Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Die Verantwortung aller demokratischen Parteien gegenüber Anfängen antisemitischer Tendenzen
Meine Damen und Herren, gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung ist eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt worden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Etwa 45 Kollegen haben diese Aktuelle Stunde, gleichsam als Stunde der Besinnung, aus Anlaß der am Sonntag beginnenden Woche der Brüderlichkeit unter dem Motto „Die Bewährung liegt noch vor uns" beantragt; nicht, um über beklagenswerte antisemitische Äußerungen zu richten. Die Entschuldigungen hierfür werden von uns respektiert. Aber wir meinen, daß uns der nun gar nicht mehr klammheimliche Beifall für solche Äußerungen zu erhöhter Wachsamkeit zwingt.
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„Das Tabu zerbricht" überschreibt „Die Zeit" kürzlich ihren Leitartikel, in dem der „beklemmende Aufschwung des Antisemitismus" konstatiert wird. Noch kritischer Hans Heigert in der „SZ": Das sei neu in der Geschichte der Bundesrepublik, daß von „Politikern demokratischer Parteien den Juden nun ganz offen, dreist und arrogant miese Eigenschaften zugeschrieben" würden. Und der Sprecher unserer jüdischen Mitbürger Werner Nachmann stellt fest: „Es ist traurig, was wir zu lesen und zu hören bekommen. Die Erfahrung des menschlichen Abgrundes scheint manche völlig unberührt zu lassen. Sie reden mit einer provozierenden Gedankenlosigkeit daher, die uns erschrecken muß."
Ich denke, daß wir uns und unseren Bürgern, zu denen auch unsere jüdischen Mitbürger zählen, hierauf eine Antwort schulden.
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Es gibt wohl keinen alarmierenden Antisemitismus in der Bundesrepublik. Aber es gibt sehr alarmierende Tendenzen. Es gibt diese „provozierende Gedankenlosigkeit", die unsere politische und moralische Sensibilität herausfordert und die von uns, dem Parlament, nicht widerspruchslos hingenommen werden darf.
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Worin bestehen diese Tendenzen? Einmal in der Wiederverwendung und Verbreitung der gleichen generalisierenden Vorurteile und Sündenbockklischees, mit denen wir in unserer Jugend vergiftet wurden und die bisher nur neonazistischen Denk-und Sprachkategorien vorbehalten waren. Wenn das innerhalb der demokratischen Parteien Schule machen sollte, dann zerbräche mehr als nur ein Tabu.
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Das würde den Bruch eines gemeinsamen Grundkonsens aller antinazistischen Demokraten bedeuten und eine folgenschwere Beschädigung der Grundsubstanz unserer demokratischen Kultur. Deshalb müssen wir auch den Anfängen solcher Tendenzen offen und entschieden entgegentreten. „Wir dürfen es uns nicht abermals zu leicht machen", wie Theodor Heuss schon 1946 gefordert hat.
Wir dürfen Wachsamkeit und Sensibilität hierfür nicht allein den Betroffenen überlassen. Wir dürfen es auch nicht nur dem Bundespräsidenten überlassen oder den Kirchentagen oder einmal im Jahr der Woche der Brüderlichkeit, darüber zu sprechen.
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Nein, wir sind zuständig und verantwortlich für die strikte Beachtung der Grundwerte unserer demokratischen Kultur.
Nach Hitler, nach Auschwitz, nach Kirchenkampf und Morden an Geisteskranken, nach all den unsäglichen Greueln an politisch Andersdenkenden, an Juden und Polen, an Russen, Sinti und Roma, Homosexuellen, sozial Verfolgten, nach alldem zählt jede Beschädigung oder Gefährdung dieser Werte vielfach. So gesehen ist es eine weitere provozierende Gedankenlosigkeit, im Umgang mit jüdischen Mitbürgern „Normalität" zu fordern.
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Denn wann hätte es in der deutschen jüdischen Geschichte der letzten 100 Jahre je Normalität gegeben, liebe Kollegen? So tönt das nun nicht nur von den Stammtischen: Schluß mit der Schonzeit für Juden, sie haben genug Geld bekommen! Abgesehen von der ungeheuren Geschmacklosigkeit, liebe Kollegen: Das muß doch von jüdischen Mitbürgern als unverhüllte Drohung verstanden werden, zumindest als eine Vorstufe eines neuerlich Neid und Aggression freisetzenden Antisemitismus.
Je trotziger man hierzulande nach Normalität ruft, desto deutlicher tritt doch das Gegenteil hervor, liebe Kollegen. Mögen Antisemitismus, Rassismus, Fremdenhaß in anderen Staaten normal sein, bei uns sind sie es ganz bestimmt nicht;
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denn wir alle sind und bleiben, wie Weizsäcker sagte, von den Folgen unserer Vergangenheit betroffen und werden für sie in Haftung genommen.
Nach dem Dritten Reich ist bei uns noch auf lange Sicht kein normaler Staat zu machen. Das mag eine bittere Einsicht sein, aber sie sollte für alle demokratischen Politiker verbindlich sein, vom Bundeskanzler bis zum Jungpolitiker.
Deshalb wollen wir in dieser Aktuellen Stunde vor allen falschen Zungenschlägen warnen, mit Einsicht und Vernunft, aber auch mit Nachdruck. Deshalb wollen wir hier und heute unseren jüdischen Mitbürgern danken, daß sie unter uns leben und mit uns zusammen leben wollen; denn darauf kommt es so entscheidend an.
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Ein Zeichen des Dankes, liebe Kollegen, auch an alle, vor allem an die jungen Mitbürger und Gruppen, die sich dieser Verpflichtung bewußt sind, die stellvertretend für uns alle den mühsamen Weg des Erinnerns und der Aussöhnung gehen. Die Mahnungen Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 haben seither einen unerwarteten Realitätsbezug erhalten. Sie stehen sozusagen auf dem Prüfstand der Tagespolitik, der Parteien, Politiker, von uns allen. Daran müssen wir uns messen, und daran müssen wir uns messen lassen. Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir neuen Antisemitismusansteckungsgefahren bereits im Aufkeimen widerstehen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht verhehlen, daß ich es für falsch halte, dieses Thema als Aufhänger für eine Aktuelle Stunde zu benutzen.
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Der nationalsozialistische Genozid an den europäischen Juden, die schmerzhaft-tragische Verflechtung des Völkerschicksals von Deutschen und Juden, der geschichtliche Standort der heutigen Deutschen gegenüber dem Judentum, dies sind die menschlichen, moralischen und politischen Dimensionen, vor deren Hintergrund der Gebrauch des Wortes „antisemitisch" ernst und sorgfältig erwogen werden muß.
Wir Deutsche werden - das gehört zu den wiedererrichteten ethischen Grundfesten unseres Rechtsbewußtseins - die aberwitzigen antisemitischen Verbrechen nie vergessen, die im deutschen Namen und von Deutschen begangen worden sind. Selbstverständlich haben wir die Empfindlichkeit, die Empfindsamkeit der Überlebenden dieser Verbrechen zu achten und zu verstehen. Ihre Warnung „wehret den Anfängen" entspringt einer in der Menschheitsgeschichte beispiellosen Erfahrung. Doch ich kann in der Bundesrepublik Deutschland, dieser auf Menschenrechte, sozialen Ausgleich und Gewaltverzicht gegründeten freiheitlichsten Demokratie, die es auf deutschem Boden je gegeben hat, keine antisemitischen Tendenzen erkennen.
({1})
Gleichwohl hat es in den letzten Monaten Äußerungen gegeben, die das Verdikt „antisemitisch" provoziert haben: einige zu Recht, einige gewiß zu Unrecht. Daß dabei von interessierter Seite der ebenso untaugliche wie unverantwortliche Versuch unternommen worden ist und noch unternommen wird,
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die Union oder wenigstens die CSU in ein bestimmtes Eck zu drängen, ist offenkundig. „Alles was extrem und radikal ist, ob es von der extrem linken oder der extrem rechten Seite kommt, hat mit unserer demokratisch-freiheitlichen Grundordnung nichts mehr zu tun."
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Mit diesem Satz hat Werner Nachmann solche Versuche beantwortet. Respekt vor diesem Mann mit dem Mut zum Erinnern und der Kraft zur Versöhnung!
So sehr indes jeder, vor allem auch jeder junge deutsche Politiker die Wirkungen seiner Worte beKlein ({4})
denken muß, wenn er über Juden spricht, so wenig aber dürfen wir vereinzelte Fehlleistungen zur Konstatierung antisemitischer Tendenzen benutzen.
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Wir Deutschen im freien Teil unseres Vaterlandes haben nicht nur mit dem ehrlichen Bemühen um Wiedergutmachung an den Überlebenden des nationalsozialistischen Terrors, mit unserer Solidarität gegenüber Israel und der Zuwendung zu den trotz allem zurückgekehrten deutschen Juden, sondern auch durch die Errichtung einer stabilen, in die Gemeinschaft der freien Völker eingegliederten Demokratie Unrecht abzutragen und die Würde unseres Volkes wiederherzustellen versucht. Dies darf keiner Gefahr ausgesetzt, aber auch nicht in Zweifel gezogen werden.
Wir wollen,
- so hat unser verstorbener Kollege Alois Mertes am 2. Mai 1985 vor dem American Jewish Committee in New York erklärt daß unsere Kinder und Kindeskinder sich gern zu diesem deutschen Volk bekennen, in das wir hineingeboren wurden, dem wir in guten und schweren Tagen treu bleiben.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Verhältnis zu den jüdischen Mitbürgern und dem jüdischen Volk überhaupt, historisch und gegenwärtig, ist immer auch ein Gradmesser für die Demokratie in unserem Land. Unser Grundgesetz ist in seiner Präambel sowie insbesondere auch im Katalog der Grundrechte eine unmittelbare Antwort auf die Verwüstungen des Hitlerischen Totalitarismus und die staatlich sanktionierten Morde am jüdischen Volk. In Art. 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." Gerade deshalb ist es für mich eine bittere Erfahrung, daß sich unter dieser Verpflichtung und angesichts der bis ins Detail bekannten grauenvollen Exzesse der Massenvernichtung von jüdischen Menschen antisemitische Äußerungen wieder ans Tageslicht wagen.
Richard von Weizsäcker sagte in seiner bedeutenden Rede am 8. Mai:
Für uns kommt es auf ein Mahnmal des Denkens und Fühlens in unserem eigenen Innern an.
Gerade das hat man vermißt, als erst unter größtem öffentlichen Druck ein antisemitisches Theaterstück in Frankfurt abgesetzt wurde, das man dort unter dem Mantel der Freiheit der Kunst aufführen wollte und das einen Schauspieler sagen läßt: „Sie haben vergessen, ihn zu vergasen."
Das ist kein abstrakter Antisemitismus, der schlimm genug wäre, sondern er meint auch den
einzelnen Menschen, dessen Vernichtung ihn nicht weiter berührt.
Absolut unbegreiflich, vor allen Dingen aber unverantwortlich sind so lässig hingeworfene Äußerungen, im besonderen von Politikern - „Man sagt das im Rheinland so" -, die in besonderer Weise geeignet sind, alte Vorurteile aufleben zu lassen oder zu festigen.
Ich sage ganz betont: Daß der Herr aus Korschenbroich erst zum Rücktritt gezwungen werden mußte, ist eine Sache. Mir scheint aber, wir müssen uns doch mehr Gedanken darüber machen, in welchem geistigen und politischen Umfeld solche Äußerungen überhaupt entstehen können und was sie bewirken, wenn just dieser Herr nach seinen Ausfällen noch mit Beifall und Blumen bedacht wird.
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Meine Damen und Herren, man mag mir entgegnen, es handele sich mehr oder weniger doch um Einzelfälle, die man nicht verallgemeinern könne. Ich will das hoffen. Aber ich muß auch hinzufügen, daß bei uns jeder Einzelfall gewichtiger ist als irgendwo anders auf der Welt.
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Rassistische Bemerkungen, insbesondere antisemitische Äußerungen, verursachen bei den Betroffenen, bei den Minderheiten und Ausländern Erschrecken und böses Erinnern. Das trifft insbesondere für die Überlebenden des Infernos zu. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, welche Sensibilität wir gerade den Juden schuldig sind. Die jüdischen Mitbürger in der Bundesrepublik, die trotz der Schrecken der Vergangenheit heute wieder in der Bundesrepublik leben, nicht zuletzt deshalb, weil sie an das andere Deutschland glaubten, dürfen wir doch nicht enttäuschen.
Das gilt auch in besonderem Maße für den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Werner Nachmann.
Ich bin trotz der letzten Ereignisse noch der Meinung, daß die große Mehrzahl der Deutschen, insbesondere der jungen Generation, für rassistische und besonders antijüdische Verhaltensweisen kein Verständnis haben. So haben 20 Millionen Menschen den Film „Holocaust" gesehen. Auf Verlangen der Schüler in der Bundesrepublik haben an den Schulen ausgiebige Diskussionen stattgefunden über die diesem Film zugrunde liegende Wirklichkeit. Wir sollten das nicht vergessen, sondern weiter fördern.
Dennoch: Wehret den Anfängen! Das muß man noch einmal betonen. Alle diejenigen, die in der Bundesrepublik politisch und geistig Verantwortung tragen, sind aufgerufen, unerträglichen rassistischen und besonders antisemitischen Tendenzen entgegenzuwirken. Den Unverbesserlichen, die in klarer Absicht Antisemitismus und Rassenhaß ver15416
breiten, muß man auch gegebenenfalls mit dem Strafgesetz entgegentreten.
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Meine Damen und Herren, wir dürfen unter die Geschichte, die mit dem Holocaust verbunden ist, keinen Schlußstrich ziehen. Diese kurze Debatte kann nur ein Anfang sein. Es ist gut, daß der Deutsche Bundestag hier Zeichen gesetzt hat.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Herrn Bundespräsidenten von Weizsäcker am 8. Mai 1985, 40 Jahre nach Kriegsende,
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die bereits von Vorrednern zitiert wurde, hat in unserem Land, aber auch jenseits unserer Grenzen und insbesondere in Israel breiteste Zustimmung gefunden.
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Maßgebliche israelische Persönlichkeiten, so auch der israelische Ministerpräsident Shimon Peres, sagten zeitlich nach dieser Rede, sie glaubten an ein neues Deutschland, und viele verantwortliche Politiker in Israel bestätigen, die Deutschen hätten aus ihrer Geschichte gelernt. Es ist kein Zufall, daß maßgebliche israelische Politiker aus der Regierung und aus mehreren Parteien immer wieder bestätigen, das deutsch-israelische Verhältnis sei nie besser gewesen als zur Stunde.
Nun, knapp ein Jahr nach dieser Rede, beschäftigt sich der Bundestag mit angeblich wieder aufkeimenden antisemitischen Tendenzen.
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Von welchem Deutschland hat der Herr Bundespräsident gesprochen? War der einmütige Beifall für seine offene und ehrliche Rede nur Schall und Rauch? Haben wir vielleicht nur einen Teil der Rede verstanden?
Ich möchte den Bundespräsidenten in einer Passage zitieren. Er sagte:
Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist. Deshalb dürfen wir uns nicht einbilden, wir seien nun als Menschen anders und besser geworden.
Es gibt keine endgültig errungene moralische Vollkommenheit - für niemanden und kein Land! Wir haben als Menschen gelernt, wir bleiben als Menschen gefährdet. Aber wir haben die Kraft, Gefährdungen immer von neuem zu überwinden.
Erstens. Wir haben wirklich keine endgültige moralische Vollkommenheit. Deswegen wird es immer wieder mißverständliche und auch ungerechte Urteile und Vorurteile über einzelne Gruppen in unserer Gesellschaft - über Minderheiten, Ausländer, Behinderte, j a, sogar über Kranke und leider auch über Menschen jüdischen Glaubens - geben. Ich bestreite jedoch, daß es über einzelne unbedachte und leichtfertige Torheiten, über wenige Unbelehrbare hinaus in der Bundesrepublik Deutschland etwa auf breiter Front einen wiederaufkeimenden Antisemitismus gäbe.
Natürlich müssen wir uns immer von antisemititischen Äußerungen distanzieren, wir müssen sie klar und eindeutig verurteilen. Dennoch, meine Damen und meine Herren, sind wir keine Henker, die verbal hinrichten, wenn sich jemand für eine einmalige unbedachte Äußerung öffentlich entschuldigt oder gar von einem öffentlichen Amt zurücktritt
({3})
und sich damit von seiner eigenen Äußerung distanziert. Wer solche Menschen nachträglich noch stigmatisieren will, hat aus der Geschichte in der Tat wenig gelernt.
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Zweitens. Wir haben wirklich gelernt, daß wir als Menschen gefährdet bleiben.
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Deshalb reagiert die deutsche Öffentlichkeit in der Erinnerung an früher verschuldetes Unrecht sensibel, vielleicht sogar sensibler als unsere Nachbarn.
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Sensibel reagiert sie auf mangelnde Sensibilität bis hin zu einem mangelnden Lernprozeß bei einzelnen Unbelehrbaren, und das ist auch gut so. Ob es aber dieser notwendigen Sensibilität nützt, wenn wir Einzelerscheinungen noch nach Monaten aufbauschen und aufwerten, ja, sogar einer Debatte im Deutschen Bundestag für wert halten, möchte ich bezweifeln.
Drittens. Haben wir die Kraft, Gefährdungen immer von neuem zu überwinden? Ich glaube, ja. Gerade im deutsch-israelischen Verhältnis gibt es dafür eine Fülle von Beispielen. Als Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft darf ich die vielen Begegnungen junger Menschen, etwa den seit drei Jahren von jungen Deutschen und von jungen Israelis unternommenen Versuch vorurteilsfrei rechtsradikale Tendenzen in beiden Ländern zu untersuchen, ihr unverkrampftes Miteinanderleben und die Begründung vieler tiefer Freundschaften erwähnen. Ich meine, wir sollten lieber darüber reden, wie wir unserer geschichtlichen Verantwortung gerade im Verhältnis zu Juden und zum Staat Israel noch besser gerecht werden können, als hier das Gerede einzelner beckmesserisch und unversöhnlich über die Zeit hinaus anzuklagen.
Deshalb erkenne ich keinen rechten Sinn in dieser Aktuellen Stunde. Ich meine, wir wären besser beraten, eine positive Diskussion über viele gute
Gerster ({7})
Ansätze und Taten von Deutschen und Israelis in beiden Ländern zu führen. Lassen Sie uns positiv für das deutsch-israelische Verhältnis, für die deutsch-israelische Freundschaft weiterarbeiten, wobei wir uns nicht einbilden sollten, wir seien als Menschen in allem anders und besser geworden. Wir bleiben als Menschen gefährdet. Aber als geschichtsbewußte, denkende Menschen können wir es bedeutend besser machen. Ich glaube, daß die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung unseres Landes dies nicht nur will, sondern auch kann, lernend aus der Geschichte: es in der Zukunft besser zu machen.
Ich bedanke mich.
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Das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine 1982 von Alphons Silbermann erstellte Studie über Antisemitismus in Deutschland stellt fest, daß in der Bundesrepublik ein Bevölkerungsanteil von 20% mit ausgeprägten antisemitischen Vorurteilen lebt und weitere 30% latent antisemitisch eingestellt sind. Diese Aussage ist ebenso präzise wie die Wahluntersuchung, die Sie in Ihren Parteien kennen. Das ist der Ausgangspunkt für diese Debatte. Das ist die Wirklichkeit.
Das heißt, wenn Sie hier sagen: „Wehret den Anfängen!", dann stimmt das nicht so ganz mit der Realität überein. Es gibt Antisemitismus in Deutschland. Das Erschreckende ist: Es gibt ihn auch seit 1945. Auschwitz hat in Deutschland Antisemitismus nicht unmöglich gemacht.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Sie sagen: Es gibt keinen Bedarf für diese Debatte, betreiben eigentlich - das erschreckt mich - weiterhin einen Teil der Verdrängung, die seit 1945 eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus verunmöglicht hat.
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Dieses, meine Damen und Herren von der CDU, bedrückt micht mehr, als antisemitische Äußerungen aus Ihren Reihen.
({1})
Es sind nicht die Äußerungen von Herrn Fellner oder Graf Spee, die so beunruhigend sind, es ist der öffentliche Charakter dieser Äußerungen. Das ist das Problem. Es gibt offensichtlich nicht mehr die Schranken in Deutschland, die öffentliche antisemitische Äußerungen von Politikern unmöglich machen. Offensichtlich gibt es 40 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft diese Schranken nicht mehr. Die Verdrängung hat funktioniert. Das ist das Schlimme.
Schon nach 1945 gab es zwar den Satz, daß vom deutschen Boden nie wieder ein Krieg ausgehen sollte; der Satz, daß auf deutschem Boden nie wieder Antisemitismus herrschen solle, fehlt in der
Nachkriegsgeschichte. Auch das ist ein Teil der Verdrängung, die wir heutzutage beobachten müssen.
Die Verdrängung und Vertuschung von antisemitischen Morden war schon Teil des Verbrechens, das von der SS und auch von der Wehrmacht begangen worden ist. In den Vernichtungslagern von Auschwitz, und nicht nur dort, sind junge arbeitsfähige Juden aussortiert worden, um Massengräber zu öffnen, um die Leichen zu verbrennen. Die Verdrängung und Vertuschung war Teil des antisemitischen Genozids.
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Deswegen gehe ich davon aus, daß derjenige, der es mit der Bekämpfung des Antisemitismus ernst meint, der dies wirklich will, auch ernst machen muß mit der Bekämpfung der Verdrängung und Vertuschung der Verbrechen, die zwischen 1933 und 1945 geschehen sind. Eine Fortsetzung dieser Verdrängung, die antisemitische Äußerungen heute wieder so leicht macht, ist natürlich auch die Herstellung eines politischen Klimas, in dem so getan wird, als hätten wir mit der deutschen Geschichte nichts mehr zu tun. Die Äußerung von Ihnen, Herr Kohl, in Israel getan, von der „Gnade der späten Geburt", gehört zu der Art und Weise, wie dieses Klima wiederhergestellt worden ist.
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Herr Kohl, wenn es antisemitische Äußerungen in Ihrer Partei gibt, dann hat das auch damit zu tun, daß hier wieder ein Klima der deutschen Gemütlichkeit und Selbstgerechtigkeit - Sie nennen das Optimismus - verbreitet wird.
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Das hat etwas damit zu tun. Sie haben dazu beigetragen, Herr Kohl, daß diese Schranken eingerissen sind. Das mache ich Ihnen zum Vorwurf.
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Heute kleidet sich Antisemitismus anders als früher. Es gibt in Deutschland keine Leute, die sich zum Antisemitismus bekennen. Er kleidet sich in Intellektuellenfeindlichkeit, er kleidet sich auch in Ausländerfeindlichkeit, und an den Stammtischen ist es natürlich wieder gang und gäbe, Witze über Juden zu machen, und diese Witze sind verletzend.
Ich möchte zum Schluß kommen.
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Antisemitismus ist auch immer die Feigheit, sich mit dem Neuen und dem Fremden auseinanderzusetzen. Er ist eine Lebenshaltung der kleinlichen Selbstgerechtigkeit und der ideologischen Verbohrtheit. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Notwendigkeit dieser Debatte leugnen, dann ist das auch Ausdruck dieser deutschen Selbstgerechtigkeit.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Fritz Bauer, der spätere Generalstaatsanwalt in den Aufbaujahren in Frankfurt sich als ABC-Schütze in einer Prügelei seiner Haut wehren mußte, wurde ihm verächtlich zugerufen:
Du und deine Eltern, ihr habt Christus umgebracht!
Das war vor dem Ersten Weltkrieg. Es hat zeitlebens tief in ihm gesessen und hat mit dazu beigetragen, daß er sich der Justiz zuwandte. Er, der Getroffene, wollte für mehr Gerechtigkeit sorgen. Er, der stets Unbequeme, ist, wie wir wissen, nur mit viel Glück Hitler, dem KZ, und damit dem Tod entronnen.
Karl Jaspers hat im Wintersemester 1945/46 den Versuch unternommen, in eine Diskussion über die geistige Situation dieser Zeit zu kommen. Daraus ist das bekannte Bändchen „Die Schuldfrage" geworden. Dort findet sich der simple Satz:
All die Jahre haben wir das Verächtlichmachen anderer Menschen mit angehört. Das wollen wir nicht fortsetzen.
Das Verächtlichmachen haben wir - wir müssen es bekennen - nicht ausrotten können. Wir im Deutschen Bundestag haben erst jüngst mit der Gesetzesnovelle zur Auschwitz-Lüge - wenn auch in kontroverser Abstimmung, so doch einig in der Sache - versucht, juristisch die letzten Gesetzeslöcher zu stopfen. Wir haben dazu alles in allem immerhin von 1979, von Hans-Jochen Vogels erster diesbezüglicher Rede in Berlin bis 1985 benötigt; bis zur Verabschiedung in zweiter und dritter Lesung hier im Bundestag vor kaum einem Jahr.
Heute stehen wir im Grunde wieder vor demselben Thema, wenn auch erstmals ohne Gesetzesantrag. Aus berechtigter Sorge. Ich sehe Sinn in dieser Veranstaltung;
({0})
denn seit den Beratungen zur Auschwitz-Lüge ist einiges vorgefallen. Jeder weiß es.
Verächtlichmachen heißt, dem anderen die Achtung, seine Würde nehmen. Jeder weiß auch, daß den Juden erst die Würde und dann das Leben genommen wurde.
Insbesondere wir deutschen Politiker - es sollte unser Beruf sein - sind verpflichtet, immer und immer wieder schonungslos auf unsere Geschichte zu verweisen, um uns die Zukunft bewahren zu helfen.
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Persönliche Schuld ist zu ahnden. Über kollektive Schuld, Schuld für alle und jeden, ist nicht mehr zu rechten. Scham jedoch müssen wir als Gesamtheit empfinden. Das Kainsmal des Holocausts lastet auf unserer Geschichte. Wir sollten unsere Verantwortung daraus begreifen, wann immer jeder von uns
geboren ist und in welcher Stellung er sich befindet.
Mit dem Wort begann es:
„Knallt ab den Walther Rathenau ..."
Ich möchte die zweite Strophe dieser tödlichen Verächtlichmachung nicht auch noch zitieren müssen. Wenig später lag dieser Außenminister der ersten Republik ermordet in seinem Blut.
Denen, die Unbedachtes leicht auf die Schulter nehmen; die rüffeln, das sei doch alles nicht so schlimm, rufe ich zu:
Nichts ist gleichgültig. Nichts geht verloren, alles, was wir tun oder nicht tun, kann unendliche Perspektiven haben. Keine Flucht kann auf die Dauer gelingen. Es kommt alles noch einmal zur Sprache.
So Gustav Heinemann; und er mußte es wissen. Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Verbrechen der Hitler-Barbarei, die Verhöhnung, j a die Zerstörung aller sittlichen Normen, die systematische Unmenschlichkeit der NS-Diktatur, wir dürfen und wir wollen sie niemals vergessen.
Und:
Es gehört zu den vordringlichen Aufgaben unseres Landes, Wissen darüber zu vermitteln und das Bewußtsein für das ganze Ausmaß, für die Dimension dieser geschichtlichen Erfahrung und Last wachzuhalten.
Diese Sätze habe ich im April des vergangenen Jahres als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in einer Gedenkstunde des Zentralrats der Juden in Bergen-Belsen in Gegenwart von Überlebenden aus den Konzentrationslagern des Dritten Reichs an alle unsere Mitbürger und auch an die aus dem Ausland, die auf uns blickten, gerichtet.
Ich erinnere gerade in dieser Stunde ganz bewußt daran, weil in dieser Herausforderung deutscher Geschichte alle Demokraten sich einig waren: seit Konrad Adenauer, Kurt Schumacher und Theodor Heuss. Wir treten entschieden all jenen entgegen, die die Lehre aus der Geschichte nicht ziehen wollen oder noch nicht begriffen haben: Den Ewiggestrigen - so es sie noch gibt -: Wir alle und vor allem die staatlichen Organe unserer Republik werden sie nicht aus den Augen lassen. Den Gedankenlosen: Sie müssen ihr Bewußtsein immer wieder schärfen gegenüber den unermeßlichen Leiden der Juden. Wir müssen, das ist wahr, unsere Taten, unser Denken und unsere Worte daran messen.
Vor einigen Monaten habe ich in Berlin auf der Internationalen Historischen Konferenz zum Thema „Juden im nationalsozialistischen Deutschland" gesprochen. Ich habe aus gutem Grund in Gegenwart von vielen emigrierten jüdischen Mitbürgern, die aus der ganzen Welt nach Berlin gekommen waren, gesagt:
Es muß uns darum gehen, daß wir gegenüber gefährlichen Strömungen unserer Zeit und auch unseren eigenen Anfälligkeiten gegenüber noch wachsamer werden.
Daß es immer wieder Menschen gibt, die oberflächlich oder geschichtslos oder beides und manchmal auch unbelehrbar sind - das wollen wir nicht verharmlosen.
Aber zur Wachsamkeit gehört auch der Blick für das Wesentliche, der Sinn für die Proportionen.
({0})
Da meine ich - und das sage ich mit vollem Bedacht -: Es geht entschieden zu weit, heute, wie es geschieht, ganz pauschal von wieder aufkeimenden antisemitischen Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland zu sprechen.
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Es sind soeben in diesem Zusammenhang Zahlen vorgetragen worden, die ich schlicht als absurd bezeichnen möchte.
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Es ist wahr, es gab - ich sage bewußt: es gab - in den über 30 Jahren der Geschichte unserer Bundesrepublik und es gibt immer wieder unverantwortliche Äußerungen, die wir auch als solche deutlich ansprechen müssen. Aber es ist auch wahr, daß die riesige Mehrheit unserer Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere in der jungen Generation immun ist gegen Antisemitismus.
({3})
Das hat viele Gründe. Das hat Gründe, die daraus zu begreifen sind, daß wir gemeinsam, vor allem die Gründergeneration unserer Republik, versucht haben, aus der Geschichte zu lernen, und daß diese Generation ihre eigene geschichtliche Erfahrung an uns und die nachfolgende Generation weitergegeben hat. Auch haben wir erfahren, daß es möglich ist, trotz Holocaust und all dem Entsetzlichen, was in deutschem Namen geschehen ist, mit unseren jüdischen Mitbürgern in Deutschland und mit dem Volk und dem Staate Israel nicht nur Beziehungen aufzunehmen, sondern Versöhnung, soweit dies in irdischem Maßstab möglich ist, zu finden.
Ich will ausdrücklich in diesem Zusammenhang voller Dankbarkeit die Tätigkeit des Zentralrats der Juden in Deutschland, seines Vorsitzenden Werner Nachmann und der vielen, die daran mitgearbeitet haben, hervorheben.
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Versöhnung mit den Juden, Solidarität mit unseren jüdischen Mitbürgern, Verbundenheit mit dem Staat Israel, das liegt allen Demokraten am Herzen, und das wird auch weiterhin die Politik der Bundesrepublik Deutschland bestimmen. Niemand anders als der israelische Ministerpräsident Shimon Peres hat es in vielfältiger Weise in den allerletzten Wochen deutlich gemacht.
Erlauben Sie mir - ganz gewiß nicht zur Verteidigung - noch ein kurzes Wort als Vorsitzender der CDU Deutschlands. Die Christlich Demokratische Union ist aus den großen Traditionsströmen und der geschichtlichen Erfahrung dieses Jahrhunderts, nicht zuletzt der Heimsuchung des Dritten Reichs, als eine neue politische Gruppierung entstanden. Die Männer und Frauen, die diese Union gründeten, kamen aus der Erfahrung des kaiserlichen Deutschlands, aus den Erfahrungen der Weimarer Republik, aus der inneren und äußeren Emigration, aus dem Widerstand, den Zuchthäusern und Konzentrationslagern Hitlers, von den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges. Sie haben versucht, und wir, die wir die Staffel weitertragen, werden das gleiche tun, in allen unseren Taten, in all unserem Denken aus Geschichte zu lernen.
({5})
- Wir haben es als Christliche Demokraten und Christlich-Soziale ganz gewiß nicht nötig, uns in diesem Hause danach fragen zu lassen, wie wir es mit der Geschichte halten.
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Geschichtslosigkeit gehört weder zur Ideologie noch zur Philosophie meiner politischen Freunde und auch nicht zu der meinen.
Nun noch eine Wort zum Schluß zu diesem Zitat: Es gehört zu den vielen Verfälschungen, die man in bestimmten Ämtern ertragen muß, aber wer diese Rede aus Israel korrekt zitieren will, muß sie zunächst einmal gelesen haben.
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Dann wird er feststellen, daß dieses Zitat von der „Gnade der späten Geburt" etwas damit zu tun hat - und zu dieser Meinung bekenne ich mich auch zu dieser Stunde vor dem Hohen Haus -, daß wir nicht mit Selbstgerechtigkeit sagen, wir waren damals zu jung, sondern daß wir aus der Tatsache, daß wir zu jung waren, um selbst in eigene Schuld zu geraten, aber immerhin alt genug, um Schuld anderer zu beobachten, zu erfahren und begreifen zu können, eigene Erfahrungen an die nächste Generation weiterzugeben haben. Das verstehe ich unter dem Wort: aus der Geschichte lernen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weirich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir die Debatte ehrlich führen, müssen wir feststellen, daß es
in der Bundesrepublik Deutschland natürlich auch Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Linksradikalismus und Neonazismus gibt,
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Varianten von Extremismus, die zum Alltag, ich füge hinzu: zum Bodensatzalltag, der freiheitlichparlamentarischen Demokratie gehören.
({1})
Wer wollte das leugnen? Natürlich gibt es auch die besondere Spielrart des Philosemitismus, jene heuchlerisch kaschierte Form antijüdischer Prägung,
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die mit der Versicherung beginnt, man habe nichts gegen die Juden, der aber rasch erkennen läßt, wie schnell hinter der Fassade angeblicher Offenheit und Unvoreingenommenheit das antijüdische Syndrom zutage tritt.
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Er ist überall zu Hause, ich füge hinzu: links wie rechts. Man denke an das resignative Abschiedsurteil von Henryk Broder über die deutsche Linke. Das ist die Wirklichkeit - nicht nur in unserem Land.
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Aber gibt es denn eine neue antisemitische Welle in unserem Land, gibt es denn ein Nachlassen der Wachsamkeit und Sensibilität des demokratischen Staates und seiner Repräsentanten?
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Gibt es verstärkte Anzeichen von Antisemitismus, Neonazismus und Rassismus? Ich meine, nein.
Eindrucksvoller vielleicht als die fromme Selbstbestätigung deutscher Politiker sind die Urteile prominenter Juden selbst.
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Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Herr Werner Nachmann, hat jüngst in einem Zeitungsinterview gesagt:
Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist auch heute noch sensibel für all die Geschehnisse, die an die Nazizeit erinnern.
Und der Schriftsteller Ephraim Kishon sagt in seinem neuen Buch - ich zitiere ihn wörtlich -:
Wenn ich heute, zwei Generationen später, Deutschland besuche, trage ich nicht an der Last der Vergangenheit. Ich wage sogar zu behaupten, daß die Millionen von Deutschen, die in Israel waren, und vor allem auch die deutschen Jugendlichen in den Kibbuzzim, zu Fürsprechern Israels werden und wurden.
Lassen Sie mich etwas zur Grundsatzposition der Union sagen: Die Union wird als eine Partei der Menschenrechte, als eine Partei, die sich auch als freiheitliche Antwort auf die schlimmen Vorgänge im Nationalsozialismus begreift, auf keinen Fall zulassen, daß die Nazizeit im Schrank der Geschichte abgestellt, in der Akte der Tabuisierung und Verdrängung abgeheftet wird.
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Das hat nicht nur die Politik der Aussöhnung Adenauers mit Israel, die wesentlicher Bestandteil des Lebenswerks des großen ersten deutschen Kanzlers ist, deutlich gemacht, es bestimmt auch aktuelles Partei- und Regierungshandeln. Ich darf an die sehr, sehr eindrucksvolle und von den Juden in Deutschland mit Nachdruck begrüßte grundsätzliche Rede des Bundeskanzlers in Bergen-Belsen erinnern.
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Wir Deutschen, meine Damen und Herren, müssen unsere Geschichte annehmen. Es gibt zwar nur persönliche Schuld, aber wir können, dürfen und werden uns nicht aus unserer Geschichte davonstehlen. Deswegen stimmen wir der Rede des Bundespräsidenten zu - der Kollege Gerster hat es betont -, der am 30. Januar 1983 in Berlin betont hat, Freiheit und Verantwortung seien untrennbar. Wem sagen Sie das, meine Kollegen von der Opposition? Wir wissen es. Sie sollten zu Menschenrechten und Menschenwürde genutzt werden.
An die junge Generation gewandt, erklärte er, sie sei nicht verantwortlich für das, was damals geschehen sei. Aber sie sei verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus werde. Und der verstorbene Minister im Auswärtigen Amt, Alois Mertes, hat hinzugefügt, die Geschichte werde eine helfende Dimension haben.
Meine Damen und Herren, helfen uns bei dieser Aufgabe gegenüber der jungen Generation gegenseitige Beschuldigungsrituale, kleinkariertes Einsammeln von möglichen parteiischen Vorurteilen, grämlich-grünliche Pauschalschelten gegenüber einer angeblich immer faschistischer werdenden Gesellschaft oder selbsternannte Gralshüter der politischen Kultur, die in verabsolutierender Form Menschlichkeit für sich allein in Anspruch nehmen? Ich glaube, nicht.
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Herr Kollege Müller, ich möchte zwei Sätze zu Ihrer Rede sagen. Bismarck hat einmal gesagt, Empörung sei kein politisches Gefühl. Deswegen sage ich: Ihre Rede hat mich nicht empört, sie hat mich traurig gemacht.
({10})
Ich füge hinzu: Klären Sie Ihr Verhältnis zur politischen Gewalt, und reden Sie anschließend mit uns über politische Kultur in diesem Lande.
({11})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Um was geht es uns? Es geht uns zunächst einmal darum, ein Stück jenes Schmerzes und jener Scham weiterzugeben, die ein Mensch angesichts des grausamen Holocaust, der, so füge ich hinzu, nicht in einem Atemzug mit den Schrecknissen des Krieges genannt werden kann, empfinWeirich
den muß, sofern er über das Großartigste verfügt, was ein Mensch haben kann, nämlich Menschlichkeit. Alois Mertes hat kurz vor seinem Tode gesagt:
Ich ziehe, da ich an die Kraft des menschlichen Geistes und des Dialoges glaube, aus dem, was geschehen ist, die Konsequenz, daß wir noch viel mehr darüber sprechen müssen.
Daß Humanismus und Demokratie nach dem braunen Unrechtsregime im freien Teil Deutschlands ein Zuhause gefunden haben, wissen unsere jüdischen Mitbürger, denn sie haben erstens entscheidend daran mitgewirkt, und das Streben nach Fairneß und Gerechtigkeit hat gerade im Judentum einen besonderen Platz.
Ich füge zum Schluß aber auch hinzu: Geschichte für die Zukunft zu begreifen heißt für uns aber auch, Anwalt der Menschenrechte in aller Welt zu sein. Der Terror hat nach wie vor in vielen Teilen der Welt sein Zuhause, und auch Juden haben noch darunter zu leiden.
Freilich, falsche weltpolitische Schulmeisterei steht uns schlecht an. Aber genauso falsch wäre ein Annäherungs- und Pragmatismustaumel, in dem Unrecht, Unterdrückung und Terror verschwiegen werden, gerade weil ein Teil unseres eigenen Volkes davon betroffen ist. Auch dahin muß unsere freiheitliche Antwort an die Jugend in Deutschland bestehen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer der wichtigsten Stützpfeiler in den Fundamenten unserer Bundesrepublik ist die gemeinsame Front gegen jede Art von Nazitum und Faschismus, ist auch der Kampf gegen Antisemitismus. Deshalb waren Globke und Oberländer eine so schwere Hypothek auf den Gründungsjahren unseres Landes.
({0})
Deshalb sind die Tausenden von Bürgern aus allen Parteien, die sich in der Aktion Sühnezeichen und in vielen anderen Einrichtungen, in unzähligen Gruppen in den Ruinen der Vernichtungslager und in Israel engagiert haben, ein Gütezeichen unserer Republik.
({1})
Wir erleben zur Zeit das, was Hans Maier, der große deutsche Jude und Geisteswissenschaftler, vorgestern in einem Fernsehgespräch die „neue Verdrängung" genannt hat.
({2})
Wir sind heute morgen nicht zu einer feierlichen
Stunde zusammengekommen, sondern zu einem
höchst politischen Ereignis. Wir wollen das gezündelte Feuer dieser zweiten Verdrängung austreten, möglichst alle gemeinsam.
({3})
Wir wollen - weder die eine noch die andere Partei - hier keine pauschalen Verurteilungen anderer politischer Parteien vornehmen. Das hat auch niemand gemacht; das ist auch nicht die Absicht dieser Aktuellen Stunde.
({4})
Aber wir wollen, daß das makabre Geistesspiel, das makabre Gesellschaftssspiel beendet wird: Man tut eine Äußerung, sie erweist sich hinterher als gefährlich, man zieht sie zurück, zieht sich vielleicht zurück, j a, wird zum Rücktritt geschleppt, und dann ist der Mann aus dem Verkehr, aber die Äußerung in den Köpfen der Menschen.
({5})
Vielleicht hatte der Bundeskanzler ja nicht Unrecht, als er vor einigen Tagen - anders als heute morgen - meinte, so wie Fellner sich geäußert habe, dächten viele, j a, er hat wohl gesagt, die Mehrheit der Bürger.
({6})
Ich glaube es nicht, aber gerade dann wäre es sein wichtiger Beitrag zu einer politischen Kultur gewesen, diesen Bürgern die Wirkungsweise der politischen Todesseuche Antisemitismus zu erläutern. Wer hier leichtfertig mit der Ansteckungsgefahr umgeht - das zumindest sollten alle Deutschen wissen -, der kommt auch als Deutscher darin um.
Vor einigen Wochen haben wir in Hamburg einen toten jungen Türken zum Flugplatz geleitet. Er war wegen seiner Zugehörigkeit zu einem anderen Volk erschlagen worden. Die Anrufe, die meine Frau bekommen hat, nachdem in der Zeitung stand, daß ich mit zum Flugplatz gegangen war, zeigten: Der Rassismus ist immer noch virulent in unserem Lande.
Wir sind zusammengekommen, um von unserer Verantwortung zu sprechen,
({7})
und zwar, Herr Kollege, hier im Deutschen Bundestag. Deswegen begrüßen wir diese Aktuelle Stunde, anders als einige meiner Vorredner heute morgen, die diese Aktuelle Stunde abgelehnt haben.
({8})
Hier im Deutschen Bundestag, wo denn sonst in der Bundesrepublik Deutschland, muß die Einheit der Demokraten gegen Rassismus und Antisemitismus kristallklar zutage kommen.
Hier geht es nicht um falsche oder richtige Wortwahl, Herr Bundeskanzler, hier geht es nicht um
kieselglatte Bekenntnisse, Herr Kollege Klein, oder wichtige Bescheinigungen durch den Regierungschef des Staates Israel. Hier geht es um unsere eigene demokratische, antinazistische und antirassistische Substanz.
({9})
Das pathetische glatte Ersatzwort, die Joker-Formel, die überall paßt, wie die Feierlichkeit von Plastiknelken, die kann hier heute morgen nicht unsere Sache sein. Hier müssen die Fragen klar gestellt und beantwortet werden.
Denn nur so haben die Lehrer, die sich an den Schulen mit aufkommenden antisemitischen Meinungen junger Menschen auseinandersetzen müssen, eine Chance, pädagogisch mit dieser Sache umzugehen. Nur wenn Journalisten hinter sich die Abgeordneten in Bund und Ländern wissen, können sie sich mit den ungeheuerlichen Anrufen und schon längst nicht mehr anonymen Leserbriefen und Hetzbriefen auf ihre Artikel auseinandersetzen.
({10})
Dirk Koch hat im „Spiegel" in einem bemerkenswerten Artikel vom Ende der Scham gesprochen, ihm ist aus der Bevölkerung mit erstaunlichen, offenen, namentlich gezeichneten Briefen geantwortet worden.
Unser Bundespräsident hat in all seinen Äußerungen eindrucksvoll gezeigt, daß er sich mit uns gegen die zweite deutsche Verdrängung, gegen die Flucht aus der geschichtlichen Verantwortung stemmt. Tun wir Parlamentarier es ihm gleich. Wir haben eine Chance, nutzen wir sie.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Verehrte Kollegen! Es gibt kein Volk auf der Erde, in dem Geschichte, Religion und Land eine derartige Einheit bilden wie im Bewußtsein des jüdischen Volkes, egal wieviel oder wie wenig dieses Volk eine ethnische Einheit bildet. Natürlich werden die im deutschen Namen begangenen nationalsozialistischen Verbrechen immer eine besondere Rolle im Bewußtsein der Juden spielen, schon weil sie ein Teil ihrer Geschichte sind. Dessen müssen und dessen werden wir Deutschen uns immer bewußt sein.
Ich bekenne offen, ich fühle mich mit Israel eng verbunden. Ein Land, dessen Menschen ich verstehe, deren Gefühle ich teilen kann, die unter schwierigsten Bedingungen Großartiges geleistet haben. Israel ist noch heute ein großes, ein phantastisches, wenn auch nicht unproblematisches Experiment, an dessen Wiege Deutsche im Guten wie im Bösen stehen. Ich sehe es deshalb als meine Pflicht an, Antisemitismus mit allen politischen Mitteln zu bekämpfen und wann immer es notwendig ist.
({0})
Ich glaube allerdings nicht, daß es ausreichend ist, auf „antisemitische Strömungen" hinzuweisen oder „Antisemitismus in Deutschland" als Schlagwort zu bekämpfen oder darauf zu schimpfen.
Der Antisemitismus ist sicher kein Naturgesetz. Er ist Ausdruck von Verständnislosigkeit, manchmal Unkenntnis. Meistens ist er auch oberflächlich und kurzzeitig motiviert. Er sollte nicht anders interpretiert werden, als er tatsächlich ist. Er ist mit dem systematischen, menschenverachtenden, grausamen und irrsinnigen Antisemitismus des Nationalsozialismus nicht vergleichbar.
({1})
Hier verwechseln die GRÜNEN - Herr Dr. Müller, ich habe Ihnen zugehört - meines Erachtens grün mit rot, und manchmal mischen sie es.
({2})
Diese Methode ist infam. Wir werden uns das so nicht bieten lassen.
({3})
Die Art, wie Sie interpretieren - an dem, was gemeint war, vorbei -, geht genau in diese Richtung.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, was ich Werner Nachmann in tiefem Respekt abnehme, klingt aus Ihrem Mund oft unglaublich hohl und opportunistisch.
({5})
Wehret den Anfängen, ja, aber bauen wir hier nicht Windmühlenflügel auf und kämpfen wir nicht an der falschen Front.
({6})
Ich bin auch der Auffassung, daß es nicht genügt, Antisemitismus unter dem Gesichtspunkt der besonderen Verpflichtung Deutschlands aus den Greueln der Judenverfolgung im Dritten Reich zu bekämpfen. Diese Waffe kann, sie muß stumpf werden, je öfter sie eingesetzt wird. Ich sehe hier eine große Gefahr, wenn nicht sogar die größte Gefahr.
({7})
Die Freundschaft zwischen beiden Ländern braucht eine andere Säule, an der schon heute Tausende von Menschen arbeiten, an der in der Vergangenheit unter besonderer Verantwortung von Unionspolitikern gearbeitet wurde. Der Kollege Gerster hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, daß heute auf allen Ebenen junge Menschen, ältere Menschen zusammenarbeiten, daß wir die Länder gegenseitig kennen, daß wir die Probleme kennen und daß wir uns bemühen, hier etwas völlig Neues aufzubauen.
Deutschland und Israel sollten nach vorne sehen. Sie sollten die gemeinsamen Interessen, die gleiche Denkweise, den gemeinsamen Ursprung der Religionen und ihren ungeheuren Wert für die ganze Welt entdecken.
Israel ist eine Bastion menschlicher Ideale, die uns bekannt sind; in einer schwierigen Umgebung, in der oft martialische und unmenschliche Grundsätze gelten. Es liegt im deutschen Interesse, mit Israel in gutem Einvernehmen und mit seinen Menschen in einer besonderen Beziehung zu stehen.
Wir begründen aus unserer Geschichte, aber auch aus der Gegenwart: Man kann ein deutscher Patriot und zu derselben Zeit ein Freund der Israelis sein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Werner Nachmann in seiner Pressemeldung von gestern zitieren - sie geht uns alle an -, in der er um ein Gespräch mit den Vorsitzenden der Parteien im Bundestag gebeten hat. Er hat dabei gesagt, er wolle mit den Parteivorsitzenden über die zunehmenden antisemitischen Tendenzen in der Bundesrepublik sprechen.
({0})
Herr Müller hat versucht, das mit Zahlen zu belegen. Ich möchte nur eines festhalten - ich kann jetzt nur drei Sätze sagen; ich habe nur eine Minute Redezeit -: Diese Zahlen, die Herr Müller genannt hat, diese steigenden, zunehmenden antisemitischen und - ich möchte es erweitern: rassistischen - Tendenzen gibt es als Realität in unserem Land. Nichts wäre falscher, als sie in einzelne parteipolitische Gruppierungen abschieben zu wollen. Diese steigenden rassistischen und antisemitischen Tendenzen - das gilt für Ihre Klientel, für Ihre Klientel, und das gilt auch für unsere Klientel. Wer hier irgendwie versucht, Schuld zuzuweisen und das parteipolitisch umzumünzen, der wird dem, was uns hier in diesem Land wieder droht, wenn wir nicht alle gemeinsam aufpassen, der wird unserer besonderen Verantwortung, egal, ob alt oder jung, dem jüdischen Volk gegenüber nicht gerecht.
({1})
Auch ich habe die „Gnade der späten Geburt", wenn man so will; aber ich werde diese Verantwortung nicht los. Solange ich ein Deutscher sein will
- und das möchte ich -, muß ich mich auch zu dieser besonderen Verantwortung bekennen. Das heißt, daß wir gemeinsam jede Äußerung, die von einzelnen gemacht wird - auch bei uns gibt es solche Äußerungen, was wichtig festzuhalten ist, aber auch bei der SPD hat es solche Äußerungen kürzlich im Frankfurter Raum gegeben -, gemeinsam in Frage stellen müssen und auf jeden dieser Vorfälle eindeutig reagieren müssen. Dazu rufe ich Sie alle auf. Anders können wir unserer gemeinsamen Verantwortung nicht gerecht werden.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann daran anknüpfen, was soeben gesagt wurde. Diese Aktuelle Stunde sollte die Stunde eines sich in demokratischen Grundfragen einigen Parlaments sein;
({0})
denn der Deutsche Bundestag als ganzes Parlament ist dem antifaschistischen Geist des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet. Die Tradition einer NS-Ideologie von überlegenen und minderwertigen Rassen, Völkern, Minderheiten hat keinen Platz in einem demokratischen Gemeinwesen, das als höchste staatliche Aufgabe den Schutz von Leben und Gesundheit definiert und die Würde jedes einzelnen Menschen als unantastbar ansieht. Deshalb geht es heute auch nicht um Israel, es geht um antisemitische Tendenzen bei uns.
({1})
Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersartigem ist nur in einer Demokratie zu haben, und Demokratie ist auf Toleranz angewiesen. Demokratische Parteien müssen dies bei der politischen Willensbildung beachten und durchsetzen, und dazu gehört: Kein demokratischer Politiker ist berechtigt, den Anschein zu erwecken, als könne man rechtfertigen, was 1933 bis 1945 in deutschem Namen geschah. Es gehört dazu: Kein demokratischer Politiker hat das Recht, unter Kalkül auf Wählerstimmen angeblich populäre Äußerungen von sich zu geben, als seien überlebende Opfer der NS-Gewaltherrschaft darauf aus, Geld zu kassieren, und als seien die Nutznießer einer bis zur Ausrottung führenden Zwangsarbeit vor solcher Geldgier zu schützen.
({2})
Opfer und Hinterbliebene dürfen nicht noch nachträglich verhöhnt werden; sie sind zu rehabilitieren, ihre Ehre ist wiederherzustellen.
Dem Bundeskanzler ist zuzustimmen, der am 21. April 1985 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen festgestellt
hat - ich zitiere -: „Versöhnung mit den Hinterbliebenen und den Nachkommen der Opfer ist nur möglich, wenn wir unsere Geschichte annehmen, so wie sie wirklich war, wenn wir uns als Deutsche bekennen: zu unserer Scham, zu unserer Verantwortung vor der Geschichte." Ich gehe davon aus, daß sich diese Worte auf alle Opfergruppen von damals beziehen: auf Juden, auf Sinti und Roma, auf Homosexuelle, auf Menschen aus anderen Ländern, auf Gebrechliche, Kranke, Behinderte. Ich stelle fest, es besteht heute hier nicht die Gefahr neuer Judenverfolgung. Beinahe müßte man sarkastisch sagen: Das lohnt sich j a wohl nicht bei 30 000.
({3})
Wohl aber besteht die Gefahr von Ausgrenzung und Diskriminierung, der Verächtlichmachung bis hin zur Quasiverfolgung von Minderheiten, von Ausländern, von Asylsuchenden, von Nichtseßhaften usw.
Die Verantwortung aller demokratischen Parteien und Politiker besteht deshalb in zweierlei: Erstens Versöhnung für das Vergangene dadurch möglich zu machen, daß nicht verdrängt und vergessen, sondern daß bewußtgemacht wird, denn nur Bewußtsein schafft Gewissen, und zweitens heute und in Zukunft gegenüber Diskriminierung und Ausgrenzung sensibler zu werden.
({4})
Es gibt keinen demokratischen Staatszweck, der jedes Mittel heiligen würde. Antisemitische Tendenzen sind deshalb Anschläge auf Menschlichkeit und Menschenwürde. Deshalb sei daran erinnert, was den NS-Staat und seine Rassenideologie ausmachte. Das fing schon 1933 an. Da war Ausmerze angesagt, und es wurde ein Erbgesundheitsgesetz geschaffen. Es hieß damals: Die Fürsorge für die Schwächlichen muß jetzt aufhören, und die Taten folgten: Zwangssterilisierung, Zwangsabtreibungen und Mord im Rahmen von Euthanasie-Programmen. 1935: Nürnberger Gesetze zum Schutz des deutschen Blutes gegen die Juden, 1938: Reichskristallnacht, 1941: Wannsee-Konferenz, 1940 bis 1945: „Behandlung" von Kriegsgefangenen, die als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden.
Verantwortung vor der Geschichte zeigen heißt also heute: erstens nicht zuzulassen, daß Aufruf zum Völkermord hier und anderswo Mittel der politischen Auseinandersetzung ist; zweitens Menschenrechte auch und besonders dann zu verteidigen, wenn es um Andersdenkende geht; drittens jede Äußerung zu unterlassen, die geeignet wäre, andere zu verunglimpfen, herabzusetzen und als minderwertig erscheinen zu lassen; viertens Schäden aller Opfer auszugleichen und Unrechtsurteile aufzuheben; und schließlich den Zufall des Zeitpunkts der eigenen Geburt nicht gegen die politisch-moralische Verantwortlichkeit für die Politik unseres demokratischen Gemeinwesens auszuspielen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir bleibt nur wenig Zeit, um nach sehr vielen Reden heute morgen einige Bemerkungen zu machen, die sich in einigen Punkten vielleicht von dem unterscheiden, was hier gesagt worden ist.
Meine Sorge war von Anfang an, daß diese Aktuelle Stunde mit ihren Fünf-Minuten-Beiträgen keineswegs ausreicht, um hier ein Thema erschöpfend zu behandeln, das sehr viel intensiver behandelt werden müßte.
({0})
Ich glaube nicht, daß man in fünf Minuten, meine Damen und Herren, in der Lage ist, neben dem bekannten geschichtlichen Rückblick auch auf die 40 Jahre nach 1945 einzugehen und vielleicht auch einmal zu untersuchen, welche anderen Fehler in unserer Gesellschaft passieren mit der Folge, daß in unserer jungen Generation möglicherweise zwar kein neuer Antisemitismus, aber eine kritischere Einstellung gegenüber jüdischen Mitbürgern hochkommt, als uns das recht sein kann.
({1})
Ich glaube, in diesem Zusammenhang müssen wir auch alle an uns, Frau Renger, Frau Dr. Hamm-Brücher, appellieren, daß wir uns gegenüber unseren jüdischen Mitbürgern und auch gegenüber dem Staat Israel vernünftig verhalten, gegenüber dem Staat Israel, der mit dem jüdischen Volk ja nicht identisch ist. Ich glaube, das muß einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden; das wird, Herr Kollege Lowack, immer wieder vermischt. Wir haben die Verpflichtung, die Juden nun nicht einseitig in ein positives moralisches Getto abzusondern. Und hier, liebe Frau Dr. Hamm-Brücher, besteht eine Gefahr. Sehr viele junge Menschen fangen an, zu fragen: Dürfen wir nur deshalb keine kritischen Äußerungen machen, weil es sich dabei um Menschen handelt, die anders sind? Ich bin der Meinung, daß der junge Amerikaner, den ich als Schüler in Mainz nach dem Krieg als ersten Ausländer kennengelernt hatte, recht hatte, als er auf meine Frage nach seiner Herkunft - ich hatte ihn für einen mediterranen Typ gehalten - sagte: Ich bin Jude und - auf meine in eilfertiger Weise gemachte Bemerkung: Dann sind Sie mir noch sympathischer - hinzufügte: Sehen Sie, das will ich nicht sein. Ich will Ihnen nicht deshalb sympathischer sein, weil ich Jude bin, sondern ich möchte von Ihnen so gesehen werden wie jeder andere Mensch. Das heißt, Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Renger, wir sollten uns Menschen jüdischen Glaubens gegenüber so verhalten, wie wir das gegenüber jedem Mitbürger
Schäfer ({2})
tun. Es liegt eine Gefahr darin, wenn wir in übertriebener Weise reagieren, wenn es gelegentlich auch Kritik dort gibt, wo Kritik angebracht ist. Sie müssen es mir, Sie müssen es den jungen Deutschen schon überlassen, wenn sie sich zu Vorgängen des handelnden Staates Israel gelegentlich auch kritisch äußern. Das ist kein Antisemitismus, das ist keine Kritik an den Juden, sondern das ist die Tatsache, daß der Staat Israel das Recht hat, wie jeder andere Staat gesehen und beurteilt zu werden.
Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten diese Stunde nicht allein zum Anlaß nehmen, uns in der üblichen pathetischen Weise auf die Gemeinsamkeit zu einigen, die wir in den entscheidenden Punkten haben, sondern wir sollten uns auch die Frage stellen, ob wir in Zukunft nicht schärfer unsere jetzige Situation definieren und analysieren sollten. Mit der Vergangenheit allein lassen sich heute viele Fragen leider nicht mehr beantworten.
Ich bin der Auffassung, daß es ein Recht unserer jungen Generation ist, nicht nur auf die entsetzlichen Ereignisse der Vergangenheit verwiesen zu werden, sondern daß man mit ihr gemeinsam über Ereignisse von heute diskutiert. Herr Kollege Duve, hier liegt auch eine ziemliche Verantwortung bei unseren jüdischen Mitbürgern. Ich denke jetzt an die Diskussionen im Zusammenhang mit der Absetzung des Frankfurter Stückes, ich denke hier z. B. an Herrn Friedmann. Das muß hier auch einmal gesagt werden.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Mein Damen! Meine Herren! Ich gestehe Ihnen offen: Ich habe die Bemühungen, die zu dieser Aktuellen Stunde geführt haben, mit Skepsis beobachtet. Für mich ergibt eine öffentliche Debatte zum Thema Antisemitismus nur dann einen Sinn, wenn wir uns dabei immer die Opfer vergegenwärtigen, wenn wir zur geistigen Überwindung der buchstäblich mörderisch gewordenen antisemitischen Dummheit beitragen und wenn wir helfen, die Beziehungen zu unseren jüdischen deutschen Mitbürgern und zwischen Juden und Deutschland allgemein so normal zu gestalten, wie das nach Auschwitz noch möglich ist.
Ich bezweifle - insofern stimme ich mit dem Herrn Kollegen Schäfer überein -, daß eine Aktuelle Stunde mit dem Stakkato der Fünf-MinutenBeiträge zeitlich überhaupt in der Lage ist, solchen Kriterien gerecht zu werden.
({0})
Als Sie, Frau Kollegin Hamm-Brücher - ich spreche Sie gleich an -, die Debatte des heutigen Tages beantragten, hätten Sie wissen müssen, daß kleine Geister nie alle werden, die sich nicht davor
scheuen, den blutigen Hintergrund von Millionen ermordeter Menschen vor allem zu nützen, um dem politisch Andersdenkenden kleinkariert am Zeug zu flicken.
Daß sich der Herr Müller von den GRÜNEN so benahm, mußte man erwarten. Es wäre verwunderlich gewesen, wenn er nicht versucht hätte, das Ausmaß nationalsozialistischer Niedertracht zu nützen, um jene Demokraten zu beschimpfen, die nach dem Ende von Hitlers Verbrechen in mühsamer Kleinarbeit erst wieder das Vertrauen für Deutschland und die Deutschen erarbeitet haben.
({1})
Betroffen gemacht hat mich mehr, daß der Kollege Duve der Versuchung nicht widerstand, aus der wohl schwersten Hypothek der deutschen Geschichte tagespolitische Kleinmünze zu schlagen.
({2})
Herr Kollege Duve, der Art, wie Sie den Bundeskanzler behandelt haben, stelle ich den Brief gegenüber, den Simon Wiesenthal ihm geschrieben hat und in dem der entscheidende Satz lautet:
Sie sind für mich nach Adenauer der erste deutsche Kanzler, dem ich vollstes Vertrauen schenken und glauben kann. Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen dafür meine aufrichtigen und zutiefst empfundenen Wünsche zu übermitteln.
({3})
Wer den Antisemitismus auf nicht reflektierte Torheiten, unbedachtes Gerede oder unkritisch nachgesprochene Redensarten in der jeweils anderen Partei reduziert, verharmlost eine der lebensgefährlichsten Dummheiten in der Geschichte der Menschheit. In unseren Zettelkästen, Herr Kollege Duve, stapeln sich natürlich ähnliche Aussagen aus dem linken Lager. Aber ich sage: Ich würde mich schämen, hier so damit zu argumentieren.
({4})
Die intellektuelle Bekämpfung der verschiedenen Lesarten des Antisemitismus ist speziell in Deutschland eine gemeinsame Aufgabe aller Demokraten gewesen. Ich hoffe, so wird es auch bleiben. Die Lösung dieser Aufgabe können wir nicht allein dem Strafrecht und nicht allein den Gerichten überlassen. Dem Antisemitismus, ob er plump, rassistisch, verknöchert fremdenfeindlich, geistig verirrt, mit dumpfem Minderwertigkeitskomplex oder als progressiver Antizionismus daherkommt, als muffiges Erbe ungesunder Vorurteile oder als antikapitalistische Sehnsucht - jeder dieser Formen müssen wir in geistiger Auseinandersetzung gegenübertreten.
Daher möchte ich dem Kollegen Fischer von den GRÜNEN danken, daß er das Wort gefunden hat, das, glaube ich, uns alle vereinen könnte, nämlich das Wort, daß wir diese Aufgabe nicht in einem
Schlagabtausch, sondern in einer vernünftigen Analyse und in einer gemeinsamen Aktion verwirklichen können.
({5})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist zu Ende.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze
- Drucksache 10/2652 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 10/5083 Berichterstatter:
Abgeordnete Saurin Bachmaier
({1})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Saurin.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegende Änderung des Ordnungswidrigkeitengesetzes hat zum Ziel, die unverhältnismäßig starke Belastung der Gerichte mit Bußgeldsachen im Bagatellbereich abzubauen. Derzeit werden in der Bundesrepublik Deutschland vor unseren Gerichten jährlich ungefähr eine halbe Million Bußgeldverfahren abgehandelt. Die Zahl dieser Verfahren hat sich damit gegenüber 1971 mehr als verdoppelt. 90% der Bußgeldverfahren betreffen Ordnungswidrigkeiten im Bagatellbereich, wo es nur um sehr geringfügige Geldbußen geht. Wir wollen mit einer Reihe von Maßnahmen versuchen, die Flut von gerichtlichen Bußgeldverfahren einzudämmen, damit die Arbeitskapazität der Gerichte für bedeutsamere Sachen verbessert werden kann.
Ich will kurz einige Schwerpunkte der Novellierung hervorheben.
Die Geldbußen im formlosen Verwarnungsverfahren, deren Höhe bisher bei Ordnungswidrigkeiten auf 20 DM und in Verkehrssachen auf 40 DM beschränkt war, werden auf bis zu 75 DM ausgeweitet. Damit besteht die Möglichkeit, daß zukünftig das Verwarnungsverfahren schnell und unbürokratisch mit einer Geldbuße von bis zu 75 DM abgeschlossen werden kann. Wenn der Bürger zustimmt, erspart er sich in diesen Fällen die Gebühr von 10 DM und die Zustellungskosten von 5 DM, die bei einem förmlichen Bußgeldverfahren entstehen würden. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß diese
Änderung keinen Einfluß auf die Höhe der Geldbußen bei den einzelnen Verstößen hat. Es geht nur darum, das formlose Verfahren in erweitertem Umfang anwenden zu können.
Ferner haben wir eine Verbesserung der Rechte des Betroffenen dadurch vorgesehen, daß die Frist für den Einspruch von einer auf zwei Wochen verlängert wird. Es ist heute so, daß schon ein kurzer Urlaub oder eine kurzfristige Abwesenheit dazu ausreicht, daß die einwöchige Einspruchsfrist nicht mehr wahrgenommen werden kann. Dann muß erst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden. Das heißt, die bisherige kurze Frist trägt dazu bei, daß die Gerichte noch stärker belastet werden.
Wir haben weiterhin vorgesehen, daß die Verwaltungsbehörden in Zukunft eine umfangreichere Prüfungspflicht haben, wenn der Beschuldigte Einspruch einlegt. Die Staatsanwaltschaft kann zukünftig ein Verfahren zur genaueren Aufklärung an die Verwaltungsbehörde zurückgeben. Sofern die Verwaltungsbehörde den Sachverhalt nicht aufklären kann, muß sie selber das Verfahren einstellen, so daß diese Fälle künftig nicht mehr in das gerichtliche Verfahren gelangen. Zur besseren Sachverhaltsaufklärung hat der Betroffene in Zukunft die Möglichkeit, vor der Abgabe der Sache an das Gericht Einwendungen vorzutragen.
Der Gesetzentwurf sieht weiterhin einige Vereinfachungen im Beweisverfahren vor. Mit Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten kann das Gericht das Verfahren durch eine vereinfachte Beweisaufnahme abkürzen. Ebenso nur mit Zustimmung der Betroffenen können Zeugenvernehmungen durch schriftliche Vernehmungsprotokolle ersetzt werden. Das Gericht kann auch von einer schriftlichen Urteilsbegründung absehen, wenn das Urteil rechtskräftig ist und der Betroffene auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hat.
Im Gegensatz zur Regierungsvorlage hielten wir es für wichtig, diese Vereinfachungen der Beweisaufnahme nur in den Fällen zuzulassen, in denen der Betroffene zustimmt. Wir wollten keine Eingriffe in die Rechte des Bürgers vor Gericht, sondern wir haben Verfahrensvereinfachungen nur dort ermöglicht, wo dieses einverständlich, d. h. mit Zustimmung des Betroffenen, erfolgt.
Nicht gefolgt sind wir dem Vorschlag des Bundesrates, eine Kostentragungspflicht einzuführen, wonach der Halter eines Kraftfahrzeuges eine Gebühr zu entrichten hat, wenn der Fahrer, der die Ordnungswidrigkeit begangen hat, nicht ermittelt werden kann. Wir glauben, daß dieses vom Bundesrat vorgeschlagene Instrumentarium den Grundsatz der Unmittelbarkeit, der bisher im Strafrecht und im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt, abgebaut hätte. Wir halten diesen Grundsatz für nicht ersetzbar. Die Einführung einer Halterhaftung erschien insbesondere in bezug auf das Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten nahestehender Verwandter bedenklich, da dem Halter nur der Konflikt geblieben wäre, einen nahen Angehörigen zu belasten oder selber finanzielle Nachteile hinnehmen zu müssen.
Lassen Sie mich kurz auch etwas anderes erwähnen, was der Bundesrat, glaube ich, übersieht. Die Belastung der Gerichte mit Bußgeldverfahren ist zwar absolut deutlich angestiegen, es ist aber nicht die Einspruchsquote angestiegen. Wir haben - nach den Zahlen aus Bayern, die exakt vorliegen - ungefähr eine Vervierfachung der Bußgeldbescheide seit 1971. Interessant ist aber, daß die Quote der Einsprüche gegen Bußgeldbescheide 1971 bei ungefähr 10 % gelegen hat, Mitte der 70er Jahre auf 14 % gestiegen war und jetzt wieder fällt und sich 10 % nähert. Das heißt, der Bürger macht gar nicht verstärkt von seinem Einspruchsrecht Gebrauch. Nur dadurch, daß die absolute Zahl der Bußgeldbescheide gestiegen ist, ist in der Folge die Zahl der Einsprüche nach oben gegangen.
Wir haben eine andere Regelung vorgesehen, um den härtesten Fällen des Rechtsmißbrauchs entgegenwirken zu können. Zukünftig sollen die Anwaltskosten bei Verfahren gegen Bußgeldbescheide bis zu einer Höhe von 20 DM nur noch dann erstattet werden, wenn eine schwierige Sach- oder Rechtslage oder eine besondere Bedeutung der Sache für den Betroffenen vorliegt. Auf diese Weise werden die schlimmsten Fälle des Rechtsmißbrauchs, die bei der derzeitigen Rechtslage bei der Kennzeichenanzeige möglich sind, beseitigt, ohne daß für alle Kraftfahrzeugbesitzer eine Halterhaftung eingeführt wird.
In Anwaltskreisen wird heute schon erzählt, daß es einzelne, gerade jüngere Kollegen gibt, die in ihrem Bekanntenkreis fast die Parole ausgeben, falsch zu parken, nach Möglichkeit dabei noch erwischt zu werden und dann nur das Aktenzeichen in die Kanzlei zu geben, damit man dann mit einem Standardbrief über die Kennzeichenanzeige und die Zeugnisverweigerung dieses Verfahren abwürgt und der Anwalt dann dafür eine nicht unbeträchtliche Gebühr kassiert. Das halten wir für unverhältnismäßig. Es muß möglich sein, daß man bis zu 20 DM auch ohne einen Anwalt, wenn es nur um einen einfachen Parkverstoß geht, die Sache vor Gericht klären läßt.
Ich möchte einen weiteren Punkt hervorheben und ihn damit zugleich ein ganz klein wenig abschwächen. Die Medien haben nach dem Abschluß der Beratungen im Rechtsausschuß im Zusammenhang mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz eigentlich nur darüber berichtet, daß jetzt die Parkkralle, die Parkverriegelung eingeführt werden soll. Dem ist nicht so. In das Gesetz wird lediglich für Versuche zur Erprobung der Auswirkung des vorübergehenden Blockierens von Kraftfahrzeugen mit Parkriegeln bei Verstößen gegen Halte- oder Parkverbote eine Norm aufgenommen, wonach der Bundesverkehrsminister eine entsprechende Verordnung erlassen kann. Wir wollen keine flächendeckende Einführung des Parkriegels. Wir wollen lediglich, daß, sofern ein Antrag vorliegt, ein Versuch ermöglicht wird, um zu sehen, ob mit einem Parkriegel Verbesserungen im ruhenden Verkehr herbeigeführt werden können. Uns lag lediglich ein einziger Antrag vor, und zwar war es die Landeshauptstadt München, die uns gebeten hat, eine solche Versuchsregelung im Gesetz vorzusehen. Wir haben
daraufhin gesagt: höchstens einen Versuch. Dieser Versuch wird auch nur - mit Zustimmung der obersten Landesbehörde - genehmigt, wenn ein entsprechender Antrag eingeht. Da ich weiß, daß der Großteil der Bundesländer selbst an einem Versuch überhaupt nicht interessiert ist, glaube ich, daß es zu einer solchen Versuchsregelung höchstens im Fall der Stadt München kommen wird, sofern diese überhaupt bereit sein wird, einen Antrag zu stellen, und sofern die Bayerische Staatsregierung den Versuch überhaupt ermöglichen sollte.
In England und in Frankreich - das muß man fairerweise sagen - hat der Parkriegel dazu geführt, daß die Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Verkehr teilweise um bis zu 30 % zurückgegangen sind.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Ich glaube, daß der Gesetzentwurf eine Änderung des Ordnungswidrigkeitengesetzes bringen wird, die unsere Gerichte von Bagatellverfahren entlastet, damit sie wieder mehr Zeit für die wirklich bedeutsamen Angelegenheiten haben, daß diese Entlastung aber geschieht, ohne daß nennenswert in die Rechte der Bürger eingegriffen wird, daß also ein vernünftiger, ausgewogener Kompromiß zustande gekommen ist, der auch von den Ländern mitgetragen werden kann.
Danke.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bachmaier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch das Bußgeldverfahren kommen jährlich knapp eine halbe Million Recht-suchende als Betroffene mit der Justiz in Berührung. In den weitaus meisten Fällen liegt dem Verfahren ein Bußgeldbescheid zugrunde, durch den den Betroffenen ein mehr oder weniger schweres Fehlverhalten im Straßenverkehr vorgeworfen wird. Für viele Menschen ist die Verwicklung in ein Bußgeldverfahren die einzige unmittelbare Erfahrung, die sie in ihrem Leben mit einem Gericht machen. Gerade diese unmittelbaren Erfahrungen tragen aber entscheidend mit dazu bei, ob unserer Justiz das Maß an Vertrauen entgegengebracht wird, das für eine geordnete Rechtspflege in unserem Lande unerläßlich ist. Deshalb stehen wir alle in der Pflicht, die Verfahrensrechtsordnungen so auszugestalten und fortzuschreiben, daß die Menschen in einem Gerichtsverfahren das sichere Gefühl haben, ihr Anliegen werde einer gründlichen und erschöpfenden gerichtlichen Überprüfung unterzogen, kurz gesagt: ihnen werde in einem umfassenden Sinne Gerechtigkeit widerfahren.
Dies ist die Richtschnur, an der wir die Ausgestaltung der prozessualen Verfahrensrechte und somit auch diesen Gesetzentwurf messen.
({0})
Es geht nicht an, daß elementare rechtsstaatliche
Gewährleistungen in einem Gerichtsverfahren
dann zur Disposition gestellt werden, wenn die Zahl derer zunimmt, die die Gerichte um Hilfe anrufen.
({1})
- Dazu komme ich gleich, Herr Saurin. Ich habe Sie gar nicht beschuldigt; warum reagieren Sie denn als Betroffener?
Es stellt auch ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen dar, Verfahrensgarantien und Rechtsmittel daran zu orientieren, ob nach Ansicht des Gesetzgebers ein gravierender oder ein weniger gravierender Fall vorliegt. Für die meisten Menschen stellt die Durchführung eines Gerichtsverfahrens, insbesondere auch im Rahmen des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid, eine nicht unerhebliche psychische Belastung dar, der sie sich nicht ohne Not aussetzen. Auch bei einem Bußgeldbescheid von relativ geringer Höhe kann für den jeweils einzelnen ein Sachverhalt zugrunde liegen, der für ihn und sein Rechtsempfinden von einschneidender Bedeutung ist. Deshalb sollten wir uns davor hüten, in den sogenannten geringfügigen Fällen allzu kurzen Prozeß zu machen.
({2})
- Dazu komme ich gleich. - Jemand, der vom Gesetzgeber dazu verpflichtet wird, eine von ihm als Unrecht empfundene Maßnahme hinzunehmen, ohne daß er sich dagegen wirkungsvoll zur Wehr setzen kann, reagiert in aller Regel verdrossen auf die rechtsgewährenden Institutionen unseres Staates und tut sich damit schwer, diese Institutionen für sich zu akzeptieren.
Dies waren für uns auch die Gründe - sie sind es nach wie vor -, daß wir uns in den Beratungen des Rechtsausschusses hartnäckig gegen eine Einschränkung des Rechtsbeschwerdeverfahrens und der Rechte des Betroffenen im Beweisaufnahmeverfahren zur Wehr gesetzt haben. Zum Teil hatten unsere Bemühungen Erfolg - diesen Erfolg hatten wir gemeinsam -, wie dies am Beispiel der sogenannten vereinfachten Art der Beweisaufnahme aufgezeigt werden kann. War es nach dem Regierungsentwurf noch möglich, eine sogenannte vereinfachte Form der Beweisaufnahme auch gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen, so ist dies nach dem einmütigen Beschluß des Rechtsausschusses nur noch mit Zustimmung des Betroffenen möglich. Das bedeutet z. B.
({3})
- j a, da haben wir auch einiges gemacht, Herr Saurin -, daß Polizeibeamte, die Verkehrsüberwachungsmaßnahmen durchführen, weiterhin als Zeugen über ihre Wahrnehmungen vor Gericht vernommen werden können, wenn der oder die Betroffene darauf besteht.
Nicht einverstanden erklären wir uns damit, daß der schon bislang nicht gerade einfache Weg der Zulassung der Rechtsbeschwerde noch weiter eingeengt wird. Die jetzt beschlossene Einengung der Zulassung der Rechtsbeschwerde bedeutet für den
weit überwiegenden Teil aller Verfahren, daß Rechtsmittel gegen ein Urteil des Amtsgerichts in einem Bußgeldverfahren nicht oder nur noch schwer zugänglich gegeben sind.
Das neu einzuführende Zwischenverfahren, das ja auf Vorarbeiten zu Beginn der 80er Jahre zurückgeht, halten wir für eine gute Sache. Wir hoffen, daß durch diese neue zwischengeschaltete Verfahrensform viele Einsprüche gegen einen Bußgeldbescheid schon vor Einschaltung eines Gerichts so weit auf ihre Berechtigung überprüft werden können, daß es eines gerichtlichen Verfahrens mit all den damit zusammenhängenden Belastungen auch für die Betroffenen nicht mehr bedarf.
({4})
Ebenso positiv stehen wir zu der Verlängerung der Einspruchsfrist gegen einen Bußgeldbescheid auf 14 Tage. Durch diese verlängerte Einspruchsfrist wird es besonders den beauftragten Verteidigern ermöglicht, durch eine rechtzeitige Überprüfung vor Einlegung eines Einspruchs die Chancen dieses Rechtsmittels auszuloten und zu überprüfen.
Wir wissen, daß die Parkverstöße in den Großstädten ein inzwischen nicht unerhebliches Problem sind - Sie sprachen j a davon -, und waren deshalb bereit, unseren Beitrag zur Lösung dieses Problems zu leisten. Die, wenn auch nur versuchsweise, jetzt vorgesehene Ermächtigung zur Einführung der sogenannten Parkkralle halten wir allerdings für den falschen Weg.
Im übrigen liegt mir bis zum heutigen Tag kein Schreiben und keine Demarche des die Stadt München repräsentierenden Oberbürgermeisters oder seines Stellvertreters vor, womit die Parkkralle gefordert würde. Hingegen wird sie von einem Kreisverwaltungsdezernenten gefordert, der da einen erheblichen Eifer gezeigt hat.
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- Ich wollte j a nur klarstellen, wer mit besonderem Eifer an der Geschichte strickt. Wenn Sie, Herr Saurin, das vorhin nicht gesagt hätten, wäre ich zu dieser Bemerkung gar nicht veranlaßt gewesen.
Zum einen ist die Parkkralle in einer Vielzahl leichterer Fälle des Parkverstoßes ein unverhältnismäßig intensiver Eingriff. Außerdem wird durch die Anbringung einer Parkkralle die Parkzeit des Fahrzeugs nochmals verlängert. Wir haben zudem Bedenken, ob diese quasi vorweggenommene Sanktion, die durch ein erfolgreiches Rechtsmittel nicht mehr beseitigt werden kann, eine rechtsstaatlich vernünftige Antwort auf unzweifelhaft bestehende Probleme ist.
Im übrigen wird es wohl längere Zeit dauern, bis durch eine gesicherte Rechtsprechung abgeklärt ist, ob und in welchen Fällen die Anbringung einer Parkkralle als verhältnismäßige Reaktion anzusehen ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Saurin?
Ich hätte eigentlich gern erst zu Ende gesprochen. Aber bitte sehr.
Herr Kollege Bachmaier, stimmen Sie mir zu, daß nach der Formulierung, die wir in das Gesetz übernommen haben, die Parkkralle wohl niemals eine Chance hat, verwirklicht zu werden, und insofern Ihre Ausführungen hier zwar vielleicht publikumswirksam sind, aber in der Auswirkung doch wohl an dem Ergebnis vorbeigehen?
Herr Saurin, ich habe Ihre mir ja schon aus den Beratungen des Rechtsausschusses bekannte Ablehnung dieses von mir als zu martialisch angesehenen Instruments auch heute dankend zur Kenntnis genommen. Ob durch das, was Sie formuliert haben, eine Anwendung gänzlich ausgeschlossen ist, kann ich im Moment allerdings nicht abschließend beurteilen. Im übrigen erlaube ich mir natürlich die Frage, ob es Sinn hat, etwas in ein Gesetz hineinzubringen, das man dort aus rein rhetorischen Gründen unterbringt, ohne daß es Wirkung hervorbringen soll.
({0})
Auch das dient ja nicht der Aufgabe, der wir uns hier zu stellen haben. Deshalb neige ich dazu, wir sollten diese Diskussion hier möglichst schnell beenden.
({1})
Daß wir den in der Fassung des Rechtsausschusses vorgelegten Entwurf nicht ablehnen, sondern uns lediglich der Stimme enthalten, hat seine Ursache nicht unwesentlich darin, daß im Rechtsausschuß die von uns als recht unselig empfundene Vorschrift des § 118 a einvernehmlich gestrichen worden ist.
Durch diese Vorschriften sollten ursprünglich sogenannte Verunstaltungen an Bauwerken und sonstigen Einrichtungen mit einer Geldbuße bis zu 10 000 DM belegt werden. Jedem Ordnungsbeamten und jedem Polizisten wäre damit die wohl kaum erfüllbare Pflicht auferlegt worden, darüber zu entscheiden, ob sich etwas als verunstaltend darstellt oder nicht. Wir wären über diese Vorschrift in eine gefährliche, den Ordnungsämtern auferlegte Nähe zur Zensur gekommen, obwohl unser vorhandenes rechtliches Instrumentarium ausreicht, offenkundige Mißstände auf diesem Gebiet zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir abschließend die Feststellung, daß die gründliche und eingehende Beratung, die dieser Gesetzentwurf im Rechtsausschuß ohne Zeitdruck erfahren hat, der Qualität dieses Gesetzes sicherlich gut bekommen ist - ein Beispiel, wie man vielleicht auch mit anderen derzeit anhängigen oder in Zukunft noch anhängig werdenden Gesetzgebungsverfahren umgehen sollte.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf hat eine dornenvolle Entstehungsgeschichte. Das haben auch die langwierigen Beratungen in den letzten Jahren gezeigt. Man kann es deswegen als ein kleines Wunder bezeichnen, daß wir heute in die zweite und dritte Lesung eintreten und es zur Verabschiedung eines Gesetzes kommt, das, wie wir meinen, Verbesserungen mit sich bringt, die von den Justiz- und Verwaltungsfachleuten seit fast zehn Jahren so dringlich gefordert werden.
Obwohl es bis hierher ein recht steiniger Weg war, glaube ich, daß wir einen Kompromiß gefunden haben, der sich sehen lassen kann. Aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, wie Goethe sagt, kann man eben auch Schönes bauen. Wir haben diese Weisheit beherzigt und nicht wie andere, die im Glashaus saßen, mit den Steinen, die uns in den Weg gelegt worden sind, geworfen.
Kritik allein genügt nicht. Man sollte schon konkrete Gegenvorschläge unterbreiten und nicht, wie die Fraktion der GRÜNEN dies leider getan hat, auf die recht einseitige Position zurückgreifen, rechtsstaatliche Garantien dürften nicht angegriffen werden, wenn es um die Entlastung von Gerichten gehe.
Auch der allgemeine Hinweis, das Auto sollte insbesondere in Ballungsräumen zugunsten sonstiger Verkehrsmittel zurückgedrängt und das soziale Verhalten im Straßenverkehr verbessert werden, vermag nicht zur Lösung anstehender Probleme beizutragen.
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Zudem fehlt jeder Hinweis darauf, wie dieses Ziel in der Praxis konkret verwirklicht werden soll. Es wird nicht dargelegt, welche Maßnahmen im einzelnen dazu beitragen sollen, die Überlastung der Gerichte abzubauen. So kommen wir, was die vorliegende Problematik betrifft, nicht weiter. Das ist uns für eine sachbezogene juristische Diskussion zu dünn.
Seit Jahren schon versucht der Bundesjustizminister mit Unterstützung des Bundesministers für Verkehr und der Länder der Belastung der Gerichte, die durch Bagatellsachen aus dem Bereich des Straßenverkehrs hervorgerufen wird, Herr zu werden. Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf ist es uns nun endlich gelungen, einen ausgewogenen Kompromiß zu finden, der auch bei den Beteiligten Anklang gefunden hat. Jedoch erreicht uns bereits jetzt wieder der Ruf, wir griffen zu Unrecht - manche behaupten sogar: in verfassungswidriger Weise - in die Rechte der betroffenen Bürger ein. Es wird der Vorwurf geäußert, dem Ziel, die Gerichte zu entlasten, würden fundamentale Rechte der Betroffenen geopfert; dabei, so wird vorgeschlagen, gebe es weitaus bessere Möglichkeiten, in rechtsstaatlich einwandfreier Form für Abhilfe zu sorgen und die
Überlastung der Gerichte, die im übrigen nicht bestritten wird, zu beseitigen. Im gleichen Atemzug behaupten diese Kritiker, daß mit der Einführung einer sogenannten Halterhaftung der größte Teil der Bußgeldverfahren entfallen würde und dies im übrigen eine weitaus weniger einschneidende Maßnahme sei.
Gesetzt den Fall, daß dieser Vorschlag wirklich zu einer Reduzierung der sogenannten Bagatellfälle führen würde, habe ich ganz starke Zweifel, ob die mit dieser Lösung verbundenen Eingriffe in die Rechte der Betroffenen nicht ungleich schwerer wiegen als die hier vorgeschlagene Lösung.
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Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß mit dem Zauberwort der Halterhaftung des Sesamöffne-Dich im Ordnungswidrigkeitenrecht für die sogenannte Kennzeichenanzeige gefunden ist. Zugegeben, diese Lösung kann auf den ersten Blick Pluspunkte für sich verbuchen. Die Vorschrift des § 7 StVG enthält bereits den Rechtsgedanken der Halterhaftung für die von einem Fahrzeug ausgehende Gefährdung. Es ist eben, verwaltungstechnisch betrachtet, der leichteste Weg, über das Kennzeichen einen Gebührenschuldner zu ermitteln.
Egal, welche einzelne Spielart dieses Halterhaftungsmodell man verfolgt, egal, wie man es dreht und wendet, immer wird man mit der Tatsache konfrontiert, daß letztlich dem Halter in einem Bußgeldverfahren im weitesten Sinne eine Strafe auferlegt wird, obwohl dem Staat eine definitive Schuldfeststellung nicht gelungen ist. Dies würde aus meiner Sicht zwei ganz elementaren Rechtssätzen unserer Verfassung zuwiderlaufen, nämlich dem Grundsatz des „in dubio pro reo" und des „nulla poena sine culpa". Der Halter soll also zur Kasse gebeten, der Staat aber von der Täterermittlung freigestellt werden. Dies ist ein Vorschlag, der so nicht stehenbleiben kann.
Ob diese Lösung zudem ein gerechteres Ergebnis ist als das, was wir hier vorgelegt haben, wage ich nach wie vor zu bezweifeln. Insbesondere kann ich auch nicht akzeptieren, daß all diejenigen, die diese Lösung so vehement fordern, auf der anderen Seite behaupten, das vorgelegte Reformwerk würde die Rechte der Betroffenen in elementarer Weise verletzen. Dies ist zumindest aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht haltbar.
Für eher vertretbar halte ich es, eine Lösung über die verwaltungsrechtliche Gebührenregelung der Sondernutzung zu suchen, wie dies auch mein Kollege Kleinert vorgeschlagen hat. Ich bin mir zwar darüber im klaren, daß dies im Grunde genommen ebenso eine entfernte Variante der Halterhaftung sein kann und daß auch erhebliche verwaltungsrechtliche Probleme entstehen werden, jedoch glaube ich, daß dieser Weg, sollte sich die Situation bei den Gerichten weiter verschärfen, zumindest einmal durchdacht und daraufhin überprüft werden muß, ob er nicht trotz der bestehenden Bedenken verfassungskonform verwirklicht werden kann. Insbesondere muß dann auch noch untersucht werden,
wie die Tatsache zu bewerten ist, daß Gebührenschuldner bei der Sondernutzung grundsätzlich nur derjenige ist, der die Sondernutzung ausübt, und wie die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Straßen in den Griff zu bekommen sind und eine Rechtszersplitterung in diesem Bereich vermieden werden kann.
Bei alldem sollten wir jedoch berücksichtigen, daß die Überlastung der Gerichte und die damit verbundene Verzögerung der Verfahren letztlich auch einen Eingriff in die Rechte der Betroffenen darstellen. Wie immer gebührt es hier dem Gesetzgeber, also uns, zwischen den aufgezeigten Interessen abzuwägen und dann die Entscheidung zu fällen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch kurz auf die in diesem Entwurf enthaltene Erprobungsklausel für die sogenannte Parkkralle eingehen. Wie Sie wissen, ist dies ein Wunsch, den die Landeshauptstadt München an uns herangetragen hat
({2})
und dem wir natürlich gern entsprechen, nicht etwa weil dieser Wunsch aus München kommt und er im Gegensatz zu der Kampflage hier in Bonn von der SPD-Ratsfraktion nachhaltig mitgetragen wird, sondern weil wir uns Aufschluß darüber erhoffen, welche Erfolge sich mit dieser Kralle erzielen lassen. Insbesondere interessiert es uns, zu erfahren, mit welchen praktischen Schwierigkeiten die Verwaltung dabei unter Umständen konfrontiert wird und wie sie gesetzgeberisch zu lösen sind.
Wir werden daher dieser Erprobungsklausel wie dem gesamten Gesetzentwurf gerne zustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesjustizminister! Herr Kollege Beckmann, ich möchte an die Kritik anschließen, die Sie an unserer Haltung im Rechtsausschuß geübt haben, und an dieser Stelle unsere grundsätzliche Position mit aller Klarheit wiederholen. Wir fordern weniger Knöllchen und Bußgeldverfahren, also eine wirkliche Entlastung der Bußgeldbehörden und Gerichte im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr durch eine radikale Wende in der Verkehrspolitik.
Eine ökologische und soziale Verkehrspolitik, wie sie die GRÜNEN seit Jahren fordern, geht von einem klaren Vorrang für Fußgänger, Radfahrer und den öffentlichen Verkehr vor dem Automobil aus.
({0})
Das ist der Kern des Problems. In unserer Automobilgesellschaft führen wir einen Tanz um das Goldene Kalb auf. Bei dem Gedanken daran, daß ein Siebtel aller Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland vom Auto abhängen, setzt bei den PoliMann
tikern gewöhnlich sowohl das Denk- als auch das Handlungsvermögen aus.
({1})
Beispiele: Katalysatorpleite, Tempolimit und jüngst die Fortsetzung der Betonpolitik bei der Verabschiedung des Bundesfernstraßenplans. Wenn Sie konkrete Vorschläge vermissen: Die GRÜNEN haben zur Verkehrspolitik hier im Bundestag seit Jahren jede Menge konkrete Vorschläge gemacht. Wenn Sie die nur im Ansatz verwirklicht hätten,
({2})
könnten Sie sicher sein, daß heute auch schon in den Innenstädten eine ganz andere Verkehrssituation bestehen würde.
({3})
Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Ich habe auch Verständnis für viele Autofahrer, wenn sie falsch parken, weil einfach gar keine andere Möglichkeit besteht, einen Parkplatz zu finden.
({4})
Dem können wir zunächst einmal nicht mit rechtspolitischen Mitteln, mit einem rechtstechnischen Instrumentarium, wie ihn der vorgelegte Gesetzentwurf enthält, begegnen. Gefordert ist eine wirklich politische Antwort auf die Probleme. Der Kollege Beckmann hat schon darauf hingewiesen, daß die Fachverbände Kritik anmelden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Saurin?
Natürlich, bitte schön, Herr Kollege Saurin.
Herr Mann, angesichts Ihrer sehr grundsätzlichen Ausführungen würde es vielleicht doch einmal interessieren: Haben Sie selbst ein Auto, fahren Sie selbst Auto,
({0})
oder verhalten zumindest Sie sich so vorbildlich, wie Sie es hier preisen und von anderen fordern?
Herr Kollege Saurin, ich gehe vor allen Dingen zu Fuß und fahre mit dem Fahrrad, insbesondere hier in Bonn. Ich benutze - vor allen Dingen bei großen Entfernungen - die Bundesbahn, und ich benutze manchmal auch sehr gerne mein Auto, das ich im übrigen schon seit neun Jahren in Besitz habe.
({0})
- Dasselbe Auto, von dem Sie gesprochen haben. Dasselbe!
({1})
Ich fahre fort. Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf kuriert mit einem hohen rechtstechnischen Aufwand die nicht nur bezüglich der Umwelt, sondern auch der Rechtsordnung zerstörerischen Auswirkungen des hundertjährigen Automobils allenfalls an der Oberfläche. Wenn wir bei der Bewertung des Gesetzentwurfs unsere Meßlatte anlegen, so bleibe ich dabei: Es geht nicht an, hier rechtsstaatliche Garantien ohne zwingenden Grund abzubauen.
In der Tat, Herr Kollege Bachmaier, der kurze Prozeß ist ein schlechter Prozeß. Viele Bürgerinnen und Bürger - es sind jedes Jahr Hunderttausende - sammeln ihre Erfahrungen mit der Justiz, und zwar bei Bußgeldverfahren in den Sälen der Amtsgerichte. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen. Deswegen kommt es für uns, Herr Kollege Saurin, auf gar keinen Fall in Betracht, ohne Not am Recht der Beweisaufnahme - das wird auch in andere Bereiche ausstrahlen, nämlich in die Strafprozeßordnung, aber es wird auch Auswirkungen auf das Bewußtsein der Rechtsanwender, der Anwälte, der Richter, haben - Korrekturen vorzunehmen. Wir lehnen die in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderungen, zu denen der Kollege Bachmaier einiges gesagt hat, ab.
({2})
Ich nenne insbesondere die Verkürzung des Umfangs der Beweisaufnahme nach § 77 Ordnungswidrigkeitengesetz. Ich erwähne weiter die Abkehr vom Prinzip der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweisaufnahme in § 77 a OWiG auch mit Zustimmung des Betroffenen.
({3})
- Herr Saurin, Sie sollten sich einmal die Stellungnahme des Verkehrsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins durchlesen. Darin wird zu Recht darauf hingewiesen, daß der Beweisantrag das wichtigste Instrument der Verteidigung ist. Darin wird weiter darauf hingewiesen, daß mit der Möglichkeit, auch nichtrichterliche Protokolle zu verlesen, der Grundsatz der Unmittelbarkeit beim Zeugenbeweis weiter aufgeweicht und die Vormachtstellung der Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung transferiert wird. Diese Zustimmung wird sehr oft erteilt werden, um nicht das Wohlwollen des Richters zu verlieren. Vielleicht setzen Sie sich einmal mit dieser Argumentation auseinander.
Ich möchte jetzt noch einmal auf die Vorschläge eingehen, die seit mehreren Jahren vom Verkehrsgerichtstag, vom Deutschen Richterbund und - bemerkenswerterweise - vom Deutschen Anwaltsverein gemacht worden sind. Von dort wird in der Tat vorgeschlagen - ich finde, wir hätten uns in der Beratung sehr viel ernsthafter damit auseinandersetzen müssen -, die Kennzeichenanzeige auf den ruhenden Verkehr zu beschränken, um damit praktisch 99 % aller uns hier berührenden Verfahren zu erledigen. Sie haben sich um eine klare Ent15432
scheidung in dieser Frage herumgedrückt. Sie haben versucht, das Problem der Kennzeichenanzeige
- würde ich sagen - viertelherzig zu lösen, indem Sie bei der Geldbuße von bis zu 20 DM dem obsiegenden Betroffenen nur noch ausnahmsweise die Erstattung der Gebühren und Auslagen seines Anwalts aus der Staatskasse zugestehen wollen. Das ist wirklich, möchte ich einmal verkürzt sagen, nichts Halbes und nichts Ganzes.
({4})
- Das nehme ich nicht zurück, Herr Kollege Dr. Bötsch; denn das ist genau richtig.
Ich möchte auch noch zur Parkkralle einiges sagen. Wir erwarten mit Interesse die Erprobung der Parkkralle in München, das dadurch nach dem Vorbild von Paris und London seinem Ruf als heimliche Hauptstadt gerecht werden kann. Wie uns in den Beratungen des Rechtsausschusses bekannt geworden ist, wird dort die Parkkralle mit Erfolg angewandt.
Ich sage an dieser Stelle: Bei uns ist zwischen Verkehrs- und Rechtspolitikern die Diskussion sowohl um die Parkkralle als auch um die Kennzeichenanzeige noch in vollem Gange, weil es sich da in der Tat um das Kurieren an Symptomen handelt und weil wir im Prinzip gegenüber staatlichen Zwangsmaßnahmen sehr kritisch sind.
Aber ich muß Ihnen sagen, die Parkkralle hat z. B. den Vorteil - Herr Kollege Bachmaier, deswegen verstehe ich Ihre Halbherzigkeit in der Frage auch nicht -, daß da der Bürger mit seinem Fehlverhalten unmittelbar konfrontiert wird, während bei diesem bürokratischen Bußgeldverfahren, heute überwiegend mit Computern durchgeführt, zum Schluß keiner mehr eine direkte Beziehung zu seinem unsozialen Verkehrsverhalten und zu dem hat, was bei Gericht abläuft. Deswegen, meine ich, sollten wir den Kollegen Gauweiler in München, Herr Schmidt, das ruhig ausprobieren lassen.
Ich würde es eigentlich auch sehr gut finden, wenn wir den gesetzgeberischen Augenschein, Herr Bundesminister, in Bonn nehmen könnten. Ich darf aus dem Bonner Anzeigenblatt zitieren, wie hier die Verkehrssituation ist:
Auch 1985 erwiesen sich die Autofahrer in der Bundeshauptstadt als emsige Parksünder. 277 174 Knöllchen verteilten 35 fleißige Politessen. Im Schnitt kassierten die motorisierten Verkehrsteilnehmer genau 2,08 Knöllchen pro Fahrzeug. Rund 2,7 Millionen DM flossen dadurch in den Stadtsäckel.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Noch einen kleinen Moment! Ich möchte im Zusammenhang noch auf etwas Wichtiges hinweisen, damit Sie sehen, wie wenig antiamerikanisch die GRÜNEN sind.
In diesem Artikel wird noch das Verkehrsverhalten der ausländischen Vertretungen untersucht. Da liegen die USA doch tatsächlich auf Platz zwei. Sie
haben den größten Botschaftswagenpark, nämlich 506 Kraftfahrzeuge, und hatten nur 184 Verkehrsverstöße. Die zweite Supermacht, die Sowjetunion, verhielt sich nicht so vorbildlich. Sie lag im Gegensatz zu den Amerikanern, die 0,36 Verwarnungen hatten, mit 2,59 Delikten pro jeden ihrer 131 Wagen weit hinten. - Bitte schön, Herr Kollege Eylmann.
Zurück von den Supermächten zu den Fahrrädern. Eine Frage von Radfahrer zu Radfahrer. Die Polizei klagt in zunehmendem Maße über verkehrswidriges Verhalten der Radfahrer. Befürworten Sie eine Parkkralle für vorschriftswidrig abgestellte Fahrräder?
({0})
Herr Kollege Eylmann, das ist sicherlich ein recht humorvoller Vorschlag zu einem sehr ernsten Problem, über das wir heute reden. Ich denke, daß da überhaupt keine Notwendigkeit für eine Parkkralle besteht, weil Fahrräder glücklicherweise sehr viel weniger Raum als Autos einnehmen.
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Trotzdem ist inzwischen das verkehrswidrige Verhalten vieler Radfahrer zu einem großen Problem für die Fußgänger geworden. Aber das liegt auch wiederum daran, daß wir eine falsche Verkehrspolitik betreiben.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich meine - um noch einmal an Bonn anzuknüpfen -, wir sollten ruhig einmal die Parkkralle hier in Bonn, wo beispielsweise das Justizministerium auch sehr schnell sehen kann, wie die Verkehrsteilnehmer wirklich reagieren, ausprobieren und nicht nur in der heimlichen Hauptstadt München.
Zum Schluß darf ich sagen, Herr Kollege Bachmeier - und ich möchte an dieser Stelle Ihren Einsatz und Ihr Engagement ausdrücklich loben -, daß wir natürlich sehr erfreut sind, daß die Lex Graffitti - § 118 a - im Entwurf des Ordnungswidrigkeitengesetzes gestrichen worden ist. Da geht es um das sogenannte Verunstalten von baulichen Anlagen oder gemeinnützigen Sachen. Die Koalition ist sehr spät, aber nicht zu spät zur richtigen Einsicht gekommen. Man muß nicht jede Lücke im Gesetz mit dem staatlichen Büttel schließen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir werden diesem vorwiegend rechtstechnischen Entwurf unsere Zustimmung versagen.
({1})
Das Wort hat Herr Bundesminister Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von unseren erstinstanzlichen Gerichten bis hinauf zu den obersten Bundesgerichten und dem Bundesverfassungsgericht wird seit Jahren immer nachdrücklicher die Klage laut, daß die Gerichte an der Grenze ihrer Belastbarkeit angekommen seien, ja diese Belastbarkeitsgrenze teilweise bereits überschritten sei.
Sicherlich gibt es hinsichtlich der Belastung unterschiedliche Bewertungen. Aber eines ist ganz klar: Wenn man den Dingen nachgeht, so wird man vor allem bei den Bagatellfällen ansetzen müssen.
Es kann nicht richtig sein, daß die Gerichte in Hundertausende von Bagatellfällen verstrickt, von ihnen überflutet und belastet werden. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, mit einem komplizierten und damit nicht griffigen Verfahren Bagatellfällen zu begegnen, wo es um Geldbußen von 20, 40 oder 80 DM geht. Dabei verkenne ich nicht, daß die Bemerkung des Herrn Kollegen Bachmaier, daß das der Fall des Bürgers sei und im Einzelfalle von ihm als ein wichtiger Vorgang angesehen werde, sehr wohl immer im Auge zu behalten ist. Wenn wir aber wissen, daß in den Bußgeldsachen in unserem Lande über 700 Richter tätig sind und das mehr Richter sind, als für die gesamte Arbeitsgerichtsbarkeit zur Verfügung stehen, so ist das aller Anlaß, über die Dinge nachdrücklich nachzudenken und zu handeln.
Wir müssen feststellen, daß über diese Fragen über lange Zeit beraten und intensiv nachgedacht worden ist. Wir wissen auch, daß wir mit einer Vermehrung der Richterstellen - diese Forderung wird ja immer wieder laut - nicht helfen können; heute nicht aus Haushaltsgründen, aber morgen auch nicht aus jenem Grunde, den wir wissen müssen: In einem Land mit der - gegenüber vergleichbaren Ländern - höchsten Richterdichte ist auch die Rechtsgewähr im Rechtsstaat eine Ressource, die ihrer Natur nach beschränkt und nicht beliebig vermehrbar ist.
Wir werden allerdings auch Wert darauf legen müssen - das steht außer allem Zweifel -, daß der Rechtsschutz des Bürgers nicht verkürzt werden darf. Ein angemessener Rechtsschutz muß auch bei kleinen, ja bei Bagatellfällen immer gewährleistet sein.
Die Vorschläge der Bundesregierung zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind seit langem vorbereitet worden. Sie sind jetzt sehr eingehend im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages beraten worden. Einem Teil der Vorschläge hat die SPD-Fraktion dort zugestimmt, gegen andere Vorschriften hat sie keine Einwendungen erhoben. Das ist wieder einmal ein Zeichen dafür, daß in wichtigen Fragen, orientiert an der Sache, eine Zusammenarbeit gut möglich ist. Ich möchte an dieser Stelle allen Mitgliedern des Rechtsausschusses ausdrücklich für die intensiven Beratungen und das Ergebnis danken.
Der Herr Kollege Bachmaier hat - um das nicht unerwähnt zu lassen - einer Bestimmung, die im Regierungsentwurf enthalten war, besonderes Gewicht beigemessen: der über das Verunstalten von baulichen Anlagen oder gemeinnützigen Sachen. Sie haben es nicht ausdrücklich gesagt, aber es hätte der Eindruck erweckt werden können, als ginge es der Bundesregierung darum, überall im Lande nachzuforschen, wo etwas noch nicht gesetzlich geregelt ist; dann hat man dies endlich entdeckt und befriedigt entsprechende Regelungen in diesen Gesetzentwurf eingestellt. Das ist nicht so. Dieser
Vorschlag ging auf einen Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen zurück, der nach den Erörterungen mit der Praxis die breite Zustimmung der Mehrheit der Landesminister gefunden hatte. Jetzt verstehe ich Sie eigentlich gar nicht: Was sollten Sie eigentlich dagegen haben, wenn der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Rau,
({0})
im Verunstalten baulicher Anlagen eine besondere Form des Verstoßes gegen mehr Anstand in unserem Lande sieht, worüber man mindestens einmal ernsthaft nachdenken kann?
({1})
So einfach sind die Dinge nicht. Ich wollte der Öffentlichkeit anläßlich der zweiten und dritten Lesung nochmals bekanntgeben,
({2})
worauf dieser Vorschlag zurückging und zurückzuführen war.
Meine Damen und Herren, zurück zur Gesamtsache: Ich bitte Sie, dem Entwurf in der Vorlage des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages Ihre Zustimmung zu geben.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Schmidt ({0}), Bachmaier, Dr. Emmerlich, Fischer ({1}), Klein ({2}), Dr. Kübler, Lambinus, Schröder ({3}), Stiegler, Dr. de With, Dr. Schwenk ({4}) und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ({5})
- Drucksache 10/119 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6})
- Drucksache 10/5058 15434
Abgeordnete Dr. Götz Schmidt ({0})
({1})
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ({2})
- Drucksache 10/318 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 10/5058 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Götz Schmidt ({4})
({5})
Zu Tagesordnungspunkt 3 b liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5100 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a und b und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Götz.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition hat kürzlich den Vorwurf erhoben, die Koalitionsfraktionen seien bei der Gesetzgebung nur noch das Vollzugsorgan der Regierung.
({0})
Sicherlich läßt sich das bei der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes so nicht belegen;
({1})
denn von dem ursprünglichen Regierungsentwurf ist nach den Beratungen zwischen den Koalitionsfraktionen und in den Ausschüssen eigentlich nicht mehr viel übriggeblieben. Ich habe mir die Mühe gemacht, das einmal nachzuzählen, und habe festgestellt, daß von den ursprünglichen Paragraphen nur noch etwa 50 % vorhanden sind. Statt dessen sind zwei Drittel neu eingeführt worden.
Schwerpunkt der Änderungen des Regierungsentwurfs war die Einfügung von Straftatbeständen gegen den Mißbrauch von Computern. Die rasante Entwicklung im Bereich der elektronischen Datenbearbeitung hat zu einer ebenso schnellen Zunahme strafwürdiger Verhaltensformen geführt, denen mit geltendem Recht nicht mehr beizukommen ist. Die Auswertung höchstrichterlicher Entscheidungen und kriminalpolitischer Erfahrungen im In- und Ausland fanden deshalb ihren Niederschlag im heute zu beschließenden Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. In weitgehender Übereinstimmung sind die Mitglieder des Rechtsausschusses der Überzeugung, daß erhebliche Strafbarkeitslücken besonders in den Fällen des betrügerischen Mißbrauchs bei der Verwendung von Datenbearbeitungsanlagen, in den Fällen der Fälschung oder Unterdrückung von gespeicherten Daten im Rechts- und Beweisverkehr sowie bei Computersabotage und -spionage bestehen. Wie in der „Welt" von gestern zu lesen war, wird die Computerkriminalität, das sogenannte Verbrechen auf Tastendruck, zum immer drängenderen Problem. Sachverständige schätzen den Gesamtschaden durch Computerdelikte auf 15 Milliarden DM jährlich.
Allerdings sind die drei Hauptgruppen der Computerkriminalität, die der Justizminister von Nordrhein-Westfalen kürzlich vor Juristen in Bielefeld bezeichnet hat, keine Kriminalität, die sich ganz allgemein unter dem Begriff der Wirtschaftskriminalität subsumieren ließe. Weder die Vermögensdelikte wie Computerbetrug, Computersabotage und Computerspionage noch die Delikte gegen Persönlichkeitsrechte wie das Ausspähen von Daten noch die verschiedenen Verstöße gegen staatliche Sicherheitsinteressen sind typische Verhaltensweisen, die auf die sogenannten Täter mit weißem Kragen beschränkt wären. Solche Unrechtshandlungen sind vielmehr ebenso wie Diebstahl, Betrug oder Urkundenfälschung im klassischen Sinn zum JedermannDelikt geworden, bei dem das Stimulans nicht etwa in der Eigenart des ausgeübten Berufes, sondern eher im technischen Sachverstand liegt. Man sollte deswegen im Zusammenhang mit diesem Gesetz nicht pauschal von Wirtschaftskriminalität sprechen, zumal die öffentliche Diskussion immer wieder Gefahr läuft, den Täter mit weißem Kragen mit Führungskräften in der Wirtschaft allgemein in Verbindung zu bringen. Dahinter mag das politische Kalkül stehen, dem Manager oder dem Bankier auch einmal eins auszuwischen, um sich damit beim vielzitierten kleinen Mann als dessen Sachverwalter darzustellen. Ich lege deshalb Wert auf die Feststellung, daß meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf - abseits jeder gesellschaftspolitischen Ideologie - unter rein kriminalpolitischen und juristischen Gesichtspunkten beurteilt.
({2})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich hervorheben, daß die Beratungen im Rechtsausschuß von großer Sachlichkeit getragen waren
({3})
und daß man bei der Formulierung der meisten Tatbestände zu einem übereinstimmenden Ergebnis gekommen ist. Das gilt insbesondere für die Einführung der Straftatbestände der Fälschung von Vordrucken für Euroschecks und Euroscheckkarten, für den Computerbetrug, für den Kapitalanlagebetrug, für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, den Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten, die Fälschung beweiserheblicher Daten oder Täuschung im Rechtsverkehr bei Datenbearbeitung, das rechtswidrige Löschen, das UnterdrükDr. Götz
ken, das Unbrauchbarmachen oder das Verändern von Daten und selbstverständlich auch für die Computersabotage.
Ich möchte allerdings mehr auf die abweichenden Meinungen zu sprechen kommen und komme jetzt zunächst zu § 14 StGB. Die von der Ausschußmehrheit empfohlene Änderung der Regelungen über den sogenannten gewillkürten Vertreter bringt eine Klarstellung im Vergleich zum geltenden Recht. Den Vorschlag des ursprünglichen Entwurfs, auf das Erfordernis einer ausdrücklichen Beauftragung zu verzichten, konnte die CDU/CSU-Fraktion nicht übernehmen. Das Tatbestandsmerkmal der ausdrücklichen Beauftragung soll im Interesse des Beauftragten klare Verhältnisse schaffen. Es ist insoweit eine Schutzvorschrift zugunsten des Arbeitnehmers. Das Tatbestandsmerkmal begründet die individuelle Vorwerfbarkeit, weil dem Beauftragten erst bei einer ausdrücklichen Aufgabenübertragung die auf ihn übergegangene Verantwortung deutlich wird. Außerdem bewirkt das Merkmal der Ausdrücklichkeit den Zwang zu einer deutlichen Festlegung der innerbetrieblichen Organisationsstruktur mit der Folge, daß der handelnde Arbeitnehmer bei Organisationsmängeln von der strafrechtlichen Vertreterhaftung freigestellt bleibt. Dabei wurde auch berücksichtigt, daß der Betriebsinhaber, der es an klaren Anweisungen fehlen läßt, in der Regel ohnehin nach § 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes haftet.
Die Haftung in § 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes sollte durch den Gesetzentwurf ebenfalls erweitert werden, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen sollte das Kausalitätserfordernis zwischen Zuwiderhandlung und Auf sichtspflichtverletzung aufgeweicht, zum anderen der Personenkreis, der wie ein Betriebsinhaber für Aufsichtspflichtverletzungen haftet, erheblich ausgedehnt werden. Auch diese Änderungen hätten für die Betriebe, vor allem aber für deren Mitarbeiter nicht akzeptable Belastungen mit sich gebracht. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt eine Bestrafung nach dem geltenden § 130 OWiG nur dann in Betracht, wenn bei pflichtgemäßen Aufsichtsmaßnahmen die Zuwiderhandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Nach der geplanten Änderung hätte es allerdings genügt, wenn die Zuwiderhandlung wesentlich erschwert worden wäre. Diese Ausdehnung des § 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes in den Bereich der Gefährdungshaftung konnte die CDU/CSU-Fraktion ebensowenig akzeptieren wie die vorgesehene Ausdehnung des Kreises der Normenadressaten. Wir haben die Erweiterung der Bestimmung auf alle Personen, die, wie es heißt, in dem Betrieb oder Unternehmen für die Durchführung der unterlassenen Aufsichtsmaßnahmen verantwortlich sind, abgelehnt, weil wir auch hier wie im Falle des § 14 StGB an einer klaren Abgrenzung des verantwortlichen Personenkreises festhalten wollten.
Dasselbe gilt für die Beurteilung des § 30 des Ordnungswidrigkeitengesetzes, nach dessen geplanter Änderung für die Verhängung einer Geldbuße bis zu 1 Million DM die Feststellung genügt
hätte, daß irgend jemand aus dem Kreis der für die Leitung des Betriebs verantwortlich handelnden Personen die Tat begangen bzw. seine Aufsichtspflicht verletzt hat. Der Verfassungsgrundsatz, daß Strafe Schuld voraussetzt, wäre bei einer so exzessiven Ausweitung organschaftlicher Verantwortung nicht mehr garantiert gewesen. Abgesehen davon war ein kriminalpolitisches Bedürfnis für die vorgeschlagene Regelung nicht erkennbar, da im Regelfall der Nachweis individueller Täterschaft den staatlichen Verfolgungsorganen möglich und auch zumutbar ist.
Kontrovers wurde im Ausschuß auch die Frage behandelt, ob zukünftige Preisabsprachen als sogenannter Ausschreibungsbetrug strafbar sein sollen. Die CDU/CSU-Fraktion konnte sich nach eingehender Prüfung dieser Frage nicht zu einer entsprechenden Regelung entschließen. Entscheidend war dabei, daß nach unserer und der Auffassung zahlreicher Experten - ich erwähne im besonderen Professor Dr. Möschel von der Universität Tübingen - eine Vorverlagerung des Betrugs auf den Bereich der Vermögensgefährdung nicht sinnvoll erschien. Zu Recht wurden Zweifel an einer besonderen Strafwürdigkeit der Vermögensgefährdung noch vor dem ohnehin weitreichenden klassischen Betrugssachverhalt in § 263 StGB geäußert.
Auch schien das Wettbewerbsprinzip als Schutzgut des Strafrechts ungeeignet. Vielmehr bietet das Kartellrecht ausreichende Sanktionsmöglichkeiten für Preisabsprachen. Das Strafrecht sollte auf solche Fälle beschränkt bleiben, in denen tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Submissionsabsprache und einer Vermögensschädigung nachgewiesen werden kann.
Dabei verkennen wir keinesfalls, daß die zentrale Schwierigkeit im Zusammenhang mit Submissionsabsprachen eben in der Feststellbarkeit des Schadens liegt. Doch sollte sich der Gesetzgeber in Fällen, in denen staatliche Verfolgungsorgane eine schwierige Beweislast haben, nicht auf das bequeme Feld der Gefährdungstatbestände zurückziehen. Vielmehr sollten Preisabsprachen soweit wie möglich statt durch Kriminalisierung mit anderen Mitteln bekämpft werden.
({4})
Als solche kommt eine Verbesserung der Ausschreibungs- und Vergabepraxis, so vor kurzem anläßlich eines Hearings im Bayerischen Landtag erörtert, in Betracht.
({5})
- Nein, nicht Bayerisches Landrecht, sondern Bayerischer Landtag, der vielfach durch gute Beschlüsse, die auch maßgebend und wegweisend für die Mitglieder des Bundestages waren, aufgefallen ist.
Ich nenne als Maßnahmen, die in Betracht kämen: eine Verbesserung der Ausschreibungs- und Vergabepraxis; eine Intensivierung der Tätigkeit der VOB-Stellen; eine Verbesserung der Information über die VOB; eine Änderung der Vergabebe15436
dingungen dergestalt, daß z. B. zwischen den ersten drei Bietern ausgewählt werden kann, wenn dies rechtlich möglich, wirtschaftlich sinnvoll und insbesondere geeignet ist, Preisabsprachen zu unterbinden.
Solange solche Maßnahmen nicht auf ihre Tauglichkeit hin geprüft wurden, scheidet meines Erachtens das Strafrecht als letztes Mittel zur Verhütung von Preisabsprachen aus. Gerade die Opposition hat in anderen Zusammenhängen immer wieder betont, daß strafrechtliche Sanktionen erst dann in Betracht kämen, wenn andere Maßnahmen zur Verhinderung strafwürdigen Verhaltens sich als unwirksam herausgestellt hätten.
({6})
- Es freut mich, daß Sie sich daran noch erinnern. Ich nehme Sie gleich beim Wort.
So wurde in der vergangenen Legislaturperiode
({7})
eine Streichung der Straftatbestände der §§ 88 a und 130a StGB mit der Begründung beschlossen - so der damalige Kollege Linde von der SPD -, daß Eingriffe des Staates mit strafrechtlichen Mitteln nur dann wirklich sinnvoll und angezeigt seien, wenn der Schutz von Rechtsgütern diesen stärksten hoheitlichen Eingriff erfordere. Es ist mir deshalb unerfindlich, weshalb heute in einem für den Staat und seine Bürger wesentlich weniger brisanten Bereich als erstes der Ruf nach dem Strafrecht erschallt.
({8})
- Herr Mann, sicherlich ist die Frage des Vorgehens gegen Preisabsprachen weniger brisant als die Terroristenbekämpfung,
({9})
für Sie vielleicht nicht, aber für uns. Das sage ich Ihnen ganz offen.
({10})
- Diese volkswirtschaftliche Dimension ist immer nur eine Geldfrage, während der Terrorismus eine Frage von Leib und Leben unserer Bürger ist, und die gehen bei uns nun einmal vor.
({11})
- Mir ist klar, daß für Sie, Herr Mann, der Terrorismus eine weniger wichtige Größe ist als für uns. Für uns ist das allerdings anders.
({12})
- Darüber können wir gerne debattieren. Wir haben über das Gesetz drei Jahre debattiert, Sie haben darüber gelegentlich auch mit mir debattieren
können, und wir können das gerne noch fortsetzen; jetzt allerdings finde ich es besser, wenn Sie einen geistreichen und humorvollen Zwischenruf machen wollen, als wenn wir hier in der Einzelberatung in Zwiegespräche eintreten.
({13})
Jetzt möchte ich also meine Ausführungen fortführen.
({14})
Kontrovers wurde im Ausschuß auch die Frage diskutiert, ob die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des SPD-Entwurfs generell als kriminelle Verhaltensweise zu bewerten sei. Zweifellos kommt der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung vor dem Hintergrund einer hohen Arbeitslosigkeit und der durch illegale Beschäftigung entstehenden Verluste von Steuern und Beiträgen eine große Bedeutung zu. Dennoch bin ich der Auffassung, daß wirtschaftspolitische und arbeitsmarktpolitische Tagesprobleme aus den bereits zuvor genannten Gründen nicht mit strafrechtlichen Mitteln bekämpft werden sollten.
Derzeit verstoßen Verleiher, die einen Arbeitnehmer einem Dritten ohne Erlaubnis überlassen, und Entleiher, die einen von einem Verleiher ohne Erlaubnis überlassenen Arbeitnehmer bei sich tätig werden lassen, gegen Ordnungsvorschriften. Seitens der CDU/CSU-Fraktion bestehen Bedenken dagegen, solches Verwaltungsunrecht als kriminelle Verhaltensweise einzustufen. Der Unrechtsgehalt einer derartigen Handlung wiegt erst beim Hinzutreten weiterer Umstände - z. B. der Ausbeutung der Arbeitnehmer, der Steuerhinterziehung, der Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen, des Betrugs u. a. - so schwer, daß eine Bestrafung mit einer Kriminalstrafe angebracht erscheint.
({15})
Entsprechende Straftatbestände enthält aber bereits das geltende Recht, oder sie werden mit diesem Gesetz, z. B. mit dem Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt, neu eingeführt.
Einigkeit bestand im Ausschuß auch über die Einführung von Straftatbeständen im Recht des unlauteren Wettbewerbs, und zwar gegen den Mißbrauch des sogenannten Schneeballsystems und gegen die Industriespionage. Angesichts der in einzelnen Verfahren bekanntgewordenen hohen Schäden einer Vielzahl von Personen sind inbesondere Werbesysteme wie das Schneeballsystem - auch „progressive Kundenwerbung" genannt -, die zivilrechtlich sittenwidrig sind, als sozialschädlich einzustufen. Eine abschreckende Wirkung gegen den Aufbau neuer Systeme wird sich in vielen Fällen nur dann erreichen lassen, wenn strafrechtliche Maßnahmen möglich sind. Es ist bekannt, daß bestimmte Personen und Personenkreise nach Unterbindung eines Systems mehrfach ähnliche Systeme
wieder neu aufgebaut haben. Im Hinblick auf die in den letzten Jahren wieder verstärkt aufgetretenen Mißbräuche hielt es der Ausschuß für erforderlich, die notwendigen strafrechtlichen Gegenmaßnahmen schon im Rahmen dieses Gesetzes zu verwirklichen, nicht erst mit der Novellierung des UWG.
Abschließend möchte ich noch auf den Tatbestand eingehen, der das Ausspähen von Daten zum Inhalt hat. Die Absicht, das Eindringen in fremde Computersysteme unter Strafe zu stellen, hat in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion ausgelöst, weil damit auch das Problem der sogenannten Hacker angesprochen wurde. In diesem Zusammenhang waren sich erfreulicherweise alle Fraktionen darin einig, daß nur eine Regelung in Betracht kommen könne, die nicht gleich jeden jugendlichen Computer-Freak bei der Ausübung seines Hobbys zum Kriminellen stempelt. Der Ausschuß hat deshalb davon abgesehen, schon - wie zunächst von der Bundesregierung angeregt worden war - die Verschaffung unbefugten Zugangs zu besonders gesicherten Daten unter Strafe zu stellen. Vielmehr soll das Strafrecht erst dort eingreifen, wo ein Schaden oder wenigstens eine Rechtsgutbeeinträchtigung - wie die Verletzung des Verfügungsrechts über Informationen u. a. - zu befürchten ist. Sogenannte Hacker, die sich mit dem bloßen Eindringen in ein Computersystem begnügen, sich also nicht unbefugt Daten verschaffen, sollen dagegen von Strafe verschont bleiben.
Es wurde zwar darauf hingewiesen, mit dem erfolgreichen Eindringen in fremde Datenbanken könnten Integritätsinteressen von Betreibern und Benutzern gefährdet sein; doch sollte auch hier - wie in den Fällen, die ich vorher genannte habe - kein reines Gefährdungsdelikt eingeführt werden.
Gerade bei der Formulierung des § 202 a des Strafgesetzbuches, beim sogenannten Hacker-Paragraphen, stellten sich die Formulierungshilfen der Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums als sehr hilfreich heraus. Auch in anderen Fällen war die Zusammenarbeit mit den Experten im Justizministerium bei der Erfassung der schwierigen Materie dieses Gesetzes äußerst fruchtbar. Ich möchte deshalb den Mitarbeitern des Ministeriums für die Unterstützung bei der Gesetzgebungsarbeit sehr herzlich danken
({16})
und hoffe, daß wir ein Gesetz vorlegen konnten, daß sich trotz der weiteren raschen technischen Entwicklung, die zu erwarten ist, in der juristischen Praxis bewähren wird.
Danke.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will einmal mit einem Zitat von jemandem beginnen, den ich sonst nicht gerne zitiere:
Wirtschaftsstraftaten müssen mindestens dieselbe Ächtung in unserer Gesellschaft erfahren wie anderes kriminelles Unrecht auch. Wirtschaftsstraftaten sind Delikte, die mit System und Intelligenz begangen werden und häufig an die Substanz unserer Wirtschaftsordnung rühren. Wirtschaftskriminalität ist deshalb geradezu gemeingefährlich. Der durch die Wirtschaftskriminalität verursachte Schaden für Staat und Wirtschaft dürfte weit über 7 Milliarden DM pro Jahr betragen.
({0})
- Ich habe ja zitiert. Wir kommen hernach noch darauf.
Dieses Zitat, für das ich demjenigen, der es erfunden hat, Respekt zolle, hat der Herr Justizminister in seinen Mitteilungen Mitte des letzten Jahres, am 16. Juli, veröffentlicht. Bei der von ihm genannten Zahl von 7 Milliarden - das wissen alle - geht es um das, was bekannt wird. Wenn wir den Multiplikator 10 anwenden, dann kommen wir vielleicht ungefähr auf die Größenordnung, die in diesem Bereich eine Rolle spielt.
Nun muß man sich eines vor Augen halten. Auch die bekanntgewordenen Zahlen sind in den letzten Jahren ständig gestiegen: 1980 2,6 Milliarden, 1982 4,9 Milliarden, 1985 7 Milliarden. Wie der Bundesjustizminister dann in einer Äußerung, die zwei Monate später kommt, erklären kann: Den Tätern im weißen Kragen wird es immer schwerer gemacht, ihre undurchsichtigen Geschäfte zu betreiben!, kann ich mir nur dadurch erklären, daß es ein anderer Referent war, der das aufgeschrieben hat. Mit der tatsächlichen Entwicklung hat das überhaupt nichts zu tun.
({1})
Wer sich vor Augen hält, welche Schäden entstehen - 70 Milliarden DM -, der meint, das hier müßte ein Selbstläufer sein, da müßte eine Begeisterung dasein, denn diese 70 Milliarden DM, die zum größten Teil der Allgemeinheit, dem Fiskus entnommen werden, würde jeder gerne haben. Was könnte man Herrliches machen! Alle Kürzungen im Sozialbereich könnte man rückgängig machen. Das sind erheblich mehr Mittel, als wir für die Bundeswehr insgesamt ausgeben! Da meint man, dann steht der Kollege Kleinert mit uns und mit den GRÜNEN in einer Front, um diese Milliarden beizubringen. Aber weit gefehlt!
({2})
Ich bin in der letzten Zeit sehr vorsichtig geworden. Als die Koalition unter dem noch amtierenden Bundeskanzler Kohl dieses Gesetz, das wir einmal vorgelegt hatten, erneut eingebracht hat, habe ich mich hier dafür bedankt und es außerordentlich begrüßt. Das wird mir nie mehr passieren. Das werde ich erst dann tun, wenn Sie abgelöst sind. Dann werde ich Ihnen für das, was Sie gut gemacht haben, herzlich danken.
({3})
Schmidt ({4})
- Darüber wollen wir uns einmal unterhalten. Ich lese immer in den Zeitungen, was Sie für ängstliche Diskussionen in Ihrer Fraktion wegen „Blackout" und ähnlicher Dinge führen. Wir werden einmal abwarten.
({5})
Es ist eine eigenartige Geschichte, Herr Kollege Götz. Es spricht für Sie, daß Sie das hier gebracht haben. Sie haben gesagt: Der Begriff „Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität" ist falsch. - Dieser Meinung bin ich, nachdem Sie das Gesetz in die Finger bekommen haben, auch. Es ist eine ganze Reihe von Bestimmungen im Entwurf, bei denen auch wir überzeugt sind, daß eine Regelung erfolgen muß. Aber das Gesetz zur Regelung der Wirtschaftskriminalität ist praktisch ein Torso; es ist hohl geblieben. Wir meinen, daß das jetzige Gesetz eigentlich einen Titel haben müßte, der etwa so lautet: Gesetz zum Schutz der Wirtschaft vor Kriminalität. So etwas wollen wir auch. Aber wir wollen daneben ein Gesetz, das unsere Gesellschaft vor der Kriminalität der Wirtschaft schützt.
Man braucht sich nur einmal den sogenannten Ausschreibungsbetrug anzuschauen. Da wird immer so getan, als ob es nur um die Bauvergabe ginge; aber das ist keineswegs wahr. Die Bundeswehr, die Bundespost und die Bundesbahn verteilen in jedem Jahr Milliardenaufträge. Ich möchte Ihnen und auch der Öffentlichkeit einmal an einem typischen Fall schildern, wie so etwas geht.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat am 14. Februar 1983 gegen drei Firmen - eine davon ist bundesweit bekannt -, die sich an der Ausschreibung einer automatisierten Päckchen- und Paketsortieranlage beteiligt haben, Anklage wegen Betrugs erhoben. Die Ausschreibung erfaßte ein Teilvolumen von 8,5 Millionen DM. Die Geschäftsführer der drei Firmen haben, wie das in diesen Kreisen so üblich ist, untereinander abgesprochen, wer das Los 1, das Los 2, das Los 3 und das Los 4 bekommt. Dann haben sie solche Angebotspreise beschlossen, daß die Post bei dem Volumen von 8,5 Millionen DM 2 Millionen DM mehr zahlen mußte. Das Gesamtvolumen dieser Anlage machte 40 Millionen DM aus. Wenn sich die anderen Firmen genauso verhalten haben - das ist sogar sehr wahrscheinlich -, dann sind allein bei diesem kleinen Auftrag von über 40 Millionen DM 10 Millionen DM kalt abkassiert worden.
Nun sagt die Staatsanwaltschaft Stuttgart: Das ist doch eine Schweinerei; da muß Anklage wegen Betrugs erhoben werden. Das Landgericht Stuttgart läßt diese Anklage jedoch nicht zu, und zwar mit der meiner Meinung nach sogar zutreffenden Begründung, daß die geltende Gesetzeslage nicht ausreiche.
Sie sagen immer, wir schauten nicht nach links und rechts, und es solle irgend jemandem etwas ausgewischt werden. Deshalb möchte ich Ihnen eines sagen: Man muß sich einmal vorstellen, jemand geht in ein Wirtshaus, bestellt ein Bier für 1,50 DM und weiß von vornherein, daß er es nicht bezahlen kann. Dann hat er den Tatbestand des Vergehens
eines vollendeten Betruges erfüllt; das ist ein Vergehen nach dem Strafgesetzbuch. Andererseits kassiert jemand Milliardenbeträge von der öffentlichen Hand. Dann hat er nur eine Ordnungswidrigkeit begangen, die genauso eingeordnet ist wie das Parkvergehen, über das wir vorher gesprochen haben. Juristisch wird er genauso behandelt wie ein Falschparker, wenn auch die Geldbußen höher sind. Aber diese Geldbußen - das wissen wir; das hat Herr Professor Kartte einmal gesagt - werden aus der Portokasse bezahlt. Sie werden von vornherein einkalkuliert, und eine Wiedergutmachung erfolgt in keiner Weise.
({6})
- Herr Kollege Kleinert, ich kenne ja Ihre Haltung in dieser Geschichte. Wir sollten aber vielleicht einmal über etwas anderes sprechen, weil ich auf das Unrechtsbewußtsein kommen möchte.
({7})
Der Präsident des Verbandes der Deutschen Bauindustrie sagt: Solche Preisabsprachen sind eine Notwehraktion. Das heißt, die Firmen haben überhaupt kein Unrechtsbewußtsein, sondern sehen eine moralische Rechtfertigung für das Bescheißen der öffentlichen Hand.
({8})
Das war sehr bayerisch, meine Damen und Herren.
({0})
Ich würde an Ihrer Stelle nicht so laut tönen. Sonst könnten Sie wie üblich Schwierigkeiten mit dem bayerischen Ministerpräsidenten bekommen, und diese gehen j a immer zu Ihren Lasten aus.
({0})
Ich möchte einmal einen Satz aus einer Schrift von Professor Kube über die Einschätzung der Wirtschaftskriminalität in der Öffentlichkeit, die das Bundeskriminalamt herausgegeben hat, vorlesen:
Die fehlende Affektivität der Wirtschaftskriminalität führt nämlich grundsätzlich zu einer - verglichen mit der Gewaltkriminalität - relativ neutralen Einstellung der Bevölkerung gegenüber einzelnen Deliktsfeldern dieser Kriminalität, speziell wenn diese Straftaten von Personen mit hohem sozialen Status begangen werden und als Opfer nicht einzelne Personen als Wirtschaftssubjekte, sondern der Staat oder Großunternehmen geschädigt werden.
Und das ist wahr. Viele Leute stellen sich unter einem Kriminellen jemanden vor, der unrasiert auf den schönen Bildern, die die Polizei aufnimmt, erscheint und mit abgerissener Kleidung daherkommt. Unter jemandem, der im nadelgestreiften Maßanzug mit weißem Kragen und hervorragenden Manieren durch die Welt geht, kann sich der einSchmidt ({1})
zelne keinen Kriminellen vorstellen. Daß es bei der Bevölkerung so ist, muß abgebaut werden, sagt der Professor Kube. Aber mit einem hat er nicht gerechnet: daß bei den Koalitionsfraktionen diese Haltung genauso vertreten ist wie in weiten Kreisen der Bevölkerung.
({2})
Wenn sich die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen wenigstens dazu bekennen würden, unser Motto ist: „Wir hängen die Kleinen und lassen die Großen laufen", würden wir sagen: Sie sind wenigstens noch ehrlich.
({3})
Aber Sie bringen immer juristische Probleme, die in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Sogar die bayerische Staatsregierung hat im Bundesrat einen hervorragenden juristischen Vorschlag eingereicht, wie man dieses Problem als Gefährdungsdelikt regeln könnte. Auch die Bundesregierung hat einen Vorschlag gemacht. All das ist möglich.
Aber da kommt der Kollege Kleinert, der sehr schlau ist, und sagt: Da muß man den Sumpf austrocknen; die Frösche verschwinden erst dann, wenn der Sumpf ausgetrocknet ist; also muß man erst die VOB, die Vergabeordnung und was sonst noch alles klären. Nun, genausogut könnte jemand sagen: Wir brauchen eigentlich keine Strafvorschriften gegen Diebstahl; wir warten so lange, bis das Eigentum abgeschafft ist, dann regelt sich das Problem von selber. Aber diese Argumentation werden wir natürlich von Ihnen nicht hören.
({4})
An einem zweiten Beispiel mache ich klar, daß diese Koalitionsfraktionen nur die Kleinen, nicht aber die Großen fassen wollen. Da geht's um die Leiharbeit. Der Günter Wallraff hat in seinem Buch „Ganz unten", das erfreulicherweise eine so hohe Auflage erreicht,
({5})
- vielleicht, Herr Kollege Götz, können Sie sich da mit dem Autor zusammentun ({6})
ein Vernehmungsprotokoll eines dieser modernen Sklavenhändler abgedruckt. Ich zitiere daraus diesen Mann, der verurteilt wurde, im Originalton:
Die Baufirmen zahlen pro Arbeitsstunde zwischen 22 und 33 DM. Was dem Subunternehmer bleibt, das kommt darauf an, was er seinen Leuten zahlt. Wieviel er anmeldet. Ob er alle anmeldet oder nur ein paar. Ausländer werden immer ausgequetscht, die arbeiten für billiges Geld. Zehn Mark - acht Mark - egal.
Bei 500 Leuten, rechnet Wallraff, bleiben diesem Mann täglich zwischen 70 000 und 125 000 DM. Täglich! Der konnte ausnahmsweise mit Gefängnis bestraft werden, weil er mehr als 11 Millionen DM
Steuern und mehrere Millionen DM Sozialabgaben hinterzogen hatte. Dazu zitiere ich den Mann noch einmal:
Wenn ich nicht verraten worden wäre, dann wär ich jetzt noch groß im Geschäft. Die ganzen Geschäftspraktiken, das sieht kein Finanzamt, keine AOK, das sieht kein Mensch: außer, wer damit zu tun hat.
Was sich in diesem Bereich abspielt, gehört zu den schlimmsten Formen moderner Ausbeutung. Eigentlich sollten wir uns im Bundestag darauf verständigen, dieses ganze System generell zu verbieten.
({7})
Damit, daß Sie da zustimmen, haben wir allerdings von vornherein nicht gerechnet. Wir haben daher einen sehr bescheidenen Vorschlag eingebracht, nämlich wenigstens diejenigen mit Gefängnis zu bestrafen, die Arbeiter ohne jede Erlaubnis und damit ohne jede Kontrollmöglichkeit des Finanzamts oder anderer Behörden verleihen. Obwohl es sich bei denen ausschließlich um Kriminelle handelt - die anderen holen sich ihre Erlaubnis ein und zahlen ihre Sozialabgaben -, ist eine Zustimmung der Koalitionsfraktionen zu einer Heraufzonung von der rechtlichen Einordnung bei Übertretungen etwa beim Parken unter die Straftaten nicht zu erreichen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tatge?
Bitte.
Vielen Dank. Herr Kollege, darf ich Ihre Aussage so interpretieren, daß Sie dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf zur Aufhebung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, sprich: dem Verbot der Leiharbeit, zustimmen werden?
Dies würde ich gerne tun, nur gibt es bestimmte Bereiche, wo ich meine, daß wir andere Regelungen finden müssen, um bestimmte Probleme, die im Bereich der Arbeitsvermittlung auftreten, in den Griff zu bekommen. Wenn Sie bereit wären, heute nicht darüber abstimmen zu lassen, sondern wenn wir noch einmal darüber reden könnten, was wir im einzelnen machen, gäbe es vielleicht eine Verständigung auf einen gemeinsamen Vorschlag.
Wir haben uns heute darauf konzentriert, erst einmal die Heraufzonung zu beantragen. Ich bin aber der Meinung, bei dem Sumpf, der hier entsteht, müßten wir auf längere Sicht zu einem gravierenderen Zugriff kommen.
Ich möchte noch eines sagen, damit deutlich wird, wie argumentiert wird. Hier stellen sich der Kollege Blüm und der Herr Bundeskanzler hin und beklagen lautstark, was der Gesellschaft durch die Schwarzarbeit angetan wird.
({0})
Schmidt ({1})
- Das beklagen die nicht selbst, das beklagen eher wir. Wenn sie es erst einmal beklagen, sind wir schon einen Schritt weiter.
Sie beklagen, was für Schäden durch die Schwarzarbeit geschehen. In diesem Bereich findet eine der schlimmsten Formen der Schwarzarbeit statt. Es werden j a nicht nur hauptsächlich die Ausländer ausgebeutet, sondern es wird auch eine Wettbewerbsverzerrung herbeigeführt. Darunter leidet der kleine Mittelstand.
({2})
Aber der hat diese Koalitionsfraktionen selten interessiert. Es geht vielmehr nur um die ganz großen, die Berücksichtigung finden.
Wir haben bei dem zur Abstimmung anstehenden Gesetz in einer ganzen Reihe von Punkten Übereinstimmung erzielt. Auch wir sind der Meinung, wenn neue Techniken verwendet werden, um Verbrechen zu begehen, beispielsweise die Computertechnik, muß die Gesellschaft natürlich darauf reagieren. Da sind wir uns weitgehend einig gewesen. Auch beim Kapitalanlagenbetrug, beim Kursbetrug und beim Mißbrauch des Schneeballsystems gab es weitgehende Einigkeit. Wir waren uns auch einig, daß eine Strafbestimmung betreffend die Fälschung von Schecks und Kreditkarten aufgenommen werden muß.
Zu dem, wo wir uns nicht einig waren, möchte ich noch ein paar Worte sagen. Wir haben aus rechtssystematischen Gründen Bedenken gegen die Einbeziehung der mißbräuchlichen Verwendung von Schecks und Kreditkarten. Ich will auch sagen, warum. Es handelt sich dabei im Grunde genommen um die Verletzung von Vertragspflichten. Wir erleben heute eine Reklame - wenn man mit dem Auto unterwegs ist und Rundfunk hört, erlebt man das immer wieder: „Bezahlen Sie mit Ihrem guten Namen" -, um die Ausweitung des Gebrauchs von Kreditkarten zu erreichen. Letzten Endes bezahlt man aber weder mit seinem guten noch mit seinem schlechten Namen. Man kann nicht mit Müller, Meier oder Schmidt bezahlen, sondern muß letzten Endes die Mittel aufbringen. Wir haben in Amerika erlebt, daß die uferlose Ausweitung des Kreditkartengebrauchs - selbst ganz geringe Beträge werden mit Kreditkarte bezahlt - beiträgt zu einer Verführung zu übermäßiger Verschuldung. Es ist nicht einzusehen, warum sich Banken und entsprechende Unternehmen nicht in gleicher Weise gegen die Verletzung der Verträge schützen müssen wie andere auch, d. h. wenn ihnen Schaden zugefügt wird, sind sie auf den zivilrechtlichen Weg angewiesen. Das würde sie dazu zwingen, sich bei der Kreditgewährung - wenn ich jemandem 25 Schecks gebe, habe ich ihm einen Kreditrahmen von 10 000 DM eingeräumt - etwas vorsichtiger zu verhalten. Wir können auf keinen Fall die Justiz zum Büttel der Banken machen lassen. Aus diesem Grunde bitte ich, in diesem Bereich etwas vorsichtiger zu sein.
Zum Abschluß möchte ich Ihnen etwas sagen, was Sie vielleicht wundern wird: Wir werden zwei Änderungsanträge stellen, nämlich zum Ausschreibungsbetrug und zur Leiharbeit, und wir werden
dann in der dritten Lesung dem Gesetzentwurf zustimmen, aber nur aus einem Grunde: weil wir das, was im Gesetzentwurf drin ist, weitgehend unterstützen können. Was wir allerdings beklagen, ist das, was im Gesetzentwurf nicht drin ist, und da wir in diesem Hause nicht die Mehrheit haben,
({3})
müssen wir warten, bis uns der Wähler die Möglichkeit gibt, das selber reinzuschreiben. Ich hoffe, daß auch die heutige Debatte ein Beitrag dazu war, daß wir darauf nicht allzu lange warten müssen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Schmidt, Ihre letzte Bemerkung stimmt mich ungemein zuversichtlich; denn auf Grund dieses Beitrages können nur wir noch Wählergewinne erzielen. Sie machen die Sache zu holzschnittartig. Sie machen zu deutlich, daß Ihr Rechtsbewußtsein ganz gezielt ist.
Was Sie zu der Frage der Banken gesagt haben, nämlich daß sie auf ihr Geld aufpassen sollten, finde ich sehr in Ordnung - damit da gar kein Mißverständnis entsteht. Ich bin schon der Meinung: Gelegenheit macht Diebe. Und wer Gelegenheit in besonders verführerischer Weise schafft - das gilt auch für etliche andere Bereiche -, sollte sich nicht darauf verlassen, daß wir mit immer härteren Strafbestimmungen versuchen, das auszugleichen, was sein eigenes Verhalten ein klein wenig leichter und verlockender gemacht hat - nicht daß ich behaupte, es wäre verursacht worden.
({0})
Nur wenn ich das so sehe, muß ich allerdings behaupten: Wir haben ein etwas durchgängigeres Rechtsbewußtsein. Und ich muß den gleichen Rechtsgedanken, die gleiche grundsätzliche Überlegung natürlich auch in den Fällen anwenden, in denen Sie ganz anders agieren, da, wo Sie den Strafgesetzgeber eben zum Büttel für Dinge machen wollen, die die öffentliche Hand ihrerseits viel zu leicht handhabt.
Da bin ich schon - ich mache es genau wie Sie und spreche über das, was nicht im Gesetzentwurf steht, zuerst - bei diesem Ausschreibungsbetrug. Sie verdächtigen uns hier so unterschwellig als Sympathisantenszene von Betrügern in großem Stile. Daß Sie das so deutlich machen, führt dazu, daß Ihnen, vernünftigerweise, niemand glaubt;
({1})
denn es ist die reine Unwahrheit. Was wir sagen, ist etwas ganz anderes - genau wie in Ihrem BankenFall. Wir sagen: Wenn die öffentliche Hand so seltsame Ausschreibungspraktiken hat wie die, die nun einmal betrieben werden aus der Sorge, daß später
Kleinert ({2})
der Rechnungshof Beanstandungen haben könnte, aus der Sorge, daß die Debatte im Rat zu Lasten des den Auftrag vergebenden Oberinspektors - na, so etwas gibt es ja nicht mehr -, Amtmannes, gehen könnte, oder aus ähnlichen Gründen dann präzise das billigste Angebot genommen wird, auch wenn die Firma erkennbar nicht leistungsfähig ist, und anschließend von denselben Beamten, die diesen unsachlichen und unfachlichen Weg gewählt haben, Nachbesserungen vollzogen werden, allen möglichen Preiserhöhungen zugestimmt wird, kommt es zu diesem seltsamen Phänomen wie z. B. beim Klinikum Aachen. Das, was die sozialdemokratische Landesregierung von Nordrhein-Westfalen da zustande gebracht hat, mit ganz sparsamen Ausschreibungen und mit ganz kleinen Kostenvoranschlägen, die im Landtag vorgelegt worden sind, hinterher auf eine vierfache Preisüberschreitung zu kommen, dürfte auf diesem Gebiet immer noch der Spitzenrenner sein. Warum, wenn Sie schon so für das Bestrafen sind, bestrafen Sie nicht die Leute, die diesen Milliarden-Unfug in Aachen auf die grüne Wiese gesetzt,
({3})
pexiert haben, mindestens unter Verletzung ihrer vernünftig zu betrachtenden Dienstpflichten, wenn nicht schon gar der Gesetze?
({4})
Der Beauftragte des Deutschen Städtetages hat auf meine Frage im Anhörungsverfahren, nicht zu meiner Überraschung, aber doch zu meiner Verwunderung gesagt, es sei ihm überhaupt nicht bekannt, er höre zum ersten Male, daß der Unterschied zwischen den Ausschreibungspreisen und den Preisen der Schlußabrechnung nirgends so dramatisch groß sei wie bei den Auftragsvergaben der öffentlichen Hand. Wenn das noch nicht einmal derjenige weiß, der uns als Sachverständiger in ein solches Anhörungsverfahren geschickt wird, dann kann er auch nicht auf die Idee kommen, darüber nachzudenken, wie man die Geschichte vernünftig steuern kann. Dann kann ich nicht hergehen und mit der Verschärfung von Strafvorschriften - ich bin Ihnen dankbar für das Bild, das Sie liebenswürdigerweise gebraucht haben - einen Sumpf austrocknen wollen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?
Bitte sehr.
Herr Kollege Kleinert, bisher hat noch niemand bestritten, daß durch diese verbotenen Preisabsprachen ungeheure Schäden entstehen. Das haben Sie bisher auch noch nicht bestritten; Sie wollten es nur nicht bestrafen. Wenn ich Sie jetzt argumentieren höre, dann sind nur die Beamten schuld, und so etwas kommt überhaupt nicht vor. Vielleicht könnten Sie sich einmal dazu äußern, ob Sie jetzt auch bestreiten wollen, daß bei der Vergabe ungeheure Schäden durch diese verbotenen Preisabsprachen entstehen.
Ich will Ihnen bestätigen, daß hier Schäden entstehen; daß ungeheure Schäden entstehen, will ich Ihnen deshalb nicht bestätigen, weil das Wort „ungeheuer" im demagogischen Sprachschatz immer dazu benutzt wird, das Fehlen sämtlicher rechtstatsächlicher Unterlagen zu bemänteln.
({0})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?
Bitte.
Bitte, Herr Schmidt.
Würden Sie die Tatsache, daß das Kartellamt jetzt tätig werden konnte - es sind ja Ordnungsgelder in Millionenhöhe erhoben worden -, auch nicht als Beweis ansehen? Das hat in Bayern zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses geführt. Sind dies keine Rechtstatsachen? Meinen Sie, das versteckt sich alles hinter dem nebelhaften Wort „ungeheuer"? Herr Kollege Kleinert, ich möchte Sie noch einmal fragen: Wollen Sie jetzt ernsthaft bestreiten, daß es sich hier um ein volkswirtschaftliches Problem von so relevantem Ausmaß handelt, daß vieles dahinter zurücktritt, und daß Sie es deshalb nicht bestrafen wollen? Oder wäre es Ihnen lieber, wenn man die Beamten bestrafen würde, die auf Grund des Versagens des Gesetzgebers mit diesem Problem nicht fertig werden können?
Herr Kollege Schmidt, wenn Sie Ihren juristischen Verstand, den ich durchaus zu schätzen weiß, richtig einsetzen würden, dann hätten Sie vernommen, daß ich auf Ihre erste Frage hin gesagt habe: Ich bestreite überhaupt nicht, daß hier Schäden entstehen. Ich hätte nur gerne mehr Tatsachen über die Zahlen, die dabei entstehen. Es gibt Schätzungen in diesem Bereich. Sie haben vorhin 7 Milliarden DM einfach aus dem Handgelenk heraus mit zehn multipliziert. 100 Millionen DM wären mir viel zu viel, damit das ganz klar ist.
({0})
Nur, wenn wir hier schon Gesetzgebung betreiben, dann möchte ich, soweit es irgend geht, die tatsächlichen Unterlagen auch aufklären. Sie können nicht sagen: 7 Milliarden DM mal 10, wenn bei dieser Art von Statistik noch nicht einmal klar ist, ob es sich um das Auftragsvolumen handelt, hinsichtlich dessen kriminelle Delikte begangen worden sind, oder ob es sich um den rechtswidrig erzielten Gewinn handelt. Nur darin könnte der Schaden gegenüber einer ordnungsgemäßen Abwicklung solcher Aufträge liegen. Um derartige Fragen - es bewegt sich im Ergebnis tatsächlich in dem Bereich zwischen dem Einfachen und dem Zehnfachen - sollte man sich sehr gewissenhaft sorgen.
Zum zweiten. Sie haben mich auch an der anderen Stelle gründlich mißverstanden: Es wäre völlig unlogisch, wenn ich etwa die Beamten bestrafen wollte, die einen solchen Auftrag nicht sachgerecht
vergeben haben, denn ich bin der Meinung, daß zu enge Vorschriften gerade zu dem Mißstand führen, daß diese Beamten den Auftrag unter Anwendung des gesamten Sachverstandes - wie beim privaten Auftraggeber auch - nicht an den wirklich günstigsten Anbieter, sondern präzise immer an den billigsten vergeben. Darin liegt der Mangel.
({1})
Diesen Mangel, meine ich, müßte man aufklären können, da müßte man Abhilfe schaffen.
({2})
Herr Schmidt, wieso ist denn eigentlich der private Bauherr, der Unternehmer, der eine neue Halle errichtet, der Privatmann, der sich sein Einfamilienhaus baut, wieso ist der eigentlich nicht in diesem Umfang Opfer solcher Vorkommnisse? Das muß doch ungewöhnlich nachdenklich stimmen. Deshalb sagen wir, solange die Verhältnisse so sind, sind wir nicht bereit, diejenigen zu bestrafen, die hier gelegentlich auch einmal miteinander über die Preise sprechen, so wie das in sämtlichen anderen Branchen auch stattfindet, ohne daß jemand im geringsten Anstoß daran nimmt. Darüber kann man ganz vernünftig sprechen.
Ich bin nur in einem Punkt mit Herrn Kollegen Götz, der ja zu den Einzelfragen des Gesetzes schon sehr zutreffend Stellung genommen hat; nicht einer Meinung, und das betrifft die Überschrift. Da bin ich nämlich mit Ihnen der Meinung, wenn es sich um Wirtschaftskriminalität handelt - darum haben wir auch in Koalitionsgesprächen dafür plädiert, es bei der gewählten Überschrift zu belassen -, dann wollen wir das Kind auch beim Namen nennen und wollen nicht in allgemeinere Regeln ausweichen, sondern wir wollen vielmehr bei dieser klaren Überschrift deutlich machen, daß es natürlich nur eine ganz kleine Zahl von Leuten ist, die in dieser Form kriminell werden, und daß wir das ganz strikt bekämpfen wollen, so strikt, wie es nur irgend möglich ist, allerdings auch so vernünftig wie es möglich ist. Im übrigen wollen wir deutlich machen, daß trotz erheblicher Möglichkeiten und Versuchungen der ganz überwältigende Teil derjenigen, die in unserem Lande wirtschaften und mit großen und größten Beträgen umgehen, sich eben sehr anständig und sauber verhält
({3})
und daß wir dieser überwältigenden Vielzahl zuliebe diejenigen bestrafen wollen, die danebentreten und dann auch bestraft werden müssen. Deshalb begrüßen wir es, daß in § 30 das Bußgeld von 100 000 DM auf 1 Million DM und von 50 000 DM auf 500 000 DM emporgesetzt ist. Die Deutsche Bundespost kann gar nicht so verwegen wirtschaften, daß man das aus der Portokasse bezahlen könnte, wie Sie meinen. Da handelt es sich schon um größere Beträge.
({4})
Schließlich sage ich Ihnen, wenn bei der Neuen Heimat noch nicht von Wirtschaftskriminalität die Rede ist, dann aus dem gleichen Grund wie bei
anderen Firmen, die den strafrechtlichen Teil der Sache lieber unter sich behalten und miteinander ausmachen, nämlich mit den gefeuerten Vorstandsmitgliedern, als die Sache über die Staatsanwaltschaft öffentlich zu machen. Wenn in Ihren Kreisen jetzt verdienstvollerweise sämtliche Oberen sagen, man müsse die Ursache der Managementfehler bei der Neuen Heimat herausfinden, dann sage ich Ihnen, diese Suche sollte sich nicht so aufregend gestalten; das ist gar nicht so schwierig. Wenn ich ein Unternehmen aufbaue auf Subvention und Inflation und auf Durchstecherei mit den Kommunalvertretungen, auf diesen drei Faktoren, und das bei Eigenkapital in der Gegend von Null, dann ergibt sich alles, was jetzt passiert ist, anschließend zwangsläufig. Da brauche ich nicht nach Managementfehlern zu suchen.
({5})
Das ist der typische Fall, daß bei den Voraussetzungen, die von Staats wegen und die von mächtigen Verbänden - hier den Gewerkschaften - geschaffen worden sind, und das bei einer Politik, die mit sensationellen Zahlen in die Inflation geführt hat, dieses geschieht, und das meinen wir, wenn wir sagen, die Verhältnisse müssen in Ordnung gebracht werden. Das ist noch viel wichtiger als das, was wir vernünftigerweise hier - und mein Dank gilt auch dem Bundesjustizminister und seinen Mitarbeitern - geregelt haben und heute verabschieden werden.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tatge.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist viel zu lange vernachlässigt worden. Das gilt vor allem für die politische wie auch die wirtschaftspolitische Seite des Problems.
Seit Jahren zetteln die strukturkonservativen Parteien dieses Hauses sogenannte Mißbrauchsdebatten an, mit denen sie angeblichen Mißbrauch von Sozialleistungen anprangern. Damit haben sie ideologisch den Boden bereitet, auf dem sie ihren Sozialabbau durchführen konnten. Das wurde von ihnen gemacht, obwohl eine Mißbrauchsdebatte auf ganz anderem Gebiet vonnöten wäre.
Das betrifft vor allem - neben dem Verhalten der Pharmakonzerne gegenüber der Kostendämpfung im Gesundheitswesen - den Bereich der Wirtschaftskriminalität mit einem geschätzten volkswirtschaftlichen Schaden um die 50 Milliarden DM. Spätestens seit der Parteispendenaffäre ist die enge Verquickung von wirtschaftlichem Finanzgebaren am Rande der Legalität und offizieller Politik bewußt geworden. Unverhüllt trat eine Mentalität zutage, die mit der größten Selbstverständlichkeit davon ausgeht, daß mit Geld alles zu bezahlen ist, und seien es Politiker. Am Unrechtsbewußtsein fehlt es allenthalben.
Eine durchaus ähnliche Mentalität herrscht, wo unter Mißachtung gesetzlicher Vorschriften in die eigene Tasche gewirtschaftet wird. Wirtschaftskriminalität wird noch immer als Kavaliersdelikt angesehen. Der von Ihnen mitbegründete Steuer- und Abschreibungsdschungel, Hunderte von Verordnungen und Erlassen sind mit ein Grund dafür, daß sehr schnell die Grenze des Legalen überschritten werden kann.
Bezeichnend ist auch, daß der gewöhnliche Wirtschaftskriminelle eben nicht das ist, was man sich unter einem Straftäter vorstellt. Sein Bildungsstand ist hoch, er hat zudem meist eine hochqualifizierte kaufmännische Ausbildung. 65 % der Wirtschaftsbetrüger gehören zum Führungspersonal; 30 % als Geschäftsführer und gleichzeitig Gesellschafter, 13 als reine Geschäftsführer, 17 % als leitende Angestellte.
Verfahren werden meistens durch die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit eingestellt. Geringfügigkeit besteht bei Wirtschaftsstraftaten bis 50 000 DM. In Einzelfällen sind Schadenssummen von bis zu 2 Millionen DM nachweisbar, in denen Verfahren eingestellt wurden.
({0})
- Das sind Untersuchungen des Wirtschafts- und Sozialinstitutes des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Sie können es im letzten Heft nachlesen.
Mit den sogenannten kleinen Sündern springt die Justiz allerdings weiterhin völlig anders um. Wer das zweite Mal bei einem Ladendiebstahl ertappt wird, muß bei einigen Gerichten mit einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe rechnen, auch wenn der Schaden nur ein paar Mark beträgt. Der Wirtschaftskriminelle kann gefahrlos das Delikt begehen und bleibt, falls er entdeckt wird, hinterher - unter Begleichung der Summe in Höhe des entstandenen Schadens - straflos.
Die Zerstörung und Verschmutzung unserer Umwelt ist ebenso eine kriminelle Handlung im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Bei 75 % der Umweltdelikte ist 1981 keine Anklage erhoben worden, während die Einstellungsquote bei allen anderen Straftaten um die 30 % liegt. Die verhängten Geldstrafen liegen in der Regel unter 1 000 DM, und das, obwohl für das Jahr 1985 über 12 000 Umweltstraftaten bekanntgeworden sind. Auch hier gilt: Die Großen läßt man laufen, die Kleinen hängt man auf.
So ließ der Chemiegigant Hoechst zwischen 1977 und 1980 über 30 Tonnen Salzsäure und 1 500 Tonnen Natronlauge in den Main einleiten. Das Strafverfahren wurde bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen geringer Schuld eingestellt. Das passiert auch, weil sich Politiker immer wieder schützend vor Wirtschaftskriminelle in Umweltverfahren stellen. In dieser Regierung ist es ja üblich, daß auch Minister wie Herr Schwarz-Schilling - das Beispiel der Firma Sonnenschein zeigt es - zu Umweltstraftätern werden.
Das repressive Instrumentarium, das die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vorschlägt und das auch die SPD in Teilen aufgreift, erscheint uns weitestgehend ungeeignet, der Wirtschaftskriminalität beizukommen. Man muß überprüfen - das ist das Wichtigste -, ob gesetzliche Grundlagen nicht selbst zum Mißbrauch auffordern.
Erstens. Subventionen sind zu überprüfen, damit dieser Mißbrauch nicht eintreten kann.
Zweitens. Der Mißbrauch der Leiharbeit ist nicht dadurch zu lösen, daß kleine gesetzliche Änderungen im Bereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes durchgeführt werden. Ihr Verhalten, meine Damen und Herren, ist vergleichbar mit dem Verhalten einer Person, die einen offenen Tresor auf die Straße stellt einschließlich eines beamteten Beobachters, der dann immer regelmäßig an die zuständige Tresorverwaltungsbehörde Bericht erstattet, was wann aus dem Tresor gestohlen worden ist. Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie den Tresor zu, nehmen Sie ihn von der Straße! Oder mit anderen Worten: Heben Sie das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auf, und verbieten Sie mit uns die Leiharbeit!
Drittens. Im Haushaltsplan des Innern müssen Gelder für die Verbesserung der Ausbildung und der Ausrüstung der Ermittlungsbehörden zur Bekämpfung der Umwelt- und Wirtschaftskriminalität umgeschichtet werden.
Viertens. Zivilrechtliche Maßnahmen, wie die Verschärfung des GmbH-Gesetzes oder des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, haben Vorrang vor strafrechtlichen Erwägungen.
({1})
Zum Computermißbrauch nur soviel: Es will mir nicht einleuchten, daß einerseits Computerfirmen verblüffend leistungsfähige Computer entwickeln, andererseits aber nicht in der Lage sein sollen, Einrichtungen zu schaffen, um dem Mißbrauch von Computern zu begegnen. Bei Delikten, in denen ein wirtschaftlich Schwächerer geschädigt wird, ist zu erwägen, den strafrechtlichen Schutz zur Verstärkung eines präventiven zivilrechtlichen Schutzes zu belassen oder zu verstärken.
Wie ernst es die Bundesregierung mit der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität wirklich meint, kommt in der Begründung des Gesetzentwurfs zum Ausdruck. Sie schreiben dort klipp und klar, daß Sie nicht bereit sind, vorbeugende Maßnahmen einzusetzen, wenn dadurch - ich zitiere - „die freie wirtschaftliche Betätigung zum Schaden der freiheitlichen Wirtschaftsverfassung unangemessen eingeengt würde". Was immer diese Phrase auch bedeutet, klar ist: Mit dieser Bundesregierung gibt es keine wirksame Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität.
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Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist in allen Industrie15444
staaten eine nationale, darüber hinaus aber bereits internationale wichtige Aufgabe. Sie ist zum Schutze des freiheitlichen Wirtschaftssystems sowie einer überzeugenden Rechtsordnung vonnöten. Allein die in der Bundesrepublik Deutschland jährlich registrierten Schäden in Milliardenhöhe offenbaren ein Deliktpotential, dem mit präventiven, aber auch insbesondere mit repressiven Maßnahmen wirksam begegnet werden muß.
Es ist, Herr Kollege Schmidt, etwas gefährlich, die statistisch festgestellten, weil ermittelten Schäden hochzurechnen. Wir wissen, daß die Dunkelziffer hoch ist. Ob man sich hier allerdings des Multiplikators 10 bedienen kann, mag dahingestellt bleiben.
({0})
Es bringt nichts. Die Schäden sind hoch, sie sind zu hoch. Wenn wir dies wissen, sollten wir allerdings gleichzeitig nicht nur das Notwendige dagegen tun, sondern darüber hinaus auch nicht Pessimismus und Depression verbreiten.
Das sage ich, Herr Kollege Schmidt, weil Sie angesprochen haben, ich hätte wohl mehrere Mitarbeiter. Dies ist richtig. Nur arbeiten diese immer Hand in Hand und miteinander abgestimmt. Es ist kein Widerspruch, auf der einen Seite die gewaltige Dimension der Wirtschaftskriminalität aufzuzeigen, aber an anderer Stelle und bei anderen Gelegenheiten zu sagen, daß in unserem Land Entscheidendes dagegen geschieht, so daß wir die Dinge durchaus mit Hoffnung, wenn auch nicht mit unrealistischen Erwartungen, betrachten können.
Hierzu hat sich in den letzten 20 Jahren bei der Einführung organisatorischer Neuerungen und bei gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität immer ein sehr erfreulicher Grundkonsens herauskristallisiert. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß der Sprecher der SPD auch für die Schlußabstimmung heute seine Zustimmung signalisiert hat. Es kann auch gar nicht anders richtig sein; denn das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität stellt einen Abschluß größerer gesetzgeberischer Vorhaben dar, für die der Deutsche Juristentag und die Einsetzung einer Sachverständigenkommission schon im Jahre 1972 bahnbrechend gewirkt haben. Die Komplexität unseres Wirtschaftslebens, die Veränderung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse sowie die rasante technologische Entwicklung bringen über die statistisch dominanten klassischen Wirtschaftsdelikte hinaus, wie etwa die Steuerhinterziehung, den Betrug und die Konkursdelikte, immer wieder neue Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität. Hier haben sich nun, wie wir alle wissen, bei der Strafverfolgung Lücken des geltenden Rechts ergeben; es haben sich andere Unzulänglichkeiten herausgestellt. Es geht nicht darum, geltendes Recht im ganzen durch neues Recht zu ersetzen, sondern es geht darum, Lücken zu schließen. Hier hat es sich der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages, dessen Mitgliedern - speziell den Berichterstattern - ich an dieser Stelle herzlich danken möchte, angelegen sein lassen, während des mehrjährigen Beratungsganges mittlerweile erst neu aufgetauchte Deliktsformen gleich mit in die Beratungen hineinzunehmen, um uns damit heute einen abgerundeten Entwurf vorstellen zu können.
Ich bitte Sie, diesem Entwurf Ihre Zustimmung zu geben. Wir wissen um die Gefährdungen, denen wir auch weiter ausgesetzt sein werden. Aber wir können - nicht selbstzufrieden, aber dennoch mit einiger Hoffnung - sagen, daß seitens des Gesetzgebers im gegenwärtigen Stand der Dinge alles geschehen ist, um der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität mit allen denkbaren Kräften zu dienen.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 b, den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/318 in der Ausschußfassung.
Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5100 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Gegen einige wenige Stimmen ist Art. 1 in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 2 bis 5 auf. Wer wünscht zuzustimmen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen einige wenige Stimmen sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Ich rufe Art. 6 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5100 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für Art. 6 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Art. 6 ist der Ausschußfassung gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe Art. 7 bis 11, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften gegen wenige Stimmen angenommen worden.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit angenommen worden.
Vizepräsident Westphal
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 3 a.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5058 unter Ziffer 2 den von den Abgeordneten Schmidt ({0}), Bachmaier, Dr. Emmerlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/119 für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
4. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen ({1})
- Drucksache 10/1262 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2})
- Drucksache 10/4618 -
Berichterstatter: Abgeordnete Bayha Frau Weyel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/4718 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({4}) Frau Zutt
Suhr
({5})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Verbot von Lindan - Maßnahmen gegen den Borkenkäfer
- Drucksachen 10/1578 ({7}), 10/4472 Berichterstatter: Abgeordneter Paintner
Zu Tagesordnungspunkt 4 a liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/5092 bis 10/5097 sowie Änderungsanträge des Abgeordneten Werner ({8}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5103 bis 10/5106 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b und eine Aussprache von 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bayha.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach fast zweijähriger Beratung in den Ausschüssen liegt heute dem Deutschen Bundestag ein neues Pflanzenschutzgesetz als Ablösegesetz zur Beratung und Beschlußfassung vor. Das bisherige deutsche Pflanzenschutzrecht war streng und gut; es war vielleicht sogar das beste der Welt. Dies hat uns aber nicht daran gehindert, es zum Schutz von Mensch, Tier und Natur zu verbessern, wo neue Erkenntnisse dies geboten.
Der vorgelegte Regierungsentwurf ist in den Ausschußberatungen - zum Teil auch auf Anregung des Bundesrates - noch in wesentlichen Teilen geändert und ergänzt worden, in 46 Fällen im Einvernehmen mit der SPD-Fraktion.
Die Beratungen waren geprägt durch ein Höchstmaß an Sachlichkeit und Verantwortungsbewußtsein, wofür ich mich als Berichterstatter bei der Mitberichterstatterin, Frau Weyel, bei den Kollegen im Ausschuß und besonders auch bei den Beamten des Landwirtschaftsministeriums herzlich bedanken möchte.
Lassen Sie mich auf einige Punkte etwas konkreter eingehen. Erstens. Der Schutz des Naturhaushalts wird erstmals gleichrangig neben den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier gestellt. Dies ist gerechtfertigt, weil der Naturhaushalt und seine Bestandteile die Lebensgrundlage des Menschen sind und ihr Schutz damit auch dem Schutz des Menschen dient.
Zweitens. Wichtig ist die neue Vorschrift, daß Pflanzenschutzmittel nur nach guter fachlicher Praxis angewandt werden dürfen. Zur Konkretisierung des Begriffs der guten fachlichen Praxis ist klargestellt - über die Regierungsvorlage hinausgehend -, daß dabei die Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes zu berücksichtigen sind. Ziel des integrierten Pflanzenschutzes soll sein, daß der Landwirt verantwortungsbewußt eine Kombination von Maßnahmen einsetzt, um Schadorganismen in ökonomisch und ökologisch vertretbarer Weise unter der wirtschaftlichen Schadschwelle zu halten. Für den chemischen Pflanzenschutz bedeutet dies, daß er nach dem Prinzip „so wenig wie möglich, so viel wie notwendig" gehandhabt wird.
Drittens. Mit den neuen Bestimmungen wird nunmehr der Sachkundenachweis für alle Betriebe der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft und des Gartenbaus eingeführt, da der Umgang mit Pflanzenschutzmitteln besondere Vorsicht erfordert. Selbstverständlich bedarf die Herstellung von Pflanzenschutzmitteln besonders strenger Maßstä15446
be. Dieser Bereich wird daher künftig in einer Verordnung nach dem Chemikaliengesetz, der Gefahrenstoffverordnung, geregelt.
Viertens. In der Regierungsvorlage war keine Regelung der sogenannten Zweitanmelderfrage vorgesehen. Im Gesetz ist nunmehr eine Regelung enthalten, die die Wiederholung von Tierversuchen verhindert, die Eigenverantwortung des Herstellers sicherstellt und sich an dem Prinzip der Wettbewerbsneutralität orientiert.
Die Wiederholung von Tierversuchen soll dadurch ausgeschlossen werden, daß der Nachantragsteller die Verwertung von Unterlagen eines Zulassungsinhabers, die Tierversuche voraussetzen, beantragen kann, falls eine einvernehmliche Regelung zwischen den Parteien nicht zu erreichen ist. Um für den Zulassungsinhaber mögliche Wettbewerbsnachteile auszuschließen, hat der Antragsteller vor einer Verwertung eine Sperrfrist einzuhalten und danach eine Entschädigung zu leisten. Die Sperrfrist ist so bemessen, daß es für den Antragsteller in jedem Fall zeitlich uninteressant ist, Tierversuche zu wiederholen. Die Entschädigung für nicht wiederholte Tierversuche wurde von uns im Wege einer Pauschalregelung auf 50 v. H. der ersparten Aufwendungen festgesetzt. Der Schutzzeitraum für die Unterlagen des Vorantragstellers soll nicht länger als 10 Jahre seit der Zulassungsentscheidung sein, bei der die Unterlagen des Vorantragstellers erstmals beurteilt wurden. In die Regelung einbezogen ist auch die Verwertung von Zulassungsunterlagen, die von der Zulassungsbehörde nachgefordert werden.
Fünftens. Auch die Kennzeichnung von Pflanzenschutzmitteln wird in Zukunft verbessert. So müssen künftig z. B. bei den im Inland abgesetzten Produkten Anwendungsverbote oder -beschränkungen auf den Behältnissen angegeben sein. Damit wird der Anwender, ohne daß er erst auf die bestehenden Rechtsnormen selbst zurückgreifen muß, über die jeweiligen Vorschriften informiert. Dies erleichtert die Einhaltung dieser Vorschriften.
Sechstens. Eine bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung von Planzenschutzmitteln ist nur zu erwarten, wenn der Anwender ausreichend über das jeweilige Pflanzenschutzmittel und über die bei der Anwendung möglicherweise auftretenden Gefahren informiert wird. Um die notwendige Aufklärung und Beratung sicherzustellen, sind Regelungen über die fachlichen Kenntnisse der Verkäufer im Einzelhandel zu treffen. Ferner sind wir - wieder über die Regierungsvorlage hinausgehend - der Auffassung, daß Pflanzenschutzmittel im Einzelhandel nicht mehr durch Selbstbedienung in Verkehr gebracht werden dürfen. Für den Handel bedeutet dies, daß Pflanzenschutzmittel dem unmittelbaren Zugriff seitens des Kunden entzogen sein müssen.
Siebtens. Die Bundesrepublik Deutschland als eines der im Export von Pflanzenschutzmitteln führenden Länder steht in der Pflicht, dafür zu sorgen, daß mit diesem Export keine unvertretbaren Gefahren für die importierenden Staaten, aber auch für die Bundesrepublik selbst verbunden sind. Damit
auch im Ausland eine möglichst wirkungsvolle und umweltschonende Anwendung von Pflanzenschutzmitteln erfolgen kann, wurde die Verpflichtung geschaffen, Behältnisse und abgabefertige Packungen der für den Export vorgesehenen Pflanzenschutzmittel mit festgelegten Angaben zu versehen.
Das neue Gesetz enthält darüber hinaus eine Ermächtigung, die Ausfuhr von bestimmten Pflanzenschutzmitteln oder von Pflanzenschutzmitteln mit bestimmten Wirkstoffen zu verbieten. Flankiert wird diese neue Regelung von der Verpflichtung, internationale Vereinbarungen, insbesondere den Verhaltenskodex der FAO für das Inverkehrbringen und die Anwendung von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln, bei der Ausfuhr zu berücksichtigen.
Achtens. Zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nach guter fachlicher Praxis gehört untrennbar die Verwendung einwandfrei funktionierender Pflanzenschutzgeräte. Das neue Gesetz trifft Regelungen für Neugeräte und für im Gebrauch befindliche Geräte. Neue Pflanzenschutzgeräte dürfen künftig nur vertrieben werden, wenn der Hersteller oder der Verkäufer vor dem erstmaligen Vertrieb oder der Importeur gegenüber der zuständigen Behörde, der BBA, erklärt, daß die amtlich festgesetzten Anforderungen eingehalten werden. Ergibt eine behördliche Nachprüfung, daß die Anforderungen nicht eingehalten werden, so wird der Vertrieb dieses Gerätetyps verboten.
Hinsichtlich der Überprüfung der Gebrauchtgeräte sind wir der Meinung, daß der zuständige Bundesminister ermächtigt werden muß, diese gegebenenfalls bundeseinheitlich regeln zu können. Die Länder können bestimmen, daß amtlich anerkannte Kontrollwerkstätten Prüfungen durchführen.
Neuntens. Auch von Pflanzenstärkungsmitteln - das sind Mittel, mit denen im Rahmen der verschiedenen alternativen Landbaumethoden eine weitgehende Widerstandsfähigkeit der Kulturen gegen Schadorganismen erreicht werden soll - gehen bei Mißbrauch Gefahren für die Gesundheit von Mensch, Tier und für den Naturhaushalt aus; denn die Natur selbst produziert die stärksten Gifte. Es muß deshalb sichergestellt werden, daß der Hersteller, Vertriebsunternehmer oder Einführer ausreichende Kenntnis über die Eigenschaften sowie über Art, Menge und Zusammensetzung der Pflanzenstärkungsmittel hat, bevor er sie in den Verkehr bringt. Wir sind der Auffassung, daß für diese Mittel eine Verpflichtung zur Anmeldung bei der BBA ({0}) ausreicht. Mit der Anmeldung übernimmt der Anwender die Verantwortung, daß das Pflanzenstärkungsmittel keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und auf den Naturhaushalt hat.
Meine Damen und Herren, die Änderungsvorschläge der SPD-Fraktion zur zweiten Lesung lehnen wir ab. Sie sind bereits im Ausschuß behandelt worden. Wir sind der Auffassung, daß sie keine materielle Verbesserung des Gesetzes bringen.
Die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die erst vorhin verteilt worden sind, lehnen wir ebenfalls ab.
Da es sich um eine verbundene Debatte mit einem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Verbot von Lindan handelt, möchte ich hinzufügen, daß wir die Anträge auf den Drucksachen 10/1578 und ({1}) 10/4472 ebenfalls ablehnen.
Meine Damen und Herren, das neue Pflanzenschutzgesetz ist ein mutiger Schritt in die Zukunft. Zur ordnungsgemäßen Durchführung ist es notwendig, daß der Bundestag bei den nächsten Haushaltsberatungen die entsprechenden finanziellen Mittel und Stellen bewilligt. Denn ein Gesetz ist eben nur so gut, wie es durchgeführt werden kann. Und dazu gehören in der Tat Personalstellen und Finanzmittel.
Besonders wichtig erscheint mir auch, daß nunmehr die notwendige Rechtsharmonisierung auf EG-Ebene herbeigeführt wird, damit für die deutsche Landwirtschaft keine Wettbewerbsnachteile entstehen.
Mit diesem Gesetz wird eines der wichtigsten Umweltschutzgesetze dieser Legislaturperiode verabschiedet. Ich bin davon überzeugt, daß es sich um ein sehr gutes Gesetz handelt.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weyel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter den Faktoren, die die Entwicklung der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert entscheidend prägten und zu den enormen Steigerungen der Flächenerträge und der Arbeitsproduktivität führten, kommt dem chemischen Pflanzenschutz besondere Bedeutung zu. In den letzten dreißig Jahren erlangten die Pflanzenschutzmittel wachsende Verbreitung. Ihr Verbrauch stieg allein in den letzten zehn Jahren um mehr als 60 %, wobei der Gesichtspunkt der Rationalisierung der Arbeit sicher eine große Rolle spielte.
Gleichzeitig stiegen in diesen letzten zehn Jahren die Bedenken gegenüber den Auswirkungen. So wurden entgegen früheren Vermutungen vereinzelt Pflanzenbehandlungsmittel im Grundwasser nachgewiesen. Die Fragen der Abbaubarkeit oder der Anreicherung im Boden fanden erhöhte Aufmerksamkeit.
In seinem Gutachten wies Professor Diercks 1984 darauf hin, daß bei allen Pflanzenschutzmitteln mit fehlerhaften und wirtschaftlich unnötigen Anwendungen in erheblichem Umfang zu rechnen sei. Er bezifferte die gegenwärtig durchgeführten Pflanzenschutzmaßnahmen mit Herbiziden zu 50 % als überflüssig, wobei zu bedenken ist, daß ein großer Teil dieser Mittel bei Präventivmaßnahmen benutzt wird und man erst hinterher weiß, ob das notwendig war oder nicht.
Hinzu kamen wiederholt Meldungen über toxische Wirkungen zulässiger Mittel oder über die Beendigung des Vertriebs von Mitteln wegen neuer negativer Erkenntnisse.
Die Novellierung des Gesetzes war also notwendig. Am Beginn der Diskussion stand die Frage
nach der Zielrichtung. Die macht sich eigentlich schon im Gesetzestitel bemerkbar. Der Regierungsentwurf spricht vom „Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen". Der Entwurf, den Nordrhein-Westfalen im Bundesrat eingebracht hat, trägt den Titel: „Gesetz zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt vor Schäden durch Pflanzenbehandlungsmittel". Damit ist schon der Unterschied in der Zielrichtung deutlich. Wir haben in einem der von uns vorgelegten Anträge beantragt, dieses Gesetz als „Gesetz für die Anwendung von Pflanzenbehandlungsmitteln" zu bezeichnen, um besonders den Charakter des Schutzes von Mensch, Tier und Umwelt deutlich zu machen.
({0})
Entsprechendes gilt für die Zweckbestimmungen. Wir sind der Meinung, daß der Schutz in § 1 an erster Stelle stehen muß und alles andere weiter hinten kommen kann.
Auch die Sprache trägt etwas zur Verwirrung bei: Handelt es sich um Pflanzenschutzmittel oder um Pflanzenbehandlungsmittel? Bisher hießen sie Pflanzenbehandlungsmittel. Warum dieser Ausdruck geändert wurde, ist eigentlich nicht ganz klar.
In den Diskussionen macht sich auch ein tiefes Mißtrauen zwischen den Vertretern des Naturschutzes und denen bemerkbar, die eine weitere Benutzung chemischer Pflanzenschutzmittel für notwendig halten.
Auch seitens der Opposition darf man feststellen, daß das Gesetz in der vorliegenden Form Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Gesetz enthält. Ihnen liegen ja zwei Entwürfe vor, nämlich die Drucksache mit dem Regierungsentwurf und die Drucksache mit der Beschlußfassung des federführenden Ausschusses unter Einarbeitung all dessen, was Herr Bayha zum Teil schon genannt hat. Dabei wird deutlich, daß im Laufe der Beratungen doch noch einige Verbesserungen erreicht werden konnten.
Eine Verbesserung gilt für den Bereich der Zulassung, bei der vor allem die Fragen der Analyse-verfahren, der Rückstandsbeseitigung sowie der Abbau- und Reaktionsprodukte entsprechend neuen Erkenntnissen zu berücksichtigen sind. Wir beantragen dazu allerdings eine Verschärfung; sie liegt Ihnen auch vor.
Eine Verbesserung konnte im Bereich der Anwendung erzielt werden: Sie wurde bezüglich der Freiflächen eingegrenzt. Ich nenne nur ein Beispiel: Die Bundesligaclubs werden ihre Rasenflächen in Zukunft nicht mehr mit Pflanzenschutzmitteln behandeln dürfen. Ähnliches gilt für die gepflasterten Freiflächen.
Eine Verbesserung gab es beim Grundsatz des integrierten Pflanzenschutzes bezüglich der Anwendung in Land- und Forstwirtschaft und Gartenbau sowie bei der Präzisierung des Begriffes „gute fachliche Praxis". Es wäre allerdings besser gewesen, wenn die bestehenden Kann-Bestimmungen
durch ein obligatorisches Prüfungsverfahren für die Geräte ersetzt worden wären.
Besonders empfindlich ist der Haus- und Kleingartenbereich, weil man dort noch stärker mit fehlendem Fachwissen und Fehlern bei der Herstellung von Verdünnern rechnen muß. Die Kleingartenvereine haben anerkennenswerte Schulungsarbeit geleistet; aber sie erreichen nur einen Teil des betroffenen Personenkreises. Daher haben wir die Abgabe im Selbstbedienungsverfahren untersagt und vom Verkäufer den Nachweis der Sachkunde verlangt. Außerdem muß der Hersteller gebrauchsfertige Mischungen oder Packungen mit Dosiereinrichtungen abgeben.
Besser wäre es, wenn unserem Antrag zugestimmt würde, den Gebrauch von Herbiziden auf land- und forstwirtschaftliche sowie erwerbsgärtnerische Flächen zu beschränken. Hilfreich für die Natur wäre es auch, wenn Feldraine beim Spritzen ausgespart würden, so daß am Feldrand sogenannte Saumbiotope entstehen könnten. Hier können vor allem die Bundesländer bei der Umsetzung des Gesetzes eine ganze Menge tun.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Schutz des Wassers. Deshalb beantragen wir, für Wasserschutzgebiete eine Sperrfrist von zwei Jahren nach der Zulassung vorzusehen, außer wenn die Anwendung in Wasserschutzgebieten bei der Zulassung von der Biologischen Bundesanstalt ausdrücklich vorgesehen ist.
Ein besonders heikles Kapitel ist der Export von Pflanzenbehandlungsmitteln; dies ist auch in den mitberatenden Ausschüssen durchaus deutlich geworden. Wir stellen den Antrag, daß dafür die gleichen Bedingungen gelten sollen wie für die Einfuhr. Das heißt, die Mittel sollen bei der Zulassung in einem anderen Land den gleichen Bedingungen unterliegen wie bei der Zulassung in der Bundesrepublik.
({1})
Es kann eigentlich dem Ruf der deutschen Industrie nur förderlich sein, wenn eine solche Einschränkung in den Ländern, die die Mittel einführen, bekannt ist.
({2})
Von der Industrie wird auch bestätigt, daß die meisten Staaten die Zulassung in einem sogenannten Hochregistrierungsland verlangen, wenn sie eine Importgenehmigung erteilen.
Schließlich ist die Frage der Gefährdungshaftung offen. Es ist uns bekannt, daß europäische Lösungen im Gang sind. Aber die Umsetzung in nationales Recht wird noch geraume Zeit dauern. Deswegen wäre es besser, eine Regelung, wie wir sie bereits im Arzneimittelgesetz haben, schon zu dieser Zeit auch im Pflanzenschutzgesetz einzuführen.
({3})
Unsere Anträge liegen Ihnen vor. Wir bitten noch einmal um Ihre Zustimmung.
Ich möchte noch eine Frage anschneiden, die Herr Bayha bereits behandelt hat. Wenn man alles, was in diesem Pflanzenschutzgesetz steht, ernsthaft tun will, müssen die notwendigen Bedingungen bei der Umsetzung stimmen. Der Haushaltsausschuß hat in seinem Bericht deutlich gemacht, daß ein Mehrbedarf von 43 Personalstellen bei der Biologischen Bundesanstalt und beim Bundesgesundheitsamt besteht, wobei 2,5 Stellen auf das Gesundheitsamt und 40,5 auf die Biologische Bundesanstalt entfallen. Der Haushaltsausschuß hat gleichzeitig festgestellt, daß dieser Personalbedarf durch Umsetzungen aus dem vorhandenen Personalbestand erfolgen soll. Dies führt dazu, daß andere Aufgaben der Biologischen Bundesanstalt vernachlässigt werden müssen. Damit wird aber das Fernziel, in steigendem Maße chemische Pflanzenschutzmittel durch naturgemäße Verfahren zu ersetzen oder zu ergänzen, in Frage gestellt, denn dann fehlen Forschungskapazitäten für diesen Bereich.
({4})
Wer es mit dem Schutz des Naturhaushalts, einer neuen Bodenkonzeption, verbessertem Wasserschutz ernst meint, muß der zuständigen Biologischen Bundesanstalt Personal und Sachkosten im benötigten Umfang zugestehen.
({5})
Ähnliches gilt für die Ausstattung der Pflanzenschutzdienste in den Ländern. Es kann nicht angehen, daß wegen eines fehlenden Geräts im Preis von 1 000 DM mögliche Verfahren des natürlichen Schutzes außer acht bleiben.
Auf Grund der aufgeführten Mängel machen wir unsere Zustimmung in der dritten Lesung davon abhängig, daß unseren vorliegenden Anträgen zugestimmt wird. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, müssen wir in der dritten Lesung leider ablehnen.
({6})
Zum Tagesordnungspunkt 4 b sage ich abschließend, daß sich die SPD-Fraktion der Beschlußfassung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten anschließt.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes ist bei den parlamentarischen Beratungen gründlich geprüft, vielfach verändert und im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, wie ich meine, in entscheidender Weise verbessert worden, was die Drucksache 10/4618 durch zahlreiche Ergänzungen veranschaulicht. Den parlamentarischen Nachbesserungen liegt eine umfassende Systematik zu Grunde. Es ist eigenartig, daß einzelne Verbände dies nicht wahrhaben wollen, nur weil ihre Radikalforderungen bei uns kein Gehör gefunden haben.
Mit der Diskussion über die Ausgestaltung des Pflanzenschutzgesetzes verknüpft sich die gesamte ideologische Auseinandersetzung um das Pro und Contra von Chemie in der Landwirtschaft. Das MärBredehorn
chen vom Landwirt als dem Giftmischer der Nation wurde genauso aufgewärmt wie der von den GRÜNEN verbreitete Unsinn, Pflanzenschutzmittel seien Agrargifte. Diese letzte Aussage kam auch in den Ausschußsitzungen immer wieder hoch. Das erstaunt mich um so mehr, als sie nicht auf naturwissenschaftlichen Grundlagenkenntnissen fußt, sondern rein ideologisches Meinungsklima verbreiten will.
Qualitativ wurde das Pflanzenschutzgesetz in folgenden Kernpunkten verbessert: Erstens. Neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über ökologische Zusammenhänge ist über die explizite Einbeziehung des Naturhaushalts, von dem Gefahren abgewendet werden sollen, Rechnung getragen worden. Auch die Anwendung des integrierten Pflanzenschutzes ist jetzt im neuen Gesetzestext verankert.
Zweitens. Strengere Kennzeichnungsvorschriften sollen dazu beitragen, daß die Anwender genauere Hinweise für die Ausbringung erhalten. Bei der Etikettierung und den Gebrauchsanweisungen sei mir die Anregung an die Hersteller erlaubt, daß diese ihre Rezepte in einer lesbaren allgemein verständlichen Form präsentieren, damit sie die Gewähr dafür haben, daß die gewünschten Informationen auch bei den Landwirten ankommen.
Drittens. Pflanzenschutzmittel dürfen grundsätzlich nur auf Flächen, die landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzt werden, ausgebracht werden. Auch mit diesem Passus haben wir Umweltaspekten entsprochen. Die FDP hat sich dafür eingesetzt, daß an Bundesstraßen, aber auch auf Flächen, die von der Bundesbahn und der Bundeswehr genutzt werden, Chemikalien nicht mehr gespritzt werden dürfen.
Viertens. Für wichtig halte ich die Entscheidung, daß der Selbstbedienungsmentalität bei Pflanzenschutzmitteln in Kleinpackungen ein Riegel vorgeschoben worden ist.
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Dies eröffnet auch Chancen für das altbewährte Fachgeschäft und damit für das mittelständische Gewerbe. Hier ist die gute fachliche Beratung des Kunden wieder möglich.
Fünftens. Der Export von Pflanzenschutzmitteln übersteigt bei weitem den Inlandsverbrauch. Wir haben als hochentwickelte Industrienation eine große Mitverantwortung für den Verbleib dieser Mittel in der Dritten Welt. Die Dritte Welt darf weder zum Testmarkt für ungeprüfte Wirkstoffe degradiert noch als Schuttabladeplatz für im Inland nicht absetzbare Substanzen mißbraucht werden. Wir werden aber den Schwierigkeiten der Agrarproduktion in den Entwicklungsländern in keiner Weise gerecht, wenn wir dieselbe Meßlatte wie in unseren gemäßigten Breitengraden anlegen. Deshalb müssen exportierte Pflanzenschutzmittel so gekennzeichnet werden, daß Anwender über mögliche Gefahren informiert werden. Die Ausfuhr besonders gefährlicher Pflanzenschutzmittel kann jetzt verboten werden.
Sechstens. Mit der Regelung der Zweitanmelderproblematik haben wir im Pflanzenschutzgesetz
eine nicht nur dieses Gesetz betreffende Lücke geschlossen. Nicht jeder hat sich gewünscht, daß das Pflanzenschutzgesetz dazu auserkoren sein sollte, rechtssystematisch ein Beispiel zu werden. Ich glaube, die getroffene Regelung ist gut und sinnvoll. Sie ist wettbewerbsneutral, sichert die Eigenverantwortung des Herstellers und ist geeignet, zusätzliche unnötige Tierversuche zu verhindern.
Siebtens. Wer Pflanzenschutzmittel anwendet, sei es im landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Bereich, muß über einen Sachkundenachweis verfügen. Pflanzenschutzgeräte müssen bestimmten Anforderungen entsprechen, und im Gebrauch befindliche Pflanzenschutzgeräte werden geprüft. Diese Prüfung können anerkannte Kontrollwerkstätten durchführen.
Meine Damen und Herren, dies sind einige Punkte, die die Verabschiedung eines verbesserten, wenn auch schon in der alten Fassung als vorbildlich geltenden Pflanzenschutzgesetzes verdeutlichen. Leider ist die Biologische Bundesanstalt schon jetzt überlastet, um noch intensiver zu prüfen, um noch besser zu kontrollieren und jetzt auch noch die Zweitanmelderproblematik in den Griff zu kriegen. So werden sich Kosten nicht ganz vermeiden lassen. Im Haushalt ist ein gewisser Ansatz nötig, damit neues Personal für die behördliche Tätigkeit eingestellt werden kann.
Wenn wir es darüber hinaus schaffen, im Abfallbeseitigungsgesetz, das zur Zeit beraten wird, noch die Pflicht zur Rücknahme von Pflanzenschutzmittelbehältern und -rückständen durch Hersteller bzw. Händler zu verankern, kommen wir, so glaube ich, manchem Wunsche auch aus der landwirtschaftlichen Praxis sehr nahe.
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird dem Pflanzenschutzgesetz ihre Zustimmung geben.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Werner ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf zwei Dinge eingehen, die Herr Kollege Bayha hier genannt hat, einmal daß „nach guter fachlicher Praxis" verfahren werde, zum anderen: „Die Natur produziert selbst die stärksten Gifte." Diese beiden Argumente werden sehr oft und sehr leicht angeführt.
„Nach guter fachlicher Praxis," was bedeutet das? Nach was für einer Praxis werden bei uns die Landwirte seit 20 Jahren geschult? In der Industrie sind die meisten Versuche mit Pflanzenschutzmitteln gemacht worden. Die haben die besten Rezepte in der Tasche, die sie dann unseren Beratern geben. Von daher heißt „nach guter fachlicher Praxis" letztlich auch: was die Industrie denkt, was wir in der Landwirtschaft zu verwenden haben.
({0})
Werner ({1})
Daher meine ich, daß die gute landwirtschaftliche Praxis sehr schwer als Richtschnur dafür heranzuziehen ist, wie wir Pflanzenschutzmittel verwenden sollten.
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Zu dem anderen: „Die Natur produziert die stärksten Gifte." Auch das wird immer wieder ins Feld geführt. Ich sage Ihnen hier: Die Natur produziert starke Gifte - das ist richtig -, aber sie hat auch die Möglichkeit, diese Gifte abzubauen. Die Dinge, die wir in den Boden bringen - ich nenne sie Agrargifte -, abzubauen, ist die Natur nicht eingerichtet. Von daher hat das auch eine andere Bedeutung.
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Der grundlegende Unterschied, der zwischen den GRÜNEN und den Regierungsparteien hinsichtlich des Pflanzenschutzgesetzes besteht, zeigt sich schon in der Benennung der verwendeten Stoffe. Der von der SPD geforderte Begriff „Pflanzenbehandlungsmittel" wurde abgelehnt. Es blieb bei dem Begriff „Pflanzenschutzmittel", der den Eindruck vermittelt, hier gebe es Schutz, hier werde etwas geschützt, behütet. Wir werden diese Mittel „Agrargifte" nennen.
({4})
Diese Gifte werden eingesetzt, um Tiere und Pflanzen abzutöten. Gifte sollte man wohl sowenig wie möglich verwenden.
Das neue Pflanzenschutzgesetz ist kein Gesetz zum Schutz von Menschen, Tieren und Naturhaushalt, nicht einmal zum Schutz unserer Kulturpflanzen, sondern ein Gesetz zum Schutz der geregelten weiteren Anwendung von Agrargiften zum Vorteil der chemischen Industrie.
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Wir haben einen Katalog mit Verbesserungen und Veränderungen eingebracht, mit dem Ziel, den Schutz des Menschen, der Natur und der Umwelt vor den Gefahren der Agrargifte zu verbessern. Dazu führen wir folgende Punkte auf: Verstärkter Anwenderschutz. Beratung, Forschung und Lehre müssen schwerpunktmäßig mechanische und biologische Verfahren behandeln. Gebrauchsanleitungen müssen Gefahren und Gegenmaßnahmen in der Landessprache nennen. Erlaubnispflicht für die Anwendung von jeglichen Agrargiften, die in Giftklassen aufgeführt werden, Vereinfachung des Widerrufs der Zulassung bei Gefahren für Mensch und Umwelt. Agrargifte dürfen auf öffentlichen Flächen und in Haus- und Kleingärten nicht angewandt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rumpf.
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Werner, Sie sprachen so oft von Giften: Ist Ihnen bekannt, daß Gift eigentlich immer nur eine Frage der Dosis ist?
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Ja, es ist mir sehr wohl bekannt, daß Gift und Dosis zusammenhängen. Es ist aber auch die Frage, ob 30 000 Tonnen, die wir jährlich in der Bundesrepublik verwenden, noch die kleine Dosis sind, die Sie anscheinend für unbedenklich halten.
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Diese Verbesserungsvorschläge wurden allesamt abgelehnt. Bisher war die Lobby für Mensch und Natur offensichtlich zu schwach.
In krassem Gegensatz dazu haben die Wünsche der Chemielobby im Entwurf der Bundesregierung schon weitestgehend Berücksichtigung gefunden.
Damit nicht genug. Auch in der Beschlußempfehlung des Berichts des Ernährungsausschusses, Drucksache 10/4618, sind offensichtlich weitere Wünsche der Chemieindustrie verarbeitet worden.
In § 2 Abs. 1 Nr. 1 a, welcher den integrierten Pflanzenschutz definiert, wird festgehalten, daß „die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das notwendige Maß beschränkt wird". In dieser Definition wird nicht einmal die Regelung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln nach wirtschaftlichen Schadschwellen festgeschrieben, die jedoch letztlich auch nicht die Richtlinien für den Einsatz von Agrargiften sein dürften.
Agrargifte und Artenschwund sind eng miteinander verbunden.
({1})
Vielleicht ist es richtig, daß der Rückgang von einzelnen Arten den praktischen Landwirt, solange er immer neue Agrargifte anwendet, heute wenig berührt. Sollte aber die nächste Generation zu der Überzeugung gelanden, daß eine weitere Anwendung von Agrargiften, aus welchen Gründen auch immer, nicht zu verantworten ist, kann jeder Mistkäfer oder Schmetterling zum wichtigen Nützling werden, und dann hat der Verlust nur einer Art für die Landwirtschaft möglicherweise die Bedeutung einer Naturkatastrophe.
Meine Damen und Herren, wir bringen noch vier Änderungsanträge zum Pflanzenschutzgesetz ein. Erstens: ein Exportverbot in der Bundesrepublik nicht zugelassener Pflanzenschutzmittel. Zweitens: Anwendung von Pestiziden in Wasserschutzgebieten nur nach spezieller Prüfung durch die Biologische Bundesanstalt. Drittens: Wegen der Gefährdung ist biologischen Verfahren gegenüber der Anwendung von Pestiziden absoluter Vorrang einzuräumen. Viertens: Gefährdungshaftung.
Wir wissen zwar, daß diese Anträge mehrheitlich abgelehnt werden, denken aber, daß sie bei der nächsten Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes, die sicher nicht in allzu weiter Ferne liegt, von Interesse sein werden.
Werner ({2})
Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Ende der 60er Jahre hat sich im Pflanzenschutz selbst, aber auch in unserer Einstellung zur Schutzbedürftigkeit der Natur vieles grundlegend geändert, so daß die jetzige Neufassung des vor 18 Jahren als richtungweisend anerkannten Pflanzenschutzgesetzes notwendig geworden ist.
Bundesregierung und Bundestag haben sich bei dieser Neufassung die Aufgabe nicht leicht gemacht. Einerseits sind wir von der Notwendigkeit einer langfristigen Sicherung des Pflanzenschutzes überzeugt, andererseits wollen wir mit Nachdruck unserer Verantwortung für Mensch, Tier und Naturhaushalt gerecht werden. Wie die mehrjährigen intensiven Diskussionen mit allen Beteiligten gezeigt haben, war der Weg der Bundesregierung, ein umfassend geändertes Pflanzenschutzgesetz vorzulegen, richtig. Ich weise in diesem Zusammenhang auch auf den bestehenden engen Sachzusammenhang mit der Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung hin.
Die Diskussion über einzelne Änderungserfordernisse unterstreicht eigentlich nur den gemeinsamen Willen aller konstruktiv Beteiligten, ein tragfähiges und zukunftweisendes Konzept zu finden. In diesem Sinne verstehe ich die Änderungsvorschläge der Länder und die Beratungsergebnisse der Ausschüsse des Deutschen Bundestages.
Gestatten Sie mir, hier vor allem für die intensive Beratung im federführenden Ausschuß zu danken. Diese Art der Befassung vermittelt nicht nur mir die Gewißheit, daß dem Pflanzenschutz im deutschen Parlament ein hoher Stellenwert zuerkannt wird, sondern wird mit Sicherheit auch von vielen durch dieses Gesetz direkt Betroffenen mit Dank zur Kenntnis genommen werden.
Ich darf eine ganze kurze Anmerkung zu dem Beitrag von Frau Kollegin Weyel machen. Ich meine, unsere Fußballvereine sollten nicht befürchten müssen, daß sie künftig beim Schutz und der Pflege ihrer englischen Rasen in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden.
({0})
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß das neue Pflanzenschutzgesetz zum vorgesehenen Zeitpunkt, nämlich zum 1. Januar 1987, in Kraft treten wird. Ich hoffe aber auch, daß es auf Grund seiner besonderen Bedeutung möglich sein wird, die Voraussetzungen zum Vollzug des Gesetzes zügig sicherzustellen.
Ich darf noch Herrn Kollegen Bayha, Frau Kollegin Weyel und allen, die das Thema angesprochen
haben, Dank sagen, weil sie darauf hingewiesen haben, daß wir mehr Stellen bei der Biologischen Bundesanstalt in Braunschweig brauchen. Wir appellieren schon heute an den Haushaltsausschuß, die Mittel für diese Stellen zur Verfügung zu stellen, damit der Vollzug dieses Gesetzes, das die internationale Spitzenstellung des deutschen Pflanzenschutzrechts behaupten, festigen und weiter ausbauen wird, gewährleistet ist.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 4 a der Tagesordnung, und zwar über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/1262 in der Ausschußfassung.
Ich rufe § 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5092 unter Nr. 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und auf Drucksache 10/5103 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? ({0})
- Dies ist ein normaler Vorgang. Das darf ich den Zuschauern da oben erklären.
({1})
Es ist kein Grund für irgendeine Beifalls- oder Mißfallenskundgebung oder zum Lachen. - Der Änderungsantrag ist damit mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 1 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - § 1 ist in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Wer wünscht zuzustimmen? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit ist diese Vorschrift angenommen.
Ich rufe § 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5103 unter Nr. 2 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 3 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - § 3 ist mit großer Mehrheit angenommen bei einer Gegenstimme und bei einer Reihe von Enthaltungen.
Ich rufe die §§ 4 und 5 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Vorschriften sind mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 6 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5093 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD
Vizepräsident Westphal
und auf Drucksache 10/5104 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 6 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - § 6 ist in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 7 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5094 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 7 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - § 7 ist in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die §§ 8 bis 12 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den § 13 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5095 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 13 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit Mehrheit ist § 13 in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die §§ 14 bis 18 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 19 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5105 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 19 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit ist der § 19 in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe § 20 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5096 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie auf Drucksache 10/5105 unter Nr. 2 ein Änderungsantrag des Abgeordneten Werner ({2}) von der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den § 20 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit Mehrheit ist § 20 in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die §§ 21 bis 28 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5097 auf. Es wird beantragt, nach § 28 den § 28 a bis 1 einzufügen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5106 auf. Es wird beantragt, nach § 28 einen neuen § 28 a einzufügen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe die §§ 29 bis 42 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Ziffer 2 des Änderungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5092 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt worden.
Es bleibt noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Drucksache 10/5092 unter Ziffer 1 vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Einleitung und die Überschrift sind mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 4 b, die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/4472. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist bei einer größeren Zahl von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten GesetVizepräsident Westphal
zes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
- Drucksache 10/5064 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3})
Innenausschuß Sportausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege ({4})
- Drucksache 10/3628 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5})
Innenausschuß Sportausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Herr von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes kommt die Bundesregierung einer Entschließung des Deutschen Bundestages vom 25. November 1983 nach, in der sie ersucht wurde, eine Gesamtnovellierung des Artenschutzrechtes vorzulegen. In die gleiche Richtung geht eine Entschließung des Bundesrates vom 15. Dezember 1983.
Die vom Deutschen Bundestag gesetzte Frist für die Novellierung, nämlich der 30. September 1984, konnte nicht eingehalten werden. Die zu regelnde Materie hat sich insbesondere in rechtlicher Hinsicht als viel komplexer und schwieriger erwiesen, als das anfangs zu übersehen war. Es galt, das in eine Vielzahl von bundes- und landesrechtlichen Vorschriften völlig zersplitterte Artenschutzrecht in einer bundeseinheitlichen Regelung zusammenzufassen. Dabei war der bisherige Schutzstandard nicht nur zu erhalten, sondern weiter zu verbessern.
({0})
Aus diesem Grunde mußten auch Regelungen des Biotopschutzes in die Novellierung einbezogen werden, da ein sinnvoller Artenschutz ohne die Sicherung der Lebensräume von Pflanzen und Tieren nicht möglich ist.
Zusätzlich erschwert wurde die Aufgabe dadurch, daß unmittelbar geltendes EG-Recht zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen möglichst bundeseinheitlich durchzuführen war und zahlreiche Verflechtungen mit dem Jagdrecht bestehen.
Die Bundesregierung hat von Anfang an großen Wert darauf gelegt, in einen intensiven Dialog mit den betroffenen Verbänden und Fachkreisen zu treten,
({1})
die zum Teil unterschiedliche, ja, in wesentlichen Fragen diametral entgegengesetzte Auffassungen vertreten. Das konnte nur in zeitaufwendigen Anhörungen geschehen.
({2})
Mit den vielfachen dabei vorgebrachten Forderungen und Anregungen hat es sich die Bundesregierung nicht leichtgemacht - im Gegensatz zu dem, was Sie mir gerade aus dem Plenum zurufen. Sie ist allen Argumenten nachgegangen und hat viele Anregungen in den vorliegenden Gesetzentwurf aufgenommen.
Besonders wichtig war der Bundesregierung von Beginn an auch die fachliche Abstimmung mit den Bundesländern. Gerade von den Ländern sind wertvolle Anregungen gekommen, die aufgenommen werden konnten. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme darüber noch hinausgehende Empfehlungen ausgesprochen, denen die Bundesregierung in wesentlichen Punkten zustimmt.
({3})
- Frau Kollegin Blunck, das ist immer so.
({4})
Die Standpunkte der verschiedenen Seiten, insbesondere des Naturschutzes einerseits und des Handels andererseits, sind zu unterschiedlich, als daß ein allgemeiner Konsens zu diesem Gesetzentwurf zu erwarten gewesen wäre. Die Bundesregierung hat sich aber stets darum bemüht, faire Kompromisse zu schließen. Die Verbesserung des Artenschutzes bleibt dabei das ganz vorrangige Anliegen.
({5})
- Ich glaube, das ist eine ziemlich schlimme Polemik, Frau Kollegin Blunck, zu der Sie nach den gemeinsamen Beratungen nicht befugt sind, wie ich meine.
({6})
Der Gesetzentwurf schafft endlich bundeseinheitliches Artenschutzrecht.
({7})
Vor allem die vom Aussterben bedrohten Arten werden endlich wirksam geschützt. Bisher fehlte ein wichtiges Teilstück im System des Artenschutz-rechtes, nämlich eine Ein- und Ausfuhrregelung für besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten, und zwar solche, die nicht im Washingtoner Artenschutzübereinkommen aufgeführt sind. Diese Lücke wird nunmehr endlich geschlossen. Die Haltung und Zucht von Tieren der besonders geschützten Arten und der Handel damit können durch Rechtsverordnung auf der Grundlage des Gesetzes beschränkt bzw. einer Kontrolle unterworfen werden. Dadurch kann künftig den in der Vergangenheit immer wieder beobachteten Mißbräuchen beim Handel mit angeblich gezüchteten, tatsächlich aber illegal aus der Natur entnommenen Tieren, z. B. auch bestimmter heimischer Waldvogelarten, viel besser begegnet werden.
Neu eingeführt wird ein objektives Beschlagnahme- und Einziehungsverfahren, das sich in einigen Bundesländern schon bewährt hat. Das heißt, Exemplare besonders geschützter Arten können bereits dann beschlagnahmt und eingezogen werden, wenn für sie der Nachweis des legalen Besitzes nicht erbracht wird. Ein objektives Beschlagnahme-
und Einziehungsverfahren ist für die Praxis unserer Vollzugsbehörden außerordentlich wichtig. Dies wird den Vollzug des Artenschutzrechtes ganz entscheidend verbessern.
Erstmals, meine Damen und Herren - dies ist für alle außerhalb dieses Hauses, die das angeht, besonders wichtig -, können schwerwiegende Verstöße gegen die Schutzbestimmungen für besonders geschützte Arten als Straftaten geahndet werden, und zwar grundsätzlich mit Freiheitsstrafen. Solche Verstöße können also künftig nicht mehr als Kavaliersdelikte angesehen werden.
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Ich glaube, das ist ganz wichtig, auch wenn man daran denkt, daß die Verdienste z. B. in dem schauderhaften illegalen Greifvogelhandel in die Zehntausende von D-Mark gegangen sind. Hier drohen künftig Freiheitsstrafen.
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Ein weiterer Schwerpunkt des Gesetzentwurfs ist die Verbesserung des Biotopschutzes. Maßnahmen, die zu einer Zerstörung oder Entwertung bestimmter Biotope führen können, die als besonders wertvoll anzusehen sind, sind künftig genehmigungspflichtig. Eine solche Genehmigung darf nur dann erteilt werden, wenn die Maßnahme aus ganz überwiegenden Gründen des Gemeinwohls unumgänglich ist, und sonst nicht. Gerade für den Artenschutz ist die ausdrückliche Festlegung des Gesetzentwurfs auf eine ethische Verantwortung des Menschen für die ihm anvertrauten Naturgüter von Bedeutung.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Blunck?
Gerne.
Herr Staatssekretär, wenn der Biotopschutz Ihnen ein so wichtiges Anliegen ist, warum ändern Sie nicht die Landwirtschaftsklausel, die in diesem Gesetz nicht geändert ist?
Frau Kollegin Blunck, Sie waren ein bißchen zu schnell. Ich komme gleich zu dem Punkt. Seien Sie so geduldig und hören sich das noch an! Dann wissen Sie, welche Meinung ich dazu vertrete.
Ich hatte darauf hingewiesen, daß die ethische Verantwortung des Menschen für die ihm anvertrauten Naturgüter erstmalig im Naturschutzgesetz verankert werden wird. Dies wird dazu beitragen, eine allzu einseitig auf die Interessen des Menschen bezogene Sicht des Naturschutzes, die auch durch mißverständliche Formulierungen des bisher geltenden Rechts begünstigt wurde, zurechtzurükken.
Die Kritik einiger Naturschutzverbände am Gesetzentwurf darf nicht den Blick auf substantielle Verbesserungen des Artenschutzes und des Biotopschutzes gegenüber dem bisher geltenden Recht verstellen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die vorgetragene Kritik - und damit, Frau Kollegin Blunck, komme ich zu Ihnen; es wäre freundlich, wenn Sie zuhören würden ({0})
eigentlich gar nicht so sehr eine Kritik an der Artenschutznovelle ist, sondern daß eben weit darüber hinausgehende Regelungen vermißt werden, z. B. die Streichung oder Revision der Landwirtschaftsklausel und die Einführung einer Verbandsklage. Dazu liegen ja auch Gesetzentwürfe der Oppositionsfraktionen vor.
Zur Verbandsklage und zur Landwirtschaftsklausel habe ich ziemlich genau vor einem Jahr, am 28. Februar 1985, an dieser Stelle namens der Bundesregierung anläßlich der Beratung des ersten Gesetzentwurfs der SPD zu diesem Thema und des damaligen Gesetzentwurfs der GRÜNEN ausführliche Äußerungen gemacht. Ich möchte mich deshalb heute auf einige wenige Bemerkungen beschränken.
Abgesehen von den grundsätzlichen rechtspolitischen Bedenken gegen die Einführung einer Verbandsklage im Naturschutzrecht ist bisher noch nicht der Nachweis erbracht worden, daß die Einführung einer Verbandsklage überhaupt zu einem Abbau des vielfach beklagten Vollzugsdefizits beitragen könnte. Eines aber würde sie auf jeden Fall herstellen, nämlich eine neue Fülle von Bürokratie, gegen die wir uns an anderer Stelle immer wieder gemeinsam aussprechen.
Was die sogenannte Landwirtschaftsklausel betrifft, so bleibt für die Bundesregierung die Überlegung maßgebend, daß wirksamer Naturschutz nicht gegen, sondern nur mit denjenigen möglich ist, die mehr als 80 % der Wirtschaftsfläche unseres Landes als Land- und Forstwirte nutzen.
({1})
Wer glaubt, vom grünen Tisch aus vorschreiben zu können, daß auch ein alter und morscher Baum nicht mehr gefällt werden darf, wird damit nur erreichen, daß auch kein neuer Baum gepflanzt wird.
({2})
Gegen Landwirte kann man Naturschutz nicht machen.
({3})
Das Gebot ist, zu einem Ausgleich der beiderseitigen Interessen zu kommen und sie nicht gegeneinanderzustellen.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß die Vereinheitlichung des Artenschutzrechtes diesen Bereich des Naturschutzes, Artenschutz und Biotopschutz als zentrale Anliegen des Gesetzentwurfs, inhaltlich und auch im Vollzug einen großen Schritt vorwärtsbringen wird. Die Spitzenposition, die die Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet im internationalen Vergleich hat, wird weiter gefestigt; sie wird ausgebaut.
({4})
Ich bedanke mich.
({5})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist inzwischen schon zur schlimmen Tradition geworden, daß, wenn in diesem Parlament Fragen des Natur- und Artenschutzes beraten werden, dies nur unter einem unerträglichen Zeitdruck geschehen kann. Ich erinnere hier nur an die zweimalige Behandlung des Durchführungsgesetzes zur EWG-Verordnung 3626/82. Auch heute, wo es um die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes geht, ist die Zeit wieder außerordentlich knapp, um diese Vorlage auch nur annähernd seriös zu behandeln.
({0})
Wenn ich mir vorstelle, wie diese Novelle mit ihren komplizierten und verwirrenden Einzelregelungen in den bis zur Sommerpause noch verbleibenden wenigen Monaten - danach dürfte wegen des beginnenden Wahlkampfes hier kaum noch etwas laufen - unter Hinzuziehung von Experten eingehend beraten werden soll, dann werde ich den Eindruck nicht los, daß diese Terminnot Methode hat. Der Bundesregierung ist ganz offensichtlich nicht an einer gründlichen und umfassenden Beratung ihres Gesetzentwurfes gelegen.
({1})
Sie möchte ihn vielmehr im Eilverfahren durch die parlamentarischen Gremien drücken,
({2})
damit die Unzulänglichkeiten, Mängel und Fehler nicht allzu offenbar werden.
Ich will hier nicht weiter auf die unrühmliche Vorgeschichte dieser Novelle eingehen, aber eines sei festgestellt: Die Regierung hat weiß Gott genug Zeit gehabt, endlich ein Gesetz vorzulegen, das die Voraussetzungen dafür schafft, dem galoppierenden Raubbau an der Natur und der rapide zunehmenden Ausrottung von vielen Tier- und Pflanzenarten nachdrücklich Einhalt zu gebieten.
({3})
Nur, was sie uns nach langem Hin und Her - und dieses Gesetz ist ja wirklich schön gewandert, hat eine lange Wanderschaft hinter sich; damit ist fast ein ganzes Jahr vergangen - am Montag dieser Woche in die Fächer gelegt hat, wird diesem Anspruch nicht im entferntesten gerecht. Von einem wirksamen Arten- und Naturschutz kann nun wirklich keine Rede sein. Es ist heute unbestritten, daß die moderne Landwirtschaft der mit Abstand wichtigste verantwortliche Faktor für den dramatischen Schwund von Tier- und Pflanzenarten ist; siehe Sondergutachten „Umweltprobleme der Landwirtschaft" vom März 1985, siehe auch einen Bericht, den ich heute im „Handelsblatt" gelesen habe und den ich Ihnen dringend zur Lektüre empfehle.
Die technisierte Arbeitsweise, die Verwandlung riesiger Flächen in Monokulturen, entzieht Tieren und Pflanzen den Lebensraum.
({4})
Der übermäßige Einsatz von Dünge- und Pflanzenbehandlungsmitteln beeinträchtigt den Boden und gefährdet das Trinkwasser.
({5})
Hier soll kein Horrorgemälde gezeichnet werden, und es geht schon gar nicht darum, die Landwirte an den Pranger zu stellen.
({6})
Sie haben unter den Auswirkungen einer verfehlten existenzbedrohenden Agrarpolitik ohnehin schon genug zu leiden.
({7})
Aber wir tun den Landwirten selbst keinen Gefallen, wenn wir weiterhin an der Fiktion festhalten, daß diese Form des zerstörerischen Landbaus eine ordnungsgemäße landwirtschaftliche Boden15456
nutzung ist und nicht als Eingriff in Natur und Landschaft zu verstehen ist.
Die Weigerung der Regierung. die sogenannte Landwirtschaftsklausel zu ändern, macht die ganze Naturschutznovelle unglaubwürdig.
({8})
Wie sollen eigentlich beispielsweise die gefährdeten Biotope wirksam geschützt werden, wenn diese im Rahmen einer ordnungsgemäßen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung beseitigt werden können? Das müssen Sie mir bitte einmal erklären.
Wir Sozialdemokraten haben bei der Einbringung unseres SPD-Gesetzentwurfes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes deutlich gemacht, daß die Landwirtschaftsklausel der zwischenzeitlich erfolgten Entwicklung der Produktionsmethoden in der Landwirtschaft nicht mehr Rechnung trägt und daß sie auch nicht länger den grundsätzlichen Wandel der Einstellung der Bevölkerung zur Wahrung unserer natürlichen Umwelt berücksichtigt und schon gar nicht im Interesse der Bauern ist. Sie kann daher keinen Bestand mehr haben. An dieser Forderung halten wir fest.
({9})
Gänzlich unbeeindruckt zeigt sich die Regierung auch von der alten Forderung der Natur- und Umweltschutzverbände auf Einführung der Verbandsklage. Sie möchte es hier bei den beschränkten Mitwirkungs- und Anhörungsrechten belassen. Dies ist ein Rückschritt gegenüber der Rechtsentwicklung im Ausland, aber auch in einer Reihe von Bundesländern.
({10})
Die Verbandsklage ist die konsequente und dringend erforderliche Fortsetzung der schon bestehenden Mitwirkungsrechte im Naturschutzbereich.
({11})
Alle in der Vergangenheit gegen dieses Rechtsinstrument vorgebrachten Argumente sind in bezug auf den Naturschutz widerlegt worden bzw. haben sich in der Praxis als nicht haltbar erwiesen. Das gilt sowohl für die angebliche Belastung der Verwaltungsgerichte als auch für die angebliche Verzögerung wichtiger Investitionsentscheidungen und für das eben wieder vorgebrachte Argument des Aufbaus einer zusätzlichen Bürokratie.
Die Klagebefugnis für anerkannte Naturschutzverbände gibt diesen das Recht, im öffentlichen Interesse eine Überprüfung bestimmter Verwaltungsentscheidungen durch die Gerichte zu erwirken. Durch die Einführung der Verbandsklage wird die Durchsetzung der Interessen der Allgemeinheit gegenüber Vermögensinteressen entscheidend verbessert. Angesichts des offenkundigen Defizits bei der Wahrung der Interessen des Naturschutzes ist eine stärkere Beachtung der Belange der Allgemeinheit unerläßlich. Auch hier haben wir mit unserem Gesetzentwurf den Weg für eine Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger und damit für mehr Demokratie gewiesen.
Noch ein Wort zu den Schutzvorschriften für besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten. Hier gaukelt uns der Regierungsentwurf mit einem vermeintlichen Gesetzesperfektionismus einen Schutz vor, der bei genauem Hinsehen überhaupt nicht existiert. Zwar werden der Besitz, die Vermarktung und das sonstige Inverkehrbringen verboten; durch die Ausnahmeregelungen wird dieses Verbot in bezug auf die Vermarktung jedoch wieder aufgeweicht.
({12})
Die bittere Erfahrung, die wir mit dem bislang schon geltenden Importverbot gemacht haben, ist bei der Regierung gänzlich ohne Wirkung geblieben. Nach wie vor kommen über dunkle Kanäle Tausende von Produkten vom Aussterben bedrohter Tiere in unser Land. Die Regierung sieht diesem Treiben tatenlos zu, weil ihr angeblich die Hände gebunden sind. Wenn ich daran denke, was in Spanien alles angesammelt wurde und nun nach dem EG-Beitritt legal - die besondere Betonung liegt auf „legal" - in unser Land geschleust wird, dann kann ich über diese Vogel-Strauß-Politik der Regierung nur verärgert den Kopf schütteln. Aber sie betrachtet sich ganz offensichtlich mehr als Interessenvertreterin der einschlägigen Importeure und Händler denn als Sachwalterin der vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenwelt.
Ohne ein uneingeschränktes Vermarktungsverbot, das sich auch auf die Vorerwerbsexemplare beziehen muß, werden wir die Schleichwege nicht versperren können. Erst wenn mit diesen Tier- und Pflanzenarten bei uns kein Geschäft mehr zu machen ist, sind sie vor der Ausrottung sicher.
({13})
Daß die Händler entschädigt werden müssen, ist selbstverständlich. Dabei muß man aber sehr genau darauf achten, daß das nur in den wenigen Fällen passiert, in denen existentielle Härten entstehen, und diese einmaligen Gelder sollte uns der Artenschutz dann auch wert sein.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung kann in dieser Form die wachsende Naturzerstörung nicht bremsen
({14})
und den erschreckenden Artenschwund nicht stoppen.
({15})
Notwendige Neuerungen wie die Verbandsklage und die Änderung der Landwirtschaftsklausel fehlen. Der Entwurf enthält zu viele Ausnahmetatbestände, die das Gesetz nicht praktikabel machen. Er ist eine aufwendige Mogelpackung, die nicht hält, was sie verspricht. Vielleicht schaffen wir es ja im Ausschuß, daraus einen Markenartikel zu machen.
({16})
Wir sind dazu bereit.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Sauter ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Blunck, die Rede, die Sie hier eben gehalten haben,
({0})
war eher für eine Nominierungsversammlung der SPD in Schleswig-Holstein geeignet denn als Sachbeitrag zu dieser Debatte.
({1})
Ich möchte Sie, verehrte Frau Blunck, wenn Sie glauben, wir hätten in den Ausschußberatungen zu wenig Zeit, übrigens einladen, an der Gestaltung dieses Gesetzentwurfes immer aktiv mitzuarbeiten.
Es ist nicht ganz einfach - da gebe ich Ihnen recht -, auf dem Gebiet von Naturschutz und Landschaftspflege gesetzgeberisch tätig zu sein. Erinnern wir uns: Vor zehn Jahren haben wir das Gesetz verabschiedet, und manche haben geglaubt, es sei ein Jahrhundertwerk. Diejenigen, die die Vorgeschichte noch kennen, wissen, wie schwierig es gewesen ist, die Länder auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Frau Blunck, das ist auch ein entscheidender Grund dafür, daß die Vorbereitung dieser Novelle so lange gedauert hat. Wir mußten uns eben mit den Ländern abstimmen, denn es handelt sich beim Naturschutzgesetz um eine Rahmengesetzgebung, zu der wir selbstverständlich auch die Länder brauchen.
Es war damals eine schwierige Geburt, aber ich denke, daß das Gesetz von 1976 seinen Zweck erfüllt hat und daß es sich insgesamt bewährt hat. Dennoch sind wir der Auffassung - und unterstützen da die Meinung der Bundesregierung -, daß wir einige Korrekturen vornehmen müssen. Was die Abschaffung der Landwirtschaftsklausel und die Einführung der Verbandsklage betrifft, so komme ich darauf, wenn die Zeit reicht, nachher noch kurz zu sprechen. Nur, was haben Sie und Ihre Fraktion inzwischen getan? Sie haben einen Gesetzentwurf eingebracht, in dem erstens steht, die Landwirtschaftsklausel wird abgeschafft, und zweitens steht, die Verbandsklage wird eingeführt. Mehr haben Sie dazu eigentlich nicht beigetragen. Ich muß da ausnahmsweise einmal die Kollegen von den GRÜNEN loben; die haben sich mit ihrem Gesetzentwurf ein bißchen mehr angestrengt. So überzeugend ist das, was Sie hier bisher gebracht haben, also nicht.
Ich meine, daß dieser Gesetzentwurf die erfolgreiche Politik zur Bewahrung und Erhaltung der Umwelt, wie die Regierung sie bisher betrieben hat, fortsetzt. Dies ist nach unserer Auffassung konservative Politik im guten Sinne des Wortes.
Ich denke auch, daß darauf hingewiesen werden muß, daß in § 1 des neuen Naturschutzgesetzes ausdrücklich steht, daß die Natur und die Landschaft Werte an sich sind. Dies ist, glaube ich, von erheblicher Bedeutung.
Richtig ist - darauf ist schon hingewiesen worden -, daß wir ein sehr kompliziertes Naturschutzgesetz haben, daß wir das Artenschutzgesetz haben und daß wir eine Reihe von Bestimmungen haben, die dieses ganze Recht unüberschaubar machen. Deshalb ist es notwendig, daß wir hier Klarheit schaffen; denn wir sind der Auffassung, daß gesetzliche Bestimmungen, die vom Bürger nicht mehr überschaut werden können, wirkungslos bleiben. Auch die Verwaltung ist mit der Durchführung dieses Gesetzes überfordert. Wir brauchen aber die Akzeptanz der Bürger, wenn wir aktiv Umweltschutz betreiben wollen.
({2})
Ich denke, daß das, was in den Einfuhr- und Ausfuhrregelungen vorgesehen ist, einen besonderen Schutz für Tiere und Pflanzen darstellt. Die Haltung und Zucht von Tieren der besonders geschützten Arten soll durch Rechtsverordnung begrenzt werden können und von einer Genehmigung abhängig sein. Die Tiere dürfen künftig nicht mehr zu gewerblichen oder privaten Zwecken verkauft, befördert oder zu kommerziellen Zwecken zur Schau gestellt werden. Von dieser schärferen Regelung nicht betroffen sind Tiere, die aus legaler Zucht stammen. Wir wollen aber auch - lassen Sie mich das hinzufügen - verhindern, daß diejenigen, die sich über Jahrzehnte hinweg mit der Haltung und Pflege von Tieren und besonders mit der Haltung und Pflege von Vögeln beschäftigt haben, in irgendeiner Weise diffamiert oder gar kriminalisiert werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
Ich will ein Wort zum Biotopschutz sagen, der hier in besonderer Weise angesprochen worden ist. Ich halte es für wichtig, daß wir den Biotopschutz verstärken. Wir haben in der Vergangenheit negative Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln müssen. Hier sind wir gleichermaßen alle mitschuldig geworden. Ich brauche nur daran zu denken, was im Zusammenhang mit Straßenbaumaßnahmen, mit dem Bau von Kanälen geschehen ist, was in Zusammenhang mit der Be- und Entwässerung geschehen ist, was früher auch im Zusammenhang mit Flurbereinigungsverfahren erfolgt ist. Zum Schluß stand die ausgeräumte Landschaft da. Wir müssen daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen und den Biotopschutz verstärken.
({4})
Aber ich führe in diesem Zusammenhang gleichzeitig an, liebe Kollegen: Wenn es unvermeidliche Eingriffe in die Natur und die Landschaft gibt, kann die Flurbereinigung durchaus ein geeignetes Mittel sein, um unvermeidliche Schäden und Fehler, die begangen worden sind, zu heilen. Ich meine, daß wir die Flurbereinigung aus diesem schiefen Licht herausbringen müssen, in dem sie sich teilweise befindet. Wir haben jetzt Gott sei Dank hervorragende Beispiele dafür, daß die Flurbereinigung durchaus im Interesse des Naturschutzes und der Umweltpflege durchgeführt werden kann und daß die Flurbereinigung einen echten Beitrag zum verstärkten
Sauter ({5})
Biotopschutz leisten kann. Ich glaube, das muß in Zukunft etwas stärker betont werden.
Lassen Sie mich ein Wort zur Verbandsklage sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({6})
Unsere Fraktion lehnt die Verbandsklage ab, weil wir nicht glauben, daß sie einen sinnvollen Beitrag zum verstärkten Naturschutz bringt. Wir haben Beispiele aus Ländern, in denen eine solche Verbandsklage durchgeführt werden kann.
({7})
Ich glaube nicht, daß man den Nachweise führen kann, daß wir dort, wo es diese Verbandsklage gibt, einen verbesserten und verstärkten Naturschutz haben.
Ich füge hinzu, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Verbandsklage beinhaltet unter Umständen auch Mißbrauch. Wer beispielsweise gegen eine notwendige Umgehungsstraße die Verbandsklage als Instrument einführt und nicht an die Menschen denkt, die unter der Last des Verkehrs dort zu leiden haben, der handelt nicht dem Allgemeinwohl entsprechend.
({8})
Das zweite, was ich sagen will, ist ein Wort zur Landwirtschaftsklausel. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt Diskussionen über die Abschaffung der Landwirtschaftsklausel. Auch unser Koalitionspartner wird dazu noch eine Anmerkung machen. Wenn ich es richtig sehe, ist die FDP der Meinung, daß diese Klausel verändert, nicht abgeschafft werden soll. Von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Opposition, ist eben eine Abschaffung dieser Klausel vorgesehen. Ich denke, wir sollten uns den Text des geltenden Gesetzes ein bißchen genauer ansehen. Dort steht, daß die ordnungsgemäße Bewirtschaftung durchaus im Interesse der Umwelt durchgeführt werden kann. Nun ist die Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren, ob wir an die Stelle dieses unbestimmten Rechtsbegriffes andere unbestimmte Rechtsbegriffe wie umweltfreundlich, umweltgemäß oder ähnliche Dinge mehr wählen sollen. Schaffen wir dadurch nicht zusätzliche Unsicherheiten? Ich glaube, durch einen anderen unbestimmten Rechtsbegriff wird den Interessen nicht besser gedient, sondern es erfolgt eine zusätzliche Verunsicherung innerhalb der Landwirtschaft und eine zusätzliche Unruhe.
Wir müssen uns über eine Neudefinierung bei dieser Problematik sehr gründlich unterhalten. Ich meine, wir sollten bei der jetzigen Formulierung bleiben und uns eine Klärung, falls überhaupt notwendig, in Ruhe überlegen. Wer die Landwirtschaft ordnungsgemäß betrieben hat - jetzt gebrauche ich diesen Begriff -,
({9})
der hat in der Vergangenheit einen Beitrag zur Landschaftspflege und zum Umweltschutz geleistet. Lassen Sie mich hinzufügen: Wenn jemand immer in Generationen und für kommende Generationen gedacht und gehandelt hat, dann waren und sind es unsere Landwirte.
({10})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, es tut mir leid. Ich habe nur noch eine Minute und bitte daher um Nachsicht.
({0})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen, daß nach unserer Auffassung der bäuerliche Familienbetrieb, wie er in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa gewachsen ist, am ehesten Gewähr dafür bietet, daß eine vernünftige und umweltgemäße Landbewirtschaftung betrieben wird. Natur- und Umweltschutz sind für die Union eine ständige Aufgabe und eine ständige Herausforderung. Wir wollen diese Politik - da stimme ich dem Herrn Staatssekretär zu - nicht ohne oder gar gegen die Landwirte machen. Die bäuerlichen Familienbetriebe sind am ehesten in der Lage, aktiv an der Zielsetzung des Bundesnaturschutzgesetzes mitzuwirken.
({1})
Agrarfabriken sind eine Gefahr für die Umwelt.
({2})
Eine umfassende Novellierung des Naturschutzrechts kann nicht übers Knie gebrochen werden. CDU und CSU werden eine weitreichende Änderung dieser Gesetzgebung in aller Ruhe angehen. Korrekturen jedweder Art werden wir mit der Landwirtschaft eingehend erörtern.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir wollen erreichen, daß die Ziele dieses Gesetzes von allen Bürgern gemeinsam angestrebt werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Werner ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß es uns gelungen ist, die Bundesregierung dazu anzuregen, nun endlich auch ihren Entwurf zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes einzubringen. Er ist ja inzwischen 17 Monate überfällig. Zumindest hat es nun ein Ende mit Ihrer Verschleppungstaktik, Herr Staatssekretär. Damit haben Sie sich sowieso einen Bärendienst erwiesen. Sie hatten wohl gehofft, dieser Bundestag werde seine einstimmigen Beschlüsse vom November 1983 einfach
Werner ({0})
vergessen, die Befristungsklausel aus dem Durchführungsgesetz zur Washingtoner Artenschutzverordnung der EG ersatzlos aufheben, und Sie könnten sich anstandslos aus Ihrer politischen Verpflichtung mogeln. Daraus ist nichts geworden. Nun bekommen Sie die Auseinandersetzung um das Bundesnaturschutzgesetz mitten im Wahlkampfjahr 1986. Uns kann das nur recht sein.
({1})
Ihrem Entwurf, Herr Staatssekretär, eilt ein sehr schlechter Ruf voraus. Die Naturschutzverbände sprechen schlicht von der „Artentod-Novelle" und werden sich auch gewiß nicht mit den paar Retuschen zufriedengeben, die mittlerweile angebracht worden sind. Durch Ihr ganzes kunstvolles Geflecht von Verboten, Ausnahmen, Ausnahmen von den Ausnahmen, Unberührtheitsklauseln und Ermächtigungen läßt sich niemand mehr ins Bockshorn jagen.
Die Absicht hinter diesem Brimborium bleibt offensichtlich: Sie wollen alle bewährten Hintertüren zur Legalisierung illegaler Einfuhren höchst gefährdeter Tier- und Pflanzenarten in die EG offenlassen. Sie werden sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, daß Sie mit Ihrem Entwurf die Vollziehbarkeit und die Kontrollierbarkeit internationaler Artenschutzübereinkommen bewußt und gezielt weiter verhindern wollen.
({2})
Die Stumpfheit und Mißbrauchsanfälligkeit des deutschen Artenschutzrechtes sind der Grund dafür, daß sich die Bundesrepublik in den letzten Jahren zur Drehscheibe des internationalen Plünderungsfeldzuges gegen die Tier- und Pflanzenwelt, vor allem in der Dritten Welt, zum Tummelplatz von Geschäftemachern der finstersten Sorte, wenn auch häufig mit schön dekorierten Schaufenstern entwickelt hat. Die Verhältnisse kann man nur noch mit dem Drogenhandel vergleichen - hier und in den Ursprungsländern.
Wenn Sie das bestreiten wollen, Herr Staatssekretär, dann kann ich Ihnen die Geschichte von den 40 000 Ozelotfellen erzählen, die illegal nach Frankreich eingeführt, in die Bundesrepublik weiterverfrachtet und dort auf Ihre ausdrückliche Weisung hin mit ordnungsgemäßen Papieren versehen wurden. Über diesen Vorgang hat sich sogar der baden-württembergische Umweltminister Weiser bei Herrn Kiechle brieflich beschwert und bezweifelt, daß es in Ihrem Haus mit rechten Dingen zugeht.
({3})
Das ist keineswegs der einzige Fall dubioser Legalisierungspraktiken Ihrer Behörde. Illegal ist er aber nicht gewesen, und illegal wäre er auch nicht auf Grund der Vorschriften, die in Ihrem Entwurf stehen.
Angesichts dieser grotesken Zustände wäre es bereits ein Riesenfortschritt, wenn das deutsche Artenschutzrecht wenigstens auf das Niveau der EG-Vorschriften angehoben würde. Genau das haben wir im letzten Abschnitt unseres Entwurfs getan. Es dürfte Ihnen schwerfallen, an diesen Vorschlägen vorbeizukommen.
({4})
Und, Herr Staatssekretär, sind die paar dürren Vorschläge zur Verbesserung des Flächenschutzes in Ihren Entwurf etwa die Ergebnisse der Vorarbeiten zu einem „Biotopschutzprogramm" der Bundesregierung, von dem der Herr Kiechle schon vor zweieinhalb Jahren verheißungsvoll gesprochen hat? Wo bleibt denn da der sonst doch überall so hektische Eifer dieser Koalition, den berühmten Schutt der 13 Jahre wegzuräumen, den die vorherige Regierung hinterlassen hat?
Viel wäre es j a nicht; nur das Bundesnaturschutzgesetz müßte umfassend novelliert werden. Seine Geltungsdauer fällt nämlich genau mit jenem Jahrzehnt zusammen, in dem nach der Einsicht des Vorsitzenden des Umweltausschusses des Bayerischen Landtages, Alois Glück, „trotz vielfältiger Anstrengungen und erheblicher Konflikte der Artenschwund dramatisch weiterging".
Es muß wohl etwas mit der Rechtslage zu tun haben, daß der Artenschutz - wiederum Originalton Glück - „eine der ganz wenigen Aufgaben des Umweltschutzes ist, wo kaum ein Stopp der negativen Entwicklung, geschweige denn eine Trendwende erreicht werden konnte". Schwärzer können auch wir nicht malen.
Hören Sie also, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, auf den Alarmruf Ihres bayerischen Parteifreundes, und gehen Sie ran an die Knackpunkte des Naturschutzrechtes!
Wir haben eine Vielzahl von Vorschlägen in unserem Entwurf dazu vorgelegt, und einige davon dekken sich sogar mit den Vorstellungen des Deutschen Beamtenbundes. Der hat es offenbar satt, daß die Naturschutzbeamten in der Öffentlichkeit ausbaden müssen, was die Politiker verschlampt haben.
Es sollte jetzt niemand mit dem albernen Märchen von den guten Gesetzen und dem leider noch immer vorhandenen Vollzugsdefizit und auch nicht mit der Ausrede kommen, daß dieses Vollzugsdefizit die Länder zu verantworten hätten. Alle Ländergesetze fußen inzwischen auf dem Bundesnaturschutzgesetz, sind also höchstens genauso schlecht wie dieses.
({5})
Mittlerweile weiß jeder, der im Naturschutz tätig und engagiert ist - und am besten wissen es die frustrierten Beamten der Naturschutzbehörden -, daß das verheerende Vollzugsdefizit in das Naturschutzrecht selbst eingebaut ist.
({6})
Herr Staatssekretär, Sie haben das bestätigt bekommen durch die Ergebnisse zweier Studien über „Vollzugsdefizite im Naturschutz", die das BML selbst in Auftrag gegeben hatte. Da steht es schwarz auf weiß und empirisch vielfach belegt: Von einem Vollzugsdefizit kann überhaupt keine Rede sein in bezug auf Gesetze, die eine so geringe
Werner ({7})
Bindungswirkung für das Verwaltungshandeln entfalten wie das Naturschutzrecht - auf Gesetze also, die im wesentlichen aus Ermessensspielräumen bestehen und deren Vollzug jeder politischen Einflußnahme sperrangelweit offensteht.
Man kann die Schwächen des Naturschutzrechts, dessen Grundlage das Bundesnaturschutzgesetz ist, auch einfach so beschreiben: Ein Naturschutzgesetz, in dessen Rahmen der Bau des Saar-Kanals, des Rhein-Main-Donau-Kanals, des Dollarthafens, die Eindeichung der Leibucht, die Zerstörung des Orsoyer Rheinbogens, der Ausbau der Donau zur Großschiffahrtsstraße etc. etc. nicht aufzuhalten ist, ist schlicht wertlos.
({8})
Kein privater Projektträger, keine der vielen destruktiven öffentlichen Hände der Eingriffsverwaltung brauchen das Naturschutzrecht ernsthaft zu fürchten.
Die Naturschutzbeamten und anerkannte Naturschutzverbände dürfen ihre Bedenken vortragen, ihre Stellungnahmen abliefern, kosmetische Vorschläge ausarbeiten, die Architektenpetersilie arrangieren und im übrigen die Ausweisung neuer Naturschutzgebiete betreiben, auf daß deren Anteil an der Landesfläche von 0,99 auf 1,01 Prozent steige. Das, meine Damen und Herren, ist das eigentliche Vollzugsdefizit. Es steckt vor allem in den Landwirtschaftsklauseln, in den Bestimmungen über Eingriffe in Natur und Landwirtschaft und in den Lücken des Artenschutzrechts.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rumpf?
Ja, natürlich.
Herr Kollege Werner, ich habe Ihren Gesetzentwurf hier vorliegen. Ist es richtig, daß Sie die Hausmaus, die Feldmaus und andere Tiere, etwa das Kaninchen, auf die Liste der besonders geschützten einheimischen europäischen Tier-
und Pflanzenarten gesetzt haben?
({0})
Ich will Ihnen sagen,
({0})
mit Sicherheit haben auch diese Tiere im Naturhaushalt ihre Bedeutung.
({1})
Wenn Sie meinen, daß Sie ein Tier, was für uns gerade kein Nützling ist, als Schädling ausrotten sollten, daß es verschwinden sollte, dann sind Sie auf einer total falschen Linie. Ich würde da nicht mitmachen.
({2})
Meine Damen und Herren, das ist das eigentliche Vollzugsdefizit. Es ist wirklich fraglich, ob unter solchen Umständen das Verbandsklagerecht allein wirklich greifen könnte, das wir fordern und das die SPD seit zwei Jahren auch ein bißchen wollen muß.
Es sollte bei allen Naturschutzparagraphen auch die Frage erlaubt sein: Gehört die Gattung Mensch zur Natur, ist sie ein Teil davon, oder müssen alle menschlichen Erwerbstätigkeiten naturzerstörend sein? Erst die Landwirtschaft früherer Jahrhunderte in unserem Raum hat die große Artenvielfalt hervorgebracht, die heute durch eine nicht im Einklang mit der Natur produzierende Agrarwirtschaft wieder zerstört wird. Wir werden in einer zerstörten Natur als Spezies Mensch kaum überleben können.
Wir haben deshalb in unserem Gesetzentwurf versucht, Regelungen zu entwickeln, die dem Naturschutzrecht endlich die nötige materielle Substanz und die erforderlichen Umsetzungsbestimmungen verleihen, ohne daß dadurch die Grenzen eines Rahmengesetzes überschritten würden.
Wir erwarten eine konstruktive Auseinandersetzung.
Ich danke Ihnen.
({3})
Ich rufe den Abgeordneten Paintner zu seiner Rede auf. Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
Sie müssen den Abgeordneten erst einmal reden lassen. Dann können Sie eine Zwischenfrage stellen.
Naturschutz und Landschaftspflege sind ein sehr wichtiger Bereich der Umweltpolitik. Zentrale Aufgabe von Naturschutz und Landschaftspflege ist es, die Existenz der wildlebenden Pflanzen- und Tierarten zu gewährleisten. Leider sind in diesem Bereich nicht so große Fortschritte zu verzeichnen wie in anderen Umweltschutzbereichen. Der Bestand an wildlebenden Pflanzen- und Tierarten geht weiter kontinuierlich zurück. Nach den Roten Listen sind in der Bundesrepublik Deutschland mehr als die Hälfte aller Tierarten und ein Drittel der Farn- und Blütenpflanzen gefährdet. Die Gefährdung ist insbesondere auf die Zerstörung oder Entwertung der Lebensräume wildlebender Pflanzen- und Tierarten zurückzuführen.
Leider wird immer noch nicht voll erkannt, daß die Gefährdung von Pflanzen- und Tierarten mit unwiederbringlichen Verlusten verbunden ist. Wenn eine Pflanzen- oder Tierart ausgestorben ist, ist das endgültig. Sie kann nicht wieder zurückgePaintner
bracht werden. Wir können uns den weiteren Verlust von Pflanzen- und Tierarten aus ethischen und ökologischen Gründen nicht leisten. Selbst wirtschaftliche Gründe sprechen dagegen, daß Pflanzen- und Tierarten aussterben; denn jede Pflanzen-
und Tierart enthält ein einmaliges Genpotential, das auch für eine spätere wirtschaftliche Nutzung geeignet sein kann.
({0})
Mir ist natürlich bekannt, daß der Bund im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege nur eine Rahmengesetzgebungskompetenz hat. Gerade der für die Erhaltung wildlebender Pflanzen-
und Tierarten wichtige Biotopschutz liegt überwiegend in der Zuständigkeit der Länder. Dennoch muß der Bund alle Möglichkeiten nutzen, um den Rechtsetzungsrahmen voll auszunutzen und Naturschutz und Landschaftspflege zu fördern. Ich begrüße deshalb den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes.
({1})
- Der Gesetzentwurf ist notwendig, Herr Müller, um EG-Recht umzusetzen und das dazu ergangene Übergangsgesetz abzulösen. Ich begrüße ausdrücklich, daß der Gesetzentwurf auch darüber hinausgehende Regelungen enthält.
Besonders wichtig erscheint mir, daß die Länder verpflichtet werden sollen, Arten- und Biotopschutzprogramme aufzustellen. Noch bedeutender erscheint mir das grundsätzliche Veränderungsverbot für besonders gefährdete Biotope. Hier sollte sehr schnell und sorgfältig geprüft werden, ob die von der Bundesregierung vorgesehene Regelung ausreicht oder ob es möglich ist, noch mehr gefährdete Biotope einer grundsätzlichen Veränderungssperre zu unterwerfen. Ein noch weitgehenderer Schutz wertvoller Biotope könnte sehr wirkungsvoll sein, weil damit ein unmittelbarer und sofort wirkender Schutz für solche Biotope eintreten würde.
Wir können den vorgesehenen Regelungen über die kommerzielle Verwertung von Tieren und Pflanzen sowie die Haltung und Zucht von Tieren weitgehend zustimmen. Aber wir werden dies in den Ausschüssen sicherlich eingehend beraten.
Zu der vieldiskutierten Landwirtschaftsklausel möchte ich sagen, daß die rechtliche und tatsächliche Wirkung dieser Klausel meist überschätzt wird. Aber sie belastet das Verhältnis zwischen Naturschützern und Landwirten und erschwert eine sachliche Diskussion.
({2})
- Diese Diskussion, Herr Müller, muß aber unbedingt versachlicht werden, weil das eine Voraussetzung für eine vernünftige Kooperation ist. Ohne eine Kooperation zwischen Naturschützern und
Landwirten wird es keinen Fortschritt im Naturschutz geben.
({3})
Darum, meine ich, ist es so unheimlich wichtig, daß gerade Natur- und Landschaftsschützer draußen im Lande als Partner und nicht gegeneinander, so als halbe grüne Polizisten, auftreten.
Uns geht es nicht um eine Streichung dieser Klausel
({4})
- passen Sie nur auf, Herr Müller -, sondern um eine Änderung. Es ist unbestreitbar, daß die Land-und Forstwirtschaft bei Naturschutzvorhaben einer besonderen Beachtung bedarf, weil sie mit der Erzeugung von Nahrungsmitteln eine lebenswichtige Aufgabe erfüllt und eine zentrale Bedeutung für die Erhaltung der Kultur- und Erholungslandschaft hat. Diese Tatsachen müssen weiter bei der Abwägung mit Belangen des Naturschutzes hervorgehoben werden. Andererseits muß eindeutig klar sein, daß auch die Landwirtschaft das Naturschutzrecht voll beachten muß. Über solch eine Änderung der Landwirtschaftsklausel sollten wir in den Ausschüssen ohne Voreingenommenheit sprechen.
Ein heikles Thema ist sicherlich die Verbandsklage. Sie wissen, daß wir, die FDP,
({5})
diese Verbandsklage wollen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Verbandsklage nicht vor. Wir sehen, daß uns unser Koalitionspartner in dieser Frage nicht folgen kann, wie vorhin schon Herr Sauter angedeutet hat.
({6})
Wir wollen unseren Koalitionspartner insofern nicht überfordern, und wir werden dies auch in den Ausschüssen nicht zur Debatte stellen; denn wir sind der Meinung: Kompromisse sind in einer Koalition notwendig, weil man sonst nicht regieren kann.
Ich bedanke mich bei der Bundesregierung, daß sie diesen Gesetzentwurf nun endlich vorgelegt hat. Man könnte sicherlich der Meinung sein: Man kennt sich mit der Opposition nicht richtig aus; denn Frau Blunck meinte, es gehe zu schnell, und der Sprecher der GRÜNEN, es geht zu langsam, diese Sache werde verschleppt.
({7})
Es hat sicherlich etwas länger gedauert, als wir es uns erhofft hatten. Aber eine sorgfältige Vorbereitung dient sicherlich der Sache.
({8})
Wir sollten den Beratungen in den Ausschüssen nichts in den Weg stellen. Wir sollten unverzüglich
beginnen, damit der Gesetzentwurf so schnell wie möglich verabschiedet werden kann.
({9})
Das Wort zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung - zur direkten Erwiderung - hat der Abgeordnete Schulte ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank dafür, daß Sie mir die Gelegenheit geben, einen entscheidenden Punkt zurechtzurücken und deutlich zu machen.
Herr Rumpf, Sie haben soeben den Abgeordneten Werner von unserer Fraktion gefragt, ob er mit unserem Gesetzentwurf in dem Punkt übereinstimmt, daß auch die Feldmaus - Sie nannten auch andere Tiere - als besonders schützenswert ausgewiesen wird. Damit beziehen Sie sich auf die Anlage zu § 20c des Gesetzes, die Gegenstand unseres Gesetzentwurfes ist. Darin fordern wir, daß einheimische Tier- und Pflanzenarten, die wegen der Bedrohung ihres Bestandes besonders gefährdet sind, unter einen speziellen Schutz gestellt werden sollen. Herr Rumpf, ich bitte Sie, sich noch einmal kräftig die Augen zu reiben und nachzulesen, daß in unserem Entwurf der Anlage geschrieben steht, daß alle Säugetiere besonders geschützt werden sollen; davon soll es aber Ausnahmen geben. Erst dann werden die Tiere aufgelistet, von denen Sie gesprochen haben. Das ist also genau das Gegenteil.
Ich möchte der Antwort, die mein Kollege gegeben hat, noch eines hinzufügen: Es ist natürlich richtig - das hat er auch gesagt -, daß auch die Tiere, die wir nicht besonders schützen wollen, dennoch einen hohen Stellenwert haben und eine wichtige Funktion im Haushalt der Natur erfüllen. Es würde mich freuen, wenn Sie und Ihre Kollegen in der Koalition endlich einmal zur Kenntnis nähmen, daß alle bei uns lebenden Tier- und Pflanzenarten ihren berechtigten Platz im Öko-System haben und daß wir eine Agrar- und Naturschutzpolitik betreiben, die darauf hinausläuft, daß alle Tier- und Pflanzenarten erhalten bleiben.
({0})
War's das?
Ich lasse die Frage zu.
Es ist im Augenblick nicht möglich, dazu Zwischenfragen zu stellen. - Sind Sie nun am Ende, Herr Schulte?
Gut, wenn er keine Frage mehr hat.
({0})
Herr Abgeordneter Rumpf hat ebenfalls das Wort zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung erbeten. Ich erteile Ihnen das Wort, bitte schön.
Herr Schulte, Sie haben erkannt, daß meine Frage lautete: Trifft es zu, daß ... Daraufhin hat Ihr Kollege Werner gesagt: Ja, es trifft zu,
({0})
die Feldmaus soll geschützt werden. Genau das ist ja der Punkt. Wenn Sie jetzt aber andersherum argumentieren, dann frage ich Sie: Warum lassen Sie denn den Hermelin, das Mauswiesel und andere seltene Tierarten hier stehen? Irgendwie haben Sie sich in dem Netz Ihrer eigenen Argumentation verheddert.
Vielen Dank.
Der Präsident schlägt vor, diese Debatte im Ausschuß weiterzuführen.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/5064 und 10/3628 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kastning, Kuhlwein, Bernrath, Frau Odendahl, Peter ({1}), Weisskirchen ({2}), Vogelsang, Dr. Penner, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Neue Informations- und Kommunikationstechnologien und Bildung
- Drucksache 10/4580 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({3}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Wir treten in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Kastning.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zudem vorliegenden Antrag einige grundsätzliche Anmerkungen machen.
Wir gehen davon aus, daß die fortschreitende Entwicklung und Anwendung der neuen Informations-
und Kommunikationstechnologien hohe Anforderungen an das gesamte Bildungssystem stellen, und wir möchten deshalb mit diesem Antrag einige Bereiche und auch ein paar wichtige Fragen ansprechen.
In der Diskussion wird seit geraumer Zeit von manchen forschen Technologiegläubigen z. B. die Frage aufgeworfen, ob die Schule nicht bereits hinter der Entwicklung herhinke. In der Tat besteht bei vielen Schülern ein großes persönliches Interesse an Computerbildung der verschiedensten Art in der Schule, und erste Ergebnisse von Untersuchungen deuten ebenfalls in diese Richtung. Die Ursachen dürften unter anderem darin zu suchen sein, daß der Computermarkt bereits weit in den Privat- und Freizeitbereich vorgedrungen ist und daß durch vorhandene Geräte im Elternhaus wie auch in vielen Schulen bereits nachträglich schwer zu beeinflussende Fakten geschaffen wurden. Das deutet auf eine Seite des gegenwärtigen Systems der Bildungspolitik hin.
Die Industrie hat es - auch mit Unterstützung der Bundesregierung geschafft, das allgemeinbildende Schulwesen mit Computern anzureichern. Da taucht die Frage auf, ob denn nicht in den Augen mancher die Schule zuallererst als Teil eines Marktes gesehen und ökonomischen Gesichtspunkten untergeordnet wird, ohne ausreichend schul-
und bildungsspezifische Elemente zu berücksichtigen.
({0})
Zukunftsorientierte Bildung, meine Damen und Herren, darf sich aber unter keinen Umständen auf den Umgang mit zur Zeit marktgängigen Geräten beschränken oder vorrangig eine bestimmte Markttreue später einmal erwachsener Gerätebenutzer bewirken.
({1})
Deshalb weise ich noch einmal darauf hin: Eine zwar zügige, aber dennoch gründliche Pädagogisierung der gesamten Problematik muß Vorrang vor einer unbedachten technischen Überfrachtung unserer Bildungsstätten haben.
({2})
Unser Antrag ist Ergebnis einer längeren Beobachtung der Entwicklung, aber auch einer im vorigen Jahr durchgeführten Expertenanhörung. In dieser Anhörung hat sich ergeben, daß sich alle Experten damals von denjenigen distanziert haben, die dem Bildungssystem kurzfristig die neuen Technologien aufpfropfen wollen, ohne über Voraussetzungen und Folgen ausreichend nachzudenken. Die Schule dürfe nicht zum Spielball von ungesteuerten Entwicklungen werden, hieß es damals unter dem Strich.
Ich freue mich darüber, daß in der öffentlichen Diskussion weitgehend Übereinstimmung darin herrscht, daß auch in Zukunft die traditionellen Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen nicht an Bedeutung verlieren sondern zunehmen. Ich wünsche mir, solche Übereinstimmung herrschte auch im Hinblick auf die Bildungsziele; denn zum Bildungsauftrag muß angesichts der neuen Entwicklung nach wie vor gehören, zum Ausgleich von Bildungs- und Lebenschancen beizutragen, die persönliche Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu fördern und die Verhältnisse
mindestens so weit durchschaubar zu machen, daß für junge Menschen Chancen zur Mitgestaltung eröffnet werden.
({3})
Wir müssen wohl auch zur Kenntnis nehmen, daß Chancengleichheit im Sozialzusammenhang wie auch unter den Geschlechtern in Zukunft erheblich durch den gleichen Zugang zu Information und Informationstechnologien bestimmt wird. Deswegen darf die Schule die Augen vor dieser Entwicklung selbstverständlich nicht verschließen.
Ich warne aber davor, Schule und Bildung darauf zu begrenzen, nur die Akzeptanz neuer Technologien zu sichern. Die bloße Vermittlung einer Art von Computerführerschein, wie dies mitunter anklingt, ist kein bildungspolitischer Beitrag für die Gestaltung der Zukunft.
({4})
Es ist grundsätzlich zu begrüßen, daß sich im vergangenen Jahr Bund und Länder auf ein gemeinsames Rahmenkonzept für die informationstechnische Bildung in Schule und Ausbildung verständigt haben. Wenngleich ein Rahmenkonzept erfahrungsgemäß unterschiedliche Entwicklungen zuläßt, müßte es dennoch möglich sein, in einer Reihe von Punkten übereinstimmend weiter vorzugehen. Auf Grund der begrenzten Redezeit will ich nur einige andeuten, die j a auch schon in Beratungen des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft eine Rolle gespielt haben.
Erstens. Wenn Bildung auf die vielfältige und zunehmend durch den Einsatz der neuen Technologien geprägte außerschulische Wirklichkeit vorbereiten soll, darf sie nicht zu früh spezialisiert werden.
({5})
Sie darf nicht auf den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich oder etwa gar ausschließlich auf ein Fach Informatik beschränkt werden. Sie müßte wohl auch für alle Schüler stattfinden, wenn nicht neue Differenzierungen im Blick auf Chancen erfolgen sollen.
({6})
Zweitens. Wir denken auch, daß es die Schwierigkeit der Materie gebietet, Kriterien bzw. ein staatliches Zulassungsverfahren für Hard- und Software einzuführen. Es geht ja um Unterrichtsmaterial und nicht nur um ein technisches Gerät.
Drittens. Das dürfte eigentlich auch unumstritten sein: Die Lehreraus- und fortbildung muß mit Nachdruck vorangetrieben werden.
Viertens. Berufliche Bildung, die junge Menschen dazu befähigen soll, sich auf immer neue Anforderungen im Berufs- und Arbeitsleben einzustellen und an der Gestaltung der Arbeitswelt mitzuwirken - darauf legen wir Wert -, muß eine breite Grundbildung vermitteln. Spezialwissen gehört wohl immer stärker in die Weiterbildung.
Weiterbildung aber - und das als fünfter Punkt - wird zunehmend als integraler Bestandteil beruflicher Qualifikation angesehen werden müssen; denn sie beginnt häufig unmittelbar nach dem Übergang aus der beruflichen Erstausbildung in das erste Arbeitsverhältnis. Daraus folgt für uns, daß bei der Neubestimmung von Inhalten und Zielen der Erstausbildung dem Aspekt der Grundlegung für Weiterbildungsaktivitäten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muß.
Ich freue mich darüber, daß der erste und der letztgenannte Punkt bereits in einer Stellungnahme des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zum Bericht der Bundesregierung zur Informationstechnik die Zustimmung auch der Kolleginnen und Kollegen von der Koalition gefunden haben. Wir unterstützen auch ausdrücklich - wir haben das ja auch in diesen Beratungen als Forderung aufgestellt - die in derselben Stellungnahme enthaltene Aufforderung an die Bundesregierung, im Hinblick auf den unterschiedlichen Planungsstand und Ausbau der informationstechnischen Bildung in den Schulen darauf hinzuwirken, daß es zu einer gleichmäßigeren Entwicklung im Bundesgebiet kommt. Wir sind allerdings - das möchte ich unterstreichen - nicht bereit, von bestimmten bildungspolitischen und pädagogischen Mindestkriterien abzuweichen. Die Einheitlichkeit bzw. die Gleichwertigkeit der Maßnahmen darf nicht dazu dienen, etwa das, was ich mit dem Stichwort Computerführerschein skizziert habe, gewissermaßen unter dieser umfassenden Decke anzustreben.
Wir möchten mit unserer Initiative für einen Bericht der Bundesregierung dazu beitragen, den gegenwärtigen Entwicklungsstand durchschaubarer zu machen, um einmal eine zusätzliche Diskussionsgrundlage für alle am Bildungswesen Beteiligten - von den Eltern bis hin zu den kommunalen Schulträgern - zu schaffen. Wir möchten dann auch an Hand der Fakten eine Meßlatte haben, um mit Hilfe dieser Meßlatte feststellen zu können, wie die Wirklichkeit tatsächlich aussieht. Schule und Bildung dürfen jedenfalls nicht zur Hilfsinstitution für die Ausfüllung rein ökonomischer Vorgaben verkümmern.
({7})
In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung unserer Initiative. Angesichts der - nach dem Vorschlag des Ältestenrates - Vielzahl zu beteiligender Ausschüsse gestatten Sie mir auch die Bitte um eine zügige weitere Beratung, damit die Bundesregierung die Fakten zusammentragen kann.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schemken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kastning, mit Ihrem Einstieg bei der Begründung Ihres Antrags schränken Sie den Bereich wieder etwas ein. Ich meine, unsere Gesellschaft muß begreifen, daß die Informations- und Kommunikationstechnologie die Chance gewährt, eine Reihe von Problemen
menschlicher, wirtschaftlicher, aber auch sozialer Natur zu lösen.
Die bisherige Diskussion hat sich vielfach an dem Glaubensbekenntnis des Für und Wider orientiert. Eine Ideologisierung hilft gerade auf diesem Gebiet nicht weiter. Durch neue Kommunikationstechnologien kann z. B. das Bildungsangebot an jedem Ort gesteigert werden; denn wer auf dem Lande lebt, muß nicht mehr unbedingt die bekannten Nachteile in Kauf nehmen. Zum Beispiel kann das StadtLand-Gefälle abgebaut werden, große Verwaltungseinrichtungen werden überflüssig, die Einheit zwischen Wohnen und Arbeitsplatz kann in vielen Fällen wiederhergestellt werden.
({0})
- Gerade auch Arbeitsplätze für Frauen, weil die Aufgaben mit moderner Technologie ganz anders bewältigt werden kann, und sicherlich bietet sich auf diesem Gebiet die Möglichkeit, daß wir Arbeitsplätze für Frauen erschließen.
({1})
Wir begrüßen deshalb, daß sich der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai ausdrücklich, entgegen anderen Bundeskanzlern - da hilft auch kein Kongreß mit Technikern und Ingenieuren -,
({2})
mit der Kommunikationstechnologie auseinandergesetzt hat.
({3})
- Auch ich habe nur eine beschränkte Redezeit; ich möchte keine Zwischenfragen zulassen.
Die Bundesregierung hat Wort gehalten und mit Bericht über Unterrichtungs- und Informationstechnik am 11. April 1984 eine umfassende Darstellung der Problematik und der Zukunftsperspektiven gegeben. Nun steht eine Fortschreibung dieses Berichtes an. Dazu ist festzuhalten, daß uns ein fortgeschriebener Bericht noch vor den Sommerferien vorgelegt wird, und wir können daran weiterarbeiten. Wir haben das auch schon im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft getan.
Nun bezieht sich dieser SPD-Antrag, meine Damen und Herren, in weiten Teilen auf die Schulpolitik, und das ist Ländersache. Es bietet sich hier in der Konsequenz an, einmal zu vergleichen, wie es dort aussieht. Da stelle ich fest, daß zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine große Lücke klafft, was z. B. das Land Nordrhein-Westfalen und die dortigen Bildungschancen angeht. Die Bildungspolitiker im Lande Nordrhein-Westfalen haben es in der Vergangenheit offenbar nicht verstanden, die Menschen an Rhein und Ruhr ausreichend auf diese Herausforderung - Herr Kastning, Sie möchten ja die Vorbereitung - durch die modernen Technologien vorzubereiten.
({4})
Ich will das einmal in Zahlen ausdrücken: Gerade das Land Nordhrein-Westfalen hinkt hier nach. In den Jahren 1982 und 1983 wurden dort 20 000 Schüler mit diesen modernen Technologien befaßt, haben an Arbeitsgemeinschaften mit Bezug auf Informatik, Datenverarbeitung, Informations- und Nachrichtentechnik teilgenommen.
({5})
In Baden-Württemberg waren es zum gleichen Zeitpunkt 70 000 Schüler und in Bayern sogar 91 000 Schüler.
({6})
Nun werden Sie sagen: Das ist die Hörigkeit gegenüber der Ökonomie.
({7})
- Ich komme gleich zur Qualität, gerade was das Land Nordrhein-Westfalen angeht.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat es versäumt, mit den Unternehmen in den richtigen Takt zu kommen und hochqualifiziertes Personal auszubilden, damit hier auch die Forschungs- und Entwicklungsintensität gefördert werden kann. Schließlich besteht - das werden Sie feststellen - hinsichtlich Arbeitsmarkt- und Ausbildungsplatzangebot eine schicksalhafte Verknüpfung. Es ist dies zwischen diesen modernen Technologien, dem Arbeitsmarkt und seiner Entwicklung zu sehen. Gerade in diesem Bereich der Technologien haben wir Wachstumsraten bis zu 30 %. Eine alte Industrielandschaft wie das Land Nordrhein-Westfalen hätte es längst verdient gehabt, sich ähnlich wie die südlichen Bundesländer mit diesen Technologien, diesen Medien und vor allen Dingen mit diesen Wachstumsmöglichkeiten zu befassen. Es ist deshalb ein großes Versäumnis gerade der Landesregierung Rau festzustellen. Da die Kulturhoheit und die Bildungspolitik in den Ländern angesiedelt sind, müssen wir dies hier in besonderem Maße herausstellen.
Meine Damen und Herren, die modernen Technologien und die daraus - ({8})
- Leichtsinnig handeln sie weiß Gott nicht. Wieso ist es sonst zu erklären, daß junge Menschen in Scharen nach Baden-Württemberg und Bayern ziehen? Die letzten statistischen Erkenntnisse aus dem Land Nordrhein-Westfalen machen das deutlich. In jenen Bundesländern sind die modernen Arbeitsplätze, die Zukunftsarbeitsplätze, wo junge Menschen die Möglichkeit finden, eine Perspektive für ihre berufliche Weiterbildung zu erhalten.
({9})
- Gerade in dem Bereich stehen wir in der Tat in Konkurrenz zu Japan. Meine Damen und Herren, es geht hier um Arbeitsplätze. Wir sind bereit, im Bereich der Bildung das Mögliche zu tun, damit die jungen Menschen, die Schüler an diese Technologie möglichst breit angelegt herangeführt werden. Wir lehnen es ab, daß hier aus ideologischen Gründen
Zurückhaltung geübt wird; das schadet den Menschen.
({10})
- Ja, wenn aus ideologischen Gründen Zurückhaltung geübt wird, schadet dies den Menschen. Wir sollten deshalb die Initiativen der Bundesregierung begrüßen. Die SPD springt hier auf einen Zug, der längst abgefahren ist. Da hilft auch, wie gesagt, der Kongreß mit Technikern nicht weiter. In den zuständigen Ausschüssen werden wir das noch verdeutlichen.
({11})
- Ja, Sie hatten einen großen Nachholbedarf. Das ist auch ein Stück Erblast, das Sie noch mit bewältigen müssen. ({12})
Meine Damen und Herren, wir werden die Regierung ermuntern, weiter alles zu tun, damit wir hier fortschrittlich handeln und die Chancengleichheit im Lande gewahrt bleibt - das ist sehr entscheidend - und vor allen Dingen dort wiederhergestellt wird, wo sie nicht vorhanden ist.
Und jetzt komme ich wieder auf das Land Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren: 1 500 Lehrerstellen werden eingespart, werden gestrichen. Da frage ich Sie, Herr Kastning, wie es mit Anspruch und Wirklichkeit aussieht, wenn man moderne Technologien an Schulen so behutsam wie Sie, pädagogisch begleitet, einführen will. Das steht in Widerspruch zueinander, meine Damen und Herren. Ich sage deshalb: Wer den Arbeitsmarkt in Zukunft in den Griff bekommen will, wer gerade auch der Jugend und den Frauen, bezogen auf den Arbeitsmarkt, auf den Ausbildungsplatz Perspektiven geben will, muß hier in diesem Bereich ein unumschränktes Ja sagen. Wir sind bereit, dies für die 90er Jahre zu tun. Wir sind bereit, diese Technologien im Bildungsbereich, also im Bereich der Schulen, der Hochschulen/Universitäten und der Weiterbildung, aber auch in der beruflichen Ausbildung, einzuführen. Wir sind auch bereit, dies mit der Wirtschaft, mit Mittelstand und Wissenschaft zu tun.
Wir freuen uns deshalb darauf, daß der nächste Bericht der Bundesregierung noch vor den Sommerferien vorgelegt wird. Wir laden Sie ein, mitzuberaten, mitzuwirken. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir Sie angesichts dieses Antrags, den Sie nachgeschoben haben, überzeugen.
Schönen Dank.
({13})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dann.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die neuen Informations- und Kommunikationstechniken bestimmen unseren Alltag immer stärker, ohne daß hierüber zuvor eine gesell15466
schaftliche Willensbildung stattgefunden hat. Die Opposition läßt diesen Aspekt in ihrem Antrag etwas außen vor. Die neuen Technologien werden als gegeben angesehen. Richtig ist, daß jeder von uns ihnen mehr oder weniger ausgeliefert ist. Dies gilt erst recht dann, wenn die Landesminister über die Köpfe von Lehrerkollegien, Direktoren, Eltern- und Schülervertretungen hinweg die Anschaffung von Computern für Schulen beschließen. Diese Vorgehensweise lehnen wir entschieden ab.
Des weiteren: IBM beabsichtigt, 10 % seiner Umsätze in Zukunft an Schulen zu tätigen. Sie macht das bestimmt nicht aus bildungspolitischem, sondern aus ökonomischem Interesse.
({0})
Es wird nicht nur die Schule als Absatzmarkt erobert, sondern es werden auch die zukünftigen Kunden für Heimcomputer herangezüchtet. Der unkontrollierte Einfluß der Computerindustrie auf die Ausstattung von Schulen muß eingedämmt werden.
({1})
Sie, gerade Sie, betonen hier immer die Zukunftschancen, die durch Computerkenntnisse eröffnet werden. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere wird nicht beleuchtet: daß die neuen Technologien die Arbeitslosigkeit, die fehlenden Zukunftschancen erst bedingen,
({2})
daß die elektronische Kommunikation zu einer stetigen Berieselung mit der Folge einer sozialen Isolation und Kommunikationsunfähigkeit führt. In diesem Zusammenhang sind nicht zuletzt die mit den computerisierten Sicherheitsdiensten verbundene Überwachung und Unfreiheit des Individuums zu nennen. Sind das die Chancen, die Sie meinen? Oder geht es darum, Schüler und Schülerinnen auszubilden, die sich eine Gesellschaft ohne Computer gar nicht mehr vorstellen können?
In Ihrem Antrag sprechen Sie auch die Chancengleichheit an. Ich frage mich nur: welche? 98 % der Hobbyelektronik-Artikel wird an Jungen verkauft. Mädchen haben offensichtlich eine Abneigung gegen elektronisches Spielzeug. Dennoch reden Sie von Chancengleichheit und meinen damit, daß Mädchen die Chance erhalten sollten, sich den Neigungen der Jungen anzupassen - in der Schulklasse die gleichen patriarchalischen Strukturen wie auch sonst in der Gesellschaft!
({3})
Mädchen bekommen aufgezwungen, was Jungen und Landesminister wollen, und das wird ihnen noch als Chance verkauft. Der SPD-Antrag versäumt erstens, zu hinterfragen, worauf unsere Zukunftschancen gerichtet sein sollen.
Zweitens bleibt unbeantwortet, welche Chancen bzw. Verbesserungen neue Technologien in der Schule überhaupt bewirken können.
Drittens bleibt ungeklärt, wie die Beziehungen zwischen neuen Technologien und der Bildung aussehen sollen.
Ich befürchte gravierende Folgen des Computerunterrichtes. Die Lernstoffe werden maschinengerecht aufbereitet, das Denken wird digitalisiert, die Leistung wird nur noch in Zahlen gemessen, und Wissen wird im Dialog mit dem Computer eingepaukt. Ich halte es für wichtiger, den Lernenden als Subjekt des Lernprozesses zu begreifen, die persönliche Beziehung zwischen Lehrern und Schülern stärker zu gewichten, ein Lernen durch Erfahrungen an der Wirklichkeit und nicht an elektronisch vermittelter Realität aus zweiter Hand zu ermöglichen, neben dem lustbetonten kreativität- und phantasiefördernden Lernen die individuellen Fähigkeiten und Motivationen zu fördern.
Deshalb gilt es, die Bildung nicht den neuen Technologien anzupassen - das gilt besonders für Ihre Seite, denn das scheinen Sie offensichtlich anzustreben -, nicht ein computergerechtes, sondern ein menschengerechtes Bildungssystem zu schaffen.
({4})
Die allgemeinbildenden Schulen sollten Kinder und Jugendliche, Jungen und Mädchen befähigen, die Risiken des technischen Fortschrittes und die Gefahren elektronisch vermittelter Kommunikation zu begreifen. Unsere Schulen sollen die Kritikfähigkeit der Schüler unterstützen, statt ihnen von oben herab Computer zu verordnen. Dann werden auch Jugendliche sehr wohl in der Lage sein, selbstbestimmt und souverän zu unterscheiden, wann und wo sie mit den neuen Technologien umgehen.
Zu den genannten Problemen halten die GRÜNEN es für dringend erforderlich, eine Anhörung im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu veranstalten. Das Lernen soll nicht dem Diktat der Technik und der Computerindustrie überlassen bleiben.
Ich danke fürs Zuhören.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bekenne: Ich bin ein Coumputerfreak. Ich könnte mir meine berufliche Tätigkeit ohne den Computer und ohne moderne Kommunikationstechniken nicht mehr vorstellen.
({0})
In den Hochschulen, und hier gewiß in erster Linie - das ist nicht zu bezweifeln - in den naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen, wurde die elektronische Datenverarbeitung schon in den 50er Jahren eingeführt, die erst sehr viel später, und zwar mit dem Ausbau der EDV, in Richtung auf Informations- und Kommunikationstechniken als wertvolles Werkzeug auch in allen anderen Disziplinen mehr und mehr genutzt wurde.
Hingegen war das allgemeine Bildungswesen nicht hinreichend auf diese Entwicklungen vorbereitet. Hier mußte und muß in erster Linie die Lehrerausbildung nachziehen. So geschah es denn, daß die Impulse in starkem Maße aus Wirtschaft und Verwaltung und ganz besonders aus dem privaten Bereich heraus in den Schulunterricht hineingetragen wurden.
Deshalb stellt sich die Frage: Wie sieht es eigentlich mit der vorhin geforderten Willensbildung aus? Die Willensbildung hat sich vollzogen. Jugendliche haben dieser Willensbildung Ausdruck verliehen. Man sieht, wenn man selbst Kinder hat, unter welchem Druck man steht, Computer, Homecomputer und EDV-Technik einzuführen.
({1})
Ich empfehle Ihnen, Frau Kollegin, in die Kaufhäuser zu gehen und sich anzusehen, wie dort die Computererprobungsstände von Jugendlichen umlagert werden.
({2})
Von dort aus wird ein Druck erzeugt, sich auch in pädagogischer Hinsicht mit diesen Entwicklungen auseinanderzusetzen.
Deswegen kann die Schule an dieser Sache nicht vorbeigehen. Ich weise auch darauf hin, daß inzwischen mehr und mehr Computerclubs entstehen, die sich dies zur Aufgabe gemacht haben. Aber da habe ich eine gewisse Kritik. Ich will versuchen, die Grundeinstellung, die wir dazu finden müssen, zu formulieren.
Wir, die FDP, haben von Anfang an die Vorstellungen für falsch gehalten, die Kommunikationstechniken hätten allein etwas mit Informatik, mit Technik zu tun. Wir begrüßen deshalb, daß sich - wenn auch mit großer Verzögerung - die Einstellungen verändert haben und daß inzwischen die Bereiche Kultur, Sprache und Geschichte, d. h. eigentlich alle Bereiche der Allgemeinbildung, mit einbezogen werden und, wie ich feststellen möchte, auch mit einbezogen werden müssen.
Schule hat Allgemeinbildung zu vermitteln. Sie muß in Erfüllung ihres pädagogischen Auftrages frühzeitige Spezialisierung verhindern. Ich stimme dem Kollegen Kastning darin ausdrücklich zu, und ich denke, daß die Frau Bundesbildungsministerin in der gleichen Weise argumentiert hat.
Schule darf sich nicht in erster Linie oder nur - auch hier stimme ich Ihren Ausführungen wieder zu - auf die berufliche Qualifizierung zwecks Erhaltung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und des Wohlstandsniveaus konzentrieren. Schule muß vielmehr darauf vorbereiten, die Lebenswirklichkeit zu bewältigen. Sie muß die Fähigkeit vermitteln, den eigenen Lebensinhalt zu gestalten, und dies gilt für Arbeit und Freizeit gleichermaßen.
Schule muß - das ist ihr besonderer Auftrag - die Einheit von Kultur und Technik vermitteln. Demzufolge allerdings muß Schule auch darauf vorbereiten, die Herausforderungen der Technik zu bewältigen und diese - nämlich die Technik - zu gestalten, bei den jungen Leuten, bei der Erziehung,
bei denjenigen, die in ein Umfeld gestellt werden, das sie mit neuen Techniken und neuen Technologien umgibt. Die neuen Entwicklungen dürfen nämlich nicht unkritisch verkonsumiert werden, und man darf sich ihnen nicht sklavisch unterwerfen.
Deshalb darf Schule nicht nur vermitteln, wie man mit den neuen Kommunikationstechniken umzugehen hat, wie sie zu handhaben sind; das wäre der Computerführerschein, aber den auszustellen kann nicht der Auftrag der Schule sein.
({3})
Vielmehr hat die Schule zu vermitteln, wie denn diese Kommunikationstechniken zu beherrschen und sinnvoll zu nutzen sind. Schule muß vermitteln, wie die technischen Entwicklungen als Werkzeuge, als Hilfen für die geistige, kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Gestaltung der Lebensabläufe zu benutzen sind.
In diesem Sinne begrüße ich ausdrücklich den Antrag der SPD, weil er hierzu einen Sachstandsbericht fordert. Dieser Forderung schließen wir uns grundsätzlich an; im Detail muß darüber sicher in den Ausschüssen beraten werden. Wir sehen diesen Antrag in Übereinstimmung mit dem Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 10/1281, nämlich mit der Konzeption der Bundesregierung zur Förderung der Entwicklung der Mikroelektronik sowie der Informations- und Kommunikationstechniken; ich verweise insbesondere auf den Abschnitt V 2: Bildung und Information.
Zweifellos ist die schulische Bildung Ländersache; hier sind die KMK und die BLK aufgerufen. Aber die Entwicklungen stellen auch eine Herausforderung an die Pädagogen dar, und ich stelle fest, daß sich der Bund seiner stützenden, unterstützenden und koordinierenden Verantwortlichkeit in diesem Bereich nicht entziehen darf. Ich sehe dazu in dem, was die Bundesregierung und das Bundesbildungsministerium auf diesem Gebiete tun, auch keinen Ansatzpunkt.
Nehmen wir die Aufgabe in Angriff, beraten wir diese Vorlage, und erwarten wir einen sachverständigen und analysierenden Bericht.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Herr Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der zurückliegenden Zeit hier im Parlament über die Bildungspolitik viele - zum Teil heftige - Auseinandersetzungen gehabt. Deswegen lassen Sie mich heute damit beginnen, Herr Kollege Kastning, daß ich sage: Wir haben heute offensichtlich in einigen Bereichen Übereinstimmung, und das begrüße ich.
({0})
- Das hat auch Herr Schemken zum Ausdruck gebracht.
Wir haben zunächst einmal Übereinstimmung darin, daß ein sachkundiger und vernünftiger Umgang mit informationstechnischen Systemen und Medien zunehmend zu einer in allen Lebensbereichen erforderlichen allgemeinen Fähigkeit gehört. Deswegen hat die Bundesregierung j a auch immer betont, daß eine informationstechnische Bildung heute immer mehr als notwendiger Bestandteil der Allgemeinbildung anzusehen ist.
Ich stelle fest, daß wir uns wohl auch in einem zweiten Punkt einig sind, nämlich darin, daß allgemeine informationstechnische Bildung nichts mit der Vermittlung von Spezialistenwissen zu tun hat, sondern daß allgemeine informationstechnische Bildung heißt: grundlegende informationstechnische Fähigkeiten zu vermitteln, allgemeine Orientierung zu ermöglichen, die Chancen der neuen Techniken deutlich ins Bewußtsein der Jugendlichen zu rücken, ohne die Risiken zu verharmlosen, und junge Menschen zu befähigen, den technologischen Wandel, mit dem auch ein teifgreifender sozialer Wandel einhergeht, human zu gestalten.
Meine Damen und Herren, das alles ist auch das Ziel des von der Bundesregierung initiierten Rahmenkonzepts der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung zur „Informationstechnischen Bildung in Schule und Ausbildung". Insofern hat Herr Schemken schon recht: Hier sind Sie ein Stück weit auf eine Entwicklung aufgesprungen, die sich bereits vollzieht.
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen: Informationstechnische Bildung in diesem Sinne hat sicher nichts damit zu tun, daß eine unkritische Akzeptanz der neuen Medien in den Schulen gefördert werden soll, wie Sie es in Ihrem Antrag befürchten. Ich glaube nicht, daß dies das Problem unserer Schulen ist. Viel eher sehe ich es als Problem an, daß zumindest in der Vergangenheit - mancherorts zu lange - die neuen Technologien nur zögerlich und zaghaft Eingang in das schulische und berufliche Bildungswesen gefunden haben. Ich meine, daß es deswegen dringend notwendig war, daß wir durch die Initiativen, welche die Bundesregierung ergriffen hat, eines deutlich gemacht haben: Aufgabe des Bildungswesens ist auch die Heranbildung und die Entfaltung von technischer Intelligenz, ohne die wir konkurrenzfähige Spitzentechnologien und ihre humane Anwendung mit Sicherheit nicht erreichen können.
Insgesamt meine ich, daß einige Teile Ihres Antrags durchaus auch eine Bestätigung der Politik der Bundesregierung darstellen. Über andere Teile Ihres Antrags wird man im einzelnen noch reden müssen. Zumindest wird man bei manchem, was in Ihrem Antrag als Frage formuliert ist, hinterfragen müssen, was Sie damit meinen. Aber das ist sicherlich nicht Gegenstand der Beratungen hier, sondern das wird in den Ausschüssen erfolgen können.
Insofern, meine Damen und Herren, ist die Bundesregierung zu einer konstruktiven Beratung dieses Antrags in den Ausschüssen bereit.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrags auf Drucksache 10/4580 auf die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Zusätzlich ist interfraktionell vereinbart worden, die Vorlage zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. - Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gehe wohl recht in der Annahme, daß uns die Geschäftsführer nur eine halbe Stunde Mittagspause zubilligen. Das heißt, wir müssen um 14 Uhr wieder antreten.
({0})
- Sind alle Anwesenden einverstanden? - Wir treten dann in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14.15 Uhr mit Punkt 7 der Tagesordnung - nicht mit der Fragestunde - fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
({1})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hickel, Vogt ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Umweltschutz und Bundeswehr
- Drucksachen 10/2090, 10/3529 -
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hickel, Vogt ({1}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Naturbeeinträchtigung durch Rüstung und Militär in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 10/2221, 10/3530 Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 7 a und b und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Oldenstädt. Bitte!
({2})
Vizepräsident Stücklen
- Verehrte Frau Kollegin, mir ist nur ein Redner gemeldet, nämlich Herr Kollege Oldenstädt.
({3})
- Herr Kollege Oldenstädt, nachdem sich ein Antragsteller von den GRÜNEN meldet, möchte ich Sie bitten, sich wieder auf Ihren Platz zu begeben. Sie sind dann als nächster an der Reihe. Wer spricht von den GRÜNEN? Sie haben keine Meldung abgegeben. - Frau Hönes.
({4})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Endlich einmal konnte ich eine Antwort der Bundesregierung mit größtem Erstaunen und Entzücken lesen.
({0})
Ich beziehe mich auf die Beantwortung der beiden Großen Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN zu „Naturzerstörung durch Rüstung und Militär" und „Umweltschutz und Bundeswehr". In welcher Unwissenheit habe ich, haben wir bisher gelebt! Wie wenig haben wir von den großen Verdiensten der Bundeswehr um unsere Umwelt gewußt!
({1})
Ich glaube, mit diesem Unwissen stehe ich nicht allein da.
({2})
Haben Sie, meine Damen und Herren - ich spreche hier besonders die Damen und Herren Kollegen der Regierungsparteien an -, gewußt, daß die Bundeswehr den mit Recht so gefürchteten Borkenkäfer durch umweltfreundliche Lackstoff-Fallen bekämpft? Und wo, glauben Sie, haben bedrohte Tiere und Pflanzen heute in der Bundesrepublik noch eine echte Überlebenschance?
({3})
Versuchen Sie nicht, das Rätsel zu lösen - es wird Ihnen nicht gelingen -: auf Truppenübungsplätzen.
({4})
Sie halten das für übertrieben? Mitnichten! Selbst „kapitale Hirsche" - ich zitiere hier wörtlich aus der Rede meiner CDU-Kollegin Frau Krone-Appuhn
({5})
vom 23. Januar dieses Jahres - „gedeihen dort."
({6})
Damit nicht genug! Die Schäden, die unverantwortliche Zivilisten in Wald und Flur anrichten oder die, um es wieder mit Frau Krone-Appuhn auszudrükken, Rotstrumpftouristen auf den herrlichen Almen verursachen, werden von unseren Soldaten nach besten Kräften beseitigt.
({7})
Ein Beispiel aus Frau Krone-Appuhns Ausführungen: So sammelt die Tragtierkompanie 230 der 23. Gebirgsjägerbrigade der Ersten Gebirgsdivision auf der Reiteralpe bei Bad Reichenhall Wohlstandsmüll ein.
({8})
Ohne den Einsatz der Bundeswehrangehörigen gering einschätzen zu wollen, frage ich mich, meine Damen und Herren, ob Sie sich selbst noch ernst nehmen können, wenn Sie uns als Antwort auf unsere Anfragen derartige Verlogenheiten anbieten.
({9})
Wenn diese Zitate der Regierung und der sie stützenden Parteien noch einen Beitrag zur Heiterkeit geleistet haben, so hört der Spaß spätestens dann auf, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Millionen Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik jedes Jahr unter 110 000 Tiefflügen zu leiden haben, daß fast 40 000 Menschen, die nicht mehr bereit sind, ihre physische und psychische Gesundheit dem Düsenterror auszusetzen, sich als Petentinnen und Petenten an den Deutschen Bundestag gewendet haben,
({10})
daß die Folgen dieser Flüge, die in einer Höhe von teilweise nur 75 Metern über unsere Köpfe hinwegdonnern, nicht mehr zu vertuschen sind.
({11})
Ein Nagolder Rechtsanwalt hat wegen der Tiefflüge eine Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen Verteidigungsminister Wörner gestellt.
({12})
In seiner Begründung schildert er, welch einschneidende Folgen der ohrenbetäubende Lärm der Flugzeuge für Menschen haben kann. Eine schwangere junge Frau wurde durch einen Tiefflieger so erschreckt, daß sie ihr Baby verlor. Und die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits.
({13})
Und wie reagiert die Bundesregierung auf den verzweifelten Protest Tausender von Bürgerinnen und Bürger? Sie strebt als Entlastung der bisher arg gebeutelten Tiefstfluggebiete
({14})
nun eine „bessere Verteilung der Lärmgerechtigkeit" an,
({15})
nach dem Motto: Warum soll es der Wanderer im Naherholungsgebiet besser haben als die Patientin im neuen Herzoperationszentrum in der Stadt?
({16})
Oder sie exportiert den Terror in andere Länder; in die Türkei oder nach Kanada, wo die „Phantome" der Luftwaffe mit 900 Kilometer Geschwindigkeit, aber noch unter 30 Metern übers Land donnern.
({17})
Dieser Lärmexport ist menschenverachtend.
({18})
Nicht nur, daß nun Einheimische in diesen Ländern unter deutschem Militarismus zu leiden haben.
({19})
Die Tiefflüge haben z. B. für die Ureinwohner Kanadas, die Innuts und die Inuits, bittere wirtschaftliche Not zur Folge:
({20})
Karibu-Herden, die ihre Lebensgrundlage bilden, wurden bereits vollständig vertrieben.
({21})
- Lesen Sie die neueste Ausgabe der Zeitschrift „Natur"; dann können Sie besser urteilen.
({22})
Frau Abgeordnete Hönes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski?
Wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht, ja, gerne.
Wenn es so abgesprochen ist.
Frau Kollegin, wissen Sie, wenn Sie von dem Tiefflugterror in Kanada sprechen, wie viele Menschen in diesem Gebiet, das von der Bundesluftwaffe beflogen wird, wohnen?
({0})
Das Problem läßt sich doch wohl nicht quantitativ abhandeln. So zynisch können doch nicht einmal Sie sein.
({0})
Wissen Sie, wie die Bundesregierung diese lebensbedrohende Praxis in ihrer Antwort auf unsere Fragen bezeichnet? Als Maßnahme, die dem Umweltschutz mittelbar zugute kommt und die mit rund 250 Millionen DM zu Buche schlägt; selbstverständlich unter der Rubrik „Ausgaben für den Umweltschutz".
({1})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein. Ich möchte gern in meiner Rede fortfahren.
Wer sich brutal über die Belange und die Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerung hinwegsetzt, der macht auch vor Naturzerstörung keinen Halt. Großflächiges Zerfahren und Zerstören von Naturschutzgebieten ist die Regel, nicht die Ausnahme. Das haben wir doch in Hessen nach Abschluß des Reforger-Manövers erlebt.
Dazu kommen der ständig zunehmende Landfraß für neue militärische Einrichtungen, Depots, Pipelines, Flughäfen bzw. deren Erweiterungen, Panzertrassen und militärischer Straßenbau. Und das - ich beziehe mich hier ausdrücklich auf das Weißbuch der Bundesregierung von 85 -, obwohl bereits jetzt kein anderes Land militärisch so intensiv genutzt wird wie die Bundesrepublik. Kein Land hat eine ähnlich hohe Stationierungsdichte von Waffen und Soldaten. Kein Land wird auf engem Raum so stark von Manövern bedrängt. Zwei Drittel der Bundesrepublik sind Tieffluggebiet. Mindestens 5,6 % der Fläche unseres Landes werden militärisch geschunden. Dagegen stehen nur 1 % Naturschutzfläche.
Versuchen Sie doch nicht, Ihre Legitimationskrise, Herr Wörner, die Irrationalität Ihrer militärischen Planungen - irrational deshalb, weil das, was verteidigt werden soll, schon in der Vorbereitung des Ernstfalls zerstört wird - durch Umweltbroschüren und hektisches Umwidmen von Haushaltstiteln zu kaschieren.
({0})
Laufende Kosten, die früher als Transportkosten aufgeführt wurden, als Umweltschutzkosten auszuweisen, das ist glatter Betrug.
Was Sie sagen, Herr Minister, scheint jedoch noch harmlos zu sein gegenüber dem, was Sie verschweigen. Ich fordere Sie nochmals auf, die Frage 7 unserer Großen Anfrage „Umweltschutz und Bundeswehr" detailliert zu beantworten. Lagert die Bundeswehr radioaktive Munition? Bringt sie CKampfstoffe zur Detonation? Solange Sie nur bereit sind, einige unbedeutende Details bekanntzugeben und die Geheimstudie „Umweltdatei" der Öffentlichkeit nicht zugänglich zu machen, haben wir allen Grund anzunehmen, daß die Bundeswehr Atom-und chemische Waffen benutzt. Die GRÜNEN werden diese Geheimhaltungspolitik weiterhin bekämpfen. Wir stehen damit nicht allein. Der Widerstand in der Bevölkerung wächst ebenso wie die Angst vor der Zerstörung unseres natürlichen LeFrau Hönes
bensraumes. Den GRÜNEN wird oft vorgeworfen, sie scheuten sich, Verantwortung zu übernehmen. Ich frage mich, wofür Sie und Ihre Parteifreunde alles die Verantwortung zu übernehmen bereit sind.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Oldenstädt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Diskussion steht heute die Antwort, die die Bundesregierung auf zwei Große Anfragen der ehemaligen Abgeordneten Frau Dr. Hickel und Vogt ({0}) sowie der Fraktion DIE GRÜNEN gegeben hat. Die Verfasser der Anfragen sind nicht mehr im Deutschen Bundestag. Sie haben sich durch Rotation dem Dialog entzogen.
Abgesehen davon möchte ich den Fragestellern jedoch bescheinigen, daß ihre 71 Fragen ein hohes Maß an Kenntnissen offenbaren und zumindest eine beachtliche Fleißarbeit kurz vor ihrem Abgang darstellen. Zugleich ist unverkennbar und wurde durch Sie, Frau Kollegin Hönes, entlarvend und eindrucksvoll bestätigt, daß die Fragen nicht so sehr ein echtes Bedürfnis nach Information bestätigen, sondern vielmehr die Bundeswehr als Umweltzerstörer brandmarken wollen.
Das wird besonders deutlich in einer Reihe von Fragen der Drucksache 10/3530. So geht z. B. die Frage 34 davon aus, daß den Umweltschutzbedürfnissen die Notwendigkeiten der Verteidigung grundsätzlich unterzuordnen sind. Die gleiche Tendenz wird in der Frage 5 b dann offensichtlich, wenn man sie in Verbindung mit dem Gesetzentwurf der GRÜNEN auf Drucksache 10/4587 zur Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes sieht.
({1})
In der Begründung zu diesem im Verteidigungsausschuß gestern einmütig abgelehnten Gesetzentwurf heißt es unter anderem, es sei nunmehr ein Zustand erreicht, der es verbiete, dem Bund für Zwecke der Verteidigung weitere Flächen zur Verfügung zu stellen. Dann wird als Beispiel für Landforderungen in großem Maße der Bau einer Panzerverladerampe in Osterholz-Scharmbeck genannt. Als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises, in dem die Stadt Osterholz-Scharmbeck liegt, stelle ich dazu fest:
({2})
Erstens. Die Verladerampe liegt innerhalb des Truppenübungsplatzes Karlstädt. Dafür wird also zusätzliches Land überhaupt nicht benötigt.
Zweitens. Das Anschlußgleis ist militärisch nicht erforderlich. Es dient ausschließlich der Entlastung von Mensch und Umwelt.
Drittens. Das für das Anschlußgleis benötigte Gelände konnte ohne Enteignung beschafft werden.
Viertens. Zum Ausgleich von 2,5 ha Waldfläche, die auch zu meinem Bedauern der Gleistrasse geopfert werden müssen, wird eine Fläche von 13 ha neu aufgeforstet.
Ich habe übrigens ebenso aufmerksam wie befriedigt zur Kenntnis genommen, daß in der gestrigen Ausschußberatung der Berichterstatter der SPD-Fraktion zu diesem Teil der Gesetzesbegründung erklärt hat: Auch wir wenden uns nicht dagegen, daß z. B. in Osterholz-Scharmbeck eine Panzerverladerampe gebaut wird.
({3})
Auch in der Frage 33 wird das wirkliche Anliegen der GRÜNEN klar. Dort wird allen Ernstes indirekt gefordert, die Bundesregierung möge eine Umweltkonzeption vorlegen, mit der im Falle eines konventionellen Krieges auf deutschem Boden dessen ökologische Folgen begrenzt werden sollen. Naiver geht es nicht, Verteidigung gewissermaßen nicht vorne und in flexibler Reaktion, sondern mit einer Umweltkonzeption unter dem Arm.
Und dennoch: Die Bundesregierung wird die Großen Anfragen begrüßt haben. Wir, die Verteidigungspolitiker der Koalition und, so hoffe ich, auch der SPD, deren Minister 13 Jahre lang Verantwortung in diesem Bereich getragen haben, freuen uns ebenfalls. Wir nehmen gern die Chance wahr, die großen Anstrengungen und beachtlichen Erfolge der Bundeswehr auf dem Gebiete des Umweltschutzes der Öffentlichkeit bekannter zu machen.
Zunächst eine Klarstellung: Grundsätzlich gelten alle Umweltgesetze auch für die Bundeswehr. Einige von ihnen enthalten jedoch Sonderregelungen für den Verteidigungsbereich. Es würde zu weit führen, wollte man diese Sonderregelungen im Detail nennen. Im wesentlichen eröffnen sie zwei Möglichkeiten.
({4})
Erstens. Der Bundesminister der Verteidigung erläßt innerhalb der Bundeswehr in eigener Kompetenz die Durchführungsbestimmungen zur Umsetzung der gesetzlichen Normen und legt damit fest, welche praktischen Maßnahmen zu ergreifen sind.
Zweitens. Der Bundesminister der Verteidigung kann Ausnahmen von den einschränkenden Vorschriften der Umweltgesetze dann zulassen, wenn es die Sicherheitsinteressen unseres Landes erfordern.
Ich wiederhole: Sowohl die Administrationskompetenz als auch die Dispensmöglichkeit entheben den Bundesminister nicht der Pflicht, den materiellen Erfordernissen der Umweltgesetze so weit zu entsprechen, wie dies der Verteidigungsauftrag zuläßt.
Die finanziellen Aufwendungen der Bundeswehr für den Umweltschutz sind erheblich. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes haben Industrie und öffentliche Hand zwischen 1971 und 1983 durchschnittlich etwa 8,5 Milliarden DM jährlich für laufende Umweltschutzmaßnahmen ausgegeben. Die Bundeswehr allein, ausweislich des Einzelplans 14, hat im Jahre 1983 mehr als eine halbe Mil15472
liarde DM dafür aufgewendet. Dabei handelte es sich im wesentlichen um Ausgaben für die Verlagerung militärischer Ausbildungen und Übungen in das Ausland, wobei nur der Differenzbetrag zwischen den Kosten im Inland zu denen im Ausland angesetzt wurde, für den liegenschaftsbezogenen Umweltschutz wie z. B. Maßnahmen der Geländebetreuung, für die Verlagerung von Marschbewegungen gepanzerter Verbände von der Straße auf die Schiene und um Entschädigungen für Fluglärm-
und Straßenschäden.
Trotz dieser Aktivitäten bleibt der Zielkonflikt zwischen Verteidigungsnotwendigkeit und Umweltschutz natürlich bestehen
({5})
und ist in manchen Fällen unauflösbar. So werden sich der Flug- und Schießbetrieb beim gegenwärtigen Stande der Technik nur noch verringern lassen, wenn man die militärischen Forderungen einschränkt. Das jedoch würde die Glaubwürdigkeit der Abschreckung in Frage stellen und damit den Frieden gefährden. Das würde im übrigen auch verantwortungslos gegenüber jenen Soldaten sein, die ihre Waffensysteme nur durch Übung beherrschen lernen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hönes.
Nein, Herr Präsident.
Bevor ich mich nunmehr einzelnen Umweltschutzmaßnahmen in der Bundeswehr zuwende, gebe ich Ihnen noch das abschließende Urteil über die Umweltlage im Verteidigungsbereich zur Kenntnis, wie es nach mehrjährigen Erhebungen im Auftrage des Bundesministers der Verteidigung von der Industrieanlagen- und Betriebsgesellschaft formuliert wurde. Dieses Urteil lautet: Die Bundeswehr ist der größte Bereich der Exekutive, in dem seit Jahren planmäßig Umweltschutz betrieben wird. Verzerrende Behauptungen über den Einfluß der Streitkräfte auf die Umwelt müssen korrigiert werden. Die Belastung der Umwelt durch die Bundeswehr ist gering.
Bei der angekündigten Darstellung konkreter Umweltschutzmaßnahmen beschränke ich mich nunmehr auf die Teilstreitkraft Marine. Meine Fraktionskollegin Frau Roitzsch und - davon gehe ich aus - auch der Parlamentarische Staatssekretär werden andere Schwerpunkte wählen.
Um Lärm und Abgase, produziert durch Schiffe unserer Bundesmarine zu beschränken, finden Schießübungen ausschließlich in besonderen, der internationalen Seeschiffahrt bekannt gegebenen Seegebieten statt. In den Häfen werden für den Betrieb an Bord landfeste Einrichtungen benutzt, um den Betrieb bordeigener die Luft belastender und lärmerzeugender Anlagen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Zum Schutz der maritimen Umwelt gelten für Marinefahrzeuge die gleichen Bestimmungen wie für Handelsschiffe. Zu diesem Zweck werden die Schiffsneubauten seit Jahren mit technisch leistungsfähigen Umwelteinrichtungen versehen, gibt es materiell wie personell ausreichend ausgestattete schwimmende und landfeste Entsorgungsorganisationen, werden Besatzungen in den Umwelttechniken ausgebildet und zu umweltfreundlichem Verhalten ermuntert.
Auch für den großen Altschiffbestand ist ein kompliziertes und kostspieliges Nachrüstprogramm eingeleitet worden. Die einzelnen Maßnahmen werden dabei nicht zuletzt wegen der begrenzten finanziellen Mittel mit der folgenden Priorität behandelt: An erster Stelle steht der Schutz vor Ölverschmutzung; dann folgen Müllaufbereitung und -lagerung und schließlich die Beseitigung von Müllabfällen. Die neugefaßte Marinedienstvorschrift 160/1 gibt unter der Überschrift „Beseitigen von Abfällen im Hafen, vor Anker, an der Boje und in See" der Schiffsführung jene Regeln an die Hand, die die Einhaltung der Umweltschutzgesetze in nationalen Gewässern wie auf der hohen See gewährleisten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wenn meine Annahme richtig ist - ich bin sicher, daß sie richtig ist -, daß das Thema Umweltschutz und Bundeswehr ein weiteres Vehikel sein soll, mit dem die GRÜNEN gegen Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft mobil machen,
({0})
dann ist dieser Versuch gründlich gescheitert. Ich wiederhole das Ergebnis der IABG-Studie: Die Bundeswehr ist der größte Bereich der Exekutive, in dem seit Jahren planmäßig Umweltschutz betrieben wird. Die ohnehin geringe Belastung der Umwelt durch die Bundeswehr wird ständig weiter reduziert. Wir schulden der Bundeswehr nicht nur als Garant unserer Freiheit und des Friedens, sondern auch als Umweltschützer Dank.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klejdzinski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, man kann natürlich etwas gegen Tiefflug haben, das ist richtig.
({0})
- Auch dies haben Sie schon mitgekriegt: Ich wohne im Tieffluggebiet, in dem schon 40 Jahre lang geflogen wird.
({1})
- Ich weiß, wovon ich rede. Manche von Ihnen wissen nicht, wovon sie reden. Dazu rechne ich Sie besonders. Wenn ich nämlich das aufnehmen wollte, was Sie hier gerade dazwischengequakt haben, und draußen verkünden würde, dann würde mancher über das erstaunt sein, was Sie sonst politisch vertreten.
({2})
Ich weiß wirklich, wovon ich rede. Ich weiß, wie sehr die Bevölkerung belastet ist. Deswegen sage ich für meine Fraktion: Wir werden allen MaßnahDr. Klejdzinski
men zustimmen, die dazu beitragen, die Bevölkerung in der Bundesrepublik vom Tiefflug zu entlasten. Wir sind eindeutig dafür, daß wir Tiefflugausbildung, soweit sie notwendig ist - solange wir einen Verteidigungsauftrag erfüllen müssen, wird sie wahrscheinlich notwendig sein -, in befreundeten Ländern durchführen bzw. die Möglichkeit zu prüfen, dieses wie in der Türkei durchführen.
Frau Kollegin, Sie haben hier die Karibu-Herden angesprochen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie sich ernsthaft mit der Problematik der Karibu-Herden befaßt hätten - wir haben es getan -, dann müßten Sie wissen, daß sich, seitdem wir dort fliegen, die Karibu-Herden von 150 000 Stück auf 300 000 Stück vermehrt haben.
({3})
In dem ganzen Gebiet, von dem Sie reden, wohnen vielleicht 500 oder 600 Indianer, um das einmal deutlich zu machen. Das von Ihnen verwendete Argument ist sicherlich nicht ernst zu nehmen.
({4})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege, da Sie sagen - das wird für die vielen Bürgerinitiativen vor Ort interessant sein -, Sie wollten sich aktiv dafür einsetzen, daß Tiefflugversuche ins Ausland, z. B. nach Kanada oder in die Türkei, verlagert werden sollen, will ich mich nur noch einmal vergewissern, ob Sie hier für Ihre Partei, die Sozialdemokraten, sprechen.
Frau Kollegin, wenn Sie das Protokoll der Aktuellen Stunde zum Thema Tiefflüge gelesen hätten, dann hätten Sie feststellen können, daß ich u. a. genau dies für meine Fraktion erklärt habe. Ich stehe auch heute noch zu dem, was dort steht. Das bleibt so.
Herr Kollege Oldenstädt, es ist richtig: Ich habe mich für die Panzerverladerampe eingesetzt.
({0})
- Jetzt nicht mehr. - Ich habe mich deswegen für die Panzerverladerampe eingesetzt, weil ich der Meinung bin, daß jegliches Verlagern von Panzern auf die Schiene ein wesentlicher Beitrag ist, Umweltschutz aktiv vor Ort zu leisten. Daran halten wir fest, und wir werden auch darauf achten, daß der Landverbrauch diesbezüglich sehr gering ist.
({1})
Wir haben uns heute mit der Antwort der Bundesregierung zu den Anfragen Umweltschutz und Bundeswehr, Naturbeeinträchtigung durch Rüstung und Militär in der Bundesrepublik Deutschland zu befassen. Im Grunde genommen sind das Themen, die uns alle bewegen, nicht nur weil es
schick ist - manche verhalten sich zwar so -, sondern weil für uns Sozialdemokraten Umweltschutz nicht nur ein Lippenbekenntnis ist. Wir haben schon in sehr früher Zeit Initiativen dazu ergriffen. Stellvertretend für die Seriosität unserer Anträge möchte ich das „Sondervermögen Arbeit und Umwelt" nennen. Historisch möchte ich an eine alte Forderung erinnen „Blauer Himmel über die Ruhr" im Wahlkampf 1961. Damals mit Vehemenz von unserem Kanzlerkandidaten Willy Brandt vertreten,
({2})
was damals von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, mit Gelächter quittiert wurde, und Sie haben sich diesbezüglich noch nicht gebessert.
Natürlich ist uns nicht unbekannt, wenn wir die Landesverteidigung bejahen, daß die Bundeswehr zur Erhaltung ihrer Einsatzfähigkeit schießen, fliegen und fahren muß; darüber will ich überhaupt nicht streiten. Streiten will ich aber darüber - und das gilt für alle stationierten Truppen in der Bundesrepublik Deutschland -, wann, wo, mit welcher Intensität gefahren, geflogen und geschossen werden muß. Fluglärm, Kfz-Lärm und -Abgase sind nun mal massive Umweltbelastungen, und der leichtsinnige Umgang mit Kraftstoff im freien Gelände - Kanisterbetankung - bringt nun einmal nicht unerhebliche Bedrohungen, insbesondere wenn dies in Trinkwasserzonen stattfindet.
Wir wissen, die militärische Nutzung eines Gebietes, insbesondere, wenn es intensiv für das Fahren mit gepanzerten Fahrzeugen genutzt wird, ist eine Naturbeeinträchtigung. Diese militärische Nutzung bedeutet auch Vernichtung von Bodenformationen und unterstützt und fördert die Bodenerosion. Grundwasserverunreinigungen sind nicht auszuschließen. Wir wissen andererseits, daß durch stille militärische Nutzung - weil auf den Einsatz von Mineraldünger, Pflanzenschutzmitteln, von Pestiziden und Insektiziden verzichtet wird - Biotope gefördert werden, die zahlreichen gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten neue Lebensräume bieten, Lebensräume, die ihnen die Intensivlandwirtschaft genommen hat; auch dies ist richtig. Wir wissen aber auch, daß erkannte wichtige Biotope, die von engagierten Bürgerinnen und Bürgern beobachtet und gepflegt werden konnten, von heute auf morgen dem öffentlichen Interesse entzogen werden, weil das Betreten der militärisch genutzten Flächen auch an übungsfreien Tagen ohne Konsultierung anderer Träger öffentlicher Belange mit windigen Gefahrenhinweisen verboten werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte mit meinem Manuskript zu Ende kommen.
Ich möchte hierbei an die Truppenübungsplätze Geisheide und Borkenberge bei Haltern erinnern,
die nach 40 Jahren plötzlich der öffentlichen Nutzung entzogen werden, obwohl es sich nachweislich um große Gebiete für die Naherholung der Bevölkerung handelt. Sicherlich ist es leichter, ein Übungsgelände nach neuen militärischen Kriterien zu ordnen, wenn vorhandene Biotope den Naturschutzbehörden und den Naturschutzverbänden nicht bekannt sind. Ich kenne Fälle, wo beispielsweise ein wertvolles Moor verändert worden ist, weil man es plötzlich für notwendig hielt - sicherlich nicht von Fachleuten veranlaßt -, Wasserabzugsgräben zu ziehen - und später will es niemand gewesen sein.
So fordern wir beispielsweise in Übungsgebieten wie im Raum Soltau-Lüneburg im Interesse der dort hart betroffenen Zivilbevölkerung Einführung einer Sommerpause analog zur Regelung auf den anderen Truppenübungsplätzen. Wir sind für die Einhaltung der deutschen Sonn- und Feiertage durch die Übungstruppen. Wir sagen, es müsse beispielsweise dort eine „Pufferzone" von 400 m zu Wohngebieten bei simulierten Gefechten sein. Wir fordern auch eine präzise Unterweisung der Übungstruppe über Eigenarten des Übungsraumes. Wir sind weiterhin der Meinung, daß deutsche Umweltschutzbestimmungen, unsere Naturschutzbestimmungen auch für hier stationierte alliierte Streitkräfte verbindlich sein müssen.
Der Schutz der Umwelt ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit. Es gilt, der gegenwärtigen wie auch den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt zu erhalten und zu sichern. Wer heute von diesem Pult mit dieser Zielsetzung spricht, und ganz bewußt mit dieser Vorgabe, und nicht bereit ist, nur in Polemik aus anderen Gründen zu machen, der hat meine Unterstützung in dieser Frage.
({0})
An dem, was im Umweltbericht der Bundesregierung vom 2. Januar 1986 nachlesbar ist, messe ich die Bundesregierung.
Wenn sich die Bundesregierung wirklich der hieraus erwachsenden Verantwortung bewußt ist, ist es sicher richtig zu fragen, ob das Gebot der Abwägung zwischen den Belangen der Verteidigung und den Belangen des Naturschutzes immer eine Privilegierung militärischer Belange beinhalten muß.
({1})
Die Bundesregierung weist auf die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte hin, der Verfassungsrang zukommt. Das wird auch von uns als notwendig anerkannt. Wenn Umweltschutz grundsätzlich angesprochen wird, heißt das doch im Klartext, daß Umweltschutz im Zweifel zu vernachlässigen ist. Das können wir so vom Grundsatz her nicht teilen. Wir Sozialdemokraten fordern deshalb mit wohlüberlegten Gründen, die Staatszielbestimmung Umweltschutz im Grundgesetz zu verankern, um in allen Politikbereichen eine echte Abwägung zu erreichen. Der Abwägungsprozeß kann vor militärischen Belangen nicht haltmachen. Es muß allerdings angemerkt werden, daß uns in der Frage der Staatszielbestimmung und Grundgesetzänderung die Zerstrittenheit innerhalb der CDU/CSU und der Koalition noch nicht weitergebracht hat.
Die Argumentation, der weitaus überwiegende Teil des von der Bundeswehr benötigten Geländes sei auch früher bereits genutzt worden, täuscht bewußt über die Tatsache hinweg, daß die starke Mechanisierung der Truppen und ihre Ausstattung mit schwerem Gerät heute eben eine starke Belastung der Natur ist und folglich erhebliche Beeinträchtigungen der Natur bewirken kann. Das muß man erkennen, das muß man sehen. Ich glaube, die Fachleute leugnen das auch nicht.
Der naheliegende Interessenkonflikt zwischen Umweltschutz und Verteidigungsfähigkeit durch bedrohungsgemäße Ausbildung kann nach unserer Auffassung nicht durch Ausklammern des Umweltschutzgedankens gelöst werden. Umweltschutz muß Bestandteil der Ausbildung der Bundeswehr sein. Umweltschutz hat auch bei der Formulierung militärischer Forderungen an Wehrmaterial und Infrastruktur bereits eine wesentliche Komponente zu sein. Anlagen, die der Versorgung und Entsorgung der Truppen dienen, sind nach dem jeweiligen Stand der Technik zu errichten. Ältere Anlagen sind nach unserer Auffassung gezielt im Zuge von Modernisierungsprogrammen auf den neuen Stand der Technik umzurüsten. Wir erwarten, daß die Bundesregierung dem Verteidigungsausschuß diesbezüglich einen Zielkatalog vorlegt, der diese Punkte beinhaltet, und sich nicht so sehr darauf kapriziert, erst einmal wieder neue Großwaffensysteme zu beschaffen.
Für uns Sozialdemokraten gilt: Durch bewußten und sorgsamen Umgang mit Natur und Umwelt muß der naheliegende Interessenkonflikt in seinen Auswirkungen auf ein Minimum reduziert werden. Wir stimmen der Bundesregierung ausdrücklich zu, wenn sie in ihrem Umweltbericht erklärt:
Naturschutz und Landschaftspflege ist ein Kernbereich einer ökologisch orientierten Umweltpolitik ... Der Bodenschutz muß dabei den Vorrang haben, wenn die Gesundheit der Bevölkerung oder die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet sind.
Soweit das Zitat aus dem Umweltschutzbericht der Bundesregierung.
Wir erwarten allerdings, daß das auch dann Anwendung findet, wenn stationierte Truppen - Landnahme dafür - usw. angesprochen werden. So haben wir Sozialdemokraten im Verteidigungsausschuß gestern, am 26. Februar 1986, eine Novellierung des Landbeschaffungsgesetzes vom 23. Februar 1957 gefordert, weil die gegenwärtige Praxis, die Gemeinden lediglich anzuhören, nach unserer Einschätzung nicht ausreichend ist und die Interessen der Kommunen sowie die Mitwirkungsrechte der Betroffenen nicht so berücksichtigt werden, wie sie unter den Gesichtspunkten des Naturschutzes und der Freizeiträume nach unserer Meinung berücksichtigt werden müßten.
Die Bundeswehr und die bei uns stationierten Streitkräfte sind durch den Umweltbericht genauso
verpflichtet wie andere auch. 900 000 hier stationierte Soldaten sind kein Pappenstiel. Sicherlich wird in den Streitkräften bereits vieles getan; das will ich gar nicht abstreiten. Ich will andererseits auch nicht alles nennen. Allerdings bleiben manche freiwillige Aktionen der Soldaten im bürokratischen Gewirr von Kompetenzen hängen.
Die Erprobung neuer Schallschutzverfahren an Schießplätzen ist zu begrüßen. Mit Genugtuung nehmen wir zur Kenntnis, daß Lärmschutzwälle gebaut und bepflanzt werden. Auch die Aufforstungen im Bereich der Schießbahnen sind anerkennenswert. Gleichzeitig müssen wir aber auch erwähnen, daß Forschungen für rauchgasarme Triebwerke wegen fehlender Finanzmittel eingestellt worden sind.
Abschließend möchte ich feststellen: Umweltschutz erfordert Handeln. Er ist nicht umsonst zu haben. Das wissen auch wir. Die Problemstellung ist allerdings nicht durch Polemik zu lösen.
({2})
Wir fordern die Bundesregierung auf, gemäß ihrer Unterrichtung vom 2. Januar 1986, nämlich ihrem Umweltbericht, mit der Verbindlichkeit der dort erklärten Ziele auch für den Bereich Umweltschutz, sprich Bundeswehr und Umweltschutz, einen Bericht vorzulegen, der folgendes berücksichtigt: Beanspruchung der Natur durch militärische Planung und Vorhaben. Dieses sollte als Sonderteil beigefügt werden bzw. als besonderer Abschnitt im Umweltbericht gekennzeichnet werden, wo sich das vor dem Hintergrund der Fähigkeiten der Militärs ausdrückt, uns zu verteidigen. Ich möchte insofern bitten, daß man sich wirklich einmal Gedanken darüber macht, in Einzelplan 14 ein besonderes Kapitel „Umweltschutz" auszuweisen, damit grundsätzlich geprüft werden kann, was man für den Umweltschutz tut. Dann kann man ganz gezielt nachweisen, daß dieses oder jenes nicht erfolgt ist.
({3})
- Ich habe Sie nicht verstanden, Herr Schierholz.
({4})
- „War nicht wichtig", na, ja. Ich dachte, Ihre Beiträge sind immer sehr wichtig.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit tiefer Befriedigung, Frau Kollegin Hönes, habe ich von dem großen Entzücken gehört, das sich in Ihrer Fraktion ausgebreitet hat, als Sie die Antworten der Bundesregierung auf Ihre beiden Großen Anfragen gelesen haben.
({0})
Gestatten Sie mir allerdings eine Zusatzbemerkung: Entzücken setzt Überraschung voraus, und
diese Überraschung war eigentlich nicht notwendig.
({1})
Ich verweise auf den Bericht „Bundeswehr und Umweltschutz", 4. Auflage, in dem, vorsichtig geschätzt, 90 bis 95 % der Informationen bekanntgegeben worden sind, die Sie durch Ihre beiden Großen Anfragen noch einmal glaubten erfragen zu müssen.
({2})
Insofern glaube ich, daß der Fraktion der GRÜNEN mit diesen beiden Anfragen, Herr Kollege Dr. Schierholz, eigentlich ein geradezu klassisches Eigentor gelungen ist,
({3})
wie neben den zu erwartenden Antworten des Herrn Staatssekretärs, neben den Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage bereits der Ablauf der bisherigen Debatte sehr deutlich gezeigt hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schierholz?
Ich gestatte.
Da ich Ihnen zubilligen möchte, Herr Ronneburger, daß die Antworten vom Verteidigungsministerium diesmal entgegen der sonstigen Praxis der Antworten auf unsere Anfragen sehr ausführlich ausgefallen sind, möchte ich trotzdem fragen, wieso die Bundesregierung einen so langen Zeitraum, nämlich ungefähr ein halbes Jahr, zwischen Fragestellung und Antwort gebraucht hat, wenn all diese Informationen schon vorgelegen haben.
Vielleicht darf ich Ihnen in die Erinnerung zurückrufen, welchen Umfang Ihre Großen Anfragen gehabt haben, welch große Zahl von Fragen gestellt worden ist. Die Beantwortung einer Großen Anfrage innerhalb eines halben Jahres, Herr Kollege Dr. Schierholz, ist überhaupt kein anomaler Vorgang. Wenn Sie glauben, auch in Zukunft nachfragen zu müssen, was jeder, der lesen kann, auch vorher hätte nachlesen können, dann werden Sie sich mit Sicherheit an solche Zeiträume gewöhnen müssen.
Nach dem verleumderischen Angriff auf die Bundeswehr als Faktor der Friedensgefährdung - ich erinnere an Ihren Antrag aus der Fraktion der GRÜNEN vom 15. Mai 1985 - galt diesmal die Stoßrichtung jetzt der Bundeswehr als Faktor der Umweltgefährdung. Ich will gern noch einmal aus Ihrem Antrag vom Mai zitieren. Damals haben Sie vergessen, bei dem Zitat zu applaudieren, als ich es schon einmal gebracht habe. Es heißt dort: „Ein erster Ansatz", Frau Kollegin Hönes, „für eine deutliche Verringerung der Tiefflugaktivitäten wäre die Beseitigung der Fähigkeit der Luftwaffe zur Invasion". Jetzt kommt ein sehr bedeutungsvoller Satz:
„Dies würde den Weg zu einer neuen Sicherheitspolitik ebnen, die dem Friedensauftrag des Grundgesetzes entspricht." Über das Grundgesetz, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, haben wir mit Ihnen an anderer Stelle schon ausführlich zu reden gehabt. Ich will das an dieser Stelle nicht wiederholen, aber noch einmal ausdrücklich sagen, daß der Auftrag der Bundeswehr nichts anderes ist als die Erhaltung des Friedens,
({0})
ein Auftrag, den die Bundeswehr bisher erfolgreich ausgeführt hat und den in Zukunft auszuführen wir ihr auch weiterhin die Mittel zur Verfügung stellen werden.
({1})
Herr Abgeordneter Ronneburger, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hönes?
Diese Zwischenfrage noch, und dann möchte ich meine Position doch durchgängig darstellen. - Frau Kollegin.
Ich werde Sie nicht weiter behelligen, Herr Kollege, sondern möchte von Ihnen nur wissen, bzw. Ihre Zustimmung dazu haben, ob Sie nicht auch glauben, daß Tiefflugversuche nicht für eine Defensivstrategie, sondern für eine Offensivstrategie notwendig sind, und die ist im Grundgesetz wohl nicht verankert.
({0})
Völlig falsch was Sie soeben dargestellt haben. Fliegerische Aktivitäten der Bundeswehr, der Bundesluftwaffe - in welcher Höhe auch immer - gehören zu dem Gesamtauftrag der Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft. Diese Aktivitäten, das Fliegen auch in niedrigen Höhen, gehören genauso zu der notwendigen Vorbereitung auf das, was ich vorhin als Aufgabe der Bundeswehr insgesamt beschrieben habe. Wir könnten uns darüber an anderer Stelle vielleicht noch ausführlicher unterhalten. - Im übrigen möchte ich, meine Damen und Herren, gerne darauf hinweisen, daß alles, was die Bundeswehr tut, den gesetzlichen Grundlagen unterliegt, denen Umweltschutz insgesamt in der Bundesrepublik unterworfen ist.
Ich will die einzelnen Gesetze jetzt zwar nicht noch einmal aufzählen, aber aus Gründen der Deutlichkeit hier doch zwei nennen: das Fluglärmgesetz von 1971 und das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität von 1980. Dazwischen gibt es eine große Zahl von Gesetzen. Die Jahreszahlen sollten die Fraktion DIE GRÜNEN vielleicht darauf aufmerksam machen, daß Umweltschutz in diesem Hohen Hause nicht erst begann, als wir das Vergnügen hatten, Sie hier Ihre Plätze einnehmen zu sehen.
({0})
- „Das zweifelhafte Vergnügen", nun gut, das ist Ihre Zusatzbemerkung. Ich glaube, es war mit meiner Äußerung deutlich genug gesagt. - Hier ist frühzeitig und kontinuierlich die Grundlage für das geschaffen worden, was an Umweltschutz in diesem Staat Bundesrepublik Deutschland innerhalb und außerhalb der Bundeswehr getan wird.
({1})
Frau Kollegin Hönes, eine Bemerkung gestatten Sie mir bitte an dieser Stelle auch noch: Es hat nun einfach keinen Zweck, Fakten, die bereits berichtigt worden sind, Fakten, die in den Antworten enthalten sind, hier vor dem Plenum des Bundestages und damit vor der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland noch einmal falsch darzustellen. Sie haben hier noch einmal von 5,6 % der Fläche der Bundesrepublik gesprochen, die für Verteidigungszwecke in Anspruch genommen würden. Die tatsächliche Größenordnung ist 1,6 %. Darüber sollten wir uns endlich einmal verständigen und nicht glauben, mit der Wiederholung falscher Behauptungen sei der Sache gedient. Im Gegenteil: Das, was damit erreicht werden kann oder erreicht werden soll, wird höchstens noch schlimmer.
Die Diskussion über die beiden Großen Anfragen hat von Ihrer Seite her sicherlich einen ganz bestimmten Grund: den eines Angriffs auf die Bundeswehr, eines Angriffs auch auf die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO. Ich muß Ihnen sagen: Der Entschließungsantrag, den Sie hätten vorlegen können, wie Sie es in ähnlichem Zusammenhang sonst ja immer getan haben, hätte zum Lob für die Leistungen der Bundeswehr geraten müssen für das, was sie im Umweltschutz tut.
({2})
Für jedes andere Fazit hätte die offensichtliche Unredlichkeit oberhalb der Reizschwelle jedes Umweltschützers gelegen, der diesen Namen wirklich zu Recht trägt.
Wir haben vor kurzem Gelegenheit gehabt, hier vor dem Hohen Hause die Leistungen der Bundeswehr für unsere Sicherheit zu würdigen. Heute haben Sie uns die Gelegenheit verschafft, vor demselben Plenum die beispielhaften Leistungen der Bundeswehr im Umweltschutz ebenfalls gebührend zu würdigen. Sie selbst haben es, wenn auch ironisch, am Anfang Ihrer Rede so dargestellt. Ich will, wenn ich Ihnen dafür den Dank ausspreche, damit nicht spotten.
({3})
Dazu sind im Grunde genommen beide Themen, das Thema Sicherheit und das Thema Umweltschutz, zu ernst. Beide Themen verlangen allerdings auch etwas anderes, nämlich Redlichkeit. Zur durchaus berechtigten Frage nach Belastungen der Umwelt durch die Streitkräfte gehört auch die FestRonneburger
stellung, daß der zentrale Auftrag der Bundeswehr nicht Umweltschutz ist und nicht sein kann; der Auftrag der Bundeswehr ist die Friedenssicherung durch präsente Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft. Dazu ist in den Antworten einiges gesagt.
Lassen Sie mich folgendes sagen: Wenn 600 000 Menschen untergebracht, versorgt und entsorgt werden müssen, neben allem, was an Gerät betrieben und unterhalten werden muß - das ist eine Zahl, die größer ist als die Bevölkerung etwa von Stuttgart -, wer wollte denn bestreiten, daß das die Umwelt belastet? Belastet die Zivilgemeinde Stuttgart die Umwelt etwa nicht?
Wenn man die Bundeswehr in einen solchen objektiven Bezug setzt und die Feststellung der IABG, die Herr Kollege Dr. Oldenstädt vorhin schon zitiert hat, in die Bewertung mit einbezieht, dann kann man wirklich nur sagen, daß die Bundeswehr ihre Aufgaben nicht nur in ihrem zentralen Aufgabenbereich, sondern auch in dem Zusammenhang wahrnimmt, von dem hier heute die Rede ist.
In welcher Institution, meine Damen und Herren, die nicht unmittelbar mit dem Umweltschutz beauftragt ist, gibt es denn auf allen Ebenen Umweltschutzbeauftragte, ist Umweltschutz ein integraler Bestandteil der Ausbildung, werden Fahrzeuge, werden Heizanlagen mit einer Konsequenz wie bei der Bundeswehr auf die Belange des Umweltschutzes eingestellt? In welchen anderen Bereichen bemüht man sich bereits im Vorgriff, z. B. der TA Luft gerecht zu werden? Wo wird schon in der Planung von Infrastruktur und Ausrüstung vorbeugend Umweltschutz betrieben?
({4})
Wo werden z. B. - Sie haben es vorhin glossiert - in der Pflege von Pflanzen fast ausschließlich natürliche Stoffe benutzt? Wo wird der Umweltschutz so engagiert betrieben, daß wieder Reservate für seltene Tier- und Pflanzenarten entstehen?
({5})
Sie sollten sich darüber nicht lustig machen, sondern dies als eine Folge einer konsequenten Umweltpolitik betrachten.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die überwältigende Mehrheit unserer Bevölkerung bejaht Bundeswehr und Bündnis zur Friedenssicherung, bejaht ebenso den hohen Stellenwert des Umweltschutzes. Sie teilt aber nicht die Utopie „Mehr Umweltschutz durch Entwaffnung und Auflösung".
Wenn die Fraktion der GRÜNEN sich vom Boden der Realität aus tatsächlich um mehr konkreten Umweltschutz im Bereich der Streitkräfte bemühen würde, wenn es ihr wirklich um Umweltschutz ginge und nicht um ganz andere Ziele, dann hätte
sie hier der Bundeswehr und der Bundesregierung ihre Anerkennung aussprechen müssen. Sie hat es nicht getan. Wir geben der Wahrheit die Ehre und tun es.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kolbow.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei diesen Großen Anfragen der GRÜNEN stößt man auf Formulierungen, die erkennen lassen, daß es den Fragestellern vor allem darum geht, die Bundeswehr und die Streitkräfte der NATO-Staaten, die in der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind, für Umweltschäden und für Umweltbeeinträchtigung verantwortlich zu machen.
({0})
Diese Tendenz der Fragestellung ist nicht zu übersehen,
({1}) und sie ist beabsichtigt.
({2})
So begründete eine Sprecherin der GRÜNEN am 11. November 1985 den Vorwurf der Umweltschädlichkeit der Bundeswehr damit, daß in keinem europäischen Land die Streitkräfte einen derart großen Übungsraum beanspruchten wie in der Bundesrepublik.
({3})
Sie sagen schlicht und einfach die Unwahrheit! Ich beziehe mich auf das, was der Kollege Ronneburger gesagt hat. Daß 5,6% der Bodenfläche militärisch genutzt würden und daß damit die Bundeswehr bzw. die Bundesrepublik weit an der Spitze liegen würde, stimmt eben nicht. Ich meine, mit diesen Tatsachen müssen auch Sie, wenn Sie der Wahrheit - was man j a tun sollte - die Ehre geben wollen, sich abfinden, und Sie sollten da nicht falsch formulieren.
Abgesehen von der Tatsache, daß diese von Ihnen immer wieder genannte Zahl nicht stimmt, verkennt diese Art der Argumentation auch völlig, daß es in keinem anderen Land in Westeuropa eine politische und damit auch sicherheits- und verteidigungspolitische Situation gibt, die mit der unseren in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar wäre.
({4})
Wer so mit Daten, Zahlen und Tatsachen umgeht, wie Sie es im Zusammenhang mit dem Gesamtkomplex Sicherheitspolitik, Verteidigung und Bundeswehr tun, der darf sich nicht wundern, wenn andere auch aus Gründen der politischen Glaubwürdigkeit und der Kontinuität der von Ihnen vertretenen Verteidigungspolitik diese Argumentation in Frage
stellen und den von Ihnen gestellten Forderungen allein schon deshalb nicht folgen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hönes?
Nein, im Moment nicht.
Umweltschutz war für die SPD und für die Bundeswehr bereits ein Thema, als es die GRÜNEN im Deutschen Bundestag noch gar nicht gab.
({0})
Im Jahre 1972 - damit haben Sie sich überhaupt noch nicht befaßt - wurde mit der Gründung der Sozialabteilung im Bundesministerium der Verteidigung vom damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt und vom späteren Wehrbeauftragten Karl Wilhelm Berkhan die Gründung des Referates Umweltschutz in der Bundeswehr durchgesetzt. Dieses Referat hat in den 14 Jahren seiner Existenz gute und vorbildliche Grundlagenarbeit geleistet sowie wegweisende Anregungen für zahlreiche jetzt verwirklichte und noch geplante Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes gegeben.
({1})
Es hat sich in den neuesten Untersuchungen - und vielleicht nehmen Sie die auch einmal zur Kenntnis, wenn Sie schon fragen - gezeigt, daß die Bundeswehr der größte von der Zielsetzung her nicht auf Umweltschutz ausgerichtete Bereich der Exekutive ist, in dem seit Jahren planmäßig Umweltschutz betrieben wird. Ich erinnere daran, daß die Sozialdemokraten es waren, die diesen richtungweisenden Schritt 1972 getan haben. Das sollte auch die Bundesregierung und sollten insbesondere Sie, Herr Kollege Würzbach, bei Ihren zahlreichen Stellungnahmen und Präsentationen als nachprüfbare Tatsache nicht vergessen.
({2})
Die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland erfüllen - auch das gehört in den Gesamtzusammenhang dieser Debatte über die Großen Anfragen - mit ihrer Friedenspräsenz, ihrer Ausbildung und ihrer Einsatzbereitschaft nach unserem Verständnis von Verteidigungspolitik einen Verfassungsauftrag.
({3})
Ich lese Ihnen einmal vor, was die Parteitage in Köln und in Essen dazu beschlossen haben, weil Sie j a immer anders argumentieren, als Sie es eigentlich wissen müßten. Wir Sozialdemokraten haben dazu beschlossen:
Die einzig wirksame Landesverteidigung für unser Land ist die Kriegsverhütung. Diesem Ziel hat die Bundeswehr und haben Politik und Strategie des Bündnisses zu dienen. Bündnis, NATO und Bundeswehr sind für die Erreichung dieses Zieles unverzichtbar. Den Soldaten der Bundeswehr gebührt für ihren Dienst Respekt und Dank.
({4})
Das wird j a auch von der anderen Seite manchmal falsch zitiert.
({5})
Wir werden uns wie bisher dafür einsetzen, daß die Bundeswehr die zur Erfüllung dieses Auftrages erforderlichen Mittel erhält. Obwohl die Erfüllung ihres Verfassungsauftrages zur Landesverteidigung von der Bundeswehr - auch das muß deutlich gesagt werden - Aktivitäten fordert, die teilweise erhebliche Einwirkungen auf die Umwelt haben, leistet die Bundeswehr einen wichtigen und unübersehbaren Beitrag zur Erhaltung von Natur und Landschaft und zur Verbesserung der Umwelt.
Es handelt sich immerhin um 500 Millionen DM. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn wir im Einzelplan 14 einen Umwelttitel extra ausweisen würden, damit wir nicht immer die Einzelaktivitäten zusammensammeln müssen. Wenn es einen solchen Titel gäbe, könnten wir leichter deutlich machen, was getan wird. Deswegen empfinde ich Formulierungen wie die, die Bundeswehr gehöre zu den größten Umweltschädigern in der Bundesrepublik, als eine Mißachtung des Strebens des Parlaments und der Bundeswehr, die Umwelt in unserem Lande zu schützen, zu erhalten und zu verbessern.
({6})
Es gibt zahlreiche Verwirklichungen, die auch institutionalisiert sind und dafür Sorge tragen, daß Umweltfragen bei der Bundeswehr berücksichtigt werden. Der Bundesminister der Verteidigung ist Mitglied des Kabinettsausschusses für Umweltfragen; das war schon immer so. Der Leiter der Sozialabteilung im Bundesministerium der Verteidigung ist Umweltbeauftragter des Verteidigungsministers. Ihm steht das schon erwähnte koordinierende Fachreferat für Umweltschutz zur Verfügung. Ich möchte auch dies noch einmal deutlich unterstreichen: In allen sechs Wehrbereichsverwaltungen, in allen 184 Standortverwaltungen gibt es Ansprechstellen für Fragen des Umweltschutzes. Die Wehrbereichskommandos und alle anderen militärischen Dienststellen und Einrichtungen sind angewiesen, bei der Umweltschutzarbeit mit den Wehrbereichsverwaltungen eng zusammenzuarbeiten.
({7})
- Nein, ich berichte nur mit Bezug auf das, was Sie gefragt haben. Wir haben bestimmte Sachverhalte von seiten des Parlaments politisch zur Kenntnis zu nehmen und können nicht einfach all das, was Ihnen nicht paßt, aus der Welt räumen. Ich füge an, daß für fachliche und wissenschaftliche Beratung, die in dieser Frage auch von Bedeutung ist, Fachleute des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung - Sie sollten einmal dort hingehen -, des Geophysikalischen Beratungsdienstes der Bundeswehr sowie des Wehrwissenschaftlichen InstituKolbow
tes für Materialuntersuchung - das kennen Sie wohl alles nicht - zur Verfügung stehen.
({8})
Insoweit gibt es hier eine Klammer zur Verknüpfung von Aktivitäten, die Ihnen - lassen Sie mich das als Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion sagen - vielleicht nicht paßt. Damit lassen sich die Vorwürfe widerlegen, die Sie in Ihren Großen Anfragen erheben.
({9})
Ich will mich aber nicht nur mit Ihnen auseinandersetzen, sondern natürlich auch die Regierung ansprechen.
({10})
Nichts ist so gut, als daß es nicht noch verbessert werden könnte. Deshalb fordern wir Sozialdemokraten den Außenminister und den Verteidigungsminister auf,
({11})
in Verhandlungen mit den verbündeten Stationierungsstreitkräften zu erreichen, daß sich diese, was die Gesamtthematik angeht, in unserem Lande so verhalten wie dessen eigene Streitkräfte, die für sich nur wenige Sonderregelungen in Anspruch nehmen. Wir alle - der Kollege Dr. Klejdzinski hat darauf hingewiesen - würden spürbare Entlastungen erfahren, wenn dies im Hinblick auf Tieffluglärmbelastung, Schießlärmbelastung und Übungszeiten erreicht werden könnte. Ich beziehe mich hier auf den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, der es am 19. Feburar 1986 so formuliert hat: Bundeswehr und alliierte Streitkräfte haben den gleichen Sicherungsauftrag. - Deswegen meine ich, daß gerade die Regierung - wir wollen dabei mit unseren Initiativen helfen - aufgefordert ist, für die Entlastung der Bevölkerung zu sorgen. Ich sage auch klar: Mit uns können Sie deshalb
({12})
durchaus über die von Ihnen beabsichtigte 49er Regelung reden. Wir werden dabei sorgfältig prüfen, ob das angesprochene Ergebnis mit dieser von Ihnen vorgeschlagenen Lösung erreicht werden kann.
Meine Damen und Herren, bei allen Maßnahmen zum Umweltschutz darf es schließlich keine zusätzliche Überforderung der Truppe geben. Zugleich müssen wir aber Ehrlichkeit fordern. Es geht nicht an, der Do-28-Staffel der Marineflieger den Ölsünder-Suchauftrag zu erteilen, ohne sie personell und materiell für diese Zusatzaufgabe auszustatten.
({13})
- Nein. Ich komme gleich darauf, Herr Kollege Oldenstädt. - Wenn der Gerätebediener an Bord der Do 28 ein dritter Pilot ist und wenn an Land keine Möglichkeit besteht, die Farbfilme zu entwikkeln, um die Ölsünder auf See zu überführen, so
bedeutet das neben anderen Verstößen, so glaube ich, auch einen Verstoß gegen die von der politischen Leitung des Ministeriums wahrzunehmende Fürsorgepflicht für die ihr im Frieden unterstehenden Soldaten.
Herr Abgeordneter Kolbow, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulte ({0})?
Aber gerne!
Glauben Sie, daß Sie irgend jemand auf den Zuschauerrängen, der Sie nicht kennt, nach dieser Rede der Sozialdemokratischen Partei zurechnen würde?
Herr Abgeordneter Schulte, das ist keine Frage zur Aussprache.
({0})
Das ist eine Meinungsforschungsfrage. Sie sollten sie an anderer Stelle und nicht hier im Bundestag stellen.
({1})
Herr Präsident, ich bedanke mich. Ich möchte zu dieser wertenden Frage auch nichts sagen. Das überlassen wir all denen, die zuhören. Daß ich Sie nicht überzeugen kann, wußte ich von vornherein.
({0})
- Auch das ist Ihnen überlassen, verehrter Herr Kollege.
Ich möchte wieder den Zusammenhang zu dem Problem herstellen, das ich vorher angesprochen habe und das mir am Herzen liegt. Ich finde es in hohem Maße befremdlich, Herr Würzbach - vielleicht nehmen Sie diese Anregung mit; dazu sollen ja Debatten auch dienen -, daß die beiden Do-28Maschinen der Bundeswehr stillschweigend von einer Do-228 der Firma Dornier begleitet werden. Ich glaube, daß sich die Bundeswehr wegen ihres Verfassungsauftrages dafür zu schade sein sollte, sich von Firmen der Rüstungsindustrie zur Imagewerbung für Firmenprodukte mit dem Ziel mißbrauchen zu lassen, diese nach solchen Einsätzen besser verkaufen zu können.
Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Roitzsch ({0}).
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Zunächst einmal möchte ich feststellen, daß es wirklich wieder einmal interessant ist: Die GRÜNEN bemühen die Ministerien, machen ihnen Arbeit, wie sie es ja ständig machen, stellen dumme Fragen, die sie gar nicht richtig beantwortet haben wollen, weil ihnen die Antwort sowieso nicht paßt, und dann sind sie nicht im Plenum. Wir sitzen hier wegen Ihrer Fra15480
Frau Roitzsch ({0})
gen. Sie haben 28 Mitglieder in Ihrer Fraktion, und ganze fünf sind da. Aber wie gesagt: Das ist ja bezeichnend.
({1})
Im übrigen ist bekannt, daß die GRÜNEN keine Gelegenheit auslassen, gegen die Bundeswehr zu polemisieren.
({2})
Nur ist bei dieser Anfrage der Schuß für Sie nach hinten losgegangen; das haben Sie ja schon gehört. Denn gerade die Bundeswehr hat schon aktiven Umweltschutz betrieben, als es die GRÜNEN überhaupt noch nicht gab
({3})
und Sie das Wort Umweltschutz noch nicht einmal schreiben oder buchstabieren konnten.
({4})
Der Kollege Kolbow hat schon darauf hingewiesen - dies ist ein Verdienst -, daß es im Bundesverteidigungsministerium seit 14 Jahren einen Umweltschutzbeauftragten gibt und daß es in jeder Wehrbereichsverwaltung sowie in allen Standortverwaltungen einen Verantwortlichen für den Umweltschutz gibt. Dies ist eine Leistung.
Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, daß das Amt für Wehrgeophysik in Traben-Trarbach maßgeblich daran beteiligt ist, ob, wann und in welcher Form Manöver in der Bundesrepublik durchgeführt werden.
({5})
- Ich beantworte Ihnen keine Frage. Bevor Sie nicht den normalen Umgang mit Menschen gelernt haben, d. h. z. B., wenn Sie in den Aufzug kommen, zu grüßen, sprechen wir auch hier im Plenum nicht miteinander.
({6}) Also, Herr Präsident, keine Fragen.
({7})
Das Institut für Wehrgeophysik berät die Bundeswehr dabei, ob und in welcher Form Manöver durchgeführt werden. Diese Planungen erfolgen vorrangig unter Berücksichtigung des Umweltschutzes und der zumutbaren Belastbarkeit der Natur und der Menschen. So sind schon mehrfach geplante Manöver ganz oder teilweise abgesagt und erheblich eingeschränkt worden, da sie in Kombination mit schlechten Witterungslagen zu erheblichen Umweltbeschädigungen hätten führen können. Hier hat sich die Bundeswehr also mehrmals für die Umwelt entschieden. Das Beispiel ist das Herbstmanöver 1984 „Flinker Igel", bei dem man darauf verzichtet hat, die 50 000 Soldaten der
Truppe auf dem Gelände zu bewegen, und statt dessen die Straße genommen hat.
Natürlich kann man nicht leugnen, daß es bei der Abwägung zwischen dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr und der Belastung der Umwelt Probleme gibt. Aber wenn die Bundeswehr nach Art. 87 a des Grundgesetzes ihrem Auftrag gerecht werden will, dann müssen ihre Soldaten die Verteidigung lernen und üben. Das gilt für das Panzerfahren, das gilt für das Flugzeugfliegen ebenso wie für das Schießen.
Trotz des heutigen Standes der Technik lassen sich Lärm und Abgase einfach nicht vermeiden. Aber die Umweltbelastungen, die von den Streitkräften ausgehen, werden gewaltig überschätzt oder aus ideologischen Gründen bewußt übertrieben. Tatsächlich verursacht die Bundeswehr mit ihren Fahrzeugen weniger als 1% aller Kraftfahrzeugemissionen in der Bundesrepublik Deutschland. Weniger als 1%!
({8})
- Da müssen Sie nachlesen. Es ist Ihnen doch beantwortet worden.
({9})
Trotz dieses geringen Anteils hat der Bundesminister der Verteidigung angeordnet, daß auch die restlichen 30 % Fahrzeuge mit Otto-Motoren der Fahrzeuge durch Diesel-Fahrzeuge ersetzt werden. Heute gibt die Bundeswehr jährlich 70 Millionen DM aus, um ihre Fahrzeuge mit der Bundesbahn statt auf den Straßen zum Übungsort zu transportieren.
Mit ihren 670 000 militärischen und zivilen Bediensteten ist die Bundeswehr am gesamten Energieverbrauch in der Bundesrepublik mit nur 0,42% beteiligt. Durch die Umrüstung der Heizanlagen in den Bundeswehreinrichtungen wurde in den letzten Jahren der Schadstoffausstoß um mehr als 30% verringert. Weitere umweltfreundliche Anlagen sind in der Planung. Aus den Wärmeversorgungseinrichtungen der Bundeswehr werden in einem Jahr nur soviel Schadstoffemissionen frei wie bei allen übrigen Wärmeversorgungseinrichtungen in unserem Land an einem einzigen Tag. Ein Jahr Bundeswehr - alle anderen Einrichtungen an einem Tag!
({10})
Hier sollten die Industrie und die Zivilbevölkerung dem guten Beispiel der Bundeswehr nacheifern.
Meine Redezeit reicht nicht aus, um hier alle Einzelmaßnahmen zum Schutz der Umwelt aufzuzählen. Tatsache ist - das wurde gesagt -, daß die Bundeswehr Jahr für Jahr mehr als 500 Millionen DM zum gezielten Schutz der Umwelt ausgibt. Andererseits sparen die Streitkräfte Geld dadurch ein, daß sie in den vergangenen Jahren z. B. den Einsatz sogenannter Pflanzenschutzmittel um 50 % reduziert haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hönes?
Nein, Herr Präsident.
({0})
- Ja, Frau Hönes grüßt. Das stimmt. Trotzdem: Lassen Sie mich das erst mal im Zusammenhang vortragen. Sie können mich nachher etwas fragen. Ja?
Im übrigen werden auf Bundeswehrgelände fast nur solche Pflanzenbehandlungsmittel eingesetzt, die ungiftig sind. Und der Einsatz macht nur ein Zehntel dessen aus, was die Landwirtschaft auf gleicher Fläche einsetzt. Was die angeblichen Umweltschützer wie DIE GRÜNEN sicher nicht wissen, ist, daß gerade die Übungsplätze der Bundeswehr sich zu Reservaten für bedrohte Tier- und Pflanzenarten entwickelt haben.
({1})
Als besonderes Ärgernis und große Belastung werden von der Bevölkerung der Fluglärm und der Schießlärm empfunden. Doch auch hier muß gesagt werden, daß die Bundeswehr ihrem im Grundgesetz verankerten Verteidigungsauftrag gerecht werden muß. Deshalb müssen das Fliegen und auch das Tieffliegen geübt werden. Ich betone ausdrücklich: Der Bestand der Bundeswehr garantiert unser aller Sicherheit in Frieden und Freiheit. Übungsflüge sind kein Selbstzweck, sondern notwendig für die Sicherung dieses Friedens.
({2})
Die Bundesrepublik Deutschland hat mit vier Millionen Flügen pro Jahr den dichtesten Luftverkehr der Welt. Aber davon sind nur 14,5% militärische Flüge. Weil die Bundesregierung um die großen Beeinträchtigungen der Bevökerung durch den Fluglärm weiß, wurde die Zahl der Flugstunden pro Jahr und Flugzeugführer von 240 auf 180 Flugstunden reduziert. Das ist die Untergrenze, das Minimum, das die NATO fordert. Das müssen wir einhalten. Im übrigen hat die Luftwaffe einiges unternommen, um die Belastung der Bevölkerung durch Fluglärm zu mindern. Die Verlagerung der Flüge ins Ausland ist schon angesprochen worden.
Weil wir die Belastung der Bevölkerung durch Fluglärm sehr ernst nehmen, hat die Bundeswehr bis heute rund ein Viertel ihrer Tiefflugausbildung und zwei Drittel der Luft-Boden-Waffen-Ausbildung in fast unbesiedelte - ich sage noch mal ausdrücklich: unbesiedelte - Gebiete ins Ausland verlagert.
Deshalb unterstützen wir die Bemühungen der Bundesregierung zur Minderung des Fluglärms. Danach sollen Tiefflugübungen noch verstärkter ins Ausland verlegt werden, dicht besiedelte Orte möglichst nicht von Tieffliegern belästigt werden, die Einhaltung der Flugregeln durch Überwachungsgeräte intensivst kontrolliert werden und natürlich Tiefflüge auf das unerläßliche Maß reduziert werden. Neue Entwicklungen in der Flugzeugtechnik sowie der Einsatz von Simulatoren sollen gezielt zur Reduzierung des Fluglärms genutzt werden.
({3})
- Das mögen Sie nicht? Da verstehe ich Ihre Reaktion überhaupt nicht. - Ständige Lärmmeßeinrichtungen an den militärischen Flugplätzen sollen die Einhaltung aller flugtechnischen Vorschriften konsequent überwachen.
Bei unseren Bestrebungen, weitere Flüge ins Ausland zu verlagern, vergessen wir aber nicht, daß den Angehörigen der Luftwaffe dadurch weitere persönliche und finanzielle Opfer zugemutet werden.
({4})
Deshalb müssen wir diese in angemessener Form ausgleichen, denn die notwendige Entlastung der Bevölkerung vom militärischen Fluglärm darf nicht ausschließlich zuungunsten der Soldaten und ihrer Familien gehen.
({5})
Zusammenfassend stelle ich fest, die Bundeswehr nimmt den Umweltschutz verdammt ernst, sie kann in vielen Bereichen als Vorbild gelten. Jedoch wird man die Umweltbelastungen niemals auf Null bringen können. Dies liegt an dem Auftrag, den die Bundeswehr zu erfüllen hat, nämlich die Verteidigung unseres Vaterlandes, die - so hoffen wir alle - sich niemals im Ernstfall beweisen muß. Wenn also GRÜNE glauben, der Bundeswehr in Sachen Umweltschutz am Zeug flicken zu können, so zeigen diese Fakten die mangelnde Sachkenntnis und Qualifikation dieser Leute. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, solange ein grüner Bundestagsabgeordneter einen Fahrer der Fahrbereitschaft des Deutschen Bundestages an einem Wochenende von Bonn 400 km weit zu seinem Heimatort kommen läßt, um dort den Herrn Abgeordneten zu einem 40 km entfernten Popkonzert zu chauffieren, und dann den Fahrer in der Nacht wieder zurückschickt, solange GRÜNE ihre Wahlplakate mit Nägeln an lebende Bäume knallen, so lange spreche ich den GRÜNEN ihre Kompetenz auf dem Gebiet des Umweltschutzes ab.
({6})
Ein letzter Satz: Die Soldaten der Bundeswehr sind nicht nur bemüht, die Umwelt zu schützen, sie schützen auch den Frieden in Freiheit für die, von denen sie bekämpft werden.
({7})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Herr Würzbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sich bei dem Thema, das uns heute hier zusammenführt, an die wirklich nachweisbaren und ablesbaren Fakten hält, wird sehen, daß wir in der Bundeswehr nicht nur eine gute, sondern eine ausgesprochen stolze Bilanz in bezug auf den Umweltschutz vorzuführen haben. Ich will ein Argument noch deutlicher, als es außer den GRÜNEN erfreulicherweise alle Kollegen, die hier gesprochen haben, schon getan haben, zu formulieren
versuchen: Der wichtigste Bestandteil eines ordentlichen Umweltschutzes, die wichtigste Voraussetzung, Umweltschutz überhaupt betreiben zu können, ist, den Frieden zu erhalten. Anders ausgedrückt in der deutschen Sprache: Wichtigste Voraussetzung für den Umweltschutz ist, den Krieg, jeden Krieg zu verhindern, einen Krieg, der nicht nur schlimmstes unmenschliches Leid über die Menschen brächte, sondern der die Umwelt zerstörte bis hin zu Schäden, die niemand mehr reparieren kann. Dies sollten die GRÜNEN zur Kenntnis nehmen und in ihre Überlegungen mit einbeziehen, welch wichtigen Beitrag überhaupt, um über den Umweltschutz reden zu können, um ihn nach den Reden praktizieren zu können, die Streitkräfte, unsere Bundeswehr in Verbindung mit der NATO, für uns leisten.
({0})
Diesen Auftrag hat die Bundeswehr zusammen mit den Alliierten über drei Jahrzehnte, und zwar ohne Einschränkung, ohne die geringsten Abstriche, hervorragend in unser aller Interesse, auch im Interesse der Umwelt, erfüllt.
Daß sich die Bundeswehr hier in allen Bereichen Kompromisse auferlegt, haben die Redner vor mir, außer denen der GRÜNEN, an Hand von einigen Beispielen deutlich dargestellt. Beim Anlegen von Kasernen, von Übungsplätzen, von Depots, von militärischen Einrichtungen jedweder Art gehen wir Kompromisse ein. Allein nach den Ausbildungs-
und Infrastrukturforderungen müßten wir häufig ganz anders in die Natur eingreifen. Wir legen uns hier große, größte Zurückhaltung im Interesse der Umwelt auf. Wir tun das gleiche bei der Durchführung von Übungen. Kollegin Roitzsch hat dies eben hier an einigen gerade jetzt und im letzten Herbst praktizierten Beispielen genannt. Wir tun dies bei der täglich praktizierten Ausbildung; auch hier nehmen wir eine Menge Einschnitte hin.
Ich will in einem langen Stenogramm - Sie geben der Regierung durch diese Anfrage die Möglichkeit - einige Punkte nennen, wo wir uns selbst erhebliche Zurückhaltung im Interesse der Umwelt auferlegen.
Über die Anlagen sprach ich im Zusammenhang mit dem langen Verfahren - das spielte gestern im Verteidigungsausschuß eine Rolle -, das vorausgeht, bevor wir baulich tätig werden.
Über den Betrieb aller unserer Teilstreitkräfte, in der Luft wie auf See wie beim Einlaufen in die Häfen wie bei der Ausbildung auf dem Land, ist gestern ebenfalls geredet worden.
Bei der Erziehung unserer Soldaten ist die Frage der Umweltschutzvorsorge ein wichtiger Bestandteil. Inzwischen sind es rund sechs Millionen, die dies in der Bundeswehr erfahren haben, auch alle unsere zivilen Mitarbeiter.
Über das Geld ist gesprochen worden, einen riesigen Haushaltsansatz. Über Ihren Vorschlag, Herr Kolbow, eine extra Gruppe auszuwerfen, muß man mal reden, um deutlich zu machen, was dafür und was dagegen spricht. Es spricht zunächst, plakativ,
einiges dafür. Ob es im Ergebnis wirklich durchzuführen ist, müssen wir mal ganz sachlich im Verteidigungsausschuß und im Haushaltsausschuß prüfen. Unsere Vorschriften haben eine Menge Kapitel. Es gibt eigene Vorschriften. Kollege Ronneburger nannte eine solche dafür.
Die Zahl der Manöver außerhalb der Übungsplätze ist in der letzten Zeit geringer geworden. Die Manöver werden um umweltgefährdete Gegenden herumgelenkt, unterbrochen oder abgebrochen, wenn die Witterung dies im Interesse der Landschaft besser erscheinen läßt.
Panzer - darüber sprach auch schon der Kollege Oldenstädt - transportieren wir ab einer bestimmten Kilometergrenze für viel Geld und technisch nicht wenig aufwendig über die Bahn.
Wir üben mehr, soviel wie nie zuvor, im Ausland. Wir rüsten um auf schadstoffarme Fahrzeuge.
Wir schränken die Ausbildung an Wochenenden und zu bestimmten Uhrzeiten, ab abends, nicht unerheblich ein.
Wir rüsten, soweit es auf Grund des technischen Fortschritts geht, auf die Ausbildung auf Simulatoren um, um erst dann, wenn dort die Anfangsstationen durchlaufen sind, nach draußen, ins Gelände, zu gehen.
Gewaltige Summen sind für Lärmschutzhallen, für Lärmschutzwälle ausgegeben worden. Wir sind im Augenblick dabei, zunächst bei 22 Standortübungsplätzen eine - wir nennen das - Verkapselung vorzunehmen, um die Lärmbeeinträchtigung der Anlieger um diese bestehenden Plätze herum so niedrig wie möglich zu halten.
({1})
- Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen. Die GRÜNEN, die die Fragen gestellt haben, haben eine sehr gründliche Beantwortung von uns - so sehen sie es auch selber - bekommen.
Keine Zwischenfrage.
Ich möchte feststellen, daß mehr Aufforstungen durch die Bundeswehr vorgenommen worden sind, als wir in den Wald, den Holzbestand, haben eingreifen müssen. Mehr Aufforstungen als vorher sind beim Anlegen militärischer Infrastruktureinrichtungen erfolgt.
({0})
Ich bedanke mich sowohl bei den Kollegen der SPD wie der CDU/CSU und der FDP, daß auf unredlichen Umgang der GRÜNEN mit den Zahlen in diesem Zusammenhang von allen Vorrednern hingewiesen worden war. Ich will darauf nicht eingehen.
({1})
Zur Erhaltung des Friedens für die Menschen und für die Natur brauchen wir auch in Zukunft
bestimmte Anlagen in unserem Land. Und die haben in unserem Interesse im konventionellen Bereich und im Bereich der Vorneverteidigung in der Landschaft hier bei uns und nicht irgendwo sonst beim Nachbarn, hinter unserem Rücken, zu sein. So klar dies ist, so ist es eine klare Order für die Bundeswehr, heute und auch in den Jahren zuvor, daß ökologische Gesichtspunkte in jedem Einzelfall, auch da, wo es für uns unbequem oder sehr unbequem ist, vorher abgewogen werden und in die Entscheidungen Eingang finden. Wir haben immer wieder zu prüfen, ob sich möglicherweise Alternativen oder zumindest alternative Standorte umweltverträglicherer Art anbieten.
Wir haben eine Menge über Schäden, über das Reparieren von Eingriffen gesprochen. Wir in der Bundeswehr richten ein ganz besonderes Augenmerk gerade darauf, vorbeugend tätig zu werden, überhaupt nicht erst in die Umwelt einzugreifen oder, wo dies geschieht, es in geringerem Maße zu tun.
Ich will noch einmal in wenigen Strichen nachzeichnen, was hier über die Heizungsanlagen gesagt wurde. Wir haben eine eindrucksvolle Bilanz vorzuweisen. Ich meine, daß man der Bundeswehr Anerkennung zollen sollte. Zum Beispiel im Rahmen der Umrüstung der Heizungsanlagen haben wir es in zehn Jahren geschafft, von 4 300 t Staub auf 1 800 t herunterzukommen. Hier wurde ein gutes Ergebnis erzielt. Um bei den Heizungsanlagen zu bleiben: Der Ausstoß von SO2 konnte in einem Zeitraum von zehn Jahren von 19 300 t auf 11 300 t zurückgeführt werden. Wir werden für dieses Programm insgesamt über 1 Milliarden DM ausgeben, um in den Städten und Gemeinden, in denen unsere Garnisonen mit ihren Kasernen beheimatet sind, einen noch geringeren Schadstoffausstoß zu erreichen. Ich weiß nicht, ob man in allen anderen Bereichen in einer solchen Geschwindigkeit bei solch guten Ergebnissen hat tätig werden können.
Alle unsere Liegenschaften - nicht nur die Kasernen - sind mit guten Klärwerken ausgestattet. Durch den Umgang mit vielen Fahrzeugen und technischem Gerät verfügen alle unsere Kasernen über technisch modernste Abscheidungsanlagen, um zu verhindern, daß Öl, Fette und auslaufendes Benzin in das Grundwasser gelangen. Wo es solche Anlagen noch nicht gibt, sind die Baupläne fertig, oder der Bau ist eingeleitet.
Das Wort Recycling - es ist heute von den GRÜNEN nicht verwendet worden; auch in den Debatten draußen ist es nicht zu hören gewesen - ist in der Bundeswehr ebenfalls kein Fremdwort. Alte Reifen, alte Batterien, altes 01, alte Hülsen u. ä. werden eingesammelt, sorgsam aufbewahrt und wieder in den Kreislauf eingespeist. Den Kreislauf kann man im Haushaltsplan ablesen. Allein im letzten Jahr haben wir dem Bundeshaushalt rund 30 Millionen DM wieder zugeführt.
Wir verwenden lediglich solche Pflanzenbehandlungsmittel, die überhaupt keiner Giftklasse angehören. Darüber hinaus haben wir den Verbrauch in den letzten fünf Jahren um etwa die Hälfte gemindert.
Völlig überrascht hat mich, daß sich die Sprecherin der GRÜNEN hier hingestellt und - das werden wir im Protokoll nachlesen können - in Verbindung mit unseren Antworten auf die Anfrage bezüglich der Reservate auf den Übungsplätzen für sonst in Deutschland leider ausgestorbenen Arten von Pflanzen und Tieren von „Verlogenheit" gesprochen hat.
({2})
Das ist mir unverständlich. Wir sind von Ihnen ja einiges gewöhnt. Bevor Sie hier rotierten, gab es Kollegen, die ihren Sprüchen auch einmal Taten folgen ließen: Sie gingen auf die Übungsplätze und guckten sich das einmal an. Ich empfehle Ihnen, dies auch einmal zu tun. Wir sind bereit, Sie einmal dort hinzuführen, damit Sie, Frau Kollegin, sehen können, wer hier lügt oder wer wahrheitsgemäß darüber spricht. Schauen Sie sich das einmal an.
({3})
Ich bitte, daß sich derjenige, der ernsthaft daran interessiert ist, einmal ansieht, daß Tiere und Pflanzen unterschiedlicher Arten inzwischen ein Refugium auf unseren Übungsplätzen wie nirgendwo sonst gefunden haben.
Die Bundeswehr mißt dem Umweltschutz einen hohen Stellenwert bei. Dies ist auch am Stellenplan, am Haushaltsplan und am Ausbildungsplan ablesbar. Dies trifft auf alle Ebenen im zivilen wie im militärischen Bereich zu.
Der Kollege Oldenstädt ging im einzelnen auf die Marine ein. Ich möchte hier nur einen aktuellen Punkt herausgreifen. Herr Kollege Kolbow sprach unsere beiden Do 28 an, mit denen wir die Überwachung der Nordsee auf Ölverschmutzungen durchführen. Kollege Kolbow, Sie werden verfolgt haben, daß die Piloten, die wir dem Verkehrsminister zur Verfügung gestellt haben - er ist zuständig, nicht wir; wir leisten Amtshilfe -, erste große Erfolge erzielt haben. Ich füge hinzu: leider, denn ich wünschte, daß sie morgens Iosfliegen, und, wenn sie abends zurückkommen, keine Meldung darüber abzugeben haben, sie hätten entdeckt, es sei von Schiffen auf hoher See - die Beweggründe sind uns bekannt - 01 abgelassen worden.
Ich kann nicht Ihre Kritik bezüglich der mangelhaften Ausstattung akzeptieren. Die Maschinen sind tipptopp. Sie sind personell mit zwei Piloten prima ausgestattet, und wir übergeben das aufgenommene Bildmaterial. Hier muß eine klare Grenze zwischen unserer helfenden Aufgabe als Bundeswehr und dann dem Tätigwerden des Verkehrs- und Innenministers in hoheitlichem polizeilichem Auftrag gezogen werden. So ist dies zu erklären.
Ich füge noch eine Bemerkung zu Ihrer kritischen Aussage zur Do 228 hinzu, die wir nutzen. Diese neue Maschine ist der Bundeswehr - hier der Marine - kostenlos für ein halbes Jahr, außen angestrichen, wie unsere es sind, das Balkenkreuz tragend, zur Verfügung gestellt worden. Wir fliegen diese Maschine. Ich weiß nicht, was dagegen spricht, daß die deutsche Bundeswehr ein deutsches
Flugzeug kostenlos für ein halbes Jahr übertragen bekommt, um es zu erproben, um abzuschecken: Genügt dies Anforderungen, die sich bei uns ergeben? Ich kann nicht sehen, daß man daran Kritik festmacht. Wir halten das für einen guten Grund und werden dies fortsetzen.
Ein paar Bemerkungen zum Tiefflug, der bei diesem Thema nicht ausgespart werden darf. Wir führten und werden in Deutschland keinen Tiefstflug durchführen - in etwa 30 m Höhe, den die Piloten lernen müssen. Nur in Kanada tun wir dies, nicht in Deutschland. Noch nie ist in den letzten Jahren so wenig Tiefflug über Deutschland gemacht worden wie im letzten Jahr. Dies läßt sich - wer dies will - an den Zahlen ablesen. Wir fliegen so viel wie nie vorher im Ausland und werden diese Bemühungen fortsetzen. Korrekt ist die Forderung, wo der Verteidigungsminister sehr energisch verhandelt, daß die Alliierten dies in gleichem Maße zu tun haben wie wir.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?
Ich habe nur noch drei Minuten, Herr Kollege, ich bitte um Verständnis, daß ich zu Ende kommen möchte. Ich habe auch vorher keine anderen Zwischenfragen zugelassen. Ich bitte um Pardon.
Mit aller Entschiedenheit weise ich Ihre ungeheuerliche Aussage zurück, daß das, was unsere Piloten über Deutschland tun, Terrorismus sei, Frau Kollegin. Unverschämt! Was Sie hier aussagen, ist politisch in der begrifflichen Redlichkeit verlottert, und es ist gegenüber unseren Piloten, gegenüber den Familien unserer Piloten, gegenüber der Luftwaffe der Bundeswehr und gegenüber dem Parlament, das der Luftwaffe diesen Auftrag gegeben hat, eine Unverschämtheit. Sie sollten dies zurechtrücken!
({0})
- Ich halte mich an das, was Sie gesagt haben, und daran sollten Sie sich messen lassen, und daran messen wir Sie!
Die Bundeswehr arbeitet mit sehr viel Energie und Personal im NATO-Umweltausschuß mit. Wer die Realitäten sieht und nicht ideologisch verklemmt ist oder hier Ideologie betreiben will, der sieht, daß Bundeswehr und Umweltschutz nicht miteinander auf Kriegsfuß stehen, sondern daß in einem friedlichen Miteinander nicht nur geredet, sondern gehandelt wird. Wenn uns die GRÜNEN für eine Umweltschutzmedaille vorschlagen wollen, dann nehmen wir dies mit Freude zur Kenntnis. Sie sollen nur wissen, es wäre nicht die erste, es wäre die zweite Medaille, die wir bekommen. Die letzte gab es in Köln. Köln liegt in Nordrhein-Westfalen,
und die Erwähnung von Nordrhein-Westfalen läßt mich sagen: Wir wären dankbar, mal zu hören, wie der Herr Rau beispielsweise zu diesen Fragen, die wir heute hier behandelt haben, steht. Er sollte in dieser Diskussion auch einmal das Wort nehmen und uns sagen, was er meint. Meine abschließende Bitte an die Kollegen der SPD, der CDU, der CSU und der FDP ist: Lassen Sie unsere Bundeswehr, lassen Sie die Truppe, lassen Sie unsere zivilen Mitarbeiter bei diesen Fragen nicht allein. Es ist unser aller Frage, über die wir heute hier geredet haben.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Fischer ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Zentrales Verkehrs- Informations- System
({1}) beim Kraftfahrt-Bundesamt
- Drucksachen 10/2226, 10/3761 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5090 vor.
Im Ältestenrat ist eine Aussprache von je zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Fraktion DIE GRÜNEN und mein ehemaliger Kollege Joschka Fischer
({0})
haben mit der heute zu beratenden Großen Anfrage zu ZEVIS versucht, ein wenig Licht in einen der größten Datenschutzskandale der letzten Jahre zu bringen.
({1})
Das Kraftfahrt-Bundesamt, Herr Baum, sammelt in Flensburg, im hohen Norden unserer Republik, nicht nur die berühmten Punkte. Es ist auch einer der größten Anwender elektronischer Datenverarbeitung der Bundesverwaltung. Seit Mitte der 70er Jahre ist dieses Flensburger Amt unter Mitwirkung des Bundeskriminalamtes damit befaßt, die dort gespeicherten personenbezogenen Daten durch Einrichtung des Zentralen Verkehrs- Informations-Systems dergestalt zusammenzuschließen, daß mit jeder Abfrage der Zugriff auf den gesamten Dateienbestand ermöglicht wird.
Bereits im Februar 1978 beschloß der Arbeitskreis 2 der Innenministerkonferenz, also die Leiter der Polizeiabteilungen der Innenministerien, zwischen ZEVIS und dem polizeilichen Informationssystem INPOL einen Verbund herzustellen. Die Datenschutzbeauftragten haben seit Beginn der PlaMann
nung und Einrichtung von ZEVIS einhellig vor dem Ausbau und der Benutzung dieses Systems wegen der damit verbundenen Gefahren für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger gewarnt. Ich zitiere aus dem Sechsten Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten vom 13. Januar 1984 auszugsweise Seite 25 - Drucksache 10/877 -:
Ich habe bereits 1980 in meinem Zweiten Tätigkeitsbericht und erneut in meinem Fünften Tätigkeitsbericht darauf hingewiesen, daß ich den Übergang zum Dauerbetrieb - und dieser wurde mit dem Eintritt in die Aufbauphase vollzogen - nicht für zulässig halte, solange die notwendigen Rechtsgrundlagen fehlen.
Dann etwas weiter, Herr Kollege Broll:
Der Eintritt in die Aufbauphase und der vorgesehene vollständige Ausbau bis zum Jahre 1984 machte deutlich, daß anscheinend nicht oder nicht mehr die Absicht bestand, die Entscheidung des Gesetzgebers abzuwarten, um die Systemplanungen an den Vorgaben des Gesetzgebers zu orientieren; vielmehr dürfte der Ausbau vollständig vollzogen sein, wenn sich der Deutsche Bundestag anläßlich eines entsprechenden Gesetzentwurfs mit der Angelegenheit befaßt. Abgesehen von der Gefahr, daß der Gesetzgeber präjudiziert wird, ist diese Verfahrensweise aus der Sicht des Datenschutzes nicht zu akzeptieren.
({2})
Wir teilen diese Auffassung, Herr Kollege Baum, im Gegensatz - wen wundert das? - zur Bundesregierung und zur Mehrheit im 10. Deutschen Bundestag. Trotz des eindeutigen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz haben die sozialliberale Bundesregierung - Herr Baum, Sie waren immer dabei - und die gegenwärtige Kohl-Regierung am Parlament vorbei ein gigantisches Kraftfahrerüberwachungssystem aufgebaut. Der Große Bruder aus Flensburg wird bald überall auf deutschen Straßen - und nicht nur dort - die Autofahrer beobachten, wenn diese nicht schleunigst wach werden.
Ohne daß die deutschen Autofahrer es bisher bemerkt haben, gibt es einen neuen Verkehr: Den geheimen Verkehr von personenbezogenen Daten zwischem dem Kraftfahrt-Bundesamt sowie der Polizei und anderen datenwütigen Behörden. Orwellsche Visionen werden dank Auto und Computer alltägliche Wirklichkeit. Der gläserne Autofahrer auf Deutschlands Straßen.
Lassen Sie mich einige wesentliche Gefahren beschreiben, die von ZEVIS für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger ausgehen.
Erstens. Bei ZEVIS handelt es sich wie beim maschinenlesbaren Personalausweis um ein System, das auf totale und zwangsweise Erfassung angelegt ist. Ich darf aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage Seite 5 zitieren:
Der Datenbestand in ZEVIS umfaßt zur Zeit
die zugelassenen Fahrzeuge der Länder BadenWürttemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein sowie der Zulassungsbezirke der Städte Bonn und Düsseldorf. Es ist vorgesehen, ZEVIS auf alle in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Fahrzeuge - ausgenommen die Fahrzeuge der Bundeswehr - auszudehnen.
An anderer Stelle heißt es:
Zum Zeitpunkt des Endausbaus wird voraussichtlich die Zahl der Fahrzeuge mit amtlichen Kennzeichen auf ca. 30 Mio. im Verkehr befindliche und ca. 14 Mio. nicht mehr im Verkehr befindliche ansteigen.
Das ist also ein System totaler Erfassung mit allen daraus resultierenden Gefahren, genau wie beim maschinenlesbaren Personalausweis, über den wir morgen im Bundestag zu reden haben werden.
Zweitens möchte ich auf das Problem der Online-Verbindungen hinweisen. Das ist natürlich für die meisten Bürgerinnen und Bürger ein Fremdwort der elektronischen Datenverarbeitung. Es handelt sich um ein automatisches Abrufverfahren, das in Sekundenschnelle ohne vorherige Kontrolle der die Daten bereithaltenden Behörde den Abruf des Datenbestandes ermöglicht. Nach dem Bundesdatenschutzgesetz ist ein On-line-Anschluß unzulässig, wenn nicht der gesamte Datenbestand übermittelt werden darf. 1983 erfolgten nach einer Presseinformation des Kraftfahrt-Bundesamtes ca. 550 000 On-line-Anfragen im Monat. Bereits heute ermöglicht die Protokollierung jeder Anfrage die Gewinnung von Bewegungsbildern. Mit den Überwachungsgesetzen, auch Sicherheitsgesetze genannt, insbesondere der geplanten Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, will die Kohl-Regierung nun die rechtswidrigen On-line-Verbindungen von Polizei- und Sicherheitsbehörden legalisieren. Wir werden uns dem bei der Beratung des zweiten Teilpaketes der Überwachungsgesetze mit aller Entschiedenheit widersetzen und versuchen, das in den nächsten Wochen und Monaten zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion zu machen. Ich verweise, was die On-line-Problematik angeht, auf unsere ausführlichen Fragen und auf die zum Teil wirklich kümmerlichen und schwammigen Antworten der Bundesregierung.
({3})
Ich möchte zu einem dritten Punkt auf die Gefahren für die informationelle Selbstbestimmung hinweisen, der in der Öffentlichkeit bisher praktisch ebenfalls nicht bekannt ist. Das ist die sogenannte P-Anfrage. Die P-Anfrage, auf Seite 7 der Drucksache erläutert, beinhaltet: Personalien bzw. Firma, Halterdaten, Fahrzeugkurzbeschreibung, welche Fahrzeuge sind auf welche Personen zugelassen, welche Angaben sind zu einer bestimmten Person vorhanden. Ich verweise auf Seite 17 ff. unserer Anfrage und die Antworten der Bundesregierung, die das im einzelnen konkretisieren. Ich will nur auszugsweise die Frage 3 auf Seite 17 in die Beratung einbringen:
Durch die Einrichtung der P-Anfrage wäre es ({4}) z. B. jeder Polizeidienststelle sowie den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder möglich, in Sekundenschnelle im automatischen Abrufverfahren von einem großen Teil der Bundesbürger unbekannte Personaldaten abzufragen, insbesondere die aktuelle Anschrift zu ermitteln.
Der Deutsche Bundestag hat aber sowohl bei den Beratungen zum Melderechtsrahmengesetz als auch zum Personalausweisgesetz eine zentrale Speicherung der Daten aller Bundesbürger abgelehnt und auf der Trennung der Melderegister durch regionale Aufgliederung des Meldewesens bestanden. Die P-Abfrage würde für einen großen Teil der Bundesbürger zu einem Ersatz für dieses Bundesmelderegister werden.
Soweit auszugsweise unsere Große Anfrage.
Es handelt sich hier in der Tat um eine Art Bundesadreßregister, was unserer Auffassung nach in rechtswidriger Weise bereits eingeführt ist und nun im Rahmen der Überwachungsgesetze legalisiert werden soll.
({5})
Ich komme zum Schluß und möchte aus einem Artikel in einem Informationsdienst Cilip „Bürgerrechte und Polizei", Heft 18, vom September 1984 die Autorin Heike Liß zitieren:
ZEVIS ist in mehrfacher Hinsicht ein Beispielsfall. Deutlich wird dabei die Diskrepanz zwischen dem technischen Stand zum Zeitpunkt der Datenschutzgesetzgebung Ende der 70er Jahre und dem heutigen fortgeschrittenen, noch längst nicht abgeschlossenen Automationsgrad. Die technischen Voraussetzungen, um jederzeit an alle dem Staat zugänglichen Daten heranzukommen, sind geschaffen. Der On-line-Zugriff ist der erste Schritt in eine Richtung, die Organisation und Struktur der Datenverarbeitung radikal verändert. Verwendungsbarrieren, die bislang immer bestanden, werden hinfällig, ganz gleich, ob man die strikte Zweckbindung der Verarbeitung, die Notwendigkeit zur Beachtung des konkreten Verwendungszusammenhangs, die vielzitierte rechtmäßige Aufgabenerfüllung usw. in den Mittelpunkt der Restriktionen stellt. Jeder dieser Grundsätze ist die rechtliche Reaktion auf eine technische Realität, die in dieser Form nicht mehr existiert.
Die Autorin weist dann darauf hin, daß die Kritik der Datenschutzbeauftragten oft halbherzig war, vielfach zu spät kam und wie begrenzt die datenschützerischen Mittel gegen eine zur Durchsetzung entschlossene Bürokratie sind. Sie verweist abschließend darauf, daß es - trotz des gestiegenen öffentlichen Interesses an Fragen der Informationstechnik - bis heute nicht gelungen ist, die öffentliche Meinung gegen das Projekt ZEVIS zu mobilisieren.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie können gewiß sein - vor allen Dingen Herr Kollege Baum und die ehemals Liberalen -: Wir werden die Diskussion um die Überwachungsgesetze, um die sogenannten Sicherheitsgesetze dazu benutzen, hier heute, morgen und in den nächsten Wochen und Monaten die Bevölkerung aufzuklären, damit der Überwachungsstaat in der Bundesrepublik Deutschland keine alltägliche Realität wird, so wie Sie sie planen.
Danke sehr.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer ein neues, interessantes Phänomen, zu sehen, wie die etwas verwöhnten, etwas verwahrlosten Söhne eines gesicherten Bürgertums, selber in absoluter Sicherheit und Ruhe lebend, Unruhe, Unfrieden und Ängste in der Welt zu verbreiten versuchen ({0})
ein psychologisches Phänomen, das hier im Hause nicht zu erörtern ist.
({1})
Es handelt sich bei dem Zentralen VerkehrsInformations-System, meine sehr verehrten Damen und Herren, um ein seit 1951 bestehendes System von Daten. Dieses System ZEVIS gliedert sich in zwei Dateien, nämlich in die Kraftfahrzeugdatei und in das zentrale Register für Personen, denen etwa die Fahrerlaubnis entzogen worden oder denen sie nicht erteilt werden darf usw. Diese beiden getrennt bestehenden Dateien bleiben weiter getrennt. Sie werden durch das technische System ZEVIS nur verfügbarer, schneller verfügbar als bisher und untereinander und mit dem Abrufenden dialogfähig. Die Notwendigkeit eines solchen Systems zu bezweifeln setzt schon besondere „Sachkenntnis" voraus.
Ich kann natürlich verstehen, daß die Gruppierung der GRÜNEN - das Wort „Partei" wäre vielleicht ein bißchen euphemistisch - Angst vor einem System hat, das ein wenig Klarheit in die Sache hineinbringt. Denn Chaos ist, so möchte ich sagen, der Nährboden, auf dem Sie besser gedeihen.
({2})
Klar, daß eine Partei, deren Mitglieder in guten brieflichen Kontakten mit Terroristen stehen, bei denen die Zahl der Vorstrafen zwar unterschiedlich, aber immerhin interessant und zum Teil beachtlich ist, keinen Sinn für ein System hat, mit dem die Zurverantwortungziehung solcher Personen, die im
Broll
Straßenverkehr schuldig geworden sind, möglich wäre
({3})
oder - in der P-Anfrage - das Auffinden von Personen möglich werden soll, die sich dem Kontakt durch rechtswidriges Verhalten, etwa durch Verweigerung der Meldepflicht, entzogen haben. Um nichts anderes geht es ja.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn etwa ein Polizeibeamter in einer Stadt des Saarlandes einen Wagen der gehobenen Mittelklasse mit 80 Stundenkilometern fahren sieht und nur die Andeutung einer Nummer wahrnehmen kann - so schnell fuhr der Wagen offenbar in der Stadt -, dann ist ZEVIS in der Lage, sofern der Polizeibeamte über einen Terminal verfügt - sonst muß er bei seiner zentralen Dienststelle anrufen -, herauszufinden, daß dieses Auto dem Landesminister Jo Leinen gehört.
({5})
Auf diese Weise kommt man an den Temposünder heran.
({6})
Wollen die GRÜNEN, so frage ich, etwa verhindern, daß man Verkehrssünder auf diese Weise schnell findet? Ich finde das System ZEVIS für diesen Zweck und andere Zwecke ausgezeichnet.
({7})
Wenn jemand seinen Versicherungspflichten, anderen Pflichten aus dem Straßenverkehr nicht entspricht, so kann man ihn bereits heute - in der Regel zwar nicht Online, aber auf die konventionelle Anfrage hin, die auch in Zukunft die normale sein wird - finden. Ich finde dieses System rechtlich sinnvoll, datenschutzrechtlich in Ordnung und im übrigen außerordentlich praktisch.
Die Datenschutzbeauftragten haben nämlich zwar in dem frühen Tätigkeitsbericht, den Herr Mann zitiert hat, die Einrichtung des voll ausgebauten Systems gerade einschließlich der P-Anfrage kritisiert und, wie ich sagen muß, zu Recht für verfrüht gehalten. Deswegen haben wir alle, auch meine Fraktion, im Innenausschuß bereits vor einer Reihe von Jahren beschlossen, den weiteren Ausbau, etwa gar der P-Anfrage, zu stoppen, bis die gesetzliche Grundlage geschaffen ist. Diese gesetzliche Grundlage werden wir noch in diesem Jahr schaffen.
({8})
Wir haben in dem Paket der Sicherheitsgesetze auch dieses Gesetz vorgelegt, das ein Datenschutzgesetz ist und nicht im eigentlichen Sinne ein Sicherheitsgesetz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir regeln in diesem Gesetzentwurf das, was bereits bisher auf einer gültigen Rechtsgrundlage praktiziert wird, allerdings auf einer Rechtsgrundlage, die den Anforderungen des Volkszählungsurteils nicht mehr in vollem Maße entspricht; denn sie regelt nur sehr pauschal, sehr allgemein.
Wir regeln in dem Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes sehr präzise erstens die Berechtigung von bestimmten Behörden zuzugreifen.
Wir regeln zweitens zunächst einmal auch die Berechtigung des Kraftfahrt-Bundesamtes, überhaupt Daten zu erheben. Heute muß ja auch das Selbstverständlichste durch Gesetz erlaubt werden.
Wir regeln drittens den Umgang mit den Daten und die Weitergabe von Daten. Wir regeln um so strenger, je delikater die Anfrageart ist. Natürlich ist die On-line-Abfrage delikater als die konventionelle schriftliche Anfrage. Selbstverständlich ist die Frage nach der Anschrift, die nur in ganz, ganz seltenen Fällen gestellt werden darf, delikater als die Frage lediglich nach dem Geburtstag. Die Frage nach dem Geburtstag und dem Vor- und Zunamen des Fahrers kann z. B. dazu dienen, bei einer Verkehrskontrolle, wenn sich jemand aus irgendwelchen Gründen nicht ausweisen oder die Fahrberechtigung nicht nachweisen kann, in Sekundenschnelle eine Klärung herbeizuführen und die Weiterfahrt zu erlauben, statt den Bürger eine halbe Stunde warten zu lassen, bis das Ergebnis der konventionellen Nachfrage vorliegt. Der Bürger wird diese technische Möglichkeit als Erleichterung und nicht als einen Eingriff in seine Freiheit empfinden.
In einem Punkt allerdings - wir sehen wohl, daß dieses ein Punkt ist, welcher der Diskussion und besonders strenger gesetzlicher Regelung bedarf - werden durch ZEVIS die Möglichkeiten, die mit den beiden bisher getrennten Dateien bestehen, erweitert. Es ist nämlich auf Grund der Datentechnik möglich, wenn man z. B. Namen weiß, durch Eingabe in ZEVIS herauszufinden, wo der Betreffende etwa ein Auto angemeldet hat. Wir bekommen auf diese Weise die Adresse des Betreffenden heraus. Es ist aber im Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben, daß dieses nur für Behörden und für Zwecke der Strafverfolgung und bei der Verfolgung bestimmter eng umschriebener Rechtsansprüche erlaubt ist.
Damit die Bürger wissen, welchen guten Zweck wir mit ZEVIS ermöglichen wollen, erwähne ich folgendes.
({9})
Es gibt Tausende von Empfängern von BAföG-Krediten, die heute wahrscheinlich sehr gut verdienen, die sich aber der Rückzahlung entzogen haben und die im Bundesgebiet überhaupt nicht auffindbar sind, weil sie sich nie rechtmäßig polizeilich abgemeldet und am neuen Wohnort angemeldet haben. Deren Adressen allerdings können wir, sofern die gesetzliche Grundlage geschaffen ist, in Zukunft finden. Welcher Bürger wäre wohl so töricht, die
Auffindung von Adressen jener Leute unrechtmäßig zu finden, die, wenn sie sich rechtmäßig verhalten hätten, ohnehin bezüglich ihrer Adresse auffindbar wären, nämlich von Meldeamt zu Meldeamt?
Das ist das ganze Geheimnis von ZEVIS, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das Getöse, das darum gemacht wird, ist wirklich außerordentlich erstaunlich und belustigend zugleich.
({10})
Ich möchte, da Sie ein Zitat aus einer Schrift gebracht haben, deren Verfasserin ich nicht kenne, auch meinerseits ein Zitat bringen. Ich zitiere Professor Ernst Benda, den früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Ich bin überzeugt: Er freut sich, von einem CDU-Mann heute auch einmal positiv zitiert zu werden. Er hat über das Thema ZEVIS in einem Vortrag in Hannover im Herbst letzten Jahren gesagt:
Jeder Bürger weiß schon heute, daß das ihm zugeteilte Kraftfahrzeugkennzeichen den einzigen Zweck hat, seine schnelle Identifizierung zu ermöglichen. Wer die Zulassung eines Kraftfahrzeugs beantragt, weiß, daß er von da an ständig personenbezogene Informationen über sich abgibt. Es wäre eine völlig unvernünftige Abwägungsentscheidung zwischen innerer Sicherheit und Persönlichkeitsschutz, wenn man den Zugang zu dieser für die innere Sicherheit lebenswichtigen Information erschweren würde.
So Ernst Benda, der so gerne wegen seiner Beteiligung am Verfassungsgerichtsurteil über die Volkszählung zitiert wird.
({11})
Ich finde diesen Satz bemerkenswert; er gibt nämlich genau das wieder, was wir zur Grundlage unserer Entscheidung gemacht haben und was die große Mehrheit der Bürger, nämlich mindestens all die, die keine Angst vor der Verantwortung zu haben brauchen, richtig finden. Ich möchte sogar so weit gehen, zu sagen, daß auch ein Großteil derjenigen, die zur Verantwortung gezogen werden müssen,
({12})
weil sie Unrecht begangen haben, den Rechtsstaat so weit bejaht, daß er dies auch noch einsieht. Man müßte schon ein großer Chaotiker sein, um dies alles abzulehnen,
({13})
wie der Kollege von den GRÜNEN es getan hat.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Broll, Ihr sonniges Gemüt kann einem schon Angst machen!
({0})
Wer eine so weitreichende Veränderung, die j a nicht allein ZEVIS betrifft, sondern mit den ganzen Sicherheitsgesetzen in Zusammenhang steht, wer eine für unsere Gesellschaft so bedeutsame Veränderung mit ein paar flotten und netten Bemerkungen wie der, man brauche davor eigentlich keine Angst zu haben, abtut, der hat, glaube ich, ein bißchen wenig Problembewußtsein. Ich halte es auch in Ihrem Sinne nicht für gut, diese komplexen Probleme auf so verharmlosende und verniedlichende Art und Weise darzustellen.
({1})
Die Schwierigkeit, in der wir uns in bezug auf die Anfrage der GRÜNEN im Augenblick befinden, liegt darin, daß der Gesetzentwurf jetzt von der Bundesregierung vorgelegt worden ist. Insofern kommt die Diskussion zu spät, weil wir uns darüber hätten unterhalten müssen, warum - darauf hat Herr Mann schon hingewiesen - das Pilotprojekt über Jahre ohne Rechtsgrundlage von mehreren Regierungen betrieben worden ist.
Jetzt liegt der Entwurf einer Rechtsgrundlage vor, und es hat wenig Sinn, im Augenblick ins Detail zu gehen, da wir in spätestens vier Wochen eine Anhörung haben werden und da wir uns auch nicht unter Zeitdruck setzen lassen werden; darüber reden wir noch.
({2})
- Das wird der Innenausschuß wohl heute nachmittag beschließen; das wird wohl so festgelegt werden. Ich persönlich meine, wir sollten genug Zeit dafür haben.
Es gibt aber, so glaube ich, einige Grundsätze, die man in dieser heutigen Diskussion von unserer Seite aus ansprechen kann. Die Grundfrage auch bei diesem Projekt ist - und das ist eben keine harmlose Frage -: Ist das, was technisch möglich ist, auch tatsächlich gesellschaftlich wünschenswert? Da muß man sich das anschauen, was dahintersteckt: Das Kraftfahrt-Bundesamt verfügt über 23 Millionen Daten von Fahrzeughaltern und über 32 Millionen Daten von Kraftfahrzeugen. Das heißt, etwa jeder dritte Einwohner der Bundesrepublik ist mit seinem Namen, mit seiner Anschrift, mit seinem Geburtsdatum sowie mit Daten des Kraftfahrzeugs und der Versicherung in dieser Datei erfaßt.
({3})
Hinzu kommen die Daten von Personen, denen die Fahrerlaubnis entzogen und gesperrt wurde.
Um den Zugriff auf diese Daten zu erleichtern, soll nun dieses Zentrale Verkehrs-Informations-System geschaffen werden. In dieser Debatte und für den vorliegenden Gesetzentwurf ist die Frage von besonderer Bedeutung, ob der Direktzugriff von
Wartenberg ({4})
Polizeidienststellen auf ZEVIS akzeptabel ist, wobei ja zu bemerken ist, daß das nicht nur ein Direktzugriff der Polizei im allgemeinen ist,
({5})
sondern auch ein Zugriff von Verfassungsschutzbehörden, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes, was ausdrücklich im Gesetz steht.
({6})
Das heißt, hier wird an einer Stelle für viele Behörden der Zugang zu einer Datensammlung eröffnet.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß der Datenschutzbeauftragte und in einer Entschließung übrigens auch der Bundestagsinnenausschuß kritisiert haben, daß das Pilotprojekt ohne rechtliche Grundlage so weit vorangeschritten ist. Insofern stehen wir natürlich tatsächlich vor der Situation, daß das Parlament jetzt, nachdem das Präjudiz geschaffen worden ist, eine installierte Technologie nachträglich absegnen soll. Wir werden das in dieser Form nicht absegnen.
Zu prüfen ist bei der Einrichtung dieser Technik auch der Begriff der Erforderlichkeit, der von der Polizei verwendet wird. Etwas, was früher technisch nicht möglich war, war offensichtlich auch nicht erforderlich. Aber was heute technisch möglich geworden ist, ist offensichtlich inzwischen erforderlich geworden. Gerade die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung gibt hinlänglich Beispiele dafür, daß für polizeiliche Aufgabenerfüllung angeblich Dinge erforderlich geworden sind - etwa der Datenabgleich -, die früher nicht möglich waren und deshalb als nicht erforderlich angesehen wurden. Diesen Erforderlichkeitsbegriff muß man stärker prüfen. Insbesondere nach den §§ 9 und 10 des Datenschutzgesetzes ist erforderlich, was für die Aufgabenerfüllung unerläßlich ist. Allein ein verwaltungsfreundlicher Akt begründet nicht die Erforderlichkeit. Hier handelt es sich um einen Sprung in die Technologie, die vordergründig verwaltungsfreundlich scheint. Das reicht aber nach dem Datenschutzgesetz nicht aus.
({7})
Schon jetzt ist deutlich geworden, daß die polizeilichen Anfragen dort steigen, wo Bundesländer an ZEVIS angeschlossen sind. Leichter als per Knopfdruck kann man Auskünfte nicht bekommen. Die Polizei ist auch nicht mehr gezwungen, ein Auskunftsersuchen zu begründen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Das Kraftfahrt-Bundesamt ist im Wege der Amtshilfe verpflichtet, Auskunft an Behörden zu erteilen, die eine Berechtigung für sich nachweisen können. Ob aber eine solche Berechtigung vorliegt, kann in Flensburg bei dem Umfang der Anfragen inhaltlich gar nicht überprüft werden. Es wird also lediglich eine Aktivlegitimation überprüft, d. h. dem Mißbrauch bei Hunderttausenden von Abfragen im Jahr ist Tür und Tor geöffnet.
Allein durch die immens erhöhte Anzahl von Anfragen im On-line-Betrieb, d. h. in der Direktanfrage, wird eine neue Qualität der polizeilichen Tätigkeit hergestellt. Von zentraler Bedeutung ist der Aspekt, daß die Polizei mit Hilfe der Daten des Kraftfahrt-Bundesamts schnell die Identität von Bürgern feststellen kann. Diese Identitätsfeststellung erfolgt nicht in der Form, die in den Polizeigesetzen vorgesehen ist, nämlich durch das offene Verlangen des Personalausweises vom Bürger, sondern sie erfolgt unbemerkt vom Betroffenen mit Hilfe der Datenbestände des Kraftfahrt-Bundesamtes. Damit wird den Betroffenen und der Öffentlichkeit die Möglichkeit der Diskussion, der Kontrolle der polizeilichen Maßnahmen genommen. Der Polizei wird die Möglichkeit eröffnet, in erheblichem Umfang in Sekundenschnelle von jeder Polizeidienststelle oder auf der Straße von einem mobilen Abrufgerät aus die Identität eines Bürgers festzustellen. Zusammen mit dem maschinell lesbaren Personalausweis ist es möglich, perfekte Kontrollen und Bewegungsbilder herzustellen. Insofern tragen etwa 30 Millionen Bundesbürger durch diese neue Technik praktisch mit dem Kraftfahrzeugkennzeichen ihren Personalausweis auf dem Rücken. Der Bürger hat per Kraftfahrzeug eigentlich noch einmal einen neuen Personalausweis, der nicht offen kontrolliert wird, sondern ohne daß der Bürger das merkt.
Unseres Erachtens kann es nicht hingenommen werden, daß der Polizei grundsätzlich freigestellt wird, offene Maßnahmen durch verdeckte Identitätsfeststellung - durch eine Abfrage von ZEVIS - jederzeit zu ersetzen.
({8})
Die in den Polizeigesetzen geregelten, grundsätzlich offenen Maßnahmen dürfen nicht konturenlos durch einen für den Bürger verborgenen Datenaustausch ersetzt werden. Ein Mindestmaß an Transparenz der polizeilichen Arbeit muß gewährleistet sein.
({9})
Bei den 23 Millionen Bundesbürgern, die mit den Grunddaten beim Kraftfahrt-Bundesamt gespeichert sind, handelt es sich nicht um Randgruppen oder kleine Gruppen der Bevölkerung, sondern um die Masse der aktiven Bevölkerung, die an Wahlen und am Wirtschaftsleben teilnimmt, die im Arbeits-
und Sozialleben die Geschehnisse trägt. Somit entsteht mit ZEVIS eine Bundeszentraldatenbank, die unvergleichbar ist. ZEVIS ist sozusagen das Herzstück der Daten, die Kerndatensammlung der aktiven bundesrepublikanischen Bevölkerung. Als solche weckt sie natürlich das Interesse und die Begehrlichkeit vieler Behörden, d. h. indirekt wirkt sich die Installierung von ZEVIS auf unser Meldewesen aus. Das Meldewesen aber kennt zwei wesentliche datenschutzrechtliche Strukturen, die man bei ZEVIS nicht findet, das deswegen unsere Bedenken und unsere Ablehnung findet. Das Melderechtsrahmengesetz hat sich für eine dezentrale Datenhaltung entschieden; es hat dem zentralen Bundesmelderegister eine Absage erteilt. Wir haben noch nicht einmal - in den meisten Bundesländern - eine Landesdatenbank. Wir haben die Situation, daß bei ZEVIS praktisch die Diskussion um das Melderechtsrahmengesetz und um eine de15490
Wartenberg ({10})
zentrale Datenstruktur im Ergebnis unterlaufen wird und durch ein völlig neues System ersetzt wird, wodurch der Datenschutz entwertet wird. Das Widersprüchliche an der Situation ist, daß die Einrichtung von ZEVIS nicht von der Aufgabe her formuliert, sondern an dem jeweils fortgeschrittenen Stand der Technik orientiert wird. Würde im Kraftfahrt-Bundesamt noch mit Papierkarteien gearbeitet, dann würde die Polizei ihr Erforderlichkeitsargument nicht an die Technik des Kraftfahrt-Bundesamtes, sondern an die jeweils technisch fortgeschrittenste Anwendung der Informationstechnik einer anderen Verwaltung anhängen.
In diesem Zusammenhang gilt die gleiche Kritik, die wir auch beim Paß und beim Personalausweis haben. Es ist eigentlich unmöglich, daß hier wieder ohne die gesamte Novellierung der Strafprozeßordnung und der Polizeigesetze der Länder eine Einzelregelung von ZEVIS beschlossen wird; denn die Auswirkungen können nur begrenzt werden, wenn durch diese beiden Gesetzeswerke eine Risikominderung und eine Risikokontrolle erfolgen. Diese generelle Neuregelung der Strafprozeßordnung und des Polizeigesetzes fehlt also. Wir werden wieder verpflichtet, vorher punktuell etwas zu beraten und zu beschließen.
({11})
Dies wird gerade auch beim Personalausweisgesetz deutlich, wo die FDP so schön ihr Gesicht verloren hat - für die Bundesrepublik eigentlich nicht schön. Wenn man weiß, wie Sie vorher getönt haben, muß man sich schon wundern, was jetzt herausgekommen ist.
Ein letzter Punkt ist die Einführung der P-Anfrage, d. h. der Personenanfrage, die ganz besonders umstritten ist. Sie bietet die Möglichkeit, nicht nur das Kraftfahrzeugkennzeichen zu ermitteln, sondern über den Einstieg durch den Namen auch die Anschrift zu erfragen, was bisher überhaupt nicht möglich war. Das heißt, man kann allein zu diesem Zweck anfragen. Das ist eigentlich die klassische Funktion eines zentralen Melderegisters, das es aber aus Gründen der Verfassungsmäßigkeit bisher nicht gibt.
Ich möchte zum Schluß kommen und noch einmal unsere Position deutlich machen.
Allerdings ist Ihre Redezeit zu Ende, Herr Kollege.
Die Konsequenz des On-line-Anschlusses ist die, daß ein ungeheueres Abfragevolumen entsteht. Das heißt, ungeheure Quantität schlägt in neue Qualität um.
Wir glauben, daß die jetzige Regelung so, wie sie von der Regierung vorgeschlagen ist, den datenschutzrechtlichen Vorstellungen, die wir haben, nicht entspricht. Deswegen werden wir dem Entwurf, wie es jetzt aussieht und nach dem, was wir von ihm bisher kennen, nicht zustimmen können. Wir werden jetzt allerdings, da wir über das Gesetz in vier Wochen intensiv beraten werden, auch nicht einem Entschließungsantrag zustimmen. Es erscheint mir ein bißchen unsinnig, vier Wochen vor der Gesetzesberatung im Parlament einen Entschließungsantrag anzunehmen. Wir werden uns allerdings auch nicht unter Zeitdruck setzen lassen, wie dies die Koalitionsfraktionen beim Personalausweisgesetz versucht haben. Dies ist bei solchen gesellschaftlichen Veränderungen, wie sie hier zu beschließen sind, ein unmöglicher Vorgang.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mann, Sie verhalten sich genauso wie beim Umweltschutz. Sie haben Ansätze von Kritik - manchmal berechtigt - und lassen sie jetzt in Schreckensszenarien untergehen, so daß man sich am Schluß überhaupt nicht mehr darüber klar ist, worüber Sie eigentlich sprechen. Können Sie mir erklären, wo es hier Bewegungsbilder gibt, wo also durch die Abfrage Bilder über die Bewegungen von Kraftfahrzeugen oder Personen entstehen können? Sie vermitteln dem Bürger draußen ein Bild, als würden ihre Bewegungen mit dem Kraftfahrzeug dokumentiert und an die Polizei weitergegeben. Das ist aber gar nicht der Fall.
Sie, Herr Kollege Wartenberg, haben einen Schlenker zu dem § 163 d der Strafprozeßordnung hin gemacht. Dazu muß ich Ihnen sagen: Hier gab es ja in Ihrer Fraktion Funkstille, hier gab es wirklich 14 Tage absolute Funkstille, und diese dauert an. Sie haben uns bis heute überhaupt keine Vorschläge vorgelegt. Die Korrektur haben wir in der Koalition in einem Prozeß vorgenommen, der - auch zwischen den Koalitionsfraktionen - gar nicht so einfach war. Sie haben kritisiert, Sie haben gefragt, Sie haben Bedenken erhoben; aber bis heute, bis jetzt haben Sie keinen einzigen formulierten Vorschlag vorgelegt, über den wir uns hätten unterhalten können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Mann? Mann ({0}): Herr Kollege Baum, da wir beide darin übereinstimmen, daß uns Schreckensszenarios in der praktischen Politik überhaupt nicht weiterhelfen,
({1})
bitte ich Sie, mir die Frage zu beantworten, ob nicht die Bundesregierung selber mit ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage auf Seite 13 die Möglichkeit der Gewinnung von Bewegungsbildern einräumt. Da heißt es wörtlich:
Die Protokolle
- es geht um diese 500 000 Abfragen, die protokolliert werden dürfen nur für die nachträgliche Kontrolle der
Rechtmäßigkeit der Abrufe verwendet werden.
Eine Gewinnung von sog. Bewegungsbildern
durch diese Protokolle ist nicht beabsichtigt
und soll gesetzlich ausgeschlossen werden.
Das heißt doch im Klartext: Sie sind technisch ohne weiteres möglich; wir wollen sie nur nicht rechtlich; aber der Mißbrauch kann nicht ausgeschlossen werden.
Also, Herr Kollege Mann, Sie haben sich ja mit diesem Zitat widerlegt.
({0})
Sie suggerieren, daß es Bewegungsbilder geben wird, aber Sie zitieren die Bundesregierung, die das ausdrücklich ausschließt.
({1})
Das meine ich, wenn ich sage, daß Sie hier mit Schreckensszenarien arbeiten.
({2})
Wir sind uns einig, daß wir eine gesetzliche Regelung brauchen, um eine Praxis, die besonders von einigen Bundesländern jetzt eingeführt worden ist, abzusichern und einzugrenzen. Der erste Entwurf aus dem Jahr 1984, den wir hier vorgelegt bekommen haben, war, wie meine Fraktion zum Ausdruck gebracht hat, enttäuschend. Jetzt haben wir es mit einem anderen Entwurf zu tun. Er ist in Koalitionsverhandlungen erarbeitet worden. Er legt fest, welche Daten im Rahmen des Kraftfahrzeugzulassungsverfahrens erhoben werden dürfen. Wir wollen Eingrenzungen vornehmen. Wir wollen nicht ein allgemeines Bundesadreßregister einrichten. Deshalb haben wir Einschränkungen der Abfragen aus diesem Register vorgesehen: sowohl der normalen Abfragen wie auch der Abfragen mit dem Computer. Die Zwecke, für die diese Auskünfte verwendet werden dürfen, werden eingegrenzt.
Nun kann man sich darüber unterhalten, ob diese Eingrenzung richtig ist, ob sie eng genug ist. Manche werden meinen, sie seien zu eng. Man kann sich auf einen sehr radikalen Standpunkt stellen und sagen: Wir geben überhaupt keine Auskünfte. Nur sage ich Ihnen: Das ist nicht durchhaltbar. Wenn Sie einen Rechtsbrecher, z. B. bei einer Kindesentführung, suchen und die Möglichkeit haben, an den Täter über die Halterdaten heranzukommen, dann können Sie doch keinem Menschen klarmachen, daß das nicht möglich sein soll.
({3})
Die Frage ist: Wo ziehen Sie hier die Grenze, damit man nicht zu einem allgemeinen Adreßregister kommt und, Herr Wartenberg, nicht die Regelung unterläuft, die wir im Melderecht haben? Wie macht man das also?
Da haben wir gesagt: Es ist zulässig für Strafverfolgung und Strafvollstreckung, Gefahrenabwehr, Notstandsregelung, Finanzbehörden - auch Sie können eigentlich nichts dagegen haben, daß Leute,
die sich ihrer Steuerpflicht entziehen, auf diese Weise zur Rechenschaft gezogen werden ({4})
und soweit es um Abwehr von Gewalt und Spionage geht.
Wir werden darüber reden. Wir werden in den Anhörungen darüber reden. Wir werden auch mit den Datenschutzbeauftragten darüber reden.
Aber eines ist jetzt schon sicher, Herr Kollege Wartenberg: Das, was technisch möglich wäre, wollen wir nicht; das machen wir nicht. Sie müssen uns dann eben sagen, was Sie wollen und wie Sie das begründen. Wir sind ja erst im Anfangsstadium der Gesetzesberatung. Im Innenausschuß werden wir heute mit der Beratung beginnen.
Wir wollen, daß diese Aufzeichnungen und Auskünfte kontrollierbar sind. Wir haben uns also überlegt: Wie können sie, wenn sie erfolgen, kontrolliert werden? Darüber gibt es präzise Regelungen. Um es den Behörden nicht zu leicht werden zu lassen, muß alles kontrolliert werden. Die Praxis muß überprüfbar sein.
({5})
Was Sie, Herr Kollege Mann, über den Datenschutzbeauftragten gesagt haben, war ebenfalls unvollständig. Sie haben den 6. Tätigkeitsbericht zitiert. Aber inzwischen gibt es den 8. Tätigkeitsbericht. Den haben Sie natürlich nicht mehr zitiert, weil er sehr viel positiver war, weil der Beauftragte gewürdigt hat, welche Änderungen wir im Entwurf bereits vorgenommen haben. Der Bundesdatenschutzbeauftragte sagt hier: Ich werte als einen Erfolg meiner Beratungstätigkeit, daß entgegen früheren Vorstellungen das und das - ich will das jetzt nicht zitieren - nicht verwirklicht worden ist. Der Beauftragte ist nicht voll zufrieden. Darüber wird man mit ihm diskutieren. Aber er erkennt an, daß der Gesetzentwurf in der öffentlichen Beratung gereift ist.
Es ist doch alles gesetzgeberisches Neuland. Alles, was wir im Bereich der sogenannten Sicherheitsgesetze, die ja Datenschutzgesetze sind, machen, ist für Bund und Länder gesetzgeberisches Neuland, und zwar in einem Umfang, wie es seit der Konzeption der Gesetze auf diesem Gebiet überhaupt nicht vorgekommen ist. Es wird eine Riesenoperation werden, wo alle ihre Schwierigkeiten haben, der Bund genauso wie die Länder, die Strafprozeßordnung genauso wie die Polizeigesetze der Länder. Wir müssen miteinander darauf drängen, daß solche Projekte in sachlicher öffentlicher Diskussion reifen.
({6})
- Es wird keinen Zwang geben. Wir werden uns heute nachmittag im Innenausschuß über vernünftige Daten der Anhörung und der Beratung auch dieses Gesetzes unterhalten.
({7})
Weil das so ist, weil wir im Bundesstaat alle in einem Boot sitzen, die Länder mit ihren Gesetzen
und Regelungen genauso wie der Bund, verstehe ich eines überhaupt nicht: daß in einem Ausschuß des Bundesrates die SPD-Länder die Bundesregierung auffordern, den Entwurf dieser Novelle zum Straßenverkehrsgesetz zurückzuziehen. Das verstehe ich überhaupt nicht mehr. Ich würde verstehen, wenn sie Korrekturen anbrächten, aber daß sie diese gesetzliche Regelung nicht wollen, die ja durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts geboten ist, verstehe ich nicht. Wir werden uns bemühen, eine rechtliche Regelung herbeizuführen, die den Erfordernissen der Praxis ebenso entspricht wie den Anforderungen des Volkszählungsurteils.
({8})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Schulte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem schlimmen Gemälde des Kollegen von den GRÜNEN und nach der Fehlinterpretation des Kollegen von der SPD will ich doch einige Erläuterungen zu dem geben, worum es bei ZEVIS geht. Es geht um die Nutzung des zentralen Fahrzeugregisters und eines Teils des Verkehrszentralregisters
({0})
mit den Mitteln moderner Datenverarbeitungstechnik. Für ZEVIS stehen nicht sämtliche Daten aus dem Register, sondern nur Teilmengen zur Verfügung. ZEVIS enthält keine neuen Daten. Die genutzten Daten hat es schon vor ZEVIS in den Registern des Kraftfahrt-Bundesamts gegeben.
({1})
ZEVIS hat sie lediglich dialogfähig gemacht, d. h. externe Nutzer können auch durch Abruf im automatisierten Verfahren abfragen.
({2})
ZEVIS ist für die Verwaltungen wie für den Bürger von Nutzen. Bei der Verwaltung werden die Verfahrensabläufe vereinfacht und damit beschleunigt und rationalisiert. In den Bundesländern, die ZEVIS bereits praktizieren, wurden dadurch spürbare Erhöhungen der Aufklärungsquoten, etwa bei Unfallflucht und bei Trunkenheitsdelikten, erreicht.
ZEVIS bringt aber auch Vorteile für den Bürger. Herr Kollege Broll hat vorhin darauf hingewiesen. Durch den Direktabruf können bei Verkehrskontrollen Zweifelsfragen sofort an Ort und Stelle geklärt werden, also z. B. die Frage, ob der Betroffene wirklich Halter des Fahrzeugs ist, z. B. die Frage, ob die Fahrerlaubnis entzogen ist. Ein bestehender Verdacht kann gegebenenfalls sofort entkräftet werden, ohne daß wie früher erst eine Ermittlungsakte angelegt werden müßte.
ZEVIS ist noch nicht voll ausgebaut. Gegenwärtig steht nur der Fahrzeugbestand aus knapp der Hälfte der Bundesländer zur Verfügung, d. h. aus Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Schleswig-Holstein und - man höre und staune - aus den Zulassungsbezirken Bonn und Düsseldorf. Ich weiß nicht, was die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen da in Zukunft beabsichtigt. Dies entspricht dem Ausbauzustand vom Herbst 1983. Bis eine neue, berichtsspezifische Grundlage geschaffen wird, wird ZEVIS nur in diesem Rahmen betrieben. Diese Praxis stimmt mit der Beschlußempfehlung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages und dem Beschluß des Plenums überein.
Der Abruf von Daten im automatisierten Verfahren mit den Personalien des Halters - das wurde mehrfach angesprochen - ist bislang in keinem Fall realisiert. Für das bisher praktizierte Verfahren sind im Straßenverkehrsrecht bislang ausreichende Rechtsgrundlagen vorhanden. Es geht um den § 2 Nr. 2 des Gesetzes über die Errichtung des Kraftfahrt-Bundesamtes. Es geht weiter um den § 29 f der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung. Und ergänzend gilt das Bundesdatenschutzgesetz.
Für die Nutzung der Register beim KraftfahrtBundesamt werden Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz gezogen. Deswegen wurde, wie in der Antwort auf die vorliegende Große Anfrage angekündigt, ein Gesetzentwurf erstellt, der inzwischen auch dem Hohen Hause vorliegt.
({3})
Dieser Gesetzentwurf für eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes enthält eine bereichsspezifische datenschutzrechtliche Regelung, insbesondere auch für ZEVIS. Hiernach werden die genau umschriebenen Voraussetzungen und konkret bestimmten Zwecke für Erhebung, Speicherung und Übermittlung der notwendigen Daten für ZEVIS wie folgt festgelegt.
Erstens. Durch ZEVIS sollen ebenso wie durch das Fahrzeugregister Fahrzeuge und Personen in ihrer Eigenschaft als Halter von Fahrzeugen identifiziert werden. Fahrzeugregister existieren, solange es Kraftfahrzeuge gibt. Ihre Notwendigkeit ist in dem Umstand begründet, daß allgemein Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr nicht mit Namen und Anschrift des Halters versehen sind und daher erst auf Grund eines Kennzeichens ermittelt werden müssen. Das Fahrzeugregister und ZEVIS sind in erster Linie für verkehrliche Belange da, insbesondere für das Kfz-Zulassungsverfahren sowie die Verfolgung von Verkehrsstraftaten und Verkehrsordnungswidrigkeiten. Außerdem müssen sie im Rahmen des Registerzwecks z. B. auch für die Verfolgung sonstiger Straftaten zur Verfügung stehen. Hierbei geht es um die Identifizierung von Fahrzeugen und Haltern. Die Nutzung der gespeicherten Daten für registerfremde Zwecke, also z. B. der reinen Anschriftenermittlung, ohne daß ein Bezug zur Eigenschaft als Fahrzeughalter bestünde, ist nur in einigen, eng
begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Im Entwurf ist dies in den §§ 35 und 39 geregelt.
Zweitens. Die Befugnis zum Abruf im automatisierten Verfahren wird auf ganz bestimmte Behörden für ganz bestimmte Aufgaben begrenzt.
({4})
Berechtigt sind danach lediglich die Polizei einschließlich der mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Dienststellen, der Zollfahndungsdienst sowie die Kraftfahrzeugzulassungs- und Führerscheinbehörden. Abgesehen von diesen Behörden erhalten keine anderen Stellen, auch nicht Sicherheitsbehörden, Nachrichtendienste, einen automatischen Zugriff. Diese sind auf konventionelle Auskünfte beschränkt. Ich meine, dies sollte auch der Kollege von der SPD, Herr Wartenberg, zur Kenntnis nehmen. Ich habe den Eindruck gehabt, er hat über das geredet, was die alte Regierung zu diesem Thema wollte.
({5})
Drittens. Nur in beschränktem Umfang ist nach dem Entwurf im Rahmen der unmittelbaren Abrufberechtigung die Anfrage mit den Personalien des Halters zulässig, und zwar nur für Polizei und Zoll und nur zur Strafverfolgung, Strafvollstreckung und Gefahrenabwehr.
Viertens. Im Gesetzentwurf werden die vom Bundesverfassungsgericht zum Volkszählungsgesetz entwickelten Grundsätze zum Datenschutz voll berücksichtigt. Ob Erhebung, Speicherung und Nutzung der Daten zur Erreichung der im Gesetz enthaltenen Zwecke geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind, ist jeweils sorgfältig abgewogen worden. Der Entwurf enthält außerdem präzise Vorschriften, um den Mißbrauch der Daten zu verhindern. Insbesondere sind bei der automatisierten Übermittlung Protokollierungen vorgesehen, die jederzeit eine wirksame Datenschutzkontrolle ermöglichen. Herr Wartenberg von der SPD-Fraktion, zur Redlichkeit hätte es gehört, daß Sie dies erwähnt hätten. Weder in ZEVIS noch sonst im Fahrzeugregister wird es Suchvermerke oder Steckbriefnachrichten geben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wartenberg?
Nein. - Durch ZEVIS wird es auch keine Verbindung oder Vermischung der Datenbestände des Kraftfahrt-Bundesamts mit denen anderer Behörden geben. Die Erstellung von sogenannten Bewegungsbildern ist ausgeschlossen.
Fünftens. Der dem Bundestag vorliegende Gesetzentwurf wurde seit mehreren Jahren sorgfältig erarbeitet und mit allen Beteiligten, insbesondere auch mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz, eingehend erörtert.
({0})
Der Kollege von den GRÜNEN hat vorher den 6. Bericht des Bundesbeauftragten zitiert. Wenn er schon eine verquere Meinung hat, dann sollte man wenigstens erwarten, daß er im Parlament handwerklich sauber arbeitet und zur Kenntnis nimmt, daß es inzwischen auch einen 7. und 8. Bericht gibt.
({1})
In dem 7. Tätigkeitsbericht hat der Entwurf - ich zitiere - „inzwischen einen über weite Strecken erfreulich hohen datenschutzträchtigen Stand erhalten". Dies wurde im 8. Tätigkeitsbericht noch einmal bestätigt.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deswegen sind die genannten Sorgen unbegründet. Ich habe über ZEVIS gesprochen; worüber der Vertreter der SPD gesprochen hat, weiß ich nicht. Die Rede des GRÜNEN war nicht von dieser Welt.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5090. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung der Übersicht 13 des Rechtsausschusses ({0}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 10/4725 Hierzu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5089 vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße insbesondere die hier hereinrotierten Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich.
({0})
Ganz besonders möchte ich den Kollegen Schwarz aus Rheinland-Pfalz begrüßen.
({1})
Ich möchte zu einer Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht rede, die die Wirksamkeit parlamentarischer Kontrolle im Untersuchungsverfahren essentiell betrifft. Es geht um das Beweiserzwingungsrecht der Minderheit bei Untersuchungsausschüssen. Zur Zeit ist beim Bundesverfassungsgericht eine Klage anhängig. 37 Landtagsabgeordnete der SPD-Fraktion und Hugo Brandt, soweit ich informiert bin, der Vorsitzende der SPDFraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, hatten im Landtag u. a. folgendes beantragt. Ich darf auszugsweise aus unserem Änderungsantrag, der Ihnen ja vorliegt, zitieren, damit Sie das vielleicht noch einmal zur Kenntnis nehmen. Am 21. August 1985 beantragten die Antragsteller des verfassungsgerichtlichen Verfahrens im Landtag folgendes:
Der Landtag beauftragt den Untersuchungsausschuß „Strafsache Kanter", zu nachfolgenden Fragen den früheren persönlich haftenden geschäftsführenden Gesellschafter der Fa. Flick KG, Eberhard von Brauchitsch, als Zeugen zu vernehmen:
„Welche Umstände und Beweggründe veranlaßten den ehemaligen Justizminister Dr. Otto Theisen oder möglicherweise andere Mitglieder der Landesregierung, auf die Strafsache gegen Adolf Kanter im Jahre 1971 Einfluß zu nehmen; insbesondere spielten dabei die Praxis der Parteispenden und die mögliche Verwicklung von Mitgliedern der Landesregierung in diese Praxis unmittelbar oder mittelbar eine Rolle?
Hat Eberhard von Brauchitsch auf Mitglieder der Landesregierung eingewirkt, um deren Einflußnahme auf das genannte Ermittlungsverfahren zu erreichen?
Ist in diesem Zusammenhang an Mitglieder der Landesregierung oder an die Parteien, denen sie angehörten, durch Vermittlung von v. Brauchitsch Geld bezahlt worden? Wenn ja, von wem und in welcher Höhe?"
Soweit der Beweisantrag.
Dieser Antrag wurde in der 50. Sitzung des Landtags von Rheinland-Pfalz am 30. August 1985 von der Mehrheit, also Ihren Fraktionskollegen von der CDU, abgelehnt. Wir sind der Meinung, daß das eine parlamentarisch außerordentlich fragwürdige Entscheidung ist. Der Bundestag berät zur Zeit - im ersten Ausschuß ist ein entsprechender Gesetzentwurf erarbeitet worden - über eine gesetzliche Regelung des Untersuchungsverfahrens bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. In diesem Zusammenhang kommt es ganz entscheidend auf die Frage des Beweiserzwingungsrechtes der Minderheit an. Der Bundestag sollte unserer Auffassung nach wegen der großen Bedeutung auch für die Arbeit von Untersuchungsausschüssen im Bundestag in diesem Verfassungsstreitverfahren Stellung nehmen.
Erlauben Sie mir, daß ich zum Schluß noch etwas zum politischen Hintergrund der Strafsache Kanter sage; denn dieser Verfassungsstreit führt in der Tat mitten in die rheinland-pfälzischen CDU-Parteispendensümpfe der 60er und 70er Jahre.
Es handelt sich hier um einen in der rheinland-pfälzischen Justizgeschichte einmaligen Skandal. Da ist nämlich 1971 ein engagierter erster Staatsanwalt in Koblenz auf Veranlassung des damaligen Justizministers Dr. h. c. Theisen - übrigens damals und heute Landesschatzmeister der CDU - von der weiteren Sachbehandlung in der Strafsache Kanter entbunden worden. Er wurde entbunden, nachdem er einen Strafbefehl beantragt hatte, und er konnte auf Grund dieser Entbindung an der Hauptverhandlung, die zum Freispruch führte, nicht teilnehmen.
Ich darf den heutigen Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Koblenz zitieren. Er hat im Rahmen des Untersuchungsausschußverfahrens davon gesprochen, daß bei der Staatsanwaltschaft Koblenz damals Betroffenheit, Empörung und Bestürzung geherrscht hätten. Ich möchte nachtragen - und das ist unstreitig -: Vorausgegangen war einige Monate zuvor ein Gespräch des Justizministers mit dem Angeklagten, vermittelt durch Eberhard von Brauchitsch. Wer glaubt da noch an Zufall?
({2})
Ich meine, die CDU im rheinland-pfälzischen Landtag sollte nicht nur dafür sorgen, daß eventuell der Bundeskanzler noch einmal vor dem ersten Untersuchungsausschuß im dortigen Landtag ergänzend aussagt.
({3})
Er sollte auch dafür sorgen, daß Herr von Brauchitsch seine Aussage vor einem parlamentarischen Gremium wahrheitsgemäß zur Aufklärung macht, wie sich das für ein Parlament gehört. Damit könnten Sie im übrigen einen Beitrag zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts leisten, Herr Kollege Erhard.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, die Sie offenbar auch in Zwischenrufen zu Protokoll geben wollen.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Helmrich.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN wollen die Zahl der Beteiligungsfälle des Bundestages beim Bundesverfassungsgericht ausdehnen. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz gibt dem Deutschen Bundestag im weiten Umfang die Möglichkeit, sich bei Verfassungsstreitigkeiten zu beteiligen, sei es durch einen Verfahrensbeitritt oder auch nur durch die Abgabe einer Stellungnahme.
Daß dem Bundestag weitgehend Beteiligungsrechte zustehen, ist eine verfassungspolitisch richtige Entscheidung. Dies entspricht der Bedeutung des Parlaments. Eine ganz andere Frage ist es dagegen, inwieweit der Bundestag diese Befugnis im Einzelfall wahrnehmen kann oder sollte.
In der letzten, abgekürzten 9. Wahlperiode sind dem Deutschen Bundestag 174 Verfassungsstreitigkeiten vom Bundesverfassungsgericht zugeleitet worden. Schon aus der Masse der Verfassungsstreitverfahren ergibt sich grundsätzlich die Notwendigkeit, daß sich der Deutsche Bundestag nur in sehr beschränktem Maße an den Verfassungsstreitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligen kann. Aus wohlüberlegten, guten Gründen hat sich in der Praxis eine sehr einschränkende Leitlinie für solche Beteiligungen des Parlaments herausgebildet. Hiernach beteiligt sich der Bundestag grundsätzlich nur an Verfassungsstreitverfahren wenn es um Fragen geht, die den Bundestag selber als Verfassungsorgan, seine Gesetzgebungszuständigkeit, die Statusrechte von Fraktionen, Mitglieder des Bundestages oder politische Parteien betreffen. Selbst in diesen Fällen hat sich der Bundestag bisher nur ausnahmsweise dann eingeschaltet, wenn es sich um Verfahren von politischer Tragweite handelt.
Eine noch stärkere Zurückhaltung übt übrigens der Bundesrat aus. Er pflegt sich in der Regel überhaupt nur dann zu äußern, wenn in dem jeweiligen Verfassungsstreitverfahren seine Rechte oder Pflichten als Verfassungsorgan berührt sind.
Das Bundesverfassungsgericht bietet sich nicht als ein Forum für die Fortsetzung des politischen Schlagabtausches an. Nichts anderes haben Sie hiermit im Sinn. Wenn sich der Bundestag an einem Verfahren beteiligt, so kann das grundsätzlich nur heißen, daß das Kollegialorgan Bundestag seine Entscheidungen und seine Auffassungen, die gegebenenfalls mit Mehrheit beschlossen werden, zu vertreten hat.
Es soll nicht übersehen werden, daß es in der Vergangenheit einzelne Ausnahmen von diesem Prinzip gegeben hat, etwa bei der Mitbestimmung oder bei § 218 des Strafgesetzbuches. Grundsätzlich sollte man aber bei der bisherigen Linie bleiben.
Das Verfahren, das jetzt dem Bundesverfassungsgericht vorliegt, ist eine reine Landesangelegenheit. Das Bundesverfassungsgericht ist überhaupt nur zuständig, weil dafür beim Landesverfassungsgerichtshof keine Zuständigkeit vorhanden ist. Auch das Untersuchungsthema des Landtagsausschusses dürfte kaum von bundespolitischem Interesse sein,
({0})
da es sich auf den Landesbereich beschränkt. Es geht - wie Sie selbst vorgelesen haben - um Aussagen von Landesministern und um nichts sonst.
({1})
Ich bin im Gegensatz zu Ihnen auch der Auffassung, daß in diesem Verfassungsgerichtsverfahren wesentliche Grundsätze und Regeln für die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse vom Bundesverfassungsgericht schlechthin nicht festgestellt werden könnten. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall.
({2})
Der für die Entscheidung maßgebliche Rechtsgrundsatz, daß Zeugen, die für das Untersuchungsthema erheblich sind, zu vernehmen sind, ist in diesem Verfahren überhaupt nicht umstritten. Vielmehr geht es in diesem Verfahren konkret lediglich darum, ob die Vernehmung des Zeugen von Brauchitsch zu Recht abgelehnt worden ist, weil es sich nur um eine Ausforschung des Zeugen nach Ihrem Antrag handeln konnte. Ein solcher Ausforschungsbeschluß ist aber nicht zulässig.
Der Bundestag sollte deshalb bei seinem bisherigen Verfahren bleiben
({3})
und sich an dem Verfahren, bei dem es um eine Auseinandersetzung in Rheinland-Pfalz geht, nicht beteiligen, was ich hiermit beantrage.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat in der Tat nach seinen bisherigen wohlüberlegten Traditionen nur dann von seinem Äußerungsrecht Gebrauch gemacht, wenn entweder der Bundestag selbst berührt war oder aber wenn es sich um ein Problem von wirklich großer Tragweite handelte, wenn also z. B. der Status des Abgeordneten berührt war oder aber bei den Ostverträgen. Diese Selbstbescheidung zwischen den Verfassungsorganen hat sich bewährt. Sie war auch im Interesse des Bundestages; denn eine Waffe' wird stumpf, wenn sie unnötig viel benutzt wird.
({0})
Im vorliegenden Fall besteht über das Beweiserzwingungsrecht der Minderheit im Untersuchungsausschuß auf der Ebene des Bundestages unter uns kein Streit.
({1})
Es wird von niemandem bestritten. Die Minderheit des Bundestages ist damit in ihrem Recht auch nicht berührt.
In vollem Einverständnis mit unseren Freunden in Rheinland-Pfalz - und allein diese haben das Bundesverfassungsgericht angerufen - sind wir deshalb der Meinung, daß Sie Ihren Antrag, Herr Mann, mit Ihren Kolleginnen und Kollegen zurückziehen sollten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Unsere Freunde in Rheinland-Pfalz sind Manns genug, sich selbst zu vertreten.
Bitte, Herr Kollege Mann.
Herr Kollege Dr. de With, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß im Bundestag, nämlich im 1. Untersuchungsausschuß - im sogenannten Flick-Ausschuß -, sehr wohl Streit besteht und daß sich ein entsprechender Antrag der GRÜNEN, der sich ebenfalls beim Bundesverfassungsgericht befindet, in der nächsten Streitsachenübersicht enthalten ist, daß es sich hier also um eine hochwichtige Angelegenheit handelt - darüber wird z. B. nächste Woche auch unser Geschäftsordnungsausschuß mit dem Bayerischen Landtag reden -, nämlich wie weit die Rechte der Minderheit in Untersuchungsausschüssen reichen?
Herr Kollege Mann, als Jurist sollten Sie zuvörderst nüchtern denken.
({0})
Hier ist das allgemeine Minderheitenrecht, einen Beweisantrag zu stellen, dem stattgegeben werden muß, wenn es sich innerhalb des Beweisthemas hält, jedenfalls auf Bundesebene nicht tangiert. Wohl aber ist das - das gebe ich Ihnen zu - in Rheinland-Pfalz der Fall. Aber ich sage in vollem Einverständnis mit den Antragstellern dort - das sind unsere Parteifreunde -: Diese verzichten auf eine Stellungnahme durch uns, weil sie meinen, das könnten sie selbst erledigen.
({1})
Wir Sozialdemokraten wünschen selbstredend unseren Parteifreunden in Rheinland-Pfalz viel Erfolg; denn es besteht ein öffentliches Interesse daran, daß rückhaltlos aufgeklärt wird,
({2})
ob in der Tat ein Minister den Versuch unternommen hat, einen Staatsanwalt in einer heiklen Sache abzulösen. Das hat aber mit den von Ihnen aufgeworfenen allgemeinen Problemen nichts zu tun.
Noch ein Wort, Herr Kollege Mann, zur Frage der Praktikabilität. Sie dürfen auch nicht vergessen, daß die Mehrheit hier nicht mit der Minderheit dort identisch ist. Man sollte sich auch von dieser Warte her überlegen, ob man dieses Instrument hier benutzt. Im übrigen: Bloßer Aktionismus ist niemals hilfreich,
({3})
ja er kann eine gute Sache auch diskreditieren. Herr Kollege Mann, Sie sollten nicht versuchen, sich ohne Einladung vor unseren Karren zu spannen.
({4})
Wir haben Sie nicht eingeladen und wir werden Sie dazu auch nicht einladen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Vorredner haben bereits dargestellt, daß es wirklich aus sehr wohlerwogenen Gründen nur in äußerst seltenen Fällen in diesem Hause für tunlich gehalten worden ist, sich an Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht zu beteiligen. Ich meine, es entspricht der leider in letzter Zeit sowieso etwas schwierig gewordenen Rolle des Parlaments, des Gesetzgebers gegenüber der Rechtsprechung - einige Grenzen scheinen sich da immer wieder und leider auch immer mehr zu verwischen -, daß das, was wir hier beraten, in seiner Begründung und den Ausführungen dazu für sich selber spricht und daß dann die andere Gewalt darüber zu richten hat. Auf die Spezialitäten, die diesen Fall noch komplizierter machen - im Hinblick auf Ihren Antrag, Herr Mann, daß das in Wirklichkeit eine Ländersache ganz eigener Art ist - sind Berufenere schon eingegangen.
Ich komme nur auf den Grundsatz zurück: Wir wollen uns nur in ganz wichtigen Fällen äußern,
({0})
wenn nicht das Haus selbst betroffen ist. Jetzt bringen Sie den Einwand, dieses sei ein sehr wichtiger Fall. Dagegen sage ich Ihnen: Wenn sich, wie Sie zutreffend dargestellt haben, der 1. Untersuchungsausschuß dieses Hauses verdienstvollerweise um das Recht der Untersuchungsausschüsse bemüht, dann wäre es ein zusätzlicher Fehler und ein Widerspruch in sich, wenn wir uns, statt dieses Verfahren in unserem Hause ordnungsgemäß weiterzutreiben, zu fördern und schließlich abzuschließen, wegen eines Einzelpunktes aus der nur im Zusammenhang zu sehenden Gesamtdiskussion jetzt vor das Bundesverfassungsgericht begeben und den ordnungsgemäßen Gang des hier zu beratenden Vorhabens behindern. Das wäre nun wirklich in besonders krasser Weise ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung, wenn wir sagen: Wir haben zwar vom 1. Untersuchungsausschuß eine sehr wichtige Vorlage - insoweit sind wir j a einig, bloß sind die Konsequenzen aus meiner Sicht andere als aus Ihrer -, die wichtige Rechte auch der Minderheit im Parlament betrifft; wir gehen aber wegen eines einzelnen Punktes vor das Bundesverfassungsgericht. - Damit würden wir die Diskussion beeinträchtigen, die hier darüber zu führen ist. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag des Abgeordneten Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5089. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 10/4725 ab.
Vizepräsident Frau Renger
Der Ausschuß empfiehlt, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der vorgenannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem ... Strafrechtsänderungsgesetz - Strafaussetzung zur Bewährung - ({1})
- Drucksache 10/5061 Berichterstatter: Abgeordneter Bohl
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 10/5061 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Ersten Rechtsbereinigungsgesetz
- Drucksache 10/5062 Berichterstatter:
Abgeordneter Kleinert ({3})
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort.
Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 10/5062 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({4}) zu dem Gesetz zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes
- Drucksache 10/5063 Berichterstatter: Abgeordneter Kroll-Schlüter
Der Berichterstatter, der Abgeordnete Kroll-Schlüter, wünscht nicht das Wort zur Berichterstattung.
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 10/5063 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Wie ich sehe, ist die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung
- Drucksache 10/3559 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({5})
- Drucksache 10/4748 Berichterstatter: Abgeordneter Delorme
({6})
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Augustin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegen alles mögliche gibt es ein Mittel; kein Mittel gibt es aber gegen den Drang unserer jungen Leute, Medizin zu studieren. Nun ist dieser Drang als solcher auch nicht etwa verwerflich. Es gibt sicherlich auch niemanden, der diesem Streben ernsthaft Einhalt gebieten möchte.
Die große Zahl an Studenten, die innerhalb weniger Jahre von 3 000, 4 000 auf etwa 12 000 gestiegen ist, bringt uns allerdings in gewisse Schwierigkeiten, die wir, so meine ich, gemeinsam ausräumen sollten. Durch diese große Zahl an Medizinstudenten hat nämlich leider die Qualität der praktischen Ausbildung gelitten. Bei sprunghaft steigenden Studentenzahlen in diesem Fachbereich bei einer relativ konstant bleibenden Zahl an zur Ausbildung geeigneten Patienten ist ein Defizit an Unterrichtsstunden entstanden, die am Krankenbett zu erteilen sind. Das ist für uns ein Grund, nach Möglichkeiten zur Verbesserung der praktischen Ausbildung zu suchen; denn unsere Mitbürger, meine lieben Freunde, haben ein Recht darauf, im Falle der Erkrankung von gut ausgebildeten Ärzten behandelt zu werden.
Was hat der Gesetzgeber bis jetzt getan, um dennoch ein qualitativ hohes Niveau der praktischen Ausbildung zu gewährleisten? Bereits am 13. Dezember 1984 hat der Deutsche Bundestag mit der Verabschiedung des Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung durch die Einführung der Praxisphase in die ärztliche Ausbildung die gesetzliche Grundlage für eine nennenswerte Verbesserung geschaffen.
Kernstück dieses Gesetzes ist die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen an Krankenhäusern durch das Aufteilen der durch Abschluß der Weiterbildung frei werdenden Assistentenstellen auf etwa die doppelte bis dreifache Zahl von Stellen für den „Arzt im Praktikum". Daß diesem Aufteilen von Assistentenstellen Grenzen gesetzt werden müssen, liegt auf der Hand. Sie sind da zu ziehen, wo die Sorge für die Qualität der Ausbildung oder auch für die Qualität der ärztlichen Behandlung in dem jeweiligen Krankenhaus auftritt.
Vorschlägen, die darauf abzielten, das Verhältnis von Assistentenstellen zu Arzt-im-Praktikum-Stellen per Gesetz zahlenmäßig zu regeln, konnten wir uns allerdings aus ganz grundsätzlichen Erwägungen nicht anschließen. Es kann nicht die Aufgabe des Gesetzgebers sein, detaillierte Vorgaben für organisatorische Maßnahmen in Krankenhäusern, die ja doch sehr unterschiedlich strukturiert sind, festzulegen.
({0})
Wir vertrauen auf die von hohem Sachverstand getragene Gestaltungskraft der Ärzte, die in den entsprechenden Krankenhäusern Verantwortung tragen.
Ich möchte auch gleich hinzufügen: Wir hoffen, daß die Krankenkassen sich hier nicht etwa unter dem Gesichtspunkt der Kostendämpfung mehr Rechte zubilligen werden, als dies der Gesetzgeber tut.
Mit der Verabschiedung des Fünften Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung stehen wir aber immer noch in der Verantwortung zur Schaffung von noch mehr Ausbildungsplätzen. In vielen Gesprächen mit Vertretern ärztlicher Standesorganisationen, von Krankenhäusern und der Länder haben wir immer wieder festgestellt, daß das Verantwortungsbewußtsein und damit die Bereitschaft, Ärzte, die sich in der Ausbildung befinden, in den Krankenhäusern aufzunehmen, durchaus vorhanden sind, daß aber die Verwirklichung dieses guten Willens immer wieder an arbeitsrechtlichen Bestimmungen scheitert. In sehr vielen Fällen stehen arbeitsrechtliche Bestimmungen diesem guten Willen entgegen.
Sinn des Ihnen auf Drucksache 10/4748 vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, in Angleichung an das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen vom 14. Juni 1985 auch für Krankenhausträger die Möglichkeit zu schaffen, mit Ärzten, die sich in der Weiterbildung befinden, befristete Arbeitsverträge abschließen zu können.
Da es sich um ein ausschließlich arbeitsrechtliches Problem handelt, haben wir es auch in ein eigenes Artikelgesetz gefaßt. Damit haben wir einem Bedenken der SPD-Fraktion Rechnung getragen. Als eine erfreuliche, wenn auch sicherlich nicht zu erwartende Wende in der SPD würde ich es empfinden, wenn Sie nun Ihrerseits unserer Gesetzesvorlage Ihre Zustimmung geben könnten,
({1})
statt sich mit dem Bemerken, diese Fragen seien ganz grundsätzlicher Natur und deswegen sicherlich überhaupt nicht zu lösen, aus der Verantwortung für unseren medizinischen Nachwuchs zu verabschieden.
({2})
Mein Appell und meine Bitte geht heute an alle, die in der Ausbildung an entscheidender Stelle Verantwortung tragen: Helfen Sie uns, die aufgetretenen Schwierigkeiten und Engpässe zu überwinden; helfen Sie uns, indem Sie alle Möglichkeiten zur Schaffung von noch mehr Ausbildungsplätzen ausschöpfen. Dies gilt ganz besonders für die niedergelassenen Ärzte, die durch das Bereitstellen von Ausbildungsplätzen in ihren Praxen beweisen und beweisen können, daß sie geistig und wissenschaftlich jung geblieben sind. Ich kann mir vorstellen, daß es manchmal gar nicht so einfach ist, sich außer der großen Arbeit, die täglich anfällt, auch noch der Ausbildung junger Kollegen zu widmen. Aus diesem Grunde möchte ich von dieser Stelle aus im Namen meiner Fraktion meinen ganz herzlichen Dank an alle Ärzte übermitteln, die sich dieser Aufgabe widmen werden.
({3})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weiterer Freiraum für die Verbesserung der praktischen Ausbildung unserer jungen Mediziner geschaffen wird. Daher bitte ich um Zustimmung zu dieser Gesetzesvorlage.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Delorme.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im März 1985 ist das Vierte Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung in Kraft getreten. Schon wenige Monate später hat die Regierungskoalition den Entwurf eines Fünften Änderungsgesetzes vorgelegt, und zwar mit dem Ziel, Mängel der vorangegangenen Gesetzesänderung zu beheben. Um diese gesetzgeberische Flickschusterei zu kaschieren, wurde das vorgelegte Gesetz nachträglich umbenannt und heißt jetzt „Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung". Durch diese Namensänderung ist der Gesetzentwurf - das sage ich im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kollegin - weiß Gott nicht besser geworden. Die SPD-Bundestagsfraktion wird ihn deshalb ablehnen.
Ich darf daran erinnern, daß mit der Vierten Novelle zur Bundesärzteordnung die Medizinerausbildung vor allem in ihrem praktischen Teil verbessert werden sollte. Dies ist notwendig und bleibt notwendig, da sich die Zahl der Medizinstudenten in den letzten Jahren wesentlich erhöht hat und auch für die kommende Zeit jährlich mit etwa 12 000 Studienanfängern zu rechnen ist. Diese großen Studentenzahlen haben im klinischen Bereich zu solchen Engpässen geführt, daß sich die patientenorientierte Ausbildung deutlich verschlechtert hat.
In der Beurteilung dieser Situation gab es zwischen den Fraktionen dieses Hauses eine breite Übereinstimmung; für die Lösung des Problems wurden jedoch unterschiedliche Vorschläge gemacht. Die SPD-Fraktion hatte ein Hausärzte-Weiterbildungsgesetz vorgelegt, das die Zulassung eines Kassenarztes von einer speziellen Weiterbildung abhängig gemacht hätte. Dieses Gesetz wurde von den Koalitionsfraktionen abgelehnt. Daß wir damals auf dem richtigen Wege waren, zeigt das nun von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entwickelte Hausärzte-Modell, das ähnliche Ziele verfolgt.
Als Alternative zu unserem Entwurf wurde von der Bundesregierung ein Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung eingebracht, dessen Kernstück - das wurde schon gesagt - die Einführung einer zunächst 18monatigen und dann zweijährigen Praxisphase ist, die nach dem sechsjährigen Medizinstudium zusätzlich abzuleisten ist. Gegen diese Ausbildungsphase „Arzt im Praktikum" hat nicht nur die SPD-Bundestagsfraktion, sondern haben auch Ärzteverbände, Gewerkschaften, die Westdeutsche Rektorenkonferenz, der Medizinische Fakultätentag, Krankenhausverbände und Vertreter des Wissenschaftsrates erhebliche Bedenken angemeldet. Trotzdem hat die Mehrheit dieses Hauses dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zugestimmt.
Da die neue Institution kostenneutral sein sollte, war von vornherein klar, daß in den beteiligten Krankenhäusern keine zusätzlichen Stellen geschaffen werden. Vielmehr will man freiwerdende Stellen derart aufteilen, daß auf einer Planstelle drei „Ärzte im Praktikum" beschäftigt werden können.
Schon in der öffentlichen Anhörung zu dem damaligen Gesetzentwurf, an der viele Experten und Sachverständige beteiligt waren, wurde diese Regelung bemängelt, weil zu befürchten sei - und ich zitiere die Stellungnahme eines Ärzteverbandes wörtlich -, „daß die Patienten sehr viel häufiger als jetzt schon und von einer ständig wachsenden Flut noch in der Ausbildung befindlicher Mediziner befragt, untersucht und begutachtet würden".
Unabhängig von diesen Bedenken gab es auch begründete Zweifel, ob trotz aller Klimmzüge die im Endstadium benötigten 24 000 Ausbildungsplätze tatsächlich zur Verfügung stehen. Hier will nun das von den Koalitionsfraktionen vorgelegte „Reparaturgesetz" nachhelfen. Durch den Abschluß befristeter Arbeitsverträge soll eine stärkere Fluktuation von Krankenhausärzten erreicht werden, um freie Arztstellen zu erhalten, die dann in Stellen für „Ärzte im Praktikum" umgewandelt und aufgeteilt werden könnten. In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es dazu:
Um diese Fluktuation zu fördern, sollen gesetzliche Möglichkeiten zum Abschluß befristeter Arbeitsverträge für Ärzte in der Weiterbildung geschaffen werden.
({0})
Die Höchstdauer für diese befristeten Arbeitsverträge ist auf acht Jahre begrenzt. Allerdings kann ein weiterer befristeter Arbeitsvertrag bis zu zwei Jahren darüber hinaus vereinbart werden. Diese Zeiten können noch verlängert werden, wenn die Weiterbildung im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung abgeleistet wird.
({1})
Wir kommen also auf zehn oder zwölf Jahre, wo Ärzte sozusagen im tariflichen Niemandsland arbeiten sollen. Wir halten befristete Arbeitsverträge über einen so langen Zeitraum für unzumutbar, sehen in der gesetzlichen Regelung aber auch einen Eingriff in die Tarifautonomie.
Dies deckt sich mit der Meinung des Marburger Bundes, der übrigens als einziger Verband seinerzeit die Institution „Arzt im Praktikum" befürwortet hat. Jetzt sieht er offenbar, welche nachteiligen Folgen diese Regelung für die von ihm vertretenen Ärzte hat. Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf hat er deshalb auf seiner letzten Hauptversammlung festgestellt, daß angesichts ausreichender tariflicher Regelungen eine gesetzliche Regelung unnötig ist. Noch deutlicher wurde der Verband in einem Fernschreiben an die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen, in dem es u. a. heißt:
Nimmt man die freiwillige Weiterbildung eines fertig ausgebildeten Arztes zum Anlaß für die Befristung seines Arbeitsvertrages, so wird damit nicht nur die Weiterbildung unzulässig in die Nähe der Ausbildung gerückt, sondern es werden auch für viele Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern Ungewißheit und soziale Härten geschaffen.
({2})
Vor allem aber wird die Patientenversorgung unter häufigem Arztwechsel und der entsprechenden Unruhe in den Krankenhäusern leiden.
({3})
Wir Sozialdemokraten sehen uns auch hier in unseren ursprünglichen Bedenken bestätigt. Wir werden deshalb dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen.
({4})
Ich fasse unsere Ablehnungsgründe noch einmal wie folgt zusammen:
Erstens. Das Gesetz ist ein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie.
({5})
Zweitens. Auch durch die Befristung von Arbeitsverträgen kann der Kapazitätsengpaß für Bewerber um eine Stelle als „Arzt im Praktikum" nicht aufgelöst werden.
({6})
Drittens. Die vorgeschlagene Regelung würde die Qualität der Patientenversorgung und die Arbeitsbedingungen der vollausgebildeten Ärzte verschlechtern. Denn während weitergebildete oder in Weiterbildung befindliche Ärzte die Patienten eigen15500
verantwortlich versorgen können, ist dies den „Ärzten im Praktikum" nicht gestattet. Die voll approbierten Ärzte auf den Krankenstationen würden zahlenmäßig verringert und durch nicht voll arbeitsfähige angehende Ärzte ersetzt. Die verbliebenen approbierten Ärzte müßten sich nicht nur um mehr Patienten kümmern, sondern müßten auch noch ihrer Aufsichtspflicht und ihren Ausbildungsaufgaben gegenüber AiP-Ärzten gerecht werden.
Dies können und werden wir nicht mitverantworten. Aus diesem Grund lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das von der Koalition eingebrachte Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung soll dazu dienen, dem ärztlichen Nachwuchs eine bessere Chance zu geben und Stellen für die zunächst 18 Monate Praxisphase als „Arzt im Praktikum" zu finden. Das Problem ist, genügend Stellen zu finden und zur Verfügung zu haben. Dies wird dadurch erreicht, daß die Möglichkeiten zum Abschluß befristeter Arbeitsverträge für Ärzte in der Weiterbildung geschaffen werden. Ähnliches ist ja bereits für wissenschaftliches Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen möglich. Damit wird eine größere Flexibilität der Personalpolitik der Kliniken erreicht. Ich wiederhole also: Die Möglichkeit zur Schaffung von Zeitverträgen betrifft Ärzte in Weiterbildung bzw. solche, die eine Weiterbildung anstreben, und die zukünftigen Ärzte im Praktikum.
Die Befristung der Verträge war ursprünglich schon bei anderer Gelegenheit vorgesehen, ist aber aus verschiedenen Gründen nicht mehr zum Tragen gekommen. Dies war der Grund dafür, daß die Koalitionsfraktionen dem Anliegen durch die Änderung der Bundesärzteordnung entsprechen wollten.
Die Beratungen im Ausschuß, aber vor allem auch die Diskussion mit den betroffenen Verbänden, haben uns gezeigt, daß die Regelung besser in einem eigenen Gesetz erfolgt. Das, was wir vorhaben, ist ja keine berufsrechtliche Änderung, sondern eine Änderung im arbeitsrechtlichen Bereich. Dies wird aber deutlicher, wenn es nicht in der Bundesärzteordnung, sondern eigenständig geregelt wird. Inhaltlich hat sich dabei nichts geändert.
Gegen das Gesetz wurde eine Reihe von Bedenken geltend gemacht, so z. B., die Regelung greife in das Tarifrecht ein und sei verfassungswidrig. Dies ist aber nicht der Fall; denn es werden keine Vorschriften für Arbeitsverträge vorgesehen, sondern nur Voraussetzungen für die Befristung genannt. Ein Verstoß gegen Art. 9 Ab:. 3 des Grundgesetzes liegt also nicht vor.
Das hat übrigens der Rechtsausschuß im Zusammenhang mit dem Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, das ähnliche Regelungen enthält, ebenso gesehen. Auch der Rechtsausschuß des Bundestages hat zugestimmt. Die Freiheit der Tarifpartner, von den Möglichkeiten Gebrauch zu machen, bleibt völlig unberührt.
Weiter wird eingewendet, die Regelung betreffe das Weiterbildungsrecht und falle in die Kompetenz der Länder. Auch das trifft nicht zu. Das Gesetz ändert keine bestehenden Länderregelungen; Gegenstand des Gesetzes ist nicht die ärztliche Weiterbildung als solche. Es handelt sich, wie bereits vorher angemerkt, nur um arbeitsrechtliche Änderungen. Damit dies deutlich wird, wurde statt einer Änderung der Bundesärzteordnung, die ursprünglich vorgesehen war, ein eigenes Gesetz gemacht.
Ein gewichtiges Argument gegen das Gesetz besagt, es führe zur gezwungenen Fluktuation in den Kliniken, was auch den Patienten schade. Auch dieses Argument ist falsch. Es handelt sich um eine Kann-Regelung, die zu keiner Fluktuation zwingt.
Darüber hinaus sind heute 50 % aller im Krankenhaus arbeitenden Ärzte bereits weitergebildet, und auf diese Ärzte trifft die neue Vorschrift nicht zu. Außerdem kann man den Kliniken nicht unterstellen, sie würden nur noch befristete Arbeitsverträge abschließen. Auch Krankenhäuser sind daran interessiert, daß eingespielte Teams zusammenbleiben und nicht jeweils neue Teams eingearbeitet werden müssen. Eine hohe Fluktuation ist immer mit mangelnder Effektivität verbunden. Also werden Krankenhäuser von sich aus kein Interesse haben, diese Regelung zu überziehen. Dem Votum der Chefärzte kommen hier ein großes Gewicht und große Verantwortung zu.
Kurzfristig wurde nun vorgeschlagen, die Zahl der Stellen, die befristet werden dürfen, zu quotieren. Dies halten wir für außerordentlich problematisch. Vor allem führt es zu weiterer Bürokratisierung. Um genügend Stellen für den „Arzt im Praktikum" sicherzustellen, wollen wir den Krankenhäusern mehr Flexibilität in Personalfragen ermöglichen.
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Dies kommt ohne Zweifel dem ärztlichen Nachwuchs zugute. Eine Quotierung würde diese Flexibilität wieder einengen. Wir sind überzeugt davon, daß die vorgesehene Regelung nicht zum Mißbrauch führen wird.
Bei all den Einwendungen und Bedenken darf man aber eines nicht vergessen, nämlich die Ursachen, die Notwendigkeit dieses Gesetzes. Es soll sichergestellt werden, daß die benötigten „AiP"Stellen geschaffen werden und dem ärztlichen Nachwuchs zur Verfügung gestellt werden können.
Wir erwarten von den Krankenhäusern, daß sie die ihnen gewährte Flexibilität tatsächlich zur Schaffung dieser benötigten „AiP"-Stellen nutzen. Darauf legen wir allergrößten Wert.
Wir werden dem Gesetz zustimmen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Wagner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß der „Arzt im Praktikum" - abgesehen von unserer inhaltlichen Kritik - auch strukturelle Probleme aufwerfen wird, darauf haben die GRÜNEN im Bundestag von Anfang an hingewiesen. Nun soll, angeblich um die Durchführung der Arzt-im-Praktikum-Phase zu sichern, ein Gesetz verabschiedet werden, das völlig überflüssig, ja sogar schädlich für Arzt, Patient und Krankenhaus ist.
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- Doch, das glaube ich, Herr Dolata.
Unter dem anspruchsvollen Namen „Qualitätssicherung" ist der „Arzt im Praktikum" entstanden und hier trotz zahlreicher Bedenken verabschiedet worden. Nun muß man sich doch einmal anschauen, wann, historisch gesehen, das Instrument der Qualitätssicherung immer wieder auftauchte, denn es war ja nicht immer vorhanden. Es tauchte immer dann auf, wenn scheinbare Privilegien zur Disposition gestellt oder bedroht waren. Es stand also immer im engen Zusammenhang mit der Quantität. Damit meine ich die Zahl neu hinzukommender Ärzte, die eine Konkurrenz darstellen. Es ging hier doch eigentlich nie um die Frage, wie die Ausbildung insgesamt, und zwar inhaltlich, verbessert werden könnte und wie dies vor allem in der praktischen Phase auszusehen hat.
Dies wird auch dadurch bestätigt, daß die Strukturierung der Arzt-im-Praktikum-Phase fallengelassen wurde. Es ging auch vorher immer nur um die Frage: Wo kommen die Stellen her? Wer gibt das Geld dafür? Und weiter: Wie kann die Neuzulassung von Ärzten begrenzt werden? Hier wird Arbeitsmarktpolitik unter dem Deckmantel einer Ausbildungsordnung gemacht.
Wenn man den Anspruch erhebt, daß diese praktische Phase eine Verbesserung der praktischen Qualifikation darstellen soll, dann wird man sie auch strukturieren und inhaltlich neu überdenken müssen. Ich erinnere nur an die veränderten Krankheitsbilder und an die ständig steigende Zahl Pflegebedürftiger und chronisch Kranker. Einfach zu sagen, die Ärzte sollen zwei Jahre Erfahrungen, obendrein zum Billigtarif, sammeln, bringt sicher keine Verbesserung der Qualifikation. Allein das Ziel der Kostendämpfung steht hier im Mittelpunkt.
Nun wird das Bild aber noch abgerundet durch das vorliegende Gesetz. Wieder sind es die fehlenden Stellen für die „Ärzte im Praktikum", die als Problem angeführt werden. Unter dem Punkt „Problem" steht hier in der Gesetzesbegründung:
Für die kostenneutrale Realisierung der ... eingeführten zweijährigen Praxisphase ist Voraussetzung, daß freie Arztstellen in Krankenhäusern zur Verfügung stehen, die zum Teil in Stellen für „Ärzte im Praktikum" umgewandelt und aufgeteilt werden können. Dies erfordert
eine stärkere Fluktuation von Ärzten im Krankenhausbereich.
Schon in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage vom 28. August 1984 spricht sich die Bundesregierung für „eine verstärkte Fluktuation der Ärzte in der Weiterbildung" aus. Und schon damals begründete sie es damit, daß sie die Unterbringung der „Ärzte im Praktikum" erleichtern will. Doch was bedeutet denn in der Realität eine vermehrte Fluktuation der Ärzte im Krankenhaus? Was bedeutet dies vor allem für die Patienten?
Die Ärzte werden nur noch für befristete Zeiten einen Vertrag erhalten. Die Folge wird häufiger Wechsel der Ärtze sein. Frei werdende Stellen sollen zudem zu Arzt-im-Praktikum-Stellen umgewandelt werden. Zwei bis drei Ärzte im Praktikum sollen sich dann eine Assistenzarztstelle teilen. Dies bedeutet eindeutig eine Verschlechterung der Versorgung der Patienten im Krankenhaus.
Es wird weniger Assistenzärzte geben, dafür aber eine Schar von Praktikumsärzten, die dem Gesetz nach allerdings noch in der Ausbildung stehen. Weniger Assistenzärzte bedeuten aber auch weniger Ärzte für die praktische Anleitung dieser Praktikumsärzte. Durch weniger Assistenzarztstellen wird es aber auch weniger Weiterbildungsstellen geben, und von denen gibt es schon heute zuwenig.
In dieser Situation kann man sich und allen anderen wünschen, daß sie niemals so krank werden, daß sie ins Krankenhaus müssen. Die Zahl der unerfahrenen Ärzte an den Krankenhäusern wird sich erhöhen und zur Verwirrung der ohnehin schon durch zu viele Kontaktpersonen überforderten Patienten beitragen.
Noch einen anderen Effekt wird die Reduzierung der Weiterbildungsstellen haben: Notgedrungen werden viele auf die Facharztausbildung verzichten und sich sofort nach der Arzt-im-Praktikum-Zeit in eigener Praxis niederlassen. Dies war aber eigentlich nicht der Sinn des Gesetzes, das eine möglichst lange Praxisphase vor die Niederlassung schalten wollte.
All diese Nebenwirkungen wird die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzes haben. Durch dieses Gesetz wird die ärztliche Versorgung der Bevölkerung sowohl im Krankenhaus - und hier als erstes - als auch im niedergelassenen Bereich extrem verschlechtert. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Regierungskoalition mit den Bürgern und Bürgerinnen umgeht.
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Für dieses Gesetz an sich gibt es überhaupt keine sachliche Begründung. Durch dieses Gesetz sollten befristete Verträge für die Ärzte in der Weiterbildung ermöglicht werden. Dies ist allerdings total unsinnig, da es auch heute schon Praxis ist, Verträge für Ärzte zu befristen. Dafür benötigen wir dieses Gesetz also überhaupt nicht. Der Bundesangestelltentarifvertrag enthält die Möglichkeit,
schon heute Arbeitsverträge zu befristen, und dies wird leider auch gemacht.
Das Gesetz soll laut Problemstellung der Realisierung der Arzt-im-Praktikum-Phase dienen. Dies ist aber nun völliger Quatsch. Die Arzt-im-Praktikum-Phase wird das erste Mal 1987 wirksam werden. Das vorliegende Gesetz wird allerdings erst 1992 zum erstenmal wirken. Dies zeigt, wie unausgegoren diese Vorlage ist. Sie sollten sich überlegen, sie sofort wieder zurückzuziehen. Die GRÜNEN im Bundestag lehnen diesen Entwurf auf jeden Fall ab.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Zuge der raschen Beratung dieses Tagesordnungspunktes verzichte ich auf den Begründungstext hierzu und schließe mich den Ausführungen der beiden Redner der Koalitionsfraktionen vollinhaltlich an. Ich möchte anmerken, daß die Bundesregierung mit der Möglichkeit des Abschlusses befristeter Arbeitsverträge die Hoffnung verbindet, daß davon angemessen und sachgerecht Gebrauch gemacht wird. Dabei sollen die vielfältigen Aufgabenstellungen des Krankenhauses entsprechend berücksichtigt werden. Ich erwarte, Frau Kollegin, daß die Krankenhäuser ihren Gestaltungsspielraum flexibel nutzen, um frei werdende Stellen tatsächlich mit „Ärzten im Praktikum" zu besetzen. Da sind wir unterschiedlicher Meinung.
Jeder, dem die Qualität der ärztlichen Ausbildung am Herzen liegt, sollte im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu beitragen, daß die vom Gesetzgeber für notwendig befundenen Ausbildungsverbesserungen verwirklicht werden können. Dies sind wir auch der nachwachsenden Ärztegeneration schuldig.
Meine Damen und Herren, bei der Diskussion und Entscheidung sollten unbedingt zwei Dinge bedacht werden: Erstens. Niemand wird zum Abschluß befristeter Arbeitsverträge gezwungen; kein Krankenhaus wird daran gehindert, qualifizierten ärztlichen Nachwuchs zu behalten. Zweitens. Wer die Verbesserung der ärztlichen Ausbildung durch die Praxisphase will, sollte denjenigen helfen, die die Plätze für „Ärzte im Praktikum" bereitstellen müssen, und das sind in erster Linie unsere Krankenhäuser.
Von seiten des Bundes können wir mit dem vorliegenden Gesetz die Krankenhäuser bei der Schaffung von Stellen für „Ärzte im Praktikum" unterstützen. Die Praxisphase ermöglicht es, angehenden Ärzten mehr ärztliche Erfahrung und Praxis zu vermitteln und damit die Ausbildung wesentlich zu verbessern. Unsere Bevölkerung darf erwarten, von qualifizierten Ärzten versorgt zu werden.
Danke.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über den rechtlichen Status der MainDonau-Wasserstraße
- Drucksache 10/4632 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr ({0})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 10/4632 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es weitere Vorschläge dazu? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu dem Antrag des Bundesministers für Wirtschaft
Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes"
Wirtschaftsjahr 1983
- Drucksachen 10/2666, 10/3511 Berichterstatter:
Abgeordnete Glos Dr. Weng ({2}) Frau Simonis
Dr. Müller ({3})
Aussprache ist nicht erbeten.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/3511 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Empfehlung des Haushaltsausschusses ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers
der Finanzen Veräußerung der ca. 26,6 ha
großen bundeseigenen Liegenschaft in
Vizepräsident Frau Renger
Rheinstetten-Forchheim, Kutschenweg 10, an das Land Baden-Württemberg
- Drucksache 10/4947 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Auch hier ist keine Aussprache vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrages auf Drucksache 10/4947 an den Haushaltsausschuß vor. Gibt es weitere Vorschläge? - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({4}) zu dem von der Fraktion der SPD eingebrachten Entschließungsantrag zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1986
hier: Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
- Drucksachen 10/4363, 10/4724 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Frau Seiler-Albring
Frau Traupe
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4363 abzulehnen.
Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 136 des Petitionsausschusses ({5}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/5056 - Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Großversuch Tempo 100
- Drucksache 10/5050 ({6}) Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({7})
Ausschuß für Verkehr
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrages auf Drucksache 10/5050 ({8}) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 28. Februar 1986, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.