Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/9/1986

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich Sie herzlich willkommen heißen. Ich hoffe, daß Sie alle gesund und erholt wieder hier eingetroffen sind. Wie Sie sehen, haben wir die Sommerpause genutzt. Unser Ausweichquartier, offiziell „Ersatzplenarsaal", inoffiziell „Wasserwerk" genannt, ist fertig. Ich finde es gelungen, und ich möchte hier in diesem Saal auch öffentlich den Namen dessen nennen, der für Konzeption und Gestaltung in erster Linie verantwortlich ist: Es ist der Architekt Eberhard Schultz von der Bundesbaudirektion. ({0}) Ich möchte ihm herzlich danken und unsere Anerkennung für diese Arbeit aussprechen. Ebenso danke ich allen anderen Planern, Baumeistern und den Arbeitern, die daran mitgewirkt haben, dieses alte technische Bauwerk in ein funktionsfähiges Gebäude für die Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages umzuwandeln. Einige Kollegen haben mir angedeutet, man werde vielleicht aus diesem Saal gar nicht mehr herauswollen. Angesichts der in Bonn gegebenen Bestandskraft von sogenannten Provisorien mag manches dafür sprechen. Aber wir gehen doch davon aus, daß wir für das Plenum eine Übergangslösung geschaffen haben und nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sind, für den eigentlichen großen Plenarsaal eine angemessene und dauerhafte bauliche Lösung zu finden. ({1}) Ich bin sicher, daß auch danach hervorragende Nutzungsmöglichkeiten für diesen neuen, kleineren Saal vorhanden sein werden. Meine Damen und Herren, die Raummaße hier waren uns vorgegeben. Das bedeutet, daß wir alle etwas zusammenrücken müssen; denn uns steht in diesem Raum weniger als die Hälfte der bisherigen Plenarsaalfläche zur Verfügung. Obwohl sich alle Beteiligten größte Mühe gegeben haben, im Zuge des Umbaus trotz erschwerter räumlicher Bedingungen den hohen Ansprüchen des Parlaments soweit wie möglich Rechnung zu tragen, mußten doch gewisse Abstriche gemacht werden. Ich bitte Sie alle um Ihr Verständnis, daß es sich nicht umgehen ließ, auf feste Plätze für jeden und auf die gewohnten Pulte zu verzichten. Trotz mancher Unzulänglichkeiten, die uns bekannt sind oder sich vielleicht noch herausstellen werden, bin ich doch zuversichtlich, daß wir uns hier in diesem Raum wohlfühlen werden. Vielleicht hat die räumliche Enge sogar ihr Gutes, indem sie unseren gemeinsamen Wunsch fördert, die Debatten lebendiger zu führen. Ich könnte mir z. B. vorstellen, daß in Zukunft häufiger von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, vom Platz aus zu sprechen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, hier im Wasserwerk werden etliche Voraussetzungen und Abläufe anders sein als bisher. Das betrifft die Drucksachenverteilung, das betrifft die Abstimmungen, das betrifft die Betreuung der Besucher des Hauses und vieles mehr, bis auch hin zur veränderten Akustik. Ich möchte Sie deshalb alle herzlich bitten, dafür Verständnis aufzubringen und nicht nur jetzt zu Beginn, sondern auch später im Alltag mitzuhelfen, daß wir unsere Sitzungen möglichst reibungslos durchführen können in gegenseitiger Toleranz und Kooperationsbereitschaft, aber auch mit der notwendigen Disziplin. Ich sage das nicht nur mit Rücksicht auf die beengten und in vielerlei Hinsicht schwierigen Verhältnisse in diesem Haus, sondern genauso im Hinblick auf den nunmehr beginnenden Bundestagswahlkampf, der unser Parlament nicht unberührt lassen wird. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich nun noch die angenehme Pflicht, einige Geburtstagsglückwünsche auszusprechen. Am 15. August 1986 hat der Herr Abgeordnete Dr. Hupka sein 71. Lebensjahr vollendet und am 20. August 1986 Herr Vizepräsident Stücklen sein 70. Lebensjahr. ({2}) Ich darf beiden Kollegen auch bei dieser Gelegenheit noch einmal die besten Wünsche des Hauses übermitteln. Das besondere Ereignis des 70. Ge- Präsident Dr. Jenninger burtstags des Herrn Vizepräsidenten Stücklen werden wir heute abend in der Godesberger Redoute gebührend feiern. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt der heutigen Sitzung auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1987 ({3}) - Drucksache 10/5900 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1986 bis 1990 - Drucksache 10/5901 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Aussprache heute um 18 Uhr, am Mittwoch und am Donnerstag um 19 Uhr sowie am Freitag gegen 12 Uhr beendet werden. Eine Mittagspause ist nur für Mittwoch und Donnerstag jeweils von 13 Uhr bis 14 Uhr vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Bevor ich dem Bundesminister der Finanzen das Wort erteile, muß ich eine amtliche Mitteilung nachtragen. Der Abgeordnete Schröder ({4}) hat am 1. Juli 1986 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Möhring am 8. Juli 1986 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit. ({5}) Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat nunmehr der Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf des Bundeshaushalts 1987 und der Finanzplan bis 1990 setzen den 1982 begonnenen neuen Kurs unserer Politik fort. ({0}) - Schonen Sie Ihre Kräfte! Die werden Sie in den nächsten Monaten noch brauchen, Herr Kollege. ({1}) Er ist bestimmt durch ein zurückhaltendes Wachstum der Ausgaben, eine vergleichsweise niedrige Neuverschuldung und wichtige Schwerpunkte, die der Zukunftssicherung dienen: der Förderung von Preisstabilität und Wettbewerbsfähigkeit wie der beruflichen Chancen vor allem der jungen Generation. Die Bilanz von jetzt fast vier Jahren neuer Finanzpolitik spricht für Kontinuität auch in den Grundlinien des Bundeshaushalts. Kontinuität, Stetigkeit schließt die Bereitschaft ein, veränderte Bedingungen, neue Herausforderungen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Aber Berechenbarkeit und Verläßlichkeit in zentralen Punkten bleiben wichtig, wenn wir Vertrauen in die arbeitenden Menschen, in Investoren und Verbraucher setzen, in ihre Entscheidungen nicht nur für den persönlichen Bereich, sondern auch für die großen Gemeinschaftsaufgaben unseres Volkes. Der Beitrag der Finanzpolitik der letzten Jahre für die wirtschaftliche Trendwende, für die Festigung zuvor erschütterter Sozialsysteme, ({2}) für das erreichte Höchstmaß an Preisstabilität und die seit 1984 wieder zunehmende Beschäftigung war positiv. ({3}) Das wird heute im In- und Ausland, mit Ausnahme der Opposition in diesem Hause, allgemein anerkannt. ({4}) Auch deshalb - ich möchte das den Zwischenrufern der SPD sagen - brauchen wir keinen Wechsel nach der Wende. Meine Damen und Herren der SPD, vor 1982 sind von Ihnen zu viele ungedeckte Wechsel ausgestellt worden, ({5}) die unser Volk noch lange Zeit schwer belasten. ({6}) Es soll nach den Kabinettsbeschlüssen bis 1990 bei einem jährlichen Wachstum der Bundesausgaben von weniger als 3% bleiben. Für 1987 beträgt die geplante Zuwachsrate 2,9%. Daraus ergibt sich ein Ausgaberahmen von 271 Milliarden DM. Der Rahmen für die Nettokreditaufnahme soll bei 24,3 Milliarden DM liegen, rund 600 Millionen DM mehr als in diesem Jahr. Das hat kritische Kommentare der Opposition ausgelöst, die für mich schwer nachvollziehbar sind. ({7}) Meine Damen und Herren, wir haben die Senkung der Lohn- und Einkommensteuer um fast 20 Milliarden DM in zwei Stufen 1986 und 1988 beschlossen, gegen Ihre Stimme. Wir mußten 1986 rund 4 Milliarden DM Steueranteile des Bundes an die Europäische Gemeinschaft übertragen, damit sie nach der Erweiterung ihre wichtigsten Aufgaben solide finanzieren kann. ({8}) - Das sind Tatsachen, Herr Wieczorek, und Sie reagieren gequält. Das ist der Sachverhalt zur Zeit in diesem Hause. - Wir erwarten 1987 einen gegenüber diesem Jahr um 5,7 Milliarden DM niedrigeren Bundesbankgewinn, eine erhebliche fiskalische Einbuße auf Grund sehr positiver Entwicklungen, nämlich eines starken Rückgangs der Zinsen und eines wachsenden internationalen Vertrauens in die Deutsche Mark. ({9}) Schließlich führt der weitere Rückgang der Inflationsrate kurzfristig auch zu Steuermindereinnahmen, die wir unter diesem Vorzeichen im Interesse der Bürger allerdings auch gerne in Kauf nehmen. Ich habe mich selbstverständlich über die Ankündigung der haushaltspolitischen Sprecher von CDU/CSU und FDP gefreut, bei den Einzelberatungen des Entwurfs - wie auch in den Vorjahren - die vorgesehene Nettokreditaufnahme weiter zurückzuführen. Meine Damen und Herren, die Kritik der SPD - wir haben sie j a sehr lautstark vernommen, uns sind j a schreckliche Dinge für heute hier angekündigt worden, Herr Apel - geht an den tatsächlichen Ergebnissen der Konsolidierungspolitik der letzten vier Jahre vorbei. Wir haben bei einer wieder wachsenden Volkswirtschaft die Neuverschuldung bei Bund, Ländern und Gemeinden erheblich verringert. ({10}) - Der eine sagt: Zu wessen Lasten?, und der andere sagt: Immer noch ziemlich hoch! Schon in den Zwischenrufen wird die Verworrenheit Ihrer Position ganz deutlich. ({11}) Aber wenden wir uns vor der Emotion, die heute sicher noch kommt, zunächst einmal den Zahlen zu. Das ist in einer Haushaltsdebatte immer sehr vernünftig. 1982 betrug unser Bruttosozialprodukt, also unsere volkswirtschaftliche Gesamtleistung, rund 1 600 Milliarden DM bei einer Nettokreditaufnahme des Bundes von 37,2 Milliarden DM. 1986 wird das Bruttosozialprodukt voraussichtlich rund 1 950 Milliarden DM erreichen bei einer Neuverschuldung des Bundes von etwa 23 Milliarden DM. ({12}) 1982 nahm die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hände 4,3 % unseres Bruttosozialprodukts, der volkswirtschaftlichen Leistung, in Anspruch. 1986 wird sie noch knapp 2% ausmachen. Das ist ein qualitativer Fortschritt, den Sie mit aller Dialektik nicht aus der Welt schaffen können. ({13}) Herr Kollege Apel, zu Ihren heftigen Attacken der letzten Tage will ich folgendes sagen. ({14}) - Das werden wir sehen. - Die Zahlen von 1982, auch in der Haushalts- und Finanzwirtschaft, sind gleichsam die Schlußbilanz Ihrer Regierungszeit. Was Sie versuchen, ist nicht statthaft. Sie versuchen nämlich immer, ein gewogenes Mittel aus den letzten fünf oder zehn Jahren Ihrer Regierungspolitik einzuführen, um eine miserable Bilanz optisch zu verschönen. Das nehmen wir Ihnen nicht ab. ({15}) Im übrigen müssen sich die Sozialdemokraten zunächst einmal selbst auf ihre kritischen Maßstäbe verständigen. Die einen wollen uns - wir werden das heute erleben - mit fragwürdigen Rechnungen als die großen Schuldenmacher darstellen; ({16}) die anderen stimmen in den Vorwurf einiger ausländischer Kritiker ein, wir sollten eine expansivere Finanzpolitik betreiben, also mehr Kredit aufnehmen, mehr Schulden machen. Sie müssen sich entscheiden, von welcher Position aus Sie kritisieren wollen. ({17}) - Wenn Sie „Nein!" rufen, dann will ich Sie einmal an die Erklärungen des finanzpolitischen Sprechers Ihrer Fraktion, des Kollegen Spöri, vom 5. August erinnern. Wir konnten am 6. August in den deutschen Zeitungen lesen, daß der Obmann der SPDBundestagsfraktion im Finanzausschuß, Herr Spöri, ({18}) in diesem Punkt die amerikanische Kritik an der Finanzpolitik der Bundesrepublik Deutschland für richtig hielt. ({19}) Er hat zustimmend darauf hingewiesen, daß die japanische Regierung - auf amerikanischen Druck, wie er sagte - ein massives Konjunkturprogramm zur Belebung der Binnennachfrage und zum Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte beschlossen hat. Jeder weiß, daß auch in Japan dies nur durch eine erhöhte Kreditaufnahme möglich war. Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie Schluß machen mit Ihren Rechnungen, daß wir zuviel Schulden machten. Nur eines von beidem kann stimmen. ({20})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Spöri, bei der Einbringungsrede gibt es nach unserer Geschäftsordnung keine Zwischenfragen. ({0}) - Meine Damen und Herren, die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gilt auch hier in diesem Saale noch. ({1})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Jetzt erregen sich einige schon über die Geschäfts17582 ordnung. Wir haben schon erstaunliche Dinge vor uns. Meine Damen und Herren, in den kommenden Jahren geht es darum, weiteren Spielraum für Steuersenkungen, für eine anspruchsvolle Steuerreform zu gewinnen. Nur in Verbindung mit einer solchen wachstums- und beschäftigungsfördernden Steuerpolitik erscheint eine vorübergehende begrenzte Erhöhung der Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hände vertretbar. Als wir im Herbst 1982 Regierungsverantwortung übernahmen, ging es um die alles entscheidende Frage, ob es gelingen würde, bei Bürgern und Verbrauchern, Sparern und Investoren neues Zukunftsvertrauen zu schaffen. Ein überzogener Glaube an die Gestaltungsmöglichkeiten des Staates und die Geringschätzung privater Initiative und privaten Erfindungsreichtums hatten zu einer nachhaltigen Schwäche der Konstitution unserer Volkswirtschaft geführt. Das Ergebnis war nicht erst seit 1981 in der Rezession eine riesige Investitions- und Arbeitsplatzlücke. ({0}) Es gab zunehmend Zweifel, ob das einstige Wirtschaftswunderland Deutschland seinen Platz unter den Spitzenländern der Weltwirtschaft würde behalten können. In dieser Situation war vor allem die Finanzpolitik gefordert. Sie mußte das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen, einen neuen Gleichklang mit der Geld- und Kreditpolitik erreichen, die Überlastung des Kapitalmarktes durch eine ausgeuferte öffentliche Verschuldung beenden. Sie mußte vor allem auch den ordnungspolitischen Grundlagen unseres Wirtschaftssystems neue Geltung verschaffen. In meiner ersten Haushaltsrede im Deutschen Bundestag im November 1982 ({1}) hatte ich den Ausgangspunkt unserer Aufgabe so beschrieben: Die Gesundung der Wirtschaft, die Sanierung der öffentlichen Finanzen und der sozialen Sicherungssysteme, die Lösung der Arbeitsmarktprobleme können nur in einer großen, über mehrere Jahre wirksamen Gemeinschaftsleistung erreicht werden. Patentrezepte gibt es nicht, und manche Einzelschritte werden in einer offenen und demokratischen Gesellschaft immer kontrovers bleiben. Aber unbestreitbar ist, daß eine Umverteilung zugunsten der Arbeitsplätze schaffenden und sichernden Investitionen zu den vordringlichsten Aufgaben gehört. ({2}) Meine Damen und Herren, die Bilanz, die wir heute, 1986, vorlegen, ist positiv. ({3}) Erstens. Seit der Jahreswende 1982/83 befindet sich die deutsche Wirtschaft auf Wachstumskurs mit einem Basistrend von rund 3%. ({4}) Die Kraft des Aufschwungs ist ungebrochen und erhält jetzt einen neuen Schub. Sie können heute in den Zeitungen die letzte Analyse des angesehenen Münchener Info-Instituts lesen. Sie geht auf Grund der letzten Daten von einem anhaltenden, sich verstärkenden Aufschwung auch über das Jahresende hinaus und einer weiteren Verbesserung der Beschäftigung aus. ({5}) Herr Kollege Apel, ich habe eine Agenturmeldung gelesen, danach haben Sie heute morgen in einem Rundfunkinterview gemeint - wenn die Agenturmeldung korrekt ist -, daß wir die Gefahr einer Rezession für das nächste Jahr sehen müssen. ({6}) Diese Aussage ist nach meiner Überzeugung unzutreffend. ({7}) Wenn Sie vor Ihrem Interview die Morgenzeitungen gelesen hätten, hätten Sie z. B. einen Bericht in der „Financial Times" lesen können, der folgendes sagt: Der international hoch angesehene wirtschaftswissenschaftliche Stab des Internationalen Währungsfonds hat in diesen Tagen seine Wachstumsprognosen für die großen Industrieländer neu bestimmt. Er geht mit einer sorgfältigen Begründung davon aus, daß wir im nächsten Jahr ein reales Wachstum von 3,2 % erzielen können. - Nun ist jede Einzelanalyse im Sommer oder im Frühherbst immer noch mit Ungewißheiten behaftet. Aber das, was dieser hochangesehene Stab des Internationalen Währungsfonds in Washington über unsere Perspektiven und Aussichten veröffentlicht hat, ist heute die wirtschaftswissenschaftlich vorherrschende Meinung. Die Opposition sollte kritisieren; aber Angst als Prinzip für Ihren Wahlkampf ist ein schlechter Ratgeber und wird Ihnen nicht bekommen. ({8}) Die in den ersten Jahren des Aufschwungs dominierende Rolle des Exports ist mittlerweile von den Investitionen und von dem privaten Verbrauch übernommen worden. Unsere Volkswirtschaft hat wieder innere Kraft und Substanz gewonnen. Alle Prognosen gehen davon aus, daß sich der Aufschwung über dieses Jahr hinaus auch 1987 fortsetzt. Zweitens. Das Wirtschaftswachstum vollzieht sich bei Preisstabilität und damit ohne Gefahr eines Rückschlags durch Zielkonflikte zwischen der Geld- und der Finanzpolitik. Das ist die wichtigste Voraussetzung für eine nicht nur verbal, sondern tatsächlich soziale Politik und eine verläßliche EntBundesminister Dr. Stoltenberg Scheidungsgrundlage für Sparer, Investoren und Verbraucher. ({9}) Was stabile Preise z. B. für die Sparer konkret bewirken, zeigen die folgenden Zahlen. 1981 - in Ihrer Regierungszeit - haben sie auf ihre Ersparnisse rund 82 Milliarden DM an Zinsen erhalten. Das entsprach damals einem durchschnittlichen Zinssatz von 6,5%. Gleichzeitig hatten wir in jenem Jahr eine Inflationsrate von 6,3%. Das bedeutet, daß 97% - oder, in absoluten Zahlen, 80 Milliarden DM - der gesamten Zinsgutschriften für die Sparer durch die Inflation wieder aufgezehrt wurden. In diesem Jahr werden die Sparer auf Grund der gestiegenen Sparleistung rund 100 Milliarden DM Zinsen erhalten. Davon wird ihnen nichts durch die Inflation weggenommen. Das ist soziale Politik, meine Damen und Herren. ({10}) Denn die Sparer, die ihr Geld zur Sparkasse bringen, die Sparbriefe kaufen, die Schatzbriefe kaufen, sind nicht die sogenannten Reichen, sondern im wesentlichen die kleinen Leute, ({11}) die besser als Sie wissen, was Geldwertstabilität für sie bedeutet. ({12}) Drittens. Die anfänglichen Einschränkungen durch Konsolidierungs- und Stabilitätspolitik zahlen sich jetzt für alle, insbesondere für Arbeitnehmer und ihre Familien, in steigenden Realeinkommen aus. Nach Jahren schmerzhafter Einbußen an realer Kaufkraft - allein von 1980 bis 1982 gab es ein Minus von 3,9% - steigen 1986 die Nettoreallöhne je Beschäftigten um rund 4%. Das ist der stärkste Zugewinn seit 16 Jahren. In absoluten Beträgen bedeutet dies, daß die Arbeitnehmer in diesem Jahr durchschnittlich 900 bis 950 DM real mehr ausgeben oder sparen können als im vergangenen Jahr. ({13}) Auch bei Renten und Sozialleistungen kommt es 1986 wieder zu einem spürbaren Zuwachs der verfügbaren Einkommen. - Nein, Herr Kollege, zu Ihrem Zwischenruf will ich Ihnen nur sagen: Wir haben bereits vor der Ölpreissenkung die Inflationsrate von über 5,5% im Jahre 1982 auf 2% zurückgeführt. Den größeren Teil der Leistungen haben wir mit unserer Politik vollbracht. ({14}) Die Ölpreissenkung kommt jetzt sozusagen mit einem weiteren Schub noch hinzu, der allen hilft. ({15}) Noch wichtiger ist aber, daß auch Renter und Sozialleistungsempfänger hiervon profitieren, ({16}) daß die Rentenversicherung, die vor vier Jahren kurz vor dem finanziellen Zusammenbruch stand, wieder auf eine sichere Grundlage gestellt ist. ({17}) Wir sind damit in der Lage, das notwendige langfristige Rentenkonzept für die nächsten beiden Generationen sorgfältig zu erarbeiten. ({18}) - Darf ich weiterreden, Herr Kollege? Viertens. Die Rückführung der öffentlichen Neuverschuldung hat die Kredit- und Kapitalmärkte erheblich entlastet. Im Jahre 1982 beanspruchte die Nettokreditaufnahme aller staatlichen Ebenen in Höhe von 70 Milliarden DM fast 40% des gesamten Kapital- und Kreditangebots. 1985 waren es nur noch rund 20%. Das ist keine graduelle Verbesserung, sondern ein qualitativer Sprung zu einem Kapitalmarkt, auf dem die privaten Investoren und Nachfrager und nicht die öffentlichen Hände den Ton angeben. ({19}) Die neue Ergiebigkeit der Kapitalmärkte zeigt sich in deutlich verlängerten Laufzeiten und in Zinssätzen, die heute nur noch etwa halb so hoch sind wie vor fünf Jahren. Fünftens. Die privaten Investitionen sind wieder der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Es ist heute lohnender, in Sachkapital und damit in Arbeitsplätze zu investieren als in risikolose Staatspapiere. ({20}) Heute übertreffen die Sachrenditen die Renditen von Finanzanlagen um rund 5 Prozentpunkte. 1982 hatten umgekehrt die Finanzanlagen noch einen Vorsprung von 4 Prozentpunkten. Das ist unserer Volkswirtschaft nicht gut bekommen. Besonders kräftig entwickeln sich die Ausrüstungsinvestitionen der Industrie. Sie werden voraussichtlich 1985 und 1986 zusammen um real rund 20 % zunehmen. Das ist das beste Ergebnis seit anderthalb Jahrzehnten. Erfreulicherweise nimmt auch die Zahl der arbeitsplatzschaffenden Erweiterungsinvestitionen dabei erheblich zu. Auch die Sachinvestitionen der öffentlichen Hand, die zu rund zwei Dritteln von den Gemeinden vorgenommen werden, wachsen wieder an. ({21}) Die arbeitsplatzschaffende Veränderung des Sozialprodukts hin zu mehr Investitionen ist in Gang gekommen. Sechstens. Die gemeinsamen Anstrengungen von Staat, Wirtschaft und Tarifparteien finden jetzt in einer zunehmenden Zahl an Arbeitsplätzen ihren Ertrag. Seit dem Tiefpunkt der Beschäftigung ist von Anfang 1984 bis Ende 1985 die Zahl der Arbeitsplätze um rund 300 000 gestiegen. In diesem Jahr werden voraussichtlich weitere 300 000 dazukommen. Das ist ein Anstieg von etwa 600 000 in knapp drei Jahren. Die Zahl der Kurzarbeiter ist seit Anfang 1983 um fast eine Million gesunken. ({22}) Die vorhandenen Arbeitsplätze sind durch neue Investitionen und Innovationen zukunftssicherer und wettbewerbsfähiger gemacht worden. Seit Januar dieses Jahres liegt nun auch die Arbeitslosenzahl unter dem jeweiligen Vorjahreswert, und diese Tendenz verstärkt sich. Die Zahl der männlichen Arbeitslosen sinkt, übrigens schon seit Mitte letzten Jahres. Anders ist die Entwicklung bei den Frauen: Ihre Beschäftigtenzahl ist prozentual sogar noch stärker gewachsen als die der Männer, zugleich ist aber die Arbeitsplatznachfrage der Frauen noch nachhaltiger gestiegen, ({23}) so daß die Zahl der als arbeitslos gemeldeten Frauen im Saldo bisher leicht zugenommen hat. Ich stelle das einmal ohne Wertung fest. Es zeigt aber, daß den strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muß. Meine Damen und Herren, der ausschließliche Blick auf die Globalzahlen läßt auch andere wichtige Entwicklungen außer acht. Trotz einer Arbeitslosenzahl von insgesamt immer noch mehr als zwei Millionen treten in manchen Branchen und Regionen bereits deutliche Zeichen von Arbeitskräftemangel auf - und dies nicht nur bei qualifizierten Berufen. Der Versuch der SPD - in Nürnberg unternommen -, die heutige Lage auf dem Arbeitsmarkt generell mit dem Begriff der Massenarbeitslosigkeit zu etikettieren und damit die Erinnerung an die Krise am Anfang der 30er Jahre heraufzubeschwören, ist analytisch unzutreffend und verstellt den Blick für eine wirksame Arbeitsmarktpolitik. ({24}) Das Erreichte ist für uns kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Unsere Anstrengungen müssen angesichts noch ungelöster Probleme und neuer Herausforderungen weitergehen. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor viel zu hoch. Sie noch nachhaltiger abzubauen, bleibt vorrangiges Ziel unserer Politik. ({25}) - Ich kann mich nach dem Gesagten über Ihre Zwischenrufe nur wundern, meine Damen und Herren. Erschwert wird diese Aufgabe durch strukturelle Probleme, wie wir sie jetzt etwa in der Krise der Werften, im Bereich der Landwirtschaft haben, die von den Betroffenen ohne flankierende Hilfe des Staates nicht bewältigt werden kann. ({26}) Entscheidend ist jedoch, daß wir - trotz gezielter Hilfen zur Förderung solcher Anpassungen - unsere Kräfte auch künftig darauf konzentrieren, eine weitere Festigung und Verbreiterung des neu geschaffenen wirtschaftlichen Fundaments zu erreichen. Wir müssen unsere Volkswirtschaft weiter modernisieren. Wer aus Wissenschaft und Technik und ihrer Anwendung aussteigen will, nimmt uns jede Zukunftsperspektive zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme. ({27}) Wir müssen unsere Volkswirtschaft wettbewerbsfähig halten und diese Wettbewerbsfähigkeit, soweit wir Einbrüche haben, wiedergewinnen, damit unser Gemeinwesen auch dann bestehen kann, wenn einmal wieder schwerere Wetter heraufziehen sollten. Die Koalition sieht einen entscheidenden Ansatz hierfür in einer umfassenden Steuerreform, die die überhöhte Steuerbelastung bei Bürgern und Wirtschaft weiter zurückführt und die Steuerstruktur nachhaltig verbessert. ({28}) Das ist die wichtigste finanzpolitische Aufgabe der kommenden Wahlperiode. Wir sehen darin auch den unmittelbarsten und besten Weg, um neue Kräfte für mehr Innovation und wirtschaftliche Dynamik freizusetzen. In der in Nürnberg bekräftigten Ablehnung der SPD, Steuerlast und Staatsanteil zu senken, wird die grundsätzliche Gegenposition zu unserer Politik deutlich. ({29}) Wir wollen in der Tat weniger Staat - d. h. konkret: weniger Administration und weniger Steuern -, weil wir der Ansicht sind, daß die meisten Menschen fähig sind, zu entscheiden, wie sie ihr Leben in Selbstverantwortung gestalten wollen. ({30}) Wir gehen auch davon aus, daß die Bürger am besten wissen, wofür und zu welchem Zweck sie ihr Geld ausgeben wollen. ({31}) Wir sind aber nicht nur der Ansicht, daß die Menschen zur freien sittlichen Entscheidung in der Lage sind, sondern daß sie diese Freiheit auch wollen. Ich glaube nicht, daß der bevormundete Mensch das Bild der Zukunft sein kann. ({32}) Wir glauben, daß mehr Raum für selbstverantwortliche Entscheidung letztlich zu einer höheren Lebensqualität der Bürger führt. ({33}) - Sie müssen mir doch gestatten, die Grundgedanken unserer Gesellschafts- und Finanzpolitik hier einmal vorzutragen. Wenn Sie die nicht einmal mehr anhören können, dann ist das ein schlimmes Zeichen von Intoleranz, meine Herren. ({34}) Fraglos gibt es auch in einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung immer wieder Fehlentwicklungen und falsche Entscheidungen. Unzulänglichkeiten und Fehlverhalten werden unsere menschliche Existenz immer begleiten. ({35}) - Ja, auch bei uns, aber bei Ihnen ist das besonders ausgeprägt, sehr verehrter Herr Kollege. Eine soziale Marktwirtschaft, in der sich persönliche Initiative im Wettbewerb nicht nur von Produkten und Dienstleistungen, sondern auch von Ideen und sozialem Engagement entfalten kann, ist eher als andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen in der Lage, mit neuen Herausforderungen fertig zu werden. Das Gleichgewicht zwischen staatlicher und privater Aufgabenerfüllung wird in einer dynamischen Gesellschaft immer wieder zur Diskussion stehen. ({36}) Eines steht für mich aber außer Frage: Mit einem Verhältnis der Staatsausgaben zum Bruttosozialprodukt von immer noch rund 47 % und einer Abgabenquote von über 42 % liegen wir weiterhin über dem, was notwendig und vertretbar ist. ({37}) Wir haben das Defizit entscheidend verringert und damit den Spielraum, durch Steuersenkung auch die Abgabenquote zu verringern. ({38}) - Herr Vogel, seien Sie vorsichtig mit diesen Rechnungen! Ich komme noch auf einige dieser Rechnungen zurück. Daß dies in zwei Phasen geschehen muß, ist j a auch Ihnen erkennbar. Zunächst mußten wir dieses unerträgliche Defizit verringern, und jetzt geht es darum, die Steuer- und Abgabenquote zu senken. Das ist die Reihenfolge der Aufgaben. Ich werde aber noch Gelegenheit haben, wenn wir Ihre Rechnung gehört haben, im Rahmen der Debatte dazu im einzelnen Stellung zu nehmen. Ich kündige ausdrücklich an, daß ich das vorhabe. ({39}) - Nein, das brauchen Sie nicht. Es ist nur eine Anregung, Ihre Unterlagen noch einmal etwas sorgfältiger zu studieren, Herr Kollege Vogel. ({40}) Nach Ihren Nürnberger Reden kann ich Ihnen das nur dringend empfehlen. ({41}) - Nein, aber ich habe das mit Interesse verfolgt. ({42}) Es gibt für uns viele Anregungen zur kritischen Auseinandersetzung mit Ihnen. Das ist das Kennzeichen Ihres Parteitages gewesen. Wir brauchen nur einen Blick zurück auf die eigene Nachkriegsgeschichte zu werfen oder uns bei unseren wichtigsten Handelspartnern umzusehen. Ein leistungsfähiges, sozial verpflichtetes Staatswesen ist durchaus nicht darauf angewiesen, fast die Hälfte des Sozialprodukts durch seine Hände zu leiten. Dies hat nichts mit einer „weitgehenden Reprivatisierung der großen Lebensrisiken wie Alter, Gesundheit und Arbeitslosigkeit" zu tun, wie die Opposition kürzlich behauptet hat. Meine Damen und Herren, das Sozialbudget, die Summe aller sozialen Leistungen des Staates einschließlich der Sozialversicherung, erreicht in diesem Jahr mit 604 Milliarden DM einen neuen Höhepunkt. Auch das ist ein Datum in der Debatte über soziale Politik. Das sind 15% mehr als 1982. Die staatlichen Einkommensleistungen werden sich allein 1986 um über 6 % erhöhen - und dies, wie gesagt, bei stabilen Preisen. 1982, im letzten Jahr der sozialdemokratischen Regierung, stiegen die Einkommensleistungen gerade noch um 21/2% bei einer Inflation von 51/2 %. Klarer als mit diesem Zahlenvergleich kann im Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre nicht demonstriert werden, wer wirklich soziale Politik betrieben hat. ({43}) - Nein, das sind die Unterlagen des Statistischen Bundesamtes. Wenn Sie das schon zu einer Märcheninstitution erklären, haben Sie sich weit vom Boden der Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland entfernt, meine Herren. Das läßt schlimme Erwartungen für die kommenden Monate wach werden. ({44}) Wir wollen keinen überbordenden Staat, der willfährig einer Fülle von Einzelinteressen dient. Unser Staat soll seine Ansprüche begrenzen, aber handlungsfähig sein. Er soll seine eigentlichen Aufgaben wirksam erfüllen, Rahmenbedingungen setzen, Regionalpolitik gestalten, Wissenschaft und Forschung tatkräftig fördern und die sozialen Sicherungssysteme festigen und verläßlich erhalten. ({45}) Überhöhte Steuern und Abgaben lähmen die Leistungs- und Risikobereitschaft des einzelnen Bürgers .und schwächen die Anpassungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Auch nach dem Steuersenkungsgesetz 1986/88 ist der Verdienst aus Tarifverträgen, persönlicher Mehrleistung und beruflichem Aufstieg immer noch zu hoch belastet. 1960 befanden sich nur 5% der be17586 rufstätigen Steuerzahler in der Progressionszone des Einkommensteuer- und Lohnsteuertarifs. 1970 waren es fast 35%. 1990 werden es 70% sein. Der Anteil der direkten Steuern auf Arbeit und unternehmerische Tätigkeit am Gesamtsteueraufkommen beläuft sich heute auf fast 60 % gegenüber 50% in der Nachkriegszeit. Grenzbelastungen mit Steuern und Abgaben der Berufstätigen von 40 %, 50 % oder gar 60 % sind weit verbreitet, bei Arbeitnehmern wie bei Selbständigen. Meine Damen und Herren, die Zunahme der Schwarzarbeit, die schleichende Abwanderung in die Schatten- und Untergrundwirtschaft ist besorgniserregend. Jüngste Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeit zeigen, daß bis zu 190 Milliarden DM oder 10 % des Bruttosozialprodukts ohne die Entrichtung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen erbracht werden. ({46}) Schwarzarbeit ist nicht nur eine schwere volkswirtschaftliche Last und eine Frage des Verlustes öffentlicher Einnahmen; sie ist vor allem ein moralisches, ein sozial-ethisches Problem. Es vollzieht sich hier ein schleichender, aber gefährlicher Prozeß der Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft. ({47}) Wir sehen hier einen Zusammenhang. Es geht in den kommenden Jahren deshalb auch darum, die bereits in dieser Legislaturperiode eingeleitete steuerpolitische Neuorientierung mit einer weiterreichenden Reform fortzusetzen. Im Jahreswirtschaftsbericht 1986 hat die Bundesregierung die Eckpunkte für eine umfassende Steuerreform dargestellt. Der Leitgedanke heißt: besser niedrige Steuersätze mit weniger Ausnahmen als hohe Steuersätze mit vielen Ausnahmen. Diesen Weg - ich sage das unseren Kritikern aus der SPD - beschreiten auch andere wichtige Industrieländer, auch solche, in denen Sozialdemokraten regieren, vor allem jetzt aber die Vereinigten Staaten von Amerika. Fast überall setzt sich die Erkenntnis durch, daß ein einfacheres Steuersystem mit niedrigeren Tarifen die Arbeitsfreude und Leistungsbereitschaft der Menschen besser anerkennt und damit motiviert und die Risikobereitschaft und Investitionsfähigkeit der Unternehmen erhöht. Nicht die Geschicklichkeit im Umgang mit dem Steuerrecht, sondern die berufliche Leistung und die Risikobereitschaft zu Investitionen und neuen Arbeitsplätzen müssen wieder stärker honoriert werden. ({48}) Daher muß es bei dieser Steuerreform auch um einen Abbau von Steuervergünstigungen und Sonderregelungen gehen. ({49}) Weniger Ausnahmeregelungen wären nicht nur ordnungspolitisch ein Fortschritt, sondern auch ein Beitrag zur Steuervereinfachung und letzten Endes zu mehr Steuergerechtigkeit. ({50}) In den Mittelpunkt aller unserer Überlegungen stellen wir den Lohn- und Einkommensteuertarif. Er greift in seiner Wirkung am weitesten, weil durch Tarifsenkung alle Steuerpflichtigen entlastet werden. Unsere Zielvorstellung ist ein linear-progressiver Tarifverlauf, verbunden mit einer deutlichen Anhebung des Grundfreibetrags und einer weiteren Verbesserung der Kinderfreibeträge. Die Einkommensteuer sollte auch deshalb im Mittelpunkt der steuerpolitischen Überlegungen stehen, weil sie zugleich die wichtigste Unternehmenssteuer ist. Neun von zehn Unternehmen sind Einzelfirmen, vor allem im Mittelstand, deren Gewinn unmittelbar bei den Unternehmern oder Mitunternehmern versteuert wird. Die Bundesregierung strebt zudem eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes an. Wir würden damit bei dieser wichtigsten direkten Unternehmenssteuer den internationalen Entwicklungen folgen und die Stellung unseres Landes als attraktiven Produktionsstandort verbessern. Dazu gehört auch eine weitere Rückführung bei den ertragsunabhängigen Steuern. Meine Damen und Herren, eine durchgreifende Steuerreform mit den hier kurz skizzierten Eckpunkten erfordert ein deutlich größeres Finanzvolumen als das Steuersenkungsgesetz 1986/88. Es ist klar, daß eine Größenordnung von etwa 40 Milliarden DM nicht ohne einen Teilausgleich finanziert werden kann. ({51}) Je weiter wir bei der Rückführung von Steuersubventionen und Sonderregelungen kommen, desto weniger brauchen wir die Anhebung einzelner Verbrauchsteuern in das Konzept einzubeziehen. ({52}) - Wenn Sie sich darüber amüsieren, muß ich Ihnen in Erinnerung rufen - auch Ihnen, Herr Apel -, daß in Ihrer Regierungszeit die Verbrauchsteuern um über 30 Milliarden DM angehoben worden sind, ohne eine angemessene Reform bei der Einkommen- und Lohnsteuer. ({53}) - Ich könnte Ihnen die Statistiken nachweisen: Verbrauchsteuern einschließlich Mehrwertsteuer. In diesen Grundfragen künftiger Steuerpolitik gibt es einen klaren Gegensatz zur sozialdemokratischen Opposition. ({54}) Die schon erwähnten Beschlüsse des SPD-Parteitages würden für die Mehrzahl der arbeitenden Menschen nach wenigen Jahren zu einem unerträglichen Anstieg der Grenzbelastung führen, deren Verringerung eine vorrangige Aufgabe aus Gründen der Gerechtigkeit ist. Offiziell wollen Sie, meine Damen und Herren der SPD, die Bürger als Alleinstehende mit einem steuerpflichtigen Einkommen ab 60 000 DM durch eine Ergänzungsabgabe zusätzlich zur Kasse bitten. ({55}) Tatsächlich würde diese Mehrbelastung aber bereits früher eintreten. Nach einer Berechnung der zuständigen Beamten des Bundesfinanzministeriums ({56}) - Was heißt hier „Aha"? Das sind bewährte, anerkannte Beamte, die von meinen Vorgängern in ihre Positionen berufen worden sind. Was haben Sie eigentlich gegen diese Experten? ({57}) Nach einer Berechnung der zuständigen Beamten des Bundesfinanzministeriums hätten die Forderungen der Sozialdemokraten für die Neugestaltung des Steuertarifs 1988 gegenüber unserem Gesetzesbeschluß folgende Wirkungen: Ein lediger ({58}) - Also, Sie sind schon in Opposition, bevor Sie die Zahlen kennen. Der Zustand der Daueropposition gegen alle Tatsachen und Berechnungen ist wirklich ein beklagenswerter. Ich muß Ihnen das sagen. ({59}) Ein lediger Arbeitnehmer mit einem steuerpflichtigen Einkommen von 41 000 DM soll nach Ihrem Vorschlag 1988 gegenüber unserem Gesetzesbeschluß für kurze Zeit um 38 DM jährlich bessergestellt werden. Aber die Grenzbelastung wird auch für ihn höher. Sein Kollege mit einem steuerpflichtigen Einkommen von 48 000 DM würde nach Ihren Vorstellungen schon 1988 um 344 DM zusätzlich belastet werden. Bei einem steuerpflichtigen Einkommen von 60 000 DM erhöhte sich dieser Betrag 1988 auf 1 898 DM. Meine Damen und Herren, auch der Arbeitnehmer mit heute 38 000, 40 000 oder 42 000 DM als Alleinstehender kann sich ausrechnen, daß er bei dieser Kurve, bei dieser Grenzbelastung, die Sie vorsehen, schon nach zwei, drei Tarifrunden von der SPD härter belastet würde als nach dem von uns in Kraft gesetzten Tarif für 1988. Der immer wieder verkündete Anspruch der Opposition, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten oder der sozialen Gerechtigkeit zu dienen, erweist sich in der Finanzpolitik als völlig unglaubwürdig. ({60}) Bei allen Planungen zur steuerlichen Entlastung darf die Problematik der Sozialabgaben nicht in den Hintergrund treten. Steuersenkungen verlieren ihre Wirkung, wenn ihr Ergebnis durch höhere Sozialversicherungsbeiträge wieder beeinträchtigt wird. ({61}) Die Sozialabgaben zu stabilisieren erfordert vor allem grundlegende Entscheidungen im Gesundheitswesen. „Aha", sagen Sie, Herr Kollege Vogel. ({62}) - Die Sozialabgabenquote ist von 1969 bis 1982 um fast 6 % unseres Bruttosozialprodukts angestiegen. (Dr. Vogel [SPD]: In Ihren vier Jahren um 3 ({63}) - Nein, Ihr Zwischenruf ist sachlich unrichtig. Wir können uns nachher darüber unterhalten. ({64}) - Selbst die Herren, die ihn gar nicht gehört haben, lachen darüber. So weit geht die Solidarität bei den Genossen. Das ist schon eindrucksvoll. ({65}) Meine Damen und Herren, Steuerentlastungen setzen die Fortsetzung der bisher sparsamen und verläßlichen Haushaltspolitik voraus. Auch im Haushaltsvollzug 1986 verfolgen wir konsequent diese Linie. Unabweisbare Mehrausgaben von rund 1 Milliarde DM, die durch die Ausgleichszahlungen nach dem sowjetischen Reaktorunglück und durch die notwendigen Hilfsmaßnahmen für die deutsche Landwirtschaft begründet sind, werden wir mit Hilfe der beschlossenen Haushaltssperre auffangen können. Auf der Einnahmeseite kommen in diesem Jahr die dem Bund zustehenden Steuern bei jetzt sogar sinkenden Preisen etwas langsamer auf als veranschlagt. Bei den Verwaltungseinnahmen zeichnen sich jedoch Mehreinnahmen ab. Ich bin zuversichtlich, daß wir deshalb insgesamt einen positiven Abschluß für dieses Haushaltsjahr erreichen werden - im Rahmen der bewilligten Nettokreditaufnahme. Mit 271 Milliarden DM liegt das vorgesehene Haushaltsvolumen für 1987 nur um knapp 11 % über den Ausgaben von 1982. Im gleichen Zeitraum steigt das Bruttosozialprodukt mit voraussichtlich 28% nahezu dreimal so schnell. Werfen wir einen Blick zurück auf die fünf Jahre vor 1982, so war es damals genau umgekehrt: Die Zunahme der Bundesausgaben lag erheblich über dem Wachstum der volkswirtschaftlichen Leistung. Die ständige Ausdehnung des staatlichen Sektors, die von der SPD nach wie vor als politisches Ziel proklamiert wird, mündete seinerzeit in den fatalen Teufelskreis steigender Staatsquoten und zunehmender Haushaltsdefizite ({66}) und endete letztlich in der Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktkrise zu Beginn der 80er Jahre. ({67}) Meine Damen und Herren, ein Neubeginn und eine Neuorientierung war deshalb erforderlich. Wichtige Ergebnisse habe ich beschrieben. Wir richten unsere Bemühungen jetzt zunehmend auf die Verbesserung der Struktur des Bundeshaushalts. Auch hier sind wir vorangekommen, auch wenn wir nicht alle Ziele erreicht haben. Wir haben den Abbau beschäftigungswirksamer Investitionen gestoppt und den überproportionalen Anstieg der Personalausgaben und Zinsausgaben deutlich abgebremst. Herr Kollege Apel, auch zu Ihren öffentlichen Erklärungen will ich Ihnen sagen: Im Bundeshaushalt sind 1987 investive Mittel in Höhe von 34,9 Milliarden DM eingeplant. Das sind 3 Milliarden DM mehr als 1982. Hinzu kommen aber die Investitionen der Sondervermögen Bahn und Post ({68}) mit voraussichtlich 25 Milliarden DM im Jahre 1987. - Ja nun, Sie haben seit 1982 eine wesentlich höhere Steigerungsrate. Es sind nämlich 81/2 Milliarden DM mehr als 1982. Wenn Sie diese Gesamtleistung des Bundes für Investitionen - Etat, Bahn und Post - zusammennehmen, dann muß ich feststellen, daß es falsch ist, wenn die Sozialdemokraten immer wieder behaupten, die Investitionen oder die Investitionsquote des Bundes sei abgesunken. Diese Behauptung ist unzutreffend. ({69}) - Aber Herr Kollege Apel, wir wollen doch keine Silbenstecherei betreiben. ({70}) Wenn wir die Gesamtinvestitionen des Bundes im Etat plus Post und Bahn zusammennehmen, kommen wir zu einem deutlichen Anstieg der Investitionen und der Investitionsquote. ({71}) - Nein, Investitionen, ob im Bundeshaushalt oder von der Bundespost getätigt, haben dieselbe volks- und arbeitsmarktpolitische Wirkung, unabhängig davon, in welchem Einzelplan oder Sondervermögen sie etatisiert sind. ({72}) Mein Rat ist ja nur, sich nicht ausschließlich auf die Einzelpläne des Etats im engeren Sinne zu beschränken. ({73}) - Ja, gut, ich darf Ihnen diesen Vorschlag machen und mit guten Argumenten begründen. Ich will Ihnen einmal zu Ihrer Kritik, die ich in der Presse hinsichtlich der schrittweisen Zurückführung der Mittel des sozialen Wohnungsbaus gelesen habe, sagen: Sie müssen sich nun wirklich daran erinnern, was die von Ihnen gestellte Regierung eingeleitet hat. Der Kollege Matthöfer hat als Bundesfinanzminister 1981 zu Protokoll gegeben - das können Sie j a nachlesen -, daß mit der damals erfolgten Verständigung mit den Ländern der Rückzug des Bundes aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus geboten sei. Sie haben damit begonnen; wir setzen das fort, und wenn wir dies fortsetzen, dann ist die Kritik aus Ihrer Richtung angesichts dieser Ausgangslage doch total unglaubwürdig. ({74}) Die Deutsche Bundespost will Ihre Investitionen in Sachanlagen - nach einer über 13%igen Steigerung im Vorjahr - im laufenden Jahr noch einmal um knapp 8 % erhöhen. Erhebliche zusätzliche Impulse gehen auch von dem ERP-Sondervermögen und den verbesserten Kreditangeboten der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank - insbesondere für den Umweltschutzbereich und kommunale Vorhaben - aus. Meine Damen und Herren, die notwendige Anpassung der Bauwirtschaft haben wir durch eine Reihe von Entscheidungen - vor allem im letzten Jahr - wirksam unterstützt. Heute sind Bauindustrie und -handwerk nach schweren Jahren aus der Talsohle heraus. ({75}) Die Nachfrage nach Bauleistungen hat sich im ersten Halbjahr 1986 spürbar belebt. Bis Mitte des Jahres nahmen die Aufträge im Bauhauptgewerbe um 9 % zu; im gewerblichen und industriellen Wirtschaftsbau waren es 12,5 %. Meine Damen und Herren, auf Ihre Zwischenrufe will ich in zwei Punkten antworten. Sie konnten am letzten Wochenende in den Zeitungen lesen, daß der Verband des deutschen Baugewerbes, also der Verband, der die Interessen der Betroffenen vertritt, diese positive Entwicklung in einer Erklärung dargestellt und begrüßt hat, und auf derselben Seite stand, die SPD bestreite jede Verbesserung der Lage der Bauwirtschaft. Mit solchen Dingen gewinnen Sie doch keine Glaubwürdigkeit. ({76}) Herr Kollege Apel, zu der Grundsatzauseinandersetzung über Steuerpolitik, die sicher heute auch von Ihrer Seite geführt werden wird, will ich folgendes sagen: Die stärkste Zunahme ist, wie die genannten Zahlen zeigen, im gewerblichen und industriellen Wirtschaftsbau zu verzeichnen. Wir haben uns im letzten Jahr entschlossen, die Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude erheblich zu verbessern. Diese Entscheidung wirkt bei einem Zuwachs von 12,5 %. Sie sollten es endlich aufgeben, konkrete Verbesserungen bei Unternehmenssteuern, die wir eingeführt haben, um planen zu können, um Investitionen auszulösen und Arbeitsplätze zu sichern, als Geschenke für die Reichen abzuqualifizieren. ({77}) Die günstigen Rahmenbedingungen mit niedrigen Hypothekenzinsen, ({78}) stabilen Bau- und Grundstückskosten bei realen Einkommenszuwächsen geben jetzt auch dem privaten Eigenheimbau nach einem starken Rückgang wieder Impulse. Im Bereich der Subventionen ist ebenfalls eine differenzierte Analyse nötig. ({79}) Der Abbau von Steuervergünstigungen ist in diesen Jahren insgesamt nicht vorangekommen. ({80}) Es gibt einzelne Ausnahmen bei der Reform der Grunderwerbssteuer. Insgesamt können wir mit dieser Bilanz nicht zufrieden sein. Nur, es ist, wie ich glaube, erlaubt, darauf hinzuweisen, daß auch Sie in einer längeren Zeit vorher keine besonderen Ergebnisse auf diesem Gebiet zu verzeichnen hatten. ({81}) Diese Aufgabe stellt sich im Rahmen der vorgesehenen Steuerreform. Ich habe in diesen Jahren eines gelernt: Sonderregelungen und Steuersubventionen lassen sich auf breiter Front offensichtlich nur in Verbindung mit einer durchgreifenden Tarifreform abbauen. Dieser Zusammenhang ist mir vollkommen bewußt geworden, ({82}) weil ich in diesem Punkte - das will ich Ihnen offen sagen - auch mit einigen Vorschlägen keine Erfolgserlebnisse hatte. Beim Abbau von Finanzhilfen, von Subventionen im Haushalt, haben wir eine Reihe wichtiger Entscheidungen getroffen. Wenn die Globalzahlen 1987 dennoch einen leichten Anstieg um 700 Millionen DM ausweisen, so beruht dies im Saldo ausschließlich auf dem Mehrbedarf bei der Kokskohlenbeihilf e. ({83}) - Ich spreche über den Haushalt 1987, Herr Wieczorek. - Auf Grund des Ende der 60er Jahre im Zuge der Neuordnung des Ruhrbergbaus vereinbarten Hüttenvertrages soll die deutsche Stahlindustrie deutsche Kokskohle zum niedrigen Weltmarktpreis verarbeiten. Der Bund und die Bergbauländer gleichen die Differenz zwischen den hohen deutschen Förderkosten und dem niedrigen Weltmarktpreis durch Subventionen aus. Vor allem durch den Rückgang des Dollarkurses öffnet sich die Schere in diesem Jahr weiter. Die Folge ist - ich sage das als Finanzminister mit Bedauern; da gibt es einen Vertrag, den wir beachten müssen - ein nachhaltig steigender Subventionsbedarf, der nach der jüngsten Entwicklung der letzten zwei Monate sogar noch etwas über dem Ansatz des Regierungsentwurfs liegen kann. Um so wichtiger ist es, daß die 1985 von uns vereinbarte Neufassung des Hüttenvertrages nun mittelfristig auch zu einer Entlastung des Bundes und der Länder in diesem Bereich führt. Meine Damen und Herren, nun aber will ich Ihren heftigen Angriffen, zum Teil sehr massiven Attacken zum Subventionsthema, einen Punkt hinzufügen. Die SPD fordert auf breiter Front neue Subventionen und kritisiert uns, weil wir mit dem Subventionsabbau nicht genug vorankommen. Es ist deshalb erforderlich, über die ordnungspolitischen Voraussetzungen für die Bewilligung von Finanzhilfen zu diskutieren. Über 50% unserer Subventionen im Bundeshaushalt sind Transferleistungen, Sozialleistungen für einkommensschwächere Mitbürger. Soweit es sich um Zuschüsse und Darlehen für Wirtschaftsunternehmen handelt, sollte eines auch weiterhin unbestritten sein: Zunächst müssen die Eigentümer aus ihrem Betriebs- und Privatvermögen das Mögliche leisten, bevor der Staat mit Steuergeldern antritt. Das ist die langbewährte Praxis der Regierungen des Bundes und der Länder, auch jetzt bei den Diskussionen über zusätzliche Hilfen an mittelständische private Werften. Aber dieser Grundsatz soll nach Ansicht namhafter sozialdemokratischer Politiker offenbar dann nicht gelten, wenn es um die eigenen politischen Freunde geht. Der wohnungsbaupolitische Sprecher Ihrer Fraktion, Herr Kollege Sperling, hat am Wochenende ganz ungewöhnliche Ausführungen zur Bewältigung der Krise der Neuen Heimat gemacht. Er erklärte im Gegensatz zu den Beteuerungen der Herren Breit und Hoffmann, des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Vorstandsvorsitzenden, die Gefahr eines Konkurses bestehe sehr wohl. Jetzt, so sagte der Kollege Sperling, gehe es um eine - ich zitiere - Konkursvermeidungsstrategie. Er fügte dann die Mitteilung hinzu, der Deutsche Gewerkschaftsbund habe beschlossen, keinen einzigen Pfennig mehr in seinen angeschlagenen Wohnungskonzern fließen zu lassen. Gefordert sei - ich zitiere noch einmal den Kollegen Sperling nach den Presseberichten vom Wochenende -, daß die Hauptbeteiligten, Gewerkschaften, öffentliche Hände und Banken, wie - so ist das Zitat - „in einem pokerhaften Spiel zusammenarbeiten sollten". ({84}) - Ist das vernünftig, ({85}) zunächst, Herr Kollege Vogel, zu sagen, der Eigentümer gibt keinen Pfennig, und dann zu sagen, die müßten zusammenarbeiten? ({86}) Dann stellt sich die Zusammenarbeit wahrscheinlich so dar, daß der Staat und die Banken das Geld geben und der Deutsche Gewerkschaftsbund es entgegennimmt. Das ist nicht unsere Vorstellung von Zusammenarbeit. ({87}) Ich halte das auch in Verbindung mit Ihren Attacken gegen uns bezüglich Subventionen für einen unglaublichen Vorgang. Jeder, der sich ernsthaft mit den Problemen der Neuen Heimat befaßt hat, weiß spätestens seit Jahresanfang, daß ein tragfähiges Konzept ohne einen ganz erheblichen finanziellen Beitrag des Eigentümers nicht erreichbar ist. Der Deutsche Gewerkschaftsbund kann selbstverständlich sein Milliardenvermögen in anderen Gewerkschaftsunternehmen, Versicherungen, Banken, Handelsunternehmen, aktivieren, um den berechtigten Interessen der Millionen Mieter, der Kreditgeber, der Geschäftspartner, nicht zuletzt der Mitarbeiter der Neuen Heimat zu entsprechen. Die von dem Kollegen Sperling offen unterstützte Weigerung des DGB, dies zu tun, entspricht nicht den elementarsten Grundsätzen sozialer Verantwortung. ({88}) - Ich zitiere, Herr Kollege Vogel, an Hand der nicht dementierten Berichte großer Zeitungen vom Sonnabend. ({89}) - Was ich hier vorgetragen habe, ist ein nicht dementierter Bericht großer deutscher Zeitungen. Ich habe, weil ich mit solchen Zwischenrufen gerechnet habe, diesen in meinen Akten; ich stelle ihn nachher gern zur Verfügung. Meine Damen und Herren, dieser Auffassung widerspricht auch der von dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Neuen Heimat, Herrn Breit, und seinen Kollegen so oft in anderen Zusammenhängen zitierte Grundsatz unserer Verfassung: Eigentum verpflichtet. Meine Damen und Herren mit etwa einem Drittel der Gesamtausgaben stellen die Mittel des Bundes für den Sozialbereich weiterhin den größten Ausgabenblock im Regierungsentwurf dar. Vor allem die Familie gewinnt mit unserer Politik wieder den ihr gebührenden gesellschaftspolitischen Rang. Wir haben ihre finanzielle Lage schon jetzt wesentlich verbessern können. Steuerliche Entlastungen für Kinder, Kindergeldzuschläge, höheres Wohngeld, Erziehungsgeld und die Anrechnung von Erziehungszeiten im Rentenrecht sind Bausteine einer neuen familienfreundlichen Politik. Ich bin sicher, daß auch im Rahmen der Steuerreform, die wir uns für die nächste Periode vorgenommen haben, die finanzielle Lage der Familie weiter verbessert wird. ({90}) Die Mütter der Geburtenjahrgänge vor 1921 werden nach einer Vereinbarung der Koalition stufenweise in die Regelung über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung einbezogen. ({91}) In der Koalition ist abgesprochen, hierfür ab 1. Oktober 1987 finanzielle Vorsorge zu treffen. Zugleich wird die Verlängerung der Bezugszeit des Arbeitslosengeldes bei der Bundesanstalt für Arbeit eine Entlastung des Bundesetats bewirken. Wir wollen dem Haushaltsausschuß einen Ergänzungsvorschlag zu beiden Punkten machen, um Ihre Frage, Frau Fuchs, zu beantworten. Es wird sich in der Größenordnung etwa ausgleichen. Mit den für die Verteidigung eingeplanten Beträgen leisten wir unseren Beitrag für das Bündnis, das unseren Bürgern ein Leben in Freiheit und Frieden ermöglicht. Die Steigerungsrate von 2,8 - das entspricht etwa dem Haushaltswachstum - gewährleistet und verbessert die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Schwerpunkte sind hier die Verstärkung der Mittel für Wehrforschung und -technik sowie für die soziale Sicherung der Soldaten unter anderem durch die Erhöhung des Wehrsoldes und der besonderen Zuwendungen. Die Zinsausgaben sind weiterhin eine schwere Last. 308 Milliarden DM Schulden und eine jährliche Zinsbelastung von 26,6 Milliarden DM fand die Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt vor. Wir haben den dramatischen Anstieg abgebremst, aber solange wir Kredite aufnehmen, wachsen die Zinsausgaben weiter. Unser langfristiges Ziel bleibt, die Entwicklung des Einzelplans „Bundesschuld" an den Trend der Gesamtausgaben des Bundes anzupassen. ({92}) Auch mit dem Haushalt 1987 leistet der Bund seinen Beitrag für gesamtwirtschaftlich oder regional bedeutsame Wirtschaftsbereiche, die einen schwierigen strukturellen Anpassungsprozeß vornehmen müssen oder durch eingreifende politische Entscheidungen in Bedrängnis kommen. Durch die Krise der EG-Agrarpolitik ist die Landwirtschaft weiterhin hart betroffen. Ihre heutigen Probleme sind nicht über Nacht entstanden, sondern das Ergebnis von Fehlern und Versäumnissen von anderthalb Jahrzehnten. Stetig wachsende Produktionsüberschüsse treiben die EG-Agrarmarktausgaben weiter in die Höhe, während die Einkommen der Bauern sinken. Erste Brüsseler Entscheidungen wie die Quotenregelung bei Milch und die Neuregelung bei Wein haben sektorale Entlastung gebracht. Aber wichtige Beschlüsse der Gemeinschaft für die Marktentlastung in anderen Bereichen stehen noch aus. Wir halten sie für dringend erforderlich. So bleibt die Aufgabe des Bundes und der Länder, einen Beitrag für die Erhaltung der bäuerlichen Familienbetriebe zu leisten, den raschen Strukturwandel in der Landwirtschaft zu flankieren und die Entwicklungschancen der ländlichen Räume zu verbessern. Wir wollen deshalb 1987 für die nationale Agrarpolitik 1,7 Milliarden DM mehr ausgeben als 1982. Hinzu kommen die steuerlichen Entlastungen. Das reicht nach Meinung sehr vieler Landwirte nicht aus, während andere, darunter Sprecher der SPD, die Höhe dieser Bundeshilfen heftig kritisieren. Die Kritiker möchte ich daran erinnern, daß die Mittel des Bundes für die Kohle in den letzten fünf Jahren etwa im selben Umfang gestiegen sind, prozentual sogar noch stärker, hier in voller Übereinstimmung aller Parteien. Für Schiffbau und Schiffahrt sind die Förderungsmittel des Bundes ebenfalls seit 1982 gestiegen, nach dem Haushaltsentwurf 1987 auf insgesamt 530 Millionen DM. Die schwere internationale Werftenkrise macht jetzt einschneidende Anpassungsmaßnahmen in den Küstenstandorten erforderlich. Wir sind bereit, für die Flankierung einen Beitrag zu leisten. Voraussichtlich ist eine Bundeshilfe an die Küstenländer nach Art. 104 a Grundgesetz der sinnvolle Weg. Ich fordere die Verantwortlichen des Schiffbaus und der Küstenländer auf, uns unverzüglich die erforderlichen Konzepte zuzuleiten, damit wir in Kürze konkrete Initiativen einleiten können. ({93}) - Ja, wir brauchen Anpassungskonzepte. ({94}) - Ja. Da sind wir uns einig. Danke. Die Ausgaben für Forschung und Technologie haben wir in den Vorjahren ganz erheblich gesteigert. Für 1987 ist eine Zunahme um weitere 2 % auf rund 7,6 Milliarden DM vorgesehen. Innerhalb des Plafonds ergibt sich jedoch durch das Auslaufen der Zuschüsse für die beiden Reaktorlinien ein zusätzlicher Spielraum für die Großforschung und andere Schwerpunkte von rund einer Viertelmilliarde DM. Für unsere Beteiligung an der europäischen Weltraumforschung ist ein finanzieller Rahmen von 1 Milliarde DM eingeplant. ({95}) Für die nichtnukleare Energieforschung stehen über 400 Millionen DM zur Verfügung, ({96}) um den Förderschwerpunkten neue Energiequellen, rationelle Energieverwendung und Kohletechnologien Rechnung zu tragen. Im Einzelplan des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft haben wir erneut die Mittel für das Benachteiligtenprogramm aufgestockt. Wir können 1987 voraussichtlich 7 000 Auszubildende in Vollmaßnahmen und weitere rund 7 500 Jugendliche über ausbildungsbegleitende Hilfen neu fördern. Dem neuen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit stehen für 1987 rund 430 Millionen DM zur Verfügung. ({97}) Schwerpunkte mit höheren Mitteln sind hier Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen bei der Luft- und Wasserreinhaltung sowie in der Abfallwirtschaft. Verstärkt sind ferner die Mittel für Forschungsvorhaben zugunsten des Umweltschutzes. Auf Ihren Zwischenruf zu jenem Betrag möchte ich unterstreichen: Den ganz überwiegenden Anteil der rasch wachsenden finanziellen Anforderungen im Umweltschutz müssen auch in Zukunft die Verursacher, also vor allem die Industrie und die Energieversorgungsunternehmen, zahlen. ({98}) Das muß weiter so bleiben. ({99}) Der Regierungsentwurf sieht rund 200 neue Planstellen für den Umweltschutz und weitere rund 400 vor allem für die nachgeordneten Bundesbehörden vor. In gleichem Umfang sollen Planstellen eingespart werden. Auf den Bereich der inneren Sicherheit entfallen darüber hinaus 1 000 neue Stellen für den Bundesgrenzschutz. Der in jüngster Zeit weiter verstärkte Zustrom von Asylbewerbern stellt das Bundesamt in Zirndorf vor erhebliche Probleme. Wir haben im Regierungsentwurf eine Aufstokkung der Planstellen vorgesehen. Für eine weitere Verstärkung darüber hinaus, die wir dem Haushaltsausschuß vorschlagen wollen, empfehlen wir ebenfalls einen Ausgleich durch Wegfall von Planstellen im Gesamthaushalt. Wir vollbringen diese und andere wichtige Leistungen auf der Grundlage einer gegenüber Ländern und Gemeinden verhaltenen Entwicklung unserer Steuereinnahmen. Vor allem durch die erwähnte Übertragung von Steuereinnahmen des Bundes an die EG und die ungünstigere Steuerstruktur sinkt der Anteil des Bundes am Steueraufkommen. 1985 belief er sich auf 47,5 %. 1990 werden es nach den jetzigen Verteilungsrelationen nur noch 46 % sein. Deshalb wird es in der neuen Wahlperiode um eine angemessenere Regelung für den Bund gehen. Andernfalls müßten die Länder und Gemeinden einen wesentlich höheren Anteil der Aufgaben und Ausgaben im Bereich gemeinsamer Finanzierungen übernehmen. Soweit sich, wie bei Kokskohle und Werften, gegenüber dem Kabinettsbeschluß vom 2. Juli aus der Sicht der Bundesregierung Mehraufwendungen abzeichnen, werden wir dem Haushaltsausschuß entsprechende Einsparungsvorschläge machen. Die jüngste Entwicklung des Dollarkurses führt ja in einigen Bereichen auch zu Entlastungen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich verpflichtet uns, die Grundsätze der Steuerverteilung zwischen den Ländern und die Bundesergänzungszuweisungen neu zu regeln. Ich hoffe hier auf die konstruktive Mitwirkung aller Beteiligten. Denn wir müssen erreichen, daß die Neuregelung 1987 vom Bundesgesetzgeber in Kraft gesetzt werden kann. ({100}) Die Bundesregierung setzt ihre Politik der Privatisierung geeigneter Bundesbeteiligungen und Bundesunternehmen bei möglichst breiter Streuung der Aktien fort. ({101}) 1984 haben wir einen großen Schritt bei der VEBA getan. In diesem Jahr sind 40 % der VIAG-Aktien privatisiert worden. In den nächsten Wochen folgen 45 % unserer Beteiligungen an der Industrieverwaltungsgesellschaft. Ab 1987 wollen wir u. a. die noch in Bundesbesitz befindlichen Anteile am Volkswagenwerk und der VEBA privaten Erwerbern anbieten und unser Engagement bei der Pfandbriefanstalt und der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank verringern. Darüber hinaus haben ganz oder teilweise im Bundesbesitz befindliche Konzerne aus ihrem Bereich Anteile an geeignete private Interessenten veräußert. ({102}) - Ja, Herr Kollege, Sie kommen mit der „Verschleuderung". Ich werde darauf eingehen. Wir befinden uns auch hier in einem internationalen Trend. Nicht nur liberal-konservative und christlich-demokratische Regierungen wie in Großbritannien, Frankreich und in den Niederlanden gehen diesen Weg. Auch die sozialistische Regierung Spaniens unter Felipe Gonzalez beschreiten ihn, so bei der stark beachteten Übertragung maßgeblicher Anteile und Funktionen der staatlichen SEAT an das deutsche Volkswagenwerk. ({103}) - Das ist das Problem. Wir haben im Ausland, wo Sozialisten regieren, zu viele Betriebe, die im Staatsbesitz sind und pleite gegangen sind. ({104}) Die sozialistische Regierung Österreichs ({105}) - hören Sie sich das doch in Ruhe an - kündigte jetzt angesichts der krisenhaften Lage ihrer nationalisierten Unternehmen an, sie wolle private Eigentümer zunehmend an geeigneten Betrieben beteiligen. Das ist der internationale Trend, meine Damen und Herren, aber Sie reden von Verschleuderung von Volksvermögen. Sie haben sich auch von den fortschrittlichen sozialdemokratischen und sozialistischen Politikern in anderen Ländern Europas abgehängt. Das ist der Tatbestand. ({106}) Wir gehen aus ordnungspolitischen Überzeugungen unter voller Wahrung der Belange der Mitarbeiter in der Tat weiter voran. 1984 haben allein 33 000 Arbeitnehmer des Konzerns Belegschaftsaktien bei der VEBA-Teilprivatisierung erworben. Im Juni dieses Jahres gab es fast 400 000 Ersterwerber bei der Veräußerung von Bundesanteilen der VIAG. Es ist deshalb schon abwegig, wenn der Herr Kollege Glotz als Bundesgeschäftsführer seiner Partei behauptet, hier vollziehe sich die „Umleitung von nationalem Vermögen in die Taschen der reichen Oberschicht". Den Mitarbeitern von VEBA, VIAG und VW geht es heute sicher besser als vor fünf Jahren. Ich möchte sie aber nicht zur reichen Oberschicht zählen; das wäre wirklich eine Fehleinschätzung. ({107}) Wir haben seit 1982 keinen Zweifel an unserem Kurs in dieser Frage gelassen. Deshalb ist es auch verfehlt, Herr Apel, fiskalische Motive für diese Entscheidung zu unterstellen, ({108}) obwohl wir natürlich auch gerne Einnahmen in den Haushalt einstellen, wie es der Haushaltsordnung entspricht. ({109}) Eine breitere Eigentumsstreuung am Produktivvermögen ist seit Jahrzehnten ein programmatisches Ziel von CDU, CSU und FDP. Jetzt sind wir in einer politischen Kombination, wo wir das ohne Hemmnisse verwirklichen können. ({110}) - Man kann nicht alles auf einmal machen. Wir kommen auch noch auf andere Unternehmen zu sprechen. ({111}) Freuen Sie sich nicht zu früh, es kann sein, daß mit der Konjunktur die Steuereinnahmen in den nächsten Monaten dieses Jahres wesentlich besser werden als bisher; dann brauchen Sie nicht mehr von Haushaltslöchern zu reden. ({112}) - Das möchte ich erleben, Herr Wieczorek. In den letzten Monaten ist in der internationalen Diskussion erneut auch die Frage nach den weltwirtschaftlichen Wirkungen unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik gestellt worden. Vor allem aus den Vereinigten Staaten von Amerika sind die Stimmen lauter geworden, die von der Bundesrepublik Deutschland eine expansivere Politik verlangen. Die Bundesregierung übersieht neben den ermutigenden Fakten im Bild der Weltwirtschaft - Verstärkung der Auftriebskräfte in vielen Industrieländern, Ölpreisrückgang, Abflachung des Preisauftriebs - nicht die Risiken. So wird das Wirtschaftswachstum in den USA und Japan in diesem Jahr unter früheren Schätzungen liegen. Offensichtlich belasten außenwirtschaftliche Ungleichgewichte nach wie vor die Weltwirtschaft und die Entwicklung an den Devisenmärkten. Das Leistungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten von Amerika wird in diesem Jahr voraussichtlich auf mehr als 130 Milliarden US-Dollar ansteigen, während sich die Überschüsse Japans und der Bundesrepublik auf über 75 Milliarden bzw. bei uns 25 Milliarden Dollar belaufen dürften. Die genannten Größenordnungen verdeutlichen freilich auch, daß das eigentliche Problem nicht in dem deutschen Leistungsbilanzüberschuß, sondern in den wesentlich höheren Salden der USA und Japans liegt; immerhin ist der Fehlbetrag der Vereinigten Staaten annähernd fünfmal, der japanische Überschuß fast dreimal so hoch wie der deutsche Saldo. Aber wichtiger erscheint mir, daß sich für die Bundesrepublik Deutschland bereits eine Verringerung der internationalen Ungleichgewichte abzeichnet. Hierfür sprechen zunächst einmal die seit 15 Monaten erfolgten erheblichen Änderungen bei den Wechselkursen. Sie werden künftig stärkere Wirkungen in den Außenhandelsergebnissen haben. Was die deutsche Position betrifft, beläuft sich die effektive Aufwertung der Deutschen Mark seit 1985 gegenüber den wichtigsten Währungen immerhin auf mehr als 10 %, im Verhältnis zum US-Dollar sogar auf mehr als 50 %. Das Wachstum der realen Inlandsnachfrage wird bei uns in diesem Jahr etwa 4,5 % betragen. Diese dynamische Entwicklung verringert unsere Überschußposition durch verstärkte Importe, vor allem aus den Schwellen- und Entwicklungsländern. In realen Größen, also preisbereinigt, vor allem bereinigt um die Ölpreisentwicklung, ist unser Handelsbilanzüberschuß schon seit einiger Zeit spürbar rückläufig. Das wird sich 1987 auch im Außenhandelssaldo niederschlagen. Für die Bundesrepublik sind, wie auch die letzten Stellungnahmen des Internationalen Währungsfonds und der OECD anerkennen, die Weichen grundsätzlich richtig gestellt. Aus diesem Grund können wir mit unseren Partnern auch vernünftig sprechen und, ohne uns zu überschätzen, auf die Leistungen unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik hinweisen. Bundesregierung und Bundesbank betreiben eine abgestimmte und konsistente Politik und beurteilen Lage und Probleme national wie international einvernehmlich. Meine Damen und Herren, ein künstliches Anheizen der Nachfrage mit den Mitteln der Geld- und Finanzpolitik als Hebel für eine stärkere internationale Konjunkturbelebung würde nur die nächste Inflationswelle und nach ihr die nächste Stabilisierungskrise vorprogrammieren. Damit wäre weder uns noch anderen gedient. Die Erfahrungen der 70er Jahre unterstreichen diese Einschätzung. Sehr ernst zu nehmen sind nach wie vor die wirtschaftliche Situation, die gewaltige Problematik, die finanzielle Not der Länder der Dritten Welt. Wir intensivieren unsere Beziehungen zu diesen Ländern und leisten tatkräftige Hilfe: Wir bieten unseren Partnern in der Dritten Welt wachsende Ab17594 Satzmärkte. Im letzten Jahr haben wir aus den Entwicklungsländern außerhalb der OPEC für 3 Milliarden DM mehr Waren bezogen, als wir dorthin geliefert haben. Wir gehören zu den größten Kapitalgebern der internationalen Finanzierungsinstitutionen. Wir sind bereit, bei der bevorstehenden Aufstockung der Mittel für die IDA, also für jene Agentur, die den ärmsten Ländern praktisch zinslose Kredite gibt, um 11,5 Milliarden Dollar einen Anteil von 11,5% zu übernehmen - mehr, als uns nach den objektiven Daten der Industrieländer zukommt. Wir unterstützen nachdrücklich eine allgemeine Kapitalerhöhung der Weltbank. Im Haushaltsentwurf 1987 sind für deutsche Beiträge an die Weltbankgruppe, die regionalen Entwicklungsbanken und den Europäischen Entwicklungsfonds allein insgesamt 1,7 Milliarden DM vorgesehen. Unsere Kapitalmärkte stehen den internationalen Entwicklungsorganisationen weiter offen als in sehr vielen anderen Ländern. So hat sich die Weltbank im Geschäftsjahr 1985/86 5 Milliarden DM - das ist immerhin ein Fünftel ihres gesamten Mittelbedarfs - auf dem deutschen Kapitalmarkt beschafft. 32 Milliarden DM an öffentlichen Entwicklungshilfemitteln haben wir in den letzten vier Jahren bereitgestellt. Im Haushalt 1987 haben wir den Verpflichtungsrahmen für die finanzielle Zusammenarbeit noch einmal um 210 Millionen DM auf 3 Milliarden DM erweitert. ({113}) Davon stehen allein 300 Millionen DM an Verpflichtungsermächtigungen der allgemeinen Warenhilfe zur Verfügung. Meine Damen und Herren, annähernd 4 Milliarden DM hat die Bundesrepublik den am wenigsten entwickelten Ländern an Schulden erlassen; das sind rund zwei Drittel dessen, was überhaupt an Schulden erlassen wurde. Zwei Drittel der Mittel hat die Bundesrepublik auf sich genommen. Ich glaube, viele andere wären jetzt auch einmal an der Reihe, diesen ärmsten Ländern in ihrer Schuldenlast zu helfen; ({114}) im Westen, aber vor allem auch im Ostblock. Denn es gilt j a weiterhin der Tatbestand, daß die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik Deutschland höher ist als die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe des Ostblocks. Schließlich ist die Bundesregierung auch weiterhin bereit, im Interesse der Erhaltung von Märkten auch für hochverschuldete Länder das Instrument der Ausfuhrbürgschaften aufrechtzuerhalten. Vom gesamten Obligo, das wir auf Risiko des Bundeshaushalts hier haben - 154 Milliarden DM - entfielen Ende letzten Jahres rund 70 % auf Entwicklungsländer. ({115}) Wirkungsvoller als Kredite und Bürgschaften sind jedoch offenere Märkte für die Erzeugnisse der Entwicklungsländer; sie verbessern die Chancen der Dritten Welt, ihr Schicksal zu meistern. Die Bundesregierung wird sich hierfür mit allem Nachdruck in den bevorstehenden Verhandlungen im GATT einsetzen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend folgendes sagen. Mit dem Entwurf des Bundeshaushalts 1987 und dem Finanzplan bis 1990 unterstreicht die Bundesregierung ihren festen Willen, auch weiterhin am Kurs einer vertrauensbildenden Finanzpolitik festzuhalten. Immer mehr Bürger erfahren heute, daß sich Anstrengungen und Einschränkungen der letzten Jahre gelohnt haben. Stabiler Geldwert, niedrige Zinsen, zunehmende Beschäftigung und deutlich steigende Realeinkommen konnten nur auf der Basis wiedergeordneter Staatsfinanzen und einer gleichgerichteten Geldpolitik erreicht werden. Die Erfolge der vergangenen vier Jahre verstehen wir gleichsam als eine Bestätigung, vor allem aber als eine Verpflichtung. Jenseits aller sachlichen Gegensätze sollten wir gemeinsam unsere ganze Kraft darauf richten, die Voraussetzungen für die Bewältigung der noch nicht gelösten Probleme, für ein fruchtbares Miteinander von Staat und Bürgern zum Wohle jedes einzelnen und unserer Gesellschaft dauerhaft zu sichern. Nur so kann unser Land auch in Zukunft als wichtiger Partner in der Gemeinschaft der Völker seinen positiven Beitrag leisten. ({116})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es gut, daß der Bundesminister der Finanzen sich in seiner Einbringungsrede eben nicht auf die Vorstellung des Entwurfs des Bundeshaushalts 1987 beschränkt hat, sondern daß er aus seiner Sicht den Versuch einer Bilanz für die vier Jahre Wendepolitik vorgenommen hat. Ich denke, wir sollten es genauso halten. Wir sollten am Beginn des Wahlkampfes, am Ende dieser Legislaturperiode kritisch bewerten, was wir aus unserer Sicht zur Arbeit dieser Koalition zu sagen haben. ({0}) Da beginne ich mit dem Thema, das uns allen am meisten am Herzen liegt, das uns alle bedrückt. Trotz der Bemerkung von Herrn Stoltenberg bleibe ich bei dem Begriff Massenarbeitslosigkeit. ({1}) Ich bin nicht sicher, ob sich der Bundesfinanzminister, wenn er hier abqualifizierende Bemerkungen zu diesem Begriff gemacht hat, darüber im klaren ist, was denn nun eigentlich Arbeitslosigkeit für den einzelnen an finanziellen, persönlichen, auch familiären Problemen bringt. ({2}) Da wollen wir Sie, Herr Kollege Stoltenberg, und diese Koalition an Ihren eigenen Versprechungen festhalten. Sie haben vor der letzten Bundestagswahl versprochen, innerhalb kurzer Zeit die Zahl der Arbeitslosen auf eine Million zu senken. ({3}) Eingetreten ist genau das Gegenteil. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen - ich bin hier bewußt ganz genau - ist trotz aller statistischen Mätzchen seit 1982 um über 300 000 zum 1. August dieses Jahres angestiegen. Herr Kollege Stoltenberg, die 1,2 Millionen derer, die sich schon gar nicht mehr melden, die sogenannte stille Reserve, sind in dieser Zahl ja überhaupt nicht mitgezählt. ({4}) Meine Damen und Herren, nun versuchen Sie seit einiger Zeit, weil Sie sich mit den Arbeitslosenzahlen öffentlich nicht mehr sehen lassen können, Beschäftigungszahlen danebenzustellen, aber auch diese Beschäftigungszahlen eignen sich eigentlich überhaupt nicht, um hieraus eine Erfolgsbilanz zu machen. Denn Tatsache ist doch, daß wir heute auf dem Beschäftigungshöhepunkt dieses Konjunkturzyklus gerade eben, gerade eben die Beschäftigtenzahl erreicht haben, die wir im Konjunkturtief vor vier Jahren hatten. ({5}) Das ist dann das ganze Ergebnis von vier Jahren Beschäftigungspolitik, das Sie vorzuweisen haben. ({6}) Ich füge hinzu - und das wissen Sie doch alle -, selbst wenn wir bis zum Jahre 1990 jährlich ein Wachstum von real 3% haben werden - und das ist konjunkturpolitisch eigentlich ausgeschlossen -, werden wir, so hat die Nürnberger Anstalt und ihr Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung errechnet, in den neunziger Jahren immer noch 2 Millionen Arbeitslose haben. ({7}) Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben heute erneut einen Versuch unternommen, der nicht akzeptabel ist. Sie haben davon gesprochen - und ich nehme einmal das Jahr 1985 -, daß es Ihnen zu verdanken sei, daß wir in diesem Jahre 1985 200 000 Arbeitsplätze mehr hätten. ({8}) Aber nehmen wir doch endlich zur Kenntnis: 70 000 dieser 200 000 Arbeitsplätze, ({9}) die zusätzlich entstanden sind, sind das Ergebnis der Tarifauseinandersetzung bei der IG Metall gewesen. ({10}) Sie sind das Ergebnis der Arbeitszeitverkürzung. Herr Kollege, wenn Sie sagen, ich solle es Ihnen belegen, dann empfehle ich Ihnen, daß Sie hin und wieder lesen. Dann werde ich Ihnen gerne nach dieser Sitzung eine entsprechende Berechnung eines unabhängigen Instituts vorlegen, nämlich des Instituts, das unter Ihrem früheren Fraktionskollegen Heinrich Franke steht, dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das eben diese Zahlen ausgerechnet hat. Also nachlesen! Sie werden dann etwas kleiner werden, was Ihre vollmundigen Behauptungen anbelangt. ({11}) Der Herr Bundeskanzler - wir wollen das hier immer wieder anmerken - hat im übrigen diesen Arbeitskampf und seine Ergebnisse als dumm, töricht und absurd dargestellt. Heute will er diese Ergebnisse in die Bilanz seiner Arbeit einstellen. ({12}) Wir sollten etwas Weiteres hinzufügen. Wir sollten doch auch zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren, daß viele der Neubeschäftigten doch nur Zeitarbeitsverträge erhalten haben. Das geht doch nach dem Prinzip: Heuern und Feuern. Ihnen wird das volle Arbeitsplatzrisiko aufgebürdet. ({13}) Herr Kollege Stoltenberg, zumindest vor einem Jahr haben Sie dann - wie vor der letzten Bundestagswahl - noch versucht, sich angesichts dieser Massenarbeitslosigkeit mit Versprechungen über die Runden zu retten. Sie haben das heute nicht wiederholt. Aber in der „Bild"-Zeitung haben Sie genau vor einem Jahr gesagt, Sie, Stoltenberg, gingen davon aus, daß wir im Jahre 1990 die Vollbeschäftigung erreicht hätten. Die CDU ist jetzt vorsichtiger geworden; ich weiß das. ({14}) Sie sagen, die Arbeitslosigkeit würden Sie bis 1990 um eine Million Menschen abbauen. ({15}) Aber, Herr Kollege Stoltenberg, was Sie wirklich erwarten, was die Bundesregierung wirklich erwartet, das steht doch in dem Finanzplan, den der Herr Kollege Stoltenberg uns mit dem Haushaltsentwurf vorgelegt hat. Darin steht: Die Bundesregierung stellt fest, daß wir mit 2 Millionen Arbeitslosen in die neunziger Jahre gehen werden. - Das ist das Faktum und nichts anderes. ({16}) Wir Sozialdemokraten haben aufmerksam zugehört, als Sie in Ihrer Einbringungsrede wörtlich gesagt haben: Die Arbeitslosigkeit ist viel zu hoch. Sie nachhaltiger abzubauen, ist das Ziel dieser Bundesregierung. - Aber, Herr Kollege Stoltenberg, warum ist denn diese Einsicht in den letzten vier Jahren bei Ihnen nicht gewachsen? Warum haben Sie denn vier Jahre lang aber auch jede Initiative abgelehnt und vermissen lassen, um die Massenarbeitslosigkeit abzubauen? ({17}) Wenn Sie hier über Nettokaufkraft und ihre Entwicklung reden, dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Kaufkraft der Arbeitnehmer 1985 auf das Niveau des Jahres 1977 gesunken war. Daran hat sich dann auch durch die hochgelobte und immer wieder in die Debatte eingeführte Steuersenkung der Jahre 1986 und 1988 überhaupt nichts geändert. Denn von den 20 Milliarden DM, die Sie durch eine Senkung in zwei Schritten zur Verfügung stellen wollen, gehen doch 15 Milliarden zugunsten der Besserverdienenden. Der Normalverdiener merkt von dieser Steuersenkung nichts. Denn parallel zu der Steuersenkung von 12 DM zugunsten des Durchschnittsverdieners sind doch die Sozialversicherungsbeiträge explodiert. Darüber kann man als Bundesminister hier doch nicht lamentieren. Da muß man doch im Kabinett und bei seinen Kollegen für Handeln sorgen. Sie sind doch nicht dazu da, um hier zu kritisieren, sondern um Politik zu machen. Sie, Herr Blüm, und andere stehen in der Verantwortung. ({18}) Natürlich gibt es in diesem Jahr eine Kaufkraftsteigerung; das ist richtig. Aber, Kollege Stoltenberg, das hat etwas mit dem Verfall der Einfuhrpreise, mit dem Verfall der Rohstoffpreise zu tun. ({19}) Sie selber haben darauf hingewiesen, daß die Preissteigerungsrate in unserem Lande ohne diesen Rückgang bei 2 % bis 3 % läge. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das stimmt doch gar nicht! Bei 1,5%, Herr Apel! Das wissen Sie doch!) Ich will, Herr Bundeskanzler, auch zu Ihrer Orientierung eins hinzufügen: Wenn Sie immer mit einer Preissteigerungsrate von 6,5% im Jahre 1981 rechnen und immer davon reden, dann nehmen Sie zur Kenntnis, daß das die Zeit der Ölpreisexplosion war. ({0}) Da hätten auch Sie, Herr Bundeskanzler, die Preissteigerungsraten trotz aller Anstrengungen nicht niedriger halten können. So ist das eben in der Politik. ({1}) Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben mir empfohlen, ich sollte doch morgens, bevor ich Interviews gebe, die Zeitungen lesen. Ich bin nicht so sicher, ob Sie die Zeitungen gelesen haben. Denn die Zeitung, die Sie mir zur Lektüre empfohlen haben, die „Financial Times", habe ich hier vor mir liegen. ({2}) - Nein, das ist der ganze Artikel, und die Überschrift dieses Artikels ist sehr beunruhigend. Die Überschrift lautet nämlich: Der Internationale Währungsfonds - das war die Quelle, auf die sich Herr Stoltenberg gestützt hat schraubt seine Wachstumsvoraussagen für die Industrienationen zurück. Da ist kein Jubel-Artikel geschrieben. ({3}) In diesem Artikel steht - ich zitiere wörtlich in deutscher Übersetzung -: Der Internationale Währungsfonds hat seine Prognosen für das wirtschaftliche Wachstum 1986/87 zurückgeschraubt und hat seine wachsenden Sorgen über die wachsenden Ungleichgewichte unter den wesentlichen Industrienationen formuliert. ({4}) Und dann geht es weiter: Und 1988 wird es noch schwieriger werden. ({5}) Da kann ich nur sagen: Ich verstehe diese Debatte nicht. Hier sagt Ihnen, uns allen eine renommierte Zeitung, daß es mit dem Wirtschaftswachstum schwierig werden wird, daß die Annahmen über das Wirtschaftswachstum zurückgeschraubt werden, daß von uns eigentlich Aktion erwartet wird, und der Bundesfinanzminister nimmt dann die Zahl 3,2 % Wirtschaftswachstum, die hier in der Tat drinsteht. ({6}) Aber, Herr Stoltenberg: War es nicht vor einem Jahr genauso? Haben Sie nicht im Februar dieses Jahres hier im Deutschen Bundestag ein Wirtschaftswachstum von 3,5 % bis 4 % erwartet? Sie haben sich dabei auch auf andere Quellen gestützt. Und ist es nicht so, daß Sie Ihre Erwartungen jetzt auf 3 % zurückgenommen haben? Und ist es nicht so, daß das Ifo-Institut in München und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Ihnen sagen, es werden nur 2,5% werden? Und ist es nicht so, daß angesichts solcher Wachstumsraten beim Abbau der Massenarbeitslosigkeit viel zuwenig erreicht werden kann? ({7}) Ich hätte gerne von Ihnen, Herr Kollege Stoltenberg, Bemerkungen über die Sorgen, die wir auf dem Weltmarkt haben, gehört. Da braut sich doch einiges zusammen. Da geht doch der drittlängste Aufschwung in Amerika zu Ende. Das mag zu einer schweren Rezession führen. Da verlieren die Volkswirtschaft Japans und die Volkswirtschaft Englands an Geschwindigkeit. Da sagen die USA seit Monaten, an die Adresse der Bundesregierung gewandt: Wenn ihr nicht handelt, wenn ihr, Bundesrepublik Deutschland, nicht endlich aufhört, Trittbrettfahrer der Weltkonjunktur zu sein - - Und das sind wir j a in diesen Jahren gewesen. Wir haben ja von der Exportkonjunktur gelebt. Ohne sie hätte Wirtschaftswachstum in unserem Lande kaum stattgefunden. ({8}) - Herr Kollege Dregger, Sie werden das sicher nicht bestreiten können. ({9}) Wenn es so ist, daß sich drohende Sorgen zusammenballen, dann frage ich mich allerdings. Was sagt denn der Bundesfinanzminister hier im Deutschen Bundestag zu dieser Frage? ({10}) Vorher hat er sich dazu geäußert. Er hat die Amerikaner kritisiert, er hat auf ihre Haushaltsdefizite hingewiesen. Herr Kollege Stoltenberg, in dieser Kritik stimmen wir Ihnen ausdrücklich zu. Nur, im Gegensatz zu Ihnen haben wir Sozialdemokraten überhaupt keinen Nachholbedarf, was die Kritik der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzpolitik anbelangt. Wir haben Ihnen ja vor Jahren hier im Deutschen Bundestag gesagt, was diese Politik für verheerende Konsequenzen haben wird, und zwar zu einem Zeitpunkt, als Sie diese „Reagonomics", diese amerikanische Wirtschafts- und Finanzpolitik, noch als Ihr Vorbild und als Ihr Modell für unser Land empfohlen haben. ({11}) Und nun reden wir über das nächste Jahr. Sie selber haben sich in Ihren Ausführungen, soweit ich sie habe verfolgen können, auf eine Wachstumsrate für 1987 nicht festgelegt. Die wichtigsten Institute sagen uns Wachstumsraten von 2,5% real voraus. Das wird dann eben nicht ausreichen, um die Massenarbeitslosigkeit in unserem Lande nachhaltig abzubauen. Es wird nicht ausreichen, um die Weltkonjunktur in Schwung zu halten. Es wird nicht ausreichen, um die internationalen Ungleichgewichte wenigstens teilweise zu beseitigen. Aber damit das auch klar ist: Wir führen hier keine Debatte über die törichte Lokomotivfunktion, die andere unserem Lande verordnen wollen. Wir wissen um die Größenordnung dieses Landes, wir wissen um unsere Möglichkeiten. Aber, Herr Kollege Stoltenberg, Nichtstun ist nicht nur eine Sünde und eine Versündigung gegenüber der Massenarbeitslosigkeit in unserem Lande, sondern wird dazu führen, daß die Amerikaner reagieren. Und wenn dann die Amerikaner Protektionismus und weitere Dollarabwertung betreiben, dann ist das für uns eine tödliche Operation. Denn wir sind immerhin mit einem Drittel unseres Bruttosozialprodukts vom Ex- und Import abhängig. ({12}) Immerhin verdienen 25% unserer Arbeitskräfte ihr Brot beim Export. Deswegen können wir nicht mit Gelassenheit, mit „benign neglect", wie die Amerikaner früher gesagt haben, über die Fakten hinweggehen. Wir müssen in einer konzertierten Aktion mit den Japanern, mit den europäischen Nachbarn und auch mit den USA sicherstellen, daß die Welthandelslokomotive fährt. ({13}) Das ist auch eine wichtige Hilfe für die Entwicklungsländer. Lassen Sie uns hier keine falschen Fronten aufreißen. Wir fordern keine Strohfeuer. ({14}) - Herr Kollege Dregger, wenn wir über Strohfeuer in der Konjunkturpolitik reden, dann reden wir über Ihre Politik. ({15}) Es war doch der Kollege Stoltenberg, der die Mittel für die Städtebauförderung für zwei Jahre nach oben puschte, ({16}) um dann das Ganze wie ein Strohfeuer zu Ende brennen zu lassen. ({17}) Es waren doch Sie, die Sie im letzten Jahre zur Verlängerung der Beschäftigung in der Rüstungsindustrie plötzlich eine Milliarde D-Mark zur Verfügung hatten, um Panzer zu kaufen, die die Bundeswehr überhaupt nicht braucht. ({18}) Das sind Strohfeuer. Das ist konjunkturpolitischer Unsinn, hochverehrter Herr Kollege Dregger. ({19}) Ich will hier eine Bemerkung zu den Werften machen. Herr Kollege Stoltenberg, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, wenn Sie sagen: Wir müssen für den Norden, für die Werftindustrie etwas tun. Ich bin zufrieden, daß der Bundesfinanzminister sagt, er wolle hier einen Beitrag leisten. Nur: Lassen Sie uns bitte gemeinsam darin einig sein, daß dieser Beitrag kein kurzatmiger sein darf. ({20}) Lassen Sie uns bitte darin einig sein, daß wir im Norden - Sie als Landesvorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein werden das auch wissen - eine tiefgreifende Strukturkrise haben. Da kann nicht allein mit Geld, sondern es muß mit einer langatmigen Strukturpolitik geholfen werden. ({21}) Damit bin ich bei unseren Vorschlägen, die im Gegensatz zu dem stehen, was Sie wollen. ({22}) Wir fordern eine Verstetigung und Ausweitung der öffentlichen Investitionen durch unser Zehnjahresprogramm „Arbeit und Umwelt". ({23}) Wir können uns sicherlich darüber streiten - wir werden uns darüber auch streiten -, wie und wann der Ausstieg aus der Kernenergie bewältigt werden kann. ({24}) Aber in einem Punkte dürfen wir uns nicht streiten, nämlich in der Notwendigkeit, daß wir alle zusammen alle Anstrengungen unternehmen, um sichere und umweltverträgliche Energieversorgung auch durch neue Investitionskraft möglich zu machen. ({25}) Wir fordern die nachhaltige Stärkung der Investitionskraft der Gemeinden. Herr Kollege Stoltenberg, im Gegensatz zu Ihnen - ich werde darauf noch zurückkommen - fordern wir eine gerechte Steuerreform, ({26}) eine Steuerreform, die die Massenkaufkraft stärkt. ({27}) Der Bundeskanzler hat hier im Deutschen Bundestag - -({28}) - Das spielt ja keine Rolle. Wir können dennoch über ihn reden. ({29}) - Ach ja, Herr Kollege, alles klar; das macht es mir auch leichter zu gucken. Sie, Herr Kollege Kohl, haben bei Ihrer Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 im Deutschen Bundestag versprochen, die Konkurswelle zu brechen. Sie haben dann ausgeführt - ich zitiere den Bundeskanzler -: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es so viele Firmenzusammenbrüche gegeben wie in diesem Jahr, und noch nie sind so viele selbständige Existenzen vernichtet worden. Herr Kollege Kohl, Herr Bundeskanzler, dieser Satz, den Sie damals geprägt haben, steht als Leitstern über Ihren vier Jahren Regierungstätigkeit. ({30}) Nur: Statt 15 000 Insolvenzen damals sind es inzwischen 19 000 geworden. ({31}) Dazu lese ich Ihnen folgende Bewertung im wörtlichen Zitat vor ({32}) - nein -: Der Anstieg der Pleiten ist ein exakter Gradmesser für die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik. ({33}) Dieser Satz ist nicht von mir. Er stammt von Ihrem Fraktionskollegen, dem Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung der CDU, Herrn Professor Zeitel. Professor Zeitel hat recht. ({34}) Herr Kohl, Sie haben uns damals vor vier Jahren vorgerechnet, daß durch die 15 000 Konkurse des Jahres 1982 100 000 Arbeitsplätze verlorengegangen seien. Nun setze ich Ihre Rechnung einfach fort. Sie hatten 70 000 Konkurse. Das wären 500 000 verlorene Arbeitsplätze. - Jetzt lachen Sie. Entweder haben Sie damals falsch argumentiert - dann tut es mir leid, daß Sie als Bundeskanzler so wenig Übersicht haben -, oder es stimmt heute. ({35}) Nun ist ja von Herrn Stoltenberg, nicht nur heute, sondern auch in den letzten Jahren, immer wieder gesagt worden: Aber die Steuerpolitik wird es richten. Hier werden wir einen wichtigen Beitrag für die mittelständischen Unternehmen leisten. Ich stelle dazu zweierlei fest. Erstens. Die teure Vermögensteuersenkung -1,6 Milliarden DM Einnahmenausfall - ist im wesentlichen eine Vermögensteuersenkung für die Großunternehmen gewesen und ist eben am Mittelstand vorbeigerollt. ({36}) Und da fordern die Vertreter des Mittelstandes immer wieder die Einführung einer steuerstundenden Investitionsrücklage für kleine und mittlere Unternehmen. Was hören wir aus Ihrem Lager - Herr Waigel, Sie nehme ich ausdrücklich aus, Sie sind da auf der Seite der Sozialdemokraten; ich weiß das wohl -, ({37}) in trauter Einheit mit den Interessen der Großindustrie: Nein, eine steuerstundende InvestitionsrückDr. Apel lage kommt nicht in Frage! - Ich bin dafür, Herr Waigel, daß Sie sich durchsetzen. Auf unsere Unterstützung können Sie rechnen ({38}) - in diesem Punkte -; ({39}) denn wir werden unsere Steuerpolitik auf den Mittelstand konzentrieren, und wir werden diese steuerstundende Investitionsrücklage einführen. Und wenn Sie dann an unserer Seite sind, so mag uns das willkommen sein. ({40}) Herr Stoltenberg, Sie haben in Ihrer Rede ein Zitat aus Ihrer Rede im November 1982 hier eingeführt. Wenn ich das richtig verstanden habe, haben Sie damals gefordert, es komme darauf an, zu einer Umverteilung der Staatsausgaben zugunsten der arbeitsplätzeschaffenden Investitionen zu kommen. Ist das richtig? ({41}) Und da haben Sie dann eigentlich nur das getan, was Sie damals, Sie alle zusammen, versprochen haben - nämlich: Es komme darauf an, die privaten und die öffentlichen Investitionen zu erhöhen. - Nur die Tatsachen sprechen leider gegen Sie. ({42}) Die Investitionsquote der privaten und der öffentlichen Investitionen - da berufe ich mich nun einmal auf das Statistische Bundesamt; das ist ja nun nicht nur Herrn Stoltenberg vorbehalten ({43}) betrug im Jahre 1982 20,5, im Jahre 1985 - und das sind die letzten statistischen Zahlen - 19,6. Die öffentlichen Investitionen im Rahmen dieser Gesamtinvestitionen sind noch dramatischer zurückgegangen. ({44}) Nun rede ich über den Bundeshaushalt 1987 und den Bundesfinanzminister. ({45}) Also, Herr Stoltenberg, ich finde es ja rührend, wenn Sie ausgerechnet Herrn Schwarz-Schilling mit seiner Verkabelungspolitik heranziehen müssen, um den Vorwurf abnehmender öffentlicher Investitionen zu konterkarieren. ({46}) Aber Bahn und Post waren auch zu unseren Regierungszeiten große Investoren, und es ist intellektuell unredlich und unzulässig, hier ausweichende Operationen zu unternehmen. ({47}) Bleiben wir bei den nüchternen Zahlen. ({48}) - Ja, reden wir über die nüchternen Zahlen. Aber natürlich, das wird sofort gemacht. Ihr Wunsch ist mir Befehl. Der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben im Bundeshaushalt wird in diesem Jahre 13,1, im nächsten Jahr 12,9 betragen und, wenn es nach Herrn Stoltenberg geht, 1990 auf einem neuen Rekordtief von 11,9% sein. ({49}) Herr Stoltenberg, nun können Sie mir ja viel sagen, und es kann hier viel erklärt werden; aber ich werde es jetzt so machen, wie Sie es 1982 mit uns gemacht haben. Sie haben sich damals hier hingestellt und haben der sozialliberalen Koalition eine öffentliche Investitionslücke von 13 Milliarden DM vorgerechnet. Nun nehmen wir ganz einfach Ihre Zahlen und Ihre Berechnungsmethoden - dagegen können Sie wohl nichts haben -; dann kommen wir zu dem Ergebnis, daß wir im Jahre 1990, nach den Maßstäben von Herrn Stoltenberg errechnet, eine Investitionslücke von sage und schreibe 20 Milliarden DM haben werden. ({50}) Das ist dann auch, nach Ihren eigenen Maßstäben, Herr Kollege Stoltenberg, ein für Sie verheerendes Ergebnis. ({51}) Vielleicht sollten wir in diese Debatte auch das einführen, was die Wirtschaftsforschungsinstitute sagen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellt fest - ich zitiere -: Statt sich neuen Aufgaben, insbesondere der Umweltsicherung, zu stellen, zehrt der Staat vom früheren hohen Niveau der Infrastrukturinvestitionen ({52}) und verlagert Kosten auf die nächste Generation. Der Sachverständigenrat hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben - Sie wissen es -, daß die Umstrukturierung der Staatsausgaben in die falsche Richtung gegangen ist. Das ist die Wahrheit, Herr Kollege Stoltenberg; alles andere ist Maniküre. ({53}) Wir haben einen beispiellosen Einbruch der kommunalen Investitionen gehabt. ({54}) Die Gemeinden sind der größte Investor. Sie haben recht, Herr Kollege Stoltenberg, in diesem Jahr gibt es eine leichte Erhöhung der gemeindlichen Investitionen. Aber wenn Sie Ihre Politik über vier Jahre hin betrachten, können Sie nicht leugnen, daß die Investitionen der Gemeinden auch in diesem Jahre deutlich niedriger liegen werden als am Beginn Ihrer Amtszeit. ({55}) Die kommunalen Bauinvestitionen liegen derzeit real auf dem Niveau des Jahres 1963. ({56}) ({57}) Was für viele Kommunalpolitiker in unserem Lande besonders bedrückend ist - auch für Kommunalpolitiker der Union; bei der FDP gibt es keine -, ({58}) ist die Tatsache - ({59}) - Na gut, es mag irgendwo einen geben; es mag sein, daß ich ihn übersehen habe. ({60}) Meine Damen und Herren, das eigentlich Dramatische ist doch folgendes: ({61}) - Sie können mich überhaupt nicht stören; das sind ja wirklich geistreiche Zwischenrufe, die Ihrem Niveau entsprechen. ({62}) Das eigentlich Bedrückende ist doch, worüber wir alle, auch Sie, die Sie Kommunalpolitiker der Union sind, besorgt sein müssen: Die Strukturunterschiede und die Finanzunterschiede zwischen den strukturschwachen - meistens großen - Städten und den Städten in den strukturschwachen Gebieten haben sich verschärft. Wir können doch diese Städte, die meistens in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit liegen, nicht einfach im Regen stehen lassen. ({63}) Herr Kollege Stoltenberg, der Deutsche Städtetag hat immer wieder darauf hingewiesen, daß Sie mit Ihrer Steuersenkungspolitik den Gemeinden Steuereinnahmen weggenommen haben, ohne daß eingetreten wäre, was der Bundeskanzler zu Beginn seiner Arbeit versprochen hat, nämlich für vollen Ausgleich zu sorgen. ({64}) Dies, meine Damen und Herren, und die Untätigkeit der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ({65}) und die immer wieder vorgenommenen Kürzungen bei den Sozialausgaben haben immer mehr Menschen in die Sozialhilfe getrieben. - Herr Kollege Dregger, sie kommen doch an folgender Zahl nicht vorbei: In Ihrer Zeit sind die Sozialhilfeausgaben der Gemeinden um 40 % explodiert. ({66}) Sie belaufen sich auf 20 Milliarden DM. ({67}) - Herr Seiters, ich bin überhaupt nicht dagegen. ({68}) Aber ich bin gegen zweierlei: Ich bin erstens dagegen, daß Sie die Langzeitarbeitslosen ohne Hoffnung lassen und sie immer mehr in die Sozialhilfe treiben und daß Sie damit Ihre Pflicht als sozialer Gesetzgeber in Bonn nicht wahrnehmen und die Gemeinden aus diesem Grunde belasten. ({69}) Wir Sozialdemokraten sind im übrigen die einzige Partei, die sehr frühzeitig ihr Konzept für eine Gemeindefinanzreform vorgelegt hat. Wir sind der Meinung, daß die Finanzkraft der Gemeinden gestärkt werden muß. ({70}) - Ich will Ihnen sagen: Es hat in dieser Republik eine Gemeindefinanzreform gegeben, die nachhaltig gewirkt hat; sie ist nicht mit Ihrem Namen, sondern mit dem Namen meines verstorbenen Freundes Alex Möller verbunden. ({71}) Wir wollen eine neue Gemeindesteuerreform machen, weil wir die Not der Gemeinden sehen, weil wir ihre Finanzautonomie stärken müssen. ({72}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Koalition hat den massiven Abbau der Subventionen versprochen. Die Subventionen des Bundes werden 1987 um über 35 Milliarden DM, also um 30 %, höher liegen als 1982. ({73}) - Herr Kollege Dregger, die Steuersubventionen sind um 50 % gestiegen, geradezu explodiert: Damals 30 Milliarden DM, heute 45 Milliarden DM Steuersubventionen. ({74}) Ich kann nur sagen: Heute hat der Kollege Stoltenberg vorsichtiger argumentiert. Aber noch bei der Vorstellung seines letzten Haushalts hat er bis 1989 einen stufenweisen Subventionsanbau - - -abbau angekündigt. ({75}) - Ja, das ist auch gut, ein Subventionsanbau. ({76}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gegenteil ist eingetreten. In diesem Zusammenhang möchte ich einmal ausdrücklich Graf Lambsdorff zitieren. ({77}) Graf Lambsdorff hat gesagt, der explosionsartige Anstieg der Subventionen sei der Minusrekord, den sich diese Bundesregierung vorwerfen lassen müsse. ({78}) Wer im übrigen glaubt, die Bundesregierung hätte aus diesen schlimmen Erfahrungen gelernt, der täuscht sich. Heute wurde erneut für die Steuersenkung in der nächsten Legislaturperiode ein Subventionsabbau von 10 Milliarden DM versprochen. Wer will ihnen das eigentlich noch glauben, nachdem Sie allein die Steuersubventionen in vier Jahren um 15 Milliarden DM nach oben getrieben haben? ({79}) Die SPD dagegen hat bewiesen, daß Subventionsabbau durchsetzbar ist. Es war der Finanzminister Hans Matthöfer, der 1981/82 rund 8 Milliarden DM Steuervergünstigungen und Finanzhilfen abgebaut hat. Das wirkt bis heute weiter, Herr Kollege Stoltenberg. Im nächsten Jahr stehen noch 500 Millionen DM für die Sparprämie im Etat; im Jahr darauf fällt dieser Ansatz weg. Das sind gegenüber 1982 Ersparnisse von 2,1 Milliarden DM. Es ist eigentlich unverständlich, um nicht zu sagen peinlich, daß Sie ausgerechnet Werbung mit dem Abbau dieser Subvention betreiben - einer Subvention, die wir gegen harte Widerstände abbauen mußten und die Sie sich jetzt als Feder an Ihren Hut stecken wollen. ({80}) Für uns ist der Abbau von Subventionen nicht nur ein Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit. Für uns wird es auf diese Weise auch möglich sein, knappe Steuermittel für andere, wichtigere Vorhaben zu gewinnen, so z. B. für die Stärkung der Investitionen des Bundes. In einem Punkte aber unterscheiden wir uns gravierend: ({81}) Soweit steuerliche Subventionen und andere Sonderregelungen unvermeidlich sind, werden wir sie künftig in der Form eines progressionsunabhängigen, d. h. für alle gleich hohen Satzes gewähren. Auch das ist vernünftig und ein Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit. ({82}) Der Bundesfinanzminister hat über die Privatisierung gesprochen. Er wird nicht umhin kommen festzustellen, daß er mit vollmundigen Ankündigungen in dieser Legislaturperiode Erwartungen geweckt hat, die er nicht erfüllt hat. ({83}) Wie war es denn wirklich? Ohne Bestandsaufnahme und ohne wirtschaftliche Konzepte hat Herr Stoltenberg Bundesunternehmen auf seine Verkaufsliste gesetzt. Gab es dann Schwierigkeiten, wurden die Unternehmen von der Verkaufsliste wieder zurückgenommen. Gab es Widerstand aus Bayern - das ist kein schlechter Witz -, so bei der von Ihnen gewollten Privatisierung der Lufthansa, dann sind Sie eingeknickt. Ich sage Ihnen zum zweiten Mal - dies hat nichts zu bedeuten, Herr Kollege Waigel, keine Sorge; auch in diesem Punkte sind wir mit der CSU und Bayern einer Meinung -: Der Privatisierung der deutschen Lufthansa muß widersprochen werden, aus verkehrspolitischen, sicherheitspolitischen, aber auch aus strukturpolitischen Überlegungen. ({84}) Nun, Herr Kollege Stoltenberg, zu Ihrer letzten Aktion: Sie werden sich daran erinnern, daß Sie bei der Vorlage ihrer letzten Verkaufsliste, nämlich im März dieses Jahres, von VEBA und VW nicht gesprochen haben. Sie haben dann sehr plötzlich wie Ziethen aus dem Busch verkündet, nun müßten VEBA und VW verkauft werden, privatisiert werden. Den Erlös von 3 Milliarden DM haben Sie bereits in Ihren Etat eingesetzt. Was uns Sozialdemokraten besonders trifft, ist folgendes. Wir haben in unserer Regierungsverantwortung zusammen mit den Liberalen aus wohlerwogenen wirtschaftspolitischen Gründen Milliarden in den Bundesbesitz investiert, weil er eine wirtschaftspolitische Funktion hat, und Sie versilbern bei dieser Gelegenheit diese Investitionen der sozialliberalen Koalition gleich mit. ({85}) Wir lehnen die Veräußerung der wertvollsten Teile des ertragbringenden industriellen Bundesvermögens ab. Wir sind der Auffassung, Herr Kollege Stoltenberg, daß der Beteiligungsbesitz des Bundes im Rahmen eines wirtschaftspolitischen Gesamtkonzeptes vernünftig weiterentwickelt werden muß. ({86}) Strukturbereinigungen, Graf Lambsdorff, durch etwaige Privatisierung einzelner Unternehmen haben die gesamtwirtschaftlichen Bundesaufgaben zu berücksichtigen. Sie müssen sich - darüber hat Lahnstein damals geredet - an klar definierten wirtschaftspolitischen Zielen orientieren. Aber, Herr Kollege Stoltenberg, bei Ihnen fehlt doch jede Orientierung, Sie haben doch zum Strohhalm der Verschleuderung von Volksvermögen gegriffen, um Ihre Haushaltslöcher zu schließen. ({87}) 1983 hat der Bundesfinanzminister angekündigt, er wolle die Neuverschuldung bis zum Beginn der kommenden Wahlperiode auf 15 bis 20 Milliarden DM senken; heute holen ihn die Tatsachen ein. Ich stelle hier ganz nüchtern Zahlen dar, Herr Kollege Stoltenberg, und da muß ich nicht vorsichtig sein, denn diese Zahlen kommen ja von Ihnen. ({88}) 1982 lag die Gesamtverschuldung aller öffentlichen Hände bei 606 Milliarden DM, bis Ende 1985 ist sie auf 735 Milliarden DM gestiegen. Das ist ein Anstieg der Pro-Kopf-Verschuldung um 27 % auf 12 460 DM. Sie haben uns mitgeteilt, daß wir am Ende dieses Jahrzehnts bei allen öffentlichen Haushalten einen Schuldenberg von 1 Billion DM haben werden. ({89}) Für den Bund, Herr Kollege Stoltenberg, haben Sie uns einen Haushaltsentwurf und eine mittelfristige Finanzplanung vorgelegt, die klarmachen, daß die Nettokreditaufnahme des Bundes wieder zunimmt. Sie haben in vier Jahren 100 Milliarden DM neue Schulden gemacht, ({90}) und das ist, ganz nüchtern festgestellt, ein neuer Rekord. Nun werden Sie dieses natürlich, wie Sie es immer gerne tun, wenn Sie in Schwierigkeiten sind, mit „Erblast" erklären. ({91}) - Herr Kollege Dregger, lassen Sie uns die Dinge einmal so betrachten, wie sie sind! ({92}) Wir haben in 13 Jahren sozialliberaler Koalition 13 Milliarden DM Bundesbankgewinn bekommen, im Schnitt 1 Milliarde DM pro Jahr. ({93}) Der Bundesfinanzminister hat in den vier Jahren seiner Regierungszeit 48 Milliarden DM Bundesbankgewinn bekommen. ({94}) Da kann man sich in der Tat leicht in die Pose des Haushaltssanierers werfen. Nehmen Sie nun bitte zur Kenntnis, daß inzwischen weit mehr als die Hälfte - ({95}) - Herr Kollege Friedmann, nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß inzwischen weit über die Hälfte der Zinsen, die der Bundesfinanzminister zu zahlen hat, Zinsen auf Ihre Schulden sind. ({96}) Wann werden Sie denn endlich den Mut haben, frage ich die gesamte Koalition, sich zu den Konsequenzen Ihrer eigenen Politik zu bekennen? Es wird doch langsam Zeit! ({97}) Herr Kollege Stoltenberg, ich will Ihnen am Ende eines zu diesem Thema sagen: Für uns ist Haushaltskonsolidierung kein Selbstzweck. Damit das aber ganz klar ist und endlich die Unredlichkeit aus Ihren Debattenbeiträgen herauskommt: Das, was wir im Regierungsprogramm vorstellen werden, was wir in der nächsten Legislaturperiode machen werden, wird weder durch eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme noch durch eine anhaltende Erhöhung der Steuerlastquote finanziert werden. Das sind die Fakten. ({98}) Reden wir über Haushaltskonsolidierung. Es stimmt, Herr Kollege Stoltenberg: Sie haben in vier Jahren die Nettokreditaufnahme beim Bund - ich lasse einmal die Bundesbankgewinne heraus - um 12 Milliarden DM reduziert. Aber um welchen Preis? ({99}) Sie haben an die Solidarität, an die Opferbereitschaft der Bürger appelliert, Sie haben ihnen versprochen, die notwendigen Opfer auf alle Bürger sozial gerecht zu verteilen. Gehalten haben Sie Ihr Versprechen nicht. ({100}) Arbeitnehmern, Mietern, Wohngeldbeziehern, BAFöG-Empfängern, Rentnern, Kriegsopfern, Kranken, Behinderten, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern haben Sie massive Daueropfer abverlangt, von 1983 bis 1985 60 Milliarden DM. ({101}) Wie war es dann bei den sehr gut Verdienenden? War es nicht so, daß Sie vor der Bundestagswahl einen Solidarbeitrag für alle Gutverdienenden beschlossen hatten, die sogenante Zwangsanleihe? ({102}) War es nicht so, daß Sie von der Union dann in Ihrem Wahlprogramm beschlossen haben, diese Zwangsanleihe wird nicht zurückgezahlt? ({103}) War das nicht so, daß das das erste Wahlversprechen war, das Sie gebrochen haben? ({104}) Wir haben Ihnen in den Debatten vor der Beschlußfassung zur Zwangsanleihe gesagt, diese sei verfassungswidrig. Sie, Herr Kollege Stoltenberg, haben das bestritten. Sie haben gesagt, nein, dies sei nicht verfassungswidrig. Natürlich hatten wir recht. Die Zwangsanleihe war verfassungswidrig. Es gab ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Was passierte dann? Sie haben die Milliarden, die Sie bereits einkassiert hatten, schleunigst zurückgezahlt. Als wir Ihnen gesagt haben, wir bieten Ihnen eine gemeinsame Lösung an, damit dieser Solidarbeitrag - so haben Sie ihn ja immer genannt - der sehr gut Verdienenden weiter erhoben werden kann, haben Sie das abgelehnt. Damit ist dann endgültig bewiesen gewesen, daß Sie einseitig Lasten bei der Haushaltskonsolidierung verteilt haben. ({105}) Ich sage das mit allem Nachdruck. Die Probleme der Massenarbeitslosigkeit sind nicht gelöst. Im Gegenteil. Qualifizierung der Arbeitslosen und Jugendarbeitslosigkeit sind drängende Probleme. Deswegen bleiben wir Sozialdemokraten bei der Forderung, daß auch die sehr gut Verdienenden einen Solidarbeitrag zu leisten haben. ({106}) Wir werden für Steuerpflichtige, die über 120 000 DM zu versteuerndem Jahresfamilieneinkommen liegen - ({107}) - 60 000 bei Ledigen; okay. Aber Ihre Rechnungen waren ja insofern trickreich. Sie haben ja immer nur mit diesen Zahlen gerechnet. Ich komme darauf zurück. Mir wäre es lieber gewesen, Sie hätten sich mal ein bißchen mit den Konsequenzen Ihrer eigenen Steuersenkung auseinandergesetzt. ({108}) Wir werden diese Ergänzungsabgabe beschließen - nicht, weil es uns Spaß macht, sondern weil wir den Besserverdienenden sagen müssen: Auch sie müssen ein Opfer bringen, um im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit erfolgreich zu sein. ({109}) Sie haben die Ausgaben für Sozialpolitik und für Bildung massiv zusammengestrichen. Überproportional erhöht, Herr Kollege Stoltenberg, haben Sie dagegen die Ausgaben für Verteidigung, ({110}) für Subventionen und für Landwirtschaft. ({111}) - Aber natürlich! Bis zum Jahr 1986 haben Sie diese Ausgaben überproportional erhöht. Und das hat dem Verteidigungsressort nicht gutgetan. Ist es denn vernünftig, daß in diesem Jahr Panzer bestellt werden, die niemand haben will ({112}) und die doch deutlich machen, daß hier in der Haushaltspolitik irgend etwas nicht stimmen kann. ({113}) Im übrigen: Wofür dann diese Koalition Geld hat und wofür nicht, ist ja in einem interessanten Schlaglicht kurz vor der Sommerpause in diesem Jahr deutlich geworden. ({114}) Da hat Herr Stoltenberg nach der Niedersachsen-Wahl ({115}) - drei Tage danach - zur Finanzierung von Wahlversprechen eine Haushaltssperre in Höhe von 1 Milliarde DM ausgebracht. Das hat viele gesellschaftliche Gruppen und viele Sportvereine empfindlich getroffen. Gleichzeitig hatten Sie dann diese 1 Milliarde DM für die Panzer zur Verfügung. Und was das Peinlichste ist: ({116}) - Herr Kollege Friedmann, ich freue mich, daß Sie wieder lachen. ({117}) Auch künstliche Erregungen führen am Ende zu einem befreienden Lachen. Das finde ich gut. ({118}) Das Peinliche ist, Herr Kollege Stoltenberg, daß Sie just um diese Zeit erklärt haben, für die Finanzierung des Babyjahrs für alle Frauen, auch für die sogenannten Trümmerfrauen, hätten Sie kein Geld. Und 1987 - das können Sie doch nicht bestreiten - wird diese Politik fortgesetzt. Die Ausgaben für soziale Sicherung steigen geringer als der Gesamthaushalt. Der Haushalt für Bildung und Wissenschaft geht zurück. Der Anteil der Investitionen ist rückläufig. Von einer Umstrukturierung der Ausgaben in Richtung zukunftswirksame Ausgaben, die Sie, Herr Stoltenberg, bei Ihrer Antrittsrede hier im Deutschen Bundestag versprochen haben, kann keine Rede sein. ({119}) Der Bundesfinanzminister hat in seiner Einbringungsrede über die Steuer- und Abgabenbelastung gesprochen. Er hat bewegt Klage darüber geführt, wie schlimm das alles sei. Herr Kollege Stoltenberg, in Ihrer Amtszeit ist die Steuer- und Abgabenbelastung auf neue Rekordhöhen gestiegen. Man kann nicht gleichzeitig beklagen und die Verantwortung für diese Entwicklung tragen. Wenn Sie klagen, dann handeln Sie! Wenn Sie nicht handeln, klagen Sie nicht, sondern nehmen Sie unsere Vorwürfe zur Kenntnis. ({120}) Die Entlastungen im Steuersenkungsgesetz 1986/88 sehen ja wohl folgendermaßen aus: Der Normalverdiener erhält 12 DM Steuersenkung. Ich habe darauf hingewiesen, daß das meiste davon allein durch die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge weggenommen wird. ({121}) Der Spitzenverdiener erhält mehr als fünfzigmal diese Summe von 12 DM als Steuerentlastung, ({122}) obwohl die Steuerlast, die er zu tragen hat, nur zwanzigmal so hoch ist wie die des Durchschnittsverdieners. Da kann ich nur sagen: Wenn Sie es sich zum Ziel gesetzt haben, die Steuer- und Abgabenlast zu senken, können Sie dabei eigentlich nur an die Spitzenverdiener gedacht haben, denn für die anderen findet das nicht statt. ({123}) Aus diesem Grunde ist es ja auch nicht erstaunlich, daß eine repräsentative Umfrage von „Infratest", die in diesem Falle - ich muß das zugeben - Herr Bangemann nicht bestellt hat - ({124}) - Wir können auf ihn verzichten! ({125}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine repräsentative Befragung durch „Infratest" hat ergeben - Herr Kollege Friedmann, das können Sie nachlesen -, daß nur jeder fünfte Bundesbürger von der Steuersenkung zum 1. Januar 1986 etwas gemerkt hat, ({126}) und von denen, die etwas gemerkt haben, sind die meisten in den höheren Einkommensbereichen. ({127}) - Wenn Sie sagen, das sei falsch, bitte schön, dann reden wir über Zahlen, die Sie nicht bestreiten können: Die durchschnittliche Lohnsteuerbelastung der Löhne und Gehälter betrug 1982 weniger als 16%. Sie wird 1986 trotz Steuersenkung auf 17 % steigen, ({128}) und sie wird trotz weiterer Steuersenkung 1988 im Jahre 1990 bei 19% liegen. ({129}) Und da sagen Sie, die Angaben seien falsch! Dies sind Fakten, und die spürt jeder Bürger, jeder Arbeitnehmer, am Wochenende oder am Monatsende auf seinem Gehaltsstreifen. ({130}) Wenn wir dann die Sozialabgaben mit einbeziehen, wird es noch dramatischer: 1981 mußte der Durchschnittsverdiener 39 Pf von jeder verdienten Mark abgeben, 1989 werden es 44 Pf sein. ({131}) Der Haushaltsentwurf 1987 macht doch deutlich, wohin die Reise gehen soll: Gegenüber dem Haushaltsj ahr 1986 werden die Einnahmen aus der Lohnsteuer um 8,5% steigen, die Einnahmen aus allen anderen Steuern lediglich um 2,7 %. ({132}) Sie wollen den Marsch in den Lohnsteuerstaat. Die Zahlen beweisen es. Nicht Klagen sind angebracht, sondern Handeln ist gefordert. ({133}) Der Herr Bundesfinanzminister hat uns heute morgen über die Finanzenge in seinem Bundeshaushalt berichtet. Er hat darauf hingewiesen, daß er Probleme auf der Einnahmenseite hat. Aber, Herr Kollege Stoltenberg, konnten Sie davon eigentlich überrascht sein? Wer die Unternehmenssteuern um 10 Milliarden DM jährlich senkt, ({134}) wer die Steuersubventionen explodieren läßt, wer im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit nichts unternimmt und deswegen auf Steuereinnahmen verzichten muß, die er hätte bekommen können, wenn wir ein höheres Beschäftigungsniveau hätten, ({135}) der muß zur Kenntnis nehmen, daß das auf der Einnahmenseite Konsequenzen hat. Die uns von Ihnen, Herr Kollege Stoltenberg, vorgelegte Finanzplanung ist bereits Makulatur. Das ist doch eine erstaunliche Geschichte: Da redet der Finanzminister anhaltend und lange über die größte Steuerreform in der nächsten Legislaturperiode, über diese Super-Steuerreform, und dann, meine Kollegen, schauen Sie einmal in die mittelfristige Finanzplanung hinein: Sie finden dort nicht eine müde Mark angesetzt; nichts ist vorgesehen. Anders gesagt: Außer vielen Worten, außer viel Nebel können wir heute nichts erkennen. ({136}) Auch andere Ausgabenansätze fehlen doch. Wo sind denn in der mittelfristigen Finanzplanung die Ausgabenansätze für das Babyjahr für alle Frauen? Gewiß: Die Regelung, die Sie nach der Niedersachsenwahl durchgesetzt haben, ist schäbig genug. VorDr. Apel her hatten Sie den alten Damen das Blaue vom Himmel versprochen. Sie plündern vorerst zur Finanzierung dieses Babyjahrs die Kassen der Bundesanstalt für Arbeit. ({137}) Meine Damen und Herren, es handelt sich doch um Bundesaufgaben und -ausgaben. Sie haben Versprechungen gemacht. Das gehört in die mittelfristige Finanzplanung hinein. Man kann doch nicht so tun, als gebe es sie nicht. ({138}) Deswegen sagen wir Ihnen: Die Milliardenversprechungen, die im Moment Generalsekretär Geißler aushändigt, sind überhaupt nichts wert; denn nicht eine Mark dieser Versprechungen ist in der mittelfristigen Finanzplanung angesetzt. Die Kassen sind leer; Sie wissen es. Sie versuchen erneut den billigen Weg der Wählertäuschung. Das ist es. ({139}) Der Bundesfinanzminister hat über die Probleme der EG-Finanzen gesprochen. ({140}) In Brüssel bestehen 44 Milliarden DM ungedeckte Verpflichtungen. Da kommen riesige Haushaltsrisiken auf uns zu. Die Bundesregierung trägt ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung dafür. Sie haben doch, weil Sie Ihre verfehlte EG-Agrarpolitik auch in Brüssel fortsetzen wollten, die mühsam gemeinsam erarbeiteten Grundsätze der Haushaltsdiziplin in Brüssel über Bord geworfen. Herr Bundeskanzler, Sie haben hier im Bundestag am 7. Dezember des Jahres 1983 erklärt - ich zitiere Sie -: Nur über eine strengere Haushaltsdisziplin kann die Gemeinschaft den Weg aus der Krise finden. Es ist politisch nicht vertretbar, daß die Mitgliedstaaten ihren Bürgern Opfer zumuten, um die nationalen Haushalte in Ordnung zu bringen, gleichzeitig aber den Gemeinschaftshaushalt ungebremst expandieren lassen. Bravo, bravo! Aber wo sind denn die Taten geblieben? ({141}) Herr Kollege Stoltenberg hat vor einem Jahr zum Haushaltsentwurf der EG 1986 hier im Bundestag gesagt - ich zitiere ihn -: 23 % Zuwachs können wohl nicht das Ergebnis der Brüsseler Haushaltsberatungen sein. 2 % auf nationaler Ebene, 23% in Brüssel - das paßt nicht zusammen. Und nun? Der mit der Zustimmung der Bundesregierung und durch unvernünftige Forderungen im Bereich der Agrarpolitik aufgeblähte EG-Haushalt wächst nicht um 23 %, sondern sage und schreibe um 25%. ({142}) Meine Damen und Herren von der Koalition: Natürlich können wir die Europäische Gemeinschaft nicht zum Null-Tarif haben; das wissen wir. Das kostet Geld. ({143}) Wenn die Bundesregierung glaubt, die Europäische Gemeinschaft zu einer Agrargemeinschaft degenerieren lassen zu müssen, indem sie immer mehr Agrarforderungen in die Gemeinschaft hineinpreßt, dann wird Europa in der Tat unbezahlbar. Dann wird das, was der Bundeskanzler in seinen Sonntagsreden gern verkündet, nämlich die Vision vom Vereinigten Europa, die wir ja teilen, Herr Bundeskanzler, zu einer Farce, weil sie finanziell konterkariert wird. Wir werden daran nicht mitwirken. ({144}) Ich habe in der Einführungsrede des Bundesfinanzministers ein interessantes Zitat gefunden. Ich will es Ihnen einmal vorlesen. Der Finanzminister sagte - ich zitiere ihn -: Wir wollen keinen überbordenden Staat, der - das ist die entscheidende Aussage willfährig einer Vielzahl von Einzelinteressen dient. Als ich diesen Satz gelesen habe, habe ich an die Nacht- und Nebelaktion des Herrn Stoltenberg gedacht, die auf Grund von Bauernprotesten in Rendsburg, in dem Wahlkreis des Herrn Bundesfinanzministers, plötzlich über Nacht 22 Milliarden DM an zusätzlichen Haushaltsmitteln bereitstellen konnte. ({145}) Damit es ganz klar ist, meine Damen und Herren der Unionsparteien: Wir Sozialdemokraten wissen um die verzweifelte Lage unserer bäuerlichen Familienbetriebe ({146}) - ja, nun, hören Sie doch erst einmal zu -, und wir werden ihnen beistehen, ({147}) damit sie mit ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten fertigwerden. Wir wissen auch, daß es ohne öffentliche Mittel nicht geht. Wir wissen, daß eine neue Agrarpolitik teuer ist. Wir übernehmen im übrigen auch unsere Mitverantwortung für die Entwicklung der EG-Agrarpoli17606 tik. Das ist doch klar. Wir haben 13 Jahre dieses Land regiert. ({148}) Aber im Gegensatz zu Ihnen haben wir bereits im Jahre 1980 unser neues Konzept für eine andere Agrarpolitik vorgelegt, ({149}) ein Konzept, meine sehr geehrten Damen und Herren, das zunehmend auf Zustimmung stößt und zunehmend Verbreitung findet. Sie dagegen wursteln borniert ohne Kurskorrektur in ihrer Agrarpolitik weiter. Reden Sie doch einmal draußen mit den bäuerlichen Familienbetrieben. Reden Sie doch einmal mit den Landwirten in Bayern. ({150}) Reden Sie doch einmal mit den Landwirten in der Rhön und anderswo. Die wissen doch eines ganz genau: die von Ihnen verwandte Milliardensubventions-Gießkanne, aus der Sie da ausstreuen, nutzt den Ertragsstarken, ({151}) den großen Unternehmen. Die kleinen Betriebe gehen zugrunde. Ich sage Ihnen, diese Agrarpolitik und diese Finanzpolitik hat weder für Brüssel noch für unsere Landwirtschaft Zukunft. Sie muß deswegen schleunigst beendet werden. ({152}) Der Bundesfinanzminister hat heute wieder über die nächste größe Steuerreform geredet, nicht mehr über das, was da passiert ist - 1986 und 1988 - zu Lasten der Kleinen, und er hat sich damit, wie ich finde, in einen fahrlässigen Wettlauf um Steuersenkungsversprechungen eingelassen, nicht zuletzt deswegen, weil die Kassen ja wirklich leer sind. Herr Kollege Stoltenberg, ich verstehe nicht, warum das sein muß. Wenn Sie es dann schon tun, wenn Sie meinen, mit dieser neuerlichen Versprechung einen Wahlschlager zu haben, dann sagen Sie uns bitte mehr über die Konturen dieser nächsten Steuersenkung; dann sagen Sie uns, wie Sie diese 40 bis 45 Milliarden DM finanzieren wollen; dann geben Sie zu - Sie haben es heute zum erstenmal hier leicht angedeutet -, daß Sie die Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuern zur Finanzierung dieser Steuerreform bereits fest eingeplant haben. ({153}) Herr Kollege Stoltenberg, Sie sprechen dann über den Abbau von Steuervergünstigungen. Ich habe ja bereits gesagt, daß wir wenig Vertrauen in Ihre Kraft haben. Sagen Sie dann aber auch, daß der CDU-Finanzminister des Landes SchleswigHolstein und die CDU-Finanzministerin des Landes Niedersachsen ganz öffentlich sagen und deutlich machen, was sie unter Abbau von Steuervergünstigungen verstehen, nämlich die Besteuerung der Zuschläge für Sonntags- und Feiertagsarbeit, die Abschaffung der Arbeitnehmerfreibeträge und die Abschaffung der Weihnachtsfreibeträge. Ich verstehe, daß Sie in der Klemme sind, ein solches Steuerpaket konkret vorzustellen; denn es ist natürlich schwierig, dem Normalbürger zu sagen, er möge bei der nächsten Bundestagswahl für die Koalition stimmen, wenn sie die Spitzensteuersätze senken will, wenn die Unternehmenssteuern weiter gesenkt werden sollen, wenn aber zur Finanzierung die Mehrwertsteuer, die Verbrauchsteuern erhöht werden und Steuervergünstigungen bei Arbeitnehmern abgebaut werden sollen. ({154}) Sie haben über unser Kontrastprogramm gesprochen, Sie haben viel über unseren Nürnberger Parteitag gesprochen. Wir finden das gut, vielleicht sollten wir Sie zu unserem nächsten ordentlichen Parteitag als Ehrengast einladen. ({155}) In jedem Falle, Herr Kollege Stoltenberg, bin ich doch dafür, daß wir bei den Fakten bleiben. Die Fakten sehen so aus, daß wir die zweite Stufe der Steuersenkung 1988 so umbauen werden, daß Familien mit einem Einkommen unter 8 000 DM, Ledige mit einem Einkommen unter 4 000 DM wesentlich stärker entlastet werden als bei Ihnen und daß wir oberhalb 8 000 DM Familieneinkommen ({156}) - im Monat, damit wir uns hier klar verstehen; ich bin gern bereit, Ihnen das noch einmal persönlich zu sagen -, weil wir der Meinung sind, daß es dort verantwortbar ist, die Steuersenkung geringer zu halten als von Ihnen vorgesehen. Das ist verantwortbar. ({157}) Nun haben Sie einen interessanten Trick gemacht. Er ist nur nicht zulässig. Sie haben gesagt: Und wenn das dann zwei, drei Jahre so weitergeht, dann wachsen mit zunehmendem Einkommen auch diejenigen, die von den Sozialdemokraten begünstigt werden sollen, in neue Progressionsstufen hinein. In einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Wir werden uns an Ihren unseriösen Steuersenkungsversprechungen für die nächste Legislaturperiode nicht beteiligen. Das ist richtig. Das unterscheidet uns in der Tat. ({158}) Aber, Herr Kollege Stoltenberg, in einem Punkt ist es ja wohl auch klar - und ich schicke Ihnen gerne noch einmal unsere Nürnberger Beschlüsse -, ({159}) daß wir natürlich fortfahren müssen, die heimlichen Steuererhöhungen zurückzugeben und fortfahren müssen - ({160}) - ja, das haben wir in Nürnberg so beschlossen; es empfiehlt sich, nicht nur Referentenvorlagen zu lesen, sondern das Original ({161}) und natürlich fortfahren werden, Steuerprogression und Steuerbelastung zu senken. Herr Kollege Stoltenberg, zu einem Thema haben Sie überhaupt nichts gesagt. Wir haben 1974 gemeinsam, wir alle hier in diesem Deutschen Bundestag gemeinsam - ich war damals noch nicht Finanzminister, es war noch Helmut Schmidt; ich wurde es dann - beschlossen, Schluß zu machen mit den unsozialen Kinderfreibeträgen. Wir haben damals gemeinsam gesagt: Dem Staat muß jedes Kind gleich viel wert sein. ({162}) Gemeinsam. Jetzt wird mit merkwürdigen Leistungsbegriffen gesagt, dies wollten Sie nicht mehr, dies sei Gleichmacherei - das sagen Sie -; Sie wollen die Kinderfreibeträge forcieren. Das führt doch dazu, daß der Spitzenverdiener für sein Kind zweieinhalbmal mehr Entlastung bekommt als der Normalverdiener. Herr Kollege Stoltenberg, wenn ich hier noch eine Anmerkung machen darf: Sie haben für ein einfacheres Steuerrecht plädiert, und Sie haben zu Recht gesagt, dies sei alles zu kompliziert. Das stimmt. Aber wenn ich mir die derzeitige Regelung anschaue - Kindergeld, Zusatzkindergeld, Kinderfreibeträge -, mein Gott, Kinder, Kinder, ({163}) habt ihr da unser Steuerrecht kompliziert gemacht, nur um euer Prinzip wachsender sozialer Ungerechtigkeit im Familienlastenausgleich durchzusetzen! ({164}) Und um Ihnen das auch noch einmal zu sagen: Wir werden ohne zusätzliche Kosten, weil wir die Kinderfreibeträge - wie bereits 1974 von uns allen beschlossen - abschaffen werden, für das erste Kind 100 DM monatlich an Kindergeld, für das zweite 200 DM und für jedes weitere 300 DM zahlen. ({165}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen - und vielleicht finden wir ja Ihre Zustimmung - das Kindergeld auf die Finanzämter übertragen. Es soll quasi von der Steuerschuld abgezogen werden. Dies, Herr Kollege Carstens, führt dann dazu, daß eine Familie mit 2 800 DM Monatseinkommen und zwei Kindern nach Abzug dieser Steuerschuld „Kindergeld" mit der Lohnsteuer nichts mehr zu tun hat. Das ist ein Ziel, das vernünftig ist. ({166}) Ich fasse zusammen: Für uns Sozialdemokraten und - ich denke - für viele Bürger in unserem Lande ist die Bilanz der Amtszeit des Bundesfinanzministers negativ. ({167}) Die Finanzpolitik ist für die anhaltende Massenarbeitslosigkeit mitverantwortlich. ({168}) Der Finanzminister hat die öffentlichen Investitionen verkommen lassen. ({169}) Während seiner Amtszeit haben die Unternehmenszusammenbrüche Rekordhöhen erreicht. ({170}) Und, Herr Kollege Stoltenberg: Ungerechtigkeit ist das Prinzip Ihrer Finanzpolitik. ({171}) Sie haben auf dem Rücken der großen Mehrheit unserer Bevölkerung gespart. Sie haben die Unternehmensteuern gesenkt, die Steuersubventionen explodieren lassen. Und lassen Sie mich eine ganz persönliche Bemerkung anfügen: Besonders betroffen bin ich, wenn Sie als praktizierender Christ vom Sozialneid reden. ({172}) Dies finde ich unglaublich! ({173}) Ich finde es unglaublich, wenn ein praktizierender Christ - und der ist Herr Stoltenberg - so über die sozial Schwächsten und über unseren Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit redet. ({174}) Sie haben die Steuer- und Abgabenbelastung unerträglich ansteigen lassen. Die Staatsverschuldung hat neue Rekordhöhen erreicht. ({175}) Sie verscherbeln, Herr Kollege Stoltenberg, Volksvermögen, um Haushaltslöcher zu stopfen. Diese Politik muß beendet werden. ({176}) Die Finanzpolitik muß den ihr möglichen - den ihr möglichen! - Beitrag für ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit leisten, vor allem im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. ({177}) Die Last der Finanzierung der unabdingbaren staatlichen Aufgaben muß gerechter verteilt werden. Steuergerechtigkeit - Steuergerechtigkeit! - muß durchgesetzt werden. ({178}) Deswegen muß der von Ihnen zu verantwortende Marsch in den Lohnsteuer- und Abgabenstaat gestoppt werden. Meine Damen und Herren, ich habe bereits darauf hingewiesen: Konsolidierung ist kein Selbstzweck. Aber damit das noch einmal ganz klar ist: Der Ausweg in eine erhöhte Nettokreditaufnahme ist für uns keine Antwort auf die vor uns liegenden großen Aufgaben in der Gesellschaftspolitik. Wir werden auch die Steuerlastquote konstant halten. In einem Punkt möchte ich dem Finanzminister am Ende meiner Ausführungen ausdrücklich zustimmen: ({179}) Wir brauchen eine Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Die bestehenden Ungerechtigkeiten müssen beseitigt werden. Ich bin davon überzeugt, daß diese wichtige Arbeit, die dringend ist - und ich stimme dem Finanzminister zu: Es ist vernünftig, sie im nächsten Jahre zu beenden -, im Parteienstreit allerdings nicht leistbar ist. Wir Sozialdemokraten stellen uns den Herausforderungen. Die Finanzpolitik der letzten vier Jahre trägt Mitverantwortung für Fehlentwicklungen; ({180}) sie muß korrigiert werden. Auch deshalb kämpfen wir bei der nächsten Bundestagswahl für unsere Mehrheit. Schönen Dank. ({181})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens ({0}). ({1}) - Herr Abgeordneter Carstens, warten Sie bitte einen Augenblick, bis die nötige Ruhe im Saal wiederhergestellt ist. - Bitte fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das soll nun also die groß angekündigte Generalabrechnung der Opposition gewesen sein. ({0}) Herr Kollege Apel, ich habe den Eindruck, daß die Themen, die Sie angesprochen haben, besser für eine Selbstanklage der SPD geeignet gewesen wären. ({1}) Das war nicht gerade umwerfend und schon gar nicht überzeugend, was Sie gesagt haben. Das war mehr Leipziger Allerlei und weniger finanzpolitische Linie. ({2}) Es ist vor allem deswegen so wenig überzeugend, was Sie sagen, Herr Apel, weil Sie bei allem, was Sie sagen, von Ihrer eigenen politischen Vergangenheit verfolgt werden. Sie waren nun einmal der größte Schuldenminister der 70er Jahre. ({3}) Ich habe bei Ihrer Rede genau zugehört. Dabei ist mir aufgefallen, daß Sie zwar auf lebhafte Weise viele Einzelprobleme angesprochen haben; aber Ihre Rede war gänzlich ohne Perspektive. ({4}) Dahinter steckte keine Linie, es waren nur Einzelfragen. ({5}) Es gab aus Ihrer Rede auch keine neuen Erkenntnisse zu ziehen, es sei denn die alten Erkenntnisse, daß Sie bei Ihren Fehlern bleiben wollen. Sie haben einige finanzpolitische Zusammenhänge dargelegt. Das haben Sie wahrscheinlich sachkundiger getan, ({6}) als Herr Rau dazu in der Lage gewesen wäre, ({7}) wenn er den Mut gehabt hätte, hier zur Haushaltsdebatte zu kommen. ({8}) Bei Ihrer Rede wurde offenbar, daß Sie bis heute keine Alternative in der Haushalts- und Finanzpolitik haben. Deswegen mußten Sie sich auf Kritik beschränken. Carstens ({9}) Herr Apel, ich muß Ihnen sagen, Sie sind am allerwenigsten geeignet uns in Sachen Schuldenpolitik zu kritisieren. ({10}) Wir haben jetzt Jahr für Jahr mehr Zinsen zu bezahlen für die Schulden, die Sie damals gemacht haben, als wir jährlich Kredite aufnehmen. ({11}) Das heißt im Klartext: Wenn wir Ihre Schulden nicht hätten übernehmen müssen, dann brauchten wir heute gar keine Kredite aufzunehmen. ({12}) Und Sie kommen daher und sprechen davon, daß wir Ihrer Meinung nach die Lösung für die Trümmerfrauen noch nicht optimal geregelt hätten. ({13}) Sie haben 13 Jahre lang Jahr für Jahr viele, viele Kredite aufgenommen, fast jedes Jahr mehr als im Jahr zuvor, und haben überhaupt nicht an die Trümmerfrauen gedacht. ({14}) Wir bauen jetzt die Neuverschuldung ab und sind trotzdem noch in der Lage, die TrümmerfrauenRegelung durchzusetzen. ({15}) Das ist der Unterschied zwischen Ihren Worten und unseren Taten, meine Damen und Herren. Sie, Herr Kollege Apel, waren wie gesagt, damals der größte Schuldenminister, mit dem die Verschuldung erst richtig losging. Und ausgerechnet Sie wollen heute der große Generalabrechner sein. ({16}) Es ist schon erstaunlich, Herr Apel, dies hier feststellen zu müssen. ({17}) Sie haben ohnehin, ich kann das im einzelnen beweisen, auf sehr polemische Art und Weise versucht, zu kritisieren. Ich denke nur an Ihr Thema Abbau der Arbeitslosigkeit. Es hört sich j a gut an, wenn Sie sagen, man dürfte die Gebiete - ich bin auch der Meinung, daß das stimmt -, wo es eine hohe Arbeitslosigkeit gibt, nicht im Regen stehen lassen. Ich bin mit Ihnen auch einer Meinung, wenn Sie sagen, man dürfe die Arbeitslosen nicht im Regen stehen lassen. Das tun wir auch nicht. Aber wenn es Ihre Politik der 70er Jahre nicht gegeben hätte, dann gäbe es diese Zahl von Arbeitslosen gar nicht, und dann gäbe es auch nicht die Gebiete mit der hohen Zahl von Arbeitslosen. ({18}) Und Sie kommen hierher und kritisieren unsere Politik. ({19}) Machen wir einmal die Arbeitsmarktbilanz dieser Zeiträume auf. In einer Zeit, in der in Japan und in den Vereinigten Staaten Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen wurden, ({20}) in der Zeit von 1970 bis 1982, zu Ihrer Regierungszeit, sind etwa eine Million Arbeitsplätze abgebaut worden. Als dann noch Ende der 70er Jahre die geburtsstarken Jahrgänge dazukamen, mußten wir bei der Regierungsübernahme feststellen, daß Sie aus fast null Arbeitslosen über zwei Millionen gemacht hatten. Das ist Ihre Politik gewesen und nicht unsere. Und Sie stellen sich nun hier hin und beklagen das. ({21}) In den Jahren von 1982 bis 1984 konnten wir den Anstieg der Arbeitslosigkeit eindämmen. Wir konnten ihn aufhalten. Nun sind wir dabei, über mehr Beschäftigte zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit zu kommen. Das ist soziale Politik, ({22}) für die Räume, in denen wir starke Arbeitslosigkeit haben, und für die Arbeitslosen selbst. Diese Politik ist sehr erfolgreich. ({23}) Wir haben nämlich von Mitte des Jahres 1984 bis jetzt etwa 500 000 zusätzliche Beschäftigte in unserem Land. Das wird nach allen Prognosen bis Ende des Jahres noch auf etwa 600 000 ansteigen. Hierüber können wir, obwohl viele Jugendliche nachwachsen und Frauen zusätzlich zum Arbeitsmarkt kommen, erstmals seit vielen Jahren in Deutschland die Arbeitslosigkeit abbauen. Das ist echte soziale Politik, wie sie sozialer nicht sein kann. ({24}) Dann komme ich zur Problematik der Konkurse und der damit möglicherweise zurückgehenden Zahl von Unternehmungen. Ich habe hier eine Mitteilung vom 31. Juli über die Zahlen der Unternehmensgründungen und die Zahlen der Konkurse und Pleiten. Diese Angaben kommen vom Institut für Mittelstandsforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Das Ergebnis dieser Feststellungen sieht wie folgt aus. Im Zeitraum der letzten vier Jahre haben wir beim Vergleich der Zahl in Konkurs gegangener Betriebe und der neuen Betriebe Carstens ({25}) einen Überhang neuer Betriebe durch Neugründungen von 204 000. ({26}) Die haben alle wieder Beschäftigte. Da gibt es Arbeitsplätze. So wird über unsere gute Politik die Wirtschaft entwickelt und die Zahl der Arbeitslosen zurückgeführt. ({27}) Man konnte unschwer feststellen, Herr Kollege Apel - obwohl Sie es zu verpacken versucht haben -, ({28}) daß bei der SPD in der Haushalts- und Finanzpolitik alles beim alten bleiben soll. Sie würden die Steuern und Abgaben wieder erhöhen, würden alles gefährden, was wir konsolidiert haben, ({29}) und Sie würden Ihr Heil erneut in neuen Programmen wie vor 1982 suchen. Sie selbst haben das Zehnjahresprogramm „Arbeit und Umwelt" genannt. Ich sage Ihnen voraus, daß Sie nie Gelegenheit haben werden, das zu realisieren, weil die Bevölkerung Sie zehn Jahre in der Opposition belassen wird. ({30}) Nein, Herr Kollege Apel. Zu dieser Art Politik sagen wir nein. Das wird abgelehnt. Wir bleiben bei unserer Stabilitätspolitik. Sie können sicher sein, daß auch die Mehrheit unserer Bevölkerung bei dieser Politik verbleiben will. Denn Stabilitätspolitik ist der Verzicht auf Scheinlösungen, ist die Verpflichtung, die wirtschaftlichen Probleme an der Wurzel anzupacken. Es ist schon erstaunlich, wenn man im Programmentwurf des SPD-Parteivorstands liest, daß Sozialdemokraten in der Beschäftigungspolitik an die positiven Erfahrungen mit den Zukunftsinvestitionsprogrammen aus der zweiten Hälfte der 70er Jahre anknüpfen wollen, und Sie dazwischenrufen, ich würde lügen. Herr Kollege Apel, wie verhält sich das nun mit dem, was Sie hier wahrheitsgemäß vorbringen wollen? Ich habe das noch in ganz anderer Erinnerung. Je mehr Programme, desto mehr Schulden; je mehr Schulden, desto mehr Arbeitslose - das war Ihre Politik. ({31})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter - Carstens ({0}) ({1}): Ich möchte, Herr Präsident, dieses abschließen. ({2}) Und dann können Sie gerne zwischenfragen. Die Annahme, durch Schulden und Strohfeuerprogramme zu mehr Beschäftigung zu kommen, ist genauso irrig wie die Annahme von Herrn Rau, daß ihm 39, 40 % der Wählerstimmen die absolute Mehrheit brächten. ({3}) Genauso verhält sich das auch mit ihren Konjunkturprogrammen. ({4}) Herr Kollege Apel, wenn Sie jetzt fragen wollen, bitte sehr.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Zukunftsinvestitionsprogramm, das über sechs Jahre angelegt war und deswegen kein Strohfeuerprogramm ist, ein Gemeinschaftsprogramm von Bund, Ländern und Gemeinden war, das immerhin eine Million zusätzlicher Arbeitsplätze geschaffen hat, und können Sie sich vorstellen, daß ich deswegen immer noch stolz darauf bin, daß wir dieses Programm gemacht haben? Aber sind Sie bereit, auch zur Kenntnis zu nehmen, daß wir jetzt mit dem Programm „Arbeit und Umwelt", was die Finanzierung anlangt, solide finanzieren, ({0}) weil wir in der Tat der Meinung sind, daß eine neue und höhere Nettokreditaufnahme nicht verantwortbar ist?

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Apel, ich würde da nicht so unterscheiden, wie Sie es jetzt versuchen zu tun. Sie haben, wenn ich richtig erinnere, 18 oder 19 Konjunkturprogramme aufgelegt. Und das Ergebnis dieser Konjunkturprogramme ist das gewesen, was ich hier vorgetragen habe: je mehr Programme, desto mehr Schulden und je mehr Schulden, desto mehr Arbeitslose. Hören Sie auf mit dieser Politik. ({0}) Sie haben nicht recht mit Ihrer Behauptung. Und ich sage Ihnen: Wenn dieses auch die zukünftige Politik wäre, bei Ihnen oder bei anderen, würde es immer in die Irre führen, in mehr Schulden und mehr Arbeitslosigkeit. ({1}) Ich bin der Meinung, daß die Politik der letzten Jahre, unsere Haushaltspolitik, bewiesen hat, ({2}) daß das Konsolidieren und Neuen-Spielraum-Bekommen für Familien- und Sozialpolitik kein Widerspruch sind. Das ist kein Widerspruch, sondern sie bedingen sich geradezu. Man kann das ablesen an all dem, was wir in den letzten Jahren für die Familien beschlossen haben, an Mutterschaftsgeld, an Steuersenkungen, an weiteren Einzelmaßnahmen, die wir durchgesetzt haben. Und das Schöne ist, daß sich diese Maßnahmen nun auch alle real niederschlagen. Wenn heute jemand drei, vier Prozent Lohnerhöhung bekommt, dann ist das auch eine reale Lohnerhöhung. Wenn jemand etwas an Wohngeld mehr bekommt oder an Sozialhilfe, dann ist das immer auch eine reale Erhöhung. Und das kann man ganz deutlich nachweisen an Hand eines Einkommensbeispiels eines Durchschnittsarbeitnehmers, der verheiratet ist und zwei Kinder hat. Wenn der noch 1982 bei einer höheren Inflationsrate 4% Lohnerhöhung bekommen hat und im Jahre 1986 dann nur 3,5%, dann ist das Endergebnis, daß jetzt, in diesem Jahr, einschließlich der Steuern eine reale Lohnerhöhung von 136 DM im Monat zu verzeichnen ist, während die damalige 4 %ige Erhöhung einschließlich der Inflationsrate eine Reallohnminderung von 70 DM oder 3% im Monat war. Und man kann an Hand dieser Fakten durchaus die Aussage wagen: Wenn die SPD bis heute weiterregiert hätte, ginge es keinem Bürger in unserem Lande besser als heute, aber es würde vielen Bürgern schlechter gehen. ({3}) Das ist die eindeutige Prämisse unserer Politik, die sich herausgebildet hat. ({4}) Wir sind durch unsere Politik in der Lage, einen Teil dessen, was die Wirtschaft erarbeitet, der privaten Seite zu überlassen. Wir nehmen nur etwa 3% pro Jahr von dem in Anspruch, was die Wirtschaft erarbeitet hat. Damit verzichtet der Staat auf einen gewissen Anteil. Und dies macht das ganze Geheimnis unserer Politik aus. ({5}) Wir können dadurch nämlich zweierlei tun: einmal die Neuverschuldung zurückführen oder die Steuern senken, entweder gleichzeitig oder in jährlichen Abständen, so, wie wir es machen. Dies hat eine ungeheure Wirkung auf die Entwicklung der Wirtschaft; denn wenn man die Neuverschuldung zurückführt, dann sinken die Zinsen und die Inflationsrate, und wenn die Zinsen sinken, so belebt dies die privaten Investitionen. Das wiederum belebt die Wirtschaft und sorgt für weniger Kosten. Alles zusammen erbringt mehr Beschäftigung. Bei der Inflationsrate haben wir eine ähnliche, unwahrscheinlich soziale Auswirkung. ({6}) Wenn man die Steuern senkt, steigert man die Reallöhne, aber auch die Realeinkommen der Unternehmer, und wenn die Realeinkommen der Unternehmer steigen, so haben diese mehr Geld für Investitionen. Über Investitionen kommt es zu einer Belebung der Wirtschaft und damit wiederum zu mehr Beschäftigung. Diese Politik haben wir nun über einige Jahre mit Erfolg durchgezogen. Dabei wirkt sich der Erfolg eben nicht nur zugunsten der Unternehmer oder irgendwelcher imaginärer Gestalten aus, ({7}) sondern er wirkt sich genauso günstig für die Beschäftigten, für die Arbeitnehmer in unserem Lande aus. ({8}) Was z. B. durch niedrigere Zinsen an sozialen Wohltaten zustandekommt, und zwar beim ganz normalen Bürger, ist schon frappierend. Das macht beim einzelnen Bürger unwahrscheinlich viel aus. Sie brauchen sich nur einmal als Beispiel vor Augen zu führen, daß jemand auf seinem Wohnhaus 80 000 DM Schulden lasten hat. Wenn er zu Ihrer Regierungszeit noch 12% zahlen mußte und jetzt nur noch 7 % zahlt, so sind das 5% weniger. Das macht 4 000 DM netto im Jahr aus. Und im Zusammenhang mit unserer Politik sprechen Sie von einer Umverteilung von unten nach oben! Meine Damen und Herren, zu keiner Zeit ist in der Bundesrepublik so viel von unten nach oben umverteilt worden wie in der Zeit, in der Sie regiert haben und als wir die hohen Zinssätze hatten. ({9}) Meine verehrten Damen und Herren, wir werden in der nächsten Zeit bis November sehr damit zu tun haben, die Haushaltsberatungen durchzuführen. Das wird nicht leicht sein und ein starkes Stück Arbeit abverlangen. Wir haben einen Haushalt vor uns, der uns wiederum ein großes Stück in der Konsolidierung nach vorne bringt, auch wenn es zunächst nicht so aussehen mag, weil die Neuverschuldung im Jahre 1987 nicht weiter sinkt. Bedenken Sie aber bitte, daß die Bundesbankgewinne um über 51/2 Milliarden DM zurückgehen! Gleichwohl steigt die Neuverschuldung nur geringfügig an; das heißt, die Finanzierungslücke, die durch Neuverschuldung und durch Bundesbankgewinne ausgefüllt wird, wird sich im nächsten Jahr um 5 bis 6 Milliarden DM verringern. Wir werden uns an die Arbeit machen, um durch Kürzungen und durch Umschichtungen - dazu wird Herr Kollege Echternach heute nachmittag noch Ausführungen machen ({10}) auch noch die im Entwurf vorgesehene leichte Steigerung der Neuverschuldung unnötig zu machen. Wenn das gelänge - ich bin überzeugt, daß wir das mit Hilfe der Fraktion hinkriegen -, dann werden wir bei der zweiten und dritten Lesung einen Haushalt vorlegen, der trotz des Rückganges der Bundesbankgewinne keine erhöhte Neuverschuldung fordert. Das ist Konsolidierungspolitik à la Koalition und à la Gerhard Stoltenberg. ({11}) Diese Politik werden wir fortführen. Wir stellen alle Ausgaben auf den Prüfstand, auch die Subventionen. Wenn man meint, wir hätten bei den Finanzleistungen, den Subventionen im Haushalt in den letzten Jahren wenig gekürzt, dann mag das stimmen. ({12}) Aber in jedem Jahr haben wir die Subventionen ein Stück weit beschneiden und ihren prozentualen Anteil am Bruttosozialprodukt und am Haushalt zurückführen können. Dies wird auch bei unseren Beratungen, die wir jetzt bis zum Dezember durchführen, unser Ziel sein. Möglicherweise werden wir noch zu Umschichtungen kommen können, die auf Grund der Dollarveränderung notwendig geworden sind. Das aber wird, wie gesagt, im Laufe des Nachmittags noch erläutert werden. ({13}) Die Bevölkerung und alle in der Wirtschaft Tätigen können sich darauf verlassen, daß wir unseren Kurs beibehalten werden. Wir werden die Ausgaben Jahr für Jahr nicht über 3 % hinaus steigen lassen. In der Vergangenheit waren es Prozentsätze zwischen 1 und 3%. Die Auswirkungen sind fast als phänomenal zu bezeichnen. Das hat uns noch 1982 niemand zugetraut, und trotzdem ist es wahr geworden. Wenn man diese Politik macht, dann hat man auch den Freiraum, weiterhin regelmäßig Steuern zu senken und wichtige sozialpolitische Beschlüsse durchzusetzen. Gleichzeitig können wir auch die Neuverschuldung Stück um Stück weiter abbauen, um zu dem Ziel zu kommen, daß wir irgendwann einmal keinen steigenden Anteil der Zinsen am Gesamthaushalt mehr haben, sondern daß sich auch dieser eigentlich schlimmste Einzelplan im Rahmen unseres gesamten Haushalts stabilisiert. Das ist ein schönes Stück Arbeit. Aber ich darf auch mitteilen, daß diese Arbeit trotz aller Erschwernisse Spaß macht, Freude macht, weil man davon überzeugt sein kann, an einer guten Arbeit beteiligt zu sein und mithelfen zu können. ({14}) Meine Damen und Herren, ich freue mich, hier mitteilen zu können, daß alle Fraktionen vereinbart haben, dafür Sorge zu tragen, noch in diesem Jahr mit den Beratungen fertig zu werden, so rechtzeitig, daß wir, wie gesagt, noch im November abschließen können. Das wäre dann schon der fünfte Haushalt in Folge, der noch rechtzeitig mit Beratung des Bundesrates zum 1. Januar gültig geworden wäre. Das hat es zu SPD-Zeiten überhaupt nicht gegeben. Auch das gehört zu einer derartigen Stabilitätspolitik, wie wir sie betreiben und für richtig halten. Ich darf mich bei allen Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen dafür bedanken, daß wir zu dieser Vereinbarung kommen konnten. Wir alle werden ein Zeichen für eine solide und stetige Haushaltspolitik setzen. Ich darf noch eines abschließend sagen - ich nehme an, Sie alle haben dafür Verständnis -: Ich hoffe, daß unser Kollege Dr. Erich Riedl bis November wieder bei uns sein kann, dem ich in Abstimmung mit dem Ausschußvorsitzenden, dem Kollegen Walther, herzliche Genesungswünsche von allen Ausschußmitgliedern ins Krankenhaus übermitteln möchte. ({15}) Meine Damen und Herren, wir werden in den nächsten drei Monaten arbeitsreiche Beratungen im Haushaltsausschuß vor uns haben, aber wir werden sie - dessen bis ich sicher - in kollegialem Geist absolvieren. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller ({0}).

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der letzten Woche hat es einmal mehr einen deprimierenden Einblick in das Innenleben dieser Bundesregierung gegeben. Eine Staatssekretärsrunde beschließt zwei Gutachten zum Ausstieg aus der Atomenergie. Dabei sollten diesmal erstmalig - wir begrüßen das natürlich - auch Kritiker als Gutachter beteiligt werden. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit. Weil man dann Glaubwürdigkeitsverluste befürchtete, hat man auch gleich ein anderes Institut beauftragt. Und was passiert? Statt eines Gutachtens kamen zwei Gutachten heraus, die die Politik der Bundesregierung in Sachen Kernenergie eindeutig diskreditieren, die deutlich machen: Der Ausstieg aus der Atomenergie ist möglich. Die Lichter werden nicht ausgehen. Er ist finanzierbar, er ist machbar, und - was für uns ganz entscheidend ist - er würde uns - so die Gutachten - einen Weg in eine ökologische, moderne Energiezukunft eröffnen. ({0}) Soweit die beiden Gutachten. Doch wie war die Reaktion der Bundesregierung auf diese beiden Gutachten? Sie sucht einen Schuldigen, verteilt Verantwortung, statt in eine Sachdiskussion - die wir begrüßt haben - über diese Gutachten einzusteigen. Der Schwarze Peter liegt jetzt bei dem Wirtschaftsminister Bangemann, der eingezwängt ist zwischen den Beschlüssen des Kabinetts, den Beschlüssen der FDP und dem, was in diesen Gutachten zu lesen ist. Ja, was soll er machen? Er wird einen Formelkompromiß finden müssen. Mehr wird dabei nicht herauskommen. Ich finde es deswegen bedauerlich, weil wir mit diesen Gutachten erstmalig die Möglichkeit gehabt hätten, hier sehr sachlich über den Ausstieg aus der Atomenergie zu diskutieren. In dieser Debatte wäre auch sehr deutlich geworden, welche Chancen für uns in diesem Ausstieg eigentlich zu finden sind. Wir GRÜNEN betonen in dieser Haushaltsdebatte deswegen noch einmal: Je schneller dieser Ausstieg, desto schneller die Risikominimierung. Deswegen werden wir in diesen Haushaltsberatungen eine Dr. Müller ({1}) Umwidmung aller der Mittel beantragen, die der Atomenergie zufließen, um umweltfreundliche Energieträger zu fördern und zu entwickeln ({2}) und insbesondere, damit das auch einmal dem Verbraucher zugute kommt, Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Energieeinsparung dienen. Zu Ihrer Finanzpolitik, Herr Stoltenberg. Konsolidierung und Kontinuität nennen Sie das, was Sie in den letzten vier Jahren vorgelegt haben. In einem Punkt haben Sie recht: Sie haben die Neuverschuldung im Vergleich zu 1981 um 12 Milliarden DM gesenkt. Mit der unsozialen Ausnahme der Streichung von Sozialleistungen haben Sie allerdings zu diesen 12 Milliarden DM nichts Eigenständiges beigetragen. Ab 1983 bis 1986 lag der Bundesbankgewinn bei über 11 Milliarden DM pro Jahr gegenüber 0 DM für 1980 und 2,3 Milliarden DM für 1981. Gleichzeitig wurden von Ihnen die Sozialleistungsansprüche drastisch gekürzt, bei vorsichtiger Schätzung jeweils um über 8 Milliarden DM 1983, zusätzlich 12,5 Milliarden DM 1984 und knapp 8 Milliarden DM im Jahre 1985. ({3}) Die finanzielle Konsolidierung beruht also auf dem unkeuschen Griff in die Taschen der Ärmsten, der Plünderung der Bundesbankgewinne und insbesondere natürlich auch dem Exportboom wegen des zeitweilig hohen Dollarkurses. All das ist weder Ruhmesblatt noch Eigenleistung, und bei der Inflationsbekämpfung sind Sie auch nur Kriegsgewinnler der OPEC-Auseinandersetzung geworden, zumindest was die letzten drei Jahre betrifft. Sie sind so stolz darauf, eine massive Steuerentlastung durchgesetzt zu haben. 1986 wird der Bundeshaushalt erstmals um rund 20 Milliarden DM belastet, nachdem die frühere Inflation etwa den gleichen Betrag über die reine Preissteigerung hinaus in die Bundeskassen gespült hatte. Nachdem zunächst die Armen geschröpft wurden, soll nun den Wohlhabenderen gegeben werden. „Leistung muß sich wieder lohnen" ist Ihr Kampfruf, als ob es so wäre, daß der Zahnarzt einen Zahn mehr ziehen würde, wenn er pro Stunde an Stelle von 400 DM 426 DM verdienen würde. Dies entspräche ungefähr einem Rückgang des Spitzensteuersatzes von 56 % auf 50 %. Wenn aber Leistungsorientierung, wie Sie immer so schön sagen, im Vordergrund der Steuerpolitik stehen soll, warum, Herr Stoltenberg, bekämpfen Sie dann die Quellensteuer, also die Besteuerung des Zinseinkommens an der Quelle der Entstehung, ebenso wie die Löhne an der Arbeitsstelle besteuert werden? Das ist einfach die Frage. Das wäre konsequent, das wäre der nächste Schritt, und den erwarten wir natürlich. Ein weiterer Beitrag zur Steuergerechtigkeit und Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen wird von Ihnen ebenso hartnäckig bekämpft, nämlich eine ausreichende Zahl von Betriebsprüfungen, indem genügend Betriebsprüfer eingestellt werden und ein angemessener Prüfungszyklus zur Regel wird. Jede Prüfung des Finanzamtes bringt im Durchschnitt 200 000 DM zusätzliche Steuereinnahmen. ({4}) - Bei mir nicht. So viel verdiene ich nicht, Herr Bohl, das ist bedauerlich. Aber es ist einfach so. - Jede Prüfung bringt im Durchschnitt 200 000 DM zusätzliche Steuereinnahmen. Das heißt, es wird nichts anderes getan, als einen Rechtsanspruch des Finanzministeriums bzw. des Bundes gegenüber dem Steuerzahler einzutreiben, und ich finde das richtig. Die Ausfälle, die durch Verzicht auf Besteuerung der Zinseinkommen herbeigeführt werden, betragen ungefähr 7 Milliarden DM und die durch ausgefallene Betriebsprüfungen rund 3 Milliarden DM. Soweit zumindest die Schätzungen. 3 Milliarden DM wiederum wollen Sie durch den Verkauf von öffentlichen Unternehmen einnehmen. Sie hätten es viel leichter, wenn Sie anständig besteuern würden. Das macht, glaube ich, Ihre Politik sehr deutlich. Mit Ihrer Wirtschafts- und Haushaltspolitik haben Sie weder die alten noch die neuen Probleme der Industriegesellschaft angegangen, geschweige denn gelöst. Wären Sie Okonom und nicht nur Kassenwart der Nation, dann hätten Sie die Steuergelder so investiert, daß die Schäden, die jährlich am Volksvermögen angerichtet werden, minimiert werden. Nehmen wir ein altes Problem der Industriegesellschaft, die Arbeitslosigkeit. Dabei begnügen Sie sich mit dem billigen Trick: Statt auf die Zahl der Arbeitslosen abzustellen, um die es doch hoffentlich gehen sollte, nennen Sie unentwegt die Zahl der Beschäftigten und vergleichen diese mit der Vor-j ahreszahl. Demgegenüber muß festgestellt werden: Selbst wenn die Beschäftigtenzahl mit der von Ihnen angegebenen Rate von 1 % pro Jahr wächst - ich bezweifle das -, werden wir erst 1990 den Beschäftigungsstand von 1980 erreicht haben. Auf Grund der demographischen Entwicklung wird damit die derzeitig hohe Arbeitslosigkeit praktisch für mehr als ein Jahrzehnt akzeptiert. Das ist die Wahrheit Ihrer Politik in Sachen Arbeitslosigkeit. Sie haben diese Arbeitslosigkeit, die übrigens im wesentlichen eine wachsende Jugendarbeitslosigkeit sein wird, akzeptiert. Wir wissen, wie schlimm die Folgen der Dauerarbeitslosigkeit sind. Millionen von Menschen werden abgeschrieben, sie werden angesichts Ihrer Politik keine Chancen erhalten, ins Erwerbsleben integriert zu werden, sich eine selbständige Existenz aufzubauen. ({5}) Schauen Sie sich die Zahlen der Arbeitslosigkeit endlich einmal genauer an! Das Schlimme ist doch die Zusammensetzung. Die Anzahl der Dauerarbeitslosen steigt überproportional. Ich fordere Sie auf, endlich eine Politik zu entwickeln, die diesen Umstand berücksichtigt, statt immer wieder eine Dr. Müller ({6}) Strohfeuerpolitik zu machen, die nur Arbeitslosigkeit allgemein sieht. ({7}) Die einseitige Orientierung auf milliardenschwere Steuerentlastung für die Bezieher höherer Einkommen engt den finanziellen Spielraum für alle anderen wichtigen Aufgabenbereiche massiv ein. Sie betreiben eine Finanzpolitik ausschließlich im Dienste der Einkommensumverteilung, und zwar von unten nach oben. Der hierdurch erzwungene Rückzug des Staates, den Sie hier noch positiv genannt haben, Herr Stoltenberg, ist ein Rückzug aus einer gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Verantwortung. Er geht weit über das hinaus, was Sie hier als Privatisierung bezeichnen. Hier werden nicht nur einzelne Bundesunternehmen verkauft oder Aufgabenbereiche ausgelagert, sondern hier wird auf Handlungsspielraum in ökologischen und sozialpolitischen Problembereichen freiwillig ohne Not verzichtet. Statt Arbeitslosigkeit, Armut und Umweltzerstörung als ernsthafte Herausforderung zu begreifen, verharren Sie in der Untätigkeit und verkaufen dies überdies auch noch als Programm. Der zweite ungedeckte Wechsel auf die Zukunft, der die Kassenwartmentalität dieser Bundesregierung verdeutlicht, sind die Ausgaben im Bereich des Umweltschutzes. Es liegen jetzt Zahlen vor, wie hoch die Umweltvernichtung pro Jahr zu kalkulieren ist. Das heißt, es gibt jetzt Schätzungen, wie teuer die Bundesrepublik die Umweltverschmutzung kommt. Professor Wicke, übrigens CDU-Mitglied, hat errechnet, daß durch Umweltschäden jährlich 103 Milliarden DM an Volksvermögen vernichtet werden. Das ist natürlich nur der rechenbare Teil. Sehr viel ist nicht erfaßbar, sehr viel ist monetär nicht erfaßbar. ({8}) Nehmen wir dieses Datum einmal ernst, wenigstens in einer Haushaltsdebatte. Es setzt sich wie folgt zusammen: 48 Milliarden DM Kosten der Luftverschmutzung, 17 Milliarden DM Kosten der Gewässerverschmutzung, 5 Milliarden DM Kosten der Bodenvergiftung, 29 Milliarden DM Kosten des Wohnwertverlustes, 3 Milliarden Kosten durch Gesundheitsschäden bei den Beschäftigten und mindestens 32,7 Milliarden DM Kosten durch Lärm. ({9}) Also 103 Milliarden DM vernichtetes Volksvermögen durch Umweltverschmutzung. Das sind übrigens 6% des Bruttosozialprodukts, also dessen, was pro Jahr erwirtschaftet bzw. erarbeitet wird. Das heißt, jede Wachstumszahl, die Sie hier prognostisch nennen, 3% oder was auch immer, ist Lug und Trug, ist nicht das Blatt wert, auf das sie gedruckt ist, wenn Sie nicht mit berechnen, was gleichzeitig vernichtet wird. ({10}) Wenn Sie das nicht irgendwann in Ihre Kalkulationen einbeziehen, solange Sie das nicht einbeziehen, ist nicht von einer ernsthaften wirtschaftlich orientierten Umweltpolitik dieser Bundesregierung oder überhaupt einer Partei zu reden. Das sind die Daten, die bezüglich der gesamten Umweltdebatte zum Ausgang genommen werden müssen. Nun gut, 103 Milliarden DM rechenbare Umweltschäden pro Jahr, 6 % des Bruttosozialprodukts durch Ihre, auch durch Ihre Politik vernichtet. Was haben Sie diesem Werteverlust entgegenzusetzen? Was investieren Sie, um diesen Werteverlust, wie es ein Ökonom machen müßte und nicht ein Kassenwart, wenigstens zu verringern? ({11}) Sie haben ein Umweltministerium geschaffen, das Sie mit lächerlichen 430 Millionen DM und ohne jede Kompetenz, ausgestattet haben. Das sind lächerliche 0,2 % des Bundeshaushalts. ({12}) Nur 0,2 % des Bundeshaushalts setzen Sie für ein Umweltministerium ein, das wirklich nicht den Namen verdient, den es hat. Ich frage mich, wo bei dieser Debatte eigentlich Herr Wallmann geblieben ist. Sitzt er im alten Saal und schämt sich, hier aufzutreten, weil er einen so kleinen Etat hat? ({13}) - Daß die SPD beim Umwelt-Thema nicht dabei ist, ist bekannt. Darüber brauche ich hier nicht zu diskutieren. Aber Herr Wallmann, der heißt wenigstens Umweltminister und ist nicht da und verteidigt hier nicht seinen niedrigen Haushalt. 430 Millionen: Das ist sehr wenig. ({14}) - Ich bin gern bereit, Ihnen das auch noch weiter zu berechnen, indem man die Wirklichkeit in diese Haushaltsdebatte mal einführt, weil das einfach notwendig ist, wenn es um Geld geht. 103 Milliarden DM Schäden ist übrigens eine Schätzung am unteren Rand. ({15}) Dem stellen Sie in Ihrem Umweltetat nur 0,4 % dieser Schadenssumme entgegen. Das ist die Relation, die Ihre Umweltpolitik deutlich macht. ({16}) Wären Sie nicht Kassenwart, Herr Stoltenberg, sondern Ökonom, ({17}) Dr. Müller ({18}) Sie hätten wesentlich mehr in den Bereich der Umweltpolitik investiert, um diesen immensen Schaden von 103 Milliarden DM zu minimieren. ({19}) Nun werden Sie einwenden - ich nehme den Einwand gern vorweg -, daß j a in anderen Etats noch Ausgaben für Umweltschutz stehen. - Das ist natürlich im Grunde genommen eine Beleidigung für den Umweltminister. Aber davon sehe ich jetzt mal ab. - Wir haben es ausgerechnet. Es sind nach Ihren Daten 1,7 Milliarden DM. Das sind wie letztes Jahr nur lächerliche 0,6 % des Bundesetats für Umweltschutz - von Ihren Daten ausgehend! -. ({20}) Ich würde viel davon noch bestreiten. Ich nehme Ihre Daten ernst. 0,6 %, - das ist Umweltpolitik, die diesen Namen wirklich nicht verdient. Wie gesagt: Auch dies ist, Herr Stoltenberg, ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft; es ist in gleicher Art und Weise ein ungedeckter Wechsel wie die Arbeitslosigkeit. Sie haben den Haushalt, den Sie hier vorgelegt haben, auf Kosten der Zukunft gemacht: auf Kosten der Zukunft unserer Kinder. Denn wer im Umweltschutz nicht investiert, vernichtet etwas, was später nicht zur Verfügung steht. ({21}) Es ist selbstverständlich, daß wir GRÜNEN für die ökologische und soziale Zukunftsvorsorge eine radikale Umverteilung der Steuerlasten brauchen, selbstverständlich auch - das betone ich noch einmal - gerade angesichts der großen ökologischen und sozialen Probleme, die wir in der Bundesrepublik haben, eine Umverteilung und eine radikale Senkung der Rüstungsausgaben, damit aggressive Waffensysteme den Frieden nicht zusätzlich unsicher machen. Ihr Haushaltsentwurf, Herr Stoltenberg - und da hat er eine Tradition; es ist wirklich der fünfte -, ist ein Verrat an der Zukunft. Von Konsolidierung kann nicht die Rede sein. Volkswirtschaftlich gesehen, haben Sie einen Schuldenberg auf sich geladen, auf die Bundesrepublik geladen, der alles übertrifft, was Regierungen vorher verschwendet haben. ({22}) Ihr Sparen, meine Damen und Herren von der CDU, ist, volkswirtschaftlich gesehen, eine Verschwendung. Zurück zu den 103 Milliarden DM Schäden, die Sie mit Ihrer Untätigkeit u. a. hervorrufen. Nehmen wir den Etat des Forschungsministers. Hier wäre ja die Möglichkeit gegeben, Vorsorge zu treffen, Vorsorge für eine ökologische Zukunft. Aber auch dort ist eigentlich eine Weichenstellung erfolgt, daß all das, was zur Beseitigung von Luftverschmutzung, Gewässerverschmutzung und Bodenvergiftung an Forschungsmitteln investiert werden müßte, nicht passiert, beispielsweise Altlastsanierung. Tatsächlich werden die freiwerdenden Mittel aus dem Bereich der Investitionsruinen Hochtemperaturreaktor und Schneller Brüter dazu verwendet, die Weltraumforschung und die Hochenergiephysik auszubauen. Bei allem Respekt vor den dort erbrachten wissenschaftlichen Leistungen der Wissenschaftler: Wer wollte im Ernst behaupten, daß dies die überlebenswichtigen Forschungsbereiche unserer Zeit sind? Hier gibt es doch wirklich Bereiche, in denen Forschungstätigkeit notwendig wäre. Bedenken Sie nur vom Umweltschutz den ganzen Bereich der Chemie! Wie nötig wäre eine Forschung im Bereich der Chemie, die uns sanfte Verfahren überhaupt erst mal zur Verfügung stellt! Demokratie ist immer auch eine Frage der Alternativentscheidung. Nur wenn man zwischen Alternativen entscheiden kann - und da spielt die Forschungspolitik eine immense Rolle -, liegt auch Demokratie vor und hat man die Freiheit der Wahl. Die Freiheit der Wahl haben Sie auch bei der gesamten Frage der Atomenergie fast zugeschüttet. Warum ist denn in den letzten zehn Jahren verschludert worden, in andere Energieverfahren zu investieren? Hier wäre doch - auch nach Tschernobyl - eine Möglichkeit gegeben gewesen, viel schneller zu sagen: Ja, wir haben die Freiheit der Wahl, wir haben eine Demokratie, weil wir in die Zukunft investiert haben. Genau dies passiert auch diesmal wieder nicht. Diese Forschungspolitik, meine Damen und Herren von der CDU, ist rückwärtsgewandt, nicht vorwärtsgewandt. ({23}) Wir stimmen nicht nur in der Analyse in vielen Bereichen mit Professor Wicke überein, sondern auch seine Forderungen unterscheiden sich im Konkreten wenig von dem, was wir uns erwarten. Stellvertretend für vieles, was wir vorgelegt haben, möchte ich hier unseren Energiewendehaushalt und unseren ökologischen Nachtragshaushalt nennen, wo wir immer deutlich gemacht haben, daß wesentlich mehr Mittel in den Bereich des Umweltschutzes investiert werden müssen. Was uns von Professor Wicke sicherlich unterscheidet, ist eine gewisse Marktgläubigkeit, die seinen Vorschlag durchzieht, aber selbst hier gibt es erstaunlicherweise mehr Übereinstimmung, als wir erwartet haben; denn wo es um so wichtige Funktionen wie die Umweltabgaben oder um die Notwendigkeit geht, umweltpolitisches Fehlverhalten auf Grund eines umfassenden Netzes von Meßstationen ahnden zu können, stimmen wir mit diesen Vorschlägen eindeutig überein. Auch die Kernargumentation des CDU-Mitgliedes Professor Wicke, daß ökologische Investitionen weitaus rentabler als viele andere staatliche Ausgaben sind, können wir nur unterschreiben. Seit Jahren bekämpfen wir umweltzerstörerische Projekte wie den Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals, den Saar-Ausbau, den Ems-Dollart-Hafen, den weiteren Autobahnbau usw. usf. Wir bekämpfen auch den geplanten Mittelweser-Ausbau. ({24}) Dr. Müller ({25}) Bei all diesen Projekten liegt die Nutzen-KostenRelation unter 1, während bei Umweltschutzinvestitionen eine Relation von 3 bis 15 errechnet werden kann; der Nutzen liegt um den Faktor 3 bis 15 höher als die Kosten für die öffentlichen Hände. Es ist wichtig, das zu betonen, und zwar deswegen, weil es wirklich beweist, daß wir mit Umweltinvestitionen nicht nur notwendige ökologische Maßnahmen treffen, sondern auch eine Chance für eine beschäftigungsfördernde Politik haben, die qualitativ orientiert ist und nicht einzig und allein mit der Gießkanne Beschäftigungsprogramme entwickelt, wie sie j a in der Vergangenheit wahrlich vorgelegt worden sind, übrigens auch von den Sozialdemokraten, von denen ich nur noch drei sehe, ({26}) Beschäftigungsprogramme, die ja auch gescheitert sind. Meine Damen und Herren, Sie benutzen das Beschäftigungsargument immer wieder als Totschläger, um Ihre Pro-Atom-Politik zu verkaufen. Gerade in der Energiepolitik wurde aber schon vielfach nachgewiesen, daß der Ausbau von Energiespartechnologien und von regenerativen Energiequellen eine wesentlich höhere positive Beschäftigungswirkung hat als die maximal 20 000 bis 50 000 Arbeitsplätze, die es in der Atomindustrie gibt. Ich kann mir eine sozial abgefederte Weiterqualifizierung und Umschulung der betroffenen Beschäftigten bei allem Verständnis für die Sorgen der Betroffenen gut vorstellen. Wir GRÜNEN stehen dafür, daß dieser notwendige ökologische Strukturwandel, der uns von dem Risiko der Atomenergie befreit, sozial verantwortbar bleibt. Das ist unsere Programmatik; das haben wir in allen unseren Schriften und Programmen deutlich gemacht. Deswegen ist es pure Polemik, wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU, ganz plötzlich Ihr Herz für die Beschäftigten in der Atomindustrie entdecken. Ich halte das für eine Polemik, die nichts mit der Sache zu tun hat und auf alle Fälle nur dazu dient, die Diskussion um die Atomenergie abzuwürgen. ({27}) Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Dieser Haushaltsentwurf schreibt die unsoziale und unökologische Politik der Bundesregierung fort. Eine wirkliche Konsolidierung würde entscheidend mehr volkswirtschaftliche Vorsorge erfordern, d. h. mehr Geld für ökologische Investitionen bereitstellen müssen als bisher. Diese Investitionen würden auch Arbeitsplätze schaffen. Gegenüber der Zukunft, die ökologisch und sozial sein sollte, bedeutet Ihr Entwurf, Herr Stoltenberg, Verantwortungslosigkeit, und er steht damit in der Tradition dieser Bundesregierung. Danke schön. ({28})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Kollege Müller gerade gesagt hat, es seien nur drei Sozialdemokraten da ({0}) - ein vierter ist jetzt zugewandert -, hat er nicht nach hinten geschaut; sonst hätte er gesehen, daß von der sozialdemokratischen Fraktion zwei Abgeordnete mehr im Raum sind. ({1}) Er hat aber sicher in einem recht gehabt: Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, Herr Apel, hat den Raum verlassen. ({2}) Meine Damen und Herren, das muß ich nun doch einmal sagen: Wer über eine Stunde lang eine solche Rede hält, wie hier Herr Apel, und dann nicht bereit ist, sich wenigstens in den Erwiderungen der anderen Fraktionen das anzuhören, was in aller Kürze dazu gesagt werden muß, der benimmt sich zumindest unparlamentarisch. ({3}) Ich will das in aller Kürze - weil ich natürlich andere Dinge sagen will -- begründen. Herr Apel hat hier von Redlichkeit gesprochen, meine Damen und Herren. Er hat als eines der Beispiele die Zwangsanleihe genannt, die seinerzeit auf Grund eines Gerichtsurteils - das weiß er natürlich genau - und nicht auf Grund des politischen Willens - davon hat er nicht gesprochen - zurückgezahlt werden mußte. Er hat von Redlichkeit gesprochen und gesagt, innerhalb von 13 Regierungsjahren hätten der damaligen Koalition nur 13 Milliarden DM Bundesbankgewinn zur Verfügung gestanden, also pro Jahr 1 Milliarde DM. Meine Damen und Herren, im letzten Jahr waren es 10,5 Milliarden DM. Dann kann man ausrechnen, wieviel es in den zwölf Jahren vorher war. Meine Damen und Herren, ist ein solches Zahlenspiel Redlichkeit? ({4}) Daß der Sprecher der SPD-Fraktion hier keine Alternativen aufgezeigt hat, hat der Kollege Carstens ausgeführt. ({5}) Der Versuch einer Generalabrechnung ist schon deshalb gescheitert, ({6}) weil keine Alternative geboten wurde. Es ist, meine Damen und Herren, noch etwas ungewohnt, hier im neuen Ersatzplenarsaal des Deutschen Bundestages das Wort zu ergreifen. Natürlich Dr. Weng ({7}) geht der Blick zunächst einmal etwas in die Runde. ({8}) Wir haben hier die Debatte über den Haushalt 1987. Das Haushaltsrecht als - mit gutem Grund - Königsrecht des Parlaments ist zumindest bei denjenigen von großem Interesse, denen es um die tatsächliche Mitarbeit des Parlaments geht. Der Blick fällt auf die Regierungsbank: ({9}) Der Bundeskanzler und seine Regierung sind durch den federführenden Finanzminister Stoltenberg optimal vertreten. Dann fällt der Blick auf die Opposition, und es fällt der Blick auf die Bank des Bundesrats. Und siehe, der Kanzlerkandidat der Sozialdemokratischen Partei, der ja als Ministerpräsident des größten Bundeslands hier Platz nehmen und auch das Wort ergreifen könnte, fehlt. ({10}) Dieses Fehlen, meine Damen und Herren, kann zwei Gründe haben. Es kann einen menschlichen Grund haben, nämlich denjenigen, daß auch seine eigenen Genossen ihm nicht gesagt haben, wo die heutige Sitzung stattfindet, so daß er jetzt oben durch die Baustelle irrt. ({11}) Der zweite Grund ist der wahrscheinlichere: Er kneift. Das würde zu dem passen, was die Wochenzeitung „Die Zeit" in der vergangenen Woche zu Johannes Rau geschrieben hat: Das Dilemma der SPD offenbart sich auch in ihrem Spitzenkandidaten. Schweiß oder gar Tränen hat er bisher von niemandem verlangt. Das kann nur heißen, daß er mit unangenehmen Tatsachen nicht in Verbindung gebracht werden will. Meine Damen und Herren, nach der Wende nun der Wechsel, das hat Johannes Rau in Nürnberg gefordert. Dieser Wechsel ist nicht gedeckt. Wer wird denn irgend jemandem einen großen Betrieb anvertrauen, der gerade einen kleineren Betrieb konkursreif gewirtschaftet hat? ({12}) Ich sage das ausdrücklich deswegen, weil ich mit einigen Fakten aus dem Land Nordrhein-Westfalen belegen kann und belegen will, daß dieser Wechsel ungedeckt ist und daß dieser Wechsel platzen wird. ({13}) Nordrhein-Westfalen macht nämlich deutlich, in welchem Maße unter dem augenblicklichen Ministerpräsidenten dort haushaltsmäßig und finanzpolitisch abgewirtschaftet worden ist. Man muß in einer Haushaltsdebatte - um den Fragen vorzugreifen - auch auf das hinweisen, was man nicht möchte. Wir möchten nicht die finanzpolitischen Verhältnisse, die das Land Nordrhein-Westfalen zu beklagen hat. ({14}) Noch im Jahr 1980 betrug dort der Anteil der Kommunen und der Kreise am Steueraufkommen des Landes 28,5%. Jetzt, nachdem die SPD in der zweiten Periode über die absolute Mehrheit verfügt, hat sie diesen Anteil im Gemeindefinanzierungsgesetz 1986 auf 23 % heruntergeschrieben. ({15}) Über 8 Milliarden DM Einnahmeverluste mußten die Gemeinden seit Beginn der 80er Jahre verkraften. Vergleichbare Zahlen beim Bund dagegen: die Einnahmen des Bundes erhöhen sich 1986 um mäßige 2 %, die der Länder um satte 6 %. Wie geht es in Nordrhein-Westfalen weiter? Zuschußkürzungen im Jahre 1987 von mindestens einer Milliarde DM für die Gemeinden, und die Einbeziehung des Grunderwerbsteueraufkommens in den allgemeinen Steuerverbund sowie weitere Maßnahmen werden zusätzliche Mindereinnahmen der Gemeinden von einer halben Milliarde DM zur Folge haben, ({16}) kein Wunder, wenn es hier zu Kürzungen bei den Sozialleistungen kommen muß und wenn die von der SPD andernorts immer lauthals proklamierte „Neue Armut" hier wirklich stattfindet, ({17}) im kommunalen Bereich notwendige Arbeitsplätze abgebaut werden müssen. Das sind die Folgen der genannten verfehlten Haushaltspolitik, für die allein die SPD und ihr dortiger Ministerpräsident Rau die Verantwortung zu tragen haben. Ein Schuldenstand von 100 Milliarden DM Ende 1988 und Zinsbelastungen von 6,7 Milliarden DM im Jahre 1987! Kein Wunder also, meine Damen und Herren, daß Johannes Rau heute lieber nicht hier sein will; denn das von ihm regierte Land Nordrhein-Westfalen ist schließlich in den Jahren seiner Regierung im Länderfinanzausgleich von einem reichen Geber- zu einem hochverschuldeten Nehmerland geworden. Dagegen steht der wesentliche Erfolg der Haushaltspolitik der Koalition seit 1982 und der auch hierauf fußenden Politik der Deutschen Bundesbank. Hier haben wir erreicht, daß sich z. B. die Wirtschaftssituation ganz eindeutig verbessert hat. Eine Vielzahl von Fakten belegt dies. Ein Wirtschaftswachstum von zirka 3% mit den daraus resultierenden Verbesserungen der Lebensumstände aller Bürger ({18}) und natürlich auch verbesserte Spielräume der öffentlichen Hände hat 1982 überhaupt niemand mehr für möglich gehalten. Niedrige Zinsen, bei denen wir sogar eine weitere Senkung erhoffen können, geben Privatleuten wie der Wirtschaft Spiel17618 Dr. Weng ({19}) raum für Investitionen. Eine Preisstabilität mit einem unter null liegenden Steigerungsfaktor verbessert die Situation vor allem der sozial schwächeren Bürger in unserem Land, und die trotz des gefallenen Dollarkurses ausgezeichnete Situation unseres Außenhandels, der Überschuß in der Handelsbilanz ebenso wie in der Leistungsbilanz sind stabile Säulen der Wohlfahrt unserer Bürger. In diesem Rahmen, meine Damen und Herren, paßt sich jeder Entwurf des Haushaltsplans 1987 und des gleichzeitig vorgelegten Finanzplanes gut ein, ohne daß wir, ohne daß meine Fraktion, hierbei die Risiken übersehen würden, Risiken allerdings, die zunächst einmal bei uns Parlamentariern eine besondere Aufmerksamkeit wecken müssen und die in der Detailberatung im Ausschuß waches Handeln fordern. Wir wollen mit dem Ziel in diese Beratung einsteigen, die im Regierungsentwurf noch geplante Erhöhung der Nettokreditaufnahme für 1987 wieder abzubauen, d. h. Einsparungen von rund 600 Millionen DM bei einem Gesamthaushaltsvolumen von 271 Milliarden DM zu erreichen. Dies wird sicherlich keine leichte Arbeit sein, denn die freien Spielräume - das ist allgemein bekannt - wie auch die Haushaltsrisiken werden uns hier die Arbeit erschweren, um so mehr erschweren, als wir damit rechnen müssen, daß sich die Opposition an dieser Arbeit nicht ernsthaft beteiligen, sondern, wie gewohnt, alles fordern wird, was populär ist, aber nicht mit realistischen Finanzierungsvorschlägen dienen kann. ({20}) Es ist allerdings, Herr Kollege, wenn das richtig ist, wie es zitiert wird, eine unglaubliche Verweigerung der wichtigeren Oppositionspartei, nämlich der, von deren Bank aus Sie gerade gerufen haben, wenn Sie erklären, Sie würden beim Haushalt überhaupt keine Änderungsanträge vorlegen, weil Sie nach Ihrem selbst prognostizierten Wahlsieg im kommenden Januar sowieso einen ganz neuen Haushalt machen wollten. ({21}) Wer erinnert sich dann nicht ganz schnell an die vollmundigen Äußerungen wiederum Ihres Kanzlerkandidaten Johannes Rau nach seiner damaligen Vorernennung zum Kanzlerkandidaten, er werde alle Kosten einsparen und Gesetze der augenblicklichen Koalition seit 1982 revidieren? Wer die daraus resultierenden Folgen für den Bundeshaushalt auch nur grob abschätzt, der braucht nicht lange nach dem Grund zu suchen, wenn er die Frage stellt, warum Johannes Rau heute nicht hier ist: Er kneift. ({22}) Meine Damen und Herren, die Parlamentarier der Koalition werden - wie auch in den letzten Jahren - natürlich nicht darauf verzichten, durch Umschichtungen eigene politische Schwerpunkte während der Beratungen zu bilden. Lassen Sie mich nur zwei von vielen Gesichtspunkten aufführen, die für unsere Haushaltsgruppe von besonderer Bedeutung sein werden. Erstens. Die Bildung des Umweltministeriums - und da will ich dem Herrn Kollegen Müller ganz ausdrücklich widersprechen - war für uns nicht Effekthascherei, sondern politisch-inhaltliche Aussage. Ich wundere mich, daß die Angehörigen der Parteien, die ein solches Ministerium lange und oft gefordert haben, jetzt, wo es gebildet ist, schon wieder am mäkeln sind. Es war für uns politisch-inhaltliche Aussage, denn für unser Land und seine Bürger wird dieses Ministerium in der Zukunft an wichtiger Stelle gestaltend wirken, und dies ja nicht als Eintagsfliege, sondern auf lange Jahre. ({23}) Also muß in diesem Ministerium, das in der Kürze der Zeit gewisse Probleme bei der Gestaltung des Haushaltsentwurfs hatte, für eine Ausstattung Sorge getragen werden, die die künftige Arbeit erfolgreich zu gestalten verspricht. ({24}) In dieser Arbeit erwarten wir auch verstärkt die Mitwirkung der Umweltverbände und deren Bereitschaft zur Unterstützung der handelnden Politiker. Gerade diese Verbände dürfen sich nicht als Claqueure von Oppositionsparteien verstehen, ({25}) die nach dem Motto „Viel versprechen ist auch Politik" ihre Forderungen formulieren, die sie im Falle der Verantwortung dann aber, wie an mancher Stelle belegbar, schnell wieder vergessen. Umweltpolitik ist zu wichtig, um sie roten oder gar grünen Ideologen zu überlassen. ({26}) Wie schnell die Sozialdemokraten umweltpolitische Forderungen von gestern vergessen haben, zeigt ihre Bereitschaft, jetzt massiv in die Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern einsteigen zu wollen. Meine Damen und Herren, ich habe noch gut im Ohr, wie es vor wenigen Jahren, und zwar von allen Parteitagen der politischen Parteien, klang: Kohle und 01 sind viel zu schade, um verfeuert zu werden. Und was ist nun? ({27}) Diese Bemerkung von damals ist nach meiner Überzeugung immer noch richtig. Die selbsternannten Umweltparteien haben sie vergessen. ({28}) Dr. Weng ({29}) Sozialdemokraten und GRÜNE wollen unseren Kindern eine Erde überlassen, in der diese Vorräte aufgezehrt sind. ({30}) - Ihre eigenen Argumente fallen auf Sie zurück, Herr Kollege von den GRÜNEN. ({31}) Auf die Probleme der möglichen Erwärmung der Erdatmosphäre durch ständig steigende Konzentrationen von Kohlendioxyd will ich hier nur am Rande hinweisen. Meine Damen und Herren, zweiter wichtiger Punkt für uns: Der Haushalt 1987 muß in der Ausgabendisziplin die für die nächste Wahlperiode geplante Steuerreform vorbereiten. Diese Steuerreform - von meiner Partei zuerst gefordert - ({32}) - Herr Kollege Suhr, ich möchte gern im Zusammenhang sprechen und bin Ihnen verbunden, wenn Sie hier auf eine Unterbrechung verzichten. ({33}) - Herr Kollege Roth, daß Sie es nicht merken, das glaube ich ohne weiteres. ({34}) Diese Steuerreform, die von meiner Partei zuerst gefordert wurde und die inzwischen erfreulicherweise vom Koalitionspartner in gleicher Weise getragen werden wird, soll ein mutiger Schritt zur Entlastung aller Bürger und zur Reduzierung der Staatsquote werden. ({35}) Dieser Schritt ist auch notwendig, denn ohne eine Senkung der Steuerlastquote würden wir 1988 den Wert von 1982 wieder erreichen. Wer erinnert sich nicht daran, daß damals die Regierung des SPD-Bundeskanzlers Helmut Schmidt nicht mehr die Kraft und den Mut hatte, die notwendigen Sparentscheidungen zu treffen, und daran scheiterte? Wenn also im Jahre 1987 die Finanzausgleichsmasse deutlich wird und wenn 1988 die zweite Stufe der bereits beschlossenen Steuerreform in Kraft tritt, in Kraft tritt mit den bekannt dringend erforderlichen Entlastungen in der Wirtschaft und den daraus resultierenden weiter verbesserten Investitionsbedingungen mit ihren Folgewirkungen auf die Arbeitsplätze, dann sollte doch spätestens zum 1. Januar 1989 die geplante große Reform in einem Schritt gewagt werden können. ({36}) Natürlich wird der erforderliche Subventionsabbau kein Zuckerlecken sein. Natürlich müssen wir auch ehrlicherweise sagen, daß nicht nur Zuwendungen, sondern auch Steuervergünstigungen als Subventionen zählen und daß deren Abbau für Betroffene eine Erhöhung der Steuerlast darstellt. Aber unter dem Strich soll bei dieser Reform für alle steuerzahlenden Bürger eine Entlastung stehen. Haushaltsdisziplin im Blick auf 1987 ist eine notwendige Voraussetzung für diese Pläne. Interessant ist, daß die Oppositionsparteien zu dieser geplanten Steuerreform ohne Konzept geblieben und nur mit Mäkelei angetreten sind. - Herr Apel ist inzwischen wieder eingetroffen. ({37}) - Ich hoffe, es hat Ihnen geschmeckt, Herr Kollege. Nach Ihrer Rede hätte ich auch gern etwas gegessen. ({38}) Herr Apel hat hierfür jedenfalls beredten Beweis geliefert. Vielleicht ist diese Konzeptionslosigkeit aber auch ein Grund dafür, daß Johannes Rau der heutigen Debatte fernbleibt. ({39}) Haushaltsdisziplin, meine Damen und Herren, bedeutet natürlich, daß wir den Wünschen aller Interessengruppen, die jetzt an uns herangetragen werden, äußerst reserviert gegenübertreten müssen. ({40}) Und wer die Neigung von Verbänden kennt, sich hinter die entsprechenden Abgeordnetengruppen zu klemmen, der weiß auch, daß die Aufmerksamkeit unserer Haushaltsgruppe vor den Wünschen von Kollegen aus allen Fraktionen nicht aufhören darf und aufhören wird. Meine Damen und Herren, Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und öffentlicher Wirtschaftsbeteiligungen in den Bereichen, in denen durch staatliches Handeln Wettbewerbsverzerrungen entstehen, und da, wo staatliches Handeln nicht erforderlich ist, ist für meine Fraktion von Anfang an ein ordnungspolitisches Anliegen von hoher Priorität. Insofern begrüßen wir, daß im vorliegenden Haushaltsentwurf durch die Privatisierung der Bundesanteile an VW und VEBA ein mutiger Schritt gemacht wird. Da Privatisierung für uns nicht nur der Haushaltsfinanzierung dienen darf, sondern, wie gesagt, ordnungspolitisch motiviert ist, werden wir dieses Thema weiter in der Diskussion halten und die Regierung mit konkreten Vorschlägen auch da weiterhin unter Zugzwang setzen, wo Dr. Weng ({41}) keine großen Haushaltsauswirkungen zu erwarten sind. Wir hätten uns die jetzige Entscheidung auch ohne die Haushaltsdeckungslücke bei anderen Bundesunternehmen, z. B. im vergangenen Jahr bei der Deutschen Lufthansa, gewünscht. Das Beispiel der bürgerlichen Regierung in Frankreich sollte unsere Koalition und sollte unsere Regierung ermutigen - der Kanzler hat ja gerade wieder in Frankreich Gespräche geführt -, ({42}) diesen für richtig erkannten Weg auch gegen Widerstände aus eigenen Reihen, gegen Widerstände, die ja bekannt sind und die sich am stärksten bei der CSU artikulieren, weiter zu beschreiten. ({43}) Meine Damen und Herren, zwar ist das Konsolidierungsziel noch lange nicht erreicht ({44}) und muß man mit Begehrlichkeiten rechnen, die wir immer wieder bremsen müssen, aber die Finanzpolitik des Bundes ist auf einem verläßlichen Kurs. Dies ist auch ein Grund dafür, daß die Nachrichten vom Arbeitsmarkt besser geworden sind, und zwar in einer Weise besser, die hier dokumentiert worden ist und bei der ich mich wundere, daß manche Kollegen in diesem Haus diese Besserung einfach nicht wahrhaben wollen. Man fragt sich manchmal, ob sie schlechtere Zahlen wünschen, um damit ihre Polemik betreiben zu können. Es ist ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen, es ist eine sehr deutliche Reduzierung der Zahl der Kurzarbeiter und eine Steigerung der Zahl der offenen Stellen zu verzeichnen. Das ist doch keine Selbstverständlichkeit nach den Entwicklungen, die erst 1983 zu ihrem vorläufigen Ende gekommen sind. Und daß die Beschäftigtenzahl deutlich zugenommen hat - ich will mich nicht absolut festlegen, aber es werden Zahlen von erheblich über 350 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen im Vergleich zu 1984 genannt -, beweist, daß die Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition auch in diesem schwierigen Bereich erfolgreich ist. ({45}) - Ich verhehle nicht, daß an diesem Erfolg viele beteiligt sind, sicherlich auch die Gewerkschaften. ({46}) Es sind sicher aber nicht alle Gewerkschaften, und bisher hat Ihre Fraktion in der heutigen Debatte gesagt, es sei gar kein Erfolg zu verzeichnen. Insofern freut mich Ihr Zwischenruf, Herr Kollege Bekker. ({47}) Erfolg der Regierung ist natürlich etwas, was die Chancen der Opposition bei ihrem öffentlichen Auftreten und insbesondere die Chancen der Opposition im Hinblick auf kommende Wahlen mindert. ({48}) Vielleicht ist dieses Gefühl, daß hier in einer offenen Diskussion, in einer ehrlichen Argumentation die Chancen der Sozialdemokraten gemindert werden, der Grund dafür, daß Johannes Rau heute nicht hier ist. ({49}) Meine Damen und Herren, wir sehen natürlich auch die Risiken für das Jahr 1987, Risiken, die z. B. im Bereich der Europäischen Gemeinschaft zu finden sind oder bei der Entwicklung der Wechselkurse und viele andere bekannte Risiken. Wenn solche Risiken zum Tragen kommen, wenn es tatsächlich Probleme gibt, werden wir wie im abgelaufenen Jahr - Stichwort Folgen von Tschernobyl, Stichwort Landwirtschaft, wo wir auf Grund der dort eingetretenen Sondersituation handeln mußten - diese Probleme lösen unter der Voraussetzung - und darauf hoffen wir -, daß die Wähler uns im Januar mit einem entsprechenden Votum ausstatten. Daß meine Partei in der Geschichte der Bundesrepublik an der Gestaltung dieses Landes und an der Wohlfahrt der Bürger dieses Landes in vielfacher Weise beteiligt war, bedarf keiner Erwähnung. ({50}) Daß wir zur erneuten Übernahme von Verantwortung bereit sind, brauche ich nicht ausdrücklich zu betonen. Wir stellen uns überall unserer Verantwortung. Die Haushaltsberatung, die heute in erster Lesung beginnt, ist ein guter Ansatz, um die Leistungsfähigkeit der von uns mitgetragenen Regierungskoalition der Mitte erneut zu belegen. Ich danke Ihnen. ({51})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen. ({0})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den Grundsatzreden der Sprecher der vier Fraktionen möchte ich auf einige der Argumente eingehen, auf einige der Anregungen und natürlich auch auf die Attacken der Opposition. ({0}) - Zum Kampf gehört die Attacke, Herr Kollege. Es ist selbstverständlich, daß zum Ende einer Wahlperiode mit Blick auf den Wahltermin harte Vorwürfe zu hören waren. Diese Vorwürfe müssen sich aber natürlich auf ihre sachliche Richtigkeit und Glaubwürdigkeit hin überprüfen lassen. ({1}) - Nein, wir alle stehen auf dem Prüfstand. Sie haben ein obrigkeitsstaatliches Verständnis, wenn Sie sich hier ausschließen wollen, Herr Kollege Penner. ({2}) In solchen Zwischenrufen werden manchmal die tiefen Schichten einer Partei sichtbar, die immer von Demokratisierung redet, aber da, wo sie regiert, rücksichtslos Minderheitenrechte mißbraucht. ({3}) - Es ist doch gut, wenn wieder etwas mehr Farbe in unsere Diskussion kommt. Herr Kollege Apel, was mich an Ihrer Rede nicht überrascht hat, sind harte, kritische Anmerkungen. Was mich überrascht und befremdet hat, ist die Leichtfertigkeit, mit der Sie mit Tatsachen umgehen, das Fehlen auch nur des Ansatzes einer eigenen programmatischen Alternative ({4}) und - das muß ich zum Schluß sagen - einige nach meiner Überzeugung über das Maß des Erlaubten hinausgehende persönliche Verletzungen ({5}) zu denen ich Ihnen eine Antwort geben will -, die um so erstaunlicher sind, wenn Sie sie dann noch als Fehlgriffe eines praktizierenden Christen kennzeichnen wollen. Zunächst zur Sache. Herr Apel, Sie waren, seitdem ich Sie kenne, auch in Ihrer Amtszeit als Bundesfinanzminister, schon immer großzügig im Umgang mit Tatsachen und Zusammenhängen. ({6}) So ist auch das geflügelte Wort von Ihnen damals entstanden. Als Sie die Wirkung der eigenen Steuergesetzgebung nach der Verabschiedung endlich begriffen hatten, mußten Sie sagen: Ich denke, mich tritt ein Pferd. Diese Art, eigene Positionen, Aussagen und sogar Entscheidungen, die Sie verantwortlich treffen, nicht sorgfältig zu prüfen, hat auch Ihre heutige Rede in schlimmer Weise gekennzeichnet. ({7}) Sie haben hier heute, bezogen auf die vier Jahre, in denen wir bei Etatberatungen im Bundeshaus Argumente austauschen, einen absoluten Rekord an Verdrehungen gebracht. ({8}) Ich will das an einigen Punkten nachweisen; Ihr Redetext liegt ja vor. Sie haben unsere Entscheidung zur Städtebauförderung heftig kritisiert. Ihre Aussage war, wir hätten für zwei Jahre eine Verdreifachung vorgesehen, dann den Abfall auf Null, und das Ganze sei eine „Strohfeueraktion". Es ist Ihnen sicher bekannt - aber genauso sicher nicht allen Kolleginnen und Kollegen -, daß der Sachverhalt ein vollkommen anderer ist. Die Ministerpräsidenten der elf Bundesländer haben vor zweieinhalb Jahren die Forderung an die Bundesregierung gerichtet, im Rahmen der sogenannten Entmischung - das ist kein schöner Ausdruck -, der Auflösung von gewissen Gemeinschaftsfinanzierungen im Interesse der Überschaubarkeit und der Verantwortung des Bundestages und der Landtage, auch der Verwaltungsvereinfachung, den Städtebau auf die Länder zu übertragen. Auf Initiative der Ministerpräsidenten aller elf Bundesländer, darunter fünf Sozialdemokraten einschließlich Ihres Kanzlerkandidaten Johannes Rau, ist in intensiven Gesprächen, an denen ich persönlich teilgenommen habe, die mehrmals unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers stattfanden, folgendes vereinbart worden. Die Bundesregierung wird - auch das war ein Wunsch der meisten Länder - auf Grund der akuten Probleme im Bausektor ihre Mittel zunächst erheblich erhöhen. Sie wird sich dann schrittweise zurückziehen. Das ist eine formelle Vereinbarung des Bundes und der elf Länder, wobei sich die Länder verpflichtet haben, dann in ihrer Verantwortung für ein angemessenes Niveau zu sorgen, so daß von einem Abfallen auf Null gar nicht die Rede sein kann. Sie haben gerade feierlich verkündet, daß Sie mit Johannes Rau durch dick und dünn gehen wollen, und Sie sind nicht einmal bereit, Tatsachen und Entscheidungen, die von ihm geprägt sind, hier im Bundestag anständig darzustellen. ({9}) Zweiter Punkt der Verdrehungen. Sie haben in einer arroganten Weise wahrheitswidrig unsere Entscheidungen zur Privatisierung behandelt. ({10}) - O ja, ich komme noch darauf. Ich komme noch auf zwei Zitate von Herrn Apel, die mich persönlich berühren, Herr Becker, die ich so nicht stehen lasse. ({11}) - Sie haben die Etikette im Hause nicht zu bestimmen. Wann ich meine Hand hebe oder nicht, liegt im Rahmen meiner persönlichen Freiheit. Herr Kollege Apel, Sie haben in einer arroganten und unzutreffenden Weise unsere Privatisierungsentscheidungen und ihre Vorgeschichte beschreiben wollen. Sie haben gesagt, das alles sei ohne Bestandsaufnahme und ohne wirtschaftspolitisches Konzept erfolgt. ({12}) - Herr Kollege Apel, dies ist die schlichte Unwahrheit. ({13}) Ich weise sie entschieden zurück. Ich habe, als ich von meinen Vorgängern - zu denen auch Sie gehören - die Verantwortung für den überwiegenden Teil der Bundesunternehmen und Bundesbeteiligungen übernommen habe, einige in einem höchst beklagenswerten Zustand vorgefunden. Der Salzgitter-Konzern hat in dem Jahr, in dem ich ins Amt kam, einen Verlust von sage und schreibe 730 Millionen DM gemacht. ({14}) - Überall so? - Sie haben keine Ahnung. Jedes Privatunternehmen wäre in dieser Situation - mit 730 Millionen DM Jahresverlust bei 10 Milliarden oder 12 Milliarden DM Umsatz - in Konkurs gegangen. ({15}) - Vergleichen Sie mal die Verluste dieses Jahres mit anderen. ({16}) - Wir reden zur Zeit von Bundesunternehmen, Herr Kollege Roth, bleiben Sie mal ganz schön bei der Sache. Ich habe persönlich sehr viel Zeit und Kraft darauf verwandt, zwei Dinge in die Wege zu leiten: einmal die Zurückführung der Verluste bei denen, die in dieser schweren Krise waren. Ich habe noch in der vergangenen Woche viele Stunden mit dem Vorstand des Salzgitter-Konzerns und dem Aufsichtsratsvorsitzenden über die aktuelle Situation gesprochen, die nicht problemfrei ist - wenn wir an den Schiffbau denken -, aber immerhin dazu führt, daß der Konzern zum zweitenmal wieder einen, wenn auch geringen Überschuß gemacht hat. ({17}) Mit derselben Gründlichkeit haben wir uns mit den Unternehmen auseinandergesetzt, die auf Grund ihrer Ertragssituation, ihrer Wirtschaftslage, für eine Privatisierung in Frage kommen. Es hat im Laufe der Jahre - ich könnte es nicht sicher sagen - vier oder fünf Kabinettsvorlagen, mit den beteiligten Kollegen sorgfältig erarbeitete Vorlagen des Bundesfinanzministers, gegeben, um die Voraussetzungen für Privatisierungsschritte von der Bestandsaufnahme und der Einschätzung der Wirtschaftlichkeit her zu entwickeln. Ich glaube - ich sage es ohne Überheblichkeit -, ich habe mehr Zeit und Kraft in diese Aufgabe investiert als Sie in Ihrer Amtszeit. Deswegen weise ich diese arroganten Vorwürfe - „ohne Bestandsaufnahme und Prüfung" - mit Entschiedenheit zurück. ({18}) Es ist die glatte Unwahrheit, die hier von Herrn Apel verkündet wird. Jede Entscheidung ist nach intensiven Diskussionen mit Vorständen und Aufsichtsratsvorsitzenden getroffen worden. Also, Herr Apel, wenn Sie das nicht gut ertragen und „Mein Gott noch mal" rufen, dann will ich Ihnen mal sagen: ({19}) Mit einem Oppositionssprecher, der - aufgeschrieben - hier sagt: „Ungerechtigkeit ist das Prinzip Ihrer Politik", werde ich hart ins Gericht gehen. Wir nehmen das nicht hin. ({20}) Sie müssen sich überlegen, was Sie aufschreiben, Herr Kollege Apel. Sie haben sich disqualifiziert. Sie sind mit solchen Sätzen für mich kein fairer, anständiger Partner. ({21}) - Jetzt wird geantwortet, meine Herren. Wer hier pausenlos unter die Gürtellinie schlägt, bekommt von uns heute und auch in den kommenden Monaten die Antwort, die notwendig ist. ({22}) Nein, wir haben erfreulicherweise die wirtschaftliche Situation der Bundesunternehmen erheblich gestärkt. Es ist nicht richtig, Herr Kollege Apel, daß, was VW betrifft, dies sozusagen eine Überraschungsaktion war. Ich kann nicht sicher sagen, ob es die letzte oder vorletzte Kabinettsberatung über Bundesbeteiligungen war, ({23}) also, ob es im Jahre 1985 oder 1986 war, aber dort war bereits in der Kabinettsvorlage des Bundesministers der Finanzen klar gesagt, daß zu prüfen sei, ob auf Dauer ein Bundesinteresse an dieser Form der Beteiligung bestehe. Wir haben die Prüfung durchgeführt und dem Kabinett nach ihrem Ergebnis die erforderlichen Vorschläge gemacht. ({24}) Ich muß auch sagen, Herr Kollege Apel, daß Ihre massiven Attacken, auch persönlichen Attacken, zur Landwirtschaftspolitik und Vorsteuerpauschale alles andere als glaubwürdig sind. ({25}) Einmal machen Sie hier bewegte Ausführungen über die Nöte der Bauern und versichern, daß Sie ihnen helfen wollten, und dann kommen Sie hier mit unwahren und unaufrichtigen Polemiken gegen mich persönlich wegen der Erhöhung der Vorsteuerpauschale. ({26}) Die Erhöhung der Vorsteuerpauschale ist das Ergebnis wochenlanger intensiver Beratungen in der Führung der Koalition gewesen, nicht das Ergebnis einer Nacht-und-Nebel-Aktion. ({27}) - Wenn Sie, Herr Kollege Roth, nun wieder sagen: „Millionen und Millionen für die Großen", dann muß ich Sie daran erinnern: Wir sind auch deshalb auf die Vorsteuerpauschale gekommen, weil in einer schwierigen, aber nicht so schwierigen Lage der Landwirtschaft im Jahre 1970 die Regierung Willy Brandt genau dasselbe Instrument der Vorsteuerpauschale zur Unterstützung der Landwirtschaft angewandt hat. ({28}) - Nein, man kann nun wirklich nicht sagen: Das, was wir 1970 mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft getan haben, vertreten wir, weil es sachgerecht und sozial akzeptabel ist, aber wenn ihr dies tut, ist es eine Begünstigung der Großen auf Kosten der Kleinen. Das ist völlig unglaubwürdig. ({29})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Apel?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Nein, Herr Kollege Apel, ich möchte jetzt im Zusammenhang sprechen. Entschuldigung! ({0}) Wir haben Sie hier über eine Stunde gehört. ({1}) - Ach, ich habe da keine Probleme, wie Sie wissen. Aber wir haben Sie, Herr Apel, über eine Stunde gehört, und ich möchte jetzt jedenfalls einen Teil der Verdrehungen und Unrichtigkeiten in einer noch angemessenen Redezeit wieder klarstellen können. ({2}) - Ich spreche über das Verfahren und die Gründe. Sie sind vollkommen unglaubwürdig, wenn Sie ein Instrument, das Sie 1970 bis 1978 angewandt haben, heute ständig als unsozial brandmarken wollen. ({3}) Das genügt nicht einmal mehr den Ansprüchen Ihrer eigenen Mitglieder, geschweige denn den Ansprüchen der kritischen Wähler in unserem Lande. ({4}) - Nein, Herr Kollege Apel. Ich fühle mich unangenehm berührt, da Sie mich als evangelischen Christen apostrophieren. Ich habe gewisse Vorstellungen darüber, was man tut und was man nicht tut. Sie haben mich als evangelischen Christen im Plenum des Deutschen Bundestages angesprochen, aber in diesem Zusammenhang mit einem moralischen Vorwurf falsch zitiert. ({5}) Ich habe mehrfach vor dem Appell an den Sozialneid gewarnt. Aber diese Warnung galt nicht, wie Sie unterstellt haben, den sozial Schwachen, sondern sie galt Funktionären der SPD, die nach meiner Meinung auf diesem Gebiet Schlimmes anrichten. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. ({6}) Wenn Sie dann auf persönliche christliche Überzeugung abheben, was mich nicht beschwert, denn ich bekenne mich dazu, dann will ich allerdings unter dem Vorzeichen in einer Diskussion unter überzeugten Mitgliedern unserer Kirche oder unserer Kirchen - denn wir haben j a eine ökumenische Tradition - folgendes hinzufügen: Obwohl ich nicht Theologie studiert habe ({7}) - ach, lassen Sie das doch -, ist mir doch aus meinem philosophischen Studium in Erinnerung, daß in der christlichen Theologie, und zwar sowohl in der katholischen als auch in der lutherischen, der Neid, die „invidia", eine der größten Gefährdungen und Sünden des Menschen ist. Das ist christliche Theologie und christliche Glaubenstradition. Deswegen ist die Warnung vor Neid oder vor Appell an den Neid nichts Unchristliches. Dies steht in der Tradition der christlichen Lehre und der christlichen Theologie. ({8}) - Ich will mich in Ihre Kontroverse mit der katholischen Kirche nicht einmischen. ({9}) - Nein, ich verwahre mich dagegen, daß Herr Kollege Apel eine Warnung, die an Funktionäre der SPD gerichtet ist, in eine Kritik an den sozial Schwachen umfälscht. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Ich sage das nur zur Klarstellung. ({10}) „Invidia" beschreibt wohl im sprachlichen Bezug die Tatsache, daß man den anderen nicht mehr sieht. Politiker wie Apel, die ständig Tatsachen verdrehen, verführen in der Tat dazu, daß man die Motive des anderen nicht mehr erkennt. Das ist in diesem Zusammenhang das Problem. ({11}) Herr Kollege Apel, ich habe das mit großer Entschiedenheit gesagt, weil ich Sie dringend auffordern möchte, einen Satz, der auf mich oder die Regierung bezogen war, „Ungerechtigkeit ist das Prinzip seiner oder ihrer Politik", nicht zu wiederholen. ({12}) - Ja, dann bleiben Sie mal dabei; aber dann werden wir Ihnen auch weiterhin mit großer Härte die Unaufrichtigkeit und Unwahrhaftigkeit der Aussagen vorführen müssen. ({13}) Meine Damen und Herren, die Trendwende bei den Investitionen ist erreicht. Ich sage das mit Blick auf Ihre unvollständigen Zahlen. Sie haben ja einige Zahlen gebracht, die aus dem Zusammenhang gerissen waren, die aber insofern nicht das richtige Gesamtbild bieten. Wir haben allein in den Jahren 1985 und 1986 eine Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen um 20 % zu verbuchen oder in der Vorhersage auf die letzten Monate zu erwarten. Zweifellos sind die Ausrüstungsinvestitionen das Entscheidende für die Modernisierung unserer Volkswirtschaft und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. ({14}) Der Trend - er ist hier mehrfach beschrieben worden, auch von Herrn Kollegen Carstens und Herrn Kollegen Weng - der Zunahme der Beschäftigung geht weiter. Wir können ihn zu den erhofften Ergebnissen mit einem deutlicheren Rückgang der Arbeitslosigkeit nur bringen, wenn wir einen hohen Stand in Ausrüstungsinvestitionen erhalten. Was immer sonst möglich ist - flankierende Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit, die ja vieles tut, mehr als in der Regierungszeit vor 1982; auch durch die wichtigen Beiträge der kommunalen Investitionen, der öffentlichen Investitionen -, kann diese entscheidende Entwicklung der Ausrüstungsinvestitionen in der deutschen Volkswirtschaft nicht ersetzen, allenfalls flankieren. Herr Kollege Apel, was Sie hier vorgetragen haben, um die Aussage zu entkräften, daß die Anträge oder jedenfalls die Vorschläge Ihrer Partei zum Steuerreformtarif 1988 und in der weiterführenden Perspektive Millionen von Arbeitnehmern stärker belasten als unsere Beschlüsse und Absichten, ist nicht überzeugend. Ich habe mir während Ihrer Rede noch einmal die kurz zitierte Aufzeichnung meines in seiner fachlichen Kompetenz unbestrittenen Referats zur Hand genommen. Ich will eine Zahl ergänzen. ({15}) - Nein, ich spreche von Beamten meines Hauses; das ist kein Eigenlob. Ich habe sie ja gar nicht eingestellt. Ich habe heute morgen schon gesagt, daß sie bereits von meinen Vorgängern dort berufen worden sind. ({16}) Ich will Ihnen das ergänzend noch einmal kurz sagen, weil Sie das bestritten haben. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 41 000 DM für den Berufstätigen - natürlich 82 000 DM für das Familieneinkommen; aber man muß j a wohl auch die erste Zahl nennen - ist es in der Tat so, daß Ihre Vorschläge 1988 gegenüber unserem Gesetzesbeschluß zu einer Entlastung von 38 DM im Jahr führen würden. Aber schon bei dieser Einkommensgruppe würde der Grenzsteuersatz für diesen Arbeitnehmer nach dem Gesetzesbeschluß der Koalition von 38,3% auf 43,7 % ansteigen. Das heißt: Der folgende Tarifsprung bei jeder weiteren Lohnerhöhung oder Einkommensteigerung ist nach Ihren Plänen so stark, daß es kein Trick, sondern die Beschreibung des Sachverhalts ist, den ich hier ausgeführt habe. Bereits nach zwei, drei Tarifrunden werden dieser Arbeitnehmer und auch seine Kollegen mit 38 000 DM und 40 000 DM höher besteuert als nach den Beschlüssen der Bundesregierung. ({17}) - Herr Weng, ich weiß nicht, ob er es nicht begriffen hat. - Ich will - weil es bestritten wurde - hier nur noch einmal die Begründung deutlich machen, die ja eine große Bedeutung für die steuerlichen Rahmenbedingungen für die berufstätigen Menschen und vor allem auch die Arbeitnehmer hat. Man kann die momentanen Wirkungen einer Steuerentlastung, die Verteilungswirkung im Jahre des Inkrafttretens, nach meiner festen Überzeugung nicht zum alleinigen Maßstab machen. Man muß bei der Diskussion über einen neuen Tarif auch davon ausgehen, wie sich dies für jene auswirkt, die heute 35 000 DM haben, die aber die berechtigte Hoffnung haben, in sechs, acht oder zehn Jahren durch Tarifverhandlungen und beruflichen Aufstieg 45 000 DM, 48 000 DM oder 50 000 DM zu verdienen. Es ist ja wohl die Berufsperspektive der großen Mehrzahl der arbeitenden Menschen, daß ein momentanes Einkommensniveau nicht fixiert ist. ({18}) - Sie können nicht behaupten, in Ihrer Regierungszeit seien die Tarife alle zwei bis drei Jahre angepaßt worden. Das können Sie nicht ernsthaft behaupten. ({19}) - Nein, das kann man fairerweise auch nicht versprechen. Man muß jetzt wirklich einen grundlegenden Reformtarif schaffen, der diese Grenzbelastungen für die berufstätigen Menschen beseitigt, ({20}) und man muß dafür sorgen, daß wir nicht mehr in dem Maße inflationär bedingte Steuermehrbelastungen haben, wie das in Ihrer Zeit der Fall war. ({21})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher? ({0})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

. Herr Kollege Kühbacher, ich lasse Ihre Zwischenfrage zu, weil ich glaube, daß ich die letzten Punkte dann sehr schnell hier abhandeln kann.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, zu diesem schwierigen Exkurs über die Tarifwirkung mit Grenzsteuerbelastungen: Glauben Sie nicht auch, daß es für den Arbeitnehmer nach einem, zwei oder drei Jahren völlig egal ist, ob seine Belastung aus dem Grenzsteuersatz oder aus der Gesamtbelastung der Sozialabgaben kommt? Meinen Sie nicht auch, daß es richtiger wäre, z. B. eine Kostendämpfung im Gesundheitswesen durchzusetzen, da dem Arbeitnehmer damit mehr geholfen ist, als wenn ihm Versprechungen über irgendwelche Tarifreformen gemacht werden, wobei das Wort „Reform" hier wohl auch nicht ganz angebracht ist?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Ich habe, Herr Kollege Kühbacher, heute morgen in meiner Rede auf diesen unbestreitbaren Zusammenhang hingewiesen. Wir sehen ihn übereinstimmend in der Fragestellung und Problemstellung, sicher noch nicht in den Lösungen. Ich habe heute morgen gesagt: Auch das Ergebnis einer gegenüber den ersten Schritten, die wir jetzt beschlossen haben, noch weiterreichenden Steuerreform wäre in Frage gestellt, wenn die Sozialversicherungsbeträge weiter steigen, und deshalb sind Aufgaben, wie Kostendämpfung im Gesundheitswesen, wichtig. Nur kann dies nicht im Rahmen der klassischen Zuordnung der Aufgaben die Finanz- und Steuerpolitik leisten, es muß sozusagen auch von der Gesellschafts- und Sozialpolitik geleistet werden. Deswegen führe ich die Gespräche darüber schon jetzt mit meinem Kollegen Norbert Blüm mit großer Intensität, ({0}) damit wir möglichst abgestimmte Vorschläge für die verschiedenen Bereiche machen können. Herr Kollege Apel, ich will noch einmal etwas zu Ihrer Art, hier zu zitieren, sagen. Sie haben in Ihrem verteilten Manuskript, auch in der Rede, die wir gehört haben, kritisch an unsere Adresse gesagt: Die Reallöhne, die verfügbaren Einkommen nach Abzug der Inflationsrate, hätten nun 1986 erst wieder das Niveau wie 1977. ({1}) - Können Sie dann vielleicht durch Zwischenruf Ihre Aussage präzisieren? ({2}) - Ich frage ja nur, Herr Vogel.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege Apel, wären Sie so freundlich?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Nur wenn Sie es wollen.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich finde es ja sehr nett, daß Sie mich jetzt reden lassen. Das finde ich sehr entgegenkommend, Majestät. ({0}) Lassen Sie mich Ihnen folgendes sagen. Ich habe darauf hingewiesen - das sind unbestreitbare Zahlen -, daß das durchschnittliche Nettoarbeitnehmereinkommen real - die Preissteigerungsrate muß ja abgezogen werden - 1985 auf dem Niveau von 1977 war und daß wir im Jahre 1986 in der Tat, Herr Kollege Stoltenberg, Reallohnsteigerungen seit längerer Zeit zum erstenmal wieder gehabt haben, ({1}) daß das aber nichts mit Ihrer famosen Steuersenkung zu tun hat, wovon der Arbeitnehmer gar nichts gehabt hat, sondern etwas damit zu tun hat, daß z. B. die Ölpreise verfallen sind ({2}) - sicherlich, natürlich, das hat doch zur Nullpreissteigerungsrate geführt -, und etwas damit zu tun hat, daß die Gewerkschaften in diesem Jahre in ihrer Tarifpolitik erfolgreich waren. ({3})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Schönen Dank für die Klarstellung. Dieser Teil des Beifalls bezog sich sicher weniger auf die Klarstellung, sondern auf die folgenden Wertungen, denen ich natürlich widerspreche, Herr Kollege Apel, um das gleich zu sagen. Wenn Sie sagen, die Arbeitnehmer hätten nichts von unserer Steuersenkung, dann will ich Sie daran erinnern, daß ein Arbeitnehmer, verheiratet, mit zwei Kindern, bei theoretisch gleichbleibendem Lohn in diesem Jahr durch die erste Stufe der Steuersenkung, die Kinderfreibe17626 träge, 1 000 DM Lohnsteuer weniger zahlt als im Vorjahr. Ich sage das nur, weil Sie ständig sagen, er hätte nichts davon. ({0}) - Nein, das sind Dinge, die Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Das habe ich schon begriffen, mit solchen Kleinigkeiten geben Sie sich nicht ab. Deswegen werden Sie gelegentlich auch von Pferden, Elefanten und anderen Tieren getreten. ({1}) - Hier ist zur Zeit ein Dialog, gegen den Sie doch sicher nichts haben. Den sollten Sie bei den GRÜNEN auch pflegen. ({2}) Meine Damen und Herren, natürlich entlasten die Kinderfreibeträge auch die Arbeitnehmer mit Kindern. Da Sie diese vorhin als sozial ungerecht beschrieben haben, Herr Kollege Apel, und nun wieder für die ausschließliche Förderung durch das Kindergeld eingetreten sind, will ich Sie daran erinnern: Zu den großen Enttäuschungen gegenüber Ihren Versprechungen von 1974 gehörte, daß in der Folgezeit die Kindergeldbeträge praktisch überhaupt nicht erhöht wurden und 1981 von Ihnen gekürzt wurden. Das war ein schwerer sozialer Schlag für die Eltern mit Kindern, im Grunde ab 1975. Deswegen halten wir es für richtig, den Familienlastenausgleich hier auf zwei Grundlagen zu stellen: einmal die Kinderfreibeträge und zum anderen das Kindergeld, beides, zwei Fundamente, die sich so verzahnen, daß die unteren Einkommensgruppen, die die Freibeträge nicht nutzen können, einen Kindergeldzuschlag als sozialen Ausgleich erhalten. Ich halte das für ein sehr soziales Konzept. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister - Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Nachdem ich Sie eingeladen habe, eine für mich vielleicht nicht ganz klar erkennbare Äußerung zu präzisieren, bin ich nun auch verpflichtet, Ihrer Frage zuzustimmen, Herr Kollege.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Dr. Apel, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gern, Frau Präsidentin. Herr Kollege Stoltenberg, können Sie mir dann Aufklärung darüber geben, warum wir im damaligen Deutschen Bundestag und auch im Bundesrat - Sie waren j a damals Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein - einstimmig, FDP, CSU, CDU und SPD und alle Bundesländer, gesagt haben: „Weg mit den ungerechten Kinderfreibeträgen und Einführung eines einheitlichen Kindergeldes"? Da können Sie doch nicht sagen: „Ihr habt das Kindergeld anschließend nicht so gesteigert, wie es geboten gewesen wäre." Oder sehe ich das falsch, daß es hier um ein wichtiges Prinzip geht, das heißt: „Dem Staat muß jedes Kind gleichviel wert sein"? Teilen Sie die Meinung noch oder nicht? ({0})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Kollege Apel, nach zwölf Jahren, also einer großen zeitlichen Perspektive, ({0}) kann man sich im Detail falsch erinnern. Ich glaube aber, mich an die eigentlichen Abläufe sehr gut zu erinnern. Nach meiner sicheren Erinnerung haben CDU und CSU insbesondere auch in der Stellungnahme der Bundesratsmehrheit Position gegen die Abschaffung der Kinderfreibeträge bezogen. ({1}) - Am Anfang schon, Herr Kollege Apel, zumindest in Reden. ({2}) - Doch, doch. Ich spreche jetzt einmal von der Entscheidung, an der ich im Bundesrat mitgewirkt habe. Wir sind dann in ein Vermittlungsverfahren gekommen. An dieses Vermittlungsverfahren erinnere ich mich auch deshalb noch sehr gut, weil es für eine sogenannte Gipfelkonferenz bei dem damals neu gewählten Bundeskanzler Helmut Schmidt unterbrochen wurde. Herr Kollege Genscher nahm für die Bundesregierung teil und Sie, und von unserer Seite kamen drei Politiker der CDU/CSU - einer von denen war ich -, und dann haben wir dort bis ein Uhr nachts gerungen, um eine Lösung zu finden. Diese Lösung war j a, weil durch Ihre politische Entscheidung die Steuersenkung mit diesem Punkt gekoppelt war, nur in der Form eines Kompromisses möglich. Aber wie immer das nun im einzelnen erinnert und beschrieben wird - man kann es den Historikern überlassen -, eines steht fest: daß sich die Abschaffung der Kinderfreibeträge und die ausschließliche Konzentration auf das Kindergeld deshalb als Enttäuschung erwiesen hat, weil es in Ihrer Regierungszeit nicht verbessert und 1981 sogar gekürzt wurde. Daraus haben wir Konsequenzen gezogen. ({3}) Lassen Sie mich, damit die Diskussion weitergehen kann, fortfahren. Herr Becker, ich verstehe das überhaupt nicht. Sie haben zum Schluß der sozialliberalen Koalition noch eine Entscheidung zum Thema steuerbegünstigte Aufwendungen für gemeinnützige Zwecke getroffen. Da ist der Trabrennsport noch einbezogen. Ich sage das ohne jede Wertung; das kommt aus Ihrer Regierungszeit. Mir hat bis heute keiner klarmachen können, daß Sie vom Schachklub bis zum Trabrennsport, vom Frankfurter Zoo bis zu Hagenbecks Tierpark Aufwendungen steuerfrei und -mindernd geltend machen können, aber überhaupt nicht für die eigenen Kinder. Ich begreife es nicht. ({4}) Da haben wir halt einen grundlegenden Auffassungsunterschied, über den wir uns bei anderer Gelegenheit weiter unterhalten können. Ich wollte noch etwas zu Ihrer jetzt klargestellten Ausführung über die Entwicklung der Realeinkommen sagen. Sie haben das alles als massiven Vorwurf an unsere Adresse gerichtet. Nun ist interessant, wie sich das in den einzelnen Jahren entwikkelt hat. 1978 war in der Tat das letzte Jahr vor 1986 mit einem spürbaren Zuwachs der Realeinkommen: 3,6 %; 1979 noch 2,1 %. 1980, Herr Kollege Apel - das war vor der Weltrezession und allem, was dort angeführt wird -, gingen die Realeinkommen schon um 0,5% zurück, 1981 um 1,6 %, 1982 um 1,8%. Das war in jeder Hinsicht der Tiefpunkt, das Jahr, bevor die Regierung wechselte. 1983 flachte es sich ab: minus 0,9. 1984: minus 0,8. 1985: minus 0,4. 1986 kommen wir nun in der Tat auf eine massive Verbesserung auf Grund der Fundamente, die in den letzten Jahren neu geschaffen worden sind. Hier steht noch: plus 4. Wahrscheinlich wird es im Ergebnis ein höherer Prozentsatz sein. Man muß das hier sagen. Denn der Eindruck entsteht - und er mußte entstehen, Herr Kollege Apel -, daß diese Entwicklung der Realeinkommen in den letzten acht, neun Jahren von Ihnen als Vorwurf gegen die heutige Bundesregierung vorgebracht wird. Dies ist nicht zu begründen. Die entscheidenden Einbrüche -- und deswegen habe ich die Jahreszahlen vorgetragen - sind in den Jahren gewesen, in denen Sie Regierungsverantwortung getragen haben. ({5}) Ja, ja. Dasselbe gilt übrigens auch für Ihre Darstellung der kommunalen Investitionen. Sie haben mit Kunst verschwiegen, daß der einschneidende Einbruch bei den kommunalen Investitionen - ich bin bereit, die Jahreszahlen hier noch einmal zu verlesen - in den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung war. All diese wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Prozesse laufen aber auch nach einer politischen Zäsur noch einige Zeit weiter. So haben wir bei den kommunalen Investitionen erst 1985 die Trendwende nach oben erzielt. Aber sie geht nach oben. Und sie geht 1986 weiter. Derjenige, der als Kabinettsmitglied, Herr Apel, für diese schlimme Entwicklung der kommunalen Investitionen in den Jahren nach 1980 entscheidend verantwortlich war, kann sich hier doch nicht hinstellen und mir polemisch vorhalten, ich ließe die Investitionen verkommen. Ich würde mich ja schämen, bei dieser eigenen Bilanz so etwas jemand anderem hier zu sagen, wie Sie das tun. ({6}) Ich würde mich - höflich gesagt - genieren, wenn ich einer der Hauptverantwortlichen für diesen furchtbaren Einbruch nach 1980 gewesen wäre und uns, die wir jetzt die Voraussetzung geschaffen haben, daß sie seit 1984, 1985 wieder steigen, hier mit der Stimme und der Geste des Anklägers zu sagen: Dieser Finanzminister läßt die Investitionen verkommen. Es ist schon ziemlich weit mit Ihnen gekommen, Herr Apel. Ich muß Ihnen das wirklich einmal sagen. ({7}) Nun zum Schluß. Wissen Sie, wir nehmen diese Schlußsätze da nicht hin, Herr Apel, mit der persönlichen Diffamierung - anders kann ich das nicht bezeichnen -. ({8}) Jeder Bundesminister leistet seinen Amtseid, nach besten Kräften in Gerechtigkeit für das deutsche Volk zu wirken. ({9}) Und dann zu sagen, die Bilanz der gesamten Tätigkeit sei durch Ungerechtigkeit bestimmt, ({10}) das ist eine Sache, die wir weiter mit Ihnen austragen werden. Dies ausgerechnet aus Ihrem Mund! ({11}) Ich will zum Schluß folgendes sagen. Der Kollege Apel hat in 70 Minuten die entscheidenden Grundfragen der künftigen Finanzpolitik nicht aufgenommen ({12}) und deshalb auch nicht beantwortet. Meine Frage: Wollen Sie eine expansivere Finanzpolitik, d. h. mit höherer Kreditaufnahme? ({13}) - Nein. Sie haben 70 Minuten Zeit gehabt. Jetzt bitte ich um Verständnis, daß ich diese Frage dann an die kommenden Redner der SPD weitergebe. ({14}) -- Nach der Geschäftsordnung können Sie Fragen stellen und kann ich Fragen beantworten. ({15}) Das wissen Sie genauso gut wie ich. Wollen Sie eine expansivere Finanzpolitik, wie es der Kollege Spöri am 5. August gefordert hat und wie es der Kollege Roth - ich habe gestern eine kurze Pressemeldung gesehen - in diesen Tagen aufgenommen hat, wobei das von Ihnen zustimmend zitierte Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung einen Leiter - Professor Krupp - hat, der ein Mitglied der sozialdemokratischen Regierungsmannschaft von Herrn Vogel war, - ({16}) - Nein. Nichts an meinen Ausführungen weist darauf hin, daß ich das als schlimm ansehe. Ich sage das nur noch einmal zur Verdeutlichung des politischen Standorts: ... wobei Herr Professor Krupp mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in den dortigen Veröffentlichungen auch erkennen läßt, daß eine expansivere Finanzpolitik natürlich zu erhöhter Neuverschuldung führt. Das kann man dort bei den Wirtschaftswissenschaftlern, die Ihnen politisch verbunden sind, erkennen. Deswegen ist es nicht überzeugend, wenn Sie oder einige sagen, sie wollten eine expansivere Finanzpolitik, aber zugleich erklären: Ihr macht schon wieder zuviel Schulden. Die zweite Frage, Herr Kollege Apel, ist nicht beantwortet: Wie sieht es mit der Steuerreform und der Nettokreditaufnahme aus? Es ist nicht richtig, daß überhaupt kein Spielraum in der Finanzplanung der kommenden Wahlperiode für eine Steuerreform besteht. Wenn das noch einmal sehr sorgfältig darauf untersucht wird, werden Sie feststellen, daß wir in der zweiten Hälfte der nächsten Wahlperiode einen finanziellen Spielraum haben. Wir müssen ihn noch erweitern, auch durch eine wachstumsfördernde und beschäftigungsfördernde Politik, die uns als Nebenwirkung mehr Mittel einbringt. Ich will darauf nur hinweisen. Ich kann nicht sagen, daß es keinen Spielraum dafür gibt. Dies wäre apodiktisch und insofern unzutreffend. Aber wir müssen ihn erweitern. Meine Position und die Position der Koalitionsfraktionen ist: In Verbindung mit einer wachstums- und beschäftigungsfördernden Steuerpolitik - aber auch nur unter diesem Vorzeichen - ist eine vorübergehende begrenzte Erhöhung der Nettokreditaufnahme . vertretbar. Ich erwähne die 600 Millionen DM in diesem Jahr. Wenn es den Kollegen des Haushaltsausschusses gelingt - nämlich durch eine Verbesserung -, sie überflüssig zu machen, um so besser! Drittens. Meine Damen und Herren, wir müssen sicher weiter über das Verhältnis von Investitionen und Beschäftigung, über wichtige Fragen unserer internationalen Verantwortung diskutieren. Ich hoffe, daß wir von den sozialdemokratischen Kollegen dazu noch einige Stichworte erhalten. Schönen Dank. ({17})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Spöri.

Dr. Dieter Spöri (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mir ja menschlich verständlich, daß nach der Rede meines Kollegen Apel der Bundesfinanzminister jetzt hier flammend empört ans Pult geeilt ist und repliziert hat. Denn diese Rede mit den Vorwürfen, daß Sie eine ungerechte Finanzpolitik betreiben, eine Politik gebrochener Versprechen, hat gesessen. ({0}) Herr Bundesfinanzminister, Ihre Regierung ist im letzten Bundestagswahlkampf 1983 mit dem Versprechen angetreten, die Abgabenbelastung und die Steuerbelastung der Bürger in unserem Lande zu senken. Es stimmt: Sie haben mit diesem attraktiven Versprechen die Bundestagswahl '83 gewonnen, und Sie haben dieses Versprechen wiederholt in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Jahre 1983 bekräftigt. Aber Sie haben in den folgenden Jahren Ihrer Finanz- und Steuerpolitik genau dieses Versprechen gebrochen, und nicht nur gebrochen, sondern ins genaue Gegenteil verkehrt. ({1}) Wenn man die Fakten betrachtet, dann sind Sie auf der rechten Seite dieses schön umgebauten Wasserwerkes die „Abgabenkoalition" und die „Steuerkoalition". Jetzt schreiben Sie auf Ihre Wahlplakate: Weiter so, Deutschland! oder: Weiter so, Helmut Kohl! Ich habe gehört, der Erfinder dieses ach so genialen Spruchs sei Heiner Geißler. Da ist mir spontan eingefallen: Diesmal hat den Geißler selbst der Blackout erwischt. Der Spruch geht, meine Damen und Herren, voll nach hinten los, der geht ja voll „in die Hosen". ({2}) Allein in der Steuer- und Abgabenpolitik haben die Bürgerinnen und Bürger genügend Anlaß, um Ihnen am 25. Januar die verdiente Quittung zu geben. Und dafür gibt es mindestens zehn Gründe in der Steuer- und Abgabenpolitik, die ich jetzt einmal präzisieren möchte. Grund Nummer eins: Sie haben die Arbeitnehmer, die Rentner, die Schüler und die Behinderten seit 1983 mit einem finanzpolitischen Sonderopfer von über 60 Milliarden DM belastet. Sie haben die Besserverdienenden entgegen Ihrer Wahlankündigung nicht mit einem Sonderopfer belastet. Denen haben Sie inzwischen die verkorkste Zwangsanleihe wieder zurückbezahlt. Das war ja wohl von vornherein einkalkuliert. Ich kann nur sagen: Dieser Wortbruch ist ein eklatanter Verstoß gegen die soziale Symmetrie in der Steuer- und Finanzpolitik und ein eindeutiger Wählerbetrug der CDU. Der wird am 25. Januar nicht vergessen sein. ({3}) Grund Nummer zwei: Sie haben Ihr Wahlversprechen, Herr Minister Stoltenberg, vom letzten Wahlkampf, die Abgabenlast der Bürger zu senken, für die Mehrheit der Bürger ins genaue Gegenteil verkehrt. Die Abgabenlast des Durchschnittsverdieners ist in Ihrer Amtsperiode, Herr Bundesfinanzminister, von 39% auf inzwischen 43% vom EinkomDr. Spöri men angewachsen. Dies ist absoluter Bundesrekord, meine Damen und Herren. Glauben Sie jetzt, die Leute würden sagen „Weiter so, Helmut Kohl" oder „Weiter so, Gerhard Stoltenberg"? Das sind ja nicht alles Masochisten, die da betroffen sind. ({4}) Grund Nummer drei: Ihre Steuerreformversprechungen werden immer so in dem Stil angeboten, als gäbe es da große Geschenke für die Bürger. Tatsache ist: Heute zahlen die Bürger in diesem Land 28 Milliarden DM mehr Lohn- und Einkommensteuer als 1982. Das sind die Fakten. ({5}) 1988 wird der Bürger trotz der Steuerreform 1986/88 50 Milliarden DM mehr an Lohn- und Einkommensteuer bezahlen. So sehen die Fakten aus. ({6}) Unter Ihrer Regierungszeit, Herr Bundesfinanzminister, haben Sie die Lohnsteuer unter allen größeren Steuerarten am stärksten gesteigert, explosionsartig gesteigert, und zwar auf den Rekordanteil von 34 % aller Steuereinnahmen in der Bundesrepublik. Das ist absoluter Bundesrekord seit 1949. Während Sie in der Koalition Ihre Choräle von der Abgabenentlastung der Arbeitnehmer anstimmen, marschieren die Arbeitnehmer in diesem Land immer weiter und immer schneller in den Lohnsteuerstaat. Das sind die Fakten. ({7}) Daß dieses so ist, ist das wahrscheinlich der einzige Grund dafür, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie inzwischen den einzigen statistischen Indikator, die einzige Kennziffer für diese Entwicklung der Lohnsteuerbelastung, nämlich die Lohnsteuerquote, in Ihren Veröffentlichungen nicht mehr ausweisen. ({8}) Ich kann Ihnen nur eines sagen: Auch wenn Sie den Uhrzeiger anhalten, Sie halten damit nicht die Zeit an, Herr Bundesfinanzminister. ({9}) Grund Nummer vier: Von dem 20-Milliarden-Segen der sogenannten größten Steuerreform aller Zeiten haben Sie am Anfang des Jahres - dies kann man nicht oft genug betonen - den höheren Einkommen soviel zugeschanzt, daß für die Normalverdiener auf ihren Lohn- und Gehaltsstreifen nur 6 DM monatlich für den Ledigen übriggeblieben sind. Diese 6 DM sind längst weggefressen worden durch die Erhöhung der Pflichtbeiträge in der Sozialversicherung. Grund Nummer fünf: Die Rentenversicherungsbeiträge sind inzwischen auch auf ein Rekordniveau geklettert, nämlich auf 19,2% in diesem Jahr. Das können Sie nicht bestreiten. Dank Ihrer fulminanten Bemühungen zur Dämpfung der Kosten im Gesundheitswesen hat der Krankenversicherungsbeitrag inzwischen auch einen Höhenrekord von 12,2% erreicht. Bei der Abgabenbelastung der Arbeitnehmer sind Sie absolut Spitze. ({10}) Jetzt wollen Sie auch noch behaupten, der diesjährige Anstieg der Reallöhne sei ein Ergebnis Ihrer Politik der Preisstabilität. ({11}) Es weiß doch jedes Kind in Deutschland, daß diese Preisstabilität, diese erfreuliche Preisstabilität, ein Ölpreisgeschenk ist. ({12}) Natürlich weiß das jeder; sonst wäre der Preisindex doch nicht so weit unten, meine Damen und Herren. ({13}) Grund Nummer sechs: Sie haben hier zu Anfang der Legislaturperiode und auch in dieser Rede wieder, Herr Bundesfinanzminister, einen umfassenden Abbau der Subventionen angekündigt, auch zur Finanzierung Ihrer Superreform für die nächste Legislaturperiode. In der Praxis aber - und daran müssen Sie sich messen lassen - haben Sie die Subventionen in den letzten vier Jahren explosionsartig gesteigert, und die Kleinen haben nichts abbekommen. Wenn Sie uns vorwerfen, daß wir damals auch die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft erhöht haben, so sage ich Ihnen dies. Erstens: Ich würde so etwas auf Grund der Erfahrung nicht mehr machen. Man muß ja auch ein bißchen lern- und erkenntnisoffen für das sein, was man vielleicht falsch gemacht hat. Zweitens war es so, daß die damalige Erhöhung der Vorsteuerpauschale bei uns erstens nach der Fläche und zweitens nach dem Umsatz gestaffelt war, also ganz anders strukturiert war als Ihre Gießkannensubventionen. ({14}) Grund Nummer sieben: Herr Stoltenberg, Sie haben sich über den Vorwurf der Umverteilung aufgeregt, Sie haben sich über den Vorwurf einer ungerechten Steuerpolitik aufgeregt. Sie hatten aber genügend Geld, um knusprigen Offizieren lukrative Frühpensionen anzubieten, ({15}) aber Sie hatten kein Geld, um die älteren Rentnerinnen beim Babyjahr gleichzustellen. ({16}) Und jetzt spricht der Herr Bundesfinanzminister von einer gestuften Lösung für die Trümmerfrauen. Das ist makaber, diese stufenweise Lösung. ({17}) Wissen Sie, was das bedeutet? Dies bedeutet, daß während dieser Übergangszeit viele Frauen, die einen Anspruch haben, sterben werden und diese Vergünstigung nicht mehr in Anspruch nehmen können. ({18}) Grund Nummer acht: Sie hatten auf der einen Seite genügend Geld, Herr Bundesfinanzminister, um die Vermögensteuer um 1,5 Milliarden DM bei jenen Firmen zu senken, die vor vollen Taschen kaum mehr laufen können, sie hatten kein Geld, um den einkommensschwächsten Familien das Schüler-BAFöG zu erhalten. ({19}) Glauben Sie, die betroffenen Familien sagen jetzt: Weiter so, Deutschland? Grund Nummer neun: Sie hatten 10 Milliarden DM pro Jahr übrig, um kapitalkräftigen Firmen ein Unternehmenssteuergeschenk - mit reinem Mitnahmeeffekt, ohne Investitionseffekt - zu machen. Sie hatten keine müde Mark in Ihrem Haushalt für die Finanzierung unseres Programms zur ökologischen Erneuerung der Industriegesellschaft, das nach Auffassung vieler neutraler Institute 400 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen hätte. Das ist die Politik, die Form von expansiver Politik, die wir im Interesse der Arbeitslosen gerne machen wollten. ({20}) Grund Nummer zehn: Herr Bundesfinanzminister, Sie haben sich eben noch einmal exaltiert über die Attacke, über unseren Angriff auf die Kinderfreibeträge. Faktum ist, daß mit dieser Neueinführung der Kinderfreibeträge das Kind des Ministers oder das Kind der Ministerin Süssmuth dem Staat künftig zweieinhalbmal so viel wert ist, wie z. B. das Kind der Sekretärin, des Fahrers oder des Facharbeiters. ({21}) Das sind die Fakten, das ist keine familienpolitische Glanzleistung. ({22}) Ich könnte diese Latte finanzpolitischer Ungerechtigkeiten unter dem Motto „Umverteilung von unten nach oben" noch beliebig verlängern; aber diese zehn Gründe reichen aus.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0})?

Dr. Dieter Spöri (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Jäger, Sie haben eine Zwischenfrage.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie unterschiedlichen Auswirkungen von Kinderfreibeträgen auf höhere und niedrigere Einkommen erwähnen, warum erwähnen Sie dann nicht gleichzeitig, daß unter Ihrer früheren Regierungsverantwortung zum erstenmal ein Realsplitting von 9 000 DM im Einkommensteuerrecht verankert worden ist, wodurch die Unterhaltsansprüche des schwerreichen Unternehmers dem Staat ebenfalls viel wertvoller waren als die Unterhaltsleistungen des kleinen Arbeitnehmers an seine geschiedene Frau? Wie erklären Sie diesen Widerspruch zwischen Ihrer Aussage und Ihrer praktischen Politik?

Dr. Dieter Spöri (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jäger, ich weiß überhaupt nicht, was das Realsplitting in diesem Zusammenhang zu tun hat. ({0}) Herr Kollege Jäger, auf jeden Fall haben die SPD und die SPD-Bundestagsfraktion ein Steuerkonzept vorgelegt, das darauf hinausläuft, daß künftig nach Möglichkeit nicht mit Freibeträgen gearbeitet werden soll, sondern mit dem gleichen Abzug von der Steuerschuld. ({1}) Herr Bundesfinanzminister, eines ist wahr: Sie haben im letzten Jahr ein Versprechen gehalten. Sie haben das Versprechen gehalten, den Sozialabbau nicht mehr fortzusetzen. Sie haben den Sozialabbau im letzten Jahr nicht mehr fortgesetzt, aber Umverteilung von unten nach oben hört in diesem Land deshalb finanzpolitisch noch lange nicht auf. Denn Umverteilung von unten nach oben findet jetzt nicht mehr offen über einseitiges Streichen von Sozialleistungen statt. ({2}) Umverteilung von unten nach oben findet jetzt in diesem Land über die Strukturänderungen des Steuersystems statt, unter dem freundlichen Etikett von Herrn Stoltenberg, nämlich der Steuerreform. Diese Steuerreformpolitik, Herr Bundesfinanzminister, ({3}) folgt nicht dem Leitmotiv, das Sie immer wieder in den Wahlkämpfen vorgegeben haben, nämlich Leistung müsse sich lohnen. Dieses Motiv haben Sie in der Praxis längst verändert. Das Leitmotiv Ihrer Steuerpolitik ist pervertiert: nicht etwa „Leistung muß sich wieder lohnen", sondern „Reichtum muß sich wieder lohnen". ({4}) Am besten sieht man dies an den praktischen Beispielen Ihrer Steuerentlastungspolitik. So richtig attraktiv werden Ihre Entlastungsbeispiele in Ihren neuen Steuertarifen erst so ungefähr ab 70 000 DM Jahreseinkommen für Ledige oder 140 000 DM Jahreseinkommen für Verheiratete. Da wird es richtig attraktiv bei den EntlastungsbeträDr. Spöri gen. Aber an den Millionen von wahren Leistungsträgern in dieser Gesellschaft, an den Millionen Facharbeitern, Angestellten, Meistern, Technikern, Ingenieuren geht der Schwerpunkt Ihrer Entlastungspolitik vorbei. ({5}) Es sind diese Millionen Leistungsträger, Herr Bundesfinanzminister, die vorrangig von ihren Arbeitseinkommen leben; es sind diese Millionen Leistungsträger, die deshalb auch weitgehend ihre Einkommen verbrauchen müssen und die deshalb die Hauptlast der Verbrauchsteuern und der Mehrwertsteuer tragen. Meine Damen und Herren, deshalb, genau deshalb ist der Plan des Bundesfinanzministers, jetzt nach der Wahl die Verbrauchsteuern und die Mehrwertsteuer zu erhöhen, nur damit er anschließend wieder die höheren Einkommen noch stärker entlasten kann, extrem ungerecht. ({6}) Sie haben sich heute in Ihrer Rede, was diese Anhebung der Verbrauchsteuern und der Mehrwertsteuer nach der Wahl anlangt, durchgemogelt. Aber Sie sagen in jedem Interview, wenn es darum geht und wenn man Sie fragt, wie Sie denn eigentlich Ihre sogenannte Superreform finanzieren wollten, das würde über die Anhebung der indirekten Steuern geschehen, ({7}) in der Hoffnung, daß das ein Normalbürger nicht versteht. Aber was ist denn die Anhebung der indirekten Steuern? Meine Damen und Herren, das ist nichts anderes als die Anhebung der Verbrauchsteuern und der Mehrwertsteuer. ({8}) Deshalb, meine Damen und Herren, ist die von Herrn Stoltenberg jetzt mit dem bombastischen Etikett „Superreform" angekündigte Steuerreform in der nächsten Legislaturperiode für die Mehrheit der Bürger in unserem Lande nichts als ein großangelegter Wählerbetrug. ({9}) Denn die kleinen Leute werden von dieser „Superreform" nichts oder jedenfalls sehr wenig in der Tasche haben. Deshalb verstehe ich es sehr gut, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie bei Bundespressekonferenzen neuerdings keinerlei Auskünfte zur konkreten Struktur dieser „Superreform" geben. ({10}) Aber wir werden das nachrechnen, wenn Sie dies nicht machen. Ich verstehe Sie allerdings sehr gut; denn Sie wollen den Pferdefuß jetzt nicht vor der Wahl zeigen. Sie wollen diese nasse Katze erst nach der Wahl aus dem Sack lassen; das ist klar. ({11}) Der einzige Dissens, der in der Steuerpolitik gegenwärtig zwischen den Koalitionsfraktionen besteht, ergibt sich bei der großen Schicksalsfrage, wie stark die Senkung des Spitzensteuersatzes für diejenigen ausfallen soll, die mehr als 130 000 DM im Jahr verdienen. ({12}) Die Tatsache, daß Sie dieses als größtes Problem umtreibt, zeigt mehr als viele Worte und mehr als viele Reden, welche Interessen Sie hier steuerpolitisch tatsächlich vertreten. ({13}) Wenn Sie unsere Kritik an Ihrer Umverteilungspolitik jetzt als Sozialneid diffamieren, dann kann ich nur sagen: Dieser Kampfbegriff „Sozialneid" soll nur eine Steuerpolitik des Egoismus für wenige vernebeln. ({14}) Wir machen bei dem Wettlauf um immer neue, größere Steuerentlastungen nicht mit. ({15}) Es geht uns um etwas ganz anderes: Es geht uns nicht um ein Mehr beim Steuerentlastungsvolumen oder bei der Familienpolitik, sondern es geht uns um eine gerechtere Verteilung der eingesetzten finanziellen Mittel, meine Damen und Herren. ({16}) Es geht in der Steuerpolitik ganz einfach um die Alternative: Gerechtigkeit statt Egoismus. Darüber hat der Bürger am 25. Januar zu entscheiden. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Spilker. ({0})

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe, Herr Apel, Ihre Rede mit einigem Erstaunen gehört und Ihrer Miesmacherei gelauscht. ({0}) Ich wundere mich, daß sich Herr Kollege Spöri dem nahezu nahtlos angeschlossen hat. Ich werde darauf noch zurückkommen. Der von der Bundesregierung am 1. Juli dieses Jahres beschlossene Haushalt 1987, der hier heute gewissermaßen zur Premiere debattiert wird, ist der fünfte in dieser Legislaturperiode. Er steht im Zeichen der Kontinuität und setzt eine Politik fort, die sich in den vergangenen Jahren als erfolgreich erwiesen hat. Es ist die solide und bewährte Finanzpolitik dieser Bundesregierung zur Konsolidierung der Staatsfinanzen. Wir begrüßen - das sage ich ausdrücklich - und unterstützen diese Politik. Die Bundesregierung festigt damit die Grundlagen für Wirtschaftswachstum, Investitionen, Arbeitsplätze, stabile Preise, niedrige Zinsen, reale Lohn- und Einkommensverbesserungen. ({1}) Meine Damen und Herren, gerade nach den erwähnten zwei Beiträgen muß ich noch einmal die Frage stellen: Wie hat das eigentlich im Herbst 1982 ausgesehen? Ich darf an die hektischen Monate der Haushaltsaufstellung erinnern, die zum Teil geradezu chaotischen Haushaltsberatungen, und die ständig neuen Hiobsbotschaften über Haushaltslöcher. ({2}) Das Vertrauen in die Finanzpolitik Ihrer Regierung, meine Damen und Herren, war verlorengegangen. Die von der SPD geführte Bundesregierung hatte durch eine verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft laufend überfordert! ({3}) Jahrelang hatte man den Eindruck erweckt, man könne mehr als 100 % des Sozialproduktes verteilen, und schließlich landete man in einer Sackgasse mit Inflation, ohne Wachstum, mit Explosion der Arbeitslosenzahl, Arbeitsplatzverlusten, Ausgabenexpansion und unverantwortlicher Staatsverschuldung ({4}) - vielleicht lassen Sie mich netterweise ausreden - und mit dem Verlust jeglicher Gestaltungsmöglichkeit in der Finanzpolitik. ({5}) - Ob Sie das nun gerne hören oder nicht, meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten haben aus der verfehlten Politik der früheren Bundesregierung Schmidt nichts gelernt. Das hat erneut Ihr Parteitag in Nürnberg gezeigt, ({6}) übrigens auch in der Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik. Was im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik geboten wurde, war - mit einem Worte - nichts, meine Damen und Herren. Jedenfalls nichts Neues, nichts Zukunftsorientiertes. In geradezu peinlicher Weise - denken Sie an die Wahlen 1987 Herr Spöri, die Sie eben erwähnten ({7}) bietet die SPD den Bürgern wieder Rezepte an, mit denen sie in der Praxis doch gescheitert ist. Das haben wir und die Bürger doch noch in Erinnerung. Das haben die Menschen in Erinnerung, die darunter zu leiden hatten, meine Damen und Herren. ({8}) Die Folgen Ihrer ideologisch orientierten Politik, die immer mehr verteilen will und wird als erwirtschaftet wird, wären doch wieder: mehr Staatsverschuldung, weniger Arbeitsplätze, mehr Arbeitslosigkeit, mehr Staat und weniger Freiräume für den einzelnen. Dafür gibt es dann natürlich wieder höhere Zinsen, weniger Investitionen, Anstieg der Inflation und anderes mehr. Karl Schiller hat völlig zu Recht Kritik an dieser Politik geübt. Ich darf hinzufügen: Der Glaube der SPD an die Machbarkeit aller Dinge durch den Staat ist ungebrochen, meine Damen und Herren. ({9}) Das zeigen auch Ihre Forderung - das ist vielleicht doch etwas Neues - nach Strukturräten, nach Verstaatlichung - das ist etwas Altes, das haben wir nicht anders erwartet - und andere Forderungen mehr, auf die ich noch zurückkommen werde. ({10}) Sie schlagen wieder einmal die Schlachten von gestern, weil Sie in Wahrheit, meine Damen und Herren, kein Verhältnis zur Marktwirtschaft haben. Das hatten Sie nie. In diesen Tagen schreibt - nach Nürnberg - ein angesehener Publizist ({11}) - nicht die „Bildzeitung"; ich habe im übrigen nicht von einer Zeitung, sondern von einem Publizisten gesprochen -: ({12}) ({13}) Wenn nach dem Rezept der SPD verfahren wird, verabschiedet sich bei uns der wirtschaftliche Aufschwung. Denken Sie einmal darüber nach. Meine Ergänzung, meine Damen und Herren - da habe ich eine etwas andere Einstellung als Herr Apel oder Herr Spöri; das liegt auf der Hand -: Das werden die Wähler in der Bundesrepublik nicht zulassen. ({14}) Sie wollen keine Koalition, mit Herrn Rau wie er sich das gewünscht hat. Sie wollen eine solide Politik, Wohlstand, Sicherheit, Gerechtigkeit mit Freiheit. ({15}) Unsere Finanzpolitik hat sich ausgezeichnet bewährt. Sie ist vom Herrn Bundesfinanzminister heute eindrucksvoll dargestellt worden, jedenfalls wesentlich eindrucksvoller als die Finanzpolitik der SPD und auch Ihre demagogischen Beiträge, Herr Apel. ({16}) Zu den Markenzeichen unserer Politik gehören verhaltenes Ausgabenwachstum, deutliche Rückführung der öffentlichen Kreditfinanzierung, schrittweise Verminderung der Staatsquote und Steuerentlastungen. ({17}) Diese zurückhaltende Ausgabenpolitik hat Preisstabilität, niedrige Zinsen, mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze ermöglicht. Meine Damen und Herren, wenn Sie nicht mehr Arbeitsplätze ermöglichen, kriegen Sie auch keine Arbeitslosen weg. Im übrigen darf ich Sie daran erinnern: Das sind nicht unsere Arbeitslosen, das sind die Ihren, die aus Ihrer Erblast. ({18}) - Ich komme schon noch darauf. - Ja, was haben Sie denn gemacht, meine Damen und Herren? Wir können nach Jahren einer rückläufigen Konjunktur wieder zunehmendes Wachstum auf der ganzen Linie feststellen. Der tiefe Einbruch der Investitionstätigkeit ist vorüber. Die Bundesrepublik befindet sich im vierten Jahr des Aufschwungs. ({19}) Nach einer vorübergehenden Beruhigung zum Jahresbeginn steht die Konjunktur wieder voll unter Dampf. ({20}) Die Investitions- und Verkaufskonjunktur ist angesprungen. Meine Damen und Herren, Sie werden doch wohl so viel Zeitung lesen - ob vor dem Frühstück oder nicht, das ist mir egal -, daß Sie festgestellt haben, ({21}) daß die Auftragsbestände bei uns so sind, wie sie in den letzten Jahren nicht waren. Ist das nicht ein Zeichen für eine Situation, mit der wir - im übrigen auch die Bürger - rundherum zufrieden sind, ({22}) bei der wir aber auch wissen, daß es da oder dort noch etwas zu tun gibt? Das haben wir immer gewußt. Wir haben nur schrittweise gehandelt, weil wir davon ausgegangen sind, daß wir erst das Geld haben müssen, bevor wir helfen konnten. Das ist ein ganz anderer Weg als der, den Sie mit Schulden eingeschlagen haben ({23}) und mit dem Sie letztlich total gescheitert sind. ({24}) Ihre Miesmacherei und Schwarzmalerei erinnern mich an frühere Prophezeiungen. Diese liegen auf der gleichen Ebene, gleich ob das Herr Kollege Jens war oder Herr Kollege Roth oder jetzt in den letzten Tagen Herr Wieczorek. ({25}) Herr Jens erklärte am 13. September 1984, daß der wirtschaftliche Abschwung 1986 mit Sicherheit wiederkäme. Herr Jens, wo ist er denn geblieben? Herr Apel hat heute eine Andeutung gemacht, daß es bei diesem Zyklus so nicht bleiben kann. Das läuft auf dasselbe hinaus. ({26}) Herr Kollege Roth, in der gleichen Debatte haben Sie bei einem Dollarstand von etwa 3 DM gesagt, wenn der Dollar sinken würde, bräche unser Export zusammen. Wie sind denn die Tatsachen heute? ({27}) Der Dollar ist um über 30 % gesunken. Wir haben einen Handelsüberschuß wie nie zuvor. Wir haben Rekordzahlen. Herr Müller, Sie wissen ja gar nicht, was das ist. ({28}) Wir haben in der Außenwirtschaft Rekordzahlen. Ich weiß natürlich, daß exportorientierte Firmen mit ihren Gewinnmargen da oder dort zurückgehen müssen, meine Damen und Herren. Bei ihren Importen haben sie dann natürlich auch Vorteile. Das muß man der Ordnung halber hier auch erwähnen. Herr Wieczorek, wenn Sie jetzt vor wenigen Tagen irgendwo schreiben ({29}) das war ein bißchen Begleitmusik nach Nürnberg -, daß die Finanzpolitik dieser Bundesregierung - „Wahlgeschenke" war so ein Schlagwort - nach den Wahlen zusammenbrechen würde, dann frage ich Sie: Wer ist denn die Partei des Versprechens? Wer ist denn die Partei des Nichthandelns? ({30}) Ich darf an das Babyjahr erinnern. Warum regen Sie sich auf? Es ist doch geradezu heuchlerisch, wie Sie reden; nachdem Sie über zehn Jahre nichts getan haben. ({31}) - Wir werden noch mehr Arbeitsplätze schaffen, Herr Spöri, oder sie ermöglichen - nicht „schaffen", das tun andere - die Politik dafür praktizie17634 ren und die Rahmenbedingungen dafür schaffen, die Eckwerte politisch zur Verfügung stellen. ({32}) Das ist Ihnen leider nicht gelungen. Das war unsere Aufgabe und wird unsere Aufgabe auch bleiben. ({33}) Herr Kollege Vogel, wir haben j a mal zu Studienzeiten in München miteinander zu tun gehabt. ({34}) - Das waren natürlich noch Zeiten. ({35}) - Ja, aber nicht so lange. Ich meine, wenn schon, dann sollten wir die ganze Geschichte schreiben und nicht nur die halbe. Sie haben in den letzten Tagen - wenn ich das richtig gelesen habe - gesagt, ({36}) Sie würden diese heutige Debatte zu einer Generalabrechnung machen. Dazu möchte ich noch ein Wort sagen, weil meine Zeit schon wieder dem Ende entgegengeht. ({37}) - Vielleicht kann ich noch diesen einen Satz zu Ende bringen. Aber bitte, wenn nicht, dann könnte ich noch ein bißchen lauter sein. Ich kann das Mikrophon entsprechend einstellen. ({38}) Sie meinten natürlich „Generaldebatte", aber Sie haben gesagt: „Generalabrechnung". ({39}) - Herr Vogel, angesichts der sozialen Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Anbetracht vieler Diskussionen bei Ihnen in Nürnberg ({40}) und als Folge der Beiträge von Herrn Kollegen Apel und Herrn Kollegen Spöri sage ich Ihnen heute in aller Ruhe eines: Diese Generalabrechnung macht der deutsche Wähler am 25. Januar nächsten Jahres. ({41}) Und angesichts Ihrer traurigen Hinterlassenschaft aus dem Herbst 1982 - ich habe das eben erwähnt -, ({42}) unter der alle Bürger zu leiden hatten, ({43}) sehen wir mit großem Vertrauen dieser Wahlentscheidung entgegen. Die deckt sich mit Sicherheit nicht mit der Ihrer 400 Delegierten in Nürnberg. Herr Apel, auch vor diesen haben Sie, glaube ich, nicht überzeugen können - und Herr Roth wohl auch nicht. Sonst hätten Sie nicht zwei Wahlgänge gebraucht, um in den Vorstand zu kommen. ({44}) Die Neue Zürcher Zeitung sprach davon, ({45}) daß die Positionen der Sozialdemokratischen Partei nach links gedrückt worden sind - Sie sprach nicht von den Wahlen in Nürnberg, nein, nein, Sie sprach von der Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, ({46}) und auch vom Atlantischen Bündnis -, und stellte fest, diese Positionen seien früher auf ihrem rechten Flügel und bei den Gewerkschaften angesiedelt gewesen, und das sei vorbei. Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, sage ich Ihnen: Diese Bürger wollen keine Rückwende zur Politik der SPD. ({47}) Was Sie wollen, ist Wohlstand, Sicherheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Und, Herr Spöri, das ist meine Schlußbemerkung, weil Sie mich geärgert haben. ({48}) Das hat mich schon bei Herrn Apel geärgert - dieses häßliche Wort von der Ungerechtigkeit bei unserer Steuerpolitik: ({49}) Wir unterscheiden uns in einem ganz erheblich, meine Damen und Herren: Wir wollen weg von Ihrer unglücklichen Gleichmacherei. Das ist richtig. ({50}) Wo wir hinwollen und bleiben wollen, und zwar mit den Bürgern, die uns eine Mehrheit gegeben haben und nicht Ihnen, ist die Gerechtigkeit. Ich danke Ihnen. ({51})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Suhr.

Heinz Suhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002289, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren, es ist schwer, nach dem Beitrag des Kollegen Spilker noch etwas Ernsthaftes zu bringen. ({0}) Wir tagen heute hier in einem neuen Haus, dem Wasserwerk. Leider ist die Politik der Bundesregierung die alte geblieben. Aber wir werden uns bemühen, aus dem alten Wasserwerk ein politisches Klärwerk für Ihren Wahlkampfschlamm zu machen. Auf Ihren Wahlplakaten steht „Weiter so, Deutschland". Nun frägt man als unbefangener Beobachter: Welches Deutschland meint die Union? Meint sie das Deutschland samt den Ostgebieten? Mit welchem Deutschland soll es so weitergehen? Ich hätte Ihre Wahlplakate sehr viel lieber mit einem ganz dicken Fragezeichen gesehen. Mir kommt das so vor wie das Kunstwerk von H. A. Schult dort drüben. Wenn Sie es sich schon angesehen haben, werden Sie feststellen: Es ist sehr hübsch geworden, aber es ist leider etwas zuwenig Grün drin. Kommen wir zum Haushalt. Wir führen heute zwar eine Generaldebatte, können aber trotzdem auf Einzelheiten eingehen. Der mit Abstand größte Haushaltsbrocken ist auch 1987 wieder der Militär- und Rüstungshaushalt mit über 65 Milliarden DM, wenn wir alles zusammenzählen. Da frage ich Sie wieder: Immer so weiter mit Deutschland? Wenn wir weiterrechnen, so sind in der Bundeswehrplanung bis 1995 für Forschung, Entwicklung, Beschaffung neuer Waffen und militärische Anlagen 142,4 Milliarden DM vorgesehen. Immer weiter so mit Deutschland? Frieden schaffen mit weniger Waffen? Sie versprechen auf Ihren Plakaten stabile Preise, sichere Renten und mehr Arbeitsplätze. Was Sie hier im Wahlkampf inszenieren ist ein Theaterstück mit mehreren Schurken. Einmal Finanzminister Schuldenberg - Stoltenberg -, der von 1983 bis einschließlich 1987 mit rund 130 Milliarden DM Nettoneuverschuldung die Staatsfinanzen rettet, der mit 33 Milliarden DM Subventionen und 41 Milliarden DM indirekter Steuervergünstigungen und einer Steuerreform, die hauptsächlich den Besserverdienenden nützt, den Haushalt weiter konsolidiert. Der nächste Schurke in dem Stück ist Norbert Blüm, Inhaber der Abbruchfirma „Soziale Sicherung". Trotz der drastischen Kürzungen der vergangenen Jahre im Sozialhaushalt - wir haben das heute schon verschiedentlich erörtert -, wurde die Neuverschuldung lediglich um 12 Milliarden DM von 1982 bis 1986 zurückgeführt. Aber dafür dürfen wir den Kollegen Blüm erleben, wie er mit dem Tod der Trümmerfrauen kalkuliert und wie das IG Metall-Mitglied Blüm das Streikrecht sabotieren will. Der nächste Schurke in dem Wahlkampfstück ist Friedrich Zimmermann, dem nun, nachdem er als alter Chaot nach Tschernobyl für viel Informationsverwirrung gesorgt hat, die Kompetenz für die Reaktoren genommen worden ist. Nun kann sich der Fritz Zimmermann mit erklecklichen Beträgen aus dem Haushalt 1987 seiner Lieblingsbeschäftigung widmen, nämlich der Militarisierung des Bundesgrenzschutzes und dem Bunkerbau für die Zivilbevölkerung. Rita Süssmuth, die Wahlkampflokomotive der Union für die emanzipierte Frau, muß dagegen leider etwas Dampf ablassen: Ganze 3,8 Millionen DM - ich wiederhole es zum Mitschreiben, ganze 3,8 Millionen - stellt die Bundesregierung in einem Titel ein, der lautet „Arbeiten und Maßnahmen auf dem Gebiete der rechtlichen und sozialen Stellung der Frau". Das sind, in Prozenten ausgedrückt, 0,0015% des Haushalts für die rechtliche und soziale Stellung der Frau. Es geht also aufwärts mit euch Frauen! ({1}) Kommen wir zum nächsten Ganoven in dem Schurkenstück: Martin Bangemann, der nächste Woche bei der GATT-Handelsrunde in Uruguay wieder tapfer für den freien Welthandel kämpfen wird, auf Kosten der Länder der Dritten Welt. Wir werden gerne abwarten, was der Herr Bangemann in seinem Energiebericht zum Ausstieg aus der Atomenergie vermelden wird, nachdem er ja jetzt zwei qualifizierte Gutachten bekommen hat. Die Vergabe ist vom Herrn Bundeskanzler leider als „instinktlos" gekennzeichnet worden, und der Kanzleramtsminister Schäuble hat sie - Zitat - „gewissermaßen privat zur Kenntnis genommen". Offensichtlich huldigt die Bundesregierung der Auffassung, daß ein schlecht informiertes Volk leichter zu regieren sei. Deswegen geraten zwei kritische Gutachten zur Atomenergie zur großen Wahlkampfpanne. Ausgerechnet Helmut Kohl, der Erfinder der neuen Theorie der Verelendung durch den Ausstieg aus der Atomenergie, muß sich vorrechnen lassen, und zwar nicht nur von bekannt ökologischen Gutachtern, sondern auch vom RWI, daß es ohne Atomstrom geht. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie das nächste Gutachten zum Ausstieg aus der Atomenergie bei Frau Noelle-Neumann in Auftrag geben. Da weiß man wenigstens vorher, was hinten rauskommt. ({2}) Im Etat des Wirtschaftsministers von 1987 wurde der Titelansatz „Aufklärung über Möglichkeiten der Energieeinsparung" gegenüber 1986 gekürzt. Ich finde, das ist ein seltenes Schurkenstück nach Tschernobyl! Gestrichen wurde der Titel „Förderung der beschleunigten Markteinführung energiesparender Technologien und Produkte". Der Wahnsinn hat offensichtlich Methode. Allen anderen Beteuerungen zum Trotz haben Sie aus Tschernobyl nichts gelernt. ({3}) - Hören Sie einmal zu; es ist interessant für Sie; ich äußere mich zum Weltmarkt. - Auf dem Weltmarkt für Solarsysteme haben die USA im Jahre 1985 einen Marktanteil von 40 %; die Japaner haben einen Anteil von 37% am Weltmarkt; alle europäischen Staaten zusammen haben einen Anteil von unter 15 % bei der Technologie der Zukunft, bei der Solartechnologie. Und was passiert im Bundeshaushalt? Die Atomenergie wird im Bundeshaushalt weiter mit 1,76 Milliarden DM gefördert. Immer weiter so mit dem radioaktiven Deutschland? Ich glaube, die Wählerinnen und Wähler werden es Ihnen am 25. Januar zeigen. ({4}) Bei der Gelegenheit möchte ich Ihnen einmal eine Preisfrage stellen. Vielleicht können Sie sich noch an das Jahr 1975 erinnern. Wie viele Reaktoren hat die Kernforschungsanlage Jülich 1975 für die Bundesrepublik als notwendig erachtet? 598 Atomkraftwerke sollten in der Bundesrepublik die Stromversorgung sichern. ({5}) Die Anti-Atom-Bewegung und die kritischen Wissenschaftler haben in den letzten zehn Jahren immerhin dafür gesorgt, daß das Reaktorprogramm bis heute um 95% gekürzt werden mußte. Ich sage Ihnen: Die restlichen 5% schaffen wir auch noch. Sie versprechen stabile Preise. Die niedrige Inflationsrate wird verursacht durch die günstigen Wechselkurse und durch die zerstrittene OPEC, durch die niedrigen Ölpreise. Dieses Spiel mit der Inflationsrate wurde ja in der Vergangenheit durch verschiedene Zitate immer wieder aufgewärmt. Ich kann Ihnen drei Zitate zur Inflationsrate vortragen. Der Kollege Cronenberg z. B. erklärte am 19. Oktober 1984 hier vor dem Deutschen Bundestag, daß 1 % weniger Preisanstieg einer realen Kaufkrafterhöhung von 18 Milliarden DM entspricht. ({6}) Fünf Monate später, im Februar 1985, erklärte Martin Bangemann hier vor dem Deutschen Bundestag: Ein Prozent weniger Inflationsrate sind 40 Milliarden DM Kaufkraft mehr! Eine Verdoppelung innerhalb von fünf Monaten! ({7}) Und er sagte: Das sollten Sie sich einmal ausrechnen. - Ja, rechnen sollte man eigentlich können als Wirtschaftsminister. ({8}) Der Finanzminister Stoltenberg war vor einem Jahr etwas bescheidener. Er erklärte: Allein ein Rückgang der Preissteigerungsrate um 1 % bedeutet für die privaten Haushalte einen Kaufkraftzuwachs von 10 Milliarden DM. Egal, ob 10, 18 oder 40 Milliarden, das sind Ihre soliden, seriösen Argumente, mit denen Sie den gnadenlosen Sozialabbau den Wählern schmackhaft machen wollen. Die Oma mit der kleinen Witwenrente von 300 DM, der Arbeitslose ohne Unterstützung oder mit einem Durchschnittseinkommen von 900 DM Arbeitslosengeld ({9}) oder jemand mit der durchschnittlichen Arbeitslosenhilfe von 792 DM, ({10}) die spüren sehr wenig von diesen Milliarden Kaufkraftzuwachs. ({11}) - Zu Lukas Beckmann kann ich Ihnen nur sagen: Ein Beckmann macht den Kohl nicht fett. Ich bin dafür, daß unser Bundesvorstand anständig bezahlt wird. Wir werden das hinkriegen, genauso wie wir schon andere Dinge geklärt haben. ({12}) Ich wollte noch einen Satz zu dem vorhin von Herrn Finanzminister Stoltenberg angesprochenen Sozialneid sagen. Welchen Neid meinen Sie eigentlich mit „Sozialneid"? Meinen Sie den Neid des Arbeitslosen auf den Arbeitsplatzbesitzer? ({13}) Meinen Sie den Neid der Trümmerfrauen auf die Gnade der späten Geburt des Kanzlers? Welchen Neid meinen Sie denn? ({14}) Den Neid der Armen, die wirklich mühsam zu knabbern haben, um einigermaßen durchzukommen? Eines ist sicher, Norbert Blüm - leider ist er nicht da -: Die Renten schrumpfen real. Immer mehr Arbeitslose fallen durch das soziale Netz. Weiter so mit Deutschland? Wenn man die mühsam durch die Arbeitszeitverkürzungskämpfe neu geschaffenen Arbeitsplätze abrechnet und Ihre Verfälschungen der Arbeitslosenstatistik hinzunimmt, dann bleibt von Ihrem Aufschwung außer einem krankhaften Optimismus nicht viel übrig. Es bleibt für viele der Kaffeesatz und für wenige die Sahne. Wir werden über den Aufschwung, über diesen Pseudoaufschwung im Wahlkampf zu reden haben. ({15}) Eine Bemerkung noch zum Kindergeld. Sie wissen, daß die GRÜNEN ein Kindergeld von 230 DM bis zum siebten Lebensjahr für jedes Kind fordern, ({16}) 330 DM bis zum 11. Lebensjahr und 410 DM bis zum 14. Lebensjahr. ({17}) Ich sage das nur, damit Sie uns im Wahlkampf wieder als Kindesmörder diffamieren können. Was im Haushalt 1987 so gut wie keine Rolle spielt, ist die Umwelt, die Umweltzerstörung: 103 Milliarden DM jährlich; wir haben es gehört. Wir haben einen Energiewendehaushalt vorgelegt, und wir haben einen Maßnahmenkatalog zur Luftreinhaltung vorgelegt. Bis heute haben wir darauf keinerlei Reaktion oder Resonanz seitens der Bundesregierung. ({18}) Wenn die Waldvernichtung und die Luftverschmutzung so weitergehen - das sage ich Ihnen, Herr Weng, weil Sie vorhin so den Ökozid beschworen haben -, so weise ich darauf hin, daß die Mörder, die Vernichter des Waldes hier bei CDU/CSU, FDP und SPD sitzen, weil seit 15 Jahren nichts passiert, um die Umweltzerstörung wirksam aufzuhalten. ({19}) Im Jahr 2000 wird die Hochwaldfläche in der Bundesrepublik um 800 000 Hektar reduziert sein; das ist die Fläche von halb Schleswig-Holstein. ({20}) Jede zweite Ortschaft im Alpenraum wird im Jahr 2000 bedroht sein durch Lawinen, durch Hochwasser und durch Erosion. ({21}) Sie verhindern seit Jahr und Tag und seit wir hier im Bundestag sind, jede wirksame Maßnahme zur Luftreinhaltung, jede Verschärfung. Sie sind nicht mal bereit, das Tempolimit, das keinen Pfennig Geld kostet, hier einzuführen. ({22}) Mit der Katalysatortechnik sind wir zehn Jahre hinter Japan, hinter den USA zurück. Die Verantwortlichen für die Umweltzerstörung sitzen hier auf der Regierungsbank und bei der SPD. ({23}) Wir sehen in Nordrhein-Westfalen, daß die Liste der gefährdeten Arten, die rote Liste, in diesem Jahr wieder verlängert werden muß. Es ist völlig klar: Ohne die GRÜNEN wird es keine wirksame Umweltpolitik geben. ({24}) Wir schlagen eine Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe zur Rettung des Waldes vor, bei der alles darangesetzt werden soll, die Luftverschmutzung zu reduzieren. ({25}) Jetzt sage ich einen letzten Satz zu dem rot-grünen Schreckgespenst, das Sie an die Wand malen. Ich kann Ihnen sagen: Für Millionen Bundesbürger und für mich persönlich stellt es eine große Hoffnung dar, daß es in dieser Republik anders weitergehen könnte, und eine Hoffnung, daß wir die Mehrheit der jetzigen Koalition zu Ende bringen. ({26}) Ich würde mich sehr viel wohler fühlen in dieser Republik bei einem Außenminister Otto Schily als bei einem Außenminister Franz Josef Strauß oder bei einer Agrarministerin Antje Vollmer anstatt Ignaz Kiechle oder Waltraut Schoppe statt Rita Süssmuth oder bei Joschka Fischer statt Walter Wallmann. Ich danke Ihnen. ({27})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Suhr, ich hatte Schwierigkeiten mit Ihrem Dialekt; das muß ich zugeben. Ich habe immer angenommen, Sie sprachen von „Schuldenstück". Falls sich herausstellt, daß das „Schurkenstück" hieß, was Sie gesagt haben, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das nun wirklich unparlamentarisch ist und hier nicht hergehört. Jetzt hat Graf Lambsdorff das Wort.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich denke, der eine oder andere von uns wird sich noch erinnern, wie wir uns zum ersten Mal nach der Wahl vom 6. März 1983 im alten Plenarsaal versammelten, als die Kollegen der GRÜNEN-Fraktion mit Blumen einzogen, ihre ersten Reden hielten und den Anspruch darauf erhoben, hier eine sanfte, eine friedliche Politik, die Milde der Auseinandersetzung, in dieses Haus zu tragen. ({0}) Wenn ich höre, meine Damen und Herren, was der Kollege Suhr soeben in wenigen Minuten hier zum besten gegeben hat: für die Politik der Bundesregierung gilt: der Wahnsinn hat Methode; ({1}) die wissenschaftliche Unabhängigkeit und Objektivität von Frau Professor Noelle-Neumann wird kurzerhand mit einer Handbewegung beiseite gewischt; ({2}) es wird nicht nur, wie der Herr Präsident zu Recht bemerkt hat, vom „Schurkenstück" gesprochen, sondern der Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann wird der „Ganove im Schurkenstück" genannt. Herr Kollege Suhr, Sie sollten aus dem Wasserwerk nicht ein Klärwerk machen, sondern eine chemische Reinigung für sich und andere. Ob Sie sich politisch reinigen lassen oder auch sonst, ist dann Ihre Sache. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten Monaten hat die Diskussion dahin geführt - das ist auch richtig vor einer Bundestagswahl -, daß die wirtschaftspolitischen Beschlüsse und die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der im Hause vertretenen Parteien deutlich geworden sind, daß sie auf den Tisch gekommen sind. Nun mag man es bedauern, aber man darf es wohl nicht verwischen: Es treten fundamental unterschiedliche Konzeptionen zutage: einerseits die Politik der Koalition, andererseits die Politik von Sozialdemokraten und GRÜNEN, wobei ich die Differenzierung zwischen Sozialdemokraten und GRÜNEN nicht übersehe, das Näherrücken der Positionen von Sozialdemokraten an grüne Inhalte aber auch nicht. Wer sich einen letzten Sinn für Realitäten bewahrt, der kann über grüne wirtschaftspolitische Positionen nicht realitätsbezogen, nicht realistisch diskutieren. ({4}) Was Sie, Herr Kollege Müller, heute hier an Zahlenakrobatik vorgeführt haben, mag zur Verunsicherung und Verwirrung beitragen, es kann nicht verdecken, was Sie an wirtschaftspolitischen Forderungen in Ihren programmatischen Aussagen untergebracht haben. ({5}) Davon einige Kostproben, damit jeder sich davon überzeugen kann, wie gut es ist: sofortiges Abschalten der Kernkraftwerke, ({6}) was nicht zu einem Anwachsen der Emissionen führen darf - ein offensichtlicher Widerspruch in sich selbst -; Abschaffung des betrieblichen Eigentums; Überstunden dürfen die Produktion nicht erhöhen - was sollen sie dann eigentlich tun? -; Einsetzung überbetrieblicher branchen- und regionalspezifischer Gremien, die Investitionen überprüfen und ein Genehmigungsrecht haben - Investitionslenkung und Investitionskontrolle par excellence -; ({7}) Abkoppelung von Weltmarktzwängen und Abkehr von der Exportorientierung der Wirtschaft ({8}) womit mal eben schlicht acht Millionen Arbeitsplätze - denn soviel Arbeitnehmer sind in unserer exportorientierten Wirtschaft beschäftigt - in der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt werden. ({9}) Dieses ist mit großem Abstand die arbeitsplatzfeindlichste und arbeitnehmerfeindlichste Politik aller politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. ({10}) Wenn diese Programmatik, wenn diese Vorstellungen Wirtschaftspolitik in der Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland werden könnten, ({11}) dann würde innerhalb kurzer Zeit das Ende der Industrienation Bundesrepublik Deutschland eingeleitet - das ist das, was Sie wollen -, und Sie würden innerhalb kurzer Zeit aus einer Industrienation ein Volk von Jägern, Sammler und Fallenstellern gemacht haben. Und das allerdings wollen wir nicht. ({12}) Es ist in unseren Augen schlimm, daß die Sozialdemokratische Partei an diese Vorstellungen immer näher heranrückt. ({13}) - Ich wiederhole: Es ist in unseren Augen schlimm, daß die Sozialdemokratische Partei immer näher an diese Vorstellungen heranrückt. ({14}) Und es ist erst recht schlimm, wie die frühere Regierungspartei SPD sich in nahezu regelloser Flucht und atemberaubender Geschwindigkeit von früher einmal teilweise auch zwischen uns gemeinsam vertretenen Positionen entfernt hat. Ich habe nie eine große deutsche Partei gesehen, die das mit solchem Tempo fertiggebracht hat. ({15}) - Hätten Sie, meine Damen und Herren, von der SPD, das wenigstens in der richtigen Richtung getan. ({16}) Aber auch das nicht. Und in Nürnberg? In Nürnberg, Herr Kollege Vogel, haben Sie mit Mühe eine vorläufige Auffangstellung für diese Entwicklung der SPD gebaut. Sie wird nicht lange halten. ({17}) Wer das Programm der Sozialdemokraten und die Beschlüsse von Nürnberg liest, der kann nur zu der Feststellung kommen: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist eine Wiesel-Partei geworden. ({18}) - Eine Wiesel-Partei: Wie das Wiesel Eier aussaugt und das leere Ei - die Hülle - unbeschädigt läßt, so entleert die Sozialdemokratische Partei die Begriffe ihres Inhalts. ({19}) Bündnistreue, sagt Johannes Rau. ({20}) Aber die Nürnberger Beschlüsse höhlen die Allianz in ihrem Wesensgehalt aus. Marktwirtschaft, sagt die SPD. Aber die Inhalte sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik ({21}) lassen hiervon nur noch das Wort, nur noch die äußere Hülle stehen. Und das ist Wiesel-Politik. ({22}) „Wenn Farthmann und Rau sich nicht einigen, so werde ich sie so lange mit den Köpfen zusammen" - Entschuldigung! - „Wenn Fahrtmann und Roth sich nicht einigen, ({23}) so werde ich sie so lange mit den Köpfen zusammenschlagen, bis sie sich geeinigt haben." - Also sprach Bruder Johannes. ({24}) Jetzt sehen wir das Ergebnis dieser Kopfarbeit: ({25}) Die Sozialdemokraten haben nicht nur ihre wirtschaftspolitischen Wortführer Apel und Roth bei den Vorstandswahlen zerzaust. ({26}) Es ist bemerkenswert, Herr Vogel, daß die beiden Sprecher Ihrer Partei für Finanzen und Wirtschaft es außerordentlich mühsam hatten, noch in den sozialdemokratischen Parteivorstand zurückgewählt zu werden. Auch da zeichnet sich ein Generationenwechsel ab. Aber wohin wird er führen? ({27}) Ich sage noch einmal: Die SPD hat in Nürnberg versucht, die Soziale Marktwirtschaft zu zerzausen. Auch Johannes Rau ({28}) und seine Sozialtechniker reklamieren für sich den Markt als Antriebsmotor und Steuerungsprinzip. ({29}) Auch Johannes Rau und seine Sozialtechniker reden von Kreativität und Innovation. Sie reden vom schöpferischen Unternehmer. ({30}) Aber die Sozialdemokratie empfiehlt Rahmenpläne und Mitverantwortung des Kollektivs bis hin zum Vetorecht gegen neue Techniken. ({31}) Privatisierungen, die den freiheitlichen Wettbewerb stärken sollen, werden als Ausverkauf des Staates und des Staatsvermögens denunziert und diffamiert. ({32}) Staatsbetriebe mit Bestandsgarantien werden dagegen als Garanten sogenannten sozialverträglichen Fortschritts gefeiert. ({33}) In dieser sozialdemokratischen Marktwirtschaft - lesen Sie es nach - wird korrigiert und ergänzt, gezielt und gesteuert, vorgegeben und kontrolliert. ({34}) Die SPD will nicht den dynamischen, sie will den verwalteten Markt. Sie schiebt beiseite, daß mehr Markt auch weniger Staat bedeutet. ({35}) Meine Damen und Herren, die Staatsquote ist - und dies trotz aller gegenteiligen Einwendungen der Sozialdemokraten und der GRÜNEN - das Fieberthermometer des Interventionismus, ist der Gradmesser für die Intensität des staatlichen Eingriffs in unser wirtschaftliches und auch in unser persönliches Leben. ({36}) Die Sozialdemokraten entziehen sich hier der Diskussion. Sie sprechen von einem Fetisch und empfehlen, auf dieses Fieberthermometer gar nicht erst zu blicken. Die Sozialdemokraten halten nach wie vor daran fest, daß der Staat für alles und jedes aufzukommen hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im Augenblick nicht, aber gleich. Ich sage es dann. Sie glauben, daß der Staat für alles und jedes aufzukommen hat, daß der Staat selbst für die kleinsten Probleme, auch für die Sorgen des täglichen Lebens, eine Auffangstellung zu bieten hat. Dies ist nicht unsere Auffassung. Bitte, Herr Kollege!

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Graf Lambsdorff, glauben Sie nicht, daß für die Krankheit einer Gesellschaft die Arbeitslosenzahl ein sehr viel besserer Anzeiger ist als die Staatsquote? ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie glauben doch nicht, Herr Kollege, daß ich hier zur Wirtschaftspolitik spreche, ohne mich mit dem Thema Arbeitslosigkeit zu beschäftigen. ({0}) Ich werde mir erlauben, darauf zurückzukommen. ({1}) Ich werde Ihnen, meine Damen und Herren, allerdings sagen - und ich sage es schon an dieser Stelle -, daß die Höhe der Staatsquote, die nicht zuletzt durch die Höhe der Subventionen bestimmt wird, ({2}) auf diesem Wege zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit beiträgt, nicht etwa Arbeitslosigkeit abbaut. ({3}) Lesen Sie im Gutachten des Weltwirtschaftsinstituts von Kiel über den Zusammenhang zwischen Subventionshöhe und Beschäftigungsstand in Ruhe nach. ({4}) Meine Damen und Herren, nach wie vor halten die Sozialdemokraten - ich wiederhole das - daran fest, daß der Staat für alles und jedes aufzukommen hat, daß er den Menschen auch die Sorgen des täglichen Lebens - ich rede nicht von den existentiellen Risiken, für die die Gemeinschaft einzustehen hat - abzunehmen hat. ({5}) Die Worte „Leistung", „Verantwortung" und „Risikobereitschaft" kamen in Nürnberg nicht vor. ({6}) Dazu sagt die FDP, sagen die Liberalen: ({7}) Wir brauchen die Leistung, wir brauchen das Pflichtbewußtsein, wir brauchen die Risikobereitschaft von Unternehmern und Arbeitnehmern, ({8}) wir brauchen die Leistung, die Mitarbeit unserer Bürger, wenn wir in diesem Lande eine glückliche, eine zufriedenstellende Zukunft erreichen wollen. ({9}) Die Bundesrepublik Deutschland darf keine riesige Allgemeine Ortskrankenkasse unter dem Barmer Ersatzkanzler Johannes Rau werden. ({10}) Meine Damen und Herren, was kann der Wähler am Ende einer Legislaturperiode, wenn Bilanz gezogen wird, von der Regierung und der Koalition, die er vor knapp vier Jahren mit einer Mehrheit ausgestattet hat, erwarten? Er kann von ihr erwarten, daß sie solide Arbeit leistet, daß sie solide Ergebnisse vorzuzeigen hat. Er darf von ihr nicht erwarten - und der Wähler in der Bundesrepublik Deutschland, der politisch gescheit genug ist, tut das auch nicht -, ({11}) daß auf einer kurzen Wegstrecke von vier Jahren Wunder vollbracht werden. ({12}) Meine Damen und Herren, es gibt in der Bilanz, mit der wir uns vor dem 25. Januar 1987 dem Wähler stellen werden, unbestreitbar auch einige Punkte, die uns selbst nicht voll zufriedenstellen. Den Ursachen ist nachzugehen; nach den Ursachen ist zu fragen. Die Höhe der Arbeitslosigkeit ist der Hauptpunkt dieser Bilanz, der uns nicht zufriedenstellt. ({13}) Gewiß, meine Damen und Herren, die Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland steigt, und das ist gut so. Ich habe schon bei früheren Gelegenheiten - nicht von dieser Stelle aus, sondern ein paar Meter weiter von einer ähnlichen Stelle aus - darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht der erste Konjunkturzyklus ist, ({14}) in dem es drei Jahre des Aufschwungs gibt, in denen sich nicht einmal an der Beschäftigung etwas rührt. Im vierten und fünften Jahr tut sich etwas an der Beschäftigung. Erst im fünften und sechsten Jahr beginnt die Arbeitslosigkeit zurückzugehen. ({15}) Das war im vorigen Konjunkturzyklus, Herr Vogel, ganz genauso. Wir haben uns die Frage zu stellen: Warum ist das in der Bundesrepublik Deutschland so schwerfällig, so unflexibel? Warum ist das in anderen Ländern besser? ({16}) Warum reagiert in anderen Ländern der Arbeitsmarkt, der immer ein Spätindikator ist, nicht mit so erheblicher Verzögerung wie bei uns auf eine Besserung der konjunkturellen Situation? Hier liegt die Verantwortung des Staates für die Rahmenbedingungen. Ich füge allerdings hinzu, meine Damen und Herren: Nach meiner, nach unserer Überzeugung, tragen die Hauptverantwortung für die Situation am Arbeitsmarkt diejenigen, die über den Haupteinsatzfaktor für das Produktionsmittel Arbeit unabhängig entscheiden, nämlich über den Preis, ({17}) und das sind die Tarifvertragsparteien. ({18}) - Nicht die Löhne sind zu hoch, sondern die Löhne sind unflexibel, das Tarifgefüge ist zu starr. Was wir brauchen, ist mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt, der die Bezeichnung „Markt" ja kaum noch verdient. ({19}) Unter bestimmten Voraussetzungen - sage ich: ({20}) Es ist unsinnig, in einer maroden Werft - ich zitiere den Bundesfinanzminister und stimme ihm zu - dieselbe Lohnerhöhung zu zahlen wie bei Daimler-Benz. ({21}) Wir wollen, meine Damen und Herren, mehr Beweglichkeit an unserem Arbeitsmarkt. Wir wollen eine Überprüfung, ob sich nicht Schutzrechte zur Plage entwickelt haben. Wir haben einiges getan in diesem Bereich; vielleicht muß noch mehr geschehen. Sie hören viele internationale Stimmen - abgesehen von der Bundesbank, vom Sachverständigenrat und den Forschungsinstituten -, die uns in dieser Auffassung bestärken. Sozialdemokraten und GRÜNE, meine Damen und Herren, wollen das Gegenteil. ({22}) Sie wollen weniger Flexibilität. Herr Vogel hat es in den letzten Tagen mehrfach gesagt: ({23}) Sie wollen das Beschäftigungsförderungsgesetz sofort aufheben. ({24}) - Damit werden Sie weiter Arbeitsplätze ruinieren. Auch wenn es zeitlich befristete Arbeitsplätze sind - das ist immer noch besser als Arbeitslosigkeit. ({25}) Sie wollen Überstunden gesetzlich verbieten. Ein völlig unsinniger Vorschlag des nordrhein-westfälischen Arbeitsministers lautet: ({26}) Sie wollen die Kosten für Überstunden nicht mehr als Personalkosten bei der steuerlichen Gewinnermittlung zulassen. Wann, meine Damen und Herren, wird uns Herr Heinemann - mit Absegnung durch das Kabinett Rau - wohl empfehlen, daß wir auch die Materialkosten und die Energiekosten nicht mehr bei der steuerlichen Gewinnermittlung absetzen? Wann werden wir nach Ihren Vorstellungen den Umsatz zur Grundlage der Ertragsbesteuerung machen? Meine Damen und Herren, hier liegen Gefährdungen und Probleme, denen wir uns zuwenden müssen, bei denen wir aber sehen: Mit Ihnen ist hier nichts zu machen. Sie werden diese Verkrustungen, Sie werden diese Verhärtungen eher noch unterstreichen, eher noch verstärken. Wir haben einiges andere nicht in vollem Umfang erreicht, wie wir es uns vorgestellt hätten. Die Forschungsinstitute haben es in ihrem Frühjahrsgutachten in einem knappen Satz zusammengefaßt: Der ordnungspolitische Teil dieser Politik ist nicht so recht vorangekommen. Die Privatisierung ist für uns nicht ein Haushaltsproblem. ({27}) Ich bedaure es deswegen, daß mindestens optisch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den letzten Schritten der Privatisierung und dem Bundeshaushalt entstanden ist, weil das einen falschen Eindruck erwecken könnte, dem der Finanzminister heute morgen zu meiner Zufriedenheit mit Recht entgegengetreten ist. ({28}) Nein, meine Damen und Herren, die Privatisierung ist für uns ein ordnungspolitisches Problem. Es geht nicht an, daß der Staat als Unternehmer in Gebieten tätig ist, bei denen er den Privaten Konkurrenz macht. Wenn der Staat als Unternehmer Pleite macht, dann geht er mit der offenen Hand zum Landes- oder zum Bundesfinanzminister und läßt sich die Verluste ersetzen. Der kleine und mittlere Unternehmer setzt den schwarzen Hut auf, geht zum Amtsgericht und meldet Konkurs an. Dies ist die Wettbewerbsverzerrung. Deswegen muß die Privatisierung zustandegebracht werden. ({29}) - Da gibt es durchaus Sündenfälle, meine Damen und Herren, an denen wir beteiligt waren, an denen auch ich beteiligt war. Das ist überhaupt nicht bestritten. Aber dennoch, von Ihnen wird nicht einmal das Prinzip anerkannt. Sie haben vorhin „Lufthansa" dazwischengerufen. Ich bedaure, daß das nicht weitergeht. Ich habe der Deutschen Lufthansa schon mehrfach empfohlen, aus ihrem Leitwerk den Kranich zu entfernen und ihn durch einen Vogel Strauß zu ersetzen. ({30}) Meine Damen und Herren, die ordnungspolitischen Gründe gelten auch für den Subventionsabbau. Gewiß ist die Bilanz, die hier vorgelegt werden muß, nicht so, wie wir uns das gewünscht und wie wir uns das vorgestellt hätten. Nur, die Kritik von Ihrer Seite, die Sie fortgesetzt Vorschläge machen, die zu höheren Subventionen führen würden, ist in hohem Maße unglaubwürdig. Die Subventionshergabe ist ein gewaltiges, fiskalpolitisch den Haushalt belastendes Problem, eine Größenordnung, die man nicht vernachlässigen kann. Aber auch hier gibt es ein ordnungspolitisches Problem erster Güte, weil die Erfahrung lehrt, daß die großen Unternehmen mit ihren Stabsabteilungen, mit ihren Experten den Weg zu den Subventionstöpfen, zu den Ministerien, zu den Amtsstellen finden, und die kleinen und mittleren gucken hinterher. Auch dies ist Wettbewerbsverzerrung. Und es ist im übrigen, meine Damen und Herren, ein Stück staatlicher Machtausübung, zusätzlicher, unnützer staatlicher Machtausübung. Was glauben Sie, wie es der Referent des zuständigen Ministeriums genießt, wenn die Vorstände großer Unternehmen in gebeugter Haltung erscheinen, um mit devoter Stimme um Subventionen nachzusuchen. Dies ist Machtausübung gegenüber dem Bürger, die sich damit verbindet. Wir haben in den letzten Monaten auf solche Fälle in ausreichender Zahl hingewiesen. Ich will sie heute nicht wiederholen. Ich freue mich nur darüber, daß sich die Landtagsfraktion der FDP in Stuttgart unserer Meinung über den jüngsten Fall von Subventionsvergabe mit aller Klarheit angeschlossen hat. ({31}) , Nur eins, meine Damen und Herren, kann ich mir denn doch nicht verkneifen. Ich lese einen Auszug aus der Antragsdatenbank des BMFT vom 11. August 1986 und stelle fest, daß dort eine Finanzhilfe von 446 000 DM für die Einführung neuer Techniken der Bürokommunikation im Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Baden-Württemberg beantragt wird. ({32}) Meine Damen und Herren, ich habe große Hochachtung vor schwäbischem Fleiß, Sparsamkeit und Erwerbssinn; aber dies geht mir denn doch ein bißchen zu weit. ({33}) Hier, meine Damen und Herren, zeigt sich im übrigen ein deutlicher Zusammenhang - ich habe gesagt, der Antrag ist eingegangen, ich habe noch nicht gesagt, Herr Riesenhuber, daß er bewilligt ist; ich entnehme Ihrer Gestik, daß Sie hoffentlich die Absicht haben, ihn nicht zu bewilligen -, ein enger Zusammenhang mit der beabsichtigten Steuerreform. Wenn wir die Kraft zur Teilfinanzierung dieser Steuerreform durch den Subventionsabbau nicht haben, werden wir die Steuerreform nicht zustandebringen. ({34}) Diese Steuerreform ist notwendig. Ich begrüße all das, was der Bundesfinanzminister dazu gesagt hat. Ich will auch darauf eingehen, daß der Kollege Apel die Investitionsrücklage - die steuerstundende; er hat das immerhin in erfreulicher, ehrlicher und Klarheit schaffender Weise hinzugefügt - erwähnt hat. Wir sehen hier - eine Koalition will ich nicht sagen - eine Gruppierung, die einen doch amüsiert: CSU, SPD und GRÜNE sind für die steuerstundende Investitionsrücklage. ({35}) Es gibt erfreulicherweise in dieser Frage Übereinstimmung zwischen den Liberalen, den Finanzpolitikern der CDU und dem Bundesfinanzminister. Meine Damen und Herren, der Unterschied ist sehr simpel. Wir wollen nicht Steuern stunden, wir wollen Steuern senken. Dies ist das endgültige Ergebnis einer Steuerreform, wie sie der Bundesfinanzminister vorgestellt hat. Steuerstundung und dann überprüfen: Wie investiert er, wann investiert er, wo investiert er, hat er die Investitionsgebote eingehalten?, das heißt j a immer wieder Hineinregieren, Hineinkontrollieren in die Unternehmen. Genau dies wollen wir verhindern. Genau dies soll nicht stattfinden. Die Bürger wissen mit ihrem Geld in der eigenen Tasche besser umzugehen als es der Staat weiß. Natürlich verstehe ich schon, daß es den Sozialdemokraten zuwider ist, den Menschen das Geld in der Tasche zu lassen, daß sie lieber die Steuerstundung anpeilen, um dann weiter hineinreden zu können. ({36}) Ich begrüße die Erklärung des Bundesfinanzministers, die er zur Steuerreform abgegeben hat. Ich denke an eine große Steuerreform, die meine Partei am 25. August 1985 in Starnberg zum erstenmal vorgeschlagen hat und die erfreulicherweise in den Grundtatsachen die Zustimmung von CDU und CSU gefunden hat. Dies ist wirtschaftspolitisch ein entscheidendes Fundament für die Arbeit nach dem 25. Januar, aber auch für das Vertreten gemeinsamer Positionen vor dem 25. Januar 1987. ({37}) Drei Essentiale sind dabei notwendig: Erstens. Keine Besteuerung des Existenzminimums mehr. Es macht doch keinen Sinn, den Menschen das Geld abzunehmen, das sie für das Bestreiten ihrer Existenz brauchen, und es ihnen auf teuren Umwegen gnädig wieder zuzuteilen. Zweitens. Der linear-progressive Tarif mit der Abschaffung - nicht mehr des Mittelstandsbauchs; so darf das Ding ja nicht mehr heißen - des Facharbeiterbauchs, das es längst geworden ist. Ihre Ergänzungsabgabe trifft den Facharbeiter. Ich erinnere mich an eine Unterhaltung in der alten Koalition damals im NATO-Saal des Bundeskanzleramtes, ({38}) als Sie mit Entsetzen feststellten, daß das Einkommen des Facharbeiters und das Einkommen der Textilhilfsarbeiterin als seiner Ehefrau ihn ja schon in den Bereich der Ergänzungsabgabe bringen würden. ({39}) Sie bitten diejenigen zur Kasse, die Sie angeblich schonen wollen. ({40}) Drittens. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Absenkung auch des Spitzensteuersatzes, und zwar, wenn wir es nicht ordnungspolitisch, wenn wir es nicht steuerpolitisch wollen: Wir brauchen es wettbewerbspolitisch. Wenn das größte Land der Welt auf einen Spitzensteuersatz von 28 % heruntergeht, was glauben Sie, wo in Zukunft eigentlich investiert werden wird, wohin die Kapitalströme gehen werden? Dorthin, wo man 70 % an Steuern kassiert, oder dorthin, wo man mit den 28 % Einkommen- und Körperschaftsteuer bedacht wird? Dies wird ein Wettbewerbsfaktor, der in der internationalen Steuer- und Wirtschaftsdiskussion eine ganz erhebliche Rolle spielen wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Graf Lambsdorff, wenn Sie hier sagen, daß das den Facharbeiter bereits treffen würde: Können Sie mir einmal einen Facharbeiter nennen, der mehr als 120 000 im Jahr verdient? ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Über die Größenordnung wird j a noch diskutiert. ({0}) Ich sage Ihnen aus der Erfahrung in der alten Koalition, daß die Kollegen Offergeld und Hauff damals mit Erschrecken über den Tisch hinweg feststellten, bis wohin diese Steuer greifen würde. Ich nenne Ihnen manchen Facharbeiter, der mit Auslandsauslösung, mit Montageauslösung und ähnlichem auf ein erhebliches Einkommen kommt, ({1}) die ihn mit dem Einkommen seiner Ehefrau in diese Größenordnung bringen. Eine solche Steuerpolitik, die Sie ja im Prinzip nicht wollen, geht natürlich nur in einer Koalition, wie sie heute amtiert und regiert und wie sie weiter regieren wird. Die Sozialdemokraten sind für die Erhöhung von Steuern und Abgaben. Wir brauchen uns doch nur die Vorschläge der letzten Wochen anzusehen: die Ergänzungsabgabe, die Chemieabgabe, die Revitalisierung der Gewerbesteuer, sprich: ihrer Ausdehnung auf freie Berufe und Selbständige, die Energieabgabe, die Frau Kollegin Martiny schlug eine Kinoabgabe vor, die Ausbildungsabgabe und, und, und. Meine Damen und Herren, SPD, das ist die Abkürzung für Steuererhöhungspartei Deutschlands. ({2}) Koalition und FDP verweisen auf die Ergebnisse von vier Jahren marktwirtschaftlicher Politik. Wir haben im vierten Jahr Wachstum, und wir werden auch im Jahre 1987 reales wirtschaftliches Wachstum haben. Wir haben ein Wachstum in Stabilität. Wir haben die Haushalte konsolidiert. Das ist eine große Leistung dieser Regierung, auch eine große Leistung - ich stehe überhaupt nicht an, das jederzeit öffentlich zu erklären - des Bundesfinanzministers. Denn es hat für Arbeitnehmer und Unternehmer die Grundlage geschaffen, ({3}) dieser Wirtschafts- und Haushaltspolitik zu vertrauen. ({4}) Das ist die Grundlage dafür, daß die Zinsen heruntergegangen sind. Und nun kommen Sie mit der Preisstabilität, wie Herr Breit seinerzeit auf dem DGB-Kongreß. Sie wissen, Herr Breit ist ausgewiesen für seine wirtschaftliche Erfahrung durch seine langjährige erfolgreiche Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender der Neuen Heimat. Meine Damen und Herren, da kommen Sie her und sagen, das seien ja nur die Energiepreise, die zu diesen niedrigen Preissteigerungsraten geführt haben; es sei die Weltwirtschaft, die uns das alles beschert hat. - Engländer, Franzosen, Italiener, Spanier - ich will niemanden kritisieren - leben alle in derselben Weltwirtschaft wie wir. Aber es sieht bei denen etwas anders aus. Unsere Preissteigerungsraten wären heute deutlich unter 2 % auch ohne den willkommenen Einfluß der Energiepreissenkung, die ja zu einer Konsumverstärkung des privaten Verbrauchers in der Bundesrepublik beigetragen hat, der beachtlich ist. ({5}) 1986 wird ein goldenes Jahr des Verbrauchers, meine Damen und Herren. Bei realen Einkommenssteigerungen als Folge dieser Stabilitätspolitik ist es schon jetzt ein goldenes Jahr des Verbrauchers. Diese Stabilitätspolitik muß verteidigt werden, auch wenn es Druck von außen, auch wenn es Wünsche aus dem Ausland gibt. Für diese Grundsätze wird die Freie Demokratische Partei auch in der nächsten Legislaturperiode - auch auf der Basis dieses Haushaltes, Herr Bundesfinanzminister - eintreten. ({6}) Sozialdemokraten und GRÜNE haben keine brauchbare Alternative, sie sind auch keine brauchbare Alternative. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Simonis.

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eloquenz, Graf Lambsdorff, ist vielleicht ein politisches Stilmittel, aber sie ist mit Sicherheit kein Politik-Ersatz. ({0}) Und die minimalen zoologischen Kenntnisse über die Speisegewohnheiten des Wiesels haben bis jetzt noch niemanden als seriösen Wirtschaftspolitiker ausgewiesen. Vielleicht sollten Sie sich mit Ihren Kenntnissen über das Wiesel bei der Volkshochschule in Ihrem Wahlkreis melden. Vielleicht suchen die noch jemanden, der ihnen da helfen kann. ({1}) Ich glaube, aus der Wirtschaftspolitik müssen Sie sich langsam abmelden. Man könnte Ihnen sagen: Das Ende eines Conférenciers zeigt sich meist in öden . Wortspielereien. Die öden Wortspielereien habe ich bei Ihnen entdeckt; auf Ihr Ende warte ich. ({2}) Sie haben vom schöpferischen Unternehmer gesprochen. Der schöpferische Unternehmer dürfte dann höchstwahrscheinlich bei AEG und MBB, bei Dornier und Mercedes sitzen. Der schöpferische Unternehmer muß von Strauß gesagt kriegen, wer mit wem fusioniert, wer der nächste Aufsichtsratsvorsitzende ist, der sich dann dankenswerterweise ins Ausland absetzt. Der schöpferische Unternehmer muß von Herrn Riesenhuber mehrere Millionen Mark zugeschoben kriegen - der schöpferische Unternehmer ist in diesem Fall das notleidende Unternehmen Siemens -, damit er begreift, wo unter Umständen seine Marktchancen sind, nämlich in der Erforschung neuer Technologien. Der schöpferische Unternehmer muß sich bei den Werften von den Betriebsräten die Hausaufgaben zur Erhaltung der Arbeitsplätze vormachen lassen. Der schöpferische Unternehmer muß sich vom sparsamen Finanzminister und vom ausgabenfreudigen Verteidigungsminister noch schnell mehrere Panzer genehmigen lassen, damit es wenigstens bis zum 25. Januar so aussieht, als ob unsere Rüstungsunternehmen von schöpferischen Unternehmern geleitet würden. Der schöpferische Unternehmer lebt von Subventionen, wie MBB beim Airbus, wie die Werften bei den Schiffen. ({3}) Der schöpferische Unternehmer ist vielleicht auch noch bei Großbauern zu finden. Auf jeden Fall ist der schöpferische Unternehmer offensichtlich beim notleidenden Unternehmen Siemens zu finden; das habe ich durch Ihre Rede begriffen. Das heißt also, lieber Graf: Wenn ich das, was Sie danach noch zum Facharbeiter ausgeführt haben, hinzurechne, komme ich zu dem traurigen Ergebnis: Ihre Zeit ist auch vorbei. ({4}) - Also, bei „auch" bräuchte ich bloß einmal nach rechts zu gucken, dann fällt mir jede Menge ein. ({5}) Sein Nachfolger ist auch nicht überzeugend, wie SDI gezeigt hat. ({6}) Und wenn man die Zahlen von Herrn Stoltenberg auseinandernimmt, dann stellt man fest, daß da einiges ist, was nicht überzeugend ist. ({7}) - Der Herr Bangemann hat diesen Flop mit SDI geschafft, wofür er heute von den schöpferischen Unternehmern geprügelt wird. Ich weiß nur noch nicht, ob die schöpferischen deutschen Unternehmer prügeln, weil sie Angst haben, daß ihnen frische Luft um die Nase weht, oder weil sie einmal zufällig begriffen haben, daß ihnen vom Wirtschaftsminister da ein Ei hineingelegt worden ist. ({8}) - Ja, das hätte man vorhin machen sollen. Vielleicht wäre dann Erleuchtung über den Grafen gekommen; ich brauch's nicht. ({9}) Sie haben ausgeführt - ich nehme an, Sie haben unsere Parteitagsbeschlüsse irgendwelchen Parteiblättern, die Ihnen auch zugestellt werden, so FDP-Hausmitteilungen entnommen -, daß auch schon der Facharbeiter unter unsere Ergänzungsabgabe fallen werde. Es wäre nett, Sie würden uns einmal das Blatt zuschicken, aus dem Sie diese Informationen haben. Da ich vermute, daß es ein FDP-Blättchen ist, ist es für uns im Wahlkampf hervorragend zu gebrauchen. Sie können nicht rechnen, Sie können nicht lesen, und zuhören können Sie auch nicht. ({10}) Wenn Sie dann noch - offensichtlich in Ihrer Kenntnis über das Einkommen von 120 000 Mark im Jahr bei Facharbeitern ({11}) hinzuverschlimmbessern, daß derselbe Facharbeiter zwar noch nicht mit seinem Grundgehalt, aber sicher mit seinen Überstunden und mit anderen Zuschlägen, die übrigens steuerfrei sind - er ist von Verheirateten ausgegangen -, darunterfalle, dann frage ich mich: Um Gottes willen, wo waren Sie in letzter Zeit? Ich habe dann allerdings eine Erklärung für die absurden Steuersenkungsvorschläge der Koalition. Sie gehen wohl offensichtlich alle von diesem merkwürdigen papierenen Facharbeiter mit einem Jahreseinkommen von 120 000 DM aus. ({12}) Ich sagte ja, Sie können nicht lesen, Sie können nicht zuhören. Der Graf hat 120 000 gesagt. Ich sagte ja, er brauchte Licht, um wenigstens zu lesen, was er sagen wollte. - Wer davon ausgeht, daß das die Realität ist, der scheint nicht wahrnehmen zu wollen, daß die Realität in der Bundesrepublik aus Facharbeitern besteht, die weit unter 120 000 DM im Jahr verdienen, daß die Welt aus Putzfrauen, aus Lokführern, aus Werftarbeitern - alles Facharbeiter übrigens - besteht, die bei uns in SchleswigHolstein 1 400 DM netto im Monat nach Hause bringen. ({13}) Das hätte zumindest der Finanzminister aus seinem Wahlkreis wissen müssen. Dies scheinen offensichtlich nicht die Facharbeiter zu sein, mit denen Sie sich unterhalten. Das ist in doppelter Hinsicht traurig; denn es zeigt erstens, daß Ihre Politik in Zukunft nicht besser werden kann - denn Sie unterhalten sich offensichtlich mit den falschen Leuten -, und zweitens zeigt es, daß es zu Ihren politischen Stilelementen gehört, sich mit den falschen Leuten zu unterhalten. ({14}) Wenn, Herr Lambsdorff, das alte Sprichwort stimmt, daß man den Sack schlägt und den Esel meint, dann versuche ich Ihre Rede mal da reinzusortieren. Sie haben immer gesagt: Die SPD. Wäre es nicht richtiger gewesen, Sie hätten gesagt: Herr Stoltenberg? Wer ist denn für die Steigerung der Nettokreditaufnahme, der Schulden, um es mit dem richtigen Wort zu benennen, auf 100 Milliarden DM in den letzten drei Jahren verantwortlich? Wir? ({15}) - „Weiter so, Deutschland"? Um Gottes willen! Das war Herr Stoltenberg. ({16}) Wenn ich es richtig sehe, Graf Lambsdorff, haben weder Sie noch irgend jemand anders von der FDP an dieser Stelle die Hand hochgehoben. ({17}) Sie haben jedem Haushalt zugestimmt. Und jetzt sitzen Sie hier und tun so wie die Jungfrau, die ans Kind gekommen ist, als ob Sie nicht wüßten, wie Schulden, wie Subventionen bzw. wie Kinder, um das Bild weiterzuführen, zustande kommen. ({18}) Wer hat denn zu verantworten, daß allein die steuerlichen Subventionen in den letzten Jahren um 50% gestiegen sind? Etwa wir? Um Himmels willen, das war doch wohl derselbe Herr, mit dem Sie sich in einer Koalition befinden, nämlich Herr Stoltenberg, der Bundesfinanzminister. ({19}) Wer hat denn dafür gesorgt, daß die regionalen Gefälle bei uns in der Bundesrepublik von Norden nach Süden zunehmen, weil er sich auf das Prinzip Markt und auf den schöpferischen Unternehmer verlassen hat? Wer hat zugelassen, daß die Kaufkraft der Deutschen - sozusagen als Beweis für Ihre hervorragende Politik bei der Preissteigerung - durch sinkende Löhne und hohe Arbeitslosigkeit beschnitten worden ist? Wir doch nicht. Das war doch die Regierung, die Sie tragen und für die Sie die Hand hochheben. ({20}) Ein merkwürdiger Leistungsbegriff, wo Unternehmer Subventionen bekommen, damit sie ein bißchen über Produkte von morgen forschen, aber Arbeitnehmer flexible Löhne haben sollen. Was wollen Sie bei 1 400 DM netto im Monat noch herunterflexibilisieren? ({21}) Machen Sie mir doch mal drei Monate lang vor, wie Sie ohne Nebeneinkommen mit 1 400 DM, allerdings auch ohne Bundestagswagen und ohne Freifahrten bei der Bundesbahn - -({22}) - Ich behaupte ja nicht, daß 1 400 DM zuviel sind, nur der Graf erzählt uns das unter beifälligem Nikken der rechten Seite. Machen Sie uns doch einmal vor, wie man davon leben kann. Haben Sie den Mut, sich vor Werftarbeitern und Bergarbeitern hinzustellen und ihnen zu sagen: 1 400 und 1 600 DM sind zuviel, ihr müßt mit weniger auskommen. ({23}) - Die flexiblen Löhne hatte er wieder drauf, den alten Bontjen mit den flexiblen Löhnen. Ich gehe nicht davon aus, Graf, daß Sie in der Zwischenzeit Ihre Ansichten über Flexibilität geändert haben. Sie haben doch nicht etwa Flexibilität nach oben gemeint? Sie meinten doch Flexibilität nach unten, und dann müssen Sie Roß und Reiter nennen, dann müssen Sie sagen, ab welcher Mindestgrenze die Flexibilität nach unten bei Ihnen ansetzt. ({24}) Dies alles, denke ich, ist der Sachverstand der FDP, der in die Regierung einfließt. Dies wäre sozusagen die Erklärung dafür, daß sich Herr Stoltenberg heute nachmittag hier herstellte und sagte, er sei zu Unrecht angegriffen worden hinsichtlich der Ungerechtigkeit der Finanzpolitik. Herr Stoltenberg reden Sie nicht mit den Beamten im Finanzministerium sondern reden Sie mit Ihrem Fahrer, reden Sie mit Ihrer Sekretärin, reden Sie mit Ihrer Reinemachefrau, die bei Ihnen vorbeikommt. ({25}) Reden Sie mal mit ganz normalen Menschen, z. B. auch mit unseren Saaldienern, und dann sagen Sie mir doch mal bitte, wo denn die Steuersenkung beim normalen Menschen geblieben ist. Offensichtlich sind die 6,33 bis 12,50 DM, die uns immer gezeigt werden, wenn wir in den Wahlkreis kommen und die richtigen Leute fragen, bei Ihnen nie angenommen. Sie scheinen immer von den Steuersenkungen in unserem und Ihrem Portemonnaie auszugehen. Das ist aber nicht die Realität. Das ist nicht die Mehrheit. ({26}) Sie reden von steuerlichen Spielräumen und wollen 40 bis 45 Milliarden DM mal eben so rüberschieben. ({27}) Offensichtlich scheint in Ihrem Haushalt Luft zu sein. Spielraum heißt Luft. ({28}) Wenn Sie den Haushalt unsauber angesetzt haben, dann würde ich sagen: Raus mit der Luft, und zwar für ein Beschäftigungsprogramm. ({29}) Bewahren Sie diesen Spielraum, von dem ich vermute, daß er nur heiße Luft ist, nicht für Versprechungen auf, wonach die Reichen noch mehr bekommen und die Beschäftigungslosen weiter ohne Beschäftigung sind. ({30}) Entweder stimmt es, daß in Ihrem Haushalt Luft ist - dann können Sie ohne weitere Kreditaufnahme ein Beschäftigungsprogramm finanzieren -, oder aber Sie können es nicht finanzieren, weil Sie kein Geld haben; dann haben Sie auch keinen Spielraum für Steuersenkungen in Ihrem Haushalt. Dies alles, Herr Stoltenberg, ist von Ihnen nicht gemacht worden, weil Sie zu dumm wären, um es zu begreifen, sondern weil Sie die Masse für verteilungspolitische Spielräume brauchen. Sie meinten nicht Steuerpolitik, Sie meinten Verteilungspolitik. ({31}) Verteilungspolitik heißt bei Ihnen Geld behalten und nicht ausgeben für BAföG, für das Babyjahr von Rentnerinnen, für Beschäftigungsprogramme, für Regionalpolitik. ({32}) Dies heißt bei Ihnen Geld in der Kasse behalten. - Ich glaube Ihnen nicht, daß Sie Geld in der Kasse haben. Da erzählen Sie nicht ganz die Wahrheit. Aber ich halte mich an Ihre Worte. Sie behalten also Spielräume - wie Sie sagen -, um Verteilungspolitik zu machen. Ich komme zu dem Ergebnis, Sie scheinen etwas den Überblick über Ihren Haushalt verloren zu haben und hoffen, daß Sie damit bis zum 25. Januar über die Runden kommen. ({33})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Echternach.

Jürgen Echternach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000429, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Zwischenbilanz dieser Debatte zeigt: Der vom Oppositionsführer vollmundig angekündigte Generalangriff auf den Bundesfinanzminister ist gründlich danebengegangen. ({0}) Es war schon tollkühn genug, daß ausgerechnet Sie, die Sie mit Ihrer maßlosen Ausgaben- und Schuldenpolitik unser Land in die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise gesteuert haben, dem Mann, der den entscheidenden Beitrag zur Meisterung dieser Krise geleistet hat, der das Vertrauen der Bürger zurückgewonnen hat, mit einer Generalabrechnung kommen. Die Reden der Sprecher der Opposition zeigen, daß dieser Versuch scheitern mußte, einfach mangels Masse. ({1}) Denn offensichtlich ist dieser Versuch nur ein ({2}) Ablenkungsmanöver gewesen. Sie wollten wegspringen, ({3}) Herr Kollege Vogel, weg von dem Dilemma der Opposition, das wir heute in den Reden der Sprecher der Opposition immer wieder gespürt haben, ({4}) daß sie zum zweitenmal mit ihrer Finanzpolitik gescheitert ist, ({5}) zum zweitenmal vor einem Scherbenhaufen ihrer Finanzpolitik steht. ({6}) Für das erste Scheitern Ihrer Finanzpolitik in den Jahren 1969 bis 1982 haben Sie schwer genug büßen müssen. ({7}) Man hätte eigentlich meinen können, daß eine Partei, die irgendwann einmal wieder regieren will, sich intern über die Ursachen ihres Scheiterns Gedanken macht und daraus Konsequenzen zieht. ({8}) Es hat in Ihren eigenen Reihen Ansätze dafür gegeben. ({9}) Ein so kluger Mann wie der Thilo Sarrazin, der frühere Mitstreiter des Kollegen Matthöfer, hat kürzlich in einem Beitrag einer Festschrift, die Helmut Schmidt und Werner Hesselbach herausgegeben haben, ({10}) und zwar anläßlich des 60. Geburtstags des Kollegen Matthöfer im letzten Jahr, sehr genau die Fehler analysiert, die Sie in Ihrer Finanzpolitik gemacht haben. ({11}) Er stellt fest, die Koalition und Ihre Regierung seien letztlich an der Finanzpolitik gescheitert. Er kommt zum Ergebnis, der entscheidende Grund für Ihr Scheitern sei das Scheitern Ihrer finanzpolitischen Konzeption gewesen, nämlich der Konzeption, es sei der staatlichen Finanzpolitik möglich, über eine entsprechende Steuerung der Nachfrage auch das gewünschte Wirtschaftswachstum zu erzielen. Genau an dieser falschen Konzeption sind Sie gescheitert. ({12}) Sie haben, wie alle Reden heute gezeigt haben, nichts, aber auch gar nichts, aus Ihrem Scheitern gelernt. ({13}) Das ist um so erstaunlicher, als Sie nicht nur in den Jahren von 1969 bis 1982 mit dieser Konzeption gescheitert sind, sondern auch nachher, in den letzten vier Jahren, mit dieser falschen Konzeption von uns und dieser Bundesregierung glänzend widerlegt worden sind, ({14}) weil nicht Ihre Konzeption durch die nachfolgende Entwicklung bestätigt wurde, sondern unsere Politik. ({15}) Und was haben Sie nicht alles vorausgesagt! Sie haben am Anfang behauptet, unsere Wirtschafts-, unsere Finanzpolitik würden die wirtschaftliche Entwicklung totsparen, kaputtsparen. ({16}) Sie haben weiter vorausgesagt - durch den Kollegen Apel -, wir würden noch tiefer in die Depression abrutschen. Sie haben noch vor zwei Jahren durch den Kollegen Roth erklärt, wir ließen den Binnenmarkt zusammenbrechen. Sie sagten mehr als 3 Millionen Arbeitslose voraus. ({17}) Sie verstiegen sich zu der kühnen Behauptung, dieser Bundeskanzler Helmut Kohl schaffe den Aufschwung nie. ({18}) Sie haben noch in einem offiziellen Fraktionsantrag das Gespenst einer Rezession für das Jahr 1985 an die Wand gemalt. Nichts ist eingetreten. Alles ist falsch gewesen. Sie sind widerlegt worden, sind wieder einmal gescheitert mit Ihrer falschen Konzeption. ({19}) Sie wissen genau, daß wir einen wirtschaftlichen Aufschwung haben, inzwischen im vierten Jahr, der sich stabilisiert hat, der sich selbst trägt, der eine wachsende Dynamik entfaltet. Ein solcher wirtschaftlicher Aufschwung ohne jede Überhitzungserscheinung ist geradezu beispielhaft. Alle Sachverständigen sagen uns voraus, daß dieser Aufschwung auch im nächsten Jahr anhalten wird. ({20}) Wenn Sie, Herr Kollege Wieczorek, jetzt von den Arbeitslosen sprechen: Sie wissen, daß auch da Ihre Prognose falsch gewesen ist. Sie haben immer gesagt, als Sie den Aufschwung nicht mehr leugnen konnten, der Aufschwung gehe am Arbeitsmarkt vorbei. ({21}) Das Gegenteil ist richtig. ({22}) Wir haben nicht nur den rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit, der in Ihren beiden letzten Regierungsjahren jeweils über 40 % ausgemacht hat, gestoppt, ({23}) wir haben darüber hinaus inzwischen den Höhepunkt der Arbeitslosigkeit überwunden, und seit 1984 steigt die Zahl der Beschäftigten an, inzwischen um über 500 000. ({24}) Für diese wirtschaftliche Entwicklung hat unsere Haushaltspolitik die entscheidende Grundlage gelegt. Und die Bürger spüren die erfreulichen Erfolge dieser Politik auch selbst. So stabile Preise, wie wir heute erreicht haben, hatten wir zuletzt vor 32 Jahren. Die Arbeitnehmer erhalten eine so hohe reale Einkomenssteigerung wie zuletzt vor 16 Jahren. Nur die Opposition verschließt, wie ihre Zwischenrufe wieder zeigen, den Blick vor der Wirklichkeit, einfach nach dem Motto von Morgenstern: weil nicht sein kann, was nicht sein darf. ({25}) Immer wieder dienen Sie uns die gleichen gescheiterten Rezepte an, mit denen Sie schon in die Krise von 1982 hineingesteuert sind. ({26}) Mit mehr Staatsausgaben wollen Sie die Nachfrage steuern, weil Sie sich davon mehr Beschäftigung erhoffen, und nehmen nicht zur Kenntnis, daß dies nicht funktionieren kann. Sie haben zwar inzwischen das Einwickelpapier geändert - was damals, in den 70er Jahren, das „moderne Deutschland" hieß, die „Bildungsreform", die „Steigerung der Lebensqualität", das heißt heute „Arbeit und Umwelt", das heißt „Energiesparen", das heißt „Stadterneuerung" und was es noch alles so Schönes gibt -, aber hinter allem wird immer die gleiche Linie erkennbar, nämlich Ausweitung des staatlichen Korridors, ({27}) Zurückdrängung der Ihnen suspekten Marktkräfte. Dahinter wird der alte sozialistische Aberglaube von der alleinseligmachenden Rolle des Staates sichtbar. ({28}) Meine Damen und Herren, wohin diese falschen Rezepte führen, kann man überall dort studieren, wo die Sozialdemokraten regieren. ({29}) So ist es in allen von Ihnen regierten Ländern, z. B. in der Stadt Hamburg, aus der auch der Kollege Apel kommt, der die Debatte inzwischen wieder verlassen hat. ({30}) Diese Stadt erlebt zur Zeit eine erschreckende wirtschaftliche und finanzielle Talfahrt. Als der Kollege Apel vor fünf Jahren Herrn von Dohnanyi als Bürgermeister nach Hamburg holte, konnte Herr von Dohnanyi in seiner ersten Rede als Bürgermeister erklären, sozialdemokratische Politik habe dafür gesorgt, daß in Hamburg die Arbeitslosigkeit niedriger liege als im Bundesdurchschnitt. Ein Jahr später war es bereits anders, und seither koppelt sich diese Stadt Monat für Monat und Jahr für Jahr in immer erschreckenderem Maße von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung des Bundesgebietes und ihrer Beschäftigungsentwicklung ab. ({31}) Inzwischen haben wir bereits eine Arbeitslosenquote, die um die Hälfte höher liegt als der Bundesdurchschnitt und die weit höher liegt als in den Nachbarländern. Hamburg hat als einziges Bundesland bisher keinen Beschäftigungszuwachs erzielt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein? - Bitte sehr.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Echternach, teilen Sie meine Auffassung, daß Sie auch diesmal wieder in Hamburg die Bürgerschaftswahl verlieren werden? ({0})

Jürgen Echternach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000429, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin der Auffassung, daß diese Bilanz der Sozialdemokraten in Hamburg für sich selbst spricht. Gerade wenn die Hamburger zur Kenntnis nehmen, daß die Ausrede der SPD, dafür sei das Nord-Süd-Gefälle verantwortlich, in dieser pauschalen Form falsch ist, wenn die Hamburger richtig würdigen, daß es im Norden sehr unterschiedliche Entwicklungen sind, daß es zwei Aufsteigerländer und drei Absteigerländer gibt und daß die beiden Aufsteigerländer die CDU-regierten Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind und die drei Absteigerländer die sozialdemokratisch regierten Länder Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen, dann ist mir um das Ergebnis nicht bange. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, würden Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wieczorek gestatten?

Jürgen Echternach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000429, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Diese Unterschiede gelten übrigens nicht nur für den Norden, sie gelten im ganzen Bundesgebiet. Eine Übersicht über die realen Bruttoanlageinvestitionen in den einzelnen Bundesländern in den JahEchternach ren von 1970 bis 1982 zeigt, daß in allen CDU-regierten Ländern die privaten Investitionen überdurchschnittlich gestiegen sind, während sie in allen SPD-regierten Ländern unter dem Bundesdurchschnitt geblieben sind. ({0}) Auch hier zeigt sich wieder einmal, daß es eben einen Unterschied macht, welches Investitionsklima in dem jeweiligen Bundesland herrscht; das es einen großen Unterschied macht, ob private unternehmerische Tätigkeit erwünscht ist und gefördert wird oder nicht; daß es auch einen Unterschied macht, welche politischen Rahmenbedingungen in den Bundesländern herrschen. Dies ist eine der Ursachen für die schlimme Talfahrt unserer Stadt. ({1}) In Hamburg kommt noch die Finanzpolitik hinzu, die gleichsam ein Lehrbeispiel für eine falsche Politik ist. Denn die dort betriebene Finanzpolitik hat anders als die Politik der Bundesregierung immer wieder versucht, den Haushalt über die Steigerung der Einnahmen auszugleichen statt über die Verhinderung der Ausgaben - mit dem Ergebnis, daß heute jeder Hamburger doppelt soviel Landes-und Gemeindeschulden hat wie jeder durchschnittliche Bundesbürger, mit dem Ergebnis, daß durch maßlose Steuern und Gebührenanhebungen Hamburg heute die teuerste Stadt im Bundesgebiet ist. Trotz dieser massiven Anhebung der Steuern, Gebühren und Schulden muß in Hamburg jetzt die Investitionsquote so radikal gesenkt werden, daß ich gespannt gewesen wäre, was der Kollege Apel nach seinen vorherigen Ausführungen dazu gesagt hätte. ({2}) Denn der Kollege Apel hat dem Bundesfinanzminister in empörten Worten eine Reduzierung der Investitionsquote um gut 1 % von heute bis 1990 vorgeworfen. In Hamburg wird die Investitionsquote um über 3 % gesenkt. Während hier im Bundesgebiet trotz der Senkung der Quote in absoluten Beträgen die Investitionsbeträge im Haushalt Jahr für Jahr steigen - von der Post ganz abgesehen -, werden sie in Hamburg seit dem letzten Jahr Jahr für Jahr auch in absoluten Beträgen absinken. ({3}) Das ist ein typisches Beispiel für verfehlte Finanzpolitik, die sich an den von Ihnen hier bereits vorgetragenen und immer widerlegten Konzepten orientiert. Meine Damen und Herren, wir haben keine Veranlassung, unseren Konsolidierungskurs zu ändern. Wir weisen aber darauf hin, daß wir bei allen Erfolgen, die unsere Konsolidierungspolitik erreicht hat, bisher nur Zwischenergebnisse haben. Wir sind zwar dem Ziel unserer Politik, den Staatsanteil wieder zurückzufahren, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen und die Investitions- und Wachstumsbedingungen zu verbessern, ein gutes Stück vorangekommen, aber wir haben das Ziel noch nicht erreicht. Das müssen wir gerade den Gruppen sagen, die jetzt mit neuen Forderungen an uns herantreten und darauf spekulieren, daß es vor einer Bundestagswahl besonders schwer ist, nein zu sagen. Deswegen ist es gut, daß der Bundesfinanzminister mit der Sperre im Juni ein deutliches Signal gesetzt hat und daß sich jeder darauf verlassen kann, daß wir auch im Wahljahr an unserem Kurse festhalten werden. ({4}) Wir werden auch bei der bevorstehenden Beratung im Haushaltsausschuß die gesetzte Grenze der Ausgabensteigerung von 2,9 % einhalten. Wir werden versuchen - Manfred Carstens hat schon darauf hingewiesen -, auch den leichten Anstieg der Neuverschuldung noch zu vermeiden, um das schon gute Ergebnis des Haushaltsentwurfs weiter zu verbessern. Natürlich werden wir im Haushaltsausschuß zu prüfen haben, ob im Rahmen der gesetzten Eckwerte im Einzelfall Umschichtungen erforderlich und möglich sind. Ein besonders bedrückendes Problem ist die Auftragslage der Werften. Die Übertonnage, die Kostenentwicklung - gerade auch im Verhältnis zu den Konkurrenten in Fernost - macht einen weiteren Kapazitätsabbau unvermeidlich. Sicher kann der Staat auch hier auf die Dauer keine unrentablen Arbeitsplätze subventionieren. Aber der drohende Zusammenbruch eines ganzen Wirtschaftszweiges würde vor Ort Strukturprobleme schaffen, denen der Bund aus seiner gesamtstaatlichen Verantwortung heraus nicht tatenlos zusehen kann. Die Lage in Teilen Norddeutschlands ähnelt der des Saarlandes vor einigen Jahren, als der Bund diesem Land bei der Bewältigung seiner Strukturprobleme und bei der Milderung sozialer Härten geholfen hat. Es kommt hinzu, daß ein so exportabhängiges Land wie die Bundesrepublik nicht darauf verzichten kann, den Kernbestand einer eigenen Flotte und einer eigenen Schiffbaukapazität zu haben. Wir werden deshalb prüfen, in welchem Umfang der Bund die betroffenen Betriebe und Regionen mit Anpassungshilfen unterstützen kann, wobei selbstverständlich die Länder einen angemessenen Beitrag leisten müssen. Wir werden unsere Konsolidierungspolitik auch in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen und den Weg der Eingrenzung der Staatsausgaben und der Neuverschuldung, den Weg der Geldwertstabilität, der Steuerentlastung und der Stärkung der marktwirtschaftlichen Kräfte weiter beschreiten, damit es bei uns auch weiter aufwärts geht. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete von Wartenberg.

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer glaubt, der Stil der Opposition beim Vorbringen von Argumenten wäre durch den Umzug in dieses Haus besser geworden, der ist enttäuscht. ({0}) Mein Eindruck ist: Ihre Parolen sind klassenkämpferischer geworden, Ihre Argumente sind demagogischer geworden, ({1}) und - auf das Wasserwerk bezogen - es stellt sich heraus, wenn man es nachliest: Meine Damen und Herren, Sie kochen auch hier nur mit Wasser. ({2}) Meine Damen und Herren, wer die steuerpolitische Diskussion in der Sommerpause als Interessent verfolgt hat, der muß feststellen, daß es in dieser Diskussion zwei Eckpunkte gegeben hat, die kontrastreicher nicht sein könnten. ({3}) Auf der einen Seite war das die Diskussion um das Gesetzgebungsverfahren, über die Steuerpolitik in den USA, und auf der anderen Seite ist es die steuerpolitische Diskussion am Rande des Nürnberger SPD-Bundesparteitages gewesen. Wenn man die drüben in den USA mit einem bewundernswerten Schwung von allen Parteien - meine Damen und Herren, von allen Parteien, von den Demokraten und den Republikanern in den USA - betriebene Steuerpolitik, ({4}) die j a nicht nur zu einer Senkung des Steuerniveaus, sondern auch zu einer Änderung des Steuersystems historischen Ausmaßes geführt hat, registriert hat, dann weiß man, welche großartige politische Leistung aller mit der Finanz- und Steuerpolitik befaßten Kollegen aus Amerika dahintersteht, und das im Gegensatz zu der Diskussion eines förmlich verklemmten Provinzialismus, wie er bei der SPD in Nürnberg betrieben wurde. Im Gegensatz, meine Damen und Herren, zur Diskussion in allen anderen Ländern einschließlich der Länder, die von Sozialdemokraten regiert werden, verzichtet die SPD auf das Ziel, die Steuerquote zu senken, verzichtet die SPD auf das Ziel, Steuern überhaupt zu senken, sie plant große Umverteilungsbürokratien, und Sie rufen nach mehr Staat, nach neuen Aufgaben und nach mehr Transfereinkommen. ({5}) So liest sich das, wenn man Ihre Diskussionen selbst verfolgt. Meine Damen und Herren, insoweit ist das wirklich eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem, was uns auf der einen Seite in Amerika vorgeführt wird ({6}) - ich meine, ansteckend modellhaft vielleicht auch für uns -, und dem, was auf der anderen Seite hier in Ihrer Partei diskutiert wird. ({7}) Statt daß Sie sich vom Schwung dieser internationalen Steuerreformpläne anstecken lassen, ziehen Sie sich zurück in das Gebäude des Neides, der Mißgunst, der Kontrolle und mehr Bürokratie. ({8}) Anstatt mit zu überlegen, wie Sie den Bürger von Steuern entlasten können, diskutieren Sie in Ihrer Partei, und zwar GRÜNE und SPD gemeinsam, neue Steuern, höhere Steuern und immer mehr Kontrollen. ({9}) Anstatt uns zu helfen, die Staatsaufgaben und die Staatsausgaben zu reduzieren, damit der Bürger mehr Entfaltungsraum erhält, planen Sie mehr Staatsausgaben, verbunden mit mehr Staatsaufgaben. ({10}) Meine Damen und Herren, ich glaube schon, eine vernünftige, sozial und ökonomisch zu rechtfertigende, zukunftsweisende und solide Finanz- und Steuerpolitik muß sich zumindest an drei Grundregeln orientieren, die zu wiederholen mir heute ein Vergnügen ist. Erstens. Der Staat darf normalerweise nie mehr ausgeben, als er einnimmt. ({11}) Gegen diese Grundregel hat die SPD in Ihrer Regierungszeit vehement verstoßen, gegen diese Grundregel laufen Sie heute nach wie vor Sturm. Das hohe internationale Ansehen der Bundesregierung, die zur Zeit hervorragende ökonomische Visitenkarte des Standortes Bundesrepublik Deutschland ist ein Ergebnis dieser Einhaltung der Grundregel. Nur die bisher erwiesene und auch zukünftig einzuhaltende Ausgabendisziplin sichert uns diese private wirtschaftlich positive Grundlage. ({12}) Meine Damen und Herren, sagen Sie uns ein Land in der Welt mit einer derartigen Preisstabilität, mit sinkenden Zinsen, mit sinkenden Steuern und realen Einkommenssteigerungen! ({13}) Nur mit dieser Politik wird es neue Arbeitsplätze geben, und nur mit dieser Politik wird die Arbeitslosigkeit auch weiter abgebaut werden können. ({14}) Es gilt, eine zweite Grundregel zu beachten, eine Grundregel, die zu unserem Motto geworden ist. ({15}) Das ist nicht das Motto, in einem kleinen Saal durch Zwischenrufe zu versuchen, den Gegner aus seinem Konzept zu bringen. ({16}) - Es ist wirklich wie in einem Auditorium maximum mit einer in den ersten Semestern befindlichen Studentenrunde, die hier polemisiert und im Prinzip nicht bereit ist, auf Sachargumente einzugehen. Die zweite Grundregel, die unser Motto ist und die eine bürgerfreundliche Grundregel ist, ist das, was heute mehrfach von uns zitiert wurde: Lieber niedrigere Steuern mit wenigen Ausnahmen als hohe Steuern mit vielen Ausnahmen. ({17}) Worin liegt denn die Crux unseres Steuersystems, warum sind denn so viele Steuerzahler unzufrieden und klagen über die Kompliziertheit unseres Steuersystems? ({18}) Meine Damen und Herren, das liegt ganz einfach daran, daß unter Ihrer Regierungszeit die Steuern immer höher und belastender wurden, und damit Wirtschaften, damit Investieren, damit Bewegung in der Wirtschaft überhaupt möglich wurde, mußten Sie auf Grund der hohen Steuern immer mehr Ausnahmen für bestimmte Gruppen zulassen. Diese Ausnahmen mußten kontrolliert werden, diese Ausnahmen komplizieren das Steuerrecht, diese Ausnahmen machen das Steuerrecht unüberschaubar und regen den Mißmut an. Wer viel Geld verdient, kann sich einen guten Steuerberater leisten und diese Ausnahmen aufspüren, und das ist das, was wir korrigieren müssen. Insoweit ist unser Motto: „Lieber niedrige Steuern mit wenigen Ausnahmen als hohe Steuern mit vielen Ausnahmen." ({19}) Die frühere Flucht in die Immobilie, in das Betongeld, war das Ergebnis der Angst vor Ihrer Inflation, ({20}) war das Ergebnis Ihrer hohen Steuern. Die blühende Schwarzarbeit heute ist mit das Ergebnis der von Ihnen hinterlassenen hohen Abgabenbelastung. Meine Damen und Herren, die Unzufriedenheit mit dem Steuer- und Abgabensystem ist durch die notwendigerweise vielen Ausnahmen als Folge hoher Steuern und die dadurch bedingten Kontrollmaßnahmen verursacht. Insoweit ist Handlungsbedarf gegeben, insoweit ist die vor uns liegende Entscheidung bei der Bundestagswahl im Januar schon eine Richtungsentscheidung. Wählen die Bürger SPD oder GRÜNE, dann wählen sie neue Steuern, höhere Steuern und mehr Bürokratie. ({21}) Wählen die Bürger diese Regierung, dann stimmen sie dem Motto zu: „Lieber weniger Steuern mit wenigen Ausnahmen als hohe Steuern mit vielen Ausnahmen." ({22}) Es gibt eine dritte Grundregel in der Steuerpolitik, die man ebenfalls nicht verletzen sollte. Wenn man als Steuergesetzgeber tätig ist, muß man sich irgendwelchen Regeln anpassen und nicht wie eine Räuberbande aus dem wilden Busch diesen oder jenen anfallen. ({23}) Um halbwegs gerecht zu besteuern, dürfen Sie den Bürger nur mit seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit erfassen. Bei einer Besteuerung haben wir Rücksicht darauf zu nehmen, ob ein Ehepaar Kinder hat oder keine Kinder hat. Ein Ehepaar mit Kindern muß weniger Steuern zahlen als ein Ehepaar ohne Kinder. Bei der Besteuerung haben wir Rücksicht darauf zu nehmen, ob man bei gleichem Einkommen vom Staat die Pension bekommt oder selbst aus eigenem erworbenem Einkommen die Vorsorgeleistungen erbringen muß, um für das Alter zurückzulegen, und bei der Besteuerung habe ich Rücksicht darauf zu nehmen, ob ein Steuerzahler seine im Alter pflegebedürftigen Eltern zu Hause versorgt und das mit mehr Leistung und mehr Geld tun muß, oder ob er sie einer öffentlichen Pflegestation anvertraut. Das sind Gedanken zur Grundlage der Besteuerung nach der steuerlichen Leistungsfähigkeit, die Ihnen abgehen. Meine Damen und Herren, wenn ich diese Grundregeln betrachte, muß ich feststellen, diese Koalition ist auf dem richtigen Wege. Wir geben nicht mehr aus als wir einnehmen, wir bauen die Verschuldung ab, ({24}) unsere Steuerpläne gehen in Richtung niedrige Steuern mit weniger Ausnahmen, und wir halten das Prinzip der Besteuerung nach der steuerlichen Leistungsfähigkeit ein. Was Sie bekämpfen, ist die Fortsetzung dieses erfolgreichen finanz- und steuerpolitischen Kurses. Deshalb haben wir Steuerpolitik nicht nur mit dem Blick auf den Nachbarn, auf den Minister, auf den Facharbeiter zu betreiben, wir haben uns der Diskussion zu stellen, wie wir international um der Zukunft unserer Arbeitsplätze willen wettbewerbsfähig bleiben, auch international im Kampf um das beste Steuersystem. Das, was wir planen, ist wettbewerbsfähig. ({25})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Roth ({0}). ({1})

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Debattenverlauf am heutigen Tage, verehrter Rudi Walther, hat eines eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das ist nämlich die „strukturelle Nichtangriffsfähigkeit" der SPD in der Wirtschaftspolitik. ({0}) Was als Generalangriff gegen die Regierung geplant und angekündigt war, ist steckengeblieben. Sie haben keine Linie, Sie haben keine Leute, Sie wollen aber dem wirtschaftlich erfolgreichsten Land Europas den Umbau der Industriegesellschaft aufzwingen. Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie bitte Schluß mit diesem Unfug! ({1}) Riskieren Sie endlich den Einstieg in den Umstieg Ihrer Wirtschaftspolitik! Sonst wird aus Ihrem Abstieg nie wieder ein Aufstieg. ({2}) Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie den Einfluß des Staates auf das wirtschaftliche Geschehen so hoch veranschlagen, müßten doch eigentlich froh und dankbar sein, daß seit vier Jahren die Staatsfinanzen in der Bundesrepublik in so zuverlässigen und bewährten Händen liegen. ({3}) Herr Dr. Stoltenberg war - Kollege Zander - Ministerpräsident eines Bundeslandes, ({4}) bevor er von Bundeskanzler Helmut Kohl ins Kabinett gerufen wurde. ({5}) Was wäre wohl passiert, wenn Herr Vogel 1983 die Wahl gewonnen hätte und auf die Idee gekommen wäre, Herrn Rau zum Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland zu machen? Es ist gar nicht auszudenken, was da alles passiert wäre. ({6}) Die Finanzlage Nordrhein-Westfalens spricht doch geradezu Bände. Sie müssen nicht den legendären Brief des Herrn Posser mit seinen Schuldenvergleichen zu Polen und Mexiko lesen. Schauen Sie sich die Haushaltspläne in Nordrhein-Westfalen an, ({7}) und Sie wissen, was uns hier erspart geblieben ist und hoffentlich auf Dauer erspart bleiben wird. ({8}) Wir haben die Stärke des Staates nie in der hohen Staatsquote, im hemmungslosen Steuerzugriff, in einer den Kapitalmarkt ausplündernden Verschuldungspolitik oder im weiten Arsenal lenkender Staatseingriffe gesehen. Die neue Stärke des Staates bestimmt sich anders: stabile Preise, sichere Sozialfinanzen, steuerliche Entlastung, niedrigere Zinsen und die schrittweise Rückführung eines überhöhten Staatsanteils. Die Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung greift. Sie gibt den die Zukunft formenden Kräften Vorrang vor mancherlei Bequemlichkeiten des Tages. Der Staat sichert doch die Zukunft der Bürger am besten, wenn er darauf verzichtet, sie ihnen im einzelnen vorzuschreiben. Dies ist die ordnungspolitische Grundlage unserer Regierungs- und Finanzpolitik. Und wären Sie wirklich lernfähig, meine Damen und Herren von der SPD, dann hörten Sie endlich auf, die Menschen in der Bundesrepublik wirtschaftspolitisch einschnüren zu wollen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Roth, haben Sie sich mal damit beschäftigt, wieviel Schulden der Bundesfinanzminister seinem Nachfolger als Ministerpräsident in Schleswig-Holstein hinterlassen hat, als er nach Bonn ging?

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, ich weiß nach vierjähriger Tätigkeit im Haushaltsausschuß sehr wohl, wie die Erblast Ihrer Bonner Regierung aussah und welche Schuldenlast Sie uns hinterlassen haben ({0}) und wie wir auf lange Jahre ({1}) damit beschäftigt sein werden, wenigstens die Zinslast für Ihre Schulden aus 13 Regierungsjahren aufzubringen. ({2}) Wir müssen nicht nur alle verantwortbaren Neukredite dafür reservieren, ({3}) Roth ({4}) sondern Jahr für Jahr hohe Steuermilliarden. Das ist die Situation, über die wir hier diskutieren. ({5}) Eines haben Sie doch in dieser Debatte weiß Gott am heutigen Nachmittag nicht entkräften können, nämlich daß unter dem Regime strengster Ausgabendisziplin seit 1983 ({6}) ein nachhaltiger wirtschaftlicher Aufschwung möglich gewesen ist und daß Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen worden sind. ({7}) Demgegenüber war doch gerade die Erfahrung der vorausgegangenen Periode, daß Sie bei Fortsetzung einer expansiven Finanzpolitik selbst in dem Zeitraum, in dem es zur Konsolidierung überhaupt keine politische Handlungsalternative mehr gegeben hat, nicht nur eine Million Arbeitsplätze vernichtet haben, nach 1980, ({8}) sondern daß diese Finanzpolitik der SPD generell zu Schulden und zu Massenarbeitslosigkeit geführt hat. Und auf diesem Gebiet haben wir nun in der Tat keinerlei Wiederholungsbedarf. Deshalb werden wir Sie immer wieder daran erinnern, daß die schwersten zurechenbaren Fehler während der 13 Jahre sozialdemokratischer Regierungszeit gerade in den Phasen der Hochkonjunktur, also vor 1974 und nach 1978, gemacht wurden. Durch Expansion zum falschen Zeitpunkt und durch verweigerte Konsolidierung haben Sie damals die anschließend folgenden Krisen verschärft. Sie haben Ihr Pulver verschossen und waren am Ende nicht mehr fähig, die Dinge in den Griff zu bekommen. Wir sagen: Nie wieder so! Der konjunkturelle Aufschwung ist stabil und trägt sich bei einem übrigens beachtlich günstigen Anstiegswinkel für das Jahr 1987. Er trägt sich von selbst, und dies nicht zuletzt dank dieser neuen Verläßlichkeit in der Finanzpolitik. Wieso sollen wir 1986 bei einem realen Kaufkraftzuwachs von immerhin 70 Milliarden DM auf kreditfinanzierte Haushaltsexpansion umsteigen, wie es die Berater der SPD und auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das heute mehrfach zitiert wurde, empfehlen? Das Jahrzehnt hemmungsloser Etatausweitung mit durchschnittlichen Ausgabenzuwachsraten von 9 %, in dem man erst den Geldwert und die Finanzen und dann den Arbeitsmarkt ruiniert hat, möge doch Mahnung genug sein. Meine Damen und Herren hören Sie deshalb auf, uns hier im Deutschen Bundestag mit Programmen und Konzepten zu konfrontieren, die Ihre Schwäche und Ihre Fehlerhaftigkeit in der Vergangenheit bewiesen haben. Wenn es so einfach wäre, mit einem zusammengeschusterten Aktionsprogramm eine Million neue Arbeitsplätze zu schaffen - ohne jeden zeitlichen Rahmen -, warum haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, dann in Ihrer eigenen Regierungszeit so kläglich versagt? ({9}) Es sind noch nie per Saldo Arbeitsplätze entstanden, wenn Ausgabenströme aus produktiven, wettbewerbsfähigen Zweigen der Wirtschaft in subventionierte Sektoren des staatlichen Korridors umgelenkt worden sind. Sie müßten das doch eigentlich am besten wissen. Genauso ist zu fragen, welche Erfahrung Sie eigentlich dazu bringt, die angebliche Initiativkraft paritätisch besetzter Strukturkommissionen oder von Branchenlenkungsausschüssen für durchschlagender zu halten als die marktwirtschaftliche Dynamik des Leistungswettbewerbs. Was treibt Sie eigentlich zu dieser geradezu zwanghaften Verbissenheit, die alten Hüte linker Staatsgläubigkeit immer wieder hervorzuholen? Sie verkünden großherzig in Ihrem Nürnberger Aktionsprogramm, Sie wollten alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den durch Ihre Energieausstiegspolitik ({10}) auf die Straße gesetzten Arbeitnehmern ganzer Industriezweige geeignete Arbeitsplätze anzubieten, damit die sozialen Folgen der Umstrukturierung nicht den unschuldigen Opfern angelastet werden. Ein bemerkenswerter Satz! Nur frage ich: Wer soll denn eigentlich dieser geheimnisvolle Möglichkeitenausschöpfer sein, auf den sich etwa die Beschäftigten der Hanauer Nuklearbetriebe verlassen könnten, wenn sie durch Schließung ihrer Werke ihre Arbeitsplätze verlieren und vor die Tür gesetzt werden? Etwa der lattenstarke Herr Börner oder sein grüner Talisman Fischer? Wer sind denn diese Möglichkeitenausschöpfer, von denen Sie hier sprechen? ({11}) Sie hantieren seit dem Sommer mit dem neuen Begriffszauber einer „passiven Antizyklik" herum. Sie verlangen in Ihrem Antrag vom 14. Juli 1986 zur Novellierung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes eine Verstetigung der staatlichen Haushaltsund Finanzpolitik, unabhängig von den konjunkturbedingten Schwankungen der Einnahmenströme. Das klingt eindrucksvoll, insbesondere, wenn Sie bei dieser Gelegenheit die früher gemachten Fehler eingestehen, etwa im verhängnisvollen Gegeneinander von Geld- und Finanzpolitik. Hinter diesen Aussagen steht jedoch kein Ja zur neuen haushaltspolitischen Stetigkeit, Verläßlichkeit oder zur ernsthaften Konsolidierung, wie man gerne gehofft hätte. Im Gegenteil: Verstetigt und verfestigt werden soll bei Ihnen nur der überhöhte Staatsanteil, wobei Sie die zahlreichen Varianten Ihrer steuerlichen Zugriffsabsichten wortreich geschönt haben. Meine Damen und Herren, ich sehe, ich muß zum Schluß kommen. Die heutige Debatte hat Gott sei Dank sehr vieles geklärt. Ein Wort sei mir noch Roth ({12}) abschließend gestattet: Der Herr Kollege Apel, der finanzpolitische Sprecher der Opposition, hat mit seinen Voraussagen und Bewertungen in den letzten Jahren oft genug danebengegriffen, auch heute. Unfreiwillig recht behalten hat er allerdings, als er uns 1983 - auch bei einer Haushaltsdebatte - zurief: Der Haushalt des Bundes ist ein Spiegelbild des Zustandes, in dem sich die Koalition befindet. ({13}) Im Hinblick auf vier Haushaltsjahre, meine Damen und Herren entpuppt sich dieser beabsichtigte Vorhalt als dickes Lob; denn so konsequent, so berechenbar, so stabilisierend und damit so zukunftsgerecht wie die Haushalte ist auch die Politik dieser Bundesregierung. Deshalb hat sie unser Vertrauen und das Vertrauen der Mehrheit des deutschen Volkes. Herzlichen Dank. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Kraus.

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich gleich einmal mit Ihnen auseinandersetzen, Herr Suhr. Sie haben ja vorhin eine bemerkenswerte Rede gehalten und ein Programm entwickelt, das meines Erachtens in seiner Verwirrtheit kaum zu übertreffen ist. Sie wollen weniger effizient produzieren und gleichzeitig kürzer arbeiten; Sie wollen auf die Anwendung der Technologie weitgehend verzichten, Sie wollen die industriellen Produktionsmöglichkeiten zurückdrängen, Sie wollen weniger produzieren und gleichzeitig mehr verteilen. Ich glaube, daß ein solches Programm, für jedermann ersichtlich, ja wohl keine Zukunft haben kann. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie meines Erachtens nicht einmal mehr für Leute wählbar sein, die heute, wie Sie es immer nennen, an die Staatsknete wollen, für einen richtigen, ordentlichen Abstauber, weil sich der ja auch überlegen muß, ob er bei dieser Wirtschaft eine reelle Chance für eine weitere Zukunft hat. ({0}) Ich meine, eine solche Politik könnte man dadurch kennzeichnen, daß man sagt, es handelt sich um einen grün modernisierten Morgenthau-Plan. Ich glaube nicht, daß das für viele Menschen auf die Dauer gesehen etwas ist, was man sich wünscht. ({1}) - Ich bedanke mich, Herr Vogel, für dieses Kompliment. ({2}) Ich weiß das zu schätzen, weil ich das ja immer so gehalten habe. Wenn man die Redner der Opposition insgesamt gehört hat, müßte man eigentlich, wenn man ein unbeeinflußter Beobachter wäre, zu der Auffassung kommen, daß wir in einem einzigen Tal des Jammers, der Not, des Hungers und des Massenelends leben. ({3}) - Auch der Umweltzerstörung. ({4}) Die Tatsachen sehen aber, für jedermann erkennbar - das ist unsere große Hoffnung -, ganz anders aus. ({5}) Ich glaube, es ist sinnvoll und notwendig, auch einmal einen Blick über die Grenzen zu werfen. Sagen Sie mir doch bitte ein einziges Land, in dem es im Laufe der letzten fünf Jahre wirtschaftlich wesentlich besser gelaufen ist als in der Bundesrepublik, ein Land mit vergleichbaren Voraussetzungen. Sie werden keines finden. Ich halte es für eine maßlose Überheblichkeit, wenn hier Ansprüche erhoben werden, die weit über das hinausgehen, was bei uns erreicht worden ist, weil das schlechterdings nicht möglich ist, wie der Vergleich mit anderen vergleichbaren Ländern zeigt. ({6}) Die Erfolge der Bundesregierung auf allen Gebieten wurden bereits ausreichend gewürdigt. ({7}) Ich kann mir die Aufzählung der Einzelheiten wirklich ersparen. Auf ein Thema möchte ich allerdings sehr gern eingehen, und zwar auf die Arbeitslosigkeit. Vorhin kam schon der Einwand „Beckmann"; ich möchte das vorwegnehmen. Vorhin wurde die Frage gestellt, ob wir etwas gegen Arbeitslose in Vorständen von Parteien hätten. Selbstverständlich hat niemand etwas dagegen, daß Arbeitslose in Parteivorständen sind. ({8}) Aber wir haben eine ganze Menge dagegen, daß Leute die Statistik des Arbeitsamts verschlechtern, die eigentlich gar keine Zeit haben, einer geregelten Arbeit nachzugehen. ({9}) Ganz offensichtlich gibt es eine ganze Reihe solcher Leute, die an die Staatsknete wollen. Das ist ganz selbstverständlich; es ist ja ein Progammpunkt. ({10}) Es gibt offenbar doch eine ganze Menge solcher Leute, die - ich halte das für eine schlimme Methode - unter dem Schutz der wirklich bedürftigen Fälle nichts unversucht lassen, um das Sozialnetz ordentlich auszukosten. Unser Sozialnetz wäre sehr viel leichter finanzierbar, wäre wesentlich haltbarer und wäre wesentlich gesicherter, wenn es nicht immer wieder diesen Typ gäbe. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Lutz.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Lutz, bitte.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kraus, würden Sie mir recht geben, wenn ich sage, daß der Sozialstaat in der Tat längst pleite wäre, wenn die deutschen Arbeitslosen die Moral der deutschen Steuerhinterzieher hätten? ({0})

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Lutz, ich kenne die Moral der deutschen Steuerzahler, ({0}) von der Sie jetzt sprechen, nur insoweit, als ich sehe, daß in Deutschland ungewöhnlich viel Steuern eingenommen werden. Wie sollten wir sonst alles andere finanzieren? Es mag durchaus sein, daß der eine oder andere etwas zurückhaltender ist, aber diese Mentalität ist wahrscheinlich ziemlich weit verbreitet. Wir wollen da sicher nicht eine einzige Gruppe in den Vordergrund stellen. Ich möchte auf die Arbeitslosigkeit noch einmal aus anderer Sicht zu sprechen kommen, weil es einfach wichtig ist, die Struktur der Arbeitslosigkeit genügend zu differenzieren. Wie wollen Sie sonst Rezepte, die angeboten werden, überhaupt auf die theoretische Wirkungsmöglichkeit hin untersuchen? Da gibt es beispielsweise heute Gebiete in der Bundesrepublik - ich denke an die Ballungsräume wie z. B. München oder Frankfurt -, in denen tatsächlich in verschiedenen Berufen, ja, in einer ganzen Menge von Berufen, möchte ich sagen, Arbeitskräfte gesucht werden. Sie sind nicht zu finden, und zwar nicht nur in den hochqualifizierten Berufen, ({1}) sondern auch in Tätigkeiten für Hilfsarbeiter. ({2}) Es gibt in jüngster Zeit ein Beispiel aus der Stadt München: ein normalerweise sehr angesehener Arbeitgeber, jedermann ist bestrebt, soweit er den entsprechenden Beruf hat, dort tätig zu werden, weil man dort gerne arbeitet. Was passiert dort? Da werden einige Stellen ausgeschrieben, und ein Drittel der Leute, die vom Arbeitsamt zugewiesen werden, melden sich gar nicht erst dort. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Krankenstand bei Arbeitslosen so hoch ist, ein Drittel; das wäre sehr ungewöhnlich. Es ist doch auch ein Zeichen dafür, daß es eine Reihe von Leuten gibt, die vielleicht nicht unbedingt und unter allen Bedingungen hier diese Stelle antreten möchten. Das kann man doch nicht bezweifeln. Auf was ich vorhin noch hinweisen wollte, war: Wenn es schon Gebiete gibt, in denen Facharbeitermangel herrscht, welche Wirkung könnte man sich denn dann davon versprechen, daß man sagt, Überstunden dürfen nicht mehr gemacht werden? Nicht einmal theoretisch kann ein solches Programm in einer solchen Situation wirksam sein. Eine andere Frage, die ich noch gerne anschneiden möchte, ist die Frage der offenen Stellen. Tatsache ist, daß zur Zeit die Zahl der Beschäftigten steigt, die Zahl der Arbeitslosen geringfügig abnimmt und die Zahl der offenen Stellen zunimmt, nach meinen Erfahrungen aber viel zuwenig, weil die Arbeitgeber nicht bereit sind, die offenen Stellen zu melden. ({3}) Warum sind sie nicht bereit? Weil sie häufig die Erfahrung machen, daß es sinnlos ist, offene Stellen dem Arbeitsamt zu melden, weil dieses in aller Regel nicht in der Lage ist, diese Stellen zu besetzen. ({4}) - Aber Herr Amling, es gibt genügend Fälle, die ich Ihnen im Einzelfall nachweisen kann. Ich habe Ihnen vorhin den Fall, der in der Presseschau des Rathauses in München gestanden ist, vorgetragen. Davon können Sie sich ohne weiteres überzeugen. Natürlich stimmt das. Ich möchte ja nicht behaupten, daß diese Aussage für alle Gebiete der Bundesrepublik richtig ist; aber es gibt Gebiete, in denen das so ist. Wenn man ein Rezept suchen will, dann soll es umfassend und überall wirksam sein. Deswegen muß darauf hingewiesen werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kraus, wir wollen uns ja in diesem Saal nicht streiten, wo es nichts zu streiten gibt; aber Sie kommen aus einer Industrieregion, ich ebenfalls. Da gibt es Riesenkonzerne mit etwa 100 000 Beschäftigten, mit einer ganz normalen Fluktuation von 4 %. Das sind 4 000 Beschäftigte. Diese Konzerne bilden nur 2 000 in den Fachbereichen aus, suchen also jedes Jahr wiederum neu 2 000 Fachkräfte, und 2 000 schieben sie von unten aus eigener Ausbildung herein. Meinen Sie nicht auch, daß das mit ein Problem darstellt, daß z. B. in München und in Stuttgart Fachleute gesucht werden? Wir brauchen uns darüber nicht zu streiten. Fordern wir also Siemens oder andere Großbetriebe auf, ihre Ausbildungsquote nach oben zu nehmen. Darin sind wir uns doch einig. ({0})

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kühbacher, dieser Forderung kann man sich sicher generell anschließen. Ich befürchte nur, daß sie für sich allein nicht ausreichend sein wird, mit diesem Problem fertigzuwerden. ({0}) - Sie können j a nur Leute ausbilden, Herr Roth, die wirklich ausbildungsbereit sind. ({1}) - Ja, natürlich. Ich darf Ihnen das erzählen. Gehen Sie doch einmal in die Region München und fragen Sie die Baubetriebe, wer heute noch bereit ist, die insgesamt schmutzige, wetterabhängige Tätigkeit dort aufzunehmen. Die Leute haben viele Dutzende von Lehrstellen frei. Das ist eine Tatsache. Daran kommen Sie nicht vorbei. ({2}) Deswegen ist eben natürlicherweise auch die Möglichkeit der Ausbildung begrenzt. Deswegen ist es richtig, das Problem differenziert zu sehen. Wir haben heute Gebiete, in denen in Bereichen Arbeitskräftemangel besteht, und wir haben Gebiete, in denen eine bedauernswert hohe Zahl von Arbeitslosen ist. Wir haben Branchen, in denen es so ausschaut, und Branchen, in denen es anders ausschaut. Beides zusammenzubringen oder alle Punkte wieder auf einen ordentlichen Nenner zu bringen wird unsere Aufgabe sein. Aber ganz selbstverständlich müssen hier viele mitarbeiten, um dieses Ziel zu erreichen. ({3}) Abschließend möchte ich nur noch eines sagen, und ich glaube auch, daß die Debatte es gezeigt hat: Die Erfolge der Regierung sind unbestreitbar. Sie sind für den Wähler - und darüber reden wir heute natürlich auch - einfach nachvollziehbar und erkennbar. Ich bedaure nur eines sehr und halte es für in hohem Maße unverantwortlich: Die Opposition hat sich ganz offensichtlich darauf verlegt, die Erfolge herunterzureden, die Wirtschaft praktisch krankzubeten - ich möchte es einmal so ausdrükken. ({4}) Ich halte diese Methode für in hohem Maße verantwortungslos, weil man zumindest billigend in Kauf nimmt, wenn nicht beabsichtigt, eventuell Leute, die investieren wollen, die Arbeitsplätze schaffen wollen, abzuschrecken oder zu verschrecken. Ich bedanke mich. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor. Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich für morgen, Mittwoch, den 10. September 1986, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.