Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf Sie darüber informieren, daß zwischen den Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP verbindlich vereinbart worden ist, die zweite und dritte Lesung der Gesetzentwürfe zu dem sogenannten Paßgesetz und zum Personalausweisgesetz am Freitag, dem 28. Februar 1986, durchzuführen. Auf Grund dieser Vereinbarung wird vorgeschlagen, die Entwürfe eines Paßgesetzes und eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes auf den Drucksachen 10/5059 und 10/5060 erneut in den Ausschüssen zu beraten. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
({0})
Vorgesehen ist, diese Beratungen so abzuschließen, daß die Gesetzentwürfe am kommenden Freitag in zweiter und dritter Lesung beraten werden können.
Meine Damen und Herren, vorgeschlagen wird ferner, die heutige Tagesordnung so zu gestalten, daß wir zunächst die gestern abend nicht erledigten Vorlagen behandeln, und zwar die Tagesordnungspunkte 9 bis 17, anschließend dann die für heute vorgesehene Tagesordnung. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Fortsetzung der Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({1}) zu dem Antrag des Abgeordneten Schwenninger und der Fraktion DIE GRÜNEN
Rüstungsexportstatistiken
- Drucksachen 10/2959, 10/4281 Berichterstatter:
Abgeordneter Jung ({2})
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 10/4281, den Antrag des Abgeordneten Schwenninger und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2959 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. März 1982 über die Errichtung einer Europäischen Stiftung
- Drucksache 10/488 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({3})
- Drucksache 10/4691 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Geiger Brück
Frau Dr. Hamm-Brücher
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/4692 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Hoppe
Würtz
Kleinert ({5})
({6})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hornhues.
({7})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist nicht ge15350
rade häufig, daß das Plenum des Bundestages Gelegenheit hat - ({0})
Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Hornhues, ich bitte einen Augenblick um Entschuldigung. Die Kolleginnen, die stehen, mögen sich entweder setzen oder den Plenarsaal verlassen. Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner.
Herr Präsident, es ist nicht gerade häufig, daß das Plenum des Bundestages Gelegenheit hat, Aspekte der europäischen Kulturpolitik und der bundesdeutschen auswärtigen Kulturpolitik in Europa zu debattieren. In diesem Zusammenhang sehe ich jedenfalls die Europäische Stiftung, deren Errichtungsgesetz wir heute verabschieden wollen.
Der Publizist Jürgen Altweg hat in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im August 1984 von einer Entdeckung der kulturellen Dimension Europas durch die Öffentlichkeit und einer europäischen Bewußtseinsbildung innerhalb der Kultur gesprochen und dabei vor allen Dingen auf das erste Treffen der EG-Kultusministerkonferenz Ende Juni 1984 in Luxemburg - ({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Und er hat auf die Aktivitäten der Kulturabteilung der Europäischen Gemeinschaft und insbesondere auch auf die kulturellen Aktivitäten des Europarats hingewiesen. Altweg hat in seinem Beitrag noch einmal auf den besonderen Sachverhalt aufmerksam gemacht, der sich mit dem Begriff Europa verbindet. Schließlich haben wir das Europa der Europäischen Gemeinschaft, das Europa des Europarats als Vereinigung aller parlamentarischen Demokratien in Europa und - das vergaß Herr Altweg zu erwähnen - das Europa der am KSZE-Prozeß beteiligten Staaten, die im Herbst letzten Jahres in Budapest ihr Kulturforum veranstalteten.
In diese politische Situation ist die deutsche Nation eingebettet, deren kulturelles Erbe und mithin auch Gegenwartskultur wahrlich nicht in Ost und West zu trennen und auch nicht von den anderen deutschsprachigen Ländern abzukoppeln ist. Für uns bleibt deshalb auswärtige Kulturpolitik unverzichtbarer Bestandteil unserer europäischen Außenpolitik.
Es war naheliegend, daß man beim Stocken der europäischen Einigungsbemühungen im EG-Rahmen Ende der 60er Jahre erkannte, daß die Kultur eines der wesentlichsten Elemente der europäischen Identität darstellt und deshalb europäische Zusammenarbeit ohne den Kulturaustausch unvollständig bleibt und die europäische Einigung einer kulturellen Dimension bedarf.
Die kulturelle Vielfalt in Europa wird nicht dadurch gefährdet, wenn wir uns in Europa mehr auf das besinnen, was uns eint, als auf das, was uns trennt.
Wir begrüßen deshalb die Europäische Stiftung, aber wir möchten auch vor jeglicher Euphorie warnen. Schon das langjährige Verfahren zur Errichtung der Stiftung, das ja mit der heutigen Beschlußfassung hier noch nicht abgeschlossen ist, weil z. B. auch das niederländische Parlament noch zustimmen müßte und man dort noch große Bedenken hat, macht deutlich, daß Realismus geboten ist.
Auch wird man kaum erwarten dürfen, die Stiftung könne auf der kulturellen Schiene von heute auf morgen die Europamüdigkeit abbauen, die wir allenthalben zu beklagen haben.
Die im Beratungsverfahren ausgeräumten strittigen Punkte geben zu der Hoffnung Anlaß, daß die Stiftung auch die politische und kulturpolitische Bedeutung erlangt, die ihr zugedacht ist und die wir wünschen, vor allen Dingen aber, daß sie nichts wiederholt und nichts doppelt, was andere Organisationen bereits tun und erfüllen. Dabei ist für uns wichtig, daß in die Europäische Stiftung das Europäische Parlament eingebunden wurde und der Europarat mitwirken kann. Die Praxis wird zeigen, was am Ende funktioniert und was nicht.
Ich warne vor der Euphorie und allzu hohen Erwartungen an die Stiftung auch deswegen, weil die 10 Millionen DM, die für die nächsten drei Jahre vorgesehen sind, weniger sind, als Städte wie Moers oder Aschaffenburg jährlich für ihre Kulturarbeit ausgeben. Wir hoffen, daß die Finanzbehörden der Stiftung die Anerkennung der Gemeinnützigkeit nicht versagen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang zum Abschluß drei Stichworte anführen. Die Förderung des europäischen Bewußtseins durch ein stärkeres Bewußtwerden des uns gemeinsam verbindenden kulturellen Erbes in Europa wird es notwendig machen, sich auch mit Kleinigkeiten zu beschäftigen, die dem Kulturaustausch heute noch entgegenstehen. Ich nenne erstens die unglaublichen bürokratischen Hemmnisse, die dem freien Austausch der Kulturgüter in Europa entgegenstehen. Zweitens verweise ich auf das mühselige Bestreben der Umsatzsteuerharmonisierung im EG-Bereich. Drittens verweise ich auf die seltsamen Blüten, welche die zolltarifliche Behandlung von Kunstwerken bisher getrieben hat.
({0})
Insgesamt gesehen bin ich der Auffassung, daß uns die kulturelle Dimension Europas hier noch häufiger intensiver beschäftigen sollte. Die Europäische Stiftung kann ein erster Anfang dafür sein, mehr nicht.
({1})
Mehr sollten wir von ihr nicht erwarten. Wir fordern die Bundesregierung auf, in diesem Sinne kritisch begleitend tätig zu sein.
Meine Damen, meine Herren, ich darf Sie im Namen meiner Fraktion bitten zuzustimmen.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Brück.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum sollte das, was für Politik und Wirtschaft schon Realität ist, nicht auch für die Kultur getan werden, wo es um weitaus verletzlichere Güter geht, nämlich Gedankengut?
({0})
Entweder wird Europa eine kulturelle Einheit, oder es gibt bald kein Europa mehr. Das sagte Frankreichs Kulturminister Jacques Lang vor genau einem Jahr in Hamburg. Er sprach dabei über die Situation des europäischen Films. Aber das, was er gesagt hat, gilt auch für die kulturelle Zusammenarbeit insgesamt. Deshalb stimmt die SPDFraktion auch dem vorliegenden Ratifizierungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 29. März 1982 über die Errichtung einer Europäischen Stiftung zu.
({1})
Die Errichtung einer Europäischen Stiftung durch die Mitgliedstaaten der EG eröffnet der Zusammenarbeit und dem Zusammenleben der Bürger der Gemeinschaft einen neuen Bereich. Durch die Förderung eines größeren Verständnisses für die europäische Einigung fügt die Stiftung der politischen und wirtschaftlichen Dimension eine kulturelle Dimension hinzu. Bei allen kulturhistorisch gewachsenen Unterschieden betont diese Dimension eine europäische Kulturidentität in vielen Bereichen des europäischen Kulturlebens. Bisher ist viel vom Europa der Bürger geredet worden, aber wenig ist geschehen.
({2})
Die Europäische Stiftung kann der Gemeinschaft mit ihrer Zusammenarbeit im Bereich der Kultur ein menschlicheres Profil geben, denn Europa darf kein anonymes Gebilde - regiert von Bürokraten und Technokraten - sein, sondern ein Lebensraum der Menschen, die ein Bedürfnis nach Kultur, Kunst und Ästhetik haben.
({3})
Es ist gut, daß die Stiftungsarbeit im Dienste einer kulturellen Gemeinschaftsidentität stehen muß. Das heißt: Sie fördert nur Tätigkeiten, die über nationale Grenzen hinausgehen.
Ich finde es auch gut, daß das Erlernen von Sprachen der Mitgliedstaaten von der Stiftung gefördert werden soll. Zum gegenseitigen Sich-Verstehen gehört im wahrsten, im buchstäblichsten Sinne des Wortes, daß man sich versteht, d. h. daß man die Sprache des anderen versteht.
({4})
Ich halte es für selbstverständlich, daß auch Spanien und Portugal, die ja nach der Unterzeichnung des Übereinkommens EG-Mitglieder geworden sind, dem Übereinkommen beitreten können. Ich
hoffe, daß sie es möglichst bald tun werden. Wir Sozialdemokraten bedauern, daß die in dem Übereinkommen zwischen den damaligen Mitgliedstaaten der EG vorgesehene Europäische Stiftung auf Grund Art. 235 des EWG-Vertrages nicht innerhalb der EG gegründet worden ist.
({5})
Dies ist kein Vorwurf an die Bundesregierung, denn wir wissen, daß sie zusammen mit anderen EG-Mitgliedstaaten für die Errichtung im Rahmen des EWG-Vertrages eingetreten ist, daß andere Mitgliedstaaten dies aber nicht mitgemacht haben. Es wäre gewiß besser gewesen, wenn die Stiftung voll in die Gemeinschaft eingebaut worden wäre. So aber müssen wir uns mit einer Stiftung im Rahmen eines zwischenstaatlichen Vertrages bescheiden.
Ich sage trotzdem noch einmal: Wir Sozialdemokraten werden der Ratifizierung zustimmen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Turbulenz von gestern abend tritt mit dem Thema Kultur wieder Ruhe in diesen Saal ein. Das ist sehr erfreulich.
Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt es, daß heute nach langer Anlaufzeit die abschließende Lesung des Gesetzentwurfs zu dem Übereinkommen über die Europäische Stiftung möglich geworden ist.
Diese Stiftung wird auch nach unserer Auffassung dazu beitragen, daß die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft nicht mehr ausschließlich - das haben meine Vorredner betont - politisch und wirtschaftlich bestimmt wird, sondern daß sie sich einer Dimension zuwendet, die den Wert Europas seiner Einschätzung in der Welt nach vor allem ausmacht, nämlich der Kultur.
Meine Damen und Herren, seit der Verabschiedung der feierlichen Deklaration von Stuttgart 1983, die ein gemeinsames und zum Teil sogar gemeinschaftliches Tätigwerden der EG-Kultusminister vorsah, wird durch diese Entscheidung nunmehr die kulturelle Zusammenarbeit durch die Aktivitäten, die wir von dieser Stiftung erwarten, verstärkt.
Ihrem Mandat entsprechend soll die Stiftung das Verständnis für den Europagedanken fördern, der Bewahrung des kulturellen Erbes Europas dienen, zur Sprachkenntnis beitragen und menschliche Begegnungen - insbesondere die Begegnung Jugendlicher - fördern.
Ich bin sicher, daß die Stiftung einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, den Bürgern Europas ihre kulturelle Identität, aber auch ihre großartige Vielfalt bewußter zu machen.
Schäfer ({0})
Meine Damen und Herren, es hat lange gedauert, bis wir mit dieser neuen Entwicklung wenigstens einen Schritt - Herr Brück, ich stimme Ihnen zu: einen Schritt, der noch nicht ausreichend ist - in eine Richtung tun, die verständlicher -, aber auch bedauernswerterweise so lange vernachlässigt worden ist. Allerdings reicht dieses Instrument mit seinen verhältnismäßig geringen Mitteln noch nicht aus. Wir müssen auch darauf achten, daß kulturelle Aktivitäten nicht erneut möglicherweise durch eine bürokratische Apparatur erschwert werden.
Wenn wir so lange auf den Abschluß des Ratifizierungsprozesses warten mußten, dann hing es damit zusammen, daß wir darauf gedrängt haben, daß das Europäische Parlament am Stiftungsrat beteiligt wird. Wir sind froh, daß durch die Entscheidung der Europäischen Kommission inzwischen sichergestellt ist, daß drei Mitglieder des Europäischen Parlaments in den Stiftungsrat aufgenommen werden und das Parlament selbst in Entschließungen vom 13. November und vom 12. Dezember vergangenen Jahres den ungehinderten Abschluß der Ratifizierungsverfahren gefordert hat.
Es stehen jetzt neben dem Abschluß des Verfahrens bei uns nur noch die Ratifizierungen in zwei Ländern, nämlich den Niederlanden und Belgien, aus, bevor das Gründungsabkommen in Kraft treten kann. Wir hoffen, daß auch das bald der Fall sein wird.
Wir wünschen, daß die Europäische Stiftung ihre Arbeit so schnell wie möglich aufnimmt, um sich zu einem effizienten Instrument der kulturellen Zusammenarbeit in Europa zu entwickeln. Wir sind ebenfalls der Meinung, daß die Bundesregierung darauf achten sollte, daß diese Stiftung erfolgreich arbeitet, bürokratisch nicht belastet wird und - als Anfang in die richtige Richtung - weitere Schritte folgen läßt, die die kulturelle Zusammenarbeit in Europa ermöglichen.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort dem Herrn Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen, Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich danke den Sprechern der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP für die positive Würdigung des Übereinkommens, die sie hier vorgenommen haben. Das ist für die Bundesregierung ein Ansporn, zu versuchen, die Hoffnungen zu erfüllen, die zuletzt der Kollege Schäfer, aber auch Sie, Herr Brück und Herr Hornhues, geäußert haben.
Wir stehen in direktem Kontakt mit den Niederlanden und Belgien, um darauf hinzuwirken, daß auch diese beiden befreundeten Staaten das Gesetz zu diesem Übereinkommen schnell ratifizieren. Wir sind mit Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen, der Auffassung, daß natürlich auch Portugal und Spanien in dieser Stiftung mitwirken sollten.
Ich danke Ihnen sehr, daß Sie alle es ermöglichen, daß das Gesetz jetzt in Kraft treten kann.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt
- Drucksache 10/3661 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({0})
- Drucksache 10/4706 Berichterstatter: Abgeordneter Buckpesch
({1})
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5070 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohlsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Binnenschiffahrtsaufgabengesetz sind vor 30 Jahren die Grundlagen des Binnenschiffahrtswesens in der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben worden. Es ergibt sich jedoch, daß von Zeit zu Zeit eine Anpassung dieses Gesetzes an die aktuellen Gegebenheiten erforderlich ist. Dieser Notwendigkeit ist die Bundesregierung mit dem hier zur Beratung stehenden Entwurf eines Dritten Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt nachgekommen. Als Antwort auf die Herausforderung einiger Auslandsflotten, den deutschen Binnenschifffahrtsmarkt mit unlauteren Wettbewerbspraktiken zu gefährden, ist das Instrument der Erlaubnispflicht für die Fahrt ausländischer Schiffe geschaffen worden.
Künftig soll die Fahrt auf den Bundeswasserstraßen mit Wasserfahrzeugen, die nicht in einem Schiffsregister im Geltungsbereich des Gesetzes eingetragen sind, von einer Erlaubnis des Bundes abhängig sein. Eine Erlaubnis ist auch dann erforderlich, wenn Eigentümer oder Ausrüster der
Schiffe nicht Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind oder ihren Wohnsitz nicht im Geltungsbereich des Gesetzes haben.
Verkehrspolitisch unverzichtbar ist eine solche Zugangsregelung spätestens mit Fertigstellung des Main-Donau-Kanals. Dagegen benötigen Schiffe der EG-Staaten, der Vertragsstaaten der Mannheimer Rheinschiffahrtsakte sowie derjenigen Staaten, mit denen entsprechende vertragliche Vereinbarungen bestehen, selbstverständlich keine Fahrerlaubnis. Der Entwicklung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsmarktes wird damit auch im Binnenschiffahrtsbereich Vorrang eingeräumt.
Empfindliche Geldbußen sanktionieren Verstöße gegen die Erlaubnispflicht und stellen so den Schutz der Gewerbetreibenden auf bundesdeutschen Binnengewässern sicher.
Ein anderer Schwerpunkt des Regierungsentwurfs kommt in der Erweiterung der Rechtsverordnungsermächtigung für den Bundesverkehrsminister in zwei Teilbereichen zum Ausdruck. Zum einen wird die Rechtsgrundlage geschaffen, das Verhalten der Beteiligten nach einem Verkehrsunfall zu regeln, um eventuelle Haftpflichtansprüche feststellen zu können, zum anderen werden EG-einheitliche Richtlinien über technische Vorschriften für Binnenschiffe umgesetzt.
Des weiteren sind die Möglichkeiten geschaffen, den Germanischen Lloyd und Wassersportverbände durch Rechtsverordnung damit zu beleihen, im Auftrag des Bundes bestimmte hoheitliche Verwaltungsaufgaben auf dem Gebiet der Sportschiffahrt durchzuführen. Bei der Durchführung der Beleihung empfiehlt der Sportausschuß des deutschen Bundestages die staatliche Aufsichtstätigkeit und die notwendige Gebührenerhebung auf ein Mindestmaß zu beschränken. Ich meine, diesem Anraten sollte gefolgt werden, da die Verbände auch schon bislang - allerdings ohne Rechtsgrundlage - auf diesen Gebieten tätig waren. Eine übermäßige Belastung bei faktisch gleicher Aufgabenerfüllung muß unterbleiben.
Schließlich ist im Rahmen der Novellierung des Binnenschiffahrtsaufgabengesetzes auch eine Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffverkehr durchgeführt worden, die die Zuständigkeit der Frachtenausschüsse für die Entgelte von Verkehrsleistungen der Binnenschiffahrt betreffen. Künftig sollen Frachtenausschüsse auch die Lade- und Löschzeiten, als ein wesentlicher Bestandteil der Umlaufzeit und damit des Beförderungsentgelts, festsetzen sowie Liegegelder in eigener Zuständigkeit beschließen. Hierin äußert sich eine erweiterte Einbeziehung interessierter Personengruppen in die Marktgestaltung.
Gestatten Sie mir abschließend, meine Damen und Herren, noch kurz die Anmerkung, daß zu den soeben aufgezählten vier inhaltlichen Schwerpunkten des Änderungsentwurfs der Bundesregierung zum Binnenschiffahrtsaufgabengesetz bis in die jüngste Zeit ein reger Meinungsaustausch mit den betroffenen Vereinigungen stattgefunden hat. Noch in den Beratungen des Verkehrsausschusses wurden zahlreiche Anpassungen vorgenommen, die es nunmehr gerechtfertigt erscheinen lassen, dem Bundestag die Annahme des Gesetzentwurfs in der vom Verkehrsausschuß empfohlenen Fassung anzutragen.
Es soll erwähnt werden, daß auch die Bundesratsvorschläge von der Bundesregierung im wesentlichen aufgenommen wurden. Insbesondere durch den neuen § 3 Abs. 5 Nr. 2 des Binnenschiffahrtsaufgabengesetzes kann dem Anliegen des Bundesrats Rechnung getragen werden, auch außerhalb von Naturschutzgebieten und Nationalparks durch Verkehrsbeschränkungen und -verbote Beeinträchtigungen der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes zu verhindern. Damit bieten sich ausreichende rechtliche Möglichkeiten, den Belangen des Schutzes von Natur und Landschaft vor schädlichen Auswirkungen der Schiffahrt auf Bundeswasserstraßen gerecht zu werden.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt den Entschließungsantrag der GRÜNEN ab. Wir möchten - das ist meine Empfehlung - unsere Zustimmung zu dem Gesetzentwurf signalisieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Buckpesch.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Die fünf Minuten, die uns bleiben, um dieses Gesetz zu begründen, stehen natürlich in krassem Widerspruch zu der - jedenfalls für die deutsche Binnenschiffahrt - wichtigsten Gesetzesvorlage dieser Legislaturperiode, wenn nicht sogar darüber hinaus. Aus diesem Grunde kann ich nur in Kürze auf drei, wie ich meine, wichtige Punkte eingehen.
Erster Punkt: Die sicher wichtigste Änderung - Herr Kollege Bohlsen ist schon darauf eingegangen - des Binnenschiffahrtsaufgabengesetzes bringt § 2, der bestimmt, daß zukünftig ausländische Schiffe einer Erlaubnis bedürfen, wenn sie deutsche Binnenwasserstraßen befahren wollen. Ausgenommen von dieser Verpflichtung sind Schiffe aus EG-Ländern, sind Schiffe aus Unterzeichnerstaaten der revidierten Rheinschiffahrtsakte und sind Sportfahrzeuge.
Diese Bestimmung soll der deutschen Binnenschiffahrt Schutz vor Flotten gewähren, die nicht den gleichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterworfen sind wie die deutsche Binnenschifffahrt selbst. Für uns Sozialdemokraten darf diese Erlaubnispflicht jedoch kein Instrument zur Behinderung der europäischen Binnenschiffahrt werden und damit zur Beschränkung des Handels mit europäischen Staaten. Sie soll lediglich die Grundlage bilden für das Zustandekommen von bilateralen Verträgen, die die Parität in den Verkehrsbeziehungen gewährleisten.
Wir haben in den Beratungen Änderungsvorschläge eingebracht, die erstens jede Umgehung
zwischenstaatlicher Vereinbarungen ausschließen sollen und zweitens den Gestaltungsspielraum des Bundesverkehrsministers, insbesondere bei der Erteilung der Erlaubnis für den Drittlandverkehr, erweitern.
Zweiter Punkt: Wir konnten uns - wie andere auch - nicht der ersatzlosen Streichung des dritten Satzes des § 5 des Bundeswasserstraßengesetzes anschließen, der die Möglichkeit des Verbots bzw. der Einschränkung des Schiffsverkehrs in Naturschutzgebieten und Nationalparken bietet, um dafür die Aufnahme so unbestimmter Begriffe wie „erhebliche und nachhaltige Beeinträchtigung der Ziele des Naturschutzes" in das Gesetz aufzunehmen. So wollte es jedenfalls der Bundesrat. Wir erwarten aber vom Bundesverkehrsminister - auch hier unter Hinweis auf § 3 Abs. 5 S. 2 des Binnenschiffahrtsaufgabengesetzes -, daß er mit den zuständigen Behörden alles unternimmt, um Wasser, Natur und Landschaft zu schützen.
Dritter Punkt: Mit dem neuen § 3 a wird der Bundesminister für Verkehr ermächtigt, juristische Personen des privaten Rechtes - hier sind insbesondere Sportverbände gemeint - z. B. mit folgenden Aufgaben zu beauftragen: mit der Zuteilung von Kennzeichen und der Registrierung von Sportfahrzeugen, mit der Abnahme von Prüfungen und der Erteilung von Führerscheinen für diese Sportfahrzeuge. Damit wird eine an sich bewährte Praxis aufgegeben, eine Praxis, die bisher durch das Engagement des Deutschen Seglerverbandes und des Deutschen Motoryachtverbandes geprägt wurde. In diesem Engagement wurde das Verantwortungsbewußtsein der Bürger, die sich in diesen Organisationen zusammengeschlossen haben, deutlich. Sie wollen an der Sicherheit und an der Leichtigkeit des Verkehrs auf unseren Bundeswasserstraßen und am Schutz des Wassers und der Landschaft mitwirken.
Die Änderung war jedoch unumgänglich, weil nach höchstrichterlicher Auffassung juristischen Personen des privaten Rechtes nur dann Verwaltungsaufgaben rechtsverbindlich übertragen werden können, wenn diese juristischen Personen in den Unterbau der Verwaltung eingegliedert werden. Das setzt eben die Beleihung voraus, die § 3 a möglich macht.
Auch wir schließen uns dem Votum des Sportausschusses an. Wir erwarten vom Verkehrsminister, daß er von seinem Recht der Beleihung nur in dem Maße Gebrauch macht, wie es die Rechtssicherheit erfordert. Das Engagement der Verbände muß erhalten bleiben. Ihre Sachkenntnis und ihre Erfahrung müssen weiterhin für die Bürger unseres Landes genutzt werden können.
Wir haben den Gesetzentwurf ohne Hast, aber zügig beraten, weil wir alle der Auffassung sind, daß er in dieser Legislaturperiode, und zwar möglichst bald, Gesetzeskraft erlangen muß.
Wir Sozialdemokraten wünschen der deutschen Binnenschiffahrt mit diesem Gesetz mit dem alten Schiffergruß „Allzeit gute Fahrt in Gottes Namen".
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir heute abschließend beraten, hat vier wesentliche Elemente.
Zum einen geht es um die Erlaubnis zur Fahrt auf Bundeswasserstraßen für ausländische Schiffe durch den Bundesverkehrsminister, wobei nicht eingeschlossen, sondern von dieser Erlaubnispflicht ausdrücklich ausgenommen die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bzw. die Vertragsstaaten der Mannheimer Akte sind. Bisher stützt sich die Erteilung oder Versagung der Erlaubnis ja auf Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts. Demnach bestimmen die Staaten, ob und unter welchen Voraussetzungen gebietsfremde Wasserfahrzeuge in ihr Hoheitsgebiet einfahren und dort Beförderungen ausführen dürfen. Wir schaffen jetzt eine ausdrückliche innerstaatliche Rechtsgrundlage für diese Erlaubnispflicht. Kriterien dabei sind das Prinzip der Gegenseitigkeit und die Berücksichtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland. Dies ist deshalb wichtig - ich weise ausdrücklich darauf hin -, weil nach der Fertigstellung des von den Liberalen ja nicht sehr geliebten RheinMain-Donau-Kanals dem Problem eines unkontrollierten Vordringens von Binnenschiffen aus Staatshandelsländern entgegengetreten werden muß.
Das zweite Element. Der Bundesverkehrsminister wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Verhalten der Beteiligten nach einem Verkehrsunfall auf einer Bundeswasserstraße zu regeln, also Verletzten zu helfen, den Verkehr zu sichern, die Klärung und Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche und die Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen festzulegen, über die Mittel hierfür und über die Anforderungen an Kennzeichnung und Ausrüstung von Wasserfahrzeugen, aber auch die Anforderungen an Besatzungsmitglieder und an Binnenlotsen Bestimmungen zu treffen.
Das dritte Element. Wir wollen durch dieses Gesetz juristische Personen des Privatrechts mit der Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben beauftragen. Beispielsweise sollen Wassersportverbände künftig selber einen Sportbootführerschein ausstellen können. Wir glauben, daß dies ein kleiner, aber nicht ganz unwichtiger Beitrag zur Entbürokratisierung und darüber hinaus zur Stärkung der Selbstverwaltung des Sports ist.
Das vierte Element ist die Anpassung unseres Rechts an eine EG-Richtlinie, wodurch dem Bund die Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit der Personen an Bord von Schiffen als Aufgabe übertragen wird. Kollege Bohlsen hat schon auf die Probleme des Naturschutzes hingewiesen. Ich versage es mir angesichts der knappen Redezeit, näher
darauf einzugehen. Ich erwähne nur noch, daß mit diesem Gesetz eine Änderung des Bundes-Immissionsgesetzes verbunden ist. Das ist wichtig, um den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Beschränkung auf ein Mindestmaß unvermeidbarer Immissionen einzugrenzen.
Insgesamt bringt der Gesetzentwurf die Anpassung an die nationalen und internationalen Entwicklungen der letzten Jahre. Wir sind der Überzeugung, daß dieser Gesetzentwurf unserer Binnenschiffahrt dient. Wir wissen natürlich, daß die Binnenschiffer und besonders die Partikuliere in der Bundesrepublik mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben. Wir werden in anderem Zusammenhang noch darüber zu beraten haben. Wir sind aber der Meinung, daß der Gesetzentwurf ein Schritt in die richtige Richtung ist. Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei stimmt deshalb diesem Gesetzentwurf zu.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind zwei Gesetze, die die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Schiffahrt regeln. Das eine Gesetz regelt die Seeschiffahrt, das andere die Binnenschiffahrt. In beiden Gesetzen ist in § 1 Abs. 2 festgelegt, in welchem Bereich das Gesetz gilt. Im Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt heißt es: Das Gesetz gilt auf den Seeschiffahrtsstraßen und den nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 begrenzten Binnenwasserstraßen.
({0})
Die in § 9 erfolgte Ermächtigung für den Verordnungsgeber findet ihren Niederschlag in § 1 der Seeschiffahrtsstraßenordnung. Dieser Paragraph gibt genau an, wo die Grenzen des Geltungsbereiches liegen, zum Beispiel auf der Elbe bis zur Grenze des Hamburger Hafens, auf der Weser bis zur Eisenbahnbrücke in Bremen und auf der Ems bis zur Einfahrt des Hafens Papenburg.
Die ser klaren Abgrenzung des Geltungsbereiches steht jedoch eine unklare Abgrenzung in dem uns vorliegenden Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt gegenüber. Hier ist der Geltungsbereich mit dem Begriff „Bundeswasserstraße" festgelegt worden. Im Bundeswasserstraßengesetz heißt es hierzu in § 1 Abs. 1:
Bundeswasserstraßen nach diesem Gesetz sind
1. die Binnenwasserstraßen des Bundes, die dem allgemeinen Verkehr dienen; als solche gelten die in der Anlage zum Gesetz aufgeführten Wasserstraßen,
2. die Seewasserstraßen.
Hieraus folgt, daß das uns vorliegende Gesetz über die Binnenschiffahrt nicht nur auf den Binnenwasserstraßen, sondern auch auf den Seewasserstraßen gelten würde. Hinzu kommt, daß das Gesetz über die Küstenschiffahrt im § 2 den Betrieb der Küstenschiffahrt mit Binnenschiffen regelt. Der Geltungsbereich dieses Gesetzes entspricht demnach in etwa dem Begriff der Seewasserstraßen, regelt sich aber abweichend davon nach der Dritten Durchführungsverordnung zum Flaggenrechtsgesetz. Eine Novellierung dieser Vorschrift wäre im Hinblick auf eine einheitliche Regelung der Geltungsbereiche ebenfalls erforderlich.
Aus den von mir vorgetragenen Tatsachen ergibt sich, daß der Begriff „Bundeswasserstraße" zur Erreichung einer Rechtsklarheit durch den Begriff „Binnenwasserstraße des Bundes" ersetzt werden muß. Da Gesetze über Aufgaben des Bundes Leitgesetze sind, denen weitere Ausführungsgesetze und -verordnungen folgen, sollten sie eindeutig und rechtsklar sein. Unsere Fraktion hat daher einen entsprechenden Entschließungsantrag eingebracht. Wir bitten, diesen an den Ausschuß zu überweisen, damit wir im Verkehrsausschuß über diese Problematik diskutieren können. Im übrigen werden wir uns bei der Abstimmung über den vorliegenden Gesetzentwurf der Stimme enthalten.
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Dr. Schulte, das Wort.
Dr. Schulte, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Novelle des Binnenschiffahrtsaufgabengesetzes war vor allem erforderlich, um eine klare Rechtsgrundlage für die Erteilung der Erlaubnis zur Fahrt mit ausländischen Schiffen zu erlangen. Das ist im Hinblick auf die Öffnung unserer Wasserstraßen von besonderer verkehrspolitischer Bedeutung.
Die Fahrt auf den Bundeswasserstraßen mit Wasserfahrzeugen, die nicht in einem Schiffsregister im Geltungsbereich des Gesetzes eingetragen sind, werden von einer Erlaubnis des Bundes abhängig gemacht. Hiermit wird unser Hoheitsrecht auf den Bundeswasserstraßen erneut betont und gesetzlich normiert. Eine Erlaubnis ist auch dann erforderlich, wenn die Eigentümer oder Ausrüster der Schiffe nicht Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind oder wenn sie ihren Wohnsitz nicht im Geltungsbereich des Gesetzes haben.
Bisher hat der Bundesminister für Verkehr die Entscheidungen über die Erteilung oder Versagung einer Erlaubnis auf Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts gestützt. Im Interesse der Rechtssicherheit ist es jedoch erforderlich, für die Erlaubnispflicht eine förmliche gesetzliche Grundlage zu schaffen.
Schiffe aus Staaten der EG, aus Vertragsstaaten der Mannheimer Rheinschiffahrtsakte sowie aus denjenigen Staaten, mit denen entsprechende vertragliche Vereinbarungen bestehen, benötigen keine Fahrerlaubnis. Für den Rhein ist bereits eine gleichartige Regelung in Kraft getreten.
Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Verlauf der Beratungen des Gesetzentwurfs hat der Bundesrat einige Änderungen vorgeschlagen, denen die Bundesregierung zugestimmt hat. Nicht zugestimmt hat sie allein dem Vorschlag, durch eine Ergänzung des § 3 klarzustellen, daß auch außerhalb von Naturschutzgebieten und Nationalparks zum Schutz von Natur und Landschaft Beschränkungen und Verbote erlassen werden dürfen. Der Bundesminister für Verkehr ist mit dem für den Naturschutz zuständigen Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem für den Umweltschutz zuständigen Bundesinnenminister der Auffassung, daß dem Vorschlag des Bundesrates hinsichtlich der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf der Grundlage des von den zuständigen Ausschüssen des Bundestages übernommenen Textes der Regierungsvorlage in vollem Umfang Rechnung getragen werden kann. Der vom Bundesrat vorgeschlagenen Klarstellung dient insbesondere die Neufassung des § 3 Abs. 5 Satz 2 des Gesetzentwurfes.
Der Innenausschuß, der Sportausschuß und der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages teilen die Auffassung der Bundesregierung, daß alle rechtlichen Möglichkeiten gegeben sind, um den Schutz von Natur und Landschaft vor schädlichen Auswirkungen der Schiffahrt zu gewährleisten. Auch außerhalb von Naturschutzgebieten und Nationalparks können deshalb durch Verkehrsbeschränkungen und durch Verkehrsverbote Beeinträchtigungen der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes vermieden werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, abschließend möchte ich mich im Namen der Bundesregierung beim Berichterstatter, dem Kollegen Buckpesch, und auch bei den Fraktionen der CDU/ CSU, der FDP und der SPD für die sachkundige Mitarbeit bedanken.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 8, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5070. Es ist beantragt, diesen Entschließungsantrag an den Ausschuß für Verkehr zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
({0})
- Herr Kollege, Sie hätten sich früher melden müssen. Ich hatte gefragt, ob es dazu anderweitige Vorschläge gibt. Wir haben bereits beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Eisenbahnkonzept für den Schienenverkehr von und nach Berlin
- Drucksache 10/3901 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({1}) Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
({2})
- Herr Kollege Seiters, es ist beschlossen worden, den Entschließungsantrag zu überweisen.
({3})
- Eine solche Mitteilung lag mir nicht vor.
({4})
- Ich hatte gefragt, ob es anderweitige Vorschläge gibt. Das ist nicht der Fall gewesen. Erst nachdem ich gesagt hatte, die Überweisung sei beschlossen, kam der Widerspruch. Ich bitte Sie also, mir das künftig früher zu sagen; dann kann man entsprechend verfahren.
Ich hatte den Tagesordnungspunkt 12 aufgerufen. Das Wort zur Begründung war nicht gewünscht worden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulze ({5}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich feststellen, daß sich die Deutschland- und Berlinpolitik am wenigsten für die Profilierung der Parteien gegeneinander eignet. Ein Mehr an Gemeinsamkeit ist hier dringend geboten, und das gilt auch und insbesondere für den Berlin-Verkehr.
({0})
Der vorliegende Antrag der SPD weist eine Reihe wünschbarer Verbesserungen für den EisenbahnSchulze ({1})
verkehr zwischen dem Bundesgebiet und Berlin auf, doch gilt auch hier die alte Weisheit, wonach das Wünschen allein nicht hilft und oftmals mit den realen Möglichkeiten und Notwendigkeiten kaum in Übereinstimmung zu bringen ist.
Gleich an dieser Stelle möchte ich betonen: Die Durchsetzbarkeit der in dem Antrag der SPD aufgeführten Qualitätssteigerungen für den Schienenverkehr von und nach Berlin scheitert nicht am mangelnden Willen der Bundesregierung und auch nicht an fehlenden Bemühungen des Senats von Berlin. Die Bremser und Nein-Sager sind Ihnen wesentlich besser bekannt, meine Herren von der SPD, als uns, nämlich Ihre in jüngster Zeit allzu hoch geschätzten Gesprächspartner von der SED aus Ost-Berlin. Vielleicht könnten Sie über die SED-Schiene die Bundesregierung dabei unterstützen, den Berlin-Verkehr noch zu verbessern. Das wäre sicher eine Möglichkeit.
Konkrete Beispiele möchte ich Ihnen jetzt hier einmal nennen. Als kurzfristige Maßnahme zur Komfortanhebung auf den Berlin-Strecken hat die Bundesregierung den Einsatz des dieselbetriebenen Intercity-Vorläufers VT 601 vorgeschlagen. Die DDR lehnte das ab. Die Renovierung des Bahnhofs Zoo zur 750-Jahr-Feier ist, obwohl Mittel zur Verfügung stehen, ebenfalls am unverständlichen Widerstand der Deutschen Reichsbahn gescheitert. Ähnliches gilt für die Übernahme von Sondertarifen durch die Reichsbahn. Bereits 1982 geführte Sondierungsgespräche zur wünschenswerten Elektrifizierung der Trassen zwischen dem Bundesgebiet und Berlin führten deshalb zu keinem Ergebnis, weil die DDR schon damals ein finanzielles Kolossalgemälde malte.
Neben dem Ausbau der Autobahnen sollten auch die Aus- und Neubauten der Bahnstrecken nach dem Motto „Wir bauen, die zahlen" von der Bundesrepublik finanziert werden. Da wir keine Dukatenesel sind, hat die Bundesregierung die Bereitstellung entsprechender Finanzmittel damals zu Recht verweigert. Dennoch soll dieser zunächst erfolglose Versuch nicht sang- und klanglos in den Akten verschwinden. Deshalb bleibt die Schaffung einer angemessenen Schienenanbindung Berlins mittel-
und langfristig ein wesentliches Ziel der Bundesregierung und des Berliner Senats. Sie soll so gestaltet sein, daß Berlin in das entstehende Netz von Aus- und Neubaustrecken der Deutschen Bundesbahn einbezogen wird. Ziel dieses Gesamtkonzeptes ist die allseitige streckenmäßige Verbindung der Ballungszentren unseres Landes bis zum Jahre 2000.
Ein Aus- oder Neubau der Verbindung BerlinHannover brächte als wesentliches Qualitätsmerkmal eine um 50 % verkürzte Fahrzeit. Diese Maßnahme wäre geeignet, das Schienenverkehrsaufkommen im Personen- und Güterverkehr um die Hälfte zu steigern. Wie ernst wir es mit diesen Plänen meinen, zeigen die Vorbereitungen vertraulicher Entscheidungsgrundlagen zu diesen Fragen von Bundesregierung und Berliner Senat. Vertraulich und fernab öffentlichen Getöses deshalb, weil neben den verkehrspolitischen auch finanzielle,
berlin- und deutschlandpolitische Erwägungen sorgfältig durchdacht sowie aufeinander abgestimmt werden müssen.
Als Sinnbild für die europäische Dimension des neuen Bahnkonzeptes der Deutschen Bundesbahn - ICE - ist hier zum einen die projektierte Schnellbahnverbindung Paris-Brüssel-Köln zu sehen. Zum anderen sei aber jetzt schon auf die jüngst beschlossene Eisenbahntunnelverbindung zwischen Frankreich und England hingewiesen. Diese westliche Verbindung, meine Damen und Herren, bedarf langfristig der Ergänzung durch eine entsprechende Anbindung osteuropäischer Länder und Städte - ich nenne nur Warschau und Moskau -, und zwar über Berlin als eine bedeutende europäische Metropole.
Schließlich haben alle Länder ein Interesse am Ausbau der Bahn zu einem schnellen, modernen und umweltfreundlichen Verkehrsmittel. - So viel erst einmal zur Langzeitperspektive.
Bereits jetzt können wir für den gültigen Fahrplan 1985/86 auf Grund erfolgreicher Verhandlungen zwischen der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn und auch weitere mehrere Verbesserungen vermerken. So gelang die Anpassung der Berlin-Züge an die Anschlußzeiten in Hannover für die IC-Linie 2 ins Ruhrgebiet bis nach Köln.
Die Deutsche Reichsbahn selbst hat mit der Umstellung auf neuere Waggons begonnen, so daß nicht mehr acht, sondern nur noch sechs Personen in jedem Abteil fahren müssen. Dazu entfallen die längeren Wartezeiten der Berlin-Züge an den Obergängen Bebra und Helmstedt, weil die Kontrollen notfalls im fahrenden Zug abgeschlossen werden. Und nicht zu vergessen ist die im Dezember 1983 fertiggestellte Wasch- und Reinigungsanlage Rummelsburg, so daß Reinigung und Vorheizung gewährleistet werden können. Hinzu kommt der Ausbau der Streckenabschnitte Wannsee-Griebnitzsee und Potsdam-Werder. An den beiden letztgenannten Maßnahmen - auch das sollte man wissen - hat sich der Bund mit 89 Millionen DM beteiligt. Für den wünschenswerten, weil zeitsparenden Wegfall des Lokwechsels am Grenzübergang wäre zunächst eine Änderung des Grenzübereinkommens notwendig.
Sie sehen, meine Damen und Herren, die im Oppositionsantrag vom 26. September letzten Jahres aufgeführten Verbesserungsforderungen sind bereits seit längerem Gegenstand politischer Verhandlungen der Bundesregierung unter Einbeziehung des Senats von Berlin zugunsten einer modernen Schienenanbindung Berlins an das Bundesgebiet.
Wenn ich bösartig wäre, würde ich sagen, daß der Antrag der SPD ein Zeugnis berlinpolitischen Nachzüglertums ist. Ich will aber Ihren Antrag, meine Damen und Herren, so verstehen, daß Sie damit die langjährigen Bemühungen der Bundesregierungen und des Senats von Berlin unterstützen wollen.
Schulze ({2})
Es bleibt letztlich festzuhalten: Wenngleich die Situation des Berlin-Verkehrs insgesamt relativ positiv beurteilt werden kann, ist dennoch nach jahrelanger Priorität der Straßenverbindungen nunmehr das Nachziehen verbesserter Bahnverbindungen erforderlich. West-Berlin darf von der zunehmenden Modernisierung und Attraktivität des internationalen Eisenbahnverkehrs keinesfalls abgekoppelt werden.
Diese Überlegungen, meine Damen und Herren, sind von seiten der CDU/CSU-Fraktion immer wieder bei den einschlägigen parlamentarischen Beratungen nachdrücklich angesprochen worden. Ich nenne als Beispiele die Diskussion um die Verkehrserschließung, das Raumordnungsprogramm sowie die Erörterung in der Tourismuskommission.
Es hat sich damit wieder einmal erwiesen, daß die Bundesregierung der SPD im Bereich praktischer Berlin-Politik ein Stück voraus ist. Wir werden dennoch, meine Damen und Herren, in den Ausschüssen Gelegenheiten zu einer eingehenden Beratung des Antrags haben und am Schluß hoffentlich zu dem Ergebnis kommen, daß wir gemeinsam diesen Antrag verabschieden können.
Ich danke Ihnen.
({3})
Meine Damen und Herren, hier ist ein kleiner Fehler in der Geschäftsordnung passiert. Das ist ein SPD-Antrag, bei dem zuerst eigentlich ein SPD-Redner hätte sprechen müssen. Das war aber schon geregelt. Ich denke, wir ertragen es.
Herr Heimann, Sie sind als nächster dran.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schulze, Sie haben diesen Antrag einen Nachzüglerantrag genannt - im Verhältnis zu dem, was die Bundesregierung schon alles getan hat. Herr Schulze, das kann schon deshalb nicht ganz richtig sein, weil das, was Sie hier an konkreten Verbesserungen genannt haben, schon zu Zeiten der sozialliberalen Koalition vereinbart worden ist. Aber wir wollen uns gar nicht streiten.
Daß die sozialdemokratische Fraktion einen Antrag zur Verbesserung des Eisenbahnverkehrs im Berlintransit eingebracht hat, liegt nicht an einem verspäteten Geschenk angesichts des 150jährigen Bestehens der Bahn im letzten Jahr, auch nicht an einer lange entbehrten Eisenbahnromantik. Denn genau diese Eisenbahnromantik erleben wir täglich auf den Strecken von und nach Berlin. Wie anders als nostalgisch lassen sich Service, Standard und gerade die Fahrzeiten im Berlin-Verkehr per Bahn charakterisieren? Wir erreichen dort Geschwindigkeiten, Fahrzeiten, die wir bereits am Ende des vergangenen Jahrhunderts erreicht hatten. Das ist die Wirklichkeit auf der Strecke von und nach Berlin.
Wen wundert es da noch, daß der Anteil der Bahn am Personentransit gerade 10 %, gemessen am gesamten Berlin-Verkehr, beträgt? Das kann nicht länger hingenommen werden. Ich glaube, wir sind uns in dieser Feststellung einig.
Bei den bisherigen Planungen - zugegeben, auch unter sozialdemokratischen Bundesregierungen - wurden stets die Straßenverbindungen und eingeschränkt auch die Wasserwege nach Berlin vorrangig behandelt. Dies war sicher notwendig und wichtig. Um so mehr ist es jetzt an der Zeit, an die Bahn zu denken und ein umfassendes und zukunftsorientiertes Konzept zu entwickeln. Ich möchte das mit ein paar Zahlen deutlich machen.
Während in den Jahren 1972 bis 1984 rund 60% aller Mittel für den Straßenbau aufgebracht wurden, erhielt die Bahn lediglich 4,5%. Noch deutlicher als die Investitionen im Berlin-Verkehr läßt die Verteilung des Personenverkehrs zwischen dem Bundesgebiet und Berlin-West die einsame Schlußlichtrolle der Bahn erkennen. 1985 benutzten 26,1 Millionen Reisende die Transitwege. 72,3 % benutzten die Straße. Lediglich 10,2 % kamen mit der Bahn.
Das gleiche gilt für den Güterverkehr. Während über die Straße zehn Millionen Tonnen transportiert wurden, waren es per Schiene 2,1 Millionen Tonnen. Das sind Zahlen aus dem Jahre 1983.
Während beim Personenverkehr insgesamt eine stete Zunahme zu verzeichnen ist - 1984 23,9 Millionen, 1985 26,1 Millionen, also plus 9,1 % -, ist der prozentuale Anteil der Bahn rückläufig, also genau umgekehrt, 1984 10,5%, 1985 eben nur noch 10,2 %.
So erfreulich die Zunahme im Reiseverkehr insgesamt auch ist, sie muß zum überwiegenden Teil von der Straße bewältigt werden. Was das bedeutet, merkt jeder Autofahrer, der heute nicht nur an Wochenenden oder zu Ferienbeginn in fast geschlossener Kolonne auf der Transitautobahn nach Helmstedt oder in umgekehrter Richtung fahren muß.
Fragt man nach den Gründen, warum der Anteil bei der Bahn im Berlin-Verkehr so gering ausfällt, sind mangelnde Attraktivität und vor allem die überlangen Fahrzeiten zu nennen. Gerade deshalb zielt unser Antrag auf eine grundsätzliche verkehrspolitische Veränderung zugunsten der Schiene.
Die in dem Antrag genannten Sofortmaßnahmen - ich brauche die Einzelpunkte hier sicher nicht zu nennen - stellen einen ersten Schritt zur dringend erforderlichen Steigerung der Attraktivität der Eisenbahn dar. In dem jetzt vorliegenden Bericht des Bundesverkehrsministers wird nur bestätigt, was alle schon wußten: Solche Maßnahmen können nur ein Notbehelf sein. Sie können den umfassenden Ausbau der Strecken in keiner Weise ersetzen. Kernpunkt ist und bleibt eine spürbare Verkürzung der Fahrzeiten. Dies kann eben nur durch den Bau einer neuen oder den Ausbau der vorhandenen Eisenbahnstrecke Berlin-Hannover entsprechend dem Standard der Neu- und Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn erreicht werden.
Nach dem Bundesverkehrswegeplan sollen bis zum Jahre 2000 die Qualität und Leistungsfähigkeit des Eisenbahnnetzes in einer Größenordnung von rund 4 000 Kilometern verbessert werden, so daß alle Ballungszentren durch erheblich verminderte Reisezeiten einander näherrücken werden. In dieHeimann
sem modernen Streckennetz sind rund 2 000 Kilometer für Hochgeschwindigkeiten von 160 bis 250 Kilometern pro Stunde vorgesehen, wobei eine Ausbaustrecke für solche Hochgeschwindigkeiten zwischen Hannover und der Grenze bereits in der Planung enthalten ist.
Wichtig zu erfahren ist auch, daß parallel in der EG-Kommission im Rahmen einer mittelfristigen EG-Strukturpolitik u. a. über eine Achse Niederlande-Hannover-Berlin nachgedacht wird. Herr Schulze, Sie haben die andere Verbindung, ParisKöln, genannt. Das käme dann irgendwo zusammen. Daß es auch in der Sowjetunion Tendenzen zur Schaffung von schnellen Eisenbahnverbindungen geht, etwa zwischen Moskau und Leningrad, vervollständigt das Bild eines im Entstehen begriffenen hochmodernen und vor allem ganz Europa einschließenden Streckennetzes der alten und offenbar immer wieder jungen Eisenbahn.
In diesem Zusammenhang muß zu einem Vorschlag Stellung genommen werden, den sich jedenfalls in der Vergangenheit auch Herr Minister Windelen und Herr Minister Riesenhuber zu eigen gemacht hatten. Ich sage „hatten", weil ich davon ausgehe: Das ist nicht mehr der letzte Stand. Es handelt sich um den Vorschlag des Baus einer Magnetschnellbahn „Transrapid" zwischen Berlin und Hannover. Ich schließe mich der in einer Studie der Deutschen Eisenbahn-Consulting vertretenen Auffassung an, daß die Magnetschnellbahn kein für den Berlin-Verkehr geeignetes Mittel ist, weil Güterverkehr, abgesehen von kleinsten Mengen, nicht möglich wäre, mit einem Einsatz vor dem Jahre 2000 kaum zu rechnen wäre und vor allem die zentral wichtige Einbeziehung des Berlin-Verkehrs in den internationalen Verkehr entfallen würde. Insofern könnte eine Magnetschnellbahn immer nur eine zusätzliche Maßnahme sein, was aber sicher schon an den Kosten und dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen scheitern würde.
In den Überlegungen zu einer Magnetschnellbahn kommt eine politische Mentalität zum Ausdruck, die alles auf die Verbindung Berlin-Bundesrepublik abstellt, eine Stichstreckenmentalität, wobei denen, die dies vertreten, vielleicht gar nicht klar wird, daß sie West-Berlin damit nicht nur verkehrspolitisch zum Sackbahnhof, zur Endstation, von der aus es dann nicht mehr weiterginge, machten. Genau das wäre kurzsichtig, gefährlich und entspricht außerdem schon heute Gott sei Dank nicht mehr den politischen Realitäten.
Schon heute ist West-Berlin einer der wichtigsten realen Verbindungsfaktoren zwischen den beiden deutschen Staaten und damit zwangsläufig auch zwischen den beiden großen politischen Ordnungssystemen Europas geworden. Wer diese Aussage für übertrieben hält, braucht sich nur zu vergegenwärtigen, daß die übergroße Zahl aller mit der DDR abgeschlossenen Verträge und Abmachungen sich auf West-Berlin bezieht. Ein Projekt, das wie eine Schnellbahnstrecke frühestens in den 90er Jahren realisiert werden kann, muß in einer Perspektive gedacht werden, die Europa nicht an der Elbe enden läßt. Die wichtigste politische Aufgabe für West-Berlin liegt darin, die Lage in der Mitte Europas aus einem Standortnachteil wieder zu einem Standortvorteil werden zu lassen, d. h. durch friedlichen Interessenausgleich die geographische Mitte wieder zu einer intensiv kommunizierenden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Mitte Europas zu machen. Verkehrspolitik ist ein Mittel dazu. Die vorgesehene Schnellbahnstrecke muß deshalb von Anfang an als Teil der sehr viel größeren Strecke Moskau-Warschau-Berlin-HannoverKöln-Paris konzipiert werden. Auch wenn wir wissen, daß gegenwärtig für den Wirtschaftsstandort West-Berlin vor allem die Strecke Berlin-Hannover von Interesse ist. Berlin muß seine zentrale europäische Verkehrslage nutzen und nicht trotz, sondern wegen seiner besonderen politischen Situation Ausgangspunkt für die Schaffung eines die Grenzen überwindenden Schnellbahnnetzes der Eisenbahn werden.
Spätestens an dieser Stelle wird klar: Bei dem Antrag der SPD-Fraktion geht es nicht nur um Verkehrspolitik; es geht sogar in erster Linie um Deutschland- und Berlinpolitik. Da, wo die Regierung ausnahmsweise einmal recht hat, sollte auch die Opposition ihr dies ausdrücklich bestätigen.
({0})
Deshalb schließe ich mich in voller Übereinstimmung einer Aussage an, die ich in der Stellungnahme des Bundesverkehrsministers zu diesem Projekt gefunden habe: Deutschlandpolitisch wäre die Vereinbarung mit der DDR über eine Schnellbahnverbindung zwischen Berlin und Hannover ein langfristiges Kooperationsprojekt, das aus werkehrlichen, technischen und überregionalen Gründen eine langjährige, politisch stabilisierend wirkende Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten erfordert und sichert. Dieses innerdeutsche Kooperationsprojekt hätte für den Realisierungszeitraum eine über die beiden deutschen Staaten hinausgehende europäische Bedeutung. Das langfristige Ziel ist die Anbindung Berlins an ein modernes westeuropäisches Eisenbahnnetz. - Die vielen Fragen, die im Rahmen eines solchen Projekts noch zu klären sind - als Beispiel nenne ich nur die Trassenführung -, müssen - und das ist der eigentliche Punkt, weshalb wir den Antrag hier eingebracht haben - in einem offenen Diskussionsprozeß, der die politische und fachliche Öffentlichkeit einbezieht, geklärt werden. Einen solchen Prozeß anzustoßen und zu beschleunigen, auf der anderen Seite aber zu verhindern, daß die Entscheidungen hinter verschlossenen Türen fallen, ist der Sinn dieses von der SPD-Fraktion eingebrachten Antrages. - Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem tradierten Rollenspiel von Regierungsparteien einerseits und Opposition andererseits würde man vielleicht von mir erwarten, daß ich mich negativ zu diesem Antrag
der SPD äußere. Ich glaube aber, daß dies falsch wäre; denn die Verbesserung des Verkehrs nach Berlin ist aus unserer Sicht eine nationale Aufgabe. Deswegen ist es wichtig, daß alle demokratischen Kräfte hier gemeinsam einen Konsens finden. Ich begrüße deshalb diesen SPD-Antrag als Gelegenheit, im Ausschuß erneut über diese Themen zu diskutieren und nach Möglichkeit auch zu Fortschritten zu kommen.
Meine Damen und Herren, das Problem, mit dem wir es zu tun haben, möchte ich gern an einigen Zahlen verdeutlichen. Ich habe hier die letzten Zahlen aus dem Jahr 1984 im Vergleich zum Vorjahr, die vollständig vorliegen. Im Bereich des Personenreiseverkehrs zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin haben wir beim Straßenpersonenverkehr ein Wachstum von 10 %, beim Luftverkehr ein Wachstum von 3,7 % und bei den Bahnreisenden eine negative Entwicklung von 1,5 %, also einen Rückgang zu verzeichnen. Was den Güterverkehr betrifft, so haben wir - ebenfalls 1984 im Vergleich zum Vorjahr - ein Wachstum bei den Binnenschiffstransporten um 12 %, bei den Straßentransporten um 3 %, beim Luftfrachtaufkommen um 3,7 %, beim Schienengüterverkehr aber einen Rückgang um 9 % zu registrieren.
Ich glaube, diese Zahlen machen deutlich, wie notwendig es ist, daß wir uns weiterhin um Verbesserungen bemühen. Nun wissen wir alle, daß sich die Bundesregierung, egal in welcher Zusammensetzung, der Senat von Berlin und die Deutsche Bundesbahn seit Jahren um eine Verbesserung des Eisenbahnverkehrs nach Berlin bemüht haben. Das Problem, mit dem wir es zu tun haben, besteht darin, daß die sinkende Nutzung sowohl beim Personen- als auch beim Güterverkehr mit der mangelnden Attraktivität dieses Verkehrsmittels zusammenhängt. Das wird natürlich besonders auffällig und besonders deutlich vor dem Hintergrund der markt- und kundenorientierten erfolgreichen Politik der Deutschen Bundesbahn. Ich nenne hier nur Stichworte wie Intercity, Nachtsprung, InterCargo usw. All dies haben wir auf den Verbindungsstrekken zwischen dem Bundesgebiet und West-Berlin nicht. Hier muß also nachgebessert werden, trotz all dem, was in der Vergangenheit erreicht wurde.
Ich denke hier beispielsweise daran, daß in der Vergangenheit auf der Strecke Helmstedt-Berlin der Ausbau der Streckenabschnitte Wannsee - Griebnitzsee und Potsdam - Werder positiv gelaufen ist. Ich denke an den Ausbau der Wasch- und Reinigungsanlage Rummelsburg. Ich denke an die Anpassung der Berlinzüge an die IC-Knotenzeiten in Hannover - das wurde schon erwähnt -, an die Modernisierung des Wagenparks auch bei der Deutschen Reichsbahn.
Ich sollte auch noch den von seiten der Deutschen Bundesbahn 1983 auf dieser Strecke eingeführten Hausgepäck-Service erwähnen.
All dies ist positiv und muß weiter vorangetrieben werden. Vor allem aber kommt es darauf an, daß wir Berlin langfristig in ein modernes europäisches Schnellbahnnetz einbeziehen. Das wurde schon von meinen beiden Vorrednern deutlich gesagt.
Ich möchte an dieser Stelle die Bundesregierung auffordern, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um diese Strecke möglichst rasch auf den Standard der Neu- und Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn zu bringen. Ich glaube, dies ist die entscheidende Voraussetzung dafür, daß wir die Einbeziehung in ein europäisches Schnellbahnsystem erreichen können. Ich bin der Überzeugung, daß es möglich sein sollte, noch in diesem Jahr von seiten der Regierung eine Entscheidung herbeizuführen. Wir Liberalen freuen uns jedenfalls auf die intensive Beratung des Antrags der sozialdemokratischen Fraktion in den beteiligten Ausschüssen. Wir haben uns in der Vergangenheit intensiv mit dem Thema befaßt. Ich erinnere daran, daß sich der Verkehrsausschuß im vergangenen Jahr auf einer Sitzung in Berlin sehr intensiv in Gegenwart des hierfür federführenden Bundesministers mit diesem Thema beschäftigt hat. Wir wollen hier zu Fortschritten kommen, hoffentlich gemeinsam. Die Berliner können sich in dieser Frage auf die Freien Demokraten verlassen.
Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3901 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung und den Zusatzpunkt 4 auf:
13. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einschränkung des Mißbrauchs des Gemeinnützigkeitsrechts
- Drucksache 10/4045 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung ({0})
- Drucksache 10/5053 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
14. Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Europäischer Rat in Athen am 6. Dezember 1983
- Drucksachen 10/663, 10/4505 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Pohlmeier Brück
Schäfer ({3})
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 10/663 wegen Zeitablaufs für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei zwei Enthaltungen ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 und 16 auf:
15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({5}) des Rates über Maßnahmen gegen die Überführung nachgeahmter Waren in den zollrechtlich freien Verkehr
- Drucksachen 10/2849 Nr. 2, 10/4713 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer
16. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung ({7}) des Rates über die Einreihung von Waren in die Tarifstelle 16.02 B III b) ex 1 ex aa) ({8}) des im Anhang der Verordnung ({9}) Nr. 2672/ 85 der Kommission zur Festsetzung der Ausfuhrerstattungen auf dem Rindfleischsektor enthaltenen Schemas
- Drucksachen 10/4400 Nr. 14, 10/4714 Berichterstatter: Abgeordneter Rode ({10})
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. die Beschlußempfehlungen sind einvernehmlich in den Ausschüssen verabschiedet worden. Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen.
({11})
- Wer der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4713 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.
Ich rufe die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4714 auf. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen worden.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 134 des Petitionsausschusses ({12}) über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 29. März 1983 bis 31. Dezember 1985 eingegangenen Petitionen
- Drucksache 10/4755 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei einer Enthaltung ist die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses angenommen.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, Punkt 18 der Tagesordnung von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({13})
- Drucksache 10/5035 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({14}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.
Herr Präsident! Liebe Freundinnen und Freunde der Bildungspolitik! In der Debatte im Januar über den Bericht der Bundesregierung betreffend Zukunftschancen hat Frau Minister Wilms festgestellt: In der Ausbildungsförderung wurde der Zusammenhang mit der Familienpolitik wiederhergestellt und auf die finanzpolitischen Möglichkeiten abgestimmt. Das BAföG steht finanziell auf festen Füßen. - Das klingt wie eine gute Nachricht; dennoch stehen die Studentinnen und Studenten, die nach BAföG gefördert werden, und die wenigen Schüler, die noch BAföG erhalten, finanziell auf immer schwächeren Füßen oder - bildlicher gesprochen - schlichtweg im Hemd da.
Ihre sogenannten „finanzpolitischen Möglichkeiten" haben dazu geführt, daß die Förderung seit 1982 dramatisch zurückgegangen ist. Während damals nämlich noch gut 37 % der Studenten BAföG erhielten, waren es im Jahre 1985 nur noch 27 %.
Der Rückgang der BAföG-Leistungen wird noch deutlicher, wenn man die von der Bundesregierung eingeführte sogenannte bereinigte Statistik zugrunde legt, die nur noch Studenten berücksichtigt, die im Grunde bei entsprechender Einkommenssituation Anspruch auf BAföG hätten. Die Förderungsquote ist danach um 13 % gesunken, nämlich von 48 % im Jahre 1982 auf nur noch 35 % im Jahre 1985.
Unbestreitbar ist auch, daß der Anteil der Studentinnen und Studenten aus Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenfamilien mit kleineren Einkommen insgesamt und besonders auffällig in der Gruppe der nach BAföG Geförderten gesunken ist. Diese Tendenz wird sich in den nächsten Jahren verstärken, wenn sich Ihr BAföG-Kahlschlag im Schülerbereich voll auswirkt und immer weniger Kinder aus einkommensschwachen Familien allein aus finanziellen Gründen das Abitur machen können.
Der Abschreckungseffekt durch die Umstellung des BAföG auf Volldarlehen hat gewirkt. Sie hat gerade auf Studentinnen und Studenten aus einkommensschwachen Familien abschreckend gewirkt, die nach dem Studium bei höchst unsicheren Berufsaussichten mit 40 000 DM Schulden aus BAföG-Leistungen dastünden.
Nach Untersuchungen des Deutschen Studentenwerks müssen immer mehr Studenten regelmäßig während des Studiums arbeiten. Gespart wird hauptsächlich am Essen; die Ausgaben dafür sind auf 6,50 DM pro Tag zurückgegangen. Gespart werden muß auch an Büchern, während sich die Studenten gegen Mieterhöhungen, die in den letzten vier Jahren über 12 % betrugen, nicht wehren können, sondern zahlen müssen.
Weil auch in der Öffentlichkeit noch falsche Vorstellungen über den Alltag der Studenten bestehen, will ich an dieser Stelle noch einmal betonen, daß im Augenblick nur etwa ein Drittel aller geförderten Studenten die Höchstförderung von 690 DM bekommt. Die große Gruppe, die etwa nur 300 DM aus BAföG erhält, ist meist in einer besonders schwierigen Lage, weil ihre Familien oft nicht in der Lage sind, die andere Hälfte des zum Leben unbedingt Notwendigen beizusteuern. So sieht Ihre Politik der Chancengleichheit aus: Es gibt ein Zwei-KlassenRecht für Studierende. Die einen können dank des finanziellen Hintergrundes der Eltern relativ sorglos studieren, während die anderen um ihre tägliche Existenz kämpfen müssen. Das sind die Auswirkungen des kahlgeschlagenen BAföG im Rahmen der von Ihnen so genannten „finanzpolitischen Möglichkeiten" und der „finanziell festen Füße".
Nun hatten Sie j a versprochen, daß Sie wenn schon nicht der Chancengleichheit, dann doch den durch den BAföG-Kahlschlag betroffenen Familien durch den Familienlastenausgleich wieder auf die Füße helfen wollten. Den Offenbarungseid, Frau Ministerin Wilms, haben Sie mit der Regelung der Kinderfreibeträge im Rahmen Ihrer Steuerreform zum 1. Januar dieses Jahres geleistet.
({0})
Die Kinder der Familien mit niedrigeren Einkommen sind Ihnen ganze 46 DM im Monat wert, die Kinder der Familien mit hohem Einkommen 116 DM.
({1})
Der Skandal der steuerlichen Kinderfreibeträge wiederholt sich - getreu Ihrer Grundphilosophie - selbstverständlich auch bei den Ausbildungsfreibeträgen in ganz ähnlichen Abstufungen. Wie trickreich Sie auch immer argumentieren mögen: Sie können nicht widerlegen, daß der Entlastungseffekt durch die Steuertarifreform sowohl in diesem Jahr als auch in der zweiten Stufe 1988 die finanziell bessergestellten Familien begünstigt, während Ihnen die einkommenschwächeren Familien ganze 46 DM monatlich wert sind. Den Zusammenhang zwischen Ausbildungsförderung und Familienpolitik haben Sie in der Tat hergestellt, nur auf eine Art und Weise, die jeden Sinn für soziale Gerechtigkeit vermissen läßt und jeden gerecht Denkenden mit Empörung erfüllt.
({2})
Vor diesem Hintergrund bekräftigt die SPD-Bundestagsfraktion ihre schon anläßlich des BAföGKahlschlags im Dezember 1982 eingenommene Grundsatzposition auf Wiederherstellung des Schüler-BAföG und auf Abkehr vom Volldarlehen in der Studentenförderung. Wer es mit der Verpflichtung, der jungen Generation Bildungschancen einzuräumen, wirklich ernst nimmt, wird kein besseres Instrument als die Förderung nach BAföG entwickeln können. Vor zehn Jahren war dies ja auch einhellige Meinung in diesem Haus.
({3})
Unsere Grundsatzposition wird uns nicht hindern, innerhalb des von Ihnen gesetzten Rahmens, den wir derzeit noch nicht ändern können, bei der Beratung der 10. BAföG-Novelle den Versuch zu machen, wenigstens einige Verbesserungen zu erreichen. Im Vorfeld waren wir ja auch erfolgreich, wenn ich nur an die August-Regelung denke.
Ohne jetzt Einzelheiten vorgreifen zu wollen, kündige ich für die Beratungen folgende Positionen der SPD an: erstens die Erhöhung der Förderungsbeträge und Elternfreibeträge über die von der Regierung vorgeschlagenen Sätze hinaus. Die Quote der Geförderten darf nicht weiter absinken.
({4})
Und wenn Sie sich damit herausreden, der starke Rückgang der Gefördertenquote sei auf eine noch von der sozialliberalen Regierung verantwortete Novellierung zurückzuführen, was wir bestreiten, so hindert Sie ja gar niemand daran, daß bei heute besserer Kassenlage zu korrigieren.
({5})
Zweitens. Die Förderungshöchstdauer entspricht in vielen Studiengängen nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten. Das Parlament darf sich hier nicht drücken, sondern muß handeln.
Drittens. Nicht nur die Auszubildenden mit Kindern, sondern auch die, die ohne Kind mit ihren
Ehepartnern im eigenen Haushalt zusammenleben, sollen in die BAföG-Förderung einbezogen werden. Es ist unerträglich, daß verheiratete Studentinnen und Studenten deshalb wieder in eine Kinderrolle gezwungen werden, weil die Nichtförderung durch BAföG sie zwingt, wieder zu ihren Eltern zu ziehen, die ihrerseits vielfach gar nicht mehr in der Lage sind, ihre 30jährigen Kinder aufzunehmen.
({6})
Viertens. Zu überlegen ist auch, welche Möglichkeiten es gibt, die Schülerinnen und Schüler der Fachoberschulen ab Klasse 11 und der Berufsaufbauschulen in die Förderung generell einzubeziehen.
Fünftens. Ausländische Jugendliche, die hier die Schule besucht haben, sollen auch dann gefördert werden, wenn ihre Eltern in ihr Ursprungsland zurückgekehrt sind. Angesichts der Tatsache, daß sich viele Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, in der Heimat ihrer Eltern nicht mehr integrieren können, haben wir als Folge der früheren Anwerbepolitik eine, wie ich betonen möchte, gemeinsame soziale Verpflichtung,
({7})
Sechstens. Für ein Studium im Ausland sollen nur diejenigen Studierenden Leistungen nach dem BAföG erhalten, die auch in der Bundesrepublik gefördert werden. Dabei muß es eine strikte Begrenzung der Erstattung von Studiengebühren geben. Sonst schaffen wir vor dem Hintergrund weitgehender BAföG-Streichungen hier ein BAföG de Luxe. Wenn ich mir vorstelle, wie sich hier z. B. die Studiengebühren der Stanford University auf den ständig schrumpfendn BAföG-Topf auswirken, wird mir speiübel, meine Damen und Herren.
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Zu überlegen sind des weiteren die besonderen Belange behinderter Studenten. Schließlich ist die Überlegung anzustellen, ob nicht für alle BAföGGeförderten, die ihr Studium erfolgreich beenden, ein Abschlag auf die Darlehensleistung gewährt werden soll, weil wohl niemand mehr behaupten kann, der Darlehensteilerlaß sei sinnvoll oder gar das Gelbe vom Ei.
Zum Schluß und zusammenfassend: Die SPDBundestagsfraktion lehnt Ihre BAföG-Politik insgesamt ab. Wo dennoch konkrete Verbesserungen erreicht werden können, soll es an unserer Mitwirkung nicht fehlen. Wir wollen damit verhindern, daß es während Ihrer Regierung beim BAföG zur totalen Nullösung kommt.
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Das Wort hat Frau Dr. Wilms, Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich nicht sofort mitbekommen habe, daß die Debatte verschoben worden war. Ich möchte ein paar Worte zur Einbringung dieses Zehnten Änderungsgesetzes zum Bundesausbildungsförderungsgesetz sagen. Nach den notwendigen strukturellen Veränderungen des BAföG in den Jahren 1982 und 1983 ist nunmehr die finanzielle Basis für das BAföG heute so abgesichert, daß durch dieses Zehnte Änderungsgesetz eine Reihe von Ausbildungsförderungen spürbar verbessert werden können.
Ich nenne vier Punkte:
Erstens. Die Förderungsparameter werden um gut 4 % erhöht.
Zweitens. Das Studium im außereuropäischen Ausland wird künftig in gleichem Umfang wie das Studium in Europa gefördert.
Drittens. Die Förderung der Auslandspraktika wird erweitert.
Viertens. Beim Darlehenseinzug wird die Gewährung des Teilerlasses, der für die Betreuung von Kindern eingeräumt wird, erleichtert. Diese Maßnahme kommt insbesondere jungen Frauen zugute, was ich hier besonders unterstreichen möchte.
Diese vier Verbesserungen als gezielte Hilfen für Studenten und Schüler sind sozialpolitisch angemessen und bildungspolitisch äußerst wichtig. Die vorgesehenen Anhebungen schaffen für die Schüler und die Studenten in dem zweijährigen Anpassungszeitraum angesichts der wiedergewonnenen Preisstabilität in der Bundesrepublik Deutschland einen vollen Ausgleich für die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten seit der letzten Anpassung. Für den Studenten, der nicht bei seinen Eltern wohnt, wird der Bedarfssatz ab Herbst 1986 einschließlich des Beitrags zur studentischen Krankenversicherung insgesamt 823 DM monatlich betragen. Die wirtschaftliche Situation der Studierenden wird also angemessen verbessert.
Lassen Sie mich hier auch ein Wort zu den, wie mir scheint, überzogenen Forderungen des Deutschen Studentenwerks sagen. Sie sind in meinen Augen ein Zeichen von Realitätsferne; denn das Studentenwerk verkennt die Relation der BAföGLeistungen zu anderen Sozialleistungen, die der Staat, d. h. der Steuerzahler auch zu finanzieren hat. Immerhin darf ich hier erwähnen, daß die durchschnittliche Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung 1985 nur 700 DM monatlich betrug. Ich denke, daß die größtenteils wirklich überzogenen Forderungen des Studentenwerks auch im Widerspruch zu der festgestellten Selbsteinschätzung der Studenten stehen.
Im übrigen: Um die BAföG-Leistungen richtig beurteilen zu können, sind ihnen auch die Leistungen des Familienlastenausgleichs zuzurechnen.
({0})
Gemeinsam verbessern sie beide die wirtschaftliche Lage der Familien mit Kindern in Ausbildung und damit auch die Situation von Schülern und Studenten. Seit ihrer Regierungsübernahme im Oktober 1982 hat die Bundesregierung stets den engen Zusammenhang von Ausbildungsförderung und Familienlastenausgleich als wesentliches Element ih15364
rer Politik herausgestellt. Man muß die Leistungen BAföG und Familienlastenausgleich zusammen sehen. Es ist auch keineswegs so - das möchte ich hier ausdrücklich sagen -, daß die Verbesserung des Familieneinkommens durch den Familienlastenausgleich im Wege der Kürzung der Förderungsleistungen wieder aufgezehrt wird. Es ist sichergestellt, daß das nicht geschieht; darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen.
Das Studium deutscher Studenten im Ausland, der Wissenschaftleraustausch und die internationale Zusammenarbeit der Hochschulen sind ein wesentliches Element der internationalen Hochschulbeziehungen und auch der Bildungspolitik dieser Bundesregierung. Im Regierungsentwurf wird deshalb vorgeschlagen, das Studium im außereuropäischen Bereich künftig mit den gleichen Zuschlägen zu fördern wie das Studium in Europa.
({1})
Gleichzeitig soll die Förderung von Auslandspraktika erleichtert werden. Wir werden die mit einer Ausbildung außerhalb Europas verbundenen Mehrkosten bei der staatlichen Ausbildungsförderung so berücksichtigen, daß diese Förderung in das vorhandene Instrumentarium eingepaßt wird.
Ich möchte noch einmal bekräftigen - das wird Sie nicht verwundern -, daß die Bundesregierung auch weiterhin an der Darlehensförderung für Studenten festhält. Zugleich aber halten wir an den zahlreichen leistungsabhängigen Erlaßmöglichkeiten fest. Die sozialen Rückzahlungsmodalitäten wie z. B. die Zinslosigkeit des Darlehens, die Rückzahlung innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren und der Aufschub der Rückzahlungsverpflichtung bei geringem Einkommen sollen durch das Änderungsgesetz jetzt noch einmal verbessert werden. Die Einkommensgrenzen für die Rückzahlung werden erhöht. Zudem wird es künftig leichter möglich sein, einen Darlehenserlaß für die Zeit der Kinderbetreuung zu erhalten. Das ist für viele junge Frauen ein wichtiger Punkt.
Der Bundesrat hat dem Regierungsentwurf grundsätzlich zugestimmt. Von zwei rechtlichen Erweiterungen, die er vorgeschlagen hat, hat die Bundesregierung einer bereits zugestimmt. Auch die Bundesregierung will die in der Bundesrepublik integrierten Kinder von Ausländern - die sogenannten Bildungsinländer -, deren Eltern in ihr Heimatland zurückgekehrt sind, im notwendigen Umfang in die Förderung einbeziehen. Zu dem Beschluß des Bundesrates, neben den bereits einbezogenen Auszubildenden, die mit mindestens einem Kind im eigenen Haushalt leben, auch die verheirateten Auszubildenden grundsätzlich zu fördern, wird sich die Bundesregierung im Laufe des Gesetzgebungsvorhabens noch äußern. Die finanziellen Auswirkungen dieses Vorschlages müssen noch einmal gründlich überprüft werden.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang sagen, daß sicherlich manche Wünsche, die allenthalben zur strukturellen Verbesserung des BAföG geäußert werden, sehr sinnvoll sind. Angesichts der finanziellen Möglichkeiten und angesichts der Einbeziehung des BAFÖG auch in unser Gesamtsozialleistungssystem, das insgesamt vom Steuerzahler finanziert werden muß, ist manches wünschbar, aber jetzt nicht verbesserbar.
Eine Forderung allerdings halte ich nicht für sinnvoll - das möchte ich betonen -: Die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat gefordert, die Förderungshöchstdauer zu verlängern. Das halte ich nicht für gut. Die Bundesregierung ist vielmehr der Auffassung - ich hoffe, daß wir hier mit der Opposition eine gemeinsame Linie finden -, daß alles unternommen werden muß, um die Studienzeit zu verkürzen.
({2})
Die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes, die wir vor kurzem im Parlament beschlossen haben, dient auch dem Zweck, die Studienzeiten zu verkürzen. Eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer würde diesem bildungspolitischen Ziel der Verkürzung der Studienzeiten geradezu entgegenwirken, würde die Hochschulen und möglicherweise die Studenten geradezu ermuntern, ihr Studium weiter zu verlängern.
({3})
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?
Bitte schön.
Frau Minister Wilms, muß ich Ihre letzte Äußerung so verstehen, daß Sie die Studenten in erster Linie oder ausschließlich für die lange Studiendauer verantwortlich machen?
Nein. Ich habe gerade gesagt - Herr Kollege, auch da sind wir, denke ich, einer Meinung -, daß die Hochschulen alles unternehmen sollten, um die Studienzeiten zu verkürzen. Ich bin sehr wohl der Meinung - vielleicht mit Ihnen -, daß die Verkürzung der Studienzeiten in erster Linie eine Aufgabe der Hochschulen ist, d. h. es kommt auf die Strukturierung des Studienangebotes an. Ich hoffe, daß die Hochschulen von den Möglichkeiten, die wir im Hochschulrahmengesetz geboten haben, eifrig Gebrauch machen.
({0})
Lassen Sie mich mit der Bemerkung schließen, daß es nach meiner Auffassung durch diese Novelle ermöglicht wird, den Studierenden weiter eine gesicherte wirtschaftliche Basis zu bieten, auf der sie ihr Studium planen, aufnehmen und zügig durchführen können. Die Leistungen nach dem BAföG werden für die Finanzierung der individuellen Ausbildungskosten ihren hohen Stellenwert behalten. Entscheidend ist, daß sich die jungen Menschen heute auf die staatliche Ausbildungsförderung nach
dem BAföG verlassen können. Die finanzielle Basis ist sicher, ebenso die regelmäßige Anpassung von Bedarfssätzen und Freibeträgen. Das BAföG behält seinen realen Wert.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was soll den Studentinnen und Studenten die zehnte Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bringen? Eine Steigerung von 2,8 % ist angesagt. Das bedeutet 20 DM pro Monat.
({0})
Und dies für einen Zeitraum von drei Jahren, nämlich von 1983 bis 1986. Gleichzeitig sollen die Freibeträge um ganze 2 % angehoben werden. Damit wird nicht einmal die Steigerung der Lebenshaltungskosten ausgeglichen. Dieses bedeutende Gesetzeswerk steht also nun ins Haus.
Das Einkommen der Studenten ist zwischen 1982 und 1985 real gesunken. Doch jetzt können sie aufatmen. Zwar wird die Inflationsrate für nicht im Elternhaus lebende Studenten nicht einmal ausgeglichen. Aber vielleicht rechnen die Studenten da nicht so genau nach. Es sind ja auch nicht alle Mathematikstudenten. Das scheint mir jedenfalls die Hoffnung der Bundesregierung zu sein. Doch vielleicht verrechnet sich da die Bundesregierung.
Wie sieht die soziale Lage der Studenten heute eigentlich aus? Dafür ziehe ich einige Daten heran, die die 11. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 1985 ergeben hat. Ein Viertel der nicht im Elternhaus lebenden Studenten hatte monatlich weniger als 700 DM zum Leben. Diese finanzielle Knappheit führt dazu, daß an einer Stelle gespart wird, wo die Studenten die Auswirkung nicht sofort spüren, nämlich bei der Ernährung. Die gesundheitlichen Spätfolgen werden aber eines Tages spürbar. Und das merken dann nicht nur die Studenten selber, sondern die Gesellschaft wird für die gesundheitlichen Spätfolgen aufkommen müssen. 1982 gaben die Studenten für die Ernährung noch 212 DM im Monat aus. 1985 waren es nur noch 203 DM. Mehr mußte für die Miete ausgegeben werden, nämlich bis zu 12 %. Dies ist ein Posten, den die Studenten selber am wenigsten beeinflussen können.
Die Studiumfinanzierung durch Elternhaus und/ oder eigenen Verdienst nimmt ständig zu. 53 % der Studierenden sind zumindest gelegentlich erwerbstätig. Wen wundert es da, daß sich die Studienzeiten weiter verlängern? Die Zahl derer, die BAföG als Haupteinnahmequelle bezeichnen, ist zurückgegangen. Die Quote der geförderten Studentinnen und Studenten ist von 1982 bis 1985 um 10 % gesunken. Obwohl die Zahl der erwerbstätigen Studenten weiter steigt, bringt der Job unter den erschwerten Bedingungen des Arbeitsmarkts immer weniger ein.
Auch das ist ein Ergebnis, und zwar ein sehr unerfreuliches, der 11. Sozialerhebung.
Die soziale Herkunft der Studierenden hat sich in den letzten drei Jahren ebenfalls verändert. Studierende aus Arbeiterfamilien und Angestellten-
und Beamtenfamilien aus dem mittleren und einfachen Dienst sind weniger vertreten. Dem gegenüber hat sich die Zahl der Studierenden von Eltern in gehobenen Positionen oder von Beamten im höheren Dienst deutlich erhöht. Die Zahl der Arbeiterkinder ist erstmals rückläufig, auch wenn sie absolut von allen Herkunftsfamilien noch den größten Teil stellt. Man sollte sich dabei allerdings vor Augen führen, daß das BAföG ursprünglich vor allem für diese Zielgruppe verabschiedet wurde.
Angesichts einer insgesamt gesunkenen Förderquote von verbesserter Hilfe zu sprechen, wie es die Bundesregierung tut, ist mehr als zynisch.
Noch ein Wort zu der rückläufigen Zahl der Geförderten. Diese ist, wie gesagt, in den letzten drei Jahren um 10 % zurückgegangen. Das ist ein in der ganzen Geschichte des BAföG seit 1971 bisher nicht dagewesener Rückgang.
Diesen erschreckenden Rückgang will die Regierung verdecken, indem sie mit anderen Zahlen operiert. Die sogenannte Gefördertenquote soll bereinigt werden. Das heißt, die Regierung legt nicht mehr die Zahl aller Immatrikulierten zugrunde, sondern zieht die Zahl der Studenten ab, die nicht im Erststudium sind, die das 30. Lebensjahr vollendet haben, die an wissenschaftlichen Hochschulen nur bis zum 8. Semester und an Fachhochschulen nur bis zum 7. Semester studieren. Auf Grund dieser Ausgrenzungen ergibt sich für die Regierung eine Gefördertenquote von 35 %, während nach den Berechnungen des Deutschen Studentenwerks, das alle Immatrikulierten berücksichtigt, nur noch 25 % der Studierenden gefördert werden. Trotz dieser Zahlenakrobatik bleibt der Rückgang der Zahl der geförderten Studierenden erschreckend.
Die Regierung macht sich die Begründung zu leicht: Die SPD ist schuld, hat sie doch im Jahr 1981 das 7. Änderungsgesetz erlassen, nach dem einige BAföG-Leistungen zusammengestrichen wurden.
Den größten Einschnitt in das BAföG, nämlich die unter dieser Regierung im Jahr 1983 durchgeführte Umstellung auf Volldarlehen, erwähnt die Bundesregierung allerdings nicht bzw. sie tut ihn als unerheblich ab. Diese Umstellung schreckt junge Leute vom Studium ab.
({1})
Denn was sind das für Zukunftsaussichten für einen jungen Akademiker oder eine junge Akademikerin, mit zirka 40 000 DM Schulden ins Berufsleben zu gehen? Da hilft es auch wenig, wenn in dem hier zur Debatte stehenden 10. Änderungsgesetz der Freibetrag für die Rückzahlung des Darlehens um 85 DM erhöht werden soll.
Wie unsozial diese Bundesregierung mit den Studenten und Studentinnen umgeht, zeigt ein Vergleich zwischen der zur Debatte stehenden BAföGErhöhung um knapp 3% und den Sozialhilfesätzen.
Es ist festzustellen, daß in den letzten Jahren in für Studenten und Studentinnen wichtigen Bereichen Teuerungen eingetreten sind, die zum Teil erheblich sind, wie etwa bei den Mieten, den Fahrpreisen beim öffentlichen Personennahverkehr und bei den Stromkosten.
Beim Wohngeld ist die Benachteiligung von Studierenden ebenfalls gravierend, wie ich an einem Beispiel deutlich machen möchte. Ein Studierender erhält bei einer Kaltmiete von 235 DM den maximalen Unterkunftskostenzuschuß als Teil des BAföG in Höhe von 75 DM. Dieser Zuschuß wird heute als Darlehen gezahlt. Wäre der Studierende Mieter mit Wohngeldanspruch, bekäme er 102 DM Mietzuschuß.
Was will die Bundesregierung also mit dieser Gesetzesänderung erreichen? Sie muß der leidigen Pflicht nachkommen, die ihr das Bundesausbildungsförderungsgesetz auferlegt, nämlich die Sätze alle zwei Jahre anzupassen. Das erledigt sie mit dem geringsten Aufwand, der möglich ist. Denn Bildungsförderung ist Ordnungspolitik. Die Zahl der Studierenden soll zurückgehen, damit sich auch die kritischen Geister an den Hochschulen allmählich davonmachen. Die Bildungsförderung gehört zu dem Teil der Staatsausgaben, bei dem die Staatsfinanzen konsolidiert werden sollen.
Diese Gesetzesnovelle packt deshalb die drängenden Probleme in der Ausbildungsförderung in keiner Weise an. Diese Probleme liegen in dem völlig unzureichenden Umfang der Förderung, der nicht einmal das Existenzminimum deckt, in der hohen Verschuldung, in der mangelnden Förderung bis zum Examen, in der fehlenden Förderung während des Zweitstudiums oder des Ergänzungsstudiums, in der kaum noch vorhandenen Förderung in Härtefällen, um nur einige zu nennen.
Die GRÜNEN fordern deshalb eine grundlegende Änderung des BAföG, die folgende Punkte umfaßt.
Erstens. Wir fordern eine elternunabhängige Förderung. Jeder Student und jede Studentin sollen so studieren können, daß sie ein von den Eltern unbeeinflußtes Leben und Studium führen können. Denn schließlich handelt es sich hier um erwachsene Männer und Frauen.
Zweitens. Die Förderungshöchstdauer muß um zirka zwei Semester erhöht werden, da die Studiengänge bis zum Abschluß durchschnittlich zwei Semester länger dauern als die jetzige Förderungshöchstdauer. Oft ist es heute auch so, daß die Förderung gerade in den Examenssemestern aufhört, was zu erheblichen Härten führt.
Drittens. Die Höhe der Förderung muß sich an einer Existenzsicherung orientieren, die zum Lebensunterhalt ausreicht. Das Deutsche Studentenwerk hat jüngst den Minimalsatz von 974 DM monatlich errechnet. Das bedeutet, daß zur Zeit ein Satz von zirka 1 000 DM notwendig wäre.
Viertens. Die Förderung sollte auch bei einem Fachrichtungswechsel und bei einem Zweitstudium gewährleistet werden. Beim Fachrichtungswechsel sollte die Förderung neu berechnet werden, wenn die Studierenden nach dem zweiten Semester auf Grund einer Neuorientierung ein anderes Fach studieren. Ein Zweitstudium könnte gegebenenfalls über ein Volldarlehen finanziert werden.
Fünftens. Es sollte wieder ein Zuschußanteil eingeführt werden. Hier wären verschiedene Modelle denkbar, etwa eine Regelung mit 50 % Darlehen und 50% Zuschuß.
Sechstens. Bei einer existenzsichernden Höhe des BAföG würde auch der ungerechte Wohngeldanteil wegfallen, weil er nun in der Gesamthöhe, die ja zum Teil Zuschuß wäre, eingeschlossen wäre.
Siebtens. Für die Ausländer sollte BAföG auch dann gewährt werden, wenn die Eltern in den letzten drei Jahren in ihr Heimatland zurückkehren. Für diejenigen Ausländer, die das deutsche Bildungssystem durchlaufen und den deutschen Hochschulzugang erworben haben, sollten die gleichen Förderungsmöglichkeiten gelten wie für Deutsche. Ich denke etwa an die Förderung von Auslandsstudien und Auslandspraktika.
Hiermit ist die Richtung für eine Ausbildungsförderung aufgezeigt, die allen jungen Menschen, die es wollen, ein Studium ermöglicht, und zwar unabhängig von der Herkunft der Eltern und auch nicht abhängig von den finanziellen Voraussetzungen, auch nicht von denen am Arbeitsmarkt, damit diese jungen Menschen in der Weise studieren können, daß sie sich Wissen aneignen können, das nicht nur auf eine reine Faktenvermittlung in der kürzestmöglichen Zeit ausgerichtet ist,
({2}) sondern auch Zeit für kritisches Denken läßt. Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt Gesetze, die sozusagen große Gesetze sind, Jahrhundertwerke,
({0})
deren besonderer Wert darin liegt, daß man sie möglichst 50 Jahre nicht novelliert. Es gibt andere Gesetze, die sind sehr viel bescheidener; das sind die Leistungsgesetze. Deren besonderer Wert liegt darin, daß man sie pünktlich, genau und berechenbar novelliert.
({1})
Ich glaube, das wäre der erste Punkt, den wir alle ohne Unterschied dankbar registrieren sollten: daß die letzten beiden Male die Novellierung pünktlich, exakt und präzise vorgenommen worden ist - im Unterschied zu den vorangegangenen BAföG-Novellierungen, die eben nicht immer so pünktlich gewesen sind.
Ein zweites ist sicher ebensowenig umstritten: Der Wert der Leistungen bleibt; er konnte der Entwicklung angepaßt werden. Um 4 % werden die BeGraf von Waldburg-Zeil
darfssätze angehoben. Es sind nicht nur, wie Sie, Frau Wagner, gesagt haben, 2,8 %. Hinzu kommt nämlich noch das Wohngeld nach der Härteregelung; es sind also 4 %. Um je 2 % werden die Freibeträge für 1986 und 1987 angehoben.
Wichtig ist auch hier die Verläßlichkeit. Die Finanzkonsolidierung hat es möglich gemacht, Steigerungen bei gleichem Berechtigtenkreis zu garantieren - nicht wie die siebente Novelle, die ja noch unter einem sozialdemokratischen Minister gefertigt wurde, die den Berechtigtenkreis wesentlich reduzieren mußte, was ich natürlich nicht kritisiere, denn Sie mußten damals sparen, und wir mußten später sparen; ich erinnere aber daran, weil wir ein bißchen die Legende zerstreuen sollten, es sei hier nur von einer Seite gespart worden. Sie haben damals vom „sozialen Kern" gesprochen, der erhalten werden sollte. Genau das ist mittlerweile erreicht worden. Der soziale Kern ist erhalten worden, und nun kann im gleichen Berechtigtenkreis weitergefördert werden.
Erfreulich ist schließlich, daß die Novelle auch einen gewissen Gestaltungsspielraum schafft. Das bildungspolitische Anliegen, auch im Ausland studieren zu können, wo zu den Lebenshaltungskosten vielfach hohe Studiengebühren hinzukommen, ist stärker als bisher berücksichtigt, weil das Studium im außereuropäischen Ausland in Zukunft im gleichen Umfang gefördert werden wird wie bisher das Studium in Europa und weil auch die Förderung der vielfach verlangten und erwünschten Auslandspraktika - dieser Wunsch ist ja oft an uns herangetragen worden - erweitert werden konnte.
Es versteht sich von selbst, daß sich auch diese Novelle darum bemüht, Verwaltungsvorgänge zu vereinfachen, sie für die Betroffenen verstehbarer und berechenbarer zu machen, so z. B. bei der Gewährung des Darlehensteilerlasses bei der Betreuung von Kindern.
Neben diesen Punkten, die wohl schwerlich der Kritik zu unterziehen sind, gibt es selbstverständlich zusätzliche Wünsche und Anregungen. Da sind zum einen natürlich immer die Wünsche der Betroffenen, die gerne mehr haben wollen. Die Aufgabe des Gesetzes ist es aber, anzugleichen, und ist es nicht, große Geschenke zu verteilen.
({2})
Da sind des weiteren Anregungen, die besondere Problemfelder ansprechen. Beide Kolleginnen, Frau Odendal und Frau Wagner, haben eine Reihe solcher Wünsche geäußert, zum Beispiel die Erweiterung der Förderung der Postgraduierten, die aufzugreifen die Bundesregierung ja bereits angekündigt hat, Verbesserungen, von zwei Vorrednerinnen bereits genannt, bei den Kindern von ausländischen Eltern, die im Zuge des Rückkehrförderungsprogrammes in die Heimat zurückgekehrt sind, deren Kinder sich aber bei uns zu hause, integriert fühlen und ihre Ausbildung hier in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden wünschen. Auch hier ist,
wenn ich das recht sehe, im Grunde genommen das
Einverständnis bereits signalisiert. Im Bereich der
behinderten Studenten gibt es Anregungen, die in den Ausschußberatungen noch sehr genau zu prüfen sein werden, um Ausbildungs- und Behindertenförderung richtig aufeinander abzustimmen, nicht aber zum Schaden der Betroffenen möglicherweise zu vermengen.
Was aber wäre eine BAföG-Debatte im Bundestag, wenn nicht aus bildungspolitischen Herzenstiefen grundsätzliche Fragen immer wieder ausgegraben würden. Auch das ist legitim. Es geht eben in der Politik nicht nur darum, schneller oder langsamer Leistungsvoraussetzungen zu realisieren, mehr oder weniger zu zahlen und unbürokratischere Modalitäten zu finden. Es geht auch um die immer wieder gestellte Frage: Bildungspolitik wohin? Die Opposition und nicht nur sie, auch Rektoren und Studenten fordern: weg von der Darlehensfinanzierung, zurück zu mehr oder hin gar zu nur noch Zuschuß. Die Koalition tut gut daran, dabei zu bleiben, keine Privilegierung der akademischen Ausbildung vor der beruflichen, keine Bevorzugung der Studenten vor den nachbildungswilligen Berufstätigen,
({3})
Solidarität desjenigen, der auch vom Steuergeld Gleichaltriger Abschlüsse erwirbt, mit deren Hilfe sich höhere Einkommen realisieren lassen.
Natürlich nehmen wir das Argument der sozialdemokratischen Opposition ernst, es könne durch unbegründete Darlehensangst gerade in Schichten, in denen es bisher wenig Akademiker gab, eine Art Abschreckungseffekt entstehen. Auch hier muß man aber in seinem Urteil sehr vorsichtig sein. Sind Mädchen wirklich abgeschreckt worden? Die ersten statistischen Zahlen des Wintersemesters 1985 sprechen eine ganz und gar andere Sprache. Rückgang der Ersteinschreibungen ja, aber die der männlichen Bewerber sind wesentlich stärker, sind um 8 % zurückgegangen, während die der weiblichen Bewerber nur um 4% zurückgegangen sind. Aber die Zahl der Studentenanfänger schrumpft bei noch starken Jahrgängen. Ist das kein bedenkliches Zeichen? Wenn wir der Motivation nachgehen, bestimmt nicht im Sinne reduzierter Chancengleichheit. Die Studienberechtigten sehen eben mehr Chancen in einem in Bälde erreichbaren Beruf als in einem chancenlosen Studium.
Eines muß allerdings unerläßliche bildungspolitische Konsequenz sein - ich sage das seit Jahren -: die Chancen der Weiterbildung konsequent zu verbessern, den sich abzeichnenden Knick für Andrang an die Hochschulen hierfür ebenso zu nutzen wie die Möglichkeiten der neuen Medien.
Und noch eines zu den Perspektiven. Die Chancengerechtigkeit ist heute auch von der Seite her gefährdet - heute habe ich wieder einen solchen Brief in der Post gefunden, und immer wieder be kommt man solche Briefe -, daß kinderreiche Familien, die im Einkommen knapp über den Transferleistungen und über der Möglichkeit liegen. Ausbildungsförderung zu erhalten, sich immer schwerer tun, ihre Kinder noch studieren zu lassen. Ich danke Ihnen, Frau Minister Wilms, besonders da15368
für, daß Sie den Forschungsauftrag zum Bildungssparen gegeben haben und damit, glaube ich, eine Türe aufgestoßen haben, die auf einen Lösungsweg führt: Darlehenszugang für alle bei einer entsprechenden Vorsorge.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich die Tatsache, daß mit der Vorlage des Entwurfs eines 10. Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes weitere Verbesserungen im Bereich der Bildungsförderung vorgeschlagen werden, ausdrücklich begrüßen. Es geht darin nicht nur - das wurde erwähnt - um diese allerdings wichtigste turnusmäßige Anpassung der Bedarfssätze und Elternfreibeträge; es geht außerdem, wenn auch im kleinen Rahmen, um strukturelle Verbesserungen. Deshalb darf man auch diese Gesetzesvorlage - wie Sie es auch kritisch tun; ich tue es positiv - bildungspolitisch nicht isoliert betrachten. Sie schließt nicht zuletzt an das 9. BAföG-Änderungsgesetz an, in dem ebenfalls ein zwar begrenzter, aber doch gewichtiger Schritt zur Verbesserung der individuellen Förderung und zur Ausräumung erkannter Härten und Unstimmigkeiten getan wurde. Wem es um die Sache geht, nämlich unter gegebenen auch finanzpolitischen Voraussetzungen notwendige Verbesserungen zu erreichen, der weiß solche Schritte zu würdigen.
Ich halte für eine solche wichtige strukturelle Verbesserung die Ausweitung der Förderung von Auslandsstudien und begrüße es, daß künftig für geförderte Studenten auch bei einem Studium im außereuropäischen Ausland, wie bisher nur in Europa, über den Inlandsbedarf hinaus Reisekosten, Auslandszuschläge und Studiengebühren gewährt werden können. Diese in der öffentlichen Diskussion und jetzt auch hier wieder leider oft nicht genügend gewürdigte und bewertete Neuregelung hat ja durchaus Signalcharakter. Sie unterstreicht, wie es in der Begründung des Entwurfs heißt, „daß Beziehungen zu außereuropäischen Ländern auf technologischem, wirtschaftlichem oder kulturellem Gebiet angeknüpft oder weiterentwickelt werden" sollen. Auch der Bedeutung der Auslandspraktika soll durch eine Erweiterung ihrer Förderung Rechnung getragen werden.
Meine Damen und Herren, zu den Bestimmungen, die beim Vollzug des Gesetzes erkannte Härten oder Unbilligkeiten bereinigen sollen, gehört die Änderung der Vorschriften über den Darlehenserlaß - das wurde erwähnt -, konkreter: den sogenannten Kinderteilerlaß. Jetzt wird die Regelung - ich begrüße das sehr - stärker objektiviert. Denn hierbei handelt es sich um einen Punkt, dessen bisherige Regelung zu Zweifelsfällen und auch Härten geführt hat, weil es schwierig ist, festzustellen - das wird in der Begründung erwähnt -, ob ein durch Darlehen Geförderter, der wegen Kinderbetreuung einen Erlaßantrag stellt, deshalb nicht erwerbstätig sein kann, weil er das Kind betreut, oder ob er das Kind deshalb betreut, weil er erwerbslos ist. Es gibt viele Fälle, bei denen verschiedene Gründe so zusammenfließen, daß eine einfache Kausalbeziehung nicht belegt werden kann. Diesem bisher unbefriedigenden Zustand wird jetzt dadurch Rechnung getragen, daß künftig der Erlaß gewährt werden kann, wenn die objektiven Kriterien - geringes Einkommen, Kindererziehung oder Kinderbetreuung und keine oder unwesentliche Erwerbstätigkeit - erfüllt werden.
Es gibt eine Reihe weiterer, mehr technischer, aber doch wichtiger Veränderungen, die hier darzustellen zu weit führen würde. Sie werden wie die grundsätzlichen Fragen, die soeben nachdrücklich berührt wurden, bei den Ausschußberatungen zu behandeln sein.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht verschweigen, daß aus meiner Sicht im strukturellen Bereich weitere Verbesserungen erwägenswert wären. Ich halte z. B. die Unterscheidung zwischen unabhängig von ihrer Unterbringung, sei es auswärts, sei es zu Hause, zu fördernden Kollegiaten oder Schülern von Abendgymnasien einerseits und Schülern von Berufsaufbauschulen und Fachoberschulen andererseits, die eine berufliche Ausbildung voraussetzen und deren Besuch nur bei auswärtiger Unterbringung zu fördern ist, nach wie vor für problematisch. Ich will das hier nicht vertiefen, sondern rechne das zu den Merkposten, an die man sich auch über diese zehnte Novelle hinaus erinnern sollte. Damit soll natürlich keine später unerfüllbare Hoffnung geweckt werden. Aber das ist doch ein Hinweis für weitere Überlegungen, wobei man, wie zum Anfang erwähnt, sich der finanzpolitischen Voraussetzungen bewußt sein muß. Deshalb versage ich es mir hier, auch auf mir persönlich außerdem wichtige Punkte einzugehen, die deshalb aber nicht vergessen sind.
Das gilt auch für von anderer betroffener und sachverständiger Seite aufgeworfene Probleme. Ich hielte es aber für unverantwortlich, den Anschein zu erwecken, es sei möglich, sie im Rahmen des 10. BAföG-Änderungsgesetzes für jedermann befriedigend zu lösen. Zwischen Wunsch und politischer Realisierungschance - das ist nur realistisch - liegt bekanntlich ein größerer Abstand, besonders wenn Finanzen mit im Spiel oder ausschlaggebend sind.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zum Kernstück der Novelle, zur Anhebung der Bedarfssätze und der Freibeträge. Ich möchte die Zahlen, weil sie so oft genannt worden sind, hier nicht wiederholen. Aber ich meine, nach dem, was hier gesagt worden ist, darf nicht vergessen werden, daß mit der Anhebung der Bedarfssätze und Elternfreibeträge im Entwurf einer Dritten Verordnung zur Änderung der Härteverordnung vorgesehen ist, den Zuschlag für nachgewiesene höhere Mietkosten nach oben anzupassen. Es handelt sich um ein Gesamtpaket.
Es gibt zum Umfang und zu den Einzelheiten dieser vorgeschlagenen Gesamtanpassung im Vorfeld
der Beratungen - sie wurden erwähnt - kritische oder ergänzende Stellungnahmen und Forderungen. Aber heute geht es darum, zu würdigen, daß Anpassungen erfolgen sollen, und auch darum, dafür zu sorgen, daß sie zum rechten Zeitpunkt in Kraft treten können, über Vergleichsdaten und Vergleichskriterien - ich sage das nicht obenhin, sondern in ernsthafter Würdigung mancher Argumente - kann man immer und lange streiten. Vor allem die Opposition kann den Streit mit Anträgen beleben, die allerdings - das zeigt doch der Rückblick auf frühere Zeiten, in die ich mich einschließe - nicht gestellt würden, wenn die Opposition an der Regierung wäre. Als einen der Merkposten aus früherer Zeit trage ich seitdem immer eine Zeitungsmeldung aus dem Februar 1982 mit mir herum, in der es heißt:
Bundeskanzler Schmidt hält es für erwägenswert, die BAföG-Zahlungen für Studenten völlig auf Darlehensbasis umzustellen. Es wäre nicht verkehrt, darüber ernsthaft nachzudenken, erklärte Schmidt in Bonn vor der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen.
Ich habe damals dem Kanzler nicht zustimmen können und habe auch heute noch meine Bedenken. Aber das ist ja nicht der Punkt der heutigen Debatte. Eine erste Lesung ist nicht der richtige Zeitpunkt und nicht der rechte Ort, eine detaillierte abschließende Stellungnahme abzugeben. Das wird jedenfalls von seiten des Parlaments nach unserem gewachsenen Selbstverständnis erst nach den Ausschußberatungen möglich und sinnvoll sein, vor allem, Ernst Kastning, angesichts der Tatsache, daß noch eine Sachverständigenanhörung stattfinden wird.
Auf jeden Fall gilt für heute - und das sage ich mit Überzeugung -: Wieder wird ein Schritt in die richtige Richtung getan. Das ist nachdrücklich zu begrüßen.
Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Ich schließe die Aussprache.
Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/5025 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Fuchs ({0}), Lutz, Buschfort, Delorme, Dreßler, Egert, Fiebig, Gilges, Glombig, Hauck, Heyenn, Jaunich, Kirschner, Frau Dr. Lepsius, Müller ({1}), Peter ({2}), Reimann, Frau Schmidt ({3}), Schreiner, Sielaff, Sieler, Frau Steinhauer, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche, Witek, Wolfram ({4}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der
Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten ({5})
- Drucksache 10/3983 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! In den letzten Wochen war viel von gesetzlichem Handlungsbedarf die Rede. Erst in der letzten Woche hat uns die Bundesregierung klarzumachen versucht, daß der Gesetzgeber beim § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes handeln müsse und die gerichtliche Klärung nicht abwarten dürfe. Heute, meine Herren und Damen, geht es wieder um die Frage des gesetzlichen Handlungsbedarfs. Aber heute ist dieser Handlungsbedarf nicht nur eine vorgeschobene Behauptung, sondern heute besteht er tatsächlich.
Wir Sozialdemokraten haben mit unserem Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen ein Thema aufgegriffen, das seit dem 16. November 1982 einer gesetzlichen Klärung bedarf. Seit diesem Tag ist klar, daß die unterschiedliche Berechnung der verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte mit dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren ist. Wer jedoch geglaubt hatte, daß die Bundesregierung daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen würde, sieht sich arg getäuscht. Nein, der Handlungsbedarf scheint für die Bundesregierung nur da zu bestehen, wo es um die Schwächung der Gewerkschaften geht. Wo aber die Stärkung von Arbeitnehmerrechten gefragt ist, geht sie auf Tauchstation und verweist auf anhängige Gerichtsverfahren.
Die abwartende Haltung der Bundesregierung ist nicht länger tragbar. Auch das Bundesarbeitsgericht hat am 28. Februar 1985 unmißverständlich klargemacht, daß die Entscheidung des Gesetzgebers gefragt ist. Es hat alle anhängigen Verfahren, in denen es auf die Berechnung der verlängerten Kündigungsfristen ankommt, bis zu einer gesetzlichen Neuregelung ausgesetzt. Meine Herren und Damen von der Koalition, wer diese vom Bundesarbeitsgericht angemahnte Neuregelung weiter hinauszögert, handelt unverantwortlich.
Wir Sozialdemokraten halten es für unerträglich, daß Arbeitsgerichtsprozesse auf Jahre ausgesetzt bleiben sollen, und ausgerechnet Kündigungsschutzprozesse, in denen Klarheit noch notwendiger ist als in anderen Prozessen. Unser Gesetzentwurf greift deshalb die vom Bundesverfassungsge15370
richt beanstandete Regelung auf. Wir wollen die verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte einheitlich berechnen. Wir sind ohnehin für einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff.
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Für uns ist es völlig untragbar, einem Arbeiter bis zum 40. Lebensjahr jede verlängerte Kündigungsfrist zu versagen, sie aber einem Angestellten mit gleicher Beschäftigungsdauer bereits mit 30 Jahren zu geben. Diese Unterscheidung mag in eine Welt des 19. Jahrhunderts passen. Ich jedenfalls bedaure, daß die Abschaffung der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitern und Angestellten im Kündigungsrecht im Ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz nicht vollständig beseitigt wurde. In das ausgehende 20. Jahrhundert paßt jedenfalls eine solche Unterscheidung nicht mehr.
Wir Sozialdemokraten wollen es nicht nur bei dieser eng umgrenzten Korrektur belassen, wir halten die bestehenden Unterschiede im Kündigungsrecht zwischen Arbeitern und Angestellten insgesamt für ein überholtes historisches Relikt. Es gibt keinen einzigen sachlichen Grund, heute noch den Arbeitern kürzere gesetzliche Kündigungsfristen als den Angestellten zuzubilligen. Wer daran festhält, will die letzten Reste einer Klassengesellschaft unter den Arbeitnehmern bewahren. Dies mag in eine berufsständisch gegliederte Gesellschaft passen; zu einer modernen Industriegesellschaft paßt es gewiß nicht.
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- Ich habe schon vor einigen Jahren Anfragen gestellt, Herr Louven. Aber hier war man nie zum Handeln bereit.
Wir sehen auch bei der generellen Angleichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten einen drängenden Handlungsbedarf. Immer mehr Juristen bezweifeln, daß die bestehenden Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten noch mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Auch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hält die Regelung für verfassungswidrig und hat deshalb das Bundesverfassungsgericht angerufen. Wer die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 1982 aufmerksam liest, kann überhaupt keinen Zweifel daran haben, wie das Verfassungsgericht über diesen neuen Vorlagebeschluß entscheiden wird.
Was das Gericht dort zur unterschiedlichen Berechnung der Kündigungsfristen ausgeführt hat, gilt gleichermaßen für die unterschiedliche Dauer der Kündigungsfristen. Das Gericht will gerade nicht mehr akzeptieren, daß der Status des Arbeitnehmers als Anknüpfungspunkt für unterschiedliche Kündigungsfristen genommen wird. Ich kann nur nachdrücklich unterstreichen, was die Verfassungsrichter aufgeschrieben haben: Die historisch gewachsene Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten kann eine unterschiedliche Behandlung vor dem Grundgesetz nicht mehr rechtfertigen. Und mit dem Bundesverfassungsgericht
füge ich noch weiter hinzu: Weder Unterschiede in der beruflichen Mobilität noch in der Bindung an den Betrieb geben irgendeinen sachlichen Grund, um Arbeitern kürzere gesetzliche Kündigungsfristen einzuräumen als Angestellten. Nein, daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Die noch bestehenden Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten sind ein historisches Relikt, das wir schnellstens beseitigen müssen.
Ich fordere Sie, meine Herren und Damen von der Koalition, deshalb auf, das Problem nicht länger auf die lange Bank zu schieben, wie dies die Bundesregierung möchte und das auch bei Antworten auf verschiedene Anfragen ja immer getan hat.
Auf Grund der Urteile des Verfassungsgerichts, des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen müssen wir jetzt handeln. Unsere Initiative soll dazu der Anstoß sein. Ich hoffe, Sie sind wie in anderen Fällen auch mal hier bereit, schneller zu beraten, daß Sie nicht Eile nur bei anderen Dingen haben.
Lassen Sie mich abschließend noch die „Süddeutsche Zeitung" vom 11. Oktober 1985 zitieren. Es heißt dort:
Nichts spricht dafür, die unterschiedliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten bei den Kündigungsfristen aufrechtzuerhalten. In einer modernen Industrienation, die die letzten Reste der Klassengesellschaft abstreift, sollte der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten allmählich verschwinden. Die gesellschaftliche und berufliche Mobilität, die ein funktionierendes Bildungswesen und eine sich stetig wandelnde Berufswelt erfordern und hervorbringen, sollte keine künstlichen Unterscheidungen konservieren, die in der kasernierten Arbeitswelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts zufällig entstanden sind.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Louven.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die Liste der 28 Unterzeichner dieses Gesetzentwurfs ansehe und dabei würdige und feststelle, daß von diesen 28 nur die Kollegin Steinhauer hier im Saal ist, dann frage ich mich im Ernst, Frau Steinhauer, wie ernst Sie den Handlungsbedarf in dieser Frage sehen.
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- Nun bleiben Sie nur ruhig! - Da ich hoffe, daß die restlichen 27 dennoch wissen wollen, wie die CDU hierzu denkt, möchte ich dazu einige Anmerkungen machen.
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In dieser Diskussion geht es darum, ob es noch gerechtfertigt ist, unterschiedliche Kündigungsfrist
bei Arbeitern und Angestellten zu haben. Dabei wissen wir alle, daß die gesetzliche und tarifpolitische Entwicklung inzwischen zu einer sehr weitgehenden Angleichung der Arbeiter an die Angestellten geführt hat. Nicht nur das Bürgerliche Gesetzbuch und das Angestelltenkündigungsschutzgesetz sehen unterschiedliche Fristen vor; vielmehr haben auch die Tarifverträge weitaus überwiegend unterschiedliche Kündigungsfristen bei Arbeitern und Angestellten festgeschrieben.
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Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der SPD, würde nicht nur geltendes Recht ändern, sondern auch zu einem tiefen Eingriff in unsere tarifvertragliche Wirklichkeit führen. Das geltende Recht regelt sowohl die Grundkündigungsfristen als auch die entsprechend der Dauer der Betriebszugehörigkeit verlängerten Kündigungsfristen.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1982 bisher nur - ich betone: nur - entschieden, daß die unterschiedliche Berechnung der Beschäftigungsdauer bei Angestellten und Arbeitern verfassungswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei ausdrücklich offen gelassen, ob auch die unterschiedliche Dauer der Grundkündigungsfristen und der verlängerten Kündigungsfristen verfassungswidrig ist.
Alle drei Fragen stehen in einem engen Zusammenhang und können nach unserer Auffassung nicht isoliert werden. Dem Bundesverfassungsgericht liegen noch mehrere Vorlagebeschlüsse von Arbeitsgerichten vor, wobei zu entscheiden sein wird, ob die unterschiedlichen Grundkündigungsfristen und die entsprechend der Beschäftigungsdauer verlängerten Kündigungsfristen verfassungswidrig sind.
Wir halten es daher für sinnvoll, nunmehr unmittelbar vor den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in diesen Fragen eine umfassende Neuregelung anzustreben, zumal wir von diesen Urteilen wertvolle Hinweise für eine Neugestaltung des Kündigungsrechts erwarten.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, schlagen in Ihrem Gesetzentwurf eine Anhebung der Kündigungsfristen der Arbeiter auf das für Angestellte geltende Niveau vor, teilweise gehen Sie noch darüber hinaus. Hierbei haben Sie offensichtlich nicht bedacht, daß dies für eine Vielzahl von kleineren und mittleren Betrieben zu erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen kann. Arbeiter sind immer noch überwiegend in der Produktion beschäftigt, und hier werden aus wirtschaftlichen Gründen vielfach kurzfristig technische und betriebsorganisatorische Veränderungen nötig.
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Die von Ihnen vorgeschlagenen Kündigungsfristen würden den notwendigen Umstellungen entgegenstehen, zumindest aber zu erheblichen finanziellen Belastungen der Unternehmen führen müssen.
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Ein weiterer Punkt erscheint mir in diesem Zusammenhang wichtig. Eine Reihe gesetzlicher Vorschriften im Arbeitsrecht haben heute mehr als in früheren Jahren der Vollbeschäftigung negativen Einfluß auf die Beschäftigungslage. Dies ist eine Beobachtung nicht nur hier bei uns in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Es ist nicht uninteressant, Frau Steinhauer, daß Länder wie Frankreich und Spanien, die Ihnen politisch ja näherstehen als uns, gesetzgeberische Konsequenzen daraus gezogen haben. Für das Einstellungsverhalten der Arbeitgeber ist das Kündigungsrecht und der Kündigungsschutz von besonderer Bedeutung. Eine Ausdehnung des Kündigungsschutzes, wie von Ihnen vorgeschlagen, kann zur Folge haben, daß sich die Betriebe veranlaßt sehen, bei der Einstellung von Arbeitern künftig sehr zurückhaltend zu sein. Wir sind daher der Auffassung, daß die Änderung von Kündigungsfristen nur nach einer sehr gründlichen Prüfung und vorsichtig vorgenommen werden darf. Gerade dafür scheint es uns - ich wiederhole es - nicht nur hilfreich, sondern auch unverzichtbar zu sein, den verfassungsrechtlichen Handlungsspielraum des Gesetzgebers für eine Änderung der Kündigungsfristen zu kennen.
Dem Interesse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern täten wir, so glaube ich, keinen guten Dienst, wenn wir die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache nicht abwarten würden. Wir sollten nicht ohne Not überhastet eine gesetzliche Änderung des Kündigungsschutzes beschließen, die viele Arbeitgeber in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringt und nur den Arbeitern nutzt, die einen Arbeitsplatz haben, sich aber für diejenigen, die arbeitslos draußen stehen, eher hinderlich auswirken muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir stimmen mit Ihnen, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, überein, daß die derzeitigen gesetzlichen Unterschiede für Arbeiter und Angestellte nicht mehr der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte entsprechen. Wir sind daher bereit, in der nächsten Legislaturperiode ohne Zeitdruck
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und nach Vorliegen der Urteile die Beratung über eine ausgewogene Lösung aufzunehmen.
Ihr Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3983 kann derzeit nicht unsere Zustimmung finden. Einer Überweisung stimmen wir jedoch zu.
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Das Wort hat der Abgeordnete Tischer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorweg sagen, daß die Fraktion der GRÜNEN den Kern des Gesetzentwurfs der SPD, den die Frau Kollegin Stein15372
hauer gerade vorgestellt hat, begrüßt. Wir finden, er ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Nun zu dem, was Sie, lieber Kollege Louven, gerade vorgetragen haben. Ich fand die Einführung Ihrer Rede arrogant. Sie haben gesagt, von den Unterzeichnern des Gesetzentwurfs seien zu wenige anwesend. Wenn ich richtig sehe, dann sind mittlerweile nur noch acht Mitglieder Ihrer Fraktion anwesend.
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- Sie hätten dabei aber etwas lernen können. Ich erinnere an die Formulierungen zu § 116 AFG. Sie hätten sich einmal darüber informieren können, was in den Betrieben läuft.
Ziel des Gesetzentwurfs ist es - diesen Tenor unterstützen wir -, einen Schlußstrich unter die unterschiedliche Behandlung in den Betrieben zu ziehen: Hier die Angestellten im weißen Kittel und mit Krawatte, die nicht stempeln müssen, und da der Arbeiter im „blauen Anton", der pünktlich seine Stempeluhr zu drücken hat. Wenn er eine halbe Minute zu spät kommt
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- dies ist noch nicht abgeschafft; schauen Sie in die Betriebe -, dann wird eine halbe Stunde abgezogen. Das ist die Realität in den Betrieben.
Diese Unterschiede werden im Kündigungsschutzgesetz gesetzlich verankert. Arbeiter darf man binnen zwei Wochen feuern, für Angestellte gibt es eine andere Regelung. Sie haben angekündigt, Sie wollten in der nächsten Legislaturperiode eine Änderung vornehmen, obwohl Sie ja nicht wissen, ob Sie dann noch auf der Regierungsbank sitzen.
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Wie eine solche Änderung aussehen kann, kann sich so langsam jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin an der Werkbank ausmalen. Dann werden die Kündigungsfristen der Angestellten an die der Arbeiter angepaßt. So könnte Ihre Planung eventuell aussehen. Unsere Planung ist umgekehrt. Die Kündigungsfristen für Arbeiter werden ausgeweitet. Das ist das Gute an diesem Antrag.
Allerdings gibt es auch eine Kritik an dem Antrag der SPD anzubringen. Wir finden es schade, daß verschiedene andere Punkte nicht angesprochen worden sind. Wir haben z. B. das Problem mit Beschäftigten in Tendenzbetrieben, wir haben das Problem mit Kündigungsfristen für Behinderte, und wir haben in verschiedenen anderen Berufsbereichen das Problem, daß man Menschen wie auf einem Sklavenmarkt heuern und feuern kann.
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In Ulm gibt es, um ein konkretes Beispiel zu nennen, den Industriefahrer Hans-Jürgen Korf. Weil er
die Ablehnung des § 116 AFG unterstützt hat und weil er die Belegschaft bei der Firma Programma in Gerstetten unterstützt hat, die nichts anders als die Einhaltung der Tarifverträge wollte, wird er von der Evangelischen Akademie in Bad Boll gefeuert mit der schwerwiegenden Begründung - jedenfalls meint die Akademieleitung, es als schwerwiegend ansehen zu müssen -, daß er der Tendenz des Betriebes, also der Evangelischen Landeskirche, nicht entsprochen habe.
Diesen Vorgängen muß ein Riegel vorgeschoben werden. Wir halten es für richtig, wenn in diesem Punkt auch die Einsicht der SPD noch ein bißchen besser zu Papier gebracht wird und auch die anderen Problembereiche angesprochen werden. Die Fraktion DIE GRÜNEN wird zu diesen Problembereichen zusätzliche Anträge in die Ausschußberatungen mit einbringen,
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um diesen SPD-Entwurf zu ergänzen, damit diese Problembereiche in der Öffentlichkeit besser diskutiert werden. Die realen Vorschläge, die von uns eingebracht und die Ihnen dann zur Abstimmung vorgelegt werden, werden nachvollziehbar sein.
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- Ach, Herr Bohl, Sie schwätzen doch einen Quatsch daher.
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Wie wollen denn Sie kontrollieren, ob ich im Ausschuß bin? Schauen Sie sich einmal die Protokolle an, dann sehen Sie ganz genau, wer im Ausschuß ist und wer nicht. ({7})
Wir fordern Sie auf, diese Gesetzesinitiative mit zu unterstützen, um das Problem der Kündigungsfristen in den Betrieben zu lösen. Wir fordern Sie auch auf, nicht auf die nächste Legislaturperiode zu verweisen, wie Sie, Herr Kollege Louven, es gemacht haben, sondern jetzt, wo erstens Handlungsbedarf seitens des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist und zweitens auch eine konkrete Gesetzesinitiative vorliegt, Hand anzulegen und diesen Gesetzentwurf mitzutragen und zu verabschieden.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Derzeit vollziehen sich in der Arbeitswelt erhebliche Veränderungen. Die neuen Technologien in Produktion und Verwaltung haben traditionelle Berufsbilder wesentlich verändert. Sicherlich bewirkt dies auch Veränderungen in der Struktur der Arbeitnehmerschaft. Wir bewegen uns, so scheint es - und dies beobachten manche Gewerkschaften mit Sorge -, auf eine Angestelltengesellschaft hin. Diese Entwicklung ist aber im Fluß.
Man sollte sich daher davor hüten, bestehende Unterschiede voreilig zu verwischen und sachgerechte Differenzierungen ohne Grund aufzugeben.
Auf der anderen Seite ist es natürlich notwendig - und dies geschieht auch immer wieder -, daß geprüft wird, ob überkommene Regelungen noch der veränderten Wirklichkeit gerecht werden. So hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluß vom 16. November 1982 eindeutig klargestellt, daß es mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar ist, wenn bei der Berechnung der für die verlängerten Kündigungsfristen maßgeblichen Beschäftigungsdauer zwischen Arbeitern und Angestellten differenziert wird. Mit anderen Worten: Es verstößt gegen Art. 3, wenn bei Arbeitern Zeiten vor Vollendung des 35. Lebensjahres nicht berücksichtigt werden, während bei Angestellten bereits Zeiten nach Vollendung des 25. Lebensjahres mitgerechnet werden. Auf Grund dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat das Bundesarbeitsgericht im Frühjahr vergangenen Jahres alle Verfahren ausgesetzt, in denen es für die Berücksichtigung der Kündigungsfrist auf das Lebensalter des Arbeiters ankommt. Insofern besteht in der Tat Handlungsbedarf.
Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD geht aber - wie so oft - darüber hinaus. Während das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich noch offengelassen hat, ob und - gegebenenfalls - in welchem Umfang unterschiedliche Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren sind, stellt der SPD-Entwurf eine derartige Vereinheitlichung in einem kühnen Schritt her. Es stellt sich jedoch die Frage - und dies wird sehr sorgfältig zu prüfen sein -, ob eine weitergehende Vereinheitlichung derzeit geboten ist. Zurückhaltung ist hier um so eher geboten, als - so munkeln jedenfalls Auguren - mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser weitergehenden Problematik noch in diesem Jahr zu rechnen sein wird. Da uns die SPD im Zusammenhang mit dem § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, wo eine Entscheidung in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten ist, ermahnt, ja gerichtlichen Entscheidungen, insbesondere denen des Bundesverfassungsgerichts, nicht vorzugreifen, sollten wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Tat erst einmal abwarten. Denn schon das Urteil aus dem Jahre 1982 enthält eine Reihe von Anhaltspunkten, z. B. Differenzierung nach der Funktion, die sehr sorgfältiger Prüfung bedürfen.
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Darüber hinaus hat die FDP auch Bedenken gegen die im Gesetzentwurf der SPD vorgesehene Verlängerung der Mindestkündigungsfristen, soweit sie über geltendes Gesetz hinausgehen.
Zusammenfassend ist festzuhalten: In einem Teilbereich besteht Handlungsbedarf, doch sollte eine zusammenfassende Regelung erst dann in Angriff genommen werden, wenn Karlsruhe gesprochen hat. Schnellschüsse wie der SPD-Gesetzentwurf helfen in dieser diffizilen Materie nicht weiter.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Vogt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sachverhalt, um den es hier geht, ist uns seit langem bekannt. Frau Kollegin Steinhauer, ich wundere mich, daß Sie erst nunmehr, so wenige Monate vor dem Ende der Legislaturperiode, einen Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung dieser Kündigungsfristen vorlegen; denn Sie beziehen sich in Ihrem Gesetzesantrag im wesentlichen auf die bereits im Jahre 1977 gemachten Vorschläge der Arbeitsgesetzbuchkommission sowie auf die Zielsetzung, ein einheitliches Arbeitsvertragsrecht für Arbeiter und Angestellte zu schaffen.
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Hierüber kann man sicherlich nachdenken und sprechen; aber während Ihrer Regierungszeit haben weder Sie noch der aus Ihren Reihen kommende Arbeitsminister Vorschläge für ein einheitliches Kündigungsschutzrecht für Arbeiter und Angestellte vorgelegt. Damals, als Sie noch Regierungsverantwortung trugen, waren Ihnen ganz offensichtlich die damit verbundenen Probleme, insbesondere die Auswirkungen auf die Angestellten und - ich füge hinzu - ihre Verbände, doch wohl zu schwierig.
Ich wundere mich außerdem, daß Sie nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom November 1982 so lange gebraucht haben, den Entwurf vorzulegen; offenbar halten auch Sie die Angelegenheit nicht für eilbedürftig.
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Frau Kollegin Steinhauer, Sie spielen auf den Handlungsbedarf in bezug auf den § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes an. Ich hoffe, wir stimmen in dem Punkt überein: Hier gibt es natürlich einige kleine Unterschiede, die nach Erich Kästner hochleben sollen, nämlich z. B. den kleinen Unterschied, daß in der Frage des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes bis jetzt noch nicht einmal die Sozialgerichte in erster Instanz eine Entscheidung getroffen haben, geschweige denn das Bundessozialgericht. Erst recht liegt dieses Problem auch noch nicht beim Bundesverfassungsgericht. Dagegen haben wir zu den unterschiedlichen Kündigungsfristen schon ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, und zwei weitere Verfahren stehen an. Deshalb ist es klug und sinnvoll, diese Verfahren erst einmal abzuwarten.
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In der Sache ist eine weitere Vereinheitlichung der Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte unvermeidlich. Wir sind dazu gezwungen, weil das
Bundesverfassungsgericht schon 1982 die geltende gesetzliche Regelung für verfassungswidrig erklärt hat, wenn auch in einem weniger wichtigen Punkt. Wir wollen aber keine isolierte Änderung dieses Teilbereiches. Auch die Dauer der Grundkündigungsfristen muß in eine Gesamtregelung einbezogen werden, und gerade auch hierzu wären die Abwägungen und Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts nützlich, dem schon seit längerer Zeit die entsprechenden gesetzlichen Regelungen zur verfassungsrechtlichen Überprüfung vorliegen.
Der Kollege Louven hat in seinem Beitrag schon deutlich gemacht, daß auch Tarifvertragsparteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, mit Rücksicht auf die betrieblichen Notwendigkeiten bei der Vereinheitlichung der Kündigungsfristen sehr sorgfältig vorgehen, um auf der einen Seite den Interessen der Betriebe, auf der anderen Seite aber auch den Interessen der Arbeitnehmer gerecht zu werden.
Es geht bei einer künftigen gesetzlichen Regelung darum, zwischen dem Schutzbedürfnis des einzelnen Arbeitnehmers und den wirtschaftlichen Interessen der Betriebe abzuwägen, zugleich aber darauf zu achten, daß nicht als unerwünschte Nebenwirkung die Arbeitgeber bei der Einstellung von Arbeitskräften zu größerer Zurückhaltung veranlaßt werden. Um hier aber zu einer angemessenen
Lösung zu kommen, möchten wir zunächst den verfassungsrechtlichen Handlungsspielraum kennen.
Ich bedanke mich.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3983 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, daß keine anderen Vorschläge gemacht werden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 26. Februar 1986, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.