Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Ihnen zunächst mitteilen, daß vorgestern, am 3. Februar 1986, der Abgeordnete Dr. Vogel seinen 60. Geburtstag gefeiert hat. Ich darf, Herr Dr. Vogel, die Wünsche des Hauses, die ich bereits ausgesprochen habe, noch einmal bekräftigen.
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Die heutige Sitzung habe ich gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes auf Grund des Verlangens der Fraktionen der CDU/CSU und FDP einberufen.
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Die mit dem Verlangen verbundene vorgesehene Tagesordnung liegt Ihnen vor.
Weiterhin liegt Ihnen ein Antrag der Fraktion der SPD betreffend Sicherung der Tarifautonomie und Wahrung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit in Arbeitskämpfen auf Drucksache 10/4995 und ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN betreffend Erhaltung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften auf der Drucksache 10/5004 vor, die zusammen mit Punkt 1 der Tagesordnung aufgerufen und beraten werden sollen.
Außerdem liegen zu Punkt 3 der Tagesordnung weitere Anträge der Fraktion der SPD betreffend Wettbewerb und Verbraucherschutz im Einzelhandel - Drucksache 10/5002 - und Ladenschluß im Einzelhandel - Drucksache 10/5003 - vor.
Für Punkt 1 der Tagesordnung ist eine Redezeit von insgesamt dreieinhalb Stunden, für die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung jeweils eine Aussprache mit 10-Minuten-Beiträgen vorgesehen.
Bezüglich des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 10/4989 liegt ein Absetzungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da es aus der Opposition Widerspruch gegen die Aufsetzung der heutigen Tagesordnungspunkte gegeben hat, möchte ich im Rahmen dieser Geschäftsordnungsdebatte für die CDU/ CSU-Fraktion begründen, warum wir den Antrag gestellt haben, heute in dieser Sitzung des Bundestages die erste Lesung der drei vom Präsidenten bereits erwähnten Gesetzentwürfe durchzuführen.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen liegt uns heute fristgerecht vor. Damit kann die seit Monaten schon überall geführte Diskussion jetzt dort stattfinden, wo die Entscheidungsbefugnis liegt, nämlich im deutschen Parlament, und dies auf einer sorgfältig vorbereiteten, in den zuständigen Gremien vorberatenen Entscheidungsgrundlage.
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Meine Damen und Herren, wir haben nach dem Metallarbeitskampf 1984 und der Rechtsunsicherheit, die entstand, weil die Bundesanstalt für Arbeit den § 116 AFG und die Neutralitätsanordnung von 1973 anders ausgelegt hat als einstweilige Verfügungen einzelner Sozialgerichte, die Probleme mit aller Sorgfalt und mit aller Ruhe geprüft. Wir haben das Gutachten des früheren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, Professor Müller, eingeholt, wir haben über Monate hinweg Gespräche mit den Tarifvertragsparteien geführt. Das Bundeskabinett hat danach im Dezember 1985 einen Gesetzentwurf verabschiedet. Wir haben mit der ersten Lesung im Deutschen Bundestag gewartet, bis der Bundesrat am 31. Januar 1986 eine erste Stellungnahme abgeben konnte. Angesichts dieser Vorgeschichte und Vorberatungen kann niemand ernsthaft behaupten, das Gesetz solle jetzt in unangemessener Eile durch das Parlament gebracht werden.
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Wir möchten, daß dieser Gesetzentwurf heute in erster Lesung beraten wird. Wir beantragen eine Debattenzeit von dreieinhalb Stunden. Er möge dann in die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden. Wir werden ein mehrtägiges Hearing durchführen. Alle Fraktionen des Deutschen Bun15138
destages sollten hierzu ihre Vorschläge unterbreiten. Wir werden in den Ausschüssen eine ausreichende Beratungszeit haben, und wir werden dann entscheiden.
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Wir wollen uns sorgfältig und zugleich zügig dieser Materie annehmen, und ich hoffe, alle Fraktionen dieses Hauses, aber auch die Tarifvertragsparteien werden sich an dieser Diskussion beteiligen. Ich sage für unsere Fraktion: Ein jeder Vorschlag wird vernünftig und sorgfältig geprüft, so wie es sich für ein parlamentarisches Beratungsverfahren, insbesondere bei einer solch wichtigen Materie, gehört.
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Was die beiden anderen Gesetzentwürfe anbetrifft, so verweise ich beim Rentenanpassungsgesetz, gegen das der Bundesrat am 31. Januar 1986 keine Einwände erhoben hat, auf das dringende Interesse der Rentenversicherungsträger an einer beschleunigten Gesetzgebung, um die Vorbereitungen für die Durchführung der Rentenerhöhung zum 1. Juli 1986 um 2,34 %, brutto um 3,1 %, in Ruhe durchführen zu können.
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Ich verweise beim Gesetzentwurf zur Änderung wirtschafts- und verbraucherrechtlicher Vorschriften auf die auf jeweils fünf Jahre befristete Ausnahmeregelung für die Klett-Passage nach § 23 des Ladenschlußgesetzes, die am 30. April dieses Jahres ausläuft. Wegen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts ist eine weitere Verlängerung nicht mehr möglich.
Meine Damen und Herren, an die Adresse der GRÜNEN, die schriftlich Widerspruch eingelegt haben, will ich in aller Ruhe wiederholen, was ich in der vergangenen Woche in einem anderen Zusammenhang gesagt habe: Es ist letzten Endes ein unparlamentarisches Verfahren, wenn man ein Parlament hindern will, seine Beratungen aufzunehmen.
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Ich möchte die Fraktionen der Opposition auffordern, nicht zu obstruieren, sondern genauso ernsthaft und genauso sorgfältig in die Beratungen hineinzugehen, wie wir dies seitens der Koalition beabsichtigen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, deswegen bleiben wir bei unserem Antrag, alle drei Gesetzentwürfe heute zu beraten, und deswegen werden wir uns allen Bestrebungen widersetzen, die parlamentarischen Beratungen heute und in der Zukunft zu verzögern.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben den Antrag gestellt, heute gleich drei Tagesordnungspunkte zu behandeln, und sie haben ein Minderheitenrecht in Anspruch genommen. Es ist ein sehr ungewöhnliches Verfahren; denn überhaupt nichts spräche dagegen, diese Tagesordnungspunkte in der nächsten ordentlichen Sitzungswoche, wie üblich, zu behandeln.
({0})
Da Sie ein außergewöhnliches Verfahren anwenden, Herr Dr. Seiters, widerspreche ich Ihnen, wenn Sie behaupten, es sei unparlamentarisch, Rechte, die das Parlament und die Minderheit haben, in Anspruch zu nehmen.
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Hier steht jetzt gar nicht zur Debatte: Wir wollen die Rentenanpassung wie Sie, allerdings ohne die Kürzung um den Krankenversicherungsbeitrag.
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Auch der Tagesordnungspunkt 3 mit den Zusatzpunkten kann überwiesen werden; das ist heute nicht das Problem. Nein, Sie wollen eine Veränderung der Machtverhältnisse zwischen den Unternehmern und den Arbeitnehmern, Sie wollen die Schwächung der Position der Arbeitnehmer in unserer Gesellschaft, Sie wollen die Schwächung der Position der Gewerkschaften.
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Und was es bisher im Bundestag nicht gegeben hat: daß die Parteivorsitzenden der CDU, der CSU und der FDP über die Presse wissen lassen, wann der Bundestag zu beraten, wann er die Beratungen zu beenden und wann er zu beschließen hat!
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Das hat es bisher nie gegeben! Sie werden sich daran nicht erinnern, und wenn Sie alle Protokolle von 1949 bis jetzt nachlesen.
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Ich muß jetzt einen Satz hinzufügen, damit das später niemand mißinterpretiert: Das Recht eines Drittels der Mitglieder des Deutschen Bundestages, eine Sitzung einzuberufen und einen oder mehrere Tagesordnungspunkte zu behandeln, ist unumstritten; es wird auch von uns nicht bestritten.
({6})
Da Sie aber gleich drei Tagesordnungspunkte aufsetzen ließen,
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ist es unser Recht, zu beantragen, daß der erste
Tagesordnungspunkt, nämlich die Beratung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen, von der Tagesordnung abgesetzt wird.
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Wir protestieren gegen das Verfahren, mit dem Sie den Deutschen Bundestag und seine Ausschüsse unter Zeitdruck setzen,
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und wir stellen deswegen den Antrag,
({10}) diesen Tagesordnungspunkt abzusetzen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Seit 1984 wird über dieses Thema in der Öffentlichkeit gesprochen, beraten, gestritten und debattiert.
({0})
Dieses Thema ist zum Gegenstand von Polemik, Agitation und Demagogie geworden; zur Demagogie haben wir übrigens am letzten Freitag schon etwas gesagt.
({1})
Der Entwurf liegt seit Ende 1985 vor. Der Bundesrat hat dazu seine Anmerkungen gemacht. Es liegt überhaupt kein Grund vor, jetzt nicht in die Beratungen im parlamentarischen Zirkel einzutreten, ja, es ist geradezu geboten, das jetzt zu tun.
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Denn wenn wir es nicht täten, würden wir etwas Merkwürdiges praktizieren: daß nämlich der Deutsche Bundestag, der an besonderer Stelle berufen ist, der das Recht und die Pflicht hat, diese Fragen zu behandeln, von der Beratung ferngehalten wird.
({3})
Es ist Zeit, die Klarstellung der Neutralitätspflicht in ein geordnetes Gesetzgebungsverfahren zu bringen. Herr Kollege Porzner, es ist Zeit,
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und diese Zeit nehmen wir uns nach den Rechten der Geschäftsordnung, die j a auch von Ihnen nicht bestritten worden sind.
Meine Fraktion bleibt bei der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren! Zunächst einmal vielen Dank an die SPD-Fraktion dafür, daß sie sich unserem Absetzungsantrag angeschlossen hat!
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Nun zur Begründung: Bundesarbeitsminister Blüm hat letzte Woche in der „Wirtschaftswoche" in einem Interview zum § 116 AFG gesagt - ich zitiere -:
... wir sind so lange in Schwierigkeiten, wie die Arbeiter belogen werden. Und sie werden belogen, daß sich die Balken biegen.
({1})
Was ich wirklich unterschätzt habe, ist das Verleumdungspotential im DGB.
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Wenn Sie, Herr Arbeitsminister Blüm, das, was Sie in diesem Interview gesagt haben, wirklich denken, muß man Ihnen und der Bundesregierung dringend raten, den Gesetzentwurf schleunigst von der Tagesordnung zu nehmen.
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Gegen die angeblichen Verleumdungen, gegen die angeblichen Lügen des DGB hilft nämlich kein Gesetz. Die angeblichen Verleumdungen und Lügen lassen sich nur mit Überzeugungskraft beseitigen, und da im allgemeinen Lügen kurze Beine haben, so wird es Ihnen wohl ein Leichtes sein, die vom DGB so schändlich belogenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der Wahrheit zu überzeugen. Hier empfehlen wir offene Diskussion mit dem DGB und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Eine Diskussion, die von vornherein unter der Drohung eines Diktates steht, muß natürlich zu heftigen Reaktionen führen. Wenn also die Bundesregierung und der Bundesarbeitsminister wirklich an das glauben, was sie in der Öffentlichkeit permanent sagen, und den Gewerkschaften Lügen, Verdrehungen und Verleumdungen vorwerfen, so liegt in Ihrem Interesse, die Diskussion zum § 116 AFG von der Tagesordnung abzusetzen.
In der letzten Woche haben wir im Parlament über Fragen der Parlamentsreform diskutiert. Die für mich entscheidende Frage in dieser Sache ist, wie es dem Parlament gelingt, dem Interesse von Bürgern in größerem Maße Rechnung zu tragen als den Interessen einer mächtigen Wirtschaftslobby. Dies ist der Kernpunkt der Parlamentsreform. Wir begrüßen es daher nachhaltig, daß Gewerkschaft und Arbeitnehmer in der Frage des AFG 116 initiativ geworden sind. Die GRÜNEN beteiligen sich an vielen Diskussionen und Veranstaltungen dazu. Unser Engagement in dem Diskussionsprozeß widerspiegelt zugleich unser Verständnis von Parlamentarismus. Wir sind bemüht, das, was Bürger als ihr Anliegen ansehen, aufzunehmen, mit ihnen zu diskutieren und unseren Standpunkt bei ihnen darzulegen.
Gerade in Sachen § 116 AFG gibt es viele Initiativen und Veranstaltungen. Der Diskussionsprozeß ist in der Bevölkerung noch lange nicht abgeschlos15140
sen. Es ist die Pflicht von uns Parlamentariern, uns diesem Diskussionsprozeß zur Verfügung zu stellen und mit den Bürgern für und wider diese Sache ausreichend zu diskutieren.
Ich fordere Sie auf, wenn Sie schon nicht auf uns hören wollen: Nehmen Sie doch Ihre eigenen Leute endlich mal ernst, die da heißen Stingl, Benda, Katzer usw., die alle vor einem Hoppladi-hopp-Verfahren warnen und vor allen Dingen vor einer Veränderung des § 116 AFG.
({4})
Wer diesen Diskussionsprozeß durch einen Gesetzgebungsakt amputieren will, zeigt einmal mehr, daß die Stimme des Volkes ihn einen feuchten Kehricht schert; der fördert die immer wieder geäußerte Meinung im Volk, der einzelne könne j a sowieso nichts gegen „die da oben" machen. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn immer mehr Bürgerinnen und Bürger darauf resigniert reagieren, aktive Beteiligung am Demokratiegeschehen für sinnlos halten und sich mit dem passiven Gang zur Wahlurne begnügen.
Es widerspricht unserem Verständnis von Parlamentarismus, diesen Diskussionsprozeß durch einen Gesetzgebungsprozeß abzuschließen. Jedes Gerede von Parlamentsreform führt sich selbst ad absurdum, wenn Interessen von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in kurzer Frist mittels Gesetzesdekret abgebügelt werden. Deswegen: Absetzung dieses Punktes!
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Herr Abgeordneter Bueb, zur Klarstellung: Die SPD-Fraktion ist nicht Ihrem Antrag beigetreten, sondern sie hat einen selbständigen Antrag auf Absetzung von der Tagesordnung gestellt.
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Es liegen also zwei Anträge auf Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung vor. Ich lasse über beide Anträge gemeinsam abstimmen.
Wer dem Antrag der SPD-Fraktion und dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zustimmen will, diesen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zu den Anträgen über die Aufsetzung weiterer Punkte auf die Tagesordnung. Ich stimme zunächst über den Antrag der SPD auf Aufsetzung ihrer Vorlagen ab. Wer dafür stimmt, daß diese Vorlagen in die Tagesordnung aufgenommen werden, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Antrag angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der GRÜNEN auf Aufsetzung ihrer Vorlage. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist der Antrag angenommen.
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Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Punkt 1 der Tagesordnung sowie die Zusatzpunkte auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen
- Drucksache 10/4989 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Sicherung der Tarifautonomie und Wahrung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit in Arbeitskämpfen
- Drucksache 10/4995 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Erhaltung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften
- Drucksache 10/5004 Wie soeben beschlossen, sind für die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes regelt die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit im Arbeitskampf.
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Durch die Gewährung von Arbeitslosengeld darf nicht in Arbeitskämpfe eingegriffen werden. So bestimmt es der alte § 116 aus dem Jahre 1969, und genauso heißt es im dem Entwurf für einen neuen § 116, den wir heute diskutieren.
Der § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes regelt nicht das Streikrecht, er regelt nicht die Aussperrung, sondern die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit.
({1})
Er ist weder der Streik- noch der Aussperrungsparagraph, sondern der Neutralitätsparagraph. Er regelt auch nicht das Verhältnis der Zahl der Streikenden zur Zahl der Ausgesperrten. Er regelt lediglich die Zahlpflichten der Bundesanstalt im Arbeitskampf.
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Die Beiträge, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber nach Nürnberg zahlen, brauchen wir, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und Arbeitslose zu unterstützen.
({3})
Auch die Steuerzahler werden zur Kasse gebeten, wenn die Beitragszahlungen für diese Aufgabe nicht ausreichen. 1981 mußte der Bund über 8 MilliBundesminister Dr. Blüm
arden DM zahlen, 1982 7 Milliarden DM, 1983 1,5 Milliarden DM. Das Geld in der Nürnberger Kasse ist weder das Geld der Gewerkschaften noch das Geld des Arbeitgeberverbandes. Deshalb kann es im Arbeitskampf weder für die eine noch für die andere Seite eingesetzt werden. Die Arbeitslosenversicherung ist eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit und nicht eine Streik- oder Aussperrungsversicherung.
({4})
Streikende - auch das muß festgehalten werden - haben deshalb nie Unterstützung durch das Arbeitsamt erhalten. Nie! So wird es auch bleiben. Das ist gar nichts Neues. Wenn es aber richtig und unbestritten ist, daß Streikende keine Unterstützung aus Nürnberg erhalten, dann können auch jene Arbeiter keine Unterstützung erhalten, für die die Streikenden gleich mitstreiken. Ein Stellvertreterstreik kann nicht öffentlich subventioniert werden.
({5})
Es kann nicht richtig sein, wenn die Gewerkschaften mit zwei Gruppen einen Arbeitskampf um das gleiche Ziel führen, die eine Gruppe die Gewerkschaft bezahlt und die andere Gruppe die Bundesanstalt für Arbeit. Es wäre auch nicht richtig, wenn die Gewerkschaft streikt und - nehmen wir ein Beispiel - 7 500 Kolbenarbeiter bezahlt, von denen 98 % der deutschen Automobilfabrikation abhängig ist, und eine Million Automobilarbeiter und die Arbeiter ihrer Zulieferer durch die Bundesanstalt bezahlt werden. Das kann niemand mit gutem Gewissen wollen.
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Das wäre in der Tat der Höhepunkt einer MinimaxTaktik: Mit minimalem Einsatz schieben die Gewerkschaften maximale Folgen in die allgemeinen Kassen. Das kann nicht im Sinne der Kampfparität gemeint sein.
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Die Gewerkschaften können streiken, wie sie wollen, aber sie können nicht erwarten, daß wir für alle Folgen aufkommen. Gewerkschaften und Arbeitgeber sind nicht nur für Streikende und Ausgesperrte verantwortlich, sie können auch nicht vor den Folgen ihrer Arbeitskampftaktik die Augen verschließen und sagen: Dafür ist die Allgemeinheit zuständig. Das wäre eine Nach-uns-die-Sintflut-Gesinnung, und die ist unsolidarisch.
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Unsere Antwort im Hinblick auf die Zahlpflichten der Bundesanstalt: für Stellvertreterstreik - so wie bisher - kein Geld. Für Arbeitnehmer, die am Ergebnis des Arbeitskampfes nicht partizipieren, entweder weil sie in einer anderen Branche arbeiten oder in derselben Branche, aber andere Ziele haben, wird es Unterstützung aus Nürnberg geben.
Noch eine weitere Feststellung - auch zur Klärung der öffentlichen Diskussion -: Wenn Arbeitgeber überproportional aussperren und sich Arbeitnehmer dadurch provoziert fühlen, kann ich das sehr gut verstehen. Nur wird das nicht durch Bezahlung gutgemacht. Eine Sünde wird nicht durch Bezahlung zu einer Wohltat. Überproportionale Aussperrung wird nicht durch den § 116 geregelt. Solche Fragen müssen die Gerichte regeln. Dafür könnten auch neue Vereinbarungen zwischen den Tarifpartnern eine wichtige Hilfe sein. Der § 116 - ich wiederhole mich - kann nur die Frage der Bezahlung durch die Bundesanstalt regeln, aber nicht das Verhältnis Streik-Aussperrung.
Noch eine weitere Feststellung: Nicht jede Arbeitseinstellung außerhalb des Streikgebiets ist eine sogenannte kalte Aussperrung. Wo Materialzufuhr wegen Streiks im Zulieferbetrieb ausbleibt, gibt es nichts zu arbeiten. Das hat noch nichts mit Aussperrung zu tun. Wo allerdings der Betrieb zumacht und nur Materialmangel vortäuscht, muß der Lohn weitergezahlt werden. Wir sind gegen Mißbrauch auf allen Seiten.
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Gegen Arbeitgebermanipulationen müssen Gerichte und Arbeitsämter mit aller Schärfe vorgehen. Die gesetzlichen Grundlagen dazu wollen wir verschärfen.
Meine Damen und Herren, angesichts einer wirklichen Diskussionsverwirrung könnte es, glaube ich, hilfreich sein, die Geschichte dieses Neutralitätsparagraphen noch einmal in Erinnerung zu rufen:
Erste Phase: Bis 1969 erhielten mittelbar streikbetroffene Arbeitnehmer gar keine Leistung. Es gab nur eine Härteregelung, die frühestens nach 14 Tagen zum Zuge kam. Trotzdem: Das Streikrecht begann nicht erst 1969. Wichtige, auch für die soziale Entwicklung unseres Landes wichtige Streiks fanden vor 1969 statt: 16 Wochen Streik in Schleswig-Holstein für Einführung der Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall.
Zweite Phase: Der Entwurf eines Arbeitsförderungsgesetzes, den die Regierung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD vorgelegt hatte, schrieb diesen Rechtszustand fort. - Herr Brandt, ich empfehle diese Passage besonders Ihrer Aufmerksamkeit. - Er sah vor, daß grundsätzlich an mittelbar Betroffene, also von Fernwirkungen des Arbeitskampfes Betroffene, überhaupt kein Arbeitslosengeld gezahlt wird.
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Dieser Entwurf ist mit der Unterschrift von Willy Brandt versehen.
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Niemand redete von einer Zerschlagung des Streikrechts. Keine Demonstrationen der IG Metall, keine Protestversammlungen! Und von diesem Standpunkt sind wir meilenweit entfernt.
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Der Bundesrat verlangte im damaligen Gesetzgebungsverfahren die Änderung der Vorlage. In der Stellungnahme der Bundesregierung zu dieser Vorlage hieß es - und jetzt zitiere ich, weil auch diese Antwort, Herr Brandt, Ihre Unterschrift trägt -:
Die Gewährung von Arbeitslosengeld an Arbeitslose, die an einem Arbeitskampf nicht selbst beteiligt sind, deren Arbeitslosigkeit aber durch einen Arbeitskampf verursacht ist, würde die Bereitschaft dieser Arbeitslosen zur Solidarität stärken und damit den Arbeitskampf beeinflussen.
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Sie würde daher ähnlich wie die Gewährung an unmittelbar beteiligte Arbeitnehmer die Neutralität der Bundesanstalt verletzen, deren Mittel von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam aufgebracht werden. Die Arbeitslosenversicherung kann zudem wie jede Schadensversicherung ein derartiges Risiko nicht tragen. Bei einem Schwerpunktstreik könnten die Mittel der Bundesanstalt in wenigen Monaten erschöpft sein.
gez. Willy Brandt.
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Wenn jetzt jemand sagt, die Verhältnisse hätten sich seit damals gewandelt: In der Tat, die Folgen eines Schwerpunktstreiks sind heute noch weitreichender als damals. Trotzdem nehmen wir nicht den Standpunkt ein, den die Regierung damals eingenommen hat.
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Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde 1969 im Bundestagsausschuß für Arbeit unter Vorsitz unseres verehrten Kollegen Adolf Müller eine bessere Regelung gefunden, als sie im Regierungsentwurf vorgesehen war. Danach ruht das Arbeitslosengeld nur dann, wenn der Arbeitskampf auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen der mittelbar betroffenen Arbeitnehmer abzielt oder die Gewährung den Arbeitskampf beeinflussen würde. In diesen Fällen ruht es. In allen anderen Fällen wird es gezahlt.
Nächste Phase: Schon zwei Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes gab es einen Streit über dieses Gesetz - Sie sehen, das ist gar nicht neu -, und zwar gab es einen Auslegungsstreit. Damals hat die Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit einen Beschluß gefaßt, und die Arbeitgeber haben gegen diesen Beschluß geklagt. Auch damals hat man die Entscheidungen der Gerichte nicht abgewartet, sondern hat sich an die Arbeit gemacht und eine Anordnung erlassen. Damals wie heute Unklarheit, damals wie heute Handlungszwang und nicht abwarten, bis die Gerichte entscheiden. So neu ist das alles nicht, bis auf den einzigen Unterschied: Damals regierte in Bonn die SPD. Deshalb waren die Gewerkschaften damals lammfromm, und heute sind sie protestwütend. Das ist der einzige Unterschied, so ist es.
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Die Neutralitätsanordnung präzisierte dann 1973, zwei Jahre vor der Gerichtsentscheidung, was mit „abzielen" und „beeinflussen" zu meinen sei. Sie hat damals festgelegt, daß der Anspruch auf Arbeitslosengeld außerhalb des Kampfgebietes, aber im selben Fachbereich dann ruht, also nicht gezahlt wird, wenn nach Art und Umfang gleiche Forderungen erhoben werden. Die Neutralitätsanordnung, die das festlegte, wurde mit den Stimmen der IG Metall verabschiedet.
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Sie definierte den Stellvertreterstreik und sah für den Stellvertreterstreik mit den Stimmen der IG Metall keine Leistungen vor.
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Sprecher der IG Metall bezeichneten die gefundene Regelung damals als Kompromißregelung, mit der sich durchaus leben lasse. Unterschied: Damals regierte in Bonn die SPD. Damals wurde nicht von Geiselnahme der Arbeitnehmer, sondern von einem Kompromiß gesprochen, mit dem sich leben lasse.
Weitere Phase: Im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche kam es zu einem Auslegungsstreit über die Neutralitätsanordnung. Die Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche war im ganzen Metallbereich die gleiche Forderung, und deshalb zahlte die Bundesanstalt keine Unterstützung. Sozialgerichte in Hessen bestritten die Gleichheit, weil es in den verschiedenen Tarifbezirken unterschiedliche Nebenforderungen neben der Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche gegeben hatte, obwohl jeder Arbeiter, der gestreikt hatte, für die 35-Stunden-Woche auf die Straße gegangen war. Dieses Sozialgericht in Hessen übersetzte den Begriff „gleich" mit „identisch". Da kann ich nur sagen: Kein Kommentar hat das bisher getan. Und wenn Identität gemeint gewesen wäre, hätte man auch gleich schreiben können, es wird immer gezahlt; denn Identität läßt sich durch Variation leicht auflösen.
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In Bremen wurde zwar akzeptiert, daß die Anordnung mit „gleich" nicht „identisch" gemeint habe, aber Bremen äußerte im ersten Verfahren Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Neutralitätsanordnung.
Jetzt frage ich Sie: Was muß eine verantwortliche Regierung tun: entweder die Neutralitätsanordnung durch eine Anordnung ersetzen, die nicht mehr angezweifelt wird, oder die notwendige Klarstellung, wenn das wegen mangelnden Konsenses in der Anordnung nicht gelingt, im Gesetz versuchen?
Es gibt vier Gründe für diesen Handlungszwang:
Erstens. Da es eine Auslegungsdifferenz über diese Vorschrift gibt, gibt es Rechtsunsicherheit. Ich denke, wir können diese Rechtsunsicherheit nicht bis zur letzten Klärung in der letzten Instanz bestehen lassen. Warum?
Weil zweitens dies für die Arbeitnehmer auch ein großes Risiko bedeutet - worüber noch keiner gesprochen hat -, da die Sache in der ersten Instanz ja gar nicht entschieden ist, sondern die Leistungen lediglich unter Vorbehalt ausgezahlt worden sind
und möglicherweise wieder zurückgezahlt werden müssen: 1 000 Mark, 2 000 Mark. Wollt ihr denn den Arbeitnehmern zumuten, daß sie bei kommenden Arbeitskämpfen bis zur letzten Entscheidung der Gerichte immer mit dem Risiko leben müssen, daß sie die Leistungen der Bundesanstalt nur unter Vorbehalt bekommen? Was ist daran eigentlich arbeitnehmerfreundlich?
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Drittens. Wenn berechtigte Zweifel an der Rechtsgültigkeit der Anordnung bestehen - und sie wurden nicht nur von Bremen, sondern auch von unserem Gutachter geäußert -, dann wird die Rechtsgültigkeit nicht durch ein Gericht hergestellt, dann müssen wir sie herstellen. Ein Fundament wird nicht dadurch sicherer, daß das Haus renoviert wird. Das Fundament muß dann gesichert werden, und das machen wir jetzt.
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Ich will noch einen weiteren Grund hinzufügen: Dieser Grund hat schon in der Geschäftsordnungsdebatte eine Rolle gespielt. In der Öffentlichkeit wird an einer massiven Desinformationskampagne über die angeblichen Ziele der Bundesregierung gearbeitet. Arbeiter werden mit Falschmeldungen - mit Falschmeldungen! - auf die Barrikaden getrieben. Falschmeldungen über unsere angeblichen Absichten sind nur dadurch zu korrigieren, daß wir unsere tatsächlichen Absichten schwarz auf weiß in ein Gesetzgebungsverfahren einbringen, und da muß jeder zur Wahrheit Stellung nehmen.
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Die Bundesregierung hat versucht, einen Konsens der Sozialpartner über die nötigen Klärungen herbeizuführen. Hier gibt es kein Schnellverfahren. Es geht um einen Konsens. Es hat beträchtliche Annäherungen gegeben. Wenn die Gewerkschaften den Fortschritt und ihren Anteil daran, der in diesen Gesprächen erreicht wurde, jetzt leugnen, dann stellen sie ihr eigenes Licht unter den Scheffel. Wir haben wichtige Klarstellungen erreicht, die auch im Interesse der Arbeitnehmer sind, und es gab Gewerkschafter, die diese Klarstellung sogar gelobt haben. Inzwischen scheint das aber zum Betriebsgeheimnis des DGB erklärt worden zu sein.
Ich will deshalb doch noch einmal festhalten, worin die Klarstellungen bestehen.
Außerhalb des Fachbereichs wird immer - immer! - Kurzarbeitergeld bezahlt. Das stand bisher nicht im Gesetz; das ergab sich aus der Anordnung. Aber die Anordnung war ja gerade in Zweifel geraten. Wenn wir das jetzt ins Gesetz schreiben, ist das mehr Rechtssicherheit für die Arbeitnehmer. Und ich wiederhole es, damit es die Kolleginnen und Kollegen draußen hören: Es wird außerhalb des Fachbereichs immer gezahlt!
Wenn beispielweise bei Opel das Blech ausgeht, weil bei Hoesch gestreikt wird, erhalten die Opelarbeiter weiter Kurzarbeiterunterstützung, ohne Rücksicht darauf, was sie fordern, weil sie einem anderen Fachbereich, einer anderen Branche angehören. Fragen Sie einmal die Opelarbeiter - 5 000 sollen es gewesen sein -, wer von den 5 000 gestern gewußt hat, daß er weiter Kurzarbeitergeld bekommt! Ich bin sicher, keiner von den 5 000 hat es gewußt, weil die IG Metall wider besseres Wissen verschweigt, was in unserem Gesetz steht. Wider besseres Wissen!
({23})
Wenn bei Thyssen die Stahlproduktion ruht, weil gestreikt wird, erhalten die Werftarbeiter in Bremen weiterhin ohne Rücksicht darauf, was sie fordern, Kurzarbeiterunterstützung, weil sie einer anderen Branche angehören. Fragen Sie die Werftarbeiter in Bremen, die gestern protestiert haben, ob sie es gewußt haben! Nein. Es ist ihnen verheimlicht worden, weil es nicht in Ihr Verteufelungskonzept paßt.
({24})
Und wenn bei Mercedes gestreikt wird, erhalten die Reifenarbeiter bei Conti, wenn ihnen die Arbeit ausgeht, weiterhin eine Leistung, weil sie einer anderen Branche angehören. Fragen Sie die Arbeiter in Hannover, ob sie das gewußt haben! Auch ihnen wurde das vorenthalten.
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Überhaupt nichts ändert sich für viele Bereiche, in denen es bundesweite Tarifverträge gibt, beispielweise in der Druckindustrie, in der ledererzeugenden Industrie, im Bauhauptgewerbe, bei Bahn und Post, in der Schiffahrt, im Versicherungsgewerbe, bei den Gebietskörperschaften, im öffentlichen Dienst.
Dennoch werden alle auf die Barrikaden geschickt mit der Unwahrheit, die Bundesregierung wolle jegliches Kurzarbeitergeld absperren. Das ist die Unwahrheit!
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Was wir festlegen, ist: Im Kampfgebiet gibt es wie bisher - es ist auch nie gefordert worden - keine Zahlung. Umstritten ist nur jener Mittelbereich: In der gleichen Branche außerhalb des Fachgebietes ruhen die Leistungen dann, wenn gleiche Forderungen gestellt werden, wenn ein Stellvertreterstreik geführt wird. Wir haben nur den Begriff Gleichheit gegen den Identitätsbegriff abgesperrt und gesagt, es können nicht alle 30 Forderungen verglichen werden, sondern es geht um die Forderung, für die gekämpft wird, die Hauptforderung. Das ist die ganze Änderung, eine Klarstellung, daß wir nur einen Vergleich der Hauptforderung vornehmen und daß mit Gleichheit nicht Identität gemeint ist. Wegen dieser minimalen Veränderungen wird ein Kreuzzug ausgerufen. Da kann es nicht um die Sache gehen, da geht es entweder um die Ablenkung von gewerkschaftlichen Verlegenheiten oder um Wahlkampfhilfe für die SPD. So einfach ist das.
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Noch eine wichtige Klarstellung.
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- Nein, ich werde meinen Vortrag im Zusammenhang ausführen.
Noch eine wichtige Klarstellung, die den Arbeitnehmern ebenfalls vorenthalten und die geheimgehalten wurde. Sie können sie in keiner Gewerkschaftszeitung lesen. Es handelt sich um die Klarstellung: Arbeitgeber können den Streik in einem anderen Gebiet - also nicht bei sich - nicht zum Vorwand nehmen, die Arbeit einzustellen, denn die IG Metall hat in einer für mich eindrucksvollen Dokumentation dargelegt, die Arbeit sei in einer Mehrzahl von Fällen, in denen sie wegen angeblichen Materialmangels eingestellt worden war, sofort bei Streikende oder sogar noch früher wieder aufgenommen worden. Da liegt der Verdacht nahe, daß die Arbeit entweder zu früh eingestellt oder auch nur unter Vorwand eingestellt wurde. Die Heinzelmännchen konnten j a das Material nicht inzwischen beschafft haben.
In unserem Gesetzentwurf wird die Nachweispflicht für die Arbeitgeber verstärkt, daß tatsächlich ein Zusammenhang zwischen dem Streik und der Kurzarbeit besteht. Außerdem muß eine Stellungnahme des Betriebsrates eingeholt werden. Das ist, wie ich glaube, ein Beitrag nach jeder Seite hin, die Neutralität zu sichern.
Wir konnten keine Lösung anbieten, in der jeder Beurteilungsspielraum ausgeschlossen ist. Das hätte es nur für Extremlösungen gegeben - Extremlösung: es wird nie gezahlt, oder Extremlösung: es wird immer gezahlt -; beides wollten und konnten wir nicht. Wir haben aber Umgehungstatbestände abgeschnitten und insofern auch einen Beitrag geleistet, die Neutralitätsregelung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber berechenbarer zu machen.
Meine Damen und Herren! Ich bin 35 Jahre lang Mitglied der IG Metall.
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Aber so etwas an Verzerrung, Verteufelung, Verunglimpfung habe ich in meiner 35jährigen Mitgliedschaft in der IG Metall noch nicht erlebt. Ich will das gerne beweisen. Es ist einfach unwahr, wenn der DGB so tut, als hätte es in der Vergangenheit immer Leistungen gegeben und als gäbe es das in Zukunft nicht mehr. Weder das „immer", noch das „nie" stimmt. Es ist eine glatte Unwahrheit, wenn der DGB in seinem Referentenmaterial vom Dezember 1985 behauptet - ich lese es Ihnen vor -: „Kurzarbeitergeld soll kalt ausgesperrten Arbeitnehmern grundsätzlich und überall verweigert werden." Eine eklatante Unwahrheit.
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Der DGB hat im Gespräch mit der CDA die Korrektur dieser Unwahrheit zugesagt, er hat sie zugegeben, aber im Januar die Unwahrheit mit anderen Worten wiederholt.
Franz Steinkühler hat unseren Entwurf schon als Anschlag auf die Verfassung verurteilt, als dieser noch gar nicht da war. Er konnte sich in seinem Übereifer gar nicht halten. Ich wußte noch nicht einmal, wie der Entwurf aussieht, da wußte er schon, daß er ein Anschlag auf die Verfassung sei. Da sieht man den ganzen Fanatismus, mit dem hier gekämpft wird.
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Die ÖTV verteilt in Bonn Flugblätter an die Bonner, in denen steht, daß im zukünftigen Tarifkampf außerhalb des tatsächlich umkämpften Fachbereichs kein Kurzarbeitergeld mehr gezahlt wird. Wer es schwarz auf weiß in unserem Gesetzentwurf liest, weiß, daß das Gegenteil richtig ist und daß das eine Unwahrheit ist.
({32})
100 000 Unterschriften überreichten die IG Metaller am vergangenen Freitag dem Bundesrat, 100 000 Unterschriften, die mit der Behauptung zustande gekommen waren, daß es außerhalb des Kampfgebietes in Zukunft kein Kurzarbeitergeld mehr geben soll. Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Das sind 100 000 Arbeitnehmerunterschriften gegen einen Phantomgegner. Da sind 100 000 Arbeitnehmer mit falschen Behauptungen zu Unterschriften bewegt worden. Das ist hunderttausendmal Arbeiterverdummung, nichts anderes als Arbeiterverdummung.
({33})
„Den Anstand wahren", ließ Johannes Rau verkünden. Mit der Wahrheit wären wir schon zufrieden.
({34})
Ich schlage vor: Johannes Rau soll seine Anzeigen so lange in den Gewerkschaftszeitungen veröffentlichen, bis die Gewerkschaften endlich an Stelle von Regierungsdiffamierung Arbeitnehmerinformation setzen. So lange soll er die Anzeigen dort erscheinen lassen.
({35})
Die Krone der Falschmeldung - sie ist fast humoristisch zu nehmen - fand sich allerdings im „Sozialdemokratischen Pressedienst" vom 30. Januar 1986. Das will ich jetzt zitieren - das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen -:
Als Auswirkung der Neuregelung werden künftig wesentlich weniger streikende Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld erhalten als nach geltendem Recht.
Ich denke, ich muß zweimal lesen. Nach geltendem
Recht erhält überhaupt kein Streikender Kurzarbeitergeld. Wenn man überhaupt kein Geld erhält,
kann man auch nicht weniger Geld bekommen, oder?
({36})
Null können Sie doch nicht weiter reduzieren. Es gab bisher keine Unterstützung. Es kann also auch nicht weniger Unterstützung geben.
({37})
Ich will hinzufügen, meine Damen und Herren: Wir lassen uns von niemandem von der Bahn der Sachlichkeit abbringen,
({38})
schon gar nicht, wenn unsere Gegner mit falschen Behauptungen arbeiten. Ich würde in der ersten Reihe der Demonstranten mitmarschieren, wenn das stimmen würde, was SPD und Gewerkschaften über die Regierung behaupten. Insofern kann ich die Erregung der Arbeitnehmer verstehen. Mein Vorwurf richtet sich nicht an die demonstrierenden Arbeitnehmer; mein Vorwurf richtet sich an die Verantwortlichen in SPD und Gewerkschaften, die mit falschen Behauptungen den guten Glauben der Arbeitnehmer mißbrauchen.
({39})
Zur sachlichen Diskussion sind wir jederzeit bereit. Das Gesetzgebungsverfahren bietet dazu Möglichkeiten, Einwände vorzutragen, bessere Vorschläge zu machen. Der DGB ist wie alle anderen - aber ausdrücklich auch der DGB - eingeladen, bessere Vorschläge zu machen, konkrete Vorschläge, wie man die Neutralität besser sichern kann. Unsere Offenheit, besseren Formulierungen Platz zu machen, ist unbegrenzt. Unbeirrt ist jedoch auch unsere Entschlossenheit, die Neutralität der Bundesanstalt im Arbeitskampf gegen jedermann zu sichern.
({40})
Wir diskutieren heute über die Folgen für jene Arbeitnehmer, die durch Streik oder Aussperrung in Mitleidenschaft gezogen wurden, obwohl sie selber nicht streiken. Wir diskutieren also über die Folgen, nicht über die Ursachen. Vielleicht ist diese Diskussion auch nur eine Ersatzdiskussion. Das eigentliche Problem kann nicht mit der Reparatur der Folgen gelöst werden. § 116 kommt überhaupt erst zum Zuge, wenn die Ursache Arbeitskampf bereits gewirkt hat. Das ist die Situation, wenn das Kind im Brunnen liegt.
Damit kein Mißverständnis entsteht: Ich bin ein energischer Verfechter des Streikrechts. Es gehört zu unseren elementaren Freiheitsrechten.
({41})
Aber, so frage ich, hat ein Schwerpunktstreik im Jahre 2000 nicht doch andere Auswirkungen als im Jahre 1950? Hat eine Aussperrung, auch als Mini-max angesetzt, nicht möglicherweise auch weiterreichende Folgen als vor 30 Jahren? Auf beiden Seiten wächst die Angst, der jeweils andere könnte einen mit wenigen Handgriffen schachmatt setzen.
Es stimmt: Das Potential der Vernichtung wächst. Eine Aussperrung, an Schlüsselpositionen eingesetzt, wirkt wie ein kleines brennendes Zündholz, mit dem ein großer Flächenbrand entzündet werden kann. Ein Streik, an den Schaltstellen der Wirtschaft angesetzt, wirkt anders als ein Punktstreik vergangener Zeiten. Früher war der Punktstreik das Warnsignal, daß es jetzt ernst wird. Heute kann er wie ein Schneeball wirken, der eine Lawine in Gang setzt. Eine verflochtene Wirtschaft läßt sich mit geringeren Mitteln aushebeln, als dies in früheren Zeiten der Fall war; sie läßt sich von beiden Seiten mit geringeren Mitteln aushebeln. Wäre es da nicht an der Zeit, daß die Tarifpartner unter sich neue Spielregeln ausmachen und sich durch Vereinbarungen wechselseitig die Angst nehmen, vom anderen vernichtet zu werden?
({42})
Der Staat kann und will nicht an die Stelle der Tarifpartner treten. Er will auch ihre Arbeitskampfregeln nicht gesetzlich festlegen. Aber der Staat ist zuständig dafür, wie öffentliches Geld ausgegeben wird, denn dieses Geld, das Geld der Bundesanstalt, basiert auf gesetzlich festgelegten Pflichtbeiträgen, denen sich der einzelne gar nicht entziehen kann und die im Bedarfsfall mit staatlichen Zuschüssen ergänzt werden. In der Finanzierung von Arbeitskämpfen und ihren Folgen kann es deshalb - ich wiederhole das noch einmal - keine „Minimax"-Arbeitsteilung zwischen den Sozialpartnern auf der einen Seite und dem Staat auf der anderen Seite geben. Das wäre eine bequeme „Minimax"-Arbeitsteilung: die Sozialpartner bezahlen den minimalen Einsatz, und die Allgemeinheit zahlt die riesigen Folgen.
Die Gewerkschaften bestimmen mit ihrer Streiktaktik, wieviel Arbeitnehmer ohne Unterstützung aus Nürnberg auskommen müssen. Die Gewerkschaften können streiken, wie sie wollen, aber sie können nicht verlangen, daß alle Streikfolgen vom Staat bezahlt werden. Man darf nicht an Schlüsselstellen mit wenigen Arbeitnehmern streiken, ohne sich darum zu kümmern, daß dann Hunderttausende keine Arbeit haben. Auch die Gewerkschaften haben Verantwortung für die Folgen ihres Handelns. Das gleiche gilt für die Arbeitgeber. Eine rücksichtslose Aussperrungspraxis verstößt gegen den Geist der sozialen Partnerschaft.
({43})
Die Angriffsaussperrung steht im Widerspruch zur Partnerschaft. Von Aussperrung werden Menschen betroffen, die arbeiten wollen. Das unterscheidet Ausgesperrte von Streikenden. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit setzt der Aussperrung enge Grenzen.
Wir brauchen auf beiden Seiten, bei Gewerkschaften und Arbeitgebern, Augenmaß und Verantwortung. Beide Seiten brauchen sich. Beide Seiten sind aufeinander angewiesen. Wir brauchen starke, funktionsfähige Gewerkschaften und starke Arbeitgeberverbände. Beide haben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gegenüber dem Gemeinwohl. Anstatt auf den Gesetzgeber einzuschlagen, sollten
beide ihre Hausaufgaben erledigen und sich über die Beseitigung der Ursachen verständigen. Um so leichter haben wir es dann, für die Folgen eine befriedigende Regelung zu finden.
Der Staat muß die Neutralität der öffentlichen Institutionen wahren. Es wäre eine Art von staatspolitischer Feigheit, wenn er dieser Aufgabe ausweichen würde, nur weil mächtige Verbände zum Widerstand aufrufen. Das wäre die Kapitulation des Staates.
({44})
Der Staat ist kein Versandhaus der Gefälligkeiten, und eine Regierung ist nicht die Ausführungsbehörde von Arbeitgeberverbänden oder Gewerkschaften. Wir wollen den Dialog und die Zusammenarbeit. Die Verantwortung kann allerdings niemand dem Parlament abnehmen. Deshalb hat jetzt das Parlament das Wort.
({45})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung, die wir soeben gehört haben, war wortreich und polemisch.
({0})
Die Regierungserklärung hat den schweren Sozialkonflikt, den diese Bundesregierung grundlos vom Zaun gebrochen hat, nicht gemildert; sie hat diesen Sozialkonflikt weiter verschärft.
({1})
Es ist aber auch deutlich geworden: Was die Koalition, was die Bundesregierung für einen politischen Spaziergang hielt, ist zum politischen Spießrutenlaufen geworden - vor allem für Sie, Herr Kollege Blüm.
({2})
Zum Spießrutenlaufen für den Gewerkschafter Blüm, den viele Arbeitnehmer einmal für ihren Sachwalter gehalten haben, für den Kollegen Blüm, dem sie vertrauten. Dieses Vertrauen, Herr Kollege Blüm, haben Sie in diesen Tagen und Wochen endgültig verloren.
({3})
Aus Vertrauen und Respekt sind bittere Enttäuschung und offene Ablehnung geworden, und zwar bis in Ihre eigenen Sozialausschüsse hinein.
Worum geht es heute? Es geht nicht um die Rechtslage vor 1969; es geht nicht um die Vergangenheit; es geht um die Gegenwart. Es geht darum, wie sich Streik und Aussperrung, wie sich Arbeitskämpfe auf die Ansprüche auswirken, die Millionen von Arbeitnehmern durch ihre Beitragszahlungen gegen die Arbeitslosenversicherung erworben haben.
Sie sagen, diese Frage sei offen; Sie sagen, diese Frage müsse geregelt werden; Sie sagen, es bestehe Handlungsbedarf. Das ist nicht nur abwegig, es ist falsch. In Wahrheit ist diese Frage durch das geltende Recht und die Neutralitätsanordnung klipp und klar geregelt.
({4})
Diese Regelung, die seit Jahr und Tag gilt, besagt: Erstens. Wer streikt oder ausgesperrt worden ist, verliert seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Zweitens. Wer infolge eines Arbeitskampfes arbeitslos wird, ohne daß er selbst am Arbeitskampf beteiligt ist, verliert seinen Anspruch nur, wenn die Gewerkschaften für seinen Tarifbereich nach Art und Umfang gleiche Forderungen erhoben haben wie für die am Arbeitskampf Beteiligten.
Diese Regelung hat sich bewährt. Sie ist bei allen bisherigen Arbeitskämpfen angewendet worden, auch bei dem großen Arbeitskampf in der Metallindustrie im Jahre 1978. Diese Regelung wollen Sie ändern. Sie wollen sie ändern zu Lasten der Arbeitnehmer - nicht zu Lasten einiger Funktionäre, sondern zu Lasten aller Arbeitnehmer;
({5})
und nicht nur zu Lasten der Gewerkschaftsmitglieder, sondern auch und vor allem zu Lasten der nichtorganisierten Arbeitnehmer.
({6})
Ihr Entwurf sagt: Arbeitnehmer, die selbst nicht streiken, die aber arbeitslos werden, weil ihre Unternehmensleitung den Betrieb im Zusammenhang mit einem Arbeitskampf stillegt, sollen ihre Ansprüche schon dann verlieren, wenn für sie eine Forderung erhoben worden ist, die einer Hauptforderung nach Art und Umfang annähernd gleich ist.
Sie wollen damit die Zahl der Fälle, in denen versicherte Arbeitnehmer keine Leistungen erhalten, zehntausend-, ja hunderttausendfach vermehren.
({7})
Zehntausende, ja, in großen Arbeitskämpfen Hunderttausende von Männern und Frauen, die nach der geltenden Regelung Arbeitslosengeld erhalten würden, sollen in Zukunft kein Arbeitslosengeld mehr bekommen; sie sollen schlechterstehen als bisher. Sie sollen - und dies ist ein Punkt, auf den man die Aufmerksamkeit der Arbeitnehmer mit besonderem Nachdruck lenken muß - nach Ablauf einer Karenzfrist auch den Krankenkassenschutz verlieren oder sich in einer Zeit, in der sie weder Lohn noch Leistungen erhalten, auf eigene Kosten bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse weiterversichern.
({8})
Die Arbeitnehmer sollen auf ihre Ersparnisse und - wenn diese aufgezehrt sind - auf das Sozialamt angewiesen sein. Das ist die Realität!
({9})
Sie können sagen, was Sie wollen, Herr Kollege Blüm: Das, was ich soeben beschrieben habe, ist der Zweck der Übung. Denn es gibt doch zwangsläufig viel mehr Fälle, in denen eine Hauptforderung annähernd gleich ist, als Fälle, in denen die, also alle Forderungen nach Art und Umfang gleich sind.
({10})
Die Beunruhigung unter den Arbeitnehmern kommt nicht von irgendwelchen Flugblättern, sondern sie kommt daher, daß die Arbeitnehmer diese Wahrheit inzwischen begriffen haben.
({11})
Ihre Änderung bedeutet aber nicht nur eine massive Verschlechterung für den einzelnen Arbeitnehmer; sie bedeutet auch, daß viele Arbeitnehmer, die künftig den Verlust ihrer Ansprüche befürchten müssen, die Gewerkschaften bedrängen werden, für ihren Bereich keine Forderungen zu erheben oder es jedenfalls nicht zum Streik kommen zu lassen.
Herr Kollege Blüm, wissen Sie übrigens noch, was Sie selbst dazu im Jahre 1979 in Ihrem Buch „Gewerkschaften zwischen Allmacht und Ohnmacht" geschrieben haben?
({12})
Dort heißt es z. B. auf Seite 105 wörtlich - nun Originalton Blüm -:
({13})
Unbeteiligte Arbeitnehmer dürfen nicht zum Mittel degradiert werden, den Streikwillen zu brechen.
({14})
Gerade das, Kollege Blüm, tun Sie mit Ihrem Entwurf.
({15})
Zwischen dem Blüm von 1979 und dem Blüm von heute liegen Welten. Der Blüm von heute degradiert, nein, der enteignet die Nichtorganisierten genauso wie die Gewerkschaftsmitglieder.
({16})
Denn, Herr Kollege Blüm, mit Ihrem Entwurf nehmen Sie den Arbeitnehmern ihre durch eigene Beiträge wohlerworbenen Rechte, obwohl die Arbeitnehmer weder auf die Stillegung ihres Betriebes - die Unternehmensleitungen fragen die Arbeitnehmer nicht - noch auf die Forderungen der Gewerkschaften einen rechtlich relevanten Einfluß haben.
({17})
Außerdem werden betroffene Gewerkschaftsmitglieder von ihrer Gewerkschaft auch materielle Unterstützung fordern. Das alles bedeutet natürlich eine Schwächung der Gewerkschaften. Es bedeutet eine Verschiebung der Gewichte, eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse zuungunsten der Arbeitnehmer. Das ist das Motiv!
({18})
Auch diese Folgen, Herr Kollege Blüm, sind gewollt und beabsichtigt. Sie versuchen, das wortreich zu vernebeln. Sie sagen - Sie haben es heute wieder getan -, dem einzelnen werde nichts genommen. Aber warum warnt dann der Deutsche Städtetag vor den zusätzlichen hohen Sozialhilfelasten, die er durch Ihren Entwurf auf die Städte zukommen sieht, und zwar mit den Stimmen der Unionsangehörigen im Deutschen Städtetag und seinem Präsidium?
({19})
Sie sagen - Sie sagten es heute wieder -, es bestehe Rechtsunklarheit, die Sie beheben wollten. Wie eigentlich? Herr Kollege Blüm, ist „annähernd gleich" klarer als „nach Art und Umfang gleich"? Ist eine „Hauptforderung" klarer als „die Forderungen"? Wenn in einem Bezirk 4 % mehr Lohn verlangt werden und in einem anderen Bezirk 5 %, ist das dann „annähernd gleich"? Wo ist da die Rechtsklarheit? Herr Kollege Blüm, daß Sie sagen - das Schreiben selbst die konservativen Blätter -, Ihre Fassung erhöhe die Rechtssicherheit, ist ein Hohn; das paßt eher in eine Büttenrede als in einen Gesetzentwurf.
({20})
Außerdem: Wenn etwas unklar ist, Herr Kollege Blüm, wenn wirklich etwas unklar wäre, warum lassen Sie dann eigentlich nicht die Gerichte entscheiden, warum setzen Sie sich an die Stelle der Gerichte? Ihre Behauptung, die Sie hier gerade vorgetragen haben, wir hätten 1973 das gleiche getan, ist falsch. Wir haben damals das Gesetz gerade nicht geändert, und Sie wollen das Gesetz ändern. Sie wissen doch, daß Ihre Darstellung falsch ist.
({21})
Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht 1978 eine Verfassungsbeschwerde der Arbeitgeber als unzulässig zurückgewiesen. 1984 hingegen haben die Gerichte die Beschwerden der Gewerkschaft für begründet erklärt. Warum erläutern Sie diesen Unterschied nicht, wenn Sie von Rechtsklarheit sprechen?
({22})
Sie sagen, es sei eine stärkere Verflechtung der Wirtschaft eingetreten, und die Gewerkschaften hätten eine neue Taktik. Herr Kollege Blüm - nun spreche ich den Metaller Blüm an -, was hat sich eigentlich gegenüber 1978 geändert? In Ihrem wirklich lesenswerten Buch, dem ich gerade jetzt eine besonders weite Verbreitung wünsche,
({23})
setzen Sie - Blüm - noch 1979 das Wort Schwerpunktstreik in Anführungszeichen und schreiben dann weiter, Schwerpunktstreik sei ein Begriff der Arbeitgeber, den Sie sich nicht zu eigen machen wollten. Herr Blüm, das war 1979.
({24})
Nein, lieber Kollege Blüm, nicht die Verhältnisse haben sich geändert, Sie, Herr Blüm, haben sich geändert.
({25})
Herr Kollege Blüm - ich sage das mit Bedauern -, Sie haben seit 1979 die Seite gewechselt. Sie machen sich jetzt nicht nur die Begriffe, sondern auch die Interessen der Arbeitgeberverbände zu eigen.
({26})
Sie reden immerzu davon, daß Sie die Neutralität wiederherstellen müssen, und sagen, die Arbeitgeber seien durch die gegenwärtige Rechtslage im Nachteil, die Gewerkschaften seien begünstigt. Das war doch der Kern Ihrer Aussage. Das hat der alte Blüm von 1979 auch anders gesehen. In diesem Buch, für das ich hier noch einmal ausdrücklich werbe, schrieben Sie - wieder wörtlich Blüm -:
Die Finanzkraft der Gewerkschaften ist nicht so übermäßig groß, wie ihr unterstellt wird. Vom wirtschaftlichen Gewicht ihrer Tarifpartner jedenfalls wird sie übertroffen.
({27}) Dann wird er sehr konkret:
Anhaltspunkt für diese Vermutung ist, daß der Jahresumsatz der Volkswagenwerke AG 28mal so groß ist, der der Daimler-Benz AG 18mal so groß wie der Jahresumsatz der IG Metall ist.
({28})
So sah der Herr Kollege Blüm die Kräfteverhältnisse damals.
({29})
Herr Kollege Blüm, warum ist das denn heute nicht mehr richtig? Weil Sie Minister in einer konservativen Regierung sind und Herrn Bangemann gefällig sein müssen oder warum? Damals wußten Sie sogar noch Zahlen, Kollege Blüm. „Der Jahresbeitragsüberschuß der IG Metall" - das sagte der Metaller Blüm damals - „beträgt rund 40 Millionen DM." Dann fuhren Sie fort: „Zusammen mit Unterstützungsleistungen für Aussperrung zahlte die IG Metall 1978 130 Millionen DM." - Sie wissen, daß die Zahlen für 1984 nicht anders waren. Und da haben Sie den Mut, von einer Überlegenheit der Gewerkschaften gegenüber den Arbeitgeberverbänden zu reden!
({30})
Hat denn der Gewerkschaftskollege Blüm eigentlich nicht präsent, daß 1984 50 000 Streikende fast
180 000 im Arbeitskampf Ausgesperrte gegenüberstanden, daß also zwischen drei und vier Ausgesperrte auf einen Streikenden kamen? Ist dies die Untermauerung Ihrer Behauptung, die Gewerkschaften seien überlegen und im Angriff?
Übrigens tritt doch der Verlust der Ansprüche gegen die Arbeitslosenversicherung - warum sagen Sie das nicht? - nicht nur dann ein, wenn ein Werk wegen Streiks stillgelegt wird; er tritt doch ebenso dann ein, wenn die Stillegung auf Aussperrungen im umkämpften Bezirk zurückzuführen ist.
({31})
Angesichts der eben von mir genannten Zahlen - ein Verhältnis von 3 oder 4 zu 1 - ist im Verlaufe des Arbeitskampfes die Stillegung infolge Aussperrung viel häufiger als die Stillegung infolge Streiks.
Nein, das alles sind Ausflüchte und Vernebelungsversuche. Irreführend ist auch das Gerede, es handele sich bei den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit um Leistungen einer öffentlichen Kasse oder gar um Steuergelder. Herr Kollege Blüm, das ist Unfug! Es handelt sich nicht um öffentliche Gelder, es handelt sich nicht um Gnadengaben oder Almosen; es handelt sich um Versicherungsleistungen, für die die Arbeitnehmer jahre- und jahrzehntelang ihre Beiträge gezahlt haben.
({32})
Sie greifen in das eigene Geld der Arbeitnehmer ein, und Sie wissen, daß die Steuerzuschüsse an die Bundesanstalt, die übrigens nahe bei Null veranschlagt sind, für versicherungsfremde Leistungen aufgebracht werden, nicht für Arbeitslosengeld.
({33})
Es handelt sich um das eigene Geld der Arbeitnehmer. Das sehen übrigens auch die Arbeitgeber so, die ihre Beiträge nicht ohne Grund bei jeder Gelegenheit als Lohnnebenkosten, also als Bestandteil des Lohns, deklarieren.
({34})
Das alles ist schlimm genug. Noch schlimmer aber ist, daß Sie den Sozialkonflikt, in den Sie unser Volk ohne Not gestürzt haben, immer noch weiter anheizen. Jetzt polemisieren Sie gegen die Gewerkschaften und werfen ihnen Lüge und Hetze vor. Das heißt doch die Dinge auf den Kopf stellen! Haben denn die Gewerkschaften verlangt, daß das Recht zu ihren Gunsten verändert wird, oder sind Sie angetreten, um das Recht zuungunsten der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften zu verändern?
({35})
Nicht die Gewerkschaften stören den sozialen Frieden; sie verteidigen sich doch nur. Wenn von Friedensstörung die Rede ist, muß ich sagen: FriedensDr. Vogel
störer sind die, die diesen Konflikt grundlos und sinnlos Vom Zaun gebrochen haben.
({36})
Meine Damen und Herren von dieser Koalition und von der Bundesregierung, Sie haben Wind gesät und wundern sich, daß Sie jetzt Sturm ernten.
({37})
Jetzt gehen Sie, Kollege Blüm, ans Rednerpult und greifen Gewerkschafter als Desinformateure, als Lügner und Hetzer an.
({38})
Lügner und Hetzer? Ich will Ihnen ein paar Fragen vorlegen, Herr Kollege Blüm.
({39})
Herr Katzer, Ihr Vorgänger als Bundesarbeitsminister und als Vorsitzender der Sozialausschüsse, der Mann, den Sie einmal mit gutem Grund Ihren väterlichen Freund genannt haben, warnt öffentlich vor Ihrem Entwurf. Er sagt: Angesichts der Tatsache, daß die Tarifvertragsparteien bisher ihrer Verantwortung gerecht geworden sind - Hans Katzer steht noch auf Ihrem alten Standpunkt, er hat die Seiten nicht gewechselt! -,
({40})
wirkt schon die peinliche Auseinandersetzung um das Arbeitsförderungsgesetz geradezu kleinkariert gefährlich. Ist Herr Katzer auch ein Lügner, auch ein Hetzer?
Herr Benda, langjähriger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, erhebt öffentlich schwere verfassungsrechtliche Bedenken gegen Ihren Entwurf. Ist Herr Benda auch ein Hetzer?
({41})
- Lautete der Zwischenruf „Das kann sein!"? Dann sollte man ihn ins Protokoll aufnehmen.
({42})
Herr Ministerialdirektor Hans-Horst Viehof, der von Ihnen selbst berufene Leiter der zuständigen Abteilung Ihres Ministeriums, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse des Rheinlands, nennt den Entwurf rechtswidrig und schädlich und wird deshalb zwangspensioniert. Ist Herr Viehof auch ein Lügner oder ein Hetzer, Herr Blüm?
({43})
Die CDU-Fraktion im saarländischen Landtag wendet sich öffentlich gegen den Entwurf und erklärt, es bestehe keinerlei Handlungsbedarf. Sie fordert den saarländischen Ministerpräsidenten auf, im Bundesrat mit Nein zu stimmen. Sind Ihre saarländischen CDU-Kolleginnen und -Kollegen alles Lügner und Hetzer?
Herr Biedenkopf, der designierte Vorsitzende des neuen CDU-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, immerhin nicht der kleinste unter Ihren Landesverbänden, sagte Ende vergangener Woche, der Entwurf sei weiß Gott nicht der Weisheit letzter Schluß. Offenbar auch ein Hetzer!
Herr Oswald, langjähriges Vorstandsmitglied der Daimler-Benz AG schreibt wörtlich: „Die Einheitsgewerkschaft war der Garant für den wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik. Es wäre kurzsichtig, die Gewerkschaften, die zur Zeit besondere Schwierigkeiten haben, schwächen zu wollen." Wörtlich sagt dieser Mann, der als Vorstandsmitglied von Daimler-Benz weiß, wovon er redet: „Es wäre Schwachsinn, sie weiter in die Defensive treiben zu wollen." Aber gerade das, was Herr Oswald als Schwachsinn bezeichnet, tun Sie, Herr Blüm!
({44})
Nein, diejenigen, die Sie da angreifen, und der Herr Katzer und der Herr Benda und der Herr Viehof und die saarländische CDU und der Herr Biedenkopf, das sind eben keine Lügner und keine Hetzer, ebensowenig wie Ernst Breit und all die anderen, die Ihnen Widerstand leisten. Das sind Männer und Frauen, die wissen, was auf dem Spiel steht, die sich um den sozialen Frieden und die soziale Stabilität unseres Landes sorgen. Das sind Männer und Frauen, die verantwortungsbewußt von unserem Volk Schaden abwenden wollen. Das ist die Wahrheit.
({45})
Schaden von unserem Volk abzuwenden wäre eigentlich die Aufgabe des Herrn Bundeskanzlers. Aber leider tut er das Gegenteil. Er gießt noch 01 ins Feuer. Er holt eigens den Bundestag zusammen - denn es war j a seine Entscheidung -, um dieses schlimme Gesetz ganze 14 Tage früher durch den Bundestag zu bringen. Warum eigentlich? Wem sind der Bundeskanzler und Herr Blüm und diese Koalition diese Hast, wem sind sie eigentlich dieses Gesetz schuldig? Wer drängt sie denn?
({46})
Was passiert denn, wenn dieses Gesetz erst im Herbst oder überhaupt nicht in Kraft tritt? Und warum schweigt der Bundeskanzler hier in einer Sache, die inzwischen unser ganzes Volk bewegt?
({47})
Ich fordere den Bundeskanzler auf, doch von dieser Stelle aus zu sagen, was bislang an unserer Tarifautonomie, was bisher am System der Lohnfindung schlecht war? Warum lobt er die Gewerkschaften nur, wenn ein Gewerkschaftsvorsitzender in den Ruhestand tritt und nicht hier an dieser Stelle unter Wiederholung der Reden, die wir dort hören?
({48})
Sind wir nicht das Land mit den verantwortungsbewußtesten Gewerkschaften? Sind wir nicht das Land mit den besten Arbeitsbeziehungen zwischen den Tarifparteien? Sind wir nicht das Land mit der geringsten Zahl von Streiktagen unter allen Indu15150
strienationen? Welcher Teufel reitet Sie eigentlich, daß Sie das alles aufs Spiel setzen und gefährden?
({49})
Wir jedenfalls - darauf können Sie sich verlassen - werden nicht schweigen. Wir werden dem Entwurf jeden zulässigen Widerstand entgegensetzen. Wir werden immer wieder aufs neue darlegen - und da verwende ich die berühmt gewordene Äußerung des Bundeskanzlers -, wie dumm, wie absurd, wie töricht dieser Entwurf und dieser Vorstoß ist.
({50})
Wir werden uns jeder Beschränkung unserer Minderheitenrechte mit Entschiedenheit widersetzen. Denn das ist unsere feste Überzeugung: Wir stehen hier im Parlament zwar als Minderheit, aber in der Sache stehen wir nicht für die Minderheit, wir stehen für die Mehrheit unseres Volkes, für die Mehrheit, die den sozialen Frieden nicht gefährdet, sondern gesichert und gewährleistet wissen will.
({51})
Das Wort hat der Abgeordnete Scharrenbroich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Vogel, Sie haben hier bewiesen: Auf Mitglieder der ehemaligen Arbeiterpartei SPD wirkt Norbert Blüm wie ein rotes Tuch.
({0})
Das hat Sie sogar dazu verführt, daß Sie kein einziges Wort zu Ihrer eigenen Entschließung gefunden haben. So haben Sie hier getobt.
({1})
Nicht Norbert Blüm heizt das soziale Klima an, sondern Sie.
({2})
Herr Dr. Vogel, meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben ein ganz klares Wahlkampfkonzept.
({3})
Es lautet: Die Glaubwürdigkeit dieses Mannes in der Arbeitnehmerschaft muß zerstört werden.
({4})
Weil wir diese Wahlkampfkonzeption der SPD erkannt haben, werden wir alles tun, daß das nicht zum Ziele führt. Das Theaterstück, das Sie hier aufgeführt haben,
({5}) könnte man mit dem Titel überschreiben:
({6})
„Die Wut über den verlorenen Groschen". Denn diese Wahlkampfkonzeption ist jetzt keine zehn Pfennig mehr wert, weil wir nämlich schwarz auf weiß den deutschen Arbeitnehmern sagen werden, was wir wollen.
({7})
Meine Damen und Herren, es geht hier nicht nur um die Person des Arbeitsministers, des Vorsitzenden der Sozialausschüsse. Es geht vor allem um seine Politik.
({8})
Wenn er sich um der richtigen Sache willen mit einflußreichen Vereinen und Vereinigungen anlegen muß, dann kann er auf uns zählen, gleich, ob es gegen Arbeitgebervereinigungen, ob es gegen den Zahnärzteverband, ob es gegen den Hartmannbund geht.
({9})
oder ob man sich mit den Gewerkschaften anlegen muß. Das gilt auch heute. Um der Sache willen werden wir diese Politik bestätigen.
({10})
Um gleich eines klarzustellen: Wer in unseren Reihen noch immer meinte, man brauche dieses Gesetz nicht zu novellieren, der weiß seit diesen Tagen, daß das notwendig ist.
({11})
Nach den Verdrehungen, Unwahrheiten, Tiefschlägen unter die Gürtellinie verlangt das geradezu die politische Hygiene.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich wiederhole praktisch meinen Kollegen Helmut Link: Nach der Rentenlüge, nach der Mietenlüge sind Sie dabei, eine Streiklüge aufzubauen. Nur so kann man das sagen.
({12})
Ich wiederhole einen Satz aus dem Sozialdemokratischen Pressedienst vom 30.:
Als Auswirkung der Neuregelung werden künftig wesentlich weniger streikende Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld erhalten als nach geltendem Recht. Meine Damen und Herren, wer den Arbeitnehmern solche Unwahrheiten serviert, dem sollten die Arbeitnehmer kein Wort mehr glauben.
({13})
Ihre Rede, Ihre schlimme Rede, Herr Dr. Vogel, macht eine sachliche Beratung im Parlament nicht einfacher.
({14})
Und ich fürchte, es werden noch weitere Reden dieses Stils heute kommen.
({15})
Wir werden uns bemühen, schwarz auf weiß zu belegen, daß das Streikrecht
({16})
- hören Sie doch mal zu, meine Damen und Herren, auch wenn es schwierig ist, die Wahrheit zu ertragen ({17})
und die Streikfähigkeit nicht in Gefahr gebracht werden. Wir werden belegen, daß die Demokratie nicht gerettet werden muß. Wir werden belegen, daß wir einen Weg finden, die Neutralität so zu sichern, daß das Arbeitskampfgleichgewicht nicht zu Lasten der Gewerkschaften verändert wird.
Die Kampagne der IG Metall und der SPD hat bisher nur eines erreicht: Uns ist klargemacht worden, daß die begonnene Diskussion jetzt mit gesetzlichen Regelungen beendet werden muß.
({18})
Durch die heutige zusätzliche Sitzung des Bundestages ist es uns möglich - und mehr passiert nicht -, rechtzeitig die Sachverständigen zu dem Anhörungsverfahren einzuladen und dann mit der Beratung im ganz normalen Verfahren fortzufahren. Was ist daran eigentlich Aufregendes?
Und wer meint, wir würden durchpeitschen, dem möchte ich sagen, daß der Bundestagsausschuß 1968 an drei ganzen Tagen diesen damaligen § 105 beraten hat. Und wie viele Tage werden wir jetzt zur Verfügung haben? Mindestens vier, wenn nicht sogar sechs Tage. Das ist die Relation. Wer hier von Durchpeitschen spricht, gefährdet den sozialen Frieden.
({19})
Der Bundesarbeitsminister hat klargemacht, daß wir hier ein Sozialversicherungsgesetz novellieren und kein Arbeitskampfrecht,
({20})
Sozialversicherungsrecht, das sich sowohl an die Gewerkschaften als auch an die Arbeitgeber richtet.
Meine Damen und Herren, wenn die Arbeitgeber meinen, auf Grund der Beschäftigungslage jetzt das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können, haben sie sich vertan. Die Regierung hat die Wünsche der Arbeitgeber zurückgewiesen, die bekanntlich lauteten - ich zitiere Herrn Stumpfe aus der „BildZeitung" -:
Nürnberg zahlt grundsätzlich nicht, wenn als Folge eines Arbeitskampfes auch nicht bestreikte Betriebe kurzarbeiten oder vorübergehend dichtmachen müssen.
Diese Forderung der Arbeitgeber ist ganz klar zurückgewiesen worden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, das, was die Gewerkschaften jetzt fordern, nämlich daß die Bundesanstalt immer zahlen soll, war die Forderung des Bundesrates gegenüber der Gesetzesvorlage der Großen Koalition. Und die ist eindeutig zurückgewiesen worden. Und wenn das damals zurückgewiesen worden ist, kann man doch heute nicht so tun, als hätte der Gesetzgeber das gewollt, was einige Gewerkschaften heute fordern. Nein, Adolf Müller ({21}) hat damals den Kompromiß eingebracht: Außerhalb der Branche wird immer gezahlt - das sagt die Regierungsvorlage jetzt übrigens im Klartext -, innerhalb des Fachbereichs wird nur in den Ausnahmefällen außerhalb des Tarifgebietes nicht gezahlt, wenn dadurch der Arbeitskampf beeinflußt würde oder wenn die mittelbar betroffenen Arbeitnehmer im Grunde gleiche Tarifforderungen stellen. Genau das wollen wir. Es geht darum - und ich wiederhole den FDP-Fraktionsvorsitzenden Mischnick -, daß das Anwendung findet, was der Gesetzgeber 1969 wollte - um nichts anderes.
({22})
Natürlich brauchten wir jetzt eigentlich ein Klima der sachlichen Beratung. Selbstverständlich stehen während der Parlamentsberatungen viele Fragen zur Prüfung an. Ich darf einige Fragen nennen, damit auch die Öffentlichkeit erfährt, daß wir den Gesetzentwurf - selbstverständlich - sehr sorgfältig beraten werden.
Dazu zähle ich z. B. die Frage, die die Bundesregierung selbst aufgeworfen hat und die wohl noch nicht endgültig geklärt ist. Ich zitiere:
Sind für den Fall, daß Betriebsstillegungen auf Aussperrungen zurückzuführen sind, spezielle Regelungen notwendig?
Das ist eine Frage, die das Bundeskabinett nach dem Papier der fünf Minister formuliert hat.
Eine weitere Frage: Können die Kontrollbefugnisse des Betriebsrates und der Bundesanstalt bei Betriebsstillegungen infolge von Arbeitskämpfen noch weiter konkretisiert werden? Hier hat die Bundesregierung bereits in ihrer Vorlage dem Betriebsrat mehr Rechte gegeben als bisher. Wir werden prüfen, ob das ausreicht.
Oder: Ist es möglich bzw. notwendig, daß Folgen aus reinen Lohnarbeitskämpfen anders behandelt werden als Folgen aus Arbeitskämpfen um Veränderungen der Arbeitsbedingungen? Das ist sicher eine sehr schwierige Frage. Aber wir werden sie sorgfältig prüfen.
Oder: Kann, wie in den letzten Tagen diskutiert worden ist, eine Schiedsstelle helfen? Wir werden hier jetzt keinen konkreten Vorschlag machen, weil wir dafür den Sachverstand der Sachverständigen brauchen. Und gehen Sie davon aus: Dann ist der Zeitpunkt gekommen, in dem wir unsere konkreten Vorschläge machen.
({23})
Im Mittelpunkt der parlamentarischen Beratungen wird natürlich vor allem die Frage stehen, ob der jetzt vorgeschlagene Gesetzestext die Absichten, die Ziele der Bundesregierung so umsetzt, wie sie in der Begründung des Gesetzestextes der Bundesregierung und heute vom Bundesarbeitsminister noch einmal genannt worden sind. Dazu gehört auch die Frage, ob der Gesetzestext - ich sagte es schon - den Absichten des Gesetzgebers von 1969
entspricht. All das steht während der parlamentarischen Beratung auf dem Prüfstand.
Ausdrücklich möchte ich hier begrüßen: erstens daß der Bundesarbeitsminister erneut betont hat: Diese Bundesregierung will und wird kein neues Arbeitskampfrecht schaffen; wir machen Sozialversicherungsrecht und kein Arbeitskampfrecht, zweitens daß der Bundesarbeitsminister die Tarifvertragsparteien aufgefordert hat, in der Praxis, in Praktizierung der Tarifautonomie selber Spielregeln für den Arbeitskampf auszuhandeln, die die jetzigen Probleme besser behandeln.
Meine Damen und Herren, zum Schluß: Es ist die größte Selbstverständlichkeit der Welt, daß auch dieser Gesetzentwurf im Rahmen der parlamentarischen Beratung Veränderungen und Ergänzungen erfahren wird. So war es bisher bei jedem wichtigen Gesetzentwurf in der Geschichte dieses Parlaments. Von Durchpeitschen kann keine Rede sein, wenn wir mit den parlamentarischen Beratungen jetzt beginnen und für die Beratung dieses Gesetzentwurfs genauso viele Tage zur Verfügung haben, als wenn wir erst in 14 Tagen damit beginnen würden. Das ist die Sachlage. Wer etwas anderes behauptet, der gießt, Herr Dr. Vogel, wirklich 01 ins Feuer.
({24})
- Ach, das müssen Sie ertragen können, Herr Dreßler.
Allen Freunden, aber nach den Gegnern der Sozialausschüsse und der CDU sage ich hier: Erstens. § 116 AFG wird verändert und den Bedingungen neuer Technologien angepaßt, damit die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit auch in Zukunft besser gesichert wird; daran gibt es keinen Zweifel.
({25})
Deshalb lade ich die Gewerkschaften ein, ihrer Verpflichtung als Arbeitnehmerorganisation gerecht zu werden und, nachdem sie das hoffentlich zur Kenntnis genommen haben, an den Beratungen endlich konstruktiv teilzunehmen.
({26})
Und zweitens sage ich: Das Gesetz wird am Ende so formuliert sein, daß die christlich-demokratischen Arbeitnehmer, also die Sozialausschüsse, dieses Gesetz akzeptieren können. Das heißt, das Gesetz wird bestätigen: Das Arbeitskampfgleichgewicht wird nicht zu Lasten der Gewerkschaften verändert.
Auch in diesen Fragen ist sich die Unionsfraktion völlig einig.
Danke schön.
({27})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer wenn die Arbeitslosenzahlen in Deutschland über die Zwei-Millionen-Grenze gehen und die Konservativen an der Macht sind, dann geht es gegen die Gewerkschaften und das Streikrecht. Anfang der 30er Jahre ging das per Notverordnung, heute braucht man dazu Sondersitzungen, um ein Gesetz durchzubringen, das wir schon heute unter die geltenden Notstandsgesetze einordnen müssen.
({0})
Dabei ist die übergroße Hast, die die Regierung an den Tag legt, mehr als verräterisch. Sie verrät, daß die Regierung genau weiß, welchen Anschlag sie hier vorhat. Und weil sie das weiß, wird in dieser Sache hemmungslos gelogen oder, was die aktuelle Steigerungsform davon ist, es wird „verblümt" gelogen.
({1})
Denn was hat Herr Blüm nicht schon alles vom 116er verschwiegen oder verkündet? Erst hat er gesagt, er will mit den Gewerkschaften reden, sich einigen, weil er für Partnerschaft ist, Gesetzesänderung aber wäre Klassenkampf. Dann hat er das Gesetz geändert und behauptet, das wäre nur Klarstellung, sozusagen verschärfte Partnerschaft. Wenn jetzt die Gewerkschaften gegen diesen Klassenkampf von oben ihrerseits Maßnahmen ergreifen, dann ist das angeblich Sabotage. Herr Blüm, hören Sie auf, den Bettelmönch der Arbeiterklasse zu spielen; denn es wird Ihnen nicht gelingen, Ihre Schäfchen zum Schafott zu führen, ohne daß sie merken, wohin die Reise geht.
({2})
Und niemand wird so dumm sein, Sie auch noch im Gewand des Scharfrichters für den lieben Beichtvater von der IG Metall zu halten. Und damit Ihnen das nicht gelingt, werden wir unermüdlich aufklären, aus welchem Stoff das Fallbeil ist und was passiert, wenn es auf die Arbeitnehmer niedersaust.
Dabei stellen wir GRÜNEN zunächst fest: Wir waren und sind auch gegen den geltenden 116er, weil auch er die kalte Aussperrung legalisiert, und wir sind auch gegen die sogenannte Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit. Denn wir stehen auf dem Standpunkt, die Arbeitnehmer haben als Beitragszahler immer und überall einen Anspruch auf Lohnersatzleistung. Und wo kämen wir denn hin, wenn das gesetzlich verfügte Ruhen von Versicherungsansprüchen Schule macht? Dann werden wohl bald auch die Rentenansprüche ruhen. Das vorneweg.
Und nun zu den heutigen Verschlechterungen des § 116.
Erstens ist festzuhalten: Mit der sogenannten Neutralitätsanordnung von 1973 wurde eine eindeutige Rechtslage geschaffen; denn die Formulierung „nur nach Art und Umfang gleiche Forderungen führen zum Ruhen von Ansprüchen" wurde bewußt gewählt, damit in aller Regel Arbeitslosengeld gezahlt werden muß. Und es wurde schon damals zu Protokoll genommen - ich zitiere wörtlich aus dem
Schmidt ({3})
Protokoll von 1973 -, daß jede Formulierung, die nicht nahe an der Identität ist, zu einem allgemeinen Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld führen muß. Und das sollte 1973 ausgeschlossen werden. Wer das Protokoll und den Beschluß von 1973 auch nur flüchtig gelesen hat, muß also schon erbärmlich die Unwahrheit sagen, wenn er behauptet, es geht um notwendige Klarstellung.
({4})
Zweitens ist festzuhalten, daß, wer den Beschluß im Protokoll von 1973 gelesen hat, nur zu dem Urteil kommen kann, daß der Franke-Erlaß von 1984 ein eindeutiger Rechtsbruch war, ein Rechtsbruch, den die Regierung jetzt nachträglich legalisieren will. Und das ist ja nicht das erste Mal.
({5})
Drittens ist festzuhalten, daß die Arbeitgeber 1973 gegen den Beschluß gestimmt haben, weil sie wollten, daß die Bundesanstalt bei kalter Aussperrung nie zahlt. Und wir stellen fest, daß die Unternehmer 13 Jahre warten mußten, bis sie die Regierung hatten, die diese Forderung erfüllt und mit der Formulierung „gleiche oder ähnliche Forderungen" sinngemäß dasselbe macht, was die Arbeitgeber 1973 gefordert hatten.
Viertens ist festzuhalten: Der heutige Gesetzentwurf ist die nachträgliche Rache der Regierung für den 1984er Streik um die 35-Stunden-Woche.
({6})
Solche Streiks werden jetzt quasi verboten. Und was bedeutet das? Das bedeutet die Ungeheuerlichkeit, daß eine Regierung, deren Politik die Arbeitslosigkeit verschärft hat, jetzt auch noch den Gewerkschaften verbieten will, ihrerseits gegen die Arbeitslosigkeit anzukämpfen.
({7})
Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein gesetzliches Verbot der Solidarität der Beschäftigten mit den Arbeitslosen. Und wenn dieses Solidaritätsverbot durchgesetzt werden kann, dann gnade Gott all den anderen solidarischen und demokratischen Bewegungen, der Friedensbewegung, der Frauenbewegung, der Ökologiebewegung.
Fünftens stelle ich fest, wer Streiks erschwert und unmöglich macht, wer darüber die Gewerkschaften schwächen will, der hat vor allem ein Ziel: Er will die Löhne nach unten drücken. In Wirklichkeit geht es überhaupt nicht um Neutralität oder Juristerei; es geht schlicht ums Geld. Wer daran zweifelt, muß nur die Dutzenden von Reden nachlesen, die hier Herr Bangemann, Herr Lambsdorff oder Herr Kohl gehalten haben und in denen immer wieder zu hören war, daß die Arbeitslosigkeit vor allem dadurch verursacht sei, daß die Löhne und Lohnnebenkosten zu hoch seien.
({8})
Sie wollen die Einführung von Billiglöhnen. Ihre äußerst zynische Formel ist: Je mehr Armut, desto weniger Arbeitslose. Das ist auch Teil dieses Gesetzentwurfes. Diese Strategie soll damit durchgesetzt werden.
({9})
Wohin das führt, kann man an dem großen Vorbild, das Ihnen vorschwebt, nämlich an den USA sehen: Dort hat nämlich das sogenannte Beschäftigungswunder dazu geführt, daß es inzwischen 35 Millionen Erwerbstätige gibt, die ganztags arbeiten, aber trotzdem Woche für Woche vor den Fürsorgestellen um Lebensmittel anstehen, weil sie buchstäblich Hungerlöhne erhalten. Wer sagt, die Sache mit § 116 sei ihm egal, und womöglich hinzufügt, er werde auch beim nächsten Mal noch die geistigmoralische Wende wählen, sollte sich schon einmal erkundigen, wieviele Lebensmittel denn die Sozialhilfe hierzulande vorsieht, damit die Ware Arbeitskraft bei Kräften bleibt.
({10})
Wir haben heute und in den Kommentaren zuvor diverse Warnungen vor gewerkschaftlichem Widerstand und vor Streiks gehört. Das Erfreuliche daran ist: Die Regierungsparteien haben offensichtlich schon jetzt massiv Angst vor dem, was auf sie zukommt - zu Recht!
({11})
Das Ärgerliche daran ist, daß ausgerechnet die Parlamentarier, die jeden Militärputsch von Chile bis zur Türkei frenetisch mit Beifall bedacht haben und jüngst die Drohung mit Investitionsstreiks im rotgrünen Hessen absolut demokratisch fanden, jetzt demokratische Sitzbeschwerden kriegen, wenn gegen Ihre Politik die Arbeiter aufstehen.
({12})
Dabei ist klar: Die wichtigste Tarifrunde 1986 ist der Kampf für das Streikrecht, denn es ist nun einmal so: Wer 1986 nicht bereit ist, gegen § 116 zu streiken, wird ab 1987 womöglich auch nicht in der Lage sein, für höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeit zu kämpfen.
({13})
Denjenigen, die sagen, die Streiks, die politischen Aktionen und möglicherweise der Generalstreik seien illegal, und hier staatsrechtliche Vorträge halten, muß gesagt werden: Wenn es tatsächlich zu den Massenaktionen kommt, die IG Metall und DGB fordern, wenn es dazu kommt, daß bei der zweiten Lesung alle Räder stillstehen - wenn nötig, im Mai noch einmal -, was wird denn dann von Ihnen, den Herren Staatsrechtlern, gemacht? Werden Sie dann alle aussperren? Das ganze Volk in den Knast? - Natürlich nicht. Auch Sie werden dann nämlich begreifen, daß Sie nicht nur eine große Sauerei gemacht haben, sondern auch eine große Dummheit. Der erste, der das zu spüren bekommt, wird Herr Albrecht in Hannover sein.
({14})
Schmidt ({15})
Es ist jetzt, wo es um die Aktionen draußen geht, nicht Aufgabe von politischen Parteien, zu Streiks oder zu politischen Streiks aufzurufen. Das ist Sache der Belegschaften, das ist Sache der Gewerkschaften. Aber jetzt, wo die Arbeitsniederlegungen begonnen wurden und absehbar im nächsten Monat zunehmen werden und von der Regierungsseite unerbittlich diffamiert werden, ist es unsere Pflicht, deutlich zu sagen, daß diese Aktionen das einzige sind, was jetzt noch helfen kann, und daß sie von uns GRÜNEN mit allem, was wir haben, unterstützt werden.
({16})
Die Entscheidung über Mehrheit und Minderheit, für und gegen den § 116 im Bundestag ist längst gefallen. Die Ausführungen des Herrn Scharrenbroich haben das eben wieder deutlich gemacht.
({17})
Jetzt geht es um die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, jetzt geht es um die Frage: entweder „gelbe Karte" für die gewerkschaftlichen Streiks oder „rote Karte" für diese Regierungspolitik. Jetzt heißt die Frage: entweder der kleine Blüm oder der große DGB. Für uns ist klar, auf welcher Seite wir da stehen werden: auf der Seite der Streikenden und des DGB.
({18})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen wurde immer wieder behauptet, die Koalition wolle das Streikrecht einschränken.
({0})
Deswegen muß ich in der Diskussion um den Neutralitätsparagraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes zunächst eine Feststellung treffen, dieselbe Feststellung nämlich, wie sie Hermann Rappe am 12. Dezember 1985 von diesem Pult aus getroffen hat. Das Streikrecht wird nicht geändert.
Damit das klar ist: Niemand in der FDP will das Streikrecht oder das Arbeitskampfrecht ändern. Es geht allein um die Spielregeln für Streik und Aussperrung, also legale Mittel im Arbeitskampf. Es geht darum, diese Spielregeln klarzustellen.
({1})
Nun wird von interessierter Seite - wie auch durch einen Zwischenruf eben - behauptet, die Streikfähigkeit werde durch den Regierungsentwurf zu § 116 beeinträchtigt. Meine Damen und Herren, mein Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit deutscher Gewerkschaften ist offensichtlich um vieles, vieles größer als das der Gewerkschafter selber.
({2})
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern: Bis 1969 erhielten mittelbar vom Arbeitskampf Betroffene grundsätzlich kein Arbeitslosengeld, und dennoch wurde gestreikt, in Schleswig-Holstein sehr lange und ausdauernd. Deswegen ist die Behauptung einfach falsch, daß dadurch die Streikfähigkeit beeinträchtigt würde.
({3})
Ich möchte auch zur Frage der Gleichgewichtigkeit, der sogenannten Waffengleichheit ein Wort sagen. Tatsache, meine Damen und Herren, ist, daß z. B. in der Metallindustrie jeder zweite Arbeitnehmer in einem kleinen, in einem mittelständischen Betrieb beschäftigt ist. Tatsache ist, daß die reichste Gewerkschaft der Welt, die IG Metall, in Nordrhein-Westfalen sieben kleine Handwerksbetriebe bestreikt hat. Wenn ausgerechnet diese IG Metall behauptet, es gebe keine Waffengleichheit, dann kommt mir das so vor, als ob sich die gutgerüstete Schweizer Armee darüber beschwert, daß die Waffengleichheit mit der Schweizergarde des Vatikan nicht gegeben ist.
({4})
Nun zu der Behauptung, hier würden eiskalte, glasklare Arbeitgeberpositionen vertreten.
({5}) Dies ist falsch.
({6})
- Kollege Urbaniak, dies ist falsch. Sonst hätten wir nicht in dem Novellierungsantrag zu § 72 AFG eindeutig klargestellt, daß der Arbeitgeber nicht nur darzulegen, sondern auch glaubhaft zu machen hat, worauf die Betriebsstillegung zurückzuführen ist, und daß eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen ist. Es ist ebenso eindeutig klargestellt, daß die Bundesanstalt für Arbeit, daß das örtliche Arbeitsamt soweit die Möglichkeit zur Überprüfung vor Ort hat.
Das sind bei Gott keine Arbeitgeberpositionen. Aber das sind, verehrte Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, Positionen, deren Sinnhaftigkeit mir anläßlich einer Protestversammlung des DGB in der Beethovenhalle am 13. Dezember 1985 deutlich gemacht wurde, eine Protestveranstaltung des DGB, auf der ich nicht gerade besonders freundlich behandelt worden bin, wie sich jedermann denken kann, aber auf der ich auch nicht - Gott sei's gepriesen und gedankt - verprügelt worden bin.
({7})
Übrigens ist dies ein Beweis dafür, daß es sich durchaus lohnen kann, mit der FDP Argumente auszutauschen. Ich wäre den Kollegen von der SPD dankbar, wenn sie einmal ihrem Kollegen Breit, dem DGB-Vorsitzenden, mitteilen würden, daß es sich durchaus lohnen kann, mit der FDP zu diskutieren, nachdem er erklärt hat, es lohne sich nicht mehr, mit uns zu reden.
Cronenberg ({8})
Nun sind ein paar Bemerkungen zur notwendigen Klarstellung des § 116 geboten.
Die Unternehmen haben, betriebswirtschaftlich vernünftig, ihre Lagerhaltung drastisch reduziert. Die Gewerkschaften haben dies bei ihrer Streiktaktik berücksichtigt. Sie wollen mit Hilfe der „Minimax"-Strategie ihre Kosten senken. Dies geschieht, indem man ausgewählte Zulieferbetriebe mit dem Ziel bestreikt, daß der wirtschaftliche Druck möglichst unmittelbar durchschlägt. So sagt es jedenfalls Frau Kurz-Scherf im Gewerkschaftsbuch 1985. Damit setzen die Gewerkschaften Fernwirkungen in Drittbetrieben, also bei mittelbar Betroffenen, als Mittel des Arbeitskampfes ein. Mit anderen Worten: die beitragsfinanzierte Bundesanstalt soll zahlen, um so die Streikkasse der IG Metall zu schonen.
Für das urkapitalistische Prinzip der Kostenminimierung habe ich immer Verständnis. Das nehme ich auch den Gewerkschaften keineswegs übel. Übel nehme ich es allerdings, wenn sie behaupten, die Inanspruchnahme der Bundesanstalt für alle unmittelbar Betroffenen sei praktizierte Neutralität. Dies ist einfach unwahr.
({9})
Wer die Neutralität will, muß sie so regeln, wie dies der Gesetzgeber 1969 wollte, und darf sie nicht so regeln, wie dies die Große Koalition 1967 wollte. Man kann es nicht oft genug betonen: das Dokument 5/2291 trägt die Unterschrift von Willy Brandt. In dieser Stellungnahme heißt es wörtlich: „Die Gewährung von Arbeitslosengeld an mittelbar Betroffene würde die Bereitschaft zur Solidarität stärken und den Arbeitskampf beeinflussen." Und man höre und staune: „Das würde die Neutralität der Bundesanstalt verletzen."
Wie notwendig eine Klarstellung ist, beweist auch die Feststellung des renomierten Kronberger Kreises,
({10})
- Kronberg mit K, Herr Kollege Vogel! - wonach z. B. 7 500 Streikende 1,5 Millionen Arbeitnehmern in der Automobil- und Zulieferindustrie die Möglichkeit zu arbeiten, nehmen können. Deswegen ist es einfach falsch, zu behaupten, wir könnten Gesetz und Anordnungen so lassen, wie sie jetzt sind, wir könnten die Hände in den Schoß legen und abwarten, wann die Gerichte entscheiden werden, ob und in welchem Umfang beim nächsten Arbeitskampf die Nürnberger Kassen in Anspruch genommen werden.
Und auch die Frau Kollegin Fuchs hat dankenswerterweise die Feststellung getroffen - gestern war es wohl -, die Schiedsstelle habe keinen Stinn, so hat sie gesagt, „weil wir eine rechtliche Klarstellung, eine rechtliche Normierung brauchen". Sie hat also geradezu unsere Forderung bestätigt. Verständlicherweise meinen Sie allerdings eine andere Änderung, aber zunächst einmal haben Sie die Notwendigkeit der Normierung eindeutig klargestellt.
Nun zur These, wir verletzten eigentumsähnliche Rechte. Auch dieser Vorwurf geht ins Leere, denn das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber in diesem Zusammenhang einen sehr weiten Spielraum zugebilligt. Eine unverantwortlich hohe Inanspruchnahme der Nürnberger Kassen - wenn ich heute polemisch werden wollte, würde ich sagen: eine Plünderung der Kassen - infolge von Tarifauseinandersetzungen führt doch notwendigerweise zu Beitragserhöhungen, und vermeidbare Beitragserhöhungen berühren auch die Eigentumsrechte der Beitragszahler. Wer behauptet, die Beiträge seien ausschließlich von Arbeitnehmern erbracht, von dem muß ich auch erwarten können, daß er konsequenterweise, Herr Kollege Schmidt von den GRÜNEN, den Antrag im Deutschen Bundestag einbringt, daß die Arbeitnehmer 100 % der Beiträge auch bezahlen. Das wäre die logische Konsequenz einer solchen Position.
({11})
Nun zum Gesetzentwurf selbst. - Er enthält viele Elemente, die zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften unumstritten sind. Aber es darf auch keine Mißverständnisse geben. Sympathiestreiks, politische Streiks und betriebliche Arbeitsniederlegungen können und dürfen nicht aus den Kassen der Bundesanstalt finanziert werden.
({12})
Nun zu der vieldiskutierten Frage, in welchem Umfang Forderungen in der gleichen Branche im aber nicht umkämpften Tarifgebiet zu einer Zahlungsverpflichtung der Bundesanstalt führen sollen. Daß eine Formulierung „nach Art und Umfang gleich" nicht bedeuten kann, daß die Identität der Forderung gegeben ist, hat ja wohl Kollege Rappe am 12. Dezember ebenfalls von dieser Stelle aus angedeutet.
Klar ist auch, daß die Bundesanstalt zahlen muß, wenn in den einzelnen Tarifgebieten unterschiedliche Forderungen erhoben werden, so z. B., wenn in einem Bereich für die Senkung der Arbeitszeit von 42 auf 40 Stunden gestreikt wird, während in einem anderen Gebiet - was weiß ich - 30 oder 35 Stunden gearbeitet wird.
Ebenso klar ist, daß nicht gezahlt werden kann, wenn die Streikenden sozusagen für „die ganze Truppe die Kastanien aus dem Feuer holen" wollen. Daran knüpft sich die Frage: Wann ist dies der Fall?
Deswegen weist die Begründung zu Recht darauf hin, daß es nicht geboten ist, die Forderung expressis verbis z. B. per eingeschriebenem Brief dem Tarifpartner mitzuteilen, sondern daß es vielmehr genügt, daß sie auf Grund der Gesamtumstände als erhoben zu gelten hat.
({13})
Ich gehe davon aus, daß selbst interpretationswütige Juristen nicht zu einem anderen Ergebnis kommen können.
({14})
Meine Damen und Herren, wenn man sich verdeutlicht, wie häufig in der Zukunft möglicherweise gezahlt werden muß, ist es schon ein tolles Ding, zu
Cronenberg ({15})
behaupten, der Anspruch auf Arbeitslosengeld werde bei Tarifauseinandersetzungen generell gestrichen; ganz abgesehen davon, daß bewußt verschwiegen wird, daß die bestehende Härteklausel des Abs. 4 des § 116 uneingeschränkt weiter Bestand hat. Ich habe schon in der letzten Debatte gesagt: Wer sich den § 116 und die von der Regierung vorgeschlagene Klarstellung ernsthaft durchliest, der hat - davon bin ich überzeugt - keinen vernünftigen Grund, zu demonstrieren.
({16})
Zusammenfassend darf ich für die FDP feststellen: Es gibt keinen Eingriff in das Streikrecht. Die Gefährdung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften ist eine Mär. Die Klarstellung der Neutralität der Bundesanstalt ist eine Notwendigkeit. All dies sind unbestreitbare Fakten.
({17})
Mit denjenigen, die bereit sind, im Gesetzgebungsverfahren sich mit diesen Fakten auseinanderzusetzen, werden wir sicherlich ernsthaft diskutieren. Mit denen, die das Gesetzgebungsverfahren mit allen Mitteln verzögern oder gar filibustern wollen, ist eine sinnvolle Diskussion nicht möglich.
({18})
Aber all denjenigen, denen an einer sachlichen Auseinandersetzung gelegen ist, möchte ich sagen: Wir sind für vernünftige Verbesserungsvorschläge immer offen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Herr Präsident, selbstverständlich, aber nur unter der Voraussetzung, daß ich den letzten Satz meiner Rede noch sagen kann. Herr Kollege Lutz, bitte schön.
Herr Cronenberg, sehen Sie eine sachkundige und sorgfältige Beratung im Fachausschuß als Filibustern an?
Herr Kollege Lutz, wir kennen uns so lange, daß der in der Frage unterstellte Vorwurf mich tief verletzt.
({0})
Sachgemäße Auseinandersetzungen im Ausschuß haben mit Filibustern nichts zu tun. Aber denjenigen, der öffentlich erklärt, daß er um des Verzögerns willen verzögern will, den bezeichne ich als jemanden, der filibustert.
({1})
Ich muß noch einmal betonen: Ich bin außerordentlich an einer sinnvollen Diskussion interessiert. Ich möchte allerdings auch sagen: Die Kritik an anderen hat noch keine eigene Leistung ersetzt.
({2})
Mit anderen Worten: Konkrete Vorschläge im Sinne
einer Verbesserung des Gesetzentwurfs müssen in
der Tat auf den Tisch. Sie können sicher sein, daß
Sie in uns jemanden finden, der bereit ist, objektiv darüber zu diskutieren und notfalls auch seine Meinung zu korrigieren. Vorläufig sehe ich hierzu allerdings noch keine Ansätze.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Cronenberg, zu den von Ihnen in die Debatte eingeführten Stichworten, wie Neutralitätspflicht, Beziehungen der FDP zu den Gewerkschaften oder auch zu der sicherlich nicht unrichtigen Behauptung, daß die FDP eine eiskalte und glasklare Arbeitgeberpolitik betreibt
({0})
- dies können Sie doch wohl nicht bestreiten; ich meine, es ist doch wirklich Unsinn, das zu bestreiten -, fällt mir allerhand ein. Trotzdem glaube ich, daß es sich nicht lohnt, groß darauf einzugehen. Bei aller Wertschätzung für Sie als Mensch und Person, Herr Cronenberg, aber wenn Sie jetzt von dieser Stelle aus Herrn Breit anbieten, zu einem Austausch von Argumenten zusammenzutreten, dann kann ich nur sagen: Diese Gelegenheit hätten Sie doch sicherlich längst gehabt.
({1})
Vielleicht hätten Sie sich doch etwas intensiver darum bemühen sollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?
Herr Cronenberg, es hat keinen Sinn. Wissen Sie, ich wollte auch gar nicht länger auf Sie eingehen; ich wollte vielmehr nur sagen, daß ich das alles nicht ganz ernst nehmen kann. Auch bei der Zwischenfrage könnte nicht viel herauskommen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte mich erneut dem Bundesarbeitsminister zuwenden, weil ich meine, daß er der richtige Adressat ist. Selbst wenn er behauptet - was er bisher nicht getan hat -, er sei hier unter den Druck der FDP geraten, hätte er eigentlich längst seinen Hut nehmen müssen. Daher ist er für mich, für uns der Hauptverantwortliche für diese Entwicklung.
({1})
Wer den Bundesarbeitsminister wie ich am letzten Wochenende im rheinischen Karneval erlebt hat - ich habe das mit großem Vergnügen -, der kann ihm seinen Respekt für diesen Auftritt nicht versagen, und das tue ich auch nicht. Als MoritatenGlombig
sänger war Norbert Blüm einsame Spitze, er war erste Klasse. Aber darüber will ich mich heute nicht weiter auslassen. Heute geht es um eine ganz andere Seite des Norbert Blüm, nämlich um seine Rolle bei der Änderung des § 116 AFG; es geht um die ganz persönliche Rolle, die er dabei spielt. Hier gebührt dem Arbeitsminister alles andere als Lob und Anerkennung, denn er spielt die schändlichste Rolle, die ein Arbeitsminister in der Nachkriegszeit jemals gespielt hat.
({2})
- Dies ist nun einmal so; es tut mir leid. - Norbert Blüm hat in den letzten Monaten ein politisches Doppelspiel betrieben wie kein Arbeitsminister vor ihm.
({3})
Er hat sich wochenlang als ehrlicher Makler zwischen den Sozialparteien aufgespielt
({4})
- das ist er eben nicht -, obwohl schon lange feststand, daß die Neutralitätsvorschriften zu Lasten der Gewerkschaften verändert werden sollen. Auch die Öffentlichkeit hat er darüber getäuscht, meine Damen und Herren.
({5})
Mit der Klarstellungslüge und polemischen Ausfällen gegen die Gewerkschaften soll vernebelt werden, was von Anfang an beabsichtigt war, nämlich die Schwächung der Gewerkschaften.
({6})
Norbert Blüm hat den schwersten Sozialkonflikt der letzten Jahrzehnte zu verantworten.
({7})
Seine Aufgabe wäre es gewesen, in dieser Auseinandersetzung die ihm anvertrauten Interessen der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften zu vertreten. Diese Aufgabe hat er sträflich vernachlässigt. Von Anfang an stand er auf der Seite der Arbeitgeber und betrieb ihr Geschäft.
({8})
Er war es höchstpersönlich, der den ganzen Streit um den § 116 angezettelt hat. Im Metallarbeitskampf vom vorletzten Jahr hat er sich einseitig auf die Seite der Arbeitgeber gestellt und dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Franke, Rükkendeckung gegeben, als dieser über 300 000 kalt ausgesperrten Arbeitnehmern kein Kurzarbeitergeld zahlen wollte. Er war es, der als erster davon sprach, daß die Bundesanstalt für Arbeit nicht die Streikkasse der IG Metall sein dürfe.
({9})
Offensichtlich wollte er, daß künftig die Sozialhilfe die Streikkasse darstellt. Dies können wir natürlich noch viel weniger zulassen, meine Damen und Herren.
({10})
Mit diesem bösen Wort hat er die Scharfmacher in den eigenen Reihen überhaupt erst auf den Plan gerufen; denn bis dahin gab es keinen Streit über die Zahlung von Kurzarbeitergeld an mittelbar betroffene Arbeitnehmer.
({11})
Für den Arbeitsminister geht es jetzt, wie er behauptet, nur um Klarstellung. Er geht sogar so weit, sich als Vollstrecker des AFG-Gesetzgebers von 1969 aufzuwerfen.
({12})
Aber meine Damen und Herren, mit Klarstellung hat dieser Gesetzentwurf, wie ich in solchen Fällen zu sagen pflege, genausoviel und genausowenig zu tun wie die Kuh mit dem Foxtrott. Wer dies behauptet, sagt schlicht die Unwahrheit. Hier soll nicht klargestellt werden, hier soll geltendes Recht zu Lasten der Gewerkschaften und Arbeitnehmer verändert werden, und dies ist die Wahrheit und nichts anderes.
({13})
Was der AFG-Gesetzgeber 1969 gewollt hat, Herr Kollege Müller, kann man natürlich auch nachlesen. Es waren auch noch andere und nicht nur Sie allein dabei. Jeder kann im Bericht des federführenden Arbeitsausschusses nachlesen. Nachdem der Arbeitsminister diesen Bericht in der Bundestagssitzung vom 4. Dezember 1985 falsch zitiert hat, möchte ich die entscheidende Stelle wörtlich wiedergeben. Ich zitiere:
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld soll in allen Fällen ruhen, in denen die Gewährung dieser Leistung den Arbeitskampf beeinflussen könnte. Dabei wird es sich um Ausnahmefälle handeln.
Ich unterstreiche: um Ausnahmefälle.
Genau dies will der Regierungsentwurf umkehren: Mittelbar betroffene Metaller sollen bei einem Arbeitskampf in der Metallindustrie grundsätzlich leer ausgehen. An diesem Ergebnis gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Wer das Gegenteil behauptet, der sagt bewußt die Unwahrheit. Damit wir nicht aneinander vorbeireden, meine Damen und Herren, und damit es auch Herrn Blüm nicht weiter vergönnt ist so zu tun als ob: möchte ich klarstellen: Es geht hier nur um die mittelbar betroffenen Arbeitnehmer desselben Fachbereichs. Daß alle anderen mittelbar betroffenen Arbeitnehmer außerhalb des fachlichen Geltungsbereiches eines umkämpf15158
ten Tarifvertrages weiterhin Leistung erhalten, ist selbstverständlich.
({14})
- Nein, wir haben dies nicht verschwiegen.
({15})
Dies war niemals strittig, und dies soll auch künftig so bleiben. Daran will auch der Arbeitsminister mit seinem Regierungsentwurf nichts ändern.
({16})
Die Änderung Betriff ausschließlich mittelbar betroffene Arbeitnehmer desselben Wirtschaftszweiges, die außerhalb des umkämpften Tarifgebietes wegen angeblicher oder tatsächlicher Fernwirkungen eines Arbeitskampfes nicht mehr arbeiten können.
Wenn der Arbeitsminister auch hier der Auffassung ist, daß alles beim alten bleibt, sollte er sich mal bei seinen eigenen Beamten nach den Rechtsfolgen der Gesetzesänderung erkundigen. Sie haben nämlich mit nicht zu überbietender Klarheit in einem Protokoll festgeschrieben, was ihr Chef offensichtlich nicht wahrhaben will. Ich darf aus dem Protokoll einer Besprechung vom 5. Dezember 1985 zitieren, an der auch Beamte des Wirtschaftsministeriums und des Bundeskanzleramtes teilgenommen haben. Dort heißt es wortwörtlich:
({17})
- Ich zitiere. Ich weiß nicht, ob es öffentlich ist; es steht aber auch nicht „geheim" darauf.
({18})
- So ist es eben! Ich zitiere hier nicht aus einem geheimen Dokument.
({19})
Dort heißt es also:
Die beteiligten Ressorts stimmen darin überein, daß die vorgesehene Neufassung des § 116 bei Lohnarbeitskämpfen - jedenfalls im Metallbereich - zu einem Ruhen im gesamten Fachbereich führt.
({20})
Und da stellt sich der Arbeitsminister hin und redet immer noch von Klarstellung! Dies, meine Damen und Herren, ist doch wirklich die Höhe.
({21})
Ihr Versuch, Herr Blüm, der Öffentlichkeit und den Arbeitnehmern etwas anderes weiszumachen, wird Ihnen, so hoffe ich, auch künftig mißlingen.
Warum wundern Sie sich dann, wenn Sie von Ihren eigenen Gewerkschaftskollegen als Arbeiterverräter und Arbeitgeberminister beschimpft werden? Wer so mit den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften umspringt wie Sie, darf sich eigentlich über solche Attribute nicht beschweren, wenngleich ich dafür, menschlich gesehen, Verständnis habe; aber keine Wirkung ohne Ursache.
Im übrigen ist es fast ein Witz, im Zusammenhang mit dem Regierungsentwurf von einer Klarstellung zu sprechen. Dieser Entwurf strotzt so von unbestimmten Rechtsbegriffen - der Kollege Vogel hat darauf eindrucksvoll hingewiesen -, daß er die Gerichte über Jahre hinaus beschäftigen wird, weil er erst Unklarheit schafft.
({22})
Ich habe immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, daß die Mitglieder der Sozialausschüsse in der CDU/CSU-Fraktion diesen folgenschweren Unsinn ablehnen werden. Es wird höchste Zeit, Herr Scharrenbroich, daß sie entweder ihrem Vorsitzenden auf die Finger klopfen oder ihn in die Wüste schicken.
({23})
Sie müssen sich zwischen der Loyalität zum Arbeitsminister auf der einen Seite und ihrer eigenen Identität auf der anderen Seite entscheiden.
({24})
Da genügen die Verrenkungen zur Unterstützung des Arbeitsministers, der gleichzeitig Vorsitzender der Sozialausschüsse ist, hier an diesem Pult überhaupt nicht.
({25})
Bislang kann ich nicht erkennen, daß die Sozialausschüsse die geplante Schwächung der Gewerkschaften konkret verhindern wollen. Zwar haben sie auf ihrer Tagung in Königswinter jede Verschlechterung der Rechtslage global abgelehnt - Sie haben das hier auch wiederholt -, aber gleichzeitig haben sie dem Gesetzesvorhaben im Grundsatz zugestimmt. Nein, meine Damen und Herren, dies geht nun wirklich nicht! Wer die Änderung des § 116 im Grundsatz befürwortet, aber gleichzeitig so tut, als wolle er jede Änderung zu Lasten der Gewerkschaften ablehnen, der will die Quadratur des Kreises, und das geht eben nicht.
({26})
Meine Damen und Herren, die neueste Masche des Arbeitsministers ist es, nun ausgerechnet von den deutschen Gewerkschaften bessere Formulierungen einzufordern. Für wie dumm hält dieser Minister die Gewerkschaften eigentlich? Es geht hier nicht um die schönste oder um eine bessere Formulierung; es geht um die Veränderung der bestehenden Rechtslage, um sonst gar nichts,
({27})
und dazu sind sowohl der Arbeitsminister als auch die Bundesregierung offenbar wild entschlossen.
({28})
Nein, die angebliche Offenheit für bessere Formulierungen auch bei Ihnen, Herr Scharrenbroich,
({29})
- ja, sehr gut - kann nicht ernstgemeint sein. Wäre sie es, müßte sich doch der Arbeitsminister selbst an der Suche nach besseren Formulierungen beteiligen und dürfte dies nicht allein anderen überlassen, denn als Vorsitzender der Sozialausschüsse muß er doch den Beschluß der Sozialausschüsse mitgetragen haben. Anders ist es doch überhaupt nicht möglich; schließlich haben sich auch die Sozialausschüsse, deren Vorsitzender er immer noch ist,
({30})
für Verbesserungen des Regierungsentwurfs ausgesprochen. Warum also leistet der Arbeitsminister nicht zumindest Ihnen die notwendige Formulierungshilfe, wenn er es gegenüber den Gewerkschaften schon nicht tut? Warum leistet er nicht wenigstens Ihnen gegenüber die Formulierungshilfe, wie es doch auch sonst der Fall ist? Die Antwort ist: Er will gar keine andere Formulierung, er will seinen Gesetzentwurf durchziehen. Das ist die Wahrheit!
({31})
Meine Damen und Herren, mich macht in diesem Zusammenhang betroffen, daß der Arbeitsminister diese ganze Entwicklung nicht nur angezettelt, sondern auch bis zum heutigen Tage voll mitgetragen hat und weiter voll trägt. Es ist derselbe Norbert Blüm, der noch vor einigen Jahren ganz andere Töne von sich gab. Auch dies hat Hans-Jochen Vogel hier eindrucksvoll dargestellt. Heute hört sich das bei demselben Norbert Blüm ganz anders an. Heute tritt er dafür ein, die Gewichte im Arbeitskampf zu Lasten der Gewerkschaften zu verschieben und unbeteiligte, mittelbar betroffene Arbeitnehmer von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit auszuschließen. Diesen Wandel des Norbert Blüm vom Paulus zum Saulus bedaure ich persönlich zutiefst.
({32})
Ich habe Norbert Blüm - und dies sage ich aus voller Überzeugung und Ehrlichkeit - ({33})
- Ja, das muß ich betonen, weil ich vorher sehr kritische Bemerkungen gemacht habe. Ich habe Norbert Blüm in vielen Jahren als Mensch schätzen gelernt. Aber seit dieser Mann Arbeitsminister ist und offensiv für eine Politik des Sozialabbaus, der Spaltung und der Schwächung der Gewerkschaften eintritt,
({34})
erkenne ich ihn nicht mehr wieder.
({35})
Hat Hermann Rappe wirklich recht, der am 12. Dezember 1985 an dieser Stelle gesagt hat:
({36})
„Es ist schlimm, die Aufgabe und den Verfall der Identität eines Mannes zu sehen." Ich fürchte, ja, und bedaure auch dieses außerordentlich.
({37})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bisher hat die Opposition an diesem Tage die Gelegenheit verpaßt, einmal deutlich zu machen, wie sie sich die Lösung der Probleme um den § 116 denkt, und sie hat die vorherige Polemik durch weitere Polemik ergänzt, ohne in der Sache auch nur einen einzigen Beitrag zu leisten.
({0})
Das gilt auch für Herrn Rau, der wohl glaubt, sich mit Anstand der Debatte entziehen zu können, wenn er hier den Abstand wahrt.
({1})
Sie hätten heute Gelegenheit gehabt, zu dem Regierungsentwurf Stellung zu nehmen und einmal deutlich zu sagen, wie Sie sich die Sicherung der Neutralitätspflicht der Bundesanstalt in Nürnberg vorstellen; denn ich hoffe, daß es doch zumindest darüber keine Meinungsverschiedenheit gibt, bei all Ihrer Polemik, daß diese Neutralitätspflicht auch in Zukunft gesichert sein muß. Hier, meine Damen und Herren, ist der richtige Ort und auch die richtige Zeit dafür, in diesem Hohen Hause und nicht draußen auf der Straße.
({2})
Aber offenbar sind unsere Erwartungen an die Opposition wieder einmal zu hoch ausgefallen. Den vielen Enttäuschungen über Ihre mangelhaften Alternativen in den letzten Jahren haben Sie eine weitere hinzugefügt.
Ich frage mich: Wo bleibt eigentlich der Aufschrei der Opposition darüber, daß Gelder, die den Arbeitslosen zustehen, zur Durchsetzung tarifpolitischer Ziele zugunsten derer mißbraucht werden sollen, die Arbeit haben?
({3})
Wo bleibt eigentlich Ihre Aufforderung an die Tarifparteien, gefälligst selbst ihre Kampfkraft sicherzu15160
Hauser ({4})
stellen und die Nürnberger Kasse unbehelligt zu lassen?
({5})
- Wenn Ihnen nichts Besseres als Zwischenrufe einfällt, sollten Sie sich lieber verabschieden.
Sie reden draußen von sozialer Demontage, von Umverteilung oder von der Ellenbogengesellschaft. Haben Sie eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, was die Arbeitslosen vom Anspruch der Gewerkschaften halten, sich aus dem Nürnberger Topf zu bedienen?
Noch etwas: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ca. 23 Millionen Beschäftigte, die 50 Wo der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung leisten.
({6})
Die andere Hälfte wird von etwa 2 Millionen Unternehmen als Lohnbestandteil aufgebracht. Ich kann mir nicht vorstellen, meine Damen und Herren, daß alle diese Leute, die hohe Beiträge von ihrem sauer verdienten Geld nach Nürnberg zahlen, damit einverstanden sind, wenn dieses Geld von einer Tarifpartei ganz selbstverständlich zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele mißbraucht wird.
({7})
Sie reden von „versöhnen statt spalten" und treiben zur gleichen Zeit einen demagogischen Keil in die deutsche Arbeitnehmerschaft.
({8})
- Sie werden das noch merken. Wenn Sie nämlich glauben, daß die Arbeitnehmer alle so dumm und dämlich sind, Ihrer Polemik zu folgen, dann werden Sie Ihr blaues Wunder erleben
({9})
Der gewerkschaftliche Anspruch ist für einen Interessenverband legitim. Für eine Partei oder eine Fraktion, sei sie in der Opposition oder in der Regierungsverantwortung, ist die kritiklose Übernahme eines solchen Standpunktes ein politisches Armutszeugnis erster Güte.
({10})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski?
Nein, danke schön; ich möchte das hier im Zusammenhang vortragen.
({0})
Für uns jedenfalls hat diese Auseinandersetzung klargestellt: Bundesregierung und Koalition können ihr Verhältnis zu den großen gewerkschaftlichen Organisationen und Interessenverbänden selbstbewußt definieren. Forderungen der Gewerkschaften gelten für uns ebensowenig automatisch als Anliegen aller Arbeitnehmer in unserem Lande, wie Forderungen der Unternehmensverbände die Anliegen aller Betriebe darstellen.
Meine Damen und Herren, diese Regierung ist eine Regierung für alle Bürger
({1})
und nicht eine Regierung für oder gegen bestimmte Gruppeninteressen.
({2})
- Schreien Sie ruhig weiter. Das macht nichts. Es zeigt Ihre Hilflosigkeit, wenn Sie sich hier so gebärden, meine Damen und Herren.
({3})
Der Regierungsentwurf zum § 116 AFG orientiert sich an den sachlichen Notwendigkeiten und nicht an Wünschen von Interessengruppen, seien sie auch noch so stark. Wir unterstützten die Zielsetzung unserer Regierung.
Natürlich geht es uns nicht darum, die Kampfkraft einer Tarifpartei zu schwächen oder zu stärken. Gerade dies darf der Staat ja nicht, wenn er neutral ist und neutral bleiben will. Das ist es ja, was die Argumentation von DGB und SPD so unglaubwürdig macht. Wer Mittel der Nürnberger Bundesanstalt zur Stärkung seiner Kampfkraft beansprucht, mißbraucht sie, mißbraucht den Staat und verletzt die Neutralität.
({4})
Für ihre Kampfkraft und ihre Gewinnchancen haben die Tarifparteien alleine zu sorgen. Die Neutralitätspflicht muß vor dem Zugriff einseitiger Interessen geschützt werden;
({5})
denn der Verlust der staatlichen Neutralität hat unmittelbar den Verlust der Tarifautonomie zur Folge.
({6})
Meine Damen und Herren, hier geht es darum, daß sich weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer unrechtmäßig mit Mitteln zur Veränderung ihrer Kampfkraft zu Lasten eines anderen versorgen können. Das wäre das Ende der Tarifautonomie.
({7})
Wenn die Opposition hier im Hohen Hause und Teile der Gewerkschaften diese Diskussion so fortführen, als sollte ihnen ein berechtiger Anspruch weggenommen werden, so werden sie sich noch darüber wundern, welche Diskussion sie damit in der Arbeitnehmerschaft, aber auch in einer breiten
Hauser ({8})
Schicht der mittelständischen Unternehmer auslösen.
({9})
Sie tragen zur Gefährdung der Tarifautonomie bei, wenn Sie die Unterstützung tarifpolitischer Ziele durch staatliche Mittel fordern. Der Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Neutralität ist deshalb geradezu wesensnotwendig zum Schutz der Tarifautonomie.
({10})
Wenn Sie schon den Zusammenhang zwischen Neutralitätspflicht und Tarifautonomie nicht erkennen, so sollten Sie wenigstens endlich mit Ihrer unerhörten Beschuldigung aufhören, diese Koalition wolle das Streikrecht einschränken. Wir werden nicht das Streikrecht einschränken, sondern wir verweisen es in den Rahmen der Tarifautonomie, wo der Staat nichts zu suchen hat. Sie sollten endlich damit aufhören, diese verfassungsrechtlich und vor allem verfassungspolitisch gebotene Maßnahme der Neutralitätssicherung für Ihre demagogische Irreführung zu mißbrauchen.
({11})
Beteiligen Sie sich doch endlich an der Diskussion um die Sache, und beenden Sie diese Ihre Polemik! Sie geraten sonst in die Gefahr, Ihre unselige Tradition des Nein-Sagens aus den 50er Jahren hier wiederaufzuwärmen. Ich sage das so kurz nach dem Geburtstag des Kollegen Vogel nicht gerne: Er würde dann nicht als der Nachfolger Herbert Wehners in die Geschichte eingehen, sondern als der Ollenhauer der 80er Jahre.
Meine Damen und Herren, wenn Sie nicht in der Lage und bereit sind, eine Sachdiskussion zu führen, haben Sie auch kein Anrecht zu dieser Verdummung der Arbeiterschaft und der Offentlichkeit, die Sie im Augenblick betreiben.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Tischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben! Am 6. März sind es nun drei Jahre, lieber IG-Metall-Kollege Norbert Blüm, in welchen viele Kolleginnen und Kollegen draußen in den Betrieben und ich die Reden und Argumente angehört haben, die Sie - es wäre gut, wenn Sie zuhörten - als Bundesarbeitsminister, aber auch als Mitglied der IG Metall hier im Deutschen Bundestag vorgetragen haben. Viele Ihrer Reden waren ein Verschnitt aus Kumpel und Karneval. Sie waren rhetorisch so gezimmert, daß sie Ihnen nach Art und Umfang annähernd gleich hier im Bundestag kaum jemand nachmachen konnte. Dies hat Ihnen zumindest bei den Beschäftigten, die bislang nicht von einem Ihrer Gesetze betroffen worden sind, Sympathie eingebracht. Spätestens seit vergangener Woche, jenem Dienstag, an welchem die
CDU/CSU-Fraktion in intimer Zusammenarbeit mit der FDP beschlossen hat, dieses Antistreikgesetz in nur sieben Wochen durch den Bundestag zu peitschen, ist diese Sympathie für Sie, lieber IG-MetallKollege Norbert Blüm, kaputt. Spätestens seitdem muß jedem Menschen draußen an der Werkbank klar sein, daß es der IG-Metall-Kollege Norbert Blüm ist, der gemeinsam mit dem FDP-Wirtschaftsminister einen Gesetzentwurf geschaffen hat, welcher die Streikfähigkeit der Kolleginnen und Kollegen draußen in den Betrieben aus den Angeln heben soll.
({0})
Den Arbeitnehmern draußen hinter den Maschinen muß klar werden, daß es sich hierbei nicht um irgendeinen Paragraphen im Arbeitsförderungsgesetz handelt, der sowieso die wenigsten treffen würde; den Arbeitern draußen hinter den Maschinen
({1})
muß klar werden, daß sie dann kein Geld mehr vom Arbeitsamt bekommen, wenn in einem anderen Tarifbezirk gestreikt wird und ihr Arbeitgeber kalt aussperrt.
({2})
Jeder abhängig Beschäftigte weiß, wie weit es die Arbeitgeber 1984 in den fachlichen Tarifbezirken getrieben haben.
Um es noch konkreter zu machen, sei folgendes Beispiel genannt, Herr Kollege Cronenberg, weil Sie so schön protestieren: Als 1984 im Kampf um die 35-Stunden-Woche in Nordwürttemberg/Nordbaden und in Hessen gestreikt wurde, sperrten die Arbeitgeber in Hessen binnen kurzer Zeit 110 000 Arbeitswillige aus. Diese Leute wären nicht betroffen. Mit billigen Argumenten wurden 1984 dann in anderen Bundesländern 320 000 Menschen kalt ausgesperrt, mit den Argumenten: Material sei nicht mehr da, und man müsse Kurzarbeit beantragen.
({3})
Diese 320 000 Menschen haben 1984 Versicherungsgelder vom Arbeitsamt erhalten, die sie jeden Monat selbst mit dem Lohnbestandteil Arbeitgeberanteil eingezahlt hatten. Das war und ist deshalb in Ordnung, weil sie arbeitswillig waren und Ansprüche aus ihrer eigenen Versicherung geltend gemacht haben. Würde auf die Situation 1984 der heute vom IG-Metall-Kollegen Norbert Blüm vorgelegte Gesetzentwurf angewandt werden, würde dies zur Folge haben, daß diese 320 000 Menschen plus ihre Familienangehörigen - die werden hier in Zahlen nie genannt, aber diese Einzelschicksale sind hinzuzuzählen - ohne einen Pfennig Geld dastünden, weil sie nach diesem Gesetzentwurf keinen Anspruch auf Mittel der Bundesanstalt für Arbeit mehr hätten. Diese 320 000 Menschen müßten zum Sozialamt gehen, um sich dort Sozialhilfe zu erbetteln; etwas anderes ist der Weg zum Sozialamt
heute nicht mehr. Das Sozialamt wird den Betroffenen jedoch auferlegen, erst einmal ihr Sparschwein zu schlachten, bevor sie das Geld vom Sozialamt erhalten. Das - und nichts anderes - ist das Neutralitätsverständnis des IG-Metall-Kollegen Norbert Blüm.
({4})
Dieses Gesetz bedeutet, daß diese Bundesregierung und der IG-Metall-Kollege Norbert Blüm dem Starken den Prügel in die Hand geben, damit er die Schwachen erschlagen kann, wie es Franz Steinkühler gestern abend formuliert hat.
({5})
Wenn Sie sich, Herr Blüm, in Ihrer Rede auch noch so gedreht und gewendet und versucht haben, den Arbeitern draußen mit rhetorischen Tricks Sand in die Augen zu streuen, damit sie die Folgen nicht erkennen können, so ist es dennoch Tatsache, daß Sie die Gewerkschaften über hinterhältige Schleichwege ihrer Streikfähigkeit berauben, indem Sie die Gewerkschaften und die Betroffenen in ein finanzielles Fiasko treiben wollen.
({6})
Lassen Sie mich an folgenden Punkten belegen, wo Sie bis zum heutigen Tag die Unwahrheit gesagt oder mit der Wahrheit hinterm Berg gehalten haben.
Erstens. Die Bundesregierung und Sie, Herr Blüm, behaupten, daß der neu formulierte § 116 die Streikfähigkeit nicht berühren werde. Wahr ist jedoch, daß in der Satzung der IG Metall steht, daß sie verpflichtet ist, Gelder an jene Mitglieder zu zahlen, die in soziale Notlagen geraten. Allein über diese Achse und über die Art. 24 und 25 der Satzung wären die Gewerkschaften, wäre die IG Metall, um die es hier ja eigentlich geht, binnen kurzer Zeit bankrott.
Ein zweiter Punkt ist der, daß es heißt: kein Streikgeld aus fremden Taschen. Hier muß einmal klar und deutlich auf den Tisch gelegt werden, daß es sich hier nicht um eine gemeinsame Kasse und auch nicht um öffentliche Mittel handelt, sondern daß es sich um Geld handelt, das von Arbeitnehmern eingezahlt worden ist.
({7})
Auch der Arbeitgeberanteil, lieber Kollege Blüm - das wissen Sie ganz genau -, zählt zu den Lohnnebenkosten; das sagt der Name schon. Jedesmal, wenn es in Tarifrunden hineingeht, dann sind es doch gerade die Arbeitgeber, die dann das große Jammern anfangen, weil die Lohnnebenkosten zu hoch seien. Sie werden doch faktisch zum Lohn gerechnet. Insofern ist es ein Aberwitz, wenn die
Arbeitgeber auch noch in der Bundesanstalt für Arbeit paritätisch vertreten sind.
({8})
- Hören Sie erst einmal zu! - Hier muß die Frage diskutiert werden - das geht auch an die Adresse der Gewerkschaften -, ob es nicht klüger ist, daß die Bundesanstalt für Arbeit in die Selbstverwaltung der Versicherten überführt wird, damit diese darüber entscheiden können, was mit ihrem Geld geschieht.
({9})
Es spricht Spott und Hohn, wenn man im Zug und überall sonstwo die Flugblätter und in bombastischen Zeitungsanzeigen die Artikel der Arbeitgeberverbände, des VMI sieht, in denen man die Arbeitnehmer verdummt, in denen man erklärt, es seien Mittel, die allen gehörten. Dabei sind es die Mittel der Arbeitnehmer!
({10})
Die GRÜNEN haben bereits vor einem Jahr den Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Aussperrung vorgelegt.
({11})
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, in dem dieses Gesetz im Ausschuß diskutiert werden muß und parallel zum § 116 durchgesprochen werden sollte; denn hier liegt der Kern des Problems. Wenn man hier über § 116 spricht, so dürfen vor allem Sie, Kollege Blüm, nicht daran vorbeireden, daß es sich hier um den Kern des Problems der kalten und der heißen Aussperrung handelt; das wissen Sie ganz genau. Täuschen Sie die Bevölkerung nicht über diesen Punkt! Gehen Sie hier konkret auf das Problem zu, und streuen Sie den Arbeitnehmern in den Betrieben nicht Sand in die Augen, wie Sie es bisher gemacht haben!
Die GRÜNEN - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - rufen hiermit auch die grün-alternative Bewegung auf, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und mit den Gewerkschaften gegen diese Gesetzesänderung anzugehen und die Aktionen der Gewerkschaften zu unterstützen.
Wir finden es gut, ich finde es gut, was heute morgen vor dem Bundestag stattgefunden hat: Eine Gruppe von Studenten hat Flugblätter verteilt - sie wurde von der Polizei später abgeführt - und gegen die Änderung des § 116 demonstriert. Wir sehen an diesem Punkt, daß es nicht nur die Arbeitnehmer sind, die gegen dieses Gesetz anlaufen, sondern daß hier eine Solidaritätsbewegung im Gang ist, die sich hoffentlich noch wesentlich verstärken und auch verschärfen wird.
({12})
Der Punkt, den Sie sich noch fragen lassen sollen, ist der, daß die Sozialausschüsse sich einmal die Situation überlegen und vor allem bedenken sollten, was mit den CDA-Leuten in nächster Zeit in den Betrieben passiert und vor allem bei der DGBBundesvorstandswahl im Herbst passiert. Ich glaube, Sie schaufeln sich für die eigenen Leute das eigene Grab, indem die Herbstwahlen im DGB-Bundesvorstand sehr schlecht für Sie aussehen werden. Lassen Sie es nicht so weit kommen, Herr Blüm, bis die IG-Metall-Kollegen in Betrieben massenweise Ausschlußanträge gegen Sie stellen.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht ist die Hoffnung nach den Beiträgen, die wir hier zuletzt gehört haben, müßig, daß man sich noch einmal eigentlich über das unterhalten sollte, worum es hier geht.
({0})
Ich will trotzdem nochmals den Versuch machen, und zwar weil ich glaube, daß es nicht nur dieser Debatte, sondern auch der Diskussion außerhalb dieses Hauses dienen muß, wenn wir den Versuch machen, sie auf das zurückzuführen, was den Kern dieser Gesetzesänderung ausmacht.
Zunächst einmal ist - auch in der ganzen Diskussion - unstrittig, daß an diejenigen, die selber streiken, kein Arbeitslosengeld gezahlt wird. Unstrittig ist auch - und das stellt der Gesetzentwurf zum erstenmal im Text selbst klar -, daß außerhalb eines Fachbereichs immer Arbeitslosenunterstützung gezahlt wird, auch dann, wenn jemand mittelbar arbeitslos wird. Das war auch unstrittig. Es wird aber im Gesetz festgeschrieben und klargestellt, und ich halte das für eine Verbesserung im Sinne der Arbeitnehmer.
({1})
Unstrittig ist auch - jedenfalls für diejenigen, die lesen können und lesen wollen; das sage ich vor allen Dingen auch Herrn Glombig -, daß an der Regel festgehalten wird, daß jemand auch dann, wenn er mittelbar arbeitslos wird, im allgemeinen einen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung hat. Ich möchte darauf verweisen, daß in der Begründung zum Gesetz auf Seite 10 unter dem Buchstaben b zu dem hier einschlägigen § 116 Abs. 3 folgendes wörtlich ausgeführt wird:
Arbeitslose, die durch mittelbare Auswirkungen eines Arbeitskampfes arbeitslos geworden sind, sollen wie nach geltendem Recht im allgemeinen Arbeitslosengeld erhalten.
Das muß also auch unstrittig sein - es ist falsch,
wenn Herr Glombig hier sagt, daß wir die Regel zur
Ausnahme werden lassen wollten -, daß in der Regel auch diejenigen, die durch Auswirkungen in einem anderen Tarifbereich in ihrem eigenen Unternehmen keine Arbeit mehr haben, Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben.
({2})
- Das ist so wahr, und das weiß auch jeder, der anständig und vernünftig diskutiert.
({3})
- Wenn es Ihnen wirklich um den sozialen Frieden ginge, dann würden Sie nämlich um das diskutieren, was hier vorgeschlagen wird, und nicht um Ihre Phantome und Gespenster, die Sie immer beschreiben.
({4})
Es ist vollkommen klar, daß selbst für den Fall, daß jemand in einem anderen Tarifgebiet und im selben Fachbereich - wie ich nochmals sage - mittelbar arbeitslos wird, die Betroffenheit des einzelnen, d. h. sein Interesse am Ausgang des Streiks in einem anderen Tarifgebiet, nach wie vor vorhanden sein muß. Das heißt: Wenn eben nach Art und Umfang nicht annähernd eine gleiche Forderung erhoben wird, bekommen alle Arbeitnehmer, die in einem anderen Tarifbereich, aber in der gleichen Branche mittelbar arbeitslos werden, nach wie vor Arbeitslosenunterstützung.
({5})
- Das ist alles nicht eine Darstellung dessen, was ich mir persönlich vorstelle, sondern das ist der Inhalt des Gesetzes.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kirschner?
Nein!
({0})
Ich hätte das sehr gerne gemacht, wenn Herr Glombig meinen Kollegen Cronenberg, der bekanntermaßen zu denen gehört, die an einer sachlichen Debatte interessiert sind, nicht so abgefertigt hätte, wie er das gemacht hat.
({1})
Worum geht es also wirklich? Es geht einzig und allein
({2})
um die Klarstellung der Neutralität des Staates im Arbeitskampf. Nichts anderes hat auch der Gesetzgeber 1969 gewollt. Deswegen ist es schon ein wenig makaber, wenn man die Geschichte dieses Paragraphen im Arbeitsförderungsgesetz betrachtet, daß heute das, was die SPD damals mit als ihr Haupt15164
ziel ansah, nicht mehr wahr sein soll. Damals ging es der SPD um die Neutralität des Staates. Also kann sich doch das Ziel eines solchen Paragraphen nicht verändert haben. Statt dessen müssen wir nach wie vor davon ausgehen: Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, diese Neutralität des Staates herzustellen.
({3})
Wenn ich das sage, wende ich mich auch gegen alle diejenigen, die dem Parlament das Recht absprechen wollen, diese Zweifelsfrage zu klären. In welchem Staate leben wir denn, wenn in einer parlamentarischen Demokratie ein Parlament nicht das Recht hat, eine solche Frage zu klären? Das Parlament hat nicht nur das Recht, es hat die Pflicht, eine solche Frage zu klären.
({4})
Schon damals wurde in der Begründung mit Recht gesagt: Der Staat kann nicht durch Gewährung von Kurzarbeitergeld Schwerpunktstreiks fördern, mit deren Hilfe kleine Gruppen ganze Wirtschaftsbereiche lahmlegen können. Daß sich das heute gegenüber 1969 nicht verändert hat, sondern daß die Verflechtung der Wirtschaft zugenommen hat, bedarf ja wohl keiner Begründung. Wer einen Streik bewußt so anlegt - es ist ja nun auch keine Erfindung einer Regierung oder einer Regierungskoalition, die angeblich irgendwelchen Interessen oder ausschließlich diesen Interessen verpflichtet ist ({5})
und das sogar öffentlich als Taktik diskutiert und sich stolz damit brüstet, daß er durch die Verflechtung der modernen Wirtschaft eine Möglichkeit hat, mit minimalem Einsatz maximale Wirkungen zu erzeugen - das hat doch die IG Metall selber vor der Öffentlichkeit so gesagt -, fordert den Gesetzgeber heraus, die Neutralität des Staates wiederherzustellen.
({6})
Wenn man davon ausgeht - ich sehe davon ab, daß die Anstalt von Zeit zu Zeit Zuschüsse der Steuerzahler in Anspruch genommen hat; das läßt sich nicht bestreiten;
({7})
- auch das läßt sich nicht bestreiten -, daß der Regelfall der ist, daß sich die Anstalt durch die Beiträge finanzieren muß, bleibt immer noch, daß diese Beiträge nicht freiwillig, sondern zwangsweise von allen entrichtet werden müssen, und es bleibt immer noch, daß der Staat deswegen eine Verantwortung für die Neutralität der Verwendung dieser Mittel hat, denn es kann doch nicht im Sinne eines Beitragszahlers liegen, daß die Beiträge, die er entrichtet hat, um für den Fall der Arbeitslosigkeit Unterstützung zu bekommen, zur Bezahlung eines Streikes zweckentfremdet werden. Das ist nicht im Sinne von Arbeitnehmern.
({8})
Warum ist eine gesetzliche Regelung nötig?
({9})
Die Landessozialgerichte Darmstadt und Bremen haben, indem sie die Arbeitsämter zur Zahlung zwangen, die Rechtslage ausgelegt, wie das ein Gericht tun muß. Sie haben sie aber so ausgelegt, wie sie dem Willen des Gesetzgebers von 1969 nicht entsprach. Man kann der Begründung sehr klar entnehmen: Der Gesetzgeber von 1969 wollte auschließen - das steht übrigens auch im Gesetzestext -, daß durch Leistungen der Anstalt ein Arbeitskampf beeinflußt wird.
Genau dieses Ziel ist in dem alten § 116 offenbar nicht so eindeutig ausgedrückt worden, daß die Gerichte bei ihren zulässigen Interpretationen den Willen des Gesetzgebers auch wiedergegeben haben.
Das ist der Grund, warum Norbert Blüm mit Recht davon spricht, daß wir hier eine Klarstellung des Gesetzestextes vornehmen müssen. Es geht um nichts anderes, als den Willen des Gesetzgebers, der schon 1969 bestand, so klar im Gesetzestext wiederzugeben, daß sich die Gerichte bei ihren Interpretationen an diesen Willen gebunden fühlen müssen. Das ist alles, was wir hier machen.
({10})
Nun sagen die Kollegen von der Opposition - ({11})
- Mein Gott, sind Sie schon empfindlich geworden! Ich sage kaum: „Nun sagen die Kollegen von der Opposition", da fangen Sie schon an zu heulen!
({12})
Nun sagen die Kollegen der Opposition: Es werden hier unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet. Meine Damen und Herren, das ist so ähnlich, als wenn ein Märchen erzählt wird, bei dem in dem dunklen, finsteren Wald die unbestimmten Rechtsbegriffe hausen. Wenn Sie einen solchen Fall oder andere Fälle in den Gesetzen regeln wollen und nicht auf irgendeinen Sachverhalt rekurrieren können, den Sie mit Begriffen aus dem Bereich der Naturwissenschaft beschreiben können - soundsoviel Meter, diese oder jene Temperatur -, wenn Sie also einen sozialen Sachverhalt regeln wollen, dann müssen Sie - das muß ich einem Einser-Juristen ja wohl nicht
erzählen - unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden. Das ist überhaupt nichts Unnormales.
({13})
- Der Kollege Detlef Kleinert klatscht in Erwartung dessen, was ich sage, mit Recht voraus. - Das ist die normale Aufgabe des Gesetzgebers.
({14})
Meine Damen und Herren, die Neutralität des Staates ist in der Tat - da hat Herr Hauser völlig recht - eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren der Tarifautonomie.
({15})
Wenn es in unserem Land weitblickende Gewerkschaftler geben sollte, dann müßten sie sich jetzt melden und müßten dafür sorgen, daß der Staat in einem Arbeitskampf neutral bleibt; denn wenn der Staat in einem Arbeitskampf nicht mehr neutral bleibt, ist der Anfang eines Weges beschritten, an dessen Ende auch freie Gewerkschaften keinen Raum mehr hätten. Das ist das eigentliche Problem.
({16})
- Frau Präsidentin, da ich von der Fraktion der GRÜNEN bisher nicht gehört habe, daß sie meine Fraktionskollegen so behandelt haben, wie das die Kollegen der SPD getan haben, bin ich gern bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten.
Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Suhr.
Herr Minister, fanden Sie eigentlich damals die Neutralität des Staates gewahrt, als der Bundeskanzler in den Kampf um die Arbeitszeitverkürzung eingegriffen und die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung als „absurd, dumm und töricht" bezeichnet hat? Das ist immerhin eine Forderung, die bis heute Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen hat
({0})
und ein Drittel des sogenannten Aufschwungs ausmacht.
({1})
In der Einschätzung dieser Maßnahme und ihrer Auswirkungen gebe ich Ihnen selbstverständlich nicht recht, wie Sie sich denken können.
({0})
Im übrigen muß ich Ihnen sagen: Es gibt natürlich schon einen Unterschied zwischen der Zahlung von Geld und der dadurch geschaffenen Möglichkeit, einen Streik länger oder kürzer anzulegen, und einer politischen Kommentierung. Wenn es das gute Recht von Gewerkschaften ist - das nehmen sie ja für sich in Anspruch -, den demokratischen Charakter beispielsweise des Regimes in Nicaragua oder irgendeine andere Entwicklung auf der Welt zu beurteilen, dann ist es doch wohl selbstverständlich, wenn ein verantwortlicher Politiker darauf aufmerksam macht, welche wirtschaftspolitischen Konsequenzen bestimmte Streiktaktiken und -ziele haben.
({1})
Meine Damen und Herren, freie und autonome Gewerkschaften kann es nur geben, wenn sie auch bereit sind, die finanziellen Risiken von Arbeitskämpfen auf sich zu nehmen.
({2})
Eine gesetzliche Regelung ist deshalb notwendig, weil eine Regelung durch die Tarifpartner in eigener Verantwortung durch die Sachgegensätze erschwert worden ist. Einem Richter ist ja auch gar keine Grundlage gegeben, in einem zur Entscheidung anstehenden Fall darüber zu richten, ob jemandem die Arbeitslosenunterstützung zu Recht oder zu Unrecht verwehrt worden ist. Ein Richter muß nach Recht und Gesetz handeln, und er muß einen klaren § 116 vorfinden. Deswegen hat Norbert Blüm völlig recht, wenn er sagt: Es liegt im Interesse der Arbeitslosen, wenn der § 116 so klar ist, daß sie wissen, worauf sie Anspruch erheben können.
({3})
Meine Damen und Herren, es sind im wesentlichen zwei Elemente, die wir hier klarstellen müssen. Zum einen wird durch die Forderung, den Text so zu ändern, daß nach Art und Umfang eine erhobene Hauptforderung annähernd gleich sein muß, wenn eine Betroffenheit vorliegen soll, deutlich gemacht, daß Identität nicht gefragt ist. Das ist doch nun wirklich blauäugig. Glauben sie denn, daß es eine Gewerkschaft auf der Welt gäbe, die es nicht mit Leichtigkeit sondergleichen fertigbrächte, in zwei Tarifgebieten unterschiedliche Forderungen zu erheben, also in dem Sinne, daß die Forderungen insgesamt nicht identisch sind! Es ist doch blauäugig, anzunehmen, daß eine solche Einladung von den Gewerkschaften nicht aufgegriffen würde und zu einem Ergebnis führte, das wir heute haben. Wer die „Minimax"-Strategie ins Gesetz festschreiben will, der gefährdet den sozialen Frieden in der Bundesrepublik.
({4})
Wer das verhindert, wer Waffengleichheit herstellt, auf die beide, Gewerkschaften wie Arbeitgeber, Anspruch haben, der hat einen Beitrag zum sozialen Frieden geleistet, auch wenn das in dieser aufgeregten Debatte manchmal so nicht zum Ausdruck kommt.
Aber die Form der Auseinandersetzung und auch die Art und Weise, in der sie bisher - nicht von allen, aber doch von einigen Gewerkschaften - geführt worden ist, macht viele Bürger viel nachdenklicher als ein gründliches Studium von Gesetzestexten,
({5})
weil derjenige, der in einer tätlichen Auseinandersetzung oder mit Psychoterror über Mahnwachen oder ähnliches, Bürger daran hindern will, zum vernünftigen Nachdenken über einen Gesetzestext zu kommen, seinen Interessen am meisten schadet.
({6})
Meine Damen und Herren, wir haben übrigens auch klargestellt - auch das muß man einmal sagen, weil es die Gewerkschaften nicht tun -, daß für den Fall, daß ein Betrieb durch den Streik in einem anderen Tarifgebiet keine Arbeit mehr hat, die Ursächlichkeit dieser Betriebsstillegungen nachgewiesen und glaubhaft gemacht werden muß und daß der Betriebsrat das Recht hat, dazu eine Stellungnahme abzugeben.
({7})
- Wenn Sie das noch nicht gefunden haben, wenn Sie nicht wissen, wo das steht, dann sollten Sie wirklich erst einmal den Gesetzestext lesen, bevor Sie hier Diskussionen veranstalten.
({8})
Da gilt der alte Spruch, den auch Detlef Kleinert kennt: Ein Blick in den Gesetzestext vertieft die Rechtskenntnisse.
({9})
Meine Damen und Herren, von einem Angriff auf das Streikrecht kann überhaupt keine Rede sein. Dies ist ein Beitrag zur Klarstellung eines Gesetzestextes, der ganz offenbar von den Gerichten anders interpretiert wird, als der Gesetzgeber ihn gewollt hat. Dies ist ein Beitrag zur Aufrechterhaltung eines sozialen Friedens, auf dem bisher sicherlich sehr viel mehr in der Bundesrepublik ruhte als nur wirtschaftliches Wohlergehen und die Entwicklung unserer Wirtschaft. Wenn wir diesen sozialen Frieden erhalten wollen, dann brauchen wir selber die Klarheit, die manchmal etwas Mut voraussetzt, die aber am Ende immer noch mehr für den sozialen Frieden geleistet hat als eine Dramatisierung, als eine Verleugnung eines Problems und als eine Aufblähung eines Konflikts, der in Wahrheit in einer Demokratie sehr vernünftig und ordentlich gelöst werden kann.
Diese Regierung und die Fraktionen der Regierungskoalition werden ihren Beitrag dazu leisten. Wir hoffen, daß das in den Beratungen gelingt, die ohne jede Hast und mit Gründlichkeit und Sauberkeit durchgeführt werden können. Und wir hoffen, daß jemand bei Beibehaltung des Zieles, die Neutralität der Anstalt zu sichern, noch bessere Gesetzestexte vorlegt. Dazu ist jeder eingeladen. Aber an dem Ziel, durch eine Klarstellung des § 116 die Neutralität der Anstalt zu sichern, werden wir festhalten, und an diesem Ziel werden wir jeden Formulierungsvorschlag messen.
({10})
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der zur ersten Beratung im Bundestag anstehende Gesetzentwurf der CDU/CSU/FDP-Koalition ist mit dem erklärten Ziel eingebracht worden - wir haben das gerade wieder gehört -, damit solle Rechtsklarheit geschaffen werden.
Die Tinte der Unterschrift des verantwortlichen Arbeitsministers ist noch nicht trocken und die Druckerschwärze dieses Gesetzentwurfs noch feucht, da bescheinigen prominenteste Christdemokraten dem Blümschen Gesetzentwurf das Gegenteil von Klarheit, nämlich rechtliche Unklarheit, die nur durch Einzelfallentscheidung beseitigt werden könne. Und gleichzeitig fügen sie das neue Zauberwort an: die Schiedsstelle.
Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, meine Damen und Herren, daß Sozialausschußmitglieder der CDU nach diesem Strohhalm greifen, der Vorsitzende Blüm von einem interessanten Gedanken spricht und die Beamten des Bundesarbeitsministeriums bereits Prüfarbeiten durchführen müssen.
({0})
Die Tragik besteht nämlich darin, daß derselbe Vorsitzende Blüm in der Rolle des amtierenden Arbeitsministers mit seinem Gesetzentwurf seine Mißachtung berufenen Schiedsstellen unserer Verfassung, den Sozialgerichten und dem Bundessozialgericht gegenüber dokumentiert hat.
({1})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wenn eine ganze Bundesregierung der Dritten Gewalt als Schiedsstelle nicht traut, wieso kommen Sie eigentlich, Herr Blüm, auf die Idee, die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften würden ausgerechnet einer von Ihnen geschaffenen Schiedsstelle trauen?
({2})
Täglich neu stellen sich viele Bürger die Frage: Was treibt diese Regierung und ihre Fraktionen?
({3})
Organisierte und unorganisierte Arbeitnehmer, eine wachsende Zahl von Bürgern, die den Gewerkschaften eher distanziert gegenüberstehen, suchen nach Motiven. Was bringt diese Regierung zu dieser neuerlichen Offensive gegen Arbeitnehmerrechte?
Vor mehr als einem Jahrzehnt haben die Gewerkschaften einen Kompromiß geschlossen.
({4})
Bundesregierung und Arbeitgeber, die Gerichte - niemand hat bis zum Jahre 1984 irgendeinen wirklichen Handlungsbedarf gesehen.
({5})
Wie denn auch? In allen großen Industrieländern gingen und gehen viel mehr Arbeitstage durch Streiks verloren als bei uns, obwohl wir in der Aussperrungsstatistik allerdings einen traurigen Spitzenplatz haben. Arbeitgeber haben immer viel mehr Arbeitnehmer ausgesperrt, als von der Seite der Arbeitnehmer am Streik beteiligt waren.
Es sind die gewachsenen Verflechtungen der Unternehmen, meine Damen und Herren, die zu immer größeren Fernwirkungen von Aussperrungen geführt haben.
({6})
Und es ist allein die Verantwortung der Unternehmen, wenn sie ihre Lagerhaltung auf wenige Tage, zum Teil auf einen Tag reduzieren.
({7})
1984 haben gut 50 000 Metallarbeiter gestreikt, aber dreimal so viel wurden im umstrittenen Tarifgebiet ausgesperrt. Mit anderen Worten: 75% der Verantwortung für die Fernwirkungen der Arbeitskämpfe haben sich allein die Arbeitgeber zuzuschreiben, meine Damen und Herren.
({8})
350 000 unbeteiligte Arbeitnehmer,
({9})
zusätzlich die Familienangehörigen, mußten 1984 die völlig überzogene Aussperrungspraxis der deutschen Arbeitgeber aushalten; und sie mußten völlig unzureichende Lagerhaltung ausbaden. Von dem rechtswidrig vorgetäuschten Nachschubmangel in etlichen Fällen will ich gar nicht reden.
({10})
Die Freiheit des einzelnen Arbeitnehmers, auf der die Arbeitgeber im Streikfalle so sehr bestehen, wird im Aussperrungsfalle mißachtet. Nicht Streikende werden dann auf die Straße gesetzt, um den Streikwillen der Streikenden zu brechen. So werden Nichtbeteiligte gegen ihren Willen in die Auseinandersetzung als Mittel zum Zweck einbezogen.
({11})
Diese Sätze, meine Damen und Herren, schrieb Norbert Blüm 1979.
({12})
Sechs Jahre später will der gleiche Mann Nichtbeteiligten, die nach seiner eigenen Erkenntnis „in die Auseinandersetzung als Mittel zum Zweck einbezogen" wurden, ihre Ansprüche auf Unterstützungsleistungen per Gesetz wegnehmen. Das ist das Faktum, meine Damen und Herren!
({13})
Dagegen wehren sich Arbeitnehmer, dagegen wehren sich Gewerkschaften, und dagegen wehrt sich auch die deutsche Sozialdemokratie.
({14})
Herr Blüm, eine Ihrer jüngsten Überreaktionen ließen Sie durch eine Zeitschrift verbreiten. „Was ich wirklich unterschätzt habe", erklärten Sie, „ist das Verleumdungspotential im Deutschen Gewerkschaftsbund."
({15})
Dieser Amoklauf, Herr Blüm, macht deutlich, daß Sie mittlerweile der Gefangene Ihrer Auftraggeber sind. Herr Blüm, wenn den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern ein Vorwurf zu machen wäre, dann der, daß Sie unterschätzt haben, zu welchen Wandlungen ein Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse fähig ist, wenn er in der CDU Karriere machen will.
({16})
Diesen Vorwurf kann man den deutschen Gewerkschaften machen. Herr Blüm, was Sie in Wahrheit unterschätzt haben, ist die Fähigkeit der Arbeitnehmer, der Arbeiter, der Angestellten und der Beamten, Ihre noch so komplizierten Versuche, durch Gesetzestechniken ihre Rechte zu beschneiden, zu durchschauen.
({17})
Die Begründung dafür haben Sie 1979 - ebenfalls in Ihrem Buch - der Nachwelt hinterlassen. „Der Streik entstand", schreibt Blüm, „als ein Instrument, das überhaupt erst die materielle Vertragsfreiheit der Arbeitnehmer sicherstellte."
({18})
Das, was Ihnen, Herr Blüm, noch 1979 klar war, wissen die Arbeitnehmer 1986 immer noch.
Weil Ihr Buch so aufschlußreich ist, wollen wir uns einer weiteren interessanten Stelle zuwenden: „Erst die Streikdrohung der Arbeitnehmer beförderte sie in die Position eines gleichgewichtigen Vertragspartners und gab so der Koalitionsfreiheit ihren praktischen Sinn", schrieb Norbert Blüm.
({19})
Richtig, Herr Bundesarbeitsminister. Wir sind am Punkt. Die Streikdrohung bedingt die Streikfähigkeit. Genau diese Streikfähigkeit wollen Sie den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaftn nehmen.
({20})
Wenn eine Gewerkschaft zehn Jahre lang ihre gesamten Überschüsse
({21})
ansparen muß, um fünf Tage Aussperrung zu überstehen, dann ist die Streikfähigkeit mindestens in Frage gestellt, meine Damen und Herren.
({22})
Sie wollten Argumente, Herr Blüm. Reichen Ihnen Ihre eigenen Aufsätze und die gewerkschaftliche Wirklichkeit, um über Ihre Position nachzudenken? Es ist nämlich kein Kunststück, in Interviews, ohne korrigiert werden zu können, Plattheiten wie: „Die Arbeiter werden belogen, daß sich die Balken biegen" zu formulieren.
({23})
Das Forum des Bundestages ist anders strukturiert. Hier wird nachgefragt. War Ihr Buch 1979 eine Lüge?
({24})
Sind Ihre Thesen von 1979 Hetze, Herr Blüm? Dieses wirklich interessante Buch von Norbert Blüm bringt nämlich die Argumente der Gegner dieses Gesetzentwurfs auf den Punkt.
({25})
Blüm schrieb:
Nur wenn die Tarifpartner mächtig genug sind, den Gegenspieler zur Verhandlung zu zwingen, sind sie tariffähig.
({26})
Richtig!
Ohne Streikbereitschaft fehlt der Tarifautonomie der Einigungszwang der Partner. Die Streikfähigkeit ist damit Bestandteil der Tarifautonomie.
Wo, Herr Blüm, liegen die Gründe dafür, daß Sie diese Sätze aus Ihrem politischen Handeln - übrigens auch aus Ihren Reden - gestrichen haben?
({27})
Herr Blüm, nehmen Sie endlich Ihre kohlrabenschwarze Brille ab. Dann gewinnen Sie vielleicht den Blick für die Wirklichkeit wieder.
({28})
Die Wirklichkeit, meine Damen und Herren, das ist erstens ein Gesetzentwurf, der unbeteiligten Arbeitnehmern und ihren Familien den Schutz der von ihnen Monat für Monat finanzierten Arbeitslosenversicherung nehmen will.
({29})
Sie sollen für eine Unternehmerstrategie haften, die ihre Vorratshaltung teilweise weniger verantwortungsvoll handhabt als jede Hausfrau
({30})
und die der kalten Aussperrung, der illegalen Solidaritätsaussperrung, Tür und Tor öffnet.
({31})
Die Wirklichkeit ist zweitens, meine Damen und Herren, ein Gesetzentwurf, an dessen Ende die völlige Neuordnung unseres sozialen Gefüges stehen kann. Den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften soll die wirkliche Fähigkeit zum Arbeitskampf und damit die Fähigkeit genommen werden,
({32})
mit Nachdruck ihrem Auftrag der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse nachzukommen.
({33})
Am Ende stünde nicht nur das Problem, Forderungen nicht mehr durchsetzen zu können, nein, es stellt sich zusätzlich die Frage, wer alle Arbeitnehmer noch davor schützen soll, wenn in Tarifverhandlungen die Forderungen nach dem Abbau tariflicher Leistungen und tariflicher Einkommen gestellt werden.
({34})
Das ist die Wirklichkeit.
({35})
Für das, was in diesen Wochen in diesem unserem Land geschieht, tragen ganz allein Sie die Verantwortung. Kein objektiver Tatbestand hat Sie gezwungen, eine in mehr als zehn Jahren bewährte Regelung aufzugeben.
({36})
Dieser Gesetzentwurf ist der vorläufige Höhepunkt in einer schon langen Reihe arbeitnehmerfeindlicher Gesetze, die Sie zu verantworten haben.
({37})
Meine Damen und Herren, als wir vor wenigen Monaten Herrn Scharrenbroich hier begrüßt haben, habe ich ihn anläßlich einer Plenarsitzung darauf
vorbereitet, daß für die Vertreter von Arbeitnehmerinteressen bei dieser Regierung kein Blumentopf zu holen ist.
({38})
Ich hatte nicht geglaubt, daß Herr Scharrenbroich das schon in fünf Monaten restlos begriffen hat. Speziell für Sie, Kollege Scharrenbroich, möchte ich einen schönen Satz vorlesen:
({39})
„Eine Änderung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz, die darauf abzielt, die Koalitionsfreiheit und die Tarifautonomie zu untergraben und die Streikfähigkeit der Gewerkschaften zu beeinträchtigen, wird abgelehnt."
({40})
- Das ist wörtlich, Herr Kollege Scharrenbroich, Ihr Beschluß vom 30. November 1985.
({41})
Diesem Beschluß, Kollege Scharrenbroich, schließe ich mich an.
({42})
Deshalb sage ich Ihnen: Koalitionsfreiheit, Herr Scharrenbroich, Tarifautonomie, Einheitsgewerkschaften, soziale Stabilität, das sind für uns keine Papiertiger, die man nur auf das Papier schreibt, aber für die man keine politischen Voraussetzungen zu schaffen gedenkt,
({43})
oder die man da, wo die politischen Voraussetzungen gegeben sind, auf eine ganz miese Tour wegnehmen will. Für uns sind das entscheidende Bestandteile eines demokratischen und sozialen Rechtsstaats. Das werden wir Ihnen immer wieder verdeutlichen. Nachdem 60 % der Bevölkerung diese Auffassung von uns und die Auffassung der Gewerkschaften teilen, werden wir es nicht aufgeben, Ihnen, meine Damen und Herren, in den kommenden Beratungen immer wieder klarzumachen, daß Sie einen für diese Gesellschaft gefährlichen Weg gehen.
Ich danke Ihnen.
({44})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die bisherigen Auftritte der Opposition ansehe, gerade die letzte Rede,
({0})
dann muß ich feststellen: Wir haben heute nur Polemik, Schlagworte und nachts zum Inhalt des § 116 gehört.
({1})
Herr Kollege Dreßler, es gibt ein altes Sprichwort: Schlagworte sind die Stärke der Schwachen. Diese Opposition ist nicht nur schwach, sie ist auch doppelzüngig:
({2})
Draußen tritt ihr Kanzlerkandidat mit dem Wort von der Versöhnung auf, und hier tut sie nichts anderes, als die Menschen gegeneinander aufzuhetzen.
({3})
Der Inhalt dieses § 116 ist ohne Zweifel schwierig, und ich habe in vielen Diskussionen selbst festgestellt, daß oft auch DGB-Funktionäre über den Inhalt dieses Paragraphen nicht oder nur unzureichend informiert sind. Ich werfe es der Opposition nicht vor, wenn sie hier eine schwierige Frage diskutiert, aber ich halte der Opposition sehr wohl vor, daß sie die Schwierigkeit einer Materie dazu benutzt, mit Unterstellungen, Verdrehungen und Unwahrheiten die Menschen aufzuputschen und diese Frage auf dem Rücken der Arbeitnehmer zu diskutieren.
({4})
Ich meine, es ist höchste Zeit, daß man wieder einmal feststellt,
({5})
um was es bei diesem § 116 eigentlich geht.
({6})
Das ist die Grundfrage:
({7})
Unter welchen Voraussetzungen kann der Staat unter Berücksichtigung seiner Neutralitätspflicht im Falle des Arbeitskampfes Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gewähren? Dies ist der einzige Inhalt des § 116,
({8})
und deshalb ist dieser § 116 kein Streikparagraph, sondern ein Neutralitätsparagraph.
({9})
Jetzt schauen wir uns doch einmal die sechs Fälle an, die der § 116 regelt. Dann werden Sie, meine Damen und Herren, sehr schnell feststellen, daß wir hier weitgehend eine Phantomdiskussion führen und daß in den allermeisten Fällen Konsens zwi15170
schen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Bundesregierung besteht.
Da ist der Fall 1, daß derjenige, der selbst streikt, keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten kann. Das war bisher so, das ist im neuen Gesetzentwurf so, und es ist unumstritten. Fall 1: völliger Konsens.
Dann gibt es die mittelbar Betroffenen. Das sind die Arbeitnehmer, die selbst nicht streiken, aber infolge eines Streiks arbeitslos werden oder kurzarbeiten müssen.
({10})
Da gibt es den Fall 2, daß der mittelbar betroffene Arbeitnehmer, der einem anderen Fachbereich angehört, in jedem Fall Leistungen erhält. Dies ist eine Klarstellung zugunsten der Arbeitnehmer, die in dieser Form bisher nicht im Gesetz stand,
({11})
und es ist eine Klarstellung, die unumstritten ist.
Beispiel: Wenn in der Automobilindustrie gestreikt wird und wenn deshalb Arbeitnehmer in der Reifenindustrie, also im Chemiebereich, arbeitslos werden, wird in jedem Fall gezahlt, weil es sich um einen anderen Fachbereich handelt.
({12})
Fall 2: keine Änderung, völliger Konsens.
Fall 3: Der mittelbar betroffene Arbeitnehmer gehört zum räumlichen und fachlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages, sprich: In Bayern wird bei den Metallern gestreikt, dann bekommen alle Metaller in Bayern keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Dies war bisher so, ist auch im neuen Gesetzentwurf so und ist zwischen den Tarifpartnern und der Bundesregierung unumstritten. Fall 3: keine Änderung, völliger Konsens.
Jetzt gibt es noch die mittelbar betroffenen Arbeitnehmer innerhalb des gleichen Fachbereichs, die aber nicht einem Betrieb, der im Kampfgebiet liegt, angehören. Beispiel: In Bayern wird im Metallbereich gestreikt; in Baden-Württemberg werden infolge dieses Streiks die Metaller arbeitslos. Es geht um einen Fachbereich, aber um zwei verschiedene Tarifgebiete.
Da ist der Fall 4: Wenn in den beiden verschiedenen Tarifgebieten - z. B. in Bayern und in Baden-Württemberg -, aber im gleichen Fachbereich Metall völlig identische Forderungen - z. B. 35Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich - erhoben werden, wird nie gezahlt. Dies war in der Vergangenheit so, bleibt in der Zukunft unverändert und ist unumstritten. Völliger Konsens.
Dann kommt Fall 5. Wenn nun in Bayern und Baden-Württemberg völlig unterschiedliche Forderungen gestellt werden, dann wird in jedem Fall bezahlt. Das war bisher so, ist auch nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung künftig so, ist unumstritten.
({13})
Fall 5: völliger Konsens.
Jetzt kommt der Fall 6, wenn in Bayern und Baden-Württemberg annähernd gleiche Forderungen erhoben werden. Dies ist der einzige Streitpunkt, obwohl das Recht durch den Fall sechs nicht geändert wird, es wird nur der gesetzgeberische Wille aus dem Jahre 1969 verdeutlicht.
({14})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage.
Nein.
({0})
Der gesetzgeberische Wille wird verdeutlicht, es wird inhaltlich-materiell nichts verändert. Dies ist aber der einzige Punkt, der in der Praxis strittig ist.
({1})
Nun stelle ich als erstes fest: Von sechs möglichen Fallgestaltungen ist eine einzige zwischen den Tarifpartnern und der Bundesregierung umstritten. Wir werden diesen einzigen Fall, auch wenn es sich nur um einen Fall handelt, sehr sorgfältig bei den weiteren Gesetzesberatungen prüfen. Ich bin der Bundesregierung dankbar, daß sie für Verbesserungsvorschläge offen ist.
({2})
Aber ich meine feststellen zu müssen, wenn es bei sechs Fallgestaltungen um nur einen kritischen Punkt geht, dann ist es einfach die Unwahrheit, ja, eine Verdummung der Arbeitnehmer,
({3})
wenn in Flugblättern der Gewerkschaft steht: Es wird generell kein Kurzarbeitergeld gezahlt.
({4})
Nun ein zweiter Punkt. Wen trifft in der Praxis dieser einzige Streitpunkt?
({5})
Dieser einzige Streitpunkt kann nur dort auftreten, wo ein einheitlicher Fachbereich gegeben ist, dieser Fachbereich in regionale Tarifgebiete unterteilt ist, und wo - das ist das Wesentlichste - auf Grund der engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen diesen Tarifgebieten überhaupt mittelbare Auswirkungen denkbar sind.
Ich nehme das Beispiel aus dem öffentlichen Dienst. Wenn in Bayern der öffentliche Dienst streikt, wird mangels der engen Verflechtungen innerhalb des öffentlichen Dienstes, innerhalb dieses Fachbereichs, niemand im öffentlichen Dienst des Landes Baden-Württemberg arbeitslos. Hier fehlt es also an der mittelbaren Auswirkung. Deshalb - und dies führte ja der Bundesarbeitsminister aus - trifft für die allermeisten Einzelgewerkschaften des DGB dieser einzige Streitpunkt nicht zu. Der trifft von 17 Einzelgewerkschaften des DGB im wesentlichen nur die IG Metall.
({6})
Wenn Sie jetzt die beiden Punkte zusammenfassen, nur ein Fall zum § 116 strittig, betroffen eine Gewerkschaft von 17 Einzelgewerkschaften des DGB,
({7})
dann ist es geradezu absurd, wenn ich am Wochenende wieder Flugblätter des DGB und der IG Metall in die Hand bekomme, worin steht: „Ihr schafft das Streikrecht ab, und deshalb seid ihr unchristlich."
({8})
Wie mächtig die Gewerkschaften in der Tat sind - Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sollten hier das Licht nicht unter den Scheffel stellen -, erleben wir ja in der Praxis im öffentlichen Dienst. Wir erleben die Macht der ÖTV gerade in diesen Tagen. Ich sage Ihnen: Alle Aktionen, die die ÖTV in diesen Tagen macht, sind ohne jede Einschränkung auch nach der Gesetzesänderung zu § 116 möglich. Es ist also wirklich absurd, davon zu reden, daß in irgendeiner Weise für die Gewerkschaften das Streikrecht oder die Streikfähigkeit eingeschränkt wird.
({9}) Wir sind hier nicht auf einem Auge blind.
({10})
Wir wissen, daß im Arbeitskampf 1984 auch Mißbräuche auf seiten der Arbeitgeber vorkamen. Dies heißt, daß die Produktion zu einem Zeitpunkt gemindert oder eingestellt wurde, wo es nach dem Streik eigentlich noch nicht notwendig war.
({11})
Ich bin deshalb sehr froh, daß in diesem Gesetzentwurf eine Klarstellung erfolgt, zu der Sie in dreizehn Jahren Regierungsverantwortung nicht fähig waren - wir tun das -,
({12})
und zwar die Klarstellung, daß künftig ein Arbeitgeber den ursächlichen Zusammenhang zwischen Streik und Produktionseinstellung oder -reduzierung darzulegen hat und, sofern ein Betriebsrat besteht, er dazu seine Stellungnahme abzugeben hat.
({13}) Das ist eine arbeitnehmerfreundliche Lösung.
Meine Damen und Herren von der SPD, es ist höchste Zeit, daß Sie Ihre Hetzkampagnen einstellen
({14})
und zu Wahrheit und Sachlichkeit zurückkehren.
({15})
Seitdem Sie in der Opposition sind, war Ihre einzige Strategie die Hetze. Sie haben zunächst die Mieter aufgehetzt. Dann haben Sie die Rentner aufgehetzt.
({16})
Dann haben Sie die Schwerbehinderten aufgehetzt, obwohl gleichzeitig Ihr Kanzlerkandidat in Nordrhein-Westfalen 400 000 DM Strafe bezahlen mußte, weil er zuwenig Schwerbehinderte beschäftigte.
({17}) Dann haben Sie
({18})
die Friedenssehnsucht der Menschen ausgenutzt und gegen diese Bundesregierung gehetzt.
({19})
Jetzt haben Sie einen weiteren Höhepunkt, indem Sie die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften gegen diese Bundesregierung aufwiegeln wollen.
In allen Fällen sind Sie von der Realität überrollt worden. Ich bin der Überzeugung, daß im Wettlauf zwischen Hetze und Argument auch in diesem Fall das Argument obsiegen wird.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Kolb.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Opposition sollte einmal die Öffentlichkeit aufklären, weshalb sie permanent Arbeitskampfrecht und Sozialversicherungsrecht verwechselt. Ich sage für Sie, Herr Dr. Vogel, zum Mitschreiben: Es denkt niemand in der Koalition daran, das Arbeitskampfrecht zu ändern. Die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 des Grundgesetzes bleibt bestehen. Und weil Sie das so gern verschweigen: Das Arbeitskampfrecht hat in den letzten Jahren zugunsten der Gewerkschaften eine enorme Verbesserung erfahren, 1980 mit dem Urteil zur Verhältnismäßigkeit von Streiks und Aussperrung und am 12. September 1984 mit dem Urteil zur Zulässigkeit von Warnstreiks.
({0})
Jeder Teil der Tarifpartner hat die Möglichkeit, gegen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu klagen, oder, Herr Kollege Peter, er muß sie ertragen.
Nur: Eines müssen wir als Parlament hier sicherstellen. Falsches Verhalten der Tarifpartner kann
nicht mit Hilfe der Steuerkasse oder der Sozialkassen erledigt werden.
({1})
Das Urteil zur Verhältnismäßigkeit von Streik und Aussperrung war für Franz Steinkühler der Anlaß, seine Minimaxtaktik zu propagieren.
({2})
- Augenblick, Herr Kollege von der Wiesche. Es war so, daß Franz Steinkühler plötzlich entdeckte: Wenn ich 8 000 Leute streiken lasse, dann müssen die, wenn sie reagieren, mit 170 000 Leuten in die Aussperrung gehen, um den Streik zu verkürzen.
({3})
- Herr Dr. Vogel, wenn Streik und Aussperrung dazu führen sollen, daß der Arbeitskampf relativ bald beendet wird, muß man dies tun. Wenn man sehr lange Streik haben will, darf man, da stimme ich Ihnen zu, nicht reagieren.
({4})
- Ja, ich lese Ihnen etwas anderes vor, Herr Dr. Vogel.
Wenn man weiß, daß dieser Nadelstich ausreicht, Schwierigkeiten zu machen, dann sollten Sie einmal das nachlesen, was Herr Janzen am 14. März 1973 gesagt hat, bevor dieses Urteil da war. Er meinte, mit dieser Anordnung könne man durchaus leben. Allerdings würden es sich die Gewerkschaften in Zukunft nicht mehr leisten können, zentrale Forderungen aufzustellen oder zentrale Tarifverhandlungen zu führen, wenn sie beabsichtigten, ihre tarifpolitischen Vorstellungen gegebenenfalls mit Streik durchzusetzen. - Warum hat denn Herr Janzen dies 1973 erkannt? Er hatte erkannt: Es gibt keine Stellvertreterstreiks.
Zum § 116, meine Damen und Herren: Der § 116 ist überhaupt keine Frage des Deutschen Gewerkschaftsbundes, er ist eine Frage der IG Metall und hier speziell in der Automobilbranche.
({5})
- Das darf ich dem Herrn Fehrenbach sagen. Herr Dr. Vogel, auf Ihren Zwischenruf habe ich gewartet. Ich war vorhin erstaunt. Ich bin, Gott sei Dank - habe ich schon manchmal gesagt -, kein Jurist. Aber entweder wollen wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen oder wir wollen sie vorsätzlich verursachen.
({6})
Streik hat Folgen. Angesichts von vorsätzlicher Verursachung eines Arbeitsausfalls hat mich gewundert, daß Sie als Jurist gesagt haben: Das müssen andere, Unbeteiligte, bezahlen, die Sozialkassen.
({7})
- Herr Dr. Vogel, Sie können darüber urteilen. Nur,
für mich ist der § 116 eine Art Versicherung für diejenigen, denen Elefanten mutwillig das Gemüse im Garten zertreten, aber nicht der Heuschober für Elefanten, die dies tun.
({8})
Ich bedaure, daß der Kollege Rappe nicht da ist.
({9})
Ich hätte ihm nämlich die Frage gestellt, ob er mir sagen kann, wie er seinen Mitgliedern klarmacht, daß ihre Beiträge dazu verwendet werden sollen, daß die IG Metall fahrlässig streiken kann.
({10})
- Sagen Sie mir einen einzigen Fall, wo die IG Chemie durch diesen § 116 auf Grund von Kurzarbeitergeld profitieren kann, wenn sie einen Streik verursacht. Dieser Beweis wird Ihnen sehr schwerfallen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, des Pudels Kern werden wir jetzt finden: In der IG Metall sind zur Zeit heftige Profilierungskämpfe im Gange.
({11})
Wenn der Vorsitzende nicht gehen will, aber der Stellvertreter kommen möchte und nicht darf, ist alles in Ordnung, was nach draußen Unfrieden bringt.
({12})
Wäre der Herr Mayr nicht in dieser Situation, hätte er gesagt: Das, was Norbert Blüm gebracht hat, hilft der IG Metall wesentlich mehr als das alte Gesetz.
({13})
- Ja, lieber Kollege Dreßler, ich weiß, in Agitation sind Sie hervorragend, aber in klarem Nachdenken ist es schwierig.
({14})
Schauen Sie, wenn der IG-Metall-Hauptvorstand jetzt 6 bis 7,5% fordert, also eine Spreizung vornimmt, dann weiß er, daß es in Zukunft kaum mehr eine Möglichkeit geben wird, bei Streiks wegen Lohnforderungen die Zahlungen auszusetzen. Es wird für ihn keine Schwierigkeit sein, diese Spreizung in Zukunft noch zu verstärken.
Herr Mayr hat dazu sehr deutlich geschrieben - „Handelsblatt" vom 30. Dezember 1985:
Das bedeutet einen ungeheuerlichen, noch nie dagewesenen Eingriff in die gewerkschaftliche Willensbildung bei der Festlegung der Tarifforderungen. Eine Verständigung über tarifpolitische Ziele, eine einheitliche tarifpolitische Orientierung wäre nicht mehr möglich. Die Tarifkommissionen wären gezwungen, völlig unterschiedliche Forderungen zu erheben und die Gewerkschaften müßten in den einzelnen Tarifgebieten für völlig unterschiedliche Ziele moKolb
bilisieren. Das wäre das Ende einer autonomen gewerkschaftlichen Tarifpolitik durch gesetzlich erzwungene Entsolidarisierung der Mitglieder.
Meine Damen und Herren, dies zeigt: Ich kriege die Leute von Flensburg bis Friedrichshafen nicht mehr für eine einheitliche Forderung hinter die Fahne, wenn dies nicht mit einem Stellvertreterstreik durchgeführt wird. Spreizen Sie die Lohnforderungen, dann wird es in der Frage der Lohnforderungen stets einen Nutzen zu Lasten der Nürnberger Kasse geben. Es gibt einen einzigen Punkt, bei dem das nicht funktioniert, nämlich bei einer nochmaligen zentralen Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche. Da würde es dann kein Kurzarbeitergeld geben. Wir sagen das heute in aller Deutlichkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sollten jetzt nicht so beklagen, daß die Gewerkschaften insgesamt getroffen werden. Es ist lediglich die IG Metall, die hier getroffen wird.
({15})
Wenn Herr Steinkühler seine Leute hinter die Fahne kriegt, wenn sie von Flensburg bis Friedrichshafen hinter dieser Forderung stehen, dann soll das doch in Ordnung sein. Aber wenn es nur mit einem Stellvertreterstreik zu lösen ist und man glaubt, mit dieser Minimax-Taktik dann den gemeinsamen Erfolg zu haben, dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir dagegen sein. Wer die Musik bestellt, Herr Dr. Vogel, muß sie in der Regel auch bezahlen. Wer andere dafür zahlen lassen will, handelt unfair.
({16})
- Ja, mein lieber Kollege von der Wiesche, ich zahle diese Beiträge j a auch. Ich wehre mich dann schon dagegen, wenn sie mutwillig verbraucht werden. ({17})
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir die Tarifpartner in Zukunft wieder ein bißchen mehr an ihre eigene Verantwortung erinnern; dies sage ich beiden Seiten. Es hat nämlich auch in der Vergangenheit, Herr Kollege Dreßler, sehr viele gegeben, die die zweite Unterschrift ganz fahrlässig geleistet haben und dann, wenn es schwierig wurde, entweder zum Bund oder zu den Ländern kamen und sagten: Hilf mir aus diesen Schwierigkeiten, in die ich mich selbst hineinbegeben habe. Die Tarifhoheit ist ein hohes Gut. Aber sie sollte auch von denen, die sie fordern, respektiert werden. Man sollte uns nicht sozusagen zum Helfershelfer beim Plündern der Nürnberger Kasse machen.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegen Ende dieser Debatte bleibt aus unserer Sicht festzustellen: Es ist unvernünftig, es ist ganz und gar unvernünftig, worauf sich die Bundesregierung hier eingelassen hat.
({0})
Es ist leider überhaupt nicht zu erkennen, wie die Regierung und die Koalition wieder aus der Ecke herausfinden wollen, in die hinein sie sich verrannt haben.
({1})
Das Schnellverfahren,
({2})
dem wir hier ausgesetzt sind, widerspricht nicht nur der parlamentarischen Übung, sondern es steht auch im Gegensatz zu dem,
({3})
was die CDU selbst noch vor wenigen Wochen angekündigt und verbreitet hat.
({4})
Aber Sie sind wohl heute auch nicht so sicher: Sie auf der Regierungsbank und Sie, werte Kolleginnen und Kollegen aus der Union oder der Regierungskoalition. Sie können gar nicht sicher sein, daß Sie aus diesem Gesetzgebungsverfahren so herauskommen, wie Sie in es hineingegangen sind.
Sie riskieren,
({5})
schwere Belastungen für den Arbeitsfrieden herbeizuführen.
({6})
Das kann nicht im Interesse unserer Volkswirtschaft und des Staatsganzen liegen - das kann es nicht!
({7})
Diese Sorge teilt, wie wir wissen - trotz mancher Polemik des heutigen Tages -, mancher Kollege aus den Reihen der Union.
Man hat jedoch das bedrückende Gefühl, daß hier - neben der von manchen verfolgten engen Interessenpolitik - Prestigeerwägungen die Oberhand gewonnen haben.
({8})
Nun weiß ich, der Bundeskanzler ist auf dem Weg zu einer Begegnung mit dem französischen Staatspräsidenten. Das ist zu respektieren. Sonst hätte ich dem Herrn Bundeskanzler persönlich gesagt: Die Tatsache, daß er sich 1984 zu ganz einseitigen und höchst unsachlichen Auslassungen zum Thema Arbeitszeit hat hinreißen lassen, hätte doch nicht dazu führen dürfen, daß er die Gegensätze
erneut sich verschärfen läßt, statt sie überwinden zu helfen.
({9})
Prestige ist ganz gewiß ein schlechter Ratgeber bei dem, was hier auf dem Spiel steht. Zum Jammer der Menschen gehöre es, daß sie Mauern errichten, wo Brücken fehlen; so habe ich es von jemandem gelernt, der die Verhältnisse in einem Land schilderte, dessen Schwierigkeiten mit denen bei uns überhaupt nicht zu vergleichen sind. Aber einen Zusammenhang gibt es doch. Und ich kann der Regierung den Vorwurf nicht ersparen, daß sie durch das, was hier über die Bühne gehen soll - wenn es denn über die Bühne geht -, Brücken beschädigt, die im Interesse des sozialen Friedens nicht beschädigt werden dürften, sondern verstärkt werden müßten.
({10})
Hier ist, wie ich finde, überzeugend dargelegt worden - und ich fasse es in meinen Worten zusammen -: Die Regierung hat nicht dartun können, daß hier Handlungsbedarf besteht. Er besteht nämlich nicht.
({11})
Hier wird, wenn die Regierungsvorlage Gesetz werden sollte, nicht Rechtssicherheit geschaffen, sondern zu Lasten aller Beteiligten wird sich Rechtsunsicherheit ausbreiten,
({12})
und zwar wegen der eklatanten Unklarheiten, die in der Debatte nicht ausgeräumt, sondern bestätigt worden sind. Langwierige Auseinandersetzungen vor Gericht werden die Folge sein. Die Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit wird nicht positiv geklärt, sondern schwerwiegende Verletzungen der Neutralitätspflicht werden festgeschrieben. Das ungefähre Gleichgewicht der Tarifpartner wird zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften aufgehoben. Das stärkt und respektiert nicht, sondern verletzt die Tarifautonomie.
({13})
Der Eingriff in wohlerworbene Versicherungsansprüche der Arbeitnehmer
({14})
trifft gewerkschaftlich Organisierte und Nichtorganisierte gleichermaßen. Der Weg zum Sozialamt wird aus Gründen, die hier schon dargelegt worden sind, den meisten der betroffenen Arbeitnehmer nicht offenstehen. Für den Rest jedoch werden die Haushalte der Gemeinden und Länder erneut belastet, wenn Leistungen der Bundesanstalt ausfallen.
({15})
Vor allem und über allem, der soziale Friede, um den uns viele beneidet haben, wird aufs Spiel gesetzt. Wenn das erst einmal anfängt, weiß man nicht, wo es aufhört.
({16})
Die heutige Debatte und die notwendigerweise mit ihr verbundenen Kontroversen sollten die Möglichkeit nicht ausschließen, die Zusammenhänge neu zu überdenken. Und wenn man es nicht über sich bringt, ein überflüssiges Vorhaben überhaupt fallen zu lassen, dann spräche die Vernunft dafür, sich in der Ausschußberatung über sachlich fundierte Kritik nicht hinwegzusetzen, sondern sie ernst zu nehmen und zu berücksichtigen. Wenn das nicht geschieht, wenn man statt dessen mit dem Kopf durch die Wand will, dann wird durch veränderte Mehrheitsverhältnisse dafür zu sorgen sein, den sozialen Frieden nicht in dauerhafte Gefahr zu bringen,
({17})
sondern ihn neu zu festigen.
Nun geht es j a nicht allein um die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften, obwohl das allein wichtig genug wäre. Es geht um etwas, was den Nerv des demokratischen und sozialen Bundesstaates trifft, auf den wir durch die Verfassung verpflichtet sind. Es gehört zu den schwerwiegenden Mängeln der Regierung, daß sie nicht einmal eine einwandfreie Klärung der verfassungsrechtlichen Lage abgewartet hat. Eine solche Klärung läßt sich nachholen.
({18})
Die Unruhe, die sich nicht allein in vielen Betrieben, sondern weit darüber hinaus in der Offentlichkeit ausgebreitet hat, sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Sie sollte ernst genommen und nicht rechthaberisch übertönt werden.
({19})
Lassen Sie mich nach dem Verlauf der heutigen Debatte hinzufügen: Die Hektik und Verkrampfung, die das Vorgehen der Regierung und auch die Haltung der Koalitionsfraktionen kennzeichnen, sind - so finde ich - bedrückend. Dies gilt auch für die eigenartige Koppelung durchaus fremder Sachgegenstände innerhalb der Koalition, wie man das eine gegen das andere aufrechnet und das eine mit dem anderen verbindet. Das gilt im besonderen für das flackernd aggressive Verhalten des Herrn Bundesarbeitsministers.
({20})
Ich bin auch betroffen, Herr Bundesarbeitsminister, daß sich ein Bundesarbeitsminister angesichts von 2,6 Millionen Arbeitslosen heute so gibt, wie er sich gegeben hat.
({21})
Ich finde es schlimm, daß der Bundesarbeitsminister Norbert Blüm nicht mehr hinhört: Er hört nicht auf die Gewerkschaften, er hört auch nicht auf kritische Freunde in seinen eigenen Reihen,
({22})
auch nicht auf Bedenken von Arbeitsrechtlern, Sozialwissenschaftlern und namhaften Juristen. Der
Bundesarbeitsminister nimmt nicht mehr ernst,
was ihm an Einwänden, Sorgen, Befürchtungen nahegebracht wird.
({23})
Statt hinzuhören, überfällt er die Öffentlichkeit mit stereotypen, sich immer wiederholenden Sätzen: am Freitag im Bundesrat, gestern im Fernsehen und heute. Man konnte zum Teil schon aus der Erinnerung verfolgen, was im nächsten Satz kommen würde.
({24})
So dürfte man die Beantwortung einer grundlegenden gesellschaftspolitischen Frage nicht vernachlässigen.
({25})
Nur am Rande: Herr Blüm hat - wie im Bundesrat, wie im Fernsehen - auf das Bezug genommen, womit wir schon vor 20 Jahren in der Großen Koalition zu tun hatten. Ich hätte es für fair gehalten, wenn sich Herr Blüm bei Hans Katzer - er war damals Bundesarbeitsminister - sachkundig gemacht hätte.
({26})
Im übrigen geht es im Bundestag nicht um das, was uns 1969 und 1973 beschäftigte, sondern es geht ({27})
- Was soll denn dieser Zuruf? Natürlich hat der Stellvertreter in einer gemeinsamen Koalition, wenn der Bundeskanzler verhindert ist, die Vorlagen des Kabinetts an den Bundesrat bzw. den Bundestag zu unterschreiben.
({28})
- Das ist doch jetzt eine Ablenkung. ({29})
Deshalb sage ich noch einmal: Jetzt geht es allein um das, was die Regierung meint aus den Auseinandersetzungen des Jahres 1984 ableiten zu sollen.
({30})
Da steht unsere Auffassung gegen Ihre Auffassung.
({31})
Der Bundeskanzler, dem ich auch dies nicht direkt sagen kann, beruft sich, wie es für den Vorsitzenden der CDU naheliegt, gerne auf das Erbe Konrad Adenauers.
({32})
Nur: Was bedeutet eine solche Berufung, wenn dabei ausgeblendet wird, wie sehr sich Adenauer in den Aufbaujahren um einen Ausgleich mit den Gewerkschaften bemüht hat? Seine konservativen Grundüberzeugungen haben ihn daran nicht gehindert.
({33})
- Ich würde an Ihrer Stelle diesem Gedanken einen Augenblick Aufmerksamkeit schenken.
Ich sage: Ohne die wiederholte Verständigung zwischen Konrad Adenauer und Hans Böckler, dem damaligen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes,
({34})
wäre unsere Bundesrepublik wirtschaftlich nicht so rasch auf die Beine gekommen.
({35})
- Ich finde es sehr gut, wenn wir darin übereinstimmen. Nur füge ich dann hinzu - und bin nicht mehr sicher, dafür Ihren Beifall zu finden -: Gegenwärtig geht man leider nicht den Weg der Verständigung,
({36})
sondern den Weg der Konfrontation.
({37})
Das kann zu nichts Gutem führen.
({38})
Deshalb kann hier nicht deutlich genug gewarnt werden: Das, was man hier durchdrücken will, kann nicht Bestand haben.
({39})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister Dr. Blüm.
({0})
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat am heutigen Tage nicht klarmachen können, wo unser Gesetzentwurf die Neutralitätspflicht der Bundesanstalt verletzt.
({0})
Sie haben über vieles gesprochen, nur nicht über das, was in unserem Gesetzentwurf steht.
({1})
Herr Brandt, Sie haben von einer schweren Belastung für den Arbeitsfrieden gesprochen, die mit der Auseinandersetzung zwischen uns und den Gewerkschaften verbunden sei. Verehrter Herr Kollege Brandt, von Ihnen hätte ich erwartet, daß Sie sich mit uns gegen die Ungeheuerlichkeit wehren, daß die IG Metall zum wiederholten Male die Bundesregierung mit einem Naziregime vergleicht.
({2})
Ich hätte es ausgerechnet von Ihnen, Herr Brandt, erwartet. In diesem Vergleich ist nämlich kein Angriff auf die Bundesregierung enthalten - das erreicht uns ja gar nicht -, sondern eine Beleidigung der Opfer des Naziterrors ist in diesem Vergleich enthalten, eine Verharmlosung der Unmenschlichkeiten der Nazis.
({3})
- Herr Vogel, auf Sie komme ich noch zurück. Sie werden sich einen Augenblick gedulden müssen.
({4})
Sozialer Frieden ist ein hohes Gut. Sozialer Frieden muß gepflegt werden. Aber sozialer Frieden kann doch nicht Kapitulation vor der Diffamierung bedeuten.
({5})
Sozialer Frieden kann doch nicht bedeuten, daß wir vor der Lüge kapitulieren.
({6})
Der Staat beginge auch eine Pflichtverletzung, wenn er seiner Aufgabe nicht gerecht würde, auch in schwierigen Situationen die Neutralität des Staates zu sichern.
({7})
Herr Vogel, verteidigen Sie doch nicht dauernd Hans Katzer. Ich habe Herrn Katzer nicht „Lügner" genannt. Ich nenne doch nicht jeden, der Einwände gegen unser Gesetz hat, „Lügner". Über die Einwände werden wir diskutieren. Aber diejenigen, die etwas anderes sagen als das, was in unserem Gesetz steht, obwohl sie das Gesetz kennen, sind Lügner. Dafür habe ich kein anderes Wort.
({8})
Herr Vogel, nun ein paar Bemerkungen zu Ihrem Diskussionsstil. Sie haben mein Buch zitiert, wofür ich dankbar bin, und darauf hingewiesen, ich hätte Schwerpunktstreik nur in Anführungsstrichen genannt, so unberührbar sei das für mich gewesen. Jetzt will ich Ihnen diese Stelle auf Seite 104 zitieren:
das, was die Arbeitgeber 1978 in Baden-Württemberg „Schwerpunktstreik" nannten.
Ich zitiere die Arbeitgeber, und das nennt Herr Vogel ein Zitat von mir.
({9})
- Ja, ich zitiere die Arbeitgeber mit ihrer Bezeichnung „Schwerpunktstreik", und da muß man schon philologisch sehr - ({10})
- Ach, ich habe noch bessere Beispiele, Herr Vogel, wenn Sie mich reizen.
Zweitens. Sie zitieren: Unbeteiligte Arbeitnehmer dürfen nicht zum Mittel degradiert werden, den Streikwillen zu brechen. - Das zitieren Sie heute gegen mich. Diesen Satz kann ich jetzt noch unterstreichen. Diejenigen, für die im Stellvertreterstreik mitgestreikt wird, gelten im rechtlichen Sinne als Beteiligte; das ist nicht meine Erfindung, sondern das steht im Gesetz des Jahres 1969. Und jetzt zitiere ich: Mit Rücksicht auf die Neutralitätspflicht soll jedoch dies - die Zahlung - nicht gelten. Wenn der Arbeitskampf auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers abzielt, muß dieser sowohl nach einer natürlichen Betrachtungsweise als auch im wirtschaftlichen Sinne als beteiligt angesehen werden. Ich stelle mit Überraschung fest, ich hätte heute morgen mein ganzes Buch vorlesen können. Alles kann ich aufrechterhalten. Das kann man nicht immer von sich sagen; man lernt ja auch dazu. Diese Punkte kann ich in allen Bereichen aufrechterhalten.
({11})
Der dritte Höhepunkt: Nun einmal auf der Spur, habe ich mich natürlich auch an den Landtag des Saarlandes gewandt, und was stellt sich heraus? Der Antrag, den die CDU-Fraktion im saarländischen Landtag eingebracht hat, beginnt mit dem Satz:
Der Landtag begrüßt die Bemühungen der Bundesregierung, im Streit um den § 116 AFG zu vermitteln, um einen Konsens zwischen den Tarifpartnern wiederherzustellen, damit der soziale Frieden gewahrt bleibt.
Das ist ein Antrag, der die Bundesregierung in ihren Konsensbemühungen unterstützen soll. Im Weiteren stellt er die notwendigen Bedingungen: Sicherung der Tarifautonomie, Kampfparität, Streikrecht der Arbeitnehmer, Streikfähigkeit der Gewerkschaften, Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit usw. - Und jetzt füge ich noch hinzu, daß bei der Abstimmung über diesen Antrag, da sich die SPD nicht für den Punkt 1 entscheiden konnte, die CDU-Fraktion gar nicht mitgestimmt hat, sondern ausgezogen ist. Herr Vogel, Sie sollten besser recherchieren, bevor Sie hier Angriffe vortragen, die wieder einmal von der Sache nicht gedeckt sind.
({12})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Bitte, Herr Vogel.
Herr Kollege Blüm, wollen Sie bestreiten, daß der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Saarland vor und in der Debatte erklärt hat, es bestehe überhaupt kein Handlungsbedarf, der Gesetzentwurf sei nicht notwendig? Wenn Sie das bestreiten, dann wollen Sie mich bitte in meinem Büro aufsuchen und die Niederschrift und Nachschrift einsehen,
({0})
bevor Sie hier solche Behauptungen aufstellen!
({1})
Herr Vogel, Sie brauchen sich nicht in meinem Büro einzufinden. Ich halte Ihnen noch einmal vor, was die Landtagsfraktion zur Abstimmung gestellt hat; das war eine Unterstützung der Konsensbemühungen dieser Bundesregierung. Sie haben heute morgen von einem Antrag gesprochen, der gegen mich gerichtet gewesen sein soll.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Vogel?
Hätten Sie die Liebenswürdigkeit, Herr Kollege Blüm, meine Frage zu beantworten, ob der Vorsitzende der Fraktion der CDU erklärt hat, es bestehe kein Handlungsbedarf, der Gesetzentwurf sei nicht notwendig?
({0})
Nein, ich habe den Ehrgeiz, zu wiederholen, daß das, was Sie heute morgen gesagt haben, nämlich daß ein Antrag gegen uns gerichtet worden sei, falsch war. Den Ehrgeiz habe ich, mehr nicht.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein. Lassen Sie mich diese heutige Debatte abschließen. Das ist der Beginn einer Diskussion, und ich hoffe, wir diskutieren zur Sache, wie wir die Neutralitätspflicht am besten sichern können. Ich hoffe auf eine diffamierungsfreie Atmosphäre auch im Ausschuß, auf einen Wettbewerb der Argumente: Wer kann die Neutralität am besten sichern? Wer kann es am besten? Denn in der Pflicht stehen wir alle.
Meine Damen und Herren, die Neutralität sicherer zu machen, das kann doch nicht zugunsten einer Seite sein. Wenn ein Schiedsrichter besser wird, ist das doch keine Gewichtsverlagerung auf eine Seite. Der Neutralität sind wir verpflichtet. Ich bleibe dabei:
({0})
Auch die gegenwärtige Hektik, auch die gegenwärtige Gehässigkeit bringen mich nicht davon ab, von
der Notwendigkeit überzeugt zu sein, im Interesse
der Gewerkschaften das Streikrecht und die Streikfähigkeit gegenüber jedermann zu verteidigen.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Frau Fuchs ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mir sehr überlegt, ob ich zu den Ausführungen des Arbeitsministers das Wort nehme;
({0})
denn ich hatte eigentlich gehofft, der Bundesarbeitsminister würde die Chance nutzen, auf die grundsätzlichen Ausführungen von Willy Brandt einzugehen
({1})
und einen Beitrag leisten, um bei diesem Thema zur Sachlichkeit zurückzukehren.
Diese Chance, Herr Bundesarbeitsminister, haben Sie nicht genutzt. Deswegen sage ich noch einmal für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion: Es ist wirklich bedauerlich, daß Sie immer um die Sache herumreden. Sie werfen Nebel.
({2})
Deswegen wiederhole ich - auch wenn Sie gestern gehört haben mögen, worum es eigentlich geht -: 50 000 Arbeitnehmer streiken; 170 000 Arbeitnehmer werden im Tarifgebiet ausgesperrt. Also: Wenn es eine Auswirkung des Arbeitskampfes gegeben hat, so ist sie zu 75 % auf die Aussperrung der Arbeitgeber zurückzuführen gewesen.
({3})
Nun kommt der Punkt: Außerhalb des Tarifgebietes werden innerhalb kürzester Frist von den Arbeitgebern - denn sie entscheiden darüber -320 000 Arbeitnehmer kalt ausgesperrt. Diese Entscheidung haben die Arbeitgeber getroffen. Darum geht es in diesem Streit.
({4})
Diese Menschen sollten 1984, wenn es nach dem Willen des Arbeitsministers gegangen wäre, kein Kurzarbeitergeld und kein Arbeitslosengeld bekommen. Sie haben es dann doch erhalten, weil die Sozialgerichte den Erlaß und das Gesetz vernünftig ausgelegt haben, meine Damen und Herren.
({5})
Darum geht es: Der Bundesarbeitsminister möchte - hören Sie gut zu -, daß in Zukunft diese 320 000 ausgesperrten Arbeitnehmer in einem vergleichbaren Fall keine Arbeitslosenunterstützung oder kein Kurzarbeitergeld bekommen - mit dem angeblichen Argument „Stellvertreterstreik":
({6})
Es sei ein Stellvertreterstreik gewesen.
Sie haben von den Strukturen der Tarifpolitik in der IG Metall keine Ahnung.
({7})
Es gibt regionale Tarifverhandlungen. Ob die Ergebnisse in den anderen Tarifgebieten übernommen werden, ist eine Frage der weiteren Verhandlungen in den anderen Regionen.
({8})
Ich kann Ihnen viele Beispiele nennen, in denen Tarifabschlüsse einer Region nicht übernommen wurden, sondern sogar neu gestreikt werden mußte, damit das gewünschte Ergebnis erzielt werden konnte.
({9})
Deswegen sage ich: Wir haben ein Gesetz; es besteht kein Handlungsbedarf. Wer die Streikfähigkeit der Gewerkschaften aushöhlen will, darf sich nicht wundern, wenn der soziale Friede in unserem Land kaputtgeht.
({10})
Meine Damen und Herren, ich finde es phantastisch, wie „aufhetzerisch" die Sozialdemokratische Partei ist. Ich bin darauf richtig stolz.
({11})
Der Hetzer in unseren Reihen ist Herr Wannagat; der Hetzer in unseren Reihen ist Herr Benda; der Hetzer in unseren Reihen ist Herr Katzer; die Hetzer in unseren Reihen sind der Vorstand der CDA Westfalen, der Vorstand der CDA Rheinland, die CDU-Fraktion des Landtags des Saarlandes, der Katholikenrat des Bistums Mainz, der heute geschrieben hat: Laßt die Finger von einer Änderung des § 116!
({12})
Und so weiter, und so weiter. Zu unseren Reihen gehört Hermann Rappe. Machen Sie sich nichts vor: Sie werden die Solidarität der sozialdemokratischen Gewerkschafter in dieser Frage überhaupt nicht auf die Probe zu stellen brauchen. Wir alle sind gegen eine Änderung dieses Gesetzes.
({13})
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Ich gebe Ihnen mit zu bedenken, ob wir es nicht so wie 1969 machen sollten. Es wurde auf einen Regierungsentwurf hingewiesen. Der Gesetzgeber, d. h. das Parlament, hat diesen Gesetzentwurf nachhaltig geändert.
({14})
Wie wäre es denn, wenn wir nach den parlamentarischen Beratungen Ihres Entwurfs zu dem Ergebnis kämen: Wir brauchen einen ganz anderen, einen verbesserten oder den jetzigen Rechtszustand?
({15})
Das heißt: Wir gehen genau den Weg, den wir 1969 gegangen sind. Wir akzeptieren nicht den Regierungsentwurf, sondern wir suchen eine neue gesetzliche Grundlage für dieses schwierige Thema.
({16})
Unsere Vorschläge sind:
({17})
Wir wollen § 116 Arbeitsförderungsgesetz so erhalten, wie er ist, und wir wollen die kalte Aussperrung verhindert wissen.
({18})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir haben abzustimmen über den Entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/4989, über den Antrag der SPD auf Drucksache 10/4995 und über den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/5004.
Ich möchte zu dem letzten Antrag eine kurze Bemerkung machen. Beim letzten Spiegelstrich hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen. Es muß richtig heißen:
Der Deutsche Bundestag unterstützt die Forderung nach einem gesetzlichen Verbot der Aussperrung.
Ich stelle jetzt die Überweisung dieser drei Vorlagen zur Abstimmung. Wer der Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur federführenden Beratung sowie an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß zur Mitberatung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Überweisung ist mit Mehrheit beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1986
- Drucksache 10/4990 Wie bereits beschlossen ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vorgesehen.
Vizepräsident Frau Renger
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht, wie ich sehe. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Günther.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe ja zu, daß es schwierig ist, von dem Thema, das wir soeben behandelt haben, auf die Rentenversicherung umzuschalten. Aber wir haben jetzt ein Gesetz zu beraten, bei dem alle Betroffenen etwas bekommen. Das ist doch sicher erfreulich. Vielleicht könnte Sie das veranlassen, im Saal zu bleiben.
({0})
Meine Kolleginnen und Kollegen, im vorigen Jahr habe ich meine Rede zum Thema Rentenversicherung mit dem Satz begonnen: Die Renten sind sicher. Ich habe hinzugefügt: Sie werden pünktlich gezahlt. Diese für die Rentner und Versicherten beruhigende Aussage kann ich heute erneut aussprechen und diesmal hinzufügen: Die Renten sind bis zur Jahrtausendwende ohne größere Operationen sicher.
({1})
Herr Abgeordneter, Entschuldigung, daß ich Sie unterbreche; aber ich möchte zunächst einmal die nötige Ruhe im Hause herstellen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen, damit dieses Thema mit der nötigen Ruhe diskutiert werden kann. - Das gilt auch für den Abgeordneten Hupka.
Danke schön, Herr Abgeordneter Günther. Jetzt können Sie fortfahren.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen, die Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP haben in nur wenigen Jahren den drohenden Finanzkollaps der Rentenversicherungsträger verhindert und durch gezielte Maßnahmen die Finanzlage der Rentenversicherung konsolidiert.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie wieder unterbrechen. Der Abgeordnete Heyenn möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte jetzt im Zusammenhang weiter vortragen. Kollege Heyenn, es war schon unruhig genug. Ich bitte um Verständnis.
Wie der Rentenanpassungsbericht 1985, den wir heute gleichzeitig beraten, ausweist, wird in den nächsten Jahren die Schwankungsreserve ihre vorgeschriebene Höhe übersteigen und selbst bei pessimistischen Entgeltsteigerungsannahmen bis zum Ende des Jahrzehnts, voraussichtlich sogar noch darüber hinaus, zur soliden Rentenfinanzierung völlig ausreichen. Somit haben wir mit unserer Rentenpolitik die Renten mittelfristig gesichert, meine Kolleginnen und Kollegen.
Wir wissen, daß sich insbesondere nach der Jahrtausendwende Probleme wegen der demographischen Entwicklung ergeben. Diese langfristigen Probleme in der Rentenfinanzierung werden wir deshalb rechtzeitig in einem umfassenden Rentenreformstrukturgesetz in der nächsten Legislaturperiode lösen. Wir haben, nachdem wir die mittelfristige Sanierung vollzogen haben, das Vertrauen der Rentner und Versicherten in die Rentenversicherung weitgehend wieder hergestellt, den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zur Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung ebenfalls erfüllt und nunmehr ausreichend Zeit, uns den schwierigen Problemen eines Rentenreformstrukturgesetzes zu widmen.
Polemik, meine Kolleginnen und Kollegen, und Schwätzerei sind für dieses Thema völlig ungeeignet. Wir arbeiten im Sinne der Versicherten konsequent an der Sache. Entgegen vielfältigen Aufforderungen und politischen Anstößen, die die Probleme des Jahres 2000 oder gar des Jahres 2030 schon jetzt lösen wollen, ist ausreichend Zeit. Eile, meine Kolleginnen und Kollegen, ist für dieses Problem nicht geboten. Es handelt sich bei der Rentenversicherung um Fragen der langfristigen Lebensplanung, und hier ist Hektik immer verfehlt.
Das heute zur Beratung anstehende Rentenanpassungsgesetz 1986 sieht nach einer Anpassung der Renten zum 1. Juli 1985 um 1,41 %, entsprechend der Lohnentwicklung des Jahres 1985, zum 1. Juli 1986 eine Rentensteigerung von 2,34 % vor. Dieser Anpassungssatz gilt sowohl für die gesetzliche Rentenversicherung, für die gesetzliche Unfallversicherung, für die Altersgelder aus der Altershilfe für Landwirte als auch für die Kriegsopferversorgung. Der durchschnittliche Lohnanstieg des Jahres 1985 betrug nach vorläufigen statistischen Ermittlungen 3,1 %. Da noch die Beteiligung der Rentner an den Beiträgen für ihre Krankenversicherung in Höhe von 0,7 % abgezogen wird, errechnet sich ein effektiver Steigerungssatz der Renten von 2,34 %. Diese Erhöhung der verfügbaren Renten zum 1. Juli 1986 entspricht in etwa dem durchschnittlichen Anstieg der verfügbaren Arbeitnehmerverdienste im Jahre 1985. Eine gleichgewichtige Entwicklung von Erwerbseinkommen und Renten, die das Gesetz in § 1272 RVO j a so vorsieht, ist demnach gewährleistet, meine Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Besonders erfreulich ist: Die effektive Rentenerhöhung liegt auch deutlich über der zu erwartenden Preissteigerungsrate.
({1})
- Das können Sie ja nachlesen, Herr Kollege! - Das ist soziale Politik für Rentner trotz schwerer Erblast.
Insgesamt betrifft die Rentenanpassung immerhin 14 Millionen Rentner in der gesetzlichen Rentenversicherung, knapp 1 Millionen Rentner in der gesetzlichen Unfallversicherung sowie rund 595 000 Altersgeldbezieher und Landabgaberentner bei der Altershilfe im Bereich der Landwirte. Für die Ren15180
tenanpassung bringen die Rentenversicherungsträger, also Arbeiterrentenversicherung, Angestelltenrentenversicherung und knappschaftliche Rentenversicherung, im Zeitraum eines Jahres, vom 1. Juli 1986 bis zum 30. Juni 1987, 5,2 Milliarden DM auf. Die Mehraufwendungen entfallen mit 4,9 Milliarden auf höhere Rentenzahlungen und mit 0,3 Milliarden auf hierauf zu zahlende Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung der Rentner.
Zur Höhe des Rentenanpassungssatzes ist darauf hinzuweisen, daß die Mehrheit des Sozialbeirates in dem Gutachten zum Rentenanpassungsgesetz und zum Rentenanpassungsbericht feststellt, daß die vorgesehene Anpassung verteilungspolitisch sehr wohl vertretbar ist. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich möchte wie im Vorjahr darauf hinweisen, daß die Höhe des Anpassungssatzes keine politisch festgestellte Größe ist, sondern sich aus der Lohnentwicklung des Vorjahres ergibt, die im wesentlichen von den Tarifpartnern, also von den Gewerkschaften und den Arbeitgebern, bestimmt wird.
Die im Vergleich zu früheren Zeiten relativ geringe Höhe der Anpassung muß im Zusammenhang mit der Inflationsrate gesehen werden. Bei Inflationsraten von 5 bis 7 % sind naturgemäß die von den Gewerkschaften ausgehandelten Lohnsteigerungsraten höher, und die Anpassungssätze entsprechen dem. Bei 1,5 bis 2 % Preissteigerung, wie wir sie zur Zeit haben, sind im allgemeinen die Lohnsteigerungen niedriger, was sich nach unserer Rentenformel zwangsläufig auch in niedrigen Rentenanpassungssätzen niederschlägt. Es kommt aber ganz entscheidend auf die Kaufkraftsteigerung bzw. Kaufkrafterhaltung der Renten an, und die Rentner erfahren im Jahre 1986 in etwa die gleiche Kaufkraftsteigerung, wie die Erwerbstätigen sie im Vorjahr erhalten haben.
Die Rentenerhöhung ist, wie auch der Rentenanpassungsbericht ausweist, von den Rentenversicherungsträgern ohne Probleme finanzierbar; es bedarf keiner gesetzlichen Maßnahme zur Sicherung der mittelfristigen Finanzentwicklung. Im vorigen Jahr haben wir als Gesetzgeber zur Liquiditätssicherung und zur Sicherstellung der Schwankungsreserve von einer Monatsausgabe einen zusätzlichen Bundeszuschuß von - falls nötig - bis zu 1,5 Milliarden DM sowie einen unverzinslichen Betriebsmittelkredit des Bundes in Höhe von 5 Milliarden DM bereitgestellt. Der Betriebsmittelkredit ist überhaupt nicht in Anspruch genommen worden, und von dem zusätzlichen Bundeszuschuß sind insgesamt im Dezember 1985 nur 320 Millionen DM vom Bund abgefordert worden. Angesichts der enormen Finanzströme, die durch die Kassen der Rentenversicherungsträger laufen - z. B. 1985 rund 165 Milliarden DM allein bei der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung -, erscheint natürlich diese Inanspruchnahme von 320 Millionen zusätzlichen Bundeszuschuß äußerst gering. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die günstige Finanzlage Ende 1985 ist im wesentlichen die Folge der verbesserten Beschäftigungslage, aber auch eine Folge der gesamten Sozialgesetzgebung.
Aus all dem resultiert - dies zeigen das Rentenanpassungsgesetz wie der Rentenanpassungsbericht in gleicher Weise -, daß die Rentner mit Hoffnung in die Zukunft schauen können. Die Rentner, die durch die Diskussion um Reformpläne und durch die Diskussion über die Finanzlage verunsichert sind, können sicher sein, daß das bisher bewährte Rentensystem auch über das Jahr 2000 hinaus funktionsfähig und zahlungsfähig ist. Die CDU/ CSU hält am 1957 geschaffenen Rentensystem im Kern fest und lehnt Grundrentenpläne einschließlich einer Nivellierung der Renten ab.
Die Weichen für eine vernünftige Rentenstrukturreform im Rahmen des bewährten Rentensystems sind gestellt. Meine Kolleginnen und Kollegen, die Rentner sollten wie in der Vergangenheit dem System der Rentenversicherung und unserer diesbezüglichen Politik vertrauen. Die Rentnerverunsicherungskampagne der SPD mit ihrer FuchsPumprente ist in sich zusammengebrochen, wie alle Angstträume, die Sie der Bevölkerung einflößen wollten.
({2})
Mit dieser Regierung, meine Kolleginnen und Kollegen, und diesem Arbeitsminister geht es auch bei den Rentnern aufwärts.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Günther, sosehr bergauf kann es ja mit diesem Arbeitsminister wohl nicht gehen. Ich hatte vorübergehend den Eindruck, er sei bereits zurückgetreten. Oder können Sie mir, Herr Blüm, erklären, warum Sie einen Gesetzentwurf der Bundesregierung hier nicht zu Beginn der Debatte begründen?
({0})
Sie gehören hier zuerst an das Pult, damit die Fraktionen in erster Lesung Kritik oder Lob zu Ihrem Entwurf aussprechen können, nachdem Sie geredet haben.
({1})
- Das hat nichts mit Pingeligkeit, sondern mit Parlamentarismus etwas zu tun. Es kann j a auch sein, lieber Kollege, daß das Selbstvertrauen des Kollegen Blüm noch etwas angekratzt ist und er deswegen etwas Beruhigungszeit benötigt.
({2})
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, im Anschluß an die eben geführte Debatte noch sagen, daß natürlich auch die Rentner wissen, was es bedeutet, wenn die Streikfähigkeit der Gewerkschaften beschnitten wird; denn eingeengte Streikfähigkeit bedeutet real niedrigere Löhne, vielleicht sogar absolut niedrigere Löhne, und in der Folge auch niedrigere Renten.
({3})
Wir haben hier einen Entwurf vorliegen, der dem geltenden Recht nicht entspricht. Herr Günther hat auf § 1272 der Reichsversicherungsordnung hingewiesen; dort ist der Grundsatz einer gleichgewichtigen Entwicklung der Renten und der verfügbaren Arbeitsentgelte festgeschrieben. Das ist keine unverbindliche Floskel. Von dieser Vorschrift kann nur abgewichen werden, wenn es einen Rechtfertigungsgrund gibt. Dieser liegt aber nicht vor, Herr Kollege Günther, insbesondere wenn ich zu Grunde lege, was Sie über die mittelfristige Sicherheit der Rentenzahlungen ausgesagt haben. Die Bundesregierung macht noch nicht einmal den Versuch, in der Begründung zum Gesetzentwurf darzulegen, weshalb sie eine Rentenanpassung vorschlägt, die hinter der Nettolohnentwicklung zurückbleibt. Der Bundesarbeitsminister behauptet einfach das Gegenteil, der Wirklichkeit entrückt wie auch in anderen Bereichen, und versucht die Tatsachen auf den Kopf zu stellen. Lapidar wird festgestellt, die effektive Rentenerhöhung um 2,34 % zum 1. Juli werde ungefähr den durchschnittlichen Anstieg der verfügbaren Arbeitnehmerverdienste in 1985 entsprechen. Wenn man aber Abgabequote und Bruttolohnerhöhung zueinander in Beziehung setzt, so ergibt sich für 1985 eine Nettolohnsteigerung um 2,8 %. Sie liegen also mit Ihrer Rentenanpassung um rund 1/2% unter dem, was das Gesetz Ihnen eigentlich vorschreibt.
({4})
Im Sozialbeirat ist das diskutiert worden. Aber offenbar hat der Arbeitsminister sich darum nicht gekümmert; es hat ihn unberührt gelassen.
Der Sozialbeirat, Herr Kollege Günther - auch darüber sind Sie hinweggegangen -, räumt ein, daß das Nettorentenniveau zum zweitenmal hintereinander sinken wird; im Jahre 1984 waren es 65,3%, im Jahre 1985 knapp 65%, und im Jahre 1986 werden es schätzungsweise 63,5% werden. Das ist ein Rückgang auf das Niveau zu Beginn der 80er Jahre. Dies ist nicht meine Feststellung, sondern die Feststellung der Fachleute im Sozialbeirat. Ein Teil dieser Mitglieder des Sozialbeirates hat der Anpassung um 2,34% nur unter großen sozialpolitischen Bedenken zugestimmt, Bedenken, die diese Regierung nicht teilt. Sie verstößt mit diesem Entwurf gegen das geltende Recht. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird in den Ausschußberatungen diese Frage mit Ihnen gemeinsam prüfen.
Der vorliegende Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, kann uns allerdings nicht davon entbinden, einen Blick auf die längerfristige Sicherung der Rentenfinanzen zu werfen. Diese Bundesregierung bemüht sich zwar, die Probleme unter den Teppich zu kehren, die Bürger mit einer gewaltigen Optimismuskampagne in die Irre zu führen, aber ihre eigenen Zahlen, die machen deutlich, daß die Rentenfinanzen nach wie vor nicht in Ordnung sind. Vier Rentenreparaturgesetze mit fünf Beitragsanhebungen seit 1983, zahlreiche Opfer der älteren Generation haben lediglich für einige Jahre
Luft geschaffen. Dies ist eine unseriöse Rentenpolitik,
({5})
ebenso unseriös und unbarmherzig wie der Ausschluß der älteren Frauen vom Babyjahr.
({6})
Für Landwirte, für Berufsoffiziere, zur Senkung der Vermögensteuer haben Sie Geld, aber nicht für ein Babyjahr für die Frauen, die nach dem Krieg in den Trümmern gearbeitet haben.
({7})
Wie soll das nötige Vertrauen in die Rentenpolitik der Bundesregierung hergestellt werden, meine Damen und Herren, wenn aus den regierungsamtlich veröffentlichten Zahlen hervorgeht, daß sich in den Rentenfinanzen im Laufe der nächsten 15 Jahre Fehlbeträge bis zu 200 Milliarden DM aufsummieren werden? Wie soll Verläßlichkeit entstehen, wenn diese Bundesregierung nicht das mindeste unternimmt, um auf längere Sicht eine solide Grundlage zu schaffen?
({8})
Wir haben hierfür die Vorschläge unterbreitet. Wie meinen, daß die mittelfristigen und langfristigen Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung so ernst sind, daß man sie nicht beiseite wischen kann. Wir wollen die volle Wiederherstellung der Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge der Arbeitslosen durch die Bundesanstalt für Arbeit. Wir wollen eine neue Rentenformel, die zunächst den Bund, aber auch Arbeitnehmer und Rentner am demographischen Risiko beteiligt. Dazu gehört nach unserer Auffassung die Einführung eines Wertschöpfungsbeitrags und die Harmonisierung unserer Alterssicherungssysteme.
({9})
Sie wollen unter dem Motto „Vertrauen in die Zukunft" mit Unverbindlichem in die Wahl gehen. Wie wir lesen können, sind Sie nicht einmal in der Lage, sich in der Bundesregierung auf ein solches mittel- und langfristiges Strukturkonzept zu einigen.
Wir stellen Ihnen Fragen, von denen wir meinen, daß der Bürger einen Anspruch auf Antworten hat. Wie weit werden die Beiträge in Zukunft noch steigen, Herr Bundesarbeitsminister? Nach welcher Rentenformel werden künftig die Renten berechnet? Wie weit soll der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner durch Sie noch angehoben werden? Wie will sich der Bund, wie will sich Herr Stoltenberg - Sie sind aus diesem Rennen schon ausgeschieden - in Zukunft an den Bundeslasten in der Rentenversicherung beteiligen? Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zur Wertschöpfung ein? Was versteht die Bundesregierung unter versicherungsfremden Leistungen? Wie sollen die Kindererziehungszeiten über 1990 hinaus finanziert werden? Was hat die Bundesregierung zu dem Gut15182
achten der Kommission zur Harmonisierung der Alterssicherungssysteme zu sagen?
({10})
Ich kann Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister, dem Bundeskanzler und den Regierungsfraktionen am Schluß meiner Rede versprechen, daß wir nicht locker lassen werden. Wir wollen, daß Sie Farbe bekennen, und zwar noch in diesem Jahr. Wir werden den Bürgern vor Augen führen, daß Sie in den wichtigen Fragen der Sozialpolitik für die nächsten Jahre keinerlei Konzeption haben.
Was haben die Rentner denn von diesem Minister, von dieser Regierung Kohl zu erwarten? ({11})
Die heutigen Rentner seit 1983 real sinkende Renten, nach jeder Erhöhung weniger Kaufkraft der Rente.
({12})
Was haben die künftigen Rentner zu erwarten?
({13})
Ein Weiterwursteln wie bisher, ein Arbeiten von der Hand in den Mund. Sie werden die bestehende Unsicherheit hinsichtlich der Alterssicherung mit dieser Politik noch potenzieren. Sie haben Ihre Chance nicht genutzt.
Politik, Herr Blüm - und das gilt auch für den Punkt, den wir vorher diskutiert haben - hat etwas mit Wahrhaftigkeit gegenüber den Problemen zu tun.
({14})
Und Politik hat etwas zu tun mit Verantwortung gegenüber den Menschen.
({15})
Beiden Ansprüchen, Herr Bundesarbeitsminister, werden Sie auch im Bereich der Rentenpolitik nicht gerecht.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Heyenn, wenn man sonst wenig zu kritisieren hat, verlegt man sich aufs Polemisieren gegen den Herrn Bundesarbeitsminister, der seine Position hier natürlich noch darstellen wird.
({0})
- Ich wollte mich gerade wundern. Das, was Sie
hier vorgetragen haben, ist ja nun nicht neu, sondern das haben Sie schon ein paarmal vorgetragen.
Insofern ist es völlig wurscht, ob Sie es vor dem Bundesarbeitsminister oder nachher vortragen.
({1})
Das Rentenanpassungsgesetz 1986 und der Rentenanpassungsbericht 1985 der Bundesregierung zeigen, meine Damen und Herren, wie erfolgreich die Rentenpolitik der Koalition aus CDU/CSU und FDP ist und welche positiven sozialen Auswirkungen die Wirtschaftspolitik dieser Regierung hat.
Erstens. Die Rentner nehmen voll an der positiven wirtschaftlichen Entwicklung teil.
Zweitens. Die Finanzierung der Renten ist nach aller Voraussicht bis in die 90er Jahre gesichert.
Drittens. Langfristig ist eine Strukturreform notwendig, um der veränderten Bevölkerungspyramide Rechnung zu tragen.
Die Rentenerhöhung wird nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrages vom 1. Juli an 2,34 % betragen. Das ist mehr als in den vergangenen Jahren. Das ist vor allen Dingen mehr, als die Teuerungsrate aufzehren wird. Das ist doch der entscheidende Punkt für die Rentner. Der Jahreswirtschaftsbericht setzt eine Inflationsrate von 1,7 % für 1986 an. Möglicherweise wird die Teuerungsrate sogar darunter liegen, nämlich bei 1,5 %. Bei einer Rentenerhöhung von 2,34 % netto bedeutet das: Jeder Rentner hat nicht nur mehr Geld, in Mark und Pfennig, im Portemonnaie, sondern er kann sich auch mehr dafür leisten.
({2})
Und das widerspricht nun wirklich all dem, was Sie hier als Schwarzmalerei gegeben haben, Herr Heyenn. Da kann man schlicht und ergreifend nachrechnen, daß 2,34 % Rentenerhöhung netto mehr ist als eine Teuerungsrate von 1,5 oder 1,7 %.
({3})
Meine Damen und Herren, was nützt denn eigentlich einem Rentner eine Rentenerhöhung von 4 %, wenn die Teuerungsrate 5 % beträgt? Dann hat er zwar vielleicht 12 DM mehr im Portemonnaie, aber für das gleiche muß er 15 DM mehr ausgeben.
({4})
- Herr Heyenn, Sie sollten Ihr selektives Erinnerungsvermögen auch etwas verändern;
({5})
denn in den 70er Jahren sind von uns gemeinsam notwendigerweise ganz andere Einschnitte gemacht worden, als das 1982 und 1983 der Fall war.
({6})
1986 werden die Rentner wie schon 1985 voll an der wirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen, obFrau Dr. Adam-Schwaetzer
wohl sie einen zusätzlichen Beitrag zu ihrer Krankenversicherung leisten müssen. Wir haben den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner schon seit langer Zeit als einen systemkonformen und vertretbaren Schritt bezeichnet. Er ist systemkonform; denn es wird damit eine Situation hergestellt, wie sie bereits vor 1972 existiert hat. Die Rentner werden - auch das halten wir in diesem Punkt für durchaus vertretbar - den aktiven Arbeitnehmern in etwa gleichgestellt, die ja auch ihren Beitrag zur Krankenversicherung leisten müssen.
Herr Heyenn, wenn Sie hier zum, ich weiß nicht, wievielten Mal beklagen, daß bei der Neuordnung der Hinterbliebenenrenten die Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf die Jahrgänge nach 1921 begrenzt worden ist, kann ich das wirklich nur, auch zum soundsovielten Male, als Krokodilstränen bezeichnen; denn das, was Sie 1972 vorgeschlagen hatten, war nichts anderes als das, was die Koalition jetzt gemacht hat.
({7})
Da können Sie, Frau Fuchs, beklagen, daß das vor 13 Jahren gewesen sei, nur, an der FDP ist das auch damals nicht gescheitert. Sie sollten heute nun wirklich nicht darüber klagen, wenn andere das durchführen, was Sie vor 13 Jahren auch durchführen wollten, aber damals nicht durchführen konnten. Dies ist nun wirklich unredlich und unlauter.
({8})
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten, Frau AdamSchwaetzer?
Aber selbstverständlich, wenn Sie das nicht anrechnen.
Würden Sie, Frau Kollegin, zugestehen, daß heute drei Viertel aller Rentenbezieherinnen Kindererziehungszeiten als Bestandteil in ihrer Rente hätten, wenn die Einführung von Kindererziehungszeiten für die Zukunft im Jahre 1972 nicht an der Fraktion der CDU/CSU gescheitert wäre?
({0})
Herr Heyenn, ich stehe hier überhaupt nicht an, zu sagen, daß es schön gewesen wäre, wenn das im Jahre 1972 durchgesetzt worden wäre. Nur, das bringt für die Diskussion, die Sie hier immer wieder anzetteln, überhaupt nichts. Sie drücken sich davor, einzugestehen, daß Sie vor 13 Jahren aus finanziellen Erwägungen exakt das gleiche machen wollten, was Sie uns heute vorwerfen, und das nenne ich unredlich.
({0})
Was die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung anlangt, meine Damen und Herren, so haben wir in den letzten Monaten in der Opposition eine Menge Schwarzmalerei erlebt. Sie ist leiser geworden. Sie hat in der Öffentlichkeit auch nicht den Widerhall gefunden, wie sich die Opposition das vielleicht ausgerechnet hatte.
({1})
Sie ist vor allen Dingen auf den Kern dessen reduziert worden, was sie darstellt, nämlich eine Verunsicherungskampagne der Rentner zu Wahlkampfzwecken. Wenn es auch zeitweilig so aussah, als würde sich mancher Rentner von den Parolen der SPD beeindrucken lassen, so ist inzwischen doch klar - die Umfragen weisen das aus -: Das Vertrauen der Rentner in die Solidität der Rentenversicherung ist ungebrochen, und es ist gerechtfertigt. Die Rentenversicherungsträger bestätigen einhellig, daß die Renten auf der bestehenden Grundlage bis in die 90er Jahre gesichert sind. Dazu trägt bei, daß die Entwicklung am Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr - trotz der nach wie vor deprimierenden Arbeitslosenzahlen - doch einen Nettogewinn an Arbeitsplätzen um ca. 200 000 zu verzeichnen hatte, und neue Arbeitsplätze, meine Damen und Herren, bedeuten mehr Menschen mit Einkommen, von denen auch Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.
Die Entwicklung, die wir 1986 erwarten, deutet auf einen weiteren Zuwachs an Arbeitsplätzen hin; auch davon profitiert die Rentenversicherung: Die Liquidität verbessert sich, die Rentenversicherung kann wieder Rücklagen ansammeln, und letztlich gewinnt sie damit zusätzliche Stabilität.
Notwendig für die 90er Jahre wird eine Strukturreform, die die demographische Entwicklung berücksichtigt. Die notwendigen Entscheidungen, die ihre Bedeutung aber erst für die Zeit nach 1995 erlangen, müssen frühzeitig getroffen werden, damit sich die Menschen darauf einstellen können. Denn wer sich heute auf ein bestimmtes Alterseinkommen einstellt, muß auch die Gewißheit haben, daß er in 10, 15 Jahren in etwa damit rechnen kann. Das heißt: Wenn sich durch die demographische Entwicklung Veränderungen ergeben, muß man sich heute schon auf die Situation in 10 bzw. 15 Jahren einstellen können.
Hinsichtlich dieser Strukturreformen halten wir Liberalen an der beitrags- und leistungsbezogenen Rente für die Bevölkerung fest. Die aus der demographischen Entwicklung entstehenden Belastungen müssen auf alle Schultern verteilt werden: Beitragszahler, Steuerzahler und Rentner müssen ihren Beitrag leisten. Und hier, meine Damen und Herren von der SPD, mache ich Ihnen wirklich den Vorwurf, daß Sie nach wie vor versuchen, den Rentnern Sand in die Augen zu streuen, vor allen Dingen aber der jetzt aktiven Generation nicht sagen, was nach dem Jahr 2000 wirklich auf sie zukommt. Sie trauen sich nicht, den Menschen reinen Wein einzuschenken,
({2})
sondern Sie beklagen nach wie vor die Veränderungen, die sich heute im Rentenniveau ergeben.
({3})
- Ach, hätten Sie doch zugehört, Frau Kollegin. Ich habe hier ausdrücklich gesagt: Natürlich hält die FDP an der beitrags- und leistungsbezogenen Rente fest.
({4})
- Auch der Vorsitzende der FDP hält an der beitrags- und leistungsbezogenen Rente fest. Das wird er Ihnen in der nächsten Debatte, in der er hier zu diesen Fragen Stellung nimmt, selbstverständlich bestätigen.
({5})
Nur Sie, meine Damen und Herren, trauen sich nicht zu sagen, daß die Voraussage, die heute noch im Rentengesetz drinsteht, nämlich daß durch die gesetzliche Rentenversicherung allein eine Lebensstandardsicherung möglich sei, für die Generation der heute 40jährigen nicht machbar wird. Sie trauen sich nicht! Sie sind in diesem Punkt nicht aufrichtig.
({6})
Für uns kommt - ich sage das immer - auch nach dem Jahr 1995 neben einer Neugestaltung des Bundeszuschusses auch eine Diskussion über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit in Frage. Alles das darf nicht tabu sein. Klar ist aber auch: wenn einer länger arbeitet, muß sich das in seiner Rente bemerkbar machen und umgekehrt.
Wir wollen im übrigen mit der Strukturreform auch heute noch sozialpolitisch unbefriedigende Tatbestände angehen. Die Angst vor der Armut im Alter halten wir für unerträglich, und sie ist weit verbreitet; das müssen wir zugeben. Wir wollen sie durch systemkonforme Lösungen überwinden.
Wenn Sie, Herr Heyenn, den Wertschöpfungsbeitrag immer wieder in dieser Debatte bringen, dann sind Sie uns auch heute wieder die Antwort schuldig geblieben, wer bei Ihnen denn nun eigentlich recht hat, Herr Dreßler oder Herr Apel. Herr Dreßler sagt, wir brauchen den Wertschöpfungsbeitrag neben dem jetzt bestehenden Beitragssystem, weil er erkannt hat, daß der Wertschöpfungsbeitrag an sich weniger Geld in die Kassen bringt als das heute bestehende Beitragssystem. Herr Apel dagegen sagt, das ginge auf gar keinen Fall; denn eine doppelte Belastung der Beitragszahler käme nicht in Frage.
({7})
Hier gibt es nach wie vor innerhalb der SPD ungelöste Probleme, und kein Mensch weiß, wer sich da eigentlich durchsetzen wird.
Eine solide Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren, ist die wichtigste Voraussetzung dafür, daß die Perspektiven für eine angemessene und finanzierbare Alterssicherung darstellbar und solide bleiben. Wir wollen sie auf solidarischer Grundlage machen, ergänzt durch individuelle Vorsorge, und wir sind sicher, daß wir mit diesem Konzept viel Zustimmung finden werden.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Adam-Schwaetzer, das glaube ich Ihnen gern, daß Herr Bangemann an seiner beitragsbezogenen Rente festhalten will. Das kann ich mir gut vorstellen. Die ist j a auch wesentlich höher. Die wird auch wesentlich höher sein als die durchschnittlichen Renten, die in diesem Lande bezahlt werden.
Die heute von der Bundesregierung vorgeschlagene Rentenanpassung ist allerdings eine Beleidigung für die Rentner oder, wie mein Freund und Kollege Schily gerade sagt, ein Alltagsereignis hier in Bonn, das heißt ein Skandal.
({0})
Die Rentenerhöhung zum 1. Juli 1986 wird, geht es nach der Bundesregierung, gerade 1,9% für das Jahr 1986 betragen. Ich rechne Ihnen das gern vor. Die im Rentenanpassungsgesetz behaupteten 2,3 % reduzieren sich nämlich, da noch bis zum 1. Juli dieses Jahres die Rentenerhöhung des Vorjahres von 1,5% weiterläuft. Hinter dieser nüchternen Zahl von 1,9% effektive Rentenerhöhung verbergen sich tiefgreifende Zusammenhänge.
({1})
- Daß diese Zahlen für Sie ein Durcheinander sind, beweist nur eines: daß Sie sich über diese lächerlichen 1,9%, die die Rentner zusätzlich bekommen, noch nicht ein einziges Mal wirklich Gedanken gemacht haben. Sonst wüßten Sie, was eigentlich 1,9% auf eine Rente von 750 Mark pro Monat bedeuten, nämlich sehr, sehr wenig.
({2})
Auf Kosten der sozial Schwachen hat diese Bundesregierung immer wieder den Bundeshaushalt entlastet, hat dies als Sanierung des Bundeshaushalts verkauft und hat sich also auf Kosten von Armen und Schwachen saniert. Dies immer noch als Erfolg darzustellen, ist nichts anderes als Nebelwerfen, Nebelwerfen in die Richtung, wo Leute wirklich Geld brauchen könnten. Wir sollten uns erinnern: 1983 wurde die Rentenanpassung willkürlich vom 1. Januar auf den 1. Juli verschoben, und seitdem werden die Rentnerinnen und Rentner mit einem Betrag zur Krankenversicherung belastet, 1983 nur mit 1%, dann seit 1. Juli 1984 mit 3 %, seit dem vergangenen Jahr mit 4,5%. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Rentner mit weiteren 0,7% insgesamt also mit 5,2% ihrer Rente
Dr. Müller ({3})
zur Kasse gebeten werden. Hier wird also den Rentnern noch zusätzlich etwas für die Krankenversicherung genommen.
Gleichzeitig fielen allerdings die Nettoanpassungen der Renten höchst dürftig aus: Im vergangenen Jahr waren es effektiv 1,5 %, dann knapp 1 %, in diesem Jahr werden es nur 1,9% sein.
Nun verweisen Sie, Herr Blüm, gerne darauf, daß die Steigerung der Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren einigermaßen gering gehalten werden konnte. Das ist natürlich nicht Ihre Leistung, aber es ist der Fall. Zuletzt waren es 2 % im Jahre 1985. Doch wird dabei regelmäßig verschwiegen, daß sich die Realeinkommen der verschiedenen Sozialgruppen in diesem Lande sehr unterschiedlich entwickelt haben.
({4})
Kaum bekannt ist beispielsweise, daß die realen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit nach dem AFG für Erwerbslose zwischen 1981 und 1983 um 12 % zurückgegangen waren, die Realeinkommen der Arbeitnehmer um 3 % und die Einkommen der Rentner und anderer nicht erwerbstätiger Haushalte um immerhin 4% gesunken sind.
In demselben Zeitraum, meine Damen und Herren von der CDU, sind aber die Einkommen der selbständigen Haushalte immerhin um 3% gestiegen. Es macht einen erheblichen Unterschied in dieser Welt aus, ob man selbständig oder ob man Rentner ist. Auf diesen Unterschied gilt es in dieser Debatte zu verweisen.
({5})
Sie machen sehr deutlich, auf wessen Seite Ihr Herz schlägt: Wer heute über Einkommen aus Unternehmenstätigkeit oder Vermögen verfügt, dessen Einkommen werden durch diese Regierung permanent verbessert. Auch dazu einige Daten: So stiegen beispielsweise die Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in den vergangenen Jahren - also von 1983 bis heute - um 12,5%. Im kommenden Jahr erwartet die Bundesregierung in diesem Bereich einen Zuwachs von 6 bis 7 %.
Demgegenüber nehmen sich die heute zu behandelnden 1,9% Rentenerhöhung wahrlich dürftig aus. Das haben Sie natürlich gut gemacht. Sie haben das gut hingekriegt: Heute morgen die große Debatte, viel Aufmerksamkeit, und hinterhergeschoben eine sehr sehr dürftige Rentenanpassung, über die keiner reden wird. Die Rentner aber werden das in der Kasse zu spüren haben. Sie werden spüren, in welcher Art und Weise Sie den Armen nichts Zusätzliches mehr geben und wie dies auch noch durch die Inflation aufgefressen wird.
({6})
Die lächerliche Rentenerhöhung, die Sie heute vorgeschlagen haben, bekommt weitere Brisanz durch das, was Sie ebenfalls nicht hören mögen, meine Damen und Herren von der CDU, nämlich durch das Problem der Altersarmut.
(Bohl [CDU/CSU]: Legen Sie doch einmal
eine andere Platte auf!
Wir wissen: Von vier Millionen Rentnern mußten sich 1982 rund 1,2 Millionen mit einem Altengeld von unter 1 000 DM im Monat begnügen. Versuchen Sie einmal, mit 1 000 DM im Monat auszukommen.
Von allen Problemen ist das größte Problem die Altersarmut bei Frauen. Jede zweite Witwe - also insgesamt 1,9 Millionen Frauen - erhielt 1982 weniger als 750 DM Rente. Mehr als 600 000 alte Frauen - also jede sechste Rentnerin - mußte von einem Gesamtnettoeinkommen von unter 800 DM im Monat leben. Diese Daten zeigen: Altersarmut ist kein Problem unbedeutender Minderheiten; Altersarmut nimmt zu. Die Art der Rentenanpassungspolitik, wie Sie sie betreiben, verschärft das Problem der Altersarmut.
Gleichzeitig - daran möchte ich Sie gerne erinnern - waren Sie bereit, für die Frühpensionierung von 1500 Offizieren, wie Sie es genannt haben, insgesamt 1,2 Milliarden DM auszugeben, und, soweit wir informiert worden sind, reichen diese 1,2 Milliarden DM noch nicht einmal. Dafür hatten Sie genügend Geld. Für die Renten der kleinen Leute haben Sie es nicht.
Gleichzeitig wissen wir, daß immerhin fast 80 % aller Beamtenpensionen - das könnte man ja einmal zum Maßstab nehmen - oberhalb von 2 000 DM angesiedelt sind.
Ich möchte zum Schluß kommen. Das wichtigste Problem, das wir zu debattieren haben, ist das Problem der Altersarmut. Es ist an der Zeit, ganz drastische Erhöhungen im Bereich der unteren Renten vorzunehmen und dafür Sorge zu tragen, daß es in Deutschland nicht Menschen gibt, die mit einem Einkommen auszukommen haben, das unterhalb von 1 000 DM liegt.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Heyenn, ich kann Sie beruhigen: Mein Selbstvertrauen ist ungebrochen. Daß ich jetzt ans Rednerpult gehe, beruht auf der Rücksicht darauf, daß ich heute morgen die Debatte eingeleitet habe. Ich dachte, das sei ein Zeichen recht verstandener Kollegialität.
({0})
- Bitte, ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie auf das antworten, was ich jetzt sage.
Lassen Sie mich zur Sache selber kommen. Ich habe drei Nachrichten, die nichts mit einer Optimismuskampagne zu tun haben, sondern mit einer Realismusinformation. Erstens: Die Renten steigen. Zweitens: Die Preise sind stabiler als je zuvor. Drit15186
tens: Die Rücklagen in der Rentenkasse füllen sich wieder. Das sind drei gute Nachrichten für die Rentner.
({1})
Meine Damen und Herren, ich finde, das Wichtigste in der Rentenpolitik - ich bin mir sicher, daß viele Rentner genauso denken - sind sichere Renten. Der Maßstab dafür sind nicht zuletzt die Rücklagen. Nach Jahren der Abwärtsbewegung - da waren Sie j a unnachahmlich - füllen sich die Rücklagen jetzt wieder.
Wie ich schon sagte: Die zweite wichtige Nachricht für die Rentner sind die stabilen Preise. Verehrter Herr Kollege Müller, nicht nur die Rentenerhöhung spielt eine Rolle, sondern auch die Preisstabilität.
({2})
- Ich will ein Beispiel nennen. Bei einer Rentenerhöhung um 4 % könnte man in Gefahr sein zu sagen: hervorragend, viel mehr als jetzt. 1981 betrug die Preissteigerungsrate aber 6,1 %. Das waren 2 % mehr als die Rentenerhöhung. 1980 betrug die Rentenerhöhung 4 %, aber die Preissteigerungsrate lag bei 5,4 %. Jetzt liegt die Preissteigerungsrate unter der Rentenerhöhung.
Meine Damen und Herren, die realen Einkommen der Rentner haben sich besser entwickelt als die der Arbeitnehmer. Zur Rentensteigerung möchte ich auch noch folgenden Hinweis geben: Keine Lohnerhöhung geht an den Rentnern vorbei. Der Rentensteigerungssatz ist das Ergebnis der Lohnerhöhungen des Vorjahres. Kein Rentner braucht sich also zu sorgen, er würde abgehängt. Er folgt der Lohnerhöhung mit einem einjährigen Abstand.
3,1 % betrugen die Lohnerhöhungen im Durchschnitt. Die Rentner bezahlen 0,7 % Krankenversicherungsbeitrag. Das ist auch ein Solidaritätsbeitrag der älteren Generation für die Jungen, damit die Beitragslast der Jungen nicht über jenes Maß steigt, das zumutbar ist.
Ich will auch darauf hinweisen, daß die Lohnsteigerung um 3,1 % eine Bruttosteigerung ist. Auch die Arbeitnehmer leben nicht von der Bruttosteigerung um 3,1 %, sondern von dem, was nach Abzug von Steuern, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung und Krankenversicherung übrig bleibt. Bei den Rentnern ziehen wir die Krankenversicherung ab. Insofern stehen sich die Rentner netto gesehen nicht schlechter als die Arbeitnehmer, auch wenn die Rentenerhöhung nur 2,34 % ausmacht.
({3})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir das Thema außerhalb der Zahlen darstellen sollten. Deshalb komme ich noch einmal auf die Preisstabilität zurück. Wissen Sie, was es bedeutet, wenn die Preise nicht so steigen, wie wir es gewohnt waren? 3 % weniger Preissteigerung bedeuten einen Kaufkraftgewinn von 6 Milliarden DM für die Rentner. Das ist immer noch Zahlenspielerei. Außerhalb der Zahlenspielerei gesagt: Das sind durchschnittlich zwei Monatsmieten. Stellen Sie sich einmal vor, die Bundesregierung hätte beschlossen: Wir zahlen den Rentnern zwei Monatsmieten im Jahre 1986. Wie groß wäre dann die Zustimmung!
Nur: Was wir politisch erreicht haben, ist bei Licht betrachtet das gleiche. Das geht leider etwas leise vor sich - deshalb muß ich etwas lauter darüber reden -, weil die Politik der Preisstabilität eine soziale Verteilungspolitik ohne große Worte ist. Aber wir betreiben eine Sozialpolitik des Realismus, nicht eine Sozialpolitik der großen Worte. Wir haben die Rente konsolidieren müssen. 60 Milliarden Mark sind mehr in der Rentenkasse, als es ohne unsere Maßnahmen der Fall wäre. Dabei sind alle beteiligt worden - die Beitragszahler durch geringe Beitragserhöhungen, die Rentner durch Opfer und der Bund. Meine Damen und Herren, wir sind die Bundesregierung, die zum erstenmal den Bundeszuschuß erhöht hat, höher als es der gesetzlichen Pflicht entsprach. Sie waren immer ein abschreckendes Beispiel für Bundeszuschußkürzungen. Wir sind die erste Bundesregierung, die den Bundeszuschuß erhöht hat. Ich glaube, wir können, auch wenn die Legislaturperiode noch nicht zu Ende ist, auch in der Rentenpolitik auf ein gutes Tagwerk zurückblicken.
Die Hinterbliebenenrentenreform, für die Sie sieben Jahre Zeit hatten, haben wir in zwei Jahren durchgeführt,
({4})
und zwar eine Hinterbliebenenrentenreform - ich muß es immer wiederholen - mit Zustimmung der Gewerkschaften, mit Zustimmung vieler Sozialverbände, mit Zustimmung des Deutschen Frauenrates. Sie hatten die Zustimmung des Bundesverbandes der deutschen Arbeitgeberverbände, was auch nichts Ehrenrühriges ist, was nur etwas das Schema verdirbt, Sie seien die Partei der Arbeitnehmer, und wir seien die Kapitalistenpartei. In Märchenbüchern für politische Kleinkinder mag das stimmen, in der Wirklichkeit hat sich auch an diesem Punkt gezeigt, daß das nicht stimmt.
Kindererziehungszeiten - Sie hätten es machen können! Suchen Sie jetzt nicht Mehrheitsverhältnisse und Ausreden. Selbst wenn Sie das gemacht hätten, was Sie vorhatten - in Planankündigungen waren Sie immer groß -, hätten es gar nicht alle Frauen bekommen, sondern nur diejenigen, die rentenversichert waren. Sie haben Ihr Babyjahr nicht rentenbegründend, sondern nur rentensteigernd und - jetzt für die Fachleute - als Ausfallzeit gewollt. Das bedeutet: große Rente - großes Baby; kleine Rente - kleines Baby. Je nach Rentenhöhe war Ihr Babyjahr konstruiert zwischen 2,50 DM und 50 DM. Für mich ist Kind gleich Kind, und deshalb sind bei uns die Kindererziehungsjahre für alle gleich, und sie wirken nicht nur rentensteigernd, sondern auch rentenbegründend.
Und was wir auch weitererzählen sollten, weil es vielen und gerade Frauen Vorteile bringt, wir haben die Mindestbeitragszeiten gesenkt. Früher waren 15 Jahre nötig, um überhaupt einen Anspruch auf Rente zu erhalten. Viele Frauen sind nicht über
diese Hürde gekommen. Indem wir diese Zeit auf fünf Jahre gesenkt haben, haben wir vielen Frauen zum erstenmal überhaupt einen Anspruch auf Altersrente verschafft, oder einen Anspruch, ihre Invaliditätsrente, ihre Berufsunfähigkeitsrente in eine ordentliche Altersrente umzuwandeln, was eine Rentensteigerung von im Monat durchschnittlich 80 DM ausmacht. Das ist alles kein Rentenchinesisch.
Herr Bundesminister, der Abgeordnete Heyenn möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Herr Bundesminister, würden Sie zugeben, daß die Hunderttausende oder gar Millionen von Frauen, denen Sie jetzt gnädigerweise mit einer Wartezeit von fünf Jahren mit dem 65. Lebensjahr ein Altersruhegeld zugestehen.
({0})
zu mehr als 70 % nach dem Recht, das Sie beseitigt haben, bereits weit vor dem 65. Lebensjahr einen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gehabt hätten?
({1})
Herr Heyenn, ich darf Ihnen gleich etwas in Zahlen darauf antworten und aus dem Gedächtnis sagen: Es sind in einem Jahr ungefähr 100 000 Frauen, die einen Anspruch erworben haben. Davon bekommen diejenigen, die eine normale Altersrente bekommen, die sie vorher nicht hatten, 224 DM. Sie können sagen, das ist sehr wenig. Das sind 224 DM mehr, als sie bei Ihnen bekommen hätten, bei Ihnen hätten sie nämlich überhaupt nichts bekommen. Die hätten überhaupt keine Altersrente bekommen.
({0})
Die zweite Frage betrifft die Berufsunfähigkeitsrente. Dort hat sich die Rente um 80 DM im Durchschnitt erhöht. Ich halte das beides für die Frauen, für die Rentner, für gute Nachrichten.
Was die Neuordnung der Beruf sunfähigkeitsrente anbelangt, so denke ich, es liegt im Sinne unseres Rentensystems, daß man Berufsunfähigkeitsrente nur erhalten kann, wenn man berufstätig ist.
({1})
- Im Sinne der Rentenversicherung war eine Hausfrau nicht pflichtversichert. Das war bei Ihnen nicht so und ist bei uns nicht so. Aber wir verschaffen dieser Hausfrau beispielsweise durch Kindererziehungszeiten überhaupt erst einen Anspruch, in die Rentenversicherung reinzukommen. Wir könnten heute nachmittag eine ausführliche Rentendebatte führen. - Bitte schön.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Herr Kollege Blüm, ich möchte Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, nach Schluß dieser Debatte oder heute abend einmal darüber nachzudenken, daß Sie sich nicht selbst vergegenwärtigen können, daß sie wieder einmal, wie so oft, an der Frage total vorbeigeredet haben.
Ich habe Ihnen die Zahlen genannt, die für das Thema „Senkung der Mindestbeitragszeiten" wichtig sind, und habe erläutert, wie sich im Durchschnitt die Renten dadurch erhöhen. Ich finde, die Frage ist sowohl für die Zuhörer als auch für Sie sehr wichtig.
({0})
Aber überlassen Sie es den Zuhörern, ob sie meine Antwort als befriedigend empfinden. Ich muß ja nicht unbedingt Sie befriedigen;
({1})
ich weiß, daß Sie nicht die CDU wählen.
Nun, meine Damen und Herren, will ich doch noch ein paar Worte zu den Kindererziehungszeiten sagen. Es schmerzt mich wie Sie, daß wir nicht die Vergangenheit einholen können. Aber nach alter sozialpolitischer Erfahrung haben die Sozialpolitiker nie die Wahl „Alles oder Nichts" akzeptiert, sondern gesagt: Laßt uns den Schritt machen, der heute möglich ist. Und es war der Schritt, zum erstenmal in der Geschichte der Rentenversicherung Kindererziehungszeiten einzuführen.
Ich möchte meinen Beitrag schließen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie uns das Thema der Alten nicht nur auf die Renten beschränken. Denken wir daran, daß die alte Generation nicht nur Anspruch auf sichere Rente hat, sondern auch darauf, in unserer Gesellschaft aufgehoben zu sein, eingebunden zu sein in die Solidarität der Generationen.
({2})
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, kann ich die Aussprache schließen.
Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/4990 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft sowie zur Mitberatung und Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Andere Vorschläge werden offensichtlich nicht gemacht; dann ist dies so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich kann nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatztagesordnungspunkte aufrufen:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs
Vizepräsident Cronenberg
eines Gesetzes zur Änderung wirtschafts- und verbraucherrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 10/4741 Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Rapp ({0}), Ranker, Oostergetelo, Stiegler, Dr. Schwenk ({1}), Bachmaier, Curdt, Fischer ({2}), Huonker, Meininghaus, Müller ({3}), Pfuhl, Reschke, Stahl ({4}), Vosen, Frau Weyel, Wolfram ({5}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Wettbewerb und Verbraucherschutz im Einzelhandel
- Drucksache 10/5002 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Ladenschluß im Einzelhandel
- Drucksache 10/5003 Nach einer interfraktionellen Absprache ist ein Beitrag von je zehn Minuten für jede Fraktion vorgesehen.
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. So kann ich die allgemeine Aussprache eröffnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Sauter ({6}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Schwerpunkt des von uns eingebrachten Gesetzentwurfes liegt fraglos in der längst überfälligen Novellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb.
Seit der letzten UWG-Novelle im Juni 1969 wurden sieben Anläufe zu einer weiteren Anpassung unternommen. Nicht weniger als fünf Gesetzentwürfe sind in der Zeit von 1974 bis 1982 durch die von der SPD-geführten Regierungen beerdigt worden.
Aus all dem wird ersichtlich, daß wertvolle Zeit vertan worden ist, daß in diesem wichtigen Bereich längst etwas hätte geschehen müssen und daß leider Unfähigkeit, mangelnde Kompromißfähigkeit und die altbekannte Tatsache, daß bei der SPD meistens großen Worten keine Taten folgen, dafür ausschlaggebend waren, daß nichts - leider nichts - geschehen ist.
Primäres Anliegen des UWG und damit auch einer UWG-Novelle ist der Schutz der Institution Wettbewerb, namentlich der Schutz des lauteren und leistungsgerechten Wettbewerbs; dies auch unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes, denn nur ein guter Wettbewerbsschutz kann dazu beitragen, daß ein sinnvoller Verbraucherschutz herrscht.
Der Schutz des Leistungswettbewerbs dient vor allem aber auch der Erhaltung mittelständisch geprägter Marktstrukturen und damit einer breiten Angebotsvielfalt. Daß diesem Aspekt ein entscheidendes Gewicht zukommt, wird gerade in einer Zeit deutlich, in der ein fortschreitender Konzentrationsprozeß und ein ausufernder Verdrängungswettbewerb für den mittelständischen Handel existenzbedrohend werden.
Ich weiß, daß wir die angesprochenen Probleme nicht allein mit einer Novellierung des UWG werden lösen können. Wir haben uns in der letzten Woche über mögliche Änderungen des GWB unterhalten. Sie wissen, daß die Position der Union ist, dies in der nächsten Legislaturperiode anzugehen.
Das UWG deckt nur einen Teil des Komplexes Leistungswettbewerb ab, nämlich denjenigen mit typischem Unlauterkeitsbezug. Aber es ist wichtig, daß wir hier mit der Verbesserung der wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen beginnen und in einem Bereich ansetzen, der vorwiegend den kleinen und mittleren Betrieben zugute kommt.
Der vorliegende Gesetzentwurf tut dies, indem er seinen Schwerpunkt im Gegensatz zu den Vorschlägen der SPD auf den Schutz des Wettbewerbs legt. Ich räume ein, daß nicht alles geworden ist, wie es sich insbesondere die CSU gewünscht hat. In jedem Fall aber enthält dieser Entwurf wesentlich mehr als sämtliche früheren Gesetzesvorschläge der SPD. Er kann daher nur begrüßt werden. Nicht ganz klar bin ich mir über die von der SPD jetzt noch flugs nachgereichten Anträge bzw. Gesetzesinitiativen, die, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in sich nicht schlüssig sind und sich eigentlich nicht mit dem vereinbaren lassen, was in Schwerpunktbereichen von Ihnen bisher vertreten worden ist.
Im materiellen Teil des Gesetzentwurfes werden vor allem unlautere Praktiken aufgegriffen, die sich in der Praxis als besonders verbreitet und wettbewerbsschädlich herausgestellt haben. Ich darf hier zunächst das Verbot der blickfangmäßigen Preisgegenüberstellung anführen. Das ist ein Unfug, der insbesondere deshalb abgeschafft werden muß, weil meistens nicht nachgeprüft werden kann, ob der Preis, dem ein anderer gegenübergestellt wird, vorher überhaupt verlangt worden ist.
Ich darf des weiteren das Verbot der Werbung mit Mengenbegrenzungen, die typischen Lockvogelcharakter hat, erwähnen. Auch damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, soll dem Verbraucher ein besonders günstiges, aus dem Rahmen fallendes Angebot vorgegaukelt werden, um ihn ohne weitere Prüfung ins Geschäft zu locken in der Hoffnung, daß er seinen Bedarf auch mit anderen, teureren Waren deckt, so daß im Zuge der Mischkalkulation wieder alles stimmt.
Wir hätten es lieber gesehen, wenn nicht nur ein Werbeverbot ausgesprochen worden wäre, sondern wenn generell die mengenmäßige Beschränkung bei Lockvogelangeboten hätte untersagt werden können. Wir hätten darin keinen möglichen Kontrahierungszwang gesehen, wir sind aber der Meinung, daß man mit dem, was im Gesetz jetzt vorgeschlagen worden ist, ebenfalls leben kann.
Die entscheidensten Änderungen sind zweifelsohne im Sonderveranstaltungsrecht vorgeschlagen worden. In diesem Bereich haben wir in den letzen Jahren die eklatantesten Mißbräuche feststellen müssen, die vor allem den kleinen Betrieben
Sauter ({0})
schwer zu schaffen gemacht haben. Auch die Vollzugsbehörden und die Kammern hatten hier in der letzten Zeit ihre liebe Not. Ich bin davon überzeugt, daß sie unzählige Male - allerdings unbemerkt - getäuscht worden sind.
Den Sonderveranstaltungsrummel schränkt unser Entwurf drastisch ein. Vor allem das bisher viel zu weit gefaßte und daher besonders mißbrauchsanfällige Aus- und Räumungsverkaufsrecht ist auf diejenigen Fälle zurechtgestutzt worden, in denen diese enorme Beeinträchtigung der Mitbewerber wirklich vertretbar erscheint.
Eines, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird es in Zukunft weiter geben, nämlich den Winter- und den Sommerschlußverkauf für die Branchen Textilien, Bekleidung, Schuhwaren, Lederwaren und Sportartikel. Ein anderes wird es nicht mehr geben, nämlich den Ausverkauf wegen angeblichen Umbaus, auch dann, wenn nur eine Pappwand versetzt wird oder Regale verstellt werden. Dem werden wir in Zukunft Einhalt gebieten. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein.
Räumungsverkäufe wegen Geschäftsaufgabe sind nur noch dann möglich, wenn der gesamte Geschäftsbetrieb und nicht nur eine Filiale oder ein Teil des Geschäftsbetriebs aufgegeben wird.
({1})
Wir haben auch Sperren gegen die professionellen Ausverkaufshändler eingeführt. Wir werden auch dafür sorgen, daß die Verfahrensregelungen entbürokratisiert werden und dem sonst für das UWG geltenden zivilrechtlichen Sanktionssystem angepaßt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir von der Union kämpfen noch um eine Regelung zur Beweislastumkehr, die der Rechtsprechung entspricht. Es gibt hier unter den Koalitionsparteien Absichtserklärungen, die es aus meiner Sicht möglich erscheinen lassen, daß dies auch in das Gesetz noch Eingang finden wird.
Der Verbraucherschutz ist nicht zuletzt dadurch berücksichtigt, daß in Zukunft bei unwahrer Werbung ein Rücktrittsrecht eingeräumt wird. Das ist aus meiner Sicht überhaupt das Sinnvollste und Praktikabelste. Ein Schadensersatzanspruch wegen Beträgen zwischen 3 und 5 DM, wie es meistens der Fall wäre, würde nach unserer Überzeugung sowieso nicht greifen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen, daß wir auch hinsichtlich der unseriösen Abmahn- und Gebührenvereine eine Regelung getroffen haben. Hier sind wir uns seit Jahren einig: Es gibt künftig bei der ersten Abmahnung keine Kostenerstattung mehr. Das gilt auch für diejenigen, die ihre Tätigkeit jetzt mit Rechtsanwaltskanzleien betreiben. Auch dort werden die Gebühren bei der ersten Abmahnung in Zukunft nicht mehr ersetzt werden.
Der eingebrachte Gesetzentwurf bringt neben den Änderungsvorstellungen zum UWG auch andere bedeutsame Änderungen des geltenden
Rechts. Als wesentliche Verbesserung, nicht nur für den Verbraucher, sehen wir den neuen § 609 a BGB an. Der bisherige § 247 BGB, den die neue Vorschrift ablösen soll, ist nach unserer Überzeugung nicht mehr zeitgemäß. Der in der alten Bestimmung enthaltene Grenzzinssatz von 6 % paßt nicht mehr zu den völlig veränderten Zinsstrukturen am Kapitalmarkt. Außerdem ist die Kündigungsmöglichkeit nach § 247 BGB durch die Rechtsprechung dermaßen eingeschränkt worden, daß die Vorschrift kein wirksames Instrument zum Schutz des Verbrauchers mehr ist. Die veraltete Bestimmung wird deshalb durch eine Regelung ersetzt, die bei variabel verzinslichen Krediten eine jederzeitige Kündigungsmöglichkeit vorsieht und bei festverzinslichen Krediten dem Verbraucher eine Kündigung nach sechs Monaten ermöglicht. Im übrigen besteht bei festverzinslichen Krediten eine Kündigungsmöglichkeit bei Auslaufen der beiderseitigen Zinsbindung und auf jeden Fall nach zehn Jahren. Durch diese Regelung sind nach unserer Überzeugung die Belange des Verbrauchers ebenso wie die des Kreditgewerbes in gleicher Weise angemessen gewahrt.
({2})
- Herr Kollege, es freut mich, daß Sie mal da sind.
Abschließend darf ich noch darauf hinweisen, daß es auch zu einer geringfügigen Änderung des Ladenschlußgesetzes kommen wird, die in wenigen Fällen eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten bis 22 Uhr ermöglicht. Die letzte Entscheidung treffen hierbei im übrigen die Landesbehörden; der Bund schafft lediglich die Möglichkeiten.
Alles in allem wird der Gesetzentwurf von uns begrüßt. Es kann durchaus sein, daß in den Ausschußberatungen und nach der Anhörung noch einiges verfeinert wird; unabhängig davon haben wir den festen Willen, dieses Gesetz in etwa so zu verabschieden, wie wir es heute eingebracht haben.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwenk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sauter, der soeben vor mir gesprochen hat, hat erst mal einen Pappkameraden aufgebaut, als er gesagt hat, die SPD habe eine ganze Anzahl Anläufe gemacht, um den unlauteren Wettbewerb besser zu bekämpfen, habe aber nichts fertiggebracht. Dabei weiß er ganz genau - wir haben uns hier schon einige Male gegenübergestanden -, daß die Liberalen in der sozialliberalen Zeit geblockt haben und zahlreiche Anläufe deswegen eben nicht weitergeführt haben.
({0})
Dr. Schwenk ({1})
Sie werden sich auch daran erinnern, daß wir am 16. Juni 1983, also vor zweieinhalb Jahren, die erste Lesung unseres Entwurfs hatten,
({2})
der wesentlich weiter als das geht, was Sie jetzt vorgelegt haben. Dann ist das versackt, weil Sie auch nicht konnten.
({3})
Nun will ich Ihnen sagen, warum Sie jetzt können: Sie haben den Handel abgeschlossen: Aufweichung des Ladenschlußgesetzes gegen einige Bestimmungen zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs.
({4})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauter?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Schwenk, sind Sie mit mir der Ansicht, daß es auch aus diesem Grunde sinnvoll war, daß es einen Wechsel in der Koalition gegeben hat?
Diese Begründung reicht weiß Gott nicht aus, Herr Sauter!
({0})
Sie haben jetzt einen Handel abgeschlossen: Aufweichung des Ladenschlußgesetzes gegen einige Vorschriften zur Verbesserung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb.
({1})
Wir wissen, daß es erklärtes Ziel des FDP-Wirtschaftsministers Bangemann ist, das Ladenschlußgesetz peu à peu weiter aufzuweichen, weil er es im ersten Anlauf nicht geschafft hat. Dies ist ein Markstein; sonst hätte er den Kaufpreis auch nicht bezahlt. Unsere Sorge ist, daß das so weitergehen wird. Es geht j a nicht nur um die Klett-Passage.
({2})
Deshalb muß j a hier in diesem unwürdigen Eilverfahren so ein Gesetz in einer Sondersitzung behandelt werden,
({3})
und deshalb soll nachher der Rechtsausschuß zu einer Sondersitzung zusammentreten,
({4})
obwohl er sonst genug Zeit hat, das zu machen.
({5})
- Ihre Kollegen haben ja im Rechtsausschuß Zeit verschenkt. Das können wir belegen, Herr Bohl. Schauen Sie einmal nach!
({6})
Mit dem Gesetz wollen Sie in der sozialen Aufweichung weiterkommen; das ist völlig klar.
({7})
Vor einem Jahr habe ich eine parlamentarische Anfrage gestellt: Wie sieht es mit dem Ladenschlußgesetz aus? Da hat Ihr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt aus dem Arbeitsministerium heilige Eide geschworen: Das wird nicht geändert. Ein Jahr ist vergangen, jetzt haben wir die Änderungen, und das soll ja wohl so weitergehen.
Aufweichung das Ladenschlußgesetzes heißt: Verschlechterungen der Konkurrenzsituation für die kleinen Gewerbetreibenden und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, die im Einzelhandel zumeist Frauen sind. Sie bekommen jetzt Teilzeitarbeitsplätze, teilweise ohne Versicherung, und dürfen für ein paar Stunden kommen und im Laden stehen. Draufzahlen werden diejenigen, die in den Außenbereichen sitzen; abgesahnt wird in der Innenstadt. Und das wird so weitergehen! Herr Sauter, ich sage Ihnen jetzt schon: Die FDP wird ihre weiteren Forderungen schon erheben, und wenn Sie sagen, das könne auf Landesebene entschieden werden, wird eben dort weiter aufgeweicht.
Dafür gibt es dann einige Verbesserungen im UWG. Die Verbesserungen, die Sie vorgeschlagen haben, werden von uns zum Teil mitgetragen; sie gehen uns aber nicht weit genug. Ich darf daran erinnern, daß Sie für den Fall, daß auf Grund unlauteren Wettbewerbs ein Vertrag abgeschlossen worden ist, zwar das Rücktrittsrecht einführen, aber keinen Schadenersatz. Darum machen Sie einen Bogen, und deshalb reicht Ihr Vorschlag nicht aus.
Es gibt andere Gebiete, die von Ihnen ebenfalls nicht berücksichtigt worden sind. Zum Beispiel finde ich bei Ihnen kein Wort über das Verbot diskriminierender Vertragsbedingungen,
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etwa der Erscheinung, daß große Sortimenter Regale vermieten und die Zulieferer zu erdrückenden Bedingungen abschließen müssen, um dort ihre Ware anbieten zu können.
Auch gibt es kein Verbot des Verkaufs durch Großhändler an Letztverbraucher. Wir alle wissen: Nicht diejenigen, die schmal bei Kasse sind, können dort günstig einkaufen, sondern diejenigen, die gute Beziehungen haben und die sehr wohl zum normalen Preis im normalen Handel einkaufen könnten. Gerade Sie müßten ja ein Interesse daran haben, hier schärfer vorzugehen, tun es aber nicht.
Ihre Regelungen zum Verbot der Preisgegenüberstellung sind sehr abgestuft. Wir werden uns das noch einmal daraufhin ansehen müssen, ob wirklich eine Verbesserung erreicht wird oder ob Sie auf halbem Wege stehenbleiben.
Wir finden es auch richtig, daß Sie die Streitwertgrenzen bei den Klagen zur Abmahnung und bei Unterlassungsklagen herabsetzen wollen. Leider sind Sie nicht konkret und nennen keine Obergrenze, sondern setzen das in das Ermessen der GerichDr. Schwenk ({9})
te. Dann wird sich das aber erst durch eine langjährige Gerichtspraxis einpendeln müssen. Wir hatten vorgeschlagen: 50 000 DM als absolute Streitwertobergrenze und 5 000 DM für Verbraucherverbände, die überwiegend aus öffentlichen Kassen bezuschußt werden.
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Diesen Mut haben Sie nun leider nicht aufgebracht. Wir werden aber in den Ausschußsitzungen und auch in der letzten Lesung darauf bestehen und werden das noch einmal zur Sprache bringen.
Sie verzichten auch auf Strafvorschriften, Sie belassen es lediglich bei Unterlassungsklagen. Wir haben Zweifel, ob das ausreichen wird, um wirklich durchgreifende Verbesserungen zu erzielen.
Wir hatten in unserem Entwurf, den Sie teilweise übernommen haben - und das finde ich auch gut, es waren gute Gedanken drin - das Verbot der unwahren Werbung fortgelassen. Wir hatten es sogar strafbewehrt. Die progressive Kundenwerbung hatten wir ebenfalls strafbewehrt; bei Ihnen ist lediglich die Unterlassung drin.
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- Das werden wir im Ausschuß prüfen. Wir meinen, das sollte auch hier enthalten sein.
Wir gehen mit Ihnen den gleichen Weg, daß die Abmahnungen durch die Abmahnvereine bei der ersten Abmahnung kostenfrei sein sollen, und auch beim Räumungs- und Schlußverkauf finden Sie bei den künftigen Vorschriften unsere Unterstützung. Allerdings hätten wir auch gern - und das ersehen Sie aus unserem Antrag, den wir vorgelegt haben - weitergehende Vorschriften zum Schutz kleiner Gewerbetreibender. Wir sehen mit Erschrecken, daß kleine Gewerbetreibende aus den Innenstädten herausgedrängt, herausprozessiert werden, weil sie gegen die kapitalkräftigen Ketten nicht ankommen können. Das können Sie in jeder Großstadt, das können Sie in jeder Mittelstadt sehen. Hier ist ein besserer Mieterschutz für die kleinen Gewerbetreibenden erforderlich.
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- Es ist ein Omnibusgesetz, wie Sie wissen sollten, in dem viele Regelungen zusammengefaßt sind. Da kann man auch eine solche Regelung unterbringen, die kleine Gewerbetreibende, ob es Einzelhändler oder Handwerker sind, davor schützt, aus der Innenstadt herausgebracht zu werden, was übrigens nicht nur für die Geschäftslage wichtig ist, sondern auch für das Bild, das eine Innenstadt bieten kann.
Es ist erforderlich, die Baunutzungsordnung weiter zu verbessern, damit auch die Gemeinderäte mehr dazu beitragen können, das weitere Auswuchern von Verbrauchermärkten zu stoppen. Wir brauchen die kleineren Betriebe in den Innenstädten. Wir wollen keine Verödung der Innenstädte. Wir wollen, daß die mittelständische Wirtschaft weiterhin konkurrieren, mitmachen kann und nicht beiseite gedrängt wird.
Die Redezeit ist abgelaufen. Wir haben noch ausreichend Gelegenheit - wir werden sie uns verschaffen -, im Rechtsausschuß und im Ausschuß Arbeit und Soziales nachzufassen. Wir wollen einen besseren Schutz und wir halten nichts davon, Angebot gegen Angebot, Ladenschlußgesetz gegen UWG zu verabschieden, sondern wir wollen, daß die Materien einzeln geprüft und zum Wohle unserer Bürger erarbeitet und dann verabschiedet werden, aber nicht als Handel.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir wollen mit diesem Artikelgesetz die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs, insbesondere im Einzelhandel, in einigen wenigen Punkten verbessern; denn vor allem hier sind Mißstände aufgetreten, die einer gesetzlichen Korrektur bedürfen.
Der Handel ist wohl diejenige Branche in der Bundesrepublik, die seit dem Ende der 60er Jahre den tiefgreifendsten Strukturwandel überhaupt hat durchmachen müssen. Dieser Strukturwandel ging einher mit einer sehr hohen Zahl von Zusammenbrüchen kleiner und mittlerer Unternehmen. Auf der anderen Seite bildete sich eine Reihe von großen Unternehmenseinheiten heraus, die einen zunehmenden Anteil des Handelsvolumens auf sich vereinigen.
Bisher hat der verschärfte Preiswettbewerb im Handel dem Verbraucher nur genützt. Die Preissteigerungsraten vor allem im Lebensmittelhandel waren in den letzten Jahren immer unterdurchschnittlich. Der Strukturwandel im Einzelhandel hat sich sicherlich nicht gegen den Willen des Konsumenten vollzogen, sondern er wurde im Gegenteil von breiten Verbraucherschichten getragen.
Auf der anderen Seite ist uns das Schicksal der kleinen und mittleren Einzelhändler, die durch die Konzentration in Bedrängnis geraten sind, nicht gleichgültig. Konzentration ist ein Vorgang, der Liberale immer und überall mit Besorgnis erfüllt. Deshalb haben wir von Anfang an unsere Entschlossenheit bekräftigt, im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung die Erhaltung einer gesunden, mittelständisch geprägten Struktur des Einzelhandels zu fördern.
Wir legen großen Wert darauf: Die gesetzlichen Vorschriften dürfen kleine und mittlere Unternehmen im Wettbewerb nicht benachteiligen. Von den gesetzlichen Rahmenbedingungen dürfen keine Anstoßeffekte in Richtung auf Konzentration ausgehen. Deshalb wollen wir das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb um eine Reihe von neuen Tatbeständen ergänzen, die insbesondere verbreiteten Mißständen bei der Werbung entgegenwirken sollen.
Wir schlagen ein Verbot der öffentlichen Werbung mit Preisgegenüberstellungen vor. Durchgestrichene Preise und reißerisch aufgemachte Preissenkungen sollen unzulässig sein. Auch die Werbung mit mengenmäßiger Begrenzung soll untersagt werden, ebenso aber auch jede Art der Werbung für Waren, die im Laden nicht unbeschränkt angeboten werden.
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Wären Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Bitte sehr.
Herr Graf Lambsdorff, richtig ist, daß es einen Verdrängungswettbewerb gegeben hat, der besorgniserregend ist. Sind Sie aber nicht mit mir der Meinung, daß diesem Phänomen in erster Linie durch eine Veränderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu Leibe gerückt werden müßte und nicht durch eine Veränderung der UWG?
Nein. Sie können, was die Wettbewerbsform und die Art des Wettbewerbs anlangt, nur mit dem UWG operieren. Sie können, was die Konzentrationsbewegung und die Fusionstendenzen anlangt, mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen operieren. Das ist ein Thema der nächsten Legislaturperiode.
({0})
Im übrigen, Herr Kollege Emmerlich, rührt mich ganz außerordentlich, daß die SPD ihr Herz für den Einzelhandel entdeckt hat. Vor wenigen Jahren gab es noch die Gelbe-Punkt-Aktion, die Herr Börner losgelassen hatte.
({1})
Damals beschäftigte sich Herr Börner mit gelb, heute beschäftigt er sich mit grün. Auch das ist wahrscheinlich für den Einzelhandel nicht besonders förderlich.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben auch den Versuch unternommen, das Sonderveranstaltungsrecht im UWG neu zu gestalten. Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf enthält einige spürbare Verschärfungen, ohne jedoch das Ziel der Deregulierung aus den Augen zu verlieren. Insbesondere die Voraussetzungen für Aus- und Räumungsverkäufe werden künftig klar geregelt. Deshalb können Verstöße und Umgehungen künftig wirksamer bekämpft werden. Dazu wird auch beitragen, daß die Kontrolle künftig nicht mehr in der Hand von Behörden liegen wird. Dieses System hat sich letztlich nicht als effektiv erwiesen. Das zivilrechtliche Sanktionssystem des UWG hat sich insgesamt bewährt.
In der Öffentlichkeit werden mit dieser UWGNovelle teilweise bestimmte weitergehende Hoffnungen, teilweise auch Befürchtungen verbunden. Deshalb scheint mir eine Klarstellung nötig.
Diese UWG-Novelle soll und kann den Strukturwandel im Einzelhandel nicht aufhalten oder ihn nachhaltig beeinflussen. Seit es Handel gibt, gibt es auch Strukturveränderungen.
Diese UWG-Novelle ist deshalb keine Überlebensgarantie für einzelne Vertriebsformen oder bestimmte Unternehmensgrößen. Ein Schutzzaun, der die Unternehmen vor der Brise des Wettbewerbs bewahrt, kann das UWG nicht sein. Der Mittelstand bedarf eines solchen Reservats auch nicht. Die hohe Zahl von erfolgreichen Neugründungen auch im Einzelhandel beweist sehr wohl, daß kleine und mittlere Unternehmen heute wie früher Zukunftschancen in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung besitzen.
Der Staat darf nicht gezielt in den Wettbewerbsprozeß eingreifen und den Strukturwandel in eine bestimmte Richtung lenken wollen. Deshalb lehnt die FDP die Versuche ab, ein Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis im UWG zu verankern. Deshalb wenden wir uns gegen ein Verbot der Rabatt- und Konditionsspreizung und halten auch nichts von einem allgemeinen Diskriminierungsverbot. All dies sind nämlich Maßnahmen, die einen ersten Schritt in Richtung staatlicher Preisreglementierung und behördlicher Kontrolle darstellen. Sie sind mit unserer Ordnung nicht vereinbar.
Mit der Novellierung des Ladenschlußgesetzes, dem zweiten wichtigen Teilstück dieses Artikelgesetzes, wollen wir einen Schritt zu mehr Wettbewerb im Einzelhandel wagen. Mittelständische Einzelhändler sind keineswegs von vornherein gegenüber Großunternehmen benachteiligt. Dieses Vorurteil wird in der Praxis vielfach widerlegt, vorausgesetzt - und das ist in vielen Fällen der Fall -, die Einzelhändler verfügen über die nötige Anpassungsfähigkeit, Kreativität und Leistungsbereitschaft.
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Aber wie schon das Ifo-Institut in München zu Recht festgestellt hat, ist die vielgerühmte Flexibilität mittelständischer Unternehmen nur dann eine scharfe und wirksame Waffe gegenüber Großunternehmen, wenn sie konsequent und zielstrebig eingesetzt wird und werden kann.
Die starren Ladenschlußzeiten sind ein bürokratisches Hemmnis, das den Strukturwandel im Einzelhandel behindert und die flexible Anpassung an geänderte Konsumentengewohnheiten erschwert. Dies wirkt sich nach meiner Überzeugung nachteilig vor allem für kleinere und mittlere Einzelhändler aus, deren Entfaltungsmöglichkeiten im Wettbewerb durch die Ladenschlußregelung unnötig eingegrenzt werden. Deshalb setzt sich die FDP seit langem mit Nachdruck für eine Flexibilisierung der Ladenschlußzeiten ein. Das geltende Ladenschlußrecht ist längst überholt. Es wird den heutigen Bedürfnissen der Verbraucher, der Einzelhändler und der Arbeitnehmer im Einzelhandel nicht mehr gerecht.
Dieser Gesetzentwurf beschränkt sich auf eine begrenzte Liberalisierung der Ladenschlußzeiten an Bahnhofspassagen, Flughäfen und Fährhäfen. Wir begrüßen die beabsichtigte Gesetzesänderung, weil wir damit erstmals seit vielen Jahren bei unserem Bemühen um mehr Freizügigkeit einen Durchbruch erreicht haben.
Der Vorwurf, hier würde ein Gesetz speziell zur Besitzstandswahrung einer Handvoll Kaufleute in der Stuttgarter Klett-Passage geschaffen, geht fehl, wenngleich die sozialdemokratischen Kollegen aus Stuttgart die Dinge etwas anders beurteilen und darüber reden, als Sie das hier getan haben. Natürlich gehört es mit zu den Zielen dieser Novelle, daß die bewährte Sonderregelung in Stuttgart fortgeführt werden kann.
Das Gesetz geht aber darüber hinaus. Uns geht es in erster Linie um die Tausenden von Kunden, die die Vorteile der Abendeinkaufszeiten gern nutzen. Wir wollen möglichst vielen Verbrauchern in der ganzen Bundesrepublik ähnlich vorteilhafte Einkaufszeiten ermöglichen.
Das Thema Ladenschluß ist in dieser Legislaturperiode damit abgeschlossen. In der nächsten Legislaturperiode werden wir erneut für eine grundsätzliche Reform eintreten. Dazu mache ich drei, wie wir glauben, wichtige Bemerkungen.
Erstens. Die FDP will keine generelle Aufhebung der Ladenschlußregelung. Wir wollen die wöchentlichen Öffnungszeiten nicht verlängern. Wir wollen aber den Einzelhändler selbst entscheiden lassen, wann er seinen Laden innerhalb dieses Gesamtrahmens öffnet. Niemand soll gezwungen werden, insgesamt mehr Stunden hinter der Ladentheke zu arbeiten als bisher.
Zweitens. Wir sind der Überzeugung, daß mehr Flexibilität gerade dem selbständigen mittelständischen Einzelhändler im Wettbewerb hilft. Der Versandhandel hat sich vorbei am stationären Handel und zu dessen Lasten entwickelt. Btx wird eine neue Herausforderung. Ein in das Korsett starrer Ladenschlußregelung gezwängter Einzelhandel wird dieser Entwicklung nicht erfolgreich begegnen können.
Drittens. Der oft gehörte Hinweis, der Anteil des Einzelhandels an den Ausgaben der Konsumenten bleibe immer gleich groß, ist falsch. Um das verfügbare Einkommen des Verbrauchers konkurrieren viele Gruppen neben dem Einzelhändler. Ich erwähne als Beispiel nur Reiseveranstalter und die Gastronomie. Sie könnten die Reihe fortsetzen. Die Darbietungsform und Anbietungsmöglichkeit haben entscheidenden Einfluß darauf, wo und wofür der Verbraucher sein Geld ausgibt.
({4})
Meine Damen und Herren, dieses Artikelgesetz ist alles in allem ein ausgewogener Kompromiß, der jedem etwas gibt und keinem alles. Er wird daher in der Öffentlichkeit je nach Interessenlage auf Zustimmung und Ablehnung zugleich stoßen. Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, daß wir mit diesem Gesetz nach langem und hartem Ringen und schwierigen Verhandlungen eine gute Lösung für viele schwierige Probleme gefunden haben. Wir werden uns deshalb dafür einsetzen, daß der Entwurf noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden und möglichst bald in Kraft treten kann.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Auhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Neuregelung der Krankenversicherung für Hebammen ist zwar erfreulich. Warum zu diesem Punkt aber wie überhaupt zu diesem ganzen Sammelsurium von Anträgen eine Sondersitzung des Bundestages erforderlich ist, müßten Sie, bitte schön, einmal begründen.
({0})
Anscheinend will die Regierung alle innerhalb der Koalition kontroversen Themen vom Tisch kriegen, um dann harmonisch in den Wahlkampf einzutreten.
({1})
Ein solches unangenehmes Thema ist die Änderung des Kündigungsrechtes des Schuldners bei Wucherzinsen. Hier leisten Sie der Versicherungswirtschaft Tribut, der Sie seit langem durch finanzielle Zuwendungen verbunden sind.
Kommen wir zum Kern dieses Koalitionsstreitigkeitenbereinigungsgesetzes - denn darum handelt es sich hier -, also zum Ladenschluß, der auch innerhalb der CDU-Fraktion sehr umstritten ist. Der konkrete Gegenstand, nämlich erweiterte Öffnungszeiten in Verbindungsetagen zwischen öffentlichem Nah- und Fernverkehr, scheint eher geringfügig. Auch heute schon gelten auf Bahnhöfen und Flughäfen Ausnahmeregelungen. Der Anlaß - ich betone: der Anlaß - der Novellierung ist bekannt: der Fall Klett-Passage. Der Gedanke, Unsicherheitsgefühlen von Passanten und Kriminalitätsgefahren statt durch ein extremes Mehr an Polizeistreifen, Hunden und Überwachungskameras durch soziale Belebung zu begegnen, ist uns GRÜNEN zunächst einmal sympathisch. Verdächtig ist es allerdings, wenn dieses Argument erst da laut wird, wo es geschäftlichen Interessen und zweifelhaften wirtschaftspolitischen Strategien dient.
({2})
Wir werden uns gegen Veränderungen in ganz bestimmten Sonderbereichen nicht dogmatisch wehren, allerdings sehr genau prüfen, inwiefern diese konkreten Ausnahmefälle Auswirkungen auf die Beschäftigung haben.
({3})
- Das ist die Frage. Wie die in der Regel teilzeitarbeitenden Frauen zu den erweiterten Ausnahmere15194
gelungen stehen, wird für uns eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie wir uns zu dieser Frage verhalten.
Allerdings gibt es im Fall der Klett-Passage einen weiteren Punkt, der uns skeptisch macht. Es wird nämlich nicht nur der gegenwärtige Stand festgeschrieben, sondern es wird auch ermöglicht, daß sich neue Geschäfte ansiedeln, und zwar nicht nur in der Klett-Passage, sondern auch an anderen Orten. Damit wird deutlich, worum es bei dieser Ausnahmeregelung wirklich geht - der Kollege Lambsdorff hat es ja auch ganz offen gesagt -, nämlich darum, daß die FDP in dieser Legislaturperiode den Einstieg bei den Ladenschlußzeiten durchgesetzt hat, um dann in der nächsten Legislaturperiode die völlige Liberalisierung durchzusetzen.
({4})
- Jedenfalls eine generelle Liberalisierung für alle - ({5})
Um Ihnen, den Vertretern des CDU-Mittelstandes, die ich heute kaum sehe - im Ausschuß war die Debatte sehr lebhaft - und die gegen diese Überlegung sind, diesen Einstieg zu versüßen, wird gleichzeitig noch - der Kollege Schwenk von der SPD hat es schon gesagt - eine Novellierung des UWG nachgeschoben, damit Sie vor Ihrer Klientel nicht allzu nackt dastehen müssen.
({6})
Was spricht aber nun gegen die generelle Liberalisierung der Ladenschlußzeiten? Zunächst einmal klingt Liberalisierung nach Befreiung. Aber auf dem Hintergrund der brutalen Arbeits- und Konkurrenzbedingungen im Einzelhandel, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel, bekommt der Begriff Liberalisierung einen ganz anderen Klang. Zehntausende von kleinen Einzelhändlerinnen und Einzelhändlern kämpfen in einem fast aussichtslosen Wettbewerb mit Billiganbietern um ihr Überleben
({7})
- ich komme gleich darauf zu sprechen -,
({8})
mit Billiganbietern, die sich auf Grund ihrer Größe und Marktmacht Dumpingpreise erlauben können, zu denen der kleine Einzelhändler nicht einmal bei seinem Großhändler einkaufen kann. Daß Sie, Herr Kollege Lambsdorff, so etwas als Marktwirtschaft bezeichnen
({9})
- Entschuldigung, ich habe jetzt die Adelstitel in dieser Republik vergessen -, daß Sie, Herr Kollege Graf Lambsdorff das als etwas Naturwüchsiges für die Marktwirtschaft ansehen, zeigt, daß Sie unter Marktwirtschaft eine Raubfischwirtschaft verstehen.
({10})
- Raubfischwirtschaft. - Daher ist es kein Wunder, daß jährlich mehr als 3 000 kleine Lebensmittelgeschäfte verschwinden und ein einziges Einkaufszentrum auf der grünen Wiese übrigbleibt.
({11})
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege, macht Sie in diesem Zusammenhang nicht das Phänomen nachdenklich, daß der kleine Einzelhandel in unseren sämtlichen europäischen Nachbarländern, in denen es keine Ladenschlußregelung vergleichbar der unsrigen gibt, bedeutend besser überlebt hat als ausgerechnet hier, wo er diese Segnungen von Verbandsseite erfahren hat?
({0})
Ich will das nicht generalisieren.
({0})
- Moment! - Man muß mehrere Sachen unterscheiden. Das erste ist: Wenn Sie Südeuropa ansehen, wo es ja viel mehr kleine Geschäfte gibt, dann stellen Sie fest, daß die auf einem ganz geringen Level nahe dem Existenzminimum leben. Das zweite ist - jetzt komme ich auf den Kern Ihrer Frage -: Was die kleinen Geschäfte angeht, so sehe ich das durchaus nicht völlig anders als Sie. Nur, diese generelle Liberalisierung in dem Sinne, daß die Öffnungszeiten unabhängig von der Betriebsform geändert werden können, bedeutet einen Druck auf die kleinen Händler.
({1})
- Ich glaube, es wird deutlich, wenn Sie einen Augenblick warten.
Dort, wo die kleinen Geschäfte verschwunden sind, allein ein einziges Einkaufszentrum auf der grünen Wiese übriggeblieben ist, wird die Einkaufssituation insbesondere für alte Menschen brutal. Der gesteigerte Autoverkehr geht auf Kosten der Gemeinden - die müssen die Infrastrukturausgaben aufbringen - und auf die Nerven der Anwohner.
Noch brutaler ist aber der Druck auf die Beschäftigten: drastische Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen, ständige Angst, bei der nächsten RationaliAuhagen
sierungswelle dabei zu sein oder nicht mehr dabei zu sein; ständige Angst, die Situation von Teilzeitarbeitnehmerinnen, die mit nur geringen Schutzrechten oder gar keinen Schutzrechten ausgestattet sind. Angesichts solcher Verhältnisse wird sich kaum ein Angestellter in einer solchen Situation der verlängerten Öffnungszeiten dagegen wehren können, solche Öffnungszeiten wahrzunehmen.
({2})
- Herr Präsident, ich lasse die Frage zu, wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird.
Bitte schön - Herr Auhagen, es wird Ihnen nicht angerechnet -, Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, zu einer Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Kollege, sind Sie sich darüber im klaren, daß trotz der Konzentrationswelle gerade im Lebensmitteleinzelhandel, die auch wir kritisch sehen, die Zahl der Beschäftigten im Lebensmitteleinzelhandel nicht gesunken, sondern gestiegen ist?
Das bezweifle ich. Wenn Sie das auf Teilzeitstellen beziehen, dann kann das durchaus sein. Aber die Basis müssen die Vollzeit-stellen sein.
Und, Herr Kollege Lambsdorff, wenn Rationalisierung einen Sinn hat, dann besteht er doch darin, daß Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Denn keiner wird bei dem gleichen Umsatz und dem gleichen Einsatz von Arbeitskräften deswegen große Rationalisierungsmaßnahmen unternehmen.
Ebenso wird durch die allgemeine Liberalisierung der Ladenschlußzeiten der Druck auf die kleinen Ladenbesitzer noch drastisch verschärft. Bezeichnend ist, wer sich für die generelle Liberalisierung der Ladenschlußzeiten ausspricht. Das ist nämlich der Verband der Selbstbedienungswarenhäuser, also die Einkaufszentren auf der grünen Wiese, die mit einem hohen Kapitaleinsatz und einem geringen Arbeitseinsatz aggressiv expandieren. Vor diesem Hintergrund lehnen wir eine generelle Liberalisierung der Ladenschlußzeiten ab. Darunter verstehen wir auch, was Sie gesagt haben: daß es unabhängig von der Betriebsform eine Veränderung der Ladenschlußzeiten gibt. Das heißt aber nicht, daß nicht in weiten Teilen der Bevölkerung das Bedürfnis nach erweiterten Einkaufszeiten besteht, insbesondere unter den Berufstätigen, die für ihren Haushalt allein zu sorgen haben.
Auch der Vergleich von Nettoarbeitszeiten von ca. 40 Wochenstunden und theoretischen Ladenöffnungszeiten von ca. 64 Stunden hinkt in der Praxis. Man muß sich nur ansehen, wie die Bruttoarbeitszeiten aussehen. Die bestehen auch aus einer Pause und aus Anfahrtszeiten, und wenn man das zusammenrechnet, auch liebe Kollegen von der SPD, dann kommen Sie faktisch zu dem Ergebnis - was auch die Praxis beweist -, daß ein großer Teil der Beschäftigten Probleme hat, die Einkäufe zu erledigen.
Hier sollten weder der Einzelhandelsverband noch die Gewerkschaften über reale Bedürfnisse in der Bevölkerung hinwegreden, weil das Ergebnis nicht ins althergebrachte Konzept paßt. Statt dessen sollte der Herausforderung der FDP-Konzentrationslobby offensiv begegnet werden, nämlich durch die Suche nach Lösungen, die erstens nicht zu zusätzlichem Konkurrenzdruck für die kleinen Einzelhändler führen und zweitens vor allen Dingen nicht die Rechte und Interessen der Lohnabhängigen im Einzelhandel antasten.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Erhard.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten einen Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP förmlich an der Regierung vorbei eingebracht haben, aber dennoch nicht zur größten Überraschung der Regierung. Die Regierung hat den Sachverstand ihrer Mitarbeiter und den eigenen den Fraktionen nicht vorenthalten, und wir freuen uns, daß eine so umfangreiche Arbeit mit so vielen Beratungen auf der Abgeordnetenebene zu einem so dokumentarstarken Gesetzentwurf geführt hat. Das beweist die Handlungsfähigkeit des Parlaments und der Mehrheitsfraktionen, das beweist die Kooperationsfähigkeit von drei Fraktionen, wobei ich also die SPD einbeziehen kann. Daß die GRÜNEN das tun werden, halte ich für ausgeschlossen; darauf ist die Regierung aber auch gar nicht erpicht.
({0})
Wir freuen uns, daß das Recht des unlauteren Wettbewerbs auf Ebenen gestellt wird, die den modernen Verhältnissen angepaßt sind. Der Rechtsausschuß hat Strafvorschriften im Rahmen der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität bereits verabschiedet, die ja hier von der materiellen Seite her ihren Quellpunkt haben.
Wir denken, daß die sonstigen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, des Ladenschluß- und Arbeitsförderungsgesetzes sinnvoll sind und bald abschließend beraten werden können.
Wir wünschen dem Parlament und den beteiligten Ausschüssen eine möglichst zügige Beratung, damit das, was eine recht ordentliche Gesetzgebung zu sein verspricht, auch in das Gesetzblatt hineinkommt.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache kann geschlossen werden.
Es ist beantragt, die Vorlagen auf Drucksachen 10/4741, 10/5002 und 10/5003 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Finanzausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu
Vizepräsident Cronenberg
überweisen, zusätzlich - das ist aus dem Plenum mit Zustimmung aller Fraktionen beantragt worden - an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. - Weitere Vorschläge sind offensichtlich nicht gemacht. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Bevor ich die Sitzung schließe, gebe ich dem Abgeordneten Senfft zu einer Erklärung nach § 32 unserer Geschäftsordnung das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 194. Sitzung des Deutschen Bundestages am 30. Januar dieses Jahres wurde während der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 2 - zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfes eines dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen - unter anderem von den Abgeordneten Daubertshäuser und Karsten Voigt unterstellt, die GRÜNEN befürworteten offensichtlich den umstrittenen Alleen-Tunnel in Frankfurt - so z. B. Plenarprotokoll, Seite 14640 -, da die GRÜNEN in keinem einzigen Änderungsantrag die Streichung des Frankfurter 500-Millionen-DM-Projekts gefordert hätten.
Der Abgeordnete Karsten Voigt wiederholte diese Unterstellung in einer von der südhessischen SPD verbreiteten Pressemitteilung, deren Inhalt unter anderem am 3. Februar dieses Jahres in der „Frankfurter Stadtrundschau" veröffentlicht wurde. Diese Unterstellungen sind jedoch falsch.
Anlage zum Stenographischen Bericht
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete({0}) entschuldigt bis einschließlich
Dr. Abelein 5. 2.
Dr. Apel 5. 2.
Becker ({1}) 5. 2.
Brück 5. 2.
Büchner ({2}) 5. 2.
Dr. Dollinger 5. 2.
Dreßler 5. 2.
Eickmeyer 5. 2.
Dr. Enders * 5. 2.
Ertl 5. 2.
Frau Fuchs ({3}) 5. 2.
Genscher 5. 2.
Grünbeck 5. 2.
Haase ({4}) * 5. 2.
Frau Dr. Hamm-Brücher 5. 2.
Hedrich 5. 2.
Höffkes 5. 2.
Frau Huber 5. 2.
Ibrügger ** 5. 2.
Jahn ({5}) 5. 2.
Junghans 5. 2.
Kastning 5. 2.
Dr.-Ing. Laermann 5. 2.
Lamers 5. 2.
Lange 5. 2.
Lohmann ({6}) 5. 2.
Richtig ist demgegenüber, daß ich einen Änderungsantrag auf Streichung des Alleen-Tunnels gestellt habe, der außer von mir auch von meinem Kollegen Stefan Schulte und der Fraktion DIE GRÜNEN unterzeichnet war und als Drucksache 10/4868 in namentlicher Abstimmung Nr. 117 allein gegen die Stimmen der GRÜNEN von den anderen Fraktionen abgelehnt wurde.
({7})
Deshalb bitte ich insbesondere die Abgeordneten Daubertshäuser und Karsten Voigt, künftig nicht weiter fälschlich zu behaupten, die GRÜNEN befürworteten offensichtlich den umstrittenen AlleenTunnel in Frankfurt bzw. die GRÜNEN hätten keinen Antrag auf Streichung des Frankfurter AlleenTunnels gestellt.
Ich fordere Sie gleichzeitig auf, in Zukunft die Wahrheit zu sagen und den Anstand zu wahren.
({8})
Nach dieser Erklärung nach § 32 sind wir am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich kann die Sitzung schließen und die nächste Sitzung für den 19. Februar 1986, 13 Uhr einberufen.
Ich wünsche allseits eine angenehme Heimfahrt. Die Sitzung ist geschlossen.