Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/24/1986

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: Aktuelle Stunde Dürfen die Sanierungsbemühungen der Neuen Heimat ganz oder teilweise aus öffentlichen Kassen finanziert werden? Meine Damen und Herren, die Fraktion der FDP hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die dramatische Entwicklung macht deutlich, wie recht die FDP-Fraktion daran tat, das Parlament im September 1985 mit diesen unglaublichen Vorgängen zu befassen. Dramatische Entwicklung, das ist keine Übertreibung, wenn man den Bericht des Bundeswohnungsbauministers, den Alarmbrief des Vorsitzenden der Neuen Heimat, Dieter Hoffmann, an den Bundeskanzler und die Berichte über die Krisensitzung des DGB-Bundesvorstandes liest, wobei ich noch einmal festhalte: Herr Hoffmann hat diese Affäre nicht verursacht. Er muß die Erblast seiner Vorgänger im Amte bewältigen. ({0}) Offensichtlich hat nun auch der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten nach allen seinen Beschwichtigungsversuchen gemerkt, was die Stunde geschlagen hat: Seine Erklärung vom Dienstag, abgegeben im besten Stile des Pontius Pilatus, ist wahrhaft lesenswert. ({1}) Die Sozialdemokraten versuchen, sich die Hände in Unschuld zu waschen, die Verantwortung auf andere abzuschieben, mindestens aber Mittäter zu finden. ({2}) Nein, meine Damen und Herren von der SPD, das wird Ihnen nicht gelingen. Der Personalfilz von SPD/DGB/Neue Heimat ist so offensichtlich, ({3}) Sie haben sich so lange aus den gemeinnützigen Krippen bedient, daß Ihnen Ihre Absetzmanöver nicht geglaubt werden. ({4}) Niemals, meine Damen und Herren, ist der Volksmund so eindrücklich in der Steigerungsformel bestätigt worden: Eigennutz, Gemeinnutz, Nichtsnutz! ({5}) Jetzt soll das Gelände psychologisch aufbereitet werden, um für die notwendigen Sanierungsmaßnahmen öffentliche Mittel einzusetzen. Für die FDP-Fraktion sage ich mit aller Deutlichkeit nein zu jedem beabsichtigten Griff in öffentliche Kassen. Mit uns kann man allenfalls über eine öffentliche Flankierung dann reden, wenn aus den Mietern Eigentümer werden sollen. ({6}) Den Mietern zu Wohnungseigentum durch verbilligte Darlehen helfen: ja! Die Neue Heimat sanieren: nein! ({7}) Wenn hier einer zahlen muß, dann ist es der Gesellschafter, dann ist es der Deutsche Gewerkschaftsbund: Er hat alles mitgemacht, er hat alles zu verantworten. Er kann sich jetzt nicht durch die Hintertüre absetzen. ({8}) Schon im Oktober 1985 habe ich den DGB aufgefordert, Vermögenswerte aus seinem industriellen Besitz zu veräußern. Die jetzige öffentliche Diskussion hätte der DGB sich ersparen können. Es ist wahrhaft makaber: Für die Neue Heimat-Städtebau, die in Venezuela und Monte Carlo tätig ist, hat der DGB 1,5 Milliarden DM gezahlt, für die gemein14454 nützige Neue Heimat-Wohnungsbau, also für die Sozialmieter, gibt der DGB keine müde Mark! ({9}) Das sind die Streiter für die Interessen der Arbeitnehmer, der kleinen Leute! Meine Damen und Herren, wir warnen die Bundesländer, zu Lasten der Steuerzahler, zu Lasten auch ihrer Investitionsmöglichkeiten jetzt die Neue Heimat zu sanieren. NRW-Finanzminister Posser hat bestätigt, daß die Wohnungsbauförderungsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen Kredite in Höhe von 1 Milliarde DM an die Neue Heimat gegeben hat - alles nachrangig gesichert. Der Himmel mag wissen, was diese Kredite noch wert sind. In Düsseldorf wird jetzt die Auflösung der Wohnungsbauförderungsanstalt diskutiert. Aus der Affäre Klinikum Aachen bestehen hohe Forderungen gegen die Neue Heimat-Städtebau. Trifft es zu, daß die Neue Heimat-Städtebau ihr haftendes Kapital herabgesetzt hat? Ist die Forderung noch sicher? Meine Damen und Herren, betrachtet der Kanzlerkandidat zur Probe, Dr. h. c. Johannes Rau, dies alles auch noch in fideler Resignation? ({10}) Es ist jetzt die Aufgabe der Gewerkschaften, Schaden von den Mietern zu wenden, und die Pflicht aller Beteiligten, der Öffentlichkeit endlich reinen Wein einzuschenken. Es muß noch einmal daran erinnert werden, was die Sozialdemokraten und vor allem Sie, Herr Vogel, im Bundestagswahlkampf 1983 zum Thema Mietrecht der Öffentlichkeit vorgegaukelt haben: ({11}) Von staatlich privilegiertem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht, von Willkür und Vogelfreiheit, von Mietenexplosion und gigantischer Spekulationswelle, von unsozialem Verkauf von Wohnungen und ähnlichem ist da die Rede gewesen. Wer hat die Mieter in Bedrängnis gebracht? Die Bundesregierung oder die Spekulanten der Neuen Heimat? ({12}) So sieht, meine Damen und Herren, sozialdemokratische Wohnungspolitik in der Praxis aus. Hier liegt der schlimmste Sozialabbau der letzten Jahre. Großmannssucht, Spekulationswut, Ämterfilz und Hybris, ({13}) das haben DGB und SPD zu vertreten. Mit einem Satz: sozialistische Mißwirtschaft in Reinkultur. ({14})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist also die zweite Aktuelle Stunde - beantragt von der FDP - zum Thema Schieflage eines großen Wohnungsbaukonzerns. ({0}) - Schieflage. - Seit September hat sich an dieser Lage nichts geändert. Es ist durchaus nichts dramatischer geworden. Dramatischer geworden ist das öffentliche Reden über die Neue Heimat. ({1}) Der Grund dafür liegt nicht in der Veränderung der Lage, ({2}) der Grund liegt an einer anderen Stelle. Warum dieses Reden der FDP über ein Unternehmen? Das hat es hier vorher nicht gegeben. Was hätten Gewerkschafter und Sozialdemokraten wohl von der unternehmerfreundlichen, unternehmensfreundlichen FDP gehört, wenn sie die Lage der AEG oder die Lage bestimmter Bankhäuser zu früheren Zeiten hier zum Thema gemacht hätten? ({3}) Die Tatsache, daß die Neue Heimat hier schon zweimal zum Thema gemacht worden ist, und zwar in den einzigen von der FDP beantragten Aktuellen Stunden, hat einen bestimmten Grund. ({4}) Der Grund liegt in etwas, Graf Lambsdorff, was Sie dem „King Albert" ähnlich macht. Denn zwischen Ihnen, Graf Lambsdorff, und Albert Vietor gibt es eine sehr große Gemeinsamkeit, und zwar in einer Überzeugung. Die Überzeugung, nach der Sie, Graf Lambsdorff, und „King Albert" ({5}) - Albert Vietor; ist der Ihnen bei all dem öffentlichen Gerede nicht bekannt? ({6}) gelebt und gearbeitet haben, lautete: Ohne Wachsturn ist alles nichts. ({7}) Wäre diese Wachstumspolitik der Neuen Heimat unter Vietor nicht gewesen, gäbe es die Schieflage nicht. Für eine solche Wachstumspolitik, für Wirtschaftswachstum, das Graf Lambsdorff - ebenso wie seine Amtsvorgänger und wie übrigens auch wir Sozialdemokraten - versprochen hat, ({8}) hat die Neue Heimat Grundstücksaufkäufe getätigt, gedrängt auch von Leuten, die davon heute nichts mehr wissen wollen, ({9}) die aber früher in den Aufsichtsräten gesessen haben, ja an mancher Stelle sogar Geschäftsführer der Neuen Heimat gewesen sind. ({10}) Auch die Politik, die dazu geführt hat, daß die Mieten bei manchen Jahrgängen des sozialen Wohnungsbaus schnell steigen, ist von uns zu verantworten, aber auch von der FDP auf Grund ihrer damaligen Regierungsverantwortung mitzuverantworten. Sich hinsichtlich der Grundlagen der Probleme, die hier heute diskutiert werden, so aus der Verantwortung zu stehlen, wie Graf Lambsdorff das gemacht hat, ist Heuchelei. ({11}) Außerdem, Herr Lambsdorff, ist das Thema falsch gestellt. Das ist auch den anderen Kollegen von der FDP so zu sagen. ({12}) Denn anders als bei ARBED Saarstahl, anders als bei AEG geht es nicht um die Sicherung der Fortexistenz eines Unternehmens, wohl aber geht es um die Abwendung eines Konkurses. ({13}) Aber die Neue Heimat muß - anders als AEG und anders als ARBED Saarstahl - nicht für alle Zukunft weiterexistieren. Einige Worte von dem, was Graf Lambsdorff gesagt hat, deuten ja darauf hin, daß auch Sie über Lösungsmöglichkeiten nachdenken, die anders aussehen als Konkurs. Also: Wenn es wirklich darum geht, preiswertes Wohnen für Leute mit schmalem Geldbeutel zu sichern ({14}) - Monaco hat damit wirklich nichts zu tun; wir reden über das gemeinnützige Unternehmen, das nur in Deutschland Wohnungen vermietet -, ({15}) wenn es darum geht, Belegungsrechte für Gemeinden zu sichern, die nur in gemeinnützigen Wohnungen gesichert werden können, dann ist die Frage, was man alles tun kann, um dieses nicht zu verlieren. Dazu gehört auch, aber nicht nur die Ubertragung von Eigentumsrechten in Mieterhand, sofern die Mieter dies wollen. Ich bin sehr dafür, daß auch ein solches Programm gemacht wird und - aus meiner Sicht - auch mit gefördert wird, ({16}) was dazu führen würde, daß am Ende die Neue Heimat eine Firma ohne Wohnungen wäre, wenn man konsequent durchhält, was man zur Rettung von Belegungsrechten, sicherem und preiswertem Wohnen und zur Förderung von Wohneigentum in der Nutzerhand tun will. Wenn man dieses macht, dann darf man dafür auch öffentliche Mittel in die Hand nehmen. Zur Fortexistenz eines Unternehmens, das in der Vergangenheit eine falsche Politik betrieben hat, ist das von sich aus noch nicht verständlich. Deswegen glaube ich, Graf Lambsdorff, das Reden über die Neue Heimat, das Sie hier veranstalten, ist nicht in der Lage dieses Unternehmens begründet, sondern es stammt aus Ihrem puren Gewerkschaftshaß. Gäbe es andere Eigentümer, redeten wir hier gar nicht über die Neue Heimat. ({17}) Nur weil die Gewerkschaften die Eigentümer sind, nur weil sie die Streikfähigkeit der Gewerkschaften kaputtmachen wollen, deswegen muß auch die Neue Heimat ins Gerede gebracht werden. ({18})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist die Ergänzung der Diskussion zu § 116 AFG. Das ist der einzige Grund: Ihr Gewerkschaftshaß. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kansy. ({0})

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Name „Neue Heimat" war früher einmal für Hunderttausende von Mietern verbunden ({0}) mit einem neuen, sicheren Zuhause, mit einem besonderen sozialen Anspruch an sich selbst, aber besonders an andere und mit seriösem Geschäftsgebaren. ({1}) Heute verbindet sich mit dem Namen „Neue Heimat" Verunsicherung von Mietern, ({2}) Herausmogeln aus sozialer Verantwortung ({3}) und Mißwirtschaft. ({4}) Die Verantwortung dafür, meine Damen und Herren, tragen nicht die vielen Tausende Mitarbeiter der Neuen Heimat ({5}) und auch nicht allein die Geschäftsführung, sondern die Verantwortung tragen die Eigentümer. Die Eigentümer dieses größten Wohnungsunterneh14456 mens Europas sind ausschließlich die DGB-Gewerkschaften. ({6}) Im Aufsichtsrat saßen und sitzen, Herr Kollege Müntefering, außer den Arbeitnehmervertretern ({7}) nur Spitzenfunktionäre des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ({8}) übrigens fast ausschließlich prominente Sozialdemokraten. ({9}) Da sitzt Herr Breit als Chef des DGB und des Aufsichtsrates, ({10}) - SPD, Herr Kollege Müntefering. Da sitzt Herr Steinkühler, ein ganz aktueller Mann, ({11}) - SPD. Da sitzt Frau Wulf-Mathies, SPD. Da sitzt HBV-Chef Volkmar, SPD. Da sitzen Postgewerkschaftschef van Haaren, SPD, ({12}) und andere, wie der Schatzmeister des DGB Teitzel, der vorgestern die Stirn hatte, in einer ARD-Sendung zu sagen, es bestehe kein aktueller Handlungsbedarf. ({13}) Meine Damen und Herren, meine Kollegen von der SPD, Graf Lambsdorff hat hier völlig recht: ({14}) Wie sagt Ihr eigener Vorsitzender in Bremen: Die Kette Neue Heimat - DGB - nahe SPD ist politisch nicht aus der Welt zu schaffen. ({15}) Das Unternehmen steht vor riesigen Schwierigkeiten. Die Mieter sind verunsichert. Oft erfahren sie erst aus der Zeitung, daß ihre Wohnung verkauft wird - und das, meine Damen und Herren, von denselben Leuten, die glauben, das Wort „Mitbestimmung" für sich gepachtet zu haben. ({16}) Was tut nun der Eigentümer? Was tut der Deutsche Gewerkschaftsbund? Graf Lambsdorff hat es eben gesagt. Zunächst einmal saniert er die nicht gemeinnützige, ({17}) im Grundstücksspekulationsgeschäft und im Ausland tätige Neue Heimat Städtebau mit 1,5 Milliarden DM. ({18}) Nur, dieser Neue-Heimat-Teil hat keine Sozialwohnung in Bremen und in München und in Frankfurt und sonstwo, sondern er hat vielleicht ein Luxushotel in Monte Carlo oder Grundstücke in Südamerika. Die Verantwortung für die Millionen Menschen in den Wohnungen der Neuen Heimat wollen einige Leute offensichtlich der öffentlichen Hand, sprich: dem Steuerzahler, zuschieben. Das ist der Skandal, über den wir politisch zu reden haben. ({19}) Die CDU/CSU-Fraktion ist deswegen nicht bereit, die Sanierung der Neuen Heimat auf Kosten des Steuerzahlers vorzunehmen. Gefordert ist der Eigentümer, der Deutsche Gewerkschaftsbund. Wir fordern ihn auf: Erstens. Behandeln Sie den gemeinnützigen Teil der Neuen Heimat genauso wie den nicht gemeinnützigen Teil. Stellen Sie zusätzliches Eigenkapital zur Verfügung, notfalls auch durch Mobilisierung Ihrer Beteiligung in Ihrem großen Konzern! ({20}) Zweitens. Legen Sie der Öffentlichkeit endlich ein Sanierungskonzept vor, ({21}) und zwar eines, das nicht ausschließlich auf dem massenweisen Verkauf dieser Wohnungen beruht, und geben Sie statt dessen Ihren Mietern Gelegenheit, ihre Wohnungen zu gleich günstigen Konditionen, wie sie Großeinkäufer haben, zu erwerben. ({22}) Drittens. Helfen Sie mit - das ist auch unser Interesse -, den Zusammenbruch der Neuen Heimat zu verhindern, und zwar nicht nur um Millionen Menschen Angst zu nehmen, sondern auch, um die Idee der Gemeinnützigkeit nicht weiter zu diskreditieren, wie es durch diese Geschäftspolitik erfolgt ist. ({23})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man Graf Lambsdorff zuhört, kommen einem die Tränen. Wie in der Auseinandersetzung um den § 116, wo es schon darum ging, die Gewerkschaften im Streik finanziell zu strangulieren, wird auch bei dieser Debatte versucht, die Gewerkschaften finanziell zu treffen. Es geht nicht um die Mieter der neuen Heimat. ({0}) Es geht in dieser Debatte von seiten der FDP und der CDU/CSU einzig und allein darum, die Gewerkschaften zu schwächen, zu treffen und für kommende Auseinandersetzungen einen innenpolitischen Gegner loszuwerden. Das muß man in dieser Debatte als erstes sagen. ({1}) Das heißt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, Sie wollen auf Kosten von Dr. Müller ({2}) mehr als 2,7 Miillionen Sozialmietern hier einen Wahlkampf führen und sich auf Kosten von Leuten profilieren, die dringend Wohnraum brauchen. ({3}) Es besteht kein Zweifel, daß sozialdemokratische und Gewerkschaftsfunktionäre, aber auch solche, die Ihren Parteien von der Koalition angehören, in der Vergangenheit mit der Neuen Heimat erhebliche Fehler gemacht haben. Aber das kann doch nicht bedeuten, daß sich der Staat aus der sozialen Verantwortung für diese Menschen zurückzieht. Auf Kosten der Mieter darf es keine Sanierung geben. ({4}) Deswegen muß, um den Mietern die Angst zu nehmen, ein finanzielles Entschuldungskonzept her - Mittel dafür sind genug vorhanden -, ({5}) an dem der Bund beteiligt ist, an dem die Länder beteiligt sind, an dem die Gemeinden beteiligt sind und an dem selbstverständlich auch die Banken beteiligt sind, die die Kredite für spekulative Geschäfte gegeben haben. ({6}) In gleicher Art und Weise wie beispielsweise bei der Sanierung des AEG-Konzerns und bei der Sanierung und Abwendung eines Konkurses bei der Bank Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. müssen sie auch für die Geschäftspraktiken des Konzerns Neue Heimat zur Kasse gebeten werden. Ziel einer Sanierung darf jedoch nicht die Erhaltung der Struktur der Neuen Heimat sein, wie wir sie jetzt vorfinden. Es muß die Möglichkeit bestehen, daß sich Mieter in Stiftungen und Genossenschaften zu kleinen dezentralen Einheiten zusammenfinden und die Wohnungen, die sie bewohnen, selbst verwalten. Was gibt uns eigentlich das Recht, den Gemeinwirtschaftsgedanken der Neuen Heimat auf diese Art und Weise zerschlagen zu wollen, indem wir die Neue Heimat finanziell in Konkurs gehen lassen? Dieses Recht haben wir nicht. ({7}) Zu der Finanzierung. Ich kann mir gut vorstellen, daß aus den 4,4 Milliarden, die Sie in diesem Haushalt für den Straßenbau veranschlagt haben ({8}) und die noch nicht rechtlich gebunden sind, zur Sanierung der Neuen Heimat beigetragen wird. ({9}) Sozialwohnungen erhalten, statt Autobahnen bauen - das wäre ein sozialpolitisches und ökologisches Ziel, hinter dem wir auf alle Fälle stehen können. ({10}) Solange Sie keine Bereitschaft zeigen, auch die Staatskasse an der Sanierung der Neuen Heimat zu beteiligen, kann Ihnen, Graf Lambsdorff, keiner die Sorge um die kleinen Mieter abnehmen. Jetzt ein letztes Wort zu Ihnen, Graf Lambsdorff. Sie verlieren mit Ihrer Kampagne gegen die Neue Heimat doch die letzte Wählerklientel, die Sie haben. Spekulanten und Makler signalisieren doch schon: Um Himmels willen, rettet die Neue Heimat, damit nicht zuviel Wohnraum in den Markt hineingedrückt wird! Das heißt, Ihre letzten Wähler, die Sie noch haben, Graf Lambsdorff, Makler und Spekulanten, ({11}) diese lächerlichen 0,3 %, die diese unsoziale Politik noch mitmachen wollen, vergraulen Sie mit Ihrer Art und Weise, wie Sie hier versuchen, gegen die Neue Heimat und gegen die Gewerkschaften Politik zu machen. Das sollten Sie sich genauer überlegen. ({12}) Ziel einer Sanierung muß also sein - ich fasse das noch einmal zusammen -: Gemeinwirtschaft erhalten, Mietern die Angst nehmen, die Neue Heimat sanieren und eine Strukturreform des Konzerns Neue Heimat herbeiführen, die den Mietern und den Kommunen wesentlich mehr Mitspracherecht bei der Verwaltung und auch bei der Planung gibt. Danke schön. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Zierer.

Benno Zierer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002594, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! „Die Lage der Neuen Heimat" oder „Die Schieflage der Neuen Heimat" könnte man die heutige Aktuelle Stunde überschreiben; ({0}) denn dem gewerkschaftseigenen Unternehmen Neue Heimat, Europas größtem Immobilienbesitzer, droht der wirtschaftliche und finanzielle Kollaps. Die Neue Heimat befindet sich am Rande des Konkurses. Die Ursachen sind: mißratenes Management, Spekulationssucht und Filzokratie zwischen Neuer Heimat, DGB und SPD. So lesen wir es seit Tagen in den Zeitungen. Man kann sagen: Mieter, die sich auf die Neue Heimat verlassen haben, fühlen sich heute verlassen. Ich sage das bestimmt nicht mit großer Schadenfreude, vor allem nicht, wenn ich an die Hunderttausende von Mietern denke, wenn ich an die Familien denke, die in großer Angst und Sorge um ihre Bleibe sind, die in Angst und Sorge um ihr Zuhause sind. Aber, meine Damen, meine Herren, es geht nicht nur um die Mieter der Neuen Heimat, dieser sogenannten gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft. Durch diese Vorgänge in der Neuen Heimat leiden jetzt auch die anderen, die echten gemeinnützigen Wohnbauunternehmen, deren Mietern ihre Wohnung fast wie eine Eigentumswohnung vorgekommen war, weil sie sich gesagt haben: Darauf hat der Staat seine Hand, da kann uns nichts passieren. ({1}) Das ist das Erschütternde an diesem Skandal. ({2}) Deshalb, meine Damen und Herren, lassen wir nicht zu, daß DGB und SPD hier auf Tauchstation gehen. Ich frage den hier anwesenden Mieterbundpräsidenten Jahn: Was sagen Sie eigentlich zu diesem Skandal? Ich spreche von einem Skandal, und ich spreche zu Recht von einem Skandal. Ich erinnere mich an die Protestkundgebungen und Demonstrationen des DGB vom Oktober 1985 gegen die, wie es hieß, unsoziale Politik der Bundesregierung. Damals haben DGB und SPD wider besseres Wissen versucht, der Regierung Kohl einen Sozialabbau vorzuwerfen. Damals war die Rede von der neuen Armut. Neue Armut, Neue Heimat - man könnte wunderbare Wortspiele betreiben. Oder: Neue Heimat, teure Heimat. Insgesamt flossen 10 Milliarden DM an Subventionen und Steuerbefreiungen in den gemeinnützigen Teil der Neuen Heimat. Ich frage mich: Wie ernst hat der Aufsichtsrat seine Aufsichtspflicht genommen, z. B. der Vorsitzende des Aufsichtsrats, DGB-Chef Ernst Breit, Mitglied der SPD, oder Frau Monika Wulf-Mathies, Mitglied der SPD, oder der Zyniker Franz Steinkühler, Mitglied der SPD? ({3}) Diese Liste muß man Ihnen immer wieder vorhalten. ({4}) Ich möchte noch ein anderes Thema streifen. Mich hat persönlich an der Ausführung dieser Bauten der 60er Jahre besonders die Gigantomanie gestört, die Hochhausmanie, die vielfach das Bild unserer gewachsenen Städte und Stadtviertel verunstalteten. ({5}) Hier wurden Betongebirge errichtet, zum Teil häßliche Wohnmaschinen gebaut, mit denen wir heute leben müssen. Nebenbei bemerkt: Auch in Bayern sind über 30 000 Neue-Heimat-Mieter verunsichert. Auch hier gab es in München und Würzburg Enbloc-Verkäufe größeren Ausmaßes. Auch hier gab es Spekulationsgeschäfte größeren Umfangs mit Grundstücken, die niemals Baureife erhalten werden. Und jetzt - damit komme ich zum Schluß - der Ruf nach dem Staat, der Ruf nach dem Steuerzahler! Der Steuerzahler soll der reichsten Gewerkschaft des Kontinents helfend unter die Arme greifen. Ich meine: Gefordert sind hier und heute diejenigen, die bei der Neuen Heimat Verantwortung tragen, die jahrelang von der Neuen Heimat profitiert haben, die Geschäfte gemacht haben - nicht die Bundesregierung, nicht Wohnungsbauminister Schneider! Lassen Sie mich abschließend noch aus einer Anzeige der Neuen Heimat aus dem Jahre 1965 zitieren, in der sie folgendes versprach: Wir fürchten keine Kündigung. Wir haben keine Angst vor zu hoher Miete. Wir fühlen uns in unserer Wohnung wohl und sicher: Wir wohnen bei der Neuen Heimat. ({6}) Dies muß den Mietern der Neuen Heimat heute wie Hohn in den Ohren klingen. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau das Wort. ({0})

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung verfolgt mit Sorge den wirtschaftlichen Verfall der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat. ({0}) Sie sieht sich nicht veranlaßt, sich in unternehmerische Entscheidungen einzumischen. ({1}) Auch die Gewerkschaft trägt als Unternehmer wie jeder andere Unternehmer die volle wirtschaftliche und gesellschaftliche Verantwortung für unternehmerisches Verhalten und Fehlverhalten. ({2}) Wir wenden unsere Sorge den dabei Betroffenen zu, die ohne jedes Verschulden unter der Krise der Neuen Heimat leiden. ({3}) In erster Hinsicht sind dies die Mieter - etwa eine Million. Sie sind die dabei wirtschaftlich Betroffenen; und es ist nicht zuletzt der Immobilienmarkt, der Wohnungsmarkt, der im Falle eines Konkurses in böse Mitleidenschaft gezogen werden kann. ({4}) Ich habe mich, weil wir als Bundesregierung unsere soziale Aufmerksamkeit diesen bedauerlichen Vorgängen zuwenden, auf Bitten der Länderkollegen bereit erklärt, ein Gespräch mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Geschäftsführung der Neuen Heimat zu koordinieren. ({5}) Dieses Gespräch wird Anfang Februar stattfinden. Wir als Bundesregierung und gewiß auch die Kollegen aus den Bundesländern ({6}) erwarten, daß die Neue Heimat und der Deutsche Gewerkschaftsbund offenlegen werden, was sie zur Rettung, zur Sanierung der Neuen Heimat tun wollen; ({7}) denn gefordert ist primär der Unternehmer. ({8}) Ich glaube auch nicht, daß die Bundesregierung zuviel erwartet oder Übergebührliches verlangt. Es handelt sich hier nicht nur um ein mitbestimmtes Unternehmen, sondern um ein ausschließlich gewerkschaftlich bestimmtes Unternehmen. ({9}) Es handelt sich um ein gemeinnütziges Unternehmen und zudem noch um ein gemeinwirtschaftliches Unternehmen. Dieses Unternehmen, das in die Krise geraten ist, wurde also unter Prinzipien gegründet und geführt, unter denen es auch heute Verantwortung tragen muß, und zwar von seiten des Unternehmers - und das ist der Deutsche Gewerkschaftsbund! ({10}) Es ist, wie Sie alle wissen, kein Geheimnis: Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist eine reiche Gewerkschaft, ist eine kapitalstarke Gewerkschaft, ({11}) und es ist doch ganz selbstverständlich, daß dieser Deutsche Gewerkschaftsbund seiner krank gewordenen armen Tochter Neue Heimat zu Hilfe eilt, daß er ihr mindestens in dem Umfang und in der Höhe hilft, wie er dies der nicht gemeinnützigen Tochter Neue Heimat Städtebau gegenüber getan hat. ({12}) Ich bin sehr überrascht, daß es da ein Zögern gibt und daß man nach dem Staat ruft; denn in der Agitationswoche vom Oktober 1985 hat der DGB laut verkündet: Solidarität ist unsere Stärke. ({13}) Der reiche Gewerkschaftsbund soll nun Solidarität mit den armen bedrohten Mietern üben! ({14}) Meine Damen und Herren, ich sage das ohne Soupçon ({15}) und ohne den Ansatz von Polemik: Können Sie sich vorstellen, Herr Kollege Haar, daß der kleine Maurer, Mitglied der IG Bau-Steine-Erden, der sich ein Häuschen gebaut hat, der familiär einen Schicksalsschlag hinnehmen mußte, ({16}) - auch CSU-Mitglied kann er sein; das wäre ein Fortschritt für ihn ({17}) der in wirtschaftliche Bedrängnis kommt, ({18}) der seinen finanziellen Verpflichtungen ohne eigene Schuld nicht mehr nachkommen kann, zusehen muß, wie man sein Häuschen zwangsversteigert, ({19}) während auf der anderen Seite der reiche DGB seine durch eigenes Verschulden in Not geratene Neue Heimat sitzenläßt, keine Solidarität übt, den Steuerzahler anruft und sagt: Gib uns Milliarden DM, damit wir die Neue Heimat sanieren können! ({20}) Dabei ist er doch selber ein vielfacher Vermögensmilliardär. ({21}) Können Sie sich das vorstellen? Ich glaube, nicht. ({22}) Ich möchte jetzt nicht Reden bedeutender Sozialdemokraten aus Vergangenheit und Gegenwart zitieren. ({23}) Fest steht, meine Damen und Herren: Die Neue Heimat ist nicht durch das Verhalten einer Bundesregierung - weder der früheren noch dieser Bundesregierung - in diese Schwierigkeiten geraten; ({24}) vielmehr hat die Geschäftsleitung der Neuen Heimat spekuliert, hat oftmals die Preise am Bodenmarkt gesteigert, hat vielfach unterboten, und ihr unternehmerisches Verhalten kann nur mit den schlechtesten Noten qualifiziert werden. ({25}) Daß das so ist, bestätigt der jetzige Geschäftsführer der Neuen Heimat in dem Brief an den Herrn Bundeskanzler selber. ({26}) Er schreibt dort: Neue Heimat, das ist für viele Beton, Leerstände, Sucht nach Größe, das ist Mißmanagement und persönliches Fehlverhalten. ({27}) Niemand darf leugnen, daß es auch diese Seite gibt. Originalton Herr Dr. Hoffmann an den Herrn Bundeskanzler! ({28}) Meine Damen und Herren, die Neue Heimat war insoweit privilegiert, als es die Bewilligungsbehörden aller Bundesländer und die Bewilligungsbehörden der Städte hingenommen haben, daß ihr Eigenkapitalanteil nur 3 % beträgt. In aller Regel beträgt der Eigenkapitalanteil zwischen 10 und 20 %. Man hat darauf vertraut, daß die Neue Heimat niemals in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten kann, weil dahinter der milliardenstarke Deutsche Gewerkschaftsbund steht. Die Neue Heimat wurde ja wie eine mündelsichere Anstalt betrachtet. Da muß sich der Deutsche Gewerkschaftsbund jetzt auch so verhalten, daß das Vertrauen in die Mündelsicherheit der Neuen Heimat nicht enttäuscht wird. Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein Wort an die betroffenen Mieter richten, die befürchten, daß die Verkäufe zu dramatischen Mietsteigerungen führen. Beim Verkauf ({29}) bleiben die bestehenden Bindungen erhalten, es besteht keine Gefahr für den Mieter. Nur dort, wo Fördermittel zurückgezahlt werden oder wo förderungsbedingte Mietbindungen auslaufen, kann es zu gewissen Mietsteigerungen kommen, die jedoch bei der heutigen Marktlage sehr eng begrenzt bleiben werden, weil der heute weitgehend entspannte Wohnungsmarkt eben keine großen Mietsprünge erlaubt. Das ist der Erfolg der Mietenpolitik dieser Bundesregierung. ({30}) Das ist auch deshalb der Fall, weil unser soziales Mietrecht die jährliche Mietsteigerungsrate begrenzt - es gibt die sogenannten Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen, wie Sie wissen -, weil unser Wohngeldsystem unzumutbare Härten ausgleicht und weil die Neue Heimat solche Wohnungen bereits verkauft hat, bei denen noch Mietspielräume bestanden, so in München, Frankfurt und Wiesbaden. ({31}) Ich schließe: Die Bundesregierung beobachtet die Vorgänge mit Sorge. Die Bundesregierung wird mit den Ländern beraten, aber sie wird den Deutschen Gewerkschaftsbund aus seiner Verantwortung als Unternehmer, ({32}) als voll gewerkschaftlich bestimmter, gemeinnütziger und gemeinwirtschaftlicher Unternehmer nicht entlassen. ({33})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmitt ({0}). ({1})

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für uns geht es einzig und allein um die Rettung, um die Erhaltung von 300 000 Sozialwohnungen für die Mieter, die in der Vergangenheit bei der Neuen Heimat eine Heimat gefunden haben. ({0}) Wir Sozialdemokraten lassen die Mieter nicht im Stich. ({1}) Auch wir Sozialdemokraten - hören Sie zu - nennen unternehmerische Fehlleistungen und mangelde Aufsicht auch in gewerkschaftlichen Unternehmen beim Namen. ({2}) Die Neue Heimat hat die sich selbst gesetzten gemeinwirtschaftlichen Ziele nicht erfüllt. Davon betroffen sind die Gewerkschaften, die gemeinnützige Wohnungswirtschaft, aber vor allem die Mieter. Über die dürfen wir aber nicht nur reden. ({3}) Diesen 300 000 Mietern bei der Neuen Heimat - das sind 1 Million Menschen, das sind Familien - muß geholfen werden. ({4}) - Mit Ihrer Kampagne, Herr Link, gegen die Gewerkschaften und die SPD helfen Sie den Mietern nicht, sondern Sie machen das Gegenteil. ({5}) Sie wollen die SPD und die Gewerkschaften diffamieren und von Ihrem Sozialabbau und den EinSchmitt ({6}) schränkungen des Streikrechts ablenken. Das kommt Ihnen gerade recht. ({7}) Der Knüppel, den Sie gegen die Gewerkschaften, gegen die SPD schwingen, trifft ja die Mieter. Aber gerade die haben wir zu schützen. ({8}) Der Bundesbauminister - er feiert sich ja immer wieder als selbsternannten Anwalt der Mieter - sitzt genüßlich auf seinem Richterstuhl und richtet seinen Bannstrahl gegen die Gewerkschaften, gibt Anklagen und Schuldzuweisungen von sich und hat für die Mieter - wir haben das auch heute wieder gehört - nur wohlklingende Worte. Sonst haben wir noch nichts von ihm gehört. Herr Minister, wir erwarten, daß Sie nicht nur freundlich von den Mietern und über die Mieter reden, sondern daß Sie Ihre Verantwortung für die Mieter auch in diesem Bereich wahrnehmen. ({9}) 300 000 Sozialwohnungen sind gefährdet, und dies in einer Zeit, meine Damen und Herren, wo auch durch Ihre Politik die Zahl der Sozialwohnungen von Jahr zu Jahr zurückgeht. ({10}) Herr Kansy, Sie müßten es ja wissen. Allein in Ihrer Stadt, die Sie mit vertreten, in Hannover, soll die Zahl der Sozialwohnungen von 17 000 im Jahre 1985 auf 9 000 im Jahre 1995 zurückgehen. Wir Sozialdemokraten meinen, daß nur eine ausreichende Zahl von Sozialwohnungen preiswertes Wohnen für breite Volksschichten sichern kann. Dieses preiswerte Wohnen, Herr Minister, ist aber in Frage gestellt. Und erst in diesen Tagen hat der Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin festgestellt: Immer mehr Mieter müssen immer mehr Miete zahlen. Im Gegensatz zu Ihren Behauptungen - die Mieter erleben das - öffnet sich die Schere zwischen Realeinkommen und Miete immer weiter. So spricht die „Frankfurter Rundschau" zu Recht von der „Bonner Zahlenspielerei des Bundesbauministers". Deshalb dürfen 300 000 Sozialwohnungen nicht Ihrer marktwirtschaftlichen und antigewerkschaftlichen Einstellung, Herr Lambsdorff, geopfert werden. ({11}) - Hören Sie doch mal zu! Wir erwarten, meine Damen und Herren, daß sich die Führung der Neuen Heimat, die Gewerkschaften, die Länder, die Kommunen, aber auch die gemeinnützige Wohnungswirtschaft, die Banken vor allem und nicht zuletzt der Bund dieser Verantwortung bei der Neuen Heimat stellen ({12}) und alles tun, um 300 000 Wohnungen aus den Fängen des immer wieder an die Wand gemalten Pleitegeiers zu retten. Nur darauf kommt es an, meine Damen und Herren. Sie treffen mit Ihrer Kampagne die Mieter. Aber wir müssen den Mietern helfen. ({13}) Wir Sozialdemokraten lassen die Mieter nicht im Stich. Was den Landwirten, der AEG und anderen billig ist, das muß den Mietern in der Bundesrepublik, den Mietern bei der Neuen Heimat mehr als recht sein. ({14})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Es grenzt schon an ein ungeheures Abenteuer, wie hier die Sozialdemokraten versuchen, ihre Genossen in der Gewerkschaft aus der Schußlinie zu nehmen. ({0}) Mit keinem Wort sind Sie hier auf die eigentlichen Probleme eingegangen. Sie machen nur Rückzugsgefechte. ({1}) An dieser Stelle will ich auch ausdrücklich den Präsidenten des Deutschen Mieterbundes begrüßen. Herr Kollege Jahn, es freut mich, daß Sie endlich einmal an einer Debatte teilnehmen, bei der es um Mieter geht. Bei Debatten über Wohngeld waren Sie nie da. Es zeigt das Ausmaß der Krise, in die die Neue Heimat geraten ist, wenn Sie endlich einmal Mieterbelange wahrnehmen. ({2}) Es ist noch keine fünf Monate her, daß wir hier in diesem Haus über die Neue Heimat diskutiert haben. Wir haben damals über Wohnungsverkäufe in einer Größenordnung von - so die Neue Heimat -100 000 gesprochen. Heute sagt Herr Sperling: Es hat sich überhaupt nichts geändert. - Herr Sperling, verfolgen Sie denn nicht, was los ist? Mittlerweile spricht man doch von mehr als 200 000 Wohnungen, die verkauft werden müßten; und zwar deshalb, weil die Wohnungen in einem so schlechten Zustand waren und deshalb verramscht werden mußten. ({3}) Jetzt wird versucht, die finanzielle Sanierung der Neuen Heimat zu bewerkstelligen. Daß die Neue Heimat jetzt schon wieder in den Schlagzeilen ist, spricht für eine handfeste Dauerkrise. ({4}) In dieser Situation scheut man sich überhaupt nicht, die Bundesregierung und damit auch den Steuerzahler schriftlich um das notwendige Kleingeld für die Behebung der Finanzkrise zu bitten. Jetzt frage ich Sie aber: Wo sind denn die Hauptschuldigen für dieses Debakel? Die sind ganz leicht auszumachen. Es ist der DGB mit seinen Einzelgewerkschaften und den Spitzenfunktionären. Der hat diese Leiche „Neue Heimat" im Keller. Verstorben ist dieser Baukonzern an eindeutigem Mißmanagement, an einem Finanzgebaren nach übelster Spekulantenart und an verfilzten personellen Verflechtungen. Und jetzt frage sich Sie: Wer sind die beklagenswerten Hinterbliebenen? Das sind die Mieter mit ihren Familien in diesen Wohungen der Neuen Heimat. In vollem Vertrauen auf die Gemeinnützigkeit der Neuen Heimat haben sie dort eine Sozialwohnung gemietet, mußten aber bald feststellen, daß durch die oft angesprochene Mißwirtschaft und die Spekulationen im Ausland riesige Finanzlücken entstanden waren. Notwendige Wohnungsrenovierungen konnten überhaupt nicht mehr durchgeführt werden. Und es kam zu Wohnungsleerständen in den Großsiedlungen. Das Wohnumfeld verwahrloste. Die Neue Heimat hat jetzt mehr als 7 000 Wohnungen Leerstehen, weil überhaupt keiner mehr da reinziehen will, weil sie so verwahrlost sind. Für den Mieter, meine Herren und Damen, kam es aber noch schlimmer. Ohne ausreichendes Eigenkapital wurden Hypotheken aufgenommen, um weitere Spekulationsobjekte zu verwirklichen. Die Luxusobjekte im Ausland hat man hier schon verschiedentlich angesprochen. Der Mieter konnte sich in dem Hotel in Monaco nicht einmieten. - Durch diesen Leichtsinn wurden die Finanzlücken immer größer. Wohnungen mußten verkauft werden. Aber auch der Eingriff in die Substanz des Unternehmens konnte zu einer Sanierung überhaupt nichts beitragen. Davon konnten gerade die jährlichen Verluste der Neuen Heimat in Höhe von 300 bis 400 Millionen DM ausgeglichen werden. Allein für die aufgenommenen Schulden muß der Konzern heute Zinsen von Hunderten von Millionen DM jährlich bezahlen, und das wollen Sie jetzt alles über Steuergelder wieder reinholen. Es ist abzusehen, daß die von den Spitzenfunktionären des DGB angestrebten Wohnungsverkäufe nicht ausreichen, um den Bankrott der Neuen Heimat aufzuhalten. In all diesen Wohnungen, meine Herren, meine Damen, stecken öffentliche Mittel, die das gemeinwirtschaftliche Unternehmen Neue Heimat erhalten hat. Wir sollten im Interesse der Mieter die Neue Heimat auffordern, und wir sollten darüber wachen, daß die durch die Steuerbefreiungen und die öffentlichen Förderungen entstandenen Mietvorteile nicht vom DGB dazu benutzt werden, eigene Verluste auszugleichen. ({5}) Wie sieht denn jetzt die vorläufige Schlußbilanz aus? Bundesweit hat die Neue Heimat Schulden in Höhe von 18 Milliarden DM angehäuft, und dies trotz der öffentlichen Förderung von 10 Milliarden DM auf Grund der Gemeinnützigkeit. Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, versuchen die Verantwortlichen - das sind die Herren Breit und Steinkühler, das ist Frau Wulf-Mathies usw. -, sich aus der Affäre zu ziehen. ({6}) - Das sind andere Spitzenfunktionäre, und gewöhnlich steht in der Klammer hinter ihrem Namen ein „SPD". Diese Spitzenfunktionäre wissen, daß durch die schonungslose Offenlegung eine eigene Bankrotterklärung zu erwarten ist. Ich halte dies den Mietern der Neuen Heimat gegenüber für unverantwortlich. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich auch in diesem Falle wieder wie auch bei der Mietgesetzgebung zum Anwalt der Mieter machen. ({7}) Wir werden die Belange der Mieter dem DGB und seinen Spitzenfunktionären gegenüber vertreten. Ich fordere hier noch einmal den DGB-Vorsitzenden und Aufsichtsratsvorsitzenden der Neuen Heimat, Breit, auf, endlich ein Sanierungskonzept vorzulegen. Der Mieter hat es verdient. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Frau Kollegin Dr. Segall und Graf Lambsdorff haben bereits in der vergangenen Woche und heute an dieser Stelle deutlich gemacht, daß die FDP nicht die Aufgabe bei der öffentlichen Hand sieht, dem sanierungsbedürftigen Konzern Neue Heimat nach den Milliardensubventionen, die bereits gewährt wurden, neue Finanzmittel zur Beseitigung der Krise bereitzustellen. Es ist doch offensichtlich, daß die durch Steuerbefreiung der Neuen Heimat als eines gemeinnützigen Unternehmens und die gleichzeitige öffentliche Förderung die entstandenen Mietvorteile nicht mehr den Wohnungsbenutzern, sondern nur noch dem Wohnungsunternehmen zugute kommen sollen. Das Ziel, durch langfristige Bindungsfristen Mietsicherheit zu erhalten und durch Subventionen preiswerte Wohnungen für sozial bedürftige Mieter zu sichern, ist gefährdet. Ich danke Ihnen, Herr Bundesbauminister, daß Sie auf die Mieterschutzgesetze hingewiesen haben; ich kann mir das deshalb ersparen. Auf Grund der Beiträge glaube ich, daß die Koalition nicht denselben Fehler machen wird, den die SPD damals mit der Mietenlüge gemacht und damit die Mieter verunsichert hat. Ich glaube, wir alle sollten den Mietern sagen: Gefährdet ist nicht der Mieterschutz, sondern die Neue Heimat. ({0}) Meine Damen und Herren, Herr Kollege Sperling hat hier die Frage gestellt, ob eine Berechtigung gegeben sei, diese Debatte hier zu führen. Herr Kollege Sperling, wenn etwa im Zonenrandgebiet ein Unternehmen durch hohe Subventionen gefördert wird, ist es, wenn es pleite macht, verpflichtet, diese Subventionen zurückzuzahlen. Wenn diese Forderung gleichrangig auch an die Neue Heimat gestellt werden würde, könnten wir diese Debatte vergessen; denn dann wäre die Neue Heimat längst beim Konkursrichter gelandet. ({1}) Wir halten diese Debatte für richtig, weil große Summen in dieses Unternehmen gesteckt wurden, und der Steuerzahler hat ein Recht zu erfahren, was damit geschehen ist. Herr Müller, Sie haben hier über die Sanierung geredet. Das war so abenteuerlich, daß ich an Ihrer Stelle mein Diplom als Betriebswirt zurückgeben würde. Sie haben über alle Leute geredet, die die Sanierung betreiben sollen, nur den Eigentümer, den DGB, haben Sie ausgelassen. Das ist ein neues abenteuerliches Geschäft. ({2}) Meine Damen und Herren, in der Sache selbst wäre noch nachzutragen, daß der Bundesvorstand des DGB gemeinsam mit den Vertretern seiner gemeinwirtschaftlichen Unternehmen Grundsätze beschlossen hat, die er jetzt selbst in grob fahrlässigster Weise verletzt. Man muß sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, was da beschlossen wurde. Dort heißt es: Der Mißbrauch wirtschaftlicher Macht muß verhindert werden. Mißstände müssen beseitigt werden. Alle Daten müssen offengelegt werden, und beispielhafte sozial- und gesellschaftspolitische Forderungen der Gewerkschaften müssen verwirklicht werden. Ist das etwa das Thema der Neuen Heimat und des DGB? ({3}) Was ist aus diesen edlen Grundsätzen geworden? Meine Damen und Herren, hier stellt sich nicht die Frage der Mietenlüge, sondern hier stellt sich die Frage des Mieterbetrugs. Ich stelle diese Frage mit folgender Begründung: Erstens. 1,5 Milliarden DM hat der DGB zur Sanierung der Neuen Heimat Städtebau bereitgestellt. Mit welchem moralischen Recht saniere ich erst ein privatwirtschaftliches Unternehmen und denke erst dann - oder überhaupt nicht - an das gemeinwirtschaftliche Unternehmen Neue Heimat? Zweitens. Mit welcher Begründung hat der DGB die BG-Immobiliengesellschaft in Frankfurt am 31. Januar 1985, also mitten in der Krise, gegründet? Drittens. Welch ein skandalöser Zustand ist es, wenn beispielsweise berichtet wird, daß die Stadt Bremen zwar Wohnungen erwerben wollte, daß aber die Neue Heimat sie nicht an die Stadt bzw. deren gemeinnütziges Unternehmen, sondern an die privatwirtschaftliche Tochter der Neuen Heimat, nämlich die BGI, verkauft hat? ({4}) Viertens. Wer rechtfertigt in München den Verkauf von 2 100 Wohnungen an die Stadt, die ursprünglich mit 141 Millionen DM - jetzt hören Sie gut zu - bei 24 Millionen DM Provision an die Tochter des DGB, an die BGI, bezahlt werden sollten. Fünftens. Nach dem Bericht des Bundesbauministers ist die Zahl der Mitarbeiter in der Neuen Heimat seit 1980 um 751 und bei der Neuen Heimat Städtebau um mehr als 60 vermindert worden. Warum hat man eigentlich mehr als 800 Mitarbeiter entlassen, ohne daß etwa die Ertragssituation verbessert worden wäre? Sechstens. Nach dem Bericht der Neuen Heimat selbst wurden nach dem Zweiten Weltkrieg etwa 500 000 Wohnungen gebaut. Nach dem letzten Bericht sind nur noch 270 000 Wohnungen im Bestand. Also wurden insgesamt 230 000 Wohnungen veräußert. Wenn ich Personal entlasse, Vermögen veräußere und dann ohne jedes Konzept den Staat angehe und sage: ihr sollt mir jetzt den Rest der Veranstaltung finanzieren, dann habe ich als Unternehmer versagt. ({5}) In diesem Zusammenhang muß noch erwähnt werden, daß sich die Neue Heimat einen unternehmerischen Lapsus geleistet hat, der ohne Beispiel in der Nachkriegsgeschichte ist. Sie wollten schnell. ans Geld, haben daher die besten Bestände schnell verkauft, ohne die Mieter zu befragen, und haben damit aus betriebswirtschaftlicher Sicht die Basis für jegliche Sanierung verlassen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß!

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich darf zum Schluß kommen, meine Damen und Herren. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich bitte Sie, wirklich zum Schluß zu kommen.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Kanzlerkandidat Rau hat in den letzten Tagen ein großes Inserat aufgegeben, in dem es heißt: Bitte den Anstand wahren! - Ich nehme an, daß er sich an den DGB und die Neue Heimat gewandt hat. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering. ({0})

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie reden so, als sei der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Tochter der Sozialdemokratie. ({0}) - Seien Sie schön vorsichtig. 40 % der Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind Mitglieder Ihrer Partei. ({1}) Auch in den verantwortlichen Gremien der Gewerkschaften sitzen Christdemokraten. Auch in den Vorständen und verantwortlichen Positionen der Neuen Heimat sitzen Christdemokraten. ({2}) - Ich finde es schäbig, wie Sie hier mit Namen hantieren. Ich will Ihnen einmal ein paar andere Namen nennen: Maria Weber, ({3}) Adolf Müller ({4}), ({5}) Hans Katzer, ({6}) Konrad Grundmann. - Sie alle gehören der CDU an; sie alle haben auch Mitverantwortung bei der Neuen Heimat getragen. ({7}) Ich werfe ihnen das nicht vor, aber ich sage Ihnen: Hören Sie endlich damit auf, mit dieser Art von Personalisierung Politik machen zu wollen! ({8}) Nach Ihren großen Worten warte ich nun gespannt darauf, was beim nächsten Gewerkschaftstag passiert. Denn bei den Gewerkschaften ist es so, daß diejenigen, die an der Spitze stehen, gewählt sind und daß sie das auszuführen haben, was auf einem Gewerkschaftstag beschlossen wird. Ich warte auf den Antrag der Kollegen Blüm und Müller und Link für den nächsten Gewerkschaftstag, auf dem steht: „Kolleginnen und Kollegen, wir Gewerkschafter fordern den Vorstand auf", dieses und jenes zu tun. Tun Sie das doch einmal! Wo sind Sie denn auf den Gewerkschaftstagen, die Sie hier das große Wort führen? Zeigen Sie sich da doch auch einmal! ({9}) - Wir warten sehr gespannt auf das, was die Kollegen, der Herr Blüm und Sie, machen. Wenn die Neue Heimat in Konkurs ginge, wäre das für knapp 300 000 Mietparteien, für über 1 Million Menschen eine persönliche Katastrophe; denn mit der Zwangsversteigerung gelten die mit öffentlichen Zuschüssen geförderten Wohnungen nicht mehr als öffentlich gefördert. Sie sind keine Sozialwohnungen mehr. Die mit öffentlichen Darlehen geförderten Wohnungen verlieren bei Zwangsversteigerungen nach drei Jahren ihren Status. Wenn die NH in Konkurs ginge, verfielen die Mietpreis- und Belegungsbindungen sofort, spätestens nach drei Jahren. Das bedeutet Mietpreiserhöhungen. Wenn die Neue Heimat in Konkurs ginge, müßte der Staat, müßte der Steuerzahler draufzahlen. 10 Milliarden DM öffentlicher Mittel sind überwiegend nachrangig gesichert. Bei einer Zwangsversteigerung könnten diese Mittel nur teilweise realisiert werden. Die öffentliche Hand, der Staat, der Steuerzahler würde draufzahlen - das wissen Sie auch -: das Mehrfache dessen, über das wir hier im Augenblick reden. ({10}) Wo ist Herr Lambsdorff? Er ist zum Prozeß gegangen. Hier das Feuerehen anmachen, und weg ist er! ({11}) Wenn die Neue Heimat in Konkurs ginge, müßten Lambsdorff, Stoltenberg, Schneider und alle, die sich jetzt so unbeteiligt kühl zurücklehnen, draufzahlen, ob sie wollen oder nicht. Sie sitzen nicht am längeren Hebel. Ihrer Mitverantwortung können sie sich ledig zeigen, aber die Mitbetroffenheit werden sie nicht ignorieren können. ({12}) Alle Mann sind dran. Wenn die Neue Heimat in Konkurs ginge, stürzten in den Schwerpunkten des Geschehens die Preise für Häuser, Wohnungen und Grundstücke ins Ungewisse, auch die Preise für Eigenheime, auch die für alte Wohnungen. Nicht wenige kleine Leute sind aber darauf angewiesen, daß ihr geringes Vermögen in Form von Immobilien einen gesicherten Wert hat, sei es, weil man verkaufen will, sei es, weil man beleihen muß. Wenn die Neue Heimat in Konkurs ginge, würden Wertberichtigungen größten Ausmaßes bei Banken und anderen Institutionen fällig. Das würde Herrn Stoltenberg Geld kosten; denn dann gäbe es weniger Steuern. Das wissen Sie. Wenn die Neue Heimat in Konkurs ginge, wäre ein Eckpfeiler der Gemeinnützigkeit zerstört. Dann müßten nicht nur die 300 000 Mietpartien der Neuen Münterfering Heimat, sondern dann müßten die 3,3 Millionen Mietparteien, 10 Millionen Menschen, in den Wohnungen, die den Gemeinnützigkeitsstatus in der Bundesrepublik haben, Angst haben. Wenn die Neue Heimat in Konkurs ginge, wäre ein Schritt getan hin zu einer wohnungspolitischen Konzeption, die von der FDP und von Teilen der CDU/CSU seit Jahren verfolgt wird. ({13}) Dann käme diese wohnungspolitische Konzeption ein Stück voran. Ihre Parole ist doch: Weg mit dem sozialen Wohnungsbau, weg mit der Wohnungsgemeinnützigkeit, hin zum totalen Markt! Wenn die Neue Heimat in Konkurs ginge, wären auch Lambsdorff und Stoltenberg schuld, die schon vor dem Beginn von Gesprächen hinausposaunen, daß sie zu keiner Hilfe bereit sind. Ihre Einlassungen, Herr Minister, waren moderater. Ich sage Ihnen: Die Veranstaltung heute morgen findet ja nur statt, ist von der FDP ja nur beantragt worden, um Sie in die Disziplin des Kabinetts zu zwingen. Wenn man miterlebt hat, was am Wochenende gelaufen ist, wie da schnell geschrien worden ist: nein, kommt nicht in Frage, und wenn man nun gehört hat, wie moderat Sie geantwortet haben, Herr Minister, kann ich Sie und Ihre Kollegen in der Mitte des Hauses nur bitten: Lassen Sie uns vernünftig darüber sprechen! Es geht nicht um Parteipolitik. ({14}) Keiner wird bei dieser Sache gewinnen. Es geht darum, Lösungen zu finden. Aus Ihren Worten, Herr Minister, habe ich herausgehört, daß man vielleicht noch Hoffnung haben kann, daß man miteinander sprechen kann. ({15}) Sie haben gesagt: Primär die Gewerkschaften! Aber „primär" heißt j a wohl auch, daß noch andere mit betroffen sein und sich engagieren könnten. Das lassen Sie uns miteinander machen! ({16})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Pesch.

Hans Wilhelm Pesch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fordere den Präsidenten des Deutschen Mieterbundes nun wirklich ganz eindringlich auf, als Bannerträger der Mietenlüge in der Vergangenheit hier oben zu diesem Problem Stellung zu nehmen. ({0}) Herr Kollege Müntefering, die Neue Heimat braucht nicht in Konkurs zu gehen, wenn der Inhaber der Neuen Heimat, nämlich der Deutsche Gewerkschaftsbund, seine Milliarden-Vermögenswerte zur Rettung dieser Neuen Heimat, seiner Gesellschaft, einsetzt. ({1}) Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Vogel, sagte laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 22. Januar 1986 - ich zitiere -, daß die Grundelemente des Genossenschaftswesens bei dem den Gewerkschaften gehörenden Unternehmen - er meint die Neue Heimat „blaß" geworden seien. Ich glaube, Herr Vogel ist blaß geworden, als ihm das ganze Ausmaß der Katastrophe um die Neue Heimat bewußt wurde. ({2}) Blaß, meine Damen und Herren, ist eine völlig unzureichende Zustandsbeschreibung. Im vorliegenden Falle ist der genossenschaftliche Gedanke zu Tode geritten worden. Es besteht der große Verdacht, daß von den Verantwortlichen im DGB das Gemeinnützigkeitsgesetz in grober Weise verletzt worden ist. ({3}) Ich frage: Wer ist nun verantwortlich für 18 Milliarden DM Schulden der Neuen Heimat? Wer ist verantwortlich für Hunderte Millionen D-Mark Verluste der Neuen Heimat? ({4}) Wer ist verantwortlich, daß in Nordrhein-Westfalen die Neue Heimat in den letzten drei Jahren 10 456 Wohnungen, davon 9 438 öffentlich geförderte Wohnungen, verkauft hat? Davon nur, man höre und staune, 1 020 an Mieter, die Mehrzahl der übrigen Wohnungen an private Anleger. Welch soziale Großtat! Vom Verkauf dieser Wohnungen sind rund 35 000 Menschen betroffen; Menschen, die in Angst und Schrecken versetzt wurden, nicht zuletzt wegen der rüden Verkaufsmethoden und des unsozialen, eiskalten Umgangs mit den betroffenen Mietern. Ich frage: Wer ist verantwortlich für die 1,7 Milliarden DM Verbindlichkeiten, die das Land Nordrhein-Westfalen über die Westdeutsche Landesbank und die landeseigene Wohnungsbauförderungsanstalt Nordrhein-Westfalen gegenüber der Neuen Heimat eingegangen ist? Wer ist verantwortlich dafür, daß in Nordrhein-Westfalen Mieter von über 40 000 Wohnungen der Neuen Heimat um diese ihre Wohnungen bangen müssen? Wer ist verantwortlich dafür, daß das Land Nordrhein-Westfalen in bezug auf das Klinikum Aachen, bei dem die Neue Heimat als Generalunternehmer fungierte, Schadensersatzansprüche in Höhe von 160 Millionen DM an dasselbe Unternehmen hat? Wer ist verantwortlich für eine hemmungslose Konzernstrategie, die jedes Augenmaß verloren hat, die vor allem die Belange des kleinen Mannes sträflich mißachtet hat? Wer ist verantwortlich für dieses beispiellos miserable und unsoziale Verhalten in dem DGB-eigenen Konzern gegenüber Tausenden von einkommensschwachen Mietern? Wer ist verantwortlich dafür, daß Millionen Gelder der öffentlichen Hand für zwielichtige Spekulationsgeschäfte mißbraucht wurden? Wer ist verantwortlich dafür, daß das notwendige Eigenkapital nicht selbst erwirtschaftet, sondern gepumpt wurde, und auf diese Art öffentliche Förderung erschlichen wurde? Verantwortlich, meine Damen und Herren, sind nicht Müller, Meier oder Schulze in irgendwelchen Büroetagen der Neuen Heimat. Verantwortlich sind, wie schon gesagt, führende Gewerkschaftler und SDP-Genossen. ({5}) Solche Aufsichtsräte würden in der Privatwirtschaft aus den Ämtern gejagt. Verantwortlich in Nordrhein-Westfalen ist an erster Stelle der Ministerpräsident und Kanzlerkandidat in spe, Johannes Rau, der in seiner eigenen fröhlichen Unbedarftheit diesem Spiel tatenlos zugesehen hat. ({6}) Hier ist dem DGB schwerer Schaden zugefügt worden. Hier ist auch der Mitbestimmung schwerer Schaden entstanden. Was muß man davon halten, wenn die obersten Gralshüter der Mitbestimmung sich selbst als völlig unfähig erweisen, wirtschaftlich vernünftig zu handeln? Durch das rücksichtslose Verhalten der Neuen Heimat ist die Glaubwürdigkeit des DGB schwer angeschlagen und auf einem Tiefpunkt angelangt. Gewerkschaft und SPD wagen es, angesichts dieser Tatsachen gegen die Bundesregierung wegen Sozialabbaus zu agitieren. Das ist Doppelzüngigkeit und politische Heuchelei. ({7}) Ich frage SPD und Gewerkschaft: Woher nehmen Sie den moralischen Anspruch auf Platz 1 in der Sozialpolitik? Machen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, Schluß mit dieser doppelten Moral!

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß! Die Redezeit ist abgelaufen.

Hans Wilhelm Pesch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Man muß sich die Frage stellen, ob nicht die ganze Kampagne des DGB und der SPD gegen die geplanten Richtigstellungen des § 116 AFG, hier vor allem die völlig unhaltbare Kampagne der IG Metall, nur deshalb inszeniert worden ist, um von der ganzen Katastrophe, die Neue Heimat betreffend, abzulenken. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich behaupte einmal vorweg, daß das Problem der Rettung von Wohnungen der Neuen Heimat lösbar ist. Denn was ist der Tatbestand? Da hat ein großer Konzern versagt. Mißmanagement, mangelhafte Aufsicht durch Kapitaleigner und Prüfverbände, Fehlspekulation und privatkapitalistische Verhaltensweisen eines der Gemeinwirtschaft gewidmeten und der Gemeinnützigkeit verpflichteten großen Wohnungsunternehmens haben zu einer Krise geführt. Insoweit sind wir uns über den Tatbestand wahrscheinlich einig. Hoffentlich sind wir uns auch darüber einig, daß die Betroffenen 300 000 Mietparteien sind, also etwa eine Million Menschen, die auch künftig einen Wohnplatz brauchen. Deshalb geht es hier nicht darum, Verantwortlichkeiten zu verwischen und einen Konzern zu spicken, sondern es muß gefragt werden, wie denn die Wohnungsbestände für die Versorgung von Mietern mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf Dauer sozial abgesichert werden können. ({0}) Und nun, meine Damen und Herren, wird das Problem aufgebauscht. In dieser reichen Bundesrepublik Deutschland wäre es j a wohl lächerlich, wenn man wegen eineinhalb Milliarden DM tatenlos zusehen würde, wie eine Million Menschen um ihren Wohnraum gebracht würden. Als die AEG mit mehr als 50 000 Arbeitsplätzen vor dem Zusammenbruch stand, unterstützte der Bund ein Sanierungskonzept mit einer Milliardenbürgschaft. ({1}) Als eine Neuordnung des Stahlmarktes anstand, haben Bund und Länder mehrere Milliarden DM an Subventionen für Sanierungs- und Fusionskonzepte gewährt. ({2}) Und als Kiechle die Bauern verschaukelte, da hatte Herr Stoltenberg flugs zweieinhalb Milliarden DM jährlich, um das „Bauernlegen" zu verhindern. ({3}) Aber das „Mieterlegen" soll wohl erlaubt oder gar erwünscht sein. Das kann doch wohl nicht sein. ({4}) Jedenfalls habe ich diesen Eindruck, wenn ich mir das vergegenwärtige, was Lambsdorff, Stoltenberg und Schneider so von sich geben. Nun, meine Damen und Herren, was hat in der Tat zu geschehen? Erstens - und in dieser Reihenfolge -: Die Neue Heimat muß die Karten endlich auf den Tisch legen. ({5}) Wenn denn schon die Auflösung des Großkonzerns, wenn beispielsweise Regionalisierung und Neuordnung vor einem Konkurs bewahren können, dann müssen die Konditionen ausgelotet werden. Zweitens. Die Kapitaleigner der Neuen Heimat sind gefordert, die Eigenkapitalausstattung von Regionalgesellschaften mit zu ermöglichen. Ob und in welcher Weise auch örtliche Bewohnergenossenschaften gefördert werden sollten, um zur ProblemWaltemathe lösung beizutragen, ist ebenfalls sehr ernsthaft zu prüfen. ({6}) Drittens. Die Gläubigerbanken müssen sich der Fragestellung widmen, ob der teilweise Verzicht auf Forderungen nicht günstiger ist als der zweifelhafte Ausgang eines Konkursverfahrens. Viertens. Die übrigen Gesellschaften und Genossenschaften der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft müssen jeweils vor Ort prüfen, ob eine Beteiligung an regionalen Auffanggesellschaften und örtlichen Bewohnergenossenschaften eine Basis für den Erhalt wertvoller Sozialwohnungsbestände darstellt. ({7}) Fünftens. Finanzierungsinstitute, Bausparkassen und andere wohnungswirtschaftlich orientierte Institutionen müssen Finanzierungskonzepte erarbeiten, damit Mieter, die dies wollen, Wohneigentum in Mieterhand bilden können. Sechstens. Alsdann kommen allerdings auch Kommunen, Bundesländer und der Bund selbst nicht um die Frage herum, ob und welche Hilfestellung geleistet wird, im Interesse der Sozialmieter Wohnungsbestände zu sichern und mit öffentlichen Mitteln zu retten. ({8}) Schadenfreude, meine Damen und Herren, die nicht nur klammheimlich geäußert wird, nützt den eine Million betroffenen Einwohnern nichts, die in Wohnungen der Neuen Heimat ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben und jetzt in Angst vor Vertreibung versetzt werden. Ein Wohnungsbauminister, dem deren Schicksal offensichtlich gleichgültig ist, sollte lieber abtreten. ({9}) Denn er vertritt noch nicht einmal die Interessen der Volkspartei CSU, sondern geht denen auf den-Leim, die unter dem Begriff „sozialer Frieden" eine Ordnung verstehen, in der Gewerkschaften allenfalls als Bittsteller vorkommen dürfen. ({10}) Fazit: keine Subventionen an Großkonzerne und ihre Eigentümer, auch wenn dies die Gewerkschaften sind, aber Hilfe für die wirklich Betroffenen. Das ist das Gebot der Stunde. Daran müssen wir arbeiten. Zu nichts anderem kann eine solche Aktuelle Stunde dienen. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Doss.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte findet statt, um den DGB, den Milliardär, daran zu erinnern, daß er sich um seine Mieter zu kümmern hat. ({0}) Unsere große Sorge ist, daß aus der „Neuen Heimat" eine „teure Heimat" wird, meine sehr verehrten Damen und Herren; ({1}) teuer für die Mieter, für die die Neue Heimat zu einer neuen Heimatlosigkeit zu werden droht; teuer für die Gewerkschaftsmitglieder, die fürchten, daß die Neue Heimat ihre Streikkassen plündert; teuer für die öffentlichen Geldgeber, deren sozialgebundene Gelder möglicherweise in den Sand gesetzt wurden; teuer für die Beschäftigten der Neuen Heimat, die sich um ihre Arbeitsplätze sorgen; teuer für die Gläubiger, die zur Zeit um 18 Milliarden DM fürchten müssen. Weniger teuer für den DGB, für den Milliardär DGB, den Eigentümer, der die Neue Heimat mit nur 3 % Eigenkapital ausgestattet hat und der jetzt nach öffentlichen Mitteln ruft? Ganz gleich wie die Neue Heimat saniert wird, vor die Therapie gehört die Diagnose. Die Neue Heimat muß schonungslos offenlegen, woraus ihre Verluste resultieren. Nur wer die Ursachen kennt, kann die Mängel dauerhaft beseitigen. Ich fordere die Neue Heimat auf, ihre bisherige und ihre aktuelle Unternehmenspolitik offenzulegen. Was wir wissen, ist, daß die Neue Heimat durch den DGB unterkapitalisiert wurde - nur 3 % Eigenkapital -, während andere gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften im Durchschnitt mit 15 % ausgestattet sind, was schon wenig genug ist. 97 Fremdmittel, meine sehr verehrten Damen und Herren, bedeuten eine gewaltige Zinslast und sind einer der Gründe für den Niedergang. Nur 3 % Eigenkapitalausstattung durch den Milliardär DGB bedingt die moralische Verpflichtung, im Krisenfall nachzufinanzieren. Ein weiterer Grund sind die auf Kredit gekauften Grundstücke, die zum großen Teil nicht einmal Bauland, bestenfalls Bauerwartungsland, reine Spekulationsobjekte, also totes Kapital sind, die jetzt einen Großteil der 1,2 Milliarden DM Zinsen im Jahr verursachen. Ein weiterer Grund sind am Markt vorbeigebaute Wohnungen aus Bauträgergeschäften, die überwiegend nur mit Verlusten zu verkaufen sind. Maßloses und planloses Wachstum in den 70er Jahren ist ebenfalls eine der Ursachen für das Wackeln des Riesen. Sie lassen Rückschlüsse auf das Management und die unternehmerischen Fähigkeiten der Neuen Heimat und ihrer DGB-Aufsichtsgremien zu. Die Forderung nach mehr Mitbestimmung, ist sie hier nicht am Platz? Mehr Mitbestimmung für unternehmerischen Sachverstand, meine ich. Fähigkeiten sind gefragt, weniger Ideologie, um Mieter, Arbeitnehmer, Gewerkschaftsmitglieder, den Staat, die Gläubiger vor Schaden zu schützen. Der Fall Neue Heimat macht erneut deutlich, daß ungezügeltes subventioniertes Wachstum zwar Größe, aber keine Stabilität bringt. Der Forderung nach öffentlichen Mitteln für den Baugiganten kann nicht entsprochen werden. Es ist nach dem Gleichheitsprinzip nicht mehr zu verantworten, daß Große, kommen sie in Schwierigkeiten, mit Selbstverständlichkeit erwarten, daß ihnen aus öffentlichen Mitteln das Risiko abgenommen wird, ({2}) während kleine Unternehmen ohne staatliche Hilfen leise sterben. Keiner kümmert sich um sie. ({3}) Wenn ein Mittelständler in Konkurs geht, haftet er sein Leben lang. Oft kommt er nicht mehr über den Sozialhilfesatz hinaus. In welcher Weise haften eigentlich die Funktionäre in den Aufsichtsräten und im Management der Neuen Heimat? Die hohen moralischen Ansprüche, die der DGB immer und überall anderen abverlangt, sollten auch für ihn selbst Maßstab sein. Es ist an ihm, die Neue Heimat zu einer sicheren Heimat für die Mieter zu machen, und ausschließlich an ihm. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist zu Ende. Bevor wir in der Tagesordnung weiterfahren, habe ich noch eine Mitteilung zu machen. Für den aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Horacek benennt die Fraktion DIE GRÜNEN als stellvertretendes Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats den Abgeordneten Fischer ({0}). Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Abgeordneter Fischer ({1}) als stellvertretendes Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarats gewählt. Ausweislich des soeben vorgelegten Sitzungsprotokolls der 191. Sitzung des Deutschen Bundestages hat der Abgeordnete Vosen während einer Rede des Bundesministers Dr. Riesenhuber diesem zugerufen: „Sie sind ein unverschämter Bengel!". Namens des amtierenden Präsidenten rufe ich den Abgeordneten Vosen nachträglich zur Ordnung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes des 2. Untersuchungsausschusses des 10. Deutschen Bundestages - Drucksache 10/4637 - b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Ergänzung des Auftrags des 2. Untersuchungsausschusses - Drucksache 10/4661 - c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Rechenschafts- und Informationspflicht des Bundesinnenministers Dr. Zimmermann gegenüber dem Parlament und seinen Gremien - Drucksache 10/4656 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 10a bis 10c und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. - Ich bemerke keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer ({2}).

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Am 3. Oktober 1985 hat der Deutsche Bundestag die Einsetzung des 2. Untersuchungsausschusses - des Zimmermann-Untersuchungsausschusses - beschlossen. Sein Auftrag ist eindeutig. Er soll klären, erstens in welchem Ausmaß die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland während der Amtszeit des Bundesministers des Innern, Dr. Friedrich Zimmermann, durch Vorgänge im Bereich der Spionageabwehr beeinträchtigt wurden und zweitens, wie insbesondere der Bundesminister des Innern die ihm gesetzlich aufgetragene Aufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen hat. Bis zum 15. Januar 1986 war dieser Untersuchungsauftrag unumstritten. ({0}) Es war auch unumstritten, daß dazu gehörte, die Aktivitäten des Parlamentarischen Staatssekretärs Spranger gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu klären, zumal da Spranger im Bundesinnenministerium eine besondere Zuständigkeit und damit eine besondere Verantwortung für das Bundesamt für Verfassungsschutz hat. CDU/CSU und FDP haben mit ihrer Mehrheit im Untersuchungsausschuß in unzulässiger Weise die Vernehmung weiterer Zeugen verhindert. ({1}) Wir Sozialdemokraten machen heute mit unserem Antrag von dem in Art. 44 des Grundgesetzes garantierten Minderheitsrecht Gebrauch. Mit der jetzt vom Bundestag zu beschließenden ergänzenden Klarstellung des Auftrags werden CDU/CSU und FDP gehindert, die Vernehmung der Zeugen zum Tatkomplex Spranger weiter zu blockieren. Die Vernehmung der Zeugen Pelny, Hellenbroich, Pfahls, Spranger, Zimmermann und anderer zur Rolle Sprangers kann dadurch von der Koalition nicht weiter verhindert werden. ({2}) Die Junge Union fordert neuerdings den Rücktritt von Spranger. ({3}) Schäfer ({4}) Die FDP legt ihn nahe, ohne ihn zu fordern - was immer dies im einzelnen auch sein mag -. ({5}) Aber damit erledigt sich der Vorgang nicht. Um unsere Position unmißverständlich klarzumachen: Zimmermann und Spranger gehören zwar zusammen; sie gehören aber auf keinen Fall in eine Bundesregierung. ({6}) Sie sind - auch da hat sich ein Mitglied der FDP überhoben - beileibe keine Großmeister, gleichgültig aus welcher Art von Kabinett. Aber Zimmermann und Spranger sind eine politische Einheit, ({7}) ein Tandem politico, ein Duo infernale, wie die Presse schreibt. ({8}) Zimmermann deckt Spranger; er unterstützt und fördert ihn und seine Aktivitäten. Die bisherige, vorläufige Bilanz der Sprangerschen Aktivitäten ist bedrückend. ({9}) Der Rechtsstaat leidet Schaden, Bürgerrechte werden beschädigt, das Bundesamt für Verfassungsschutz wird für parteipolitische Zwecke mißbraucht, ({10}) staatliche Institutionen werden als parteipolitisches Kampfinstrument mißhandelt. Zimmermann hält bei allen diesen Aktivitäten zu seinem Erfüllungsgehilfen. Er deckt, er unterstützt, er fördert Spranger, wo er nur kann. ({11}) Der Bundeskanzler schweigt zu alledem. Er läßt Zimmermann und Spranger gewähren. Der Bundeskanzler weiß: Sein Kabinett steht auf angeschlagenen Füßen. ({12}) Wer Verteidigungsminister Wörner im Amt beläßt, wird Zimmermann nicht entlassen. Der Bundeskanzler verzichtet folglich darauf, eine längst überfällige Personalentscheidung zu treffen. Noch schlimmer, meine Damen und Herren: Der politische Atem des Kanzlers ist so kurz, daß er nicht einmal in der Lage ist, seinen Verfassungsminister Zimmermann auch nur zur ordnungsgemäßen Amtsführung anzuhalten. ({13}) Zimmermanns gebrochenes Verhältnis zur Verfassung, für die er ja eine besondere Verantwortung trägt, zeigt auch sein Umgang mit dem Verfassungsorgan Bundestag. Zimmermann verweigert den gewählten Vertretern des Volkes selbstverständliche Informationen; ({14}) Informationen, meine Damen und Herren,- die die Grundlage für die Erfüllung parlamentarischer Kontrollpflichten sind. ({15}) Die jüngsten Auftritte, lieber Kollege Laufs, des Bundesinnenministers vor dem Innenausschuß sowohl vor Weihnachten als auch in dieser Woche belegen dies zur Genüge. Mein Kollege Penner hat Zimmermanns Verfassungsverständnis treffend formuliert: Innenminister Zimmermann mißachtet Kernelemente unserer Grundordnung. ({16}) Herr Bundeskanzler, wenn Sie schon nicht in der Lage sind, Herrn Zimmermann zu entlassen, sorgen Sie zumindest dafür, daß Herr Zimmermann seinen Auskunfts- und Rechenschaftspflichten dem Parlament gegenüber nachkommt. ({17}) Stoppen Sie zumindest den liederlich-luderlichen Umgang des Herrn Zimmermann mit dem Parlament. ({18}) Herr Bundeskanzler, handeln Sie endlich, tun Sie Ihre Pflicht! Ihre Amtsführung, Herr Bundeskanzler - dies kennzeichnet die Politik Ihrer Regierung insgesamt -, erinnert fatal an den Satz in Heinrich Bölls letztem Roman. Böll schreibt dort: „Die Grenzen der Zumutbarkeit erweitern, immer weiter ausdehnen". Herr Bundeskanzler, wollen Sie uns allen das wirklich weiter zumuten? Wie unverzichtbar, meine Damen und Herren, gerade der 2. Untersuchungsausschuß für unsere Demokratie ist, zeigen die Tatsachen, die er bislang ans Licht gebracht hat. Abgeordnete und Wirtschaftsführer sind Gegenstand nachrichtendienstlichen Interesses der Herren Zimmermann und Spranger. Die Exekutive kontrolliert die Legislative. Herrn Spranger reicht selbst der kleine Dienstweg, ein Gespräch des Büroleiters des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU mit Herrn Spranger am Rande einer CDU/CSU-Fraktionssitzung, um tätig zu werden. Welch entlarvendes Verfassungsverständnis, meine Damen und Herren, wird durch diese Aktivitäten von Herrn Spranger deutlich! Und Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und leider auch der überwiegende Teil der FDP, decken, billi14470 Schäfer ({19}) gen, unterstützen dieses Verfassungsverständnis der Herren Zimmermann und Spranger. ({20}) Nach allem, was wir bislang erfahren haben, müssen wir befürchten, daß das, was bislang bekanntgeworden ist, ({21}) nur ein Bruchteil dessen ist, was sich tatsächlich abgespielt hat. ({22}) Die Wahrheit muß auf den Tisch, meine Damen und Herren. Dies ist die unverzichtbare Voraussetzung, um die Mißstände, die Sie zu verantworten haben, abzustellen. Dazu brauchen wir diesen Untersuchungsausschuß. Dazu dient die von uns beantragte Klarstellung seines Auftrags. Sie können sicher sein, meine Damen und Herren, daß wir Sozialdemokraten - wie bisher, so auch künftig - unerbittlich, aber fair dafür sorgen werden, daß endlich Licht in das Dunkel Ihrer Amtsgeschäfte, Herr Bundesminister Zimmermann, kommt. Ich bedanke mich. ({23})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Olderog.

Dr. Rolf Olderog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition wirft dem Bundesinnenminister vor, er unterrichte das Parlament unzureichend. ({0}) Was erwarten Sie denn vom Innenminister? ({1}) Daß der Innenminister bei der kurzfristig einberufenen Innenausschußsitzung am 18. Dezember und vorgestern nicht über jeden Aktenvorgang, jeden Vermerk, jede Äußerung seiner weit über 1 000 Mitarbeiter informiert ist, das ist doch selbstverständlich! Das Verhalten des Innenministers gegenüber dem 2. Untersuchungsausschuß hat bewiesen, daß er rückhaltlos jede gewünschte Information erteilt. ({2}) Nennen Sie mir eine einzige Akte, nennen Sie mir einen einzigen Vermerk, nennen Sie mir einen einzigen Zeugen, wo der Innenminister auch nur den Versuch gemacht hätte, dem Untersuchungsausschuß etwas vorzuenthalten! ({3}) - Das stimmt doch nicht! ({4}) Ihre Vorwürfe sind unbegründet. Es geht Ihnen in Wahrheit auch nicht um das Informationsrecht des Parlaments, sondern um eine mit allen Mitteln geführte Kampagne gegen den Innenminister. Das ist doch Ihr wirkliches Ziel, meine Damen und Herren! ({5}) Zum Erweiterungsantrag! Der Innenminister hat deutlich gemacht, daß er nichts zu verbergen hat, ({6}) und die CDU/CSU-Fraktion wird Ihnen heute auch keine Steine in den Weg legen; aber eines ist doch völlig klar: Mit den Spionagefällen hat das überhaupt nichts zu tun ({7}) und nur darauf bezog sich der Auftrag des am 3. Oktober 1985 eingesetzten 2. Untersuchungsausschusses. ({8}) Da hat der Kollege Wernitz in seinem Presseinterview absolut recht. Für den 2. Untersuchungsausschuß sind doch dies unbestreitbare Fakten: Nicht ein einziger der bisher vernommenen 13 Zeugen aus dem Bundesinnenministerium, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, aus der persönlichen Umgebung von Herrn Tiedge hat die SPD-Behauptung bestätigen können, daß der Bundesinnenminister oder ein Mitarbeiter seines Hauses über den Problemfall Tiedge unterrichtet worden war. Über 30 Stunden Vernehmung und nicht ein einziger Hinweis auf Ihren Verdacht! ({9}) Ebenso die zweite Behauptung der SPD zur mangelnden Dienst- und Fachaufsicht des Bundesinnenministers: Hier hat es bisher doch ebenfalls nicht eine einzige kritische Anmerkung der danach immer wieder befragten Zeugen gegeben. Auch die den Untersuchungsausschuß begleitenden Journalisten haben doch zur Spionagefrage längst ihr Urteil gefällt: Bei der gestrigen Vernehmung wichtiger Zeugen aus dem Bundesamt waren schließlich nur noch ganze drei Journalisten anwesend. ({10}) Deswegen drängt sich doch die Schlußfolgerung auf: Hier soll das für Sie mehr als magere Ergebnis Ihres Bemühens in Sachen Spionage nur verdeckt und verschleiert werden, die Öffentlichkeit verwirrt und in die Irre geführt werden. Den Nachweis einer Verfehlung des Bundesinnenministers haben Sie nicht erreicht; aber etwas anderes haben Sie geschafft: Dieser Untersuchungsausschuß hat die Arbeit der Sicherheitsbehörden und ihrer Mitarbeiter in unerträglicher Weise erschwert, belastet und gelähmt, meine Damen und Herren! ({11}) Sie von der SPD und den GRÜNEN behaupten, Staatssekretär Spranger habe den Verfassungsschutz für parteipolitische Zwecke mißbraucht. ({12}) Ich warne vor voreiligen Schlüssen! ({13}) Wollen Sie wirklich den Mitgliedern des Deutschen Bundestages das Recht bestreiten, Auskünfte von der Regierung zu Fragen des Verfassungsschutzes zu fordern? Das allumfassende Fragerecht des Abgeordneten gegenüber der Regierung gehört doch zu den fundamentalen Rechten der Volksvertreter! ({14}) Ausgerechnet auf dem wichtigen Gebiet der Abwehr von Extremisten und Verfassungsfeinden soll dieses Recht nicht gelten? Wir wollen doch eine wehrhafte Demokratie! ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Dr. Rolf Olderog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Wie soll denn die geistige Auseinandersetzung stattfinden, ({0}) wenn den Parlamentsabgeordneten, den entscheidenden Trägern politischer Verantwortung, die notwendigen Informationen vorenthalten werden, und zwar Informationen, die gerade zu diesem Zweck vom damit gesetzlich beauftragten Verfassungsschutz gesammelt worden sind? Wollen Sie ernsthaft fordern, daß verdächtige Abgeordnete für den Verfassungsschutz tabu sein sollen? ({1}) Die Geschichte zeigt doch unbestreitbar, daß es unter den Abgeordneten ebenso Spione wie Verfassungsfeinde gibt. ({2}) Ich erinnere nur an die Namen Frenzel und Schmidt-Wittmack sowie an die Abgeordneten der KPD und der SRP - vor dem Verbot dieser Parteien - sowie der NPD. Wie hätte das Bundesverfassungsgericht die Parteiverbotsurteile fällen können, ({3}) wenn es nicht auf die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über führende Repräsentanten - einschließlich der Abgeordneten dieser Parteien - hätte zurückgreifen können? ({4}) Das ist doch gerade der Sinn der Vorschriften über das Parteiverbot! ({5}) Ein solches Verbot soll nur Ultima ratio sein; es soll erst dann Platz greifen, ({6}) wenn die geistig-politische Kraft für den Kampf gegen j ene Gefahren für Demokratie und Verfassung nicht ausreicht. ({7}) - Offen geführt werden, genau so ist es! ({8}) Aber eines ist natürlich auch richtig, und ich unterstreiche das, was Bundesinnenminister Zimmermann gesagt hat: Der Verfassungsschutz darf nicht zum politischen Kampfinstrument einer Partei werden; ({9}) nicht einmal ein solcher Anschein darf entstehen. ({10}) Deshalb sind bestimmte Grundsätze streng einzuhalten, und ich greife dabei u. a. auf das, was Bundesinnenminister Zimmermann im Innenausschuß gesagt hat, zurück: Erstens. Die Anfrage des Abgeordneten muß in Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben erfolgen. Zweitens. Die Information muß geeignet sein, der geistig-politischen Auseinandersetzung im Rahmen der wehrhaften Demokratie zu dienen. ({11}) Drittens. Der Informationsanspruch des Abgeordneten ist gegen das Individualinteresse betroffener Personen abzuwägen, ({12}) ebenso gegen den durch Sicherheitsinteressen gebotenen Geheimschutz. Viertens. Die Information muß vollständig und wahrheitsgemäß, muß sachlich abgewogen und um Objektivität bemüht sein, und sie muß sich in aller Regel auf vorhandene Erkenntnisse beziehen. Die von Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Spranger dem Kollegen Todenhöfer übergebene Information entspricht in vollem Umfange diesen Kriterien. ({13}) Selbst der der SPD angehörende Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat ausdrücklich bestätigt, daß gegen diese Informationen keinerlei Einwände zu erheben waren. ({14}) Pelny wörtlich in seiner Vernehmung - lesen Sie es auf Seite 45 des Protokolls nach -: ({15}) Das habe ich auch mit keinem Wort angedeutet, daß das Amt mißbraucht worden ist. Pelny hat ausdrücklich betont - nachzulesen auf Seite 46 des Protokolls -, daß vom Verfassungsschutz mit der Anfrage des Kollegen Todenhöfer nichts „Unanständiges" verlangt worden sei. ({16}) Was wäre denn wohl gewesen, meine Damen und Herren, wenn es sich hier nicht um Linksextremisten, sondern um die NPD oder um andere rechtsextreme Politiker gehandelt hätte? ({17}) Wir sind nicht blind für die Gefahren von rechts, aber wir gewähren auch keine Privilegien für die Extremisten von links! ({18}) - Hören Sie doch einmal zu! Meine Damen und Herren, Sie nennen das Verhalten des Parlamentarischen Staatssekretärs skandalös. ({19}) Mich bedrückt etwas ganz anderes: Mich bedrückt, daß im Europäischen und im deutschen Parlament Abgeordnete sitzen, die nicht nur eine extremistische Vergangenheit haben, sondern von denen eine ganze Reihe wegen Unterstützung von Verfassungsfeinden und Terroristen rechtskräftig zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sind. Erfordert es denn nicht eine öffentliche Auseinandersetzung, daß der Kollege Ströbele, bekannt als Verteidiger im Baader-Meinhof-Ensslin-Raspe-Prozeß, 1982 zu zehn Monaten Gefängnis wegen Unterstützung der Rote Armee Fraktion rechtskräftig verurteilt wurde? ({20}) Muß die Öffentlichkeit nicht wissen, ({21}) daß die Europa-Abgeordnete Heinrich wegen des Transports von Waffen, die in einer konspirativen Terroristenwohnung sichergestellt wurden, ({22}) zu einer Gefängnisstrafe von 22 Monaten verurteilt wurde, die sie bis 1984 verbüßte? ({23}) Besteht nicht geradezu eine Pflicht, den Bürgern bewußt zu machen, ({24}) daß die Europa-Abgeordneten Klöckner und Härlin in erster Instanz wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Werbung für eine terroristische Vereinigung zu je 21/2 Jahren Gefängnis verurteilt worden sind, ({25}) wobei das Urteil in zweiter Instanz noch aussteht? Ist es nicht ein wirklicher Skandal, daß Gerald Klöpper, beteiligt an der Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann, ({26}) beteiligt an der Entführung des CDU-Politikers Lorenz und an der Freipressung von Terroristen, der 1980 zu elf Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt wurde, Kandidat der „Alternativen Liste" zum Abgeordnetenhaus in Berlin wurde? Das ist für mein Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis der wirkliche Skandal, meine Damen und Herren. ({27}) Nicht Todenhöfer, nicht Spranger gehören auf die moralische Anklagebank, sondern diejenigen, die solche Kandidaten präsentieren. Von solchen Leuten brauchen wir in der CDU/CSU uns nicht über Gebote der Rechtsstaatlichkeit belehren zu lassen. ({28}) Solange die vielen Vorstandsmitglieder, Abgeordneten und Mandatsträger der GRÜNEN mit einer linksextremistischen Vergangenheit ({29}) sich nicht eindeutig von dieser Vergangenheit abwenden und ebenso eindeutig unseren Rechtsstaat ohne Wenn und Aber akzeptieren, solange werden wir nicht aufhören, dies unseren Bürgern immer wieder bewußt zu machen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. ({30})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kollegin Hönes! Verehrte Kollegin Dann! Verehrte anStröbele dere Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich in den letzten Wochen mit dem Thema des zweiten Untersuchungsausschusses beschäftigt hat, dann konnte man manchmal auf den Gedanken kommen, daß die Hardliner in der CSU uns helfen wollen, den Verfassungsschutz zu beseitigen. Im Sommer habe ich hier im Bundestag verlangt, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgelöst werden soll. ({0}) Damals habe ich zur Begründung lediglich Hinweise auf die Regelanfragen, auf die Berufsverbote, auf die Bespitzelungspraktiken, wie sie nach dem 7. Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten öffentlich bekannt geworden sind, vorgetragen. Der richtig zündende aktuelle Anlaß fehlte mir damals. Jetzt gibt es jede Woche neue Anlässe. Jedesmal stelle ich mir die Frage: Was muß eigentlich noch passieren, daß nicht nur dieses glücklose Paar Spranger/Zimmermann diese verpatzte Kür auf dem Bonner Parkett endlich beendet, sondern auch noch der letzte überzeugt ist, daß dieser Geheimdienst abgeschafft gehört. ({1}) Gerade hat das Bundesverfassungsgericht den GRÜNEN gesagt, die Kontrolle der Geheimdienste gehe auch ohne sie, da tun Zimmermann und Fellner alles, um in der Öffentlichkeit wieder einmal klarzumachen, daß das ernste Geschäft der Kontrolle dieser Geheimdienste, solange es sie noch gibt, bei den Herren der Altparteien nicht bleiben kann, ihnen nicht überlassen werden kann. Selbst der stellvertretende Vorsitzende der PKK hat sich ja aus dem Verfassungsschutz bedienen lassen. So ganz nebenbei gelingt es Herrn Todenhöfer, Herrn Laufs, Herrn Zimmermann und Herrn Fellner, das Interesse der Wähler an der Vergangenheit der GRÜNEN wieder zu beleben. ({2}) Welche unserer Wählerinnen und Wähler schmunzeln eigentlich nicht mit einer gewissen Befriedigung, wenn sie darauf gestoßen werden, daß GRÜNE im „Sozialistischen Büro" gearbeitet haben, daß sie sich in der „Roten Zelle" an der Universität engagiert haben, daß sie im KB oder im KBW gewesen sind, daß sie demonstriert haben ({3}) oder daß sie sich, wie ich z. B., als Verteidiger von politischen Gefangenen engagiert haben. ({4}) Viele hätten es fast vergessen, dabei waren sie - die meisten zumindest - selbst auch dabei. Viele wären jedenfalls gern dabei gewesen. Herr Laufs, Herr Todenhöfer - den ich jetzt hier nicht sehe - ergehen sich in vagen, unheimlichen, dunklen Andeutungen über die Vergangenheit der GRÜNEN, so daß jeder denkt, da täte sich ein Abgrund von Mord und Totschlag auf. Was steckt wirklich dahinter? ({5}) Wir werden das in der nächsten Woche u. a. auf einer großen Pressekonferenz hier in Bonn der Öffentlichkeit darlegen. Wir werden die Öffentlichkeit daran erinnern. Natürlich stehen wir zu unserer Vergangenheit. Aber Sie versuchen den grünen Notstand auszurufen. Sie drohen ganz offen, auch heute wieder, Herr Olderog, mit dem Parteiverbot durch das Bundesverfassungsgericht. ({6}) Das ist schmutziger Wahlkampf. Nur nimmt Ihnen das - wenn Sie die Presse verfolgen - außer ZDF-Löwenthal keiner ab. Die Zumutungen von Todenhöfer und Dregger für den Verfassungsschutz lassen sich rechtlich nicht verteidigen, nicht einmal erklären. Nicht einmal Ihren jungen Leuten von der Jungen Union konnten Sie das erklären. Nicht einmal die haben das einsehen können. Selbst die haben sich hinter die Forderung nach Rücktritt von Herrn Spranger gestellt. ({7}) Bei dem, was dem Verfassungsschutz zugemutet worden ist, verschlug es selbst Hellenbroich und Pelny, gestandenen Geheimdienstlern, die Sprache. Und sie hatten Sorge - und legten sie in einem Vermerk nieder -, ihr schöner Dienst könnte ins Zwielicht kommen; denn wie durch Auskünfte auf der Höhe der Flick-Affäre an das Büro Dregger über die Teilnahme des Abgeordneten Schily an einer Demonstration die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder der Bestand des Bundes oder der Länder geschützt werden sollte, läßt sich einfach nicht darlegen, nicht erklären. Und bei der Anfrage, ob die Flick-Affäre möglicherweise auf Desinformationen gegnerischer Geheimdienste beruhe, denkt man doch eher: Jetzt ist der Staatssekretär völlig durchgedreht, oder vielleicht hat er mit Herrn Tiedge zuviel getrunken. ({8}) Anläßlich der Einrichtung des Verfassungsschutzes hat am 1. Juni 1950 von dieser Stelle hier der Abgeordnete der Deutschen Partei, von Merkatz, gesagt: „In einer solchen Institution liegt die Gefahr, daß die Informationen im parteipolitischen Konkurrenzkampf ausgenutzt werden." Genau das hat diese obskure Vereinigung Todenhöfer-Dregger-Spranger-Zimmermann getan. Eigentlich haben sie es mehr versucht; denn richtigen parteipolitischen Nutzen haben sie daraus bisher nicht ziehen können. Das hat mit dem Gesetzeszweck, mit dem Sinn dieses Schutzes nach dem Gesetz, beim besten Willen nichts zu tun. Selbst vehemente Befürworter dieser Institution können nicht tolerieren, daß Verfassungsschutzerkenntnisse nach außen zur privaten Nutzung gegeben werden - und schon gar nicht für den politischen Konkurrenzkampf. Damit sind die billigsten Klischees vom Mißbrauch solcher Geheimdienste erfüllt. Die Geheimdienste als Instrument zur Erhaltung der Macht einer herrschenden Clique, das ist das Muster aus totalitären Staaten. ({9}) Schon wegen dieser Gefahr des Gebrauchs einmal existierender Geheimdienste für den politischen Kampf einer Clique zu ihrer Machterhaltung darf es in einem demokratischen Staat ein solches Bundesamt für Verfassungsschutz nicht geben. Aber selbst wenn diese Gefahr ausgeschlossen werden könnte, wie offenbar einige Abgeordnete 1950 noch glaubten - erfolglos, wie Todenhöfer, Spranger und Zimmermann jetzt bewiesen haben -, dürfte es einen solchen Geheimdienst, der Daten über politische Arbeit der Bürger sammelt, nicht geben; denn jeder solche Geheimdienst schüchtert ein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Volkszählungsurteil darauf hingewiesen und zu Recht festgestellt, daß die Bürger in ihrer politischen Betätigung behindert werden, wenn sie befürchten müssen, daß ihre Beteiligung an einer politischen Veranstaltung oder Demonstration registriert und gespeichert wird. ({10}) Jeder Geheimdienst dient als Herrschaftsinstrument und behindert demokratische politische Betätigung und Entwicklung. Gegen Gefährdungen der Demokratie schützen wirksam und gefahrlos nur die Menschen selbst, und zwar die, die sich nicht scheuen, sich offen politisch zu engagieren. ({11}) Die Beobachtung politischer Aktivitäten, politischer Einflüsse und Organisationen und Versammlungen, politische Analysen, all das, was jetzt hier der Verfassungsschutz macht, ist Aufgabe einer unabhängigen Presse. Da brauchen wir keine Geheimdienste mit Agenten, Schnüfflern und Dateien. ({12}) Der 2. Untersuchungsausschuß ist schon jetzt ein Erfolg. Trotz der unsinnigen Beschränkung des Untersuchungsauftrages zunächst auf die diversen Spionageaffären haben die Vernehmungen vor dem Ausschuß Wichtiges erbracht. Wir hatten uns immer gegen die Beschränkung des Untersuchungszweckes, wie in dem alten SPD-Antrag geschehen, gewehrt. Wir waren und sind der Meinung, das Problem des Geheimdienstes in Köln sind nicht die Spione, die ihren persönlichen, familiären und den Schwierigkeiten im Amt entgehen wollen und nach Ost-Berlin flüchten, das Problem ist die Schnüffelpraxis gegen Hunderttausende von Bürgern in der Bundesrepublik, und das Problem sind die Dateien. ({13}) Das Problem ist der alltägliche Gebrauch dieser Dateien innerhalb der Behörde und nicht nur bei der Regelanfrage, und das Problem ist der besondere Gebrauch für schmutzige politische Geschäfte der Herren Dregger, Todenhöfer und Co. ({14}) Es bleibt noch viel aufzuklären, ({15}) nicht nur in und um das Bundesamt für Verfassungsschutz. Auch der BND hätte es genauso nötig, und Zimmermanns Geschäfte mit dem Nachrichtendienst BND, für den sein Ministerium überhaupt keine Zuständigkeit hat, müssen aufgeklärt werden. Herr Zimmermann sitzt hier, und ich frage ihn: Herr Minister, was waren das wirklich für Geschäfte, die Sie mit Herrn Mauss getrieben haben? Herr Minister, wo sind eigentlich die 170 000 DM geblieben, ({16}) die vom BND an Sie zurückgegeben worden sind? Ich komme aus Berlin und weiß jeden Tag mehr aus den Zeitungen und von Gesprächen, in welcher Weise sich CDU-Politiker von höchster Stelle Geschenke geben lassen, ({17}) sich finanzieren lassen und Geld verschwinden lassen. ({18}) Da gibt es noch genug Arbeit für viele Untersuchungsausschüsse, bis all das aufgeklärt ist und bis allen wirklich klar ist, daß diese Geheimdienste abgeschafft werden müssen. ({19})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre uns lieber gewesen, wenn wir uns diese Debatte hätten ersparen können. Zu Ihnen, Herr Kollege Ströbele, möchte ich nur sagen, daß eigentlich fast alle Reden, die ich in diesem Hause von Ihnen gehört habe, von Unterstellungen und Diffamierungen strotzen, die ich nur mit Empörung zurückweisen kann. Das muß ich Ihnen sagen. ({0}) Ihre verheerenden Unterstellungen gegen unsere Rechts- und Verfassungsordnung finde ich unglaublich. Es ist unglaublich, daß sie in einem Parlament eines Staates geäußert werden, wie er freier auf diesem deutschen Boden noch nicht bestanden hat. Ich finde das unglaublich. ({1}) Wir werden dafür sorgen, daß auch durch Ihre hetzerischen Reden ({2}) das Vertrauen der Bürger in die Rechtsstaatlichkeit nicht erschüttert werden kann. Das muß ich Ihnen sagen. ({3}) Der 2. Untersuchungsausschuß hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß es zumindest nicht eindeutig sei, ob die Fragen nach der Tätigkeit des Parlamentarischen Staatssekretärs Spranger von dem bisherigen Untersuchungsauftrag gedeckt seien. Die klare Grenzziehung eines Untersuchungsauftrages ist notwendig, weil der Ausschuß sonst in die Versuchung gerät, seine Tätigkeit immer weiter auszudehnen. Das wird so lange so bleiben, wie Untersuchungsausschüsse als die Fortsetzung des parlamentarischen Kampfes mit anderen Mitteln verstanden werden. Die Ausdehnung der Untersuchungen kann aber nicht nur zu allgemeinen politischen Problemen führen, sondern auch die prozessualen und strafrechtlichen Pflichten der Personen verändern, die vor einem Untersuchungsausschuß aussagen müssen und deren Rechtsstellung sich dadurch verändern kann, ob sie nun als Zeuge oder als Betroffener handeln. Darum bedarf es einer sehr sorgfältigen Entscheidung, ob ein Untersuchungsauftrag erweitert werden kann oder ob der Antragsteller darauf zu verweisen ist, von seinem parlamentarischen Minderheitenrecht durch Einrichtung eines neuen, selbständigen Untersuchungsausschusses Gebrauch zu machen. Die Gefährdung persönlicher Rechte können wir bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht sehen. Es gibt auch einen allgemeinen Sachzusammenhang. Der Bundesinnenminister hat in seiner Erklärung vor dem Innenausschuß am 18. Dezember 1985 erklärt, daß er durch Hausmitteilung vom 17. Juni 1983 entschieden habe, er werde gemäß § 1 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre u. a. im Bereich der inneren Sicherheit bei seinen Regierungsaufgaben von dem Parlamentarischen Staatssekretär Spranger unterstützt. Daraus ergeben sich nach Auffassung des Ministers auch bestimmte Handlungsbefugnisse des Staatssekretärs. Wir können also nicht ausschließen, daß die Fragen, die im Untersuchungsausschuß zu der Tätigkeit des Staatssekretärs gestellt werden sollen, mit dem ursprünglichen Auftrag des Ausschusses in einem inneren Zusammenhang stehen. Wir werden daher dem Antrag der SPD auf Drucksache 10/4661 nicht widersprechen. Den Antrag der Fraktion der GRÜNEN - Drucksache 10/4637 - werden wir ablehnen, da er zu einer nicht mehr abgrenzbaren Tätigkeit des Ausschusses führen würde. Der weitere Antrag der SPD, mit dem der Bundeskanzler aufgefordert werden soll, den Bundesinnenminister zur wahrheitsgemäßen Beantwortung von Fragen gegenüber dem Parlament anzuhalten, hat in der deutschen Parlamentsgeschichte kein Beispiel. Wenn man einen so gravierenden Vorwurf erhebt - eine bewußte Täuschung des Parlamentes könnte selbstverständlich nicht ohne politische Folgen bleiben -, dann muß man gleichzeitig konkrete Daten und Fakten auf den Tisch legen. Der Antrag ist aber durch die Vorgänge in den Sitzungen des Innenausschusses vom 18. Dezember und 22. Januar nach unserer Kenntnis nicht gerechtfertigt. Der Innenminister hat zwar in der ersten Sitzung unsere Erwartungen, vollständig unterrichtet zu werden, nicht erfüllt; er hat aber auch nicht versucht, uns über seine Entscheidung zu täuschen, zunächst prüfen zu wollen, wieweit er rechtlich zur Unterrichtung des Innenausschusses verpflichtet sei, der ja nicht die Rechte eines Untersuchungsausschusses hat. Wir haben diesen Zeitablauf bedauert; ich habe ihn für politisch nicht sinnvoll gehalten. Aber die Entscheidung ist parlamentarisch zulässig. Der Beginn einer Sachdiskussion ist an Hand der Unterlagen erst in dieser Woche möglich gewesen, und sie hätte dort ohne jede polemische parlamentarische Rüge fortgesetzt werden können. Wir werden den Antrag daher ablehnen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist heute weder der Zeitpunkt, jetzt parlamentarisch über den Inhalt der dem Kollegen Todenhöfer zugeleiteten Erkenntnisse zu diskutieren, oder eine parlamentarische Entscheidung zu dem Verfahren herbeizuführen, das der Parlamentarische Staatssekretär Spranger für richtig gehalten hat. Im Innenausschuß sind dazu Fragen offengeblieben. Aber wir würden dem Untersuchungsausschuß vorgreifen, und das wollen wir nicht. Lassen Sie mich aber eine persönliche Berner-kung hinzufügen. Wir sind dabei, die letzten Reste der Gemeinsamkeiten im Bereich der inneren Sicherheit aufs Spiel zu setzen. ({4}) Die innenpolitische Konfrontation hat ein Maß erreicht, das es bisher nicht gegeben hat. Sie steht in einem völligen Gegensatz zu der tatsächlichen politischen Stabilität, die unsere Gesellschaft in 40 Jahren erlangt und sich bewahrt hat. ({5}) Unsere politischen Auseinandersetzungen beginnen sich zu verselbständigen und dabei das Verhältnis der Regierung zum Parlament, die Erfüllung ge14476 setzlicher Aufgaben und unser gemeinsames Ansehen zu beschädigen. ({6})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. - Die politische Stabilität unserer Gesellschaft beruht nicht in erster Linie darauf, daß sie durch den Einsatz und den Umfang staatlicher Machtmittel sozusagen gezwungen worden wäre, demokratisch zu bleiben, ({0}) daß also jeder extremistische oder sonst bedenkliche Gedanke sofort aufgespürt, entdeckt, registriert und verfolgt worden wäre. ({1}) Es ist eine alte Weisheit, die schon Talleyrand ausgesprochen hat, daß Bajonette zu allem taugen, nur nicht zu einem, sich darauf zu setzen. Wir wollen keineswegs die Versuche, unsere Rechts- und Verfassungsordnung umzukrempeln, verharmlosen. Extremisten sind aber eine verschwindend kleine Minderheit geblieben. Die politische Stabilität unserer Gesellschaft beruht in erster Linie auf den Erfahrungen, die wir mit dem Mißbrauch der Macht erlitten haben, und auf der Überzeugung, daß nur die peinliche Beachtung demokratischer und parlamentarischer Grundregeln die Freiheitlichkeit unserer Gesellschaft sichert. Sie beruht auch auf dem Vertrauen, daß diese schlichte Wahrheit allen bewußt ist, die politische Verantwortung tragen. ({2}) Darum ist es so bedenklich, wenn der Eindruck entsteht, staatliche Mittel seien parteipolitisch mißbraucht worden, und wenn diesem Eindruck nicht entweder durch vorherige Information oder unverzüglich durch völlige Offenheit und notfalls auch durch Konsequenzen entgegengetreten wird. ({3}) Darum ist es aber auch bedenklich, wenn der unzutreffende Eindruck genährt wird, ein Minister könne das Parlament täuschen, ohne daß es sofortige Folgen hätte. Konfrontationen dieser Art zerstören das Vertrauen, ohne das keine freiheitliche Gesellschaft existieren kann und das nicht enttäuscht werden darf. Wenn wir nicht dazu zurückkehren, miteinander vernünftig umzugehen, dann wird niemand gewinnen, und wir alle, in erster Linie die demokratischen Parteien, werden den Schaden erleiden. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Tagesordnungspunkt 10a, und zwar über den Antrag des Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 10/4637. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 10/4661 ab; das ist Tagesordnungspunkt 10b. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 10c, und zwar über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4656. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Bindig, Duve, Dr. Holtz, Jungmann, Klose, Dr. Kübler, Lambinus, Frau Luuk, Meininghaus, Neumann ({0}), Pauli, Sielaff, Waltemathe, Frau Zutt und der Fraktion der SPD Menschenrechtspolitik der Bundesregierung - Drucksachen 10/3111, 10/4715 - b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Klein ({1}), Frau Hoffmann ({2}), Dr. Marx, Dr. Stercken, Schwarz, Frau Geiger, Lintner, Graf Huyn, Jäger ({3}), Dr. Pohlmeier, Lowack, Sauer ({4}), Hinrichs, Biehle, Dr. Kunz ({5}), Rossmanith, Höffkes, Dr. Hoffacker, Schulze ({6}), Pfeffermann, Berger, Seesing, Austermann, Wilz, Frau Rönsch, Müller ({7}), Pesch, Clemens, Eylmann, Magin, Sauer ({8}), Schneider ({9}), Dr. Riedl ({10}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Schäfer ({11}), Frau Dr. Hamm-Brücher, Ertl, Dr. Feldmann, Dr. Rumpf und der Fraktion der FDP Menschenrechtspolitik - Drucksachen 10/3537, 10/4716 Zu Tagesordnungspunkt 11 a liegen Entschließungsanträge des Abgeordneten Fischer ({12}) und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4719 und 10/4720 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hoffmann.

Ingeborg Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste stellvertretende Justizminister unseres mächtigen östlichen Nachbarn, Ivan Samotschenko, erklärte vor Frau Hoffmann ({0}) dem Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen im November 1984 - ich zitiere -: Es gibt keine Zensur, es gibt keine Diskriminierung aus politischen Gründen. Es gibt in der Sowjetunion keine politischen Gefangenen. Es gibt keinen einzigen Fall, in dem irgend jemand wegen seines religiösen Glaubens verfolgt oder festgenommen würde. ({1}) Bei der Menschenrechtspolitik, meine Damen und Herren, geht es um Herrn Samotschenko und Geistesverwandte in allen weltpolitischen Himmelsrichtungen. Die Koalitionsfraktionen haben eine Große Anfrage eingebracht, denn einerseits sind die Menschenrechte durch zahlreiche internationale Pakte bindend geworden, andererseits werden die Menschenrechte in vielen Teilen der Welt, insbesondere im Ostblock und in weiten Teilen der Dritten Welt, in gravierender Weise verletzt. Wir bedauern, daß die Antwort der Bundesregierung so lange auf sich warten ließ. Sieben Monate, meine Kolleginnen und Kollegen, sind eine lange Zeit. ({2}) Auf der anderen Seite haben wir aber auch Verständnis, daß die Beantwortung so umfassender, vielschichtiger Fragen sorgfältig bearbeitet werden muß und hiermit Zeit braucht. Wir haben nach sehr ausführlicher Vorarbeit wichtige Grundprinzipien dargelegt und viele Probleme aufgezeigt. Diese Grundprinzipien der Menschenrechtspolitik möchte ich heute hier darlegen. Als in politischer Freiheit und Gleichheit gewählte Volksvertreter verdanken wir Abgeordnete unser Amt der Ausübung politischer Menschenrechte, von denen ausgehend auch die übrigen Menschenrechte verwirklicht werden. ({3}) Deshalb ist gerade unser Eintreten für Menschenrechte besonders wichtig. Fraktionsübergreifend sollten deshalb gerade Parlamentarier gemeinsam weltweit und ausgewogen für die Menschenrechte eintreten, denn Menschenrechte sind unteilbar. ({4}) In der Analyse und Beurteilung von Menschenrechtsverletzungen müssen wir kompromißlos an jedem Punkt der Welt ansetzen. Wir dürfen aber nicht hochmütig gegenüber anderen Kulturen und Religionen auftreten und müssen frei von jeder Rechthaberei Menschenrechte verteidigen. ({5}) In der Menschenrechtspolitik empfiehlt sich Geduld als Grundhaltung. Diese Geduld muß allerdings mit Mut, Klarheit und mit Konsequenz im politischen und geschichtlichen Denken verbunden, durchgesetzt und Tag für Tag geübt werden. Einige Worte an dieser Stelle zu einer der größten Geißeln der letzten fünf Jahrzehnte: Millionen Menschen müssen aus ihrer Heimat fliehen oder werden vertrieben. Dies ist allein für sich schon eine schwere Menschenrechtsverletzung. Das Geschehen ist aber leider oft noch von zusätzlichen Menschenrechtsverletzungen begleitet, und - vor allem - die Ursachen liegen meist darin, daß diesen Menschen in ihrer Heimat oft die grundlegenden Menschenrechte verweigert wurden. ({6}) Nennen wir die Verursacher: Die weitaus meisten fliehen vor kommunistischen Regimen. ({7}) Wir Deutsche sind vor dem Hintergrund unserer Geschichte besonders gefordert, für die Verwirklichung der Menschenrechte einzustehen. Auf der einen Seite ist die Ausformung des rechtsstaatlichen Gedankens ein typischer deutscher Beitrag zur Entwicklung der individuellen Menschenrechte, andererseits sind die vielfältigen Verbrechen des Nationalsozialismus ein um so schwererer Rückschlag gewesen, der uns doppelt verpflichtet. Wer auf menschenrechtsverletzende Systeme einwirken will, kommt nicht umhin, festzustellen: Immer wieder finden sich neben denjenigen, die Staatsverbrechen aus eigenem Antrieb gewissenlos vorantreiben, auch Mitläufer, Karrieristen, Befehlsgläubige, aber auch die besonders schwierigen Fälle von Menschen, die zum Teil sehr aktiv mitmachen, um dann an bestimmten Stellen wirkungsvoll helfen zu können. Unsere Politik gegenüber manchen menschenrechtsverletzenden Regierungen basiert bereits auf einer deutlichen Unterscheidung zwischen diversen Exponenten des gleichen Regimes, und das ist gut so. Gerade gegenüber autoritären Militärregimen in der Dritten Welt wird aber - anders als bei den vielen der ja noch umfassender unterdrückenden totalitären Regime ({8}) ein Schwarzweißschema angewandt. Das beinhaltet dann gleich zwei Irrtümer, nämlich - erstens - alle in der Regierung müßten von Grund auf schlecht sein, und - zweitens - alle Gegner der Regierung seien unterstützungswürdig. Wer z. B. im Hinblick auf Chile auch Aspekte, die das Schwarzweißschema sprengen, in seine Überlegungen einbezieht, macht sich bereits damit verdächtig. Auch die Oppositionsparteien sollten bereit sein, unter verschiedenen Kräften in den Regimen und den Oppositionen überall mit Augenmaß zu unterscheiden, um daraufhin ein ebenso nachdrückliches wie gezieltes Eintreten für die Menschenrechte aufzubauen. Nutzen wir die Chance, daß gerade autoritäre Regime hier gewisse Ansätze bieten. Denn wir wissen, daß autoritäre Diktaturen eher zu einer demokratischen Ordnung und Respektierung der Menschenrechte finden, als totalitäre Regime dies zulassen. Beispiele hierfür sind Argentinien, Uruguay und Brasilien. Am Rande bemerkt: An diesem Demokratiesierungsprozeß in Lateinamerika haben Frau Hoffmann ({9}) gerade christdemokratische Parteien einen großen Anteil. ({10}) Auch vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, ergibt sich übrigens eine Politik, die z. B. in El Salvador und in der Türkei demokratische Präsidenten stützt, auch wenn diese offenbar noch nicht alle für die Menschenrechte belangreichen Kräfte kontrollieren bzw. bestimmte althergebrachte menschenfeindliche Handlungen nicht sofort beseitigen können. Der Bundestag hat die wichtige Aufgabe, dazu beizutragen, daß die in Sachen Menschenrechte vor allem bei Einzelfällen oft notwendige Rücksichtnahme im diplomatischen Verkehr nicht zum Verhaltensmuster der ganzen Gesellschaft wird. Diese nur taktische Rücksichtnahme würde sonst letzten Endes auch das Denken beeinflussen und damit gefährliche Orientierungskrisen auslösen. Das Wissen um die Menschenrechte und die Kenntnis der Menschenrechtslage in der Welt sind notwendig, um den inneren Wert einer freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung zu begreifen. Menschenrechtsorganisationen, Presse und Volksvertreter sollten die Dinge in der Menschenrechtsfrage beim Namen nennen. ({11}) Es ist schon aus pädagogischen Gründen sinnvoll, als Ausgangspunkt und Grundlage der Verdeutlichung der Wichtigkeit der Menschenrechte die Lage in unserem eigenen, durch Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl geteilten Land zu nehmen. Hier sei betont: Für uns Christdemokraten sind und bleiben Deutschland und die Deutschen ein zentraler Punkt unserer Menschenrechtspolitik. ({12}) Wir haben Hinweise auf besonderes Interesse an den Belangen der Deutschen in der SPD-Anfrage schmerzlich vermißt. Wer sich mit Menschenrechtspolitik oder Menschenrechtserziehung befaßt, stößt sehr bald auf wichtige Grundfragen. So bedauere ich sehr, daß in bezug auf die Menschenrechte in kommunistischen Ländern und vielen Ländern der Dritten Welt oft behauptet wird, irgendwie seien auch weltweit gültige menschenrechtliche Grundsätze doch bestimmten Ideologien und Traditionen unterzuordnen. Dies ist ein gefährlicher, den Menschenrechten abträglicher und sachlich nicht gerechtfertigter Wertrelativismus. Es gibt trotz aller kultureller, politischer und religiöser Unterschiede sehr wohl einen weltweit gültigen Standart, den es zu verwirklichen gilt. Die kommunistische Ideologie rechtfertigt die Unterdrückung im Gefolge extremer Machtkonzentration mit den höheren Zielen einer nachrevolutionären Gesellschaft, deren Interessen sich in der Partei manifestieren. Die Erfahrungen zeigen deutlich, daß die Gewaltanhäufung in den kommunistischen Ländern zu Lasten der Schwächeren geht. Ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf die enormen Privilegien der wirtschaftlich und politisch Mächtigen in diesen Ländern. Auch gegenüber vielen Ländern der Dritten Welt werden oft die weltweit gültigen internationalen Menschenrechte relativiert. Ein Argumentationsstrang betont eine untrennbare Einheit des Individuums mit seiner Familie, dem Dorf oder dem Stamm. Die etwas unglücklich als „westlich" bezeichneten Menschenrechte seien daher, weil das so sei, dem Selbstverständnis dieser Menschen widersprechende, unverständliche Abstraktionen. Daß es diese umfassende Harmonie dort aber auch gar nicht gibt, zeigen jeweils besonders die institutionellen und sozialen Mechanismen, die ein System von „Kontrolle und Gegengewicht" bilden. Eine behutsame Weiterentwicklung nach neuen Bedürfnissen ist also keine kulturelle Vergewaltigung, sondern auch in den Kulturen der Dritten Welt schon angelegt. Internationale menschenrechtliche Vergleiche sind äußerst schwer, aber notwendig, um eine ausgewogene Menschenrechtspolitik führen zu können. Wir müssen in unserer Menschenrechtspolitik deutlich machen, daß wir z. B. zwischen der Sowjetunion, Polen und Ungarn zu unterscheiden wissen. Die Beurteilung muß darüber hinaus umfassend sein. Wir dürfen z. B. im Bereich der politischen und bürgerlichen Menschenrechte den kritischen Blick nicht nur auf Punkte wie politische Haft, Folter und staatlichen Mord verengen. Vielmehr müssen wir auch, zumal dies die Anfänge der Menschenrechte, die Wurzel, den Ansatz zu mehr Menschenrechtsfreiheit betrifft, nach gewerkschaftlichen Rechten, nach der Freiheit der Meinungsäußerung, nach dem Grad an Pressefreiheit, nach religiöser Freiheit, nach der Freiheit zu oppositionellen politischen Zusammenschlüssen, nach den grundlegenden kulturellen Minderheitsrechten, nach internationaler Freizügigkeit usw. fragen. ({13}) Wenn wir das Maß an solchen Freiräumen, z. B. in Ungarn, nicht würdigen, mindern wir unsere Chancen, überzeugend und erfolgreich im Hinblick auf andere Bereiche der Lage der Menschenrechte in solchen Ländern zu wirken. Eine vergleichende Beurteilung erfordert auch den Mut, Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Informationen aus bestimmten Ländern als das zu werten, was sie im Zeitalter umfassender, international anerkannter Menschenrechte meistens sind: Zeichen für bewußte Verheimlichung und Unterdrückung. So gelingt es gerade totalitären Diktaturen, ihre Länder weitgehend von der Weltöffentlichkeit abzuschirmen. Albanien, Nordkorea und Vietnam sind dafür Beispiele. Aber auch von einem uns partnerschaftlich verbundenen Land wie Indonesien muß angesichts anhaltender Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Osttimor gefordert werden, für humanitäre Organisationen und unabhängige Beobachter die Frau Hoffmann ({14}) viel zu weit gehenden Zugangsbeschränkungen zu beseitigen. ({15}) Deutsche Außen- und Entwicklungspolitik soll aber auch deutlich die gute Menschenrechtslage in bestimmten Ländern würdigen. Es gäbe dafür eine Vielzahl an Beispielen. Ich kann nur einige nennen: Costa Rica, Senegal, Gambia, Botsuana, Mauritius, Papua-Neuguinea, Fidschi, Brasilien, Argentinien, Venezuela, Dominikanische Republik, Jamaika und Ecuador. ({16}) Die Gewährung von Menschenrechten, meine Damen und Herren, ist geradezu Synonym für umfassenden Frieden. Aber auch für Frieden nur im Sinne von „Nicht-Krieg" gilt, daß ein Regime, das die Rechte seiner eigenen Bevölkerung gewaltsam unterdrückt, auch Gewalt nach außen nicht prinzipiell als Mittel der Politik ablehnen wird. ({17}) Daher, meine Damen und Herren, ist Menschenrechtspolitik zugleich solide, langfristige Friedenspolitik. ({18})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel ({0}).

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat am 28. März 1985 eine Große Anfrage zur Menschenrechtspolitik an die Bundesregierung gerichtet. Das gleiche haben die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und der FDP, also die Koalitionsfraktionen, am 21. Juni 1985 getan. Es ist - sehr milde ausgedrückt - erstaunlich, daß eine Regierung, die sich ständig ihres Eintretens für die Menschenrechte rühmt, daß eine Partei, deren Generalsekretär anderen ständig mangelndes Engagement für die Menschenrechte vorwirft, daß die Regierung, an deren Spitze der Vorsitzende eben dieser Partei steht, trotz unserer ständigen Bitten und Mahnungen fast zehn Monate lang nicht imstande war, auf unsere Anfrage hin ihre Menschenrechtspolitik darzulegen. ({0}) Ja, die Regierung hat, wie wir gerade gehört haben, sogar die entsprechende, inhaltlich in wichtigen Teilen mit unserer Anfrage übereinstimmende Anfrage ihrer eigenen Koalitionsfraktionen über ein halbes Jahr einfach liegengelassen. Meine Damen und Herren, es wäre nicht schlecht, wenn Sie einen Teil des Eifers, den Sie beispielsweise auf die völlig überflüssige Novellierung des § 116 AFG verwenden, hier investiert hätten, um diese Anfragen zu beantworten. ({1}) Über die Gründe für Ihr Schweigen und Ihre Untätigkeit kann man allerlei Überlegungen anstellen. Der Wahrheit am nächsten kommt für Kenner und sorgfältige Beobachter wohl die Vermutung, daß sich die außenpolitischen Dauerkontrahenten in der Koalition wieder einmal nicht einigen konnten. Dieser Dauerstreit, der ja gerade in diesen Tagen wieder in voller Schärfe entbrannt ist, hat schon bisher die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach außen beeinträchtigt. Jetzt lähmt dieser Dauerstreit offenbar auch die Fähigkeit der Bundesregierung, dem Parlament in einer zentralen Frage Rede und Antwort zu stehen. Daß die Regierung dem Haus die Antworten nach zehnmonatiger Säumnis gestern um 11 Uhr, also buchstäblich in letzter Minute, hat zukommen lassen, kann meine Kritik in keiner Weise mildern. Im Gegenteil, die Bedenklichkeit des Umgangs mit dem Thema und mit dem Parlament wird dadurch eher noch gesteigert. Wir können uns deshalb heute keinesfalls abschließend zu den Antworten äußern. Wir benutzen die Gelegenheit in erster Linie vielmehr dazu, unsere Position zur Menschenrechtspolitik darzulegen. Unsere jüngere Zeitgeschichte ist mit der Problematik der Menschenrechte in schicksalhafter Weise verknüpft. In unserem Lande und von unserem Lande aus wurden die Menschenrechte zwischen 1933 und 1945 in brutaler Weise, j a bis hin zum Völkermord mißachtet. Dieser schrecklichen Erfahrung hat unser Grundgesetz Rechnung getragen. Es bezeichnet in seinem ersten Satz die Menschenwürde als unantastbar. Und es sagt im zweiten Absatz seines ersten Artikels: Das Deutsche Volk bekennt sich - wegen dieser Erfahrungen zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Die Menschenwürde und die aus ihr fließenden Menschenrechte erfordern immer aufs neue unser Engagement, und zwar nach innen wie nach außen. Ich hoffe zuversichtlich, daß der Konsens darüber das ganze Haus in all seinen Fraktionen eint und verbindet. ({2}) Auf dieser Grundlage bekennen wir uns zu folgenden Positionen: Erstens. Die Bundesrepublik muß sich überall für die Verwirklichung der Menschenrechte einsetzen, und zwar ohne Rücksicht auf die Staatsform oder das Regierungs- und Gesellschaftssystem des jeweiligen Landes. Die Mitarbeit an internationalen Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte und in den internationalen Menschenrechtsgremien ist dabei ebensowichtig wie die Hilfe im einzelnen Fall. Gerade deshalb sollte die Zeichnung der Anti- Folter- Konvention der Vereinten Nationen nicht länger hinausgezögert werden. ({3}) Dr. Vogel ({4}) Zweitens. Zu den Menschenrechten gehören nicht nur die bürgerlichen Freiheitsrechte. Die Menschenwürde erfordert vielmehr auch die Wahrung der wirtschaftlichen, der sozialen und der kulturellen Menschenrechte ({5}) und in diesem Zusammenhang das Recht auf eine eigenständige Entwicklung für die Völker der Dritten Welt. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Menschen, die verhungern, Menschen, die am Rande des Existenzminimums vegetieren, setzen andere Prioritäten als wir, die wir im Vergleich dazu im Reichtum und im Wohlstand leben. ({6}) Drittens. Menschenrechtspolitik muß deshalb in weiten Teilen der Welt zunächst einmal Entwicklungspolitik sein, Hilfe zur Befriedigung der elementarsten Lebensbedürfnisse, zur Überwindung sozialen Unrechts und sozialer Spannungen, zur Beendigung wirtschaftlicher Ausbeutung. Das sind die wirksamsten Maßnahmen, um der Gewalt, der Unterdrückung und der Erniedrigung von Menschen den Nährboden zu entziehen. ({7}) So betrachtet ist auch der Rüstungswettlauf, sind die Unsummen an finanziellen und volkswirtschaftlichen Ressourcen, die dieser Rüstungswettlauf in Anspruch nimmt, ebenfalls eine ständige Gefährdung der Menschenrechte in vielen Teilen der Welt. ({8}) Viertens. Wir können unsere Staats- und Gesellschaftsordnung, für die wir uns entschieden haben, nicht international für verbindlich erklären. Aber wir können und müssen unsere Möglichkeiten nutzen, um die Entwicklung der Menschenrechte auch in Staaten mit anderen Ordnungen zu fördern und um Verletzungen der Menschenwürde zu begegnen. Welche Mittel wir zur Erreichung dieses Zieles jeweils einsetzen, hängt von den Umständen ab. Im Verhältnis zur Sowjetunion und zu osteuropäischen Staaten war und ist die Schlußakte von Helsinki ein besonders wichtiges Instrument, vor allem deshalb, weil sie die Berufung auf Standards erlaubt, die von allen Beteiligten akzeptiert worden sind. ({9}) Das anerkennen dankenswerterweise heute auch die, die sich - daran muß erinnert werden - seinerzeit sowohl unserer Teilnahme an der Konferenz als auch der Zustimmung der Bundesrepublik zur Schlußakte widersetzt haben. Ich freue mich, daß sie die Bedeutung der Schlußakte heute so sehen wie wir. ({10}) Im Verhältnis zur Deutschen Demokratischen Republik, zur DDR, sind die meisten Erleichterungen, die eingetreten sind, eine Folge der Vertrags- und der Normalisierungspolitik. Keiner kann bestreiten: Bei allem, was wir uns anders, ganz anders, und besser, viel besser, wünschen - vor allem, wie zu Recht von der Vorrednerin gesagt wurde, an der Grenze, im Reiseverkehr und in der Frage der Freizügigkeit -, ist die Situation heute, im Jahre 1986, in der DDR und gegenüber der DDR nicht schlechter, sondern deutlich besser als zur Zeit des Kalten Krieges. Das ist einfach ein Faktum. ({11}) Fünftens. Wann öffentliche Interventionen oder sogar Maßnahmen mit Sanktionscharakter am Platze sind, muß ebenfalls von Fall zu Fall entschieden werden. Vom Verdacht des Opportunismus müssen wir uns dabei ebenso freihalten wie von dem Eindruck, am deutschen Wesen müsse einmal mehr die Welt genesen. Wir müssen auch prüfen, wen die Maßnahmen eigentlich treffen, ob sie nicht gerade denen schaden, denen wir helfen wollen. Vor allem aber müssen wir uns hüten, Menschenrechtsfragen politisch zu instrumentalisieren und je nach Zweckmäßigkeit außenpolitisch oder gar innenpolitisch als Waffe einzusetzen. Wenn wir das tun, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dann heißt das fast immer, sich auf Kosten derer in Positur zu werfen und aus der Haut derer Riemen zu schneiden, um deren konkrete Lebensschicksale es geht. ({12}) Die Tochter des salvadorianischen Präsidenten ist nicht deshalb wieder in Freiheit, weil wir uns gegenseitig polemisch für die Verhältnisse in Nicaragua oder in El Salvador verantwortlich gemacht haben. Sie hat ihre Freiheit wiedererlangt, weil Sozialdemokraten im Zusammenwirken mit den Kirchen und mit Christdemokraten ihre Möglichkeiten genutzt haben. Ich benutze auch diese Gelegenheit, um unserem Kollegen Hans-Jürgen Wischnewski für seinen Beitrag und allen anderen Beteiligten genauso Dank zu sagen. ({13}) Sechstens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann angemessen sein, die Beachtung der Menschenrechte öffentlich einzufordern, wie wir alle das im Falle Sacharow und viele von uns im Falle Mandela getan haben und auch heute an dieser Stelle wieder tun. Aber es gibt auch Hunderte, nein, Tausende von Fällen, in denen stille Bemühungen Menschen das Leben gerettet, die Freiheit zurückgegeben, die Vereinigung mit ihren Familien ermöglicht haben, und zwar deswegen, weil die Bemühungen still geblieben sind. Ich danke hier für meine Fraktion - und vielleicht schließen sich alle diesem Dank an - all jenen, die an diesen stillen Bemühungen ohne großes Aufheben mitwirken, ({14}) Dr. Vogel ({15}) viele, ohne überhaupt davon zu reden. Ich denke bei diesem Dank auch an Persönlichkeiten und insbesondere an eine Persönlichkeit - wenn man es so ausdrücken darf - auf der anderen Seite, ohne deren Mitwirkung viele dieser Fälle so nicht hätten erledigt werden können. ({16}) Ebenso danke ich nichtstaatlichen Organisationen, die sich auf diesem Feld unermüdlich engagieren, insbesondere den Kirchen, aber auch „amnesty international". ({17}) Siebtens. Die Menschenrechte sind nicht nur eine Frage, die wir anderen stellen; sie sind auch eine Frage an uns selbst. Auch wir haben uns auf diesem Feld zu bewähren: im Umgang mit Behinderten, mit ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, im Umgang mit Opfern der Gewaltherrschaft, aber auch in der Handhabung des Asylrechts und der Ausweisungspraxis. ({18}) Ich will nicht verallgemeinern, und ich weiß aus eigener Regierungsverantwortung und Verwaltungsverantwortung, wie quälend und schwer die Entscheidungen auf diesem Gebiet sein können; aber nicht alles, was in der Bundesrepublik geschieht, hält vor den Menschenrechten stand. Ich erinnere nur an den Fall Kemal Altun und an manchen Ausweisungsfall, der oft nur durch Intervention von Landesparlamenten und Petitionsausschüssen in letzter Minute gestoppt werden konnte. Die Glaubwürdigkeit, mit der wir anderen Völkern und Regierungen Vorhaltungen machen können, hängt nicht zuletzt von unserem eigenen Verhalten zu Hause ab. ({19}) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen, daß es in vielen Teilen der Welt um die Menschenrechte bedrückend bestellt ist; mehr noch: Wir wissen, daß sie in nicht wenigen Teilen der Welt mit Füßen getreten werden. Millionen von Menschen hungern, viele werden gefangengehalten, nicht wenige gefoltert und getötet. Andere werden wegen ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens verfolgt. Gerade weil all das in diesem Jahrhundert auch auf unserem Boden geschehen ist und von einem deutschen Gewaltsystem Menschen anderer Völker Gewalt angetan worden ist, sollten wir unseren Beitrag zur Linderung dieser Leiden wo immer möglich gemeinsam, im Konsens und mit möglichst wenig Parteienstreit leisten. Wir sollten darauf verzichten, uns gegenseitig anzuprangern. Es sollte beispielsweise nicht noch einmal notwendig werden, daß Herrn Oberbürgermeister Wallmann in Frankfurt die Behauptung, die SPD schweige zum sowjetischen Völkermord in Afghanistan, erst von einem Oberlandesgericht verboten werden muß. Für die deutschen Sozialdemokraten sind die Menschenrechte, ist der Kampf um die Menschenrechte ein unverzichtbarer Teil ihrer Geschichte und ihrer Identität. Wie der von uns eingebrachte Antrag deutlich macht, strebt meine Fraktion in den Menschenrechtsfragen den möglichst weitgehenden Konsens an. Sie ist zur Zusammenarbeit bereit. Ich appelliere an alle in diesem Hause, diese Bereitschaft zu erwidern. Die Verfolgten, die Leidenden, diejenigen, die ihrer Menschenrechte beraubt sind, haben einen Anspruch darauf, daß wir so miteinander umgehen. Ich danke Ihnen. ({20})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}).

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Vogel hat der Bundesregierung in seiner Rede vorgehalten, sie habe sich sehr viel Zeit genommen und erst gestern die beiden Großen Anfragen zu den Menschenrechten beantwortet. Es ist sicher richtig, daß es ein sehr langer Zeitraum war; allerdings darf ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung angekündigt hatte, daß sie die Antwort Ende Januar vorlegen werde, und es ist natürlich - was wir sehen sollten - durch das Vorziehen der Debatte die Antwort erst gestern erfolgt. Aber ich muß auch einen zweiten Punkt erwähnen, auf den ich nachher noch eingehen will. Es ist die Tatsache, daß sich Antworten der Bundesregierung ja auch dann verzögern können, wenn beispielsweise Bundesländer die Zeichnung von Konventionen - wie etwa der Konvention gegen Folter - blockieren, was leider der Fall ist; ich komme darauf zurück. Ich denke aber, daß wir heute trotzdem genug Zeit dafür haben, uns mit der Antwort der Bundesregierung sehr ausführlich auseinanderzusetzen, und ich glaube auch, daß die Bundesregierung in der Beantwortung dieser Anfragen sehr eingehend deutlich gemacht hat, daß sie ihre Menschenrechtspolitik, anknüpfend an die Menschenrechtspolitik früherer Regierungen, fortsetzt und daß sie eben nicht - wie es hier eben im Unterton vielleicht ein bißchen anklang - von dem abweicht, was wir hier früher vertreten haben. Die Antwort macht deutlich, daß wir allen wesentlichen internationalen Abkommen über Menschenrechte beigetreten sind und daß es darüber hinaus eine Fülle von Initiativen der Bundesregierung gegeben hat - in diesem Zusammenhang darf ich, was Sie mir nicht verübeln werden, sagen: Initiativen auch des Bundesaußenministers, und zwar mehr als von jedem anderen Bundesaußenminister zuvor; auch das sollte man bitte einmal zur Kenntnis nehmen -, ({0}) die Menschenrechte überall in der Welt ohne Rücksicht auf unterschiedliche Ideologien und Staatsfor14482 Schäfer ({1}) men zu verwirklichen. Die Bundesregierung tut das, wie Sie wissen, im Rahmen der UN auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, sie tut es im Rahmen der KSZE auf der Grundlage der Schlußakte von Helsinki und der Abschlußdokumente der Folgekonferenzen, und sie tut es auch im Europarat auf der Grundlage der Konvention zum Schutz der Menschenrechte vom November 1950. Die Bundesregierung wirkt aber auch in allen wesentlichen Gremien dieser Organisationen, die sich mit Menschenrechten befassen, mit und hat in diesen Gremien immer wieder eine Fülle von Vorschlägen eingebracht. Ich erinnere vor allem auch an den Vorschlag des Bundesaußenministers zur Einrichtung eines Internationalen Gerichtshofes für Menschenrechte, der leider immer noch nicht zustande gekommen ist, aber nicht etwa deshalb, weil er von uns blockiert würde, sondern weil eine ganze Reihe von Staaten immer wieder die Sorge haben, daß das für die Entwicklung in ihrem eigenen Bereich natürlich peinliche Folgen haben könnte. Ich darf auch daran erinnern, daß sich gerade Herr Genscher intensiv für die Einrichtung eines UN- Hochkommissariats für die Menschenrechte eingesetzt hat. Auch das ist leider bis heute nicht verwirklicht worden. Herr Genscher hat in seiner Rede vor der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen in Stuttgart im November 1985 zu Recht darauf hingewiesen, das Thema „Menschenrechte" sei bis 1945 niemals ein Thema der auswärtigen Politik der Staaten gewesen; weder hätte Bismarck zu seiner Zeit die üblen Menschenrechtsverletzungen im zaristischen Rußland auf Grund der Völkerrechtslage tadeln können, noch hätte Hitler wegen seiner Rassenpolitik vor dem Völkerbund zur Verantwortung gezogen werden können. Erst durch das Wirken der Vereinten Nationen, die ja vielfach sehr unterbewertet werden, ist es - das glaube ich an dieser Stelle auch einmal sagen zu müssen - möglich geworden, daß das Bewußtsein der Menschen und der Staaten - nämlich durch die Charta der Vereinten Nationen, durch die Menschenrechtspakte und durch das heutige Menschenrechtsinstrumentarium - geschärft worden ist und daß heute auch nicht mehr der Grundsatz gilt, wir mischten uns durch die Betonung der Menschenrechte in die inneren Angelegenheiten von Staaten ein; das ist vorbei, damit sollte uns bitte niemand mehr kommen. ({2}) In diesem Zusammenhang darf ich von hier aus ein kritisches Wort an einige deutsche Bundesländer richten, meine Damen und Herren. Vor einem Jahr hat mein Kollege Wolfgang Rumpf, der gerade in einer anderen Funktion hinter mir sitzt, in einer Rede, die ich nachgelesen habe, die Zeichnung der Konvention, des Übereinkommens gegen Folter - sowohl des UN-Übereinkommens als auch der Vorschläge des Europarates - angemahnt. Ein Jahr später, im Januar, stelle ich von der gleichen Stelle aus fest, daß leider eine solche Zeichnung noch nicht vorgenommen werden konnte, weil sich deutsche Bundesländer sperren. Wir sollten den Bundesländern sagen: Verhindern Sie nicht länger die Zeichnung des UN-Übereinkommens gegen Folter, nachdem fast alle westlichen Staaten gezeichnet haben. ({3}) Erwecken Sie auch nicht länger den Eindruck, als müßten wir unsere Gefängnisse vor der internationalen Öffentlichkeit verbergen, wenn es um die Zeichnung des europäischen Übereinkommens über den Schutz von Häftlingen vor Folter geht. ({4}) Ich glaube, da ist nichts zu verbergen. Hier muß höchstens bei der europäischen Konvention noch nachgebessert werden. ({5}) - Ich überlasse es Ihnen, Sie aufzuzählen. Das macht Ihnen, Herr Duve, mehr Spaß als mir. Gerade wir Deutschen haben allen Grund, an der Spitze der Fortentwicklung menschenrechtlicher Instrumentarien zu stehen, statt durch formalistische Einwände diesen Prozeß unerträglich zu verzögern. ({6}) Meine Damen und Herren, mein Freund Ralf Dahrendorf hat unlängst in der „Zeit" den Vorwurf an Linke und Liberale erhoben, sie seien bereit, über Verletzungen des Anstandes und der Menschenrechte hinwegzusehen, wenn diese in der kommunistischen Welt geschehen. Ich möchte ihm von dieser Stelle aus als Liberaler und sicher auch für die Fraktion der FDP antworten: Wir verurteilen den Mißbrauch der Psychiatrie, wir verurteilen die menschenrechtswidrige Behandlung des Nobelpreisträgers Sacharow, wir verurteilen die immer noch bestehenden Straflager und auch die Verfolgung der Helsinki-Gruppen in der Sowjetunion. Ich sage das ganz bewußt auch als Vorsitzender der deutsch-sowjetischen Parlamentariergruppe, der sich seit Jahren um ein besseres Verhältnis und für bessere Beziehungen zwischen beiden Völkern eingesetzt hat und das auch weiterhin tun wird. ({7}) Das wird uns nicht daran hindern, diese Kritik zu üben. Meine Damen und Herren, ich weiß aber auch, daß bei den Gedenkveranstaltungen zum 40. Jahrestag der Kapitulation Hitlers 1985 zwar unentwegt und sicher zu Recht des Naziterrors und der Konzentrationslager gedacht worden ist, aber sehr wenig über die 20 Millionen toter sowjetischer Menschen, die der Überfall Hitlers auf die Sowjetunion Schäfer ({8}) gefordert hat, gesagt wurde. Auch das sollte man vielleicht gelegentlich tun. ({9}) Was den Vorwurf der Einäugigkeit und der Heuchelei betrifft, so darf ich sagen: Wer sich immer wieder für die Aufhebung der Verbannung Andrej Sacharows und anderer im kommunistischen Lager Verfolgter zu Recht einsetzt, den darf die Verbannung Winnie Mandelas in einem angeblich an unseren westlichen Wertsystemen orientierten christlichen Staat, in Südafrika, und das Schicksal Hunderter anderer willkürlich Verbannter nicht einfach gleichgültig lassen. Ich glaube auch, das muß hier einmal gesagt werden. ({10}) Meine Damen und Herren, wer zu Recht die gerade vom „Rat für Angelegenheiten der westlichen Hemisphäre" in den USA verurteilten schweren Menschenrechtsverletzungen der in Nicaragua mit amerikanischem Geld operierenden Contras geißelt, der darf andererseits die Methoden der systematischen Unterdrückung, die die regierenden Sandinisten in Nicaragua gegen ihre Gegner anwenden, nicht verschweigen. Wer zu Recht den Abzug der Roten Armee aus Afghanistan fordert - das tun wir ja alle mit Nachdruck - und die systematische Ausrottung des afghanischen Widerstandes aufs schärfste verurteilt, muß aber auch anfangen, darüber nachzudenken, daß wir alles tun sollten, zu verhindern, daß nach dem Abzug der Roten Armee aus Afghanistan dort nicht ein neues Blutbad zustande kommt, wie es in anderen fundamentalistischen Nachbarstaaten nach deren Revolution der Fall war. Auch das sollten wir bei unserem Afghanistan-Hearing im Auswärtigen Ausschuß berücksichtigen. ({11}) Meine Damen und Herren! Wer zu Recht die Unterdrückung des kambodschanischen Volkes durch die vietnamesische Besatzung und die Zerstörung der Flüchtlingslager an der thailändischen Grenze anprangert, der darf aber auch nicht hinnehmen, daß einer der größten Massenmörder der Geschichte des 20. Jahrhunderts, Pol Pot, mit seinen Roten-Khmer-Komplizen immer noch nicht international geächtet ist. ({12}) Zu den schweren Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit zählt leider auch das Phänomen des Terrorismus. Ich glaube, wir sollten es auch hier ansiedeln; denn wenn man für Ideologien, Religionen oder für irgendwelche Gebietsansprüche unschuldige Menschen umbringt, Wehrlose ermordet und dann sagt, dies sei notwendig, um seinen Kampf der Weltöffentlichkeit bekanntzumachen, dann ist das eine der übelsten Mißachtungen der Menschenrechte, die uns in diesen Tagen besonders beschäftigen. ({13}) Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen aber auch sagen, daß wir nicht nur die Wirkungen des Terrorismus bekämpfen sollten, sondern immer wieder auch an die Ursachen des Terrorismus denken müssen. ({14}) Meine Damen und Herren, es kann im Nahen Osten eben nur dann eine Beruhigung eintreten, wenn sowohl das Existenzrecht Israels als auch die Rechte der Palästinenser anerkannt werden. ({15}) Gerade wir als Europäer, die durch die Anschläge arabischer Terroristen am meisten zu leiden hatten, sind aufgerufen, uns mit allem Nachdruck bei den Palästinensern und unseren arabischen Nachbarn für eine Politik der Mäßigung und des Verständnisses gegenüber Israel einzusetzen, aber wir sollten - gerade auch im Hinblick auf den Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Peres in der nächsten Woche in Bonn - darauf drängen, daß auch Israel deutlicher als bisher die Rechte der Palästinenser anerkennt, auch in den besetzten Gebieten, auf der West Bank und vor allem im Gazastreifen, den eigentlich jeder deutsche Israel-Reisende einmal besuchen sollte, um festzustellen, daß es dort leider noch Menschen zweiter Klasse gibt, was dem Ansehen des Staates Israel schadet. ({16}) Meine Damen und Herren, Fortschritte in der Menschenrechtspolitik sind nur sehr langsam zu erreichen, gerade weil ich glaube, daß uns trotz der umfassenden Antwort der Bundesregierung noch vieles unbefriedigt läßt; immer wieder mit allen Mitteln voranzutreiben. Ich meine, daß wir dabei den langsamen Prozeß berücksichtigen müssen, und zwar wegen der anderen Sozial- und Rechtsordnung, die es in verschiedenen Teilen der Welt gibt, aber auch wegen der anderen kulturellen Vorstellungen und der anderen Begriffe von Freiheit. Trotzdem darf es kein Ruhen und Rasten geben. Wir müssen in einer Zeit wachsender Gewalt und anhaltender Menschenrechtsverletzungen vor allem in der Dritten Welt das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit wachrütteln und nach den furchtbaren Verbrechen in unserem eigenen Land während der Nazi-Diktatur bei der Durchsetzung der Menschenrechte Vorreiter und nicht Nachhut sein. Vielen Dank. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}).

Ulrich Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000556, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als neues Mitglied des Deutschen Bundestages möchte ich mich Ihnen kurz vorstellen. Ich heiße Uli Fi14484 Fischer ({0}) scher und vertrete zusammen mit Anne Borgmann, Ludger Volmer und Petra Kelly die GRÜNEN im Auswärtigen Ausschuß. In den letzten Tagen und Monaten haben wir von seiten der Bundesregierung ein solches Geschiebe und Gerangel um die Beantwortung der beiden Großen Anfragen zur Menschenrechtspolitik der Bundesregierung erlebt, daß heute morgen, wenige Stunden nachdem wir die Antwort der Bundesregierung in der Hand halten, von einer fairen Chance der Oppositionsparteien, sich sachgerecht mit den Positionen der Bundesregierung auseinanderzusetzen, kaum gesprochen werden kann. Wir hoffen deshalb auf die Zustimmung aller Fraktionen, daß sowohl die Antworten als auch alle heutigen Entschließungsanträge dazu in den zuständigen Ausschüssen, aber auch hier im Plenum noch einmal ausführlicher diskutiert werden. Die GRÜNEN halten die Verabschiedung der verschiedenen Menschenrechtserklärungen und Menschenrechtspakte dieses Jahrhunderts für einen Fortschritt und ein Zeichen der Hoffnung in der blutigen Geschichte eben dieses Jahrhunderts. Für uns bedeutet die Unterzeichnung dieser Erklärungen die Selbstverpflichtung aller Unterzeichnerstaaten zu einer Politik, in der nicht mehr die Interessen von Nationalstaaten und Militärpakten, von Herrenrassen oder Wirtschaftskräften, sondern die individuellen und kollektiven Rechte der einzelnen Menschen im Mittelpunkt stehen. ({1}) Wenn wir die Politik der Bundesregierung auch nur an den bisher von der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Verpflichtungen messen, müssen wir erstens feststellen, daß die Bundesregierung die politischen und sozialen Menschenrechte oft gegeneinander ausspielt. Wenn Menschen hungern oder an ihrer Situation als Arbeitslose verzweifeln, ist ihre menschliche Würde ebenso verletzt, wie wenn sie der Willkür einer an keinerlei Gesetzgebung gebundenen Exekutive ausgesetzt sind, nicht ausreisen dürfen oder an der Ausübung ihrer religiösen Überzeugung gehindert werden. ({2}) Zweitens. Wir verurteilen, daß die Bundesregierung die Frage der Menschenrechte oft für ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen instrumentalisiert. Menschenrechtsverletzungen im Lager des militärischen oder politischen Gegners werden häufig nur aufgegriffen, um den Gegner öffentlich vorzuführen. Es ist ja viel einfacher, eine schnelle Erklärung zu Andrej Sacharow zu machen, für dessen Schicksal wir uns als GRÜNE sehr nachhaltig einsetzen, als sich wirklich mit seinen auch für die westliche Seite oft unbequemen Schriften und Gedanken auseinanderzusetzen. ({3}) Entsprechend werden je nach politischer Opportunität Menschenrechtsverletzungen heruntergespielt, z. B. im Fall Rumänien, nur weil die Ceauescu-Regierung als potentieller Störfaktor im Warschauer Pakt politisch vielleicht nützlich sein könnte. ({4}) Ein besonders schlimmes Beispiel politischer Instrumentalisierung der Menschenrechte war das Tribunal der CDU gegen Nicaragua, in dem in keiner Weise versucht wurde, die Wahrheit über die Vorgänge in Nicaragua zu erarbeiten oder Solidarität mit den Opfern von Menschenrechtsverletzungen, die wir durchaus auch unter dem Regime der Sandinistas für möglich halten, zu üben und zu untersuchen, sondern wo einzig die Interessen der Vereinigten Staaten in dieser Region unterstützt wurden. ({5}) Solchen offensichtlichen Mißbrauch von Menschenrechtsverletzungen als Waffe im ideologischen Kampf gegen den politischen Gegner lehnen wir strikt ab. ({6}) Noch gravierender ist das Schweigen der Bundesregierung zu Menschenrechtsverletzungen in Ländern, in denen angeblich wirtschaftliche Interessen der Bundesregierung berührt werden. In Peru z. B. werden mit deutschen Waffen Menschen getötet. Die Bundesregierung antwortete noch letzte Woche auf unsere Frage, warum der Export von G-3-Gewehren, Radpanzern und Militärlastern nach Peru genehmigt wurde, daß es ihr - ich zitiere - „aus rechtlichen und politischen Gründen nicht möglich ist, in der Öffentlichkeit nähere Angaben über bestimmte Einzelgeschäfte zu machen". Mit ihrer Waffenexportpolitik unterstützt die Bundesregierung diktatorische Regime, die zum Erhalt ihrer politischen und wirtschaftlichen Macht mit staatlichen Todesschwadronen und Terrorkommandos gegen Bauern und Gewerkschafter vorgehen, die nichts tun, als um ihre nackte Existenz zu kämpfen. Selbst die hehre Sorge um Auslandsdeutsche und Deutschstämmige mußte im Fall von Elisabeth Käsemann und anderen zurückstehen, als es seinerzeit um die Atomgeschäfte mit den argentinischen Militärs ging. Die bittere Feststellung, die der Vater von Elisabeth Käsemann der damaligen SPD/FDPRegierung entgegenhielt, ein verkaufter Daimler-Lkw sei der Regierung mehr wert als ein Menschenleben, gilt heute noch genauso: vom Schweigen zu den Verbrechen Khomeinis über das Schweigen zu den Foltermorden in der Türkei bis hin zur Unwilligkeit, Boykottmaßnahmen gegen das rassistische Regime in Südafrika zu beschließen. Wenn es um wirtschaftliche Aufträge, um Rüstungsexportgeschäfte oder um Rohstoffinteressen geht, werden Menschenrechtsverletzungen allzuoft heruntergespielt und beschönigt. ({7}) Drittens. Selbst wenn die Bundesregierung Menschenrechtsverletzungen in für uns wirtschaftlich Fischer ({8}) interessanten Ländern zugeben muß, fragt sie selten nach deren Ursachen. Die Politik der multinationalen Konzerne, an denen die Bundesrepublik kräftig beteiligt ist, macht Millionen in der Dritten Welt arbeitslos, vertreibt sie von ihrem Grund und Boden, stürzt sie in Hunger und Elend. Die Bundesregierung hilft dabei, durch staatliche Finanzgarantien und durch ihre Waffenexportpolitik Rahmenbedingungen zu schaffen, die Menschenrechtsverletzungen ständig neu hervorbringen. Die Unterzeichnung der Menschenrechtspakte hat bisher eben leider nicht dazu geführt, daß die Vorstellungen des 19. Jahrhunderts wirklich überwunden wurden, als Menschenrechte nur für die „zivilisierten Europäer", nicht aber für die Ureinwohner der Kolonien galten. Für die Bundesregierung sind Menschenrechte in vielen Fällen immer noch teilbar in erstrangige politische und weniger wichtige soziale, in solche, die nur für Europa, aber nicht für Afrika wichtig sind. Und wie Herr Hupka, der sich vehement für das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen einsetzt, scheinen einige Leute vom Selbstbestimmungsrecht der eingeborenen Völker, der Indianer in den USA oder der Aborigines in Australien, nicht viel zu halten. ({9}) - Das weiß ich aus einem Brief, den Sie, Herr Hupka, an den Vorsitzenden der Gesellschaft für bedrohte Völker in Sachen Ost-Timor geschrieben haben. ({10}) Viertens. Wir sind überzeugt, daß die Menschenrechtspolitik der Regierung eines Landes gegenüber anderen Ländern nur dann glaubwürdig ist, wenn sie im eigenen Land für die ungeteilte Achtung der Menschenrechte sorgt. In unserem Land halten wir besonders die fortgesetzte Deklassierung der Millionen Arbeitslosen sowie die geplanten Verschärfungen des Asylrechts für flagrante Verletzungen der Menschenrechtspakte, die die Bundesrepublik selbst unterschrieben hat. Schauen Sie sich einmal in den Lagern für Asylbewerber um. Schauen Sie sich auch morgens in einem deutschen Arbeitsamt um, wo sich heute Hunderte von Menschen um ihre grundlegendsten Bedürfnisse bemühen müssen, indem sie in teilweise menschenunwürdiger Weise anstehen. ({11}) Die politischen Freiheitsrechte einerseits und die sozialen Rechte der Menschen andererseits dürfen nicht in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gesetzt werden. ({12}) Politische wie soziale Rechte haben für uns sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Dimension. Das Recht auf Pressefreiheit wie das Recht auf Arbeit sind notwendig für ein Leben, das Selbstverwirklichung, Emanzipation und solidarisches Verhalten ermöglicht. Mit großem Interesse beteiligen wir uns an der Diskussion um die Weiterentwicklung des Menschenrechtskatalogs um ein Recht auf Entwicklung der bisher unterentwickelt gehaltenen Länder, um das Recht auf Frieden, das Recht auf eine saubere Umwelt und das Recht der Frauen auf gesellschaftliche Bedingungen, die ihnen sowohl Mutterschaft als auch eine sinnvolle Berufstätigkeit möglich machen. Allein eine Gesellschaft, die die Menschenrechte in all ihren Dimensionen achtet, ist für uns eine friedensfähige Gesellschaft. Ich möchte mich dem anschließen, was Herr Vogel gesagt hat. Wir schätzen die Arbeit vieler Politiker, durch - wie Sie es genannt haben - stille Diplomatie menschliche Schicksale zu erleichtern. Wir haben uns selber an vielen solcher Gespräche beteiligt und oft die Unterstützung durch Politiker aller anderen Fraktionen erbeten und auch bekommen. Wir haben in solchen Situationen auch Unterstützung durch den Außenminister dieser Regierung erfahren. Trotzdem genügt uns das nicht. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich die nächsten Schritte auf dem Weg zur Verbesserung des internationalen Menschenrechtsschutzes zu unternehmen und die schon zitierte UN-Konvention gegen Folter und die Europäische Folterkonvention zu unterzeichnen. Das bereits 1977 von ihrer Vorgängerin unterzeichnete Gesetz zum Zusatzprotokoll zum Genfer Abkommen von 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte muß ratifiziert werden. Wir fordern weiter, daß das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, wie es in den Entschließungsanträgen des Europarats festgelegt ist, endlich als Menschenrecht anerkannt wird, und schließlich, daß das Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention über die Abschaffung der Todesstrafe ratifiziert wird. ({13}) - Eben. Vor etwas mehr als 40 Jahren war es in unserm Lande möglich, daß ein totalitäres Regime Menschen verfolgte und tötete, weil sie aus Mitleid einem Hungernden ein Stück Brot gaben oder einen vom Tode Bedrohten versteckten. Nur sehr wenige haben sich damals in unserem Land diesem Verbot des einfachen menschlichen Mitleids widersetzt. Der Rechtsstaat, der 1949 der Bundesrepublik gegeben wurde, war ein von oben verordneter Rechtsstaat, der einer erschöpften und demoralisierten Gesellschaft aufgestülpt wurde. Wir wissen, wie wichtig dieser Rechtsstaat für die Entfaltung der Demokratie in unserem Land ist. Wir wissen aber auch, daß das Institut Rechtsstaat ein statischer Rahmen bleibt, der von politischen und wirtschaftlichen Machtgruppen mißbraucht werden kann, wenn er nicht von einer die Menschenrechte aktiv achtenden Gesellschaft mit Leben erfüllt wird. ({14}) Von den Diskussionen mit Freunden aus der polnischen Solidarnosc haben wir gelernt, wie entscheidend es ist, daß eine Gesellschaft ihre Demo14486 Fischer ({15}) kratiefähigkeit bewahrt, d. h. die Fähigkeit zur Menschlichkeit. Die Achtung der Menschenrechte anderer ist elementarer Bestandteil unserer eigenen Menschenwürde. Wir teilen deshalb das Engagement von vielen Menschen weltweit und in unserem Land für - es wurde auch schon genannt - amnesty international, aber auch für die Gesellschaft für bedrohte Völker, das Komitee für Grundrechte und Demokratie und andere Menschenrechtsorganisationen. Es ist die Aufgabe eines Parlaments in einem Rechtsstaat, die Sensibilität aller Bürgerinnen und Bürger in Fragen der Menschenrechte zu erhöhen. Wir fordern deshalb erstens, daß beim Deutschen Bundestag eine ständige Kommission für Menschenrechte eingerichtet wird, in der sich Mitglieder des Parlaments mit den Menschenrechten befassen und ihre Ergebnisse öffentlich vortragen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, das wird nicht gelingen; Sie können nicht mehr alle Punkte vorlesen.

Ulrich Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000556, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut, ich komme zum Schluß. - Wir fordern zweitens, daß in dieser Kommission Vertreterinnen und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen sowie sachverständige Bürger sitzen, deren Erfahrung für das Parlament zu nutzen ist. Ich möchte mit einem Zitat von Andrej Sacharow schließen: Ein hohes Ziel des Kampfes für Menschenrechte ist eine weltweite politische Amnestie. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, haben wir GRÜNEN heute im Deutschen Bundestag die Tafeln mit Namen von politischen Gefangenen, für deren Freilassung wir uns besonders einsetzen, mitgebracht. ({0}) Es ist uns wichtig, zu betonen, daß dieses Engagement für einzelne Gefangene nicht an Blockgrenzen und ideologischen Barrieren haltmachen darf.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Es tut mir leid.

Ulrich Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000556, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gestatten Sie mir noch einen abschließenden Satz. - Als Angehöriger der 68er-Generation möchte ich dies mit dem Wunsch verbinden, daß wir in der Bundesrepublik eine Amnestie für die wegen Unterstützung der Rote Armee Fraktion und anderer Gruppen inhaftierten Gefangenen aussprechen, eine Amnestie, die Menschen, deren damalige Mittel und Ziele ich nicht unterstütze, .. .

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, jetzt muß ich Sie unterbrechen. Es tut mir leid. Wir haben Ihnen schon über eine Minute zugestanden.

Ulrich Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000556, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

... die Möglichkeit des Neubeginns geben würde, die zeigen würde, daß sich unser demokratischer Rechtsstaat auch auf Menschlichkeit und Mitleidenkönnen stützt. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich habe eben gesagt, daß Ihre Redezeit beendet ist. Es tut mir leid, aber wir müssen uns an unsere Regeln halten. Das gilt natürlich für alle Kollegen des Hauses. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Vogel, ich teile Ihr Bedauern darüber, daß wir so kurz nach Mitteilung der Antwort auf die Großen Anfragen heute debattieren müssen. Sie wissen, die Bundesregierung hatte die Beantwortung zum Monatsende angekündigt. Wenn Sie noch etwas gewartet hätten, hätte das Parlament mehr Zeit gehabt. ({0}) - Herr Kollege, hören Sie mir bitte zu. Ich spreche doch ganz unpolemisch. ({1}) Ich darf doch die Gründe darlegen. Die Bundesregierung hätte die Großen Anfragen gern früher beantwortet. Sie legte aber Wert darauf, eine definitivere Stellungnahme zur Zeichnung der Folterkonvention abgeben zu können, als wir es bis dahin konnten. Sie kennen aus Ihrer eigenen Erfahrung als Justizminister, Herr Kollege Vogel, den Sachverhalt. Wir können in diesen Fragen als Regierung nicht allein handeln, sondern müssen uns der Zustimmung der Bundesländer vergewissern. ({2}) Der Abgeordnete Vogel hat davor gewarnt - fast jeder wird das unterstreichen -, die menschenrechtlichen Fragen, die uns alle bewegen, zum innenpolitischen Schlagstock zu machen. Das, was wir eben von Ihnen gehört haben, Herr Kollege Fischer, war exakt das Gegenteil dessen, was Herr Kollege Vogel angemahnt hat. ({3}) Wir sollten in der Lage sein, in Ruhe und Abgewogenheit darüber zu sprechen, ({4}) wie wir unserem Anliegen, den Menschenrechten überall in der Welt Geltung zu verschaffen, am besten zur Durchsetzung verhelfen können. Da sind wir für jede Anregung dankbar. ({5}) Aber wir möchten uns nicht daran beteiligen, dem einen oder dem anderen eine geringere menschenrechtliche Gesinnung zu unterstellen. Darum geht es. ({6}) Das Grundgesetz stellt uns unter den Auftrag, die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt zu schützen. Daß die Menschenwürde als unantastbar erklärt wird, daß das die erste große Wertentscheidung unseres Grundgesetzes ist, ist die Konsequenz aus den schrecklichen Jahren von 1933 bis 1945. Die Parlamentarische Versammlung, Herr Kollege, hat sich auf Grund eigener Entscheidung dazu entschlossen, nicht wieder - wie es bei der Weimarer Verfassung der Fall war - eine weitgehend wertfreie Verfassung zu schaffen, sondern eine wertorientierte. Und der höchste Wert unseres Grundgesetzes ist der Schutz der Unantastbarkeit der Menschenwürde. Das bestimmt unsere Politik nach innen und außen. Das bedeutet für uns aber auch die Verpflichtung, daß wir im eigenen Lande die Menschenrechte im staatlichen Handeln und in dem Verhalten jedes einzelnen Bürgers gegenüber jedermann uneingeschränkt verwirklichen. Wir dürfen nicht taub sein für Gesinnungen, die auch im eigenen Lande deutlich werden. Die Rowdys von Hamburg, die aus Fremdenhaß und Mordlust einen Türken buchstäblich zu Tode gequält haben, müssen auch den letzten Bürger wachrütteln, der sich heute noch an miesen Türkenwitzen in Stammtischkneipen ergötzt. ({7}) „Wehret den Anfängen der Ausländerfeindlichkeit" muß hier gelten. Je freiheitlicher unsere Ordnung im Innern ist, um so glaubwürdiger können wir für die Menschenrechte überall in der Welt eintreten. Unser menschenrechtliches Engagement beweist sich aber auch daran, daß wir die gleichen Rechte für alle Menschen fordern. Wer die Menschenrechte ernst nimmt, muß für ihre universale Geltung eintreten. Menschenrechtspolitik ist für uns Freiheitspolitik. Sie darf politisch nicht einäugig sein. Vor allem darf Menschenrechtspolitik, wenn sie glaubwürdig sein will, nicht danach fragen, wer die Menschenrechte verletzt, sondern ob sie verletzt werden. Für die Menschenrechte universal einzutreten heißt, daß wir nicht nur an die großen Namen denken. Ich kann den großen Namen, die hier genannt worden sind, voll zustimmen. Nur, meine Damen und Herren, wer die vielen, vielen Briefe empfängt wie gerade der Außenminister, der weiß, wieviel unendliches Leid sich hinter den Unbekannten verbirgt, denen wir genauso helfen müssen. ({8}) Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Unser Grundgesetz unterstreicht - das haben Sie, Frau Kollegin, am Schluß Ihrer Ausführungen zu Recht gesagt - den Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Frieden. Menschenrechtspolitik ist Friedenspolitik. Wie die Achtung des Selbstbestimmungsrechts gehört die Achtung der Menschenrechte zu den entscheidenden Voraussetzungen einer stabilen internationalen Ordnung. Das Verhältnis der Staaten zu den individuellen Rechten ihrer eigenen Bürger hat auch Bedeutung für ihre Fähigkeit zu politischer und wirtschaftlicher Stabilität und zu verläßlicher Partnerschaft mit anderen Staaten. ({9}) Wer also den Frieden in der Welt will, muß sich für die weltweite Verwirklichung der Menschenrechte einsetzen. Deshalb ist das Engagement für die Menschenrechte ein moralisches Gebot und ein Gebot der politischen Vernunft. Die Förderung und Stärkung der Menschenrechte überall in der Welt ist ein wesentliches Ziel unserer Außenpolitik. Dem dienen wir in unseren bilateralen und multilateralen Bemühungen. Der Schutz der Menschenrechte ist heute nicht mehr allein die Angelegenheit der einzelnen Staaten. Er ist - Gott sei Dank - Gegenstand der gemeinsamen internationalen Verantwortung geworden. Grundlage unserer aller Menschenrechtspolitik - der Kollege Schäfer hat darauf mit Recht hingewiesen - ist die bahnbrechende völkerrechtliche Arbeit, die von den Vereinten Nationen geleistet worden ist. Durch die Verankerung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten in den Zielen der Charta sind die Menschenrechte zu einer Materie der Staatenzusammenarbeit geworden. Menschenrechtspakte über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte des einzelnen haben Normen gesetzt, an denen sich die Staaten messen lassen müssen, auch wenn sie diese Pakte nicht ratifiziert haben. Versuche von Staaten, sich gegenüber menschenrechtlicher Kritik auf das Nichteinmischungsgebot zu berufen, sind ungerechtfertigt. Sie werden übrigens von der Staatengemeinschaft immer weniger akzeptiert. Es gibt dafür ein bemerkenswertes Beispiel aus der jüngsten Zeit: In der gerade abgelaufenen Generalversammlung kam es zu einem Mißerfolg eines ukrainischen Resolutionsentwurfs, mit dem die angeblich mißbräuchliche Nutzung menschenrechtlicher Argumente zur Einmischung in innere Angelegenheiten verurteilt werden sollte. Dieser Entwurf ist gescheitert, und zwar durch maßgebliche Mitwirkung der Staaten der Dritten Welt. Ich sage das auch deshalb, weil von vielen a) über die Vereinten Nationen und b) über das Verhalten der Staaten der Dritten Welt in den Vereinten Nationen vordergründig und geringschätzig gesprochen wird. ({10}) Das heißt: Menschenrechte werden heute von der Staatengemeinschaft als ein gemeinsames Anliegen der Staaten verstanden. Das ist eine positive Entwicklung, die wir unterstützen. Wir treten mit gleichem Nachdruck für die Verwirklichung aller Menschenrechte ein. Die Bundesrepublik Deutschland hat sowohl den Pakt über bürgerliche und politische wie den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifiziert. Für uns sind die in beiden Pakten verankerten Rechte des einzelnen gleichrangig und unteilbar, und das müssen wir auch immer wieder beachten. Natürlich sind die elementaren Menschenrechte Freiheitsrechte wie die, die elementarsten menschlichen Bedürfnisse befriedigen zu können. So ist praktische Menschenrechtspolitik natürlich auch eine erfolgreiche Hilfe bei der Entwicklung der Staaten der Dritten Welt und ihrer Gesellschaft. Wir setzen uns dafür ein, die internationalen menschenrechtlichen Normen weiter zu stärken. Es geht vor allem darum, auch einzelne Rechte weiter zu konkretisieren. Beispiele dafür sind die von der Generalversammlung 1984 verabschiedete Konvention gegen Folter und unsere Initiative zur Abschaffung der Todesstrafe. Wir verschließen uns übrigens grundsätzlich auch nicht der Diskussion um Anerkennung neuer Menschenrechte wie etwa des Rechts auf Entwicklung. Die Anerkennung neuer Rechte setzt nach unserer Auffassung jedoch voraus, daß ihr Inhalt rechtlich klar definiert werden kann und, meine Damen und Herren, die Durchsetzung bestehender Menschenrechte durch die Anerkennung neuer nicht beeinträchtigt oder in den Hintergrund gedrängt wird. ({11}) Mit besonderem Nachdruck setzen wir uns für die Stärkung internationaler Institutionen zum Schutz der Menschenrechte ein. Angesichts der großen Fortschritte, die mit der Setzung von Rechtsnormen erzielt worden sind, kommt es jetzt darauf an, Möglichkeiten zum praktischen Schutz und zur allgemeinen Durchsetzung dieser Normen zu fördern. Wir sind der Meinung, daß Opportunitätsdenken aus der Menschenrechtspolitik herausgehalten werden muß. Unsere Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen muß sich an dem möglichen Nutzen - das ist eine ganz wichtige Einsicht - für die Betroffenen selbst ausrichten. ({12}) Hieran muß sich die Prüfung orientieren, ob ein öffentlicher Appell besser hilft als diskrete Bemühungen oder welche sonstigen Schritte in Betracht kommen, um im konkreten Fall - den einzelnen Menschen vor Augen - menschenrechtliche Verbesserungen erreichen zu können. ({13}) Menschenrechtliche Fragen sind ein kontinuierlicher und zentraler Gegenstand unserer Kontakte und Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Das gilt natürlich vor allen Dingen für die Staaten, mit denen wir durch gleiche Wertvorstellungen verbunden sind: im Europarat, in der Europäischen Gemeinschaft, in der Gemeinschaft der westlichen Staaten. Wir haben in der Außenhandels- und Vertragspolitik der Europäischen Gemeinschaft Wert darauf gelegt, daß der menschenrechtliche Gesichtspunkt dabei zur Geltung kommt. Das gilt für die Verankerung der Menschenrechte im 3. Lomé-Abkommen, das gilt auch für das Kooperationsabkommen mit den Staaten Zentralamerikas, und es gilt schließlich auch für die Erklärung, die die EG- und ASEANAußenminister bei der Unterzeichnung dieses Kooperationsabkommens abgegeben haben. Hier hat also die Europäische Gemeinschaft die Verpflichtung zur Durchsetzung der Menschenrechte über die international geltenden völkerrechtlichen Regelungen hinaus zum Gegenstand ihrer Kooperation mit anderen Staaten gemacht. So sehen wir unsere Einflußmöglichkeiten und die Aufgabe Europas gerade angesichts der europäischen Geschichte darin, auch ein Hort von Initiativen für Frieden, Freiheit und Menschenrechte in der Dritten Welt zu sein. ({14}) Meine Damen und Herren, wir bemühen uns darum, neue Einrichtungen zu schaffen. Die EG-Staaten arbeiten in internationalen Gremien wie etwa der UN-Generalversammlung und der Menschenrechtskommission in menschenrechtlichen Fragen eng zusammen. Im Rahmen des Europarates haben wir an der Schaffung menschenrechtlicher Institutionen mitgewirkt. In der Europäischen Menschenrechtskommission haben wir uns zum kollektiven Schutz der wichtigsten Grundsätze verpflichtet. Die Bundesregierung unterstützt das Engagement des Europarats für den Schutz der Menschenrechte überall in der Welt. Sie hat sich an dem menschenrechtlichen Appell beteiligt, den die Menschenrechtskonferenz des Europarats im März 1985 in Wien an die Welt gerichtet hat. Sie fördert die Aufnahme des Dialogs über Menschenrechte mit anderen Regionen und Regionalorganisationen, der in dieser Deklaration vorgesehen ist. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat ein Übereinkommen über den Schutz von Häftlingen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlung unter Strafe vorgeschlagen. Die Bundesregierung arbeitet an der Beratung dieses Entwurfs aktiv mit. Wir haben im KSZE-Prozeß stets die Auffassung vertreten, daß der Fortschritt im KSZE-Prozeß an dem Fortschritt gemessen werden muß, den er für die Bürger in allen Staaten, in allen Unterzeichnerstaaten konkret bedeutet. Zusammen mit unseren westlichen Partnern haben wir erreicht, daß die KSZE-Schlußakte die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten bekräftigt. Zusammen mit ihnen sowie mit den neutralen und ungebundenen Staaten wirken wir darauf hin, daß der Dialog über Menschenrechtsfragen wesentlicher Bestandteil des KSZE-Prozesses bleibt. Das Menschenrechtstreffen in Ottawa im Frühjahr 1985 hat deutlich gemacht, daß sich die östlichen Staaten diesem Dialog nicht mehr entziehen und auch nicht mehr entziehen können. Wer den Gesamtfortschritt des KSZE-Prozesses will, kann und darf die Menschenrechtsfragen nicht aussparen. Das im April dieses Jahres bevorstehende Treffen in Bern wird dem Thema der menschlichen Kontakte gewidmet sein, das gerade uns Deutschen besonders am Herzen liegt. ({15}) Wir anerkennen, daß der KSZE-Prozeß die Möglichkeit für persönliche Kontakte zwischen den Menschen in Ost und West gefördert hat. Der ReiBundesminister Genscher severkehr in beiden Richtungen hat zugenommen. Die Möglichkeiten für Verwandtenbesuche sind verbessert worden. Dennoch bleibt die Praxis in einer Reihe von Teilnehmerstaaten noch deutlich hinter den Verpflichtungen zurück, die sie in Helsinki, in Madrid übernommen haben. Die Genehmigung von Ausreisen aus der Sowjetunion hat einen beklagenswerten Tiefstand erreicht. Auch müssen wir vermehrte Versuche feststellen, ganze Gruppen der Bevölkerung vom Kontakt über die Grenzen hinweg auszuschließen. Wir fordern daher weitere spürbare Verbesserungen insbesondere hinsichtlich des Rechts auf Freizügigkeit. ({16}) Auf die Schwierigkeiten, die sich auf dem Gebiet der Menschenrechte zwischen West und Ost in Europa ergeben, habe ich in der Erklärung hingewiesen, die ich vor dem Deutschen Bundestag am 27. Juni 1985 zum Menschenrechtstreffen in Ottawa abgegeben habe. Die Deutschen diesseits und jenseits der Trennungslinie durch Europa sind an Verbesserungen für die Menschen besonders interessiert. Für die Bundesregierung kommt es darauf an, durch mehr Freizügigkeit, mehr Kontakt und durch mehr Menschlichkeit über die Grenzen hinweg die Härten der Teilung für die Menschen erträglicher zu machen. Deshalb ist uns vor allem anderen auch daran gelegen, daß die Bemühungen darum ihre Bewegung, ihre Kraft nicht verlieren mögen. Wir nutzen unsere bilateralen Kontakte immer wieder, genauso wie wir das von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses wissen, um menschenrechtliche und humanitäre Anliegen zu verfolgen. Gegenüber den Staaten des Warschauer Paktes bilden dabei die Probleme der dort lebenden Deutschen für uns einen besonderen Schwerpunkt, sei es, daß sie auszureisen wünschen, sei es, daß sie die Erhaltung ihrer kulturellen Identität wünschen. In den Vereinten Nationen sieht die Bundesregierung die Menschenrechte als ein zentrales Feld ihrer Mitarbeit. Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied der Menschenrechtskommission. Sie ist durch hervorragende Experten im Ausschuß zur Verhütung rassischer Diskriminierung und im Menschenrechtsausschuß vertreten, der für die Durchführung des Paktes über bürgerliche und politische Rechte zuständig ist. Wir werden uns um einen Sitz in dem neu geschaffenen Expertengremium für den Pakt über menschliche, soziale und kulturelle Rechte bemühen. Wir haben auf verschiedenen Gebieten Initiativen ergriffen, die die Verletzungen der Menschenrechte eindämmen sollen. Hierzu zählt die inzwischen verabschiedete Konvention gegen Geiselnahme, deren Bedeutung die Vollversammlung noch einmal unterstrichen hat. Wir erwarten, daß die laufenden Expertenberatungen im Rahmen unserer Flüchtlingsinitiative den Zusammenhang zwischen dem Flüchtlingsproblem und Menschenrechtsverletzungen verdeutlichen und daß sie zu entsprechenden Empfehlungen an die Staatengemeinschaft führen. Hier geht es in der Tat darum, wie Sie gesagt haben, Frau Kollegin, die Ursachen für diese Bewegungen zu erkennen, die natürlich immer wieder auch in Menschenrechtsverletzungen liegen oder zu Menschenrechtsverletzungen führen. Wir setzen unsere Bemühungen fort, durch die Verabschiedung eines weiteren Fakultativprotokolls zum Pakt über bürgerliche und politische Rechte die Todesstrafe weltweit weiter einzuschränken und das Recht auf Leben völkerrechtlich fester zu verankern. Wir bemühen uns auch, den Abstimmungsprozeß mit den Bundesländern über die Zeichnung der Folterkonvention zu Ende zu führen. Wir haben an der Ausarbeitung der UN-Folterkonvention, die bisher von 44 Staaten, darunter den meisten unserer westlichen Freunde, gezeichnet worden ist, aktiv mitgewirkt. Meine Damen und Herren, jeder, der hier mit zu entscheiden hat, muß wissen: Diese Folterkonvention ist ein Signal der Hoffnung für viele, die unter Folter leiden oder denen Folter droht. ({17}) Die Menschen in den Folterstaaten warten auf ein internationales Abkommen, das sie schützt. Wir werden uns in den Vereinten Nationen weiter dafür einsetzen, einen Hochkommissar für Menschenrechte zu schaffen und einen Internationalen Menschenrechtsgerichtshof einzurichten, um den konkreten Schutz der Menschenrechte zu fördern. Wir werden einen langen Atem brauchen, um den Widerstand derer zu überwinden, die die Bedeutung der Menschenrechte für das friedliche Zusammenleben der Staaten noch nicht erkannt haben oder die sie nicht sehen wollen. Wir werden uns weiterhin mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln für die Menschenrechte einsetzen. Wir sind uns bewußt, daß dies nur in Zusammenarbeit mit und nicht gegen andere Staaten geschehen kann. Auch wenn diese rationale Einsicht angesichts der Schwere und Vielfalt der Menschenrechtsverletzungen in der Welt häufig bitter ist, jenseits unserer Grenzen können wir die Verwirklichung der Menschenrechte nicht erzwingen. Wir müssen überzeugen. Vor allem dürfen wir das Weltgewissen nicht gleichgültig werden lassen. Das ist eine gemeinsame Verantwortung. Die aktive Menschenrechtspolitik gerade der Bundesrepublik Deutschland hat in zahlreichen Fällen den Menschenrechten Geltung verschafft. Diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen. Wir werden weiterhin beharrlich und nachdrücklich für die Verwirklichung der unveräußerlichen Rechte aller eintreten. Aus eigener geschichtlicher Erfahrung wissen wir, daß zuerst die Grund- und Freiheitsrechte verloren gingen und dann der Frieden. Deshalb ist für uns der Schutz der Menschenrechte Ausdruck sowohl unserer Freiheit wie unserer Friedensverantwortung. Ich danke Ihnen. ({18})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat sich wiederholt mit Einzelbereichen der Menschenrechtspolitik beschäftigt, und es sind auch schon einige Große Anfragen zu Teilbereichen der Menschenrechtspolitik behandelt worden. Dennoch behandeln wir hier heute zum ersten Mal eine Große Anfrage, die sich speziell mit der Menschenrechtspolitik als einem eigenständigen Politikbereich befaßt. Die Bundesregierung hat sich unwahrscheinlich schwergetan und sich übermäßig Zeit zur Beantwortung unserer Großen Anfrage gelassen, der die Union ihre Anfrage nachgeklappt hat. Herr Außenminister, es ist einfach so, daß schon dreimal um Verlängerung gebeten worden war und deshalb die Darstellung der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung dringend angemahnt werden mußte. Da wir die Menschenrechtspolitik hier grundlegend diskutieren wollen, ist es bedauerlich, daß die Bundesregierung zuwenig inhaltlich konkretisiert hat, was Menschenrechte ausmacht und für die Verwirklichung welcher Menschenrechte sie mit welchen Mitteln Menschenrechtspolitik betreibt. Trotz der Aussage, daß die Bundesregierung von der Gleichrangigkeit und Unteilbarkeit der völkerrechtlich anerkannten Menschenrechtskategorien ausgehe, beschäftigt sie sich im wesentlichen mit der Gruppe der bürgerlichen und politischen Menschenrechte. Diese sehr wichtige Gruppe von Menschenrechten, die Freiheit von Furcht schaffen soll, umfaßt das Recht auf Leben, die Freiheit und Sicherheit der Person, den Schutz vor Sklaverei, Folter und Diskriminierung, die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Freizügigkeit, Meinungsäußerungsfreiheit und weitere Rechte. Dieser ersten Generation der Menschenrechte haben bereits die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und dann der UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte die Gruppe der Menschenrechte hinzugefügt, die den Menschen Freiheit von Not bringen soll. Hier geht es um das Recht auf Arbeit, das Recht auf angemessene Arbeitsbedingungen, das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, den Schutz gegen Arbeitslosigkeit, das Streikrecht und andere Rechte. Darüber hinaus hat die internationale Menschenrechtsdiskussion eine Ausweitung auf die dritte Generation von Menschenrechten erfahren, wie das Recht auf Frieden, das Recht auf gesunde Umwelt und das Recht auf Entwicklung, wobei das Recht auf Entwicklung, auf das Individuum bezogen, das Recht auf Befriedigung der Grundbedürfnisse umfaßt. Die Bundesregierung hat es leider versäumt, in ihrer Antwort die wichtigsten Menschenrechtskategorien aufzuschlüsseln. So wird auch nicht deutlich, auf jeweils welchen Wegen mit welchen spezifischen Mitteln sie Politik zur Verwirklichung welcher Menschenrechte betreiben will. Besonders wichtig ist es, von der Gleichrangigkeit der wichtigsten Menschenrechtskategorien nicht nur in Worten, sondern auch in der praktischen Politik auszugehen. Der Mensch braucht zur Wahrung seiner Menschenwürde Freiheit von Not und Furcht. Für den Hungernden stellt der Mangel an den elementarsten Gütern zur Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse eine ebensolche Menschenrechtsverletzung dar wie die direkte Bedrohung seines Leibes und Lebens durch Mittel der Gewalt. Die absolute Armut, wie sie heute von mehr als 800 Millionen Menschen erlebt wird, höhlt den Kerngehalt aller Menschenrechte aus, nämlich das Recht auf Achtung der Menschenwürde, das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit. In vielen Ländern steht die Nichterfüllung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte in einem engen Zusammenhang mit der Mißachtung der politischen und bürgerlichen Rechte. Politische Unterdrückung dient der Aufrechterhaltung der krassen sozialen Ungerechtigkeit. Wir hatten erwartet, daß die Bundesregierung diese Zusammenhänge ebenfalls herausgearbeitet hätte, um dann darzulegen, welche Möglichkeiten sie bilateral und aus der internationalen Völkergemeinschaft heraus sieht, um durch außenpolitische, entwicklungspolitische und humanitäre Maßnahmen zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation beizutragen. Die Verwirklichung der Menschenrechte steht in einem gesellschaftlichen Bezugsfeld. Die Verwirklichung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte ist unter Entwicklungsbedingungen und im Kontext absoluter Armut ungleich schwerer als in den Ländern mit hohem materiellen Lebensstandard. Die Bundesregierung betont in ihren Antworten auf die Großen Anfragen, daß sie es für ihre vom Grundgesetz gebotene Pflicht hält, überall und kontinuierlich für die Verwirklichung der Menschenrechte einzutreten. So weit, so gut. Dazu gehöre auch, daß die Bundesrepublik Deutschland im Innern durch Freiheit, Toleranz und Gerechtigkeit einen Standard setzt, auf den sie gegenüber dritten Staaten als überzeugendes Beispiel hinweisen kann. Der demokratische und soziale Rechtsstaat mit umfassender Respektierung von Menschenwürde und Menschenrechten muß vorbildlich ausgestattet sein; so schreibt die Bundesregierung. Wer nun bedenkt, daß bereits in den internationalen Pakten auch das Recht auf Arbeit, das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit enthalten ist, der Schutz vor Arbeitslosigkeit, erkennt deutlich, daß die Vorbildfunktion bei der hohen Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik und bei den sozialen Problemen, die sich bei uns stellen, nicht wahrgenommen werden kann. ({0}) Auch in anderen Bereichen gibt es Schnittstellen zwischen der internationalen Menschenrechtspolitik und der Politik innerhalb der Bundesrepublik. Da sind die Asylpolitik und die Asylpraxis. Es reicht nicht aus, in den schriftlichen Darlegungen zu sagen, daß monatlich 2 000 verzweifelte Vietnamesen zur Flucht gezwungen werden, wenn keine Antwort darauf gegeben wird, in welchem Umfang die Bundesregierung bereit ist, solche Flüchtlinge - Bootsflüchtlinge - als Kontingentsflüchtlinge bei uns aufzunehmen. ({1}) Die Bundesregierung stellt sich auch immer so dar, als ob sie wirklich eine aktive Vorreiterrolle zur Weiterentwicklung des internationalen Menschenrechtsinstrumentariums wahrnähme. So appelliert sie an alle anderen Staaten, die noch außerhalb der Pakte stehen, die sie bereits gezeichnet hat, sie möchten doch bitte diese Pakte unterzeichnen. Es ist hier bereits mehrmals darauf hingewiesen worden, daß es eine ganze Reihe von Pakten gibt, die seit Jahren hängig sind, die von der Bundesregierung nicht gezeichnet worden sind. Es sind vier Pakte, die noch zur Zeichnung oder Ratifizierung anstehen. Die Bundesregierung hat immer noch nicht dem Entwurf für die Europäische Antifolterkonvention zugestimmt. Die Bundesregierung hat noch nicht die UN-Konvention gegen Folter gezeichnet. Die Bundesregierung hat noch nicht das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte gezeichnet. Gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert ist das Sechste Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention zur Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten. Wir werden uns aus diesem Haus heraus ernsthaft überlegen müssen, wenn die Bundesregierung diese Projekte weiterhin so zögerlich behandelt, ob es nicht neben der Aufforderung Wege gibt, dort, wo bereits gezeichnet ist, die Ratifizierungsgesetze in Gang zu bringen, damit auf diesem Sektor gehandelt wird. ({2}) Es reicht einfach nicht aus, in den schriftlichen Darlegungen zu sagen: Es gibt eine Reihe schwieriger rechtlicher und politischer Fragen, die dort aufgeworfen werden. Ihre Aufgabe ist es, diese rechtlichen und politischen Schwierigkeiten zu überwinden, damit endlich die Ratifizierung erfolgen kann und die angestrebte Vorbildfunktion international wahrgenommen werden kann.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0})?

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bindig, vorausschickend, daß ich Ihren Wunsch nach einer Ratifizierung und Unterzeichnung des Fakultativprotokolls unterstütze, möchte ich Sie dennoch fragen: Sind Sie nicht bereit anzuerkennen, daß es in der Tat schwerwiegende Bedenken gibt, die nicht aus formalen und reinen Rechtsgründen, sondern deswegen erhoben werden, damit Menschen keine Rechtsnachteile durch Konkurrenzverhältnisse zwischen zwei Pakten erleiden, und daß sich, solange diese schwerwiegenden Fragen nicht geklärt sind, die Bundesregierung bisher nicht in der Lage sah - übrigens auch nicht die von Ihnen getragene -, dieses Fakultativprotokoll zu unterzeichnen?

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine gewisse Konkurrenzsituation muß nicht zu Rechtsnachteilen führen. Es zeigt sich ja, daß die anderen westlichen Industrienationen diese Bedenken haben ausräumen können und eher eine Addition von Vorteilen darin sehen, wenn die beiden Pakte zusammenwirkend zum Schutze der Menschenrechte eingesetzt werden. In einigen Punkten der Antworten auf die Großen Anfragen gibt es auch eine leichte Tendenz zur Einäugigkeit und zur Beschönigung der Situation in einigen Ländern, obwohl sich die Bundesregierung um eine gewisse Ausgewogenheit bemüht. So haben wir gefragt: Wie sieht die Situation in Chile aus? Diese Frage ist übergangen worden; sie ist überhaupt nicht beantwortet worden. Zu Südafrika sagt die Bundesregierung, daß sie gegen die Apartheidpolitik ist. Sie scheut sich aber, diesen Rassismus in klaren und deutlichen Worten als Rassismus zu bezeichnen. ({0}) Eine Beschönigung gibt es im Zusammenhang mit Guatemala, Honduras und der Türkei, wo sie tendenziell eine Verbesserung sieht. Hier geht es immer darum, die Wunden, die noch bestehen, ganz klar aufzuzeigen: in der Türkei die Mißachtung der Menschenrechte insbesondere für die kurdische Minderheit, in Guatemala die katastrophalen Menschenrechtsverletzungen, die es dort noch immer gibt. ({1}) Auffallend ist auch, daß aus irgendwelchen Gründen - weil wohl keine Einigung zwischen den beteiligten Ministerien zu erreichen war - die schwierige Problematik El Salvador und Nicaragua gleich ganz weggelassen worden ist. Ein Defizit gibt es in der Beantwortung auch dort, wo die Menschenrechtspolitik mit anderen Politikbereichen verzahnt werden muß. So wäre es erforderlich gewesen, daß etwas zur Waffenexportpolitik gesagt worden wäre. Waffenexporte stehen immer auch in der Problematik der Menschenrechte; denn in vielen internationalen Konflikten sind Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland aufgetaucht. Eine restriktive Handhabung der Waffenexportpolitik ist damit auch ein Beitrag zur Menschenrechtspolitik, ({2}) und eine solche Aussage hätten wir gern von der Bundesregierung gehabt. Die Bundesregierung schildert kurz die Schwierigkeiten, die sich bei der Verzahnung zwischen der Außenpolitik und der Menschenrechtspolitik ergeben. Sicherlich ist es für den einzelnen Botschafter vor Ort sehr schwer, für die Menschenrechte einzutreten und gleichzeitig die Kontakte zur Regierung des Gastlandes zu pflegen. Aber gerade weil dies schwierig ist, hatten wir erwartet, daß uns die Bundesregierung plastisch darlegt, wie sie diesen Konflikt auflöst und sicherstellt, daß die diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik die Menschenrechtsverletzungen stets und beharrlich in den Ländern vortragen, in denen es zu Menschenrechtsverletzungen kommt. ({3}) Aufgefallen ist mir, daß hinsichtlich der Weiterentwicklung des internationalen Instrumentariums im Menschenrechtsbereich, nämlich bei der Schaffung eines internationalen Hochkommissars für Menschenrechte und bei der Schaffung eines Internationalen Menschenrechtsgerichtshofs, der Herr Außenminister wiederholt auf UN-Konferenzen oder zum Tag der Menschenrechte gefordert hat, daß diese Einrichtungen geschaffen werden sollen; in den schriftlichen Antworten ist zu diesem Thema allerdings eine Nullmeinung enthalten. Hier steht nämlich nur ganz allgemein: Die Schaffung eines Internationalen Menschenrechtsgerichtshofs - ähnlich ist es bei dem Hohen Kommissar für Menschenrechtsfragen ist als langfristige Aufgabe der Vereinten Nationen zu sehen. Neue menschenrechtliche Kontrollorgane stoßen bei vielen Mitgliedstaaten auf Skepsis oder Ablehnung. Ist denn nun die gesamte Bundesregierung für diese neuen Instrumente zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes, oder ist dies eine Meinung, die nur vom Außenminister vertreten wird? In der praktischen Arbeit der Menschenrechtspolitik haben wir folgende Erfahrung gemacht: Immer wieder wenden sich Bürger an den Deutschen Bundestag und weisen auf Einzelfälle von Menschenrechtsverletzungen hin oder bitten um die Weiterentwicklung des menschenrechtlichen Instrumentariums. Da fehlt hier beim Bundestag ein wirklicher Adressat. Diese Bürger wollen sich gar nicht unbedingt an einzelne Parteien oder Fraktionen wenden, sondern wollen, daß der Bundestag diese Anliegen aufnimmt. Deshalb enthält unser Entschließungsantrag die Anregung, daß sich der Bundestag intensiver als bisher mit Fragen der Menschenrechte beschäftigen möge. Mindestens zweimal in jeder Legislaturperiode soll er ausführlich über die Menschenrechtslage in der Welt debattieren. Wir regen auch an, die Bildung eines Bundestagsausschusses für Fragen der Menschenrechte zu prüfen, der sich mit Grundsatzfragen der Menschenrechtsproblematik sowie mit Einzelfällen, die an ihn herangetragen werden, beschäftigt. Dies könnte eine Ergänzung und Unterstützung der Menschenrechtsarbeit der Bundesrepublik Deutschland und auch der Bundesregierung sein. ({4}) Hier bestünde eine Möglichkeit, Erklärungen abzugeben, es bestünde die Möglichkeit, sich an andere Parlamente zu wenden, wie die Regierung sich an andere Regierungen wendet, und wir könnten damit den Einsatz des Bundestages für die Menschenrechte intensiver und glaubwürdiger gestalten. ({5}) Ziel der Menschenrechtspolitik ist nicht nur die Darstellung von Menschenrechtsverletzungen, sondern Ziel aller Menschenrechtspolitik ist es, tatsächlich einen Beitrag zur Verwirklichung der Menschenrechte zu leisten. Ich glaube, in dieser Frage sind wir uns hier im wesentlichen einig. Die Opfer, die Namenlosen, die unter Folter oder unter Hunger leiden, verstehen es nicht, wenn sich Politiker untereinander über Menschenrechte streiten; sie wollen, daß alle gemeinsam daran arbeiten, daß die Menschenrechte auf der Welt verwirklicht werden. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gleich das letzte Wort des Kollegen Bindig aufgreifen: Ich glaube, diese Debatte ist ein gutes Beispiel dafür, Herr Kollege Vogel, daß wir uns nicht über Fragen der Menschenrechte streiten, sondern daß sich die großen und klassischen Fraktionen dieses Hauses in den Grundfragen einig sind. Sicher wird es immer verschiedene Nuancen geben, aber das Entscheidende ist: Wir treten für die Menschenrechte ein, wo immer und von wem immer in aller Welt sie verletzt werden. Nur, als frei gewählte deutsche Abgeordnete haben wir natürlich eine besondere Verantwortung insbesondere für jene Deutschen, die seit Jahrzehnten nicht die Möglichkeit haben, frei zu wählen und frei ihre Meinung zu sagen. ({0}) Deswegen haben wir - und ich wiederhole das im Namen von CDU und CSU - die Bundesregierung auch aufgefordert, diesem Hohen Hause einen Bericht, wenn möglich, einen wiederkehrenden Bericht, über die Menschenrechte der Deutschen zu übermitteln, und ich freue mich, wenn ich höre, daß in der Bundesregierung eine Einigung dahin gehend herbeigeführt wird, daß ein solcher Bericht unter Federführung der Bundesregierung von einer Gruppe von Experten gegeben und jährlich erstattet werden soll. ({1}) Gerade angesichts der Tatsache, daß wir in diesem Jahr zwei KSZE-Konferenzen haben, erst in Bern und im Herbst dann wieder in Wien, wobei wir Deutschen besonders betroffen sind, hoffen wir, daß bis dahin ein erster Bericht vorliegen kann. Wir wenden uns weltweit gegen eine Diskriminierung auf Grund von Rasse oder Religion. Dies gibt es nicht nur in der Republik Südafrika, wohin sogar nach wie vor viele Schwarzafrikaner illegal einwandern, sondern es gibt auch - um nur einige wenige Beispiele gerade aus Schwarzafrika zu nennen - Verfolgungen etwa von Matabeles in Simbabwe, Verfolgungen von Christen in Mosambik oder die Vertreibung von Eritreern aus Äthiopien in den Sudan. Bei Vertreibung und Verlust der Heimat sollten wir Deutschen besonders hellhörig sein. 15 Millionen Flüchtlinge nennt der UN-Bericht, und etwa 90% davon kommen aus kommunistischen Staaten. ({2}) Zu Recht hat der amerikanische Präsident Ronald Reagan vor einem Jahr zum Tag der Menschenrechte erklärt, daß die Ursachen der Spannungen auf der Welt sehr weitgehend auf der Verweigerung von Menschenrechten beruhen. ({3}) Auch die regionalen Konflikte in der Welt sind mit Menschenrechtsverletzungen gekoppelt: in Kambodscha mit seinem Flüchtlingselend an der thailändischen Grenze, der sowjetische Völkermord in Afghanistan. 5 Millionen Flüchtlinge, Spielzeugbomben und bestialische Foltermethoden weist der Menschenrechtsbericht von Prof. Ermacora von den Vereinten Nationen nach. Auch im Bürgerkrieg von Angola gibt es Flüchtlinge und menschliches Leid und in Nicaragua eine Verstärkung des sowjetischkubanischen Drucks, eine Verfolgung der katholischen Kirche, der Opposition und der MesquitoIndianer. ({4}) In unserer Großen Anfrage nimmt die Verletzung von Menschenrechten von Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang nicht den Platz ein, den wir ihr selbstverständlich zumessen, weil wir eben absichtlich die Dokumentation über Menschenrechtsverletzungen an Deutschen fordern und bei dieser Gelegenheit diese Frage noch gesondert diskutieren wollen. ({5}) In der Sowjetunion, in der sich in diesen Tagen die Verbannung des Friedensnobelpreisträgers Sacharow zum sechsten Male jährt - wir fordern endlich seine Freilassung -, werden Christen verfolgt, wird Rußlanddeutschen ebenso wie jüdischen Mitbürgern die Ausreise verweigert. In den OderNeiße-Gebieten werden unseren deutschen Mitbürgern die Menschen- und Grundrechte ebenso verweigert wie all denjenigen Polen, die von der polnischen Regierung als politische Gefangene inhaftiert worden sind und denen das in den Madrider KSZE-Bestimmungen festgelegte Recht zur Bildung freier Gewerkschaften nach wie vor vorenthalten wird. In der Tschechoslowakei haben wir Christenverfolgungen. Im kommunistischen Rumänien leiden alle Bürger, insbesondere aber die Siebenbürger Deutschen und die Ungarn, unter den Polizeimaßnahmen des stalinistischen Regimes. Unter der SED-Herrschaft in Mitteldeutschland leiden nach wie vor Tausende von politischen Gefangenen in den Haftanstalten von Bautzen, Cottbus, Hoheneck und Brandenburg. Es ist die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte und Hilferufe von drüben", die sich für sie einsetzt. Dafür danken wir. Die Anzahl der inhaftierten Frauen hat in den letzten Jahren sogar noch zugenommen. Wenn auch dank der Bundesregierung viele Familienzusammenführungen vollzogen werden konnten, so müssen wir doch gerade hier für unsere Landsleute ein entscheidendes Signal für mehr Freizügigkeit fordern. Wenn auch Selbstschußanlagen und Minen verschwunden sind, endlich verschwunden sind, so dauert doch der Schießbefehl an. Die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltung in Salzgitter hat im vergangenen Jahr 2 660 Vorgänge als Gewalttaten registriert. Die Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren um mehr als das Zweieinhalbfache erhöht. Die Tötungshandlungen sind zwar in derselben Zeit zurückgegangen, betragen aber im letzten Jahr immer noch 32 Fälle. Diese Zahlen sind ein Beweis für die Bedeutung der Erfassungsstelle. ({6}) Vor wenigen Tagen haben amerikanische Kongreßabgeordnete in Ost-Berlin den Abriß der Mauer gefordert. Wir danken unseren amerikanischen Kollegen für diesen Vorstoß. Sie haben sich damit zum Sprecher der Hoffnungen, Wünsche und Vorstellungen aller Deutschen gemacht. ({7}) Auch wir fordern: Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl müssen endlich weg! ({8}) Am 14. Dezember vorigen Jahres erklärte der amerikanische Außenminister George Shultz vor der Berliner Presse, das Selbstbestimmungsrecht müsse auch für ganz Deutschland und für Osteuropa gelten. Jalta habe nicht die Teilung Europas zum Ziel gehabt, sondern die Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung. ({9}) Das Recht auf Selbstbestimmung ist auch eines der Prinzipien der KSZE-Schlußakte. Daher fordern wir auch hier die Bundesregierung auf, auf der bevorstehenden KSZE-Nachfolgekonferenz in Wien die Frage des Selbstbestimmungsrechts, dieses Prinzips der KSZE-Schlußakte, für ganz Europa und insbesondere für die Deutschen mit noch mehr Nachdruck einzufordern; ({10}) denn eine wirkliche Entspannung, die diesen Namen verdient, kann und wird es erst geben, wenn die Ursachen der Spannungen beseitigt sind, wenn Menschenrechte und Selbstbestimmungsrecht gewährt werden. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Klose.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wiederhole zunächst, was andere Redner schon vor mir gesagt haben: Der Kampf um die Menschenrechte ist keiner, der je endgültig gewonnen werden könnte. Es ist ein dauernder Kampf. Das sollte uns aber nicht entmutigen, sondern antreiben, zumal es immer auch Erfolge gibt. Der vielleicht wichtigste Erfolg der jüngeren Geschichte liegt darin, daß sich die UdSSR und ihre europäischen Verbündeten, auch die DDR, auf den Dialog über Menschenrechte eingelassen haben, nicht so, wie wir es uns wünschen, aber immerhin. Das ist ein Fortschritt, der durch den Helsinki-Prozeß und durch die zähe Arbeit im Bereich der UNO erzielt worden ist. Dabei ist mir bewußt: Die UdSSR geht von einem anderen Menschenrechtsverständnis aus. Sie betont die kollektiven Menschenrechte, Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit und andere. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, nur dürfen über die Menschenrechte der zweiten und dritten Generation die der ersten Generation nicht vergessen und vernachlässigt werden. ({0}) Menschenrechte, meine Damen und Herren, sind immer auch individuelle Rechte des einzelnen Menschen gegen den rücksichtslos handelnden Staat, gegen die eigene Regierung. ({1}) Das gilt besonders für staatlich dominierte Gesellschaftssysteme, wie sie in den Staaten des real existierenden Kommunismus aufgebaut worden sind. Die individuellen Menschenrechte werden dort nicht in dem gebotenen Umfang geachtet. Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dies ganz offen zu sagen. Und man darf sich von solcher Offenheit auch nicht durch die Unterstellung abbringen lassen, dies schade der Entspannung; denn wenn wir uns unter Menschenrechtsgesichtspunkten kritisch mit der politischen Wirklichkeit der kommunistischen Länder auseinandersetzen, so tun wir das exakt nach ihrem Verständnis von friedlicher Koexistenz, die bekanntlich die ideologische Auseinandersetzung einschließt. Daß es im übrigen bei der Behandlung von Einzelfällen, häufig vor allem im Umgang mit kommunistischen Regierungen, besser ist, im Stillen zu wirken, wissen alle, die sich um solche Fragen aufrichtig kümmern. Von der Zurückhaltung in der Methode auf Zurückhaltung im Tun zu schließen, wäre gewiß falsch. ({2}) Meine Damen und Herren, ein anderes Menschenrechtsverständnis als wir haben auch viele Länder der Dritten Welt. Sie anerkennen überwiegend die individuellen Rechte der Menschen, betonen aber zugleich das Recht auf Entwicklung, mit dem eine neue Weltwirtschaftsordnung eingefordert wird, und das Recht auf Selbstbestimmung. Dabei gibt es eine Tendenz, das Recht auf Entwicklung und Selbstbestimmung mit Vorrang zu versehen. Nicht selten wird das Recht auf Selbstbestimmung mißverstanden als Recht auf Selbstbehauptung eines bestimmten Regimes und mißbraucht zur Rechtfertigung von übelsten Repressionen gegen das eigene Volk. Solche Verunklarung der Begriffe muß zurückgewiesen werden. ({3}) Richtig ist aber, daß in den Ländern der Dritten Welt soziale und ökonomische Rechte eine hohe Priorität haben müssen. Ohne Verbesserung der ökonomischen und sozialen Lage, ohne Veränderung der oligarchischen und ausbeuterischen Strukturen gibt es keine Lösung der gewaltsamen Konflikte, die wir in vielen Regionen der Dritten Welt beobachten. Entwicklungspolitik ist, wie der Kollege Vogel zu Recht betont hat, konkrete Menschenrechtspolitik. Zu bedauern ist, daß die Dritte Welt in vielfältiger Weise durch den globalen Konflikt der Supermächte tangiert wird. Das ist besonders offensichtlich in Lateinamerika und in Afrika. Die Bundesregierung, Herr Außenminister, sollte dem entgegenwirken und den Verdacht vermeiden auch sie betrachte die Länder der Dritten Welt durch die parteiische westöstliche Brille. Ich verweise in diesem Zusammenhang einmal mehr auf die unterschiedliche Behandlung von El Salvador und Nicaragua. Ich sage das gerade auch, weil ich mir vor Ort ein eigenes Urteil zu bilden versucht und dabei gelernt habe, daß Idealisierung und Verteufelung so oder so herum der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Ich füge hinzu: Ländervergleiche in Menschenrechtsfragen halte ich ohnehin für fragwürdig; das gilt insbesondere für quantitative Vergleiche. Quantitativ verglichen ist die Menschenrechtsbilanz für Paraguay besser als etwa für Kolumbien oder Peru, und das obwohl, nein weil Paraguay eine klassische Tyrannei mit landesweit funktionierender Repression ist. Meine Damen und Herren, ich artikuliere daher nicht das Ergebnis eines fragwürdigen Vergleichs, sondern eher ein Gefühl, wenn ich feststelle, daß die problematische Menschenrechtslage Nicaraguas mit der furchtbaren Praxis in El Salvador nicht zu vergleichen ist. Ich möchte einen Einzelpunkt ansprechen. Die Bundesregierung verweigert in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage Auskunft über ihr UNStimmverhalten im Fall Indonesien, genauer OstTimor. In der Antwort auf die Große Anfrage der Koalition vermerkt sie immerhin, daß das vertrauliche Verfahren gegen Indonesien eingestellt worden ist. Die Bundesregierung hat sich, wie ich weiß, dieser Entscheidung nicht widersetzt, sondern sich der Stimme enthalten. Angesichts der gravierenden Menschenrechtsverletzungen in OstTimor ist das zutiefst zu bedauern. Meine Damen und Herren, auf Seite 19 ihrer Antwort auf unsere Anfrage schreibt die Bundesregierung: Die vielfältigen Verantwortlichkeiten der Regierung in der Außenpolitik verlangen sowohl das Eintreten für die Einhaltung der Menschenrechte als auch die Pflege der Beziehungen zu den anderen Staaten unter Achtung ihrer Souveränität. Das ist natürlich sehr allgemein formuliert, aber ich akzeptiere es, weil ich weiß, daß ein realitätsferner Rigorismus nichts bringt und ins Abseits führen kann. Das gilt aber nur für die Handlungsebene. Für die Ebene der Analyse und der Bewertung gilt das Gebot der Wahrhaftigkeit. Wenn außenpolitische Rücksichtnahme schon die Analyse bestimmt, führt das zum Verbiegen der Wahrheit und beeinträchtigt die moralische Qualität der Menschenrechtspolitik. Darf ich in diesem Zusammenhang noch einmal auf Zentralamerika verweisen, ohne Ihnen auf den Nerv zu gehen? Ich kann verstehen, wenn auch nicht billigen, daß die Bundesregierung ihr entwicklungspolitisches Verhalten mit Rücksicht auf die USA differenziert. Wenn sie aber diese Differenzierung menschenrechtlich begründet, dann ist das falsch. ({4}) Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung. Es ist erfreulich, daß das internationale Recht in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg weiterentwickelt worden ist, das heute eine größere Sensibilität für Menschenrechtsfragen zu registrieren ist. Ganz und gar unerfreulich ist es, daß parallel dazu die Neigung zunimmt, Menschenrechtsfragen zu Kampfthemen in ganz anders begründeten politischen Konflikten zu machen. An den Menschenrechtspolitiken der UdSSR - die Kollegin Hoffmann hat ein Zitat gebracht -, aber auch der USA ist das klar erkennbar. Bei beiden dominieren globalstrategische Interessen, von beiden werden Menschenrechtserwägungen diesen Interessen untergeordnet. ({5}) Diese Instrumentalisierung der Menschenrechte, auf die der Kollege Fischer, wie ich finde zu Recht, hingewiesen hat, gefährdet alle Fortschritte und begünstigt die weltweite Heuchelei. Es wäre, meine Damen und Herren, hilfreich, wenn der Deutsche Bundestag zu einer gemeinsamen Anstrengung fände, diesen Trend zu verhindern. Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Zu Recht ist heute vormittag wiederholt der Name des russischen Atomphysikers und Nobelpreisträgers Andrej Sacharow genannt, sein grausames Schicksal erwähnt worden. Aber wir dürfen darüber nicht die Zigtausende, ja, Hunderttausende nicht minder grausamen Fälle all derer vergessen, die nicht in gleicher Weise berühmt sind. Daß allerdings ein anderer Nobelpreisträger wie Lech Walesa in Danzig aus Gründen der politischen Gefälligkeit keinen Besuch erhielt, obwohl dazu die Gelegenheit bestanden hätte, muß mit Verbitterung festgehalten werden. ({0}) Wer für das uneingeschränkte Streikrecht eintritt, sollte demjenigen beitreten und beipflichten, der zum Symbol einer gewaltsam unterdrückten Gewerkschaft geworden ist. ({1}) Wir kennen die Argumentation der Gegenseite seit langem. Wer sich als Demokrat für die Menschenrechte einsetzt - daran hat der Bundesaußenminister vorhin zu Recht erinnert -, muß gewärtigen, daß Diktaturen, die den Menschen die Rechte verweigern, einem den Vorwurf machen, man mische sich in ihre inneren Angelegenheiten ein, man habe die Unverletzlichkeit der Grenzen und des Hoheitsgebietes zu achten. Erst in diesen Tagen hat sich die sowjetische amtliche Agentur Nowosti dagegen verwahrt: Unser Eintreten für die Deutschen in der Sowjetunion sei eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Derartige durchsichtige Schutzbehauptungen dürfen uns nicht stören. Der Kampf um die Menschenrechte - selbstverständlich immer ein Kampf mit friedlichen Mittteln - kennt keine Grenzen und macht vor keiner Mauer, keinem Stacheldraht, keinem Zuchthaus und Konzentrationslager halt. Als Deutsche sind wir in besonderer Weise gefordert, für die Menschenrechte einzutreten, einmal, weil im deutschen Namen Millionen Mitbürgern die Menschenrechte verweigert worden sind. Damals war es der Hochmut einer rassistischen Ideologie. Heute ist es der Hochmut einer messianischen Ideologie. Hatten wir gestern als die Vasallen der Diktatur schweigen müssen, so müssen wir heute als freie Demokraten reden und für die Menschenrechte streiten. ({2}) Zum anderen sind wir nicht nur als Demokraten, sondern gerade als Deutsche aufgerufen, denn es geht um das Schicksal von Millionen Deutschen in Mittel- und Osteuropa. Selbstverständlich haben wir die Gewährung der Menschenrechte überall in der Welt einzuklagen, aber zuerst müssen wir als Deutsche für die Menschenrechte, die unserem eigenen Volk durch die kommunistischen Diktaturen verweigert werden, kämpfen. Wie könnten wir auch sonst die Solidarisierung der Gutwilligen in der Welt erwarten, wenn wir als die am härtesten Betroffenen uns nicht zuerst engagierten? ({3}) Unser unmittelbarer Nachbar, die heutige Volksrepublik Polen, verweigert den Deutschen das Recht, sich als Deutsche zu ihrem Deutschtum zu bekennen. Die Existenz einer deutschen Volksgruppe wird von den kommunistischen Machtha14496 bern - zuletzt erst jetzt wieder vom Staatspräsidenten General Wojciech Jaruzelski - hartnäckig geleugnet. Darüber hinaus wird eine konsequente Polonisierungspolitik betrieben, die so weit geht, daß in menschenunwürdiger Weise noch nicht einmal deutsche Vornamen zugelassen sind, daß dort, wo Hunderttausende von Deutschen leben, Deutsch als Fremdsprache nicht gelehrt werden darf. Daß heute unter all denen, die sich im Grenzdurchgangslager Friedland melden, über 90 % nicht mit einem Aussiedlervisum, sondern als Besucher zu uns kommen und dann hier bleiben, spricht für die widerrechtliche Verweigerung der Freizügigkeit und des Anspruchs auf Familienzusammenführung. Am schwersten sind zur Zeit die Deutschen in der Sowjetunion betroffen. Obwohl nahezu 100 000 von 2 Millionen Sowjetbürgern deutscher Volkszugehörigkeit die Aussiedlung planen, haben im Jahre 1985 nur 460 die Erlaubnis zur Ausreise erhalten. Ein besonders tragischer Fall sei herausgegriffen. Eine Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland hat während eines Besuches in der Sowjetunion als 29jährige Frau 1982 einen Bürger der Sowjetunion deutscher Volkszugehörigkeit geheiratet, in der nur zu verständlichen Erwartung, daß ihr Mann die Erlaubnis zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland erhalten wird. Die Ehe ist jedoch von den sowjetrussischen Behörden annulliert worden mit der Begründung, daß diese Ehe nicht im Heimatort des Ehemannes, in Kasachstan, sondern im Besuchsort bei Verwandten geschlossen worden sei. ({4}) Zwei Eheleute sind nunmehr auf höheres Geheiß wider den eigenen Willen geschieden und warten seit vier Jahren auf die Gnade der Behörde. Ein gröberer Verstoß gegen die KSZE-Schlußakte ist nicht vorstellbar. In Rumänien, wo sich die Regierung an die Zusage hält - was begrüßt wird -, 12 000 bis 14 000 Deutsche im Jahr ausreisen zu lassen, müssen deutscherseits Person für Person nicht nur mit einem hohen Kopfgeld freigekauft werden, sondern darüber hinaus sind, als befände man sich auf einem Sklavenmarkt, in der gleichen Weise mit dem Freikauf Schmiergelder zu zahlen. ({5}) Obwohl auf dem KSZE-Nachfolgetreffen im abschließenden Dokument vom 6. September 1983 ausdrücklich formuliert worden ist, daß der Zugang von Besuchern zu den ausländischen Missionen gewährleistet sein soll - allerdings mit der vielsagenden und einschränkenden Anmerkung: „unter gebührender Berücksichtigung der erforderlichen Sicherheitsbedürfnisse dieser Missionen" -, ist es für die Bürger vieler Staaten des Warschauer Paktes immer noch ein Abenteuer, die Botschaften der Bundesrepublik Deutschland ohne Gefährdung für Leib und Leben zu betreten. ({6}) Mit Blick auf unseren Nachbarn Tschechoslowakei und Litauen sei auch von dieser Stelle noch einmal auf die Verfolgung der Kirche, der Theologen und der Gläubigen verwiesen. Die Kirche - das gilt vor allem auch für die Ukraine - existiert nur im Untergrund. ({7}) Wer sich offen bekennt, wird verfolgt. Hier sei auch an das Schicksal des polnischen Geistlichen Jerzy Popieluszko erinnert. Das kommunistische Regime ließ ihn zum Märtyrer werden. Aber auch das gehört zum Anspruch auf Gewährung der Menschenrechte: daß jedermann alle Informationen erhält, die durch Rundfunk, Fernsehen und die gedruckten Medien verbreitet werden. Obwohl im Korb III der KSZE-Schlußakte von 1975 ausdrücklich der freie Fluß von Informationen beschlossen worden ist, sind Millionen Menschen im gesamten Ostblock von diesem freien Fluß der Informationen ausgeschlossen. Um hier nur die Deutsche Welle und den Deutschlandfunk zu nennen: Sendungen in Russisch und Bulgarisch, in Tschechisch und Slowakisch, in Paschtu und Dari, den beiden in Afghanistan gesprochenen Sprachen, werden systematisch gestört. Anderen Stationen der freien Demokratien ergeht es leider genauso. Darum muß immer wieder an den freien Fluß von Informationen erinnert und die sofortige Demontage der Störsender angemahnt werden. Aber wäre es vielleicht nicht doch besser, dieses nicht auf öffentlichem Markt zu erörtern? Denn wer das tue - so hört man -, gefährde die Beziehungen zwischen West und Ost. Hier soll mit dem früheren Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Professor Dr. Herbert Weichmann geantwortet werden. Ich zitiere aus seiner Rede vom 17. Juni 1982 im Deutschen Bundestag - damit will ich meine Rede auch schließen -: Können wir das im Westen vorherrschende Rechtsprinzip so weit relativieren, daß es für das östliche Machtprinzip nicht mehr als Störfaktor vorhanden ist? Ich glaube, dies ist nicht möglich, weil damit das Rechtsprinzip generell in Frage gestellt wird. Damit wird auch zugleich die Hoffnung der Menschen im östlichen Einflußbereich dauerhaft zerstört, daß es eine bessere Welt für sie mit garantierten Menschenrechten geben kann und könnte. Darum reden wir heute hier für die Menschenrechte. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst noch eine Anmerkung zu den Einlassungen der Kollegen von der SPD machen. Wir begrüßen die Sachlichkeit, mit der diese Menschenrechtsdebatte heute abgewickelt worden ist. Es ist um so schmerzlicher, daß die Kollegen von der SPD denJäger ({0}) noch glaubten, auf einige Seitenhiebe nicht verzichten zu sollen. Herr Kollege Bindig, Sie haben beanstandet, daß in der Antwort der Bundesregierung z. B. die Situation in Chile nicht erwähnt wird. Aber Sie selektieren in Ihrer Großen Anfrage ja leider selber. Sie fragen z. B. nach Chile und Guatemala, aber Sie fragen nicht nach Nicaragua oder Kuba in Lateinamerika. Sie fragen nach Südafrika und Zaire, aber Sie fragen nicht nach Libyen oder nach Simbabwe, wo ebenfalls schwere und schwerste Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Ich meine daher, hier sollte man nicht mit Polemik kommen, wenn man selber von Einseitigkeit und Einäugigkeit nicht frei ist. ({1}) Gefreut habe ich mich über den positiven Wandel des Kollegen Klose, der noch im Juni letzten Jahres glaubte, von diesem Pult aus sagen zu müssen, daß die Menschenrechte in erster Linie zum Prügel für die Ost-West-Auseinandersetzung gemacht würden, während Sie heute erfreulicherweise sagten, daß man ohne Rücksicht auf den Einwand von der Gefährdung der Entspannung die Dinge klar beim Namen nennen müsse, wobei Sie das durch die Gleichsetzung der Menschenrechtspolitik der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion bedauerlicherweise wieder relativiert haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Neumann?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Volker Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001598, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie bitte vollständig zitieren: daß wir auch nach der Menschenrechtssituation in Afghanistan, in der Sowjetunion und in Vietnam gefragt haben?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Neumann, das habe ich überhaupt nicht bestritten. Ich habe mich auf die unterschiedlichen Erwähnungen bestimmter Länder in Lateinamerika bezogen. ({0}) Genau hier machen Sie Unterschiede. Diese Unterschiede zeigen genau jene Einäugigkeit, ({1}) die ihr Fraktionsvorsitzender in seiner Einleitungsrede bestritten hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klose?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bedauere. Meine Redezeit ist nicht mehr lange. Ich muß noch zu dem Thema kommen, mit dem ich mich -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie wissen, daß die Redezeit unterbrochen werden kann, wenn Sie es wollen.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie das nicht anrechnen, Herr Präsident, bitte schön, Herr Kollege Klose!

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß ich bei meiner Kritik an der Menschenrechtspolitik der USA fast wörtlich die Menschenrechtsorganisation in den USA zitiert habe?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Klose, natürlich ist mir aufgefallen, daß Sie die Regierung gemeint haben. Aber genau diese Regierung war es doch, die sich in Ottawa leidenschaftlich für die Menschenrechte gerade der Deutschen z. B. in Rußland eingesetzt hat. ({0}) Das sollte man einmal offen anerkennen, auch wenn man ein Abgeordneter der SPD ist. Meine Damen und Herren, zu einem der wichtigsten Instrumente bei der Durchsetzung von Menschenrechten hat sich im Laufe der letzten Jahre der KSZE-Prozeß entwickelt. Seine menschenrechtlichen Akzente sind vor allem seit der abschließenden Erklärung von Madrid fortlaufend verstärkt worden. Mit Recht weist die Bundesregierung darauf hin, daß in Ottawa erstmals ein ausschließlich auf Menschenrechtsfragen konzentriertes Treffen stattgefunden hat. Seinen harten Diskussionen zur Sache haben sich auch die Vertreter der Ostblockstaaten gestellt und stellen müssen. Sie haben mit der These, daß Erörterungen über Menschenrechtsverletzungen in ihren Staaten eine völkerrechtswidrige Einmischung seien, vor der Weltöffentlichkeit stillschweigend Schluß machen müssen. Das ist ein Erfolg der zähen Verhandlungen der westlichen Regierungen, auch ein Erfolg der Politik dieser Bundesregierung. Nach Ottowa folgt im April Bern, wo es unter dem Stichwort menschliche Kontakte vor allem um die Durchsetzung von mehr Reisefreiheit - einem der wichtigsten Menschenrechte - geht. Auf Bern folgt im November das nächste allgemeine Folgetreffen in Wien. Meine Fraktion hat mit Befriedigung davon Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung auch bei diesem Folgetreffen die Behandlung der Menschenrechte zu einem besonderen Schwerpunkt machen möchte. Ein wichtiges Thema muß in Wien der Schutz von Menschen- und Bürgerrechtlern, von Helsinki-Gruppen und anderen Vereinigungen zur Durchsetzung von Menschenrechten sein. Es sind konkrete Abmachungen anzustreben, um diese Menschen, die sich auch für unsere Freiheit aufopfern, vor willkürlichen staatlichen Übergriffen und vor Verfolgungen zu schützen, wie wir sie in der UdSSR, in Polen, in der Tschechoslowakei und in anderen kommunistisch regierten Staaten leider massiv und erbarmungslos praktiziert sehen. Vor allem die sowjetische Führung, die sich zur Zeit als Vorkämpferin des Weltfriedens aufspielt, während sie in Afghanistan einen brutalen Unterdrückungs- und Ausrottungskrieg führt, ({1}) Jäger ({2}) muß ihre Friedensliebe endlich durch mehr Achtung vor den Menschenrechten im eigenen Land und anderswo unter Beweis stellen. ({3}) Es führt kein Weg daran vorbei: Frieden und Achtung der Menschenrechte sind und bleiben untrennbar miteinander verbunden. In seinen - zweifellos gekonnten - Auftritten vor den westlichen Medien gibt sich der sowjetische Parteichef Gorbatschow ja als überzeugter Vertreter freiheitlicher Gesittung und eines fairen Umgangs der Staaten miteinander. Dieses Verhalten, meine Damen und Herren, kann er glaubhaft machen, wenn er endlich Anweisung an seine Behörden gibt, die Abreden von Helsinki und Madrid nach Geist und Buchstaben zu respektieren und zu erfüllen. Herr Gorbatschow, wir fordern Sie auf: Lassen Sie Sacharow, lassen Sie Orlow und Schtscharanski frei! Öffnen Sie die Kerker der Menschen- und Bürgerrechtler, lassen Sie die Deutschen und die Juden aus der Sowjetunion ziehen, die vom Recht auf Auswanderung Gebrauch machen wollen! Damit können Sie einen überzeugenden Beitrag zum Weltfrieden leisten. Die Bundesregierung, der wir dabei unsere volle Unterstützung zusagen, bitten wir, unermüdlich und beharrlich ihren Kampf für die Menschenrechte und für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker fortzuführen. Wenn wir von Menschenrechten und vom Selbstbestimmungsrecht sprechen, dann denken wir in erster Linie natürlich an das Selbstbestimmungsrecht unseres eigenen deutschen Volkes, das nach so vielen Jahren der Teilung und der Unterdrückung ein Recht hat, in Freiheit wieder zusammenzuleben. Vielen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Entschließungsanträgen des Abgeordneten Fischer ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4719 und 10/4720. Es ist beantragt, diese Entschließungsanträge zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und an den Rechtsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 29. Januar 1986, 13 Uhr ein und wünsche ein angenehmes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.