zu einem Preis: Wer weiß schon, daß im gesamten Alpenraum jährlich 1 000 Menschen - 900 davon durch eigene Schuld - ums Leben kommen. Auch die Kalkulation der Marktanalytiker im Fremdenverkehr ging auf: Sie kamen in Scharen, mit steigender Tendenz. Es sei allen vergönnt, verehrte Anwesende. Aber die Frage stellt sich doch, ob der Preis nicht zu hoch ist. In mancher einst einsamen Region - ob in den West- oder Ostalpen, ob im deutschen Alpenraum oder woanders - sind z. T. fast mehr Abfälle als Steine zu finden. Ich könnte von Wänden erzählen, die früher nur von wenigen begangen worden sind. Voriges Jahr war ich z. B. in der Watzmann-Ost-Wand: Abfälle über Abfälle, oder am Mont Blanc oder wo sonst auch immer. Ich mache mir die These vom Vorsitzenden des Deutschen Alpenvereins, Dr. Fritz März, zu eigen, der folgendes gesagt hat: „Wenn wir die bergsteigerische Entwicklung nicht mehr beherrschen, sie nicht mehr kennen, ihr nicht mehr gewachsen sind, dann sind wir auch nicht mehr in der Lage, Umweltschutz in den Alpen zu treiben." Diese Entwicklung allerdings scheint mir gerade noch steuerbar. Hier, so glaube ich, wird auch durch die verantwortungsvolle Arbeit der Alpenvereine - des Deutschen und anderer Alpenvereine - gebremst. ({1}) - Alpenverbände und alle, die sich halt damit befassen. Die wirklich drohende, meiner Meinung nach lebensbedrohende Zustandsveränderung des gesamten Alpenraumes macht ja auch nicht vor den Grenzen halt: Das Sterben der Bergwälder mit all den Folgen wegen mangelnden Schutzes vor Lawinen, Erosionen - alles ausgeführt - geht von der Luftverschmutzung aus. Der Bergwald stirbt vor allem am Moloch Verkehr. Deswegen kann man, Herr Engelsberger, nicht oft genug darüber reden. Das sind keine Schauanträge. Ich bin der Meinung, man muß immer wieder darüber reden. Das Land Baden-Württemberg hat meines Wissens als erstes Land - in diesem Fall ist Bayern nicht vorn - in dieser Woche den Waldschadensbericht 1986 vorgelegt. Nach diesem Bericht sind die Waldschäden in der Fläche um 1% leicht zurückgegangen, haben aber in den Hochlagen drastisch zugenommen - Befürchtungen, die wir alle seit langem hegen. Den gleichen Schadensanstieg werden wir übrigens im gesamten Alpenraum in der nächsten Zeit erleben können.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte?

Georg Bamberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn sie mir, da ich nicht so viel Zeit habe, nicht angerechnet wird, j a bitte.

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Georg, ist dir bekannt, daß der Waldschadensbericht in Bayern erst nach der Landtagswahl veröffentlicht werden soll, und siehst du nicht darin auch, daß man hier unbequeme Fragen einfach hinter den Wahltermin drükken will?

Georg Bamberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war mir zwar bis jetzt nicht bekannt, aber das wundert mich nicht, weil diese Dinge, die unangenehm sein werden, erst nach der Landtagswahl kommen dürfen - leider Gottes! Aber auch da werden wir - hoffe ich - den Menschen nahebringen, was drinsteht. ({0}) - Danke schön; ich brauche aber wirklich keine Beihilfe von der FDP. ({1}) - Vielleicht. Man soll nie nie sagen; da sind wir uns einig. Welchen Anteil der ungezügelte, den Mechanismen des Marktes allein überlassene Verkehr an der Veränderung zum Negativen des gesamten Alpenraumes hat, darf ich am Beispiel des von vielen, auch aus nördlichen Regionen so bevorzugten Alpenraumes Inntal, Tirol und Südtirol demonstrieren: Dieses Gebiet wird zum Trampelpfad Europas. An Werktagen donnern z. B. über die Inntal-Autobahn durch Tirol fast 6 000 Lkw. Würde man die Fernlaster, die jährlich auf dieser 150 km langen Strecke fahren, hintereinanderstellen, dann ergäbe sich eine Kolonne quer durch Europa von Lissabon bis Wladiwostok. Die Schadstoffmengen, die hier ausgestoßen werden: 800 t Kohlenmonoxid, 190 t Stickoxid, 130 t Schwefeldioxid und und und. Alle Prognosen sagen darüber hinaus bis zum Jahre 2000 eine weitere Verdoppelung voraus. Weil die Schweiz das fertiggebracht hat, was bei uns nicht möglich ist, weil man einfach nicht will, nämlich mit strikter Tonnagebeschränkung und Verkehrsgeboten für die Bahn diesem Spuk einen Riegel vorzuschieben, nehmen Lastwagenfahrer einen Umweg bis zu 700 km in Kauf, um das Schlupfloch, das Nadelöhr Brenner benutzen zu können - eine weitere unsinnige, unnötige Luftverschmutzung. Aber auch die Bundesregierung gebietet dem nicht nur keinen Einhalt, sie fördert die Entwicklung durch Zulassung noch höherer Achslasten. ({2}) Ich glaube, wer so viel von Politik für Menschen redet, müßte sich auch mit diesen Dingen befassen. Sozialmediziner der Universität Innsbruck z. B. befassen sich seit Jahren damit: Von rund 100 000 beobachteten Anwohnern sind gut 67 % lärmgeschädigt, 38% leiden unter Schlafstörungen. Die Lärm- und Abgasfolter führt grundsätzlich zu ernsthaften gesundheitlichen Störungen. Auch dies gehört zur ökonomischen und ökologischen Situation im Alpenraum. Wenn dann die Österreicher in ihrer verzweifelten Situation die Jahresmautgebühren erhöhen wollen, weil sie keinen Ausweg mehr finden, fällt einem Kollegen aus dem Bundestag nichts anderes ein als, dies sei „modernes Raubrittertum". Das ist eine nicht mehr überbietbare Ignoranz. Vom Vorsitzenden meiner Fraktion möchte ich entlehnen, was dieser einmal sinngemäß zur Marktfunktion gesagt hat: Der Markt sei gut, aber blind gegen Auswüchse, blind gegen soziale Gerechtigkeit. Ich füge an: Nirgendwo funktioniert der Markt so wenig wie beim Verkehr. Umweltschutz und eine andere Verkehrspolitik bedingen sich gegenseitig. Das eine ist meiner Meinung nach ohne das andere nicht möglich. Ich glaube, daß im Sinne unseres vorliegenden Antrags eine andere Verkehrspolitik viel, viel Beruhigung in eine unwiederbringliche Naturlandschaft mit ihrem Wirtschafts- und Lebensraum für alle bringen könnte, nicht nur für den Alpenraum, sondern für die Menschen schlechthin. Ich weiß, daß ich mit meiner Forderung möglicherweise nicht einmal in meiner eigenen Fraktion eine Mehrheit finden würde ({3}) - das ist nicht traurig; das ist Demokratie, weil es auch andere Meinungen gibt - aber, ich fordere zumindest eine Diskussion. Ich glaube, daß wir nur dann weiterkommen können, wenn wir radikal die Verkehrspolitik dahin gehend ändern, daß wir gesetzliche Maßnahmen ergreifen. Lenkungsmaßnahmen, daß bestimmte Massengüter, die nicht pressieren, die nicht eilig sind, auf die Bahn kommen. ({4}) Das muß unter Menschen einfach möglich sein. Denn kein Mensch versteht mehr, daß wir um den Preis einer irrsinnigen Umweltverhunzung, um den Preis des Ansteigens der Zahl der Verkehrstoten eine Verkehrspolitik machen, die für alle Menschen, die mitdenken, überholt scheint. ({5}) - Vielleicht kann ich darauf noch zurückkommen. Daß mit Konservativen eine solche Verkehrspolitik nicht zu machen ist, darüber bin ich mir klar. Trotzdem werde ich immer wieder darauf hinweisen. Zu einer solchen Verkehrspolitik gehört Mut. Für solche gesetzlichen Initiativen gibt es im Grunde genommen keine Alternative. Ich bedanke mich herzlich. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat die Frau Abgeordnete Geiger das Wort.

Michaela Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000649, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst einmal möchte ich sagen: Natürlich liegt dem Bundesumweltminister Wallmann der Alpenraum sehr am Herzen. Sie wissen alle, er hat sich entschuldigt. Er mußte zur Umweltkonferenz nach Wien. Ich glaube, das sehen wir alle ein. Er läßt aber extra nochmals ausrichten, er wollte gerne sprechen. Leider hat sich alles verzögert, nicht durch seine Schuld. Deshalb ist er nicht hier. ({0}) Daß wir uns um den Alpenraum Sorgen machen, ist leider nur zu berechtigt. Der Gesundheitszustand der Bergwälder gibt zu großen Sorgen Anlaß. 1982 machten die Forstämter in meinem Wahlkreis die ersten Beobachtungen, daß das Waldsterben wohl auch vor dem Hochgebirge nicht Halt machen würde. Inzwischen weisen nach der Waldschadensinventur der Forstämter Garmisch-Partenkirchen, Mittenwald, Murnau und Oberammergau von 1985 bereits 53 % der Gebirgswälder deutlich sichtbare Schäden auf. ({1}) Jeder weiß - wir haben das bei der letzten Debatte im November letzten Jahres ausführlich besprochen -, welch katastrophale Folgen der Verlust der Schutzeigenschaft des Waldes im Hochgebirge hätte. Erosion, Hochwassergefahr, Lawinenabgänge und Steinschlag würden die Täler bedrohen. ({2}) Die Erholungslandschaft würde vernichtet. Aber bei allen berechtigten Sorgen lassen sich beim derzeitigen Stand des Wissens keine verläßlichen Prognosen über den künftigen Schadensverlauf machen. Das sage nicht ich, das sagen die Fachleute. Es ist also unredlich, Herr Schulte ({3}), da jetzt Horrorgemälde zu zeichnen. Wir wissen zu wenig über die tatsächlichen Vitalitätsreserven des Bergwaldes ({4}) und über den Einfluß von Klimafaktoren. Die Forstfachleute sprechen z. B. immer wieder davon, daß deutlich geschädigte Bäume ein ganz erstaunliches Regenerationsvermögen zeigen. Letztlich weiß die Wissenschaft immer noch nicht ganz genau, welche Ursache die Walderkrankung im Hochgebirge hat. Alle Experten sind sich einig, daß die Luftverschmutzung durch unsere Industriegesellschaft eine wesentliche Rolle dabei spielt. Vieles, was die SPD in ihrem Antrag fordert, ist berechtigt. Aber bei genauem Hinsehen entpuppt es sich doch als sehr alter Hut. ({5}) Denn die Bundesregierung in Bonn und die Staatsregierung in München haben die Dinge längst in die Hand genommen und gehandelt. ({6}) Die Bundesregierung hat die Luftverschmutzung durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, durch die umfassenden Novellen der Technischen Anleitung Luft und durch die Maßnahmen zur Schadstoffbegrenzung bei Kraftfahrzeugen entscheidend zurückdrängen können. Da wurde in ganz kurzer Zeit das in die Hand genommen, aufgeholt und aufgefangen, was die SPD in ihrer Regierungszeit jahrelang versäumt hatte. ({7}) Selbstverständlich werden wir den Weg zu mehr Luftreinhaltung auch und ganz besonders im Interesse unserer Hochgebirgswälder konsequent weitergehen. Sehr geehrte Herren - so muß ich sagen - von der SPD, ({8}) auch mit anderen Forderungen in diesem Antrag laufen Sie bei uns offene Türen ein. Bayern hatte schließlich - das dürfte sich herumgesprochen haben - das allererste Umweltschutzministerium in ganz Europa. Der damalige und erste Umweltminister Max Streibl hat als gebürtiger Oberammergauer die Situation des deutschen Alpengebiets sehr genau gekannt. Er hat schon 1972 mit dem sogenannten Alpenplan verhindert, daß wertvolle Gebiete unserer Alpen erschlossen und mit Liften und Bergbahnen zugepflastert werden. Es ist also nicht so wie in Teilen der Schweiz und in Osterreich. Bei uns wurde sehr früh der Riegel vorgelegt. Das ist auch gut so. Auch mit der Kartierung wurde schon sehr, sehr früh begonnen. Das war damals selbst in unserem eigenen Lande nicht ganz unumstritten. Das muß man sagen. Aber es hatte Vorbildfunktion auch für unsere Nachbarländer. Also: Bayern hatte damals schon die Nase vorne. Wir mußten glücklicherweise nicht bis heute auf die Eingebungen der bayerischen SPD-Landesgruppe warten. Die Bayerische Staatsregierung hat auch längst erkannt, daß unser kranker Wald verjüngt werden muß. Es wurde ein eigenes, großflächiges bayerisches Schutzwaldprogramm beschlossen. ({9}) Es wurde die Arbeitsgruppe gebildet. Sie arbeitet. Die Erhebungen laufen. Dieses Investitionsprogramm zugunsten des kranken Waldes ist langfristig angelegt, denn eines muß uns allen klar sein: Es wird viel Zeit brauchen, bis sich der Wald wieder erholt. Die Erkenntnis der SPD, daß der Bestand an Schalenwild vermindert werden muß, ist auch nicht gerade ein Knüller, ({10}) denn der bayerische Landtag hat längst die entsprechenden Beschlüsse dazu gefaßt. Nur ein kleines Beispiel dazu. Heuer gibt es bei uns z. B. keine Staatsjagden und keine Staatsgäste; denn die Jäger sollen voll Zeit haben, ihre Abschußquoten zu nutzen. ({11}) Nach Auskunft der Forstämter ist heuer ein echtes Reduktionsjahr. Wenn ich mir die Initiatoren des SPD-Antrages anschaue und die Namen lese: Vahlberg, Schmidt ({12}), Dr. Schöfberger usw., dann fällt mir auf, daß es sich um Münchner Abgeordnete handelt. ({13}) - Der kommt aus Rosenheim. Von daher ist es mir erklärlich, wie der lapidare Satz „die beschleunigte Ablösung des Waldweiderechts" in dieses Papier gekommen ist. Ein Städter weiß vermutlich nicht, daß es sich beim Waldweiderecht um ein uraltes Recht handelt, das wir respektieren wollen und müssen. ({14}) Eine Ablösung ist nur auf freiwilliger Basis möglich, z. B. durch Bereitstellung von Ersatzweiden. Weiderechtler sind auch keine Landschaftsvernichter, wie man nach Ihrem Antrag vielleicht annehmen könnte. Das Weiderecht besitzen vielmehr im allgemeinen Familien, die sich seit Jahrhunderten unserer Landschaft annehmen. ({15}) Vor jeder radikalen Lösung kann ich nur warnen. Sie wird mit uns auch nicht zu machen sein. Ganz wichtig für unsere Bevölkerung und für unsere Feriengäste ist die baldige Lösung der Verkehrsmisere in unserem Gebiet. Bei der letzten Debatte haben Sie noch behauptet, Herr Vahlberg - und natürlich auch die GRÜNEN -, daß der Weiterbau der A 95 nicht zu verhindern sei.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie gestatten eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete?

Michaela Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000649, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, wir wissen sehr wohl, daß die Weiderechte eigentumsgleichen Charakter haben und daß man den Bergbauern die Weiderechte nicht einfach ersatzlos wegnehmen kann. Aber es kommt darauf an, dort Veränderungen zu erreichen, weil erhebliche Trittschäden auftreten. Man muß also zum Teil die Weiderechte ablösen und entsprechende Entschädigungen geben. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, das war möglicherweise ein interessantes Statement. Eine Frage vermag ich beim besten Willen nicht zu erkennen.

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann formuliere ich das Ganze als Frage: Frau Kollegin, haben Sie nicht gewußt, daß wir das wissen? ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000649, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das habe ich nicht gewußt, weil ich eigentlich weiß, daß die SPD immer sehr gerne an Eigentumsrechte herangeht. Das wollen wir eigentlich nicht. ({0}) - Jetzt geht es aber weiter mit der Straße. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, ich bitte fortzufahren.

Michaela Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000649, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei der letzten Debatte, bei der wir uns ausführlich unterhalten haben, ist - wie gesagt - von GRÜNEN und auch von der SPD angezweifelt worden, daß es uns ernst war, daß wir nicht die Autobahn in unserem Loisachtal haben wollten. Sie haben das bezweifelt. Inzwischen wissen Sie, wie der Bundestagsbeschluß ausschaut. Sie wissen: Es wird keinen Weiterbau der A 95 im Loisachtal geben, ({0}) jedenfalls nicht so wie geplant. Dies ist ein Beschluß, der nicht zuletzt auf die Abgeordneten unseres Gebietes zurückgeht, den auch diese Abgeordneten mit ermöglicht haben, und es ist ein wichtiger Beschluß zugunsten unserer herrlichen Erholungslandschaft. Die oberste bayerische Baubehörde hält sich an diesen Beschluß mit der Folge, daß nun ein neues Raumordnungsverfahren unter möglichst weitgehender Verwendung der Trasse der alten B 2 notwendig wird. Farchant wird den geforderten Tunnel bekommen, und auch für Oberau werden wir eine tragbare Lösung finden. Der Nachteil ist, daß durch das neue Raumordnungsverfahren, mit dem Ende des Jahres begonnen werden soll, der Baubeginn leider hinausgeschoben wird. Das wird auch die Feriengäste interessieren. Wie lange es dauern wird, bis gebaut werden kann, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viele Einsprüche kommen. Je schneller sich alle Beteiligten einigen, desto schneller wird im Loisachtal die lang ersehnte Verkehrsentlastung kommen. Eines möchte ich abschließend betonen: Wir, die wir aus dem Alpenraum kommen, wissen, was wir an unserer herrlichen Landschaft haben. ({1}) Wir werden uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, daß unsere schöne Natur, unsere Bergwälder, unsere Almen und unsere Kulturlandschaft ({2}) so erhalten bleiben, wie wir sie seit der Kinderzeit kennen und wie wir sie alle lieben. ({3}) Es wundert mich, daß die SPD und die GRÜNEN, denen, wie sie sagen, die Situation im deutschen Alpenraum so sehr am Herzen liegt, wieder einmal keinen Abgeordneten aus diesem Gebiet in den Deutschen Bundestag schicken werden. ({4}) So wird es bleiben wie bisher: Vor dem Wahltermin gibt es spektakuläre Anträge, kommen SPD- und GRÜNE-Größen zu werbewirksamen Fototerminen in unsere wunderschöne Landschaft; nach der Wahl werden wir wieder unter uns und allein mit unseren Problemen bleiben. Aber, ich bin nicht traurig darüber. Wir sind bisher sehr gut allein zurechtgekommen. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann können wir dem Vorschlag des Ältestenrates folgen und den Antrag an die in der Drucksache 10/5872 vorgeschlagenen Ausschüsse überweisen. Weitere Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 29 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 8. Juli 1985 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Verringerung von Schwefelemissionen oder ihres grenzüberschreitenden Flusses um mindestens 30 vom Hundert - Drucksache 10/5387 Es gibt eine Vereinbarung des Ältestenrates, daß die Beratung 30 Minuten dauern soll. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann eröffne ich die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Schmidbauer das Wort.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hat bei seiner Regierungserklärung am 4. Mai 1983 darauf hingewiesen, daß in der Umweltpolitik die Luftreinhaltung Vorrang besitzt. Wir haben in den letzten vier Jahren ein ganzes Maßnahmenbündel zur durchgreifenden Verbesserung der Luftqualität beschlossen. Wir haben anspruchsvolle vorsorgeorientierte Anforderungen durchgesetzt, die zu einer drastischen Verringerung der Schadstoffemissionen aller Verursachergruppen führen. ({0}) Ausgehend von den Prinzipien der Vorsorge, des Verursacherprinzips und des Kooperationsprinzips haben wir national wichtige Vorhaben für den Bereich der Luftreinhaltung auf den Weg gebracht. Dazu gehört die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, das am 13. Oktober 1985 in Kraft getreten ist; dazu gehört die Großfeuerungsanlagenverordnung, die am 1. Juli 1983 in Kraft getreten ist; dazu gehört die Technische Anleitung Luft, deren Immissionsteil 1983 und deren Emissionsteil 1986 novelliert wurde; und dazu gehört auch das breite Bündel von Maßnahmen zur Verminderung der Emissionen aus dem Verkehrsbereich. Das Ergebnis dieser Anstrengungen: Bis 1993 werden allein die Schwefeldioxidemissionen insgesamt um rund zwei Drittel vermindert. Das entspricht einer Reduzierung von jährlich 2 Millionen Tonnen Schwefeldioxid. Die Stickoxidemissionen können bis 1995 um nahezu die Hälfte gesenkt werden, was einer jährlichen Reduzierung um 1,5 Millionen Tonnen entspricht. Diese Bilanz macht deutlich: Wir haben in Europa im Bereich der Luftreinhaltepolitik nicht nur die Schrittmacherrolle übernommen, sondern auch unser Wollen in die Tat umgesetzt. Wir wissen, daß nationale Anstrengungen zur Luftreinhaltung nicht ausreichen. Wir müssen sie durch eine internationale Luftreinhaltestrategie ergänzen. Lassen Sie mich dies am Beispiel des Schwefeldioxidtransports darstellen: Basierend auf den Berechnungen der EMEP der Jahre 1980, 1981 und 1982 ergab sich für die Bundesrepublik Deutschland folgendes Bild: Die Gesamtemission an Schwefeldioxid lag bei 3,6 Millionen Tonnen pro Jahr; der Export über die Grenzen von der Bundesrepublik in andere Länder betrug 2,3 Millionen Tonnen pro Jahr; das entspricht 63 %. Der importierte Anteil betrug in diesem Zeitraum 1,45 Millionen Tonnen pro Jahr. Das entspricht einem Anteil von 40 %. Wir waren also ein Schadstoff-Exportland. Das hat sich heute geändert. Unsere nationalen Maßnahmen haben dazu geführt, daß wir weniger Schwefeldioxid exportieren, als wir importieren. ({1}) Dies macht aber auch klar, daß wir unsere Situation nachhaltig und auf Dauer nur dann verbessern können, wenn sich alle Staaten in Europa für eine Politik der Reduzierung der Schadstoffe in der Luft engagieren. 1984 war das Jahr des Beginns einer neuen Phase der West-Ost-Kooperation auf dem Gebiet der Luftreinhaltung. Die Bundesregierung hatte sich auf der von ihr initiierten multilateralen Umweltkonferenz in München für die Formulierung einer gemeinsamen internationalen Luftreinhaltepolitik eingesetzt und insbesondere die Bereitschaft von 18 Staaten herbeigeführt, ihre jährlichen Schwefeldioxidemissionen zu reduzieren. Ein erstes wichtiges Zwischenziel dieser Initiative ist erreicht: Am 19. Juli 1985 haben 21 Staaten aus West und Ost, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, in Helsinki das Protokoll über die 30 %ige Verringerung von Schwefelemissionen unterzeichnet. Der Entwurf des Vertragsgesetzes, mit dem diese völkerrechtliche Vereinbarung nach unserer Verfassung in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden muß, liegt uns heute zur ersten Lesung vor. Das Protokoll konkretisiert und ergänzt die Genfer Luftreinhaltekonvention von 1979. Die Vertragsstaaten des Protokolls übernehmen die völkerrechtliche Verpflichtung, ihre jährlichen nationalen Schwefelemissionen oder ihren grenzüberschreitenden Fluß so bald wie möglich, spätestens aber bis zum Jahre 1993, um mindestens 30 % gegenüber dem Niveau von 1980 zu reduzieren. Eine Klausel des Protokolls stellt sicher, daß die Vereinbarung weiterer Reduzierungen in der Mitte der 90er Jahre möglich ist. Berichtspflichten der Vertragsstaaten und ein internationales Überwachungsprogramm werden die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen sicherstellen. Die Bundesrepublik Deutschland wird die Verpflichtung des Protokolls zur 30%-Reduzierung der Schwefeldioxidemissionen einhalten, j a um das Doppelte übertreffen. Die Luftreinhaltemaßnahmen der letzten Jahre, vor allem die von mir erwähnte Großfeuerungsanlagen-Verordnung und neue Technische Anleitung Luft 1986, stellen sicher, daß wir, gemessen am Basisjahr 1980, eine Verringerung der von unserem Land ausgehenden Schwefeldioxidemissionen um mehr als 60 % erreichen werden. Mit dem völkerrechtlichen Inkrafttreten des Helsinki-Protokolls ist ein wichtiges Etappenziel in der grenzüberschreitenden Luftreinhaltepolitik erreicht. Wir bewerten das Zustandekommen des Protokolls als einen ersten Schritt nach vorn in der West/Ost-Kooperation auf dem Gebiet des Umweltschutzes, wenn auch nicht alle Staaten der ECERegion, etwa Großbritannien, die USA und Polen zu den Unterzeichnerstaaten gehören. Als nächster Schritt sollte nach unserer Auffassung ein Protokoll zur Reduzierung der Stickoxid-und Kohlenwasserstoffemissionen erarbeitet werden. Mitglieder der Parlamente in Mittel- und Nordeuropa, die auf der internationalen Konferenz des Nordischen Rates vom 8. bis 10. September 1986 in Stockholm über grenzüberschreitende Luftverunreinigungen beraten haben, sind zu gleichen Ergebnissen gekommen. Die Mitglieder dieser Parlamente haben sich einstimmig darüber verständigt, daß alle Signatarmächte des Helsinki-Übereinkommens dem Protokoll über die Reduzierung der Schwefeldioxidemissionen beitreten und daß im Rahmen des Übereinkommens Gespräche mit dem Ziel eingeleitet werden, in den 90er Jahren eine weitere Begrenzung der Schwefeldioxidemissionen zu erreichen; schließlich, daß die Arbeiten für die Reduzierung der Stickoxid- und Kohlenwasserstoffemissionen mit dem Ziel intensiviert werden, verpflichtende Protokolle aufzulegen und innerhalb eines vereinbarten Zeitraums weitere zusätzliche Reduzierungen zu erzielen. Gleichzeitig wurde vereinbart, daß alle Staaten ohne Rücksicht auf die Zeit, die die Auflegung eines international verpflichtenden Protokolls in Anspruch nimmt, wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Emissionen von Stickoxiden aus ortsfesten und beweglichen Quellen zu verringern. Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages unterstützt nachhaltig die Bundesregierung in ihren Bemühungen um eine bilaterale Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarstaaten. Wir unterstützen den Bundesumweltminister in der Zielrichtung, schon in diesem Jahr die Umweltverhandlungen mit der UdSSR, der CSSR und der DDR zügig voranzubringen und soweit wie möglich abzuschließen. Wir weisen darauf hin, daß es in der Europäischen Gemeinschaft endlich gelingen muß, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung verabschiedungsreif zu machen. Die Signale aus Großbritannien, auch auf der von mir erwähnten Konferenz in Stockholm - der Kollege Stahl von der SPD und ich waren ja in Stockholm, und ich war im Ständigen Ausschuß -, werden unüberhörbar. Sie machen deutlich, daß auch diese Länder inzwischen begriffen haben, daß es hier vorangehen muß, daß auch dort ein Umdenkungsprozeß stattgefunden hat und auch dort die Bereitschaft wächst, mehr Verantwortung für unsere gemeinsame Umwelt in Europa zu übernehmen. Es muß endlich auch gelingen, im Bereich schadstoffarmer Kraftfahrzeuge europaweit voranzukommen. Dies gilt sowohl für den Bereich der Ottomotoren als auch und im besonderen zu dieser Zeit für den der Dieselkraftfahrzeuge und der Nutzfahrzeuge. Dies gilt ebenso für die europaweite Einführung des bleifreien Benzins. Die Bundesrepublik Deutschland war Gastgeber der Münchener Umweltkonferenz. Von hier gingen entscheidende Impulse für eine neue Phase der Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes aus. Wir werden deshalb für eine zügige Behandlung und Verabschiedung des Vertragsgesetzes Sorge tragen. Sieben Staaten des Westens und Skandinaviens haben das Helsinki-Protokoll bereits ratifiziert. Das Protokoll tritt mit Hinterlegung der 16. Ratifikationsurkunde in Kraft. Die Bundesrepublik wird mit der raschen Ratifizierung des Helsinki-Protokolls ein Signal setzen: ein Signal, das unsere Verhandlungsposition für weitere West-Ost-Vereinbarungen stärkt und das vor allem die östlichen Unterzeichnerstaaten zur Ratifikation des Protokolls ermuntern soll, ein Signal, das aber auch deutlich macht, daß wir im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft nicht nachlassen werden, weitere Verbesserungen unserer gemeinsamen Umwelt zu erreichen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! In einigen Punkten, Herr Schmidbauer, kann ich Ihnen zustimmen. ({0}) Grundsätzlich ist die Aussage, daß Luft für uns ein unerläßliches Lebenselixier ist. Saubere Luft zum Atmen, Luft, die uns nicht krank macht, hat für uns in der Bundesrepublik eine europäische Dimension. Wer sich die Graphiken über den Austausch der Schmutzfrachten über die Grenzen hinweg ansieht, weiß, um was es hier insgesamt geht. Luft macht vor Schlagbäumen ebensowenig halt wie die Schadstoffe, die in ihr enthalten sind. Rund die Hälfte aller Schadstoffniederschläge, die die Luft bei uns schlechter machen, kommt aus dem Ausland. Selbst wenn die Bundesrepublik von heute auf morgen aufhörte, innerhalb ihrer Grenzen Luftschadstoffe zu produzieren, würde unsere Luft höchstens um die Hälfte sauberer, weil die andere Hälfte von unseren Nachbarn kommt. Das Protokoll von Helsinki vom 8. Juli 1985 hat zum Ziel, die weiträumige, grenzüberschreitende Luftverunreinigung bis spätestens 1993 um 30 % des Niveaus von 1980 zu verringern. Es ist ein erster Ansatz, aber ich glaube, wir sind uns darüber im klaren: Es ist nicht viel. Der Waldschadensbericht der Bundesregierung zeigt, daß es zu wenig ist, Herr Schmidbauer. Die Situation in unseren Wäldern hat sich auch in den letzten Monaten wieder verschlechtert. Dabei muß man noch berücksichtigen, meine Damen und Herren, daß die Prozentzahlen im Waldschadensbericht irreführend sind. Auf neudeutsch sagt man: Sie sind frisiert. Die Flächen, Herr Schmidbauer, die schon abgeholzt wurden, weil der Baumbestand abgestorben ist, sind nämlich im jeweils neuesten Schadensbericht nicht mehr aufgeführt; in ihm werden nur noch kranke Bäume gezählt. ({1}) Hier bleibt sich die Regierung treu und macht es wie bei der Arbeitslosenstatistik: Wer rausgerechnet wird, ist nicht arbeitslos; abgeholzte Wälder sind nicht mehr krank. So einfach kann man sich Erfolgsbilanzen machen, meine Damen und Herren. Auf europäischer Ebene ist noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten. Längst nicht in jedem europäischen Land - und leider auch nicht in jedem EG-Land - ist das Bewußtsein um die Notwendigkeit, unsere Luft sauberzumachen, so hochentwickelt wie bei uns in der Bundesrepublik.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Rumpf?

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich.

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Lennartz, ich teile ja Ihre Sorge um die Waldschäden, nur, Sie müßten mir bitte einmal erklären: Wie wollen Sie das ändern, und wie wollen Sie diese 30%ige Verminderung in zehn Jahren durchsetzen, wenn Sie nicht bereit sind, keine weiteren Kohlekraftwerke zu bauen?

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich werde nachher darauf eingehen, wie wir uns das ingesamt vorstellen. Aber ich weiß natürlich, worauf Sie abzielen. Sie zielen auf einen verstärkten Einsatz der Kernenergie ab, indem Sie sagen, fossile Brennstoffe erhöhen die Waldschäden noch. ({0}) Herr Kollege, sehen Sie sich doch bitte einmal den Bericht des Umweltbundesamtes an, in dem auf die negativen Wirkungen der Kernkraftemission und auch auf das Waldsterben hingewiesen wird. Ich kann Ihnen diese Lektüre sowohl zum Nachlesen als auch dazu empfehlen, daraus praktische Schritte abzuleiten. Was wir hier machen, ist eine ganz andere Politik, nämlich trotz des Ausstiegs aus der Kernenergie die Luft sauberer zu machen. Die Zahlen werde ich Ihnen nachher noch nennen. ({1}) Ich weiß nicht, ob es Sie überzeugt. Das kennt er nicht, der kennt nämlich nur Kernenergie. Von sauberen Braunkohlekraftwerken kennt er nichts. ({2}) Ein Blick in die Rechtsvorschriften, mit denen unsere Nachbarn Emissionen verhindern - ich darf auf diesen Gedankengang noch einmal eingehen -, belegt das sehr eindrucksvoll. Herr Schmidbauer, ich habe eben Ihre Rede sehr aufmerksam verfolgt. Wir müssen uns doch darüber im klaren sein, daß es Länder gibt, die noch nicht einmal Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxid haben, von Stickoxiden ganz zu schweigen. Das ist leider die europäische Realität, so leid mir das für uns insgesamt tut. Realität ist auch, daß nicht alle unsere Nachbarn das Protokoll von Helsinki ratifizieren werden. Damit verweigern sie ihren - hören Sie genau zu - wirtschaftlichen Mindestbeitrag zur europäischen Luftreinhaltung. Es ist daher dringend an der Zeit, daß sich unsere Nachbarn auch aus wettbewerbspolitischen Gründen auf Emissionsgrenzwerte festlegen. Wettbewerbsnachteile auf Grund hoher Umweltschutzauflagen müssen aus dem europäischen Alltag verschwinden. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, in Brüssel sehr aufmerksam darauf zu achten, daß Wettbewerbsverzerrungen beispielsweise den Stromentstehungskosten aufgehoben werden. Es darf nicht dazu kommen, daß Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen, die zur Zeit in unsere Kraftwerke eingebaut werden, die Stromabnehmer aus der Chemie oder aus der Metallproduktion nach Holland oder nach Belgien treiben, weil die Kosten dieser Anlagen dort nicht anfallen und die Strompreise entsprechend niedriger sind. Wir stellen fest: Eine Verringerung der Schwefeldioxidemission oder ihres grenzüberschreitenden Flusses um mindestens 30 % bis 1993 ist zuwenig, um eine nachhaltige und rasche Verbesserung der Luftqualität zu erreichen. Die angekündigte Verweigerung einiger Länder, Herr Schmidbauer, wenigstens diesem Mindestkonsens zuzustimmen, ist doch ein weiterer europäischer Skandal. Wir haben das Recht, eine solche Bewertung vorzunehmen; denn bis 1995 wird die Schwefeldioxidemission in der Bundesrepublik um fast 80 % gesenkt, die Stickoxidemission nach heutiger Ausgangslage um 66 %, technologische Verbesserungen noch nicht eingerechnet. Der Kollege Hauff hat in der vergangenen Woche noch einmal darauf hingewiesen - damit komme ich auf Ihre Frage zurück, Herr Rumpf -: Bei einem geordneten Ersatz der Atomenergie durch Kohlekraftwerke bis 1995 würden die Schwefeldioxidemission immer noch um 70% gesenkt, die Stickoxidemission immer noch um über 50 %. Das sind Daten und Fakten, die Sie sich auch einmal verinnerlichen müssen. Sie müssen dann zu einer Güterabwägung kommen zwischen den Emissionen aus Kernkraftwerken - mit allen anderen Gefahren - und diesen Werten. Ich darf Sie bitten, dies mit in Ihre Überlegungen einzubeziehen. Meine Damen und Herren, leider hat die erfolg-und konzeptionslose Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung seit 1982 unsere Verhandlungsposition auf europäischer Ebene geschwächt - ich sage: stark geschwächt -. Wir haben im vergangenen Jahr die schmerzliche Erfahrung machen müssen, daß alle deutschen Argumente für strengere Grenzwerte bei den Kfz-Emissionen auf taube europäische Ohren gestoßen sind. Ein entscheidender Faktor für diese Taubheit war die Tatsache, daß einzig und allein in der Bundesrepublik ein einfaches Instrument zur Luftverbesserung nicht eingesetzt wird - ich wiederhole das hier -, nämlich das Tempolimit. Umweltpolitisch, meine Damen und Herren, sind wir für die europäischen Nachbarn bis zum heutigen Tage in dieser Frage tiefste Diaspora. Daran führt doch kein Weg vorbei. ({3}) Statt mit einfachen Mitteln den Schadstoffausstoß von Kraftfahrzeugen schnell und wesentlich zu senken, hat sich die Bundesregierung immer tiefer in hektische Betriebsamkeit, komplizierte Regelwerke und untaugliche Mittel gestürzt. Ich erinnere nur an das Chaos bei der Kfz-Steuer und bei den verschiedenen schadstoffarmen Klassen. Ich erinnere an die Springprozession bei der Mineralölsteuer. Ich erinnere an das Fazit Ihrer Luftreinhaltepolitik im Kfz-Bereich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, das unverändert traurig bleibt. Bis weit in die 90er Jahre wird die Menge der Stickoxide aus den bundesdeutschen Auspuffrohren ansteigen. Herr Wallmann, der leider nicht hier sein kann, nennt das Ganze übrigens in seinen Leitlinien zur Umweltvorsorge einen Durchbruch für die Luftreinhaltung in ganz Europa. ({4}) - Als Kollege des Umweltausschusses können Sie es nachlesen; es ist vom 3. September 1986. - Ich habe mehr das Wort „Durchfall" aus der Zeit in Erinnerung, als Herr Zimmermann dem Plenum übernächtigt Brüsseler Geschichten in dieser Frage erzählte. Das ist alles noch in denkwürdiger Erinnerung, Herr Kollege. Die anderen Regelwerke, die diese Bundesregierung und diese Koalitionsfraktionen zur Luftreinhaltung zu verantworten haben, sind nicht viel besser. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung war bereits veraltet, als sie verabschiedet wurde. Heute wird landauf, landab nach den Empfehlungen der Umweltministerkonferenz gehandelt, die weitaus niedrigere Grenzwerte festlegt als die Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Dasselbe gilt ja auch für die Technische Anleitung Luft. Die Folgen für die umweltpolitische Kultur in der Bundesrepublik sind fatal: Weniger industrielles Vordenken im Umweltschutz. Wenn man sich bei dieser Bundesregierung offensichtlich nur auf eines verlassen kann, dann darauf, daß die Grenzwerte hier national als auch auf europäischer Ebene wie auf dem Pferdemarkt ausgehandelt werden. In einem anderen Bereich der Luftreinhaltung hat die Bundesregierung ebenfalls Sendepause. Dort, wo durch alternative emissionslose Energiequellen auch ein wesentlicher Beitrag zur Luftrein18096 haltung geleistet werden könnte, hat die Bundesregierung kein Geld übrig. Wie man hört, sollen für die Erforschung alternative Energiequellen von 1987 bis 1990 im Etat des Bundesforschungsministers ganze 200 Millionen DM bereitgestellt werden. Im Etat des Bundeswirtschaftsministers gibt es keine neuen flankierenden Maßnahmen zum Energieeinsparen. Zum Vergleich eine Zahl aus dem Jahre 1981: Für die alternativen Energien wurden damals bereits 616 Millionen DM im Jahr aufgewendet. Der Ansatz sollte nach dem Finanzplan der sozialliberalen Koalition bis Ende 1985, Herr Rumpf, auf 780 Millionen DM ansteigen. Ich spreche von den sogenannten regenerativen Energiequellen. Nur, die Bundesregierung hat bei der heutigen Situation, bei der Forschungsumsetzung nichtnuklearer Energieversorgung seit ihrem Amtsantritt um jährlich 200 bis 300 Millionen DM gekürzt, in einem Bereich, der auch für Sie von technologischem Interesse sein sollte. Wer geglaubt hatte, daß nach dem erfolglosen umweltpolitischen Werkeln des Herrn Bundesministers Zimmermann mit der Schaffung eines neuen Umweltministeriums ein neuer Anfang gemacht wurde, der wurde bisher bitter enttäuscht. Bundesminister Wallmann, der für Umwelt, Natur- und Reaktorschutz zuständig ist, hat bisher nur als PublicRelations-Stelle für die Kernenergie gewirkt und sich als Massentherapeut gegen Atomangst in der Bevölkerung versucht. Der heutige Tag und seine Rede waren genau der gleiche Ansatzpunkt, der hier formuliert worden ist. Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen allen noch und insbesondere unserer Natur ein Weiterleben. Sorgen wir insgesamt und auch auf europäischer Ebene dafür, daß wir zu besseren Verhältnissen kommen, wie dies der erste Ansatz ist. Für die SPD-Fraktion darf ich erklären: Wir werden auch diesen Minimalansatz, der hier gefaßt worden ist, auf europäischer Ebene mit unterstützen. Schönen Dank. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege! Ich habe mit großer Spannung eigentlich nur auf den letzten Satz gewartet: wie Sie es nämlich nach einer solchen Philippika, nach dem Sie dieses Gesetz und die Bemühungen, die zu dem Ergebnis geführt haben und die übrigens aus einer Zeit stammen, in der wir zusammen in der Regierung waren, in Grund und Boden kritisiert haben, noch die Kurve kriegen, schließlich dem Gesetz zuzustimmen. Das ist eine tolle rhetorische Leistung. Müßte es bei einer solchen, relativ nüchternen Materie nicht möglich sein, einmal die ideologische Brille abzusetzen, und die Sache einfach so zu sehen, wie sie ist, ohne sich gegenseitig mit Vorwürfen zu bepflastern? Wenn man das macht, kann ich mich im wesentlichen auf das beziehen, was - ({0}) - Ich habe relativ wenige Reden von Ihnen gehört. Aber wenn das, was Sie heute gesagt haben, human war, dann bin ich auf die anderen nicht sehr neugierig. Ich kann mich im wesentlichen auf das beziehen, was Herr Schmidbauer gesagt hat. Diesem Abkommen liegen ja zwei Überlegungen zugrunde. Die eine ist, daß sich Luftverunreinigungen nicht um Grenzen kümmern, so daß wir auf Dauer eine Chance, zu besseren Verhältnissen zu kommen, nur haben, wenn wir das Problem internationalisieren, wenn wir also internationale Abkommen möglichst umfangreicher Art dazu erzielen können. Die zweite Überlegung ist, daß wenn man sich in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum befindet, die Umweltstandards nach Möglichkeit nicht zu sehr voneinander abweichen sollten, weil man sonst eine Art Umweltdumping betreibt: Derjenige, der sich umweltschonende Einrichtungen spart, produziert zu Lasten der anderen. Das darf uns nie dazu verführen - wir haben dem immer zu widerstehen versucht -, den Weg des Geleitzugs zu gehen, also dem langsamsten Schiff zu folgen. In der Tat sind wir in der Bundesrepublik - darauf sind wir stolz, das wollen wir gar nicht beklagen - viel weiter als andere, auch andere europäische Länder in Ost und West. Dieses Abkommen entspricht der Tatsache, daß andere Länder, auch Länder des Ostblocks, einen weit geringeren Teil ihrer Wirtschaftskraft zur Umweltschonung einzusetzen bereit sind. Es beginnt sich zu verändern. Es beginnt - das haben Sie zu Recht gesagt - ein wachsendes Verständnis dafür. Darum ist es so wichtig, daß dieses Abkommen zustande kommt. ({1}) Es kommt ja aus dem Jahre 1970. Von da an ist ein mühsamer Weg bis hierher gewesen. Eine ganze Reihe von Staaten des Westens und des Ostens haben sich dem angeschlossen. Was bleibt zu tun übrig? Es bleibt zu tun übrig, sich zuerst darum zu bemühen, daß die anderen Staaten dem beitreten, im Osten und im Westen. Es kommt zweitens darauf an, die Werte auf Dauer zu verschärfen. Das ist eine Zielsetzung. Dazu ist es auch wichtig, daß wir eine europäische Richtlinie für eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung bekommen, damit sich die gemeinsamen Anstrengungen für die Luftreinhaltung nicht nur auf neue Kraftwerke beziehen, sondern auch auf die Nachrüstung alter, weil wir sonst den Wert von 30 % ja leicht erreichen können. Der dritte Punkt muß sein - da folge ich Ihnen, das ist unter uns völlig unstreitig -, daß wir den Wirkungsbereich solcher Abkommen auf andere Emissionen erweitern. Schwefeldioxid ist hier erfaßt, auch Stickoxide sind es, wie Herr Schmidbauer es sagte. Das sind die Dinge, an denen wir weiterarbeiten müssen. Umweltschutzpolitik, Luftreinhaltungspolitik müssen zum festen Bestandteil aller internationalen Absprachen auf technischem und wirtschaftlichem Gebiet werden. Wir werden die Bundesregierung in allem unterstützen, was sie tut, um dieses Ziel zu erreichen. Darum begrüßen wir dieses Gesetz mit dem gleichzeitigen Gedanken, daß wir uns unverändert nach Kräften und, wie ich hoffe, gemeinsam und ohne anklägerische Haltung darum bemühen werden, an der wirksamen Internationalisierung der Umweltpolitik weiterzuarbeiten und dabei Erfolge zu erzielen. Vielen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Schulte ({0}).

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Da hat man sechs Jahre gebraucht, nämlich vom 13. November 1979 bis zum 9. Juli 1985, um eine Übereinkunft zur Verminderung eines einzigen der beiden Stoffe, die mittlerweile als die hauptsächlichen Waldkiller bekannt sind, auf der internationalen Ebene zu erreichen. Ist es wirklich ein so großer Erfolg, wenn sich 21 Staaten bereit erklären, bis zum Jahre 1993 ganze 30% weniger SO2 in die Luft zu pusten, oder sich die Bundesregierung verpflichtet, über 50 % Reduktion zu schaffen? Wenn man sich wirklich Klarheit über die Wirkung der vorgeschlagenen Maßnahmen verschaffen will, so müssen zwei Fragen beantwortet werden. Erstens: Werden die Schadstoffminderungen das Waldsterben wirkungsvoll und rechtzeitig stoppen? Zweitens: Wie hoch ist das tatsächliche Minderungspotential, also die Summe aller Möglichkeiten, die SO2-Emissionen auf das geringstmögliche Niveau herunterzudrücken? Es ist bekannt, daß im Jahre 1980 etwa 3,2 Millionen t Schwefeldioxid emittiert wurden. Die Hälfte davon importierten wir vom Ausland her, gaben aber auch den gleichen Anteil an das Ausland ab. Eine Verminderung des Auslandsanteils von 30% würde also 480 000 t weniger importierten Schwefeldioxid bei uns bedeuten, während die Bundesregierung den inländischen Anteil um 1 Million t verringern will. Mit anderen Worten, im Jahre 1993 wird der bundesdeutsche Wald immer noch eine SO2-Belastung von 1,7 Millionen t zu verkraften haben, also immer noch mehr als die Hälfte von 1980. Jeder weiß: Das wird der Wald nicht verkraften. Herr Schmidbauer, auch Sie wissen, es kommt letztlich nicht auf die Emissionen, sondern auf die Immissionen an. Hier ist viel zuwenig getan worden; bei SO2 immerhin noch ein wenig, bei NOx haben wir dort eine Fehlanzeige. Außerdem hat die Bundesregierung von den Ankündigungen, besonders des Herrn Zimmermann, recht wenig umgesetzt. Am 6. September 1983 hieß es, Ziel international koordinierter Umweltaktivitäten sollte es sein, eine Grundsatzrichtlinie „Luftreinhaltung" zu entwerfen, die den Mitgliedsstaaten der EG die Bekämpfung der Luftverschmutzung an der Quelle nach dem jeweils verfügbaren Stand der Technik zur Pflicht machen sollte. Davon ist heute nichts zu spüren. „Stand der Technik" bei Kohlekraftwerken bedeutet eine 90 %ige SO2-Minderung, nicht die lächerlichen, von Ihrer Regierung erwirkten 30 %. Folgerichtig hat der Bundestag der internationalen Umweltpolitik der Regierung am 13. Mai 1986 einen kräftigen Rüffel erteilt, als er zur entscheidenden EG-Richtlinie beschloß: Der Deutsche Bundestag ist allerdings mit dem Bundesrat der Auffassung, daß die im Richtlinienentwurf vorgesehenen Maßnahmen weder im Umfang noch in den zeitlichen Vorgaben ausreichen, um die weitere Versauerung von Gewässern, die Belastung der Böden, das Fortschreiten des Waldsterbens sowie die Zerstörung von Bauten und Denkmälern wirksam einzudämmen und Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Luftverschmutzung nachhaltig entgegenzuwirken. Meine Damen und Herren, nach Tschernobyl hat die Diskussion um das Waldsterben eine weitere Variante erhalten. Wir haben das heute morgen gehört. Mit dem Slogan „Ausstieg bedeutet das Aus für die Wälder" versuchen ausgerechnet diejenigen, die jahrzehntelang die Waldtotengräber der Nation waren, plötzlich den Spieß umzudrehen und uns GRÜNE für das Waldsterben verantwortlich zu machen. Ich sage Ihnen klipp und klar, das wird Ihnen nicht gelingen. Es wird Ihnen nicht gelingen, mit solchen Unterstellungen ihre Negativbilanz in der Energie- und Umweltpolitik aufzupolieren. Durch ein Maßnahmenbündel, das wir im August der Offentlichkeit vorgestellt haben, konnten wir beweisen: Die konsequente Luftreinhaltepolitik der GRÜNEN wird selbst bei einem sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie zu einer drastischen Senkung der Schadstoffemissionen führen. ({0}) Hierzu haben wir über 30 Maßnahmen vorgeschlagen, die kurz-, mittel- und langfristig wirken. Im Jahre 1993 werden gegenüber 1980 nach unseren Vorschlägen bereits 84 % Schwefeldioxid weniger in der Bundesrepublik emittiert. Im Jahre 2000 werden es sogar 96% weniger sein. Das verstehen wir unter einer konsequenten Politik gegen das Waldsterben auch nach Abschalten aller Atomkraftwerke. Danke schön. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Dann bitte ich, dem Vorschlag des Ältestenrats zu folgen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/5387 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden, so daß die Überweisung beschlossen ist. Vizepräsident Cronenberg Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 8 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" - Drucksache 10/6040 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({0}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Ich habe dem Haus eine erfreuliche Mitteilung zu machen. Dazu brauche ich allerdings zunächst einmal die Zustimmung dafür, daß wir in Abweichung von unserer Geschäftsordnung die vorgesehenen Reden zu Protokoll nehmen. - Da sich gegen diesen Vorschlag, der mit den Geschäftsführern abgesprochen ist, kein Widerspruch erhebt, werden wir so verfahren.*) Damit kann ich dann feststellen, daß der von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens", Ihnen vorliegend auf Drucksache 10/6040, an die Ausschüsse überwiesen werden kann, die vom Ältestenrat vorgesehen und in der gedruckten Tagesordnung aufgeführt sind. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung. Ich kann die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 1. Oktober, um 13 Uhr einberufen. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.