Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/14/1986

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung die Neue Heimat Wohnungsbau und deren Eigentümer daran zu hindern, Sozialwohnungen an Dritte zu verkaufen, ohne die betreffenden Mieter darüber zu unterrichten? Die Fraktion der FDP hat gemäß Nr. 1 Buchstabe c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nach Pressemeldungen hat die „Neue Heimat Wohnungsbau" Anfang 1985 439 Wohnungen an einen Dritten verkauft, die Wohnungen zurückgepachtet, und erst jetzt - also ein Jahr später - erfahren die Mieter, daß sie einen anderen Eigentümer haben. Der Vorsitzende des Hamburger Mietervereins sieht darin zu Recht eine Täuschung der Mieter durch die Neue Heimat. Die FDP fordert die Bundesregierung auf, bei der anstehenden Sonderprüfung durch die Treuarbeit besonders sorgfältig nachsehen zu lassen, welchen Umfang diese Täuschungsmanöver haben. Wie viele Mieter der Neuen Heimat sind in Wahrheit gar keine Mieter der Neuen Heimat mehr? ({0}) Viel dringlicher aber sind unsere Fragen an Eigentümer, Aufsichtsräte und Vorstände der Neuen Heimat. Trägt der DGB-Vorsitzende als Aufsichtsratsvorsitzender die Mitverantwortung dafür, daß Sozialmieter schamlos hinters Licht geführt werden? Was taugen die Krokodilstränen von SPD und DGB, wenn sie sprachlos und tatenlos solche Machenschaften dulden? Die Bundesregierung wird an ihre angebliche Verantwortung für das Schicksal der Sozialmieter erinnert. Die eigene Verantwortung wird durch Manipulation verschleiert. ({1}) Meine Damen und Herren, es fällt immer schwerer, den Vorstand der Neuen Heimat zu verstehen. Für ihn gilt wohl die alte Geschäftsweisheit: Kasse macht sinnlich und Dalles macht schofel. ({2}) Gänzlich unverständlich aber ist es, daß sich die Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat der Neuen Heimat so verhalten, wie etwa die Zeitung „Metall" Erzkapitalisten darzustellen beliebt. Meine Damen und Herren, die Steuerzahler werden systematisch unter Druck gesetzt. Um das zu bewirken, werden die Sozialbindungen der Wohnungen rücksichtslos demontiert, die Mieter durch Verschweigen der Bindungsfristen verängstigt, die Kündigungsschutzbestimmungen wahrheitswidrig heruntergespielt. Für das Verhalten von Sozialdemokraten und DGB gilt: Der sozialdemokratischen Mietenlüge des Jahres 1983 folgt jetzt die sozialdemokratische Mietertäuschung des Jahres 1986. ({3}) Meine Damen und Herren, stimmen die Berichte, daß die Neue Heimat über die Bank für Gemeinwirtschaft und die alte Volksfürsorge die sozialdemokratische Partei finanziert hat? Die Unternehmen haben das dementiert. Die Treuarbeit ist aufgefordert, die Augen sehr sorgfältig aufzumachen. Hoffentlich kann sie das in der knappen Zeit von drei Monaten, die ihr nur zur Verfügung stehen, tun. Stimmt es, meine Damen und Herren, daß die Neue Heimat ihren Mietern die Wohnungen zu einem erheblich höheren Quadratmeterpreis anbietet, als sie sie hinterher an dritte Erwerber verkauft? ({4}) Stimmt es, daß seit längerer Zeit Vermögensverschiebungen zu Lasten der gemeinnützigen „Neue Heimat Wohnungsbau" und zugunsten der nicht gemeinnützigen gemeinwirtschaftlichen Unternehmen erfolgt sind? Die Bank für Gemeinwirtschaft hat mir in einem konkreten Fall vorerst die Aus15742 kunft unter Berufung auf das Bankgeheimnis verweigert. Wir werden die Sozialdemokraten so lange an ihre Verantwortung erinnern, bis sie endlich mit uns zusammen den Eigentümer DGB an seine Verantwortung erinnern. ({5}) Das Land Nordrhein-Westfalen hat für 142 Millionen DM Wohnungen von der „Neuen Heimat Wohnungsbau" durch die gemeinnützige Landesentwicklungsgesellschaft erworben. Das Kabinett Rau rühmt sich einer sozialen Tat. In Wahrheit hat es den Steuerzahler belastet, um den Ausfall von 700 Millionen DM Krediten der Wohnungsbauförderungsanstalt zu vermeiden oder zu verzögern. ({6}) Angesichts des an polnisch-mexikanische Zahlen erinnernden NRW-Landeshaushalts ist das ein finanzieller Verzweiflungsakt. Mit Milliarden-Steuergeldern werden hier lästige Probleme vom Halse des SPD-Kanzlerkandidaten geschafft. ({7}) Und das versucht die sozialdemokratische Landesregierung dreist als soziale Tat hinzustellen. Die Finanzakrobatik der Rau-und-Zöpel-Gesellschaft mit beschränkter Haftung erinnert an den Ausspruch des bekannten Berliner Buchhalters: „Es handelt sich um eine Buchung per Jacke an Hose." ({8}) Wer hat die Westdeutsche Landesbank veranlaßt, Zinssätze unter Marktpreisen zur Finanzierung zuzugestehen? Jetzt demonstrieren die Mitarbeiter der Neuen Heimat in Düsseldorf für ihre Arbeitsplätze. Sie demonstrieren übrigens am richtigen Ort: beim Eigentümer, vor der DGB-Zentrale in Düsseldorf! Die Landesentwicklungsgesellschaft ist für die industrielle Entwicklung Nordrhein-Westfalens gegründet worden. Jetzt kauft sie Sozialwohnungen. Das ist die Industriepolitik von Johannes Rau zum Abbau des Nord-Süd-Gefälles. Die SPD macht den Staat zum Reparaturbetrieb des gemeinwirtschaftlichen Sozialismus. Wir wiederholen: Keinen Pfennig öffentliche Mittel, solange der DGB die Sozialmieter im Stich läßt. Die Steuerzahler sind nicht die Goldesel, die für das Mißmanagement von SPD und DGB-Funktionären aufkommen. ({9}) Die SPD kommt ohnehin jede Woche mit einem neuen Vorschlag für neue, höhere Steuern. Sie werden uns wahrscheinlich bald eine „Neue-HeimatSanierungssteuer" vorschlagen. Dann sollten Sie gleich neue Wahlplakate drucken: Wählt Johannes Rau - er führt euch in eine „Neue Heimat". ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute also der Groteske dritter Teil. Stellen Sie sich vor, der Herr Flick - man kennt ihn - hätte sich beschwert, daß Arbeitnehmer, organisierte oder nicht organisierte, zukünftig bei Streiks außerhalb des Kampfgebiets in der Regel kein Arbeitslosengeld bekommen sollen. Oder stellen Sie sich vor, daß der Herr Kaußen - man kannte ihn - dem Mieterbund beigetreten wäre. Man fände das alles komisch. Nach den Auftritten Ende September und Ende Januar heute zum drittenmal Graf Lambsdorff und die FDP als Freund der Mieter. Der Bock als Gärtner. ({0}) Immerhin, der Graf hat Sinn für das, was Schlagzeilen macht. Sein dauernder Aufenthalt im Landgericht fällt auf. Seine Lust, sich als Minister in spe hofieren zu lassen, fällt auf. Eine ganze Stunde im Deutschen Bundestag, in der nicht über § 116, nicht über Massenarbeitslosigkeit, nicht über Kontrollgesetze, nicht über die Probleme der Landwirtschaft, nicht über den Unsinn von SDI und nicht über Kanzlers dumpfe Tatenlosigkeit gesprochen wird - Graf Lambsdorff freitags um 8 Uhr im Bundestag und dann ab ins Landgericht. ({1}) Aber der Graf ist auch nicht mehr der, der er war. Das Thema dieser Aktuellen Stunde heißt: „Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Neue Heimat Wohnungsbau und deren Eigentümer daran zu hindern, ... ?" Fragt die FDP wirklich die Bundesregierung? Da gibt es doch einen Justizminister in Ihren Reihen, der die Antwort geben können sollte. Aber ich kann mir ja vorstellen, Graf Lambsdorff, wie Ihr Blutdruck steigt, wenn Sie mit ansehen müssen, wie sich der Justizminister beim Gehen die Schuhe sohlen läßt. Falls Sie aber tatsächlich nicht wissen, wie man gewährleisten kann, daß Eigentümer beim Verkauf auf jeden Fall ihre Mieter unterrichten müssen, will ich Ihnen gerne den Tip geben: Ändern Sie das BGB, § 571 Abs. 2. Das bietet sich an. ({2}) Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß der Mieter bis jetzt nicht unbedingt Bescheid wissen muß. Man könnte das ändern, und die Sozialdemokraten wären bei einer solchen Änderung dabei. Wir können gerne gemeinsam die nötigen Beschlüsse fassen, damit das zukünftig sichergestellt ist. ({3}) Bei der Neuen Heimat waren es weniger als 1 000 Wohnungen, die hier angesprochen sind. Wir bedauern, daß das passiert ist. Aber Sie wissen wie wir, daß in einem Jahr Zehntausende von Wohnungen in der Republik den Besitzer wechseln, ohne daß bisher hinreichend gesichert ist, daß die Mieter immer informiert sind. Wir sind gern bereit, mit Ihnen zusammen die nötigen neuen gesetzlichen Regelungen dafür zu treffen. Vielleicht wissen sie auch - wollen es nur nicht sagen -, daß die Neue Heimat inzwischen in einer besonderen Aktion den Mietern zehn Projekte mit über 900 Wohnungen in neun Städten zum attraktiven Preis anbietet, zu Konditionen, die zehn Jahre lang stabil sind und die dazu führen, daß die Mieter Eigentümer ihrer Wohnungen werden können. Nun wird sich das Problem der Mieter der Neuen Heimat nicht allein durch Umwandlung ihrer Wohnungen in Einzeleigentum und durch Verkauf dieser Wohnungen an den Mieter lösen. Das wird zwar ein interessanter, doch bescheidender Beitrag zur Lösung bleiben müssen. Hauptziel muß es sein, insbesondere in den Bedarfsschwerpunkten, die Wohnungseinheiten zu ihrem ursprünglichen Zweck zu nutzen, nämlich als preiswerte Sozialmietwohnungen. Deshalb ist es richtig, daß Nordrhein-Westfalen Wohnungen der Neuen Heimat im Interesse der Mieter und zur Sicherung dieses sozialen Mietwohnungsbestandes übernommen hat. ({4}) Übrigens sind das jetzt nicht die ersten Neue-Heimat-Wohnungen in NRW, die einen seriösen, neuen Besitzer erhalten. Es dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein, daß sich da in den vergangenen Jahren so einiges an Eigentumsverhältnissen verschoben hat. Der Unterschied ist nur der: Vor zwei, drei Jahren hatte der Graf noch keine Landgerichtstermine, der Kanzler lächelte immer, ({5}) und die Welt schien in Ordnung. Jetzt aber brauchen Sie einen Blitzableiter, und deshalb gibt es von dieser Stelle aus alle 14 Tage einen kurzen Auftritt für den Grafen in Sachen Neue Heimat, damit die Leute wissen, daß er auch noch da ist. ({6}) Fragen Sie doch einmal die Mieter der 2 385 Sozialwohnungen in NRW, und fragen Sie auch einmal die Mieter der übrigen rund 40 000 Wohnungen in NRW, ob sie nicht lieber vom Land übernommen werden möchten, statt in die Hand eines anderen solventen neuen Eigentümers zu kommen. Johannes Rau macht das richtig. ({7}) - Dieses Gelächter fällt auf Sie zurück. Fragen Sie doch einmal die Mieter, was die darüber denken, daß die Landesregierung NordrheinWestfalen jetzt daran geht, ihnen zu helfen. Wir unterstützen das Bemühen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Wir meinen nach wie vor, daß angesichts der unterschiedlichen Situationen in den Bundesländern unterschiedliche Lösungen gesucht werden müssen. Das wird nicht alles nach der Methode in Nordrhein-Westfalen gehen. Deshalb gilt unsere Forderung weiter: Die Eigentümer, die Banken, der Bund und die Länder müssen im Laufe dieses Jahres miteinander Lösungen im Interesse der Mieter finden, und das ist möglich. Allerdings ist das nicht mit Aktuellen Stunden, sondern nur mit konkretem Handeln möglich, so wie das in Nordrhein-Westfalen bereits geschieht. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Herr Kollege Müntefering, diese Rede war Ihrer nicht würdig. ({0}) Normalerweise kenne ich Sie durch sachliche Arbeit. Aber heute morgen haben Sie sehr enttäuscht. Ich verstehe zwar, daß Sie bei diesem Thema ohnmächtig sind und auch nichts sagen können, da Sie ja Genossen anklagen müßten, aber so sollte man hier im Plenum nicht vorgehen. ({1}) Ich will jetzt einmal einiges zur Sache sagen: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt's sich völlig ungeniert. ({2}) Nach diesem Motto verfährt jetzt täglich die Neue Heimat. Fast täglich werden die Parlamente mit der Neuen Heimat beschäftigt: ({3}) in Nordrhein-Westfalen ein Untersuchungsausschuß wegen der Probleme, gestern haben wir von dieser Stelle aus über die Parteispenden der Neuen Heimat an die SPD reden müssen, und jetzt reden wir über Geschäftspraktiken der Neuen Heimat, die sich erst neuerdings herausgestellt haben. Anläßlich einer Mietsteigerung von nicht weniger als 23 % wurden die erstaunten Mieter der Neuen Heimat gewahr, daß sie zwischenzeitlich, ohne dies zu wissen, Untermieter einer Versicherungsgruppe geworden sind. Die Neue Heimat hat es nicht für nötig gehalten, den Verkauf von 439 Wohnungen und zwölf Läden den Mietern mitzuteilen. ({4}) Ein Sprecher der Neuen Heimat drückte das so aus: Es war keine Notwendigkeit zur Information gegeben. Ich möchte den DGB einmal an seine Grundsätze erinnern, ({5}) die da lauten: Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht, Offenlegung aller Daten. Ich frage mich: Wie läßt sich die Praktik der Neuen Heimat mit den Grundsätzen des DGB vereinbaren? Die Mieter und Steuerzahler haben gegenüber einem gemeinnützigen Wohnungsunternehmen das Recht auf Information. Was die Neue Heimat jetzt in Ermangelung eines Sanierungskonzepts des verantwortlichen DGB sonst noch zu bieten hat, mutet tatsächlich wie ein Witz an. In einer Art Winterschlußverkauf und mit Fangprämien sollen jetzt Wohnungen losgeschlagen werden. Die Vermittlung eines Mieters für eine Neue-Heimat-Wohnung bringt dem Vermittler 400 DM Prämie und dann noch die Teilnahme an einer Verlosung einer Wochenendreise nach Rom, Wien oder Paris. ({6}) Die Wohnungen der Neuen Heimat in Paris haben uns hier ja auch schon einmal beschäftigt. ({7}) In Paris hat die Neue Heimat International Luxusappartements gebaut. Vielleicht kann sich einer der glücklichen Gewinner diese Wohnungen dann von außen ansehen. Einziehen oder darin zur Miete wohnen kann er nicht; denn sie sind zu teuer. Da macht dann das „WiM"-Projekt - „Wohnung in Mieterhand" - der Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft schon mehr Sinn. Wenigstens in diesen Fällen ist dann die Gefahr eines heimlichen Verkaufs an Dritte gebannt. Für den - bisher allerdings ausgesprochen schleppenden - Wohnungsverkauf hat dann das Vorstandsmitglied Wiesmeier die Erklärung: Dem Verkauf von Wohnungen steht. weniger ein zu geringes Einkommen der Mieter, sondern mehr das negative Image der Neuen Heimat im Wege. Wie recht er hat! ({8}) Die partiellen Aktivitäten der Neuen Heimat fruchten nicht. Die Verantwortung für die Sanierung der Neuen Heimat liegt nach wie vor beim Eigentümer DGB. Der macht aber bisher keine Anstalten, ein geeignetes Sanierungskonzept vorzulegen. ({9}) Krisensitzungen werden anberaumt. Und der DGBChef tut überhaupt nichts. Die Rechnung des DGB sieht indes so aus. Gewinne aus Gesellschaften wie z. B. Volksfürsorge oder Bank für Gemeinwirtschaft werden privatisiert. ({10}) Die Verluste der Neuen Heimat werden dann sozialisiert - auf Kosten des Steuerzahlers. ({11}) Eine grundsolide Haltung, meine ich. Die Gewerkschaften wälzen ihre Verantwortung auf die zwei Hauptgruppen ab. Da sind zum einen die Steuerzahler, ({12}) die auf Grund der Gemeinnützigkeit der Neuen Heimat im Lauf der letzten Jahre 10 Milliarden an Steuerbefreiung zur öffentlichen Förderung zugeschossen haben. Die so entstandenen Mietvorteile werden dann beim Verkauf zum Verlustausgleich mißbraucht. Das funktioniert dann so - Sie wissen das -: Der DGB gründet die BGI, die ihrerseits zunächst einmal in großen Mengen Neue-HeimatWohnungen zu Preisen verkauft, die weit unter dem liegen, die die Mieter dieser Wohnung bei Kauf bezahlen müßten. ({13}) Auf die Gemeinnützigkeitsbindung muß die Immobiliengesellschaft ja dann keine Rücksicht mehr nehmen. Die zweite Gruppe findet man unter den zahlenden Gewerkschaftsmitgliedern. Auch für die müßten Sie doch eintreten. Die haben dann mit ihren Beiträgen schon einmal bei der Sanierung der kommerziellen Neue Heimat Städtebau mit 1,5 Milliarden beigetragen. Pro Gewerkschaftsmitglied sind das 160 DM. Ein stolzer Betrag. Glücklicherweise sind die Mieter von der finanziellen Seite noch nicht betroffen. Es muß allerdings alles getan werden - und wir werden darüber wachen -, um Nachteile von den Mietern abzuwenden und ihre verständliche Unruhe zu beenden. ({14}) - Ja. Von Ihnen können wir da keine Hilfe erwarten; ich weiß es. ({15}) Rein rechtlich können dem Mieter beim Verkauf keine Nachteile entstehen. Denn es gilt weiter der Grundsatz: Kauf bricht nicht Miete. ({16}) An die Adresse des DGB geht jetzt mein Appell: Er soll endlich Klarheit über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens schaffen. Er soll sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen. Und er soll endlich Schluß machen mit der Verunsicherung der Mieter, die für die Mißwirtschaft des Unternehmens jetzt bezahlen müssen. ({17})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Werner ({0}). ({1})

Gerd Peter Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002482, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum dritten Mal bemüht die FDP das Thema Neue Heimat, ({0}) um eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Offenbar möchte die FDP den Eindruck erwecken, daß gerade ihr die Mieter der Sozialwohnungen der Neuen Heimat besonders am Herzen liegen. ({1}) Und in jedem Fall will der Kollege Graf Lambsdorff hier den Eindruck erwecken, daß er als aktiver Politiker hier präsent ist, um damit seine Rolle als Angeklagter vergessen zu machen. ({2}) Gestern abend habe ich im Fernsehen eine Sendung von allergnädigster Hofberichterstattung gesehen, in der der Kollege Lambsdorff seinen Rücktritt als Minister allein damit begründete, ({3}) daß man schlecht Gerichtstermine und Kabinettstermine gleichzeitig wahrnehmen könne. So, wie da mit politischer Moral als Faktor hinwegkomplimentiert wurde, wird heute morgen mit der Angst von Mietern Schindluder getrieben. ({4}) Die Mieter -der Neuen Heimat werden bisher von der Regierungskoalition völlig im Stich gelassen. Es wird da nur parteipolitisch auf den Großkopfeten der Neuen Heimat herumgehackt, ({5}) die freilich der SPD nahestehen. Nun: Was könnte getan werden? Was müßte getan werden? Ich möchte das Thema dieser Aktuellen Stunde einmal so formulieren, daß es der Sache gerecht wird und daß es vor allem den betroffenen Menschen gerecht wird. Dann müßte das Thema so lauten: Welche Möglichkeiten muß der Bundestag nutzen, um für die Bewohner von Sozialmietwohnungen der Neuen Heimat zu gewährleisten, daß die Sozialbindung und die Mietpreisbindung ihrer Wohnungen in jedem Fall erhalten bleiben? Die Antwort auf diese Frage versuchen wir GRÜNEN mit einem Entschließungsantrag zu geben, den unsere Fraktion in dieser Woche abschließend behandelt hat und der in der kommenden Woche im Parlament eingebracht wird. Ich versuche, den Inhalt ganz kurz in fünf Punkten darzustellen. ({6}) Erstens. Zur Sanierung der Finanzen wird eine Dreierlösung angestrebt: a) Bund, Länder und Gemeinden; ({7}) b) die Gewerkschaften; c) die Gläubigerbanken haben jeweils ihren Teil beizutragen, wobei der Beitrag des Bundes nach unserer Vorstellung 1,25 Milliarden DM betragen sollte. ({8}) Wir begrüßen insofern die Denkspiele in Nordrhein-Westfalen. ({9}) Zweitens. Ein Stopp des Ausverkaufs der NeueHeimat-Wohnungen muß sofort erreicht werden, z. B. durch Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes, das heißt Verbot des Verkaufs an nichtgemeinnützige Unternehmen. Drittens. Bildung von Auffanggesellschaften in Form von kommunalen Sondervermögen, die den Erhalt der bestehenden Preis- und Sozialbindungen garantieren und die die langfristige Entschuldung leisten. Viertens. Dezentralisierung des Wohnungsbestandes der Neuen Heimat, d. h. Entflechtung und Auflösung der Neuen Heimat als Voraussetzung für: Fünftens. Demokratisierung und Bildung von verschiedenen Arten der Selbstverwaltung der Wohnungsbestände, allein durch die Bewohner oder unter Beteiligung der Bewohner in verschiedenen Abstufungen je nach Bedürfnis der betroffenen Mieter. Die verschiedenen denkbaren Arten sind z. B. Eigentümergenossenschaften, d. h. Bewohner erwerben ihre Wohnungen, der Boden bleibt im Besitz von kommunalem Sondervermögen, oder Verwaltungsgenossenschaften: Häuser und Boden bleiben im Besitz der kommunalen Sondervermögen, nur die Verwaltung wird von den Bewohnern selbst besorgt. Eine noch weiter abgeschwächte Form wäre z. B. die paritätische Mieterbeteiligung an der Verwaltung, die durch ein gemeinnütziges Verwaltungsunternehmen im Auftrag durchgeführt wird. ({10}) Diese geschilderten fünf Schritte sind möglich, sind realistisch, und sie würden den sozialpolitischen Zweck der Wohnungsbestände der Neuen Heimat dauerhaft sichern; sie würden damit einen Grundsatz sozialer Wohnungspolitik verwirklichen, von dem wir GRÜNEN uns leiten lassen und der lautet: „Einmal öffentlich gefördert - dauerhaft sozial gebunden." ({11}) Wohnen ist ein Grundbedürfnis, das aus unserer Sicht eher als Grundrecht gesehen und auch als Grundrecht organisiert werden muß und das daher nicht so wie andere Konsumbedürfnisse einfach dem sogenannten Markt überlassen werden kann. Werner ({12}) Der vorhandene große Bestand bietet sich für eine solche politische Zielsetzung geradezu an, wie ich sie hier beschrieben habe. An dieser Stelle muß ich noch einmal darauf hinweisen, was die Antragsteller dieser Aktuellen Stunde mit den Wohnungsbeständen vorhaben. Sie wollen mit ihrem Herumhacken auf den zugegeben groben Fehlleistungen der Neue-Heimat-Manager begründen, daß die ganze Wohnungsgemeinnützigkeit aufgehoben werden sollte; ({13}) Sie wollen alle Bewohner von Wohnungen gemeinnütziger Wohnungsgenossenschaften in die Ängste und Unsicherheiten stürzen, in denen heute die Mieter der Neuen Heimat schon sind. Darum sprach ich anfangs davon, daß hier Schindluder mit der Angst von Mietern getrieben wird. Vielen Dank. ({14})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kansy. ({0})

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der massive Druck der öffentlichen Meinung, nicht zuletzt auch der CDU/CSUBundestagsfraktion in den letzten Wochen, hat nun die Führungsspitze der Neuen Heimat wenigstens dazu veranlaßt, den Bundesbauminister und den Ministern der Länder eine seriöse Bestandsaufnahme und ein Sanierungskonzept innerhalb der nächsten drei Monate - vom Februar an gerechnet - zuzusagen. Nach diesen Ankündigungen und Zusagen konnte die Öffentlichkeit eigentlich davon ausgehen, in diesen Wochen keine neuen Meldungen über unsoziales Verhalten des Eigentümers DGB und der Geschäftsführung Neue Heimat zu hören. ({0}) Was die Mieter betrifft - das ist eben von meiner Kollegin Rönsch dargelegt worden -, geht dies offensichtlich in alter Manier weiter. Die Verbitterung, Herr Kollege Müntefering, über ihr Verhalten reicht mittlerweile weit in die Mitgliedschaft des DGB und der sozialdemokratischen Partei hinein. ({1}) Wenn Sie es interessiert, meine Damen und Herren: da ist ein Brief des SPD-Unterbezirks Düsseldorf an die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 26. Februar dieses Jahres. Hier wird von wachsender Verbitterung und Enttäuschung geredet und festgestellt - ich zitiere -: „Hier sollen Mieter für die Mißwirtschaft ihrer Vermieter haften." ({2}) Meine Damen und Herren, das ist aber nur die halbe Wahrheit, und jetzt komme ich zu den scheinbar generösen Vorschlägen der SPD und der GRÜNEN, der Staat solle doch wieder einmal einspringen. ({3}) Eine tolle Masche! Zunächst behauptet man, die Schwierigkeiten der Neuen Heimat könnten durch weitere massive Wohnungsverkäufe und Auflösung von stillen Reserven behoben werden. Dann werden mit Krokodilstränen in den Augen Drohungen in die Öffentlichkeit lanciert, der nun ja leider erforderliche Verkauf von Zehntausenden von Wohnungen gefährde die Sozialbindung dieser Wohnungen, was übrigens nur zum Teil stimmt, und müsse deswegen verhindert werden. Dann kommt als Dritter Akt als Dank dafür, daß sich die ehemalige Einheitsgewerkschaft DGB zunehmend in eine Wahlkampftruppe der SPD umfunktionieren läßt, daß SPD-Regierungen den Eigentümer der Neuen Heimat, den DGB, aus Steuermitteln sanieren. Das ist das Konzept, mit dem SPD und DGB antreten. Das ist auch nicht verwunderlich. Wir haben ja schon oft über die Verbindung zwischen DGB-Spitze, Neuer Heimat und SPD und über die Tatsache gesprochen, daß Führungspersonen gleichzeitig sowohl prominente SPD-Genossen als auch Gewerkschaftsfunktionäre sind. Ich erwähne hier DGB-Chef Breit, Monika Wulf-Mathies und IG Metall-Vize Steinkühler, der sich in diesen Tagen besonders hervortut. ({4}) Diese Helden werfen der Bundesregierung ständig unsoziales Verhalten vor, wenn sie nicht gerade über den Verkauf von Sozialwohnungen nachdenken. ({5}) Nein, meine Damen und Herren, die CDU/CSU besteht darauf, daß die gemeinnützigkeitsrechtlichen Bindungen zugunsten der Mieter erhalten bleiben, ({6}) ohne daß für die Mißwirtschaft des DGB Mittel der Steuerzahler in Anspruch genommen werden. Im Normalfall ist der Mieter gleichzeitig auch Steuerzahler. Nach Ihren Vorstellungen müßte er im Grunde für die Sanierung doppelt bezahlen. ({7}) Wir erwarten, daß der DGB aus seinem Wirtschaftsimperium Eigenkapital zuführt. Wir erwarten auch, daß er dabei von den Banken unterstützt wird, bei denen er in der Kreide steht. Die Banken würden durch einen Konkurs wesentlich mehr Geld verlieren, als wenn sie sich in einer solchen Situation an einer Sanierung beteiligen. Meine Damen und Herren, ich möchte hier in aller Deutlichkeit folgendes ankündigen: Wenn DGB und Management der Neuen Heimat in dieser Weise weitermachen, Öffentlichkeit, Parlament und Bundesregierung an der Nase herumzuführen, dann möchte ich nicht ausschließen, daß wir als CDU/CSU auch hier in Bonn einen Untersuchungsausschuß beantragen, um Fragen, die zwischenzeitlich Millionen von Menschen in diesem Lande bewegen, auch vor den Augen von Millionen von Menschen hier in Bonn zu untersuchen. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Menzel.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein paar Worte zu Ihnen, Frau Rönsch. Zu Ihrer Aufklärung: Die größte Spende, die von der Neuen Heimat gegeben wurde, waren 14 000 DM an die FDP, allerdings gegen Quittung; das unterscheidet sie von den Flick-Spenden. ({0}) Es ist das dritte Mal, daß wir uns in einer Aktuellen Stunde mit der Situation der Neuen Heimat befassen. Dem Beobachter drängt sich bei der Art, wie Sie von der Koalition die Angelegenheit behandeln, der Eindruck auf, daß es Ihnen nicht darum geht, Lösungsvorschläge zu beraten, sondern daß Ihnen ganz allein daran gelegen ist, die Gewerkschaften anzugreifen, um von Ihren Problemen, den Problemen der Koalition, abzulenken; abzulenken von den Problemen, die Sie draußen bei den Wählern haben, ({1}) abzulenken von dem immer stärker werdenden Widerstand der Bevölkerung gegen Ihre Politik, eine Politik gegen die Arbeitnehmer, gegen die Familien, gegen die Gewerkschaften. ({2}) Es geht Ihnen darum, davon abzulenken - das ist in erster Linie an die FDP gerichtet -, daß führende Repräsentanten von Ihnen auf der Anklagebank sitzen und Ihnen nicht nur die Wähler, sondern bei der CDU, wie wir seit gestern wissen, auch die Mitglieder scharenweise weglaufen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Ich möchte ausdrücklich erklären, daß es Graf Lambsdorff nicht vorzuwerfen ist, daß er hier fehlt, wenn er zu seinem Prozeß muß. ({3}) - Sie sind jetzt noch da. Wie lange denn noch, Herr Lambsdorff? Wie lange waren Sie denn bei den anderen Aktuellen Stunden da? ({4}) Es ist aber eine Frage des politischen Geschmacks, ob er wie hier in der Sache, über die wir jetzt beraten, auftritt, seine Polemik verbreitet, dann aus dem genannten Grund verschwindet und das nächste Mal wieder seine alten Kamellen verbreitet, obwohl andere schon lange dabei sind, die Probleme zu lösen. ({5}) Meine Damen und Herren von der FDP, es ist auch eine Frage des politischen Geschmacks, ob Sie hier gewissermaßen als Saubermänner, als Ankläger Leute auftreten lassen, die selber in der Art orientalischer Teppichhändler Briefumschläge über oder unter dem Tisch zugeschoben bekommen und auch angenommen haben, ohne sich über die Herkunft der Umschläge zu informieren bzw. sie zu quittieren. Sie werden wohl nicht behaupten wollen, daß eine solche Verhaltensweise unter Vorstandsmitgliedern von Versicherungen oder Großunternehmen allgemein üblich ist. ({6}) Jemand mit solchen Verhaltensweisen ist am wenigsten geeignet, den Versuch zu unternehmen, die Gewerkschaften auf die Anklagebank zu setzen. ({7}) Das kann ich hier sagen: Die deutsche Arbeitnehmerbewegung ist - das hat sie in ihrer 120jährigen Geschichte bewiesen - immer noch stark genug gewesen, ihre Fehler und ihr Fehlverhalten selber zu korrigieren. ({8}) Diesen Beweis müssen Sie für Ihre Organisationen noch führen. Der Versuch, sich selber zu amnestieren, wie Sie ihn unternommen haben, ist jedenfalls nicht der richtige Weg. ({9}) Ich will hinzufügen: Wären damals wenigstens Quittungen ausgestellt worden, fiele es heute vielleicht manchem leichter, seine Gedächtnislücken zu schließen, und mancher Blackout wäre nicht aufgetreten. ({10}) Meine Damen und Herren, ich will für die SPD hier noch einmal erklären, daß wir Fehlverhalten bei der Neuen Heimat genauso verurteilen wie anderswo, z. B. bei Herstatt, z. B. bei Klöckner. Damals, Herr Lambsdorff, waren Sie Minister. Da hätten wir uns das gleiche Engagement auch gegen Klöckner gewünscht, als sie ihre Wohnungen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verkauft haben. Wir werden alles tun und alles unterstützen, was dazu dient, verhindern, daß sich aus der Situation des Unternehmens negative Auswirkungen für die Mieter ergeben. Da reden wir hier als Opposition in Bonn nicht anders, als wir uns in Düsseldorf als Regierungspartei verhalten. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie werden, da Sie bei der Neuen Heimat auf einmal Ihr Herz für die Mieter entdecken, hier in Bonn die Frage beantworten müssen, warum Ihre Parteifreunde - das gilt für die FDP und die CDU in Düsseldorf gleichermaßen - Lösungen, die sicherstellen, daß die Interessen der Mieter voll gewahrt werden, auf das heftigste bekämpfen. Was stimmt denn nun? Was ist Ihre wahre Meinung? Das, was Sie hier verkünden, oder wie Sie sich in Düsseldorf verhalten? Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie werden bald Gelegenheit haben, Ihre Fürsorge für die Mieter auch hier im Hause unter Beweis zu stellen. Wir werden Sie auf die Probe stellen. Wir werden Sie zur Nagelprobe zwingen, ({11}) wenn über unseren Antrag zur Sicherung preiswerten Wohnens beraten wird. Da wird es sich zeigen, ob Sie bereit sind, unsere Vorschläge zur Verbesserung der Mieterrechte und des Mieterschutzes zu unterstützen. Ich möchte Ihnen schon jetzt sagen, daß wir gerne bereit sind, weitergehende Vorschläge, die den Rechten und dem Schutz der Mieter dienen, aufzunehmen. Bisher kommt mir Ihr Gerede immer so vor, als ob der Präsident des Gastwirteverbandes über die Interessen der Blaukreuzler spräche. ({12})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß. Das Wort hat der Abgeordnete Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Menzel, im Hause des Gehängten soll man nicht vom Tode reden. ({0}) Wenn Sie selbst Aufsichtsratsmitglied der Neuen Heimat und DGB-Sekretär gewesen sind, dann hätten Sie sich ein bißchen mehr um diese Sachen kümmern sollen. Wenn Sie von Spenden reden, dann frage ich Sie: Was ist denn im Koffer des zu früh verstorbenen Alfred Nau oder des Herrn Halstenberg gewesen? Von denen reden Sie nicht. Da hat es nämlich überhaupt keine Quittungen und keine Belege gegeben. Meine Damen und Herren, zum drittenmal müssen wir uns mit der Marx- und Murkswirtschaft der Neuen Heimat, der DGB-Genossen und der SPDGenossen befassen. ({1}) Daß die roten Genossen aller Schattierungen vom Geld nichts verstehen, beweist das. Aber Sie haben aus der Situation nicht einmal etwas gelernt. Ich habe hier einen Zeitungsausschnitt vom 7. März. Da steht drin: Die Neue Heimat hat in Bad Vilbel ein Objekt verkauft für 700 000 DM. Nach wenigen Tagen hat der Käufer es weiterveräußert für 900 000 DM. ({2}) Und kurz danach verkaufte der neue Käufer es wieder für 1 Million Mark. Man sieht, daß Sie nichts gelernt haben, daß Sie nicht mit Geld umgehen können. Aber Sie wollen auf Kosten des Steuerzahlers Geld vom Staat haben, um Ihre Pleite finanzieren zu können, meine Damen und Herren. ({3}) Mit denselben rüden Methoden, wie Sie Ihren Konzern aufgebaut haben, versuchen Sie nun, die Kassen der öffentlichen Hand zu plündern. Ich möchte sagen: Der Strategiestab der Düsseldorfer Heeresleitung des DGB spekuliert mit den Interessen der Mieter, um die öffentlichen Hände wieder gefügig zu machen. Meine Damen und Herren, der DGB geht hier mit einer Verächtlichkeit und Dreistigkeit sondergleichen vor. Das zeigt sich an der Äußerung des Herrn Breit, daß man das Familiensilber nicht versilbern wolle. Warum ist denn der Herr Breit überhaupt DGBVorsitzender geworden? Nur deshalb, weil seinerzeit keine anrüchigen Geschäfte mit der Neuen Heimat von ihm bekanntgeworden waren. ({4}) Ich erinnere mich noch sehr gut, wie wir in den 13 Jahren sozialliberaler Regierungszeit das Städtebauförderungsgesetz gemacht haben. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, das werde eine Lex Neue Heimat. Vor allem durch die beabsichtigten Entwicklungsgebiete wollte man der Neuen Heimat zusätzliche Aufträge zuschustern. ({5}) Die durch 10 Milliarden DM öffentlicher Mittel entstandenen Sozialbindungen werden - und das möchte ich den Mietern sagen - auch bei einem Verkauf der Wohnungen an Private voll bestehenbleiben. ({6}) Aber Ihr Ziel ist es, jetzt in die Neue Heimat noch einmal Steuermittel in Milliardenhöhe zu pumpen und den DGB vor seiner Nachschußpflicht in gleicher Höhe zu bewahren. Von den der Neuen Heimat über den Kaufpreis zufließenden öffentlichen Mitteln kommt keine einzige Mark den Mietern zugute. Das Geld geht voll für den Verlustausgleich drauf. Daß die Mieter nichts von den Transaktionen haben werden, sondern im Gegenteil noch zusätzliche Belastungen zu gewärtigen haben, zeigt das Beispiel Hamburg. Hier hat sich die Neue Heimat von Wohnungen getrennt, aber die Verwaltung der Wohnungen behalten und prompt nach dem EiNiegel gentumsübergang auf breiter Front Mieterhöhungen vorgenommen,. ({7}) Dasselbe geschieht in München, wo der Herr Kronawitter eine Transaktion vorgenommen hat und jetzt bis zu 30 % Mieterhöhungen verlangt werden. ({8}) Da möchte ich nur eines sagen: Er ist durch eine Baulandlüge an die Macht gekommen, und jetzt versucht er hintenherum, ähnliches zu tun, wie er es seinem früheren Gegenkandidaten vorwirft. Ich möchte noch eines sagen: Die Verantwortung für die Sanierung der Neuen Heimat liegt zuallererst beim DGB. Wir erwarten von ihm endlich ein schlüssiges und überzeugendes Sanierungskonzept. Er sollte, anstatt die Leute zu politischen Streiks auf die Straße zu schicken, lieber seine Verpflichtungen erfüllen. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Monate wieder lastet Spannung über dem Plenarsaal. Die FDP, der Partei, der die drei Punkte einfielen, um ihren Namen besonders gut zu kennzeichnen, fällt etwas ein: eine Aktuelle Stunde, die dritte schon. ({0}) Was wird wohl das Thema sein? Irgend etwas Neues, Spannendes wird da kommen: Neue Heimat. Herr Niegel beklagt sich, daß dies zum drittenmal das Thema sein müsse. Herr Niegel, wir können Ihnen etwas anderes anbieten. Sie brauchen nicht über die Firma Neue Heimat zu reden. Wir könnten auch über den Firmenverbund Putsch & Schwanz, Antes, Franke und Vetter und den Teilzeit-Langzeit-Blackout von Herrn Diepgen in Berlin reden. ({1}) Da wurden Wohnungen zum Verkauf vorbereitet. Da winken Sie ab. Aber reden wir wieder über die Neue Heimat. An dieser Stelle können wir feststellen: Aktuelle Stunde Neue Heimat - Lambsdorff und Fraktion als Serientäter. Nun wird uns Herr Lambsdorff in der Presse als ein Mann geschildert, dem es mit diesen Aktuellen Stunden darauf ankomme, den Namen Lambsdorff mit dem Plenarsaal und nicht mit dem Gerichtssaal zu verbinden. Lambsdorff und Fraktion als Verbergungskünstler. Das ist das Thema hier. ({2}) Dabei geht es der Sache nach um etwas, Herr Lambsdorff, was durchaus angemessen ist. Es ist eine Schweinerei - und auch wir Sozialdemokraten sagen das so -, wenn ein Vermieter die Wohnungen verkauft und dem Mieter nicht verkündet, wer der neue Eigentümer ist. Dies ist eine Schweinerei, und das gehört sich nicht. ({3}) Nur, nach dem Gesetz ist dies möglich. Wenn Sie antreten wollen, das Gesetz zu ändern, uns haben Sie dabei. Das gäbe eine Mehrheit gegen die CDU/ CSU, wenn Sie es haben wollen. Das wäre drin. ({4}) Aber in Wirklichkeit wollen Sie dies gar nicht. Sie - Lambsdorff und Fraktion - möchten hier als Mores-Lehrer auftreten, und zwar in Sachen Neue Heimat. ({5}) Aber sind Sie denn da als Mores-Lehrer so geeignet? ({6}) Ist denn da die Frage, um wessen Anstand es geht, nicht auch ein bißchen anders zu beantworten? Sie sind da doch sonst nicht so pingelig. Könnten Sie sich nicht auch an die eigene Nase fassen; ({7}) oder, wenn Ihnen die zu schön ist, könnten Sie da nicht an die des Bundeskanzlers greifen? Nehmen wir ein paar Beispiele! Wie war das denn, als Horten sein Vermögen ins Ausland geschafft hatte, nachdem er jahrelang Schutz und Daseinsvorsorge dieses Staates für sein Vermögen genossen hatte? Steuer sparend weg ins Ausland! Statt dort Mores zu lehren, ({8}) haben Sie jemanden hingeschickt, der eine Million haben wollte. Oder aber: Wie war das mit Spendenwaschanlagen? ({9}) Als es Ihnen in Nordrhein-Westfalen für dieses Thema zu heiß wurde, sind Sie schleunigst nach Rheinland-Pfalz gegangen und haben dort mit dem Ministerpräsidenten verhandelt, um Steuergelder am Finanzamt vorbeizulotsen. Mores lehren! Wie war das denn mit dem Anstand in diesem Fall? ({10}) Oder aber: Wie sah das aus, als es darum ging, als Lambsdorff und Fraktion eine Amnestie begehrten? Weswegen denn? Auch weil da Steuergelder verwurstelt wurden, und zwar zugunsten der eigenen Parteikasse. Wer darf hier auftreten und Mores lehren wollen? ({11}) Ich glaube, Sie sollten da etwas behutsamer sein. ({12}) Was nun den Mieterschutz angeht, um den Sie eigentlich kämpfen wollen: Was haben Sie denn getan, als Kaußen damals Wohnungen verkaufte, auch ohne die Mieter zu informieren? Was haben Sie getan? Ich erinnere mich noch daran. Wir saßen gemeinsam in der Regierung, als es darum ging, den Verkauf von Wohnungen an Abbruchunternehmer zu verhindern, ({13}) die als erstes die Modernisierung mit der Wegnahme von Türen und Fenstern aus geschützten Wohnungen betrieben? Haben Sie uns da geholfen, mehr Mieterschutz zu machen? Nein. Lambsdorff und Fraktion traten als Vermieterbegünstiger auf, auch bei solchen Skandalfällen. ({14}) Es ist nicht so, daß Sie hier die Mieterschutzpartei deklarieren. Selbst der von mir hochgeachtete Kollege Hirsch, der letzte richtig Liberale in Ihrer Fraktion, ({15}) hat mit seinem Nordrhein-Westfalen-Entwurf damals für die Auflockerung und Liberalisierung der sozial gebundenen Wohnung gekämpft und uns das Leben beim Mieterschutz schwer gemacht. Heute treten Sie an und sagen: Wenn das Land Nordrhein-Westfalen dort zugunsten des Mieterschutzes und der Beibehaltung der Sozialbindung Wohnungen kauft, dann müßten Sie Beifall zollen, weil es dabei um Mieterschutz geht und weil es um die Wahrung der Sozialbindung geht. Hier regen Sie sich auf, daß Nordrhein-Westfalen dort etwas macht. ({16}) Wenn man sich anschaut, was Lambsdorff und Fraktion betreiben in dem Versuch, die Rolle eines Mieter schützenden Anstandswauwaus in Sachen Neue Heimat zu spielen, ({17}) dann fällt einem auf, Herr Lambsdorff, es wäre gut gewesen, sich die alte Volksweisheit vorher zu Gemüte zu führen: Man soll den Bock nicht zum Gärtner machen. ({18})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Sperling, durch Ihre verbalen Kraftakte und durch Ihr aufgeregtes Getue hier können Sie von dem Verschulden der SPD überhaupt nicht ablenken. ({0}) Der Zerfall der Neuen Heimat erreicht gerade in Nordrhein-Westfalen astronomische Geschwindigkeit. Der Zusammenhang von Neuer Heimat - DGB - SPD wird durch die Namen Zöpel und Rau komplettiert. Ich frage: Wo sind sie hier heute bei dieser Diskussion? ({1}) Meine Damen und Herren, von der gemeinen Mißwirtschaft der Neuen Heimat und des DGB geht es jetzt zur gemeingefährlichen Staatsmißwirtschaft à la Rau in Nordrhein-Westfalen. ({2}) Angesichts der Darlehen, der Zuschüsse, der Finanzierungshilfen, die das Land Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit der Neuen Heimat geschenkt und gepumpt hat und die jetzt vervielfältigt werden sollen, ist der Vorwurf im Landtag von Nordrhein-Westfalen durchaus berechtigt, hier würden Sozialismus hoch zwölf und sozialistische Mißwirtschaft in Reinkultur getrieben, und dies, meine Damen und Herren, auf Kosten der Mieter und auch auf Kosten der Arbeitnehmer dieses Gewerkschaftsunternehmens. Meine Damen und Herren, wir haben es schon gehört: Die Landesentwicklungsgesellschaft hat für 142,5 Millionen DM Wohnungen gekauft. Besitzer der LEG ist mit 56 % das Land Nordrhein-Westfalen; weiterer Besitzer ist die Westdeutsche Landesbank, die zur Zeit übrigens um viele hundert Millionen DM, die in Gefahr sind, bangen muß. ({3}) Die Landesentwicklungsgesellschaft ist - hören wir uns das einmal an - gegründet worden, um die industrielle Entwicklung zu fördern, mittelständische Wirtschaft anzusiedeln und Investitionen und Innovationen voranzutreiben. Ich kann nur fragen: Was hat das mit dem Ankauf von Wohnungen der Neuen Heimat zu tun? ({4}) Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, an der Spitze Ihr Ministerpräsident, ist nicht nur Eigentümer der Landesentwicklungsgesellschaft, sondern auch Eigentümer der Wohnungsbauförderungsanstalt, und beide sind in diese Sache sehr verquickt. Gerade die Wohnungsbauförderungsanstalt hat der Neuen Heimat 1 Milliarde DM verpfändet. ({5}) Ich finde, das alles ist eine Art der Selbst- und Eigenfinanzierung, die sehr stark nach Kumpanei riecht. ({6}) Wichtigster Akteur in diesem Schauerspiel ist in dieser Situation die SPD mit dem Ministerpräsidenten. Rau redet immer von Sauberkeit und Anstand in der Politik - koste es, was es wolle. Aber was macht die Regierung? Die OFD in Düsseldorf fordert seit anderthalb Jahren die Überprüfung der Gemeinnützigkeit der Neuen Heimat. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit ist wegen der Spenden an Genossen und andere Institutionen längst überfällig, aber die Regierung Rau zögert die Entscheidung hinaus und verschleppt sie; j a, sie kauft die Wohnungen noch schnell über die Landesentwicklungsgesellschaft an. Noch Ende Februar hat Minister Zöpel vor dem Wohnungsbauausschuß des Landtages behauptet, es sei keine Beteiligung an und kein Erwerb von Wohnungen der Neuen Heimat durch das Land beabsichtigt. Jetzt, kaum zwei Wochen später, setzt Zöpel Steuergelder zur Sanierung der Neuen Heimat ein. ({7}) Im Jahre 1985, vor den Landtagswahlen, hatte Zöpel ein Gutachten des Landesrechnungshofes angefordert und erhalten. Dieses Landesrechnungshof-gutachten hat die Machenschaften beim Verkauf von Wohnungen sehr negativ beurteilt. Zöpel aber hat dem ein anderes Gutachen der Firma Baurevision entgegengehalten, die die Wohnungsverkäufe positiv beurteilte. Bemerkenswerterweise ist die Baurevision die gleiche Prüfungsgesellschaft, die gleiche Firma, die seit vielen Jahren die Wohnungsbauförderungsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen prüft. Hier sind Verquickung und Verschleierung erkennbar. ({8}) Meine Damen und Herren, bevor die Neue Heimat und der DGB das versprochene Sanierungskonzept vorlegen, bevor die Finanz- und Vermögenslage und auch die Schuldfrage von neutralen Prüfern untersucht sind, verscherbelt die Neue Heimat in Komplizenschaft mit Zöpel und der Landesregierung ihre Wohnungen. Der Versuch der Landesregierung, die Neue Heimat auf Kosten der Steuerzahler zu sanieren, geht zu Lasten des Wohnungsbauprogramms. Die Summen, die für die Rettung der Neuen Heimat aufzubringen sind, überschreiten beträchtlich das Fördervolumen für den sozialen Wohnungsbau. Ich meine, hier wird es bedenklich. Es ist ein ganz trübes Geschäft, das da in Nordrhein-Westfalen abläuft. Der DGB hat Geld und Vermögen genug, um den Neue-Heimat-Konzern zu retten, aber er hat keine soziale Verantwortung für seine Mieter; sonst hätte er andere Wege gesucht. ({9}) Ich glaube, daß sich Rau hier durch Steuergelder selbst rettet; nur riskert er damit Kopf und Kragen. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann der SPD sicher nicht bescheinigen, daß sie besonderes Feingefühl entwickelt, wenn solche Debatten geführt werden, ({0}) aber in Anbetracht des Verlaufs des Prozesses, den Graf Lambsdorff zu führen hat, hätten Sie, meine Damen und Herren, eigentlich klüger sein und diese Sache ausklammern müssen; denn die könnte auch für Sie peinlich werden. ({1}) Man deckt mit einem Schmutz nicht das zu, was Sie wollten. Herr Kollege Sperling, wenn Sie von den letzten Liberalen reden, dann kann ich Sie beruhigen: ({2}) Sie sagen ja immer, daß es auch bei Ihnen Liberale gibt, aber die Liberalen haben bei uns in der FDP die Mehrheit; da dürfen Sie sicher sein. ({3}) Ich darf folgende Bemerkungen machen, meine Damen und Herren. Herr Breit hat bei dem Gespräch mit dem Bundesbauminister erklärt, die Neue Heimat sei keine originäre Aufgabe des DGB. Man muß sich mal überlegen, was das bedeutet: Erst nimmt der DGB die Subventionen in Anspruch, dann stellt er sich öffentlich als der soziale Wohltäter dar, und wenn dann die ganze Geschichte im Keller gelandet ist, verabschiedet er sich vornehm mit der Bemerkung, es sei keine originäre Aufgabe des DGB. Da hat man auch mit SPD-Landesministern vereinbart, Herr Kollege, daß man in drei Monaten eine Treuhandprüfung macht. Und als Sie das mit unterzeichneten, hatte der Herr Zöpel in Düsseldorf die Verträge zum Verkauf von Wohnungen der Neuen Heimat schon unterschrieben. Das nennen Sie ehrlichen Umgang mit der Bundesregierung für eine Sanierung der Neuen Heimat? Nein, danke! Ich darf aber eines bemerken, meine Damen und Herren, worum es mir heute geht, Herr Bundesbauminister. Ich bitte Sie, einmal zu überprüfen, ob die Informationen aus der Öffentlichkeit stimmen, wonach die Neue Heimat die Wohnungen an die BGI zum Preis von 500 DM bis 750 DM pro Quadratmeter verkauft hat, während die Wohnungen den Mietern der Neuen Heimat zu Preisen von 1 200 DM und 1 400 DM pro Quadratmeter angeboten wer. den. ({4}) Da muß man sich doch einmal fragen, welche Sozialpolitik der Deutsche Gewerkschaftsbund als der Eigentümer betreibt und welcher Gesetzesbruch hier vorliegt; denn nach dem Wohnunggemeinnützigkeitsgesetz muß entweder zum Verkaufswert höchstens aber zum Wiederbeschaffungswert veräußert werden. Deshalb muß ich Sie einmal fragen ob die Nachrichten stimmen, daß die BGI als Verwalter dieser Wohnungen auf begrenzte Zeit zum Schluß beauftragt wird, wieder zum Verkehrswert zu verkaufen, ({5}) und ob es richtig ist, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund beim Verkauf der Wohnungen vom BGI an die letztlichen Besitzer aus den Verkaufserlösen wieder kassiert. Das wäre dann die dritte Sozialisierung der Verluste mit der gleichzeitigen Bereicherung der deutschen Gewerkschaftskasse. ({6}) Wenn das Ihre Politik ist, dann gute Nacht! ({7}) Ich möchte Ihnen nur noch eines sagen: Was Sie zur Ordnungspolitik gesagt haben, Herr Müntefering, läßt einen kalt erschauern. Ich glaube, wir werden uns jetzt mit der Besteuerung der Spitzensportler der Bundesrepublik beschäftigen müssen, die Sie wie eine Neidhammelfraktion verfolgen, weil sie Spitzenleistungen vollbringen und dafür zeitweilig, nur kurze Zeit, Spitzenverdienste kassieren können, ({8}) Während Ihre Funktionäre eigentlich auf Dauer Spitzenverdiener sind, ohne Spitzenleistungen zu erbringen. ({9}) Dies muß man einmal sehen. Ich bin sehr gespannt auf die ordnungspolitische Antwort aus Ihren Reihen, ({10}) wenn die Neue Heimat Städtebau in Monaco Luxusappartements erstellt und dann Boris Becker dort einzieht, dann beschimpfen Sie ihn als Steuerflüchtling. Das ist SPD-Ordnungspolitik ersten Ranges. ({11}) Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Tatsache vorzutragen, die mich befremdet. Es ist schade, daß der Herr Kollege Rappe nicht da ist. Etwa vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle den Herrn Kollegen Rappe gelobt, daß er in Niedersachsen, in der „Hildesheimer Zeitung" und in Hannover öffentliche Briefe schreibt, und den DGB beschimpft und kritisiert, daß er die Wohnungen hinter dem Rücken und über die Köpfe der Mieter der Neuen Heimat verkauft. Heute erfahre ich aus dem Geschäftsbericht der Neuen Heimat, daß Herr Rappe in seiner Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglied diesen Veräußerungen zugestimmt hat. Was ist denn das für eine Politik, wenn ich öffentlich beschimpfe, was ich selbst mit beschlossen habe?! ({12}) Das ist nicht nur die Wählertäuschung, das ist die Mietertäuschung in der höchsten Potenz. Das darf ich Ihnen einmal vorhalten. ({13}) Meine Damen und Herren, ich wundere mich - das muß ich Ihnen zum Schluß noch einmal sagen -, ({14}) gegen was und gegen wen in dieser Republik im Augenblick überall durch Staatsanwälte ermittelt wird. Ich glaube, daß in dieser Frage der Neuen Heimat allmählich auch Staatsanwälte an der richtigen Stelle und bei den richtigen Leuten ermitteln sollten. ({15}) Vielen Dank. ({16})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau das Wort. ({0})

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Gespräch der Bauminister des Bundes und der Länder mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Neuen Heimat hat sich die Neue Heimat am 5. Februar 1986 bereit erklärt, ein Gutachten zu folgenden Punkten erstellen zu lassen: Bewertung des Vermögens; Gesamtbestand der Verbindlichkeiten und ihre Struktur, insbesondere hinsichtlich Fälligkeit und Sicherungen; Leistungsverflechtungen; haftungsrechtliche Verflechtungen innerhalb des Gesamtkonzerns. Die Bundesregierung muß auf der vollständigen Offenlegung des Gesamtvermögens und der wirtschaftlichen Lage der Neuen Heimat bestehen. Es ist eine mißliche Tatsache, aber eben doch eine Tatsache, daß zur Zeit niemand die wirtschaftliche Lage der Neuen Heimat präzise zu beurteilen versteht. Deshalb hat die Neue Heimat auch einen Sondergutachter berufen. Viel Nebeldunst und -schleier lagern über diesem Gesamtkomplex. Das Gutachten und ein Sanierungskonzept sollen in etwa drei Monaten vorliegen. Freilich, welch merkwürdige Entwicklung, während wir eben fragen: Wie steht es denn eigentlich um euch? Wird durch überholende Kausalität in NRW eine Lage geschaffen, die das Ergebnis unseres Gesprächs vom 5. Februar weitgehend in Frage stellt? Allerdings hat der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herr Breit, am 5. Februar ebenfalls erklärt, daß weder die Bundesregierung noch die Landesregierungen um Hilfe ersucht worden seien. Die Neue Heimat sei durchaus in der Lage, sich aus eigener Kraft zu sanieren. Weshalb dann diese Eile in Nordrhein-Westfalen? ({0}) Er sagte weiter, ein Konkurs des Unternehmens sei auszuschließen. Allerdings müßten zusätzlich 90 000 Wohnungen veräußert werden. Meine Damen und Herren, hier beginnt das Problem. Es handelt sich bei diesen Verkäufen um eine wirtschaftliche Transaktion einmaligen Ausmaßes. Es handelt sich aber auch um 90 000 Familien und Menschenschicksale. Sieht der Deutsche Gewerkschaftsbund, sieht die Neue Heimat diesen Zusammenhang, diese sozialen, diese menschlichen Probleme? Eines ist klar: Die Neue Heimat unterläuft mit dem Verkauf der Wohnungen die langfristige Kostenmietbindung und entzieht sich damit ihrer sozialen Verantwortung. Das ist eindeutig. Das kann niemand, der von der Sache etwas versteht, bestreiten. Klar ist auch: Der DGB ist nicht bereit, aus seinem zweistelligen Milliardenvermögen auch nur eine Mark für seine Tochter Neue Heimat bereitzustellen. Wahr ist auch: Der dritte Weg zwischen privatkapitalistischer Marktwirtschaft und sozialistischer Zentralverwaltungswirtschaft, nämlich die gemeinwirtschaftliche Politik, hat sich als Irrweg erwiesen. Er führte zu einem einzigartigen Fiasko. Geradezu ironisch und provozierend mutet es an, wenn heute der DGB darauf hinweist, er sei nicht für die sozialen Aufgaben verantwortlich, und die Dividende auf das bei der Neuen Heimat eingesetzte Kapital von 60 Millionen DM sei auf 4 % pro Jahr begrenzt. Wenn der DGB sich darauf beruft, er habe sich mit einer Minimaldividende von 4 % auf das Stammkapital begnügen müssen, dann darf ich an einige Fakten erinnern. Mit dem Investitionszuschußgesetz 1974, in der Fachwelt als Lex Neue Heimat apostrophiert, sind vom Bund insgesamt rund 900 Millionen DM zur Ankurbelung von Investitionen im öffentlich geförderten sozialen Mietwohnungsbau zur Verfügung gestellt worden. Diese Mittel sind größtenteils in die gemeinnützige Wohnungswirtschaft geflossen. Die Neue Heimat hat ein großes Stück vom Kuchen abbekommen, nämlich weit über 60 Millionen DM vom Bund, und zwar ohne Dividende, à fonds perdu und ohne Bindung an bestimmte Objekte. Die Haltung der Bundesregierung ist eindeutig. Die öffentliche Hand hat der Neuen Heimat rund 10 Milliarden DM Sozialkapital anvertraut und Steuervorteile eingeräumt. Die Bundesregierung verlangt deshalb, daß die Neue Heimat ihren gemeinnützigen Auftrag in gleicher Weise erfüllt wie alle anderen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. ({1}) Die Bundesregierung wird keine Subventionen aus Steuermitteln für die Sanierung der Neuen Heimat zur Verfügung stellen. Eine Sanierung mit Steuergeldern würde in unserer Bevölkerung als skandalös angesehen. ({2}) Für das unternehmerische Schicksal der Neuen Heimat ist der Deutsche Gewerkschaftsbund als Eigentümer wirtschaftlich allein verantwortlich. ({3}) Er ist verpflichtet und in der Lage, das Unternehmen finanziell zu stützen. Er muß auf jeden Fall Eigenkapital nachschießen, denn die Neue Heimat ist - dafür trägt der DGB allein die Verantwortung - voll unterkapitalisiert. ({4}) - Herr Kollege Müntefering, ich bin bereits bei dieser Frage. Auch im Falle eines Verkaufs - das habe ich in einer Pressekonferenz am 29. Januar dieses Jahres eingehend dargelegt - bleibt der gesetzliche und vertragliche Schutz der Mieter bestehen. Kauf bricht nicht Miete. Die Bindungen im sozialen Wohnungsbau erlöschen nicht. Selbst bei vorzeitiger vollständiger Rückzahlung der öffentlichen Mittel bleiben die Sozialbindungen in den Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf für acht Jahre bestehen. Im übrigen bewirkt der ausgeglichene Wohnungsmarkt, daß Mieterhöhungen enge Grenzen gesetzt sind. Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß deutlich gesagt werden, daß auch die Neue Heimat oder ein Erwerber von Wohnungen die Mieten im Rahmen der vom Gesetz gesteckten Grenzen erhöhen darf. ({5}) Die Empörung der Mieter richtet sich allerdings zu Recht dagegen, daß Wohnungen über ihren Kopf hinweg veräußert werden. Ein Verkauf muß zwar nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht angekündigt werden, ({6}) aber, Kollege Müntefering, zwischen den Vermietern und Mietern einer gemeinnützigen Wohnungs15754 baugesellschaft bestehen besondere Vertrauens- und Erwartungsbeziehungen. In einem gemeinnützigen Unternehmen der Wohnungswirtschaft gelten höhere Maßstäbe. Darauf hat die gemeinnützige Wohnungswirtschaft immer hingewiesen. Es ist ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Mieter und Vermieter gegeben. Dies bedingt eine gesteigerte Verantwortung. Die gemeinnützige Wohnungspolitik hat immer - darauf hat Herr Tepper, der langjährige Geschäftsführer, hingewiesen - eine besondere Philosophie zu beachten. Genau gegen diesen Geist der Gemeinnützigkeit verstoßen der DGB und die Neue Heimat eklatant. Daran kann kein Zweifel bestehen. ({7}) Bei der DGB-Neujahrsbegegnung 1977 in Hannover hat der frühere Geschäftsführer der Neuen Heimat als Ziel u. a. genannt: „Mehr Brüderlichkeit, mehr Solidarität, mehr Mitmenschlichkeit der Bürger unseres Landes untereinander." Ich frage mich: Wo sind hier „mehr Brüderlichkeit" und „mehr Solidarität" geblieben? ({8}) Meine Damen und Herren, die Wohnungsverkäufe in Nordrhein-Westfalen unter Einsatz von Steuermitteln sind unvertretbar und sozialpolitisch nicht zu rechtfertigen. Bereits bestehende Bindungen werden noch einmal mit Steuergeldern angekauft. Der Mieter selbst hat gar nichts davon. Es besteht nämlich keine Sicherheit, daß Wohnungen nicht erneut verkauft werden und das Land ein drittes Mal einspringen muß. Der Gleichheitsgrundsatz wird grob verletzt. Die Maßnahmen, die heute das Land Nordrhein-Westfalen trifft, sind nur scheinbare Schutzmaßnahmen für die Mieter. In Wahrheit handelt es sich um Rettungsmaßnahmen für die Neue Heimat und um eine finanzielle Entlastungsoffensive zugunsten des DGB. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat den Kauf von 2 385 Mietwohnungen durch die Landesentwicklungsgesellschaft sogar als „Modell" propagiert und die Neue Heimat zu weiteren Angeboten aufgefordert. Die Neue Heimat hat auch prompt den gesamten Bestand angeboten und einen Preis von 2,8 Milliarden DM dafür verlangt. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen: Bei diesen Vorgängen geht es auch nicht nur darum, daß Wohnungen verkauft werden; darüber hinaus fürchten in einem mitbestimmten gemeinwirtschaftlichen Unternehmen des DGB 420 Arbeitnehmer um ihren Arbeitsplatz. Wenn dies beim DGB als Unternehmer, als Arbeitgeber am grünen Holz geschieht: Was erwarten Sie denn dann bei anderen? Es wurde der Name Kaußen genannt. Ich nehme diesen Namen nicht gern in den Mund, aber eines ist klar: Der Kaußen hat für seine unternehmerischen Sünden gebüßt. Sie kennen sein Ende. Sein Unternehmen ist in Konkurs gegangen. Er hat als privater Unternehmer mit dem letzten Pfennig gehaftet. Hier ist eben auch der DGB gefordert. ({9}) Wir fordern vom DGB, daß er seinen unternehmerischen Verpflichtungen nachkommt, daß auch er wie jeder andere Eigentümer eines Unternehmens handelt, nämlich daß er mit eigenen Mitteln selbst einsteht und nicht den Staat zu Hilfe ruft. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt ({0}).

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum drittenmal erleben wir das Freitagsvormittagsritual. Stoßgebet des Markgrafen Lambsdorff: Laß mir etwas Neues über die Neue Heimat einfallen! Aber, Herr Lambsdorff, Ihnen, der FDP, aber auch der Koalition ist nichts Neues eingefallen außer einem durchsichtigen Manöver zur Ablenkung von Ihren eigenen Schwierigkeiten: § 116, Parteispenden, Sicherheitsgesetze, Schleppnetzfahndung und alles das, was die Bürger belastet. Davon haben Sie abzulenken versucht, um das zu ersetzen durch leere Polemik gegenüber der neuen Heimat und den Gewerkschaften. Herr Lambsdorff, so oft Sie sich auch als Mieterschützer darzustellen versuchen: Zu einer Aufnahme in den Mieterschutzbund reicht es nicht; denn Sie haben sich j a in den vergangenen Jahren gegen jede Verbesserung des sozialen Mietrechtes gewendet. Gerade die FDP hat immer wieder den Abbau des sozialen Mietrechtes, die Aufgabe des sozialen Wohnungsbaus mit aller Hartnäckigkeit gefordert. So ist das, was Sie hier zelebrieren, absolut durchsichtig. ({0}) Durchsichtig ist es vor allem für die Mieter, für die Sie aber auch kein einziges Wort außer allgemeinen Beteuerungen gefunden haben. Uns Sozialdemokraten kommt es darauf an, daß diese 250 000 Familien - das sind über 1 Millionen Menschen - auch in Zukunft in gesicherten Wohnverhältnissen leben können, wie sie es derzeit tun. Da frage ich: Was haben Sie außer Polemik getan, um diese Wohnungen im sozialen Wohnungsbestand und - wer etwas von den Dingen versteht, weiß wie wichtig das ist -, auch in der Gemeinnützigkeit zu erhalten? Denn allein die Gemeinnützigkeit sichert das soziale Netz für unsere Mieter. Wenn ein Mieter dieser Debatte zuhört, muß er feststellen: von der Koalition Fehlanzeige. Und dann werden diejenigen, die als Sozialdemokraten, als Gewerkschaftler, als Kommunalpolitiker - ich nehme da CDU-Kommunalpolitiker gar nicht aus - bemüht sind, den sozialen Wohnungsbestand zu erhalten, von Ihnen noch kritisiert. Sie, Herr Möller, kritisieren Ministerpräsident Johannes Rau. ({1}) Schmitt ({2}) Er redet nicht, sondern er handelt. ({3}) Dafür, daß er in seinem Land ein Beispiel dafür gibt, daß man nicht nur redet, sondern daß man für die Mieter sozial entscheidet, wird er kritisiert. Sie bringen in diesem Zusammenhang Dinge vor, die mit der Sache überhaupt nichts zu tun haben; denn es kommt darauf an, daß so wie in Nordrhein-Westfalen auch in den übrigen Ballungsgebieten der Bundesrepublik diese Sozialwohnungen erhalten bleiben. Da ist es ein Weg, diese Sozialwohnungen an andere gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften zu übertragen, um dem Mieter damit den Schutz in der Gemeinnützigkeit zu erhalten. Wir begrüßen auch den Vorschlag der gemeinnützigen Gesellschaft des DGB und der Neuen Heimat, neue Wege des Übergangs von Sozialmietwohnungen auf die Mieter zu finden. Das, was da als Finanzierungsangebote gemacht wird, ist ernsthaft, hilft jedenfalls den Mietern, während Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nichts anderes im Sinn haben, als auf dem Rücken der Mieter Ihre Parteipolitik auszutragen. ({4}) Das, was Sie vortragen, ist ein Angriff auf den sozialen Wohnungsbau insgesamt. Sie sagen, Herr Rau gebe die Gelder für diese Wohnungen aus. Ja, richtig handelt er. Sie stellen j a ab 1986 keine Gelder mehr für den sozialen Mietwohnungsbau zur Verfügung. Wer so im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. ({5}) Wenn Sie sich jetzt als Mieterschützer entdecken, werden wir Sie in diesem Hause, wenn wir über unseren Antrag „Sicherung preiswerten Wohnens" zu entscheiden haben, fragen, was Sie denn für die Mieter übrig haben. Wir fordern nämlich in dieser Vorlage den Ausbau des Kündigungsschutzes. Wir fordern ein generelles Vorkaufsrecht für Mieter. Das würde auch den Mietern bei der Neuen Heimat helfen. Wir fordern einen Schutz vor überspanntem Eigenbedarf, und wir möchten den Mieter vor Übermodernisierung schützen. Dies sind konkrete Hilfen, Sie aber bieten unseren Mietern im Lande nur leere Polemik, nur parteipolitische Auseinandersetzung. Während Sie schimpfen - und wer schimpft, hat unrecht -, ({6}) sagen wir, meine Damen und Herren: Johannes Rau handelt, Johannes Rau hilft seinen Mietern. ({7}) Johannes Rau gibt ein Beispiel, dem auch andere Bundesländer - ich meine: sogar CDU-geführte Bundesländer - folgen sollten, damit unsere Mieter so wie bisher wissen, daß sie in gesicherten Wohnverhältnissen leben können. Dazu gehört für uns die Erhaltung des Bestands an Sozialwohnungen, auch der Wohnungen der Neuen Heimat. ({8}) Nicht der Neuen Heimat als Unternehmen gilt unsere politische Arbeit, ({9}) sondern dem Mieterschutz und der Erhaltung der Sozialwohnungen für die Mieter. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: a) Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und FDP zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland und zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland - Drucksachen 10/2935, 10/2927, 10/4560 Berichterstatter: Abgeordnete Werner ({1}) Heimann Zum Tagesordnungspunkt 17 b liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5170 vor. Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b und eine Aussprache von vier Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich darf darauf hinweisen, daß am Ende des Tagesordnungspunktes voraussichtlich mit einer namentlichen Abstimmung zu rechnen ist. Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lage unserer Nation bleibt bestimmt durch die Teilung Deutschlands. Alljährlich debattieren wir darüber hier im Deutschen Bundestag, heute zum vierten Mal in dieser Legislaturperiode. Das gibt uns Anlaß zu Rückschau und Bilanz sowie zur Besinnung auf Ziele und Grundsätze unserer Deutschlandpolitik. Die Politik dieser Bundesregierung war für Deutschland ein Erfolg. Sie hat die Menschen näher zusammengebracht, sie hat ihnen neue Hoffnung gegeben. ({0}) Unsere Deutschlandpolitik will Freiheit für alle Deutschen. Die Bundesregierung bekräftigt hier vor dem Deutschen Bundestag die Prinzipien, die sie in ihren früheren Berichten zur Lage der Nation im geteilten Deutschland erläutert hat. Das gilt für die oft wiederholten rechtlichen Grundlagen unserer Deutschlandpolitik ebenso wie für die politischen Leitgedanken. Die Einheit der Nation ({1}) soll und muß sich zuallererst in der Freiheit ihrer Menschen erfüllen: Die Freiheit ist der Kern der Deutschen Frage. ({2}) - Herr Abgeordneter, der Zwischenruf ist so bemerkenswert, daß ich ihn aufnehmen will. Wenn ein Mitglied des Deutschen Bundestages in einem Zwischenruf fragt, von welcher Nation ich spreche, so spricht das für sich. ({3}) Im August 1986 sind es 25 Jahre her, seit die Berliner Mauer errichtet wurde. Auf deutschem Boden entstand damals ein Monument der Unmenschlichkeit, das auch heute weltweit verachtet wird. Diese Mauer steht den Menschen im Weg. ({4}) Sie trennt Deutsche von Deutschen, sie verläuft quer durch Familien, Verwandtschaften und Freundschaften, ({5}) sie reißt Menschen auseinander, die zusammengehören und zueinander kommen wollen. Die Berliner Mauer klagt jene an, die sie gebaut haben und immer noch stehen lassen. ({6}) Die Bundesregierung wiederholt und bekräftigt: Solange die Berliner Mauer nicht abgerissen ist, kann von Normalität zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR nicht die Rede sein. ({7}) Noch vor den Sperranlagen an der Havel steht die Heilandskirche - heute ein Symbol des Widersinns der Teilung, zugleich aber auch für notwendige Zusammenarbeit. Dieses Gotteshaus - leer und verlassen seit Heiligabend 1961 - wurde von der DDR im vergangenen Jahr renoviert und so vor dem Verfall bewahrt. Dabei wurden die Kosten von öffentlichen Stellen und Privatpersonen im Westen getragen. Doch dem Gebet darf die Kirche weiterhin nicht dienen, denn den Gläubigen bleibt der Zutritt versperrt. Auch diese zwiespältige Erfahrung ist deutsche Wirklichkeit im Frühjahr 1986. Im vergangenen Jahr mußten wir die Sprengung der Versöhnungskirche im Vorstreifen der Mauer durch die DDR beklagen. Daß die Heilandskirche gerettet werden konnte und so nachkommenden Generationen erhalten bleibt, zeigt, glaube ich, die Richtung, in die wir zu gehen haben. Ich füge aber hinzu: In Kirchen wollen Menschen beten; es ist Unrecht, sie daran zu hindern. ({8}) Deshalb trifft uns die Heilandskirche als Beispiel zunächst in unseren menschlichen Empfindungen; sie unterstreicht aber ebenso den politischen und den geschichtlichen Auftrag der Deutschen. ({9}) Um Menschenrechte geht es uns zunächst bei der Deutschen Frage, um Selbstbestimmung und um Volkssouveränität. Normalität ({10}) beginnt für uns da, wo Menschen ihre unveräußerlichen Rechte wahrnehmen und tatsächlich ausüben können. Freiheit und Demokratie werden für Deutschland und Europa erst vollendet sein, wenn alle Deutschen und alle Europäer endlich frei sind und über sich selbst nach freiem Willen bestimmen können. Den nationalen Auftrag müssen wir zuerst dadurch erfüllen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland die freiheitliche Substanz unserer Nation erhalten und möglichst attraktiv ausgestalten. ({11}) Die Bürger unseres Landes haben dazu gerade in dieser Legislaturperiode wichtige Beiträge geleistet. Die Bundesrepublik Deutschland erweist sich als Ort der Freiheit, als Ort, in dem zu leben und zu arbeiten sich lohnt, als Ort, der auch nach außen Dynamik und Kreativität austrahlt. ({12}) Wir sind in der Welt angesehen und geachtet als ein Land wirtschaftlicher und politischer Stabilität. Unsere internationalen Partner bescheinigen uns eine Politik der Besonnenheit und des Augenmaßes, der Energie und Tatkraft. ({13}) Wir haben uns nicht allein bei der Sicherung von Frieden und Freiheit nach außen als prinzipientreu und standfest erwiesen. Wir haben auch im Innern unsere Kraft zur Erneuerung unter Beweis gestellt - und damit unseren Willen, den schöpferischen Kräften unseres Volkes die nötige Chance zur freiheitlichen Entfaltung und Gestaltung zu geben. Wir alle sind aufgerufen, besonders in diesem Jahr die Attraktivität unserer freiheitlichen Ordnung zu stärken. In unserer Republik wählen die Bürger frei ihre Regierung. Viele Mitbürger in Europa wünschen sich, sie hätten die gleiche Chance. ({14}) Europa braucht in seiner Mitte dieses lebendige Modell für die Idee solidarischer Freiheit. Europa braucht eine stabile freiheitliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, die mit der Freiheit für die Freiheit wirbt. Wir Deutschen schulden es uns selbst und unseren Partnern, daß wir dabei unseren Überzeugungen treu bleiben: Die deutsche Frage bleibt gebunden an die demokratischen Prinzipien, an Menschenwürde und Rechtsstaat. Dies ist das Erbe unserer Geschichte, dies folgt aus der Verantwortung für ihre Lasten, und es bildet die Grundlage unserer europäischen Zukunft. Nur so, meine Damen und Herren, erhalten wir uns auch das Engagement unserer Freunde für unsere nationalen Anliegen. Heute wie in Zukunft streben wir nach der Schaffung einer europäischen Friedens- und Freiheitsordnung. In diesem größeren Rahmen - und nur in ihm - kann unser Vaterland seine Einheit finden, und nur so kann auch die Chance aller Europäer auf gemeinsame Freiheit eines Tages verwirklicht werden. Unsere Deutschlandpolitik bleibt eingebettet in unsere Gesamtpolitik. Zu ihren Leitgedanken gehören der Rückhalt im Atlantischen Bündnis und in den Europäischen Gemeinschaften, das Streben nach Ausgleich und Versöhnung mit unseren östlichen Nachbarn und das Verständnis von Deutschlandpolitik als europäischer Friedenspolitik. Die Bundesregierung hat durch ihre Politik dazu beigetragen, das Bewußtsein der Deutschen für die Einheit ihrer geschichtlich gewachsenen europäischen Nation zu stärken, der gefährlichen Illusion entgegenzuwirken, der gegenwärtige Zustand Deutschlands sei historisch von Dauer und könne ohne Schaden für den Frieden auf alle Zeit bleiben, den Irrtum zu widerlegen, die deutsche Frage sei politisch und rechtlich beantwortet und daher nicht mehr offen. ({15}) Wir werden der Verantwortung gerecht, die die europäische und weltweite Tragweite der deutschen Frage uns auferlegt. Wir haben das völkerrechtliche Gewaltverbot in unserer Verfassung verankert. Es bindet die Staatsorgane, es bindet alle Bürger unseres Landes. Krieg und Gewalt dürfen und werden niemals Mittel deutscher Politik sein. ({16}) Auch heute möchte ich aus gutem Grund erneut daran erinnern, daß sich dazu nur wenige Jahre nach Kriegsende gerade auch jene unserer Landsleute bekannt haben, die für die Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft persönlich einen sehr hohen Preis entrichten mußten: die vielen Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge, denen ihre Heimat weggenommen worden war. Die Stuttgarter Charta von 1950 mit ihrem feierlichen Bekenntnis zur Idee eines freien und geeinten Europas, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können, hat allem voran den Teufelskreis von Gewalt und Rache durchbrochen. ({17}) Die deutsche Frage bleibt geschichtlich, rechtlich und politisch offen. Die Bundesregierung steht ganz selbstverständlich zur Präambel unseres Grundgesetzes. ({18}) Diese Präambel will das vereinte Europa, und sie fordert das gesamte deutsche Volk auf, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Wer daran tasten will, der hat keinen Sinn für Geschichte, und er verkennt, daß der Wille unseres Volkes zur Einheit in Freiheit Teil und bewegende Kraft der Zukunft unserer Nation ist. ({19}) Im europäischen Rahmen müssen und wollen wir auch die deutsche Frage lösen. Wir wissen, daß dies nur im Einverständnis mit unseren Nachbarn geschehen kann. Es ist ein vitales Anliegen aller Völker in Europa, in gesicherten Grenzen zu leben. Auch deswegen ist für uns jede einseitige Änderung der heute tatsächlich bestehenden Grenzen ausgeschlossen. Uns geht es darum, Staatsgrenzen durchlässiger zu machen und ihren trennenden Charakter aufzuheben. Wir bleiben uns bewußt, daß die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen eine grundlegende Bedingung für den Frieden sind. Aber wir wissen auch, daß es ohne Freiheit für die Menschen keinen wirklichen Frieden gibt. Und wir bleiben dabei, daß die künftige europäische Friedensordnung und damit die Lösung der deutschen Frage auch vom deutschen Volk in freier Selbstbestimmung angenommen werden müssen. ({20}) Unsere gemeinsame Kultur und Geschichte bleiben ein festes Band für die Einheit der deutschen Nation. Geschichte und Kultur, Suche nach Identität und dann erst staatliche Organisation haben an der Wiege des deutschen Nationalbewußtseins gestanden. ({21}) Die deutsche Kultur - und es gibt nur eine deutsche Kultur - bleibt ein wesentliches Element für das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Deutschen. Daran, meine Damen und Herren, haben uns in den letzten Jahren wichtige Daten und Ereignisse erinnert. 1983 begingen die Deutschen das Luther-Jahr. Das Wirken des Reformators hat unsere Nation geprägt. Nicht zuletzt die Erinnerung an Martin Luther hat uns Deutschen gemeinsame geistige Wurzeln wieder bewußter gemacht. 40 Jahre nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde in Dresden die Semper-Oper wiedereröffnet. Wir werden dadurch an die herausragende Stellung der Elbstadt in der deutschen Kulturgeschichte erinnert. Hier hatte Heinrich Schütz die erste deutsche Oper geschrieben und Carl Maria von Weber der Musikkultur unserer Nation kräftige Impulse gegeben. Friedrich Schinkel und Gottfried Semper sind große Namen der deutschen Baugeschichte. Es ist ein Dienst an unserem gemeinsamen kulturellen Erbe, daß in der DDR nach einer Phase des Zerstörens und Verfallenlassens auch andere Bau15758 denkmäler restauriert werden. Ich denke - um zwei Beispiele zu nennen - an die Arbeiten am 700 Jahre alten Kloster „Zum heiligen Kreuz" in Rostock oder an die Wiedereröffnung des Berliner „Deutschen Theaters". ({22}) Die Menschen in beiden Staaten in Deutschland sind sich ihrer Verantwortung für die Pflege der gemeinsamen Kultur bewußt. Das haben z. B. viele Veranstaltungen zu Ehren der großen deutschen und zugleich europäischen Komponisten Heinrich Schütz, Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel im letzten Jahr gezeigt. An das Kulturerbe unserer Nation und die Chancen zur Gemeinsamkeit, die darin liegen, hat uns auch der 100. Geburtstag der Goethe-Gesellschaft erinnert. In ihrer Brückenfunktion erweist sich die Goethe-Gesellschaft nicht nur ihres großen Namensgebers als würdig; sie steht auch in der Tradition ihres ersten Präsidenten, Eduard von Simson, der 1848 der deutschen Nationalversammlung präsidiert hat. Wir sollten in dieser Gesellschaft nicht ein Relikt längst vergangener Zeiten sehen, sondern sie als Modell für mehr kulturelle Gemeinsamkeit über Grenzen hinweg begreifen. Der Chance der Verbesserung des Zusammenlebens dient auch das geplante „Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über kulturelle Zusammenarbeit". Die Bundesregierung begrüßt die Einigung über dieses Abkommen. Die Arbeiten daran waren nicht einfach. Wir wollen vielfältige kulturelle Kontakte mit den Menschen in der DDR. Nicht alles, was wünschenswert bleibt, konnte realisiert werden. Aber dieses Abkommen bietet eine große Chance zu mehr Gemeinsamkeit. Es schützt und fördert in vielen Bereichen die bereits bestehenden kulturellen Kontakte und erleichtert die Ausdehnung der Zusammenarbeit. Erfaßt werden dabei die unterschiedlichsten Bereiche, von der bildenden und darstellenden Kunst über Literatur, Musik, Bildung und Wissenschaft bis hin zur Denkmalpflege. Die Bundesregierung begreift das Abkommen nicht als Endpunkt, sondern als Ausgangspunkt. Alle Regelungen des Abkommens gelten auch für Berlin. Das war und ist für die Bundesregierung unverzichtbar. Die konkreten Auswirkungen unserer Unnachgiebigkeit in dieser Frage werden vor allem nach Inkrafttreten des Abkommens sichtbar werden. So ist z. B. sichergestellt, daß die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bei Ausstellungen von der DDR nicht mehr diskriminiert wird. Ich danke allen, die an den Arbeiten zu diesem Abkommen mitgewirkt haben. Hervorzuheben ist auch die Mitarbeit der deutschen Bundesländer während der Verhandlungen. Ich rufe alle auf, die im kulturellen Bereich Verantwortung tragen, ihren Beitrag dazu zu leisten, dieses Abkommen jetzt mit Leben zu erfüllen. Die Unterzeichnung selbst wird, wie ich hoffe, in nächster Zukunft stattfinden, sobald alle Länder dem Abkommen zugestimmt haben. Meine Damen und Herren, wir haben die Pflicht, dieses Erbe der gemeinsamen Kultur an die Generationen nach uns weiterzugeben. Das bleibt eine zentrale Bildungsaufgabe. Ich appelliere erneut an die Regierungen unserer Bundesländer, ihrer Verantwortung für die historische Bildung junger Menschen gerecht zu werden. Auch das ist in Wahrheit ein Beitrag zu aktiver Deutschlandpolitik. ({23}) Wir wissen, daß sich auch die DDR-Führung seit einiger Zeit wieder stärker als bisher auf deutsche Geschichte besinnt. Es geht dabei erkennbar darum, den eigenen sozialistischen Staat in der eigenen Weise historisch zu begründen. Aber Gemeinschaftsbewußtsein und Identifikation stiftet Geschichte nur dann, wenn sich die Menschen in Darstellung und Deutung wiedererkennen. Denn Sprache und Kultur, Recht und Religion, Werte und Traditionen sind ganz und gar unbestechliche Zeugen für das Gedächtnis eines Volkes. Meine Damen und Herren, wer Luther feiert, wird auf die Dauer zum christlichen Gewissen nicht schweigen können. Wer Goethe einbürgern will, der kann nicht das Erbe der Aufklärung verbieten. ({24}) Die historische Standortbestimmung, die die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR suchen, hat nur dann ihre innere Berechtigung, wenn sie nicht in falscher Idylle verweilt oder zur Rechtfertigung einer Ideologie mißbraucht wird. Wir werden als Deutsche auch daran gemessen, ob es uns gelingt, aus der Geschichte zu lernen. Die letzten Jahre haben uns wieder besonders an die jüngere deutsche Vergangenheit erinnert. 1983 waren 50 Jahre seit der Machtergreifung Hitlers vergangen. Wir haben uns beschämt daran erinnert, wie viele Deutsche damals totalitärer Versuchung erlagen. 1984 jährte sich zum 40. Mal das Attentag auf Hitler vom 20. Juli. Wir haben jene geehrt, die ihr Leben im Widerstand gegen die Diktatur verloren. Ihr Vermächtnis zählt zum besten Teil deutscher Geschichte und Gegenwart. ({25}) 1985 schließlich erinnerte der 8. Mai an das Ende von Krieg und Diktatur, an die Chance zum demokratischen Neubeginn, die wir in der Bundesrepublik Deutschland nutzen durften. Wie sehr diese Erinnerung die Deutschen im Osten wie im Westen bewegte, wurde in vielfacher Weise sichtbar. Ich erwähne nur die gemeinsame Stellungnahme des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR und der Evangelischen Kirche in Deutschland zu diesem Jahrestag. Wir Deutsche können uns unserer Geschichte nicht entziehen, und niemand von uns kann für sich nur die guten Erinnerungen reservieren und die bösen den Nachbarn zuschieben. Das gilt im VerhältBundeskanzler Dr. Kohl nis der Menschen wie der beiden Staaten in Deutschland. Als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland habe ich im April 1985 im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen von Scham und Trauer gesprochen, die wir angesichts dessen empfinden, was in deutschem Namen ungezählten Verfolgten, vor allem den Juden, angetan wurde. Niemand hat das Recht, diesen Teil deutscher Geschichte zu verdrängen. Es gehört zu unserer Verantwortung als Deutsche und Europäer, totalitärer Versuchung, woher sie immer kommen möge, auf alle Zeit zu widerstehen. ({26}) Ich bin der festen Überzeugung, daß sich in der Geschichte unserer Nation die Idee durchsetzt, die mit der Frankfurter Paulskirche verbunden ist - oder mit dem Hambacher Schloß, wo man für die Ideale der Demokratie, für nationale, für europäische Einheit stritt. Daß im vergangenen Jahr an diesem Ort der amerikanische Präsident zur deutschen Jugend sprach, war ein Zeichen dafür, daß uns diese Ziele heute mit unseren Freunden in der Welt einen. ({27}) Wir müssen uns des Erbes unserer Geschichte bewußt bleiben, wollen wir unsere Zukunft bewältigen. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wächst das Interesse an der deutschen Geschichte. Die Menschen wollen wissen, wer wir Deutsche sind, wo wir herkommen und wo wir in der Kontinuität unserer Geschichte stehen. Die Fragen nach unserer Herkunft, vor allem auch aus der jungen Generation, sind wichtig geworden, weil wir gemeinsam nach Orientierung für die Gestaltung der Zukunft suchen. Deshalb hat die Bundesregierung zwei weitreichende Initiativen eingeleitet: in Bonn den Bau des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin die Errichtung des Deutschen Historischen Museums. Bei allem Reichtum unseres Landes an Sammlungen und Museen fehlt uns doch bis heute ein Gesamtüberblick über die ganze Vielfalt, aber auch den Zusammenhang der politischen, der sozialen, der wirtschaftlich-technischen und der kulturellen Entwicklung. Die Vorhaben in Berlin und Bonn sollen einander ergänzen, gerade auch im Blick auf die Entwicklung seit 1945. Sie sollen auf wissenschaftlicher Grundlage und zugleich in einer vor allem auch für jugendliche Besucher ansprechenden Form dazu einladen, deutsche Geschichte kennenzulernen, sie zu verstehen und ihre positiven wie ihre leidvollen Erfahrungen für die Gestaltung unserer Zukunft nutzbar zu machen. Es kann nicht darum gehen, eine amtliche Geschichtsschreibung oder gar ein amtliches Geschichtsbild zu vermitteln. Es wäre aber ebenso ein Irrweg, die innere Ausgestaltung solcher Museen der Proporzentscheidung interessierter Gruppen zu überantworten. ({28}) Zur konzeptionellen Vorbereitung der Museen hat die Bundesregierung hervorragende Historiker und Museumsfachleute berufen. Sie sind unabhängig, und sie arbeiten ohne Vorgabe zu Inhalt und Form. Sie berücksichtigen dabei auch die Erfahrungen angesehener und erfolgreicher Museen im In-und Ausland. In Bonn und in Berlin soll deutsche Geschichte so dargestellt werden, daß sich unsere Bürger darin wiedererkennen - offen für kontroverse Anschauungen und für die Vielfalt möglicher Entwicklungen. Diese Offenheit folgt aus unserer Einsicht, daß wir das Ziel der Geschichte nicht kennen. Es ist eben eine Bedingung unserer geistigen und politischen Freiheit, daß die Frage nach Sinn und Ziel der Geschichte nicht ein für allemal eine Antwort findet, sondern viele Antworten - und manches Mal auch gänzlich neue. In diesem Punkt vor allem - der der wichtigste ist - werden sich das Haus in Bonn und das Museum in Berlin von DDR-Geschichtsmuseen jenseits der Mauer wesentlich unterscheiden. Das Haus in Bonn errichten wir, weil es im vierten Jahrzehnt nach Gründung unseres Staates an der Zeit ist, die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang öffentlich darzustellen und zu vermitteln. Es ist dieser Staat, den die Deutschen, die frei entscheiden konnten, nach der Katastrophe unserer Geschichte im 20. Jahrhundert wollten. Er gründet auf die alte und unvergängliche Idee der Einheit von Nation und Demokratie, auch wenn einem Teil der Deutschen bis heute versagt bleibt, in einer rechtsstaatlichen und parlamentarischen Ordnung zu leben. Der ganzen deutschen Geschichte, meine Damen und Herren, wird das Haus in Berlin gewidmet sein. Dieses Deutsche Historische Museum, dessen Grundstein wir 1987 legen wollen, ({29}) soll das Geburtstagsgeschenk des Bundes zur 750Jahr-Feier Berlins im nächsten Jahr sein. ({30}) Die Ausstellungen, Feiern und Konferenzen aus diesem Anlaß werden Berlin darstellen als das, was es ist: selbstbewußt und vorwärtsschauend, eine europäische Metropole und ein Symbol der Freiheit. ({31}) Die Bundesregierung unterstützt den Berliner Senat in seinen Vorbereitungen. Dabei geht es uns gemeinsam darum, das Jubiläum als Chance zu begreifen, die Einheit Berlins zu vergegenwärtigen. ({32}) Es darf die Teilung der Stadt nicht vertiefen. Wer anläßlich der 750-Jahr-Feier Berlin besucht, sollte immer die ganze Stadt kennenlernen und so für sich ganz persönlich die Teilung zu einem kleinen Teil überwinden können. Die 750-Jahr-Feier Berlins wird nicht bei der Erinnerung stehenbleiben. Zum Wesen dieser großartigen Metropole gehören Wille und Fähigkeit zur Erneuerung. Erinnerung und Erneuerung, Standortbestimmung und Perspektive - das sind die Markierungen für das Berlin-Jubiläum. Die Berliner wissen, daß sie sich nicht nur an Feiertagen, sondern auch im Alltag auf diese Bundesregierung verlassen können. ({33}) Deutschlandpolitik, meine Damen und Herren, ist uns auch aufgegeben als eine unablässige Bemühung, die Lebensfähigkeit des freien Berlin gemeinsam mit den drei Schutzmächten zu sichern und zu stärken sowie die Bindungen Berlins an den Bund zu festigen und weiterzuentwickeln. Wir erinnern uns nicht nur daran, daß vor 25 Jahren die Berliner Mauer errichtet wurde. Vor 15 Jahren wurde das Viermächteabkommen über Berlin beschlossen, für dessen strikte Einhaltung und volle Anwendung die Bundesregierung eintritt. Die geteilte Stadt ist seit dem Viermächteabkommen nicht länger Brennpunkt krisenhafter Entwicklungen. Berlin gehört zum freien Westen. Wie früher unterstreichen dies auch in unseren Tagen die Staats- und Regierungschefs der drei Schutzmächte und anderer Länder durch ihre Berlin-Besuche. In meiner Amtszeit - ich will dies dankbar erwähnen - habe ich den französischen Staatspräsidenten und die britische Premierministerin dorthin begleiten können. Als „Treuhänder" der deutschen Nation sind die Schutzmächte in Berlin: So formulierte es der langjährige amerikanische Botschafter Arthur Burns, ein bewährter Freund Deutschlands. Meine Damen und Herren, die Zugangswege nach Berlin wurden in den letzten Jahren verbessert. Der Transitverkehr hat wieder zugenommen. Im August ist mit der DDR vereinbart worden, weitere verkehrsgefährdende Straßenschäden auf den Transitstraßen zu beseitigen. In Berlin hat der Senat die S-Bahn übernommen und ist dabei, sie wieder zu einem attraktiven Verkehrsmittel zu machen. Im März 1985 gab es eine neue Vereinbarung der Bundesregierung mit der DDR über die Nutzung moderner Kommunikationstechnologien. Ein neues Kapitel der Energieversorgung hat für Berlin begonnen, seitdem eine Erdgaspipeline durch die DDR in Betrieb genommen wurde und die ersten Lieferungen sowjetischen Erdgases einsetzten. Die erfreuliche Aufwärtsentwicklung der Berliner Wirtschaft in den letzten Jahren hat sich auch 1985 deutlich und spürbar fortgesetzt. Die Bemühungen des Senats, die Subventionsmentalität abzubauen ({34}) und vorrangig auf zukunftsträchtige Innovationen zu setzen, tragen Früchte. ({35}) Meine Damen und Herren, Anstrengungen auf den Gebieten Forschung und Entwicklung deuten den gewollten Strukturwandel an: Mehr und mehr Hochtechnologiekapazitäten werden genutzt; der viel zu lange brachliegende Transfer zwischen Wirtschaft und Universitäten ist inzwischen auf erfreuliche Weise in Gang gekommen. ({36}) Die beiden Wirtschaftskonferenzen von 1982 und 1984, zu denen ich gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister eingeladen hatte, sowie die regelmäßigen Konferenzen der Berlin-Beauftragten der deutschen Industrie unter Leitung des Bundeswirtschaftsministers geben der Berliner Wirtschaft weiterhin wichtige Impulse. Berlin wird, meine Damen und Herren, wieder als europäische Metropole begriffen, deren Ausstrahlungskraft weit reicht, und Berlin bleibt für uns alle eine nationale Aufgabe. ({37}) Deutschlandpolitik darf und kann niemals an Berlin vorbeigehen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir wollen Fortschritte zum Wohl der Menschen und wollen dafür das Geflecht der Beziehungen zur DDR weiter festigen und ausbauen. „Fortschritte zum Wohl der Menschen", so haben es Generalsekretär Honecker und ich in unserer Moskauer Erklärung vom 12. März 1985 gemeinsam formuliert. Die Bundesregierung begrüßt, daß die Führung der DDR bereit ist, die Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland zu intensivieren. Dabei wünschen wir die Ausweitung der Reisemöglichkeiten, insbesondere erheblich mehr Reisen für junge Menschen und eine weniger engherzige Genehmigung von Reisen in dringenden Familienangelegenheiten sowie, wenigstens schrittweise, die Schaffung von Reisefreiheit für alle Deutschen. ({38}) Wir drängen weiterhin auf einen spürbaren Abbau des Mindestumtauschs. Wir wollen die Ausdehnung der Regelungen des grenznahen Verkehrs, und wir wollen Vereinfachungen und Erweiterungen der Besuchsmöglichkeiten auch für die Berliner. ({39}) Wir erwarten die zugesagte Einschränkung der Kontaktverbote, die immerhin weit mehr als 1 Million Bürger der DDR betreffen. Ein Ärgernis bleibt auch die mißtrauische und unnötig komplizierte AbBundeskanzler Dr. Kohl wicklung bei Reisen und Besuchen insgesamt, die immer wieder beobachtet wird. Meine Damen und Herren, eine Normalisierung im Reiseverkehr liegt gewiß auch im Interesse der DDR. Wir wissen, daß es dabei auf viele kleine Schritte ankommt, und wir konnten j a auch schon seit dem Herbst 1982 einige konkrete Verbesserungen beobachten. Diese Tendenz hat sich fortgesetzt. Sie wird sich in diesem Jahr, wie uns die DDR-Führung zugesagt hat, noch verstärken. Aus dem Bundesgebiet reisen wieder mehr Bürger zu unseren Landsleuten in die DDR. Manche Reise mag kürzer ausfallen als vor der Erhöhung des Mindestumtauschs. Gleichwohl trägt jeder dieser Besuche dazu bei, die Lebenskraft der Bindungen von Mensch zu Mensch in Deutschland zu stärken. ({40}) Ich möchte allen danken, die allen Belastungen zum Trotz weiter - und, wie ich hoffe, auch in Zukunft - Verwandte, Freunde und Bekannte in der DDR besuchen. Sie beweisen Solidarität und Treue im Alltag, und diese Mitmenschlichkeit gibt der Einheit unserer Nation festen Halt. Wir alle sollten mit Kraft und Energie daran festhalten, alte Verbindungen zu pflegen und neue zu knüpfen. Der Jugendaustausch ist von der DDR wieder aufgenommen worden. Bis Jahresende 1985 konnten wir noch über 1 000 Jugendliche aus der DDR in der Bundesrepublik Deutschland begrüßen; in diesem Jahr erwarten wir mehr als 3 000 Jugendliche aus der DDR. Es bleibt dabei, daß Bund und Länder Fahrten von Jugendlichen in die DDR engagiert fördern. 1985 reisten rund 68 000 so geförderte junge Mitbürger aus der Bundesrepublik in die DDR. Die Bundesregierung wird weiterhin die Bemühungen der Jugendverbände unterstützen, diese Reisen zu erweitern und damit verbundene Probleme zu lösen. Wir begrüßen auch die Bemühungen der Sportverbände um möglichst viele Sportbegegnungen. Das Ergebnis der jüngsten Verhandlungen zwischen dem Deutschen Sportbund und dem Verband der DDR ist eine kleine Verbesserung, aber noch lange nicht das, was sich, wie ich denke, die Sportler auf beiden Seiten wünschen. ({41}) Insbesondere beim Breitensport und beim Jugendsport müssen wir viel mehr Möglichkeiten der Begegnung über die innerdeutsche Grenze hinweg schaffen. ({42}) Das Kulturabkommen mit der DDR muß hier zusätzliche Impulse geben und wird auch darin seinen Nutzen für die Deutschen zu erweisen haben. 1985, meine Damen und Herren, sind fast 25 000 Landsleute aus der DDR zu uns übergesiedelt. Wir heißen sie herzlich willkommen. Zugleich wissen wir, daß so mancher in seiner vertrauten Lebensumwelt bliebe, wenn er seine Verwandten und Bekannten auch ohne besondere Anlässe regelmäßig besuchen könnte. ({43}) Hier Erleichterungen zu schaffen liegt auch im Interesse der Führung der DDR. Die Bundesregierung hat ihre Bemühungen um Kontakte auf kommunaler Ebene fortgesetzt. Generalsekretär Honecker stellte vor kurzem fest, daß Städtepartnerschaften zwischen Städten und Gemeinden in beiden Staaten in Deutschland „sehr vieles tun" können „zur Begegnung der Menschen auf den verschiedensten Gebieten". Es ist zu wünschen, daß die Kontakte, die inzwischen angeknüpft wurden, kein Einzelfall bleiben und in der Praxis möglichst vielen zugute kommen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, an der innerdeutschen Grenze hat die DDR das eine oder andere dazu getan, unkontrollierbare Gefahren für Leib und Leben von Menschen zu verringern. Aber dies darf niemanden täuschen. Die menschenverachtenden Sperranlagen sind immer noch da. Unverändert wird an der Grenze in Deutschland Menschen Gewalt angetan, und dazu können und werden wir niemals schweigen. ({44}) Unter der Grenze mitten durch Deutschland leiden vor allem die Menschen im Zonenrandgebiet. Wir haben die Fördermittel 1983 und 1985 erhöht. Die Leistungskraft des Zonenrandgebietes zu sichern muß ein wichtiges Anliegen unserer Deutschlandpolitik bleiben. Dabei legt die Bundesregierung besonderen Wert auf die Zusammenarbeit beim Umweltschutz. Die gemeinsame Verantwortung für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen in Deutschland ist ein Bereich der innerdeutschen Beziehungen, der für Kooperation beispielhaft sein kann und - ich hoffe, man kann das sagen - beispielhaft sein muß. Auch hier konnten wir in dieser Legislaturperiode den innerdeutschen Kontakt vertiefen. Ich möchte sechs konkrete Ansätze nennen: Erstens. Im Sommer 1983 fanden in Leipzig und Bonn erste Fachgespräche über Fragen der Rauchgasentschwefelung statt. Es kam auch zu ersten ermutigenden Vereinbarungen beim grenzüberschreitenden Gewässerschutz. Zweitens. Bei der Münchener Umweltkonferenz im Juni 1984 hat die DDR erklärt, daß sie tatkräftig Maßnahmen zur Lösung der immer dringlicheren Probleme der Luftverunreinigung ergreifen wolle. Drittens. Schon zwei Monate später begannen die Gespräche von Forstexperten aus beiden Staaten in Deutschland über Waldschäden. Bei der internationalen Waldschutzkonferenz in Paris vor fünf Wochen habe ich mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß sich auch die DDR bereit erklärt hat, in dieser Frage ernsthaft voranzugehen. Viertens. Seit Sommer 1985 verhandeln wir mit der DDR über eine Regierungsvereinbarung zum Umweltschutz. Dabei geht es um Erfahrungs- und Informationsaustausch, vor allem aber um erste Ab15762 sprachen zur konkreten Zusammenarbeit. Die Vereinbarung soll neben den wichtigen Fragen der Waldschäden, des Gewässerschutzes und der Luftreinhaltung auch die Probleme der Abfallbeseitigung erfassen. Wir wollen damit zugleich einen produktiven Meinungsaustausch über Fragen des Naturschutzes einleiten. Es geht uns vor allem auch um die Gesundheit der Menschen diesseits und jenseits der Grenze. ({45}) Fünftens. Die Verhandlungen über Maßnahmen zur Reduzierung der Salzbelastung von Werra und Weser werden intensiv weitergeführt. Dabei geht es um schwierige technische Fragen, aber natürlich auch um finanzielle Probleme. Sechstens. Ebenso werden die Expertengespräche über Fragen des Strahlenschutzes und der Sicherheit kerntechnischer Anlagen fortgesetzt. Wir streben unverändert den Abschluß eines Umweltrahmenabkommens mit der DDR an. Fortschritte wünschen wir uns auch bei den Verhandlungen über Zusammenarbeit im Bereich von Wissenschaft und Technik. Meine Damen und Herren, ein stabiles Element der Beziehungen bleibt der innerdeutsche Handel unter voller Einbeziehung von Berlin. Es gab in den letzten Jahren eine insgesamt befriedigende kontinuierliche Entwicklung. Der wieder annähernd ausgeglichene Handel erreichte 1985 ein Volumen von etwa 16,5 Milliarden Verrechnungseinheiten - eine Steigerung um rund 2,5 Milliarden seit 1982. Von der neuen Swing-Vereinbarung vom 5. Juli 1985 sind weitere Impulse für die Wirtschaftsbeziehungen der beiden Staaten in Deutschland ausgegangen. Die Bundesregierung setzt sich auch weiterhin für eine Strukturverbesserung des Handels ein. Unser Ziel ist eine weitere Steigerung des Handels bei ungefährem Gleichgewicht zwischen Lieferungen und Bezügen. Auch die Zusammenarbeit auf Drittmärkten eröffnet noch ungenutzte Chancen. Einige Fortschritte - insbesondere für Rentner, Pensionäre, Sozialhilfeempfänger und minderjährige Waisen - haben wir auf dem sehr komplizierten Feld des Kontentransfers erreicht. Sorge bereitet uns weiterhin der Zustrom von Ausländern, die über die DDR illegal einreisen. ({46}) Allein im vergangenen Jahr kamen 38 000 über den Flughafen Schönefeld. Die Bundesregierung hat die DDR wiederholt aufgefordert, entsprechend internationalen Gepflogenheiten zu verfahren. Wir erwarten, daß die DDR Transitvisa künftig nur erteilt, wenn die erforderlichen Sichtvermerke des Ziellandes vorliegen. Auch hier muß die DDR ihre Bereitschaft zu einer Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit deutlich machen. Der gegenwärtig für uns gänzlich unbefriedigende Zustand verträgt sich nicht mit dem Ziel einer vorteilhaften Entwicklung der Beziehungen. ({47}) Es geht prinzipiell darum, konkrete Lösungen für bestehende Probleme zu finden, also das Machbare und das Vernünftige auch zu tun. Deshalb muß die Frage gestellt werden: Wo haben die beiden Staaten gleiche Interessen, wo ist ein Interessenausgleich möglich? Dabei beachten wir das Prinzip des ausgewogenen Gebens und Nehmens, das sich allerdings nicht unbedingt in ein und demselben Bereich auswirken muß. Jede Seite muß realistisch sehen, was möglich ist und was nicht. Basis bleibt der Grundlagenvertrag. In den grundsätzlichen Fragen, die durch dieses Vertragswerk nicht gelöst wurden, können und werden wir nicht leisten, was die DDR von uns will. Denn bei ihren Forderungen geht es im Grunde um nicht weniger als um die Festschreibung der Teilung Deutschlands. ({48}) Darauf werden wir uns niemals einlassen - auch deshalb nicht, weil wir nicht an unserer Verfassung rütteln lassen und ebensowenig an der Verantwortlichkeit der Vier Mächte in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes. ({49}) Die prinzipiellen Gegensätze zwischen den beiden Staaten in Deutschland bleiben bestehen. Wer sie übersieht oder zu verwischen sucht, schadet den deutschen Interessen und erschwert eher weitere Fortschritte zum Wohle der Menschen. Mit Zweideutigkeiten in Status- und anderen grundlegenden Fragen erreichen wir keinerlei Erleichterung für die Menschen. Meine Damen und Herren, dies ist jenen zu sagen, die dem Irrtum unterliegen, man könne etwa Verbesserungen im Reiseverkehr eher erreichen, wenn man Grundsatzpositionen aufgeben würde. ({50}) Die Erfahrung lehrt, daß die gegensätzlichen Positionen, etwa zur Staatsanhörigkeitsfrage, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten in Deutschland nicht zu hindern brauchen. So weiß die DDR sehr gut, daß wir an der durch Verfassung und Gesetze vorgegebenen Position festhalten, auch daran, daß es eben nur eine deutsche Staatsangehörigkeit gibt. ({51}) Ihr ist bekannt, daß für uns verbindlich bleibt, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31. Juli 1973 feststellt: Jeder Deutsche, der in den Schutzbereich der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Verfassung gerät, genießt alle Garantien der Grundrechte des Grundgesetzes der Bundesrepulik Deutschland. ({52}) Wir wissen selbstverständlich, daß die DDR schon 1967 ein eigenes Staatsbürgerschaftsgesetz erlassen hat. In der Praxis sind die dadurch ausgelösten Probleme im Rahmen unserer Gesetze bewältigt. Das erfahren zum Beispiel jene, die offiziell als Vertreter von Institutionen der DDR zu uns kommen und die Rechte als deutsche StaatsangehöBundeskanzler Dr. Kohl rige nicht wahrnehmen wollen. Aber keine unserer Behörden wird und darf einen Deutschen zurückweisen, der sich an sie wendet. Wir bürgern deutsche Landsleute nicht aus. ({53}) Unsere Deutschlandpolitik bleibt klar und berechenbar. Wir haben auf diesem Weg viel erreicht. Zugleich verlieren wir den Weg, der vor uns liegt, nicht aus den Augen. Deshalb steht für uns ganz oben auf der Tagesordnung: Erstens. Wir fordern Humanität und Frieden an der Grenze mitten durch Deutschland. Mauer und Stacheldraht und Schießbefehl müssen weg. ({54}) Zweitens. Wir fordern Freizügigkeit in Deutschland. Reisefreiheit für die Menschen, der ungehinderte Fluß von Informationen und Meinungen, das sollte auch zwischen den beiden Staaten in Deutschland endlich alltägliche Praxis werden. Zum freien Austausch müssen Bücher gehören, Zeitungen, Filme, auch das Wort des Wissenschaftlers und das Werk des Künstlers. Drittens. Wir fordern die Einhaltung der Menschenrechte und die Gewährung der Grundrechte für unsere Landsleute in der DDR. ({55}) Sie haben ein selbstverständliches Recht, nach ihrem Gewissen zu handeln, ihre Meinung frei zu äußern und wegen ihres Glaubens nicht diskriminiert zu werden. Es darf und es wird keine Mißverständnisse geben: Wir sind bereit, zum Wohl der Menschen viele kleine Schritte zu tun. Aber diese drei Forderungen bestimmen unsere Richtung. ({56}) Meine Damen und Herren, Deutschlandpolitik muß Frieden stiften. Sie bleibt eingebettet in die Gesamtentwicklung der Ost-West-Beziehungen. Die beiden Staaten in Deutschland sind eingeordnet in Bündnissysteme, die auf eine absehbare Zeit die Lage in Europa prägen. Die Deutschen allein können die Teilung Europas nicht überwinden. Auch die Deutschlandpolitik wäre damit überfordert. Für uns gilt: Unveränderliches Fundament unserer Politik bleibt die Verankerung im Bündnis. Es darf niemals Zweideutigkeiten und Illusionen darüber geben: Jedwede Abkehr von der europäischen Integration oder vom Atlantischen Bündnis würde unsere Bundesrepublik Deutschland unfähig machen, ihre Interessen wirksam zu vertreten und eine Deutschland- und Ostpolitik zu betreiben, die noch diesen Namen verdiente. Es ist ein vitales Interesse der Bundesrepublik Deutschland, die transatlantische Brücke zu stärken und den großen Entwurf für die europäische Integration durchzusetzen. Unsere Stärke ist immer auch die Zugehörigkeit zum freien Westen. Sie ist kein Tauschobjekt, auch nicht für Erleichterungen im Alltag, die die andere Seite ja stets rückgängig machen kann. Die Bundesregierung erteilt jedem Gedanken an einen nationalen Sonderweg eine klare Absage. Deutsches Streben nach Neutralität in der Mitte Europas - ob von rechts oder links propagiert - kann kein Weg zur Lösung der deutschen Frage sein und müßte Zweifel an unseren politischen Grundwerten aufkommen lassen. ({57}) Die Bundesrepublik Deutschland, Bürger und Regierung, haben ein solches Konzept aus eigenem Entschluß von Anfang an verworfen. Es ist ein gefährlicher Irrweg, wenn etwa Kräfte der Opposition mit einer Nebenaußen- und Nebendeutschlandpolitik die Tür zum Neutralismus glauben aufschließen zu können. ({58}) Unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ist durch die Werte- und Sicherheitsgemeinschaft im Bündnis bestimmt; unser Verhältnis zur Sowjetunion durch die europäische Geographie und durch das Wissen um ihren totalitären Machtanspruch. ({59}) In der dadurch bedingten, je verschiedenen Weise bringen wir unsere Interessen bei unseren Freunden im Bündnis zur Geltung und vertreten sie auch gegenüber unseren Nachbarn im Osten. Mit besonderem Nachdruck hat sich die Bundesregierung gerade auch im deutschen Interesse für eine persönliche Begegnung von Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow eingesetzt. Mit der Gipfelbegegnung in Genf konnte der politische Dialog zwischen den beiden Weltmächten erheblich intensiviert werden. Er konnte an Konturen gewinnen. Die dort verabschiedete gemeinsame Erklärung ist ein Signal für einen umfassenden Dialog, in dem alle europäischen Staaten ihren Beitrag zu leisten haben. Das Gipfeltreffen hat damit Möglichkeiten zu einer neuen Phase der West-Ost-Beziehungen eröffnet. Beide Staaten in Deutschland haben die Aufgabe, durch den Ausbau ihrer Zusammenarbeit aktiv auf diesem Wege ihren Beitrag zu leisten. Konfrontation in Europa schadet niemandem mehr als den Menschen in Deutschland. Ich bin zuversichtlich, daß die vom Genfer Gipfeltreffen ausgehenden Impulse zugleich den KSZEProzeß und auch insoweit unsere Beziehungen zur DDR voranbringen können. Einen festen Platz im KSZE-Prozeß haben die humanitären Fragen. Die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses der DDR zum Frieden hängt auch davon ab, ob sie bei den Menschenrechten Fortschritte ermöglicht. Das gilt in ganz besonderer Weise auch für die Behandlung inhaftierter Personen. Menschliche Kontakte und Begegnungen sind der Prüfstein für mehr Vertrauen. Sie leisten mehr für den Frieden als abstrakte Diskussionen über atomwaffenfreie Zonen. Die menschliche Dimension des KSZE-Prozesses bleibt eine unabdingbare Voraussetzung für dauerhaften Frieden und Stabilität in Europa. Hier denke ich in einer ganz besonderen Weise an unsere deutschen Landsleute in Mit15764 tel- und Osteuropa. Wir bleiben ihnen verbunden und zu einer besonderen Obhut verpflichtet. ({60}) Meine Damen und Herren, wir können festhalten: Unsere Deutschlandpolitik war und ist erfolgreich, auch wenn wir wissen, daß noch große Aufgaben vor uns liegen. Wir haben viele konkrete Fortschritte für die Menschen in Deutschland erreicht. Vor allem aber haben wir dazu beigetragen, daß der Wille des deutschen Volkes zur Einheit in Freiheit ungebrochen bleibt. Das gemeinsame Ziel aller Demokraten in Deutschland ist es, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. ({61})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel. ({0}) - Herr Dr. Vogel, würden Sie einen Moment warten, bis die Damen und Herren entweder Platz genommen haben oder mindestens ruhig sind. - Meine Damen und Herren, würden Sie bitte Platz nehmen.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erklärung zur Lage der Nation, die wir soeben gehört haben, läßt zwischen der Koalition und meiner Fraktion Gegensätze, aber auch gewisse Elemente der Übereinstimmung erkennen. Wir stimmen darin überein, daß in den beiden deutschen Staaten unterschiedliche Gesellschaftsordnungen bestehen und daß diese Unterschiede weder verwischt noch verschwiegen werden sollen. ({0}) Wir stellen mit Genugtuung fest, daß Sie, Herr Bundeskanzler, den Grundlagenvertrag, den Sie zusammen mit Ihrer Partei seinerzeit erbittert bekämpft haben, jetzt anerkennen und seine Möglichkeiten nutzen. ({1}) Und wir stimmen auch darin überein, daß Berlin vor allem dem Viermächteabkommen, das auf unser Betreiben zustande kam und ohne die Ostpolitik der Regierung Brandt nicht zustande gekommen wäre, ({2}) seine Stabilität und äußere Krisenfreiheit verdankt. ({3}) Wir begrüßen die Verbesserungen im Reiseverkehr und die günstige Entwicklung des Handelsaustausches. Zu beidem haben wir wesentlich beigetragen. Wir begrüßen auch, daß die von uns eingeleiteten Verhandlungen über ein Kulturabkommen inzwischen zum Abschluß gekommen sind. Wir weichen wohl auch nicht allzu weit in der Einschätzung dessen voneinander ab, was die Menschen in beiden deutschen Staaten in ihrem Verhältnis zueinander vor allem geändert und verbessert haben wollen. Und noch etwas eint sicher den gesamten Deutschen Bundestag ohne jede Ausnahme, nämlich daß wir alle die Grenze in ihrer jetzigen Gestalt als eine schmerzende Wunde empfinden. ({4}) Ich habe dieses Wort, dem ein Gedanke aus einer Predigt des Dresdener Landesbischofs Hempel zugrunde liegt, zuletzt beim Besuch des Volkskammerpräsidenten Sindermann in einer Rede aufgegriffen. Mit dem vollen Wortlaut der Rede war auch diese Bewertung am nächsten Tag im „Neuen Deutschland", im Zentralorgan der DDR, zu lesen, ein Vorgang, den ich nicht überschätzen will, aber den die meisten von uns, den auch ich vor wenigen Jahren noch kaum für möglich gehalten hätte und den ich deshalb ausdrücklich vermerke - mit Freude und Genugtuung vermerke. ({5}) Auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik, Herr Bundeskanzler, wäre, falls es Sie interessiert, noch mehr Gemeinsamkeit wünschenswert und auch möglich. ({6}) Wir hätten beispielsweise im letzten Jahr ebenso wie im Jahr 1985 erneut eine gemeinsame Entschließung mit sehr breiter Mehrheit verabschieden können. Der Text dieser Entschließung war ausgehandelt und vereinbart. Die Verabschiedung ist nicht an uns, sie ist an Ihnen gescheitert, nicht einmal an Ihnen selbst, Herr Bundeskanzler, sondern am Veto der Gruppe in der Unionsfraktion, die im unionsinternen Sprachgebrauch als Stahlhelmgruppe bezeichnet wird. ({7}) - Lesen Sie den Brief des Kollegen Klein ({8}) an die Mitglieder Ihres außenpolitischen Arbeitskreises. Das ist die Urfundstelle für diese Bezeichnung. ({9}) Die gemeinsame Entschließung ist gescheitert, weil diese Gruppe Gedanken nicht zustimmen wollte, die in der großen Rede vom 8. Mai 1985 von diesem Pult aus gesprochen worden sind, ({10}) aber auch, weil diese Gruppe Formulierungen nicht hinnehmen wollte, die Sie selbst, Herr Bundeskanzler, mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR anläßlich Ihrer Moskauer Begegnung vom 12. März 1985 in eine gemeinsame Erklärung aufgenommen haben. Es ist ein Beispiel für eine merkwürdige Doppelgleisigkeit der Politik, daß Sie diesen Satz heute in Ihrer Rede wieder wörtlich zitieren, aber nachher von Ihnen und Ihrer Fraktion die Aufnahme gerade dieses Satzes in die Entschließung in namentlicher Abstimmung abgelehnt werden wird. ({11}) Wir bedauern das. Wir halten das für wenig verantwortlich. Die Gruppe, von der ich spreche, spielt auch sonst immer wieder eine unheilvolle Rolle. Sie gibt durch ihr Gerede über die Vorläufigkeit der polnischen Westgrenze immer wieder dem düsteren Schlagwort vom angeblichen Revisionismus Nahrung und beschädigt damit, Herr Bundeskanzler, gerade die historische Leistung der deutschen Vertriebenen, die Sie zu Recht gewürdigt haben. ({12}) Sie hat im Jahr 1984 versucht, durch geringschätzige Außerungen den beabsichtigten Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR zumindest zu erschweren. Diese Gruppe hindert durch ihr Veto die Mehrheit des Deutschen Bundestages, bestehend aus den Fraktionen der FDP, der SPD und der GRÜNEN, bis zum heutigen Tag, offizielle Beziehungen zur Volkskammer aufzunehmen. ({13}) Neuerdings stört diese Gruppe mit unsachlicher Kritik sogar den Abrüstungsdialog der Supermächte, der nach dem Genfer Treffen mühsam genug in Gang gekommen ist. Das ist schlimm genug. Noch schlimmer aber ist, daß Sie, Herr Bundeskanzler, nicht die Kraft haben, diese Gruppe zur Vernunft oder wenigstens zur Ruhe zu bringen. ({14}) Der Fortgang des Normalisierungsprozesses stockt, weil ein uneinsichtiger und in der geschichtlichen Entwicklung weit zurückgebliebener Flügel in der Union das Sagen hat ({15}) und Sie sich dem leider immer wieder beugen. ({16}) Der Normalisierungsprozeß stößt auch auf Hindernisse, weil Sie, Herr Bundeskanzler, sich trotz unserer Warnungen und auch der Warnungen aus der Fraktion der FDP auf das SDI-Abenteuer eingelassen haben. ({17}) Herr Bundeskanzler, wenn nur ein Teil von dem stimmt, was in den letzten Tagen über den Stand der Verhandlungen mit der US-Administration bekannt geworden ist, dann stehen Sie hier inzwischen vor einem Scherbenhaufen. Dann haben Sie inzwischen das Kunststück fertiggebracht, sowohl die Sowjetunion als auch die amerikanische Administration zu verärgern. Und von Verbesserungen des zivilen Technologietransfers kann wohl überhaupt keine Rede sein. ({18}) Sie werfen uns, Herr Bundeskanzler, Nebenaußenpolitik oder Nebendeutschlandpolitik vor, und Sie haben das auch heute wieder getan. ({19}) Das ist ein ganz unsinniger Vorwurf. Wir ergreifen doch nur dort und deshalb die Initiative, wo Sie dazu, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage und nicht handlungsfähig sind. ({20}) Wir haben die Deutschlandpolitik - das ist ein Faktum der Geschichte, das auch in Ihrem Geschichtsmuseum dargestellt wird - gegen Ihren erbitterten Widerstand durchgesetzt. ({21}) Sie ist - lassen Sie mich das mit vollem Ernst sagen - für uns Sozialdemokraten zu einem Stück unserer Identität geworden. Wir lassen nicht zu, daß sie jetzt, gerade nach der Begegnung von Genf, stagniert. Wir lassen nicht zu, daß Chancen und Möglichkeiten ungenutzt bleiben. Herr Bundeskanzler, es geht doch nicht um Kumpanei mit der SED oder um die Interessenvertretung der DDR, wie Ihre Freunde in gehässiger Geschmacklosigkeit sagen. ({22}) Und - da stimme ich mit Ihnen überein - es geht erst recht nicht um einen Sonderweg in den Neutralismus. Wir Sozialdemokraten wissen, daß ein solcher Sonderweg die Stabilität im Herzen Europas nicht erhöhen, sondern vermindern und den Frieden nicht sicherer machen würde. Deswegen lehnen wir ihn ab. ({23}) Uns geht es um die Lebensbedingungen deutscher Menschen in den beiden deutschen Staaten und um die Sicherung des Friedens in Europa und in der Welt. Was war eigentlich dagegen einzuwenden, daß wir den Präsidenten der Volkskammer als solchen, als Präsidenten der Volkskammer, eingeladen haben? Sie konnten oder wollten ihn doch offenbar nicht einladen. Darum haben wir es getan. ({24}) - Ja warum haben Sie ihn denn nicht eingeladen? ({25}) - Einigen Sie sich mit Ihren Zwischenrufen erst einmal untereinander, was nun eigentlich gelten soll; die Koordinierung läßt sehr zu wünschen übrig. ({26}) Aber es kommt j a für Sie in letzter Zeit ein bißchen dicke; da gebe ich zu, es ist schwierig. ({27}) Sie haben dann - und das war gut so -, Herr Bundeskanzler, die durch uns geschaffenen Gesprächsmöglichkeiten gerne und intensiv genutzt. Manchmal hatten wir geradezu Mühe, daß wir unseres Gastes zwischendrin wieder habhaft wurden. ({28}) Dieser Besuch hat doch auch die Voraussetzungen für den auch von Ihnen gewünschten Besuch des Staatsratsvorsitzenden deutlich verbessert. Warum bringen Sie es da eigentlich als Bundeskanzler des ganzen deutschen Volkes - des ganzen deutschen Volkes - nicht über sich, diese Initiative, die Ihnen so nützlich war, wenigstens im nachhinein anzuerkennen und mit einem Satz zu bedenken? ({29}) Ist das nicht für den Bundeskanzler des ganzen deutschen Volkes ein bißchen eng? ({30}) Oder die chemiewaffenfreie Zone in Mitteleuropa! Die Vereinigten Staaten - und Herr Dregger versichert uns das immer wieder aufs neue - wollen ihre chemischen Waffen ohnehin aus der Bundesrepublik abziehen und neue jedenfalls nicht hier bei uns stationieren. Was spricht denn dann eigentlich gegen den Versuch, daß auch die sowjetischen Bestände aus der DDR und der Tschechoslowakei abgezogen werden? Wir sind doch auch hier nur aktiv geworden, weil Sie untätig bleiben. ({31}) Die Gespräche am Rande von Genf, also der großen Genfer Veranstaltung der Vereinten Nationen, nicht der Genfer Gespräche der beiden Supermächte über Abrüstungsmaßnahmen, zwischen Vertretern Ihrer Regierung und der DDR-Regierung und der CSSR-Regierung über dieses Thema sind doch erst nach und infolge unserer Initiative begonnen worden. Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren von der Union - bei der FDP wird man wahrscheinlich eher in unsere Richtung denken -, ich sage Ihnen voraus: Genauso wie beim Grundlagenvertrag, wie bei den Ostverträgen und bei der Schlußakte von Helsinki werden Sie eines Tages auch den Gedanken der chemiewaffenfreien Zone akzeptieren. Auch hier werden Sie nur verzögern, nicht aber auf Dauer verhindern können, was vernünftig ist. ({32}) Oder die Städtepartnerschaften! Es ist doch gut, daß Ministerpräsident Lafontaine und die Sozialdemokraten in Saarlouis die Initiative ergriffen haben. Wer hindert Sie denn, ein Gleiches zu tun? Ihre Leute sind doch mindestens so oft in Ost-Berlin wie die unseren. ({33}) Nein, meine Damen und Herren von der Koalition, es lag in deutschem Interesse, daß wir gehandelt haben. Verlassen Sie sich darauf, wir werden auch künftig auf diesem Felde nicht untätig bleiben. ({34}) Wir werden, weil es vernünftig ist, weiter für eine einvernehmliche Lösung der Elbe-Frage eintreten, die auch den Belangen der Ostseefischerei Rechnung trägt. Wir werden das unsere tun, damit die Erfassungsstelle Salzgitter im Zuge der weiteren Normalisierung aufgelöst wird. In einem Moment klarer Erkenntnis hat das j a sogar Ihr Parlamentarischer Staatssekretär Hennig der Öffentlichkeit in einem Interview als seine Meinung mitgeteilt. Er wurde dann allerdings zur Ordnung gerufen. Wir werden schon im Blick auf Berlin an der im Grundgesetz verankerten Regelung der Staatsangehörigkeit festhalten. Aber wir werden immer wieder deutlich machen, daß wir die DDR-Staatsbürgerschaft respektieren und niemandem Rechte aufdrängen, der sie nicht selbst in Anspruch nehmen will. ({35}) Was immer Sie rufen, was immer Sie sagen: Wir werden weiter sondieren, was die beiden deutschen Staaten in ihren Bündnissen tun können, um den Frieden sicherer zu machen. ({36}) Deshalb sprechen wir auch mit den politischen Repräsentanten der DDR über den Vorschlag des ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme, entlang der Bündnisgrenze einen atomwaffenfreien Streifen einzurichten. Meine Damen und Herren, eines ermordeten Staatsmannes von Weltrang gemeinsam in Trauer zu gedenken ist eine gute Sache; eine Idee, die er als Vermächtnis hinterlassen hat, aufzugreifen und zu helfen, sie zu verwirklichen, ist unsere zusätzliche Intention. ({37}) Natürlich handeln wir dabei nicht anstelle der Regierung. Wir schließen auch keine Verträge. Das wollen und können wir gar nicht. Aber wir halten Dinge im Fluß, die sonst stagnieren, die sonst erstarren würden. Weil die Sorge auch in Ihrer Erklärung anklang: Wir verschenken auch nichts. Um die Realisierung unserer Wünsche an die DDR zu fördern, beschäftigen wir uns auch mit ihren Wünschen. Das ist der Umgang unter erwachsenen Staaten, den wir j a auch sonst pflegen. Für uns stehen dabei - ich sehe hier weitgehend Übereinstimmung - im Vordergrund: erweiterte Reisemöglichkeiten aus der DDR; die ganz schwierige Frage der Besuchsmöglichkeiten für solche, die legal aus der DDR zu uns übergesiedelt sind, bei ihren weiterhin in der DDR wohnhaften Familienangehörigen - ein ganz schwieriges Kapitel -; die Verringerung der sogenannten Kontaktverbote, die - gemessen an dem, was üblicherweise auf diesem Sektor gilt - sehr weit ausgedehnt, j a überdehnt sind; die Verbesserung der Verkehrsverbindungen und die volle Einbeziehung West-Berlins auch in die 1984 verbesserten Reiseregelungen; ferner die Fragen des Umweltschutzes. Wir wissen: All das, was die Menschen in der DDR mühsam genug und langsam genug, aber als Fortschritt, als Lockerung, j a als ein Stück Emanzipation empfinden, ist doch nicht in den Zeiten der Konfrontation, der gegenseitigen Abschließung, in den Zeiten des Kalten Krieges erreicht worden. Das ist doch erreicht worden, seitdem wir beiderseits aufeinander zugehen, seitdem wir gelernt haben, vernünftige Kompromisse zu schließen, und seitdem wir daran arbeiten, Feindbilder und Gefühle des Hasses abzubauen und zu beseitigen. ({38}) Diesen Weg müssen wir weitergehen. Nur auf diesem Weg können wir das bewahren und weiter festigen, was die Menschen in beiden deutschen Staaten über die Grenzen hinweg verbindet, nämlich die Gemeinsamkeit der Geschichte, der Kultur, der Sprache und des Gefühls. Aus diesen vier Gemeinsamkeiten lebt die Gemeinschaft, die alle Völker - auch das unsere - mit dem Begriff der Nation umschreiben. Ohne daß diese vier Gemeinsamkeiten lebendig bleiben, verblaßt der Begriff der Nation zu einem papierenen Begriff, der sich dann auch mit Paragraphen nicht mehr am Leben halten läßt. ({39}) Auf diesem Hintergrund ist der Streit darüber, welche Antworten die Geschichte auf die deutsche Frage in der weiteren Zukunft einmal im einzelnen geben wird, im gegenwärtigen Zeitpunkt müßig, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Sie erheben - auch heute klang es wieder an - in diesem Zusammenhang gern polemische Vorwürfe gegen uns. Sie tun so, als ob wir das Grundgesetz in Frage stellen. ({40}) Das ist abwegig. ({41}) Das ist auch nicht redlich. Sie sollten sich lieber um den Streit in Ihren eigenen Reihen kümmern. ({42}) Da meint Herr Dregger, es werde eines Tages wieder einen deutschen Nationalstaat geben. Dagegen hat Herr Strauß mehr als einmal gesagt er könne sich unter den gegebenen und vorausschaubaren Umständen und den möglichen Entwicklungen und Entwicklungslinien nicht vorstellen, daß wieder ein gesamtdeutscher Staat entsteht. Das Zitat steht gerne zur Verfügung. Er hat es oft und oft gesagt. Also: Dregger so, Strauß so. Herr Strauß ist gelegentlich sogar noch weiter gegangen und hat ausdrücklich eine Lösung nach österreichischem Muster für möglich erklärt. ({43}) Ich halte solche Auseinandersetzungen bei allem Respekt vor den Ansichten des Herrn Strauß, dem recht zu geben, wo er recht hat, ich auch sonst durchaus bereit bin, in Anbetracht der Realitäten für ausgesprochen akademisch. ({44}) Nur, wer in seinen eigenen Reihen die Meinung eines bayerischen Ministerpräsidenten Strauß, er könne sich Entwicklungen und Entwicklungslinien nicht vorstellen, daß ein gesamtdeutscher Staat wiederersteht und daß österreichische Lösungen in bezug auf die DDR möglich sind, schweigend übergeht, der macht sich lächerlich, wenn er Äußerungen irgendwelcher kleineren sozialdemokratischen Gruppen zum Gegenstand großer Auseinandersetzungen macht. Das ist einfach abwegig. ({45}) Viel wichtiger ist, daß wir an dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts festhalten. Viel wichtiger ist, daß wir im Sinne der Schlußakte von Helsinki unablässig für die Menschenrechte eintreten und daß wir nicht Mögliches versäumen, weil wir Unmögliches in den Vordergrund rücken. Zum Möglichen und Notwendigen gehört auch, daß wir die DDR, die Deutsche Demokratische Republik, ernstnehmen, ({46}) daß wir uns mit ihren Erfahrungen, ihren Entwicklungen und den Lösungen beschäftigen, die dort für Probleme gefunden werden, die auch uns bedrängen, daß wir die Lebensweise und die Auffassungen der Menschen in der DDR zu verstehen versuchen, daß wir den nicht einfachen, aber intensiver werdenden Dialog zwischen den Kirchen und der Führung der DDR mit Aufmerksamkeit verfolgen, daß wir auch die neuen Töne und Zwischentöne drüben nicht überhören ({47}) und daß wir das Selbstbewußtsein derer nicht unterschätzen, die auf ihre Leistungen und Erfolge in manchen Bereichen nicht weniger stolz sind als wir auf die unseren. ({48}) Wer vor dem Schauspielhaus die Wiedergestaltung des historischen Kerns von Berlin gesehen hat, wer in vielen Städten der DDR sieht, wie die alten Kirchen wieder in ihrem ursprünglichen Zustand erstehen, der weiß, welche Art von Selbstbewußtsein ich mit dieser Aussage auch meine. Zum Möglichen und Nötigen gehört auch die weitere Solidarität mit Berlin, mit der Stadt, in der sich unverändert die Lasten, aber auch die Chancen unserer jüngeren Geschichte bündeln, einer Stadt, der nicht mit markigen Worten und schon gar nicht mit der Konservierung von Denkweisen gedient ist, die als Antwort auf die Blockade und auf den 13. August 1961 verständlich waren, jetzt aber zu einem mit Selbstisolierung einhergehenden Realitätsverlust führen. Die 750-Jahr-Feier ist ein besonderer Prüfstein. Wir sind hier und in Berlin zur Kooperation bei den Vorbereitungen bereit, zu Vorbereitungen - das ist für uns wichtig -, die nicht vergessen, daß das historische, das älteste Berlin jenseits der Mauer liegt, woraus sich allein schon die Notwendigkeit zu einem möglichst intensiven Meinungsaustausch und Informationsaustausch ergibt. In diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, haben Sie die Initiativen der Bundesregierung zur Errichtung eines Hauses der Geschichte in Bonn und zur Einrichtung eines deutschen historischen Museums in Berlin angesprochen. Wir haben gegen diese Vorhaben keine grundsätzlichen Bedenken. Nach dem bisherigen Gang der Vorbereitungen erscheint uns aber die notwendige Offenheit beider Institutionen für alle Aspekte der deutschen Geschichte weder konzeptionell noch personell gewährleistet. Es handelt sich bislang auch nahezu ausschließlich um Regierungsinitiativen, die an den übrigen Verfassungsorganen, insbesondere am Deutschen Bundestag, vorbeilaufen. ({49}) Die Darstellung unserer Geschichte ist aber ein Politikum von höchstem Rang und kann schon deshalb nicht einfach der Exekutive überlassen werden. ({50}) Ich rate, die übrigen Verfassungsorgane, insbesondere den Bundestag, aber auch, der Länder wegen, den Bundesrat und auch den Bundespräsidenten, dessen Funktion in dieser Beziehung doch auch von Belang und Bedeutung ist, stärker zu beteiligen. Und ich warne davor, den bisherigen Kurs fortzusetzen und mehr und mehr vollendete Tatsachen zu schaffen. Sonst könnte das, was als eine gemeinsame Darstellung unserer gemeinsamen Geschichte einen guten Sinn hätte, zum Gegenstand einer bitteren und belastenden Auseinandersetzung werden. Herr Bundeskanzler, wiederholen Sie nicht die schweren Belastungen, die jeder, wo er auch stand, im Zusammenhang mit Bitburg durchzumachen hatte, ein weiteres Mal auf diesem Gebiet. Es wäre ein schlechter Dienst. ({51}) Wir sind geneigt, bei der Erörterung der Lage der Nation vor allem das zu diskutieren, woran es, gemessen an unseren Maßstäben, im anderen deutschen Staat mangelt. ({52}) Dagegen ist nichts einzuwenden. Es wäre allerdings noch glaubwürdiger, wenn wir auch auf unsere eigenen Defizite bei der Erörterung der Lage der Nation eingingen, ({53}) zumindest auf die, die für die Lage der Nation Gewicht haben. Und an denen fehlt es doch bedauerlicherweise nicht. Keiner von uns Sozialdemokraten und, ich meine, auch sonst, schätzt die Freiheitsrechte, die rechtsstaatlichen und sozialen Garantien gering, deren wir uns in unserem Gemeinwesen erfreuen. Und weil von Geschichte die Rede war, Herr Bundeskanzler: Nehmen Sie zur Kenntnis: Für diese Rechte und diese Garantien haben Sozialdemokraten über ein Jahrhundert gekämpft, erst gegen die Konservativen und dann gegen totalitäre Kräfte. ({54}) Wir wissen heute wie vor 40 Jahren in den Tagen der Zwangsvereinigung, daß es zwischen der SED und uns Sozialdemokraten unvereinbare Grundpositionen gibt. Wir brauchen da keine Belehrungen - und von Ihnen schon gar nicht. ({55}) Aber bei aller Freude über die Vorzüge unserer Gesellschaftsordnung, bei allem Stolz auf Leistungen und Errungenschaften: Es gibt doch auch bei uns Zustände, die mit unseren eigenen Prinzipien schwer oder gar nicht vereinbar sind und die auch zur Lage der Nation gehören, ({56}) z. B. die fortdauernde Massenarbeitslosigkeit, die immer mehr Menschen verzweifeln läßt und die sie an der vollen Wahrnehmung der Rechte und Freiheiten hindert, die unsere verfassungsmäßige Ordnung gewährleistet, ({57}) oder die bitteren sozialen Ungerechtigkeiten oder den schweren Sozialkonflikt um den § 116, der uns gerade jetzt so sehr bedrängt und der nicht von den Gewerkschaften, sondern von denen ausgelöst wurde, die diesen Paragraphen ändern wollen. ({58}) Es gibt antisemitische und ausländerfeindliche Tendenzen, die keine Bagatellisierung vertragen und die den Bundespräsidenten erst vor wenigen Tagen zu einer sehr ernsten öffentlichen Mahnung veranlaßt haben. Es gibt das Phänomen, Herr Bundeskanzler, daß über 2 Millionen Menschen - so etwas hat es nach meiner Erinnerung, jedenfalls in der Geschichte der Bundesrepublik, aber wohl auch weit dahinter zurück, noch nicht gegeben - in knapp sechs Monaten das Buch „Ganz unten" von Wallraff gelesen haben und seine Schilderungen ganz offenbar nicht für ein bloßes Zerrbild, sondern zumindest partiell für die Spiegelung einer bedrükkenden Wirklichkeit halten. ({59}) Nicht ohne Selbstkritik füge ich hinzu: Es ist auch ein Phänomen, daß wir hier im Parlament über einen Text, der Millionen von Menschen beschäftigt, noch kein Wort verloren haben. ({60}) Das ist keine Kritik an Ihre Adresse. Das ist eine Frage, die auch zur Debatte über das Selbstverständnis dieses Parlaments gehört, darüber, was uns wichtig und was uns weniger wichtig ist. ({61}) Es gibt die anstößigen Verwachsungen von Geld und Politik, von denen gestern hier die Rede war und bei deren Bewertung ich denen recht gebe, die in der gestrigen Debatte nicht in erster Linie mit dem Finger jeweils auf andere gezeigt haben. ({62}) Es gibt die skandalösen Vorgänge in Berlin, bei denen das kriminelle Milieu in bedrückender Weise Einfluß auf die Politik genommen hat, Vorgänge, die viele von uns empören und wohl alle zumindest mit Sorge erfüllen, ({63}) Vorgänge, die im übrigen unsere politische Ordnung an einem besonders sensiblen Punkt auf eine sehr ernste Probe stellen. ({64}) Es wäre gut gewesen, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, neben den positiven Aspekten unserer Situation, die wir weiß Gott nicht bestreiten, auch das wenigstens mit einigen Worten angesprochen hätten, wenn Sie sich schon zum Thema „Lage der Nation" äußern. Wer geistige Führung ausüben, wer Orientierung geben will, der muß sich mit der ganzen Wirklichkeit auseinandersetzen; der darf den Blick gerade dann nicht verengen, wenn er von der Lage der Nation spricht. Wir Sozialdemokraten werden weiterhin das tun, was wir für unsere Pflicht halten, in Verantwortung für die Ordnung, die uns ebenso anvertraut ist wie Ihnen und nicht Ihnen gegen uns, sondern uns miteinander für unser Volk; ({65}) in Verantwortung für die Menschen in beiden deutschen Staaten und in Verantwortung für den Frieden. Wir haben die staatliche Einheit verloren, weil Hitler mutwillig den Frieden brach. Lassen Sie uns in dieser Generation mit dem Frieden die Chance für eine Zukunft bewahren, in der alle Deutschen in Grenzen miteinander leben, die nicht mehr trennen, sondern in Grenzen, die gliedern und die deshalb aufhören zu schmerzen und zu bluten. Ich danke Ihnen. ({66})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es klingt schon etwas makaber, Herr Kollege Vogel, wenn Sie von Flügeln sprechen, wenn man sich vorstellt, daß bei der SPD nur noch Flügel vorhanden sind, aber gar kein Rumpfkörper mehr vorhanden ist, wenn man die politische Landschaft betrachtet. ({0}) Sie brauchen sich um die außen- und deutschlandpolitische Handlungsfähigkeit der CDU/CSU-Fraktion überhaupt keine Sorgen zu machen. Überlegen Sie lieber selbst einmal, wie Sie mit Ihrer eigenen Identität zurechtkommen und was von der Außen-und Verteidigungspolitik von Helmut Schmidt in Ihrer Konzeption überhaupt noch übrig geblieben ist. ({1}) Vielleicht denken Sie einmal nach, warum ein so untadeliger Wissenschaftler wie Professor Kriele vor einigen Tagen aus Ihrer Partei nach langjähriger Zugehörigkeit ausgetreten ist. ({2}) Es gibt zwischen Ihnen und uns einen großen Unterschied in der Oppositionsstrategie: Als wir in der Opposition waren, haben wir Ihre Ost- und Deutschlandpolitik kritisch begleitet ({3}) und Ihnen damit im Grunde Handlungsmöglichkeiten gegenüber dem Verhandlungspartner geschaffen. ({4}) Sie hingegen betreiben die Politik, unsere Position zu kritisieren, der anderen Seite vorher entgegenzukommen und uns damit Spielraum zu nehmen. Damit schaden Sie den deutschen Interessen. ({5}) Ich frage Sie, Herr Kollege Vogel: Wer von uns hat eigentlich Feind- und Haßbilder aufgerichtet? Wenn Sie das der anderen Seite angesichts der Erziehung in ihren Schulen vorwerfen, ist das verständlich; ich kann mich aber nicht erinnern, daß bei uns von verantwortlichen Politikern Feind- oder Haßbilder aufgebaut worden wären. ({6}) Im übrigen kann ich Ihnen, Herr Kollege Vogel, nur raten, alle Reden von Strauß ganz und im Zusammenhang zu lesen. ({7}) - Das würde Ihnen nicht schaden! Wenn Sie Tag und Nacht die Reden von Strauß lesen würden, könnten Sie dazulernen, gar keine Frage! ({8}) Herr Kollege Vogel, ich kann mir vorstellen, daß es sich um die Rede handelte, die Ministerpräsident Strauß in der Serie in den Kammerspielen gehalten hat. Dort hat er wörtlich gesagt - ich zitiere -: Im Vordergrund unserer Bemühungen kann dabei für uns nicht die bloße Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaates unter allen Umständen stehen. Die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands ist für uns unlösbar verbunden mit der Frage nach Freiheit und Selbstbestimmung für alle Deutschen. ({9}) Im Vordergrund steht für uns daher die Forderung nach Gewährung des Selbstbestimmungsrechts und nach Wiederherstellung demokratischer Zustände in allen Teilen Deutschlands. Die Einheit der Nation darf nicht auf Kosten der Freiheit der ganzen Nation erreicht werden. ({10}) Das ist absolut richtig!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Vogel?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie mir zugeben, daß selbst Sie nicht in der Lage sind, jeweils alle Reden von Herrn Strauß zu verfolgen und im Kopf zu haben, und würden Sie - Dr. Waigel ({0}): Ich würde Ihnen das nicht zugeben! ({1})

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedaure, daß ich mit Ihnen jetzt nicht eine Wette eingehen kann; denn die würden Sie hoch verlieren. Aber würden Sie mir wenigstens zugeben, daß Herr Strauß zu diesem Thema auch folgendes wörtlich gesagt hat: Es mag ein Wunder geschehen, es mögen neue Entwicklungen eintreten, aber das ist ja alles dann politisches Kaffeesatzlesen. Ich kann mir unter den gegebenen und vorausschaubaren Umständen und den möglichen Entwicklungen und Entwicklungslinien nicht vorstellen, daß ein gesamtdeutscher Nationalstaat wiederentsteht, sei er auch neutralisiert, aber ungebunden. Würden Sie diesen Originalton Strauß anerkennen, Herr Kollege?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ohne weiteres! Ich habe das auch gehört, und es steht überhaupt nicht im Widerspruch zu dem, was ich zitiert habe, denn, Herr Kollege Vogel, er hat damit nichts anderes ausgedrückt, als daß ({0}) Veränderungen in Europa und natürlich auch in Deutschland heute und in der Zukunft weder durch Krieg noch durch Revolutionen denkbar sind, sondern daß evolutionäre Entwicklungen durch Geist, Technik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunikation stattfinden und daß für ihn nicht erst heute, sondern schon in den 50er Jahren die Freiheit absolute Priorität hatte ({1}) und die Freiheit vor allen anderen Werten rangiert. Wenn Freiheit gewährt ist, verlieren auch Grenzen und andere Dinge ihren furchtbaren Schrecken; darum geht es. ({2}) Herr Kollege Vogel, es war schon geschmacklos, das Thema „Massenarbeitslosigkeit" in eine Debatte über die Lage der geteilten Nation einzuführen ({3}) und dabei auf uns zu sehen, nachdem Sie durch eine liederliche, miserable Finanz- und Wirtschaftspolitik diese Massenarbeitslosigkeit herbeigeführt haben. ({4}) Ob es sehr geschmackvoll war, hier für Wallraff Buchwerbung zu betreiben, überlasse ich ebenfalls Ihrem persönlichen Urteil. ({5}) Die Frage ist auch, ob es Ihren Erfordernissen von politischer Kultur entsprach, hier das Thema „kriminelles Milieu in Berlin" einzuführen und eine Verbindungslinie zur Politik zu ziehen. Herr Vogel, überlegen Sie sich noch einmal gut, was Sie damit sagen wollten, auf wen Sie damit zeigen wollten ({6}) und was Sie damit angerichtet haben. Das ist eine ganz böse Unterstellung, die Sie hier subkutan versuchen. ({7}) Drei Jahre dieser Koalitionsregierung - das wird niemand leugnen können - sind drei Jahre erfolgreicher Deutschlandpolitik. Der Bundeskanzler hat in seiner ersten Regierungserklärung angekündigt, die Teilung Deutschlands und Europas für die Menschen erträglicher zu machen und gute Beziehungen zu unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa zu unterhalten, und diese Politik war erfolgreich. Ich nenne nur wenige Dinge: Form und Atmosphäre der Grenzkontrollen und des Abfertigungsverfahrens durch die DDR-Organe wurden nach unseren massiven Protesten verbessert. Die Todesautomaten und Minen sind abgebaut. 1984 und 1985 konnten jeweils Zehntausende von Landsleuten ihren Wunsch nach Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland verwirklichen, und so wird es auch 1986 wieder sein. Immer mehr Bürger reisen in die DDR, die Reisen von Schülern haben beachtlich zugenommen, und die DDR gestattet mehr Reisen zu uns. Beim Umweltschutz und im Postwesen sind erfolgreiche Vereinbarungen getroffen worden, weitere erfolgversprechende Verhandlungen wurden geführt. Die DDR ist bereit, zumindest auf Teilgebieten mit der Bundesrepublik Deutschland eine konstruktive Politik zu betreiben, und dabei haben wir von Anfang an klargemacht: Die beiden Staaten in Deutschland stehen in einem Sonderverhältnis zueinander. Der Auftrag des Grundgesetzes zur deutschen Einheit ist verpflichtendes, politisches, rechtliches und moralisches Gebot. Die Deutschlandpolitik der CDU/CSU ist am Recht orientiert, und die rechtlichen und politischen Grundlagen dieser Politik sind nicht disponibel. ({8}) Die deutsche Frage ist nicht nur theoretisch offenzuhalten, und die sogenannten Geraer Forderungen Honeckers sind unerfüllbar und nicht Gegenstand der Politik zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. ({9}) Das weiß die SED, und sie stellt sich darauf ein. Das ist das Tragische: Sie bedient sich daher in diesen Fragen der SPD. Bei seinem Besuch vor einigen Wochen äußerte Herr Sindermann öffentlich im Fernsehen, die Ge-raer Forderungen würden nach und nach verwirklicht werden, auch mit Hilfe der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, ({10}) in einigen Fragen, in denen sich auf diesem Gebiet doch große Übereinstimmung gezeigt hätte und die sehr nützlich sind. Kann es eigentlich Ihre Strategie sein, das, was nicht Gegenstand des Gesprächs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ist, von Ihnen aus einzuführen, um der anderen Seite hier Schützenhilfe zu leisten? ({11}) Das kann doch nicht eine wirkliche verantwortungsvolle Strategie einer verantwortungsbewußten Opposition in der Bundesrepublik Deutschland sein. ({12}) Das ist der Grund, weswegen wir Ihnen zu Recht und begründet vorwerfen, daß Sie damit zum Interessenvertreter der SED werden und den Boden deutschlandpolitischer Gemeinsamkeit der Demokraten verlassen. ({13}) - Das ist nicht bösartig, das ist die Wahrheit, und die Wahrheit tut manchmal weh. ({14}) Ich erinnere nur an einige Stationen, wo Sie die Gemeinsamkeit verlassen. Am 9. Februar 1984 faßten die SPD und die Koalitionsfraktionen hier im Bundestag gemeinsam eine Entschließung, in der es u. a. hieß: „Die deutsche Frage ist offen." Schon 1985 war die SPD nicht mehr in der Lage, diese Entschließung zu wiederholen. Meine Damen und Herren, wir haben deswegen keine neue Entschließung miteinander verabschiedet, weil wir nicht bereit sind, jedes Jahr einen neuen Wortlaut, neue Begriffe zu suchen. Wenn wir bei dem bleiben, was wir miteinander vereinbart haben, dann müssen Sie auch in der Lage sein, ein Jahr später zuzustimmen oder zu sagen, daß Sie Ihre Meinung zwischenzeitlich geändert haben. Nur darum geht es. ({15}) Später erklärten die Kollegen Apel und Bahr ausdrücklich, die deutsche Frage sei nicht mehr offen. Der Kollege Apel hat dafür die Quittung bei den Berliner Wahlen bekommen. Der SPD-Vorsitzende Brandt findet plötzlich das Wort „Wiedervereinigung" im Grundgesetz nicht und leugnet damit das Gebot unserer Verfassung zur deutschen Einheit. Der Kollege Schmude, damals noch stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, verlangte die Aufgabe des Wiedervereinigungsgebots der Präambel des Grundgesetzes, ({16}) und Ministerpräsident Lafontaine forderte die Abschaffung der gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit. Herr Kollege Vogel, Sie können doch nicht leugnen, daß der „Frankfurter Kreis", immerhin eine gewichtige Gruppierung in Ihrer Partei, vor vier Wochen verlautbart hat: Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands muß als Ziel aufgegeben werden. ({17}) - Es ist ein starkes Stück, das, was der „Frankfurter Kreis" gesagt hat, mit dem gleichsetzen zu wollen, was Franz Josef Strauß hier gesagt hat. ({18}) Das zeigt deutlich die fehlende Intellektualität, wenn Sie sich diesem Thema widmen, ({19}) und daß Sie unfähig sind, überhaupt zu begreifen, was sich hier vollzieht. ({20}) Aus diesen Mosaiksteinen setzt sich das wahre Bild der Deutschlandpolitik der SPD zusammen. Da helfen keine Beschönigungen oder kurze Korrekturen von Glotz, Rau oder wem auch immer. Sie verletzen damit den Verfassungsauftrag zur deutschen Einheit. Sie leugnen das Sonderverhältnis, das die beiden Staaten in Deutschland zueinander haben, und Sie gefährden die gemeinsame deutsche Staatsangehörigkeit. Das verharmlosende Gerede von einer sogenannten Respektierung der Staatsbürgerschaft der DDR ändert daran nichts. Das Zentralkomittee der SED hat vor einem Jahr unmißverständlich gesagt, was „Respektierung" der Staatsbürgerschaft der DDR bedeuten soll: Anerkennung einschließlich der Änderung unseres Grundgesetzes. - Meine Damen und Herren, das ist für uns nie und nimmer akzeptabel. ({21}) Wir würden sonst unseren Landsleuten die Möglichkeit nehmen, außerhalb der DDR die Fesseln des SED-Regimes abzustreifen, und wir würden die Berliner letztlich zu Staatenlosen machen. Das wissen Sie, und deswegen müßten Sie sich der Gefahr dieser Formulierung bewußt sein. ({22}) Wem soll eigentlich die Forderung der SPD nach Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter dienen? ({23}) Salzgitter war 1961 die unmittelbare Folge der Mauer. Seit 25 Jahren droht unseren Landsleuten in der DDR bei Fluchtversuch Tod durch Erschießen. Die Stelle in Salzgitter ist eine ständige Mahnung und Warnung an die DDR. Wir finden uns mit dem Schießbefehl und dem Unrecht, das täglich auf deutschem Boden geschieht, nicht ab. Nur die DDR selbst kann Salzgitter überflüssig machen - durch Humanisierung der Grenzen und durch die Beendigung von Unrecht und Gewalt. ({24}) Merkwürdig und zwiespältig ist auch die Haltung der SPD gegenüber den Vertriebenen. Die Vertriebenen und ihre Verbände haben in den zurückliegenden Monaten und Jahren wiederholt die Mißachtung der SPD zu spüren bekommen. Dagegen verwahren wir uns. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die Vertriebenen-Charta von 1950 ist ein Dokument menschlicher und politischer Größe, eine Absage an Gewalt, Bekenntnis zum Heimatrecht und zu einem geeinten Europa. Das sind legitime Anliegen, da die deutsche Frage eine europäische Frage ist, die nur im Rahmen der Überwindung der europäischen Teilung gelöst werden kann. Ich erinnere an das Beispiel, das die Ackermann-Gemeinde als Vertretung der sudetendeutschen Katholiken gesetzt hat, als sie sich zum 40. Jahresgedenken von 1945 gemeinsam mit dem „Opus Bonum" als Vertretung der tschechischen Katholiken verpflichtete, eine Friedensordnung auf Recht und Wahrheit aufzubauen. ({25}) Wer dies alles objektiv verfolgt, wird die Vertriebenen und ihre Verbände nicht diffamieren dürfen, wie dies in den letzten eineinhalb Jahren von verschiedenen Seiten leider geschehen ist. ({26}) Die europäische und die deutsche Teilung sind nicht endgültig. Auch unsere Verbündeten in Paris, in London und in Washington finden sich mit der europäischen und deutschen Spaltung nicht ab. Amerikanische Kongreßabgeordnete haben vor kurzem in Ost-Berlin den Abriß der Mauer gefordert. Am 14. Dezember 1985 erklärte der amerikanische Außenminister Schultz in Berlin: Europa, Deutschland und Berlin sind immer noch geteilt. Diese künstlichen Teilungen sind selbst eine Spannungsquelle. Ein Grundbestandteil der Friedenssuche des Westens muß der Versuch sein, diese Teilungen zu überwinden. Doch solange sie fortbestehen, sind die westlichen Verbündeten bereit, ihre Funktion weiter auszuüben und in Berlin als Treuhänder der geteilten deutschen Nation zu handeln. Durch die Erhaltung der Freiheit in Berlin liefern wir den Beweis unserer Verpflichtung für die Freiheit in ganz Europa. Wir danken dem amerikanischen Außenminister für diese klaren Worte. ({27}) Freiheit in Frieden ist die Voraussetzung für das Selbstbestimmungsrecht und damit die Überwindung der europäischen und deutschen Spaltung. Mit den Ost-Verträgen hat die Bundesrepublik Deutschland einen Modus vivendi zu den kommunistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa hergestellt. Die Verträge sind nach den Aussagen der damaligen Partner und Unterhändler Gewaltverzichtsverträge, die nicht unser Recht, unsere Verpflichtung und unseren Willen berühren, die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit anzustreben. ({28}) Dazu gehört auch ein Friedensvertrag mit dem gesamten Deutschland. Es ist daher überflüssig, bei uns und gegenüber den kommunistischen Staaten ständig neue Debatten über die Grenzen Deutschlands zu führen. Überflüssig und schädlich sind auch die Versuche der SPD, in Geheimverhandlungen auf Parteiebene mit der SED und anderen alleinherrschenden Einheitsparteien des Ostblocks sogenannte Abkommen über Atomwaffen und C-waffenfreie Zonen und anderes zu inszenieren. ({29}) Das Vorgehen der SPD ist eine politische Anmaßung und schadet den deutschen Interessen. ({30}) Nur Regierungen können Abkommen schließen und zur Verantwortung gezogen werden. Das Vorgehen der SPD ist mit den Bündnispartnern nicht abgestimmt und geeignet, die deutsche Stellung im Bündnis zu schwächen. Der Berliner Professor Schwan, früher Mitglied der SPD, hat dies als Geheimpolitik von Funktionärsklüngeln und als einen Skandal für unsere politische Kultur bezeichnet. ({31}) Entlarvend ist j a eine Meldung der „Frankfurter Rundschau", die Ihnen nicht so ganz fern steht, vom 11. März 1986 unter der Überschrift: „SPD kappt Kontakte zur SED aus wahltaktischen Gründen". ({32}) Diesem Bericht zufolge hat das SPD-Präsidium Ende Februar eine Unterbrechung dieser Kontakte beschlossen, weil sonst in der Offentlichkeit die Trennungslinie zwischen SPD und SED verwischt werden könnte. ({33}) Der Vorschlag, die sogenannten Abrüstungsgespräche zwischen SPD und SED zu unterbrechen, soll auf Forderungen der Berater von Johannes Rau zurückgehen, damit die Nebenaußenpolitik der SPD nicht zum Wahlkampfthema wird. Das zeigt, wie es um die moralischen Ansprüche des SPD-Kandidaten Rau bestellt ist: Taktik statt Wahrheit und Klarheit. ({34}) Für wen spricht der Kandidat Rau eigentlich, wenn er in Washington Bekenntnisse zur NATO abgibt, während seine SPD den Kurs des Neutralismus zunehmend ansteuert? ({35}) Statt ihrer Lebenslüge einer sogenannten Sicherheitspartnerschaft mit dem Warschauer Pakt nachzuhängen, sollte sich die SPD mehr auf die Beseitigung der Ursachen der Spannungen konzentrieren. Die wesentlichen Ursachen der Spannungen in Europa liegen in der Unvereinbarkeit von Freiheit und Diktatur und in der Mißachtung der Menschenrechte im kommunistischen Machtbereich. Nur die Völker, die ihre Geschicke selbst bestimmen, können auch ihren Friedenswillen in die Tat umsetzen. Selbstbestimmung schafft Frieden und ermöglicht Abrüstung. Wer den Frieden wirklich fördern will, muß für die Verwirklichung der Menschenrechte eintreten. Wie vereinbaren sich beispielsweise die politischen Gefangenen in Bautzen, Hoheneck und anderen Haftanstalten der DDR mit der Aussage des Kremlchefs Gorbatschow auf dem 27. Parteitag der KPdSU von der „Lösung in humanitären und positivem Geist von Fragen der Wiedervereinigung von Familien, der Eheschließungen, der Entwicklung von Kontakten zwischen Menschen und Organisationen"? Die Botschaft allein genügt uns nicht. ({36}) Wir erwarten konkrete Taten für unsere Landsleute in Mitteldeutschland und in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße. ({37}) Uns obliegt die Aufgabe, den Anspruch der Deutschen auf Wiederherstellung der staatlichen Einheit lebendig zu halten, solange sich Moskau weigert, die fortbestehende Einheit der deutschen Nation als Realität anzuerkennen. Die Bundesrepublik Deutschland hält an ihrem Ziel fest, eine dauerhafte Friedensordnung in Europa zu schaffen, in der auch die offene deutsche Frage einer gerechten Lösung zugeführt werden kann. Wir müssen für eine Politik der Stetigkeit und des langen Atems gerüstet sein. Richtschnur können uns die Worte des israelischen Ministerpräsidenten Peres sein, die er kürzlich angesichts der Berliner Mauer gesprochen hat: „Mauern kommen, Mauern verschwinden, der menschliche Geist aber bleibt." Mauern seien nicht stark genug, die Menschen zu trennen. „Wir müssen auf die Wurzeln sehen und nicht auf das, was vergänglich ist." Und Reiner Kunze, der Dichter, der beide deutsche Seiten kennt, schreibt: „Ich bin ein Deutscher. Die Grenze, die Deutschland teilt, ging und geht durch mich hindurch, solange sie und ich existieren werden." Jede Begegnung mit den Menschen im anderen Teil Deutschlands, jeder Besuch dort zeigt, daß die Menschen einem Volk angehören und ihr Denken, Fühlen und Hoffen auf uns gerichtet sind. Sie erwarten von uns eine glaubwürdige Politik, treuhänderisch auch für ihre Anliegen. Wir leisten unseren Beitrag für alle Menschen in Deutschland, wenn wir unbeirrt Freiheit fordern und verteidigen, Frieden fördern und bewahren, Recht und Gerechtigkeit verwirklichen und die Einheit Deutschlands nicht aus den Augen verlieren. ({38}) Die CDU/CSU-Fraktion dankt der Bundesregierung und dem Bundeskanzler. Wir unterstützen Sie in Ihrer erfolgreichen Politik für Deutschland. ({39})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wenn es alljährlich um den Bericht zur Lage der Nation geht, dann versuchen Regierung und Koalition regelmäßig, in diesem Hause ein Stück Nationalfeiertagsatmosphäre zu verbreiten. ({0}) - Wenn Sie sehr richtig sagen: Nach einer Stunde ist der Saal so voll oder leer wie eh und je. Ich finde, das ist ein schwaches Bild für einen von Ihnen gewünschten Nationalfeiertag. ({1}) Der Bericht des Bundeskanzlers war wie in den vergangenen Jahren gekennzeichnet durch jene eigentümliche Mischung aus Sonntagsrede und Arbeitsprogramm, aus deutschlandpolitischer Erfolgsbilanz und markigen Sprüchen. Wir GRÜNEN gewinnen immer mehr den Eindruck, daß Bundesregierung und Koalition uns eine Deutschlandpolitik der gespaltenen Zunge präsentieren: Herr Genscher - auch schon weg, wenn ich das richtig sehe - verkörpert den Bundesminister für Kontinuität der Politik der 70er Jahre, Herr Rühe markiert die Bindungswirkung der Verträge, Herr Dregger hält die Rechtsansprüche der Vertriebenenverbände aufrecht, ({2}) und der Präsident des Bundes der Vertriebenen hat gerade heute morgen eine Presseerklärung herausgegeben mit dem Tenor: Es gibt keine verbindlichen Nachkriegsgrenzen. ({3}) Hingegen wird der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen zum Spezialisten für Erfolge im Alltagsgeschäft aufgebaut, und über allem schwebt - vielleicht auch: wackelt - der Bundeskanzler und tut so, als hätte die Bundesregierung ein wirkliches Konzept für den Dialog zwischen den beiden deutschen Staaten. Wir haben heute morgen zur Kenntnis nehmen müssen: Dem ist nicht so. ({4}) Meine Damen und Herren, alle salbungsvollen und beschwörenden Worte, die hier heute über die Einheit der Nation gefallen sind, können doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in den Grundfragen des deutsch-deutschen Verhältnisses in den letzten Jahren keinerlei Fortschritt gegeben hat. Wir stellen überhaupt nicht in Frage, daß es auch unter dieser Regierung - abseits von ideologischen Scheuklappen - hier und da praktische Verbesserungen gegeben hat. Doch der Zustand in den deutsch-deutschen Beziehungen ist und bleibt eine Hängepartie, und dafür trägt die Regierung mit ihrer realitätsfremden und in Teilen auch friedensgefährdenden Politik des Offenhaltens der Deutschen Frage die Hauptverantwortung. ({5}) Ich möchte das ausführlich erläutern: Solange jener deutsch-nationale Grundzug die Deutschlandpolitik der Bundesregierung mitbestimmt, der auf der Basis eine Fortexistenz des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 im Grunde die Eingemeindung der DDR als zwölftes Bundesland anstrebt und auf dieser Basis die Wiedervereinigung Deutschlands propagiert, bleiben alle Bekundungen von einer neuen europäischen Friedensordnung und einer Normalisierung der Beziehungen zur DDR hohl. Ich möchte für uns GRÜNE in dieser Debatte drei Thesen aufstellen und erläutern, die gewissermaßen unser Kontrastprogramm zur Politik der Bundesregierung sind. ({6}) Erstens. Unsere Verfassungsmütter und -väter waren von dem Willen beseelt, die nationale und staatliche Einheit der Nation zu wahren. Sie gingen 1949 davon aus, Weichenstellungen für eine Übergangszeit vorzunehmen. Heute ist es an der Zeit, den Selbstbetrug gesamtdeutscher Identität und Perspektive zu beenden. ({7}) Die Selbstanerkennung der Bundesrepublik ist für uns die Grundlage für die Beziehungen zur DDR. ({8}) Zweitens. Wir treten für die vollständige Gleichberechtigung zwischen Bundesrepublik und DDR auf der Grundlage des Grundlagenvertrages 1972 ein. Ohne die volle völkerrechtliche Anerkennung der DDR und der bestehenden Grenzen in Europa ist weder ein normales Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten noch eine gesamteuropäische Friedenspolitik möglich. ({9}) Drittens. Die beiden deutschen Staaten tragen vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Geschichte eine besondere Verantwortung für Entspannung und Frieden in Europa. Wir ziehen aus unserer unheilvollen Verstrickung in zwei schreckliche Weltkriege mit ihren millionenfachen Menschenopfern und der Zerstörung Europas die politische Konsequenz, den lebensbedrohenden Kräften von Aufrüstung, Zerstörung von Natur und Umwelt, Ausbeutung und Entfremdung der Menschen ein für allemal Einhalt zu gebieten und eine Politik der Entmilitarisierung, des Gewaltverzichts und der Blockauflösung einzuleiten. ({10}) Zur ersten These: Mehr als 40 Jahre nach Kriegsende und der Niederschlagung des nationalsozialistischen Deutschlands ist die Bundesrepublik immer noch in einer Situation, in der sie durch Politik und Verfassung in einem Zustand staatlichen Provisoriums mit dem scheinbaren Mangel deutscher Nationalstaatlichkeit gehalten wird. Für die GRÜNEN wie übrigens für die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung ist diese Bundesrepublik kein Provisorium mehr. Die Selbstanerkennung der Bundesrepublik als sich selbst beschränkender westlicher Staat ist für die innere politische Entwicklung von wesentlicher Bedeutung. Wie dringend ein breiter Diskussionsprozeß der Selbstvergewisserung und des selbstkritischen Nachdenkens über die demokratischen Grundlagen der bundesdeutschen Gesellschaft ist, haben die Äußerungen und Reaktionen auf dem 8. Mai, auf den Antisemitismus, hat vor allem der Flick-Parteispendenskandal gezeigt, der auch nach dem Blackout hier in diesem Hause gestern mittag nicht beendet ist. Die Tatsache, daß die Wahl der GRÜNEN in den Bundestag als Gefährdung und nicht als Bereicherung der parlamentarischen DemokraDr. Schierholz tie von Ihnen aufgefaßt wird, wirft ein warnendes Licht auf die politische Kultur dieser Republik. ({11}) Ich möchte auch zur nationalen Idee etwas sagen. Als Fichte zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine „Reden an die deutsche Nation" hielt, wollte er zugleich die Denkfreiheit von den Fürsten Europas zurückfordern und ein Gegenmodell zum napoleonischen Zwangseuropa entwickeln. Die nationale Idee war ursprünglich eine fortschrittliche. Durch die historische Entwicklung - sowohl durch den Bismarckschen Nationalstaat Wilhelminischer Prägung, besonders aber den Nationalsozialismus und die offizielle Politik der Verdrängung nach 1945 - ist diese Idee arg belastet, wenn nicht weitgehend verbraucht. ({12}) Zur zweiten These. Seit über 35 Jahren existieren zwei deutsche Staaten, die seit ihrer Gründung völlig unterschiedliche Wege gegangen sind und ihr eigenes Staats- und Gesellschaftssystem herausgebildet haben. Die völkerrechtliche Anerkennung der DDR ist vor diesem Hintergrund genauso überfällig wie das, was ich zu Punkt 1 gesagt habe: die Selbstanerkennung der Bundesrepublik. ({13}) Die Politik des Bundeskanzlers versucht sich nicht nur an dieser Tatsache vorbeizumogeln, sondern sie verhindert durch den immer absurder werdenden Alleinvertretungsanspruch auch, daß substantielle Veränderungen im deutsch-deutschen Verhältnis eintreten und die Voraussetzungen für eine fruchtbare Dialogpolitik geschaffen werden. Die Regierung weiß genau, daß die völkerrechtliche Anerkennung der DDR eine Garantie der bestehenden Grenzen in Europa ohne Wenn und Aber einschließt. Und genau diese Garantie wollen - das haben wir heute morgen wieder erfahren müssen - maßgebliche Kreise in der CDU/CSU nicht abgeben. Die Antwort des Auswärtigen Amts, die wir heute nacht auf unsere Kleine Anfrage erhalten haben, die nach den territorialen Zielvorstellungen einer Wiedervereinigungspolitik und einer Politik für einen Friedensvertrag fragt, für die die Regierung drei Monate gebraucht hat, hat nur ein Positives, nämlich daß sie vom Auswärtigen Amt und nicht vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen verfaßt worden ist. Das bestätigt unsere Auffassung, daß dieses Ministerium überflüssig ist. Ansonsten ist sie derart nichssagend, daß sie uns unbedingt noch beschäftigen muß. ({14}) Die völkerrechtliche Anerkennung der DDR - das können Sie auch nicht durch Ihre Zwischenrufe in Frage stellen - und der Oder-Neiße-Grenze beseitigt die Doppelbödigkeit bundesdeutscher Vertragspolitik, die die Gültigkeit von Verträgen nur bis zur Wiederherstellung Gesamtdeutschlands anerkennt und deshalb friedensgefährdend wirkt. ({15}) Für DIE GRÜNEN gehören folgende konkrete Maßnahmen zu einer Anerkennungspolitik in den deutsch-deutschen Beziehungen: die Herstellung offizieller Kontakte zwischen dem Deutschen Bundestag und der Volkskammer der DDR; eine den völkerrechtlichen Gewohnheiten entsprechende Regelung der Elb-Grenze in der Strommitte - es wäre schön, wenn auch Sie das so klar gesagt hätten, Herr Vogel -, die Auflösung der Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter und eben die Auflösung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen. ({16}) Insbesondere aber wollen wir, Herr Schulze, das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 durch ein eigenes Staatsangehörigkeitsgesetz der Bundesrepublik Deutschland ersetzen und deshalb die Begrenzung des Art. 116 GG auf Bundesdeutsche vornehmen. ({17}) Aus menschenrechtlichen und aus humanitären Gründen muß eine Reihe zusätzlicher Regelungen für Bürger der DDR, die hierher kommen, ({18}) und die Bürgerinnen und Bürger West-Berlins ({19}) getroffen werden. Was West-Berlin betrifft, sind wir uns über die Problematik durchaus im klaren. ({20}) Nur: Was tut denn die Bundesregierung? Sie tut gar nichts, statt mit den Westmächten dieses Problem oft anzusprechen, darüber zu verhandeln und eine aktive Politik zu betreiben. Das tut sie nicht. Die GRÜNEN knüpfen an die Realisierung dieser Maßnahmen die Erwartung, daß die Regierung der DDR Städtepartnerschaften zuläßt, Besuchsregelungen verbessert, die Reisefreizügigkeit vergrößert, die Familienzusammenführung und Ausreisepraxis erleichtert, Arbeitstreffen und Begegnungen zwischen den Menschen, zwischen Berufsgruppen, Wissenschaftlern und anderen gesellschaftlichen Gruppen möglich macht. ({21}) Zur dritten These: Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR haben auf dem Hintergrund gemeinsamer NS-Vergangenheit eine besondere Verpflichtung für den Frieden. Sie sollten am entschiedensten auf die Auflösung der Militärblöcke hinarbeiten, den Abbau der Feindbilder zwischen Ost und West fördern und gemeinsame Initiativen zu Abrüstung und Entmilitarisierung ergreifen. Konkrete Handlungsmöglichkeiten sehen wir unter anderem darin, alle chemischen und atomaren Waffen vom Boden der Bundesrepublik und der DDR zu beseitigen. Auch haben wir nichts gegen multilaterale Maßnahmen zur Vertrauensbildung und Abrüstung, mit denen im Rahmen des KSZEProzesses die Interessen der kleinen und mittleren Staaten in Europa zur Geltung kommen. Wir begrüßen die mutige und klare Position der evangelischen Kirche in der DDR und der unabhängigen Friedensgruppen, die sich jetzt seit Jahren dafür einsetzen, Geist, Logik und Praxis der Abschreckung zu überwinden, und den ernsten Willen für Abrüstung und Realisierung der Menschenrechte in ihrer täglichen Arbeit verdeutlichen. ({22}) Wer wirklich abrüsten will, meine Damen und Herren, darf keine Sonntagsreden halten, sondern muß bei sich selbst anfangen. Bei einer seiner vielzitierten Reden im vergangenen Jahr hat der Bundespräsident gesagt: Alles, was in der Deutschlandpolitik unternommen werde, müsse sich an jenem Maßstab messen lassen, ob es den Menschen im anderen deutschen Staat dient. Sehr gut, sagen wir. Nun legen wir dieses Kriterium doch einmal an an die Programme für neue Waffen, für neue Raketen mit mehr als 70 km Reichweite, für weitere Schritte der Blockverfestigung und Blockbildung! Was ist denn da das Ergebnis? Ich will es Ihnen sagen. Der von der NATO forcierte und von der Bundesregierung unterstützte Aufrüstungsprozeß dient weder der Sicherheit noch den Menschen hier und auch nicht den Menschen in der DDR. Im Gegenteil; die werden dadurch bedroht. ({23}) Diejenigen leisten deshalb einen besonders aktiven Beitrag für die Weiterentwicklung der deutschdeutschen Beziehungen, die am 17. Juni dieses Jahres nicht der abgestandenen Nationalfeiertagsrhetorik lauschen, sondern nach Mutlangen fahren, um dort am Höhepunkt der Aktionstage für Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit teilzunehmen, ({24}) der sowohl als Volksfest gefeiert wie als Blockade gegen die Pershing-II-Raketen begangen wird. Diejenigen fördern die deutsch-deutschen Beziehungen aktiv, die mit der Friedensbewegung am 11. Oktober im Hunsrück gegen die neuen Atomraketen des Typs Cruise Missile demonstrieren. Friedenspolitik zur Auflösung der Militärblöcke in Europa ist für uns mehr als Abkommen auf der Ebene staatsmännischer Vertraulichkeit. Das ist nur logisch durch ein Bekenntnis zu den bestehenden Grenzen, zum Gewaltverzicht, zu einseitigen Abrüstungsschritten und in der Unterstützung der emanzipatorischen Kraft der Friedensbewegungen von unten gleichzeitig. Wir setzen uns daher ein für ein Programm der Entmilitarisierung im Innern, in dem die Realisierung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung, die Schaffung eines Friedensdienstes, der Abbau von Blockloyalitäten in den Köpfen durch eine aktive Friedenserziehung wichtige Bestandteile sind. Stellen Sie sich mal vor, hier stellt sich eine Bundesregierung hin und sagt: Auf Grund dieser verfahrenen Aufrüstungssituation kürzen wir jetzt in den nächsten Jahren den Rüstungshaushalt um 10 %. Das wäre ein aktiver Beitrag für den Frieden. ({25}) Dann würde die Bundesrepublik Deutschland einen historischen Beitrag leisten, wenn Sie sich der aggressiven NATO-Politik und der Tendenz zur Herstellung einer europäischen Supermacht widersetzen würde. ({26}) Ein solches friedenspolitisches Engagement würde den deutsch-deutschen Beziehungen am meisten nützen und zugleich demjenigen Auftrag des Grundgesetzes entsprechen, den sie so gerne zitieren, nämlich, daß wir verpflichtet sind, dem Frieden in der Welt zu dienen. Das heißt für uns, eine aktive abrüstungspolitische Vorreiterrolle zu spielen. ({27}) - Das ist ein bezeichnender Zwischenruf. ({28}) Lassen Sie mich schließlich einige Bemerkungen zur Ausgangsthese des Herrn Bundeskanzlers machen, die Freiheit sei der Kern der deutschen Frage. Wissen Sie, Herr Bundeskanzler - er ist ja nun glücklicherweise wieder da -, ({29}) wenn ich solche Thesen und Parolen höre, muß ich immer an andere Thesen und Parolen denken. 1976 war Ihre Parole „Freiheit oder Sozialismus", und den Bürgerinnen und Bürgern steht täglich der „Genuß von Freiheit und Abenteuer" vor Augen. Das fällt mir dabei ein, das sind meine Assoziationen. Ausgerechnet jetzt reden Sie wieder von Freiheit als dem Kern der deutschen Frage, wo die Bundesregierung - Herr Vogel hat es bereits erwähnt - die organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrer Streikfähigkeit entscheidend beschneiden will. Ausgerechnet jetzt reden Sie wieder von Freiheit als dem Kern der deutschen Frage, da die Bundesregierung mit den Überwachungsstaatgesetzen die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger zur informationellen Selbstbestimmung elementar einschränken will. ({30}) - Wenn Ihnen das mit konkretem Bezug auf deutsch-deutsche Probleme nicht genug ist, Frau Kollegin: Sowenig wir die Beschränkung der Bewegungsfreiheit von DDR-Bürgerinnen und DDR-Bürgern durch eine abstruse militärisch gesicherte Grenze zu akzeptieren und zu billigen bereit sind, so deutlich werden mir persönlich aber auch aus den letzten Jahren meine Erinnerungen bewußt, dieselben Stacheldrahtverhaue und Betonmauern auch mitten in der Bundesrepublik Deutschland an AKW-Baustellen, an der Startbahn West oder an Hochsicherheitstrakten von Gefängnissen erlebt zu haben. Das ist es, was mich empört. ({31}) Bezüglich der Realisierung der Menschenrechte in West wie in Ost ist aus unserer Sicht durchaus vieles zu beklagen. Die Parole von der Freiheit als dem Kern der deutschen Frage allerdings halten wir für genauso unscharf wie platt. ({32}) Ich glaube, Herr Bundeskanzler, Sie haben sich mit dem „Kern" schon einmal vergaloppiert, nämlich als Sie in Ihrer ersten Regierungserklärung das NATO-Bündnis zum Kern deutscher Staatsräson erklärten. Wenn man diese beiden Aussagen zusammen betrachtet, nämlich die Freiheit im Bündnis als Kern deutscher Staatsräson und die Freiheit als Kern der deutschen Frage, dann dürfte man zwar das Credo dieser Regierung einigermaßen erfaßt haben, damit zugleich aber auch jene KalteKrieger-Mentalität, die nach wie vor vorhanden ist und die bis heute beides verhindert hat, nämlich sowohl die Abrüstung und die Entmilitarisierung in Mitteleuropa als auch ein normales Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten. ({33}) Unsere Erwartung an dieses Parlament, an die Bundesregierung ist, hier endlich eine realitätsbezogene, eine zukunftsorientierte, eine dem Frieden verpflichtete Kurskorrektur einzuleiten. Schönen Dank. ({34})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe die Freude, eine Delegation unter Leitung des Präsidenten der Nationalversammlung der Portugiesischen Republik, Herrn Dr. Fernando Monteiro do Amaral, zu begrüßen. ({0}) Der Deutsche Bundestag freut sich besonders über Ihren Besuch und den Meinungsaustausch, den wir in unserem Hause haben. Wir hoffen, daß wir diesen Meinungsaustausch kontinuierlich mit Ihrem freien und demokratischen Parlament fortsetzen können. Unser Dank gilt auch Ihrem Besuch in Berlin, in der Stadt, in der die deutsche Teilung besonders deutlich wird. Wir danken Ihnen. ({1}) Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute morgen vom Bundeskanzler den Bericht zur Lage der Nation entgegengenommen. Wir haben bisher einige wertende Urteile aus den Reihen der Koalition, aber auch aus den Reihen der Opposition gehört. Wenn es bisher eine Übereinstimmung gab, dann die, daß von niemandem, selbst nicht vom Kollegen Dr. Schierholz, bestritten wurde, daß es faktische Schritte nach vorn im Verhältnis der beiden Staaten zueinander und praktische Verbesserungen für die Menschen im geteilten Land gegeben hat. Dies ist zumindest auch von Ihnen, Herr Dr. Vogel, ausdrücklich bestätigt worden: Es hat Verbesserungen gegeben. Diese Deutschlandpolitik war im Sinne humanitärer Erleichterungen erfolgreich. ({0}) Man kann das an einigen ganz nüchternen und deutlichen Fakten festmachen: Zahl der Kontakte zwischen den Menschen im geteilten Land; Jugendaustausch; konkrete Verhandlungen über sehr viele Sachgebiete und ihre Ergebnisse; das Bewußtsein gemeinsamer deutscher Interessen und Verantwortung, einer Verantwortung für den Frieden, wie sie vom Bundeskanzler und vom Staatsratsvorsitzenden damals in Moskau so überzeugend dargestellt und verlautbart worden sind; Besinnung auf die Gemeinsamkeiten der deutschen Geschichte, deutlich ablesbar am Luther-Jahr, einem Jahr, von dem wir alle befürchtet hatten, es werde u. U. ideologische Gegensätze noch deutlicher hervortreten lassen, als das vorher der Fall war - das Luther-Jahr ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Besinnung auf die gemeinsame Geschichte praktiziert werden kann -; Beginn der Städtepartnerschaften, ein Durchbruch auf einem Gebiet, Herr Kollege Dr. Vogel, auf dem wir seit langem Gespräche geführt haben, immer wieder interveniert haben in der DDR, nicht erst beim Besuch von Herrn Lafontaine in Ost-Berlin oder beim Sindermann-Besuch - dies ist ein altes gemeinsames Anliegen aller Parteien in diesem Bundestag und nicht einseitig von der einen oder anderen Seite herbeigeführt -; Entwicklung der Handelsbeziehungen und schließlich die Situation Berlins. Dazu, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen grundsätzlichen Satz sagen. Niemand, der über Deutschlandpolitik redet, niemand, der Deutschlandpolitik als sein verantwortliches Handeln begreift, kann einen Unterschied zwischen dem Verhältnis und der Entwicklung im geteilten Land machen, ohne gleichzeitig die geteilte Stadt Berlin im Auge zu haben und ihre Interessen wahrzunehmen. Ich werde, Herr Kollege Dr. Schierholz, an einigen Punkten Ihrer Ausführungen darauf leider zurückkommen müssen. ({1}) Um so erstaunlicher aber ist es, wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD in dieser Debatte davon spricht, daß die Deutschlandpolitik stagniert, daß die SPD das nicht zulassen würde. Daß darüber geredet wird, Herr Dr. Vogel, wann denn eigentlich das Gespräch mit Herrn Sindermann begonnen hat. Ich muß Ihnen sagen: Ich habe lange vor Ihrer Einladung an Herrn Sindermann mit Herrn Sindermann in Ost-Berlin gesprochen. Das gilt für eine ganze Reihe von Mitgliedern der Koalitionsfraktionen. Um den Gesprächsbeginn herbeizuführen, bedurfte es dieser Einladung nicht. Eines bewegt mich an diesem Punkt vor allen Dingen, und eines darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Die Erfolge dieser Deutschlandpolitik, meine Damen und Herren, sind nicht durch eine Änderung des eigenen Standpunkts erzielt worden. Sie sind durch ein konsequentes, berechenbares, deutliches Reden und Handeln auf der Grundlage des Rechts und mit der Zielsetzung, humanitäre Verbesserungen und Freiheit und Selbstbestimmung in Deutschland zu erreichen, erzielt worden. ({2}) Das ist unverändert geblieben. Von daher kommen die Erfolge, nicht von dem Versuch, Argumente der anderen Seite zu eigenen zu machen. Wir haben nicht Forderungen von Gera in unseren eigenen Diskussionskatalog übernommen. Ich kann mich bei aller Freude über die deutliche Abgrenzung von bestimmten Tendenzen innerhalb der SPD nur darüber wundern, daß der Ministerpräsident eines Bundeslandes, Herr Lafontaine, nach Ost-Berlin reiste und von der Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft sprach. Ich muß Herrn Lafontaine von dieser Stelle aus sehr deutlich sagen: Entweder hat er sich zuwenig informiert, entweder weiß er nicht, was mit der Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft im Verständnis der DDR verbunden ist, oder er hat eine leichtfertige Äußerung getan, die übrigens auch - das sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt - die Interessen West-Berlins in jeder Weise außerhalb des Blickfeldes gelassen hat. ({3}) Ich kann auch nicht umhin, an dieser Stelle meinen Landsmann Günther Jansen zu erwähnen, der mit sehr deutlichen und von seiner Seite aus, wie es wohl gedacht ist, auch sehr überzeugenden Argumenten dem Leiter der DDR-Delegation in der Grenzkommission darlegte, daß alles dafür spreche, daß in diesem Abschnitt die Flußmitte die Grenze sei. Aber zum Abschluß dieser Gespräche hat er dann erklärt: Aber für dieses Zugeständnis werden wir natürlich etwas einhandeln. - Das heißt, ich reiche es erst einmal über den Tisch, und dann sage ich: Damit du es behalten darfst, mußt du mir etwas geben. - Ich weiß nicht, welcher Sinn in einer solchen Art von Handeln überhaupt stecken kann. ({4}) Und wen wundert es denn, meine Damen und Herren von der SPD, wenn der Leiter der DDR-Delegation dann seinerseits erklärt, daß die Anerkennung der Grenze in der Flußmitte aus der Sicht der DDR Voraussetzung dafür sei, daß überhaupt weitere Gespräche über Fragen des Umweltschutzes geführt werden könnten? Wen wundert es bei diesem Verhandlungskonzept, wie es dort praktiziert worden ist? Meine Damen und Herren, wir stehen auf dem Boden der Realitäten. Wir wissen: Es gibt heute zwei deutsche Staaten, souverän in ihrem Verhältnis zueinander, aber in einem besonderen Verhältnis zueinander, weil in diesen beiden Staaten Deutsche leben und weil diese beiden Staaten ihren nationalen Standort nur darzustellen vermögen, indem sie sich selbst als deutsch bezeichnen. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, nichts am Auftrag des Grundgesetzes, der bis heute unverändert ist und der auch in Zukunft nicht zu ändern sein wird, und nichts an unserem politischen Willen, Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden und in einem vereinigten Europa als Deutsche dem Frieden der Welt zu dienen. Hier spreche ich von einer Konsequenz, die in meiner Fraktion außerordentlich weit zurückreicht. Herr Kollege Vogel, wenn Sie vorhin davon gesprochen haben, welche Deutschlandpolitik die Regierung Brandt betrieben habe, dann empfehle ich Ihnen, einmal den Generalvertragsentwurf aus der Zeit der Großen Koalition, den meine Fraktion seinerzeit vorgelegt hatte, mit dem Grundlagenvertrag zu vergleichen. Sie werden sehen, daß dieser Generalvertragsentwurf seine Realisierung, zum Teil bis in wörtliche Formulierungen hinein, in dem Grundlagenvertrag gefunden hat. ({5}) Sie sollten nicht den Versuch unternehmen, Herr Kollege Vogel, einseitig Initiativen auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik für sich in Anspruch zu nehmen. ({6}) Jedenfalls für uns in der FDP-Fraktion dieses Hohen Hauses, meine Damen und Herren, geht es bei der Frage Präambel und Auftrag des Grundgesetzes, Herr Kollege Glotz, nicht um bengalische Beleuchtung politischer Randthemen, wie Sie seinerzeit beliebten die Prioritäten in diesem Zusammenhang zu verteilen. Hier ist es auch keine Frage der Disziplin bei einem Mannschaftsspiel oder der Alternative: Entweder wollen wir miteinander gewinnen, oder wir lassen das Ganze. Für uns, meine Damen und Herren, ist diese deutsche Frage und damit die Frage nach der Präambel des Grundgesetzes eine zentrale, höchst sensible Frage, die der Vernunft, der Verantwortung, aber auch der Behutsamkeit und nicht amateurhafter Profilierungssucht bedarf. ({7}) Wir treten dafür ein, daß Deutschlandpolitik aus dem Wahlkampf herausgehalten wird. Auch heute werbe ich an dieser Stelle noch einmal um Gemeinsamkeit. Sie ist uns um der Menschen hier und in der DDR willen zu wichtig, als daß sie unter die Räder von Wahlkampflokomotiven geraten dürfte. Deswegen appelliere ich noch einmal an meine Kollegen aus der SPD-Fraktion: Distanzieren Sie sich von allem, was es dort gibt an Forderungen nach Änderung des Grundgesetzes, nach völkerRonneburger rechtlicher Anerkennung der DDR, wie es auch aus Ihren Reihen gekommen ist, eine Ansicht übrigens, die nach Auffassung ihres Autors immerhin Aussicht hat, auf dem Bundesparteitag eine Mehrheit zu finden. Ich wäre froh, wenn das nicht der Fall wäre, wenn man nicht mit einer solchen Forderung an die Öffentlichkeit träte, die deutsche Teilung, die unveränderte, unaufhebbare deutsche Teilung zur substantiellen Basis einer europäischen Friedensordnung zu zementieren. Dies kann nicht Grundlage unserer gemeinsamen Politik sein. Wenn das auf Ihrer Seite die Grundlage werden sollte, dann ist allerdings die Gemeinsamkeit dieser Politik nicht mehr erreichbar und nicht mehr sichtbar. Herr Kollege Dr. Schierholz, die Fraktion der GRÜNEN oder, wie es wörtlich in der Presseverlautbarung heißt, Sie und der Fraktionsverantwortliche für deutsch-deutsche Beziehungen haben gestern eine Presseerklärung zur heutigen Debatte gegeben, die Sie im Grunde genommen heute nur noch einmal bestätigt haben. ({8}) Sie haben eine Presseerklärung gegeben, die den Begriff Verantwortung ins Gegenteil verkehrt. Ihre Presseerklärung - das gilt auch für das, was Sie heute morgen gesagt haben - liest sich wie ein Lehrbeispiel aus einem Leitfaden für Demagogie. ({9}) Wider besseres Wissen wird der Bundesregierung unterstellt, sie hege territoriale Ansprüche. Wider besseres Wissen werden die Friedensbemühungen unserer Regierung als Drohgebärde gegenüber dem Osten - so wörtlich - denunziert. Vielleicht kann man Ihnen einmal einen guten Augenarzt empfehlen, der Ihre Kurzsichtigkeit zu heilen in der Lage wäre. Wenn Sie Rüstung sehen, sehen Sie bis zur Demarkationslinie zwischen den Blöcken. Rüstung auf dieser Seite vermögen Sie zu erkennen. Rüstung auf der anderen Seite bleibt Ihnen verborgen. ({10}) Wider besseres Wissen, meine Damen und Herren, wird eine Staatsdoktrin „Alleinvertretung" unterstellt. ({11}) Da wird der grundsätzliche politische und gesellschaftliche Systemunterschied zwischen beiden Staaten als Unterschiedlichkeit der Sozialsysteme bis zur Unkenntlichkeit verniedlicht und die Forderung erhoben, wir sollten das gefälligst akzeptieren. Mit einer schier unglaublichen und mich betroffen machenden verantwortungslosen Energie wird hier die Existenz des freien Teils der Stadt Berlin aufs Spiel gesetzt, und die Deutschen im anderen Teil Deutschlands werden vom Selbstbestimmungsrecht abgeschnitten. ({12}) Bezugs- und geschichtslos wird verlangt, ohne Wenn und Aber den Deutschen das Selbstbestimmungsrecht zu verweigern. Dies ist ein Weg, den wir mit Ihnen nicht gehen werden. Der Verfassungsauftrag der DDR hat in der Verfassung von 1968 noch gelautet, die DDR erstrebe die Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands. Inzwischen besagt die Verfassung der DDR von 1974, daß das Volk der DDR sein Recht auf sozialökonomische, staatliche und nationale Selbstbestimmung verwirklicht hat. Die DDR zeigt mit dieser Änderung ihrer Verfassung, daß sie sich über die Dynamik der Forderung nach Selbstbestimmung durchaus im klaren ist und daß sie weiß, welche Gefahr ihr aus einer solchen Auffassung drohen könnte. Gestatten Sie mir einige wenige abschließende Worte, meine Damen und Herren, über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion. Wir als FDP-Fraktion haben immer wieder versucht - das wird uns sicherlich niemand bestreiten -, den Konsens der gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages vom Februar 1984 zu erhalten und zu erneuern. Dies haben wir bei den Vorberatungen für eine gemeinsame Beschlußempfehlung deutlich genug unter Beweis gestellt. Wir sind, Herr Kollege Professor Heimann, auch weiterhin um diesen Konsens bemüht. Wir gehen so weit, daß wir gerne möchten, daß sich in den deutschlandpolitischen Fragen eine kleine interfraktionelle Arbeitsgruppe ans Werk macht, um gemeinsame Leitlinien zu finden. Die SPD versucht, mit ihren Änderungsanträgen jetzt zu suggerieren, der Inhalt dieser Änderungsanträge fehle im Antrag der Koalitionsfraktionen. Da es sich bei diesem Antrag aber um eine auch von der SPD-Fraktion 1984 mitgetragene, gemeinsame Entschließung gleichen Inhalts handelt, müßte die SPD-Fraktion ja 1984 diese essentiell wichtigen Lücken übersehen haben. Das hat sie natürlich nicht, weil diese Lücken nicht vorhanden sind. ({13}) Die beiden Passagen, welche die SPD als Ergänzung vorschlägt, sind inhaltlich eine Zusammenfügung aus Äußerungen des Bundespräsidenten, von Auszügen aus der Regierungserklärung, von Textteilen der gemeinsamen Erklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Vorsitzenden des Staatsrats der DDR Erich Honecker. All diese Äußerungen beziehen sich auf die Ostverträge von Warschau und Moskau, auf die KSZE-Dokumente - ich sage Ihnen das noch einmal deutlich, damit Sie meine Ausgangsposition kennen ({14}) und auf den Grundlagenvertrag, der ebenfalls auszugsweise zitiert wird. Meine Damen und Herren, bei oberflächlicher Betrachtung erscheint das unproblematisch oder zumindest unschädlich. Aber gerade das ist es nicht. Damit wird nämlich einzelnen Passagen aus ausgewogenen und insgesamt wichtigen Vertragswerken ein besonderes Gewicht verliehen; sie werden aus ihrem Kontext herausgehoben, obwohl die anderen Bestimmungen in diesen Verträgen ebenso wichtig sind. Natürlich steht in dem Vertrag mit der Sowjetunion, daß die Vertragspartner heute und künftig die Grenzen aller Staaten in Europa, wie sie am Tage der Unterzeichnung dieses Vertrages verlaufen, als unverletzlich betrachten. Es steht aber ebenfalls in diesem Vertrag - sogar in Fortführung desselben Satzes -: einschließlich der Oder-Neiße-Linie, die die Westgrenze der Volksrepublik Polen bildet, und - so heißt es weiter - der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Sind diese Passagen etwa weniger wichtig als die erste? ({15}) Ist der in demselben Vertrag vereinbarte Gewaltverzicht weniger wichtig als das, was von Ihnen zitiert wird? Meine Damen und Herren, diese Reihe ließe sich über den Warschauer Vertrag, den Grundlagenvertrag und die KSZE-Schlußakte fortsetzen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ronneburger, wenn ich Sie recht verstanden habe, stimmen wir darin überein, daß wir die Zustimmung zu Passagen erbitten, die sich auf Äußerungen stützen, die der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundespräsident gemacht haben.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, unter anderem!

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann es eigentlich die Rolle der FDP sein, die Peinlichkeit, daß die Union den Bundespräsidenten und den Bundeskanzler desavouiert, hier noch mit vielen Worten verschleiern zu wollen? ({0})

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Professor Ehmke, ich habe eben versucht, Ihnen klarzumachen, daß Einzeläußerungen, einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Passagen der Verträge, der vollen Bedeutung dieser Verträge, und der Gesamtäußerung nicht gerecht werden ({0}) und daß es sich hier einfach um den Versuch handelt, einzelnen Passagen zu einer besonderen Bedeutung zu verhelfen und damit anderen mindere Bedeutung zuzumessen. Das ist das, was ich Ihnen klarzumachen versuchte, und ich hoffe, es ist jedenfalls bei diesem zweiten Versuch gelungen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heimann?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Prof. Gerhard Heimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000845, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ronneburger, erinnern Sie sich noch daran, daß Sie früher diese Bedenken nicht hatten, daß Sie also bereit waren, diesen Passagen so zuzustimmen, wie sie jetzt hier stehen ({0}) und wie wir sie jetzt wieder beantragen? ({1})

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Professor Heimann, Sie erinnern sich genau genug daran, wie wir als Berichterstatter gemeinsam an diesen Entwürfen gearbeitet haben, und ich kann hier auch im Rahmen einer noch so langen Redezeit nicht noch einmal voll nachvollziehen, was an Äußerungen und Gegenäußerungen, an Anträgen und Gegenanträgen in diese Arbeit eingeflossen ist. Nur sollten Sie sich über eines im klaren sein: Ist dies nicht ein Herausziehen von Zitaten aus ihrem eigentlichen Zusammenhang und damit eine Verschiebung der Gewichte? ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren, wir stehen zu den Verträgen in ihrer Gesamtheit. In der Entschließung von 1984 und auch in der Entschließung in ihrer heute vorliegenden Form wird das noch einmal deutlich gesagt. Die Verträge sind genannt, und der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung die Bedeutung der Grenzen als friedenserhaltendes Element noch einmal ausdrücklich hervorgehoben. Deswegen stehen wir auch zu dem Antrag, wie er hier vorgelegt worden ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden an der konsequenten Politik der deutschlandpolitischen Entwicklung auch in Zukunft festhalten. Aber ich füge hinzu: Wir wissen zwar nicht, wann das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung darüber entscheiden kann, wie und in welcher staatlichen Ordnung die Deutschen miteinander leben wollen, wir wissen auch nicht, wofür sich die Deutschen an einem solchen Tage einmal entscheiden werden, aber eines füge ich diesem hinzu: Wir werden alles tun, um die Türen auf dem Weg zu diesem Tag der freien Selbstbestimmung offenzuhalten, und wir werden nichts, aber auch gar nichts unterlassen, was wir tun können, um allen Deutschen auf dem Wege friedlicher Entwicklungen Freiheit und Selbstbestimmung an diesem Tage zu ermöglichen. Ich bedanke mich. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Regierende Bürgermeister von Berlin. ({0}) Regierender Bürgermeister Diepgen ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Debatte über die Lage der deutschen Nation kann nicht ohne Anmerkungen über Berlin erfolgen. Ich möchte mich bei allen, die Anmerkungen über die Stadt gemacht haben, auch über aktuelle Situationen, bedanken, auch soweit sie kritisch waren, soweit sie aufmunternd und anspornend waren. Und je kritischer sie waren, desto anspornender sind sie für mich persönlich. Seien Sie sicher - das sage ich in die Richtung des Kollegen Vogel, der im Augenblick nicht hier ist -: Ich empfinde Berlin in der Tat auch als einen Härtetest für unsere Gesellschaftsordnung, und gerade weil dies so ist, werden wir in Berlin auch alle Probleme gleichzeitig mit Augenmaß und Zügigkeit lösen. ({2}) Meine Damen und Herren, in Berlin bündeln sich alle Elemente der Lage der Nation: die Teilung, die unterschiedliche, ja, gegensätzliche Bindung an Bündnisse, die gemeinsame Suche der Menschen nach nationaler Einheit, all das findet in Berlin seinen deutlichen Ausdruck. Ich zitiere ganz bewußt den Generalsekretär der SED, Erich Honecker, der sagt, Berlins Geschichte sei tief verwurzelt in der Geschichte des deutschen Volkes, auf vielfältige Weise verknüpft mit der Entwicklung in Europa und in der Welt. Er hat dies im Zusammenhang mit der 750-Jahr-Feier Berlins im kommenden Jahr gesagt, und dies kann sich doch wohl nur auf die ganze deutsche Geschichte und auf ganz Berlin beziehen. Wer also über Berlin spricht, muß die gesamte geschichtliche, aber auch die aktuelle Entwicklung der Ost-West-Beziehungen mit bedenken. Das gilt auch umgekehrt, und das muß auch für unsere Verbündeten gelten. Mein Eindruck ist, daß das von der anderen Seite oft genauer als bei uns gesehen wird. ({3}) Die aus ihrer eigenen Sicht insgesamt sicher erfolgreiche Westpolitik der DDR hat immer auch zum Ziel und in der Regel mindestens zur Folge eine Aufwertung des Ostteils der Stadt. Berlin, d. h. der freie Teil Berlins, soll dabei durchaus nicht etwa abgewürgt, sondern abgemeldet und vergessen werden. Ich sage: Dieser Versuch wird nicht gelingen. Aber, meine Damen und Herren, wir sollten diesen Versuch auch nicht unterschätzen. Unsere Antwort kann in diesem Zusammenhang kein starres Festhalten an bisher vielleicht erfolgreichen Antworten sein. Der Status der Stadt muß uneingeschränkt erhalten bleiben, und zwar für ganz Berlin. Er darf aber kein Korsett sein, das am Atmen hindert. Keine formalen, zögerlichen Rückzugsgefechte, sondern nach vorn weisende politische Antworten sind gefragt. Wir bauen dabei auf folgendes Konzept: Wir bauen unsere Stadthälfte als moderne, leistungsfähige und weltoffene Metropole aus und bewahren uns zugleich den Blick für die Einheit Berlins und seine nationale Aufgabe. Wir Berliner wissen es dabei zu schätzen, daß unsere alliierten Schutzmächte ganz in diesem Sinne ihre Aufgabe in Berlin immer mehr auch darin sehen, die innere Lebensfähigkeit und die Attraktivität der Stadt zu stärken, in der Zusammenarbeit in der Wirtschaft, in der Kultur, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Bundesregierung, allen voran dem Bundeskanzler, gebührt für das Berlin-Engagement - weil das hier kritisch angesprochen worden ist, will ich auch die Entscheidung über das Deutsche Historische Museum ausdrücklich mit einbeziehen - ein herzlicher Dank. ({4}) Zukunft und Geschichte, Zukunft durch Geschichte zu gewinnen - das sind Zeichen, die Berlin braucht. Meine Damen und Herren, ich habe Zweifel, ob es auf Dauer - auch vor dem Hintergrund dieser Diskussion - durchhaltbar ist, wenn man aus außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessenlagen heraus etwas tut, was man deutschlandpolitisch im Blick auf Berlin ablehnt oder ablehnen muß. Ich will nicht das Diktat einer angeblich juristisch starren Deutschlandpolitik über eine flexible und interessengeleitete Außenpolitik. Berlin ist kein Hemmschuh - es darf sich niemals so verstehen - für bessere deutsch-deutsche oder bessere Ost-WestBeziehungen. Ganz im Gegenteil! Das hat auch der französische Staatspräsident Mitterrand in der Formulierung seiner bemerkenswerten Rede vom 10. Oktober 1985, die auf den Status Bezug nimmt, aber die Entwicklung gegenüber dem Umfeld und die Entwicklung gegenüber dem Bund betont, ausdrücklich unterstrichen. Ich vermisse im Bündnis zuweilen aber dennoch eine bessere Abstimmung zwischen den Verantwortlichkeiten in der Berlin- und Deutschlandpolitik und den berechtigten Wünschen der Außenpolitik nach einem breiteren Dialog zwischen Ost und West - unter Einbeziehung der DDR. ({5}) Die Deutschlandpolitik muß die Realitäten in Deutschland und Europa und dabei auch die Grenzen zur Kenntnis nehmen. Ich meine damit nicht in Regierender Bürgermeister Diepgen ({6}) erster Linie Territorialgrenzen. Das, was Deutschland und Europa heute teilt, ist eine Machtgrenze, eine Ideologiegrenze und eine Sicherheitsgrenze. Jede Krise in den letzten 40 Jahren hing mit einer dieser Fragen zusammen. Jeder ost- und deutschlandpolitische Ansatz, der die Machtfrage oder eine Veränderung der Rechtslage, eine Veränderung der Abgrenzung zwischen den Sicherheitsblöcken in den Mittelpunkt der Politik stellt, bei dem also auch die Ideologiefrage oder die Sicherheitsfrage gestellt wird, bewirkt gewollt oder ungewollt eine Vertiefung der Teilung. ({7}) Dabei beziehe ich ausdrücklich - ich nehme hier Bezug auf Ihren Zwischenruf - das ein, was immer wieder gefordert wird, nämlich eine Aufnahme der Geraer Forderungen. Die Ausklammerung der Geraer Forderungen gehört zu einer solchen interessenbezogenen, an der Einheit des Landes orientierten Politik. ({8}) Meine Damen und Herren, die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten sind durch Gegensätze und durch Gemeinsamkeiten bestimmt. Eine pragmatisch ausgerichtete Berlin- und Deutschlandpolitik muß sich zum Ziel setzen, die Gegensätze zu beachten und die Gemeinsamkeiten zu vertiefen. Ich will einige dieser Gemeinsamkeiten oder mindestens gemeinsamer Herausforderungen hier ganz kurz andeuten: Umweltverschmutzung, Anforderungen einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung, Entsorgungsprobleme, Verkehr, Tourismus, Zivilisationskrankheiten, Probleme der Stadtgestaltung, der Nord-Süd-Konflikt, aber auch die Suche nach Geschichte, Geborgenheitsverlust, Aussteigertum - das finden wir ja in beiden Teilen Deutschlands. In all diesen Entwicklungen stecken bisher noch nicht genutzte Chancen für eine aktive Politik gegenüber dem Osten. Bisher sind diese Gemeinsamkeiten auch von der anderen Seite nicht in ausreichender Form aufgenommen worden. Möglichkeiten, j a, Zwänge zur Zusammenarbeit, die bei aller Divergenz im übrigen, die es hier nicht zu verschleiern gilt und die in dieser Debatte zu Recht auch nicht verschleiert worden ist, gegeben sind, würden beiden Seiten zugute kommen; das gilt jedenfalls für die Ausnutzung der Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Der eigentliche Gewinner einer in dieser Weise breit angelegten Politik ist die Nation im Ganzen. Meine Damen und Herren, Verständnis für die Einheit der deutschen Nation werden wir bei uns selbst allerdings nur dann finden, wenn wir die Deutschlandpolitik innenpolitisch lebendiger gestalten. Damit meine ich allerdings nicht die Lebendigkeit der Spannungen und der primär innenpolitischen Profilierung. ({9}) Ich halt es vielmehr für ärgerlich, wenn die Opposition die deutschland- und außenpolitische Handlungskompetenz der Bundesregierung in Frage stellt, wenn Sie allein um der Abgrenzung willen - den Eindruck habe ich oft - gemeinsame Positionen aufgibt und aus falsch verstandenem Föderalismus das Gebot der Bundestreue, das auch in der Deutschlandpolitik gilt, verletzt. Meine Damen und Herren, die Lebendigkeit der Deutschlandpolitik muß sich auf die Anziehungskraft der Deutschlandpolitik für unsere Bürger auswirken. ({10}) - Herr Kollege, das kann vor allen Dingen dadurch geschehen, daß wir auch Interesse an dem wecken, was in der DDR geschieht. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Der Bundeskanzler hat hier vorhin in seiner Rede auf die Mauer und den 25. Jahrestag des Mauerbaues am 13. August dieses Jahres hingewiesen. Lassen Sie mich hier dazu nur noch folgendes sagen: Wir müssen die Mauer von uns aus immer wieder gedanklich überwinden. Wir dürfen sie nicht als geistige Mauer zu den Menschen in Ost-Berlin und in der DDR akzeptieren. Genau das muß die eigentliche Botschaft des 13. August 1986 sein. ({11}) Fortschritte bei menschlichen Erleichterungen, mehr Freiheit und Selbstbestimmung sind zentrale Voraussetzungen für stabilen Frieden und Vertrauensssicherheit in Europa, aber nicht nur dort, sondern auch in der gesamten Welt. Wir dürfen nicht lediglich - das ist auch in das einzuordnen, was deutschland- und berlinpolitisch zu machen ist - über die Folgen der Spannungen, nämlich die Rüstung, sprechen, sondern wir müssen auch über die Ursachen der Spannungen reden, wir müssen bei den Ursachen der Spannungen ansetzen. In diesem Zusammenhang ist hier auch über einen vermeintlichen Gegensatz zwischen einer Politik, die die Friedenssicherung in den Vordergrund stellt, und einer mehr pragmatischen Deutschlandpolitik diskutiert worden. So habe ich die Ansätze hier verstanden. Insbesondere die DDR legt j a auch stets größten Wert darauf, ihre Politik gegenüber dem Westen unter die Überschrift Friedenspolitik zu stellen. Dabei erhebt sich die Frage, ob dieser friedenspolitische Ansatz wirklich ein Gegensatz zu einer pragmatischen Deutschlandpolitik ist, so wie ich es hier darzustellen versucht habe, nämlich unterhalb jener Grenzen, die Machtsysteme, Sicherheitssysteme, Ideologiesysteme gezogen haben. Das ist so in etwa die Fragestellung: hie diejenigen, die davon reden, Frieden über Blockgrenzen hinweg zu schaffen, und da diejenigen, die sich tagtäglich um menschliche Erleichterungen abmühen. Einen solRegierender Bürgermeister Diepgen chen Gegensatz gibt es natürlich überhaupt nicht. Richtig ist vielmehr, daß es keinen Gegensatz zwischen einer pragmatisch orientierten Deutschlandpolitik und einer Friedenspolitik geben darf. Mehr noch: Deutschlandpolitik ist zugleich immer auch ein Beitrag zur Friedens- und Abrüstungspolitik. ({12}) Ich sehe auch überhaupt keine Probleme darin, dies stärker - vielleicht stärker als bisher - auch von uns aus zu betonen, allerdings unter folgender Voraussetzung: Dadurch darf unsere Bündnisloyalität nicht in Zweifel gezogen werden. Beide Staaten in Deutschland können und müssen sich unter dieser Voraussetzung in ihrem jeweiligen Bündnis für die Abrüstung und Rüstungskontrolle einsetzen und auch Beiträge zu den laufenden Abrüstungsverhandlungen leisten. Hier besteht nun gerade kein Gegensatz, sondern geradezu eine Ergänzung einer pragmatischen Deutschlandpolitik. Meine Damen und Herren, Westbindung, gemeinsame Sicherheit im westlichen Bündnis und auch westeuropäische Integration im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft bedeuten nicht, daß Europa für uns an der Grenze der Europäischen Gemeinschaft, an der Elbe, der Spree oder an der Weichsel endet. Unsere mehrfache Westbindung darf - insbesondere auch im kulturellen Bereich - nicht zu einer Abkoppelung der osteuropäischen Staaten jenseits der Blockgrenze führen. ({13}) Meine Damen und Herren, so notwendig die Besinnung Europas auf sich selbst ist: sie würde mißverstanden, wenn einerseits die atlantischen Bindungen dadurch gelockert würden oder wenn andererseits die Teilung und Entfremdung der beiden Teile Europas dadurch gefördert würde. Stärkung der europäischen Identität darf weder das eine noch das andere bewirken. Hier liegen auch eine wesentliche Aufgabe und ein wesentliches Interesse meiner Heimatstadt Berlin, und zwar nicht nur im Bereich der kulturellen Identität Europas, sondern ganz konkret auch hinsichtlich der europäischen Dimensionen von Verbesserung der Kommunikation, der Verkehrsverbindung - bis hin zu den konkreten Verkehrsverbindungen in West-Ost-Richtung - und vor allen Dingen im Hinblick auf alle Elemente des Zusammenarbeit-Korbes der KSZE-Schlußakte von Helsinki und der Madrider Folgekonferenz. Impulse in der Deutschlandpolitik müssen sich in erster Linie auf die Wahrung und Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls der deutschen Nation beziehen. Im Sinne eines aufgeklärten, eines weltoffenen Patriotismus müsen von uns - möglichst in Gemeinsamkeit - Beiträge dazu geleistet werden, die deutsche Nation entwicklungsfähig zu halten. Eine pragmatische Berlin- und Deutschlandpolitk stellt den Menschen und damit die deutsche Nation in den Mittelpunkt, ohne den Freiheits-, den Sicherheits- und Friedensaspekt zu vernachlässigen. Eine solche Politik muß, damit sie erfolgreich ist, gewissermaßen vergesellschaftet werden. Sie muß in die Herzen der Menschen getragen werden. Das ist unsere Aufgabe und dies muß auch von einer solchen Debatte ausgehen. ({14}) Wenn uns das einmal gelungen ist, wird dieses Parlament bei diesem Thema sicherlich auch etwas gefüllter sein. Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht Gleichgültigkeit, sondern Einsicht in die Notwendigkeit des Friedens läßt uns Deutsche seit fast 40 Jahren die Spaltung unseres Landes ertragen. Wir wissen, daß Frieden die höchste Priorität in dieser Welt hat. Wir wünschen uns, daß auch andere so denken und handeln und nicht nur so reden. ({0}) Niemand kann und wird uns die Hoffnung auf die eine Welt nehmen können, in der Menschen unter gleichen Freiheiten und unter annähernd gleichen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen leben und sich entfalten können. ({1}) Der beste Weg dahin ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Nicht trennen, sondern vereinen schafft Frieden. Das gilt auch für die Mitte Europas. Nichts trennt Völker mehr als Krieg. Europa hat davon in seiner Geschichte viele gehabt. An den meisten trugen wir Deutschen keine Schuld. Viele Kriege gingen nicht von deutschem Boden aus, aber sie fanden auf ihm statt, Not und Tod über die Menschen bringend. Das gilt mit Einschränkungen z. B. für den 30jährigen Krieg und ohne Einschränkungen für die Türkeneinfälle, die Kriege Ludwig XIV., Karl XII. und Napoleon I. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das anders. Das zweite Reich wurde durch Eisen und Blut geschaffen. Bismarck war sich der Problematik seiner Schöpfung in der Mitte Europas bewußt. Deshalb trat er später für den Status quo in Europa ein, um Frieden bewahren zu können. Seine Nachfolger begriffen nichts davon. In zwei Weltkriegen verspielten sie das Reich. Beide Weltkriege waren schaurige und blutige Anachronismen. Spätestens seit Anfang dieses Jahrhunderts war in der Welt die Hegemonie in Europa nicht mehr die entscheidende politische Frage. Andere Fragen und andere Gebiete als die europäischen wurden für das Weltgeschehen immer stärker bestimmend, z. B. Sozialfragen, Technik, die Befreiungsbewegung in den Kolonien und die Selbstbestimmung der Völker. Die blutige und launische Dame namens Hegemonie hatte bereits ausgespielt, als sich Deutschland um sie bewarb. Das führte zu grausamen Fehlentwicklungen in der deutschen Politik in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Diese Fehlentwicklungen waren nicht das Werk einzelner Personen. Die nationalistischen, völkischen und antisemitischen Ideologien als geistige Grundlage für diesen kontinentalen Imperialismus nisteten in vielen Köpfen. Diesem Ungeist dürfen wir nicht wieder verfallen, auch wenn er unter anderen Vorzeichen erscheint. Das Zentrum Europas war nicht nur Schlachtfeld. Häufig hatte es auch die Funktion des Ausgleichs und des Brückenschlages zwischen Gedanken, Ideen und Mächten des Westens und des Ostens. Durch Verständnis und Ausgleich und durch Vermittlung und Adaption zwischen Ost und West hatte die Mitte Europas eine wichtige Funktion für den gesamten Kontinent. Diese Funktion ist durch den Zweiten Weltkrieg verlorengegangen. Unter diesem Verlust leidet nicht nur unser Volk, sondern auch der ganze Kontinent. Die beiden großen unterschiedlichen Weltsysteme stehen sich auf deutschem Boden auf Sichtweite gegenüber. Ihre Grenzen starren vor Waffen, obwohl es auf dem Boden, auf dem sie stehen, keine aktuellen Probleme gibt, die die Anwesenheit von Waffen rechtfertigen würden, schon gar nicht in dieser ungeheuren Fülle. Zwischen den beiden deutschen Staaten wird seit der Entspannungspolitik ein friedliches Nebeneinander angestrebt. Das war nicht immer so. Im Harmel-Bericht von 1967 heißt es noch: Eine endgültige und stabile Regelung in Europa ist jedoch nicht möglich ohne eine Lösung der Deutschlandfrage, die den Kern der gegenwärtigen Spannungen in Europa bildet. Gelöst ist die Deutsche Frage zwar noch nicht endgültig, aber wir haben eine tragfähige Zwischenlösung. ({2}) In den letzten 200 Jahren gab es überhaupt nur solche Zwischenlösungen. Auch das Bismarck-Reich mit seiner verhältnismäßig kurzen Dauer von 75 Jahren war so eine Zwischenlösung. Heute ist das Verhältnis der beiden deutschen Staaten nicht mehr der Kern der Spannungen in Europa. Im Gegenteil: Das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten ist in den letzten Jahren immer etwas besser gewesen als die sonstigen Ost-West-Beziehungen. Dadurch konnten die beiden deutschen Staaten auf das politische Weltklima mäßigend einwirken und dem Frieden dienen. Dieser Erfolg sollte uns mit Genugtuung erfüllen, ({3}) alle in diesem Hause, egal, wo sie vor 15 Jahren standen, als diese Politik in Gang gesetzt wurde. Statt dessen sind einige Politiker dabei, die Spannweite deutschlandpolitischer Vorstellungen zu überdehnen. ({4}) Wenn so fortgefahren wird, ist der große Riß in der Deutschlandpolitik unvermeidlich. ({5}) Die deutsche Zwietracht wird sich bei uns in der Bundesrepublik wieder einmal mehr einnisten: Auf der einen Seite wird versucht, mit allen juristischen Spitzfindigkeiten und Vorstellungen vom Fortbestand des Reiches mit seinen Grenzen von 1937 auszugehen und diesen Zustand tatsächlich aufrechtzuerhalten. Das bedeutet: An die Stelle der politischen Realität kurz vor dem Ende unseres Jahrhunderts wird eine nationalistisch gefärbte Illusion gesetzt, die am Anfang unseres Jahrhunderts Wirklichkeit war, aber es heute ganz bestimmt nicht mehr ist. Auf der anderen Seite wird über die ständige Garantie für den Bestand der DDR, über die Abschaffung der einheitlichen Staatszugehörigkeit und über die Änderung des Status von Berlin nachgedacht. ({6}) - Ob zu laut oder zu leise, Herr Kollege Schulze, das mag dahingestellt sein. Ich frage mich hinsichtlich beider Überlegungen auf den Flügeln nur: Was helfen sie für den Zusammenhalt der Nation, der außerordentlich wichtig ist? Und wenn der Herr Kollege Hoppe den Vorwurf in erster Linie an die Sozialdemokratische Partei richtet, dann möge er bitte die Papiere von Freunden seiner Partei in Berlin durchlesen, die durchaus ähnliche Gedanken enthalten. Allein die Vorstellungen, die in der CDU/ ' CSU-Fraktion in den letzten Wochen und Monaten laut geworden sind, zeigen, wie groß die Spannweite deutschlandpolitischer Vorstellungen ist. Allein das Maß der Uneinigkeit in ihr ist mehr, als sich ein ganzes Volk an Uneinigkeit in grundsätzlichen politischen Fragen leisten sollte. ({7}) Und ich stehe nicht an, an dieser Stelle zu sagen, daß sich Ihre Rede, Herr Regierender Bürgermeister, in diesem Zusammenhang wohltuend abgehoben hat. ({8}) Ich kann das leider nicht von allen Reden sagen, die heute von der Mitte der CDU-Fraktion geboten wurden. Das ist schade. Das gilt ganz besonders für Ihre Rede, Herr Dr. Waigel. Aber es ist für Sie sicher kein Geheimnis, daß das meine Auffassung ist. ({9}) Die Zustände in der Mitte Europas werden nicht in erster Linie durch Rechtstitel, Verträge und Texte bestimmt, sondern durch Macht. Reale Machtverhältnisse bestimmen das gegenwärtige Schicksal der Menschen in Europa. ({10}) Die Deutschen müssen in zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen leben. Diese Systeme sollen sich gegenseitig friedlich annähern und nicht gewaltsam überwinden. Das ist der Kern, das ist die Philosophie der Entspannungspolitik. Diese Entspannungspolitik - das darf ich als Berliner sagen - darf nicht an Berlin vorbeilaufen. Die Bundesregierung möge bei den verschiedenen Abmachungen und Absprachen mit der DDR besser darauf achten, als es geschehen ist. Die Funktion der alten europäischen Mitte könnte heute wenigstens teilweise durch das deutsch-deutsche Verhältnis wahrgenommen werden. Ansätze dazu sind glücklicherweise vorhanden. Diese ausgleichende Aufgabe zwischen den Machtblöcken können die beiden deutschen Staaten allerdings nur dann wahrnehmen, wenn der Kern der Gemeinsamkeit von beiden Staaten bejaht wird. Helmut Schmidt sagt dazu: Die gewaltsame Teilung einer Nation schafft nicht zwei Nationen. Wer meint, aus den unterschiedlichen Gesellschaftssystemen heraus zwei Nationen konstruieren zu müssen, gleicht nicht aus, vermittelt nicht, sondern grenzt ab; er ist nicht Brücke, sondern Mauer. ({11}) Alle Vorstellungen, die auf mehr Abgrenzung zwischen den Menschen bei uns und in der DDR hinauslaufen, sind abzulehnen. Wir drängen nicht, wir schaffen keinen Unfrieden, wir wollen keine Unruhe, aber wir fordern für alle Deutschen auch das Selbstbestimmungsrecht. Diese Forderung ist kein Wechsel, der an einen bestimmten Termin gebunden ist. Aber sie sollte ein unübersehbarer Merkposten sein. ({12}) Es gibt nämlich nicht nur ungünstige Perspektiven für diese Entwicklung zu mehr Einheit in Europa. Helmut Schmidt hat darauf bei der Vorstellung seines Buches hingewiesen. In diesem Jahr jährt sich zum 40. Male der Tag der Zwangsvereinigung zwischen SPD und KPD in der damaligen sowjetisch besetzten Zone. Wer damals diesen Vorgang erlebt hat, weiß, daß er anders verlief, als er gestern im „Neuen Deutschland" dargestellt wurde. Das war damals nicht der große Augenblick in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, wie es Horst Sindermann in seiner Rede im Institut für Marxismus-Leninismus dargestellt hat. Sindermann sagte auf dieser Konferenz: Damit hatte die Arbeiterklasse in unserem Land die Partei, die auf marxistisch-leninistischer Grundlage zur Führerin auf dem noch steinigen Weg in eine sozialistische Zukunft wurde. - Das stimmt sicherlich. Aber wollte die Arbeiterklasse diese Partei? Gefragt wurde sie jedenfalls nicht vor 40 Jahren. Und dort, wo sie gefragt werden konnte - nämlich in West-Berlin - lehnte sie die Vereinigung mit über 80% ab. ({13}) Vor 40 Jahren war die Politik der Kommunisten darauf gerichtet, durch Aktionseinheiten und Bündnisse mit anderen politischen Kräften ihren Einfluß weit über das Maß hinaus auszudehnen, das ihnen auf Grund demokratischer Legitimation zugestanden hätte. Diese Taktik haben sie noch nicht aufgegeben. ({14}) Sindermann lobt in der gleichen Rede die Zusammenarbeit mit vielen politischen Kräften der Bundesrepublik Deutschland, z. B. mit der Sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften. Hoffentlich stehen nicht die gleichen Motive dahinter wie vor 40 Jahren. Die Geschichte zumindest mahnt uns zur Vorsicht. ({15}) - Ich sage es hier, an dieser Stelle, wo man so etwas sagen muß. ({16}) Kurt Schumacher gab vor 40 Jahren eine andere Bewertung der Vereinigung von SPD und KPD. Er sagte: Die deutsche Arbeiterklasse und all die Menschen, die jetzt gewillt sind, sich der Sozialdemokratie geistig und politisch anzuschließen, sind uns einfach zu schade dazu, das bloße Instrument einer fremden Außenpolitik zu sein. Den Beweis dafür, daß diese Bewertung heute nicht mehr zutrifft, sind die Kommunisten uns noch schuldig. Wir kennen unsere Nachbarn. Wir wollen mit Ihnen in Frieden leben, auch natürlich mit denen im Osten. Wir wollen unser Streben nach Einheit nicht aufgeben. Unsere Mittel dazu sind Verständigung, friedlicher Ausgleich, Anpassung der Lebensbedingungen, soziale Ausgestaltung, Freizügigkeit, Selbstbestimmungsrecht. Daran mitzuwirken, sind wir bereit, aber auch entschlossen. Schönen Dank. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.

Heinrich Windelen (Minister:in)

Politiker ID: 11002525

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich darf mich bei dem Kollegen Löffler für viele seiner Ausführungen bedanken. Herr Kollege Löffler, Sie werden manche Ihrer Überlegungen in meinem kurzen Beitrag wiederfinden. Der Bundeskanzler, meine Damen und Herren, hat heute morgen eine eindrucksvolle Bilanz der letzten Jahre innerdeutscher Beziehungen darge15786 stellt. Diese Bilanz spricht für sich selber, sie kann auch von der Opposition in ihren positiven Ergebnissen nicht bestritten werden. Lassen Sie mich aber besonders hervorheben: Diese Verbesserungen haben wir erreicht, ohne dafür Grundsätze unserer Politik preiszugeben, weder rechtlich noch politisch noch moralisch und auch nicht in Fragen unserer Sicherheit. Eine solche erfolgreiche, eine solche berechenbare Politik verdient Unterstützung. Sie sollte deswegen nicht behindert und sie sollte vor allem nicht konterkariert werden, wie dies durch die SPD geschehen ist und teilweise immer noch geschieht. Natürlich muß es eine Regierung hinnehmen, wenn die Opposition versucht, ihr das Leben schwerzumachen. Das ist ja schließlich Teil ihrer Aufgabe. Aber nicht hinnehmbar ist es, wenn die Opposition die Interessen einer fremden Regierung unterstützt ({0}) und gegenüber der eigenen Regierung durchzusetzen versucht. Der Kollege Dr. Waigel hat ja noch einmal zitiert, was Volkskammerpräsident Sindermann bei seiner Ankunft auf dem Flugplatz in Bonn zu diesem Thema gesagt hat, als er nach den Forderungen von Gera gefragt wurde. Er sagte, das seien Grundfragen, die er nicht aktuell im Gepäck habe, aber er denke, daß diese mit Hilfe der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in einigen Fragen, bei denen ja große Übereinstimmung bestehe, im Laufe der Zeit gelöst werden könnte. Meine Damen und Herren, ein solches Verhalten widerspricht der staatspolitischen Verantwortung der Opposition. Dies gilt ganz allgemein, aber es gilt besonders dann, wenn es um die Politik gegenüber einem kommunistischen Staat geht. ({1}) Vernunft und Realismus verlangen, sich in den innerdeutschen Beziehungen auf das Machbare zu konzentrieren und die jeweiligen Grundsatzpositionen zu respektieren. Wenn dies beachtet wird, gibt es gute Entwicklungsmöglichkeiten in den innerdeutschen Beziehungen zum Nutzen beider Seiten. Wer hingegen auf statusrechtliche Gewinne abzielt, der verbaut den Weg für Fortschritt in der Substanz. Beide Staaten müssen sich von der Einsicht leiten lassen, daß prinzipielle Meinungsunterschiede und -gegensätze nicht wegdiskutiert werden können, daß aber beide dennoch als Nachbarn miteinander leben, ja, gut mit einander auskommen müssen, wie Generalsekretär Honecker zutreffend gesagt hat. Der Gradmesser dafür, wie gut zwei Staaten miteinander auskommen, ist das Verhältnis der in ihnen lebenden Menschen zueinander. Deswegen stimmen wir Herrn Sindermann ausdrücklich zu, wenn er im Hinblick auf den Ausbau der Beziehungen wörtlich feststellt: „Natürlich wird immer die Frage der menschlichen Beziehungen im Vordergrund stehen." Meine Damen und Herren, so ist es, und dies muß auch das allgemeine Leitmotiv der innerdeutschen Beziehungen werden. Gefragt sind mehr Menschlichkeit, mehr Menschenrechte im gegenseitigen Verhältnis und nicht mehr trennende Staatlichkeit. In diesem Sinne sollten vor allem wie bisher die menschlichen Begegnungsmöglichkeiten erweitert und erleichtert werden. Das gilt für verbesserte Reisemöglichkeiten in beiden Richtungen. Das gilt für Jugendbegegnungen, für die Einbeziehung der Ballungsräume Hannover und Hamburg in die Möglichkeiten des grenznahen Verkehrs. Das gilt für den Kulturaustausch, für die Sportbeziehungen, für den Tourismus und für partnerschaftliche Beziehungen von Städten und Gemeinden in beiden Staaten in Deutschland. Nun haben Sie, Herr Dr. Vogel, hier wieder gesagt, wir könnten doch gegenüber der DDR nicht ständig Wünsche vorbringen, ohne auch die Wünsche der DDR zu erfüllen. Sie meinten damit offensichtlich wieder die bekannten Statusforderungen. Meine Damen und Herren, wer so redet, übersieht doch völlig, daß es hier nicht um Wünsche geht, die ein Staat gegenüber einem anderen geltend macht, sondern um Wünsche - ({2}) - Werden Sie doch nicht schon wieder unruhig, Herr Kollege Vogel. Sie sind in letzter Zeit bemerkenswert nervös. Sie erwarten natürlich, daß Sie immer völlig ungestört reden dürfen. ({3}) - Sie werden mich noch nicht schreien gehört haben. Herr Kollege Vogel, lesen Sie im Protokoll nach, wie Sie sich hier verhalten. ({4}) Jetzt hören Sie sich den Satz doch ruhig an. Ich wiederhole also: Wer so redet, übersieht völlig, daß es sich hier nicht um Wünsche handelt, die ein Staat gegenüber einem anderen geltend macht, sondern um Wünsche, die von den Menschen in beiden Staaten gleichermaßen erhoben werden. ({5}) Wenn die DDR also diesen Wünschen entspricht, dann tut sie damit vor allem ihrer eigenen Bevölkerung einen Gefallen. Zugleich aber tut sich die DDR-Führung auch selber einen Gefallen; denn es liegt doch im Interesse eines jeden, auch eines kommunistischen Staates, auch einer kommunistischen Regierung, wenn Wünsche der Bürger erfüllt werden. Damit gewinnt diese Regierung doch auch an Ansehen und an Zustimmung in ihrer eigenen Bevölkerung. Unser Interesse an mehr menschlichen Begegnungen im geteilten Deutschland deckt sich also mit dem wohlverstandenen Eigeninteresse auch der DDR-Führung. Daraus ein einseitiges Entgegenkommen machen zu wollen, entspricht nicht der Realität, entspricht vor allen Dingen nicht den Interessen der Deutschen. Im übrigen zeigt sich hier, wie verfehlt die Ansicht ist, was uns nütze, schade der DDR und umgekehrt. Die innerdeutschen Beziehungen sind eben kein Nullsummenspiel, bei dem der Gewinn des einen dem Verlust des anderen entspricht. Vielmehr kommt eine praktische Zusammenarbeit in möglichst vielen Bereichen beiden Staaten gleichermaßen zugute. ({6}) Dies gilt besonders für den Umweltschutz. Auch hier geht es doch nicht um einseitige Wünsche der Bundesregierung, sondern um ein gemeinsames Anliegen beider Staaten in Deutschland. Deswegen müssen hier beide Staaten nach besten Kräften ihre Beiträge leisten, damit die Umwelt im Interesse der Menschen vor weiterem Schaden bewahrt bleibt. ({7}) Die Bundesregierung ist auch hier zu einer fairen Zusammenarbeit mit der DDR bereit. Zusammenarbeit, Dialog, Interessenausgleich und ein vernünftiger Umgang miteinander müssen ganz allgemein die innerdeutschen Beziehungen prägen. Gerade weil sie an der Trennlinie von zwei entgegengesetzten politischen Systemen, an der Grenze von zwei gegnerischen Militärbündnissen liegen, wird von beiden Staaten in Deutschland ein verantwortungsbewußtes, ja ein beispielhaftes Verhalten erwartet. Ich kann deswegen auch nur unterstreichen, was Herr Sindermann am 19. Februar dieses Jahres in Bonn gesagt hat: Das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten betrachten wir als wichtigen Teil der gesamteuropäischen Zusammenarbeit. Es darf keine zusätzliche Belastung der Lage in Europa hervorrufen, sondern muß das friedliche Zusammenleben der Staaten befruchten. Meine Damen und Herren, auf welche Weise die beiden Staaten in Deutschland im Rahmen ihrer Möglichkeiten dem Frieden dienen können, habe ich im Dezember des vergangenen Jahres in meinem Beitrag „Deutsche Zusammenarbeit für den Frieden" zu erläutern versucht. Darin habe ich vorgeschlagen, daß beide Staaten in Deutschland durch eine beispielhafte praktische Zusammenarbeit, d. h. auf nichtmilitärische Weise den Frieden in Europa gestalten sollen. Ziel einer solchen Politik muß es sein, durch ein immer engeres Geflecht innerdeutscher Zusammenarbeit einen militärischen Konflikt gerade dort, wo die beiden großen Bündnisse einander unmittelbar gegenüberstehen, immer unwahrscheinlicher zu machen. Meine Damen und Herren, ich nehme gern zur Kenntnis, daß auch Herr Sindermann bei seinem Besuch in Bonn erklärt hat: Es geht um die Sicherung des Friedens durch engere Zusammenarbeit. - Darin sehe ich eine positive Antwort auch auf meine Initiative. ({8}) In diesem Sinne wird die Bundesregierung auch künftig ihre Politik gegenüber der DDR gestalten, zum Wohle der Menschen in Deutschland und zur Stärkung des Friedens in Europa. Für diese Politik bitte ich um Ihre Unterstützung. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Büchler.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Ein Wort noch zu Ihnen, Herr Waigel: Hätten Sie lieber geschwiegen!, kann man hier sagen. Sie haben wirklich sachverständige Kollegen in der Fraktion. Ich habe mir sagen lassen, die hätten heute Redeverbot. Warum denn? Kann man das von Ihnen als stellvertretendem Fraktionsvorsitzenden erfahren? ({0}) - Was soll ich mehr dazu sagen? ({1}) Herr Minister Windelen, aus Ihrem Beitrag und aus dem, was Sie immer sagen, kommt die Hilflosigkeit dieser Bundesregierung in der Deutschlandpolitik zum Ausdruck, vor allem, wenn Sie sich in einer bestimmten Art und Weise an die DDR wenden. Die Kommunisten, so meinen Sie, müssen Sie daran erinnern, wer in Bonn regiert. Sie verlangen eifersüchtig, sie sollten nicht soviel mit der SPD reden. Ich will Ihnen sagen, Herr Minister: Keine Angst, diese machtbewußte SED weiß sehr wohl, daß die Bundesregierung der zuständige Partner für verbindliche Vereinbarungen ist. ({2}) Aber, Herr Minister, in Wirklichkeit treibt Sie eine ganz andere Sorge um, nämlich die, daß die Wähler in der Bundesrepublik merken, wer die Anstöße in der Deutschlandpolitik gibt, welche Partei die treibende Kraft ist. Deshalb greifen Sie bedauerlicherweise in die Mottenkiste. In Anlehnung an die haßerfüllten Diffamierungen der Sozialdemokratie durch die politische Rechte seit dem Kaiserreich kramen Sie den Vorwurf hervor, wir Sozialdemokraten verträten die Interessen der DDR. ({3}) Lächerlicher, Herr Minister, geht es wirklich nicht mehr. ({4}) Das Problem, das wir haben, sind die Lücken und Widersprüche in der Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung. Weil jeder Denkanstoß aus Ihren Reihen von Ihrer Stahlhelm-Fraktion umgehend unterbunden wird, entsteht ein Vakuum, das uns zwingt, tätig zu werden. Diese Bundesregierung wird von der größten Koalitionsfraktion blockiert und ist Büchler ({5}) deshalb den Offensiven der DDR hilflos ausgeliefert. ({6}) Das beklagen wir. Sie ist die Gefangene dogmatischer Einreden des rechten Flügels der CDU/CSU. ({7}) Weil das so ist, können Sie von uns Sozialdemokraten nicht verlangen, daß wir tatenlos zusehen. Ein Vakuum entsteht z. B. in Fragen der Friedenssicherung. ({8}) Die Bundesregierung lehnt es weitgehend ab, diese Fragen auf die Tagesordnung der deutsch-deutschen Beziehungen zu setzen. Dabei werden beide deutschen Staaten die ersten Opfer sein, sobald die Abschreckung versagt. Das gibt uns nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, alle Möglichkeiten auszuloten, um ein Versagen der Abschreckung zu verhindern. Wir brauchen neue Elemente der Stabilität zwischen Ost und West, um den Frieden in Europa sicherer zu machen. Diese Unbeweglichkeit der Bundesregierung provoziert die Frage, welche Rolle für sie das Kanzlerwort „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" überhaupt noch spielt. ({9}) In Ihrer praktischen Politik gibt es keine Anzeichen dafür, daß dieser Programmpunkt von Ihnen sehr ernstgenommen würde - um das ganz deutlich zu sagen. ({10}) Wir wollen alle gemeinsam mehr Erleichterungen. Wir wollen die Linderung der Teilungsfolgen und mehr Kontakte zwischen den Menschen. Wir wollen dies aus humanitären Gründen, aber auch, um die Einheit der Nation zu wahren. Wir haben in diesem Rahmen eine lange Liste von Forderungen und Wünschen an die DDR. Da das so ist, muß man überlegen, wie diese Forderungen durchgesetzt werden können. Alles andere ist keine Politik. Deswegen macht unser Fraktionsvorsitzender darauf aufmerksam, wo die Ansätze sind, Herr Minister. Bei der Bundesregierung findet dieses Nachdenken leider nicht statt, und das machen wir Ihnen zum Vorwurf. Sie reden von Ihren Erfolgen am heutigen Tag. ({11}) Zwei Gründe haben sie zuwege gebracht: Erstens. Die Bundesregierung erntet Früchte, die 1981 am Werbellinsee vom Kanzler Helmut Schmidt gesät worden sind. ({12}) Zweitens. Die Bundesregierung ist Nutznießer vom innenpolitisch motivierten Entscheidungsprozeß der DDR. Zu den Früchten des Werbellinsee-Treffens ({13}) gehören der Jugendaustausch, der Ausbau des innerdeutschen Handels, höhere Zahlen im Reiseverkehr und ohne Zweifel das Kulturabkommen. Aus innenpolitischen Gründen hat die DDR die Zügel im Reiseverkehr gelockert. Sie läßt aus innenpolitischen Gründen auch relativ viele Menschen in die Bundesrepublik übersiedeln. Kommen wir zu den sogenannten Leistungen der Bundesregierung in der Deutschlandpolitik. Da muß man mal deutlich sagen: Sie bestehen aus Bürgschaften in Milliarden-Höhe an die DDR und aus Swing-Erhöhungen. Sie bestehen aus Vernachlässigung Berlins bei Besuchsregelungen und bei der strittigen Vereinbarung über die Fernhaltung von Asylbewerbern. Sie bestehen darin, den schädlichen Streit über die Auslegung von Rechtspositionen zu fördern, statt zu verhindern. Sie bestehen in der Unfähigkleit des Bundeskanzlers, in der Grenzfrage die Zustimmung seiner Fraktion zu erhalten. ({14}) Auch hier hält die Stahlhelm-Fraktion den Deckel drauf. Im Topf sitzt diese Bundesregierung, kann nicht heraus. Sie schmort dahin. Das ist alles. Wir wollen ihr helfen. Deswegen werden die Besuche von unseren Freunden, Mitgliedern dieser Fraktion benutzt, um in der DDR ihre Politik vorwärtszubringen. Aber Sie sprechen von Nebenaußenpolitik und von Nebendeutschlandpolitik. ({15}) Mit diesen Begriffen dokumentieren Sie Ihre Hilflosigkeit. Diese Wörter werden also keine Resonanz finden. Wir könnten viel gemeinsam regeln. Wir müssen im Hinblick auf Art. 5 des Grundlagenvertrages vorwärtskommen. Der muß konstruktiv genutzt werden, wenn der Frieden sicherer gemacht werden soll. Es geht darum, daß in der Frage der Elbe-Grenze Maximalpositionen eben nicht als Verhandlungsobjekt taugen. Konkrete Verbesserungen für die Menschen müssen erreicht werden. Die Einbeziehung Hamburgs und Hannovers in den kleinen Grenzverkehr, Verbesserungen, Erleichterungen für die Fischer in der Ostsee und natürlich mehr Grenzübergänge, das muß doch das Ziel sein. Die Menschen brauchen diese Politik, brauchen eine Beweglichkeit dieser Bundesregierung in der Deutschlandpolitik. Sie muß weiterentwickelt werden. Wir müssen weiterkommen, wenn wir unseren Menschen in beiden Teilen Deutschlands dienlich sein wollen. ({16}) Sie wollen vor allem konkrete und sichtbare Ergebnisse im Umweltschutz und im Reiseverkehr. Das wäre eine gemeinsame Aufgabe. Hier würden wir miteinander an einem Strang ziehen können. Die Erfolge lassen auf sich warten. Seit Monaten hausiert die Bundesregierung damit, welche einBüchler ({17}) drucksvollen Fortschritte es bei den Verhandlungen mit der DDR über ein Umweltrahmenabkommen gebe. Bundeskanzler Kohl hat hier heute wieder die uralte Liste aufgeführt. Die kennen wir doch schon seit Jahren. Nichts Konkretes! Fragen wir nach: Wie ist es mit der Reinhaltung der Elbe? Nichts! Mit der Entsalzung von Werra und Weser? Nichts! Wie ist es mit der Luftverschmutzung in Nordostoberfranken? Nichts! Alles ist Fehlanzeige. Sprüche! Sonst ist nichts vorhanden. ({18}) Ich sage Ihnen: In Oberfranken stirbt der Wald, sterben das Fichtelgebirge, der Frankenwald und der Oberpfälzer Wald in der Oberpfalz. ({19}) Sie tun nichts, obwohl die Möglichkeiten vorhanden wären. ({20}) Deswegen komme ich zur Schlußbewertung über Ihren Bericht, Herr Bundeskanzler, diesen Bericht zur Lage der Nation 1986: Den entscheidenden Gefahren und Problemen stellt sich diese Bundesregierung nicht. ({21})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt ({0}).

Ekkehard Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002386, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag vom 31. Juli 1973 heißt es, daß allen Verfassungsorganen die Forderung auferlegt ist, die Idee der Wiedervereinigung wachzuhalten und beharrlich zu vertreten. Der Bericht zur Lage der Nation und die Debatte darüber sind sicher ein Beitrag dafür. Wir müssen uns aber ernsthaft die Frage stellen, was wir aus dieser Debatte machen. Ich habe manchmal den Eindruck, als handle es sich hier um ein Pflichtritual, eine Zeremonie oder eine Gewohnheitsübung. ({0}) Meine Damen und Herren, auch die Frage ist erlaubt, was sich seit dem letzten Bericht für die Menschen und ganz konkret zum Thema Menschenrechte im anderen Teil Deutschlands positiv verändert hat. Diese Frage muß gestellt werden. Hat sich in der Tat seit dem letzten Bericht etwas verändert? Sind inzwischen die Individualrechte für unsere Landsleute im anderen Teil Deutschlands garantiert worden? Haben sie ein uneingeschränktes Recht auf Leben? Warum werden die persönliche Sicherheit und Freiheit weiter eingeschränkt? Warum wird im anderen Teil Deutschlands gefoltert? Meine Damen und Herren, wo bleibt das Recht auf freie Religionsausübung, Informationsfreiheit und Meinungsäußerung? Was ist mit den politischen Gefangenen, die einem Strafvollzug unterworfen sind, der grausam, erniedrigend, ja menschenunwürdig ist? Ich breche hier ab. Ich stelle nur fest: Dies alles, diese elementarsten Menschenrechte werden mißachtet, obwohl sie die DDR als Mitglied der Vereinten Nationen insgesamt verbindlich anerkannt hat, und zwar in der Charta der Vereinten Nationen, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der KSZE-Schlußakte: Alle Menschen sollen sich frei entfalten und ohne Unterdrückung leben dürfen. Meine Damen und Herren, es geht mir hier nicht um Besserwisserei. Ich will aufmerksam machen. Ich möchte auch aufrütteln. Worum geht es hier? Es geht um die Menschenrechte. Das heißt, der Mensch wird in seiner Würde deklassiert. Das heißt, es geht um ein Ringen um Menschlichkeit, um überhaupt das Leben frei gestalten zu können. Sind wir uns im klaren darüber, wie oft wir diese Vokabel „Menschenrechte" in den Mund nehmen und was wir dafür konkret tun? Dankenswerterweise haben der Herr Bundeskanzler, Herr Waigel, auch Herr Vogel, Herr Ronneburger und vor allem Herr Bundesminister Windelen die Problematik in ihren Reden angesprochen. Es geht um mehr Menschlichkeit. Das heißt, es geht uns hier doch konkret um die Betroffenen. Denn wer die Freiheit nicht hat, ist rechtlos, ist schutzlos, ist unterdrückt. Das heißt, er ist seiner Würde, seiner Unantastbarkeit beraubt. Das heißt, er ist abhängig von den Mächtigen, er ist unfrei. Ich muß Ihnen sagen, es ist eine Schande, daß im Jahre 1986 in anderen Teilen dieser Welt, aber auch in der DDR Menschen gefoltert, eingesperrt, geprügelt, denunziert, überwacht und getötet werden, nur weil sie frei sein wollen, meine Damen und Herren. Warum soll man darüber nicht in aller Offentlichkeit sprechen dürfen? Ich sage: Diese Menschenrechte werden immer wieder gefordert, aber werden ungleich eingeklagt. So ist es für viele ein Unterschied, ob über Menschenrechtsverletzungen in Südafrika, in Nicaragua, in Afghanistan, in Chile oder sonstwo berichtet und diskutiert wird. Ich glaube, ich bin mit allen in diesem Hohen Hause einig, wenn ich meine: Menschenrechtsverletzungen müssen - egal, wo und in welchem Land sie passieren - in aller Öffentlichkeit angesprochen werden und auch kritisiert werden dürfen. Ich frage die freien Deutschen: Wo bleiben der Aufschrei des Gewissens, die innere Stimme, das moralische Pflichtbewußtsein, der Ruf nach rücksichtsloser Eindämmung der scheußlichen Taten gegenüber wehrlosen Menschen? Meine Damen und Herren, die stille Diplomatie in der Deutschlandpolitik der Bundesregierung wird von mir unterstützt. Sie mag da und dort sinnvoll sein. Aber das heißt noch lange nicht, daß ich über Menschenrechtsverletzungen schweigen muß. Ich würde auch sagen, Herr Honecker soll hierher kommen, damit wir miteinander reden können, damit man überhaupt den Spielraum ausnutzen kann, Voigt ({1}) den wir vielleicht im direkten Gespräch haben, aber ich würde ihm, wenn er hierher kommt, die Frage stellen: Wie lange können Sie es noch moralisch und ethisch vertreten, wie lange können Sie es weiter vor Ihrem Gewissen verantworten, als ein Mensch, der j a selber den Anspruch erhebt, ein menschliches Leben zu führen, daß andere Menschen als Individuen in ihrem Mindestmaß an Freiheit eingeschränkt werden? Ich sage Herrn Honekker und auch jedem anderen: Nichts ist politisch gerechtfertigt, was moralisch falsch ist und den Menschen erniedrigt. Die Erfolge, die hier angesprochen worden sind, sind für die Betroffenen sicher gut, und hier gilt es der Bundesregierung auch Dank zu sagen. Aber ich will nicht, daß wir den Freikauf von wenigen weiter vorantreiben oder eine Lotterie erreichen, bei der die Ausreisefreiheit wieder die Prämie ist. Ich möchte vielmehr einen Stufenplan zur Durchsetzung der Menschenrechte und der Freiheit für jeden Bürger im gesamten Deutschland. Das heißt, ich unterstütze die Aktivitäten der Bundesregierung, die auf ein Zueinander, auf ein Miteinander, auf menschliche Kontakte auf allen Ebenen gerichtet sind. Wir müssen ein Netz der Informationen über die Möglichkeiten des menschlichen Miteinander schaffen, vielleicht durch forcierten Ausbau von Städtepartnerschaften, von Kontakten zwischen Vereinen und zwischen den Kirchen. Der Weg zueinander muß Priorität haben. Meine Damen und Herren, wer Menschenrechte will, muß - das ist auch hier im Bericht zur Lage der Nation deutlich geworden - die Freiheit offensiv vertreten. Nur die Freiheit gibt jedem Menschen die Chance zum Leben. Frei sein heißt: liberal denken können, mündig sein, erlöst sein von allen Banden und Zwängen, und das ist die Voraussetzung, um sein Leben überhaupt menschlich gestalten zu können. Freiheit und Menschenrechte sind die Lebensgrundlagen eines jeden Menschen. Ich fordere Sie auf, meine sehr verehrten Damen und Herren, dies zu beherzigen: Solange es in Deutschland freie Menschen gibt, die frei reden dürfen und in deren Herzen die Menschen, die in Unfreiheit leben müssen, angesprochen werden können, wird die Chance, die Menschenrechte zu verwirklichen, eine echte Chance sein. Dies müssen wir für alle Landsleute hier und drüben fordern, und dazu rufe ich alle Verantwortlichen in diesem Lande auf. Zur Freiheit und zu den Menschenrechten gibt es keine Alternative. Danke sehr.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Terborg.

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich an meinem kurzen Redebeitrag arbeitete, habe ich mich gefragt: Kann ich und darf ich einleitend von meiner Hoffnung auf ein wiedervereinigtes Deutschland sprechen? Ist dieser Traum, diese Utopie nicht zu Tode geritten, im falschen Pathos ertränkt, als innenpolitische Kampfmunition verbraucht worden? Nun, ich glaube, ich kann auch heute noch darüber reden, weil ich will, daß meine Kinder und später die Enkel ein Stück Heimat in Rostock, eine Beschäftigung in Zwickau und einen Studienplatz in Leipzig finden ({0}) und umgekehrt auch. Sie mögen dann immer noch verschiedene Pässe haben und Arbeits- bzw. Aufenthaltserlaubnisse benötigen, aber sie sollten nicht Fremde im jeweils anderen Deutschland sein. ({1}) Wenn ich das will - wir sollten das alle wollen -, müssen wir das zarte Pflänzchen des Aufeinanderzu-Bewegens kräftigen. Wir werden merken, daß jenseits aller ideologischen und gesellschaftspolitischen Trennwände Gemeinsames zu entdecken, zu entwickeln und zu nutzen ist. Ein Stück mehr Menschlichkeit kann durchaus auch im Interesse der DDR liegen. Freizügigkeit, richtig gehandhabt, könnte zu beiderseitigem ökonomischen Nutzen sein, wenn man eine Politik betreibt, die bewußt darauf verzichtet, den anderen in die Ecke zu bringen, sondern ihn herausholt und als Partner fordert. Dann müssen auch sie, meine Herren von der Koalition, nicht mehr bei Herrn Sindermann Schlange stehen und Ihr Protokoll-Bauchweh bekämpfen, sondern können wie selbstverständlich eine deutsch-deutsche Tagesordnung abwickeln. Was wäre also praktische Politik? Welche Schritte könnten wir schon jetzt gehen? Ich greife einige heraus: Wir könnten mit der DDR mehr Begegnungen der Menschen aller Altersgruppen verabreden. Wir sollten mit Tausenden beginnen, damit auch Ost-Berlin Berührungsängste verliert. Wir könnten bei Grenzkorrekturen den gesunden Menschenverstand walten lassen und müßten nicht den Bleistiftstrich der Sieger zu einer unverrückbaren Trennlinie hochstilisieren. Wir könnten den Besucher von drüben als Mitmenschen und nicht als potentiellen Agenten sehen, den es zu überwachen und auszuforschen gilt. ({2}) Ich denke dabei z. B. an die Schwierigkeiten, die der Jugendaustausch mal hatte. Dabei bin ich der festen Überzeugung, daß unsere Republik, wenn überhaupt, nur von innen her gefährdet ist. Mehr Menschlichkeit erreichen wir nicht durch das Archivieren von Akten in Salzgitter, sondern durch beharrliches Einwirken auf die DDR, die Durchlässigkeit der Grenze nicht zu fürchten. ({3}) Wenn zuerst Gruppen zu uns kommen, deren ideologische Zuverlässigkeit für Ost-Berlin außer Zweifel steht, dann sollten wir auch diese Menschen als Partner begreifen. Schließlich muß man sich drüben auch an den Sozial- oder Christdemokraten von hier gewöhnen, an den Menschen, der sich die Freiheit nimmt, drüben so zu sein, wie er es hier gewohnt ist. ({4}) Über 60 000fache Jugendbegegnungen können, wenn sie echte Begegnungen sind, entkrampfend wirken, und 3 000 FDJler, die bei uns in diesem Jahr erwartet werden, können die ersten Zugvögel deutsch-deutscher Treffen sein, die in beiden Richtungen funktionieren. Städtepartnerschaften sind vorstellbar. Fangen mit einer an! Der Kultur- und Sportaustausch läßt sich verbessern. Aus dem DDR-Export billiger Arbeitskräfte am Bau könnte vielleicht ein sinnvoller Facharbeiter-Austausch entstehen. Daß die Umweltprobleme beide Deutschlands zum gemeinsamen Handeln zwingen, muß endlich als unaufschiebbare Notwendigkeit begriffen werden. ({5}) 24 912 DDR-Bürger haben im vergangenen Jahr für immer ihre Heimat verlassen und sind zu uns gekommen. Wir konnten ihnen kein leichtes und komfortables Zuhause bieten; mitunter präsentiert sich unser Staat als seelenlose Bürokratie, als gedankenlose Wettbewerbsgesellschaft. Immer wieder haben wir Sozialdemokraten Vorschläge gemacht, wie diesen Menschen geholfen werden kann, angefangen vom Begrüßungsgeld über die Verbesserung der Aufnahmeverfahren bis hin zur beruflichen Eingliederung. Einige dieser Vorschläge sind aufgegriffen worden, aber das reicht nicht. Die zu uns kommenden Übersiedler sind keine statistische Restgröße, sondern ein Testfall für unsere Fähigkeit, neue Lebenschancen zu bieten. ({6}) Lassen Sie mich aber auch dies sagen: Die Auswanderung in den anderen deutschen Teilstaat darf nur letzterer Ausweg sein und bleiben. Wir brauchen eine Zukunft, wo man nicht auf Dauer die Fronten wechseln muß, um eine Zukunft zu haben. Das bedeutet nicht nur Abbau des Freiheitsgefälles und des Wohlstandsgefälles, sondern die schrittweise Herbeiführung jenes Miteinanders, das in Helsinki konzipiert wurde und allmählich zu einer gesamteuropäischen Friedensordnung führen soll. Vielleicht, meine Damen und Herren von der Koalition, wollen Sie mir bei diesen Grundforderungen noch folgen. Sind aber die Stahlhelmer in den Unionsparteien in der Lage, über ihren eigenen Schatten zu springen und kriegerische Fensterreden zu unterlassen? Wird für Sie das Protokoll endlich nur Mittel zum Zweck sein, oder bleibt es Weltanschauung? ({7}) Ist das Gespräch mit der kommunistischen Führung für Sie schon eine Selbstverständlichkeit, oder bleibt es ein im Grunde anrüchiger Kontakt? Gibt sich die FDP mit der Rolle zufrieden, einsichtige Papiere zu verfassen, oder hat sie auch Anteil an der Formulierung der Politik? Sind Sie bereit, der Führung im anderen Teilstaat bei der Bewältigung der Umweltprobleme zu helfen und dies auch als ein Stück Selbsthilfe zu begreifen? Fordern Sie nur von den anderen ein realistisches Deutschlandbild, oder ist die Koalition jetzt schon selber dazu fähig? Erst wenn Sie diese und andere Fragen mit einem Ja beantworten können, das nicht nur zähneknirschende Zustimmung ist, sind wir ein Stück weiter, und - auch das möchte ich offen aussprechen - erst dann haben wir im deutsch-deutschen Interesse eine realistische Vorleistung erbracht. Sie ist vom Stärkeren gefordert, sie wird uns abverlangt, damit aus einem Traum, aus der Utopie Wirklichkeit erwächst. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in nahezu allen Fragen, die der Kollege Voigt - fraktionslos - angeschnitten hat, inhaltlich anderer Meinung als er. Ich stimme aber in einem mit ihm überein, nämlich darin, daß diese Debatte weitgehend als ein Ritual abgelaufen ist, als eine inhaltsleere Debatte, in der wenig aufeinander Bezug genommen worden ist und in der die Argumente, die hier gebracht worden sind, kaum ausgetauscht worden sind. Deswegen möchte ich mir die Anregung erlauben, das Ritual der jährlichen Debatte zur Lage der Nation abzuschaffen, viel häufiger eine Aktuelle Stunde durchzuführen und über die Grundsatzfragen, in denen nach wie vor sehr große Unterschiede bestehen, auf anderen Foren - auf Akademien und anderswo - zu diskutieren. Das tut ihnen besser, und das hat auch mehr Wert für das zuhörende Publikum. ({0}) - Herr Reddemann, Sie sitzen leider etwas zu weit weg. Ich habe Ihren Zwischenruf nicht verstanden. Sonst würde ich ihn gerne aufnehmen und auch darauf antworten. Ich will für uns noch einmal die wesentlichen Kernpunkte zusammenfassen und auch antworten. Ich wünschte wirklich, Herr Diepgen wäre noch hier, weil ich bei einigen Punkten sogar an die Ausführungen von Herrn Diepgen anknüpfen kann. Ich würde mich wirklich außerordentlich freuen, wenn das, was Herr Diepgen heute hier erzählt hat, Maßstab und Position der Fraktion der CDU/CSU wäre. ({1}) Dann wären wir, wie ich glaube, in den deutschdeutschen Beziehungen sehr viel weiter. Ich würde mich hier gern auch mit Ihnen, Herr Löffler, inhaltlich weiter streiten. ({2}) Mit dem, was Herr Löffler gesagt hat, habe ich an vielen Stellen ungeheure Probleme. Sein Beitrag war sehr stark historisch orientiert. ({3}) - Frau Berger, es tut mir leid, ich stimme dem in sehr vielen Punkten nicht zu. ({4}) Für uns ist nach dieser heutigen Debatte vielerlei wichtig. Erstens. Wir wollen nicht die Zweistaatlichkeit und die Existenz der DDR überwinden, wohl aber die Blockzugehörigkeit beider Staaten durch Auflösung der Militärblöcke. ({5}) Zweitens. Wir propagieren keine offene deutsche Frage im nationalistischen Sinne. Wohl aber stellen wir Fragen im Hinblick auf die existierenden Strukturen. Drittens. Wir bieten nicht die eine Gesellschaftsordnung als Modell für die andere an, sondern überlassen den Wettbewerb der Systeme den Menschen und ihren Beziehungen untereinander. Viertens. Wir kleben nicht an überholten Rechtstiteln, sondern wollen die Barrieren beseitigen, die politischen Kontakten, gesellschaftlicher Kooperation und menschlicher Kommunikation im Wege stehen. Das sind die Grundlagen unserer Politik. Meine Damen und Herren von der SPD, jetzt muß ich mich noch einmal an Sie wenden, weil ich nämlich meiner Fraktion empfehlen möchte, Ihrem Änderungsantrag, den Sie hier heute auf dem rosa Zettel unterbreitet haben, nicht zuzustimmen. ({6}) - Das ist insofern eine Überraschung, Herr Haehser, als wir der Ziff. 3 dieses Änderungsantrages inhaltlich selbstverständlich voll zustimmen. Für diejenigen, die den Antrag jetzt nicht vor sich liegen haben - die meisten haben ihn vermutlich nicht gelesen -, sage ich: Diese Ziffer betrifft die Grenzen. Ihr würden wir zustimmen. Wir haben allerdings erhebliche Vorbehalte, Ziff. 2 zuzustimmen. Wir haben vor allem auch erhebliche Vorbehalte, uns hier auf eine solche gemeinsame Sache einzulassen. Es gibt Unterschiede hier im Hause, es gibt Unterschiede in allen Fraktionen, es gibt auch Unterschiede innerhalb der Fraktion der SPD. Ich hätte es begrüßt, wenn der Kollege Gilges hier heute seine Meinung hätte vortragen können. Warum lassen Sie uns das denn hier nicht demokratisch austragen? Es gibt natürlich auch Unterschiede in der Fraktion DIE GRÜNEN. Nur: Insgesamt hilft es uns überhaupt nicht, wenn hier etwas verkleistert wird. Mit Formelkompromissen kommen wir nicht weiter. Deswegen empfehle ich meiner Fraktion: Bitte, Kolleginnen und Kollegen, lehnt den Änderungsantrag der SPD ab. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heimann.

Prof. Gerhard Heimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000845, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Schluß dieser Debatte kann ich der Bundesregierung und den sie tragenden Koalitionsfraktionen einen Hinweis, der für Sie besonders peinlich ist, nicht ersparen. Heute morgen haben wir aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers den neuen Bericht zur Lage der Nation gehört, zu einem Zeitpunkt also, in dem die vorliegenden Anträge zu dem Bericht im vergangenen Jahr nicht einmal formell erledigt waren. Wissen Sie, daß wir uns hier im Bundestag über die Deutschlandpolitik in der Sache streiten, das ist kein neuer Zustand, und gemeinsame Erklärungen zu diesem schwierigen Thema werden wohl auch in Zukunft nicht zur Regel werden. Aber daß mehr als ein Jahr vergangen ist, ohne daß Anträge auch nur eine formelle Erledigung gefunden haben, daß wir die neue Erklärung zur Lage der Nation gehört haben, ohne vorher die Diskussion um die alte abgeschlossen zu haben, das ist doch wohl neu. Das ist auch sehr bemerkenswert. Das ist sogar beschämend. Meine Damen und Herren, das ist deshalb beschämend, weil die Regierungsfraktionen mit den Mitteln der Geschäftsordnung verhindert haben, eine Debatte zu führen, die sie mit Recht zu fürchten haben und von der sie hoffen, daß sie nun durch die neue Erklärung des Bundeskanzlers zugedeckt wird und in Vergessenheit geraten könnte. Durch die Art und Weise der Behandlung eines Themas, von dem Sie in der Öffentlichkeit immer behaupten, es liege Ihnen besonders am Herzen, liefern Sie selbst den Beweis dafür, daß Sie ein schlechtes Gewissen haben. Nun haben Sie ja in der Tat einen Grund, das zuzudecken, vergessen zu machen, in der Versenkung verschwinden zu lassen, was der Offentlichkeit in einer Momentaufnahme überdeutlich über den wahren inneren Zustand der Unionsfraktion im Herbst vergangenen Jahres bekanntgeworden ist: Ein starker Flügel in der CDU/CSU muß sich von einem Mitglied der eigenen Fraktion mit Recht Stahlhelm-Flügel nennen lassen. Ob dieser Flügel die Mehrheit hat oder nicht, er ist jedenfalls stark genug, um selbst den eigenen Bundeskanzler öffentlich desavouieren und jede auch nur behutsame Weiterentwicklung der Deutschlandpolitik im grundsätzlichen abblocken zu können. Als dies dem ganzen Volke im Oktober vergangenen Jahres in einem Vorgang, der gewiß Züge von politischem Exhibitionismus hatte, klar wurde, haben sich sicher viele Bürger in der Bundesrepublik und vielleicht noch mehr in der DDR in ehrlicher Sorge gefragt, ob denn eine Regierungspartei, in der so viele wichtige und handelnde Personen imHeimann mer noch mit dem Bewußtsein der 50er Jahre Politik von heute gestalten wollen, in der Lage sei, die Entspannungs- und Ostpolitik weiterzuführen. ({0}) Von diesem Augenblick an kann es eigentlich niemanden mehr wundern, daß aus dieser Fraktion ein Politiker zum Vorsitzenden des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen gemacht wird, der öffentlich erklärt, ihm sei es egal, ob Erich Honecker in die Bundesrepublik komme oder nicht, ({1}) wobei niemand, Herr Kollege Reddemann, Ihnen das Recht bestreiten kann, dieser Meinung zu sein. Die Frage ist nur, ob Sie mit dieser Meinung der rechte Mann als Vorsitzender eines Ausschusses sind, der die deutsch-deutschen Beziehungen pflegen und nicht trüben soll. ({2}) Von diesem Augenblick an kann es eigentlich auch niemanden mehr wundern, daß, obwohl sehr viele CDU/CSU-Politiker Schlange standen, als der Präsident der Volkskammer in Bonn war, und obwohl es im Bundestag schon heute eine klare Mehrheit für die Aufnahme von offiziellen Beziehungen zur Volkskammer gibt, immer neue Vorwände erfunden werden, um diese Entscheidung wenigstens Noch eine Zeitlang hinauszuzögern. ({3}) Stillstand, Immobilität und, wenn es möglich wäre, auch Denkverbote in der Deutschlandpolitik sind die Folge der inneren Kräfteverhältnisse in der CDU/CSU-Fraktion. ({4}) Und angesichts dessen, Herr Kollege Ronneburger, beschwören Sie die Vordenkerrolle der FDP, erinnern an den Generalvertragsentwurf Ihrer Partei in den 60er Jahren. Aber ich frage Sie nun, Herr Kollege Ronneburger: Was ist aus dieser in Anspruch genommenen Vordenkerrolle in der Bundestagsfraktion der FDP von heute geworden? ({5}) Nicht einmal die Aufnahme von offiziellen Beziehungen zur Volkskammer haben Sie in dieser Koalition durchsetzen können, obwohl Sie sie selbst wollen. Nein, Herr Kollege Ronneburger, die Wahrheit ist: Sie sind in einem Boot mit einer Partei, in der noch heute ein großer Teil nicht bereit wäre, die Verträge von Moskau, von Warschau und den Grundlagenvertrag mit der DDR durchzusetzen. ({6}) Wie gut, daß Willy Brandt, Egon Bahr und - das füge ich jetzt ausdrücklich hinzu - auch Walter Scheel sie bereits vor eineinhalb Jahrzehnten durchgesetzt haben. ({7}) Es ist Sache der FDP-Fraktion, selbst zu entscheiden, wie lange sie sich noch von dem in der CDU/ CSU strukturell angelegten Immobilismus in der Deutschlandpolitik blockieren lassen will. Aber ich gebe zu, Herr Kollege Ronneburger: Etwas mehr von der FDP in den 60er Jahren, etwas mehr von Wolfgang Döring, von Karl-Hermann Flach oder Hans-Dieter Jaene oder eben auch William Borm hätte ich mir persönlich schon sehr gewünscht, ({8}) als es darum ging, die schon einmal einvernehmlich gefundenen Formulierungen für eine gemeinsame Erklärung des Deutschen Bundestags im Oktober vergangenen Jahres gegen die Angriffe der Stahlhelm-Fraktion in der CDU/CSU zu verteidigen. ({9}) Die SPD-Fraktion gibt Ihnen heute noch einmal eine Gelegenheit, die Kleinmütigkeit vom Oktober vergangenen Jahres zu korrigieren, oder - ich vermute allerdings, diese Formulierung ist näher an der Wirklichkeit - sie erspart es Ihnen jedenfalls nicht, nochmals vor aller Öffentlichkeit den Offenbarungseid zu leisten. Für die jetzt folgende Abstimmung hat die SPD-Fraktion als ihren Antrag Wort für Wort den Text eingebracht, den wir - Herr Ronneburger, Herr Werner, Herr Schulze und in der letzten Phase Herr Lintner - ausgehandelt haben. Die SPD ist nach wie vor zu einer gemeinsamen Entschließung bereit, auch zu einer solchen, die nicht nur ihre eigenen Positionen enthält, sondern auch die der anderen Fraktionen. Um das zu verdeutlichen, haben wir unseren eigenen ursprünglichen Antrag zugunsten der im vergangenen Jahr gemeinsam ausgehandelten Entschließung zurückgestellt. Wie das Ganze nun ausgehen wird, ist im Ausschuß bereits deutlich geworden: Sie werden ablehnen, was Sie früher zum Teil selbst formuliert haben, weil Sie in der Deutschlandpolitik Geschlossenheit nur noch auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner demonstrieren können. Und der kleinste gemeinsame Nenner der Koalition ist das, was die Stahlhelm-Fraktion innerhalb der CDU/CSU-Fraktion diktiert. Um diesen Sachverhalt zu vertuschen, ziehen Sie plötzlich einen Text aus der Versenkung, den der Bundestag bereits am 9. Februar 1984 mit Ausnahme der Fraktion DIE GRÜNEN gemeinsam beschlossen hat. Ich finde es seltsam genug, daß Sie dem Bundestag zumuten, einen bereits gefaßten Beschluß ein zweites Mal zu beschließen. ({10}) Aber selbst dadurch können Sie die SPD-Fraktion nicht in Verlegenheit bringen. Es ist kein Zweifel: Wir denken gar nicht daran, von dem damals gefaßten Beschluß abzurücken. Wir werden deshalb in keinem Fall dagegenstimmen. Wir sind sogar bereit, den Text nochmals zu beschließen, also zuzustimmen, wenn er eine Reihe von Aussagen, die zwischen Herrn Ronneburger, Herrn Lintner und mir nicht strittig waren, die allerdings eine zentrale Bedeutung für die Deutschlandpolitik der SPD haben, enthalten wird: Das ist die gefundene Formulierung zum Selbstbestimmungsrecht, das ist vor allen Dingen aber die Aussage über die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und Souveränität aller Staaten in ihren gegenwärtigen Grenzen als einer grundlegenden Bedingung für den Frieden und damit auch für die Deutschlandpolitik, ({11}) eine Aussage, die der Bundeskanzler heute morgen hier noch einmal wiederholt hat, die er mit dem Staatsratsvorsitzenden am 12. März 1985 gemeinsam formuliert hat. Und dann gibt es da noch eine Aussage des Bundespräsidenten über den trennenden Charakter der Grenzen, den es aufzuheben gilt, aber nicht die Grenzen selbst. Um diese Fragen geht es, und in diesen Fragen, meine Damen und Herren, wollen wir es ganz genau wissen. Deshalb werden wir diese Teile unseres Änderungsantrags hier heute zu einer namentlichen Abstimmung stellen. Hier muß dann jeder für sich entscheiden und zugleich Farbe bekennen. Das Ergebnis der Abstimmung wird zeigen, ob die Regierungsfraktionen ernsthaft hinter einen Minimalkonsens zurückfallen wollen, der durch Aussagen des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und des Grundlagenvertrages markiert wird. Sie sollten es sich selbst, meine Damen und Herren von der Koalition, und dem deutschen Volke ersparen, heute erneut zu dokumentieren: Der Kanzler mag hier erklären, was er will, seine eigene Fraktion steht nicht dazu. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. - Ich bitte alle Damen und Herren des Hauses, Platz zu nehmen. Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 17 b. Ich rufe zunächst Nr. 1 der Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/4560 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5170 vor. Zur Ziffer 3 dieses Änderungsantrages wird namentliche Abstimmung verlangt. Wir stimmen zunächst über die Ziffern 1 und 2 des Änderungsantrages ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? ({0}) Meine Damen und Herren, ich habe nach Enthaltungen gefragt. - Acht Enthaltungen. Die Ziffern 1 und 2 des Änderungsantrages sind mit Mehrheit abgelehnt. Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über Ziffer 3 des Änderungsantrages der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5170. Das Verfahren der Abstimmung ist Ihnen bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, nach dieser namentlichen Abstimmung erfolgen weitere Abstimmungen. Wünschen noch Mitglieder des Hauses ihre Stimme abzugeben? Ich frage zum letzten Mal: Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das sich an der Abstimmung beteiligen will und seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist anscheinend nicht der Fall. Ich schließe die namentliche Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, das von den Schriftführern ermittelte Abstimmungsergebnis ist eingegangen. Darf ich bitten, daß mir alle Damen und Herren Aufmerksamkeit schenken, damit ich das Ergebnis korrekt bekanntgeben kann. Abgegebene Stimmen 355, davon ungültige Stimmen keine; mit Ja haben gestimmt 125, mit Nein 223, Enthaltungen 7. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 354; davon ja: 125 nein: 222 enthalten: 7 Ja SPD Bachmaier Bernrath Berschkeit Brandt Brück Buckpesch Büchler ({1}) Dr. von Bülow Catenhusen Collet Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dreßler Egert Dr. Ehmke ({2}) Dr. Emmerlich Esters Ewen Fischer ({3}) Frau Fuchs ({4}) Frau Fuchs ({5}) Gerstl ({6}) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haehser Hansen ({7}) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Dr. Hauff Heimann Heistermann Herterich Hettling Dr. Holtz Frau Huber Ibrügger Immer ({8}) Jahn ({9}) Jansen Jaunich Kastning Kiehm Kisslinger Dr. Klejdzinski Klose Kolbow Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Lohmann ({10}) Frau Matthäus-Maier Matthöfer Vizepräsident Stücklen Meininghaus Menzel Dr. Mertens ({11}) Müller ({12}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Paterna Pauli Dr. Penner Pfuhl Porzner Poß Rappe ({13}) Frau Renger Reuter Rohde ({14}) Roth Schäfer ({15}) Schanz Dr. Scheer Schluckebier Schmidt ({16}) Schmitt ({17}) Dr. Schmude Schröer ({18}) Sielaff Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({19}) Steiner Stobbe Stockleben Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vogelsang Voigt ({20}) Waltemathe Walther Wartenberg ({21}) .Weisskirchen ({22}) Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({23}) Wiefel von der Wiesche Wischnewski Witek Würtz Zeitler Frau Zutt DIE GRÜNEN Mann Nein CDU/CSU Dr. Abelein Frau Augustin Austermann Berger Frau Berger ({24}) Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({25}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler ({26}) Dr. Bugl Buschbom Carstens ({27}) Carstensen ({28}) Clemens Dr. Czaj a Dr. Daniels Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Ehrbar Erhard ({29}) Fellner Frau Fischer Dr. Friedmann Dr. von Geldern Gerlach ({30}) Gerstein Gerster ({31}) Dr. Göhner Dr. Häfele von Hammerstein Hanz ({32}) Haungs Hauser ({33}) Hauser ({34}) Hedrich Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({35}) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({36}) Dr. Jahn ({37}) Dr. Jobst Jung ({38}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Kiechle Kittelmann Klein ({39}) Dr. Köhler ({40}) Dr. Kohl Kraus Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({41}) Lamers Dr. Lammert Lattmann Dr. Laufs Lenzer Link ({42}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Dr. h. c. Lorenz Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Mikat Dr. Miltner Dr. Möller Müller ({43}) Müller ({44}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Frau Pack Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Rode ({45}) Frau Rönsch ({46}) Dr. Rose Rossmanith Roth ({47}) Ruf Sauer ({48}) Sauer ({49}) Saurin Sauter ({50}) Dr. Schäuble Schartz ({51}) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({52}) Schneider ({53}) Dr. Schneider ({54}) Freiherr von Schorlemer Dr. Schroeder ({55}) Schulhoff Dr. Schulte ({56}) Schultz ({57}) Schulze ({58}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Dr. Sprung Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Straßmeir Strube Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Unland Vogel ({59}) Dr. Voss Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Weiß Werner ({60}) Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({61}) Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Dr. Zimmermann FDP Baum Beckmann Bredehorn Eimer ({62}) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Genscher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoffie Hoppe Kleinert ({63}) Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Dr. Rumpf Schäfer ({64}) Frau Seiler-Albring Dr. Solms Dr. Weng ({65}) Wolfgramm ({66}) DIE GRÜNEN Frau Borgmann Fritsch Lange Dr. Schierholz Senfft Ströbele Tatge Volmer Frau Wagner Werner ({67}) fraktionslos Voigt ({68}) Enthalten FDP Frau Dr. Hamm-Brücher DIE GRÜNEN Auhagen Frau Eid Fischer ({69}) Dr. Müller ({70}) Schulte ({71}) Frau Zeitler Vizepräsident Stücklen Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wir haben noch abzustimmen über Nr. 1 der Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/4560. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/2935 anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Eine Gegenstimme. ({72}) Enthaltungen? - Und bei einer größeren Zahl von Enthaltungen ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Ich rufe jetzt die Nr. 2 der Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/4560 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der den früheren Entschließungsantrag auf Drucksache 10/2927 ersetzt, abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und einer Anzahl von Gegenstimmen mit Mehrheit angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 19. März 1986, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.