Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/23/1986

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Nach § 20 Abs. 5 der Geschäftsordnung setze ich die Tagesordnung mit den Punkten fest, die in der letzten Sitzung, in der 190. Sitzung, des Deutschen Bundestages beschlossen waren, d. h. daß wir die Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zum Atomtestverbot der letzten Sitzung fortsetzen. Für die Fortsetzung dieser Aktuellen Stunde stehen noch 35 Minuten zur Verfügung. Nach § 20 Abs. 5 der Geschäftsordnung kann der Zeitpunkt für die Wiederholung der erfolglosen Abstimmung vom Präsidenten festgelegt werden. Ich halte das nicht für erforderlich, da sich der Antrag der Fraktion der SPD auf Herbeizitierung des Bundesministers der Verteidigung durch dessen Anwesenheit erledigt hat. ({0}) Wir fahren mit der Aussprache in der Aktuellen Stunde fort. Ich erteile das Wort dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herrn Möllemann.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gleich zu Beginn meines Beitrags zum Thema der Aktuellen Stunde für die Bundesregierung feststellen, daß die Bundesregierung an ihrer Position in der Sache festhält. Ein umfassender nuklearer Teststopp ist und bleibt ein Ziel, dem wir im Rahmen der Rüstungskontrollverhandlungen grundsätzliche Bedeutung beimessen. Wir haben immer wieder unterstrichen, daß ein nuklearer Teststopp im Zusammenhang mit Art. VI des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von 1968 zu sehen ist, der den Atommächten vorschreibt, Verhandlungen über die Einstellung des nuklearen Wettrüstens und zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle zu führen. Die Genfer Abrüstungskonferenz hat die Erörterung eines umfassenden Teststoppabkommens seit Jahren zu einer ihrer zentralen Aufgaben gemacht. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung, haben uns mit zahlreichen Beiträgen aktiv an diesen Arbeiten beteiligt. Im August des vergangenen Jahres haben wir eine wissenschaftliche Studie zum schrittweisen Aufbau eines seismologischen Systems zur Beobachtung und Überprüfung eines Teststoppvertrages in die Genfer Abrüstungskonferenz eingebracht. Dieser Beitrag, der unter maßgeblicher Beteiligung von Wissenschaftlern der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft zustande kam, zielt darauf ab, ein Verifikationssystem zu entwerfen, das bereits in der Vorvertragsphase eines Teststopps eingerichtet werden könnte. In seiner endgültigen Form wäre das System als Vertragselement für ein Teststoppabkommen besonders geeignet. Wir werden dieses Projekt in der kommenden Frühjahrssitzung der Genfer Abrüstungskonferenz weiter betreiben; denn - darüber gab es bislang zwischen allen Fraktionen dieses Hauses, jedenfalls den Sozialdemokraten, den Christdemokraten und den Freien Demokraten, ebenfalls einen Konsens - einen Teststopp ohne Verifikationsvereinbarungen wird es nicht geben. Wir haben das Verifikations-, das Überprüfungsthema angesprochen, weil wir als Nicht-Kernwaffenstaat, dessen Sicherheit entscheidend vom Nuklearschirm der USA abhängt, darauf bestehen müssen, daß ein umfassender nuklearer Teststopp wegen seiner militärischen und sicherheitspolitischen Bedeutung verläßlich überprüfbar ist. Es ist für uns eine Genugtuung, daß der Gedanke der Überprüfbarkeit rüstungskontrollpolitischer Verträge jetzt über die westlichen Staaten hinaus Schule zu machen scheint. Ende Oktober des letzten Jahres haben sechs Staats- und Regierungschefs aus vier Kontinenten an Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow appelliert, sich um Fortschritte im Abrüstungsbereich zu bemühen, und dabei ausdrücklich auf die Problematik der Überprüfbarkeit eines umfassenden Nuklearteststopps hingewiesen. Sie haben in diesem Zusammenhang ihre guten Dienste zur Schaffung wirksamer Kontrollmaßnahmen angeboten und seismische Verifikationsmechanismen auf dem Territo14386 rium ihrer Länder vorgeschlagen. Das kommt unseren Überlegungen und Vorschlägen entgegen. ({0}) Auch die Sowjetunion hat kürzlich die Möglichkeit einer Bewegung im Überprüfungsbereich angedeutet. Wir hoffen, daß sich daraus weitere Impulse ergeben. Ein umfassender nuklearer Teststopp, meine Kolleginnen und Kollegen, reicht in den hochsensitiven Bereich der nuklearen Rüstungskontrolle hinein. Solche Entwicklungen müssen deshalb für uns berechenbar sein. Es besteht damit ein enger Zusammenhang zwischen einem umfassenden Teststopp und rüstungskontrollpolitischen Maßnahmen, die einen ausgewogenen Abbau nuklearer Arsenale zum Gegenstand haben. Diesen Zusammenhang, der in einigen Beiträgen heute morgen offenbar als etwas Besonderes empfunden worden ist, sieht offenbar auch die Sowjetunion, wie sich den Vorschlägen von Generalsekretär Gorbatschow vom 15. Januar 1986 entnehmen läßt. Ich wiederhole: Auch Generalsekretär Gorbatschow spricht vom Zusammenhang zwischen Reduzierungen der nuklearen Waffen und einem Teststopp. Offen und noch zu lösen ist die Frage, von welcher Phase einer Reduzierung an ein umfassender Teststopp stabilisierende Wirkungen entfalten kann. Wir erwarten von den beiden Weltmächten, daß sie im Rahmen ihres Rüstungskontrolldialogs auch dieser Frage die ihr gebührende Aufmerksamkeit widmen. ({1}) - Herr Lange, Sie sagen, das sei Ihnen zu kompliziert. Das kann sein. Dafür kann ich aber nichts, und Sachverhalte, die für Sie zu kompliziert sind, können deshalb nicht mit simplifizierenden Lösungen bedacht werden. ({2}) - Ich komme auf Sie gleich noch einmal zurück. Auch in dem von mir eingangs erwähnten nuklearen Nichtverbreitungsvertrag geht es nicht nur um einen Teststopp, es geht um den Abbau der nuklearen Rüstung. Die Verbindung von Teststopp und der Abschaffung nuklearer Waffen ist auch in der kürzlichen dritten Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag in Genf, an der ich teilgenommen habe, von allen Teilnehmerstaaten klar und einvernehmlich erkannt und festgestellt worden. Diese komplexen, sich gegenseitig beeinflussenden Prozesse müssen wir uns klar vor Augen halten. Auch der Bundeskanzler hat auf diesen Zusammenhang in seiner Erklärung vor der Bundespressekonferenz am 9. Januar 1986 verwiesen. Ich möchte das hier zitieren, weil damit die Position der Bundesregierung sehr präzise und eindeutig umrissen wird. Er erklärte: Ich begrüße ausdrücklich den jetzt in Gang gekommenen Dialog zwischen dem amerikanischen Präsidenten und Generalsekretär Gorbatschow zur Frage der Begrenzung und Einstellung der Nukleartests und deren Verifikation. Sowohl die Bundesregierung als auch die USAdministration - so der Bundeskanzler weiter haben seit langem ihr grundsätzliches Interesse an einem umfassenden Teststopp bekundet. Bisher bestehende Hindernisse in diesem Bereich können infolge des technologischen Fortschritts bei den Verifikationsmöglichkeiten sowie - und ich verweise hier auf die Äußerung von Generalsekretär Gorbatschow - durch ein sowjetisches Entgegenkommen bei der Verifikation vor Ort überwunden werden. Nach meiner Auffassung - so weiter der Bundeskanzler gibt es jetzt eine Chance für durchaus aussichtsreiche Verhandlungen über eine Begrenzung und zukünftige Einstellung von Nukleartests und deren Verifikation. Ich will dabei aber ausdrücklich feststellen, daß ein Teststopp kein Ersatz für eine substantielle Reduzierung vorhandener Waffenarsenale sein kann. Ich begrüße es, daß der amerikanische Präsident und Generalsekretär Gorbatschow sich auf erste Expertenverhandlungen in dieser Frage bereits in wenigen Wochen im Februar geeinigt haben. Ich verstehe nicht, warum angesichts dieser völlig eindeutigen, klaren Aussage des Bundeskanzlers, der die Richtlinien der Politik ja, denke ich, bestimmt und in dieser Frage klar formuliert hat, diese Debatte überhaupt aufkommen kann. ({3}) Die Bundesregierung tritt daher mit allem Nachdruck für das Ziel einer drastischen Reduzierung aller Kernwaffen ein, die Gegenstand der Genfer Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion sind. Diese Verhandlungen befinden sich in einer intensiven Phase. Konkrete Vorschläge der USA und der Sowjetunion liegen auf dem Tisch. Bei diesen Verhandlungen gibt es berechtigte Hoffnungen auf Fortschritte bei den am 8. Januar 1985 beschlossenen und auf dem Genfer Gipfeltreffen im November 1985 bekräftigten Bemühungen zum Abbau der nuklearen Rüstung und zur Festigung der strategischen Stabilität. Die Bundesregierung wird sich deswegen auch weiterhin bemühen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um in beiden Bereichen - umfassender Teststopp und Abbau der nuklearen Rüstung - konkrete Fortschritte zu erreichen. Nun möchte ich zwei Bemerkungen zu den, wie ich fand, leicht oberflächlichen, auf jeden Fall bei Herrn Lange sehr polemischen Äußerungen von vorhin hinzufügen. ({4}) - Beides, bedauerlicherweise. Kollege Scheer, Sie haben, da Sie das Problem des Teststopps offenkundig aus klar erkennbaren Gründen bei einem einzigen Land festgemacht haben, Gelegenheit, beim nächsten Treffen der sozialistischen Internationale mit einem anderen Staat und dessen Regierung, die der Internationalen angehört, zu sprechen. Da werden Sie wissen, wovon ich rede. ({5}) Da werden Sie die Argumente zu hören bekommen, die Ihre eigene Partei, solange sie an der Regierung war, in dieser Frage vertreten hat. Reden Sie doch mal mit Helmut Schmidt! Zweitens will ich hier feststellen: Herr Lange, man wird es allmählich leid; aber ich empfinde es als schlichte Unverschämtheit, daß Sie hier regelmäßig Unwahrhaftigkeiten verbreiten. Sie haben gesagt, Ziel dieser Bundesregierung sei eine bedingungslose Unterwerfung unter US-Hegemonie. Das ist ein wörtliches Zitat. Daß Sie das Verhältnis zu unserem amerikanischen Partner so definieren, ist Ihr Problem. ({6}) Daß Sie die Haltung der Bundesregierung so charakterisieren, weise ich hier als Unverschämtheit zurück. ({7}) Sie haben hier erklärt - ich zitiere wörtlich -: Die Bundesregierung pocht auf den Ersteinsatz von A-Waffen. Auch dies weise ich als dümmliche Verdrehung zurück. Die Bundesregierung hat zu dem Thema Ersteinsatz erklärt: Sie spricht sich für eine Vereinbarung des Verzichts auf den Ersteinsatz jeder Waffe aus. Ich meine, das ist die weitestgehende Bereitschaftserklärung, die es gibt. Sie sollten mit Ihren polemischen Attacken auf die Regierung aufhören, der Sie sachlich offenbar nichts entgegenzusetzen haben. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berger. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist im neuen Jahr bereits die zweite Aktuelle Stunde zum Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle, in der die Opposition versucht, der Bundesregierung den Vorwurf anzudichten, sie sei eine atomwaffenlüsterne Gruppe, die jeder Abrüstung im Weg stehe. Heute morgen haben wir den untauglichen Versuch des Kollegen Scheer erlebt, dafür Beweise anzuführen. Er sprach von einer drastischen Positionsveränderung, die die Bundesregierung vorgenommen habe. In der vorigen Woche haben wir den Versuch erlebt, hier die Behauptung einzuführen und zu begründen, zur Zeit erfolge die Nachrüstung etwa mit Marschflugkörpern sogar noch früher als nach dem Zeitplan. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition: All diese Versuche werden scheitern. Auch der Versuch, dies heute noch durch das Mätzchen mit der Herbeizitierung eines Ministers für die Öffentlichkeit etwas deutlicher zu machen, hilft Ihnen nicht aus der Beweisnot. ({0}) Wie kommt es denn eigentlich, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Moskau ausgerechnet jetzt die Haltung ändert? ({1}) Die drastische Positionsänderung, von der Sie gesprochen haben, können Sie nicht bei der Bundesregierung, aber sehr wohl bei der Haltung des sowjetischen Generalsekretärs Gorbatschow finden, etwa bei seinen jüngsten Ankündigungen und dem Versuch, Europa und die Welt bis zur Jahrtausendwende atomfrei zu machen. Glauben Sie denn wirklich ernsthaft, daß Ihre Versuche einer Nebenaußenpolitik Moskau zu diesen Schritten veranlaßt hätten? Welche Erfolge hatten Sie denn etwa am Ende Ihrer Regierungszeit? Muß ich Sie darauf hinweisen, daß am Ende Ihrer Regierungszeit der Doppelbeschluß statt Abrüstung und Rüstungskontrolle stand? ({2}) Meine Damen und Herren, Moskau hat die Position nicht geändert, weil Sie etwa auf dem Wege über die Sozialistische Internationale oder anderswo eine Nebenaußenpolitik betreiben, sondern weil Moskau inzwischen nüchterner und rationaler über die eigene Interessenlage nachdenkt. Dort allerdings ist eine Positionsänderung festzustellen. Es gibt Beobachter, die davon sprechen, es sei atemberaubend, in welcher Dramatik der sowjetische Generalsekretär jetzt essentielle Verhandlungspositionen, die bisher Abschlüssen über Rüstungskontrolle und Abrüstung im Wege gestanden hätten, geändert habe. Übrigens, der sowjetische Generalsekretär spricht in seiner Botschaft, die in der „Prawda" veröffentlicht worden ist, von einer „Wende", man höre und staune: von einer „Wende zum Besseren" der internationalen Politik, zu der er beitragen wolle. ({3}) Tatsächlich hat Moskau die Position geändert, etwa dahin gehend, daß Moskau bereit ist, die von Ihnen so verketzerte Null-Lösung bei den INF-, bei den Mittelstreckensystemen zu akzeptieren; daß Moskau bereit ist, zu einer nennenswerten Zurückführung der Anzahl der strategischen Systeme, zu einem „deep cut" beizutragen; daß Moskau nun bereit ist - jedenfalls nach dieser veröffentlichten Botschaft -, Rüstungskontrolle, Abrüstungskontrolle durch Inspektionen vor Ort zuzulassen; daß Moskau in dieser Botschaft - Staatsminister Möllemann hat soeben darauf hingewiesen - seinerseits davon spricht, es handele sich um einen Prozeß, bei dem Testkontrolle, Atomtest-Ban nicht von nennenswerten Abrüstungsschritten und von einer substantiellen Verringerung der Atomwaffen zu trennen sei. Wenn Sie mich fragen, meine Damen und Herren, welche politischen Realitäten zu dieser Positionsveränderung Moskaus beigetragen haben, ({4}) so möchte ich Ihnen zwei nennen: zum einen die Bereitschaft der amerikanischen Administration, im SDI-Forschungsprogramm einen Beitrag dazu zu leisten, daß atomare Angriffswaffen überflüssig werden, und zum anderen, indem Moskau erkannt hat, daß nichts, aber auch nichts mehr außer Entgegenkommen bei den Abrüstungsverhandlungen die Nachrüstung des freien westlichen Bündnisses in Europa anhalten kann. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der FDP, die Diskussion, die wir hier führen, kommt wesentlich daher, daß Sie, Herr Möllemann, für die Bundesregierung sprechen, während Herr Rühl für das Bundesverteidigungsministerium gesprochen hat. Wir sind hellhörig geworden, weil hier steht: Das Bundesverteidigungsministerium - nicht die Bundesregierung - mißt dem Ziel eines umfassenden Teststopps langfristig große Bedeutung bei. Das Wort „langfristig" macht uns deshalb hellhörig, weil der amerikanische Vizepräsident Bush diesen Begriff vor der Genfer Abrüstungskonferenz im Jahre 1984 benutzt hat. Als er gefragt wurde, was denn „langfristig" konkret heiße, hat er - das war nicht nur ironisch unterlegt - gesagt: Nach dem fünften SALT-Vertrag. Wir sind aber auch aus anderen Gründen hellhörig geworden, u. a. deswegen, weil Herr Rühl im Verteidigungsausschuß gesagt hat, eine begrenzte Anzahl von Kernwaffentests bleibe notwendig, solange Nuklearwaffen zur Gewährleistung einer sicheren, verläßlichen und wirksamen Abschreckung, von der die Bewahrung des Friedens abhänge, Mittel unserer Strategie seien. Diese Argumentation schallt uns ständig aus den Vereinigten Staaten entgegen. Dem möchte ich entgegenhalten, daß die USA rund 11 000 strategische Sprengköpfe haben. Nur ein kleiner Teil davon ist notwendig, um eine gesicherte Fähigkeit zu behalten, die Sowjetunion zerstören zu können. Diese Sprengköpfe sind sorgfältig auf Sicherheit, Wirksamkeit und Verläßlichkeit getestet worden. Auch wenn die USA in den nächsten Jahrzehnten keine Sprengköpfe bauten oder testeten, würden sie nach dem Urteil angesehener Fachleute die Fähigkeit zur gesicherten Vernichtung der Sowjetunion bis weit ins 21. Jahrhundert behalten. ({0}) Wenn diese Gewißheit die Sowjetunion nicht abschreckt - welches andere Mittel könnte die Sowjetunion von einem Angriff abschrecken? Auch die rund 9 000 strategischen Sprengköpfe der Sowjetunion sind einem solchen Wirkungsverlust ausgesetzt. Wenn die Waffen beider Seiten einem solchen Prozeß unterworfen sind, dann muß die wechselseitige Abschreckung jedenfalls nicht an Wirksamkeit verlieren, weil sie eben auf beiden Seiten an Wirksamkeit verliert. Darüber hinaus ist ein umfassender Teststopp auch rüstungskontrollpolitisch wirkungsvoll. Wenn die USA - ich gehe davon aus - keine Strategie des ersten Schlages verfolgen, würde abnehmendes Vertrauen in die Wirksamkeit eines ersten Schlages auf beiden Seiten, also auch auf seiten der USA, der Abschreckung zugute kommen und sie stärken. Ich möchte auch auf eine der zählebigsten Legenden zurückkommen, die häufig in der Begründung einer Ablehnung eines Moratoriums eine Rolle spielen. Diese Legende liegt in der Behauptung, daß die Sowjetunion 1961 gleichsam über Nacht ein vereinbartes Testmoratorium gebrochen hat. Da war leider kein Moratorium zu brechen: Im Dezember 1959 hat der damalige Präsident Eisenhower der Sowjetunion formell mitgeteilt, es liege im freien Ermessen der amerikanischen Regierung, die seit 1958 unterbrochenen Tests wieder aufzunehmen. Er versprach lediglich, eine solche Entscheidung der anderen Seite zu notifizieren. Die Sowjetunion hat diese Notifizierung nicht in Aussicht gestellt, sondern sie hat gesagt, wenn ein westlicher Staat Tests aufnehme, sehe sie sich gezwungen, das Moratorium selbst wieder zu unterbrechen. Dies ist geschehen. Im Winter 1960 hat Frankreich eine Testserie unternommen. Die Sowjetunion ist im September 1961 dann selbst wieder dazu übergegangen, Tests aufzunehmen. Aber auch in dieser Zeit, in der Zeit zwischen September 1961 und Juni 1963, der Zeit des Moratoriums des Präsidenten Kennedy, haben die USA doppelt so viele Tests unternommen wie die Sowjetunion. Deswegen ist auch die häufig vorgebrachte Behauptung, die Sowjetunion habe technologische Vorsprünge vor den USA gerade in dieser Testserie erlangt, falsch. Schließlich war es Präsident Kennedy, der dann nach dieser langen Testserie ein Moratorium verkündet hat. Dieses Moratorium war höchst erfolgreich. Nach 55 Tagen hat es einen ersten Durchbruch in der Rüstungskontrollpolitik gegeben. Dies müßte eigentlich der Überlegung Platz geben, daß wir durch ein solches Moratorium, wie es die Sowjetunion angeboten hat, auch sehr schnell zu einem umfassenden Teststoppabkommen kommen können. Denn wir dürfen nicht vergessen: Bei den bilateralen Verhandlungen, die 1980 unterbrochen worden sind - damit möchte ich abschließen -, ging es nur noch um zwei Dinge. Es ging um die Zahl und Ausrüstung der Inspektoren und um die Zahl der nationalen seismologischen Stationen. Ich jedenfalls möchte empfehlen, daß wir dieses Ziel nicht langfristig, sondern kurzfristig verfolgen. Schönen Dank. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Geiger.

Michaela Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000649, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In seiner Neujahrsansprache vor dem diplomatischen Korps hat Generalsekretär Gorbatschow erklärt, daß sein Land bereit sei, auf Kernwaffentests zu verzichten, und er hat die USA aufgerufen, dem guten Beispiel der Sowjetunion zu folgen. Er betonte, daß das Kontrollproblem für ihn nicht zum Stolperstein würde. Sein Land sei bereit, in dieser Hinsicht den radikalsten Schritten zuzustimmen. Das sind in der Tat neue Töne. Selbst wenn man in Betracht zieht, daß sich der Gorbatschow-Vorschlag wieder einmal in erster Linie an die westliche Öffentlichkeit richtet, um dort die gewünschte - und auch nicht verfehlte - Wirkung zu erzielen, so sollte man doch ganz genau überprüfen, welche praktischen Möglichkeiten er bietet, um zu einer ausgewogenen substantiellen Abrüstung zu gelangen. Der Abrüstungsbericht 1985 sagt uns, daß der umfassende nukleare Teststopp eines der ältesten Themen der Rüstungskontrollverhandlungen ist. Trotzdem wurden, soweit bekannt ist, allein im Jahre 1984 55 unterirdische Kernexplosionen gezündet, 28 davon in der Sowjetunion. Die Idee eines Teststopps ist also, wie gesagt, nicht neu. Seit Jahren wird in Genf - leider ohne greifbares Ergebnis - darüber verhandelt. Bundeskanzler Kohl hat den jetzt in Gang gekommenen Dialog zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow zur Frage der Begrenzung und Einstellung der Nukleartests und deren Verifikation am 9. Januar 1986 in der Pressekonferenz, die heute schon ein paarmal zitiert wurde, ausdrücklich begrüßt. Nach seiner Auffassung gibt es jetzt eine Chance für aussichtsreiche Verhandlungen über eine Begrenzung und zukünftige Einstellung von Nukleartests und deren Kontrolle. Das ist eine so eindeutige Haltung, der sich auch die CDU/CSU-Fraktion voll anschließt, daß ich wirklich nicht verstehe, warum wir heute morgen zu dieser angeblich Aktuellen Stunde so früh und so vergeblich herkommen mußten. ({0}) Hinzu kommt, daß Sie, verehrte Kollegen und Kolleginnen von der SPD-Fraktion, zu Ihrer Regierungszeit ganz die gleiche Linie bei diesem Thema vertreten haben, wie die heutige Regierung dies tut. Das hat sich bei Ihnen allerdings gründlich geändert. Heute übernehmen Sie jedes Angebot aus dem Osten nahezu kritiklos ({1}) und beäugen argwöhnisch unsere amerikanischen Verbündeten. Wenn wir einen atomaren Teststopp hätten, dann würde sich das Problem mit den Atomwaffen trotzdem nicht von selbst lösen. Die Verwirklichung eines Teststopps wäre nicht gleichbedeutend mit der Reduzierung der Nuklearwaffen. Deshalb müssen wir auf den Zusammenhang zwischen einem Atomtestverbot und den Zielen der Genfer Verhandlungen immer wieder hinweisen. Ein Teststopp ist kein Ersatz für eine substantielle Reduzierung vorhandener Waffenarsenale. Im ersten Moment wirkt der Gedanke Gorbatschows, alle nuklearen Waffen abzubauen und damit auch SDI überflüssig zu machen, auf den unbefangenen Bürger wirklich bestechend. Aber damit wären die Probleme noch nicht gelöst. Wie sähe es denn mit der Kräfteverteilung in der Welt aus? Im konventionellen Bereich ist uns der Osten weit überlegen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat über den konventionellen Krieg gestern folgendes geschrieben: Vor lauter Starren auf das Unheimliche des Nuklearen vergißt man den gewöhnlichen und allemal schrecklichen Krieg. Der „konventionelle" Krieg ist mit den heutigen Mitteln so fürchterlich, daß den Betroffenen schon nach wenigen Tagen jedes Nachdenken über nukleare Gefahren aus dem Sinn geschlagen würde. Wir treten mit Nachdruck für eine drastische Reduzierung der Kernwaffen ein. Über dieses Thema wird in Genf verhandelt. Bis dieses Ziel erreicht sein wird, bis die Mittelstreckenraketen größerer Reichweite verschrottet sein werden, müssen wir uns weiterhin auf die Strategie der nuklearen Abschreckung verlassen. Diese Abschreckung ist aber nur dann glaubwürdig, wenn sie auch funktionsfähig ist. Wie Bundeskanzler Kohl am 9. Januar gesagt hat, setzen wir in das zweite Gipfeltreffen in Genf große Hoffnungen. Wir wünschen uns Fortschritte bei einem Interimsabkommen über Mittelstreckenwaffen, bei den Verhandlungen über weltweite Abschaffung chemischer Waffen und natürlich auch in der Frage eines atomaren Teststopps als Teil eines umfassenden Bündels von Abrüstungs- und Rüstungskontrollmaßnahmen. Ein Atomtestverbot allein, ohne weitergehende Fortschritte in der Abrüstung, würde unsere Probleme nicht lösen, sondern eventuell verschärfen. Danke schön. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich wollte ich schlicht und einfach mit einer charmanten Bemerkung Ihnen gegenüber beginnen. ({0}) Aber das, was Sie dann ausgeführt haben, bedarf einer klaren politischen Antwort. Wenn Sie von der nahezu kritiklosen Übernahme von Angeboten aus dem Osten durch die Sozialdemokratie sprechen, liebe Frau Kollegin Geiger, dann haben Sie offensichtlich viele Dinge nicht nachvollzogen, die in der politischen Diskussion - nicht nur in der Sozialdemokratie, sondern auch in der politischen Öffentlichkeit - Gegenstand der Erörterung waren. Ich weise dies, obwohl charmant vorgetragen, politisch und inhaltlich zurück. Das zweite ist, daß hier Diskrepanzen entstanden sind, ({1}) die letztlich aus Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung herrühren. Die Aktuelle Stunde hat das Zwielicht, das Herr Rühl zur Frage des umfassenden Teststoppvertrages hineingebracht hat, erst hervorgerufen. ({2}) Dieses Zwielicht ist hier nicht beseitigt worden. Ich sage Ihnen, daß ich eine Distanzierung von diesen Äußerungen erwartet hätte. Ihre Eingangsbemerkungen, Herr Staatsminister Möllemann, haben mich hoffnungsfroh gestimmt. Was aber danach gekommen ist, hat dies wieder völlig in das Zwielicht hineingeraten lassen. ({3}) Ich sage Ihnen jetzt, daß wir aus zwei Gründen ein ganz besonderes Interesse an einem Abschluß eines umfassenden Teststoppvertrages haben müssen und warum wir es eigentlich gerne hätten, daß die Bundesregierung dies nicht durch Vertreter ins Zwielicht geraten läßt: ({4}) Ein solcher Vertrag würde die Abrüstungsbemühungen ein entscheidendes Stück voranbringen. Er würde verhindern, daß der Prozeß des qualitativen Wettrüstens, der zu immer moderneren, kostspieligeren und für den Gegner unberechenbareren Waffen führt, fortgesetzt wird. An diesem Ergebnis hat doch wohl nicht nur die Bundesrepublik, sondern die ganze Welt ein Interesse. Es stimmt, daß damit der Umfang der vorhandenen Waffen noch nicht vermindert wurde. Aber umgekehrt gilt auch, daß Abrüstungsmaßnahmen im nuklearen Bereich, die ohne einen umfassenden Teststopp von Kernwaffen vollzogen werden, die Entwicklung immer neuer Waffen und die darin begründete Gefahr für die Stabilität nicht aufhalten würden. ({5}) Lassen Sie mich gleich - auch der Zeit wegen - den zweiten Grund anfügen, der für uns Sozialdemokraten in dieser Diskussion und auch wegen der Aktuellen Stunde eine entscheidende Bedeutung hat: Es ist das besondere Interesse an der Beendigung der Kernwaffentests. Ein großer Teil dieser Tests gilt der Entwicklung immer kleinerer Nuklearsprengköpfe, wie sie für nukleare Gefechtsfeldwaffen benötigt werden. Der Entwicklungstrend geht dahin, unerwünschte Nebenwirkungen von Atomwaffen zu begrenzen, um ihre Flexibilität für den Einsatz auf dem Gefechtsfeld - darüber haben wir gestern im Verteidigungsausschuß geredet - zu erhöhen. Rein militärisch gesehen gibt diese Entwicklung nur Sinn, wenn man an den begrenzten Atomkrieg glaubt und dafür entsprechende Waffentechnik bereitstellt. ({6}) Deswegen ist das, was Herr Rühl im Verteidigungsausschuß gesagt hat, so gefährlich für die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland und in Mitteleuropa und für uns alle. ({7}) Für die Bundesrepublik - deshalb macht die Aktuelle Stunde auch durch die Begleitumstände, in die sie heute morgen zwangsläufig geraten ist, einen wirklichen Sinn - ist eine Strategie, die einen begrenzten Atomkrieg kalkuliert, unakzeptabel. ({8}) Wir würden, wie wir alle wissen, einen solchen Krieg nicht überleben. Mit ihm die Freiheit und Sicherheit unserer Bürger verteidigen zu wollen wäre eine Illusion. ({9}) Es liegt in der Verantwortung der Bundesregierung - deshalb ziehen wir die Äußerungen von Staatssekretär Rühl in Zweifel -, hier entgegenzusteuern. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen. Sie wissen: In der Aktuellen Stunde sind wir sehr darauf angewiesen, die Redezeit nicht zu verlängern.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Beendigung der Atomtests wäre eine Möglichkeit hierzu. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Das Wort hat Herr Professor Abelein.

Prof. Dr. Manfred Abelein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000001, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal hatte man in dieser Debatte den Eindruck, im amerikanischen Kongreß zu sitzen. ({0}) Man könnte meinen, die demokratische Opposition klage die Regierung einer atomaren Supermacht an, die ständig Atomtests durchführt. - Also: Die Bundesrepublik Deutschland ist keine Atommacht und führt selbst keine Atomtests durch. ({1}) - Ja, das muß man feststellen, sonst geraten die Dinge manchmal durcheinander. Sie meinen - das war die Eröffnungsrede der Opposition -, die Bundesregierung vollziehe eine drastische Positionsänderung im Hinblick auf ihre Haltung zum Stopp atomarer Tests. Allerdings kam dann gleich im Nachsatz dazu, zumindest seien hier jetzt Zweifel angebracht. - Es ist die Aufgabe der Opposition, an der Regierung Zweifel anzubringen. Und Sie müssen auch, wie Ihre Redner sagen, hellhörig sein, wenn sich hier vielleicht irgendwelche entsprechenden Äußerungen ergeben. Und daß die Opposition, wie das die GRÜNEN getan haben, die Ablösung der Bundesregierung fordert, ist natürlich. Sie müssen und sollen die Ablösung der Bundesregierung betreiben. Entscheiden tut darüber allerdings der Wähler. Nun zu dem, was Sie meinen: Geändert hat sich an der Haltung der Bundesregierung überhaupt nichts. ({2}) Die Bundesregierung mißt dem Ziel eines umfassenden Kernwaffenstopps nach wie vor uneingeschränkt, kurzfristig, langfristig und sofort große Bedeutung bei. Das hat sich im übrigen auch heute bei den Äußerungen des Sprechers der Regierung gezeigt. ({3}) - Der spricht für die Bundesregierung. Und man überstrapaziere nicht vielleicht mißverständliche Äußerungen eines beamteten Staatssekretärs. Wir sprechen hier für die Regierungskoalition. Das Wort „langfristig" ist so zu interpretieren, daß man damit nicht nur kurzfristig, nicht nur vorübergehend, sondern dauernd, immer und sofort meint. Daß der Teststopp in Zusammenhang mit der Abrüstung steht, ist eigentlich klar. Das haben auch Sie, als Sie die Möglichkeit hatten, an der Regierung zu sein, immer vertreten. Nur ist ein Teststopp ohne Abrüstung im Grunde nicht mehr sinnvoll. Sie hängen unauflöslich miteinander zusammen; denn wir alle - im Grunde haben wir alle dasselbe Ziel, auch wenn wir über die Wege mitunter debattieren - wollen eine möglichst umfassende Reduktion des atomaren Arsenals auf dieser Welt. Ich fand eine Bemerkung Ihres Schlußredners ganz interessant, in der er darauf hinwies, daß man immer mehr dazu übergehe, bei unterirdischen Versuchen möglichst kleine Einheiten zu erproben. Gerade dort zeigt sich auch, wie wichtig das Kontrollverfahren ist; denn je kleiner die Einheiten sind, die bei den Tests erprobt werden, desto schwieriger sind die durch umfassende externe Prüfungssysteme zu kontrollieren. Aber die Bundesregierung hat durch die Initiative für ein seismologisches Überwachungssystem, die sie bei den Genfer Verhandlungen selber eingebracht hat, gezeigt, welch großes Interesse sie an diesem Thema hat. Gerade von seiten der Bundesrepublik Deutschland gibt es bedeutende Beiträge, ein solches System zu entwickeln und dann auch international durchzusetzen. Ob man das gegenseitige Mißtrauen der atomaren Supermächte beklagt oder nicht, es ist vorhanden. Deswegen ist die Kontrolle wichtig. Ich hoffe, wir hoffen - die Bundesregierung hat das in dem Hinweis auf die Äußerungen des Bundeskanzlers zum Ausdruck gebracht -, daß die jüngste Äußerung von Gorbatschow eine Wende in der sowjetischen Haltung bedeutet und daß sich die Möglichkeit eines Einstiegs in ein umfassendes System der Begrenzung dieser Tests mit gegenseitiger Kontrolle bietet. Diese Dinge nehmen wir sehr ernst. An der Haltung der Bundesregierung hat sich überhaupt nichts geändert. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.

Peter Petersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe manchmal den Eindruck, daß wir vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen, vor lauter Einzelfragen, über die wir uns hier jede Woche morgens um acht in einer Aktuellen Stunde mehr oder weniger unter Ausschluß der Öffentlichkeit streiten, die gar nicht mehr die eigentlichen Fragen sind. Ich will versuchen, darauf noch einmal hinzuweisen. Meine Damen und Herren, fällt es nicht auch Ihnen auf, daß es sonderbar ist - ich rechne damit, es wird nächste Woche wieder so eine Aktuelle Stunde geben -, daß hier immer wieder Veranstaltungen durchgeführt werden, in denen tropfenweise oder massiv Mißtrauen gegen die Vereinigten Staaten produziert wird? ({0}) - Ich spreche zur Sache. Da wird davon gesprochen, die Bundesregierung unterwerfe sich ,,US-Hegemonialpolitik". Liebe Zeit, wollen wir unter die russische Hegemonie kommen? ({1}) Es wird davon gesprochen, Gorbatschows Pläne müßten sofort umgesetzt werden. Ich habe Sorge vor den Plänen von Herrn Gorbatschow. Ich will sie mir sehr sorgfältig und mißtrauisch ansehen. ({2}) - Nein, Herr Soell, genau da ist der Unterschied. Sie empören sich darüber und sind hellhörig geworden, daß die Bundesregierung mit dem amerikanischen Vizepräsidenten Bush übereinstimmt. In welchem Bündnis sind wir denn eigentlich? ({3}) Ich war vorgestern in Berlin, ({4}) mit einem Mann, der zum erstenmal seit Buchenwald nach Deutschland kam. Wir gingen an die Mauer, und wir gingen an andere Gedenkstätten in Berlin. Diese Mauer ist wohl zweifellos ohne die Hegemonialpolitik der Sowjetunion nicht denkbar. Einer Regierung gegenüber, die eine solche Mauer veranstaltet, ein solches Denkmal der Inhumanität, die heute in Afghanistan einen Völkermord veranstaltet, kann ich doch nicht sagen, ich muß jetzt deren Pläne so schnell wie möglich umsetzen. Es mag sein - ich bin nicht ganz so optimistisch wie mein Kollege Berger -, daß es wirklich eine Wende im Denken der sowjetischen Machthaber gibt. Dann testen wir das doch sorgfältig. Dann reden wir mit denen. Aber vergessen wir doch nicht, mit welch einer Macht wir es zu tun haben! Wir Deutschen sind doch Experten; wir haben schon einmal ein totalitäres Regime bei uns überlebt. ({5}) Deshalb also warne ich davor, ständig so zu tun, als ob - auch das kam bei den Kollegen der anderen Seite heraus - die US-Pläne unsere Sicherheit gefährden. Meine Kollegen, ich glaube, wir sollten lieber die Geschichte wieder richtig auf die Beine stellen. ({6}) Wir sollten uns darüber klar sein, daß Friede in Freiheit im westlichen Bündnis gesichert wurde und gesichert wird, nirgendwo sonst, und daß wir nie in die Situation kommen dürfen, der anderen Seite, die ein ganz anderes Bild des Menschen hat, auf Gnade und Barmherzigkeit ausgeliefert zu sein. Danke schön. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Zunächst einmal habe ich jetzt das Vergnügen, von dieser Stelle aus dem Abgeordneten Menzel zu seinem 60. Geburtstag, den er gestern gefeiert hat, herzlich zu gratulieren. ({0}) Für die verstorbene Kollegin Frau Dr. Wex hat der Abgeordnete Dr. Berners am 17. Januar 1986 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den Kollegen sehr herzlich im Hause und wünsche gute Zusammenarbeit. ({1}) Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die heutige Tagesordnung um folgende drei Punkte erweitert wird: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Ernährungssituation in Afrika - Drucksache 10/4707 -; Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Ankauf von afrikanischen Nahrungsgütern für Hilfsprogramme in Hungerregionen - Drucksache 10/4708 -; Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einer Vorlage der Europäischen Gemeinschaft - Drucksache 10/4663 -. Die drei Vorlagen werden als Zusatzpunkte 3 und 4 am Ende der heutigen Tagesordnung, aber vor Beginn der Fragestunde, aufgerufen. Es ist damit eine Aussprache mit Fünfminutenbeiträgen einer jeden Fraktion verbunden. - Widerspruch gegen diesen Verfahrensvorschlag erhebt sich nicht. Ich kann also feststellen, daß das so beschlossen worden ist. Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 2 auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Gerstein, Dr. Bugl, Carstensen ({2}), Dr. George, Jagoda, Dr. Jobst, Keller, Seesing, Fellner, Ruf, Weiß, Dr. Hoffacker, Schulhoff, Schmitz ({3}), Dr. Lammert, Clemens, Frau Roitzsch ({4}), Pfeffermann, Schreiber, Schwarz, Brunner, Dr. Friedmann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Pöppl und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Neuhausen, Frau Seiler-Albring, Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Baum, Eimer ({5}) und der Fraktion der FDP Humanisierung des Arbeitslebens - Drucksachen 10/3639, 10/4196 - b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Gerstein, Dr. Bugl, Boroffka, Carstensen ({6}), Engelsberger, Keller, Maaß, Frau Dr. Neumeister, Schneider ({7}), Seesing, Dr. Warrikoff und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Neuhausen, Kohn, Dr. Rumpf, Frau Seiler-Albring, Dr. Hirsch, Baum, Beckmann und der Fraktion der FDP Forschungen zu Ursachen der Waldschäden - Drucksachen 10/3704, 10/4286 - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Dr. Bugl, Dr. Warrikoff und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Neuhausen, Kohn und der Fraktion der FDP Weltraumpolitik - Drucksache 10/2865 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Forschung und Technologie ({8}) Vizepräsident Cronenberg Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Wirtschaft Verteidigungsausschuß Haushaltsausschuß d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schierholz, Schmidt ({9}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Ökologische Zukunft der Kernforschungsanlage Jülich - Drucksache 10/3766 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Forschung und Technologie ({10}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({11}) zur Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung 1984 - Drucksachen 10/1543, 10/3410 - Berichterstatter: Abgeordnete Lenzer Stahl ({12}) Dr. Schierholz Zu den Tagesordnungspunkten 2a, 2b und 2e liegen Entschließungsanträge der Abgeordneten Frau Hönes, Dr. Schierholz, Schulte ({13}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 10/4702 ({14}) sowie ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4703 bis 10/4705 und 10/4709 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung des Tagesordnungspunktes 2 eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. - Auch hier erhebt sich kein Widerspruch, so daß dies so beschlossen ist. Ich gehe auch davon aus, daß das Wort zur Berichterstattung nicht gewünscht wird. - Das ist offensichtlich richtig. So können wir zur Aussprache kommen. - Das Wort hat der Abgeordnete Lenzer.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über fünf verschiedene Punkte aus dem Forschungsbereich, aber aus verschiedenen Fachgebieten. Wir haben wenig Zeit, wir müssen uns alle konzentrieren. Deswegen Beginn nur eine kurze Bemerkung zu diesem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zur Beschlußempfehlung des Forschungsausschusses. Verehrte Kollegen der SPD-Fraktion, wir haben uns nun wirklich sehr ausführlich mit der Materie beschäftigt. Sie wollen eine noch erweiterte Berichterstattung haben. Ich habe hier den Bundesforschungsbericht extra mitgebracht, nicht etwa um ihn vorzulesen; er umfaßt 430 Seiten. Hinzuzufügen ist noch ein Faktenbericht in der gleichen Größenordnung. Ich kann wirklich sagen: Die Bundesregierung hat ihrer Berichterstattungspflicht voll Genüge getan, und wir sollten jetzt den Betrieb nicht durch eine erweiterte Berichtspflicht aufhalten. Wir können dem deswegen nicht zustimmen. ({0}) Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesregierung ist erfolgreich. Hierzu leistet auch die Forschungs- und Technologiepolitik dieses Ministers ihren Beitrag. Sie ist erfolgreich, sie ist sachkompetent, und sie ist realitätsbezogen. Wir danken Bundesminister Riesenhuber dafür, daß er auch in seiner Person die Qualität dieser Politik durch Sachkompetenz, Fleiß und Engagement immer wieder in besonderer Weise herausstellt. In der Regierungserklärung am 4. Mai 1983 ist den Fragen der Forschungs- und Technologiepolitik ein breiter Raum gewidmet worden. Ich kann mich nicht erinnern, daß das jemals zuvor in diesem Ausmaß der Fall gewesen ist. Es ist ganz klar - wir unterstreichen das - darauf verwiesen worden, daß Forschung den Menschen zu dienen hat. Die Bundesregierung will in ihrer Politik dazu beitragen, daß Forschung und Technologie zum Kampf gegen die Sorgen die den Menschen bedrücken - wie Hunger, Elend, Krankheiten, Bewahrung einer lebenswerten Umwelt usw. -, eingesetzt werden. Sie trägt dem auch, wie ein Blick in den Haushalt beweist, in vollem Umfang Rechnung, wenn dort z. B. für Ökologie, für Gesundheit, für Umweltschutztechnologie und das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" etwa 670 Millionen DM vorgesehen sind. Aber wir haben auch nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir vor Technikeuphorie, vor unkritischer Begeisterung warnen. Der Mensch bleibt Herr der Technik. Wenn ich die Gentechnik als klassisches Beispiel anführen darf, dann gilt für uns alle auf die Frage „Darf der Mensch alles das tun, was er technisch kann?" ein eindeutiges Bekenntnis zu der Prämisse, daß dort die Grenzen sind, wo andere Grundrechte berührt werden und wo der Mensch keinen verantwortlichen Gebrauch mehr von der Technik macht. Wir wollen - dem dienen auch im übrigen die Enquetekommissionen Gentechnik und Technologiefolgenabschätzung - eine moderne Industriegesellschaft mit menschlichem Gesicht. Meine Damen und Herren, nun einige Gründe für diese erfolgreiche Forschungs- und Technologiepolitik. Sie ist deswegen erfolgreich - ich wiederhole es -, weil sie die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft durch gezielte Förderung der Grundlagenforschung stützt und stärkt. Es sind mit Ausnahme der Spallations-Neutronenquelle quasi alle Empfehlungen der sogenannten Pinkau-Kommission - die Insider wissen, worum es sich handelt; wir sind hier j a quasi unter uns - umgesetzt. Die Grundlagenforschung hat im Haushalt 1986 mittlerweile einen Anteil von 35 % am Gesamtplan erreicht. Wohl niemand kann unter diesen Umständen sagen, die Grundlagenforschung sei vernachlässigt worden. Sie hat nichts zu befürchten. Wir fördern auch die wissenschaftlichen und technischen Spitzenleistungen. Ich meine, die Nobelpreise an die Wissenschaftler Köhler und von Klitzing sind ein Beweis dafür, wie auch ein forschungsfreundliches Klima dort Dinge bewirken kann, obwohl ich weit davon entfernt bin, dies alles nun auf dem Konto der Bundesregierung zu verbuchen. Das möchte ich ausdrücklich betonen. ({1}) - Sie sollten vielleicht Ihre Lautstärke etwas dämpfen; Sie kommen ja alle zu Wort. Meine Damen und Herren, die Forschungspolitik ist ebenfalls deswegen erfolgreich, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der internationalen Auseinandersetzung stärkt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß weite Bereiche der Wirtschaft unter starkem Wettbewerbsdruck und Anpassungszwang stehen. Hier gibt es neben den direkten, projektgebundenen Maßnahmen, die wir von der Union ausdrücklich begrüßen, eine ganze Fülle, einen bunten Strauß von indirekten Maßnahmen: Personalkostenzuschußprogramm, Zuwachsförderung - ich rede jetzt nicht allein vom Einzelplan 30 -, industrielle Gemeinschaftsforschung, Verbundforschung, Förderung des Technologietransfers ({2}) bis hin zu der Förderung der Technologie und der technologieorientierten Unternehmensgründungen. ({3}) 10 095 Anträge auf Personalkostenzuschuß wurden 1985 gestellt, beim Zuwachsprogramm waren es 1 353 Anträge. Wir können daraus sehen, daß diese Programme wirklich angenommen werden. ({4}) Ich will keinen Streit über direkte oder indirekte Forschungsförderung. Aber jeder soll doch wissen: Die kerntechnische Forschung und Entwicklung genauso wie etwa auch der Airbus, eine erfolgreiche Flugzeugfamilie, ({5}) wären ohne massive Unterstützung durch den Staat in dieser Form überhaupt nicht denkbar gewesen. ({6}) - Sie sollten mal gemeinsam singen. Vielleicht gibt das dann auch so eine Kakophonie. Aber bitte, hören Sie zu. ({7}) Die Forschungspolitik der Bundesregierung ist auch erfolgreich, weil sie sich am Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft orientiert. Sie betont ganz bewußt gerade auch in der Kerntechnik - denken Sie an die beiden fortgeschrittenen Reaktortypen - eine stärkere Verantwortung der Wirtschaft. Bundesminister Riesenhuber hat keinen Zweifel daran gelassen, daß die Wirtschaft in Zukunft stärker in die Verantwortung genommen wird. Lassen Sie mich deswegen auch davor warnen, eine fruchtlose akademische Diskussion darüber, ({8}) wieweit der Staat zu gehen hat, ob er hier überhaupt eine Aufgabe hat, vom Zaun zu brechen. Ich denke jetzt an die teilweise heftig geführten Diskussionen über die Förderung der neuen Submikrontechnik, wo zwei große Firmen mit erheblichen Geldern unterstützt worden sind. Das alles ist mit sehr strengen Auflagen verbunden. Ich habe Verständnis dafür, daß aus der Wirtschaft, daß aus der politischen Gemeinschaft durchaus kritisch gefragt wird. Auch wir als Union werden sehr darauf achten, wie sich die Bewegung auf den internationalen Märkten gestalten wird. Wenn beispielsweise dort Durchbrüche erzielt werden, hat sich ja die Landschaft verändert. Das wird alles zu beachten sein. ({9}) Aber insgesamt ist das Geld gut angelegt, und die Politik dokumentiert auch hier ihre Leistungsfähigkeit. Sie leistet ihren Beitrag auch zur Verbesserung der menschlichen Arbeitsbedingungen. Das wird der Kollege Keller hier noch näher ausführen, wenn er sich mit HdA beschäftigt. Sie wird konkret in den Dienst des Menschen am Arbeitsplatz gestellt. Denn auch hier gilt: Technik, Forschung sind kein Selbstzweck; sie sollen dem Menschen dienen, sie sollen ihm persönlich nutzbar sein. ({10}) Die Forschungspolitik ist auch deshalb erfolgreich, weil sie letztlich - in der Konsequenz und als Ergebnis - neue Arbeitsplätze schafft und in Unternehmen, die sich in besonderem Maße struktureller Anpassung unterworfen sehen und sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten haben, bestehende Arbeitsplätze sichert. Alle Studien und Gutachten weisen aus, daß die Probleme am Arbeitsmarkt dort entstehen, wo über Jahre hinweg der Anschluß verpaßt worden ist, wo über Jahre hinweg die technische Entwicklung eher behindert worden ist. Wir wollen hier den Konsens aller Betroffenen; hier soll niemand ausgekegelt werden. Alle Sozialpartner müssen hier mitwirken. Die Forschungspolitik ist letztlich erfolgreich, weil sie durch eine Bündelung der Kräfte die internationale Zusammenarbeit sicherstellt. Als Beispiel nenne ich nur die ESA-Programme. Weltraumforschung und Weltraumtechnik sind ja ein besonderer Schwerpunkt dieses Einzelplans. Hier haben wir durch die D-1-Mission auch nach außen spektakuläre Erfolge zu verzeichnen. Lassen Sie mich dazu auch sagen: Ich bekenne mich zu einem GeLenzer Samtsystem, das auch ein rückflugfähiges Raumtransportsystem beinhaltet. Ich habe aus meiner Befürwortung von „Hermes", die nie eine unkritische und unkonditionierte Befürwortung gewesen ist, ({11}) nie ein Hehl gemacht. ({12}) - Meine Damen und Herren, ich bin dankbar für diesen Beifall, aber lassen Sie uns genau hinschauen: Es ist nicht auszuschließen, daß auch andere technische Möglichkeiten bestehen, und nicht mehr und nicht weniger wollen wir. Man kann nicht nach der Devise „Augen zu und durch" vorgehen, obwohl ich es auch im Interesse der deutsch-französischen Zusammenarbeit begrüßen würde, wenn wir auch auf diesem Gebiet weiterkämen. Zum Schluß noch ein Wort zu Eureka und SDI: Wir unterstützen aus voller Überzeugung die Eureka-Bemühungen. Hier hat uns die Konferenz am 5. und 6. November 1985 in Hannover weitergebracht. Wir unterstützen aber auch den Kurs der Regierung, wie er im Kabinettsauftrag vom 18. Dezember in Sachen SDI dokumentiert worden ist. Nehmen wir bitte davon Abstand, diese beiden Dinge miteinander zu vermengen; sie haben nichts miteinander zu tun. Stecken wir auch nicht beide in verschiedene „Schubladen", als da etwa wären: Eureka zivil - gut, SDI-Beteiligung eventuell, auf der anderen Seite aber militärisch - das ist in der Tat in erster Linie ein abrüstungspolitisches militärstrategisches Programm ({13}) und deswegen schlecht. ({14}) - Meine Damen und Herren, da bitte ich Sie um eine Erklärung! Herr Kollege Vosen, ich erinnere mich an Ihren Beitrag im Ausschuß. Wenn Sie sich zum Verteidigungsauftrag bekennen, müssen Sie konsequenterweise auch Forschung und Technologie in den Dienst dieser Sache stellen! ({15}) Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen: Die Forschungs- und Technologiepolitik ist - ich sagte es - erfolgreich, weil sie kompetent ist und weil sie sich an den Realitäten orientiert. Wir tragen diese Politik, die auch ideologiefrei ist, aus voller Überzeugung. Danke schön. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Forschungsminister hat die Amtszeit von drei Jahren überschritten. Da hat man das Recht, die Handschrift der CDU/CSU und der FDP und auch die persönliche Handschrift des Ministers in der deutschen Forschungslandschaft wiederzufinden. Dieses Recht hat man insbesondere vor dem Hintergrund der allgemein hohen Ansprüche dieser Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt. Wenn man die Leistungen des Forschungsministers untersucht und hinterfragt, kann man nur feststellen: Es gibt keine positive CDU/CSU-Prägung der Forschungspolitik. Herr Riesenhuber hat über drei Jahre lang große Worte geführt, aber das Forschungsministerium hat im Grunde so weitergearbeitet wir bisher. ({0}) Herr Riesenhuber ist ein Verpackungskünstler, ({1}) der seine Forschungspakete in hochfliegende Worte einkleidet, ja, sogar noch mit Schleifen als leere Geschenkpackungen unters Volk bringt. Man kann heute, nach drei Jahren, sagen: Der Lack bröckelt ab. ({2}) Mit dieser Feststellung befinde ich mich in allerbester Gesellschaft. Ich beginne mit Herrn Laermann von der FDP, meinem verehrten Kollegen im Forschungsausschuß, der inzwischen auch, was die Forschungspolitik angeht, „zwischen dem Minister und dem Ministerium unterscheidet", wobei seine Unterstützung offensichtlich dem Ministerium gilt. Das war ein Zitat aus der Glanzzeitschrift „Report" vom Januar. Otto Wolff von Amerongen hat den Eureka-Ansatz der Bundesregierung als für die deutsche Wirtschaft verfehlt abgelehnt. ({3}) Der Vorstandssprecher des High-Tech-Unternehmens Zeiss, Herr Skoludek, bezeichnet die EurekaInitiative der Bundesregierung in der jüngsten „Wirtschaftswoche" mit den Worten: „Das ist doch geradezu ein Witz." Und die SDI-Begeisterung der Bundesregierung kritisiert er mit den Worten, daß man heute immer noch nicht wisse, was SDI eigentlich sei. In diesem Zusammenhang wirft er die besorgte Frage auf, ob mit den USA kooperierende deutsche Firmen nicht gezwungen sein könnten, ihr Know-how komplett abzuliefern. ({4}) Zu Eureka haben wir Sozialdemokraten einen klaren Standpunkt formuliert und gefordert, daß die prinzipiell richtige Idee einer beschleunigten Integration Europas auch durch forschungspolitische Ziele, durch eine klare Organisation und durch genügend Finanzmittel unterstützt wird. An all diesem fehlt es in der jetzt aufs Gleis gesetzten amtli14396 chen Eureka-Initiative. Herr Skoludek und Herr Amerongen haben recht. ({5}) - Zu SDI komme ich noch. Im übrigen sagen Sie doch immer, die Wirtschaftsführer wüßten das und verstünden davon etwas. Dann sollten Sie deren Aussage in diesem Fall vielleicht auch einmal akzeptieren. ({6}) Der Bundesaußenminister und der forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - das sind Sie, lieber Herr Lenzer - machen mit dem Hermes-Projekt Politik gegen den Forschungsminister. Der französische Forschungsminister, der Herrn Riesenhuber als seinen guten Freund bezeichnet, wird von Mal zu Mal tiefer enttäuscht, ({7}) wenn er mit der Bundesrepublik über die deutschfranzösische Zusammenarbeit spricht. ({8}) Jetzt am Samstag ist ja wieder Gelegenheit dazu. Daß sich ausgerechnet die Forschungs- und Technologiepolitik zu einem brisanten Sprengstoff in den deutsch- französischen Beziehungen zu entwikkeln droht, muß uns große Warnung sein. Ich frage mich, wie lange Herr Curlen der gute Freund des Bundesforschungsministers sein wird. Zu der Unterstützung, die wir Sozialdemokraten für Hermes fordern, wird mein Kollege Lothar Fischer gleich noch Näheres sagen. Der frühere Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff hat im Zusammenhang mit dem Mega-ChipProjekt bei der Firma Siemens geschrieben, daß das zur Verteidigung der Förderung vorgebrachte Argument der internationalen Konkurrenzfähigkeit „für viel Unsinn als Rechtfertigung hat herhalten müssen". Herr Bangemann täuscht im Zusammenhang mit SDI vor, das für die Technologiepolitik und die deutsche High-Tech-Industrie ständig bedrohlicher werdende Technologietransferembargo der USA in Verhandlungen aufknacken zu können. Es war ein schwerer Fehler, daß der Forschungsminister einen Kabinettbeschluß mitträgt, der der Bundesrepublik bei diesem Problem keine substantiellen Ergebnisse bringen wird. Das Junktim, das hierbei geknüpft wurde, ist künstlich und wird zur Verärgerung der USA führen, anstatt das Klima der Kooperation zu verbessern. Der Beteiligungsdruck der USA hinsichtlich SDI auf die Bundesrepublik ist angesichts der euphorischen Stimmung des Bundeskanzlers inzwischen so groß geworden, daß die Zeit fehlen wird, das Technologietransferproblem bis März wirklich ernsthaft in Angriff zu nehmen. Es ist im übrigen auch nicht Sache der US-Administration, hier wirkliche Verhandlungen zu führen. Die Technologietransferembargosituation ist durch die amerikanische Gesetzeslage entstanden, die man nicht in einem kleinen „SDI-Galopp" vom Tisch bringen kann. Hier hat sich die Bundesregierung vollständig verkalkuliert und übernommen. Die USA werden also nur schöne Worte gegen eine SDI-Beteiligung geben. Damit sind die Sicherheitsinteressen und die technologischen Interessen der Bundesrepublik verspielt. Ihr Fehler, Herr Riesenhuber, ist es, daß Sie das nicht gesehen haben oder, falls Sie es gesehen haben, sich aus vordergründigen Erwägungen dazu haben hinreißen lassen, der FDP mit einem Technologietransferalibi durch schöne Worte der USA das Umfallen in Sachen SDI in Bonn zu erleichtern. Umfallen ist ja übrigens keine neue Sache bei der FDP; darin hat sie ja Übung. ({9}) Jetzt komme ich noch zum Bundesfinanzminister Stoltenberg, der durch seine Diktate den Forschungsminister inzwischen schon hinsichtlich des Inhalts seiner Politik bevormundet. Die Finanzdecke des Forschungsetats ist inzwischen an allen Ecken und Enden zu kurz, weil Sie, Herr Riesenhuber, wie wild Programme aufgelegt haben, insgesamt für 18 Milliarden DM. Sie haben sich zuviel vor die Brust genommen - schreibt die „Wirtschaftswoche" Nr. 29 am 13. Juli 1984, wo es heißt: „Wenn Heinz Riesenhuber nicht aufpaßt, könnte sein Budget mittelfristig zum Sprengsatz werden." Mittlerweile ist es so weit. Sie sind praktisch pleite, d. h. neue Programme sind nicht möglich. Herr Stoltenberg diktiert Ihnen die Forschungspolitik. Wenn ich das alles zusammenrechne, muß ich fragen, wer in diesem Land eigentlich Forschungsminister ist: Bangemann, Genscher, Kohl, Teltschik, Stoltenberg, Strauß? ({10}) Der Satz „viel Feind', viel Ehr'" gilt nur für Zeitgenossen, die sich auch wehren und durchsetzen können. Dies ist bei Ihnen offensichtlich nicht mehr der Fall. Finanzminister, Außenminister und Wirtschaftsminister machen hier die Forschungspolitik, während Sie, Herr Riesenhuber, die Pressemitteilungen machen. ({11}) Selbst das kleine Technologiekabinett versagt. Jeder macht, was er will, und jeder macht es anders. Die Forschungspolitik ist ein einziges Chaos geworden. ({12}) Meine Damen und Herren, in dieser unseligen Lage befindet sich die Forschungspolitik. Was hat der Forschungsminister nun angekündigt, was hat er getan? Lassen Sie mich einige wesentliche Beispiele geben. Geredet hat er schon 1981 von einer Wende in der Forschungspolitik, und er hat sie mit den Worten charakterisiert: eigene Verantwortlichkeit, Mut und Fähigkeit zum Risiko der Wirtschaft, stärken staatliche Rahmenbedingungen langfristig, sachgerecht, verläßlich setzen. Der Staat muß Grundlagenforschung sichern, Marktkräfte ermutigen, eigene Eingriffe in die Märkte mit größter Behutsamkeit ansetzen, Ziele und Bedingungen von Großprojekten möglichst frühzeitig und gültig definieren. Das sind alles große Worte. Getan hat er etwas völlig anderes. Ich stelle fest: Wer Siemens 15 bis 20 Millionen DM an liquiden Mitteln, insgesamt 80 Millionen DM pro Jahr spendiert, wer beim Projekt Schneller Brüter noch Geld nachschießt, der schwächt die Verantwortlichkeit, ({13}) den Mut und die Fähigkeit zum Risiko in der Wirtschaft. Das sind Subventionen. Wer bei den gut erforschten Umweltproblemen immer nur über Forschungsergebnisse publiziert und keine staatlichen Rahmenbedingungen setzt, wer bei der Technischen Anleitung Luft dies bis zur Unkenntlichkeit verwässert und hinschleppt, wer ein Tempolimit für unnötig hält, wer bei Formaldehyd und Dioxin durch Philibusterkampagnen glaubt, den Handlungsdruck beseitigen zu können, straft seine eigenen Forderungen Lügen. Wer in der Grundlagenforschung von uns begonnene Projekte fortsetzt, hat keine Wende eingeleitet. Wer sich scheut, wirklich Großprojekte mit neuem europäischen Know-howGewinn anzugehen - ich darf z. B. Hermes nennen -, der verunsichert die Wirtschaft, statt sie zu unterstützen. Der Forschungsminister hat also keine Wende vollzogen, sondern mit täglichen Pressemeldungen nur davon geredet. Ich begrüße ausdrücklich, daß er unsere Politik seit 1982 auf vielen Gebieten uneingeschränkt fortsetzt. Ich nenne Personalkostenzuwachsförderung, technologieorientierte Unternehmensgründungen, indexspezifische Forschungsförderung, Wissenschaftler-Nachwuchsprogramm, Großprojekte in der Grundlagenforschung, HERA bei DESY in Hamburg, Schwerionenforschung in Darmstadt, Forschungsschiff Meteor, Tiefbauprogramm usw. auch die Fortsetzung von Ariane IV ist zu nennen. Das sind alles Programme, die bereits in der sozialliberalen Koalition auf die Schiene gesetzt worden sind. ({14}) Das hat mit der Wende nichts zu tun, das ist die Fortsetzung einer sozialdemokratischen Forschungspolitik. Das ist die Situation. ({15}) Meine Damen und Herren, die direkte Projektforschung - 5 873 Vorhaben 1982 - wollte man ändern. Man hat sie auf 5 469 Vorhaben im Jahre 1984 heruntergefahren. Der Unterschied sind nur etwa 400 Vorhaben, so daß sich im Prinzip nichts geändert hat. Meine Damen und Herren, mein Kollege Stahl wird zum Bundesbericht Forschung auf unsere Forderung eingehen, die wir zu diesem Bericht stellen. Deswegen möchte ich da nur zwei Dinge skizzieren. Hinsichtlich der Sozialverträglichkeit tun Sie praktisch nichts. Sie geben 4,5 Milliarden DM für Innovationsförderung aus, vor allen Dingen im Bereich der Mikroelektronik, aber nur 10 Millionen DM für die Technikfolgenabschätzung. Das ist im Grunde genommen Unsozialverträglichkeit und zuwenig für diesen wichtigen Bereich. Auch in der Militärtechnik reden Sie nicht klar genug gegen die SDI-Beteiligung. Sie sagen: Es geht mich nichts an, es ist Sache des Verteidigungsministers, aber Sie verschweigen, daß Bangemann zur Zeit mit Technologietransfer, was Ihr Ressort ist, SDI an Land ziehen will. Das ist die Situation. Ich glaube, daß wir in der Bundesrepublik in der Tat gut beraten sind, wenn wir auf SDI verzichten, wenn wir für eine friedliche europäische Zusammenarbeit eintreten, wenn wir aufhören, die Verpackungskünste, die Sie als progressive Forschungspolitik verkaufen, endlich mit Inhalten zu füllen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Professor Dr. Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir haben jetzt die Wahl zwischen Verpackungskünstler und Unterhaltungskünstler. Ich glaube, als letzterer Herr Kollege Vosen, würden Sie sich wesentlich besser eignen. ({0}) Wir haben heute ein umfangreiches Programm nach dem Motto „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen". Aber ich meine, Sie haben das Programm um eine ganze Reihe von Punkten erweitert, die möglicherweise in diesem Zusammenhang angesichts der zur Verfügung stehenden Zeit vielleicht doch nicht diskutiert werden sollten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Später. - Ich gehe auf ein paar Punkte ein, die der Kollege Vosen hier vorgetragen hat. Er hat von der chaotischen Forschungspolitik gesprochen und anschließend gesagt, das sei j a nur die Fortsetzung der SPD-Forschungspolitik. ({0}) Also das muß er mit sich selber ausmachen. ({1}) Im übrigen ist es, meine ich, wichtig - das haben wir hier wiederholt betont -, daß man in der Forschungspolitik keine Stop-and-go-Politik betreiben kann, sondern daß es hier um Kontinuität geht und daß es in der Kontinuität sicher auch zu einer Umsteuerung kommen muß. ({2}) Wir begrüßen das ausdrücklich. Das ist hier im Sinn dessen, was mindestens die FDP-Fraktion - das sollten die Kollegen von der SPD wissen - im Ausschuß, im Parlament und in der vorherigen Regierung vertreten hat: daß wir hier zu einer Umsteuerung kommen müssen. Deswegen begrüßen wir die neue Ausrichtung, die Neuorientierung der Forschungs- und Technologiepolitik, die Verstärkung der Grundlagenforschung und die schrittweise weitere Abkehr von der direkten Projektförderung im Bereich angewandter Forschung und im Bereich von technologischer Entwicklung und Industrieforschung. Dafür haben wir seit Jahren die stärkere Hinwendung zur indirekten Forschungsförderung gefordert. Wenn Sie, Herr Minister, immer wieder darauf hinweisen, daß der Markt und die unternehmerische Verantwortung für Entscheidungen über Projekte der angewandten Forschung maßgebend sein sollen, finden Sie dazu stets unsere Zustimmung. Denn schließlich entspricht diese Ihre Auffassung seit vielen Jahren der Haltung, die meine Fraktion immer vertreten hat. Deswegen muß ich hier bedauernd feststellen, daß Sie im Fall des Submikron-Projekts von den von Ihnen wiederholt erklärten Grundsätzen doch abgewichen sind. Ich kann eine Begründung dafür beim besten Willen nicht aus dem Bericht der Bundesregierung zur Informationstechnik herauslesen. Darin steht nämlich: Breit anzusetzende, indirekt wirkende Maßnahmen müssen stärker als in der Vergangenheit zum Tragen kommen, um eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs zu vermeiden. Zum Submikron-Projekt und zu neuen Bauelemente-Techniken steht dort besonders das Stichwort „Verbundprojekt": Arbeitsteilige Bearbeitung besonders risikoreicher aufwendiger, die Privatwirtschaft überfordernder langfristiger Forschung und Entwicklung durch mehrere Unternehmen und Forschungsinstitute. Davon ist hier die Rede: Die Beteiligung an der Verbundforschung ist offen und soll grundsätzlich allen Interessenten offenstehen. Ausdrücklich werden die Fraunhofer-Gesellschaft und Hochschulinstitute und dergleichen erwähnt. Mich bedrücken die Auflagen etwas. Und schon bei dem seinerzeitigen Forschungsminister Hauff hat mich bedrückt, daß die Industrie bereit ist, um des Geldes willen sich sozusagen in ihre unternehmerischen Entscheidungen vom Staat hineinreden zu lassen und diese Auflagen, beispielsweise ein Verbot der Kooperation mit japanischen Unternehmen, zu akzeptieren. Einem, Herr Kollege Lenzer, kann ich nicht folgen: Ich halte das nicht für eine akademische Diskussion. Das geht jedenfalls für uns schon ans Eingemachte. Deswegen müssen wir darüber sprechen. ({3}) Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es uns ganz wichtig erscheint, daß mittelständische Unternehmen, kleine und mittlere Unternehmen, in diese Überlegungen und Förderungsmaßnahmen einbezogen werden. Es darf doch nicht wahr sein, daß ein Drittel der vorgesehenen Gelder allein an zwei Unternehmen geht. Ich meine, wir müssen die mittelständischen Unternehmen nicht nur als Sub-Unternehmer, als Unter-Auftragnehmer einbeziehen, sondern sie sind in der Tat unmittelbar in den Verbund einzubeziehen. Nun etwas zum Grundsätzlichen. Den Bundesbericht Forschung 1984 begrüßen wir. Ich stelle heraus, daß es für uns ganz wichtig ist, daß noch einmal die Freiheit der Forschung postuliert wird. Ich füge aber hinzu: Dies kann nur geschehen, indem die Wissenschaft auch bereit ist, Verantwortung für ihre Tätigkeit in diesem Bereich zu übernehmen und dieser Verantwortung zu entsprechen. Und dies kann nur geschehen, wenn im Zusammenhang mit dieser Freiheit und mit dem Postulat der Freiheit die Technikfolgen-Abschätzung und die Technikfolgen-Bewertung einhergehen. Wir begrüßen ausdrücklich, daß sowohl im Parlament und seiner TAKommission wie auch bei den aktiven Maßnahmen in den Großforschungseinrichtungen und auch bei den Forschungsförderungsmaßnahmen des Bundesministeriums diese Überlegungen eine besondere Rolle spielen. Wir gehen im Sinne des Bundesberichts Forschung davon aus, daß der technische Fortschritt in den Dienst von Mensch und Natur gestellt werden muß. Ich denke, das ist eine ganz wichtige Feststellung, der wir einvernehmlich zustimmen können. Herr Kollege Vosen, selbstverständlich ist auch die Frage der Sozialverträglichkeit darin enthalten. Das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" steht ja auf der heutigen Tagesordnung; ich habe bisher nichts Konkretes von Ihnen dazu gehört. Wir fordern Kreativität und Eigeninitiative in Forschung und Entwicklung. Wir fördern Leistung und Spitzenleistung. Wir fördern Transfer und Innovation. Es ist Sozialverträglichkeit, wenn der Umstrukturierungsprozeß der Wirtschaft im Zusammenhang mit Forschung und Entwicklung erfolgt, wodurch Arbeitsplätze gesichert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. ({4}) Wir meinen aber, daß die Zurückhaltung des Staates gegenüber Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft im Sinne des Subsidiaritätsprinzips geboten ist. Das gilt besonders hinsichtlich inhaltlicher Vorgaben; ich möchte das nachdrücklich unterstreichen. Der Einsatz öffentlicher Mittel für die direkte Förderung kann nur dort vertreten und verantwortet werden, wo staatliche Verantwortung es erforderlich macht, bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Das ist immer dann der Fall, wenn es um Aufgaben der Daseinsvorsorge geht und wenn übergeordnete gesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Gründe gegeben sind. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein kurzes Wort zu unserem Antrag betreffend die Weltraumpolitik sagen. Die nunmehr seit 20 Jahren praktizierte europäische Zusammenarbeit in der Raumfahrt hat Europa sowohl wissenschaftlich als auch wirtschaftlich auf den dritten Platz in der Welt hinter den USA und der UdSSR gebracht. Die großen Programme Spacelab, Ariane und Satellitenkommunikation sind zu einem Abschluß gekommen. Mit der Trägerrakete Ariane ist Europa in das Stadium der kommerziellen Nutzung eingetreten. Die zuständigen Minister der an der ESA beteiligten europäischen Staaten - die Agentur ist im übrigen im Sinne von Eureka auch für europäische Staaten offen, die nicht der EG angehören - haben ein neues, anspruchsvolles und umfassendes Weltraumprogramm beschlossen, das Europas Spitzenstellung in Forschung und Technik festigen soll und das auf die Eigenständigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit Europas abgestimmt ist. Lassen Sie mich etwas zu den Beobachtungssatelliten sagen. Hier ist soeben im Zusammenhang von SDI davon gesprochen worden. Wir halten Beobachtungssatelliten als einen Teilbereich des Gesamtprogramms für unverzichtbar, weil sie für eine verläßliche Wettervorhersage, für die Erkundung von Lagerstätten, für die Beobachtung der Vegetation, zur Vorhersage von Ernteerwartungen, kurz zu einem weltumspannenden Netz von Messung und Überwachung der ökologischen Bedingungen, aber auch - dies möchte ich hier nachdrücklich erwähnen - zur effizienteren internationalen Abrüstungskontrolle eingesetzt werden können. Dies ist für uns, dies ist für Europa unverzichtbar. ({5}) Die Überlegung der Eigenständigkeit, der Unabhängigkeit Europas war letztlich auch für die Europäer maßgebend, sich an dem amerikanischen Projekt einer bemannten Raumstation, an dem europäischen Projekt Columbus - unbemannte Plattformen und Module - zu beteiligen und bis gegen Ende der 80er Jahre den rückführbaren Nutzlastträger Eureca einsatzfähig zu machen. Hinzu kommt die Weiterentwicklung der europäischen Trägerrakete Ariane. Weiterhin müssen im Sinne der postulierten europäischen Autarkie die Vorarbeiten für die Entwicklung eines bemannten Raumfahrzeuges nach unserer Auffassung unverzüglich in Angriff genommen werden, um belastbare Grundlagen für endgültige Entscheidungen verfügbar zu haben. Herr Kollege Vosen, ich sehe nicht, wie Sie hier eigentlich einen Gegensatz zwischen Herrn Genscher und Herrn Lenzer einerseits und dem Bundesforschungsminister andererseits konstruieren können. Der Forschungsminister ist natürlich gehalten, Verantwortung für die Finanzierung zu übernehmen. Unsere Aufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen, daß das gesamte Konzept seiner Forschungspolitik hier nicht in Frage gestellt wird, weil erhöhte Aufwendungen für einen einzigen Bereich notwendig sein werden. Dies ist in der Tat Sache der gesamten Regierung. Herr Kollege Vosen, das gilt grundsätzlich. Sie fragen: Wer ist hier eigentlich Forschungsminister? ({6}) Haben Sie eigentlich noch nicht begriffen, daß es auf Grund der Komplexität der gesamten Problematik heute notwendig ist, interdisziplinär zusammenzuarbeiten, und zwar nicht nur im Bereich der Wissenschaft, sondern auch in einer Regierung? Die enge Versäulung und Restriktion auf Ressorts ist nicht mehr tragbar. Damit lösen wir die Probleme von heute und der Zukunft überhaupt nicht. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Roth möchte gern eine Zwischenfrage stellen.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kann ich noch?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rechne es Ihnen nicht auf die Zeit an, Herr Abgeordneter.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Roth!

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bei der Milde des Präsidenten bekommen Sie das zu. Ich habe die folgende Frage. Nach Auskunft der Bundesregierung hat der Wirtschaftsminister bei seiner Reise in die USA Grundsatzfragen des Technologieaustausches zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland behandelt. Es ging nach Auskunft der Bunderegierung nicht primär um die SDI-Angelegenheit, sondern um Grundsatzfragen des Technologieaustausches. Irre ich mich, daß nach der Ressortverteilung der Bundesregierung für Grundsatzfragen des Technologieaustausches der Bundesforschungsminister zuständig ist, und stimmen Sie nicht mit mir überein, daß ein bedeutender Substanzverlust dieses Ressorts in den letzten 14 Tagen stattgefunden hat?

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich kann mich Ihrer Auffassung mitnichten anschließen, denn hier geht es darum - darauf laufen die Verhandlungen hinaus, die der Bundeswirtschaftsminister im Auftrage des Kabinetts, Herr Kollege Roth, zu führen hat -, daß die Verfügbarkeit über Know-how für deutsche Wirtschaftsunternehmen gesichert wird. Ich habe noch nicht gehört, daß der Bundesforschungsminister für deutsche Industrie- und Wirtschaftsunternehmen zuständig sei, ({0}) sondern das liegt wirklich in der Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministers, wenn ich Sie darauf hinweisen darf. Es geht hier darum, daß die Verfügbarkeit über Know-how den deutschen Unternehmen, die sich in eine deutsch-amerikanische Koope14400 ration begeben, erhalten bleibt und diese ihnen nicht - etwa über die Einstufung in sogenannte classified information - verloren geht. Das hat auch etwas mit den Geheimschutzabkommen zu tun, und auch dafür ist, glaube ich, der Bundesforschungsminister nicht zuständig. Verwischen Sie hier nicht die Kompetenzen! Sie sollten das besser wissen! Meine Damen und Herren, ich darf abschließend - die Zeit ist leider abgelaufen - auf unsere Ausführungen zum Programm Humanisierung des Arbeitslebens im letzten Jahr verweisen; das ist gerade ein halbes Jahr her. Wir haben diesen Ausführungen nichts hinzuzufügen. Wir sind der Auffassung, daß hier positive Entwicklungen eingetreten sind. Nicht die Theorie ist hier gefragt, sondern die enge Kooperation mit allen an Arbeitsprozessen Beteiligten. Das ist für uns eine wichtige Voraussetzung dafür, daß Erkenntnisse, die in diesem Programm ermittelt werden, dann auch an alle relevanten Bereiche in den Arbeitsprozessen in der Industrie, im Handel, Handwerk und Gewerbe vermittelt werden. Deshalb unterstützen wir noch einmal nachdrücklich das, was jetzt auch in der Antwort auf die Große Anfrage aufgeführt ist. Wir stimmen diesen Vorlagen zu. Danke schön. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein solches forschungspolitisches Potpourri, wie wir es heute vor uns haben, verleitet natürlich zu Rundumschlägen. Ich habe da Zweifel, ob es der Forschungspolitik und den Forschungspolitikern dient. ({0}) Ich möchte mich daher darauf beschränken, ausschließlich einige Begründungen zu unserem Antrag „Ökologische Zukunft der Kernforschungsanlage Jülich" auf Drucksache 10/3766 anzuführen. ({1}) Die Großforschungseinrichtungen machen dem Forschungsminister gegenwärtig offensichtlich nicht allzuviel Freude. Besonders deutlich wird dies bei einem der teuersten Paradepferde, eben der Kernforschungsanlage Jülich. Seitdem dort das Projekt Spallationsneutronenquelle gescheitert ist - auf die Haltung der SPD komme ich gleich noch einmal zurück -, weiß die Bundesregierung offensichtlich nicht so recht, um welches Forschungsprojekt sie die KFA jetzt langfristig gruppieren - wie das so schön heißt - soll. Seit einem halben Jahr hängt nach unserem Eindruck die Kernforschungsanlage Jülich politisch in der Luft, ohne daß das Forschungsministerium bislang ein schlüssiges, langfristiges Konzept vorgelegt hätte. ({2}) Deshalb wollen wir GRÜNEN mit unserem Antrag unter dem Motto „von der KFA zur ÖFA" einen Umstrukturierungsvorschlag vorlegen. Dieser Antrag soll einen konkreten Beitrag zum ökologischen Umbauprogramm der GRÜNEN leisten. Wir wollen damit eine Antwort auf die Frage geben, wie wir uns einen Umbau dieser Gesellschaft mit einer ökologischen Perspektive vorstellen, eine Antwort insbesondere an jene Besserwisser, die uns da immer vorhalten, die GRÜNEN wollten den Ausstieg aus der Industriegesellschaft. Es geht hier um wichtige Fragen gesellschaftlicher Zukunft: Wie können die bestehenden Forschungskapazitäten des Bundes für eine Kurskorrektur in Richtung ökologischer und sozialer Verträglichkeit der Produktionsverfahren, der Produkte oder der Lebensgestaltung genutzt, weiterentwickelt oder umgebaut werden? Wie sind Handlungsfreiheit und Offenheit gegenüber allen gesellschaftlichen Kräften und eben nicht ausschließlich für Industrie und Wirtschaft zu erhalten und gegenseitig abzuwägen? Wie ist schließlich die innere Selbstverwaltung weiterzuentwickeln, ein ideen-, kreativitäts- und forschungsfreundliches Klima für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern? Das sind im Zusammenhang mit der KFA Jülich und mit allen Großforschungseinrichtungen wichtige Fragen, und dazu leisten wir mit unserem Antrag einen konkreten Beitrag. ({3}) Wir haben, wie gesagt, strukturelle und inhaltliche Vorschläge entwickelt. Zu den strukturellen Forderungen, die nicht nur bei der KFA Jülich relevant sind, sondern für alle Großforschungseinrichtungen Bestand haben sollen, gehören die Einrichtung von Frühwarnnetzen und die Institutionalisierung von Parallelforschung. Wir verstehen unter „Frühwarnnetz" kein Instrument, das Chancen und Risiken neuer Techniken ausloten soll. Die GRÜNEN wollen vielmehr, daß das Frühwarnnetz die Auswirkungen bisheriger klassischer Techniken beleuchtet, daß die bisherigen industriellen, handwerklichen und landwirtschaftlichen Produktionsverfahren bezüglich ihrer Auswirkungen auf Mensch und Umwelt untersucht werden. Auf der Basis einer solchen Bestandsaufnahme lassen sich dann zukünftige Schäden vorhersagen und vermeiden, es lassen sich angemessene gesellschaftliche Änderungen oder technische Maßnahmen finden. Auf Grund dieser Bestandsaufnahme läßt sich schließlich das Potential neuer Techniken sinnvoll diskutieren. Technikfolgenabschätzung darf nicht in Instituten und in Kommissionen verkümmern, so wichtig die sind, sondern Technikfolgenabschätzung ist zu einem integrierten Bestandteil der forschungspolitischen Praxis zu machen. Wir haben weitere zahlreiche Vorschläge vorgelegt, die nicht nur in bezug auf die Kernforschungsanlage Jülich wichtig sind. Wir könnten das auch am Beispiel Klimaforschung noch ausführen. Aber ich will das jetzt lassen, weil meine Zeit abgelaufen ist. Wir wollen mit diesem Antrag aber nicht nur demonstrieren, wie das offensichtlich vorhandene Forschungsvakuum zu füllen ist, sondern wir wollen auch demonstrieren, wie sich eine forschungsVizepräsident Cronenberg politisch in die Zukunft weisende mit einer arbeitnehmerfreundlichen Politik verbinden kann. Danke schön. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie Dr. Riesenhuber.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Vosen hat eine Rede auf der Linie gehalten: Es hat sich nichts geändert; deshalb ist alles Mist. Dies ist eine faszinierende Zusammenfassung Ihrer Auffassung von Ihrer eigenen Forschungspolitik zu Ihrer Zeit. Die Gegenthese lautet - und sie ist offenkundig -: Wir haben in grundsätzlichen Punkten etwas geändert. Deshalb haben wir hier eine gute Bilanz der Forschungs- und Technologiepolitik vorzulegen. ({0}) Ich möchte das an den Punkten, die hier einzeln diskutiert worden sind, einmal ein bißchen zeigen. Was die Grundlagenforschung angeht, so hat mich Professor Maier-Leibnitz vor einigen Monaten angesprochen und mir gesagt: Für die Grundlagenforschung sind in der Vergangenheit immer etwa ein Viertel der Mittel des Forschungshaushalts eingestellt worden; davon war nicht wegzukommen. Wir haben dies schrittweise und systematisch gesteigert: durch Finanzierung von Projekten an Universitäten, von Projekten, die wir erweitert haben, durch Projektfinanzierung bei der Max-Planck-Gesellschaft, durch Sonderfinanzierung, durch eine Erweiterung der Grundlagenforschung in Großprojekten. Die Mittel für die Grundlagenforschung machen heute mehr als ein Drittel des Forschungshaushalts aus. Warum? Grundlagenforschung ist nicht nur ein beliebiges Vehikel in der Forschungslandschaft, sondern Grundlagenforschung ist ein Bereich unmittelbarer staatlicher Verantwortung, weil Grundlagenforschung nur dann, wenn durch staatliche Verantwortung Freiräume geschaffen werden, wirklich exzellent sein kann. Grundlagenforschung ist eine Sache des Geldes, aber nicht nur des Geldes. Grundlagenforschung ist eine Sache der Möglichkeit der Wissenschaftler, sich um Wissenschaft zu kümmern, anstatt in Bürokratien zu verkümmern. Wenn hier die Zahl der Gremien, der Kontra-Gremien, der Beratungs-Gremien sowie der Umfang der Antragsverhandlungen über die Jahre ständig zugenommen hat, die Professoren zu allem kommen, weil sie es müssen, nur nicht zum Denken, dann ist dies eine wenig beglückende Entwicklung. ({1}) Wir haben das Bürokratische zurückgefahren, und zwar in der Max-Planck-Gesellschaft, in den Großforschungseinrichtungen, mit der gegenseitigen Deckungsfähigkeit der Betriebs- und Investitionsmittel, mit der Möglichkeit, über Stellenpläne souveräner zu entscheiden. Dies ist ein Modellversuch, den wir angelegt haben. Ich bedanke mich beim Haushaltsausschuß, beim Finanzminister und selbstverständlich beim Forschungsausschuß für die Unterstützung. Wenn sich aber dieses Modell bewährt, werden die Bürokratien schrittweise zurückgehen, und es wird die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Arbeit wachsen, und zwar noch stärker als die Gelder. Dies zu erreichen, ist unsere Aufgabe. Wir hatten in den 70er Jahren eine merkwürdige Diskussion, so als ob Breitenforschung das einzig Richtige sei und als ob es elitäre Arroganz sei, nach Spitzenforschung zu fragen. ({2}) Wir haben ein Element eingeführt, nämlich das Programm der Spitzenforschung, bei dem wir die besten Leute - übrigens mit Zustimmung aller Bundesländer - aus den unterschiedlichen Bereichen herausstellen wollen. So bekommen - nach dem Urteil der Wissenschaft, von wem denn sonst? - zehn Leute je 3 Millionen DM im Jahr. Das sollen sie nicht für sich, nicht für ihr Einkommen verwenden, sondern für ihre Arbeit. Wenn sie wirklich die Besten sind, wissen sie besser als jede Administration, was mit dem Geld zu tun ist. Dann bekommen wir einen Wettbewerb, der über einen Wettbewerb um C 4 hinausführt und der wirklich zu einer Herausbildung von „centers of excellence" in unserer Landschaft führt, die exzellente Spitzenforschung erlaubt und dadurch eine hervorragende Breiten-forschung bringt. ({3}) - Ich weiß schon, Herr Vosen, daß Sie einen Vorbehalt dagegen haben, wirklich exzellente Leistung zu bringen. ({4}) Aber ich muß sagen: Wenn wir in der Wissenschaft nicht auf exzellente Leistung setzen, schreiben wir Mittelmaß fest. Wenn wir uns mit der Zweitklassigkeit abfinden, werden wir auf Dauer drittklassig sein. Dies kann keine Politik sein. ({5}) Wir haben gleichzeitig die Wende in der Umweltforschung. Sie sagen: Sie findet nicht statt. Ich sage: Hier hat sich einiges geändert. Wir hatten für die Waldschadensforschung - auch dies ist heute ein Thema - 200 000 DM im Jahre 1982. Das Thema war faktisch nicht vorhanden. Wir haben es innerhalb von wenigen Monaten hochgezogen, und zwar durch Fragen an die Wissenschaft. Nicht die Politik kann die Fragen entscheiden, aber sie kann die richtigen Fragen an die Wissenschaft stellen, und die Art, wie die Wissenschaft dies mit einer enormen Dynamik aufgegriffen hat, ist ein Zeichen für ihre Bereitschaft zum Engagement, wenn die Politik die Voraussetzungen schafft. Wir haben die Vor14402 aussetzungen geschaffen. 1982 habe ich nichts vorgefunden, was die Waldschadensforschung betrifft. Wir können es genauso bei der Klimaforschung darstellen: Sie lag damals bei 3,5 Millionen DM Fördervolumen. Wir haben heute das Sechsfache. Warum? - Weil wir gefährliche und schwierige Entwicklungen rechtzeitig begreifen müssen, um sie gestalten zu können. Dies war eine Frage, die wir schon früh in Anträgen in der Zeit unserer Opposition angeschnitten haben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Ohne Anrechnung auf die Zeit?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Aber selbstverständlich. Bitte sehr.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, Sie haben gesagt, daß Sie 1982, als Sie das Forschungsministerium übernommen haben, zur Forschungsförderung im Waldsterben nichts angetroffen haben. ({0}) Darf ich Sie fragen, Herr Bundesminister, da Sie ja einer der Sprecher der damaligen CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Sachen Energie und im Forschungsbereich waren, welche Anträge für diesen Bereich durch Ihre Fraktion 1980 und 1981 gestellt wurden? ({1})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Die Union hat eine Große Anfrage gestellt. Sie ist im Frühjahr 1982 mit einer Fülle von einzelnen Fragen behandelt worden. Meine Versuche, zur Vorbereitung dieser Großen Anfrage, Material aus dem Ministerium zu erhalten, sind damals in einer ziemlich jämmerlichen Weise gescheitert. Wir haben fast ein Jahr gebraucht, bis wir in einem Gespräch mit Professor Ullrich und mit Wissenschaftlern aus den unterschiedlichen Bereichen die Voraussetzungen zusammengetragen hatten, damit wir richtig fragen konnten. Die Antworten zu finden ist oft weniger schwer, als die richtigen Fragen zu stellen. Deshalb war es so enttäuschend, daß aus dieser Großen Anfrage, die weit in den Forschungsbereich hineinreichte, für die damalige Bundesregierung überhaupt nichts gefolgt ist. Wir haben dies sofort aufgegriffen, sobald wir es konnten, nämlich im Oktober 1982, und wir haben es vorangebracht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie möchten noch eine weitere Zusatzfrage stellen? - Bitte schön.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, ich bitte Sie herzlich, auf meine Frage zu antworten: Was hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Sie ja damals führend angehörten, 1980/81 - ich rede nicht von 1982 - in diesem Bereich getan? Unbestritten ist ja wohl - ich hoffe, Sie geben das zu -, daß uns Parteien das Waldsterben 1981/82 restlos überrannt hat. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Es kommt darauf an, wer wann reagiert, mit der Kompetenz, die er hat. Und wenn die Politik aus ihrer exekutiven Verantwortung nicht imstande ist, rechtzeitig Fragen zu stellen, frage ich Sie, wie ein Abgeordneter, der sich die Fragen mit einer Hundertzahl von Einzelkorrespondenzen zusammensuchen muß, der Politik in der Exekutive vorschreiben kann, was sie tun soll. Sie haben damals versagt. ({0}) Ich möchte als Drittes die Frage der Forschungsförderung in der Wirtschaft aufgreifen, die hier eine Rolle gespielt hat. Wir sind in der Förderung der Forschung in der Wirtschaft natürlich eine Reihe von neuen Punkten angegangen. Herr Vosen, es ist mir völlig unbegreiflich, wie Sie beispielsweise das Zuwachsförderungsmodell für sich reklamieren können. Dieses war im Haus noch in keinem einzigen Referat angelaufen. ({1}) - Nicht ein Wort. ({2}) Dies hatten wir in der Forschungsgruppe schon 1980 und 1981 vorbesprochen. Gekommen ist nichts. Wir haben dies in Amerika geprüft. Wir haben das Zuwachsmodell analog zu deren Tax Credit Program gebaut. ({3}) Dies ist nur ein einziges Beispiel. Wir haben die Förderung des Mittelstandes hochgezogen. Der Mittelstand hat noch nie einen so hohen Anteil aus dem Forschungshaushalt bekommen und auch noch nie so unbürokratisch. Es ist hier über die Frage des 4-Megabit-Speichers gesprochen worden. Ich möchte eines eindeutig sagen: Eine Forschungspolitik, die vernünftig angelegt ist, muß die gesamte Landschaft im Blick behalten. Wenn wir nur punktuell an die Probleme herangehen, wird alles falsch. Unser Informationstechnik-Bericht, in dem dieses Projekt übrigens so, wie wir es machen, drinsteht, sagt eindeutig, wo wir bei Großprojekten in Zusammenarbeit mit Firmen ran müssen. Das Submicron-Projekt steht drin. Er sagt, wo wir den Mittelstand mit indirekt-spezifischen Programmen zur Microperipherik, zu Aktoren, zu Sensoren, zur Fertigungstechnik einbeziehen müssen. Er sagt, wie wir die Rahmenbedingungen bei den Netzen, bei den Normen, bei den Standards schaffen. Er sagt, wie wir den europäischen Binnenmarkt in einem Zusammenspiel von internationalen AbspraBundesminister Dr. Riesenhuber chen zu Normen, Standards und Netzen dort erschließen, wo der Staat hoheitliche Aufgaben hat. Aus allen diesen Bereichen und nur aus ihnen zusammen entsteht ein Konzept. Wir haben hier die große Schwierigkeit, daß wir mit Hardware und Bauteilen international nicht exzellent dastehen. Dies ist nicht nur eine Frage der Bauteile. Wenn unser Mittelstand nicht rechtzeitig die Bauteile hat, wenn unsere Konkurrenten in den Weltmärkten schneller die modernsten Bauelemente haben als unsere Leute, wird er - und wir haben es im Werkzeugmaschinenbau erlebt - von anderen überrannt, weil er nicht rechtzeitig die Voraussetzungen hat. Deshalb versuchen wir, in einem integrierten Programm über alle Bereiche die Voraussetzungen so zu schaffen, daß sich unsere Industrielandschaft erfolgreich entwickeln kann, daß große und kleine Unternehmen gemeinsam in ihren jeweiligen Aufgaben erfolgreich bestehen können. ({4}) - Wenn Sie hier dazwischenrufen „Siemens", kann ich Ihnen nur eines sagen: Wir können nicht nach Bedürftigkeit, sondern müssen nach Leistung fördern. ({5}) Einer meiner Vorgänger im Amt, der Ihrer Fraktion angehört hat - Herr Stahl, Sie waren damals Staatssekretär -, hat immer und vor allem auch in dem Kontext, von dem ich spreche, gesagt: Wir müssen die Schnelläufer fördern. Wir dürfen nicht die fördern, die nicht laufen können. - Hier fragt sich, ob wir eine Technik wollen oder nicht, dann allerdings zum niedrigstmöglichen Preis. So haben wir angesetzt. Wenn Sie mir hier vorwerfen, ich hätte beim Schnellen Brüter nachgezahlt, kann ich nur eines sagen: Gemessen an dem, was ich vorgefunden habe an unabgedeckten Verpflichtungen der alten Regierung, haben wir die Sache zum erstenmal in einer handhabbare Form gebracht. ({6}) Gemessen an dem, was ich an exponentiellem Wachstum der Kosten Jahr für Jahr fand, haben wir zum erstenmal einen Zustand hingekriegt, wo die Kosten und die Zeitpläne stimmen, weil die Wirtschaft die Verantwortung übernommen hat, wo der Staat sie nicht tragen kann. ({7}) Und wenn Sie fragen, wo die Wende ist, muß ich sagen: Dort, wo es machbar war, hat die Wende stattgefunden. ({8}) - Ich habe Ihnen die Beispiele genannt. Dabei streite ich noch nicht einmal ab, daß es faszinierende Bereiche der Kontinuität gibt, die ich durchaus mit Respekt behandle. Es freut mich z. B., daß wir im Forschungsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens in einer guten Kontinuität arbeiten. Wir haben hier noch aus der Oppositionsrolle - der Kollege Gerstein war damals federführend - unser Konzept zur HdA so entwickelt, daß wir darauf im Konsens mit dem gesamten Ausschuß nahtlos aufbauen konnten. Wir haben einen weiter wachsenden Konsens zwischen den Tarifpartnern, der ja kein Selbstzweck ist. Harmonie ist nie Selbstzweck, sie schafft die Voraussetzung dafür, daß das, was erarbeitet wird, nicht irgendwo in den Büchern verschimmelt. Dadurch, daß es auch die Wirtschaftlichkeit berücksichtigt, ist das HdAProgramm , wie wir es vorgelegt haben, in Kontinuität, zugleich aber auch in einem Wandel, der es tatsächlich erfolgreich auf den Märkten macht und nicht nur interessant für theoretische wissenschaftliche Berichte. Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zu der Frage machen, die zu der Zukunft der Kernforschungsanlage Jülich hier gestellt worden ist. Wir haben uns damals nach sehr intensiven Überlegungen gegen die Spallationsneutronenquelle entschieden, auch aus finanziellen Gründen, die ich bei anderer Gelegenheit dargestellt habe, aber auch deshalb, weil die großartige Stärke der KFA Jülich immer in der Vielfalt ihrer Aufgaben bestand, in ihrer Wirkung in der Region und über die Region hinaus, ihrer Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Gebieten mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Institutionen. Was wir als Konzept hier anlegen, ist völlig klar und seit über einem Jahr vorbereitet. Die Schwerpunkte liegen etwa in der Materialforschung, in der Festkörperphysik, hingewendet auf die Festkörperphysikgrundlagenforschung für die Mikroelektronik, in Umweltforschung, auch in Umwelttechnik, in ökologischen Fragen. Hier nicht etwa in der Weise - da widerspreche ich dem Antrag der GRÜNEN -, daß man sagt, die KFA per se sollte ökologisch werden, sondern in der Weise, daß auch ökologische Aufgaben in der KFA aufgenommen werden, wie wir es im Januar 1983 mit dem großen Kongreß zur Waldschadensforschung mit 500 Wissenschaftlern in der KFA begonnen haben. ({9}) Ökologie kann nicht ausschließlich KFA sein, und KFA kann nicht ausschließlich Ökologie sein. Was wir brauchen, ist im Querschnitt über KFA, KfK und GSF unter Einbeziehung der GKSS mit den verschiedenen Kapazitäten der Großforschung eine Nutzung der besten Instrumente. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, was wir hier vorlegen, ist eine Politik - so sagt es auch der Bundesforschungsbericht, auch hier in Kontinuität -, die das Wissen erweitert, die Umwelt und Ressourcen schont und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft aufbaut. Auf dieser Grundlage bauen wir eine Zukunft, tragen wir zu einer Zukunft bei, in der wir erfolgreich sind, aber in der wir auch gerne in unserem Land leben und arbeiten. Ich danke Ihnen. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Stahl ({0}).

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Bundesforschungsminister. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, daß wir uns Sorgen um Sie machen ({0}) - dies hat Herr Vosen versucht sehr deutlich darzustellen -, daß Sie trotz Ihrer rhetorischen Künste bei vielen wichtigen Entscheidungen, die die Forschungspolitik betreffen, im Kabinett restlos zerrieben werden. Nicht mehr und nicht weniger hat Herr Vosen hier versucht ({1}) sehr sachlich, sicherlich auch mit einigen Spitzen, darzustellen. Diese Sorge, verehrter Herr Bundesminister, wird nicht nur von uns als den Mitgliedern der Forschungs-Arbeitsgruppe der Sozialdemokraten geteilt, sondern auch von Ihrer eigenen Fraktion. Das sollten Sie einmal in Ruhe zur Kenntnis nehmen. ({2}) Meine Damen und Herren, nach der mehr grundsätzlichen Darstellung meines Kollegen Vosen in dieser Debatte über eine Zahl von Punkten der Forschungspolitik ({3}) möchte ich in meinem Beitrag fünf Punkte aus der Antwort der Regierung ansprechen: den Bundesforschungsbericht, das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens", die Energieforschung, die Antwort der Bundesregierung zu Ursachen der Waldschäden und die Papierproduktion des Forschungsministers. Es ist unbestritten, daß der Bundesforschungsbericht nach der Wende nach rückwärts Ihr erster ist, Herr Riesenhuber, den Sie hier im Parlament vorlegen. ({4}) Hier zeigt sich, daß die Sematik der Wortbeiträge größer, aber die fachliche Aussage kleiner als sonst ausgefallen ist. Das haben wir wieder an Ihrer Rede gemerkt. Es ist unbestritten, daß der Bericht auf alter Grundlage aufbaut. Es wäre aber notwendig gewesen, nicht nur Jubelworte bezüglich der Forschung und der technologischen Veränderung anzubringen, sondern auch Kritisches. Ihre Rede war eben auch genauso pauschal, wie dort einige der Passagen aufgeführt sind. ({5}) Auch wäre es sinnvoll gewesen, den Zusammenhang zwischen der Einführung neuer Techniken und den Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und auf den Arbeitsmarkt gründlicher darzustellen. Forschungspolitik hat doch einen wichtigen Beitrag zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu leisten. Da sind wir uns alle hier - vielleicht außer den GRÜNEN - einig. ({6}) Natürlich bedarf es einer positiven Grundhaltung zur Technik. Diese kommt aber nur zustande, verehrter Herr Minister, wenn das Für und Wider verdeutlicht wird. Wir Sozialdemokraten stimmen dem Forschungsminister zu, daß Forschung und Entwicklung nicht hinter dem Markt herlaufen dürfen, sondern in die Zukunft gerichtet sein müssen. Dies gilt sowohl für die Grundlagenforschung als auch für die angewandte Forschung. Die direkte Forschungsförderung in Projekten wird - so ist es aus vielen Veröffentlichungen zu entnehmen - zurückgefahren. Dies sehen wir nicht als den Stein der Weisen an; denn es gibt viele Branchen im Bereich der Wirtschaft - z. B. die Meerestechnik -, die ohne die direkte gezielte Projektförderung derartige notwendige Projekte im Sinne der Volkswirtschaft nicht mehr angehen, da das wirtschaftliche Risiko für viele Betriebe, vor allem kleine und mittlere Betriebe, einfach zu groß ist. Da hilft auch keine indirekt spezifische Förderung, etwa die Zahlung von Zuschüssen zum Gehalt oder steuerliche Erleichterungen. Den Streit um die direkte und indirekte Forschungsförderung, Herr Kollege Laermann, wollen wir nicht aufnehmen. Aber unbestritten ist, Herr Forschungsminister - diese Frage sollten Sie hier vor dem Bundestag beantworten -: Es gibt die Möglichkeit, beispielsweise der Firma Siemens Forschungsmittel zu zahlen, wofür ich bin, aber dann bitte auch mit einer Rückzahlungspflicht. Bei 20 % Dividende des Unternehmens und mit 10 oder 15 Milliarden DM Rücklagen kann man dies doch erwarten. ({7}) Dies hat mit dem Gleichheitsgrundsatz wenig zu tun. Die bewußte Auslassung der regionalen Verteilung der Forschungsmittel auf die Länder im Bericht spricht doch auch für sich selbst. Der Einfluß von Forschung und Entwicklung auf die Verbesserung der ökologischen Situation ist in Ihrem Bericht ebenfalls wenig dargelegt. Zwischen allen Fraktionen dürfte unbestritten sein - Sie haben es eben auch ausgeführt -, daß wir alle von einer gezielt eingesetzten Technik im Bereich von Luft, Wasser und Boden eine Entlastung der Umwelt erwarten. Da gibt es doch eine ganze Menge positiver Beispiele. Das Kapitel Entwicklungsländer ist im Forschungsbericht unterbelichtet behandelt, ja kläglich. Sie hatten uns zugesagt, hier verstärkt tätig zu werden und in Absprache mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Aktivitäten stärker abzustimmen und auch auszuweiten. Herr Bundesforschungsminister, in Ihrer heutigen Rede ist dazu gar nichts gesagt worden. Stahl ({8}) Wir Sozialdemokraten haben für die heutige Sitzung einen Änderungsantrag zur Beschlußempfehlung zum Bundesforschungsbericht vorgelegt. In diesem Antrag sind noch die Punkte der Zusammenarbeit mit den Bundesländern, die internationale Zusammenarbeit sowie die Verbesserung der statistischen Datenbasis angesprochen. Herr Kollege Lenzer, ich verstehe nicht, was Sie dagegen haben, wenn wir dies als Opposition jetzt zusätzlich einfordern und demnächst eine gezielte Berichterstattung zu einzelnen Punkten verlangen. Meine Damen und Herren, die Antwort der Bundesregierung zum Bereich der Humanisierung des Arbeitslebens haben wir mit großer Aufmerksamkeit vernommen. Es findet unsere Zustimmung, daß das Programm weiter ausgebaut werden soll und daß sich die Tarifvertragsparteien - Gewerkschaften und Arbeitgeber - mit dem Bundesforschungsminister einig sind, daß die Umsetzung von Ergebnissen und die Aufnahme neuer zeitnaher Probleme beschleunigt werden sollen. Ich möchte nicht auf Einzelfragen eingehen, da wir im Ausschuß für Forschung - Herr Lenzer, Sie haben das ja zitiert - zu diesem wichtigen Programm und seiner künftigen Gestaltung einen gemeinsamen Antrag verabschiedet haben. Ich verweise auf unseren Antrag, der hier vorliegt. Die Energieforschung hatte und hat den größten Anteil im Haushalt des Bundesforschungsministers. In Erklärungen des Ministers und bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen wurde ausgeführt, daß der Minister vor Mitte des Jahres 1986 ein neues Energieforschungsprogramm veröffentlichen will. Unsere Frage: Bis auf die weitere Forschung im Bereich der Kernfusion sollen die anderen Bereiche wie fossile Energieträger, rationelle Energieverwendung, erneuerbare Energie sowie die Kernenergie eingeschränkt werden. Wo geht die Reise hin, Herr Bundesminister? Welche neuen Schwerpunkte, welche Umsetzung von Erkenntnissen wollen Sie künftig fördern? Was wird aus der Forschung im Bereich der umweltfreundlichen Kohletechnologie, Kohleverflüssigung usw.? Was wird mit den Forschungskapazitäten im Kernenergiebereich? Auf diese Fragen, verehrter Herr Bundesforschungsminister, hatten wir heute bei dieser grundsätzlichen Forschungsdebatte Antworten erwartet. Hier ein Wort zu dem Antrag der GRÜNEN zu Jülich. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie sind wirklich vollends falsch informiert. Die Lage in Jülich ist anders, als Sie sie tatsächlich in dem Antrag darstellen. Es lohnt sich nicht, darüber zu reden. ({9}) Nun zu einem weiteren wichtigen Punkt, Forschungen zu Ursachen der Waldschäden. Hier liegt uns die Antwort der Bundesregierung vor. Wir Sozialdemokraten hatten ein Notprogramm gegen das Waldsterben im April 1983 gefordert. Es wurde mit dem Hinweis abgelehnt, die Regierung habe viel getan. In diesem Zusammenhang ist es aber notwendig, den Bericht des Forschungsministers vom 3. Oktober 1983 zu lesen. Die Antwort auf die Große Anfrage ist in Einzelfragen sehr interessant. Sie ist aber, bezogen auf den Bericht, Herr Riesenhuber, den Sie 1983 gegeben haben, wenig ergiebig.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Laermann?

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte sehr, wenn das nicht auf die Zeit angerechnet wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Stahl, sind Sie der Auffassung, daß dem Wald mit blindem Aktionismus geholfen werden könnte und daß es nicht umgekehrt richtiger ist, erst einmal zu eruieren, welche Ursachen und welche Wirkungen maßgebend sind, um dann auch gezielt die Gegenmaßnahmen in der Erwartung von Abhilfen ansetzen zu können? ({0})

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Laermann, natürlich ist dem Wald mit wildem Aktionismus nicht geholfen. Aber es geht doch darum, daß kurzfristige Maßnahmen zur Behebung der größten Not von der Bundesregierung nicht ergriffen worden sind. Wir reden hier nicht über die Forschung. ({0}) Zu einem weiteren wichtigen Punkt. Unbestritten ist doch, daß uns, die Parteien, das Waldsterben überrannt hat. Der Forschungsminister hat meine Frage nicht beantwortet, was denn die CDU/CSU-Fraktion als Opposition 1980 und 1981 an Anträgen eingebracht hat. Das ist doch bewußt eine Fehlanzeige. ({1}) Meine Damen und Herren, die erste Schadenserhebung 1982 endete mit dem Ergebnis, 7,7 % des gesamten Waldbestandes der Bundesrepublik seien geschädigt. In der Erhebung 1983 eskalierten die Schäden auf 34%, in der Erhebung 1984 auf 50%. Die Erhebung 1985 zeigt, daß eine Schadensverschiebung zu höheren Schadstufen stattgefunden hat, ({2}) daß vor allen Dingen ältere Bäume und auch Laubbäume betroffen sind. Dies, meine Damen und Herren, ist für uns alle ein bedrückendes Ergebnis. Der Forschungsminister hat hierzu die Mittel für eine zielgerichtete Forschung erhöht. Nur wird das dem Wald kurzfristig nicht helfen. Die Forschung auf diesem Gebiet muß weiter verstärkt werden. Sie Stahl ({3}) muß weitergehen. Sie findet, Herr Bundesforschungsminister, unsere volle Unterstützung. Vor allem gilt es, die Zusammenhänge zwischen den neuartigen Waldschäden ({4}) und der Bodenbelastung zu erforschen. Wir wissen heute, daß die Luftverschmutzung mit SO2 und NOx und auch durch Fotooxidantien aus Stickstoffoxiden für einen wesentlichen Teil der Schäden verantwortlich sind. Die synergistischen Wirkungen von Schadstoffen bedürfen aber noch einer wesentlichen Erforschung. Hier ist noch ein breites weißes Feld. Die Verabschiedung der GroßfeuerungsanlagenVerordnung 1983, 1982 schon erstellt, bringt mittel- und langfristig mit der TA Luft, wenn sie in der Bundesratsfassung verabschiedet wird, eine unwahrscheinlich große Entlastung. ({5}) Aber, meine Damen und Herren, das Problem, von dem ich gesprochen habe, bleibt. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß kurzfristig mehr Maßnahmen getroffen werden. Ich verweise nochmals auf das „Notprogramm gegen das Waldsterben" der Sozialdemokraten. Lassen Sie mich abschließend noch einen Punkt ansprechen: die Pressearbeit und die schriftliche Berichterstattung des Bundesforschungsministeriums. Im letzten Jahr wurden uns 55 sogenannte Presseinformationen - ich sage ausdrücklich je 15-60, ja bis 75 Seiten lang - zugestellt, daneben 97 mehrseitige - bis zu 8 Seiten lange - sogenannte Forschungsergebnisse ({6}) und 143 sogenannte Pressemitteilungen ({7}) mit im Schnitt 2 bis 4 Seiten. Herr Forschungsminister, die Gesamtseitenzahl beläuft sich auf etwa 5 000! ({8}) Hinzu kommen noch zahlreiche gedruckte neue Programme und natürlich auch Informationen auf Anforderung des Parlaments. Herr Bundesminister, bei allem Verständnis für die notwendige Pressearbeit und Information des Parlaments: Lassen Sie mich angesichts dieser zentnerweise gelieferten klugen Sprüche sagen, hier wäre weniger mehr. Das Beschreiben von Papier ersetzt nicht sachliche Informationen und ist keine Politik. Ich empfehle Ihnen, einige Mitarbeiter Ihres Hauses - vielleicht der Pressestelle -, die die langen Wälzer schreiben müssen, mit der Bearbeitung und Prüfung von Projekt- und Zusatzpersonalkostenanträgen zu befassen, ({9}) damit vor allem die mittelständische Wirtschaft ihre Bescheide - zunehmend Ablehnungen schneller erhält. Es ist kein Wunder, daß vor allem seitens der mittelständischen Wirtschaft - siehe die jüngste Ausgabe der „Wirtschaftswoche" - Kritik an Ihnen laut wird, und diese Kritik ist berechtigt, denn in der Politik gilt doch noch immer: Nicht langes Reden und viele Druckseiten bewirken irgend etwas, sondern nur zügige, sachliche und notwendige Entscheidungen im Interesse der Wirtschaft, der Bürger und der Öffentlichkeit. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, ich hoffe, daß Sie den drei vorliegenden Anträgen zum Bundesforschungsbericht, zum Humanisierungsprogramm und zum Waldschadensproblem, die j a eigentlich unumstritten sind, hier im Plenum Ihre Zustimmung geben. Schönen Dank. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Keller.

Peter Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, bei der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage einleitend feststellen zu können, daß die Humanisierung des Arbeitslebens von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages als eine wichtige Daueraufgabe der politischen Praxis anerkannt wird. Es ist sicher ein großes Verdienst der neuen politischen Führung im BMFT, daß der Programmbereich HdA endlich aus den negativen Schlagzeilen verschwunden ist. Dieses Bemühen um einen tragfähigen politischen Konsens wäre ohne Erfolg geblieben, wenn nicht die Hauptbeteiligten in den Betrieben, bei den Tarifparteien und in der Wissenschaft aufeinander zugegangen wären. Aber es ist meiner Einschätzung nach auch keine Selbstverständlichkeit, daß die Fraktionen des Deutschen Bundestages in der Beurteilung des Programmbereichs HdA offensichtlich näher zusammengerückt sind. Als Mitglied des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung möchte ich in dieser Hinsicht dem Ausschuß für Forschung und Technologie neidlos eine Pionierfunktion zubilligen. Ich unterstütze deshalb ausdrücklich das, was der Kollege Stockleben in seinem Debattenbeitrag vom Juni letzten Jahres wörtlich festgestellt hat: Solch ein Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" wird sicher nie konfliktfrei - jedenfalls dann nicht, wenn es um die Umsetzung in die Praxis geht -, aber es sollte ideologiefrei gefahren werden. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß die heute zu erörternde Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsparteien diesem Anspruch gerecht wird, denn diese Antwort gibt erfreulich klare Aufschlüsse darüber, wie sachgerecht, konstruktiv und vor allem praxisnah der Programmbereich „Humanisierung des Arbeitslebens" inzwischen ausgestaltet worden ist. Es bedarf daher keiner zusätzlichen Berichterstattung, wie es im SPD-Entschließungsantrag gefordert wird, da ohnehin, sehr geehrter Herr Stockleben, bei den HausKeller haltsberatungen, wie gerade Sie wissen, insbesondere der Bereich HdA jedes Jahr von allen Fraktionen intensiv beraten wird. Im Interesse der Gemeinsamkeit bitten wir Sie - im Gegensatz zu Ihrer Auffassung, Herr Kollege Stahl -, auf eine Durchsetzung Ihres Entschließungsantrages im Plenum zu verzichten. ({0}) - Aber zusätzliches Papier ist überflüssig. Die Bundesregierung weist auf die breite Zustimmung hin, die das HdA-Programm inzwischen bei allen Beteiligten gefunden hat, und sie hebt zu Recht hervor, daß sich die gemeinsame Erarbeitung von Förderungsschwerpunkten bewährt hat. Dabei hat sich die Konzentration auf wenige, gut definierte Förderschwerpunkte zweiffellos positiv auf die effektive Umsetzung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse in die Praxis ausgewirkt. Für einen besonderen Erfolg halte ich es, daß sich der Anteil kleiner und mittlerer Unternehmen an den Fördermaßnahmen des HdA-Programms in den vergangenen Jahren wesentlich, deutlich erhöht hat. Als Mitglied der CSU-Landesgruppe - wenn ich das so sagen darf - begrüße ich an dieser Stelle ganz besonders, ({1}) daß sich das BMFT im Rahmen des HdA-Programms in Zukunft auch für die menschengerechte Gestaltung der Arbeit in der Landwirtschaft einsetzen will. Hier scheinen mir im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, für deren verbesserte Arbeitsbedingungen in der Vergangenheit viel geleistet worden ist, doch noch einige Defizite zu bestehen. ({2}) - Die haben wir in Bayern sowieso. Lassen Sie mich jetzt bitte noch in aller Kürze auf eine wichtige - wenn Sie so wollen - ordnungspolitische Grundvoraussetzung des HdA-Programms zu sprechen kommen, für die die neue Bundesregierung ebenfalls wichtige Weichen gestellt hat. Ich meine unser aller Einstellung zur Technik und zum Phänomen des technischen Fortschritts und damit auch zu dem in letzter Zeit viel diskutierten Spannungsverhältnis zwischen technischem Fortschritt und Arbeitsmarkt. Hier wurden in den zurückliegenden Jahren viel zu einseitig nur die Gefahren des technischen Wandels beschworen, und viel zu häufig wurde vergessen, daß die neuen Techniken in der Verwaltung, im Dienstleistungsbereich und in der Produktion dem arbeitenden Menschen vor allem neue Chancen eröffnen. Minister Riesenhuber und sein Parlamentarischer Staatssekretär Probst haben deshalb immer wieder mit Nachdruck betont, daß die neuen Techniken keine Ängste hervorrufen müssen, sondern, als nützlich und hilfreich erkannt, menschengerecht gestaltet werden sollen; denn mit einem vielseitigen und weitreichenden Technikeinsatz können in vielen Bereichen wertvolle neue Gestaltungsspielräume eröffnet werden. Minister Riesenhuber hat aber zu Recht auch darauf hingewiesen, daß wir gleichzeitig die Risiken bei der Einführung neuer Technologien im Interesse der Arbeitnehmer minimieren müssen, wobei der Konsens zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften wichtig ist. ({3}) - Das hat mit § 116 überhaupt nichts zu tun, lieber Herr Kollege Vosen. - Auf diesem Wege wird sichergestellt, daß der technische Wandel, der die internationale Wettbewerbsfähigkeit entscheidend prägt, so gestaltet werden kann, daß die Arbeitsbedingungen weiter verbessert werden. Dabei kann ich und will ich als Arbeitnehmervertreter meiner Fraktion auch gar nicht bestreiten, daß die Problematik einer Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei der Einführung und Anwendung neuer Techniken bei uns durchaus unterschiedlich beurteilt wird. Das ist das Thema, nicht § 116. ({4}) Aber wie immer diese Frage am Ende politisch entschieden wird, ich möchte für den HdA-Bereich folgendes feststellen: Grundvoraussetzung für eine praxisgerechte Umsetzung des HdA-Programms ist der freiwillige Konsens zwischen allen betroffenen Gruppierungen und Partnern. ({5}) Eine solche für die Praxis gedeihliche Zusammenarbeit läßt sich aber, wie viele leidvolle Beispiele zeigen, nicht durch gesetzlichen Zwang herbeiführen. ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich halte es deshalb für besonders verdienstvoll, daß sich Minister Riesenhuber frühzeitig mit den Gewerkschaften in Verbindung gesetzt und mit ihnen über die Gestaltung dieses Programms weitgehende konstruktive Einigung erzielt hat. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mit zwei Bemerkungen aus sozialpolitischer Sicht schließen. Das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" wurde in der Bundesregierung gezielt zu einem Instrument entwickelt, das die Wirksamkeit eines vorbeugenden Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz erhöhen soll. ({7}) In der Gesundheitsprävention sehe ich auch eine Möglichkeit, die Kosten unseres Sozialversicherungssystems langfristig zu vermindern. Durch die Auswirkungen der dritten industriellen Revolution werden auch künftig neuartige Technologien den Arbeitsalltag im Betrieb und im Büro verändern. ({8}) Das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" kann in der Zukunft bei konstruktiver Zusammenarbeit aller Beteiligten einen Beitrag zu mehr menschengerechter Arbeit leisten. Wir, die Unionsfraktion, werden dabei engagiert und pragmatisch mitarbeiten. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller ({0}).

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liest man den Forschungsbericht der Bundesregierung über 1984, wird man nach aufmerksamem Lesen von dem herben Gefühl befangen, sich auf der Titanic auf der Reise ins gelobte Land der Moderne zu befinden. Man könnte diesen Forschungsbericht mit den Worten zusammenfassen: Auf dem sinkenden Schiff alles im Griff. Die Probleme, die wir heutzutage haben, werden so gut wie nicht genannt. Eines muß man sagen: Der Bericht beschreibt ein Sammelsurium von Forschungsförderung, kein Gebiet ist ausgelassen, zu allem findet man etwas, und es ist der bunteste Bericht - das muß ich lobend erwähnen -, den diese Regierung je vorgelegt hat. ({0}) So viele Zeichnungen, so viele kleine Männchen, so viele Statistiken, da hat man sich Mühe gegeben, und ich begrüße das. ({1}) Allerdings kommt auch der Sammler von Sprechblasen und Leerformeln gleich auf der ersten Seite auf seine Kosten. Ich darf aus diesem Bericht zitieren: Wissenschaft und Forschung wurden so Grundlage und zentraler Ausdruck unserer Kultur. Wunderbar, kann ich dazu sagen. Sie sind insoweit vergleichbar mit der Kunst, deren Nutzen ebenfalls nicht zu messen ist und die ebenso elementar menschlicher Natur entspricht und menschliche Kultur widerspiegelt und formt. Dies ist wirklich eine Leerformel; damit sagt man überhaupt nichts. Ich meine allerdings, daß dieser Versuch, aus dem Image des Technokraten herauszukommen und in das Image des Kunstbeflissenen zu fliehen, mit diesem Satz eindeutig gescheitert ist. Aber es wird noch schlimmer. Ich möchte einen weiteren Satz über die forschungspolitische Landschaft, der auf derselben Seite zu finden ist, zitieren: Die Ursprüngliche emanzipatorische Funktion der Forschung ist in unserer freiheitlichen Gesellschaft allmählich in den Hintergrund getreten, obwohl Mythen - in säkularisiertem Gewand -, Ideologien und Halbwissen keineswegs überwunden sind. Meine Damen und Herren von der CDU, Herr Riesenhuber, wer immer diesen Satz geschrieben haben mag, er ist in Ihrem Hause falsch, er gehört in die Lyrikabteilung des Kanzleramts. ({2}) Ernst wird es dann in diesem Bericht, wenn - immer noch auf derselben Seite, darüber müßte man diskutieren - gesagt wird: Innovationen sind ein Lebensnerv jeder modernen Volkswirtschaft. Ich als Ökonom liebe derartige Vergleiche aus der Medizin; allerdings hat das mit Ökonomie sehr wenig zu tun. Doch nun zu den Innovationen: Wurde in dem ersten Zitat noch gesagt: Das kann man alles nicht messen, so wird klar, wenn man den Forschungsbericht weiter liest: Das kommt teuer, was hier alles geforscht wird. Offensichtlich haben wir es hier mit etwas zu tun, das der Art ist, daß davon die Schwerpunkte der Probleme, die in der Bundesrepublik - und nicht nur in der Bundesrepublik - bestehen, von diesem Programm und von dieser Forschung nicht erfaßt werden. Über ein Drittel wird da für Raumfahrt, Beschleuniger-Forschung und AKW-Forschung ausgegeben. 11 Milliarden DM sind schon jetzt in der Bundesrepublik in die Raumforschung geflossen. Ich habe größte Bedenken, ob hier überhaupt so etwas wie ein Spin-off-Effekt kommen könnte. Wenn ich allein an die Kosten denke, die eine Beteiligung an Hermes mit sich brächte, kann ich jetzt schon sagen: Hier tut sich ein gigantisches Milliardengrab für Steuergelder auf, die man sicher anders investieren könnte, als es im Augenblick geschieht. ({3}) Lassen Sie mich ein ernstes Problem ansprechen, das in jüngster Zeit viel diskutiert wird und über das wir im Bericht nichts und zu wenig im Bereich dessen, was im Augenblick an Forschungspolitik gemacht wird, finden. Es geht um die Verbrennung von Kohlenstoffen, wo bei CO2 und andere Gase entstehen. Wir haben gerade wieder einen Bericht vorliegen, wonach gigantische Klimaveränderungen zu erwarten sind, und zwar schon im Bereich der nächsten zwei Generationen. Ein Treibhauseffekt ist zu erwarten. Wüsten werden sich ausbreiten, und - man liest es mit einem gewissen Schaudern als Bestätigung dessen, was schon in „Global 2000" geschrieben worden ist - Polkappen werden in der nächsten Zeit abtauen können. Was heißt das? Wenn dieser Prozeß nicht aufgehalten wird, wird Norddeutschland offensichtlich unter Wasser stehen. ({4}) - Sie sagen: Ach Gott, ach Gott, ach Gott! Ich bitte Sie, die Berichte darüber ernst zu nehmen, ({5}) Dr. Müller ({6}) wie dieser Treibhauseffekt zustande kommt. Ich bitte, auch das ernst zu nehmen, was sich bereits in der Sahel-Zone tut. Auch dies gilt bereits als Ergebnis dieses Effekts. ({7}) -Das sagen ernsthafte wissenschaftliche Studien, die eigentlich auch Sie auf dem Tisch liegen haben sollten. ({8}) - Ich habe auf diesen Zwischenruf gewartet. Ich bedanke mich dafür. Ich wußte, daß Sie jetzt mit dem Zwischenruf „Kernenergie" kommen würden. Damit bin ich dankenswerterweise beim nächsten Thema. Ich möchte folgendes klarmachen. Wir haben hier einen Antrag zu der Frage vorliegen, die bei diesem Treibhauseffekt wichtig ist: In dem Maß, in dem der Wald stirbt und Wälder abgeholzt werden, geht der Wald verloren, der diesen Treibhauseffekt verhindern könnte. Es gibt genügend wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, daß im Bereich der AKWs das Waldsterben besonders gefördert worden ist. ({9}) Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. ({10}) Ihr Zwischenruf beweist Ihre Art von Politik, nämlich daß Sie immer den Teufel mit dem Beelzebub austreiben wollen, daß Sie von einer Technik zur nächsten hoppeln. ({11}) Die Probleme werden damit größer. ({12}) In dem gesamten Bericht ist nichts anderes zu finden als genau die beschriebene Technik-Euphorie, die wir immer kritisieren. Denn eines sagen Sie nirgendwo - leider auch Sie nicht, Herr Riesenhuber -: daß die Probleme, die wir heute haben, durch Technik und Wissenschaft entstanden sind und produziert worden sind. Das gehört zu einem redlichen Forschungsbericht hinzu. ({13}) Herr Riesenhuber, zur Grundlagenforschung. Man kann alles mögliche als Grundlagenforschung bezeichnen. Wir haben nichts dagegen. Auch ich bin der Meinung, daß Grundlagenforschung unheimlich wichtig ist und ausgeweitet werden muß. Die Frage ist natürlich, ob das Instrument, das Sie u. a. genannt haben, nämlich der Wettbewerb über C 4 hinaus, ein Instrument ist, das uns in die Lage versetzen wird, so etwas wie ein Ausweiten der Grundlagenforschung zu bewirken. Denn eines sollten wir wissen - und da bin ich mir auf Grund eigener Erfahrungen ganz sicher -: Gute wissenschaftliche Ergebnisse haben mit der Besoldungsstufe überhaupt nichts zu tun; meist ist das Gegenteil der Fall. ({14}) Noch etwas: Sie sagen, Sie haben die Waldforschung hochgezogen. Das ist richtig, was die Zahlen und Investitionen im Bereich der Waldforschung betrifft. Aber eines sollte klar sein - damit komme ich zum Schluß -: Das haben Sie doch nur getan, um das totale Versagen bei den Maßnahmen gegen das Waldsterben zu kaschieren. Das haben Sie doch gewollt. ({15}) Sie reden über Forschung zum Waldsterben, aber der Wald stirbt weiter. Das war eine Ersatzpolitik, sonst nichts. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu dem Beitrag des Kollegen Müller eigentlich nur dies sagen: Die Zitate, die er hier aus dem Bundesbericht Forschung vorgetragen hat, belegen nur eines, nämlich, daß er von den 430 Seiten dieses Druckwerks nur die ersten drei gelesen hat. ({0}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich den Versuch machen, einige der Probleme anzusprechen, die hier im Vordergrund stehen sollten, nämlich diejenigen Themen, die mit Umwelt zu tun haben. Unser Freund Gerhart Rudolf Baum hat einmal von dieser Stelle aus gesagt, daß die Bundesrepublik Deutschland die Nummer eins beim Umweltschutz in Europa ist, und er hat recht, meine Damen und Herren. ({1}) Dies hängt damit zusammen, daß die liberalen Innenminister Hans-Dietrich Genscher, Werner Maihofer und Gerhart Rudolf Baum wesentliche Beiträge dazu geleistet haben, den Stand der Umweltforschung und der Maßnahmen zum Schutz der Umwelt so weit voranzubringen, wie es bisher der Fall ist. Die Bundesregierung, die wir 1982 zusammen mit der Union gebildet haben, setzt diese Politik fort. Meine Damen und Herren, im Rahmen dieser Politik hat sich ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Es hat sich nämlich eine deutliche Veränderung der Einschätzung von Forschung und Technologie im Bewußtsein, im Denken der Menschen vollzogen. Forschung und Technologie werden jetzt besser, positiver eingeschätzt. ({2}) Ich denke, dies hat auch etwas damit zu tun, daß immer mehr Menschen in der Bundesrepublik verstehen, daß es nur mit dem Einsatz von neuen Technologien, unter Einsatz von Technik möglich sein wird, die Umweltprobleme, die es j a nach wie vor gibt, wirklich zu lösen. ({3}) Dies ist eine wesentliche Veränderung, die wir mit bewirkt haben. Meine Damen und Herren, wir haben es heute mit der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen betreffend „Forschungen zu Ursachen der Waldschäden" zu tun. Ich will hier an Hand von drei Zahlen noch einmal auf die Bedeutung des Themas hinweisen. Die durchschnittliche Schädigung der gesamten Waldfläche betrug im Jahre 1983 etwa 34 %, im Jahre 1984 50 % und im Jahre 1985 etwa 52 %. Diese Zahlen sind natürlich mit einem gewissen Vorbehalt zu genießen, weil die statistischen Grundlagen nicht ganz vergleichbar sind. Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber deutlich zum Ausdruck bringen, daß die Unterstellung, die hier von Sprechern der Opposition uns gegenüber vorgenommen wurde, falsch ist. Sie versuchen, so zu tun, als plädierten wir angesichts dieser Problematik für Forschung, um ein Alibi dafür zu haben, in der praktischen Umweltpolitik nichts zu tun. Meine Damen und Herren, nichts ist grotesker als diese Unterstellung. Sehen Sie sich an, was diese Bundesregierung seither praktisch verwirklicht hat. ({4}) Ich erwähne beispielsweise die Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Ich erwähne die TA Luft, die Maßnahmen zur Schadstoffbegrenzung bei Kraftfahrzeugen, das Bundes-Immissionsschutzgesetz usw. Ich könnte hier eine ganze Liste aufzählen. Meine Damen und Herren, es hat aber, glaube ich, keinen Sinn, daß wir hier Schlachten der Vergangenheit schlagen; wir sollten vielmehr sehen, was Forschung und Technologie im Dienste der Umwelt leisten können. Hier geht es aus liberaler Sicht im wesentlichen um drei Dinge: ({5}) Es geht einmal um die Aufklärung der Ursachen der Waldschäden. Wir sind der Auffassung, daß die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse bestätigt haben, daß die Luftverunreinigung eine der zentralen Ursachen für die erheblichen Waldschäden, die wir zu beklagen haben, sind. Wir wissen auf Grund der bisher vorliegenden Ergebnisse auch, daß die Theorie erhärtet wurde, das Waldschäden nicht auf einen einzigen Faktor, auf eine einzige Ursache zurückgeführt werden können, sondern daß es sich hier um eine Komplexerkrankung handelt. Deshalb muß eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen werden, wenn man das Thema angemessen bewältigen will. ({6}) Ich denke hier beispielsweise an die Probleme, die aus der Kombination von Schwefeldioxid und Ozon entstehen. Ich denke an die Schwierigkeiten und Probleme, die sich aus der Kombination von Schwefeldioxid und Stickoxiden ergeben. Natürlich - auch dies gehört zu einem unvoreingenommenen Bild - gehören dazu auch die natürlichen Faktoren, die wir nicht geringachten dürfen, wie Schwächeparasiten, Spätfrost usw. Der zweite Punkt, der für uns wichtig ist, betrifft die Entwicklung neuer Methoden zur Erfassung und Analyse der Waldschäden. Ich will hier nur beispielhaft auf die Luftaufklärung von Waldschäden durch Infrarot-Luftbilder, auf die computergestützte Auswertung von Luftbildaufnahmen, aber auch auf die Möglichkeiten hinweisen, die wir jetzt erst verstärkt erforschen lassen. Die Luftaufklärung von Waldschäden soll dadurch verbessert werden, daß wir Multispektralscanner einsetzen, die es ermöglichen, Informationen über den Chlorophyllgehalt in Blattpigmenten sowie über die Zellstruktur, den Wassergehalt usw. zu erlangen. Der dritte Punkt - ganz wichtig - ist die Entwicklung emissionsarmer Technologien. Stichwortartig genannt: leistungsfähige Filtertechnologien, verbesserte Verbrennungsverfahren und, das scheint mir zentral zu sein, die Berücksichtigung ökologischer Notwendigkeiten beim Produktionsprozeß selbst, der so gestaltet werden muß, daß bereits in der Produktion das Entstehen von Schadstoffen nach Möglichkeit vermieden oder jedenfalls drastisch reduziert wird. ({7}) Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Aspekt, den wir mit berücksichtigen müssen, ist das Thema der internationalen Kooperation. Ich darf hier auf das von seiten der SPD immer wieder kritisierte Projekt Eureka hinweisen. ({8}) Eureka beinhaltet eine praktische Maßnahme nämlich EUROTRAC, die es ermöglicht, den Ferntransport von umweltrelevanten Spurenelementen wahrzunehmen und festzustellen, wie die Verteilung tatsächlich aussieht. Dies alles sind praktische Maßnahmen, sind Schritte auf dem richtigen Weg, den wir weitergehen wollen. Im Rahmen einer solchen Konzeption haben natürlich auch die Großforschungseinrichtungen eine wichtige Rolle zu spielen, ob das jetzt Karlsruhe oder Jülich, die GSF oder welche auch immer ist. Unser Ziel ist es, die Voraussetzungen und die Handlungsspielräume für die Umweltpolitik durch eine interdisziplinäre Erforschung ökologischer Zusammenhänge und durch die Entwicklung umweltKohn freundlicher Technologien bis hin zur Anwendungsreife zu verbessern. Die Bundesregierung hat in ihrem Programm Umweltforschung und Technologie 1984 bis 1987 die wesentlichen Felder der Forschungsförderung beschrieben. Ich darf Ihnen das noch einmal in Erinnerung rufen. ({9}) Hierzu gehören Bodenbelastung und Wasserhaushalt, Waldschäden und Luftverunreinigungen, atmosphärische Schadstoffkreisläufe, ({10}) Umweltchemikalien, Ökosystemforschung usw. und im Bereich der Umweltschutztechnologien Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Abfallwirtschaft, emissionsarme Technologien und Produkte usw. Dies, meine Damen und Herren, ist nach unserer Überzeugung eine sinnvolle Strategie, in die die Großforschungseinrichtungen eingebaut werden müssen. Nun ist es richtig, daß sich die Kernforschungsanlage Jülich, nachdem die Entscheidung gegen den Bau einer Spallationsneutronenquelle gefallen ist, in einer Phase der konzeptionellen Selbstvergewisserung befindet. Ich würde es für falsch halten, wenn wir jetzt von seiten des Staates hier inhaltliche Vorgaben über das hinaus machen würden was in der Globalsteuerung bereits festgeschrieben ist. ({11}) Wissenschaft hat selbst zu definieren, welchen Beitrag sie im Rahmen der eben von mir beschriebenen Konzeption zur Lösung der Probleme leisten kann. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur noch ein Wort zu dem Antrag sagen, den die Fraktion der GRÜNEN zur Kernforschungsanlage Jülich vorgelegt hat. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, bevor Sie dies tun, möchte gerne der Abgeordnete Stahl eine Zwischenfrage stellen. Darf er das mit Ihrer Genehmigung?

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlich gerne.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kohn, Sie sprachen eben davon, daß sich die Kernforschungsanlage Jülich noch in einer Phase der Selbstvergewisserung befindet. Ist Ihnen bekannt, daß mit dem Bundesforschungsminister und seinem Hause ein gesamtes Programm bezüglich der künftigen Entwicklung und neuer Schwerpunkte im Forschungsbereich abgesprochen wurde?

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Antwort ist ja. ({0}) - Was ist Ihr Problem?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich bitte Sie nunmehr fortzufahren, Herr Abgeordneter.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nach dieser etwas undeutlichen Zwischenfrage, die keinen Hintergrund offenbart hat, möchte ich noch einmal auf den Antrag der GRÜNEN eingehen, ({0}) der in diesem Falle etwas mehr Substanz hat. Mir sind zwei Aspekte aufgefallen, nämlich wiedereinmal die sehr intensive Ablehnung der Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft, die aus dem Antrag hervorgeht, und zum anderen - was ebenfalls sehr wichtig ist - ein Verständnis des Staates, das mich sehr an die Staatsvergötzung bei Hegel erinnert. ({1}) Aber das, meine Damen und Herren, ist bei einer Fraktion, in der wesentliche Mitglieder den Linkshegelianer Karl Marx als ihren geistigen Ahnherren betrachten, auch nicht sehr verwunderlich. Es wäre sehr sinnvoll - ich bedaure nur, daß die Zeit hier abgelaufen ist -, dieses Staatsverständnis der GRÜNEN einmal zu analysieren. ({2}) Lassen Sie mich nur sagen: Wir Liberalen sind der Auffassung, daß die Tatsache, daß Ihre grüne Fraktion die Meinungsführerschaft in der Umweltpolitik verloren hat, uns nicht dazu veranlassen wird, die trotz aller Fortschritte in der Umweltpolitik noch immer bestehenden Probleme auf die leichte Schulter zu nehmen. ({3}) Wir bleiben dabei: Wir wollen, daß die ökologische Dimension in alle Politikfelder systematisch eingebaut, mit einbezogen wird. ({4}) Das ist unsere Konzeption, nämlich die Konzeption einer sozial und ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft. Vielen Dank. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}). ({1})

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wird sehr oft über Technologiefeindlichkeit geredet. Mein Kollege Alwin Brück hat bei dem Besuch einer Schülergruppe aus dem Saarland erfahren müssen, daß es Technologiefeindlichkeit auch an den Schulen gibt. Im üb14412 Fischer ({0}) rigen: Wenn man hier einmal auf die Regierungsbank guckt, ({1}) muß man feststellen, daß offensichtlich weniger Regierungsmitglieder anwesend sind, als Regierungsbeamte bei Ausschußsitzungen gegenwärtig sind. Und wenn man ins Plenum hineinguckt, dann könnte man sagen, daß hier eine verkleinerte Sitzung des Ausschusses für Forschung und Technologie stattfindet. ({2}) - Wie bitte? ({3}) - Ich bin nicht nur zufällig da. Wenn über Forschungspolitik gesprochen wird, Herr Rumpf, dann bin ich in der Regel auch anwesend. ({4}) - In der Regel, ja. Ich möchte den Schwerpunkt meiner Ausführungen auf die aktuelle Diskussion über den Bereich der Weltraumforschung legen; das steht ja auch auf dem Programm. ({5}) Das Ziel der Bundesrepublik hinsichtlich der Weltraumfahrt besteht darin, aus ihrer Nutzung Vorteile zu ziehen. Diese Vorteile sind erstens direkter Art: durch wissenschaftliche Erkenntnisse, wirtschaftliche Erträge, rechtzeitige Information, z. B. bezüglich Wetter, Klima, Umwelt, und den durch diese Entwicklung in anderen Bereichen ausgelösten technologischen Fortschritt, z. B. auf dem Gebiet der Elektronik, Robotik und Automatik, und zweitens indirekter Art: durch das Ansehen unseres gesellschaftlichen Systems und unserer Leistungsfähigkeit bei den eigenen Bürgern und im internationalen Wettstreit, durch gesteigerte Sicherheit für die Bundesrepublik, auch gestützt durch internationale Partnerschaft beim gemeinsamen Bau und Betrieb technologischer Großprojekte. Daraus folgt unmittelbar, daß Aktivitäten nicht gerechtfertigt sind, die gegen diese Ziele verstoßen. Es gibt also folgende Gründe, weltraumpolitische Aktivitäten, wenn man das einmal so allgemein formulieren darf, zu entwickeln: erstens wissenschaftliche Ergebnisse, zweitens wirtschaftlicher Nutzen, drittens Sicherheitsaspekte und viertens Ansehen. Ich möchte mich nun an Herrn Riesenhuber wenden. Erklären Sie uns hier doch einmal bitte, wie Sie, Herr Kohl, Herr Genscher und Herr Stoltenberg die Prioritäten, wenn Sie die genannten vier Gründe akzeptieren ({6}) - Herr Bangemann, der als Unterhändler nach Amerika durfte oder mußte, egal, wie man das sieht -, setzen. Ich kann mir also sehr wohl vorstellen, daß bei Herrn Kohl das Ansehen in der Prioritätenliste an erster Stelle steht. Da muß man aber fragen: Ansehen bei wem? ({7}) In den USA gibt er aus der Hüfte heraus seine Zusage zu Columbus und SDI, mit Mitterrand hat er Schwierigkeiten bezüglich Eureka und Hermes. Wie setzen Sie die Prioritäten? Ich hätte von Ihnen erwartet, daß Sie als Forschungspolitiker bezüglich SDI nach außen hin einmal Flagge zeigen, Ihre Meinung sagen und diese bezüglich SDI nicht unter der Decke halten. ({8}) - Herr Rumpf, daß Ihnen das nicht gefällt, kann ich sehr wohl verstehen. In ihrem Antrag vom 24. August 1984 hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ihre Position dargestellt, die im übrigen heute noch Gültigkeit hat. Das verstehen wir - im Gegensatz zu manch anderen Vorstellungen - unter Kontinuität. Unverzichtbare Bedingungen für die Weltraumpolitik der Bundesrepublik sind - so haben wir damals formuliert -: ausschließliche und kontrollierbare friedliche Nutzung des Weltraums, gleichberechtigte Teilnahme anderer Nationen, frühzeitige Beteiligung der interessierten Industrie, ungehinderter Technologietransfer, auf den ich nachher noch zu sprechen komme, in beide Richtungen, Kostenminimierung, vor allem durch Nutzung und Aufbau aus erprobten Geräten und mit vorhandenen Kenntnissen, und eine ständige Kosten-Nutzen-Analyse, obwohl wir wissen, daß es sehr schwierig ist, eine Kosten-Nutzen-Analyse in diesem Bereich zu erstellen. Wie sieht nun die Politik der Bundesregierung - an diesen Eckpunkten gemessen - aus? Die Beschlüsse des Kabinetts vom 16. Januar 1985 stehen da auf wackligen Beinen. Ohne eine fundierte Analyse und Zielbestimmung für eine langfristige deutsche und europäische Weltraumpolitik wurden die Beschlüsse getroffen. ({9}) Die SPD fordert ein Gesamtkonzept für die Weltraumpolitik, das eine Absage an SDI, eine unter den gegebenen Voraussetzungen bedingte Zurücknahme der Beteiligung an Columbus, ein Ja zu Eureka als Chance einer technologiepolitischen Selbstbehauptung Europas und ein Ja zu Hermes, dem Euro-Shuttle, mit zusätzlichen finanziellen Mitteln beinhaltet. ({10}) Wir hätten an dieser Stelle auch einmal gerne gewußt, ob es stimmt, daß bei dem letzten Treffen Kohl/Mitterrand in Baden-Oos unser Bundeskanzler Herrn Mitterrand ein Versprechen gegeben hat, sich mit 50 Millionen DM an der Planungsstudie Hermes zu beteiligen, und umgekehrt Mitterrand Herrn Kohl in Aussicht gestellt hat, sich finanziell an dem Jäger 90 zu beteiligen, und zwar in einer Höhe zwischen 5 und 10 %. Ich glaube, wir Parlamentarier können fordern - es wäre sogar eine Fischer ({11}) Pflicht, wenn dieses Versprechen abgegeben worden ist - daß man uns an dieser Stelle informiert. Bei meinem Gespräch mit dem französischen Forschungsminister Curien letzten Herbst ist mir mitgeteilt worden, daß die Franzosen vor Monaten ({12}) - wenn der Bangemann das machen kann, kann das auch der Lothar Fischer ({13}) machen ({14}) die Firmen Dassault und Aerospatiale beauftragt haben, ein Konzept für Hermes zu entwickeln. Die Franzosen möchten sich mit über 50 % an der Trägerschaft dieses Projekts beteiligen. Dies bedeutet für die deutsche Industrie eine klare Niederlage im Wettbewerb mit den anderen europäischen Staaten. Herr Bangemann ist ja immer so industriefreundlich. Da sollten Sie ihm vielleicht einmal etwas Nachhilfeunterricht geben. Es ist geradezu skandalös - das sage ich an die Adresse unseres Bundesforschungsministers -, daß der Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber auf meine Befragung bezüglich Hermes erklärte, es bestehe erstens kein Handlungsbedarf, ({15}) weil Frankreich kein Geld zur Verfügung gestellt habe, und zweitens gebe es keine konkreten Pläne für Hermes. Beides ist nicht wahr; Curien hat das in dem Gespräch widerlegt. ({16}) Sie müssen einmal eine Erklärung abgeben, wie er sich das so vorstellt. ({17}) Na gut, das sagt Ottmar Schreiner.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber?

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es nicht angerechnet wird.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Es wird angerechnet.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Fischer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die ursprüngliche Planung von Frankreich auf eine Europäisierung von Hermes nicht auf das Jahr 1986, sondern auf einen späteren Zeitpunkt abgezielt hat und daß insofern ein derzeitiger Handlungsbedarf für die Bundesregierung nicht bestanden hat? ({0})

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann bestätigen, was der Forschungsminister Curien gesagt hat: daß er eine deutsche Beteiligung an dem gemeinsamen Projekt Hermes erwarte. Er hat eine öffentliche Ausschreibung über die Planstudie gemacht und hat in die engere Wahl zwei Firmen gezogen, nämlich die Firma Dassault und Aerospatiale. Als wir vor einigen Monaten mit einer kleinen Gruppe in Paris waren ({0}) - vor zwei Monaten ist das gewesen -, ist die Entscheidung getroffen worden, daß sowohl Dassault als auch Aerospatiale diese Planstudie durchführen wollen. Curien hat uns bestätigt, daß die Franzosen über 50 % - sie haben die Zahl genannt: 52 % - der Projektträgerschaft übernehmen wollen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl? Ich kann Ihnen nur die Hälfte anrechnen; sonst kommen wir mit dem ganzen Zeitplan durcheinander.

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vorhin sind Zwischenfragen nicht angerechnet worden. Im Sinne der Gleichbehandlung sollten wir das auch jetzt so tun.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Halb und halb. ({0})

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fischer, würden Sie vielleicht dem Herrn Forschungsminister mitteilen, daß, wenn man im Bundesforschungsministerium die mittelfristige Finanzplanung aufstellt und so ein unwahrscheinlich riesenhaftes Projekt 1988 in Angriff genommen werden soll, schon vorher Entscheidungen, vor allen Dingen klare Aussagen notwendig sind?

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stahl, das kann ich voll unterstützen. Aber darin haben wir mittlerweile schon Erfahrung. Dies ist nicht nur bei Hermes so, sondern das war auch bei anderen Projekten so, bei Columbus und auch bei Eureka. In diesem Zusammenhang kann ich noch etwas erwähnen, was Herr Forschungsminister Curien, Ihr Kollege, Herr Riesenhuber, gesagt hat. Die Franzosen haben für Eureka 1 Milliarde Franc in den Haushalt 1986 eingestellt. ({0}) - 1 Milliarde Franc. Das sind 330 Millionen DM. Und wir hatten noch nicht einmal einen Leertitel. Wir mußten im Forschungsausschuß darum kämpfen, wenigstens noch einen Leertitel einstellen zu können. Und in dem Leertitel stehen jetzt, nachdem überall Mittel zusammengesucht worden sind, 40 Millionen DM. Die Franzosen sind stocksauer auf ihre deutschen Kollegen, weil sie sich so schändlich behandelt fühlen. Das muß man an dieser Stelle auch einmal sagen. Dies sollte dann auch mal Herr Genscher im Kabinett so vertreten; vor allen Dingen sollte er sich dann auch durchsetzen. ({1}) - Da gibt es noch einige in diesem Kabinett. Aber zu denen sage ich jetzt nichts. Meine Damen und Herren, wer ja sagt zu HM 60, zu dem verstärkten Triebwerk und zur Ariane-Ent14414 Fischer ({2}) wicklung, Ariane 4 und 5, kann nicht nein sagen zu einem Euro-Shuttle, der mit der Ariane 5 ins All befördert werden könnte. Ich sage nicht, daß es unbedingt Hermes sein soll. Die Engländer haben auch noch einen anderen Vorschlag in die Diskussion gebracht. Aber Hermes wäre eine Möglichkeit. Ich wollte schwerpunktmäßig noch auf den Technologietransfer eingehen, wo uns die Beschränkungen von seiten der Amerikaner fast erdrücken. Dies ist bei einer Anhörung, die wir im Forschungsausschuß durchgeführt haben, und nachher auch im Auswärtigen Ausschuß bestätigt worden. Das ist in den Protokollen nachzulesen. Wer also meint, der Technologietransfer zwischen Europa und den USA sei eine Zweibahnstraße, der sollte sich einmal durch die Wissenschaftler davon überzeugen lassen, daß dem nicht so ist. Ich möchte jetzt zum Schluß kommen, weil meine Zeit abgelaufen ist: Angewandte Forschung und Technik sollten den Wertvorstellungen und Lebensbedürfnissen der Menschen untergeordnet und nicht diesen übergeordnet werden. Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch eine große Zahl von umfassenden und schwierigen Problemen wie Schutz unserer Umwelt, langfristige Sicherung unserer Energieversorgung, Schonung erschöpflicher Rohstoffe, Dritte-Welt-Probleme einschließlich der Welternährung, Friedensproblematik, Weltwirtschaftsfragen einschließlich dem Arbeitslosenproblem. Sie erfordern zu ihrer Lösung unaufschiebbar allergrößte Anstrengungen von vielen Seiten, wozu nicht nur Geld, sondern auch Ideen notwendig sind. Die Lösung dieser wesentlichen und drängenden Menschheitsprobleme kann nur durch intensive staatliche Förderung vorangetrieben werden. ({3}) Auf Grund der immer schwieriger werdenden Finanzlage der öffentlichen Hände muß sorgfältig abgewogen werden, inwieweit die angestrengte und angestrebte angewandte Weltraumforschung und die Weltraumtechnik in Konkurrenz zu Lösungsansätzen für diese vorrangigen Probleme stehen oder in welcher Weise sie etwa die Lösung dieser Probleme unterstützen könnten. Recht schönen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Boroffka.

Peter Boroffka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Bemerkung vorab: Einige Kollegen versuchten hier, dem Bundesforschungsminister Schwäche vorzuwerfen. ({0}) Das ist natürlich lächerlich. Ich beweise das am wichtigsten Punkt. ({1}) Der Haushalt des Bundesforschungsministers ist seit Antritt von Herrn Dr. Riesenhuber deutlich stärker gestiegen als der Durchschnitt des Gesamthaushalts. Die Steigerungsraten des Forschungsministers liegen deutlich höher als die des gesamten Kabinetts. ({2}) Angesichts dieser Situation, meine Damen und Herren von der Opposition, dem Bundesforschungsminister Schwäche vorzuwerfen, das ist das Gegenteil von starksinnig. ({3}) Nun einige Anmerkungen zum Punkt 2 b der Tagesordnung, Waldschadensforschung ({4}) - nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu, weil mir schon Zeit gestrichen wurde -, und zum Punkt 2 e der Tagesordnung, weil ein Punkt, die Klimaforschung, schon von Herrn Dr. Müller angesprochen worden ist. Meine Damen und Herren, bekanntlich ist seit Anfang der 70er Jahre die Umweltpolitik immer stärker in den Zentralbereich der Politik gerückt. Bedauerlicherweise ist festzustellen, daß sich während der dreizehn Jahre Regierungsverantwortung der SPD die Luftschadstoffsituation im wesentlichen nicht gebessert hat, teilweise sogar dramatisch verschlechtert hat. ({5}) Das Schwefeldioxid ist praktisch konstant geblieben. - Lieber Herr Kollege Stahl, die Zahlen kennen Sie doch auch. Es ist eindeutig nachweisbar, bei den Stickoxiden ist ein dramatischer Anstieg der Luftbelastung unter Ihrer Verantwortung gekommen. ({6}) - Nun reden Sie nicht so laut dazwischen! Ich habe Ihnen auch zugehört. Daß wir nur 200 000 DM für Waldschadensforschung vorgefunden haben, ist schon erwähnt worden. Wir haben diesen Ansatz so gesteigert, daß im Jahre 1985 340 Projekte mit insgesamt 85 Millionen DM gefördert werden. Wir haben Waldschadensforschung überhaupt erst auf- und den Problemen angemessen ausgebaut. Festzustellen ist allerdings, daß eindeutige und klare Ergebnisse über die wirklichen Ursachen der Waldschäden bisher nicht erkennbar sind. ({7}) Dennoch bestärken wir die Bundesregierung, auf diesem Wege energisch weiterzugehen, damit in Zukunft noch zu treffende Maßnahmen noch stärker nicht nur nach dem Vorsorgeprinzip, sondern auch auf Grund gesicherter Erkenntnisse getroffen werden können. ({8}) Zweitens. Welche Maßnahmen sind schon getroffen worden? Ich will die Zahlen wieder an Hand der Verbindungen nennen, die ich eben schon nannte. Unter Ihrer Regierung konstant geblieben oder gestiegen ist die Emission von Schwefeldioxid. Sie wird sich bis 1988 halbieren und bis 1993 auf ein Drittel, vielleicht auf ein Viertel zurückgehen. Die Stickoxide allein aus Großfeuerungsanlagen werden bis 1993 um 70 % reduziert, meine Damen und Herren. Es ist schon jetzt nachweisbar, daß die Luftbelastung sinkt. ({9}) Es ist meßtechnisch nachweisbar, daß schon jetzt - wir sind noch nicht vier Jahre im Amt - die Luftbelastung endlich wieder sinkt, meine Damen und Herren. ({10}) Wie sich angesichts dieser Situation die SPD als Umweltschützer gerieren kann, dafür fällt mir kein Wort ein, das parlamentarisch ist, um das zu bewerten. Der deutsche Wald kann auf Grund der getroffenen Maßnahmen der Regierung Kohl nicht nur Luft, sondern auch wieder Hoffnung schöpfen. Nicht nur für den deutschen Wald, sondern wegen der internationalen Vereinbarungen, die getroffen werden konnten - auch mit Staaten des COMECON, des RGW, die freiwillig um 30% reduzieren wollen auf der Basis 1980 -, auch europaweit sind Verbesserungen gekommen. ({11}) Einige Worte, meine sehr verehrten Damen und Herren, zum CO2-Problem. Der Kollege Müller ist schon weggegangen. Es bedurfte übrigens der GRÜNEN nicht, dieses Problem zu erkennen und anzusprechen. ({12}) Vor genau sechs Jahren hat die Bundesregierung - genauer: der Bundesinnenminister, damals der Kollege Baum - einen ersten eindrucksvollen Bericht über die Möglichkeit der Klimaveränderung durch CO2 und andere Spurengase erstattet. Die nachfolgenden Forschungen bis heute haben das nicht eindeutig erhärtet. Sie haben aber auch nicht das Gegenteil bewiesen. Insofern wollen wir auch hier die Bundesregierung ermutigen, die Klimaforschung weiter energisch voranzutreiben. Herr Bundesforschungsminister, wir erwarten, daß noch vor der Sommerpause dem Bundestag erneut über Ergebnisse berichtet wird. ({13}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu den Anträgen der GRÜNEN sagen. Übrigens: Der SPD-Antrag ist unsinnig, weil er etwas fordert, was bereits in der Forschung über die Waldschäden enthalten ist. Es gibt schon die Forschungsprojekte, die Sie fordern. Ihr Antrag ist völlig überflüssig. ({14}) Ein Wort noch zu den Anträgen der GRÜNEN und dem, was hier gesagt wurde. Bei diesem immer mehr, immer mehr, immer mehr, das die GRÜNEN fordern, muß ich immer an das Märchen vom Fischer und sin Fru denken. ({15}) Sie wissen, wie es endete. Ich warne Sie: ({16}) Vielleicht enden Sie zum Schluß wieder beim Neandertaler. Wir wollen das jedenfalls nicht. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).

Manfred Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002047, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Vosen kann in der Forschungspolitik die Handschrift des Forschungsministers und der Bundesregierung nicht sehen. Lieber Kollege Vosen, mein Ratschlag: Suchen Sie einen guten Optiker auf! ({0}) Auf Grund der mir zur Verfügung stehenden kurzen Zeit will ich mich auf einen Aspekt in der neuen Forschungspolitik beschränken. ({1}) Die staatliche Forschungspolitik dieser Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion ist besonders darauf ausgerichtet, kleine und mittlere Unternehmen bis zu 500 Beschäftigten im Vergleich zu Großunternehmen überproportional zu fördern. ({2}) Das Resultat dieser Förderung: 26,8% der Ausgaben des Bundes zur Förderung von Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft für die zivile Entwicklung gehen an kleine und mittlere Unternehmen. ({3}) Die Schwerpunktverlagerung der Forschungsförderung des Bundes für kleinere und mittlere Unternehmen beschränkt sich auf Maßnahmen, die ohne Schneider ({4}) viel Bürokratie diesem Unternehmensbereich zugute kommen. ({5}) Damit wird dazu beigetragen, daß kleine und mittlere Unternehmen gestärkt und motiviert werden, ihre Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen zu intensivieren. Wichtige Schlüsseltechnologien, die in der Regel von größeren Unternehmen zur Marktreife entwikkelt werden, können somit rechtzeitig in ihre Produktion und Produktionsprogramme integriert werden. Obwohl kleine und mittlere Unternehmen nur 13% der Forschungsausgaben der deutschen Wirtschaft bestreiten, erhalten sie mehr als das Doppelte dieses Anteils an den Bundesausgaben für Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft. ({6}) Das dokumentiert, lieber Herr Kollege Stahl, den Unterschied zur Forschungspolitik SPD-geführter Bundesregierungen. ({7}) Die am 1. August in Kraft getretene Forschungspersonalzuwachsförderung, die sich ja besonders an kleine und mittlere Unternehmen richtet, ist erfolgreich gestartet. Der Kollege Lenzer hat die Zahlen hier schon einmal genannt. Ich glaube, es ist wichtig, sie noch einmal zu nennen, vor allen Dingen unter dem Gesichtspunkt, daß das Kabinett in Nordrhein-Westfalen beabsichtigt, Stellen für 1 500 junge Wissenschaftler zu streichen. Damit beschreitet das SPD-Kabinett in Nordrhein-Westfalen einen Weg, der gegen unsere Zukunft gerichtet ist, wenn man den Presseveröffentlichungen glauben darf. ({8}) Nach Ablauf der Antragsfrist sind 1353 Anträge eingegangen. Nach Auskunft des Bundesministeriums für Forschung und Technologie wurde die Förderung von rund 1800 Neueinstellungen von Forschungs- und Entwicklungspersonal beantragt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?

Manfred Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002047, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe ja nur ein paar Minuten Redezeit. Das Förderkonzept sieht vor, daß die Neueinstellung von Forschungs- und Entwicklungspersonal prämiert wird, sofern damit ein Zuwachs der Forschungs- und Entwicklungskapazität erzielt wird. Die Förderung erstreckt sich über 12 bzw. 15 Monate vom Zeitpunkt der Neueinstellung an. Insgesamt stellt der Bundesminister für Forschung und Technologie für diese Fördermaßnahme im Finanzplanungszeitraum rund 500 Millionen DM an Mitteln bereit. Im Rahmen der Neuorientierung der Forschungsförderung ist es das Ziel, die Projektförderung auf langfristige und wirtschaftlich wichtige Vorhaben zu konzentrieren. Die Eigeninitiative der Unternehmen wird so weit wie möglich zusätzlich durch indirekte Maßnahmen der Forschungsförderung - wie Steuererleichterungen - gestärkt. ({0}) - Das steht alles im Forschungsbericht. Warum wollen Sie das nicht glauben? Bitte, prüfen Sie es nach; es ist nachprüfbar. ({1}) Amerikanische Untersuchungen haben nämlich gezeigt, daß insbesondere der Mittelstand flexibel in der Forschungsförderung ist und prozentual, gemessen am Umsatz, im Vergleich zu Großunternehmen weit mehr Forschungs- und Entwicklungsarbeiten leistet, als gemeinhin angenommen wird. ({2}) Durch die rasche Anpassung an den Markt, Flexibilität in der Produktion, durch persönliches Engagement und Einfallsreichtum der Unternehmer sowie durch die kurzen Informations- und Entscheidungswege und den engeren Kundenkontakt sind Mittelstandsbetriebe gut geeignet, Forschungsergebnisse schneller in die Produktion und damit in Arbeitsplätze umzusetzen. Da der Mittelstand, wie bekannt, zum größten Teil unsere Arbeitsplätze vorhält, ist die Forschungspolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen auch gleichzeitig ein Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen und der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze und damit ein wesentlicher Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit. ({3}) Damit unterscheidet sich die Forschungspolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen von der Forschungspolitik SPD-geführter Bundesregierungen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie. Bitte.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch mit ganz wenigen Bemerkungen den Punkt Weltraumpolitik aufgreifen, von dem der Kollege Fischer gesprochen hat. Was die Bundesregierung hier angelegt hat, ist abgewogen. Es ist zwischen technologischen Großprojekten abgewogen. Wir haben uns aus Gründen, die wir von langer Hand vorbereitet, die wir langfristig im Ausschuß diskutiert haben, für unsere Beiträge zu Columbus und Ariane entschieden. Das Kabinett hat gleichzeitig festgestellt, daß unter dieBundesminister Dr. Riesenhuber sen Entscheidungen kein Raum für weitere derartige Großtechniken in absehbarer Zeit bleibt, dies auch auf dem Hintergrund der Finanzplanung. ({0}) Es ist darauf hingewiesen worden, daß wir uns mit zu großen Großprojekten belasten. Ich kann hier nur darauf hinweisen, daß wir an die Großprojekte mit größter Sorgsamkeit herangegangen sind. Wir prüfen bei jedem einzelnen Großprojekt die Notwendigkeit, aber auch die Finanzierbarkeit. Insofern sind beide Projekte in unserer mittelfristigen Planung abgesichert, mit zusätzlichen Wachstumsraten weit über die proportionalen Anteil und weit über die normalen Wachstumsraten des Forschungshaushalts hinaus. ({1}) Wir haben schließlich 5% reale Wachstumsraten im Wissenschaftshaushalt der ESA. Dies war immer Ziel der Bundesregierung. Auch hier ergibt sich Ausgewogenheit. Wir haben ebenfalls in einer sorgfältig angelegten langfristigen Planung in der Erdbeobachtung, in der Telekommunikation, in unterschiedlichen Technologiebereichen ausgewogene, langfristig angelegte, mit unseren Partnern abgestimmte Programme. Ich kann nur feststellen, daß die Größe der Projekte, das Maß der Abstimmung in Europa und die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Frankreich noch nie so selbstverständlich und intensiv gewesen sind wie in dieser Zusammenarbeit in ganz schwierigen Bereichen unter dieser Regierung Helmut Kohl. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vosen. Bitte schön.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Riesenhuber, ich habe die herzliche Bitte, daß Sie das, was Sie jetzt hier vortragen, sehr ernst nehmen, zumal Sie ja an diesem Wochenende den französischen Forschungsminister in Aachen treffen werden. Deswegen nehmen Sie die Hinweise, die ich Ihnen jetzt gebe, bitte mit nach Aachen. Es ist in der Tat so, daß die französische Regierung bei ihrer Beteiligung an Columbus, am europäischen Modul der amerikanisch-japanisch-europäischen Weltraumstation, davon ausgegangen ist, daß wir daran natürlich im zweiten Durchgang - - Nehmen Sie das bitte ernst! Ich zitiere Curien: Wenn man ein Haus draußen hat, braucht man noch ein Fahrzeug, um dahin zu kommen. Wörtliches Zitat des französischen Forschungsministers! Nehmen Sie bitte ernst, daß die französische Regierung davon ausgegangen ist, daß eine französische Beteiligung an Columbus mit einer deutschen Beteiligung an Hermes verbunden ist. Gehen Sie bitte davon aus, nehmen Sie das so hin! Sie können dies am Samstag bestätigen. Wenn Sie sagen, das stimme nicht, strafen Sie eine Reihe von sozialdemokratischen Abgeordneten Lügen, und das muß ich wirklich zurückweisen! ({0}) Das ist in Gegenwart von Zeugen, von mehreren Abgeordneten des Ausschusses für Forschung und Technologie, Mitgliedern der SPD-Fraktion, so gesagt worden! ({1}) Wenn Sie von Freundschaft reden, sage ich: Zur Freundschaft gehört mehr als Worte, da müssen auch Taten folgen. Ich versichere Ihnen, daß die französische Regierung in Fragen der friedlichen Weltraumforschung diese Taten erwartet. ({2}) Ich muß Sie wirklich eindringlich mahnen, darauf - ({3}) - Herr Lenzer, wir wären froh, wenn die richtigen Taten kommen würden! Zur Zeit kommen ausschließlich Sprüche. Das ist das, was uns so besorgt macht. Es kommen Sprüche, denen keine Taten folgen und die die gute Zusammenarbeit zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland im technologischen Bereich gefährden. Ich sage das mit großer, großer Sorge. Heute sagen Sie, Herr Forschungsminister, Sie hätten kein Geld mehr. Sie haben doch eben sicherlich zugehört: Das ist genau der Vorwurf, den ich Ihnen mache. Sie haben für 18 Milliarden DM neue Forschungsprogramme aufgelegt, Programme, die allerdings schon von der alten Regierung angefangen wurden, zumindest in der Planung. ({4}) Heute stehen Sie da wie ein Kaiser ohne Kleider; ({5}) Sie sind nicht mehr in der Lage, neue umfangreiche internationale Forschungsprogramme zu finanzieren. Das haben Sie hier vor wenigen Minuten selber zugegeben! ({6}) Sie müssen zugeben, daß Sie dafür verantwortlich sind, daß heute bei neuen Forschungsprojekten Stoltenberg mehr zu sagen hat als der Forschungsminister selber. ({7}) So ist die Situation in der Realität! ({8}) Wir haben Sie frühzeitig vor einer solchen Entwicklung gewarnt. ({9}) Ich habe Sie vor zweieinhalb Jahren auf Grund meiner Erfahrung aus der Berichterstattung zum Haushalt persönlich darauf hingewiesen, daß Sie sich in gefährlichen Wassern bewegen, wenn Sie nicht aufpassen, daß die Kasse stimmt. Die Kasse stimmt nicht mehr, und deswegen müssen Sie heute reale Politik durch Sprüche ersetzen. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zu Punkt 2 a der Tagesordnung, nämlich zu dem hierzu vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4704. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Wir kommen zu Punkt 2 b der Tagesordnung, und zwar zu den Entschließungsanträgen auf den Drucksachen 10/4702 ({0}), 10/4703 und 10/4709. Es ist beantragt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/4702 ({1}) zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Weiter ist beantragt worden, den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/4703 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. Auch dazu gibt es keine anderen Vorschläge; es ist so beschlossen. Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4709 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung zu Punkt 2e der Tagesordnung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4705. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit der gleichen Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen dann über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/3410 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei 1 Enthaltung mit Mehrheit angenommen. Hinsichtlich der Anträge unter Tagesordnungspunkt 2c und 2d - Drucksachen 10/2865 und 10/ 3766 - schlägt der Ältestenrat Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Auch dazu gibt es keine weiteren Vorschläge. - Dann ist das ebenfalls so beschlossen. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: a) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes - Drucksache 10/4587 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({2}) Verteidigungsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lange, Vogel ({3}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Verzicht auf den Bau des geplanten NATOMunitionsdepots im Kröninger Forst bei Landshut - Drucksache 10/4579 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3a und 3b und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Nein. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schierholz. ({4}) - Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen oder aber, wenn es dringend erforderlich ist, das Gespräch außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war am 29. März 1935, als das Gesetz über die Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht in Kraft trat. Bei der Beratung unseres heutigen Gesetzentwurfes sollten wir uns dieses Datums erinnern, weil das geltende Gesetz über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung - darum geht es - vom 23. Februar 1957 dort seine geistigen Wurzeln hat. Der Zweck ist derselbe, nämlich Enteignung von Grund und Boden für militärische Zwecke. Etliche Passagen sind identisch. Das gilt auch für die BürDr. Schierholz gerinnen- und Bürgerfeindlichkeit beider Gesetze. Wir GRÜNEN appellieren an dieses Parlament: Lassen Sie uns bei der Beratung unseres Gesetzentwurfes zur Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes an die Debatte heute vor genau einer Woche anknüpfen. Lassen Sie uns gemeinsam die bis heute gültigen Relikte aus jener unseligsten Epoche deutscher Geschichte beseitigen, die immer noch ihre Wirkung entfalten. ({0}) Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir mit einer Tradition brechen: daß dem Bund bei Landbeschaffungsmaßnahmen für militärische Zwecke ein nahezu unbegrenzter Vorrang eingeräumt wird. Nach diesem Gesetz kann der Bund grundsätzlich Grund und Boden für militärische Objekte, d. h. insbesondere Munitionsdepots, Militärflughäfen, militärische Übungsplätze oder sonstige militärische Anlagen in Beschlag nehmen, wohingegen die Landbesitzer, also die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Gemeinden und Städte, lediglich angehört werden. Sie sind nicht in der Lage, ihre Interessen verfahrensmäßig oder vor Gericht wirksam zur Geltung zu bringen wie etwa im zivilen Bauplanungs- und Raumordnungsrecht. Ich halte das für einen unerträglichen Zustand. Aus dieser gesetzlich festgelegten Verfahrensweise resultieren zahlreiche Konflikte, vor allem mit Bürgerinitiativen, mitunter aber auch mit betroffenen Gemeinden und Städten - ich komme auf das Beispiel Kröninger Forst noch konkret zurück -; dann und wann auch einmal mit einer Landesregierung, die ebenfalls lediglich ein Anhörungsrecht hat. Wir GRÜNEN unterstützen diese Initiativen und Bürgeraktionen, diesen Protest - ich füge ausdrücklich hinzu: unabhängig von ihrer parteipolitischen Ausrichtung. Es geht bei diesem Protest gegen Enteignungsmaßnahmen nach dem Landbeschaffungsgesetz im Kern um eine außerordentlich wichtige Güterabwägung, nämlich die zwischen militärpolitischen Belangen auf der einen Seite und der Planungshoheit der Gemeinden und ökologischen Belangen auf der anderen Seite. Und dort haben für uns mittlerweile die ökologischen Belange unbeschränkt Vorrang. ({1}) Ich muß Ihnen dazu einige Zahlen und Daten präsentieren; ich kann es Ihnen nicht ersparen. In den letzten Jahren sind in der Bundesrepublik pro Jahr rund 50 bis 90 Verfahren nach § 1 Landbeschaffungsgesetz durchgeführt worden. Das bedeutet: Jedes Jahr kommen Tausende von Hektar hinzu, die als militärisches Gelände vom Bund requiriert werden. Nur ganz selten wird einmal der Zielvorstellung der GRÜNEN entsprochen und militärisch besetztes Gelände wieder zivilisiert. Redete der seinerzeitige Bundesverteidigungsminister noch in der ersten Lesung des Landbeschaffungsgesetzes vor ziemlich genau 30 Jahren von dieser Stelle aus von ca. 100 000 Hektar, die beschafft werden sollten, so müssen wir heute registrieren, daß tatsächlich mindestens das Vierfache mit steigender Tendenz beschafft wurde. Schon 1968 nannte das Bundesinnenministerium in einem Bericht zur Raumplanung und Raumordnung die Zahl von 530 000 Hektar, und es gibt eine Berechnung von der Arbeits- und Forschungsstelle für Militär - Ökologie - Planung in Dortmund, die auf 1,4 Millionen Hektar direkter und indirekter militärischer Landnutzung ({2}) kommt. Das bedeutet, 5,6 % unseres Landes werden militärisch genutzt. Zum Vergleich: 1 % sind Naturschutzfläche. Und das läßt uns zu dem Schluß kommen, Herr Bundesminister der Verteidigung bzw. sein Vertreter: Die NATO ist in unserem Lande der größte Landfresser, und das ist ein wichtiger Grund, weswegen wir eine so kritische und ablehnende Position gegenüber der NATO beziehen. ({3}) Wir haben zahlreiche Indizien dafür, daß sich dieser Zustand im Übergang zu den 90er Jahren, also ein Stopp oder gar eine Verringerung der Landbeschaffung für militärische Zwecke, nicht verändern wird. Im Gegenteil: Das NATO-Infrastrukturprogramm 1985 bis 1990 umfaßt 22 Milliarden DM, davon knapp 6 Milliarden DM vom bundesdeutschen Steuerzahler, mit einer Steigerungsrate gegenüber der ersten Hälfte der 80er Jahre von mehr als 150 %. Von 1980 bis 1986 sind die Haushaltsansätze im Einzelplan 14 für militärische Infrastruktur ziemlich genau verdoppelt worden. Im Wartime Host Nation Support-Programm zwischen den USA und der Bundesrepublik sind zahlreiche Maßnahmen aufgeführt, die nur durch zusätzliche Landbeschaffungen für militärische Zwecke realisiert werden können, und all dies weist aus: Seit Beginn der 80er Jahre wird die Bundesrepublik in ihrer Infrastruktur verstärkt für den Kriegsfall, als Kampfzone, wie das im NATO-Jargon heißt, präpariert. 200 neue oder zu erweiternde Munitionsdepots, zahlreiche Truppenübungsplatzerweiterungen, militärische Ersatzübergänge über Flüsse, Erweiterung von Schießplätzen und Flugplätzen, all dies gibt nur einen Sinn im Rahmen der Weiterentwicklung einer Militärstrategie, die den Krieg für führbar und gewinnbar hält. Daß wir GRÜNEN dies für das Gegenteil einer Strategie der Aussöhnung, der Anfreundung, der Vertrauensbildung und des Spannungsabbaus zwischen Ost und West halten, haben wir häufig genug von dieser Stelle betont und möchten es hier noch einmal betonen. Aus diesem Grunde halten wir es auch für unerläßlich, dem Bund keinerlei weitere Grundstücke und Flächen für militärische Zwecke zur Verfügung zu stellen. Wir fordern einen Stopp jeglicher Militärbaumaßnahmen und -projekte. Das Maß ist erschöpft. ({4}) Das Landbeschaffungsgesetz, meine Damen und Herren, atmet nicht nur den Geist des Obrigkeitsstaates, sondern kennt auch schlicht keine ökologischen Belange. Die 20 Jahre später in Kraft getretenen Gesetze - Bundeswaldgesetz, Bundesnaturschutzgesetz oder das Mitte der 70er Jahre novellierte Bauplanungsrecht - sind an ihm spurlos vorübergegangen. Weil das Bundesnaturschutzgesetz kurz vor Weihnachten 1976 in Kraft trat, hat das BMVg im Jahre 1976 übrigens noch schnell zahlreiche Verfahren durchgeführt und militärische Grundstücke gewissermaßen auf Halde beschafft. Jetzt zeigen sich dort in vielen Teilen dieser Republik die Konflikte. Es gibt selten einen deutlicheren Schlag ins Gesicht Ihrer umweltpolitischen Bekundungen, meine Herren von der Bundesregierung, als wie hier militärische Interessen vor ökologischen Belangen rangieren. Ein solches Beispiel liegt auch im Falle des geplanten NATO-Munitionsdepots im Kröninger Forst nahe Landshut vor. Rund 17 Hektar Wald, davon ein großer Teil bislang in kirchlichem Grundbesitz, müßten geopfert werden, womit der Kröninger Forst seine Funktion als Naherholungsgebiet für die Bevölkerung zu einem großen Teil verlieren würde. Das hier unverantwortlich mit den Interessen von Natur und Umwelt, aber auch der betroffenen Bürgerinnen und Bürger umgegangen wurde und wird, zeigt die Haltung der Landshuter Bevölkerung. Sogar der Bayerische Landtag und die Landesregierung haben jahrelang aus ganz verschiedenen Gründen gegen die Einrichtung dieses Munitionsdepots plädiert. Sogar die CSU war dagegen, allerdings nur so lange, wie die SPD in Bonn den Verteidigungsminister stellte. Die CSU hat damit bedauerlicherweise ihre Lernfähigkeit in einer falschen Richtung unter Beweis gestellt. Wir sind gespannt, wie sich nunmehr die SPD zu diesen Vorhaben - sowohl zum Kröninger Forst als auch zur Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes - stellt. ({5}) Da die von Ihnen gestellten Verteidigungsminister, Herr Klejdzinski, in dieser Frage dasselbe Problembewußtsein wie in abrüstungspolitischen Fragen zeigten, nämlich Null, würden wir uns außerordentlich freuen, wenn Sie an dieser Stelle eine Lernfähigkeit in der richtigen Richtung erkennen ließen. Aus diesen Gründen begrüßen wir es, wenn überall im Land, in Landshut oder in Jever, in Gleichen bei Göttingen oder in Ramelsloh bei Hamburg, in Sachsenhagen oder in Wildflecken, im Saarland und überall in der Republik Bürger sich zusammenschließen und sich dagegen zu wehren beginnen, daß die Maßnahmen der Naturzerstörung und Landnahme für Militär- und Rüstungszwecke so hemmungslos fortgesetzt und sogar noch gesteigert werden. Die GRÜNEN werden sie darin uneingeschränkt unterstützen und im Rahmen ihres Entmilitarisierungsprogramms auch hier im Haus jene Relikte zu beseitigen versuchen, auf deren Grundlage über Jahre hin militärische Planungen ohne Rücksicht auf Bevölkerungsinteressen durchgezogen wurden. Dazu ist die Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes ein notwendiger erster Schritt. Schönen Dank. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Krone-Appuhn.

Ursula Krone-Appuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001226, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, Sie von den GRÜNEN haben wohl mal im 32. Band von Lenins Werken herumgeblättert ({0}) und da gefunden, daß man die Demokratie am besten mit ihren eigenen demokratischen Mitteln und unter Berufung auf demokratische Rechte zerstört. ({1}) Das Gesetz über die Landbeschaffung wurde 1956 diskutiert. Verabscheidet wurde es 1957, um sicherzustellen, daß sowohl die Bundeswehr als auch die NATO und verbündete Streitkräfte genug Land zur Verfügung haben, um dem ihnen erteilten Auftrag, die Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten und die Bundesrepublik vor einem militärischen Angriff zu schützen, gerecht werden zu können. In der Bundesrepublik werden ca. 400 000 ha ständig militärisch genutzt. Das ist etwa 1,6 % der Fläche der gesamten Bundesrepublik, ({2}) nicht 5,6 %, wie die GRÜNEN-Fraktion in ihrer Antragsbegründung behauptet. Die zunehmende Tätigkeit im Infrastrukturbereich bezieht sich nicht auf die Landbeschaffung. Diese ist im Gegenteil in den letzten Jahren zurückgegangen. Die Beschaffungsrate liegt bei 500 bis 1 000 ha pro Jahr. Der Geländebedarf ist zu etwa 90 % gedeckt. Die Bundesrepublik wird auch nicht infrastrukturell auf den Kriegsfall vorbereitet, wie die GRÜNEN behaupten, sondern auf den Verteidigungsfall. ({3}) Die Bundesregierung hat die Verteidigung unseres Landes sicherzustellen. Sie braucht dafür weiterhin das Landbeschaffungsgesetz. Das wurde auch von der bayerischen Staatsregierung nie bezweifelt. Allgemeine Verwaltungsgesetze tragen den Verteidigungsnotwendigkeiten nicht ausreichend Rechnung. Das Verwaltungsverfahrensgesetz würde die zügige Abwicklung der Landbeschaffung für Verteidigungszwecke erschweren, ohne den Rechtsschutz des Bürgers wesentlich zu erhöhen. ({4}) Die Angleichung des Landbeschaffungsgesetzes an ein Verwaltungsverfahrensgesetz wäre also reine Verzögerungstaktik. Das Landbeschaffungsgesetz ist nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und höchstrichterlicher Rechtsprechung verfassungskonform und rechtmäßig. Die Interessen der Bürger, die Planungshoheit der Gemeinden und ökologische Gesichtspunkte werden durch ein AnhörungsverfahFrau Krone-Appuhn ren nach dem Landbeschaffungsgesetz gewährleistet. ({5}) Die Interessen der Bürger nimmt in diesem Verfahren die Gemeinde wahr, und nicht selbsternannte Bürgerinitiativen. Untersucht wird die Kollision von Auswirkungen der geplanten Landbeschaffung mit allen denkbaren zivilen Belangen von raumordnerischer Bedeutung, d. h. u. a. landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen sowie Belangen der Landschaftspflege, des Naturschutzes und des Städtebaus. Die Landesregierung als Herr des Anhörungsverfahrens beteiligt die Gebietskörperschaften und alle Träger öffentlicher Belange. Dadurch dauert das Anhörungsverfahren zwei bis zehn Jahre. Das Ergebnis der Anhörung wird in einem landesplanerischen Gutachten niedergelegt, das die Landesregierung prüft und nach Ressortabstimmung einer abschließenden Stellungnahme zuführt. Das kann bedeuten: Zustimmung oder Auflagen zur Durchführung oder Ablehnung des Vorhabens. In der Regel einigen sich der Bundesminister der Verteidigung und die betroffenen Landesregierungen. Es gibt aber Ausnahmen, wie Sie hier mit Recht betont haben, siehe der Kröninger Forst und die bayerische Staatsregierung. Der Rechtsschutz für Bürger, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts im Enteignungsverfahren ist nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. November 1982 ausreichend. Zu den ökologischen Gesichtspunkten: Der beste Umweltschützer ist die deutsche Bundeswehr. Sie düngt nicht mit Mineraldünger und betreibt keine Schädlingsbekämpfung. ({6}) Auf den Truppenübungsplätzen wachsen und gedeihen seltene Pflanzenarten und kapitale Hirsche, z. B. in Grafenwöhr. Biotope bleiben erhalten. ({7}) Herrliche Almen werden von hinterlassenem Müll der „Freizeitgestalter" und „Rotstrumpftouristen" z. B. durch die Tragtierkompanie 230 der 23. Gebirgsjägerbrigade der Ersten Gebirgsdivision auf der Reiteralpe bei Bad Reichenhall, befreit. ({8}) Einer Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes stimmt die CDU/CSU-Fraktion aus den genannten Gründen nicht zu.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Einen Augenblick, Frau Abgeordnete Krone-Appuhn. - Ich bitte doch, die Rednerin mit Zwischenrufen dieser Art nicht dauernd zu unterbrechen. ({0})

Ursula Krone-Appuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001226, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gegen die Errichtung des Korps-Depots im Kröninger Forst bei Landshut haben sich in der Tat alle am Anhörungsverfahren Beteiligten - vom Oberbürgermeister von Landshut bis zur bayerischen Staatsregierung und zum Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern sowie dem Erzbischöflichen Ordinariat München und Freising - vehement gewehrt. Schon Bundesminister Dr. Apel hat im April 1982 ein Gespräch mit den betroffenen Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern aller demokratischen Parteien geführt und darauf hingewiesen, daß das BMVg nicht auf ein Munitionsdepot im Kröninger Forst verzichten könne. Die Politiker der Region um Landshut hatten mit Recht auf die Waldarmut des Gebietes hingewiesen, die ökologische Bedeutung des Waldes betont, den Kröninger Forst als Naherholungsgebiet für die Landshuter charakterisiert und auf die bedenkliche Nähe der Atomkraftwerke Isar I und Isar II hingewiesen. Seit 1976 sucht die Bundesregierung im Raum Moosburg, Landshut, Taufkirchen, Erding ein Gelände für ein NATO-Depot, das zur Sicherstellung des Nachschubs an Munition, Betriebsstoff und Gerät gebraucht wird. Die CDU/CSU-Fraktion betont, daß es zur Vorneverteidigung im grenznahen Bereich keine Alternative gibt. Die Vorneverteidigung würde ohne Nachschub scheitern, da die Landshuter Brigade nur einen Grundvorrat an Verteidigungsgütern mitführt. ({0}) - Ich war selber schon oft dort; ich kenne das doch. Im Spannungs- oder Krisenfall wirkt ein Transport von Munition und Mengenverbrauchsgütern im grenznahen Bereich als Eskalation und ist kaum möglich. Die Depots werden vor Beginn hoffentlich nie erfolgender Kampfhandlungen geräumt. Sie sind daher auch kein militärisches Angriffsziel. Der Sicherheitsabstand zu den Kernkraftwerken ist gewährleistet. Die privaten Eigentümer des Waldes haben freiwillig verkauft; ihre Wünsche bezüglich einer Zufahrtsstraße wurden berücksichtigt. Der Enteignungsbeschluß gegenüber der Römisch-Katholischen Kirche wurde am 10. Dezember 1985 rechtswirksam. Nach der Beendigung der Bauarbeiten, die ca. drei Jahre betragen werden und Ende 1986 beginnen, wird der Kröninger Forst wieder aufgeforstet. Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag dankt den Bundesministern der Verteidigung Dr. Apel und Dr. Wörner für den sorgfältigen Umgang mit dem Landbeschaffungsgesetz bezüglich der Errichtung des Munitionsdepots im Kröninger Forst und stimmt dem Vorhaben der Bundesregierung zu. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Antrag der GRÜNEN-Fraktion „Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes" und den Antrag „Verzicht auf den Bau des geplanten NATO-Munitionsdepots im Kröninger Forst bei Landshut". Zur Richtigstellung in der Sache: Es ist kein NATO-Depot. Das geplante Korpsdepot im Kröninger Forst ist ein Versorgungsdepot für das Korps, das den Gefechtsstreifen dort hat, und es soll Verpflegung, Gerät, Betriebsstoff und natürlich auch Munition für das 2. Korps aufnehmen. Ich hoffe, die Ungenauigkeit „NATO-Depot", Herr Schierholz, wurde nicht bewußt gewählt, um eine Argumentationskette über mögliche Kontrollrechte der Bundesregierung oder der Bundeswehr zu eröffnen. Jeder, der sich mit der Materie befaßt, weiß j a, daß atomare Gefechtsköpfe grundsätzlich nicht dem Verfügungsrecht der Bundeswehr unterstehen. Das ist gut so, und wir halten uns auch daran, daß wir das ablehnen. ({0}) Insofern kommt dem Depot keine besondere Stellung zu. - Wissen Sie, wenn ich das alles hier vorne aufnehmen würde, was Sie dazwischen rufen, dann wäre die Bevölkerung draußen von diesem Parlament sehr enttäuscht. Insofern nehme ich Abstand, auf Ihre diesbezüglichen Zwischenrufe einzugehen. ({1}) Was hat das Landbeschaffungsgesetz mit dem Bau eines Versorgungsdepots zu tun? Das Gesetz über Landbeschaffung für Aufgaben der Landesverteidigung vom 23. Februar 1957 bietet die gesetzliche Grundlage - das ist jetzt entscheidend, und das macht uns sehr große Sorgen -, unter Hintanstellung der Interessen der betroffenen Bürger und der betroffenen Kommunen Bauland und Flächen für militärische Planung auszuweisen. Richtig ist, daß eine starke Beteiligung der Gemeinden an Bauvorhaben, die der Landesverteidigung grundsätzlich dienen, auch aus unserer Sicht wünschenswert ist, und diese Praxis muß im Grunde genommen verbessert werden. Die gegenwärtige Praxis, die Gemeinden nur anzuhören - denn Anhören bedeutet j a keine Mitwirkung, bedeutet nicht „im Benehmen mit", bedeutet auch nicht „im Einvernehmen" - genügt nach unserer Auffassung nicht mehr. ({2}) Anzuhören heißt also nicht mehr und nicht weniger als - da setze ich mich von meiner werten Frau Kollegin Krone-Appuhn ab -: Der Bundesminister der Verteidigung ist in seiner Entscheidungsfindung nicht grundsätzlich verpflichtet, die im Anhörungsverfahren vorgetragenen Argumente als richtungweisend für seine Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. - Es ist insofern verständlich, daß die bisherige Regelung Bürger und Kommunen nicht befriedigt. Hier ist sicherlich eine Regelung angezeigt, ob man sich beispielsweise auf Mitwirkung beschränkt oder „im Benehmen mit" oder „im Einvernehmen" handelt. Dies muß nach meiner Ansicht in den zuständigen Fachausschüssen eingehend diskutiert werden. Dieser Diskussion will ich hier nicht vorgreifen. Nun ein paar Bemerkungen zum Versorgungsdepot im Kröninger Forst. Unstrittig ist: Jede weitere Landnahme, jede weitere Inanspruchnahme von Flächen für militärische Zwecke ist eine Beeinträchtigung für die Betrofffenen. Darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheiten; das ist nun einmal so. Insofern wird in der Bevölkerung zu Recht die Frage erörtert, ob eigentlich nicht bereits heute zuviel Land für militärische Zwecke verbraucht ist. Ich habe Verständnis für diejenigen, die darüber klagen, daß Flächen, Übungsplätze, die über 30 Jahre lang an übungsfreien Tagen als Naherholungsgebiete genutzt werden konnten - ich erinnere an den Truppenübungsplatz Borkenberge; Haltern sei hier erwähnt - neuerdings nicht mehr betreten werden dürfen. Es geht sogar so weit, daß ökologische Pflegemaßnahmen, die bereits über Jahre liefen, nicht mehr durchgeführt werden können. ({3}) Ich habe Verständnis für diejenigen, die bei Einschlägen in ein geschlossenes Waldgebiet in der Größe von 17 Hektar ernsthaft die Frage aufwerfen, ob es überhaupt notwendig ist. Bei der zur Diskussion stehenden Planung ist auch - das muß hier gesagt werden - der Eiertanz der bayerischen Staatsregierung beachtenswert, die am 17. September 1979 aus landesplanerischer Sicht, nämlich Kernkraftnähe, Einschränkung der Naherholung, Schutz des Waldbestandes, die Planung abgelehnt hat. Was ist das für eine Staatsregierung, die einerseits negativ entscheidet, später mit Schreiben vom 7. April 1981 bei ihrer negativen Haltung ausdrücklich bleibt, andererseits aber gleichzeitig darauf verweist, der Bundesminister der Verteidigung könne sich über die Einwände der bayerischen Staatsregierung hinwegsetzen, da ja nach § 1 Abs. 3 Landbeschaffungsgesetz er, nämlich der Bundesverteidigungsminister, entscheiden könne? ({4}) Richtig ist auch: Die NATO-Strategie der Vorneverteidigung bedingt eine grenznahe Verteidung. Dadurch, daß wir dies sehen, setzen wir uns in dem Punkt von den GRÜNEN sicherlich ab. Da die Truppe nur einen Grundvorrat an Versorgungsgütern mitführt, müssen weitere Versorgungsgüter in den den jeweiligen Truppen zugeordneten Gebieten bevorratet werden. Dazu gehören nun einmal Munition, Betriebsstoffe und Gerät. Auch wir sind der Meinung: Es ist sicherlich das Beste, wenn diese Materialien nie eingesetzt werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schierholz?

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber nur, wenn es auf meine Redezeit nicht angerechnet wird.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, das Parlament hat beschlossen, daß die Aussprache zu diesem Punkt mit Zehnminutenbeiträgen erfolgt. Der Beschluß des Parlaments ist auch für den Präsidenten verbindlich. ({0}) Also, wenn ich jetzt sage, was stört mich dieser Beschluß, dann kommen wir selbstverständlich über die zehn Minuten.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, da auch Sie mir jetzt Zeit genommen haben, lasse ich aus diesem Grunde eine Zwischenfrage jetzt nicht zu. Wenn ich noch Zeit habe, Herr Schierholz, gern. Aber ich möchte das jetzt im Zusammenhang vortragen. Inzwischen ist das Kirchengelände im Wege der Enteignung mit Beschluß vom 10. Dezember 1985 rechtswirksam beschafft worden. Dabei gehe ich nicht davon aus, daß die Beziehung zwischen der bayerischen Staatsregierung und der Erzbischöflichen Finanzkammer München mit eine Ursache für die Haltung der bayerischen Staatsregierung ist, die Landnahme für Verteidigungszwecke negativ zu bescheiden. Ich komme zu dem logischen Schluß, daß die ablehnende Haltung der bayerischen Staatsregierung wohlbegründet und durchdacht ist und in die Entscheidungsfindung der örtlichen Mandatsträger sehr wohl mit eingeflossen ist. In Anbetracht der logischen Begründung für die ökologischen Belange muß ich annehmen, daß der örtliche Protest der Mandatsträger sehr wohl auf einer begründeten Güterabwägung beruht. Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme des Landshuter CSU-Abgeordneten Fritz Zimmermann, der noch im Februar 1982 erklärte - zitiert nach der „Süddeutschen Zeitung" vom 30. Oktober 1985 -, daß die gemeinsamen Anstrengungen, das Vorhaben zu verhindern, erfolglos geblieben seien, sei einzig der hartnäckigen Haltung des SPD-Bundesministers der Verteidigung zuzuschreiben. ({0}) Im rheinischen Karneval tritt ein bekanntes Pärchen auf, das immer sagt: „Zimmermännchen, wat nun?" Nun, mir steht es nicht zu - das will ich auch nicht -, den heutigen Innenminister mit einer Karnevalsfigur zu vergleichen. Ich glaube, ich würde jemandem völlig zu Unrecht schaden. Eines möchte ich aber wissen: Gelten die ökologischen Bedenken für ihn heute noch? War seine damalige Haltung reiner Opportunismus? Gilt für ihn das Sankt-Florians-Prinzip, ({1}) oder ist seine Einsicht mit dem Amt gewachsen? ({2}) Weiter muß man, wenn man seine neue Zuständigkeit ansieht, natürlich fragen: Gelten beispielsweise Umweltschutz und Prüfung auf ökologische Verträglichkeit auch heute noch? Bei all diesen Überlegungen ist nicht unerheblich, daß auf der Grundlage des Landbeschaffungsgesetzes bis zum 31. Dezember 1984 ca. 79 500 ha für die Bundeswehr und NATO, 77 400 ha für unsere verbündeten Streitkräfte in der Bundesrepublik beschafft worden sind. Insgesamt - darauf hat Frau Krone-Appuhn hingewiesen - werden in der Bundesrepublik Deutschland bereits rund 400 000 ha militärisch genutzt. Ich will auch nicht verkennen, was Sie argumentativ gesagt haben, daß sich nämlich Flächen, die auf Grund ihrer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung - ständiger Einsatz von Mineraldüngern und Pflanzenbehandlungsmitteln - fast vergiftet sind, erholen können, wenn sie eine militärische Nutzung, etwa als Schutzzone für ein Depot, haben. Dieses Umweltargument kann man nicht einfach mit der Hand vom Tisch wischen, nur weil es hier um militärische Überlegungen geht. ({3}) Ich will auch nicht verkennen, daß gerade in diesen Schutzzonen, die unbehandelt bleiben, Biotope und Artenschutz eine Chance haben, ohne darüber argumentativ weiter streiten zu wollen. Richtig ist aber auch, daß zu prüfen gilt, ob eine Grundsatzentscheidung von 1976 noch im Jahre 1986, also zehn Jahre danach, Bestand haben kann. Diese Frage muß vom Grundsatz her erörtert werden. Ich halte es angesichts des historischen Ablaufs, angesichts der unterschiedlichen Auffassungen über Ort, Notwendigkeit und Umfang für erforderlich, die Problematik in den zuständigen Ausschüssen vor dem endgültigen Baubeginn nochmals zu erörtern. Wir Sozialdemokraten stimmen insofern beiden Beschlußvorlagen zu, aber mit der einen Ausnahme, daß wir zusätzlich fordern, daß die Frage der Landbeschaffung zusätzlich mitberatend im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau beraten wird. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser heutiges Thema ist ein typischer Grundsatzkonflikt zwischen den Belangen der Verteidigung und des Umweltschutzes. Beides ist für uns unverzichtbar. Die überwältigende Mehrheit dieses Hauses ist davon überzeugt, daß unser Verteidigungsbeitrag als ein Mittel zur Friedenssicherung nicht verzichtbar ist. Ebenso ist die überwältigende Mehrheit überzeugt, daß wir in umweltpolitischen Fragen ein erhebliches Defizit aufzuarbeiten haben. Da brau14424 chen Sie sich, Herr Kollege Schierholz, gar nicht künstlich aufzuregen. ({0}) Wir alle haben ein offenes Ohr für die vorgebrachten Anliegen, wir haben Verständnis für die vorgetragene Sorge wegen des geplanten Munitionslagers im Kröninger Forst, handelt es sich doch hier - wie bereits vorgetragen - um ein großes zusammenliegendes Waldgebiet. Wir haben aber kein Verständnis, wenn die GRÜNEN den billigen Versuch unternehmen, über den in diesem Einzelfall besonders deutlich hervorgetretenen Grundsatzkonflikt die Bundeswehr madig zu machen. Wir haben kein Verständnis dafür, wenn Sie so Stimmung gegen die Bundeswehr machen wollen. ({1}) Dieser Antrag, Herr Kollege, läuft zudem auch dem umweltpolitischen Anliegen zuwider, weil er Gemeinsamkeiten beschädigt, die wir besser nutzen sollten, um diesem Anliegen gerecht zu werden. Es ist doch Polemik, wenn Sie behaupten, durch das Landbeschaffungsgesetz werde der kalte Krieg fortgesetzt. Verteidigung muß im Zweifel durchsetzbar und organisierbar sein. Das hat doch nichts, absolut nichts mit Kaltem Krieg zu tun. Schließlich ist die Bundeswehr - muß man das an dieser Stelle immer wiederholen? - erstens eine reine Verteidigungsarmee, die zweitens der politischen Führung untersteht, und drittens sind unsere Verteidigungsanstrengungen die Grundlage für unsere Politik der Entspannung und des Ausgleichs. Das hat nichts mit Kaltem Krieg zu tun, sondern ist das krasse Gegenteil. ({2}) Die Frage kann doch nur lauten, wie - und nicht ob - das Verteidigungsinteresse letztlich durchsetzbar sein soll. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Planung für den Kröninger Forst vor dem Hintergrund der Entschließung des Bayerischen Landtags und den wiederholten Gegenvoten der bayerischen Staatsregierung nicht in einem günstigen Licht erscheint. Das Recht gibt der Bundesregierung nach dem Landbeschaffungsgesetz die Möglichkeit, sich über Bedenken hinwegzusetzen. ({3}) Daß sie dies tut, ohne die Bedenken der am behördeninternen Planungsverfahren Beteiligten ausgeräumt zu haben, ist wenig geeignet, die Akzeptanz der geplanten Baumaßnahme zu erhöhen. Es kann doch keinem politisch Verantwortlichen gleichgültig sein, wenn verteidigungspolitische Maßnahmen auf solch geringe Akzeptanz bzw. auf die klare Ablehnung der Bevölkerung stoßen. Möglicherweise - ich will das nicht unterstellen - versetzt gerade die Tatsache, daß sich die Bundesregierung letztlich über die Bedenken anderer Behörden hinwegsetzen kann, die Landesregierungen in die Lage, selbst den verteidigungspolitischen Fragestellungen auszuweichen und sich die Bedenken der Bürger - zumindest vordergründig - zu eigen zu machen. Dies kann gerade vor Landtagswahlen eine gewisse Rolle spielen. Als „Eiertanz", Herr Kollege Klejdzinski, würde ich dies aber nicht gleich bezeichnen wollen. ({4}) - Herr Kollge, das überlasse ich Ihrer freien Phantasie. Ich möchte mich dazu nicht äußern. Sie wissen, ich bin in dieser Beziehung etwas zurückhaltender. Das im Landbeschaffungsgesetz vorgesehene Verfahren ist rechtlich einwandfrei. Dies haben das Bundesverfassungsgericht 1981 und das Bundesverwaltungsgericht 1982 festgestellt. Es ist allerdings aus den geschilderten Gründen politisch wenig zufriedenstellend. Da stimme ich den Kritikern zu. Da auch das Sonderverfahren nach dem Landbeschaffungsgesetz, wie die Erfahrung gezeigt hat, Jahre in Anspruch nimmt, gebe ich zu bedenken, in den zuständigen Ausschüssen nach einer Lösung zu suchen, die der Beteiligung der Bürger in einem früheren Stadium und umfassender - selbstverständlich unter Berücksichtigung der verteidigungspolitischen Belange - besser Rechnung trägt. Mir scheint dies auch unter Akzeptanzgesichtspunkten sinnvoll. Ich muß aber die Unterstellung, das Landbeschaffungsgesetz trage umweltpolitischen Gesichtspunkten nicht Rechnung, entschieden zurückweisen. Das kann gar nicht sein ({5}) - Herr Kollege, hören Sie zu -; denn das Landbeschaffungsgesetz wurde 1976 unter der Verantwortung eines liberalen Innenministers geändert. ({6}) Und danach müssen Natur- und Landschaftspflegegesichtspunkte ausdrücklich berücksichtigt werden. ({7}) Niemand kann dieser Bundesregierung vorwerfen, sie stellte die Belange des Umweltschutzes nicht in Rechnung. ({8}) Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zu Ihrem Alternativvorschlag sagen. Sie sehen, ich setze mich mit Ihren Argumenten, die Sie in Ihrem Antrag vorgebracht haben, auseinander. Sie wollen das Landbeschaffungsgesetz dem Verwaltungsverfahrensgesetz angleichen. Diese Lösung könnte in der Praxis zu äußerst unangenehDr. Feldmann men Konsequenzen führen. Da das Verwaltungsverfahrensgesetz ({9}) - hören Sie zu - nämlich die Enteignungsfrage nicht regelt, sondern nach Ländergesetzen vorzugehen ist, müßte für verteidigungspolitische Baumaßnahmen möglicherweise ein eigenes Enteignungsgesetz geschaffen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dies Ihrer Intention entspräche und das dies im Sinne Ihres Antrages wäre. Das sollten Sie sich noch einmal genau überlegen. Für die FDP darf ich abschließend feststellen, daß wir dem Antrag auf Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes aus den dargelegten Gründen nicht zustimmen. Wir beabsichtigen auch nicht, die Bundesregierung in ihren gesetzlichen Befugnissen einzuschränken. Wir werden aber in den zuständigen Ausschüssen die Baumaßnahmen im Kröninger Forst einer kritischen Prüfung unterziehen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Würzbach.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zielrichtung des Antrags der GRÜNEN ist erfreulich klar. Ihnen geht es überhaupt nicht - das wurde durch Ihre Worte hier noch einmal sehr deutlich - darum, die Mitwirkungsrechte der Bürger in irgendeiner Form zu vergrößern, sondern ganz eindeutig und für jeden sichtbar und spürbar darum, das zu behindern, was für die Verteidigung unserer Bundesrepublik im Rahmen der NATO notwendig ist. ({0}) Ich will ein paar Ihrer Aussagen hier aufgreifen, um zu zeigen, wie es darüber hinaus unseriös und der Wahrheit widersprechend ist, wie Sie an diese Dinge herangehen. Nicht 5,6, sondern 1,6 % der Fläche werden ständig militärisch genutzt. ({1}) Da stellt sich der Sprecher der GRÜNEN hierhin und sagt: Jedes Jahr kommen - so wörtlich - Tausende von Hektar neu dazu. Ich hoffe, daß Ihre Mitarbeiter oder Sie selbst wenigstens Zahlen addieren können. Ich nenne Ihnen einmal die Zahlen. Im Jahr 1982 waren es 572. Da fehlt etwa die Hälfte an tausend. Im Jahre 1983 waren es 586. Da fehlt wieder etwa die Hälfte an tausend. Sich dann hierhinzustellen und der Bevölkerung einreden zu wollen, jedes Jahr kämen Tausende hinzu, ist schon ein abenteuerlicher Umgang mit der Wahrheit. Ich nehme einen nächsten Begriff von Ihnen auf. Güterabwägung müsse erfolgen, haben Sie gesagt, zwischen Umweltschutz, Ökologie und dem, was für die Streitkräfte zur Friedenserhaltung nötig ist. Ich glaube, daß daran, wie verengt Sie dieses Beispiel vorgetragen haben, Ihre völlige Politikunfähigkeit deutlich wird. Güterabwägung wird von uns allen, von jeder Fraktion bei jeder Frage vorgenommen, ja, aber doch nicht in der Form, daß, wenn man abgewogen hat, gesagt wird: nur dies, aber dies auf keinen Fall, sondern in der Weise, daß zwischen beiden Seiten abgewogen wird und beidem Rechnung getragen wird, dem, was nötig ist, den Frieden zu erhalten - anders, mit deutschen Worten: den Krieg zu verhindern -, und dem, was möglich und nötig ist, um dem Gedanken des Umweltschutzes Rechnung zu tragen. Beides, nicht das eine oder das andere, ist in der Politik erforderlich. Ihre Äußerungen zeigen, wie weit Sie von möglicher Verantwortung auf diesem Gebiet in Ihrer Fraktion noch entfernt sind. Dieses Gesetz hat sich seit rund drei Jahrzehnten bewährt. Es werden entgegen Ihren Einreden die Interessen aller dort berücksichtigt, aller Bürger und aller parlamentarischen Ebenen, von den Kommunen über die Kreise bis zu den Ländern. Der Kollege Feldmann wies auf die Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts einerseits und des Bundesverwaltungsgerichts andererseits hin, wo ausdrücklich die Respektierung und die mögliche Inanspruchnahme der einzelnen Rechte aller Bürger durch alle Institutionen hingewiesen und der Rechtsschutz als voll gewährleistet bezeichnet wurde. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Staatssekretär - Würzbach, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen, Herr Präsident. ({0}) - Wenn die Fraktionen geredet haben, haben sie einen Anspruch darauf, daß die Regierung antwortet. Das tue ich im Augenblick. Zu den ökologischen Gesichtspunkten und Belangen des Naturschutzes. Von den GRÜNEN braucht weder die Bundesregierung noch die Bundeswehr irgendwelchen Nachhilfeunterricht in Verbindung mit Umwelt- und Naturschutz. In der Bundeswehr wird seit langer Zeit darüber nicht nur geredet, sondern es wird praktisch gehandelt, indem wir im Haushalt jedes Jahr viel Geld - wenn Sie das addieren, kommen Sie übrigens pro Jahr auf rund eine halbe Milliarde Mark - dafür investieren, indem wir erheblich in der Ausbildung und Erziehung unserer jungen Soldaten, der Führer, darauf achten, daß jeder - das ist inzwischen allen in Fleisch und Blut übergegangen - eine ganz wache Antenne für alle Probleme der Umwelt um die Soldaten in den Garnisonen auf den Übungsplätzen herum hat. Wir stellen Personal - trotz Knappheit des Personals in dem militärischen und zivilen Teil der Bundeswehr - und eine Menge Material zur Verfügung. Wir gehen sowohl in der Ausbildung als auch bei der Durchführung von Vorhaben immer wieder Kompromisse ein beim Abwägen: Was ist nötig für uns, und wie können wir den Eingriff so niedrig wie möglich halten? Ich weise auf einen solchen Kompromiß hin. In diesen Tagen haben wir im süddeutschen Bereich wegen erheblicher Regenfälle ein lange geplantes, mit etwa 70 000 Soldaten beschicktes Manöver unterbrochen - um nicht zuviel Schäden in dem sehr aufgeweichten Boden zu verursachen -, mit großen Abstrichen der Übungsziele, die wir dort hinnahmen. ({1}) Lesen Sie einmal wissenschaftliche Gutachten, egal, welche Sie nehmen - es gibt eine Fülle -, die sich mit unseren Übungsplätzen, den Depots und ähnlichem, mit diesen 1,6 % der Fläche beschäftigen. Dort werden Sie übereinstimmend finden, daß gerade diese Plätze in bezug auf Boden, Biotope und Artenschutz einen ganz besonders hohen ökologischen Wert haben, daß teilweise letzte Arten an Pflanzen und Tieren, an Insekten dort und nur dort in der Bundesrepublik noch vorhanden sind. Ich hoffe, daß wenigstens der eine oder andere von Ihnen, der sich bemüht, sich damit seriös zu beschäftigen, einmal gehört hat, daß gerade die Fragen der Ökologie und des Natur- und Umweltschutzes in dem Anhörungsverfahren, das Bestandteil des Gesetzes ist, einen ganz festen Platz haben und alle Fachbehörden dort eingeschaltet werden. Wenige Bemerkungen konkret zu dem zweiten Teil, zum Depot im Kröninger Forst. Dieses Depot benötigen wir zur Vervollständigung des Depotnetzes. Es wurden über 20 Alternativen gründlich und sehr intensiv untersucht, die alle miteinander ausscheiden mußten, weil sie den militärischen wie ökologischen Anforderungen nicht standgehalten haben. Deshalb hielt die vorige Bundesregierung und hält unsere heute an diesem Platz, der ausgewählt wurde, fest. Wir werden fortsetzen, was Apel 1981 in einer sehr umfassenden Information eingeleitet und 1982 mit den Mandatsträgern und allen Betroffenen erörtert hat. Ich weise auf die Bundestagsdrucksache 10/255 hin, in der wir als Bundesregierung sehr in die Einzelheiten gehende Angaben zu möglichen Bedenken über Sicherheitsabstände zu Industrieanlagen, zur Wohnbebauung und ähnlichem gemacht haben. Im übrigen sind alle Sicherheitsabstände auch zu sensiblen Industrieeinrichtungen in voller Übereinstimmung beispielsweise mit dem Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen. ({2}) Wir werden in diesem Jahr mit dem Depot beginnen. Wir werden es im geplanten Zeitraum fertigstellen. Wir werden - ich freue mich, das Frau KroneAppuhn darauf hinwies - Aufforstungen vornehmen, wie wir das bei allen ähnlichen Vorhaben getan haben. Wenn Sie unter dem Strich addieren, werden Sie feststellen, daß die Bundeswehr inzwischen mehr aufgeforstet hat, als wir haben abholzen müssen. Ich möchte mit folgendem Gedanken schließen. Dieses Depot dient der Stärkung unserer konventionellen Verteidigungsfähigkeit, der Erhaltung des Friedens, der Abwehr vom Krieg. Wenn von der Verbundenheit zwischen Umweltschutz und militärischen Notwendigkeiten geredet wird, dann wäre ich dankbar, wenn auch ein klein wenig der Gedanke immer wieder angesprochen würde: Wirklichen Umweltschutz mit all dem, was dort noch getan werden muß, kann ich nur leisten, indem ich Frieden habe, indem ich Krieg verhindere. ({3}) Dafür sind unsere Anstrengungen erforderlich. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat war eine Aussprache von zehn Minuten je Fraktion vereinbart worden. Die Bundesregierung hat diese zehn Minuten eingehalten. Es besteht also keine Veranlassung, von § 35 der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen. Zur Abgabe einer persönlichen Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, Sie haben mich der Unwahrhaftigkeit bezichtigt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das im Rahmen dieser persönlichen Erklärung zurückzuweisen. Der erste Punkt betraf die Zahlen. Ich habe sehr deutlich darauf aufmerksam gemacht, daß uns ganz unterschiedliche Zahlen vorliegen. In den Angaben, die die Bundesregierung gemacht hat - beginnend im Jahre 1957 -, liegen ganz unterschiedliche Zahlen vor. Ich habe die Bitte, daß Sie in dieses Dikkicht, in diese Grauzone endlich einmal Klarheit hineinbringen. Dann erübrigt sich, glaube ich, auch ein solcher Vorwurf. Der zweite Punkt: Sie sind im Kern wirklich nicht auf mein Argument eingegangen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordnete Schierholz, dieser zweite Teil ist keine Erklärung nach § 30, der erste Teil ja. Der zweite Teil ist eine Fortsetzung der Debatte. Die Debatte ist zeitlich nach dem Beschluß des Plenums abgeschlossen.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich den Satz noch zu Ende reden?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Argumentation ist vom Herrn Staatssekretär nicht erfaßt worden. Vielen Dank.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich bitte doch, die Geschäftsordnung wirklich so zu handhaben, wie es im Plenum beschlossen worden ist. Sie dürfen die Debatte nicht fortsetzen. Der erste Teil ist akzeptiert; der zweite Teil war nicht mehr ganz korrekt. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit schließe ich die Aussprache. Vizepräsident Stücklen Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/4587 und 10/4579 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Die Fraktion DIE GRÜNEN wünscht, daß bei den Tagesordnungspunkten 3 a und 3 b nicht der Innenausschuß, sondern der Verteidigungsausschuß federführend ist. Ist das richtig? ({0}) Das ist also gegen die Empfehlung des Ältestenrats. Wer dafür ist, daß der Innenausschuß in der Federführung durch den Verteidigungsausschuß abgelöst wird, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Es bleibt also bei der Federführung durch den Innenausschuß. Die Fraktion der SPD hat vorgeschlagen, bei den Tagesordnungspunkten 3a und 3b auch den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mitberatend zu beteiligen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. - Enthaltungen? - Keine. Es ist einstimmig so beschlossen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann wird so verfahren, wie wir jetzt beschlossen haben. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf - Drucksachen 10/1716, 10/4494 Berichterstatter: Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil Weisskirchen ({2}) Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Von der Regierung jetzt nicht? - Später. Ja, gut. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre auf die Begründung der Bundesregierung schon sehr gespannt gewesen; denn die ist uns bisher vorenthalten worden. ({0}) - Auch im Ausschuß, Herr Kollege Daweke. Sie wissen das. Sie haben im Ausschuß sogar gerügt - „rügen" steht im Protokoll -, daß die Bundesregierung mit diesem Bericht so wenig pfleglich umgeht. Aber Sie haben dabei ja recht gehabt. In seiner Regierungserklärung vom Mai 1983 hat der Bundeskanzler einen Bericht darüber angekündigt, wie die Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf gesichert werden sollen. Vielleicht wollte er damit in die Fußstapfen von Willy Brandt treten, der mit dem Bildungsbericht 1970 die Bildungspolitik zu einem zentralen Feld innenpolitischer Kraftanstrengungen und Strukturreformen gemacht hat. Aber für diesen Kanzler waren die Schuhe von Willy Brandt zu groß. ({1}) Helmut Kohls Bericht verrät erhebliche bildungspolitische Widersprüche. Ihm fehlt eine bildungspolitische Perspektive; und - was noch schlimmer ist - er gibt auf entscheidende Fragen der jungen Generation nach ihrer Zukunft eben gerade keine Antwort. ({2}) Die Lustlosigkeit, mit der die Koalition diesen Bericht bisher behandelt hat, legt den Schluß nahe, daß sie das inzwischen selbst gemerkt hat. Meine Damen und Herren, die Bildungspolitik hätte ohne Zweifel Anstöße für eine neue Bewegung nötig. Aber mit diesem Bericht werden Sie niemanden bewegen. Das gilt im übrigen auch für die Beschlußempfehlung des Ausschusses, über die heute hier abgestimmt werden soll. Die Tatsache, daß sie einige richtige Forderungen enthält, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bildungspolitik für diese Koalition ein randständiges Thema ist. ({3}) Diese Beschlußempfehlung kann auch wegen ihrer Unvollständigkeit und Widersprüchlichkeit unsere Zustimmung nicht finden. Die Bundesregierung setzt sich in ihrem Bericht mehrfach mit angeblichen bildungspolitischen Fehlentwicklungen der Vergangenheit auseinander. Der Vorwurf, der da gemacht wird, läßt sich in der Formel zusammenfassen, in der Regierungszeit der SPD seien zu viele junge Menschen ohne Rücksicht auf den Arbeitsmarkt zum Abitur und zum Studium gefördert worden und dabei seien gleichzeitig Qualität und Leistung vernachlässigt worden. Meine Damen und Herren, mit dieser Behauptung kann man vielleicht Stammtischbeifall bekommen. Sie bleibt deswegen trotzdem falsch. Wenn ich Ihre eigenen Maßstäbe an ein erfolgreiches Bildungssystem anlegen wollte, dann komme ich zu der Feststellung: Die hohe Qualität der Arbeit deutscher Facharbeiter, Techniker und Ingenieure hat in den 70er Jahren nicht nur nicht gelitten, sondern eher zugenommen. In einigen Feldern der Hochtechnologie sind wir international Spitze. Die deutsche Forschung genießt weltweites Ansehen. Nobelpreisträger - wenn das denn ein Maßstab für die Effektivität eines Bildungssystems sein kann - sind in diesen Jahren auch herangewachsen. Die Nobelpreise, die Sie in den letzten Jahren gefeiert haben, sind übrigens, wie man ja nachlesen kann, in Zeiten erarbeitet worden, als Sie noch nicht regierten - wenn das denn ein Maßstab sein kann, meine Damen und Herren. Wir als Sozialdemokraten haben Bildungspolitik allerdings nie als abhängige Variable von Arbeitsmarkt und internationaler Wettbewerbsfähigkeit gesehen. Bildungspolitik war und ist für uns immer auch die Schaffung von Bedingungen zur Entfaltung aller Fähigkeiten möglichst aller junger Menschen. ({4}) Sie haben diese Politik Anfang der 70er Jahre mitgetragen. Ich erinnere nur an die Gründung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und an den Strukturplan des Bildungsrates und der Kultusministerkonferenz von 1970. Sie haben diesen Konsens aber aufgekündigt, als mit der ersten Ölkrise die Epoche scheinbar unbegrenzten Wirtschaftswachstums beendet wurde. Dennoch hat die Bildungsreform der 70er Jahre einen Teil ihrer Ziele erreicht, und wir sind stolz darauf, daß die SPD an der Spitze dieser Reformbewegung gestanden hat. Wir sind stolz darauf, daß auch heute noch mehr Eltern ihre Kinder auf weiterführende Schulen schicken. Wir sind stolz darauf, daß heute auch viele katholische Arbeitermädchen vom Lande - die Gruppe, die damals in den 60er Jahren, als Sie regierten, am wenigsten Bildungschancen hatte - Gymnasien besuchen. ({5}) Wir sind stolz darauf, daß heute etwa 90 % eines Jahrgangs mit einer qualifizierten Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt antreten, und wir sind stolz darauf, daß die Zahl der Ausbildungsverhältnisse gerade in den 70er Jahren kräftig angestiegen ist, so z. B. von 1976 bis 1980 von 1,3 Millionen auf 1,7 Millionen. Wir haben eben nicht, wie Sie behaupten, immer nur die Hochschulausbildung gefördert, sondern haben auch und gerade die berufliche Bildung in einem Maße gefördert, wie es keine Bundesregierung zuvor getan hatte. ({6}) Das sage ich, damit diese Legende endlich einmal aus dem Verkehr gezogen wird. Aber, meine Damen und Herren, wir sind auch stolz darauf, daß wir die Hochschulen offengehalten haben, und wir sind nicht zuletzt stolz darauf, daß wir mit Erfolg Wege erprobt haben, auf denen Behinderte in das Regelsystem integriert werden können. Nun haben wir längst nicht alle Ziele unserer Bildungsreform erreicht. Manchmal fehlte der politische Mut; manchmal blockierten die Finanzminister; manchmal - wenn ich etwa an die Anerkennung der Gesamtschulabschlüsse denke - saßen die Bremser in den unionsregierten Ländern. Aber, meine Damen und Herren auf der Rechten, Sie glauben doch nicht im Ernst, was uns dieser Bericht weismachen will: daß wir von der ökonomischen und ökologischen Krise weniger hart getroffen worden wären, wenn es Bildungsreform und Bildungsexpansion nicht gegeben hätte! ({7}) An dieser Stelle des Berichts findet man auch einen der vielen Widersprüche. Sie fordern eine stärkere Orientierung der Bildung an den Anforderungen des Beschäftigungssystems; zugleich stellen Sie aber sehr richtig fest, genauere Vorhersagen der zukünftigen Entwicklung dieses Systems seien nicht möglich. Da Sie gleichzeitig - genau wie wir - eine Bildungs- und Berufslenkung ausschließen, müssen Sie sich natürlich fragen lassen, was Sie denn nun wie besser machen wollen als wir in den 70er Jahren, wo es angeblich zu einer Abkoppelung der Bildungsangebote vom Beschäftigungssystem gekommen ist. Und mit welcher Sicherheit wollen Sie eigentlich Abiturienten von den Hochschulen auf das duale System umorientieren, wenn Sie in dem Bericht - wiederum sehr richtig - feststellen, daß genauere Vorhersagen über die Arbeitsmarktchancen einzelner Berufe gar nicht möglich sind? Wegen der Kürze der Zeit als Beispiele nur noch zwei weitere Widersprüche: Sie fordern subsidiär - subsidiär zu Steuerfreibeträgen - direkte Leistungen des Staates für die Ausbildungsphase der Kinder aus sozial schwächeren Schichten; Sie sagen aber nichts darüber, daß es eben diese Leistungen für Hunderttausende von Kindern auf weiterführenden Schulen seit dem BAföG-Kahlschlag nicht mehr gibt, und gleichzeitig beschließen Sie eine Steuerreform, die die wohlhabenden Eltern massiv begünstigt. Schließlich setzen Sie sich für eine verstärkte Förderung der Elite und des hochqualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen ein und behaupten gleichzeitig, der Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik brauche gar nicht so viele Akademiker. Auch das ist ein Widerspruch; es kann doch gar nicht gleichzeitig beides richtig sein. Oder soll ich Ihnen, meine Damen und Herren, und dem Bericht unterstellen, daß Sie mit der beim BAföG bereits eingeleiteten Abschreckungsstrategie in den oberen Rängen der Gesellschaft wieder Platz für Priviligierte schaffen wollen? ({8}) Meine Damen und Herren, dieser Bericht gibt jungen Menschen keine Perspektive; er sagt nichts darüber, wie ausreichend qualifizierte Ausbildungsplätze für alle Jugendlichen geschaffen werden sollen. Er sagt den Jugendlichen auch nicht, wo sie nach der Ausbildung arbeiten können. Ich habe mir gerade aus dem Heimatwahlkreis des Herrn Bundeskanzlers, der j a diesen Bericht angekündigt hat, erzählen lassen, daß in Ludwigshafen 41 % aller Neuzugänge in die Arbeitslosigkeit junge Menschen unter 24 Jahren sind. Das heißt, nicht einmal in seiner Heimat hat er bisher Schritte ermöglichen können, um diesen Zustand, den wir gemeinsam beklagen und der in diesem Bericht aufgearbeitet werden soll, damit wieder Perspektiven geschaffen werden, zu verändern. ({9}) - Um diese Frage geht es ja nicht, denn der Bundeskanzler ist derjenige, der einen Bericht vorlegen wollte, mit dem er den jungen Menschen wieder Zukunftsperspektiven versprechen möchte. ({10}) Er hat bisher keines seiner den jungen Menschen gegebenen Versprechen gehalten! ({11}) Der Bericht sagt den Studenten auch nicht, daß sie mit dem, was sie an der Hochschule gelernt haben, in der Gesellschaft gebraucht werden und wie die Bundesregierung dazu beitragen will, daß sie auch wirklich Arbeit finden. Der Bericht sagt nichts darüber, wie die akademische Berufsausbildung künftig besser als bisher auf die Arbeitswelt vorbereiten kann. Er sagt schließlich nichts darüber, wie denn junge Menschen aus sozial schwachen Familien ihre Ausbildung bis zum Abitur finanzieren sollen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit diesem Bericht die Chance vertan, der jungen Generation den Einstieg in die Gesellschaft zu zeigen. Ich bin sicher, daß dieser Bericht - anders als der von 1970 - kein Markstein in der Geschichte der deutschen Bildungspolitik werden wird. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihr schönes Bild, Herr Kuhlwein, von den passenden bildungspolitischen Schuhen, meine ich, ist umgekehrt richtig: Die Schuhe passen jetzt zur Realität, während sie vorher zu groß waren und zur Realität nicht gepaßt haben. Die Bemühungen um Ausgewogenheit, Realitätssinn und Vorsorge kennzeichnen gerade die in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers angekündigte und von der Bundesregierung im Sommer 1984 vorgelegte Konzeption zur Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf. Deshalb hat Herr Daweke im Ausschuß - das darf ich berichten - nicht etwa gesagt, das sei dilatorisch behandelt worden, sondern er hat gesagt: Der Bericht ist so gut, daß er besser an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Das war das, was er im Ausschuß gesagt hat. ({0}) Ausgewogenheit zwischen den Pendelausschlägen der Bildungspolitik: Abrücken vom Glauben an eine durch Bildungsplanung formbare Zukunft, aber auch keine bildungspolitische Resignation. Der Bericht unterstreicht die Bedeutung, die Bildung für die Lebenschancen junger Menschen besitzt. Er fügt aber klar hinzu, daß junge Menschen nicht einfach begabt werden können, sondern daß die eigene Leistung dazugehört; daß Gesellschaft und Staat nicht in der Lage sind, für jeden Bildungswunsch die möglichst beamtete Stelle bereitzuhalten, sondern daß Wunsch und Wirklichkeit in Übereinstimmung gebracht werden müssen. So wenig natürlich das Beschäftigungssystem nach dem Bildungssystem konzipiert werden kann, so wenig darf das andere Extrem Platz greifen: Bildungsströme nach der Beschäftigungslage zu kanalisieren. Die Konzeption der Mitte stellt auf die Durchschaubarkeit, auf die Beratung, auf das Angebot für freie und mündige Bürger ab. Ausgewogenheit zeigen der Bericht und die Beschlußempfehlung des Ausschusses auch in der Frage unseres Bildungsföderalismus. Sein Verfassungsrang wird nicht angetastet. Aber es wird auch auf die Verflochtenheit der Politikbereiche im Hinblick auf die Zukunftschancen verwiesen, die eine vernünftige und ständige Abstimmung zwischen Bund und Ländern erfordert. Das Bekenntnis zur Bedeutung der Bund-Länder-Kommission möchte ich in diesem Zusammenhang unterstreichen. Ausgewogenheit wird schließlich deutlich in der gleichwertigen Einstufung beruflicher und allgemeiner Bildung. Hier möchte ich gerne ganz kurz die Diskussion um die neuen Perspektiven für die Beschäftigung von Hochschulabsolventen streifen, die in dem Gutachten Baethge, Hartung und Teichler für die GEW behandelt wurden. Sie folgen ja wieder dem alten Pendelschlag, die beste Chance sei eben doch mit der längsten und höchsten, nämlich der akademischen Bildung verbunden. Schrekkensbilder von bevorstehender Akademikerarbeitslosigkeit seien falsch. Die Studie belegt, was sicher nicht zu bezweifeln ist: daß ausgebildete Lehrer gute Chancen - bei entsprechender Nachbildung - auch in anderen Bereichen haben. Nur, lohnt der Umweg, der über Studium plus Ausbildung zu einem Beruf führt, den man auch mit der Ausbildung allein sehr viel schneller hätte erreichen können? Wäre die individuelle Lernzeitverkürzung dann nicht sinnvoller, vor allem wenn die Nachbildungschance gegeben ist? Im Grunde ist der Streit müßig. Die Entscheidung liegt bei dem, der Bildungsgüter nachfrägt. Hunderttausend Abiturienten unter den Auszubildenden: Warum soll der Politiker über die Erwünschtheit diskutieren? Er soll die Bildungsentscheidung respektieren. Realitätssinn kennzeichnet den Bericht, wenn er die abstrakte, von der Verfassung vorgegebene Zielsetzung der Persönlichkeitsentfaltung durch Bildung und Ausbildung in den Zusammenhang der Eingebundenheit des Menschen in soziale Bezüge stellt. Die Einsicht, daß die Fundamente für die Erziehung und das Lernen der Kinder und Jugendlichen in der Familie gelegt werden, daß eine gute Familienpolitik somit Voraussetzung für eine gute Bildungspolitik ist, die Folgerung, daß die Eltern deshalb auch stärker in das Bildungs- und Ausbildungsgeschehen einzubeziehen seien, entspricht der Realität gleichermaßen wie der Verfassungsnorm. Realitätssinn zeichnet den Bericht aus, wenn er an der genetisch und milieubedingten Begabungsvielfalt anknüpft und Breitenförderung ebenso als Notwendigkeit sieht wie die Sonderförderung des Benachteiligten oder des Hochbegabten dann, wenn seinem Anspruch auf Persönlichkeitsentfaltung sonst nicht Genüge getan werden kann. ({1}) Realitätssinn zeigt der Bericht schließlich in der Beurteilung der Notwendigkeit von beruflicher Flexibilität und Mobilität, auf die das Bildungswesen vorbereiten muß. Damit bin ich bei der Vorsorge, die der Bericht nicht als Prognose oder Planung, sondern zu dem Zwecke trifft, aus der Analyse gegenwärtiger Entwicklungen auf mögliche Tendenzen und Entscheidungen bei den zu Bildenden gewappnet zu sein. Ich nenne das Offenhalten der Bildungswege, bildungspolitische Beiträge zur Bewältigung neuer Technologien, Vorbereitung auf die rasant voranschreitenden Wechselbeziehungen zwischen den Menschen und Staaten dieser Erde durch Lernen und Forschen im Ausland, vor allem aber Weiterbildungskonzeptionen, Möglichkeit des Nacherwerbs von Qualifikationen, Präzisierung des Begriffs vom lebenslangen Lernen auf konkrete, auch die Möglichkeiten der neuen Medien einbegreifende Fortbildung. Zwei Probleme sind im Bericht genannt, deren aufgezeigte Lösungsmöglichkeiten noch weiter überdacht werden müssen. Dies ist zum einen die Verbesserung der Bildungschancen von Mädchen und Frauen, wobei das eigentliche Problem in der Verbesserung der Ausbildungs- und Berufschancen liegt. Eine an Lebensentwurfswünschen - ich denke etwa an die Shell-Studie - orientierte Bildungspolitik müßte z. B. dem 80%igen Familien-und Kinderwunsch sowie Teilzeitarbeitswünschen stärker entgegenkommen, wobei wiederum die Weiterbildung als Wiederanknüpfung an die Erstausbildung entscheidend wichtig ist. Der zweite Problembereich betrifft die Ausländer. Neben dem Integrationskonzept, das die Politikbereiche von Bildungs- und Innenpolitik besser verbinden müßte, ist die Befähigung zur Rückkehr, wenn diese angestrebt wird, in der Bildungspolitik bisher unterentwickelt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist verständlich, daß sich in der Diskussion eines solchen Bildungsberichtes das Für und Wider zwischen Koalition und Opposition widerspiegelt. Ich finde es natürlich schade, daß es nur Zustimmung oder Ablehnung geben kann: denn es gibt Zwischentöne und weite Bereiche, bei denen Sie vermutlich auch zustimmen könnten. Es gibt Kontroverspunkte, die wir hier immer wieder austragen, aber die langsam veraltet wirken. Herr Kuhlwein, Sie haben z. B. wieder darauf hingewiesen, die Chancen der Jugendlichen hätten sich etwa durch Änderungen im BAföG-Bereich verschlechtert. Ich meine, daß zu der Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung absolut folgendes gehört: Wenn ein Geselle, der Meister werden will und dafür eine Förderung erhält, diese als Darlehen bekommt und zurückzahlen muß, kann es keine Ungerechtigkeit sein, wenn ein Student, der ein Darlehen bekommt, das dann ebenfalls zurückzahlen muß. Ich persönlich habe den Eindruck, daß das an den Universitäten mittlerweile so als gerecht angesehen wird. Ich meine, diese Nachzugsgefechte sollten wir im Grunde gar nicht mehr führen. ({2}) Für die Hinwendung des Berichts zu Ausgewogenheit, Realitätssinn und Vorsorge sowie zur Beschlußfassung des Ausschusses bitte ich deshalb um Ihre Zustimmung. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Zeitler.

Karin Zeitler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002586, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die schwierige Aufgabe, mich in fünf Minuten mit einem 70seitigen Bericht auseinanderzusetzen, der mehr oder weniger die bildungspolitischen Ziele der Bundesregierung enthält. Ich stehe dieser Aufgabe etwas hilflos gegenüber. Aber eines kann ich vorweg und als Ergebnis schon sagen: Der Titel dieses Berichts: „Sicherung der Zukunftschancen der Jugend" ärgert mich maßlos. ({0}) Der ganze Bericht ist nämlich in der bekannten Manier der Bundesregierung abgefaßt. Sie versucht, ihre Ziele als Chance für die Jugendlichen herauszustellen. Wir erinnern uns bestimmt alle noch an den Abbau von Jugendschutzbestimmungen, den man den Jugendlichen als Eröffnung neuer Ausbildungsmöglichkeiten zu verkaufen versuchte. Das gleiche läuft im Hochschulbereich ab. Statt Begabten- und Eliteförderung als Ausleseverfahren zu bezeichnen, mit dessen Hilfe technisch und naturwissenschaftlich begabte, sozial angepaßte und ehrgeizige junge Menschen für ihren Einsatz im Hochtechnologiebereich fitgemacht werden, spricht man in konservativen Kreisen ({1}) lieber von den Schulsorgen der Begabten und hofft, daß sich Leistung wieder lohnen soll. Damit hofft man auf die Zustimmung einer Mehrheit, die nicht genauer hinschaut. Unter diesem Motto werden auch die Mittel der Begabtenförderungswerke aufgestockt, während auf der anderen Seite die BAföG-Förderung, d. h. die Förderung für die breite Mehrheit, drastisch zurückgeht: von 1981 bis 1984 um 25 %. Die wirklichen Zukunftsfragen, etwa wie eine qualifizierte Ausbildung mit sinnvoller Zukunftsperspektive anzubieten ist, oder wie mit allen gesellschaftlichen Kräften an der Lösung der ökologiFrau Zeitler sehen und friedenspolitischen Überlebensfragen zu arbeiten ist, werden von der Bundesregierung nicht diskutiert. ({2}) Eine andere bekannte Masche der Bundesregierung besteht darin, bei gegebenen Anlässen nur auf die Steigerungsraten hinzuweisen und die Realität zu vernachlässigen. Sie wissen alle, daß ich von der Ausbildungsplatzsituation spreche, von den unvermittelten Bewerbern und Bewerberinnen und von den vielen Jugendlichen, die in Maßnahmen und ungewollten Ausbildungsstellen versteckt sind. Genauso unehrlich finde ich es, wenn in einem willkürlich herausgegriffenen Monat die sinkende Zahl arbeitsloser Jugendlicher hervorgehoben wird und damit die Tendenz, daß immer mehr Jugendlichen der Einstieg ins Berufsleben verbaut ist, einfach unterschlagen wird. ({3}) Wie die Bundesregierung dieses Problem angehen will, sagt sie natürlich nicht. ({4}) Von den Problemen unserer Wachstumsgesellschaft, von Arbeitszeitverkürzung, Abkoppelung vom Weltmarkt, sinnvoller ökologischer und selbstbestimmter Arbeit ist in dem Bericht nichts zu lesen. Aber genau an diesem Punkt ist von uns allen ein Umdenken gefordert. Mir müssen nämlich den Menschen in den Mittelpunkt unserer Politik und unseres Wirtschaftens stellen, nicht aber rasante Entwicklungen, technische Notwendigkeiten o. ä. ({5}) Das ist es, was die Jugendlichen spüren und was sie in Gesprächen und auch in Umfragen immer wieder klarmachen. In diesem Sinn sind auch die wichtigen Fragen der nächsten Jahrzehnte anzugehen: Abbau der Arbeitslosigkeit, Umweltschutz, Sicherung des Friedens, Abbau von Jugendarbeitslosigkeit. Diese Begriffe kennen Sie sehr wohl aus den Untersuchungen, die die Bundesregierung selber hat durchführen lassen. Daran werden Jugendliche messen, wer hier die Zukunftschancen sichert. Die Bundesregierung ist es nicht. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem gebe ich Frau Zeitler recht: Es ist tatsächlich schwierig, einen über 70 Seiten langen Bericht in der kurzen Redezeit so ausführlich zu behandeln, daß sich die Schwerpunkte nicht vermischen und man zu unscharfen Stellungnahmen kommt. Aber wenn ich an die Beanstandungen denke, was noch in diesen Bericht aufgenommen werden müsse, was zusätzlich noch gesagt werden könnte und sollte, dann, so stelle ich mir vor, würde dieser Bericht noch viel schlimmer ({0}) - hören Sie doch erst einmal zu -, wobei ich von meinem liberalen Selbstverständnis her als „schlimm" immer ein zu starkes Netz von Vorstellungen einer Regierung empfinde. Ich bin der Meinung, die Gesellschaft, die Kräfte innerhalb der Gesellschaft, das Leben selbst, die Bürger sollen bestimmen, wohin Bildung geht; sie sollen sich nicht in das Netzwerk einer Regierung einfangen lassen. Gott sei Dank tut diese Regierung es nicht, denn sonst hätte sie einen viel umfangreicheren Bericht erstellt. ({1}) Meine Damen und Herren, schon die Auswahl eines Schwerpunktes für eine so kurze Darstellung ist j a problematisch, denn wenn man sich auf aktuelle Fragen konzentriert, dann gerät man leicht in den Verdacht, wichtige andere Felder nicht gebührend berücksichtigt zu haben; bleibt man im Grundsätzlichen, so verliert man ja - das hat die Rede von Herrn Kuhlwein gezeigt - den Boden unter den Füßen, da sich die Realität ständig verändert, und man stellt Brüche in der Kontinuität fest, wo es überhaupt keine Brüche gibt, aber wo man sie aus polemischen Gründen vielleicht gerne sähe. Meine Damen und Herren, was das in meinen Augen aktuellste Thema, die Situation der Ausbildungsstellen, betrifft - es ist auch von Frau Zeitler angesprochen worden -, so haben wir uns immer um eine ebenso differenzierte wie realistische Bewertung bemüht, die die Erfolge des großen Engagements aller Beteiligten, und deren Voraussetzungen anerkennt, die aber auf der anderen Seite auch die verbleibenden Schwierigkeiten nicht aus dem Auge verliert. Ich lese in Ihrer Großen Anfrage, daß Sie die Kritik der Berufsschullehrer aufgenommen haben, die sagen, ihre Beteiligung an diesen großen Anstrengungen sei nicht genügend gewürdigt worden; ich greife das hier ausdrücklich auf. Allen ist zu danken. In der Beschlußempfehlung des Ausschusses wird die Bundesregierung aufgefordert, 15 Punkte besonders zu berücksichtigen; allein sieben davon beschäftigen sich mit diesem Problem. Ich glaube, wir alle sind uns einig, daß diese Fragen in diesem Jahr und in den nächsten Jahren außergewöhnliche Anstrengungen aller Verantwortlichen notwendig machen. Es gibt ja - Graf von Waldburg-Zeil hat darauf hingewiesen - vielfache gegenseitige Bezüge zwischen dieser aktuellen Problematik und anderen bildungspolitischen Bereichen, etwa zu dem sogenannten veränderten Bildungsverhalten junger Menschen. Wir unterstützen die in der Beschlußempfehlung des Ausschusses getroffene Feststellung, daß es sich um eine durchaus vernünftige Entwicklung handelt, daß mehr Abiturienten als früher eine Ausbildungschance im dualen System suchen, wenn ein Verdrängungswettbewerb vermieden wird. Jetzt allerdings müssen wir das Wort vom Verdrängungswettbewerb einmal offen und fair hinterfragen. Es handelt sich um einen sehr vielschichtigen Begriff. Ein kluger Mann hat kürzlich gesagt: Wenn wir sagen, daß Gymnasiasten und Realschüler in zunehmendem Maße Hauptschüler verdrängen, dann müssen wir doch überlegen, ob angesichts des sich bei einem längerfristigen Vergleich zeigenden erheblich veränderten Anteils von Gymnasiasten oder Realschülern an einem Schülerjahrgang sozusagen auch Gymnasiasten und Realschüler sich nicht selber verdrängen, denn sie wären früher beispielsweise Hauptschüler bzw. Realschüler gewesen. Nun will ich das nicht als eine Verharmlosung des Problems ansehen; ich möchte es jedoch als einen Diskussionspunkt aufgreifen. Genauso aufgreifen möchte ich die vielleicht naive Feststellung: Offenhaltung aller Bildungswege und Konzentration auf die Entscheidungsfreiheit des einzelnen bedeutet natürlich auch, daß ich Offenheit nicht nur im Hinblick auf die Hochschule sichere, sondern selbstverständlich auch im Hinblick auf die Freiheit einer Ausbildung im dualen System der beruflichen Bildung. ({2}) - Liebe Kollegen, ich bedanke mich sehr herzlich für diesen Beifall. Das Schwergewicht dieses Berichts liegt auf der Offenhaltung aller Bildungswege; das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Ich meine, wir sollten auch diese Diskussion dazu benutzen, uns mit allen möglichen Gedanken, die man dazu haben kann, dieses gemeinsamen Konsenses darüber, alle Bildungswege offenzuhalten, zu versichern, weil wir davon ausgehen, daß es das elementare Recht jedes jungen Menschen ist, seinen Bildungsweg nach seinen Möglichkeiten, Neigungen und Befähigungen und natürlich auch nach realistischer Abschätzung seiner Lebensperspektiven auszuwählen. Hier, glaube ich, gibt es überhaupt keine Veranlassung, nun in künstlicher Weise vor dem Hintergrund dieses Berichtes Gegensätze zu schaffen. ({3}) Der Bericht sagt nämlich sehr realistisch, daß es zweifellos eine Gratwanderung sei, eine solche Politik des Offenhaltens zu betreiben. Ich meine, gerade wenn sich der Charakter dieser Politik angesichts vieler Schwierigkeiten als Gratwanderung deutlich macht, dann ist es natürlich auch notwendig, den zweiten Satz aus dem Bericht, der dem Hinweis auf die Gratwanderung folgt, ins Bewußtsein zu nehmen. Es heißt nämlich da: Es gibt dazu allerdings keine Alternative. - Beides ist richtig. Es gibt keine Alternative zum Offenhalten aller Bildungswege, es ist aber eine Gratwanderung, wie überhaupt die Welt sich bekannterweise nicht durch einfache Lösungen und die Bereitschaft zu Patentrezepten auszeichnet. Meine Damen und Herren, es treten in unserer Gesellschaft immer wieder Tendenzen auf - ich meine jetzt nicht die großen Konflikte; schon im kleinen fängt das an -, die aus einer offenen in eine von Verbänden bestimmte Landschaft führen wollen. Das gilt auch für den Bildungsbereich. Dagegen stellt sich für uns Liberale der Grundsatz der Selbstbestimmung des einzelnen. Der Bericht sagt richtig, daß eine Bildungs- und Berufslenkung ausgeschlossen sei. Ich stelle diese Feststellung gegen manche wie aus alten Zunftzeiten stammende aktuelle Forderung. Es gibt keine Alternative. Dazu muß man dann - das macht das Problem schwierig - ehrlicherweise und realistischerweise wieder sagen: Es gibt auch keine Garantie dafür, daß ein bestimmter Bildungsweg automatisch in ein bestimmtes Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis führt. Meine Damen und Herren, ich bin mir dessen bewußt, daß ich hier mehr Fragen aufgeworfen als plakative Antworten gegeben habe. Aber ich habe das auch gar nicht versucht, sondern ich habe mich bemüht, auf der Grundlage des vorliegenden Berichts heute einen Beitrag dazu zu leisten, gemeinsam wenigstens die Punkte zu diskutieren, in denen wir in Zukunft guten Gewissens einer Meinung sein können. Der anderen gibt es noch genug. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz immer wiederkehrender Versuchung, der auch ich manchmal unterliege, habe ich doch die Hoffnung nicht verloren, Herr Daweke, daß der Bundestag die Sorgen von vielen Hunderttausend Jugendlichen ernst nimmt, statt daß wir uns - das war soeben ein erfrischender Beitrag, der dem entgegensteht - mit Polemik gegenseitig auf die Ohren schlagen. Denn es sind eigentlich mehr als Sorgen, die eine Jahr für Jahr wachsende Zahl von jungen Menschen umtreibt, es sind Ängste um ihre persönliche Zukunft. In den ersten drei Monaten eines jeden Jahres werden bei den Arbeitsämtern die Arbeitslosen unter 25 Jahren gezählt. 1985 waren es fast 600 000. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rechnete noch eine stille Reserve von 300 000 dazu. Wie wird es in diesem Jahr sein, wenn jetzt gezählt wird? Müssen wir wieder mit einer Steigerung wie in den letzten Jahren rechnen? ({0}) Und was tun wir? Werden wir unserer Pflicht gerecht, Schaden von den jungen Menschen abzuwenden? Als der Bericht, über den wir jetzt debattieren, vor fast zwei Jahren erschien, hatte ich trotz Skepsis in vielen Einzelpunkten die Hoffnung, wir könnten diesen Bericht zum Anlaß nehmen, tatsächlich Weisskirchen ({1}) einen Beitrag zur Sicherung der Zukunftschancen der Jugend zu leisten. Leider muß auch ich bedauern, daß wir heute nur sehr wenig Zeit haben, um zum erstenmal - wie ich fürchte: auch zum letztenmal - über diesen Bericht hier zu diskutieren. Diese Chance also, scheint mir, ist vertan; genauso wie die Chance vertan ist, die Forderung der Enquete-Kommission Jugendprotest im demokratischen Staat praktische Politik werden zu lassen. ({2}) Wir sollten uns einmal fragen: Welchen Eindruck machen wir auf die Jugend, wenn wir ihre Ängste erst dann aufgreifen, wenn sie protestiert? Wie glaubwürdig ist denn eigentlich Politik, die die Ursachen, die zur Jugendrevolte geführt haben, immer nur dann zur Kenntnis nimmt, wenn es auf den Straßen und Plätzen unserer Republik laut wird? ({3}) Soll die Million junger Menschen ohne Arbeitsplatz, ohne Ausbildungsplatz, aber voller Resignation, daraus den Schluß ziehen: Das Parlament nimmt uns erst dann wahr, wenn wir uns wehren, wenn wir unsere eigene Sache selbst in die Hand nehmen und es durch Lautstärke zum Handeln zwingen? Ist das eigentlich ein gutes Zeichen für uns? ({4}) Tatsache ist doch: Die Million junger Menschen will jetzt einen Einstieg in den Beruf. Ihnen hilft auch kein Versuch, den Schleier von künstlich herbeigeredetem Optimismus über die Wirklichkeit zu legen. Den immer noch 40 000 registrierten Ausbildungsplatzsuchenden, Frau Minister, hilft es nicht, wenn der Bundeskanzler in seiner Neujahrsansprache behauptet, die Zahl der Lehrstellen sei erneut gewachsen, oder wenn Bundestagspräsident Jenninger - so vor wenigen Wochen - erklärt, 1985 habe - ich zitiere - „ein Rekordergebnis an neuen Stellen gebracht". ({5}) Wenige Tage später mußten wir dann aus Nürnberg erfahren, daß im letzten Jahr in Wahrheit ein Rückgang an Ausbildungsplätzen stattgefunden hat. ({6}) Es hilft der Million junger Menschen der zynische Hinweis darauf, daß wir in den 90er Jahren angeblich über den Berg seien, überhaupt nicht. Die jungen Menschen wollen jetzt einen Ausbildungsplatz, sie wollen jetzt einen Arbeitsplatz, und sie wollen nicht auf irgendeine Zukunft vertröstet werden. ({7}) Deswegen ist es unsere Pflicht, jetzt zu handeln. Oder muß die Jugend etwa wieder so lange warten, bis neue Formen des Protestes uns, die Politiker, wachrütteln? Wie lange wird es noch dauern, bis auch in der Bundesrepublik Deutschland das passiert, was man z. B. in manchen Stadtteilen von Liverpool und von London jetzt schon feststellen kann? ({8}) Glauben Sie denn - ich nenne nur einmal ein Beispiel; viele von uns erleben ein solches Beispiel im eigenen Wahlkreis doch auch -, es hilft z. B. einem 15jährigen Mädchen, das gerade von der Hauptschule kommt, 20 Kilometer von der nächstgrößeren Stadt entfernt auf dem Lande lebt und eine schlechte Busverbindung in eben diese Stadt hat, wenn ihm gesagt wird: im mittleren Neckarraum bekommst du eine qualifizierte Ausbildungsstelle? Glauben Sie, das hilft ihr etwas? Oder glauben Sie, man könne ihm mit gutem Gewissen raten, Friseurin zu werden und zum Friseur in seinem Ort zu gehen, wenn man jetzt schon weiß, daß dreimal mehr Friseurinnen ausgebildet werden, als Friseurinnen aus dem Erwerbsleben ausscheiden? ({9}) Glauben Sie, wir können diese jungen Menschen mit solchen Beispielen wirklich überzeugen? ({10}) Mich bedrückt es - das sage ich Ihnen ganz offen -, schon jetzt zu sehen, welche Folgen für uns alle daraus erwachsen. Wer von uns kann denn ausschließen, daß bei Hunderttausenden dieser jungen Menschen unter 25 Jahren Verzweiflung heranwächst, weil sie als Teil der geburtenstarken Jahrgänge als ein Problem angesehen werden, das gelöst ist, wenn sie älter geworden sind? So können wir den jungen Menschen nicht helfen. Wer sagt uns denn eigentlich, daß nicht morgen genau das passiert, was andernorts in Europa schon geschehen ist? Christoph Böhr, der Vorsitzende der Jungen Union, hat - ich finde, da hat er völlig recht ({11}) in einem Disput mit dem Vorsitzenden der Jungsozialisten von der Gefahr gesprochen, daß Jugendliche ohne Aussicht auf Berufsausbildung und Arbeit zur Gewalt neigen, wie sich das jetzt in Hamburg bei diesem schrecklichen Mord an unserem türkischen Mitbürger durch die Skinheads gezeigt hat. Wann endlich wachen wir alle - da nehme ich nicht nur die Bundesregierung als Kritikpunkt - aus der Trance auf, die diese Bundesregierung nach außen verströmt, in die sie sich z. B. mit rhetorischen Verpackungskünsten ständig versetzt? Eine Optimismuskampagne hilft überhaupt nicht. Die Wirklichkeit ist für die Jugendlichen mit einem schrecklichen Gesicht versehen. ({12}) Weisskirchen ({13}) Die 20- bis 25jährigen sind jetzt die Altersgruppe geworden, die in der Arbeitslosenstatistik an der Spitze liegt. ({14}) Ist das nicht eine schreckliche Entwicklung, die sich da abzeichnet? Die 25- bis 30jährigen sind die Gruppe mit der zweithöchsten Arbeitslosigkeit. Das, was dahintersteckt, ist, daß die Lebensübergänge immer mehr Menschen in eine soziale Sackgasse führen: von der Schule in den Wettlauf um den Ausbildungsplatz, vom Kampf um die Zehntelnote im Abitur in ein Studium, an dessen Ende manchmal auch die berufliche Unsicherheit steht, von der Berufsausbildung in wachsendem Maße - nämlich ein Fünftel aller Jugendlichen - in die Arbeitslosigkeit. Dabei hat es noch nie eine so große Zahl von jungen Menschen gegeben, die so gute Voraussetzungen mitbringen, um im Leben und im Beruf bestehen zu können. Die Bildungsexpansion hat bewirkt, daß die, die heute 15- bis 30jährig sind, eine Voraussetzung mitbringen, die unsere Gesellschaft dringend braucht, denn das einzige, was wir an Rohstoff haben, sind die Kenntnisse, die Fähigkeiten, die Fertigkeiten, die Kreativität dieser Hunderttausende junger Menschen. Heute noch werden aber diese Hunderttausende abgewiesen. Was, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir ihnen denn sagen? Ich finde, wir müssen ihnen deutlich machen: Es kann auf Dauer nicht so sein, daß wir deren Kreativität brachliegen lassen. Wir dürfen die nicht in Resignation verfallen lassen, die eigentlich doch Sinnerfüllung in der Arbeit suchen. Der Bundestag hätte erwarten können, daß den Ansprüchen und Versprechungen, die auch in diesem Bericht formuliert worden sind, wenigstens die ernsthafte Bemühung folgen werde. Weder die Regierung noch die sie tragenden Fraktionen haben aus dem Bericht eine offene Debatte in Gang gesetzt, nicht im Ausschuß - leider nicht -, auch nicht im Plenum und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Dabei hätte es bei allem, was wir anders sehen, Anknüpfungspunkte für bessere Wege zur Lösung von Problemen geben können. ({15}) Manches wird in diesem Bericht richtig erkannt. Zumeist aber verliert er sich in analytischen Betrachtungen oder verharmlost gar die Schärfe der Probleme. Sie täuschen sich selbst, wenn Sie nicht zur Kenntnis nehmen, was eigentlich in Ihrer Regierungszeit geschehen ist. Sie haben die Chancen, die Sie mit diesen jungen Menschen gehabt hätten, verspielt. Hunderttausendfach sind diese jungen Menschen belogen worden. Es sind ihnen Versprechungen gemacht worden, die nicht gehalten worden sind. Das bleibt das Merkmal Ihrer Regierung. Das werden Sie im Januar des nächsten Jahres bezahlen müssen. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Götzer.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jugendunruhen, die der Herr Kollege Weisskirchen noch einmal vor unseren Augen hat aufleben lassen, haben meines Wissens zu einer Zeit stattgefunden, da die SPD die Regierungsverantwortung hatte. ({0}) Sie sind das Ergebnis einer Politik von Versäumnissen, auch gerade im Bildungsbereich und auch gerade, was die Zukunftschancen der jungen Generation angeht. Sie mußten doch zu Ihrer Zeit die Zahlen über die Geburtsjahrgänge kennen. Sie mußten wissen, daß in den 80er Jahren starke Jahrgänge auf den Lehrstellen- und Arbeitsmarkt drängen würden. Sie waren aber nicht in der Lage, dieses Problem bereits in den 70er Jahren langfristig in den Griff zu bekommen. ({1}) - Richtig. Der Bericht der Bundesregierung dokumentiert die bildungspolitischen Vorstellungen der Regierung Kohl zur Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf. Er ist von der Überzeugung geprägt, daß diese eine der zentralen gesellschaftspolitischen Aufgaben ist. Jedem Jugendlichen muß die Chance zu einer begabungsgerechten und qualifizierenden Ausbildung gegeben werden. Sowohl die in dem Bericht niedergeschriebenen Leitlinien einer zukunftsorientierten Bildungspolitik als auch der umfangreiche Katalog bildungspolitischer Maßnahmen zeigen, daß die Bundesregierung auch in diesem Bereich einen anderen Weg als die frühere einschlägt und daß die bildungspolitischen Verirrungen der 70er Jahre der Vergangenheit angehören. Die Koalition der Mitte bekennt sich zur Aufgabe des Bildungswesens, durch Vermittlung der für das Zusammenleben grundlegenden Werte und Normen den heranwachsenden Bürgern Orientierungen im demokratischen Staat und in der freiheitlichen Gesellschaft zu geben. Vor allem die Schule muß - unter Wahrung des Elternrechts - die Bindung des einzelnen und der Gemeinschaft an Grundwerte und Grundpflichten verdeutlichen ({2}) und dabei demokratisches Verhalten, Verantwortungsbewußtsein, Hilfsbereitschaft und Toleranz fördern. Der Bericht der Bundesregierung trägt auch einer weiteren, in den 70er Jahren vernachlässigten Erkenntnis wieder Rechnung. Als rohstoffarmes Industrieland sind wir nämlich vor allem auf den Rohstoff Geist angewiesen. ({3}) Unser Land braucht außer einem hohen Qualifikations- und Leistungsniveau der Bevölkerung insgesamt auch herausragende Leistungen einzelner besonders Begabter. ({4}) - Daß Sie nicht zu diesem Personenkreis gehören werden, liebe Frau Kollegin, steht zu befürchten. ({5}) Leistung ist nicht nur für die persönliche Entfaltung eines jeden Menschen ein unentbehrlicher Antrieb, sie ist zugleich gerechter Maßstab für berufliche und gesellschaftliche Qualifikationen. Leistung kann freilich erst erbracht werden, wenn überhaupt die Chance zur Leistung besteht. Es ist deshalb der Auffassung der Bundesregierung zuzustimmen, daß auch in den kommenden Jahren alle Ausbildungskapazitäten in der beruflichen Bildung ausgeschöpft werden müssen, damit für die Jugendlichen der geburtenstarken Jahrgänge ein ausreichendes und Zukunftschancen eröffnendes Ausbildungsangebot bereitgestellt werden kann. ({6}) Die bisherige Bilanz der Regierung Kohl auf diesem Gebiet kann sich sehen lassen. Ich will nur einige wenige Stichpunkte beispielhaft nennen. Die Appelle an die deutsche Wirtschaft, auszubilden, haben Früchte getragen und eine eindrucksvolle Wirkung gezeigt. Auch 1985 ist trotz der hier gebrachten Zahlen - die nicht stimmen - wieder ein Rekordjahr gewesen, was die abgeschlossenen Ausbildungsverträge angeht. Lediglich 5 % konnten im Augenblick noch nicht vermittelt werden. In den letzten drei Jahren sind über 150 000 neue Lehrstellen geschaffen worden. Dies ist ein Faktum, um das niemand herumkommt. Das Ausbildungsplatzangebot im öffentlichen Dienst ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Die Zahl der an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beteiligten Jugendlichen unter 25 Jahren ist erheblich angestiegen. Die Mittel sind in den letzten Jahren, von 1982 bis 1985, verdreifacht worden. ({7}) Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen - auch dazu möchte ich ein Wort sagen - unter 20 Jahren stagniert nunmehr. Die Zahl derer zwischen 20 und 25 Jahren, die arbeitslos sind, geht zurück. Auch das, meine Damen und Herren, bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen. Ich möchte nur noch stichwortartig sagen: Die siebente AFG-Novelle, das Benachteiligtenprogramm, das Bildungsbeihilfenprogramm sind Merkpunkte unserer Politik der Chancen für die junge Generation. Auch ein Wort zu den angesprochenen Kürzungen im BAföG-Bereich: Die sind doch bereits unter der alten Regierung Helmut Schmidt eingeleitet worden. Das müssen Sie einmal nachlesen. ({8}) - Sie sind länger im Bundestag, Herr Kollege. Sie müßten das doch eigentlich besser wissen als ich. ({9}) Vieles ist noch zu tun. Aber diese wenigen Beispiele machen bereits deutlich: Die Regierung Kohl ist auf dem richtigen Weg. ({10}) Sie hat, wie der vorliegende Bericht überzeugend dartut, Bewährtes ausgebaut, neue Akzente gesetzt und günstige Rahmenbedingungen für die Sicherung der Zukunftschancen der Jugend geschaffen. ({11}) Und sie gibt der Jugend wieder Hoffnung und Perspektive - im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Dr. Schierholz. Die jüngste Repräsentativbefragung der jungen Generation, durchgeführt vom Emnid-Institut, belegt eindeutig: Die Zukunftserwartungen unter den Jugendlichen sind deutlich positiver geworden. Die Phase der Verunsicherung, die Anfang der 80er Jahre bei einem erheblichen Teil der Jugend als Folge der No-Future-Politik der früheren SPD-Regierung festzustellen war, ist überwunden und allen geschäftigen und geschäftsmäßigen Schwarzmalern zum Trotz steht heute fest: Das Bild von der Null-Bock-Generation stimmt nicht mehr. ({12}) Von einer Abkehr vom Berufs- und Arbeitsleben kann keine Rede sein. Für die meisten Jugendlichen sind heute vielmehr Freude an der Arbeit und beruflicher Erfolg ({13}) - vielleicht können Sie sich das gar nicht vorstellen, Frau Kollegin - wieder erstrebenswert, mit einem Wort: Die weit überwiegende Mehrheit der Jugend sieht der Zukunft wieder mit Zuversicht entgegen - zu Recht. ({14})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Frau Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Wilms.

Dr. Dorothee Wilms (Minister:in)

Politiker ID: 11002518

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in den letzten drei Jahren in der Bildungspolitik neue Akzente gesetzt und wichtige neue Weichenstellungen vorgenommen. ({0}) Die Gesamtkonzeption dieser Bildungspolitik ist in dem hier diskutierten Bericht dargestellt. Viele der dort genannten Ziele und Vorhaben konnten bereits auf den Weg gebracht oder sogar schon verwirklicht werden. Lassen Sie mich einiges davon stichwortartig nennen. Trotz Ihrer Schwarzmalerei, meine Damen und Herren von der Opposition, ist es gelungen, den Jugendlichen der geburtenstarken Jahrgänge trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage eine Ausbildung zu geben. ({1}) Dies war und ist möglich durch die große Solidarität von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft mit den jungen Menschen. ({2}) Bund, Länder, die Wirtschaft haben große, auch finanzielle Anstrengungen gemacht, um den jungen Menschen Bildungschancen zu geben. In den letzten Jahren haben jeweils 97 % der Jugendlichen dieser großen Ausbildungsbewerberjahrgänge eine Ausbildung erhalten. Das wird auch für den Ausbildungsjahrgang 1986/87 Gültigkeit haben. ({3}) Es wurde und wird über Bedarf ausgebildet. Hierbei ist es erfreulich, daß von den Ausgebildeten über 90 % unmittelbar und sofort den beruflichen Anschluß bekommen. Ich sage das angesichts anderer Meldungen, die derzeit kursieren. Die Arbeitslosenzahlen dieser Gruppen gehen nämlich zurück, Gott sei Dank und erfreulicherweise. ({4}) Für die anderen jungen Menschen, die sich schwer tun, sofort einen Anschluß zu bekommen, bauen das Beschäftigungsförderungsgesetz und die finanziellen Hilfen nach dem AFG z. B. durch Arbeit und Lernen Brücken in den Beruf, die hoffentlich weiter ausgebaut werden. Wichtig erscheint mir, meine Damen und Herren, daß die berufliche Bildung insgesamt aufgewertet wurde und aus einer Ecke der politischen Abwertung herausgeholt wurde. Die Attraktivität der beruflichen Bildung steigt, für Mädchen ebenso wie für Jungen, für Hauptschüler ebenso wie für Abiturienten. Damit wurde ein wichtiger Schritt zur Gleichwertigkeit allgemeiner und beruflicher Bildung getan. An den Hochschulen wurde mit der Dritten Novelle zum Hochschulrahmengesetz mehr Raum zur wissenschaftlichen Profilierung und Schwerpunktsetzung und zum Wettbewerb um beste Leistungen in Forschung und Lehre geschaffen. Durch die massive Verstärkung der Hochschulbaumittel auf 1,1 bis 1,2 Milliarden DM pro Jahr in den letzten Jahren und zusätzliche Hochschulförderungsprogramme, wie das Computer-Investitions-Programm, wurden die materiellen Voraussetzungen vom Bund mitgeschaffen, damit die Hochschulen für die geburtenstarken Jahrgänge offenbleiben konnten und hoffentlich auch in den nächsten Jahren offenbleiben. ({5}) Neue Zulassungsbeschränkungen wurden vermieden. Durch die Verstärkung der verschiedenen Stipendienprogramme konnten die Chancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs ebenso verbessert werden wie durch die Änderungen der Hochschulpersonalstruktur infolge der HRG-Novellierung. Meine Damen und Herren, ein Bereich, der auf Grund der wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die Weiterbildung. Hier sind maßgebliche ordnungspolitische und finanzielle Impulse von der Bundesregierung ausgegangen. Eine berufliche Qualfizierungsoffensive ist angelaufen. Betriebe und Hochschulen verstärken ihre Aktivitäten auf diesem Gebiet. Aber zusätzlich zu diesen mehr organisatorisch-finanziellen Verbesserungen werden auch Antworten auf neue inhaltliche Fragen gegeben. Meine Damen und Herren, das Bildungswesen muß den unterschiedlichen Begabungen und Neigungen junger Menschen entsprechen. Anerkennung und Herausforderung der persönlichen Leistungsmöglichkeiten halte ich als pädagogisches Prinzip für unverzichtbar. Die Begabtenförderung wird, aufbauend auf einer guten und breiten Ausbildung, von der Bundesregierung ebenso weitergepflegt werden wie weitere Hilfen für Benachteiligte, Ausländerkinder und andere, die sich besonders schwer tun, in unserer Gesellschaft voranzukommen. Ich möchte besonders erwähnen, daß wir in den letzten drei Jahren vieles auf den Weg gebracht haben, um auch die strukturellen Ausbildungsprobleme für Frauen und Mädchen zu lösen oder einer Lösung näherzubringen, insbesondere indem wir uns bemühen, Berufsfelder für Mädchen zu öffnen, die durch die neuen Technologien gekennzeichnet sind. ({6}) Damit komme ich auf einen Aspekt, dem wir besondere Aufmerksamkeit zuwenden, meine Damen und Herren Kollegen. Wir müssen gerade in der beruflichen Bildung die Kenntnisse über die neuen Technologien verstärkt einbringen. Wir müssen den jungen Leuten hier weitere Qualifizierungsmaßnahmen anbieten. Das gilt für die Anstöße in der informationstechnischen Grundbildung, für die schnelle Einbeziehung der neuen Technologien in die berufliche Bildung wie in die Hochschulen. Die Bundesregierung hat ({7}) durch ihre Modellversuche und Forschungsprogramme viele Anregungen gegeben. Ich bin sehr froh, daß ein Einvernehmen auch mit allen Bundesländern in dieser Frage besteht. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen Punkt nennen, an dem mir besonders gelegen ist. Angesichts der notwendigen Spezialisierung in vieBundesminister Frau Dr. Wilms len Lebensbereichen erhält eine breite Allgemeinbildung einen neuen Stellenwert. Dieser Gedanke war in den 70er Jahren teilweise verlorengegangen. Die Bundesregierung hat die Diskussion über die Notwendigkeit der Allgemeinbildung wiedereröffnet. In dieses Thema gehört auch die Thematisierung einer stärkeren Wertorientierung in Erziehung, Bildung und Ausbildung unserer jungen Generation hinein, weil ohne eine solche Ausrichtung junge Menschen keine Lebensperspektive haben. ({8}) Die Bildungspolitik kann bei aller Beachtung ihrer Eigenständigkeit - und auch dieses haben wir zum Ausdruck gebracht - nicht isoliert dastehen, wie es leider in den 70er Jahren sehr häufig gewesen ist, sondern sie muß die Bezüge zu anderen Bildungsbereichen nüchtern einbeziehen. Auch hierfür nur zwei Beispiele. In der Ausbildungsförderung wurde der Zusammenhang mit der Familienpolitik wieder hergestellt und auf die finanzpolitischen Möglichkeiten abgestimmt. Das BAföG steht wieder auf festen Füßen, ({9}) und dank der wiedergewonnenen finanzpolitischen Handlungsfähigkeit konnten und können die BAföG-Leistungen kontinuierlich erhöht werden. Zusätzlich wurde der Familienlastenausgleich für die Ausbildung jetzt um 2 Milliarden DM verbessert. ({10}) Ein weiterer Akzent: Bildungs- und Beschäftigungssystem gehen in ihren Tendenzen wieder aufeinander zu. Die Jugendlichen orientieren sich wieder stärker an den realistischen Möglichkeiten des Arbeitsmarktes. Ich denke, auch von daher ist es ausgesprochen erfreulich, daß wir im letzten Jahr wieder ein Wirtschaftswachstum von 21/2 % hatten mit über 200 000 neuen Arbeitsplätzen und daß wir in diesem Jahr 300 000 neue Arbeitsplätze erwarten; dies kommt insbesondere jungen Menschen zugute. ({11}) Lassen Sie mich zum Abschluß insbesondere meinen Kollegen von der Opposition sagen: Ich glaube, daß junge Menschen die Situation und auch die Probleme, die ohne Zweifel vorhanden sind, sehr viel nüchterner sehen und nicht in eine solche resignative, pessimistische und schwarzmalerische Haltung verfallen, wie Sie es heute wieder vorgeführt haben. Ich kann mit Befriedigung feststellen, daß nach einer aktuellen Emnid-Untersuchung, die Sie kennen, die wesentlichen Ziele der Bildungs-und Gesellschaftspolitik dieser Bundesregierung von den jungen Menschen gutgeheißen werden. ({12}) Ich kann mit Befriedigung feststellen, daß diese Resignation, dieser Pessimismus, diese „No-FutureMentalität" in der jungen Generation offensichtlich überwunden sind und die jungen Menschen wieder mit Hoffnung, mit Optimismus, mit Tatkraft in die Zukunft schauen und auch selber bereit sind, alles Notwendige zu tun, um sich selbst Chancen zu erarbeiten. Ich glaube, daß die Bundesregierung diesen jungen Menschen durch ihre Politik wieder bessere Chancen gegeben hat, bessere Chancen jedenfalls, als wir sie im Oktober 1982 in der Bundesrepublik Deutschland vorgefunden haben. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 10/4494 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Danke. Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 5 und 6 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Fahrlehrergesetzes - Drucksache 10/4490 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({0}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postverwaltungsgesetzes - Drucksache 10/4491 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen ({1}) Haushaltsausschuß Es handelt sich um die erste Beratung von Gesetzentwürfen, die von der Bundesregierung vorgelegt worden sind. Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/4490 und 10/4491 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - Da weitere Vorschläge aus dem Hause nicht gemacht werden, ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7a bis 7c auf: a) Beratung der Sammelübersicht 126 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4664 - Vizepräsident Cronenberg b) Beratung der Sammelübersicht 127 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4665 - c) Beratung der Sammelübersicht 128 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4666 Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir können also sofort zur Abstimmung kommen. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({6}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({7}) Nr. 2681/74 über die Gemeinschaftsfinanzierung der Ausgaben für die Lieferung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe - Drucksachen 10/3788 Nr. 33, 10/4585 Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({8}) Eine Aussprache ist ebenfalls nicht vorgesehen. Auch hier können wir sofort abstimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/4585 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({9}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/4687 Berichterstatter: Abgeordneter Louven Aussprache ist ebenfalls nicht vorgesehen. Wir kommen gleich zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/4687 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen angenommen. Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 3 bis 5 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Ernährungssituation in Afrika - Drucksache 10/4707 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Ankauf von afrikanischen Nahrungsgütern für Hilfsprogramme in Hungerregionen - Drucksache 10/4708 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einer Vorlage der Europäischen Gemeinschaft - Drucksache 10/4663 Meine Damen und Herren, interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 bis 5 und ein Beitrag von je fünf Minuten je Fraktion vereinbart worden. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Das Wort zur Begründung wird ebenfalls nicht gewünscht. Damit eröffne ich die Aussprache über die Zusatztagesordnungspunkte 3, 4 und 5. Das Wort hat der Abgeordnete Hedrich.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor genau einem Jahr lief eine Welle der Hilfsbereitschaft für die hungernde Bevölkerung in Afrika durch unser Land. Die heutige Debatte ist eine Bekundung des Dankes und des Respekts durch den Deutschen Bundestag für dieses bisher beispiellose humane Engagement. ({0}) Der „Tag für Afrika" fordert aber nicht nur Dank von uns, sondern er muß auch als direkte Aufforderung an das Parlament und die Bundesregierung betrachtet werden, unserer moralischen, politischen und finanziellen Verantwortung für diejenigen nachzukommen, die nicht in gleichem Maße im materiellen Wohlstand, ja im Überfluß leben wie wir. Nicht durch Zufall konzentrieren sich alle großen Hilfsaktionen der letzten Jahre auf den afrikanischen Kontinent. Afrika ist der große Sorgenkontinent, in dem trotz der Entwarnung nach dem vergangenen Erntejahr in den meisten schwarzafrikanischen Ländern die eigentlichen Krisenursachen unverändert bleiben: ungebremstes Bevölkerungswachstum und sinkende durchschnittliche Nahrungsmittelproduktion pro Kopf. Wir müssen daher weiterhin damit rechnen, daß schon in ein paar Jahren die Hungerkrise zum Dauerproblem Schwarzafrikas wird. Dies fällt um so stärker auf, als andere Länder, in denen früher große Teile der Bevölkerung hungerten, z. B. Indien, China und Indonesien, inzwischen Nahrungsmittelüberschüsse erzielen. Grundlage jeglicher Entwicklung und damit Schwerpunkt einer Zusammenarbeit mit unseren afrikanischen Partnern muß die langfristige Ernährungssicherung aus eigener Kraft sein. ({1}) Ein Vergleich mit erfolgreichen Ländern macht deutlich, daß das eigentliche Defizit im Bereich der nationalen Ernährungspolitik liegt, nämlich im Fehlen der konsequenten Verfolgung einer gezielten Ernährungsstrategie. Bestandteile einer solchen Ernährungsstrategie müssen sein: eine situationsgerechte Preis- und Handelspolitik, eine Politik der Marktentwicklung, eine Politik der Produktionsförderung und eine Politik der Katastrophenverhinderung. Eine erfolgreiche Preis- und Handelspolitik muß die Preisverhältnisse für alle Güter ausreichend gemäß ihrer Knappheit gestalten. Dies regelt der Markt besser als staatliche Bürokratie. Wo nichts zu verdienen ist, leistet niemand mehr Arbeit, auch kein Bauer. Durch zu niedrige staatlich verordnete Preise wird die nächste Nahrungsmittellücke vorprogrammiert. Eine Politik der Marktentwicklung muß dafür sorgen, daß die ländlichen Gebiete ein Mindestmaß an Infrastruktur erhalten und daß die Bauern nicht mehr staatlichen oder halbstaatlichen Ankaufsorganisationen ausgeliefert bleiben, die immer mehr für sich verbrauchen und die Erzeugerpreise immer mehr reduzieren. Eine fortgesetzte Nahrungsmittelhilfe insbesondere in der Form des gefährlichen Zusammenfallens von Nahrungsmittelüberschüssen im Lande und Import aus anderen Ländern macht die Märkte ebenfalls kaputt, eine allseits bekannte Tatsache, die nun von Getreideüberschußländern der westlichen Welt und multilateralen Organisationen wie der EG und der FAO endlich beherzigt werden muß. In Afrika stehen wir vor der recht eigenartigen, der menschlichen Natur aber vielleicht gar nicht fremden Situation, daß sich sowohl die Afrikaner als auch die westlichen Geberländer im großen und ganzen der Ursache der Krise bewußt sind. Es fehlen also nicht Lösungsstrategien, und wir verfügen nicht über ein Wissensdefizit, sondern es sind vorrangig politische Entscheidungen notwendig; es kommt darauf an, mit langem Atem die Probleme anzugehen und sich nicht durch kurzfristige Erfolge beeinflussen zu lassen. Eine erfolgversprechende Ernährungssicherung kann aber nur erreicht werden, wenn wir mit persönlichem humanitären Engagement und mit gebotener Nüchternheit und Sachlichkeit an die Sache herangehen. Verfälschtes Zahlenmaterial oder der ausschließliche Appell an unsere Menschlichkeit können in unserer Bevölkerung auch negative Wirkungen und Enttäuschung hervorrufen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Antrag, der vom Ausschuß vorgelegt wird, wollen wir, wie ich es ausgedrückt habe, Dank abstatten. Die GRÜNEN haben gleichzeitig einen Antrag vorgelegt. Wir bedauern, daß es keinen gemeinsamen Antrag gibt. Der Antrag der GRÜNEN enthält alles das, was von der Bundesregierung schon auf den Weg gebracht worden ist. ({2}) Er zeugt von einem für die bunte Fraktion bemerkenswerten Realismus. Deshalb werden wir diesem Antrag ebenfalls unsere Zustimmung geben. Ich bedanke mich. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Toetemeyer.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich dem Dank des Kollegen Hedrich ausdrücklich anschließen, aber ich glaube, wir sind es den Bürgern der Republik schuldig, zu sagen, daß mit Spenden allein das Problem Afrika nicht zu lösen ist. Hier geht es um eine langfristige Ernährungsstrategie. Auf viele Punkte, auf die der Kollege Hedrich hingewiesen hat, möchte ich nicht noch einmal eingehen. Ich möchte mich, da das Stichwort „Nahrungsmittelhilfe" auch bei Ihnen gefallen ist, mit der Drucksache 10/4663 beschäftigen, die aus unserem Ausschuß kommt, und damit deutlich machen, daß sich dieses Hohe Haus bereits im Juni 1984 mit der Frage, wie man denn nun wirklich Hilfe leistet, beschäftigt hat. Damals haben wir hier mit großer Mehrheit beschlossen - ich zitiere aus der Empfehlung vom Juni 1984 -: Die für die Hilfsmaßnahmen erforderlichen Nahrungsmittel sollten entgegen der bestehenden Regelung grundsätzlich in Entwicklungsländern und nur ausnahmsweise in der EG beschafft werden. Bedauerlicherweise hat die Bundesregierung auf diesen Beschluß des Deutschen Bundestages nicht reagiert. Wir haben im gleichen Jahr erfahren müssen - ich zitiere aus der Drucksache; das war die Meinung der Bundesregierung -: Die Forderung, die für eine Nahrungsmittelhilfe benötigten Nahrungsmittel grundsätzlich in Entwicklungsländern und nur in Ausnahmefällen in der EG zu beschaffen, hat wenig Aussicht auf Verwirklichung. Nachdem wir diese deprimierende Mitteilung erhalten hatten, wollten wir die Nahrungsmittelhilfe für 1985 entsprechend der Verordnung der Europäischen Gemeinschaft nicht gefährden. Deshalb haben wir gesagt: Wir nehmen das noch einmal hin; wir haben dann allerdings die Bundesregierung deutlich aufgefordert, so zu handeln, wie es der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Wer sich in diesem Hause über Parlamentsreform unterhält und dann erlebt, daß ein Beschluß dieses Hauses von der Bundesregierung gar nicht durchgeführt wird, kann nur feststellen: Damit rührt die Bundesregierung an die Grundrechte dieses Parlaments. Das ist ein Skandal. Lassen Sie mich das sehr deutlich sagen. ({0}) Wir haben dann erfahren, daß bei der Beratung in der EG Großbritannien eine Änderung des Art. 6 der EG-Vorlage - ganz im Sinne unseres Beschlus14440 ses - mit dem Ziel vorgeschlagen hat, vorhandene Ankaufsmöglichkeiten in den Entwicklungsländern stärker als bisher wahrzunehmen. Wir haben letztmalig im Dezember 1985 festgestellt - ich zitiere -, „daß die Forderungen des Deutschen Bundestages vom 6. Juni 1984 im wesentlichen immer noch nicht erfüllt worden sind". Einige Kollegen im Ausschuß haben hieran Kritik geübt - das ist ja auch Bestandteil dieser Vorlage - und darauf hingewiesen, daß das nicht zuletzt daran liege, daß es in der Bundesregierung zu der Frage keine einheitliche Meinung gebe. Da sollen sich verschiedene Minister nicht ganz einig sein. Da wir ja wissen, daß es mit der Führungskraft des Bundeskanzlers nicht sehr weit her ist, wundert das die Opposition in gar keiner Weise. ({1}) Unsere Aufforderung im Sinne des Beschlusses dieses Parlaments geht also dahin, daß die Bundesregierung eine einheitliche Meinung herstellt und daß sie diese einheitliche Meinung dann im Europäischen Parlament oder in den Beratungen der Kommission auch zum Tragen bringt. Wir stimmen dem, was in der Drucksache 10/4663 vorgeschlagen wird, zu und bitten auch um Ihre Zustimmung. Ich sage es noch einmal: Wir bekräftigen unsere Beschlüsse vom Juni 1984 und vom März 1985 und fordern die Bundesregierung auf, den Vorschlag Großbritanniens zur Änderung des Art. 6 des Verordnungsvorschlags zu unterstützen und - das ist sehr wichtig, Herr Minister - dem Verordnungsvorschlag dann die Zustimmung zu versagen, wenn Art. 6 nicht im Sinne Großbritanniens geändert wird. Jetzt kann man nur noch wie die Lateiner sagen, Herr Minister: Tua res agitur! Wir wünschen Ihnen viel Erfolg. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Rumpf.

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Afrika könnte sich selbst ernähren. Das ist eine gewagte Behauptung, aber sie hat einen wahren Kern. Voraussetzung für die Eigenversorgung wäre allerdings die richtige und nachhaltige Bebauung der vorhandenen ertragsfähigen Böden. Voraussetzung für die langfristige Ertragsfähigkeit des Bodens ist die Erhaltung oder die Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts. Die Erosion des Bodens würde durch Anpflanzung tiefwurzelnder Bäume verhindert. Die Wasserkapazität, d. h. die Aufnahmefähigkeit von Niederschlägen könnte durch solche Anpflanzungen in weiten Teilen Afrikas wiederhergestellt werden. Kann in Afrika eine so gigantische Aufgabe gelöst werden? Diese Frage wird von mir mit einen eindeutigen Ja beantwortet. ({0}) Das vergangene Jahr hat gezeigt, daß die Dürre wohl auch, aber nicht nur durch die Zerstörung der Urwälder hervorgerufen wurde. Dürreperioden hat es in Afrika immer gegeben. Es wird ja von der biblischen Dürre gesprochen. Sie wird es auch in Zukunft geben. Aber es gibt auch Zeiten mit ausreichenden Regenfällen wie z. B. in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres und bis heute in einigen Ländern des westlichen Sahel. Schon Joseph der Ägypter zwang seine Untertanen, Vorräte aus den sieben fetten Jahren für die sieben mageren Jahre anzulegen. Die entsetzliche Trockenheit, die Afrika betroffen hatte, wurde deshalb zur Katastrophe, weil der ökologische Ausgleich infolge der Waldverwüstung und Versteppung fehlte und weil es keine Märkte und keine Vorräte mehr gab. Hat der Tag für Afrika in diesem Zusammenhang überhaupt einen Nutzen gehabt? Auch diese Frage beantworte ich für die Freien Demokraten mit einem eindeutigen Ja. Er hat Millionen Menschenleben gerettet, er hat die Not gelindert, und er hat vor allem die Augen für die notwendigen Schritte in der Zukunft geöffnet. Die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung hat alle Erwartungen übertroffen. Mit über 125 Millionen DM und durch den Einsatz von 18 Hilfswerken und der Bundeswehr konnten in vielen Regionen Afrikas Menschen vor dem Hungertod bewahrt werden. Dafür sprechen wir allen unseren Dank aus. ({1}) Weltweit summiert sich die Nahrungsmittelhilfe sogar auf fast 7 Millionen Tonnen Getreide im Wert von 4,5 Milliarden DM. Aber der Hunger ist weder mit Geld noch mit Getreide allein aus der Welt zu schaffen, schon gar nicht mit den Überschüssen aus der EG und den USA. ({2}) Der Tag für Afrika hat vor Augen geführt, daß das Problem im wahrsten Sinne des Wortes an der Wurzel - besser: an den Wurzeln - gepackt werden muß. Dem Deutschen Bundestag liegt deshalb auch eine Beschlußempfehlung vor, welche diese Problematik bis ins einzelne auffächert und einen Maßnahmenkatalog für deren Bewältigung enthält. Sie stellt fest, daß An-der-Wurzel-Anpacken nur heißen kann, die ländlichen Räume zu entwickeln, Kleinbauern, Handwerk und Gewerbe dort seßhaft zu machen, wo Afrika seine besten und auch unerschöpflichen Ressourcen hat, wo seine angewachsene Bevölkerung auch menschenwürdig leben kann. Schnelle Nothilfe leisten, das heißt z. B. Ausarbeitung von Notplänen, Schaffung von Früherkenntnissystemen auf der einen Seite und langfristige Systemverbesserungen auf der anderen Seite. Das und nicht etwa Resignation ist die Antwort. ({3}) Die Menschen dürfen nicht entwurzelt werden, sie müssen in ihren ländlichen Räumen bleiben. „Wenn morgen die Welt unterginge, pflanzte ich heute noch ein Bäumchen", dieser Ausspruch wird Martin Luther nachgesagt. Es ist ein ganz tiefsinniger Gedanke, der das Problem auch wirklich an der Wurzel packt. Ich meine, er hat gerade für Afrika eine große Bedeutung. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Frau Abgeordnete Eid. ({0}) - Herr Minister, Entschuldigung, ich wollte Ihnen eigentlich zum Schluß das Wort erteilen. ({1}) - Danke schön, das ist eine vernünftige Einigung. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ein Jahr nach dem Tag für Afrika, an den wir uns heute erinnern, gibt es überhaupt keinen Grund zum Jubeln, auch wenn wir anerkennen, daß durch die Spendenbereitschaft der bundesdeutschen Bevölkerung Millionen von Menschen vor dem Hungertod bewahrt werden konnten. Dennoch muß deutlich gesagt werden: Die Krise auf dem afrikanischen Kontinent ist keineswegs überwunden. Im Gegenteil, aus Zeitungsmeldungen wissen wir, daß es immer neue Hungerregionen gibt. Ein wichtiger Aspekt ist völlig in Vergessenheit geraten, den ich deswegen zu Beginn nennen möchte, nämlich den Zusammenhang zwischen Hunger und Krieg. In fünf von sechs Ländern, die auf der FAO-Liste als Länder mit außergewöhnlicher Nahrungsmittelknappheit bezeichnet werden, herrscht Krieg, der alle Entwicklungsanstrengungen zunichte macht und Hunger erst produziert: In Angola, Mosambik und Botswana ist es das weiße Rassistenregime Südafrikas, das Selbsthilfebemühungen zerstört, in Äthiopien ist es die Militärregierung, die frisch bestellte Felder in Eritrea und in Tigre bombadiert. Einiges hat sich allerdings in den vergangenen zwölf Monaten in Afrika geändert. Wir stehen vor einer völlig neuen Situation: Eine ganze Reihe von schwarzafrikanischen Ländern, insbesondere Malawi, Simbabwe und Kenia, haben Rekordernten eingefahren. Diese erfreuliche Situation ist aber keineswegs - das möchte ich betonen - auf die vielzitierte sogenannte strukturelle Hilfe des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit zurückführen. Wie erfreulich die Lage dieser Länder auch ist, es gibt einen Haken an der Sache. Diejenigen Länder, die reiche Ernten haben, können ihre Überschüsse nicht an die sogenannten Hungerländer verkaufen. Die Hungerländer wiederum sind finanziell nicht in der Lage, bei ihren Nachbarländern Nahrungsmittel einzukaufen. Denn ihre ohnedies knappen Devisen müssen sie an die europäischen und US-amerikanischen Banken zurückzahlen. Aber was soll's? Die ach so großzügige Europäische Gemeinschaft läßt die Hungerländer nicht nur durch Devisenrückzahlungen ausbluten, sondern importiert zu allem Überfluß auch noch Viehfutter, das auf wertvollen afrikanischen Böden angebaut wird - und das alles zugunsten unserer eigenen landwirtschaftlichen Überproduktion. Um den Wahnwitz komplett zu machen, schickt die Überfluß-EG Berge von Getreide aus ihren Überschußvorräten als sogenannte Hilfe nach Schwarzafrika. Wird so Hilfe nicht zur tödlichen Hilfe? Werden wir so nicht zu gefährlichen Konkurrenten? Mit entwicklungspolitischen Schlagworten wie „Hilfe zur Selbsthilfe" ist es nicht getan. Was ist es denn für eine Hilfe zur Selbsthilfe, wenn man den sogenannten Hungerländern das Geld aus der Tasche zieht, sich gegen Entschuldungskonzepte der Region wehrt und mit Gratisgetreide aus der EG den afrikanischen Produzenten den Absatz von Nahrungsmitteln in Afrika kaputtmacht? ({0}) Warum, Herr Kiechle, setzen Sie sich nicht auf EG-Ebene mit aller Kraft dafür ein, daß bundesdeutsche und europäische Nahrungsmittelhilfsprogramme in Afrika die überschüssige Hirse und den überschüssigen Mais einkaufen? ({1}) Wo bleibt die vielbeschworene Anregung zur Marktproduktion, wenn die EG-Überschüsse dort den Absatz der Produkte blockieren? ({2}) Wofür sollen wir denn in der kommenden Ernteperiode noch produzieren, werden sich die Bauern in Kenia, Simbabwe und Malawi fragen. ({3}) Wir GRÜNEN wenden uns gegen diese Politik, die die Abhängigkeit Afrikas von Europa zementiert. ({4}) Die volle Scheinheiligkeit dieser Politik der Bundesregierung wird deutlich, wenn man ihr ihre eigenen Erkenntnisse vor Augen führt. Ich zitiere aus einem Informationsvermerk des BMZ an den zuständigen Ausschuß: Ein durch die guten Ernten einerseits und mangelnde Nachfrage andererseits hervorgerufener unkontrollierter Preisverfall hätte aber katastrophale Auswirkungen auf die zukünftige Nahrungsmittelproduktion und die angestrebte Ernährungssicherung aus eigener Kraft. Sehr wahr! Wem sagen Sie diese durchaus wichtigen Worte, Herr Staatssekretär. Wer sorgt denn für diese Perspektive? Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit etwa? Diese Politik machen Sie und der Landwirtschaftsminister. Ich zitiere weiter: Innerstaatliche Verteilungs- und Transportprobleme bewirken, daß trotz ausreichender Ernten gehungert wird. Wollen Sie diese Probleme damit lösen, daß Sie Dampfer aus Europa anschippern lassen? Herr Kiechle und Herr Warnke, sprengen Sie die harte Front der EG! Leiten Sie die Schiffe mit Nahrungsmitteln, die nach Afrika unterwegs sind, irgendwo anders hin, nur nicht an ihren Bestimmungsort, und kaufen Sie die Überschüsse der Bauern aus der dortigen Region! Ich bitte Sie, unserem Antrag deswegen zuzustimmen. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dr. Warnke. Herr Minister, ich möchte diese Gelegenheit wahrnehmen, für Ihr Verständnis zu danken. Es war für die Debattenabwicklung so wirklich besser.

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung dankt den deutschen Bürgern, daß sie ihren Beitrag zum Kampf gegen den Hunger in Afrika durch Spenden in Höhe von mehr als 120 Millionen DM geleistet haben. ({0}) Sie dankt den nichtstaatlichen Entwicklungshilfeorganisationen, daß sie die Millionen besonnen eingesetzt haben: wo nötig, für Nahrungsmittel und Lastwagen, aber darüber hinaus für mittelfristige Hilfsmaßnahmen wie die Lieferung von Saatgut und Pflügen. Das Jahr 1985 hat gezeigt, wie schnell sich die Ernährungslage in Afrika ändern kann. Aber ein Jahr der Rekordernten ändert nichts an grundlegenden Mängeln der Politik in einer Reihe afrikanischer Länder. Krieg und unzureichende Transportmöglichkeiten verhindern vielerorts, daß vorhandene Nahrungsmittel die Hungernden erreichen. Solange auch in ärmsten Ländern Milliarden für die Rüstung ausgegeben werden, fehlen diese Mittel für die Ernährung der Hungernden. Solange die Erzeugerpreise für Nahrungsmittel zu niedrig sind, solange dem afrikanischen Bauern keine Anreize zur Produktion gegeben werden, ist der Hunger nicht überwunden. Solange die ländlichen Räume zugunsten der Städte vernachlässigt werden, wird sich auf dem Lande nichts ändern. Die Bundesregierung gibt in diesem Jahr über die Hälfte der Mittel in den Gebieten Afrikas südlich der Sahara, für die Förderung des ländlichen Raumes aus. Wenn, wie Agenturmeldungen besagen, der nicht anwesende Kollege Holtz heute behauptet hat, der Bund fördere in Afrika Großprojekte statt ländlicher Gebiete und armer Bevölkerungsschichten, dann entbehrt das jeglicher Grundlage. ({1}) Meine Damen und Herren, das Schicksal der Hungernden in Afrika darf nicht - eingekleidet in unzutreffende Behauptungen - als Waffe der parteipolitischen Auseinandersetzung mißbraucht werden. ({2}) Hunger und Überfluß liegen in Afrika nahe beieinander. Die Bundesregierung wird deshalb - unabhängig von diesen kurzfristigen Schwankungen - Kurs halten. Unser Ziel ist Ernährungssicherung aus eigener Kraft. Der Weg: So viel Nahrungsmittelhilfe wie nötig, aber so viel Strukturhilfe wie möglich. Die Nahrungsmittelhilfe beschaffen wir, soweit wir das Sagen haben, mit Vorrang innerhalb der Länder Afrikas. Das ist der Grund, weshalb wir den Antrag der GRÜNEN zur Kenntnis nehmen, aber Ihnen sagen können: Dies ist der Kurs, auf dem sich die Bundesregierung befindet. Herr Kollege Toetemeyer, die Bundesregierung hat sich mit Erfolg der Anlegung einer Sonderreserve weiterer Nahrungsmittelhilfe für Afrika im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft widersetzt. Wir werden in der EG auch weiterhin unseren Einfluß dahin gehend geltend machen, sich jetzt, da Überfluß in Afrika herrscht - das ist der Unterschied zu der Lage im vergangenen Jahr -, dieses Überflusses zur Nahrungsmittelhilfe zu bedienen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Schwerpunkt unserer Hilfe bleibt das Ziel: Ernährungssicherung aus eigener Kraft. Wir wissen: Afrika hat genug fruchtbaren Boden; es hat genug arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen, um sich auch in Jahren der Dürre selbst zu ernähren. Am Horizont - im Jahre 2000 - zeichnet sich die alte Bedeutung Afrikas als Kornkammer auch für andere Kontinente ab. Wir sind bereit, Afrika auf diesem Weg zu unterstützen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir können daher mit der Abstimmung beginnen. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/4707 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen. Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4708 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Der Antrag der GRÜNEN ist damit angenommen worden. ({0}) Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche ZusammenarVizepräsident Cronenberg beit auf Drucksache 10/4663 ab. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Damit ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden. Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 10/4696 Ich darf dem Haus bekanntgeben, daß die Fragen 2 und 3 des Abgeordneten Dr. Nöbel aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe zuerst den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Staatsminister Dr. Stavenhagen zur Verfügung. Ich rufe Frage 35 der Abgeordneten Frau Eid auf: Warum fürchtet die Bundesregierung internationale Kritik an ihrer Namibia-Politik so sehr, daß sie dem UNO-Rat für Namibia die Durchführung einer Konferenz in Bonn verweigert?

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Frau Kollegin, die Bundesregierung hat es bedauert, daß sie der Bitte des VN-Namibiarats, die geplante Namibia-Konferenz in der Bundesrepublik Deutschland abzuhalten, nicht entsprechen konnte. Grund für die Haltung der Bundesregierung ist die Neutralitätspflicht, die sich aus ihrer Mitgliedschaft in der Kontaktgruppe ergibt. Die Kontaktgruppe hat ihre Autorität und ihr politisches Gewicht vor allem der von ihr sichtbar praktizierten Neutralität zu verdanken. Eine Gastgeberrolle für die geplante VN-Namibia-Konferenz hätte als Abgehen von der bisherigen Position der Neutralität interpretiert werden können. Einem solchen Eindruck war im Interesse aller Beteiligten, insbesondere der Menschen in Namibia, vorzubeugen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete. Bitte schön.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bedeutet diese Neutralität, daß Sie auch dem UNO-Unabhängigkeitsplan 435 gegenüber neutral sind?

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Nein, Frau Kollegin.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie kann die Bundesregierung nach dieser Absage glaubhaft machen, daß sie ihrer besonderen historischen Verantwortung für die ehemalige deutsche Kolonie nachkommt?

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Frau Kollegin, die Bundesregierung unterstützt nachdrücklich die UNO-Sicherheitsresolution 435 und sieht sie als alleinigen Lösungsweg und Lösungsplan an. Sie wissen, daß diese Resolution international kontrollierte Wahlen vorsieht. Dies ist die Politik der Bundesregierung, wie Ihnen wiederholt dargelegt wurde.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

„Herr Minister" war schon richtig.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Staatsminister, das ist richtig. Ich bleibe jetzt bei der korrekten Anrede, Herr Präsident. Herr Staatsminister - Ehre, wem Ehre gebührt -, würden Sie mir zustimmen, daß es die ausdrückliche Aufgabe der Kontaktgruppe ist, für die Implementierung der UNO-Resolution 435 Sorge zu tragen, und würden Sie mir gleichzeitig zustimmen, daß die Kontaktgruppe de facto überhaupt nicht mehr existiert, da mindestens ein Mitglied ausgetreten ist, und Ihr Kollege Möllemann bereits vor einem Jahr festgestellt hat, daß Sitzungen dieser Kontaktgruppe gar nicht mehr stattfinden?

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Herr Kollege, dies ändert nichts an der Tatsache, daß wir an dieser UNO-Sicherheitsratsresolution festhalten, sie für den einzigen Weg halten und das, was möglich ist, tun werden, um dieser Resolution auch zum Erfolg zu verhelfen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit ist die Frage beantwortet. Die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Ströbele werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Dr. Müller auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, daß sie erst am 19. November 1985 vom Tode des Herrn Ahn Sang-kun unterrichtet wurde, obwohl er schon am 18. Oktober 1985 tot war und den koreanischen Behörden sein Status als deutscher Asylberechtigter bekannt war?

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Herr Kollege, die Bundesregierung hat, wie Staatsminister Möllemann Ihnen mit Brief vom 22. November 1985 mitteilte, gegenüber dem Botschafter der Republik Korea ihre Betroffenheit über den Tod von Herrn Ahn Sang-kun zum Ausdruck gebracht. Sie hat hinzugefügt, sie sei über die späte Unterrichtung vom Tode des Herrn Ahn zutiefst befremdet. Sie hat ferner mit Nachdruck um weitere Aufklärung des Falls gebeten; hieran bestehe in Regierung und Öffentlichkeit starkes politisches und moralisches Interesse. Im besonderen hat die Bundesregierung die Frage nach den Gründen der späten Unterrichtung gestellt. Die koreanische Regierung hat dazu mitgeteilt, daß die Gefängnisbehörden in Seoul versäumt hätten, das koreanische Außenministerium vom Tode Herrn Ahns zu unterrichten. Man habe zunächst nur den erreichbaren nächsten Verwandten, seinen Halbbruder, benachrichtigt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, die koreanische Regierung hat der deutschen Bundesregierung am 7. September 1985 mitgeteilt, daß der mit festem Wohnsitz in Frankfurt lebende koreanische Asylant Ahn Sang-kun in Seoul verhaftet worden ist. Weshalb hat die Bundesregierung zwei Monate lang nichts unternommen, um darauf zu drängen, daß ein Angehöriger der deutschen Botschaft in Seoul mit Herrn Ahn im Gefängnis zusammentreffen und sicherstellen konnte, daß Herr Ahn aus freien Stücken in das Land zurückgekehrt war?

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Herr Kollege, nach meinen Unterlagen ist Herr Ahn im Juni 1985 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist. Er hat am 15. Juli 1985 Selbstanzeige erstattet und ist am 4. September 1985 verhaftet worden. Herr Ahn ist koreanischer Staatsbürger. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß er bei uns Asylrecht hatte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Müller, eine Zusatzfrage.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine Zusatzfrage, Herr Staatsminister. Es besteht der begründete Verdacht, daß der Asylant und oppositionelle südkoreanische Journalist Ahn Sang-kun vom südkoreanischen Geheimdienst aus der Bundesrepublik nach Seoul zurückgelockt worden ist. Ist die Bundesregierung dem Verdacht, daß der südkoreanische Geheimdienst involviert sein könne, in irgendeiner Weise nachgegangen, oder ist ihr das keine Aufklärung wert?

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Herr Kollege, die Bundesregierung ist dem Verdacht nachgegangen. Auf Grund der Daten, die ich Ihnen vorgetragen habe, ergibt sich kein Hinweis darauf, daß Herr Ahn in irgendeiner Weise unfreiwillig nach Korea „ausgereist worden sei". ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage werden nicht gewünscht. Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Müller auf: Hat die Bundesregierung in der Zwischenzeit Aufklärung über die Umstände seines Todes im südkoreanischen Polizeigewahrsam erhalten?

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Herr Kollege, die Frage ist mit Ja zu beantworten. Die koreanische Botschaft hat die Bundesregierung unterrichtet, Herr Ahn sei am 18. Oktober 1985 in der Zelle des Untersuchungsgefängnisses erhängt aufgefunden worden. Der Obduktionsbefund lasse keinen Zweifel daran, daß Herr Ahn Selbstmord begangen habe. Die Obduktion in Gegenwart seines Halbbruders habe eindeutig Selbstmord als Todesursache ergeben. Mögliches Motiv für den Selbstmord sei die Enttäuschung darüber, daß sich eine mit ihm eng befreundete Frau von ihm abgewandt habe. Es gibt danach keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller? - Das ist nicht der Fall. Auch Zusatzfragen anderer Fragesteller gibt es nicht. Die Frage 40 des Abgeordneten Dr. Hupka wird entsprechend der Anlage 4, Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen - hier Nr. I 2 Abs. 2 -, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung. Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Eylmann auf: Kann die Bundesregierung - etwa auf der Grundlage von Umfrageergebnissen oder seriöser Modellrechnungen - Angaben darüber machen, wie viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, wenn alle Wünsche von Arbeitnehmern nach flexibler Teilzeitarbeit von den Arbeitgebern erfüllt würden?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Eylmann, darf ich die Fragen 52 und 53 gemeinsam beantworten?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Einverstanden, Herr Abgeordneter? - Dann rufe ich auch die Frage 53 des Abgeordneten Eylmann auf: Welche Gründe sind dafür verantwortlich, daß es immer noch zu wenig Arbeitsplätze mit flexibler Teilzeitarbeit gibt, und welche Möglichkeiten bestehen nach Auffassung der Bundesregierung, diese Hinderungsgründe weiter abzubauen?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Eylmann, im Jahresdurchschnitt suchten 1985 238 500 Arbeitslose - zu 99 % Frauen - eine Teilzeitarbeit. Der Wunsch nach flexibler Teilzeitarbeit wird überwiegend sowohl von vollzeit- als auch von nichterwerbstätigen Frauen geäußert. Allerdings zeigte auch etwa ein Zehntel der erwerbstätigen Männer, insbesondere ältere, Interesse an einer Teilzeitarbeit. Die „klassische" Vormittagsarbeit wird insbesondere von Frauen bevorzugt, die neben dem außerhäuslichen Beruf Familie und Haushalt besorgen und damit auch, was die Lage der täglichen Arbeitszeit anbelangt, weniger flexibel sind. Jedoch wird ebensohäufig der Wunsch nach Teilzeitarbeit im Bereich von 25 bis 30 Stunden pro Woche sowie nach Verteilung der Arbeitszeit auf 2 bis 3 Wochentage geäußert. Da der Wunsch, von einem Vollzeit- auf einen Teilzeitarbeitsplatz zu wechseln, von sehr unterschiedlichen Faktoren beeinflußt wird und zusätzliche Teilzeitarbeitsplätze nicht nur von bisher Vollzeitbeschäftigten besetzt werden, ist eine detaillierte Aussage über die tatsächliche Nachfrage nach solchen Arbeitsplätzen leider nicht möglich. Ich kann auch keine Zahlenangaben zur Schaffung zusätzlicher flexibler Teilzeitarbeitsplätze - sei es durch Arbeitsplatzteilung, sei es durch Verlängerung der Betriebszeiten, sei es durch Betriebserweiterung - machen. Der kontinuierliche Anstieg der Zahl der Teilzeitbeschäftigten - 1972 bis 1983: 20 bis weniger als 40 Stunden: + 58 % - ist jedoch ein Hinweis auf die Flexibilität des Angebots an Teilzeitarbeitsplätzen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? - Bitte schön.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich Ihnen sage, Herr Staatssekretär, daß ich auf Grund von Pressemeldungen kürzlich von Modellrechnungen gehört habe, die den Wirtschaftsjunioren in Düsseldorf vorliegen sollen und die erhebliche Zahlen in der Größenordnung von 200 000 bis 300 000 neue Arbeitsplätze ausweisen sollen, sind Sie dann bereit, diesen Informationen der Wirtschaftsjunioren einmal nachzugehen?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Eylmann, wir müssen mit den Zahlen arbeiten, die uns bekannt sind. So hatten wir z. B. 1985 eine Zunahme der Zahl der Gesamtarbeitsplätze um rund 170 000; davon waren etwa 50 000 Teilzeitarbeitsplätze. Andere Zahlen liegen unserem Hause nicht vor. Vizepräsident Cronenberg. Eine weitere Zusatzfrage?

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu der Antwort auf die Frage 52 nicht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Fragen sind zusammen beantwortet worden. Oder waren Sie noch nicht zu Ende, Herr Staatssekretär? Dann können Sie jetzt fortfahren.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Ich darf dann auf die andere Frage zurückkommen. Ich habe unterbrochen, weil die Beantwortung mir sonst zu lang geworden wäre. Teilzeitarbeit steht immer noch etwas im Schatten der Vollzeitarbeit. Ihr haftet das Odium des Lückenbüßers an. Arbeitsrechtlich hat diese Bundesregierung damit Schluß gemacht. Im Beschäftigungsförderungsgesetz wurde die Teilzeitarbeit als eigenständige Arbeitsform erstmals gesetzlich anerkannt. Sie wurde arbeitsrechtlich der Vollzeitarbeit gleichgestellt. Für flexible Arbeitszeitformen wurden Mindestregelungen im Gesetz festgelegt. Insbesondere die Vorurteile, Teilzeitarbeit sei unwirtschaftlich und unpraktikabel, weil schlecht zu organisieren, dürften für die relativ geringe Verbreitung ursächlich sein. Es gilt, hier verstärkt durch aufklärende Maßnahmen für eine Förderung der Teilzeitbeschäftigung Sorge zu tragen. Eine Untersuchung der Bundesregierung zur Teilzeitarbeit macht deutlich, daß es eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten gibt, die sowohl den Wünschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch den Erfordernissen der Betriebsorganisation entgegenkommt. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse eine Informationsbroschüre erarbeiten lassen. Diese wird in Kürze erscheinen und interessierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Betriebsräten und Arbeitgebern als Entscheidungsgrundlage angeboten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Die Fragen 54 und 55 des Abgeordneten Lutz und die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Dr. Wieczorek werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe dann die Frage 58 des Abgeordneten Kirschner auf: Wie hoch ist die Anzahl von Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung, die als Zugangsrenten wegen Erreichung des 60. Lebensjahres und mehr als einjährige Arbeitslosigkeit im Jahre 1985 genehmigt wurden, und wie lauten die entsprechenden Zahlen für die Jahre 1983 und 1984?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Kirschner, im Jahre 1983 wurden an Frauen 4 243 und an Männer 31 623 Renten der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Erreichens des 60. Lebensjahres und mehr als einjähriger Arbeitslosigkeit neu bewilligt. Die entsprechenden Zahlen für das Jahr 1984 lauten: an Frauen 3 717, an Männer 37 294 Renten. Zahlen für das Jahr 1985 liegen erst in einigen Monaten vor.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in der Lage, zu sagen, ob die Zahlen in etwa gleichgeblieben sind oder ob es eine Tendenz nach oben oder unten gibt?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Die Zunahme der Rentenbeantragung für Frauen und Männer mit 60 Jahren und einer vorhergehenden Arbeitslosigkeit von einem Jahr hat in den letzten Jahren etwa die gleiche Tendenz.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung errechnet, wie sich dies jährlich per saldo für die gesetzliche Rentenversicherung auswirkt, d. h. was weniger an Beiträgen eingeht und gleichzeitig zusätzlich an Rentenzahlungen auf die Rentenversicherung zukommt?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Kirschner, es ist ein allgemeines Anliegen und auch eine allgemeine Befürchtung, daß ein ständiger früherer Zugang zur Rente natürlich auch finanzielle Auswirkungen auf die gesamte Rentenversicherung hat.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. ({0}) - Für das Jahr 1985, sobald sie vorliegen? ({1})

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Kirschner, soweit sich das machen läßt, werden Ihnen diese Zahlen zur Verfügung gestellt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann rufe ich die Frage 59 des Abgeordneten Kirschner auf: Wie hat sich die durchschnittliche Zahl der Behandlungstage im Krankenhaus je Behandlungsfall seit 1970 entwikkelt, und welches sind die Einflußfaktoren?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Zunächst zur Entwicklung der Behandlungstage: Die durchschnittliche Zahl der Behandlungstage im Krankenhaus je Behandlungsfall, also die durchschnittliche Verweildauer der Patienten, nahm bundesweit im Durchschnitt aller Krankenhäuser von 24,9 Tagen im Jahre 1970 auf 18,6 Tage im Jahre 1983 ab. Das ist ein Rückgang um 25,3 %. In den Krankenhäusern für Akut-Kranke ging die durchschnittliche Verweildauer von 18,3 Tagen in Jahre 1970 auf 14,2 Tage im Jahre 1983 zurück, d. h. um 22,4 %. Sie liegt damit im internationalen Vergleich allerdings noch immer relativ hoch; in den USA lag sie z. B. bereits 1981 bei 7,2 Tagen. Nun zu den Einflußfaktoren: Die Entwicklung der Verweildauer im Krankenhaus wurde und wird im wesentlichen vom medizinischen Fortschritt und von der Veränderung der Bevölkerungstruktur bestimmt. Der Rückgang der Verweildauer ist in erster Linie auf eine verbesserte ärztliche Diagnostik und Therapie sowie auf eine qualifizierte Pflege in der stationären Versorgung zurückzuführen. Auch verantwortungsbewußtes wirtschaftliches Verhalten spielt eine Rolle. Dieser Fortschritt hat zugleich dazu geführt, daß auch schwere und schwerste Erkrankungen heute erfolgreich im Krankenhaus behandelt werden können. Dies bedingt wiederum einen überdurchschnittlichen Aufwand auch in zeitlicher Hinsicht. Ein weiterer Grund für die nicht stärker zurückgegangene durchschnittliche Verweildauer liegt in dem ständig wachsenden Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung. Ältere Menschen müssen häufiger als andere im Krankenhaus behandelt werden, und ihre Krankheiten erfordern eine überdurchschnittlich lange Behandlungsdauer. Einen gewissen Einfluß auf die Verweildauer hat wohl auch das tatsächlich vorhandene Bettenangebot. So haben im Bereich der Krankenhäuser für Akut-Kranke seit Jahren die Bundesländer mit einer überdurchschnittlichen Bettendichte auch eine überdurchschnittliche Verweildauer. Andererseits hatte beispielsweise Baden-Württemberg Ende 1983 im Bereich der Krankenhäuser für Akut-Kranke 67,4 Betten je 10 000 Einwohner und im Jahresdurchschnitt 1983 eine Verweildauer von 12,4 Tagen. Schließlich haben auch unzureichende rechtliche Rahmenbedingungen dazu beigetragen, daß die Verweildauer nicht in dem Maße zurückging, wie das aus medizinischen Gründen möglich gewesen wäre. Die Bundesregierung hat durch das Krankenhaus-Neuordnungsgesetz vom Dezember 1984 und die neue Bundespflegesatzverordnung die Voraussetzungen für mehr Wirtschaftlichkeit bei Sicherung des hohen Leistungsniveaus geschaffen. Es ist damit zu rechnen, daß das seit Januar geltende neue Pflegesatzrecht auch zu einer weiteren Verkürzung der Verweildauer führen wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner, bitte schön.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Untersuchungen vor oder hat die Bundesregierung Untersuchungen veranlaßt, inwieweit moderne Operationsmethoden Einfluß auf die Zahl der Behandlungstage in den Krankenhäusern haben?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Kirschner, die Bundesregierung hat einen Sachverständigenrat für Gesundheitswesen eingesetzt, der sich mit einer Reihe von Fragen im Gesundheitsbereich, auch solchen in dieser Hinsicht, befassen und Fachleute hinzuziehen wird, um auch diese Fragen zu diskutieren und der Bundesregierung bis 1987 in einem Bericht die ersten Überlegungen vorzulegen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Scharrenbroich, bitte schön.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie darüber Auskunft geben, welche Bundesländer eine überdurchschnittliche Verweildauer haben?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege, ich habe lediglich einen Vergleich mit anderen Ländern vorliegen. Aber wenn gewünscht wird, die Verweildauer in den Bundesländern aufzuzeigen, veranlasse ich gerne, daß Ihnen das schriftlich zugestellt wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. Vizepräsident Cronenberg Dann rufe ich die Frage 60 des Abgeordneten Dr. Hupka auf: Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, wie es sich um die Kenntnisse der deutschen Sprache bei den Aussiedlern, die im Jahre 1985 zu uns gekommen sind, jeweils nach Herkunftsland unterschieden, verhält?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Dr. Hupka, die deutschen Sprachkenntnisse insbesondere bei den jüngeren Aussiedlern, die in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, haben sich in den letzten Jahren verschlechtert. Bezogen auf die beruflichen Anforderungen sind sie in der Regel ungenügend. Von den insgesamt 38 968 Aussiedlern, die im Jahre 1985 in die Bundesrepublik Deutschland einreisten, kamen ca. 22 100 aus dem polnischen Bereich, 460 aus dem sowjetischen Bereich, ca. 15 000 aus Rumänien und etwa 1 500 aus den übrigen Ländern. Die Sprachkenntnisse lassen sich, bezogen auf die drei hauptsächlichen Herkunftsländer Polen, Sowjetunion und Rumänien, folgendermaßen beurteilen: Polnischer Bereich: Lediglich ältere Aussiedler verfügen noch über gute Deutschkenntnisse, jüngere in der Regel nur dann, wenn im Elternhaus deutsch gesprochen wird. Bei Kindern aus „gemischten" Ehen - ein Ehepartner ist Pole - sind jedoch keine oder kaum mehr Deutschkenntnisse vorhanden. Es ist ein Trend zu noch geringeren Deutschkenntnissen erkennbar. Es ist ein Trend zu noch geringeren Deutschkenntnissen erkennbar. Sowjetischer Bereich: Die Deutschkenntnisse reichen häufig für eine erste Verständigung aus. Die Aussiedler sind in der Lage, sich im Alltag einigermaßen zurechtzufinden. Die Schriftkenntnisse sind jedoch gering. Schwierigkeiten bereitet auch die Umstellung von der kyrillischen auf die lateinische Schrift. Rumänischer Bereich: Nach wie vor verfügen diese Aussiedler über die besten Sprachkenntnisse. Im Mündlichen ist eine gute Verständigung möglich. Hier bestehen hauptsächlich Schwierigkeiten in der grammatikalisch richtigen Anwendung der deutschen Sprache. Es ist jedoch auch hier eine Verschlechterung bei den jüngeren Aussiedlern feststellbar.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, bitte schön, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nach diesen zum Teil erschütternden Zahlen die Frage: Was kann hier getan werden, damit die Aussiedler nicht auf Grund des Fehlens von Deutschkenntnissen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz benachteiligt werden?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Hupka, Sie wissen, daß zunächst einmal ein achtmonatiger Sprachkurs angeboten wird. Im Anschluß an die Sprachkurse stehen den Aussiedlern die Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und Umschulung offen, die nach dem Arbeitsförderungsgesetz gefördert werden. Speziell für Aussiedler werden Maßnahmen zur beruflichen Bildung aus den unterschiedlichsten Bereichen angeboten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wäre nicht auf Grund dieser vorliegenden Zahlen zu erwägen, den Zeitraum von acht Monaten für die Sprachförderung wieder auf zwölf Monate zu erweitern, um allen Aussiedlern zumindest die Chance zu eröffnen, die deutsche Muttersprache - nach einem Entfremdungsprozeß daheim - lernen zu können?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Hupka, im Haushalt 1985 wurden für die Sprachkurse 212 Millionen DM aufgewandt. Wenn nun die Frage ansteht: Was ist notwendig, um bessere Sprachkenntnisse zu vermitteln, dann glaube ich sicher, daß dieses Anliegen in die Diskussion des Parlaments eingehen wird. Wenn mehr Mittel hierfür zur Verfügung gestellt werden können und es erforderlich ist, daß die Sprachkurse verlängert werden, dann, glaube ich, muß erst eine Diskussion innerhalb des Parlaments stattfinden, muß eine Bewußtseinsbildung erfolgen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wünsche für Zusatzfragen liegen mir nicht vor. Die Fragen 61 und 62 des Abgeordneten Müller ({0}) sind zurückgezogen worden. Herr Staatssekretär, wir möchten uns bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen bedanken. Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 24. Januar 1986, um 8 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.