Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 4 auf: Aktuelle Stunde
Tätliche Angriffe gegen den Frankfurter Oberbürgermeister auf dem Neujahrsempfang des DGB am 11. Januar 1986 in Frankfurt
Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß Nummer 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Tätliche Angriffe gegen den Frankfurter Oberbürgermeister auf dem Neujahrsempfang des DGB am 11. Januar 1986 in Frankfurt" verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hürland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns eigentlich sehr schwergetan, diese Aktuelle Stunde zu beantragen: zum einen, weil wir nicht leichtfertig mit der Zeit unserer Kolleginnen und Kollegen, die ohnehin sehr belastet sind, aber auch nicht leichtfertig mit der Zeit der Mitarbeiter der Verwaltung umgehen, zum anderen, um nicht den Anschein zu erwecken, aus den schlimmen Vorgängen in Frankfurt politisches Kapital schlagen zu wollen; das haben wir nicht nötig.
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Die öffentliche Meinung über diese Vorgänge ist eindeutig und einhellig.
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Das, was nach Frankfurt passierte, war eigentlich viel schlimmer als Frankfurt selbst. Entgleisungen mag es immer mal geben. Mit eindeutigen Klarstellungen ließen sie sich entschuldigen. Diese eindeutigen Klarstellungen haben wir vermißt. Denn der scharfen verbalen Verurteilung des gewalttätigen Vorgehens der Frankfurter Gewerkschafter wurden wortreiche Formulierungen hinzugefügt, die leider alle dasselbe sagen: die Bundesregierung, die CDU/ CSU, die Regierungskoalition und ihre Repräsentanten hätten sich das selbst zuzuschreiben. Dergleichen war von Herrn Rau genauso zu hören wie von Herrn Breit. Der Abgeordnete Müller von der SPD schreibt: „Unzweifelhaft ist es aber auch, daß der konservative Umbau der Bundesregierung Gewalt gegen Arbeitnehmer ausübt." Wo denn, Herr Kollege Müller? Ist das der von Johannes Rau in Anspruch genommene neue Anstand in der Politik?
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Dieser hehre Anspruch ist hiermit sehr schnell als leerer Anspruch entlarvt.
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Das Schlimme an all diesen Äußerungen ist, daß so bei aller verbalen Verurteilung der Gewalt um Verständnis für das gewalttätige Vorgehen geworben wird. Gibt es denn eine anständige Gewalt, Herr Rau?
Hier förmliche Entschuldigungen für die Ausschreitungen, dort aber Erklärungen wie „verständlich", „natürlich" und „logische Folge der Regierungspolitik". So war es auch schon mit den sogenannten Mahnwachen vor dem Hause unseres Kollegen Rudolf Seiters: von Herrn Breit verurteilt, vor Ort gerechtfertigt. Und die „taz" schreibt: „Wallmann kriegt längst verdiente Schläge".
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Wozu soll letztlich diese Doppelzüngigkeit führen? Wenn die Gewaltanwendung nicht geächtet wird, wenn sie nur als unerlaubt, aber verständlich und nicht weiter verwunderlich hingestellt wird,
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verstehen die Randalierer und Chaoten das als Duldung, möglicherweise als Ermutigung.
Wir fordern, um diesem Mißverständnis die Grundlage zu entziehen, klare Aussagen von allen, die in den demokratischen Parteien und in den Gewerkschaften Verantwortung tragen.
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Es muß bewußt gemacht werden, wie wertvoll die
freiheitliche und rechtsstaatliche Ordnung ist, die
wir nach dem Krieg in der Bundesrepublik
Deutschland - aber leider nur in diesem Teil Deutschlands - aufbauen konnten. 1986 hätten wir mit Sicherheit ebensoviel Grund „40 Jahre danach" zu feiern wie 1985. Im Jahre 1945 fand die Befreiung von geistiger Fremdherrschaft statt. Das war die Voraussetzung für den Aufbau der freiheitlichen, rechtsstaatlichen und sozialen Grundordnung, die 1946 in den Ländern Westdeutschlands beginnen konnte. In der Folge ging es um Freiheit oder Unfreiheit, um Toleranz oder Intoleranz. Vorgänge wie Frankfurt und danach sind ein Stück Unfreiheit, Intoleranz.
Wir müssen sehr wachsam sein. Wie könnte ich zur Wachsamkeit besser aufrufen als mit den Worten Herbert Wehners von 1974:
Wir
- gemeint ist die SPD sind nach dem Grundgesetz und nach unserem eigenen Programm ohne Wenn und Aber für die entschlossene Verteidigung und Weiterentwicklung des demokratischen Rechts- und Sozialstaats. Das bedeutet: wir sind für die klare Anwendung des Gesetzes. Das heißt auch: Wir stehen auf der Seite derer, die die Gesetze rechtsstaatlich anwenden.
Und nichts anderes tun wir, meine Damen und Herren. Wehner hat klare Worte gesagt, die uns alle hier verpflichten, denn hier im Deutschen Bundestag ist das Herz der repräsentativen Demokratie.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich versuche, verehrte Frau Kollegin, einen Teil Ihrer Betroffenheit nachzuvollziehen. Natürlich ist es nicht in Ordnung, wenn man geladene Gäste zeitweise am Reden hindert. Und Schläge sind ganz bestimmt kein Argument; es gibt nichts, was sie rechtfertigen könnte.
({0})
Was Herrn Wallmann passiert ist, findet niemand bei uns in Ordnung.
Ich fand es übrigens auch nicht gut, als Herr Kiechle auf einer Veranstaltung des Bauernverbandes mit Eiern und Tomaten beworfen,
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niedergebrüllt und symbolisch aufgehängt wurde.
({2})
Das organisierte Stören von Maikundgebungen hat mich erschreckt, und ich finde es schlimm, wenn immer wieder Politiker der Versuchung erliegen, Haß säen zu wollen.
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Nein, so, verehrte Kollegin, dürfen Demokraten
nicht miteinander umgehen. Solche Erscheinungen
müssen unwiderruflich der Vergangenheit angehören.
Um so mehr ist die deutliche Distanzierung, ja Entschuldigung der Frankfurter Veranstalter zu begrüßen.
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Hier, meine Damen und Herren, ist eindeutig etwas aus der Welt geschafft worden, und auch das verdient den Respekt der Demokraten. So, wie gestern dieses Haus eine Entschuldigung respektierte, mit der ein böses Wort aus der Welt geschafft wurde, so ist die Entschuldigung von Frankfurt zu respektieren und zu würdigen.
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Meine Damen und Herren, keiner aus dem gewerkschaftlichen Raum und kein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei wirbt um Verständnis für Gewalt. Aber jeder wirbt um Verständnis für Toleranz und für pfleglichen Umgang miteinander. Klarheit schaffen, die Gebote der Toleranz respektieren, das, meine Damen und Herren, muß selbstverständlich sein. Wer von uns hat da nicht schon im politischen Alltag mäßigend auf andere einwirken müssen.
Aber, Frau Kollegin, wir müssen tiefer schürfen. Die Betroffenheit, ja, die Erbitterung der Gewerkschafter kommen ja nicht aus heiterem Himmel.
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In diesem Hause, verehrte Frau Kollegin, sollen demnächst Fakten geschaffen werden, durch die sich die Gewerkschafter unmittelbar bedroht fühlen müssen.
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Der soziale Friede steht auf dem Spiel.
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- Wenn Sie Ihre Zwischenrufe selber würdigen würden, dann, so glaube ich, würden Sie schweigen.
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Der soziale Konsens steht auf dem Spiel.
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Das leichtfertige Rütteln an den ehernen Prinzipien der Tarifautonomie löst Sorge, Verwirrung und Zorn aus.
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- Helfen Sie mit, verehrte Frau Kollegin, daß der
Bundeskanzler und der Herr BundesarbeitsminiLutz
ster nicht länger so handeln, als stünden sie bei der FDP und den Arbeitgebern im Wort, die Gewerkschaften disziplinieren zu müssen. Beweisen Sie den Gewerkschaftern, daß Sie die Bundesanstalt für Arbeit im Konfliktfall nicht zwingen wollen, kalt Ausgesperrte zusätzlich mit der Verweigerung von Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld zu bestrafen.
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Beweisen Sie den Arbeitnehmerorganisationen, daß Sie nicht die Hand zur Plünderung der Gewerkschaftskassen reichen! Zeigen Sie, daß diese Regierung im Arbeitskampf zur wirklichen Neutralität fähig ist! Setzen Sie Vertrauen in das selbstregulierende Kräftespiel gleich starker Tarifkontrahenten! Beweisen Sie die Bereitschaft zum Ausgleich im Konfliktfall! Bitten Sie Ihren Arbeitsminister, nicht 01 ins Feuer zu gießen, sondern sich gerade noch zur rechten Zeit als Anwalt der Arbeitnehmer zu begreifen! Stabilisieren Sie mit uns den freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat, und Sie werden eine Atmosphäre schaffen, die den Dialog wieder möglich macht.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe den Kollegen Lutz vor Beginn einer Rede selten so viel Kreide schlucken sehen wie heute.
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Herr Lutz, Sie haben mit vollem Recht gesagt, die Betroffenheit komme nicht aus heiterem Himmel. Seit Wochen und Monaten wird angeheizt.
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Die Bundesregierung wird mit den Nazis verglichen. Mahnwachen ziehen vor Abgeordnetenwohnungen auf.
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Ein Gebräu von Täuschung, Halbwahrheit und Lüge wird verbreitet.
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Die Stichworte heißen: Streikparagraph; Abschaffung des Streikrechts und der Streikfähigkeit - das letzte werden sie wohl demnächst durch Zahlungen an die Neue Heimat verlieren -; Einschränkung der Tarifautonomie; Kastrierung; terroristische Anschläge. Das ist das Vokabular. Wenn dann die Öffentlichkeit Anstoß nimmt, entschuldigt man sich halbherzig und doppelzüngig und läßt seine
Truppen mit klammheimlicher Freude wissen: Nur weiter so.
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Meine Damen und Herren, muß man sich da noch wundern über die Ereignisse in Stuttgart und Frankfurt? Wer sich wundert, der hat wohl vergessen, wie in der Weimarer Republik gewalttätige Auseinandersetzungen vorbereitet wurden.
({5})
Wir kritisieren mit aller Schärfe die Brüllkolonnen von Stuttgart und die Schläger von Frankfurt.
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Aber die härtere Kritik muß diejenigen treffen, die durch ihre geistigen und intellektuellen Beiträge die Stimmung erzeugt haben, die zur Anwendung von Gewalt führt.
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Drängt sich der Begriff vom „Schreibtischtäter" hier nicht geradezu auf?
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Meine Damen und Herren, ich bitte, dem Abgeordneten zuzuhören.
Wir akzeptieren genauso wie Herr Lutz die Entschuldigung des Frankfurter DGB-Vorsitzenden, aber wir lesen natürlich auch, daß in der „taz" sofort geschrieben wird: Das Schlimme bei der Reaktion des Frankfurter DGB- Vorsitzenden war, daß er die Entschuldigung in Person war.
({0})
Das war der örtliche Funktionär der IG Druck und Zensur. - Sonst, meine Damen und Herren, hagelt es gewundene Entschuldigungen, faule Ausreden, Krokodilstränen werden vergossen, nach dem Motto: „Ja, wir verurteilen das, aber schuld ist der Niedergebrüllte." - Oder: „Zwar verurteilen wir die Schläger, aber, aber, aber ...". - Die Presseerklärung der SPD-Bundestagsfraktion vom 15. Januar ist ein Musterbeispiel für diese heuchlerische Form von Entschuldigung.
({1})
Frau Hürland hat mit Recht auf die „taz" und auf deren Überschrift am vorigen Montag hingewiesen: „Wallmann kriegt längst verdiente Schläge".
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Das ist die Devise: „Haltet den Dieb!" - oder: „Der Ermordete ist selbst schuld."
Ich hatte schon am Mittwoch in einer Fernsehdiskussion angesichts der Argumentation, die der Kollege Roth benutzte, die Notwendigkeit gesehen, ihn
zu fragen: „Haben nun eigentlich die IG-Metaller in Frankfurt Herrn Wallmann geschlagen, oder hat Herr Wallmann die IG-Metaller verprügelt?"
({3})
Und all dem, meine Damen und Herren, setzt der Kanzlerkandidat auf Probe, Johannes Rau, die Spitze auf. Für 1 Million DM - Frau Hürland hat es erwähnt - hat er Anzeigen aufgegeben, wir sollten „den Anstand wahren".
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- Das kommt noch. Warten Sie nur bis zum Schluß ab! Damit hat er zunächst die Deutschen in anständige und unanständige Deutsche aufgespalten, und zwar am gleichen Tage, als Willy Brandt davon sprach, er müsse die Schweinereien der Koalition rückgängig machen. Was für ein Anstand!
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Johannes Rau hat die Gesetzgebung zu § 116 als Beispiel für die Politik der unanständigen Deutschen besonders hervorgehoben, und dann eilt er vor die Fernsehkameras, wenn die Saat der Gewalt aufgegangen ist. Das ist nicht Versöhnen statt Spalten, das ist Verhöhnen und Spalten.
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Meine Damen und Herren, hier ist Klarheit geboten, und wir sprechen deshalb Klartext.
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Liberale haben die Grundrechte unserer Verfassung, haben Meinungs- und Versammlungsfreiheit in schweren Kämpfen erstritten. Sie werden die FDP unversöhnlich gegen jeden finden, der unsere Verfassung und die von ihr verbrieften Grundrechte angreift. Wehren wir den Anfängen!
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lambsdorff ist immer am glücklichsten, wenn er ordentlich hetzen kann. Das hat er soeben bewiesen.
({0})
Zweitens fällt mir auf: Gestern, als wir über die Folgen des NS-Terrors gesprochen haben, waren die Regierungsfraktionen mit einem Dutzend Leuten vertreten; dieses Thema heute scheint Ihnen ungleich wichtiger zu sein. Wir wissen warum; wir setzen allerdings andere Prioritäten.
Als vor wenigen Monaten in der Stadt, in der Herr Wallmann Oberbürgermeister ist, ein friedlicher Demonstrant zu Tode kam, dachte natürlich niemand in der CDU/CSU-Fraktion daran, hier über Freiheit der Demonstration und über staatliche Gewalt zu diskutieren. Als vor kurzem in Hamburg ein
Ausländer als Resultat einer ausländerfeindlichen Politik zu Tode kam,
({1})
da gingen die Regierungsfraktionen zur Tagesordnung über. Als ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion zur Frage der sogenannten Wiedergutmachung Flicks gegenüber ehemaligen Arbeitersklaven dort übelste antisemitische Äußerungen tat, kam niemand in der Union auf die Idee - zuletzt Herr Geißler -, vor Weimar, dem Ende und dem, was danach kam, zu warnen. Jetzt aber, wo Herr Wallmann bei einem DGB-Empfang angerempelt wurde
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und seine Rede im Protest unterging, ist plötzlich das demokratische Vaterland in Gefahr, da wird vom Mob auf der Straße schwadroniert, und da dämmert Weimar herauf. Da wird eine - das ist der Kern - Anti-DGB-Kampagne losgetreten, die ahnen läßt, wie weit die geistig-moralische Gleichschaltung in den Medien schon gediehen ist.
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Denn dort, wo wochenlang im Gleichschritt mit der Regierung beteuert und geleitartikelt wurde, daß der § 116, daß die Frage Streikrecht oder Aussperrungsrecht eine völlige Belanglosigkeit ist, wird mit einem Mal voll emotionalisiert, und § 116 wird zu einem Mordsthema.
Dabei ist zweierlei verräterisch. Erstens. Ihre moralische Empörung über diejenigen, die offene oder klammheimliche Freude über die Behandlung von Herrn Wallmann äußern, ist deshalb restlos unglaubwürdig, weil ich sonst niemanden erlebt habe, der sich so freut, dieses Ergebnis für seine politischen Zwecke ausschlachten zu können.
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Endlich haben Sie eine Gelegenheit, die Debatte rund um den § 116 führen zu können, ohne ein Wort in der Sache zu verlieren. Kein Wort dazu, daß Beitragszahler in ihren Ansprüchen enteignet werden sollen, kein Wort dazu, daß es darum geht, den Abbau von Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung gesetzlich zu verbieten, und kein Wort dazu, daß der, der das Streikrecht einschränkt, dabei ist, Demokratie und Meinungsfreiheit abzubauen.
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Statt dessen machen Sie hier diese Aktuelle Stunde
der Ablenkung, die, wäre sie ehrlich betitelt worden,
hätte heißen müssen: Rufmordkampagne gegen
Schmidt ({6})
den DGB mit dem Ziel, das Streikrecht einzuschränken.
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Ihre groteske Dramatisierung der Frankfurter Vorgänge zeigt, daß Sie Angst vor dem haben, was an Protestwellen auf Sie zukommen wird. Und ich sage: Da haben Sie recht.
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Denn wenn Sie fortfahren, die Arbeitnehmer für dumm zu verkaufen, dann werden Sie erleben, daß es Tausende von Veranstaltungen gibt, auf denen Sie im Protest untergehen werden. Wir befürworten es, daß Sie dann in Betrieben und in der Öffentlichkeit mit Ihren Verdummungskampagnen nicht mehr zu Wort kommen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Langner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine schlimme Rede gehört.
({0})
Ein klarer politischer Sachverhalt ist mit der Fähigkeit zur Semantik verbogen worden.
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Im Klartext ist aufgefordert worden: Weiter so!
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Ein Mitbürger, Walter Wallmann, ist geschlagen und getreten worden, weil den Schlägern seine politische Meinung nicht paßte. Ein Oberbürgermeister ist daran gehindert worden, ein Grußwort zu sagen, weil man seine politische Meinung nicht hören wollte. Ein hoher Gewerkschaftsfunktionär, Franz Steinkühler, scheinbar unbeeindruckt davon, geht zur Tagesordnung über und setzt die Hetze gegen die Bundesregierung fort. Das ist der Tatbestand, meine Damen und Herren.
({3})
Das, was vor einer Woche in Frankfurt geschehen ist, trifft die Demokratie natürlich an einem empfindlichen Nerv. Wir müssen im politischen Alltag einen Moment innehalten und fragen: Wie konnte es dazu kommen? Wir müssen fragen: Wie kann Wiederholung vermieden werden?
Wie konnte es dazu kommen? Wenn sich Haß in Gewalt entlädt, dann hat das meist Vorgeschichte.
({4})
Bleibt denn dieser pseudoreligiöse Anspruch des Alleinseligmachens so vieler gewerkschaftlicher Äußerungen auf Dauer folgenlos? Ist die gewaltsame Blockade der von den Gewerkschaften ungeliebten „FAZ" beim Streik 1984 vielleicht zu leicht
genommen worden? Haben die für Polizei und Justiz Verantwortlichen die rechtswidrigen Angriffe von Streikposten auf Arbeitswillige vielleicht doch zu großzügig übersehen? Und sollten Mahnwachen mit Fackeln vor Abgeordnetenwohnungen in Deutschland nicht ein für alle mal der Vergangenheit angehören, meine Damen und Herren?
({5})
Welche Gefühle sollen beim einfachen DGB-Mitglied angestachelt werden, wenn es in einer Zeitung der IG Metall liest: „Die Nazis haben die Gewerkschaften verboten, diese Regierung will sie ausbluten", wenn es - ungeachtet einer Entschuldigung von Herrn Mayr - zwei Tage später wieder liest: „Die Nazis haben die Gewerkschaften zerschlagen, diese Regierung will sie wenden"? Meine Damen und Herren, der Unbedarfte kommt zum Kochen, und der Raffinierte sagt: Ganz schön schlau, unsere Doppelstrategie; verbale Entschuldigung einerseits, Demagogie andererseits.
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Ich meine: Ganz schön dumm, diese Schlaumeierei, die die Einheitsgewerkschaft untergräbt.
Mitgliederschwund und Mißmanagement bei der Neuen Heimat sind sicher schwere Probleme für den DGB. Aber es gibt, so meine ich, zwei viel größere Gefahren. Erstens: Die Abgrenzung zu den Kommunisten ist vielerorts nicht mehr klar. Zweitens: Der Verlust an Wirklichkeitssinn, garniert mit dieser Hetze gegen Regierung und Koalition, ist unübersehbar. Das, meine Damen und Herren, ist ein explosives Gemisch; Frankfurt ist ein Menetekel.
({7})
Was ist nun zu tun, damit sich solche Schläge nicht wiederholen? Einen wichtigen Beitrag hat das Opfer selbst geleistet. Ich meine, die Tapferkeit, die Besonnenheit und die Versöhnlichkeit Walter Wallmanns verdienen jeden Respekt.
({8})
Die kalte Leidenschaft eines Franz Steinkühler ist nicht nachahmenswert. Auch Johannes Rau hat sich, gelinde gesagt, nicht mit Ruhm bekleckert. Wer mit Millionenaufwand versöhnen statt spalten will - Originalton Johannes Rau -,
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dem sollten die Argumente nach dem Motto „schuld ist der Verprügelte" eigentlich im Halse steckenbleiben, meine Damen und Herren.
({10})
Die politischen Schläge von Frankfurt würden sich vor allem dann nicht wiederholen, wenn der DGB seinen zutiefst unehrlichen Dauerkampf gegen diese Regierung einstellen würde.
({11})
Sein heißer Herbst war ein Flop. Aber die Saat dieses Verbalradikalismus geht natürlich später auch noch auf.
({12})
Man mag nun eine Regierung, die man nicht liebt, wer weiß wohin wünschen. Aber man kann doch die wirklichen Arbeitnehmerinteressen auf Dauer nicht mißachten, wie das im Moment durch den DGB geschieht.
({13})
Wenn nun Kohl, Blüm, Stoltenberg und Bangemann für Preisstabilität, für mehr Beschäftigung sorgen, gegen Staatsschulden ankämpfen
({14})
und so einen wichtigen Beitrag zum Arbeitnehmernutzen leisten, dann würde ich als Gewerkschaftsfunktionär die Zähne zusammenbeißen,
({15})
würde die Opposition und die GRÜNEN sich ihrem Gärungsprozeß überlassen, würde mein eigenes Haus in Ordnung bringen und mich im übrigen für meine Mitglieder über diese Erfolge freuen.
({16})
Wenn diese Einstellung, wenn diese Einsicht wachsen würde, dann wäre ein wichtiger Beitrag dafür geleistet, daß sich Frankfurt nicht wiederholt, meine Damen und Herren.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Glotz.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Lutz hat sich ohne Umschweife und komplizierte Begründungen von jeder Gewaltanwendung distanziert.
({0})
Die Antwort von Graf Lambsdorff darauf war provokativ und in Sprache und Inhalt gegen jede Vernunft.
({1})
Graf Lambsdorff, ich bedaure, daß Sie sich immer mehr zum Sprecher einer aggressiven Minderheit, einer Gruppe machen, die ich nur noch als eine aggressive Minderheit der Bourgeoisie bezeichnen kann.
({2})
Ich greife Ihr böses Wort von den Schreibtischtätern auf.
({3})
Es hat Leute gegeben, die haben Heinrich Böll und Jürgen Habermas für terroristische Anschläge verantwortlich machen wollen. Wir halten solche Theorien für absolut absurd, meine Damen und Herren.
({4})
Deswegen sage ich: Auch wenn ich die Gesetzgebungsabsicht der Bundesregierung zu § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes für grundfalsch und brandgefährlich halte, entschuldige ich damit nicht die Gewaltanwendung in Frankfurt.
({5})
Nur ist es eine Frage der politischen Kultur, wie man solche Vorkommnisse einordnet. Dazu will ich zweierlei sagen.
Erstens. Wer wie der Regierungssprecher und auch der CDU-Generalsekretär anläßlich der Frankfurter Vorgänge an Weimar erinnert, der begeht Übertreibung ohne jedes Augenmaß.
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Wer die täglichen Kämpfe, Mord und Totschlag zwischen paramilitärischen Organisationen in der Weimarer Republik mit der Rempelei von Frankfurt vergleicht, der hat doch jede historische Perspektive verloren, meine Damen und Herren.
({7})
Wir leben in einer funktionierenden Demokratie. Wir sollten sie uns nicht durch Propaganda von Geißler oder von wem auch immer kaputtreden lassen.
({8})
Zweitens. Man kann nicht nur mit Fäusten, meine Damen und Herren, man kann auch mit Reden politische Kultur verletzen.
({9})
Ich bekunde meinen Respekt vor der Zurückhaltung und der Sachlichkeit des Frankfurter Oberbürgermeisters Wallmann in diesem konkreten Fall.
({10})
Aber vergleichen Sie das einmal mit dem Generalsekretär der CDU, der in den letzten drei Tagen zuerst im Zusammenhang mit einem Mitglied dieses Hauses von einem hündischen Kriechen gegenüber der Drohkulisse des Kommunismus gesprochen hat
({11})
- ich rede von der Sprache - und anschließend
den deutschen Gewerkschaften Agitation und
Falschinformation, Lüge und in dem Zusammenhang sogar Schule der Gewalt nachgesagt hat.
({12})
Dies ist die Sprache des Ressentiments, meine Damen und Herren.
({13})
Die Sprache des Ressentiments ist immer in der Gefahr, in die Sprache der Hetze umzukippen. Das sind die Tatsachen.
({14})
Ich schließe nicht mit Schuldzuweisungen, sondern mit einer Warnung. Die Deutschen in der Bundesrepublik haben sich nach diesem schrecklichen Zweiten Weltkrieg Einheitsgewerkschaften geschaffen, die wirksame Interessenvertretungsorgane sind und gleichzeitig die gemäßigsten Gewerkschaften in der ganzen europäischen Region.
({15})
Und da bin ich bei der Warnung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, die einige von Ihnen so gerne mißinterpretieren, obwohl ich es ganz gut finde, daß Sie den Satz „Versöhnen statt Spalten" so unter die Leute bringen, meine Damen und Herren von der CDU.
({16})
Ministerpräsident Rau hat das Randalieren von Frankfurt nicht in Schutz genommen, auch nicht indirekt; aber er hat darauf hingewiesen, daß vernünftige Arbeitsbeziehungen ein hohes Gut sind und daß es ungeheuer schwer ist, wieder zu vernünftiger Partnerschaft zurückzufinden, wenn man sich so in dem Konflikt hochgesteigert hat.
Ich füge jetzt für mich dazu: Jede Margaret Thatcher provoziert sich ihren Arthur Scargill, meine Damen und Herren.
({17})
Sie wollen vielleicht nicht englische Zustände einführen, aber Sie sind mit Ihrem Gesetzesvorhaben in der Gefahr, englische Zustände einzuführen.
({18})
Davor hat Ministerpräsident Rau gewarnt, wenn er gegen das Freund-Feind-Denken sprach. Und glauben Sie mir: Ministerpräsident Rau hat bei dieser Warnung die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Link ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den Skandal beim Neujahrsempfang des DGB in Frankfurt, bei dem ein tätlicher Angriff auf Oberbürgermeister Walter
Wallmann verübt wurde, trägt der DGB die volle Verantwortung.
Der Auftritt dieser brüllenden, mit Trillerpfeifen und Megaphon ausgerüsteten radikalen gewerkschaftlichen Stoßtrupps ist Teil einer Regie für den Ablauf des DGB-Empfangs gewesen. Den Gästen des Empfangs sollten die Empörung und die Drohkulisse von aufgeputschten IG-Metallern und anderen radikalisierten DGB-Mitgliedern vorgeführt werden. Eine Überraschung ist deshalb das Auftreten dieser aufgehetzten Truppe für den Gastgeber DGB nicht gewesen. Es gehörte zur Regie im Saal.
Die Ausschreitungen und Schläge gegen Wallmann sind der Höhepunkt einer Verleumdungskampagne von IG Metall, DGB und SPD gegen die Bundesregierung und den Arbeitsminister, die auch mit psychischem und physischem Terror geführt wird - seit Monaten. Es ist der Ungeist einer militanten, verlogenen und extrem provozierenden Sprache, die seit Monaten das politische Klima vergiftet und damit Haß und Gewalt geradezu herausfordert. Es sind geistige Urheber, die durch Hetzparolen, Falschinformationen, Lügen und geifernde Polemik zur Gewaltanwendung hinführen.
({0})
Das, was seit Wochen und Monaten in der Bundesrepublik hemmungslos inszeniert wird durch DGB und SPD,
({1})
ist das Gegenteil von „Versöhnen statt Spalten".
({2})
Wer mit Methoden wie Mahnwachen vor Wohnungen politisch Andersdenkender psychischen Terror ausübt, wer immer wieder zuläßt, daß die Bundesregierung und ihre Politik mit den Nazis verglichen wird, wer das politische Klima mit der unwahren Behauptung vergiftet, die Bundesregierung breche Recht und Verfassung, sie wolle das Streikrecht der Gewerkschaften einschränken,
({3})
wer die Politik der Bundesregierung mit der Apartheidspolitik Südafrikas vergleicht wie Herr Steinkühler oder wer gar brennende Städte und revolutionäre Jugendliche heraufbeschwört wie Herr Steinkühler, der darf sich nicht wundern, wenn die negative Saat aufgeht, die er gesät hat. Vor der Gewaltanwendung liegen der Ungeist der geifernden maßlosen Demagogie und die Verteufelung und Verhetzung durch die Sprache.
({4})
Das wird von Ihnen seit Monaten systematisch betrieben.
Steinkühlers diffamierende Sprache in den letzten Wochen ist schon verbale Gewaltanwendung an sich.
({5})
Link ({6})
Ich schäme mich als Mitglied dieser Gewerkschaft für diesen berechnend-vergiftenden Sprachstil des stellvertrenden IG-Metall-Vorsitzenden.
({7})
Wer verantwortungsvoll redet, wer Augenmaß und Sachlichkeit bewahrt, der erzeugt weder Haß noch Gewalttätigkeit, und der hetzt auch keine Mitglieder auf wie beim DGB-Empfang in Frankfurt.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat schweren Schaden genommen durch die skandalösen Vorgänge, und er trägt die volle Verantwortung dafür. Beschämend ist zugleich, daß nur der Landesvorstand der Gewerkschaft der Polizei den Ausschluß der teilweise namentlich bekannten Gewalttäter aus den DGB-Gewerkschaften forderte. Das ist leider nur ein Einzelfall. Kein anderer Vorsitzender hatte den Mut dazu. Der Vorsitzende dieser Gewerkschaft, Hansgeorg Koppmann, sagte zu Recht zu den Ausschreitungen: Das Schicksal der Einheitsgewerkschaft steht auf dem Spiel. Ich füge hinzu: Wehret diesen Anfängen! Dazu fordere ich die IG Metall und den DGB auf.
Wie unglaubwürdig die gegenwärtige Verleumdungskampagne in der Frage des Neutralitätsparagraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes ist, beweist ein Tatsachenvergleich zur Großen Koalition 1969.
({8})
- Hören Sie zu, Herr Vogel; Sie sind nicht informiert. Das ist Ihr Problem.
({9})
Die Regierung der Großen Koalition hat es 1969 abgelehnt, auch nur einen Pfennig der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen gesetzlich zu gewähren, außer der bestehenden Härteregelung. Die Regierung hat es abgelehnt. Das weisen alle Dokumente, Ausschußunterlagen usw., nach.
({10})
Kein Streikrecht sah man damals gefährdet. Es gab keine Demonstrationen und keine Hetzparolen, keine Diffamierungskampagne gegen die damalige Regierung durch den DGB. Denn die SPD war damals mit in der Regierung. Deswegen konnte oder wollte man wahrscheinlich nicht.
Heute will Norbert Blüm eine viel weitergehende Regelung als 1969 gesetzlich verankern. Dagegen wird aus durchsichtigen Gründen hemmungslos ein politischer Vernichtungsfeldzug geführt. Welch ein verlogener, demagogischer Vorgang!
({11}).
Nach der Rentenlüge, nach der Mietenlüge verkünden Sie jetzt die Streiklüge. Das ist Ihre Methode.
({12})
Sie wollen die Arbeitnehmer gegen diese Regierung aufhetzen. Der DGB hilft dabei auf Kosten der Einheitsgewerkschaft. Der DGB ist die 5. Kolonne der Opposition und der SPD in der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung.
({13}) Das ist das Schamlose an diesem Vorgang.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP Mann [GRÜNE]: Diese Rede war ein
schamloser Vorgang!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zutiefst bedauerlich, daß eine Handvoll Demonstranten am 11. Januar die Nerven verloren oder zum Teil auch bewußt provoziert und geschlagen hat.
({0})
Ich verurteile die tätlichen Angriffe anläßlich des Neujahrsempfangs in Frankfurt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands haben sich ebenso nachdrücklich distanziert. Dies gilt für Millionen gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer, die sich demokratischer Fairneß und sozialem Ausgleich verpflichtet fühlen. Das werden Sie wohl nicht bestreiten.
({1})
Ich möchte auch an dieser Stelle Herrn Oberbürgermeister Wallmann für seine besonnene Reaktion nach diesen Vorfällen meinen Respekt zollen. An seiner Haltung hätten sich jene ein Beispiel nehmen können, die jetzt zum Teil mit perfiden und pauschalen Unterstellungen gegen den Deutschen Gewerkschaftsbund und die IG Metall mehr zerstören, als sie vermeintlich ihrer Partei nützen, ob sie Geißler oder Lambsdorff heißen.
({2})
Hat Minister Norbert Blüm völlig vergessen, wofür wir gemeinsam seit vielen Jahren einstehen?
({3})
Wollen Sie eine Handvoll Scharfmacher, deren Gewerkschaftszugehörigkeit noch nicht abschließend festgestellt ist, als Alibi für die Zustimmung zu einer Politik benutzen, die eindeutig und ausschließlich Arbeitgeberinteressen dient? Das wird wohl nicht bestritten werden können.
({4})
Im übrigen, Norbert Blüm, ich fühle mich auch persönlich angegriffen und verleumdet, wenn der Kollege Blüm wiederholt, permanent seine eigene Gewerkschaftsführung als Lügner diffamiert.
({5})
Ich bedanke mich, daß von der Fraktion der CDU/ CSU Herbert Wehner zitiert worden ist.
({6})
Ich will das auch tun. Er hat bei der Entgegennahme des ihm verliehenen Hans-Böckler-Preises folgendes ausgeführt:
Das Streikrecht soll eingegrenzt und abgebaut werden. Denen, die diesen Irrweg pflastern, muß geraten werden, die Bauzeichnung der Demokratie in der Bundesrepublik zu studieren und nachzulesen, worauf sich die großen Kräfte in diesem Staat nach dem Krieg verständigt haben. Einheitsgewerkschaft, starke Gewerkschaften, deren Wort wiegt, die Erleichterung von Konfliktlösungen und Interessenausgleich, das waren die Ziele, die wir uns gesetzt haben. Von diesen Zielen abzurücken, das heißt sich von gemeinsamen Grundlagen zu trennen.
({7})
Ich frage meinen Gewerkschaftskollegen Norbert Blüm: Haben wir uns nach dem bösen Erwachen 1945 auf diese hohe Idee geeinigt, um sie jetzt auf so erbärmliche Weise zu verraten?
({8})
Ich kann Ihnen auch zwei Zitate von angesehenen Politikern vortragen, die aus Ihren Reihen kommen, meine Damen und Herren der CDU/CSU. Professor Ernst Benda sagt - ich darf ihn zitieren -:
Ob die Bundesanstalt zahlt oder nicht, ihr Verhalten beeinflußt in jedem Fall den Arbeitskampf; denn es geht um Millionenbeträge. Und wenn die streikende Gewerkschaft hierfür einzustehen hat, wird ihre Streikfähigkeit entscheidend beeinflußt.
({9})
Rufen Sie jetzt auch noch Lüge?
Lassen Sie mich auch den Ehrenvorsitzenden der CDA Hans Katzer zitieren.
({10})
Er sieht in der beabsichtigten Änderung des § 116
({11})
eine bedrückende Perspektive für unseren Rechtsstaat.
({12})
Ich appelliere an Sie, damit aufzuhören, das pöbelhafte Benehmen einiger Hitzköpfe und Provokateure zum halben Staatsstreich zu erklären.
({13})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluß!
Statt über die Verweigerung von Rechtsansprüchen der Arbeitnehmer zu debattieren, sollte der Deutsche Bundestag gemeinsam eine Entschließung fassen, in der das gesetzliche Verbot der Aussperrung gefordert wird.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß!
Ich komme zum Schluß.
Die FDP könnte sich j a im Interesse ihrer Sponsoren der Stimme enthalten.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe länger einen Gewerkschaftsausweis als der Kollege, der mir gerade diese Empfehlung gibt. Ich lasse mir von Abgeordneten der GRÜNEN auch nicht vorschreiben, was die Interessen der Arbeitnehmer sind.
({0})
Die Demokratie ist Kampf um Zustimmung. Ihr Mittel ist die Diskussion. Ihr Schlagabtausch ist der Gedankenaustausch. Gewalt und Verleumdung sind keine Mittel der Demokratie.
({1})
Seit Wochen haben wir es mit einer Kampagne der Verleumdung, der Diffamierung, der Lüge und der Verdrehung zu tun.
({2})
Haß wird produziert. Haß ist die Mutter der Gewalt. Insofern steht die Kampagne im Zusammenhang mit zunehmenden Gewalttätigkeiten in unserem Staat.
({3})
Das kann in niemandes Interesse sein.
Meine Damen und Herren, ich beginne mit den Beweisstücken. Ich beginne mit der Unwahrheit. Im DGB-Referentenmaterial steht:
Kurzarbeitergeld soll kalt Ausgesperrten grundsätzlich und überall verweigert werden.
Wenn das stimmen würde, meine Damen und Herren, würde Norbert Blüm an der Spitze der Demonstrationszüge marschieren.
({4})
Richtig ist, daß das Gesetz klarstellt, daß außerhalb der Branche immer Kurzarbeitergeld gezahlt werden muß - immer!
({5}) Das stand bisher nicht im Gesetz.
Richtig ist, daß das Gesetz klarstellt, daß Arbeitslose, die durch die mittelbare Auswirkung eines Arbeitskampfes arbeitslos geworden sind, wie nach geltendem Recht im allgemeinen Arbeitslosengeld erhalten sollen.
({6})
Jetzt, Kollege Haar, von Kollege zu Kollege: Meine Gewerkschaft verbreitet millionenfach: „Deshalb wollen sie den kalt ausgesperrten Arbeitnehmern außerhalb umkämpfter Tarifgebiete den Rechtsanspruch auf Kurzarbeitergeld nehmen."
({7})
Das wird den Arbeitnehmern gesagt, obwohl der Gesetzestext das Gegenteil erklärt.
({8})
Jetzt frage ich Sie, Herr Vogel und Herr Haar, folgendes.
({9})
- Lassen Sie mich doch die Frage stellen, bevor Sie Antworten geben.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner.
Wenn das ausweislich des Gesetzestextes nicht stimmt, dann gibt es für diesen Wortlaut nur zwei Möglichkeiten: Entweder weiß die IG Metall nicht, was sie schreibt - dann ist sie dumm -, oder sie weiß es - dann lügt sie.
({0})
Hier, lieber Kollege Haar, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Dummheit oder Lüge. Ich überlasse es Dir, was Du meiner Gewerkschaft unterstellst.
({1})
Meine Damen und Herren, wer sagt: „Wer das Streikrecht angreift, greift die Demokratie an",
({2})
stellt uns damit in eine Reihe mit Demokratiefeinden, der provoziert jeden Arbeitnehmer und jeden Demokraten. Das sind wir doch alle. Nur es stimmt nicht, daß wir das Streikrecht angreifen.
({3})
Wenn das Gesetz die Demokratie gefährdet, was war dann vor 1969, als es überhaupt kein Kurzarbeitergeld gab? Da war doch die Demokratie auch vorhanden. Wir wollen keineswegs zu 1969 zurück. Die Arbeitgeber haben vor wenigen Tagen gesagt, daß selbst das Gesetz, das nach 1969 kam, für sie besser ist als das, was wir jetzt vorlegen.
Hört doch auf mit den Verdrehungen, hört doch auf, mit Unwahrheiten und Lügen die Arbeitnehmer aufzuhetzen! Habt ihr keine Argumente mehr?
({4})
Uns wurde schon Verfassungsbruch vorgeworfen, als unser Entwurf noch gar nicht vorlag.
({5})
Der Entwurf lag noch gar nicht vor, da hat Herr Steinkühler schon von Verfassungsbruch gesprochen.
({6})
- Meine Damen und Herren, ich rede über alles.
({7})
- Herr Präsident, bestimmt eigentlich Herr Vogel, was hier gesprochen wird, oder der Redner selber? Das ist meine Frage.
({8})
- Ich rede von der Kampagne, die Sie erzeugen.
({9})
- Nicht Beschimpfungen, Herr Vogel. Wollen wir einmal zum Nazi-Beispiel kommen. Die IG Metall sagt: Die Nazis haben die Gewerkschaften verboten, diese Regierung will sie ausbluten. Dann entschuldigt sie sich. Kaum hat sie sich entschuldigt, da wird der Vorwurf wiederholt. Was ist das eigentlich für eine Arbeitsteilung? Die Zeitung der IG Metall rückt uns in die Nähe der Nazis, und der Vorsitzende entschuldigt sich dafür. Die Zeitung wiederholt es. Was soll denn hier getrieben werden? - Nichts anderes als Aufhetzung der Arbeitnehmerschaft. Das ist die Kampagne.
({10})
Kommen wir zum Vorgang Wallmann zurück. Wir wollen noch einmal rekapitulieren, was eigentlich passiert ist. Herr Wallmann ist geschlagen worden. Der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall geht anschließend zum Rednerpult und sagt: Das sind schlechte Beispiele.
Stellen Sie sich einmal vor, Franz Steinkühler hätte eine CDU-Versammlung besucht, wäre von CDU-Mitgliedern geschlagen worden und der Norbert Blüm wäre anschließend an das Rednerpult gegangen und hätte gesagt: Das waren schlechte Beispiele. Stellen Sie sich das einmal vor! WarnBundesminister Dr. Blüm
Streiks wären die Folge gewesen! Diese Art von Verharmlosung, die diese Schlägerei zum Kavaliersdelikt macht, gießt 01 ins Feuer, und deshalb mein Aufruf an alle: Laßt uns zur Sachlichkeit zurückkehren,
({11})
laßt uns darüber streiten, wie wir die Neutralität der Bundesanstalt am besten sichern! Das liegt in unser aller Interesse.
({12})
Das liegt im Interesse der Tarifautonomie.
Heute nachmittag sprechen der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Sozialausschüsse miteinander. Ich setze auf dieses Gespräch; ich hoffe, daß es ein Gespräch ist, das die Chance ergreift, zurückzukehren zur Fairneß,
({13})
zurückzukehren zur Wahrheit und zurückzukehren zur Sache.
Und dann laßt uns sachlich darüber reden, wie wir am besten die Neutralität der Bundesanstalt sichern! Die Aufgabe bleibt jedenfalls eine Aufgabe im Interesse der Tarifautonomie. Mit Lügen und mit Hetze können Sie den Norbert Blüm nicht beeindrucken,
({14})
mit Lügen und mit Hetze dienen Sie nicht dem sozialen Frieden. Laßt uns einen sachlichen Dialog, einen offenen Dialog führen! Wer bessere Vorschläge dazu hat, wie wir die notwendige Neutralität des Staates im Arbeitskampf sichern, soll sie vorlegen. Dies ist unsere gemeinsame Aufgabe.
({15})
Auf diese Sachlichkeit und auf diese Fairneß ist die Einheitsgewerkschaft angewiesen.
({16})
Ich glaube, daß die Einheitsgewerkschaft eine große Errungenschaft der Arbeiterbewegung ist. Sie kann nicht vor den Wagen der SPD gespannt werden! Wer die Einheitsgewerkschaft in SPD- Kampagnen einspannt, der ruiniert die Einheitsgewerkschaft!
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Haar, ich habe Ihnen förmlich angemerkt - man konnte es spüren -, daß Ihnen bei dieser Rede nicht wohl war
({0})
und daß Sie es selbst nicht glaubten, als Sie sagten, hier hätten einige die Nerven verloren.
Ich glaube, der Vorgang geht tiefer. Es ist nämlich die Frage zu stellen, ob man angesichts dieser
Tätlichkeiten wirklich noch von der generellen Verbindlichkeit des Rechts in unserer Gesellschaft sprechen kann. Herr Glotz, Sie sprachen von politischer Kultur. Zu einer wirklichen demokratischen politischen Kultur gehört auch die Rechtskultur.
({1})
Anläßlich des Streiks des Jahres 1984 hat eine große deutsche Tageszeitung die Frage gestellt, ob sich bei uns nicht ein Rechtsnihilismus ausbreite. Sie wissen genau, wovon ich spreche.
({2})
Eben in diesem Jahr 1984 hat der stellvertretende DGB-Vorsitzende Judith gesagt: „Wenn ich bestimmte Mitbestimmungsvorstellungen höre, bekomme ich Verständnis für Terroristen." - Das ist die verbale Vorbereitung auf das, was sich dann in Frankfurt entladen hat,
({3})
vielleicht nicht so sehr von denen, die geschlagen haben, beabsichtigt - mag sein, daß denen die Nerven durchgegangen sind -; aber die, die dazu mit verbaler Gewalt hingeführt haben, tragen die Verantwortung.
({4})
Der Vorsitzende der IG Druck und Papier in Hessen, Balder, hat erklärt, der Streit sei als - ich zitiere - „Krieg der Spezialisten im kollektiven Kampf der Massen" zu bewerten. Er hat dazu aufgerufen, die Ziele der Gewerkschaften „auch gegen augenblickliches Recht zu bekämpfen" und sich „von Gerichtsentscheidungen nicht einschüchtern zu lassen".
Meine Damen und Herren, das sind gefährliche Äußerungen, die die Frage aufkommen lassen, wie weit bei einigen Funktionären des DGB - nicht bei allen; ich möchte das nicht verallgemeinern, aber bei einigen Funktionären -, die auch der SPD angehören, die Rechtsverachtung schon gediehen ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch einmal klarstellen: Es war nicht bloß ein Rempeln, und es waren nicht bloß Verbalinjurien. Niederschreien, Anrempeln, Schlagen und Treten - und das ist passiert - sind strafbare Handlungen, und die sollte man nicht verharmlosen. Es handelte sich um Körperverletzung, Beleidigung und Nötigung. Das sollte man einmal ganz deutlich darstellen.
Meine Damen und Herren, wie weit die Rechtskultur bei uns gekommen ist, zeigt auch die Tatsache, daß eine vorübergehend im Bundestag vertretene Partei ihr Verhältnis zur Gewalt nicht geklärt hat. Wenn es Vertreter dieser Partei gutheißen, daß einer der ihren bei einem Empfang einen amerikanischen General mit Blut bespritzt, so spricht dies für sich.
({5})
- Natürlich ist das Körperverletzung.
({6}) Aber es wird j a hier gutgeheißen.
Es wird Zeit, daß sich die Gewerkschaften besinnen, wie weit sie in der Auseinandersetzung gehen können, und sich von den Funktionären distanzieren, die indirekt - manche direkt; ich habe zitiert
- Gewalt predigen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch diese Debatte gibt uns die Chance, noch einmal gemeinsam an dem zu arbeiten, was unsere Aufgabe ist: den sozialen Frieden und die soziale Stabilität zu bewahren.
({0})
Es ist unsere Pflicht, alles zu verhindern, das diese vielleicht wichtigste Errungenschaft unserer Gesellschaft in Gefahr bringt. Natürlich hat es in der fast 40jährigen Tarifgeschichte der Bundesrepublik auch Auseinandersetzungen gegeben, die von allen Beteiligten mit Härte geführt wurden, und es hat einige wenige gegeben, die die Kontrolle über sich verloren haben. Ihnen mußte und muß Einhalt geboten werden.
({1})
Denen in Frankfurt hat ihre Organisation Einhalt geboten.
({2})
Jetzt sind Sie am Zuge. Sie müssen denen Einhalt gebieten, die darauf ein unappetitliches Süppchen kochen und die Gewerkschaften in die Nähe von Terroristen rücken wollen.
({3})
Am Ende jeder Auseinandersetzung hat es bisher eine für alle tragfähige Einigung gegeben, weil der Wille zum sozialen Ausgleich bei allen Beteiligten gesiegt hat. Wenn es heute den Arbeitnehmern und den Unternehmen in der Bundesrepublik besser geht als in vergleichbaren Ländern, dann liegt das nicht zuletzt an dem im Grundsatz unbestrittenen sozialen Konsens der wichtigen gesellschaftlichen und politischen Kräfte. Ob soziale Stabilität und darauf aufbauender wirtschaftlicher Erfolg, ob das relative Gleichgewicht der Tarifvertragsparteien, ob handlungsfähige Einheitsgewerkschaften - und nur handlungsfähige, auch streikfähige Gewerkschaften sind freie Gewerkschaften -,
({4})
ob all das auch in Zukunft ein entscheidender Pluspunkt unseres Landes ist, das steht in diesem Jahr 1986 zur Disposition.
({5})
- Es steht zu Ihrer Disposition!
({6})
Wenn im Arbeitskampf 1984 etwa 24 500 streikenden Arbeitnehmern in der Metallindustrie Nordwürttemberg-Nordbaden
({7})
113 000 ausgesperrte gegenüberstanden, wenn also auf zwei Streikende neun Ausgesperrte entfielen,
({8})
die gewerkschaftliche Streikunterstützung erhielten,
({9})
so wird deutlich, daß die Legende von der Schonung der Streikkasse der IG Metall nicht aufrechtzuerhalten ist.
({10})
Hätte die IG Metall auch an die darüber hinaus 310 000 weiteren im restlichen Bundesgebiet kalt ausgesperrten Metallarbeiter Unterstützungsleistungen zu zahlen gehabt, so hätte sie das finanziell überhaupt nicht verkraften können.
({11})
Tatsache ist deshalb, daß Ihr Gesetzentwurf zum § 116 kein Beitrag zur Klarstellung ist, keine Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit darstellt. Anders ausgedrückt: Ihnen geht es nicht um die Neutralität der Bundesanstalt. Ihnen geht es darum, die Streikfähigkeit der Gewerkschaften über diesen Weg faktisch auszuhebeln. Das ist der Punkt.
({12})
Wie lange will der Bundesarbeitsminister die Bevölkerung glauben machen, Prof. Dr. Ernst Benda sei das Opfer „einer Kampagne von Verdrehungen der Gewerkschaften"?
({13})
Wie lange will Herr Blüm den Eindruck transportieren, der von ihm entlassene Abteilungsleiter im Arbeitsministerium, Viehof, sei „Verteufelungen der Gewerkschaften" zum Opfer gefallen?
({14})
Wer soll Herrn Blüm glauben, daß die Vorstände der CDA des Rheinlands und Westfalens sich einer „Inflation von Lügen der Gewerkschaften" gebeugt hätten?
({15})
Wer soll Ihnen abnehmen, Herr Blüm, daß der ehemalige CDU-Arbeitsminister Katzer den „Hetzkampagnen der Gewerkschaften" zum Opfer fiel? Glauben Sie ernsthaft, der CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Lothar Späth, sei bereit, einen „Teil des SPD-Wahlkampfs" zu führen? Halten Sie einen ehemaligen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten, einen Abteilungsleiter Ihres Ministeriums, Bundesvorstandsmitglieder Ihrer Sozialausschüsse, ganze Landesvorstände der CDA, Betriebsräte und Personalräte der CDU, Repräsentanten der katholischen Arbeitnehmerbewegung
({16})
für so dumm, daß Sie ihnen eigenes Urteilsvermögen absprechen wollen?
({17})
Herr Blüm, bei welchen Kräften stehen Sie eigentlich im Wort?
({18}) Sie spielen mit dem Feuer.
({19})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Kehren Sie zur Vernunft zurück! Nehmen Sie, Herr Blüm, den Gesetzentwurf vom Tisch!
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dreßler, Sie sprachen davon: Der soziale Frieden und die soziale Stabilität müssen erhalten bleiben. Darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit.
({0})
- Sehen Sie: Daß Sie schon anfangen, darüber zu lachen, macht mir deutlich, daß Sie gar nicht bereit sind, ernsthaft zu prüfen, von welchen Seiten überall der soziale Frieden in Frage gestellt wird. Das ist doch der Punkt.
({1})
Sehen Sie: Ausgerechnet Sie, die Sie vorhin gesagt haben: man habe sich entschuldigt, man wolle, daß in einer Demokratie die Möglichkeit besteht, zu diskutieren, versuchen dann durch ununterbrochenes
Schreien wieder zu verhindern, daß man hier überhaupt seine Meinung sagen kann.
({2})
Das ist doch ein Widerspruch zu der Entschuldigung, die Sie selber gebracht haben.
({3})
- Gegen Zwischenrufe habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Man muß sie aber verstehen können. Es geht nicht, wenn zehn zugleich brüllen. Das wissen Sie doch ganz genau.
Zur Sache. Über das Gesetz werden wir ausführlich in den nächsten Wochen zu reden haben. Zu behaupten, hier sei eine Nacht-und-Nebel-Aktion im Gange, ist doch schlicht dummes Zeug. Bereits im September habe ich in demselben Raum in Frankfurt bei der IG Metall über diese Fragen diskutiert, die heute wieder diskutiert werden. Deshalb ist es eine Verdummung, zu behaupten, hier sei eine Nacht-und-Nebel-Aktion im Gange. In Wahrheit ist seit Wochen und Monaten darüber gesprochen worden.
({4})
Wir wollen nicht dramatisieren. Ich sage nicht: Das ist Weimar. Nur, eines haben wir doch immer alle gemeinsam in diesem Hause vertreten: Wenn Sorge bestand, es könnte sich etwas in Richtung Weimar entwickeln, ganz gleich, von welcher Seite es kam, dann haben wir uns gemeinsam bemüht, dies zu verhindern. Deshalb sind wir gemeinsam aufgefordert, uns nicht nur danach zu fragen, woher es kam, sondern auch, warum die Reaktionen an Ort und Stelle nicht anders waren.
Als ich die Bilder sah, habe ich mir vorgestellt, wie Otto Brenner reagiert hätte. Warum hat Herr Steinkühler nicht sofort erkannt, daß er selber, statt am Rednerpult zu sprechen, sich hätte hinstellen und sagen sollen: Ich rede nicht, solange nicht Herr Wallmann die Möglichkeit hat, frei zu sprechen? Das wäre ein Beweis gewesen, daß man die Problematik dieses Vorfalls - richtig einschätzt.
({5})
Hier müssen wir Demokraten gemeinsam sehen, daß es darum geht, das Recht der Redefreiheit zu verteidigen. Wenn einer der GRÜNEN sagt: Wir werden dafür sorgen, daß man nicht mehr zu Worte kommt, dann ist das das Gegenteil von freiheitlicher Demokratie. Die verteidigen wir. Wir haben Sorge, daß sie in Frage gestellt wird.
({6})
Wenn in der Zeitschrift „IG Metall" immer wieder solche Behauptungen aufgestellt und Nazivergleiche angestellt werden, wenn von Herrn Dressler davon gesprochen wird, man wolle die Gewerkschaften in die Nähe des Terrorismus drängen, so sage ich Ihnen: Ich denke gar nicht daran, ich komme gar nicht auf die Idee, sie in die Nähe des Terrorismus zu stellen. Ich komme allerdings auch nicht auf die Idee, Verständnis für den Terrorismus aufzubringen. Hier muß doch eine konsequente
Haltung nach allen Seiten wirklich an den Tag gelegt werden.
({7})
Die Bereitschaft, Rechte, die Sie mit Überzeugung vertreten, für die Arbeitnehmerschaft wahrzunehmen, bestreitet niemand. Die Fakten aber dabei falsch darzustellen ist genau der Punkt, mit dem die Gefahr für den sozialen Frieden heraufbeschworen wird. Wir können in der Sache, ob das Faktum so oder so bewertet wird, immer streiten. Mit Falschbehauptungen aber eine Stimmung zu erzeugen ist genau die Gefahr, die wir Demokraten gemeinsam bekämpfen müssen, wenn wir diesen demokratischen Rechtsstaat, den wir aufgebaut haben, auch erhalten wollen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich bin zunächst dem Herrn Kollegen Glotz dafür dankbar, daß er das Wort vom „Schreibtischtäter" als ein absurdes und böses Wort bezeichnet hat. Ich habe diese Auffassung schon vertreten, als der SPD-Vorsitzende Brandt seine demokratischen Kritiker mit diesem Wort belegt hat. Herr Kollege Glotz, ich bin Ihnen für Ihre späte Reue durchaus dankbar.
({0})
Wenn es Ihnen jetzt noch gelänge, Herrn Brandt klarzumachen, daß er sein Wort, hinter ihm und seinen Freunden stehe das anständige Deutschland und demgemäß stünden die Unanständigen auf der anderen Seite, ebenfalls zurücknimmt, wäre das in der Tat ein Beitrag, um die von Ihnen so oft zitierte politische Kultur in unserem Lande entscheidend zu verbessern.
({1})
Nur, Herr Kollege Glotz, ich bin Ihnen nicht dankbar, wenn Sie den Angriff auf meinen Freund Walter Wallmann einfach mit dem Wort „Rempelei" abzutun versuchen. Dies war keine Rempelei, dies war eine organisierte Attacke. Sie wissen dies sehr genau. Dies war allerdings auch - darüber wird es bei uns sicher keinen Streit geben - nicht eine organisierte Attacke des gesamten Deutschen Gewerkschaftsbundes, sondern die einer ganz bestimmten Gruppe, die sich jetzt herausgefordert fühlt, weil - dies ist das Problem für Sie - die Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes dazu übergeht, aus der Einheitsgewerkschaft wieder eine sozialistische Richtungsgewerkschaft zu machen.
({2})
Es ist Kritik geübt worden, daß wir den Vorfall von Frankfurt ins Parlament getragen haben.
({3})
Ich sage Ihnen mit aller Offenheit - Frau Fuchs, ich weiß: Sie schreien gerne; tun Sie es weiter; es stört mich nicht; ich sage es Ihnen aber trotzdem in aller Offenheit -: Wir haben in den letzten Jahren der Weimarer Zeit eine Entwicklung erlebt, in der eben nicht nur die Schläger der SA und des Rotfront-Kämpferbundes aufgetreten sind, sondern in der auch entscheidende demokratische Organisationen leider mit dazu übergegangen sind zuzuschlagen. Wenn Sie sich die Gerichtsurteile der damaligen Zeit ansehen, wissen Sie, was ich meine.
Es ist dann zu jener beschämenden Situation gekommen, daß im Jahre 1932 die Fraktion der Nationalsozialisten, die Fraktion der Sozialdemokraten und die Fraktion der Kommunisten gemeinsam im Rechtsausschuß des Deutschen Reichstages eine Amnestie für diese Schläger beantragten. Kommen wir bitte nicht in eine Situation, die mit der damaligen vergleichbar sein könnte.
({4})
- Nein, Herr Kollege Vogel, dies ist nicht jämmerlich, sondern dies ist notwendig. Aber das verstehen Sie sowieso nicht.
({5})
Herr Kollege Dreßler hat die Behauptung aufgestellt, es gebe Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland, die versuchten, die Gewerkschaften mit den Terroristen gleichzustellen. Meine Damen, meine Herren, dies ist eine so ungeheuerliche Behauptung, daß ich von ihm verlange, diese Behauptung zu beweisen, denn anderenfalls müßten wir die Frage stellen, ob hier noch ernsthaft diskutiert oder ob tatsächlich hier von diesem Hause aus gehetzt wird. Niemand denkt daran, die demokratischen Gewerkschaften in die Nähe der Terroristen zu rücken, aber jedermann weiß, daß sich auch in der Gewerkschaftsbewegung inzwischen einige Gruppierungen herausgebildet haben, die eben nicht mehr dem Ideal der Einheitsgewerkschaft und auch nicht dem Ideal der Arbeitnehmerschaft verbunden sind, sondern die mit der Art, wie sie auftreten, versuchen, eine andere Republik zu schaffen.
Meine Damen, meine Herren, ich appelliere hier besonders an die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei. Wir haben alle 1969 gemeinsam auf derselben Barrikade gestanden,
({6})
als wir mit Erfolg versucht haben, die NPD aus dem Bundestag fernzuhalten, als wir gemeinsam mit Erfolg versucht haben, die politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland zu sichern. Ich appelDeutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Freitag den 17. Januar 1986 14307
liere an Sie, meine Damen, meine Herren von der SPD-Fraktion, zu dieser Gemeinsamkeit zurückzukehren, denn wir haben soeben erlebt, daß Sie dem Vertreter der grünen Partei hier Beifall gespendet haben, als er gesagt hat, er und seine Freunde wollten dafür sorgen,
({7})
daß wir, d. h. die Vertreter der gegenwärtigen Mehrheit in diesem Hause, in den Betrieben nicht mehr reden dürfen.
({8})
Wer einer solchen Rede Beifall zollt - ich habe gesehen, daß der Herr Kollege Ehmke einer derjenigen war, die besonders laut Beifall zollten -, hat die Gemeinsamkeit der Demokraten verlassen.
({9})
Ich fordere Sie auf, dazu zurückzukehren.
({10})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Baugesetzbuch
- Drucksache 10/4630 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung,
Bauwesen und Städtebau ({0})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 hat der Bundeskanzler die Vorlage von Leitlinien für ein einheitliches Städtebaurecht angekündigt. Um noch in dieser Legislaturperiode das Städtebaurecht auf Bundesebene zu vereinfachen und das Bauen zu erleichtern, hat die Bundesregierung am 22. Februar 1984 beschlossen, den Entwurf eines neuen Baugesetzbuches schon 1985 vorzulegen.
({0})
Daß dies gelingen würde, ist von vielen bezweifelt worden. Um so mehr freue ich mich, daß ich dem Kabinett am 4. Dezember 1985 den Entwurf für ein einheitliches, fachlich durchberatenes und abgewogenes Baugesetzbuch vorlegen konnte und es schon heute im Deutschen Bundestag vertreten kann.
Hierin liegt ein wichtiger Beitrag und sichtbarer Erfolg der Bundesregierung bei ihrer Bemühung um Rechts- und Verwaltungsvereinfachungen. Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes als eilbedürftig bezeichnet. Dies sollte eine frühzeitige Beratung im Deutschen Bundestag und die Verabschiedung des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode ermöglichen. Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf zügig vorbereitet und so rechtzeitig eingebracht, daß für seine Beratung ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Sie kommt damit insbesondere den Erwartungen und Wünschen der Kommunalpolitiker und aller vom Baurecht des Bundes betroffenen Bürger nach.
({1})
Die Erarbeitung und die nunmehr mögliche parlamentarische Beratung und Verabschiedung des Gesetzes innerhalb von nur einer Legislaturperiode war nur möglich, weil mehrere Voraussetzungen erfüllt waren. Die Fachleute aus den Ländern, kommunalen Spitzenverbänden und Gemeinden wurden schon an den Vorarbeiten des Entwurfs von Anfang an beteiligt. Die Praxis konnte damit ihre Vorstellungen frühzeitig einbringen; und nicht zuletzt: das Baugesetzbuch konnte auf einem soliden Fundament aufbauen, nämlich dem Bundesbaugesetz von 1960 und dem Städtebauförderungsgesetz von 1971. Vertreter der Opposition haben in den letzten Wochen und Monaten gefordert, die Vorlage, die parlamentarische Beratung und Verabschiedung des Gesetzentwurfs in dieser Legislaturperiode noch zurückzustellen. Dafür bestand zu keinem Zeitpunkt Veranlassung. Angesichts der geänderten wohnungspolitischen Aufgaben und städtebaulichen Probleme konnte ich eine Zurückstellung dieser Gesetzesvorlage nicht verantworten.
({2})
Meine Damen und Herren, alle Fachleute wissen: aus der Praxis wurden und werden an die Bundesregierung, an den Gesetzgeber seit längerem wichtige und gerechtfertigte Änderungswünsche zum Städtebaurecht herangetragen. Die Sorge um eine geordnete städtebauliche Entwicklung in Stadt und Land und die Erfüllung der dringenden Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben im Städtebau verbieten es, diese Wünsche noch länger zurückzustellen. Verfehlt wäre es ebenso, nur einzelne dieser Forderungen im Wege von vorgezogenen Novellierungen zu berücksichtigen. Die Praxis, allen voran die drei kommunalen Spitzenverbände, also der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Deutsche Landkreistag, haben die Bundesregierung, vor allem auch den Bundeskanzler und mich persönlich, in wiederholten Gesprächen immer wieder eindringlich gebeten, an dem von uns eingeschlagenen Weg einer Gesamtüberprüfung
und Gesamtnovellierung des Städtebaurechts festzuhalten.
({3})
Sie haben uns auf diesem Weg mit viel Unterstützung begeitet, wofür ich ihnen auch an dieser Stelle danken möchte.
({4})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die gründliche Vorarbeit, die dringenden Wünsche der Praxis und die berechtigte Erwartung von Städten und Gemeinden, von Bürgern und Verbänden sind für die Entscheidung der Bundesregierung maßgeblich gewesen, die Gesamtüberprüfung und Gesamtnovellierung des Städtebaurechts zum jetzigen Zeitpunkt, noch in dieser Legislaturperiode anzustreben.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im folgenden einen Überblick über die Leitlinien des Baugesetzbuchs und seine wesentlichen Ziele und Inhalte geben. Mit dem Baugesetzbuch wird die mit dem Bundesbaugesetz begonnene umfassende baugesetzliche Kodifikation des Städtebaurechts abgeschlossen. Mit dem Bundesbaugesetz von 1960 und mit seiner notwendigen Ergänzung durch das Städtebauförderungsgesetz von 1971 wurden die notwendigen bundeseinheitlichen Regelungen des Bau- und Planungsrechts erlassen. Mit dem Baugesetzbuch werden, wie von Anfang an angestrebt, beide Gesetze zusammengeführt und an die Notwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft angepaßt. Damit findet ein jahrzehntelanger Entwicklungsprozeß des Städtebaurechts seinen Abschluß.
Bereits in der Weimarer Zeit ist versucht worden, ein einheitliches Städtebaurecht zu kodifizieren. Sie wissen, dieser Versuch ist damals gescheitert. Nach dem Kriege haben sich zunächst die meisten Länder Aufbaugesetze gegeben, die einzelne Probleme gelöst haben. Mit dem Baulandbeschaffungsgesetz von 1953 wurde ein erster Versuch für bundeseinheitliche Lösungen unternommen; mit dem Bundesbaugesetz von 1960 wurde er für wesentliche Teile zunächst vollendet. Ungelöst blieb im Bundesbaugesetz jedoch der Bereich der Sanierung und der Stadtentwicklung. Nach mehr als zehn Jahren wurde mit dem Städtebauförderungsgesetz 1971 hierfür ein Sondergesetz geschaffen. Seither wurde schrittweise versucht, Elemente des Städtebauförderungsgesetzes in das Bundesbaugesetz einzufügen. Ich erinnere vor allem an die Novelle zum Städtebaurecht von 1976.
Mit dem Baugesetzbuch wird damit an die große gesetzgeberische Leistung angeschlossen, die mit dem Bundesbaugesetz und damit untrennbar mit dem Namen Paul Lücke verbunden ist. Ich habe mich bei der Erarbeitung des Baugesetzbuchs bewußt in diese Tradition gestellt.
({6})
- Herr Kollege Waltemathe, ich bedanke mich für den Zwischenruf. Obgleich der Name Lauritz Lauritzen in einem anderen Zusammenhang zu nennen wäre, will ich es jetzt doch gleich vorwegnehmen: Ich habe 1971 zum Städtebauförderungsgesetz gesprochen. Ich war damals in der zweiten Lesung Redner meiner Fraktion. Ich erwähne ausdrücklich Lauritz Lauritzen, einen meiner Amtsvorgänger, der von 1966 bis 1972 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau gewesen ist und der sich um das Zustandekommen des Städtebauförderungsgesetzes große und bleibende Verdienste erworben hat.
({7})
Meine Damen und Herren, alle Bestimmungen des geltenden Rechts werden überprüft. Das - das gilt auch mit Blick auf den Namen Lauritz Lauritzen -, was sich bewährt hat, wird belassen. Dort, wo geändert, gestrafft oder ergänzt wird, ist das nicht eine Kritik am Bundesbaugesetz, sondern die auf Grund der veränderten Lage politisch notwendige und sachliche Korrektur.
({8})
Die veränderte städtebauliche Wirklichkeit und neue städtebauliche Aufgaben sind es, die gesetzliche Änderungen erfordern. Die Bundesregierung hat mit dem heute zu behandelnden Gesetzentwurf die Anstrengung unternommen, alle Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben, die sich in der städtebaulichen Wirklichkeit stellen,
({9})
gesetzgeberisch aufzugreifen.
Lassen Sie mich einige der hervorragenden Aufgaben nennen: Erstens. Wer mit den Bauherren oder mit den Verantwortlichen in den Rathäusern über das Städtebaurecht spricht, wird feststellen, daß die Forderungen nach Vereinfachung des Rechts, nach Vereinfachung des Verfahrens, nach Erleichterung des Bauens zentrale Forderungen der Praxis sind.
({10})
Die Bundesregierung hat deshalb alle vorhandenen Vorschriften auf ihre Notwendigkeit und ihre Auswirkungen auf den Verwaltungsvollzug überprüft. Der Gesetzentwurf enthält nach Überzeugung der Bundesregierung alles, was unter Würdigung der zum Teil sehr konträren Interessen der am Baugeschehen und an der Planung Beteiligten vom Städtebaurecht des Bundes geleistet werden kann, was vom Baurecht geleistet werden kann. Ich bitte, diesen Gesichtspunkt besonders zu beachten.
Ich habe allerdings auch nie einen Zweifel daran gelassen, daß der Schwerpunkt der Bemühungen um Verwaltungsvereinfachung beim Bauen nicht
im Städtebaurecht, sondern in den vielfältigen sonstigen baurechtlichen Bestimmungen liegt. Deshalb hat die Bundesregierung parallel zu den Arbeiten am Baugesetzbuch die erforderlichen Initiativen ergriffen. Zur Zeit sind mehr als 283 Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften in der Überprüfung mit dem Ziel, das Baunebenrecht zu durchforsten, mit der Absicht, viele Hunderte und Tausende von Bestimmungen außer Kraft zu setzen, weil sie überflüssig sind.
({11})
Ich betone aber: Was im Städtebaurecht an Rechts- und Verwaltungsvereinfachung möglich, erforderlich und vertretbar ist, soll mit dem Baugesetzbuch verwirklicht werden.
Zweitens. Die neuen städtebaulichen Aufgaben und die sich hieraus ergebenden Anforderungen an das Städtebaurecht sind im Entwurf ausnahmslos berücksichtigt worden. Ich nenne hier die Verbesserung der Instrumente des Städtebaurechts zugunsten des Umweltschutzes: sparsamer und schonender Umgang mit Grund und Boden als Grundsatz der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung; Vorkehrungen für ein flächensparendes Bauen; Vorkehrungen für Bodenschutz und Altlastensanierung in der Bauleitplanung und in der städtebaulichen Sanierung; die Verbesserung der Instrumente des Städtebaurechts zugunsten des Denkmalschutzes in der Bauleitplanung und in der Sanierung; die Verbesserung der Instrumente des Städtebaurechts zugunsten der Stadterhaltung und der Stadterneuerung durch Verschmelzung von Bundesbaugesetz und Städtebauförderungsgesetz und damit Anerkennung der Stadterneuerungsaufgaben als städtebauliche Daueraufgaben, durch Vereinfachung der Sanierung, durch Ausschöpfung der nach dem Städtebaurecht des Bundes bestehenden Möglichkeiten zugunsten der Stadterhaltung im Rahmen der städtebaulichen Erhaltungssatzung. Ich stelle deshalb mit Befriedigung fest, daß die eingehende Anhörung der Verbände, die Stellungnahmen der Länder und der kommunalen Spitzenverbände bestätigt haben, daß der Entwurf des Baugesetzbuchs auch in dieser Hinsicht allen vernünftigen Anforderungen Rechnung trägt.
({12})
Drittens. Darüber hinaus hat der Regierungsentwurf alle drängenden - was ganz wichtig ist - strukturpolitischen Probleme, die sich dem Städtebaurecht stellen, aufgegriffen. Ich nenne hierbei vor allem die Probleme des ländlichen Raumes. Das Baugesetzbuch ist ein Gesetz für Stadt und Land. Der Erhaltung und Fortentwicklung des ländlichen Raums dienen die Erleichterungen in den Vorschriften über das Bauen ebenso wie das aus familien- und sozialpolitischen Gründen erwünschte Zusammenleben der Generationen einer Familie unter einem Dach im Rahmen der Neuregelung der Bestimmungen über das Bauen im Außenbereich.
Der aktuellen Gefährdung der verbrauchernahen Versorgung durch mittelständische Unternehmen kann auf der Grundlage des Regierungsentwurfs künftig wirksam entgegengetreten werden. Des weiteren besteht in Gemengelagen als Problem der Standortsicherung der Betriebe und ihrer Investitionen. Ihm soll namentlich durch Abgrenzung des Bauplanungsrechts zum Immissionsschutzrecht und durch die Schaffung eindeutiger Rechtsgrundlagen für die Genehmigung von Vorhaben im nichtbeplanten Innenbereich nach § 34 Rechnung getragen werden.
Der städtebaulich bedrohliche Strukturwandel in den Kur- und Fremdenverkehrsgemeinden ist im Gesetzentwurf berücksichtigt. Die Gemeinden können - seit Jahren wurde das gewünscht - auf Grund von Änderungen im Bauplanungsrecht - Festsetzung der Zahl der Wohnungen im Bebauungsplan - und im Bodenverkehrsrecht - Genehmigungsvorbehalt bei Begründung von Wohneigentum - den bedrohlichen Entwicklungen künftig wirksam vorbeugen.
Die erfolgreiche Baulandpolitik der Bundesregierung wird mit dem Baugesetzbuch fortgesetzt. Der Entwurf enthält eine klare Absage gegenüber einer dirigistischen Baulandpolitik.
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Die Bundesregierung setzt auch in der Baulandpolitik uneingeschränkt auf die sozial bestimmte freie Marktwirtschaft.
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- Auch auf die Baufreiheit, Herr Kollege. Der Erfolg dieser Politik in den vergangenen drei Jahren spricht für sich. Die Bundesregierung setzt auf Preisstabilität durch Haushaltskonsolidierung, auf kooperatives Zusammenwirken aller am Baulandmarkt Beteiligten und auf gezieltes und situationsgerechtes Einwirken auf das Baulandmarktgeschehen durch Städte und Gemeinden.
Eine weitere Leitidee war für die Erarbeitung des Baugesetzbuchs maßgeblich. Ihnen liegt ein Entwurf vor, der sich die berechtigten Interessen der Praxis, der an der städtebaulichen Planung und Entwicklung und der am Baugeschehen Beteiligten zum Maßstab macht. Das sind für mich die Planer, die Bauherren, die Verantwortlichen im Rathaus und die für den Vollzug des Städtebaurechts verantwortlichen Länder.
Der Gesetzentwurf würdigt die Verantwortung des Planers für eine geordnete städtebauliche Entwicklung, und er stärkt diese Verantwortung. Ich nenne hierzu in erster Linie die Vereinfachungen bei der Bauleitplanung, die mit dem Ziele vorgenommen werden, die Bauleitplanung nicht zum Weg voller Fallstricke werden zu lassen, sondern zum natürlichen Weg der Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung auszugestalten. Ich nenne weiterhin die in einer Fülle von Bestimmungen hervorgehobene Bedeutung der städtebaulichen Planung und der Planertätigkeit, sei es durch förmliche oder durch informelle Planung.
Erstmals wird im deutschen Baurecht der städtebauliche Rahmenplan anerkannt.
Die berechtigten Wünsche des Bauherren waren für mich maßgeblich, die Vorschriften über die Zulässigkeit von Vorhaben weitgehend neu zu fassen.
Hier bringt der Gesetzentwurf Erleichterungen bei Bauvorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen, bei Bauvorhaben im Innen- und im Außenbereich. Diese Erleichterungen kommen dem „kleinen Mann" zugute, dem Bausparer und dem Mieter, sie dienen der Bildung von Wohnungseigentum für breite Schichten der Bevölkerung, sie erleichtern dringend notwendige Investitionen von Industrie, Landwirtschaft und Gewerbe, und sie sollen dazu beitragen, die Attraktivität des Lebens im ländlichen Raum zu stärken und damit der Entleerung ländlicher Räume entgegenzuwirken.
Das Baugesetzbuch soll auch ein Gesetz für jene sein, die in unseren Rathäusern Verantwortung tragen. Den Bedürfnissen der Städte und Gemeinden sollen vor allem die jetzt vorliegende Gesamtüberprüfung und Gesamtnovellierung des Städtebaurechts Rechnung tragen und die damit zugleich verfolgte Rechts- und Verwaltungsvereinfachung.
Ich hebe dabei ganz besonders die im Gesetzentwurf vorgesehene Einführung eines Anzeigeverfahrens bei Bebauungsplänen hervor, die aus Flächennutzungsplänen entwickelt werden, sowie bei allen sonstigen städtebaulichen Satzungen. Dieses Anzeigeverfahren soll an die Stelle des bisherigen Genehmigungsverfahrens treten.
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Hier vollendet der Gesetzgeber zum erstenmal die Planungssouveränität, die Planungshoheit, der Gemeinden.
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Allein dieses Fortschrittes wegen verdient das heute von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz große Beachtung bei den Gemeinden.
Die durchgehend heftige Reaktion auf diesen Anderungsvorschlag - die Skala reicht von uneingeschränkter Zustimmung bis zu entschiedener Ablehnung - zeigt mir, daß dieser Vorschlag den Nerv des Problems getroffen hat. Es geht hier tatsächlich um die Stellung der Städte und Gemeinden in unserem Staat und um ihre Verantwortung für die städtebauliche Ordnung und Entwicklung auf Grund der nach dem Grundgesetz gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung. Dem entspricht die neue und zweifellos herausgehobene Stellung der Gemeinden gegenüber den staatlichen Aufsichtsbehörden im Rahmen des neuen Anzeigeverfahrens.
Meine Damen und Herren, mit dem Baugesetzbuch wird ein weiteres Ziel der Innenpolitik der Bundesregierung verwirklicht, nämlich die Stärkung des föderalen Gedankens. Das Baugesetzbuch macht Schluß mit der jahrzehntelangen und von den Ländern beklagten Entwicklung, die Gesetzgebungsmaterien zunehmend an die Bundesebene zu binden. Mit dem Baugesetzbuch werden - soweit ich sehe, erstmals in einer so grundlegenden und weitreichenden Form - den Ländern Gesetzgebungskompetenzen wieder zurückgegeben.
Ich nenne hierzu vor allem folgende Leitlinien des Gesetzentwurfs: weitgehende Beschränkung von Regelungen, die das Verfahren betreffen; Ermächtigung der Länder, vom Bundesgesetz abweichende Regelungen in bestimmten Rechtsbereichen zu treffen, nämlich beim Enteignungsverfahrensrecht, beim Erschließungsbeitragsrecht sowie beim Ausgleichsbetragsrecht bei der Sanierung; Abbau der Mischfinanzierung in der Städtebauförderung zum 1. Januar 1988 und Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für die förderungsrechtlichen Bestimmungen der Städtebauförderung zum gleichen Zeitpunkt. Damit hier kein Zweifel aufkommt: Alle Bundesländer haben die Entflechtung angestrebt. Alle Ministerpräsidenten haben auf der Konferenz in Bremerhaven vom 17. bis 19. Oktober 1984 diese Entmischung verlangt. Und es kann sich jetzt auch kein Land, auch kein Stadtstaat, dieser dadurch herbeigeführten Situation entziehen.
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Alle haben es gewollt. Und die Bundesregierung verhält sich länderfreundlich, beweist einen Sensus für unseren föderalen Staatsaufbau.
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Der Regierungsentwurf ist das Ergebnis einer Gesamtüberprüfung des Städtebaurechts. Was in einem Baugesetzbuch des Bundes geregelt werden muß, ist im Gesetzentwurf enthalten. Diesem Grundsatz entspricht es, daß solche Bereiche - meine Damen und Herren, darauf bitte ich zu achten -, die in anderen Gesetzen und Rechtsvorschriften zu regeln sind, in den Regierungsentwurf nicht übernommen wurden. Das gilt vor allem für die Baunutzungsverordnung. Was in einer Rechtsverordnung geregelt werden kann, gehört nicht in ein Gesetzbuch. Eine Überfrachtung des Baugesetzbuches wäre schädlich. Jedoch halte ich eine an den Grundprinzipien des Baugesetzbuches orientierte gründliche Überprüfung der Baunutzungsverordnung nach Verabschiedung des Baugesetzbuchs für erforderlich.
Die Bundesregierung hat das Verhältnis von Fachplanungsrecht und Städebaurecht eingehend geprüft. Sie hält die in das Baugesetzbuch aufgenommenen Regelungen für ausreichend. Dies gilt ebenso für das bauliche Nachbarrecht.
Lassen Sie mich mit einer grundsätzlichen Bemerkung schließen. Mein Vorgänger Paul Lücke hat bei der Beratung des Bundesbaugesetzes im Deutschen Bundestag am 20. Mai 1960 die politische Bedeutung des Städtebaurechts hervorgehoben. Er hat das Städtebaurecht als eines der bedeutsamsten innenpolitischen Aufgabenfelder bezeichnet. Es muß jedermann auch heute noch berühren, wenn er nachliest, wie es Paul Lücke damals mit einfacher und klarer Sprache gelungen ist, die für unsere freiheitliche Ordnung entscheidende Bedeutung des Städtebaurechts und der Eigentumsordnung in Abgrenzung zu unfreien Gesellschaftsordnungen offenzulegen.
Ich bedaure es, daß dieses Verständnis für die Zusammenhänge von Städtebaurecht einerseits und Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung andererseits heute bei manchen offenbar in Vergessenheit geraten ist. Denn es gilt auch heute: Das StädBundesminister Dr. Schneider
tebaurecht berührt grundlegende Bereiche unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das Eigentum ist ebenso wie die Freiheit ein elementares Grundrecht. Das Bekenntnis zum Eigentum ist eine Wertentscheidung unserer Verfassung von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat. Deshalb steht die Eigentumsgarantie in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit. Sie zielt in ihrer freiheitverbürgenden Funktion darauf, die Voraussetzungen für eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, was ich soeben mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts beschrieben habe, muß der Geist sein, von dem ein modernes Baugesetzbuch durchdrungen ist.
Ich bitte das Hohe Haus, ich bitte insbesondere die Kollegen im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau deshalb, diese Leitidee des Baugesetzbuchs zur Grundlage der weiteren parlamentarischen Behandlung werden zu lassen.
Ich danke sehr.
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Ich erteile das Wort dem Minister für Stadtentwicklung, Wohnung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Zöpel.
Minister Dr. Zöpel ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mein Eindruck, wir erleben heute wahrscheinlich das banale Ende eines sowohl ehrgeizigen wie hoffnungsvollen Vorhabens.
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- Sie sind wie immer voreilig.
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Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben Sie, Herr Bundesbauminister, angekündigt, Sie wollten als Jahrhundertwerk das Baurecht der Bundesrepublik verbessern, auf der Grundlage des Bauplanungsrechts, unter Einbeziehung anderer baurechtlicher Bestimmungen von Bedeutung.
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Diesem Vorhaben haben eigentlich fast alle, die das interessierte, optimistisch zugestimmt, die Fachwelt, die Kommunen, die Länder. Wir haben zugestimmt, weil Sie damals den Mut hatten, sich Zeit nehmen zu wollen für ein Jahrhundertwerk.
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Die sachlichen Gründe dafür lagen auf zwei Ebenen. Zum einen ist es eine selbstverständliche Aufgabe des modernen Verwaltungsstaates, dafür zu sorgen, daß seine Vorschriften nicht überhand nehmen und zeitlich bedingten Veränderungen der Wirklichkeit angepaßt werden. Zum zweiten waren wir alle der Auffassung, daß die Wirklichkeit unserer Städte und Gemeinden heute eine fundamental andere ist als in den Jahren, als das Bundesbaugesetz 1960 erstmal geschaffen wurde. Zu beiden ein paar Bemerkungen.
Der Abbau von Vorschriften ist etwas Selbstverständliches. Je komplizierter die Wirklichkeit durch technische Veränderungen, durch ständige technische Innovationen wird, desto mehr muß man gukken: Was ist überflüssig? Was muß weg? Was hemmt? Aber auch: Was gibt es noch, was eigentlich gar nicht mehr gebraucht wird? Auf der anderen Seite bleibt es ganz sicher notwendig, zu fragen: Braucht eine veränderte Wirklichkeit auch neue Vorschriften? Wer nicht beides gleichzeitig sieht, wird einseitig. Man erlebt viel, wenn man sich diesem Thema zuwendet. Man erlebt, daß es gar nicht immer der Staat ist, der für Vorschriften sorgt. Für mich ist es ein bleibendes Erlebnis gewesen, als bei der Novellierung der Bauordnung in Nordrhein-Westfalen die Baustoffindustrie erschien und gegen die Verminderung der Zahl der Bestimmungen zur Standsicherheit protestierte. Ich lernte damals, daß die Sorge um die Standsicherheit und Absatz von Beton irgendwie zusammengehören.
Aber dennoch: Wir haben daran gearbeitet, die Länder für sich. Fast alle Länder haben die Bauordnung novelliert. Wir zusammen, Herr Bundesbauminister, die Länder und Sie, arbeiten intensiv und erfolgreich daran, das Baunebenrecht der Bundesrepublik zu durchforsten. Vor allem den Normen wenden wir uns zu. Ich glaube, wir waren hier auf einem guten Wege.
Der zweite Punkt ist die veränderte Wirklichkeit. Als 1960 das Bundesbaugesetz erstmals im Bundestag beschlossen wurde, gab es 10 Millionen Wohnungen in der Bundesrepublik. Heute sind es rund 26 Millionen. Ein Land, das sich territorial nicht vergrößert hat und nicht vergrößern soll, ist ein anderes, wenn es statt 10 Millionen 26 Millionen Wohnungen hat. Seine Städte sehen anders aus. Bei gleichbleibender oder nur langsam wachsender Bevölkerung müssen wir davon ausgehen, daß die Veränderung überwiegend nicht mehr durch Zubau, sondern durch qualitative und soziale Verbesserung und Erhaltung des Bestehenden erfolgen wird. Das bedingt ein anderes Baurecht.
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- Darauf komme ich.
Das zweite ist: Ein so dicht besiedeltes und dicht bebautes Land hat andere Herausforderungen mit Blick auf den Schutz der Umwelt. Boden ist knapp geworden. Auch darüber gibt es ja keinen großen Streit. Die Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung vom Februar 1985 spricht ausdrücklich davon, daß die Inanspruchnahme von Flächen aus ökologischen Gründen begrenzt werden müsse.
An der Gestaltung dieser beiden Bereiche - Überprüfung von Normen ist eine Selbstverständlichkeit des modernen Verwaltungsstaates, und eine veränderte bauliche und ökologische Wirklichkeit erfordert ein neues Bauplanungsrecht - haben alle mitgewirkt - auch die Länder in einer Fülle
Minister Dr. Zöpel ({6})
von Arbeitskreisen -, um die Sache gut auf den Weg zu bringen.
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Dann, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jahn, kam die erste Kehrtwendung.
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Irgendwann im Jahre 1984 hatten Sie den Eindruck, daß es mit der Bauentwicklung nicht so läuft, wie Sie sich das erträumt hatten. Da dachten Sie, Sie müßten etwas Neues tun, nachdem die ganze Legislaturperiode - nehmen Sie es mir nicht übel - hinsichtlich der Bauentwicklung von der Unfähigkeit dieser Regierung, die Probleme richtig zu analysieren - und logischerweise dann von der Unfähigkeit, richtig zu handeln -, bestimmt ist.
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Für den Rückgang in der Bauentwicklung gibt es eine Menge Gründe. Sie rufen „ausgerechnet". Aber dennoch, hören Sie zu und nehmen Sie einige Fakten zur Kenntnis.
Ist es ein Wunder, daß seit Ende 1984 die Zahl der Bauaufträge und der Baufertigstellungen im Wohnungsbau zurückgeht, wenn die Finanzpolitik des Bundes auf dem Gebiet des Wohnungsbaus wie folgt verläuft? Summe der Wohnungsbauförderung des Bundes 1982 1,56 Milliarden DM, 1983 3,91 Milliarden DM - ganz toll -,
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1984 1,4 Milliarden DM, 1985 dasselbe. Von 1983 auf 1984 also ein Rückgang von gut 2,5 Milliarden DM. Wenn dann die Baukonjunktur heruntergeht, darf man sich bei diesen Zahlen der staatlichen Finanzpolitik nicht wundern. Aber Sie begannen ja, sich zu wundern.
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- Herr Möller, jede Mark ist in Nordrhein-Westfalen bewilligt worden. Das habe ich Ihnen schon oft erzählt.
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- Immer, wenn jemand laut wird, ist er sichtlich getroffen.
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Das zweite ist das Mietrecht. Sie haben zu Beginn Ihrer Regierungszeit das Mietrecht geändert mit dem erklärten Ziel, daß Mieterhöhungen dazu führen könnten, daß mehr gebaut wird. Das steht ausdrücklich in der Begründung. Inzwischen feiern Sie die Tatsache, daß dieses Ziel nicht eingetreten ist, nämlich daß Ihr Mietgesetz nicht zu Mieterhöhungen und damit nicht zu mehr Wohnungen geführt hat.
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- Das ist doch schön. Ich spreche aber davon, Herr Kollege, daß Sie 1982 das Mietrecht mit dem erklärten Ziel geändert haben, die Mieten zu erhöhen, damit mehr gebaut wird.
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Von daher wage ich an dieser Stelle eine Prognose: Sie werden in einigen Jahren behaupten, der weitere Rückgang des Bauens in der Bundesrepublik sei der große Erfolg dieses ökologischen Baugesetzbuches, das den weiteren Rückgang immer schon beabsichtigt habe. So argumentieren Sie heute auf dem Gebiet des Mietrechts.
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- Ich rege mich doch gar nicht darüber auf. Ich sehe nur, wie sehr Sie getroffen sind. Sie werden immer lauter und lauter.
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Ich spreche jetzt über den Gesetzentwurf, der dann kam. Bevor Sie ihn eingereicht haben, kam eine zweite Kehrtwendung. Sie haben nämlich selbst gemerkt, daß allein die Beschleunigung, die Sie wollten, um der Bauwirtschaft zu helfen, einer Wirklichkeit, in der auch Grüne gewählt werden, was Sie ja sehr ärgert,
({18}) nicht mehr entspricht.
Zu dem Zwischenruf: Ehrlich gesagt, mich ärgert es nicht.
({19}) Das ärgert Sie wieder; das ist mir klar.
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Sie haben selbst gemerkt, daß man damit der Wirklichkeit nicht gerecht werden kann. Deshalb kamen nun die Sprüche: die Sprüche, daß es auch ökologische Verbesserungen geben müsse, die Sprüche, daß man die Stadterneuerung umpolen müsse. Das alles kam jetzt.
Inzwischen kennen wir das alle: die große Ankündigung, ein Jahrhundertwerk solle auf den Weg gebracht werden, dann die erste Kehrtwendung, daß nur noch die Verwaltungsvereinfachung richtig sei. Dann kam die zweite Kehrtwendung: verbale Bekenntnisse zur Ökologie und zur Stadterneuerung.
Wir wollen es an dem messen, was gekommen ist. Ich fange mit der Verwaltungsvereinfachung an. Ist
Minister Dr. Zöpel ({21})
sie gelungen? Ich sage Ihnen sehr nüchtern: nein. Dazu einige Punkte. Wir haben von Anfang an gesagt - daran halte ich fest -: An dem schwierigsten Punkt des Bauplanungsrechts, nämlich dort, wo es um das notwendige Nebeneinander von wirtschaftlichen Interessen und Wohninteressen geht, wird eine Vereinfachung nur gelingen, wenn Sie gleichzeitig das Bauplanungsrecht und das Bundesimmissionsschutzgesetz und wahrscheinlich auch das Bundesnaturschutzrecht harmonisieren. Da Sie wegen der Eile völlig darauf verzichtet haben, die notwendigen Zusammenhänge von Bundesimmissionsschutzrecht und Bauplanungsrecht mit in die Beratung einzuführen, wird sich an der Wirklichkeit so gut wie nichts ändern, was nicht durch eine vernünftige Planungspraxis der Länder sowieso geregelt werden kann.
Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt betrifft das Stadterneuerungsrecht. Zu Beginn der Legislaturperiode waren Sie j a noch vernünftigerweise der Auffassung, daß jede Teilnovellierung dieses Rechtsbereichs abwegig ist. Sie haben sich dann doch dazu verleiten lassen, neben der klassischen Sanierung eine vereinfachte Stadterneuerung einzuführen.
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- Aber nicht auf Drängen von Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Möller. Die Länder haben allein aus der Problematik der Mischfinanzierung heraus gedrängt. Darauf komme ich gleich noch zurück.
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- Daß ich darauf gedrängt habe, werden Sie hier sicherlich nicht behaupten können. Wir haben immer dagegen gestimmt.
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- Wunderbar.
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- Nun hören Sie mal auf. Wir reden hier über das Bauplanungsrecht. Sie haben noch kein Geld für die Städtebauförderung ausgegeben, während es in Nordrhein-Westfalen schon Millionen waren. Sie ärgern sich doch nur, daß Sie damit zu spät gekommen sind.
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- Das ist doch alles bewilligt, Herr Jahn. Selbst in Kinderhaus wofür Sie gekämpft haben, habe ich es gemacht, damit Sie sich von mir anständig behandelt fühlen.
({27})
Aber nun zurück zum Stadterneuerungsrecht. Sie behalten die vereinfachte Stadterneuerung jetzt bei. Ich will Ihnen offen sagen: Das Stadterneuerungsrecht ist, indem Sie diese Novelle beibehalten, in einer Weise verkompliziert worden, daß damit keine Stadt mehr zurechtkommen wird. Die praktische Erfahrung lehrt: Für 90 % aller Stadterneuerungsfälle reichen das Bundesbaugesetz und eine normale Praxis der Förderung völlig, ohne jede zusätzliche Satzung.
({28})
Es bleiben 10 % übrig, bei denen Sie ein bodenrechtliches Instrumentarium brauchen, wenn Sie eingreifen wollen. Dazu braucht man das spezielle Bodenrechtsinstrumentarium des Städtebauförderungsgesetzes. Ich sage Ihnen: Die Stadterneuerung ist durch dieses Gesetz verkompliziert worden. Man wird das beste daraus machen und die Regelung, wenn man nicht auf Bundesgeld angewiesen ist, in den meisten Fällen nicht anwenden.
({29}) Das sind überflüssige Bestimmungen.
Zum dritten Punkt haben Sie sehr große Worte gefunden; Sie haben gesagt, der Nerv sei die Veränderung von der Genehmigungspraxis zur Anzeigepraxis im Verhältnis Kommune/Land. Ich muß Ihnen sagen, mich bewegt dieses Thema wenig. Es sind graduelle Unterschiede, ob da genehmigt oder angezeigt wird; das verändert das Verhältnis nicht grundsätzlich. Die Frage ist nur, ob Sie hier nicht im Grunde genommen einen Effekt erreichen, den Sie gar nicht erreichen wollen. 3 % der Bebauungspläne gehen zur Zeit vor Gericht kaputt. Der Hauptgrund dafür ist, daß entweder nicht alle Beteiligten gehört wurden oder daß falsch abgewogen wurde. Das sind die beiden wesentlichen Gründe. Genau dies wird bei der Genehmigung von den Regierungspräsidenten überprüft, und deshalb müssen alle Unterlagen geschickt werden; sonst kann man das ja nicht sehen. In Zukunft brauchen die Unterlagen nicht mehr geschickt zu werden. Nun gut, aber ich sehe eines voraus: Es wird sich die Zahl der Fälle vermehren,
({30})
in denen wegen mangelnder Abwägung oder wegen mangelnder Beteiligung vor Gericht gegangen wird.
Natürlich gibt es auch die andere Möglichkeit: Der eifrige Oberregierungsrat beim Regierungspräsidenten weiß das, was ich hier sage, und tut eines: Immer, wenn eine Anzeige kommt, ruft er an und sagt: Schickt mir die Akten. Das darf er nämlich weiterhin. Dann hat sich gar nichts geändert. Was Sie hier als den Nerv der Angelegenheit bezeichnen, ist also nichts als eine Scheinlösung, über die ich mich nicht erregen kann. Von mir aus wird Nordrhein-Westfalen der Veränderung zustimmen, nur damit Sie hier nicht das behaupten können, was Sie gerne behaupten möchten, nämlich Sozialdemokraten hätten etwas gegen die Gemeinden.
({31})
- Regierungspräsidenten sind nachgeordnete Behörden der obersten Landesbehörden. Das ent14314
Minister Dr. Zöpel ({32})
spricht dem Wählerauftrag. Das verstehen die manchmal falsch, weil sie sich immer für auf Dauer installierte Kleingötter halten.
({33})
- Sehen Sie, herrlich, jetzt habe ich es endlich geschafft, Sie zufriedenzustellen. Das macht mir Freude.
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- Nein, ich bin nicht schnell zufriedenzustellen, aber der Kollege war heute morgen so schlecht gelaunt, und da ist es doch etwas Wichtiges, daß wir ihn für eine Stunde in gute Laune versetzen.
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- Klasse!
Nun zum letzten Punkt, zur Mischfinanzierung. Wir in Nordrhein-Westfalen freuen uns darüber, daß die Bundesregierung entsprechend den Abreden damit weitermacht, die Mischfinanzierung abzubauen. Man muß natürlich eines sagen: Die Eile der Angelegenheit hat - das hat ja jetzt selbst das finanzstarke Baden-Württemberg im Bundesrat beunruhigt - dazu geführt, daß es bisher keine Ausgleichsregelungen gibt. Das hat mit der Eile zu tun, und ich füge noch hinzu: Für mich ist Abbau von Mischfinanzierung nicht so wichtig wie Abbau von Mischkompetenz, und da haben Sie gar nichts geleistet.
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- Herr Posser ist mit mir völlig einer Meinung, vor allem in bezug auf den Abbau der Mischkompetenz. Wenn ich sage, Abbau von Mischkompetenz ist das Wichtigste, was wir in der Bundesrepublik zur Entbürokratisierung tun können, so habe ich das nicht selbst erfunden, sondern davon hat mich der frühere rheinland-pfälzische Finanzminister Gaddum überzeugt, dessen Thema es war, daß die Mischkompetenz in dieser Republik das eigentliche bürokratische Hemmnis ist.
Lassen Sie mich, da ich bei der Bürokratisierung bzw. bei ihrem Abbau bin, zum Schluß nur noch bei einer Petitesse ankommen, die ein bißchen dokumentiert, was Sie hier so als großen Erfolg ausgeben. Da erwähnen Sie als Erfolg, daß in § 126 der Abs. 3 entfallen soll. Was steht da? Daß demnächst Häuser keine Hausnummer mehr haben müssen! Dazu zwei Bemerkungen: Ob es wirklich der Entbürokratisierung dient, wenn Häuser keine Hausnummer mehr haben, wenn die Post und die privaten Zusteller von Briefen und Waren deswegen länger suchen müssen, will ich nicht abschließend beurteilen. Aber das Ganze ist auch nicht schlimm, denn die meisten Länder haben dafür ein Gesetz und werden es vermutlich auch nicht ändern.
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- Ja, das ist natürlich ein Vorteil, Herr Kollege. - Es wird sich also nichts ändern, und das ist wohl der eklatanteste Beweis dafür, wie hier angeblich etwas vereinfacht wird, im Grunde aber nur in aller Eile Dinge zusammengeschrieben werden.
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Lassen Sie mich damit zu der Frage kommen: Gibt es hier tatsächlich Verbesserungen? Eines will ich, bevor ich auf die ökologischen Fragen zu sprechen komme, einwenden: Wenn - was manchmal auch Sie sagen, wir Sozialdemokraten aber sicher öfter - Konflikte dadurch gelöst werden sollen, daß man Bürger an einem rationalen Prozeß beteiligt, darf man nicht zugleich die Partizipation beim Bauplanen vermindern. Das tun Sie, indem Sie § 34 erleichtern. Erleichterungen in § 34 sind letztlich nichts anderes als Ausschaltung der Bürger aus der Bauplanung. Das ist der eigentliche Grund, und das ist hier so gemeint.
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- Wissen Sie, ich habe da inzwischen vielleicht mehr Erfahrung als Sie, Herr Landrat.
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Nun aber zur Frage der Ökologie. Sie haben eben Ihre Ankündigung der ökologischen Verbesserung wieder vorgetragen. Sie haben wieder von Freiraumschutz gesprochen. Gucken Sie in das Gesetz: Wer einerseits davon spricht, der Bodenverbrauch in dieser Republik müsse gemindert werden, und wer dann das Bauen im Außenbereich nach § 35 erleichtert, der handelt genau entgegengesetzt,
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denn Bauen im Außenbereich erleichtert den Flächenverbrauch.
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Wer es nach § 34 ermöglicht, daß in mehr Fällen als bisher ungeplant gebaut werden kann, der wird der Möglichkeit, in den Städten ökologischen Belangen Rechnung zu tragen, nicht gerecht. Hier liegt der eigentliche zentrale Widerspruch dieses Gesetzes. Es stellt ganz eindeutig eine ökologische Verschlechterung dar, und das sagt Ihnen jeder, der sich damit beschäftigt hat.
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- Herr Kollege, im Außenbereich gibt es keine Baulücken.
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Minister Dr. Zöpel ({45})
Der unbebaute Außenbereich kann schlecht Baulücken enthalten. Der Begriff Baulücke fällt unter § 34.
Weil das so ist und weil die völlig unsachgemäße Beschleunigung, die Sie der Sache gegeben haben, viel damit zu tun hat, daß Sie einen Scheinerfolg brauchen, werden Sie nun sagen, meine Kritik sei eine Scheinkritik der Sozialdemokraten. Das werden Sie sagen, ich will Sie nur nicht so schnell davonkommen lassen. Der stellvertretende Vorsitzende des Bausenats beim Bundesverwaltungsgericht, Schlichter, schreibt zu Ihrem Entwurf:
Der rechtliche Ertrag der Straffung und Vereinfachung des Baurechts wird voraussichtlich nicht allzu hoch sein. Dieser Ertrag ist mit einem hohen Preis zu bezahlen, nämlich mit dem Preis, den jede Novellierung mit sich bringt. Es wird nämlich ein lang andauernder und mühsamer Prozeß der Auslegung der neuen Vorschriften, ihrer Umsetzung in die Praxis einsetzen. Was auf der einen Seite durch Straffung und Vereinfachung an Rechtssicherheit gewonnen scheint, wird auf der anderen Seite durch Aufgabe eines rechtlich weitgehend geklärten Bestandes an Rechtssicherheit verspielt.
So Schlichter zu Ihrem Ziel der Vereinfachung, also nix.
Als zweites schreibt er:
Der Verfeinerung des Städtebaus nach innen würde eher ein Beibehalten der bisherigen strengen Vorschriften entsprechen als eine Entfeinerung des Städtebaurechts. Die Revitalisierung der Städte und Gemeinden läßt sich nur durch eine besonders sorgfältige Planung und eine besonders behutsame Genehmigungspraxis erreichen. Es muß deshalb bezweifelt werden, daß das Ziel, das Städtebaurecht den heutigen Anforderungen des Städtebaurechts anzupassen, nämlich vornehmlich Stadterneuerung und nicht Stadterweiterung zu betreiben, mit dem Entwurf des Baugesetzbuches erreicht werden kann.
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Wenn Sie schon mir nicht folgen, Herr Kollege Schneider, folgen Sie diesem Sachverstand, kehren Sie zu Ihren ehrgeizigen und hoffnungsvollen Ansätzen von 1983 zurück, ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück. Sie würden dem Bauen in der Bundesrepublik Gutes tun.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP erwartet von der Neuf as-sung des Baurechts, daß die Förderung der künftigen Entwicklung unserer Städte und Gemeinden deutlich verbessert und neu auftretenden Bedürfnissen gerecht wird, die Planverwirklichung beschleunigt wird und die notwendigen vereinfachten Instrumentarien geschaffen werden, ohne den
Rechtsschutz abzubauen und die notwendige Ausgleichsfunktion des Städtebaurechts für die verschiedenen von städtebaulichen Maßnahmen berührten privaten und öffentlichen Belange in Frage zu stellen. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein neues Baugesetzbuch ist ein wesentlicher Schritt zur Fortentwicklung der bundesgesetzlichen einschlägigen Rechtsvorschriften - ich betone: der bundesgesetzlichen Normen - in einem Gesetz. Besonders die Zusammenfassung von Bundesbaugesetz und Städtebauförderungsgesetz führt zu einer erheblichen Minderung der Zahl bestehender Rechtsvorschriften, vor allem durch den Abbau von bisher parallelen Regelungen.
Bauordnungsrecht und technische Normen, Rechtsvorschriften, die den einzelnen Bauherrn oft mehr tangieren als das eigentliche Städtebaurecht, fallen allerdings nicht in die Zuständigkeit des Bundes.
({0})
Wir müssen daher in der Öffentlichkeit den Eindruck vermeiden, der Bund werde ein einheitliches Regelwerk schaffen, das alle das Bauen betreffende Vorschriften enthält.
({1})
Der Bund hat sich auf das eigentliche Städtebaurecht zu beschränken.
Zur Verwirklichung der genannten Ziele, insbesondere zur Erleichterung des Bauens, der Rechts-und Verwaltungsvereinfachung und zum Abbau von nicht unabweisbar erforderlichen Bestimmungen - alles, was man unter dem Stichwort „Entbürokratisierung" zusammenfassen kann -, sind parallel zu den Bemühungen des Bundes auch die Länder gefordert.
({2})
Bund und Länder müssen am gleichen Strang ziehen, Herr Minister. Notwendig ist es, die Aufgaben zwischen Bund und Ländern sinnvoll abzugrenzen, besonders im Hinblick auf den Abbau der Mischfinanzierung im Bereich des Städtebaus. Die FDP unterstützt ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung und der Länder, die Mischfinanzierung zum 1. Januar 1988 abzubauen.
({3})
Für Liberale ist die Mischfinanzierung schon lang eine unbefriedigende Form der Finanzierung öffentlicher Aufgaben, ganz gleich, in welcher Form sie erfolgt, weil sie die Verwendung von Steuermitteln
({4})
der parlamentarischen Kontrolle entzieht. Die Aussicht, zur Durchführung einer Maßnahme Geld zu bekommen, verführt dazu, Projekte in Angriff zu nehmen, die bei einer selbstverantwortlichen Finanzierung durch die betroffene Gemeinde even14316
tuell unterblieben oder doch sorgfältiger abgewogen worden wären,
({5})
als es in der Vergangenheit bei der Mischfinanzierung häufig der Fall war. Die Verlagerung der Entscheidung auf die Gremien am Ort, die dann die volle Verantwortung für ihre Maßnahmen zu tragen haben, ist eine alte liberale Forderung.
Die Grauzone der Mischfinanzierung gilt es so schnell wie möglich abzuschaffen. Das Baugesetzbuch schafft hierfür die erforderlichen Voraussetzungen. Der Gesetzentwurf grenzt die bisherigen Förderungstatbestände bereits aus. An die Bundesregierung und die Länder geht unser Appell, sich über den entsprechenden Ausgleich fristgerecht zu einigen.
Herr Minister Zöpel, zur Mischfinanzierung möchte ich Sie an ein altes Sprichwort erinnern: Wer zahlt, schafft an. Ergo bedeutet Entmischung eine Regelung der Kompetenzen. Ansonsten muß ich Sie allerdings auch daran erinnern, daß die Verteilung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern ja im Grundgesetz geregelt ist. Zu beachten sind also einerseits die Finanzierung - wer zahlt, schafft an - und andererseits die Kompetenzregelung im Grundgesetz.
Dem Bundesbauminister ist für die zügige Absprache zwischen Bund und Ländern, aber auch für die Beteiligung der Praxis zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu danken. Nur so ist die außerordentlich frühzeitige Vorlage des Gesetzes zur Beratung im Bundestag möglich geworden.
Daß einige SPD-regierte Länder sich in der letzten Zeit nicht mehr an der Beratung dieses Gesetzentwurfs beteiligt haben, ist im Interesse der Sache außerordentlich zu bedauern.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ein Interesse, wie es die Praxis fordert, an einer zügigen Vereinfachung und Entbürokratisierung des geltenden Rechts haben, sollten Sie sich konstruktiv um eine rasche Beratung bemühen.
Wir von der FDP sind uns der Bedeutung des Baugesetzbuchs für die Verstetigung und Belebung der Bautätigkeit sehr wohl bewußt.
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Die FDP wird sich daher aktiv an der Beratung beteiligen.
Es gibt allerdings keinen Grund, die Verabschiedung des Gesetzbuchs unter Zeitdruck durchzupeitschen und damit eine durchdachte und vorausschauende Gesetzgebung aufs Spiel zu setzen.
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Ich meine aber, daß die Zeit auch bei einer intensiven Diskussion ausreichen wird, um das Gesetz noch in dieser Wahlperiode zu verabschieden.
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Daß die Neufassung des Baugesetzbuches nicht ohne Konzessionen an die Länder, die dem Gesetz ja zustimmen müssen, durchzusetzen ist, liegt auf der Hand. Ob die vorgesehene Ermächtigung der Länder, innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes in Bereichen des Enteignungsverfahrensrechts, für Teile des Erschließungsbeitragsrechtes sowie für das Ausgleichsbeitragsrecht in der Sanierung landesrechtliche Regelungen an die Stelle der bundesrechtlichen Regelungen treten zu lassen, sinnvoll ist oder nicht, werden wir im Laufe dieses Gesetzgebungsverfahrens sicherlich noch sehr ausführlich und detailliert in enger Zusammenarbeit mit den Ländern erörtern müssen.
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Das Städtebaurecht wie auch das Bauordnungsrecht sind in eine Vielzahl von weitgehend gesetzlichen, also politisch gewollten Rahmenbedingungen eingeordnet, die sowohl die Bauleitplanung als auch die Genehmigung von Einzelvorhaben zumeist weitgehend beeinflussen oder bestimmen.
Parallel zur Beratung des Entwurfs des Baugesetzbuches soll auch die Baunutzungsverordnung überprüft werden. Nach Auffassung der FDP muß an dem Grundsatz festgehalten werden, daß die Baunutzungsverordnung allein raumplanerischen und städtebaulichen Zielsetzungen dienen darf und daß eine wettbewerbsneutrale Anwendung gewährleistet sein muß. Insbesondere § 11 Abs. 3 der Baunutzungsverordnung darf deshalb kein Instrument für wettbewerbslenkende Eingriffe im Handelsbereich sein. Umgekehrt darf aber auch nicht verkannt werden, daß eine geordnete städtebauliche Entwicklung auch eine verbrauchernahe Versorgung mit den Gütern des täglichen Lebens sicherstellen muß, so daß letztendlich eine lupenreine Trennung zwischen städtebaulichen und wettbewerbspolitischen Zielsetzungen nicht möglich ist.
Bei der Novellierung der Baunutzungsverordnung wird man sich insbesondere damit auseinandersetzen müssen, ob für die aufgezeigte schwierige Gratwanderung zwischen städtebaulichen und wettbewerbspolitischen Zielsetzungen quantitative Abgrenzungskriterien durch qualitative ersetzt oder ergänzt werden können. Die FDP mißt den mittelständischen Betriebsformen des Einzelhandels und des Handwerks im Rahmen unserer Wirtschaftsordnung eine besondere Bedeutung zu. Für eine ausgewogene und den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechende Versorgung sind auch die planungsrechtlichen Vorschriften des Bundesbaugesetzes und der Baunutzungsverordnung von Bedeutung. Sie müssen so ausgestaltet sein, daß auf ihrer Grundlage eine den städtebaulichen Erfordernissen entsprechende Ansiedlung von Betrieben des Einzelhandels gewährleistet werden kann.
Bereits die bestehende Rechtslage erlaubt weitgehende Eingriffe in die Standortentscheidung von Einzelhandelsunternehmen. Offensichtlich scheinen jedoch viele Bau- und Landesplanungsbehörden das vorhandene rechtliche Instrumentarium nicht genügend auszuschöpfen, um unliebsame Erscheinungen bei der Ansiedlung von großflächigen Verkaufszentren im unbeplanten innerstädtischen bzw. dörflichen Bereich vorzubeugen.
Andererseits sollte fairerweise nicht verschwiegen werden, daß in dem einen oder anderen Fall die Nichtausschöpfung aller Planungsmöglichkeiten geboten sein kann, um wirtschaftliche Nachteile für die Gemeinde zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, ich teile die Auffassung des Bundesbauministers, daß der Schwerpunkt der Bemühungen um Verwaltungsvereinfachung beim Bau nicht im Städtebaurecht, sondern in den vielfältigen sonstigen baurechtlichen Bestimmungen liegt. Wenn wir uns heute noch über zu hohe Mietpreise beklagen - darüber werden wir uns j a gleich noch unterhalten -, so sollten wir nicht vergessen, daß das Steigern von Standards durch Normvorschriften mit dazu beigetragen hat. In diesem Bereich haben Fachpolitiker mit Fachverwaltungen und Fachverbänden ohne intensive Kontrolle durch die Nachfrager Qualitätsniveaus autonom weiterentwickelt mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Baukosten.
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Nimmt man dazu noch die durch das Städtebauförderungsgesetz - hinzu kamen allerdings auch noch steuerliche Maßnahmen - forcierte Wohnungsmodernisierung, die zudem zeitweise die einzige Möglichkeit zur Überwindung des Mietpreis-stops war, so braucht man sich nicht zu wundern, daß im Zuge der Modernisierung von Altbauwohnungen billiger Wohnraum vernichtet und bei der Errichtung neuer Wohnungen nach den DIN-Normen nur noch teure Wohnflächen angeboten wurden, alles eine Folge falscher Datensetzung durch Politik und Verwaltung. Wir dürfen daher in den Bemühungen, das Baunebenrecht und die geltenden technischen Baunormen den jeweiligen Verfahren anzupassen und überhöhte oder überflüssige bauliche Anforderungen abzubauen, nicht nachlassen.
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Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, daß die Bundesregierung parallel zu den Arbeiten am Baugesetzbuch die erforderlichen Initiativen ergriffen hat.
Meine Damen und Herren, der Entwurf des Baugesetzbuches bringt entscheidende Vorteile gegenüber den bestehenden Regelungen. Zu nennen sind die Anerkennung der Stadterneuerungsaufgaben als Daueraufgaben im Städtebau durch Aufnahme in das Baugesetzbuch, Verbesserungen bei den Bestimmungen über die Zulässigkeit von Vorhaben sowie im Recht der Bodenordnung und der Erschließung, Verbesserung der Berücksichtigung des Denkmalschutzes insbesondere bei der Bauleitplanung, im Recht der Erhaltungssatzung und im Sanierungsrecht, die Stärkung der Planungshoheit der Gemeinden - zu nennen sind hier insbesondere die verfahrens- und materiellrechtlichen Erleichterungen für die Aufstellung der Bauleitpläne -, die Erhöhung des Spielraums der Gemeinden, statt mit Bebauungspläne mit weniger aufwendigen Instrumenten die städtebauliche Ordnung zu sichern, und die Einführung des Anzeigeverfahrens bei Bebauungsplänen, die auf der Grundlage von Flächennutzungsplänen aufgestellt werden. Weitere Aufzählung will ich mir hier ersparen.
Insgesamt ist festzustellen, daß der vorliegende Entwurf eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand bringt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Werner ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Regierung kommt eilig und hochtrabend daher, hochtrabend schon allein wegen des Namens Baugesetzbuch.
({0})
Das suggeriert Großartigkeit, wenn nicht sogar Größe; fast denkt man an die steinernen Gesetzeswerke das Hammurabi von Babylon, für Ewigkeiten geschrieben. Sie können froh sein, wenn es eine Wahlperiode überleben wird.
Das der Antrag auch eilig daherkommt, hat der Antragsteller selbst beschlossen, nach Art. 76 des Grundgesetzes. Dazu braucht man eine Begründung ja nicht zu geben.
Wir GRÜNEN haben diesen Gesetzentwurf geprüft. Wir haben ihn selbstverständlich besonders darauf überprüft, ob die einzelnen Vorschriften dem entsprechen, was die Regierung als Zielsetzung dieses Baugesetzbuches angekündigt hat. Diese Ankündigungen waren ja recht vollmundig. Da war z. B. die Rede von Rechts- und Verwaltungsvereinfachungen, von Beschleunigung und Vereinfachung der Bauleitplanung, von Erleichterung des Bauens, von Stärkung der Planungshoheit der Gemeinden, aber auch von Stärkung des vorsorgenden Umweltschutzes. In dieser Aufzählung darf aber ein besonders schöner Satz nicht fehlen: „Der elementare Grundsatz des Städtebaurechts ist die Baufreiheit." - Nun, wir werden sehen, welche Freiheit da wohl gemeint ist.
Untersuchungen zeigen, daß die Baufreiheit vorrangig z. B. durch DIN-Normen eingeengt wird, die eher der Baustoffindustrie dienen. Dieser Bereich ist aber nicht Gegenstand der vorgelegten Reform; vielmehr sind es planungsrechtliche Vorschriften, die aber in der Praxis doch als weniger einengend eingestuft werden als diese DIN-Normen. Da im Vorfeld der Diskussionen um das Baugesetzbuch erkennbar wurde, daß Einschränkungen der planungsrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten nicht durchsetzbar waren, wurde die Durchsetzung der Interessen der Bauinvestoren durch erleichterte Zulässigkeit und mehr Ausnahmen für Bauvorhaben eingeführt. Baufreiheit bedeutet demnach Bauen mit weniger gesetzlichen Abwägungsgeboten. Baufreiheit bedeutet Bauen ohne Rücksichtnahme auf Natur- und Umweltschutz.
Werner ({1})
Dies zeigt sich an den sogenannten Zulässigkeiten von Vorhaben, wie sie im Baugesetzbuch neu geregelt werden sollen. Bisher mußte eine Befreiung von den Festsetzungen in einem Bebauungsplan durch städtebauliche Gründe „gerechtfertigt" sein. Nunmehr müssen alle atypischen Fälle nur noch „vertretbar" sein. Mit diesem unbestimmten Rechtsbegriff wurde den Investorinteressen die Tür geöffnet, und die bekannten Kungeleien zwischen Investoren und Kommunalpolitikern, die j a eigentlich das große Problem der ganzen Bauplanung darstellen, werden gewaltig erleichtert.
In Zukunft soll es bereits genügen, daß nach dem Gemeindebeschluß, einen B-Plan aufzustellen, ein Vorhaben genehmigt werden kann. Dazu wird es nicht notwendig sein, daß eine öffentliche Auslegung der Pläne stattgefunden hat bzw. daß die Träger öffentlicher Belange - z. B. Naturschutzbehörden - zu diesem Einzelvorhaben Stellung nehmen können. Das heißt: Zur Genehmigung soll es genügen, daß allein der Beschluß ausreicht, irgendwann einen B-Plan aufzustellen. Demokratische Beteiligungsmöglichkeiten und z. B. die Berücksichtigung von Umweltschutzbelangen bleiben da auf der Strecke.
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In den Erläuterungen zu dem Gesetzentwurf sind zwar Verweise auf eine vorher notwendige Abklärung mit informellen Planungen sowie ein verbindliches Abwägungsgebot enthalten, jedoch ist dies kein Bestandteil des Gesetzes, und damit ist es also auch nicht rechtsverbindlich. Nachbarn können eine Stellungnahme abgeben, sofern sie nicht schon vorher Gelegenheit hatten bzw. sie schon z. B. durch Wettbewerbsergebnisse oder ähnliches vorher unterrichtet wurden.
Der Erhalt von Freiflächen im Außenbereich wird dadurch gefährdet, daß nach den Vorstellungen der Regierung sogenannte Splittersiedlungen durch eine Gemeindesatzung als Bauflächen zusammengefaßt werden können. Damit werden die Belange des Bodenschutzes im Außenbereich weiter zurückgedrängt. In Konflikten zwischen Wohn-und Gewerbenutzungen sollen die betrieblichen Interessen Vorrang erhalten. Erweiterungen, Änderungen und Nutzungsänderungen von bestehenden Betrieben sollen ohne Bebauungsplan zulässig werden,
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wenn das Vorhaben einem Betrieb dient - so steht es in dem Gesetz ({4})
und wenn es städtebaulich vertretbar ist. Öffentliche Belange des Umweltschutzes können sich bei der Erneuerung von Betriebsanlagen aber nur dann durch den neuesten Stand der Technik durchsetzen, wenn eine Genehmigungspflicht nach § 24 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vorliegt. Ist diese Genehmigungspflicht nicht gegeben, sind die betrieblichen Interessen vorrangig.
Von größter Bedeutung für den Umweltschutz ist die geplante Regelung der zulässigen Erweiterung von gewerblichen Betrieben im sogenannten Außenbereich. Bisher muß die Erweiterung für die Fortführung des Betriebes „notwendig" sein. Nach der geplanten Neufassung muß die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Baubestand nur noch „angemessen" sein, um genehmigt zu werden.
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Da in diesen Gebieten nur geringere Auflagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz bestehen, wird einerseits die Umwelt zusätzlich gefährdet, andererseits erhalten diese Betriebe zusätzliche wirtschaftliche Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten, die nicht im Außenbereich sind. Hinzu kommt, daß gegenteilige Festlegungen in Flächennutzungsplänen oder Landschaftsplänen die Genehmigung nicht verhindern können. Gleiches gilt auch für Beeinträchtigungen der natürlichen Eigenart der Landschaft.
Da Betriebserweiterungen mit der Neufassung des Baugesetzbuchs nicht mehr verhindert werden können, wird als Deckmantel für den Umweltschutz ein neues Kriterium eingeführt: flächensparende und den Außenbereich schonende Bauweise. Gerade aber das Kriterium der flächensparenden Bauweise wird andererseits für B-Pläne, in denen Gewerbegrundstücke ausgewiesen werden, als nicht sachgerecht abgelehnt. Das Baugesetzbuch bietet daher für den Bodenschutz im Außenbereich keine Entlastung.
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Vielmehr wird die Ausweitung der landwirtschaftlichen und Industrienutzung erleichtert. Ich sehe schon die großen Mästereien usw. im Außenbereich auf uns zukommen. Mögliche Alternativen, z. B. Flächenrecycling, werden durch dieses Gesetz verhindert. Baufreiheit ist hier Investorfreiheit gegen den Natur- und Umweltschutz.
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Wie die Baufreiheit eine Kampfansage an den Umweltschutz darstellt, so entpuppt sich die angekündigte Entbürokratisierung nicht z. B. als Abschaffung überflüssiger DIN-Normen, sondern als Angriff gegen eine demokratische Bürgerbeteiligung im Planungsprozeß. Das bisherige Bundesbaugesetz enthält definitive Vorgaben und Hinweise für die Form der Bürgerbeteiligung und den Inhalt der Sozialpläne, die somit ein einklagbares Recht darstellen. Das Baugesetzbuch enthält dagegen nur noch unspezifische Begriffe. Muß die Gemeinde bisher nach § 13a des Bundesbaugesetzes bei der Aufstellung von Sozialplänen namentlich Berufs-, Erwerbs- und Familienverhältnisse, Lebensalter, Wohnbedürfnisse, soziale Verflechtungen sowie örtliche Bindungen berücksichtigen, so heißt es heute im Entwurf zum Baugesetzbuch nur noch: „Die Gemeinde hat den Betroffenen bei ihren eigenen Bemühungen, nachteilige Auswirkungen zu vermeiden oder zu mildern, zu helfen". Das Baugesetzbuch enthält somit nur noch unspezifische Begriffe, die keine eindeutigen Verfahrens- oder UnWerner ({8})
tersuchungsnormen darstellen, an die sich die Gemeinden im Planungsprozeß zu halten haben. Die Beschneidung der Beteiligungsrechte wird das Gegenteil von Entbürokratisierung bewirken, da bisher noch viele Konflikte im Vorfeld des Planungsprozesses aufgefangen wurden. Insofern ist das eigentliche Ziel dieses Gesetzentwurfes eine Entdemokratisierung.
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Aus der öffentlichen Darlegung und Anhörung wird die Unterrichtung über den geplanten Bebauungsplan. Diese Unterrichtung wird nicht mehr nötig, wenn sie bereits vorher auf anderer planerischer Grundlage erfolgt ist. Dies kann z. B. durch eine Entwicklungsplanung geschehen, die wesentlich ungenauer sein kann als ein B-Plan. Auch ein städtebaulicher Wettbewerb könnte demnach als Grundlage für einen B-Plan gelten, so daß eine Beteiligung der Bürger entfallen könnte.
Diese Entrechtung ist vor dem Hintergrund der ausgeweiteten Möglichkeiten zu sehen, Bauvorhaben durch Befreiungsregeln an dem Bürger vorbei zu bewilligen. In diese Tendenz greift auch die schon seit 1979 bestehende Regelung ein, daß Verfahrensfehler bei der Bürgerbeteiligung keinen Grund mehr darstellen, den B-Plan abzulehnen. Hierunter kann auch die fehlerhafte Einschätzung der Verwaltung fallen, daß es sich bei den geplanten Änderungen in einem B-Plan nur um eine „unwesentliche" Änderung handele. Bei diesen unwesentlichen Änderungen können auch die Träger öffentlicher Belange von einer erneuten Anhörung ausgeschlossen werden.
Die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten der Bürger wird faktisch zudem dadurch erschwert, daß parallel zur Bürgerbeteiligung die Träger öffentlicher Belange gehört werden können. Problematisch ist dies besonders unter dem Blickwinkel von Informationsvorsprüngen der beteiligten Träger öffentlicher Belange, die selbstverständlich schon immer bestanden haben. Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung werden Beteiligungsrechte beschnitten, ohne daß das verlautbarte Regierungsziel einer Beschleunigung der Planungsprozesse erreichbar wird, da sich viele Konflikte vom Planungsverfahren in die Gerichte hineinverlagern werden.
Der proklamierte Zuwachs an kommunalen Handlungsmöglichkeiten besteht zumindest partiell beim Verfahren der Planaufstellung, da bestimmte Formvorschriften und Genehmigungspflichten entfallen. Gleichzeitig aber werden wichtige Instrumente zur Planrealisierung, z. B. das Vorkaufsrecht, wesentlich beschnitten. So werden die eigenen Ziele wieder konterkariert. Das Verfahren der Planaufstellung unterliegt weniger Regelungen. Insbesondere sollen die Darstellungen, d. h. die Inhalte im Flächennutzungsplan und im Bebauungsplan, nur noch eine sogenannte Ermächtigungsnorm, aber keine eigenständige rechtliche Verpflichtung für die Gemeinde darstellen. Der Einfluß der Verwaltungen gegenüber dem Rat wird möglicherweise gestärkt, da im Baugesetzbuch z. B. nicht klargestellt ist, wer den Aufstellungsbeschluß zu einem Bebauungsplan fassen wird. Dies verstärkt den Verwaltungseinfluß gerade für Bewilligungen während der Planaufstellung. Nur der Festsetzungsbeschluß verbleibt beim Gemeinderat.
Unklar bleibt auch, ob die Verwaltung oder der Rat bei Bewilligungen ohne Bebauungsplan das Einvernehmen versagt. Die zulässigen Gründe, eine Bewilligung nach den §§ 31 und 33 bis 35 zu versagen, sind zudem enger gefaßt worden. Da hier für die Gemeinden die Gefahr von Schadensersatzforderungen besteht, wird die Planungshoheit der Gemeinden letztlich wieder eingeschränkt, was von einer faktischen Entmachtung des Gemeinderates begleitet wird. Die Möglichkeiten bzw. der Zwang zu Befreiungen vom Bebauungsplan ausschließlich zugunsten von Investorinteressen werden ausgeweitet.
Von den erweiterten kommunalen Handlungsmöglichkeiten bleibt wenig übrig, wenn man die Mittel zur Planrealisierung in Betracht zieht. Hierzu dienen u. a. die kommunalen Vorkaufsrechte. Die Vorkaufsrechte im Plangebiet sind jetzt auf Flächen für öffentlichen Bedarf eingeschränkt. Damit entfallen z. B. Aufkäufe für ein Flächen-Recycling. In einem Planaufstellungsgebiet sollen in Zukunft keine Vorkaufsrechte mehr gelten können; bisher § 24 Abs. 1 Bundesbaugesetz. Gleichfalls soll das Vorkaufsrecht für Austausch- und Ersatzland ersatzlos gestrichen werden. Können Vorkaufsrechte bisher noch zur Verwirklichung von städtebaulichen Erhaltungszielen im gesamten Gemeindegebiet geltend gemacht werden, so soll dies nunmehr auf Gebiete mit einer Erhaltungssatzung beschränkt werden.
Ein weiteres Instrument zur Begrenzung des Bodenpreisanstiegs, das preislimitierte Vorkaufsrecht, § 28 a des Bundesbaugesetzes, soll bis auf die Anwendung auf Grundstücke für öffentliche Zwecke beschnitten werden. Diese Grundstücke können aber jetzt schon durch ein Enteignungsverfahren in Gemeindebesitz übergehen. Die zukünftigen Handlungsmöglichkeiten der Gemeinden werden sich nach ihrer finanziellen Ausstattung bzw. nach den jeweiligen Länderzuweisungen richten, da sich der Bund ab 1988 aus der sogenannten Mischfinanzierung zurückziehen wird.
Fazit: Die vollmundigen Ankündigungen von Bundesbauminister Oscar Schneider, eine Jahrhundertreform des Städtebaurechts vorzulegen, haben sich für uns als Großangriff gegen den Umweltschutz und die demokratischen Rechte der Bürger entpuppt.
(Beifall bei den GRÜNEN - Dr.-Ing.
Na, na!)
Übrigens ist mir eine Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft Baugesetzbuch" der Umweltministerkonferenz vom August und September 1985 bekannt, die unserem Ausschuß so bisher noch nicht bekannt ist, die zu einer ganz ähnlichen Beurteilung dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung
Werner ({0})
kommt. Also, ein Jahrhundertwerk ist dieser Entwurf wahrlich nicht.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dörflinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Vorbereitung meines heutigen Redebeitrages hatte ich an sich die Absicht, eine nicht unbeträchtliche Zeit der Rede des nordrhein-westfälischen Ministers Zöpel zu widmen. Ich habe allerdings die Befürchtung, daß ich den Inhalt seiner Rede überschätzt hatte, weil er eine sportliche Disziplin in die Politik übernommen hat, die allerdings für Nordrhein-Westfalen typisch ist, nämlich einen Slalom. Nur ist es ihm gegangen wir seinem Chef: Bei der dritten Torstange hat er eingefädelt, ist anschließend ausgeschieden.
({0})
Herr Minister Zöpel hat von Kehrtwendungen gesprochen. Die bemerkenswerteste Kehrtwendung scheint mir zunächst einmal darin zu liegen, daß Herr Minister Zöpel auf rhetorische Rundschläge verzichtet hat. Offenbar merkt er, daß das, was wir mit diesem Gesetz vorhaben, draußen so schlecht nicht ankommt. Was er ausgeführt hat, steht auch in einem merkwürdigen Kontrast zu dem, was er am 25. September seinen Beamten mitgeteilt hat, daß sie die Mitarbeit am Baugesetzbuch einstellen sollen.
({1})
Aber die Rede des Herrn Ministers hat natürlich auch einige Widersprüche enthalten. Ich möchte sie ganz kurz darstellen. Er hat im Zusammenhang mit der Vorlage, die Herr Minister Schneider erläutert hat, von einem ökologischen Baugesetzbuch gesprochen.
({2})
Andererseits beschuldigt er ihn, den Bereich Umweltschutz vernachlässigt zu haben. Er wird darin nur noch von den GRÜNEN übertroffen. Einerseits spricht er von der selbstverständlichen Pflicht, Vorschriften abzubauen, andererseits hat er hier gegen die in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Erleichterungen Stellung genommen. Er preist die Bürgerbeteiligung, traut aber den Gemeinden und den Vertretern der Bürger in diesen Gemeinderäten überhaupt nichts zu.
({3})
Er kommt zu dem Ergebnis, daß das, was er vortrage dazu veranlassen müsse, den Gesetzentwurf zurückzuziehen.
Nein, meine Damen und Herren, das was Sie, Herr Minister Zöpel, zur Begründung dessen vorgetragen haben, daß dieser Entwurf zurückgezogen werden müsse, bestärkt uns in unserer Überzeugung, daß dieser Gesetzentwurf richtig ist und daß er unsere Unterstützung verdient.
({4})
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt sowohl die generellen Intentionen als auch die konkreten Inhalte des Entwurfs für ein neues Baugesetzbuch. Sie anerkennt darüber hinaus aber auch ausdrücklich den gelungenen - ich meine sogar, beispielhaften - Versuch, bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens Sachverstand auf den verschiedensten Ebenen zu mobilisieren, aus ihm resultierende Alternativen sorgfältig abzuwägen und in den Gesetzentwurf einzuarbeiten.
Nach unserer Auffassung hat die Bundesregierung aber auch gut daran getan, auf das Ergebnis früherer Ausschußberatungen zurückzugreifen und in der Systematik des Bundesbaugesetzes vorzugehen. Das erleichtert und beschleunigt unsere Beratungen in den Ausschüssen, erleichtert aber auch - und das ist noch wichtiger - die spätere Anwendung dieses Gesetzes in der Praxis.
({5})
Wir sind der Meinung, daß die Gesamtüberholung des Städtebaurechts jetzt möglich und sinnvoll ist. Wir sind uns darin mit den kommunalen Spitzenverbänden einig, die wiederholt gefordert haben, auf der Grundlage der Erfahrungen kommunaler Praxis das Baugesetzbuch möglichst noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Meine Damen und Herren, würde sich das Parlament diesen Forderungen widersetzen, dann wären Teilnovellierungen deshalb unvermeidlich, weil auf zahlreichen Feldern konkreter Handlungsbedarf besteht.
Der von Bundesminister Dr. Schneider begründete Entwurf macht es möglich, das gesamte Städtebaurecht auf die Aufgaben von Gegenwart und Zukunft auszurichten. Insbesondere drei wichtige Ziele sind dabei zu sehen: erstens, die Zusammenfassung und Fortentwicklung der städtebaulichen Materie in einem einheitlichen, für die Bürger und die Verwaltung übersichtlichen und praktikablen Gesetzeswerk, zweitens, die Beschleunigung und Vereinfachung des städtebaulichen Verfahrens, drittens, die Verminderung der Rechtsmittelanfälligkeit durch verstärkte Absicherung der planungs- und bodenrechtlichen Grundlagen der Städte und Gemeinden.
Was sich in der kommunalen Praxis bewährt hat und was sich auch ein Stück weit in der Kontinuität früherer Gesetzgeber vollzieht, wird übernommen. So bleiben z. B. das Planungsrecht, das Bodenordnungsrecht, das Erschließungsrecht und nach der Neuregelung bzw. der Novelle des Jahres 1984 auch das Städtebauförderungsrecht in der Grundtendenz bestehen. Die Regierung löst damit übrigens auch ein Versprechen ein, das sie damals bei der Novelle zum Städtebauförderungsgesetz abgegeben hat, als sie gesagt hat, man bemühe sich, diese Novelle in ein späteres Baugesetzbuch zu übernehmen. Unter
Berücksichtigung der Entwicklung in Rechtsprechung und Wissenschaft werden diese Materien aber auch fortentwickelt, neuen Zielen geöffnet und zum Teil grundlegend veränderten Aufgabenstellungen angepaßt.
Verbesserungen für die Bürger, die bauen wollen, liegen vor allem darin, daß Verfahrenswege beschleunigt werden und daß bei Bauvorhaben wesentliche Erleichterungen vorgesehen sind. Wir begrüßen die Erleichterungen bei den §§ 31 und 33, bei Befreiungen und Vorabgenehmigungen. Das sind konkrete Hilfen für die Bürger.
({6})
Herr Kollege Werner, wenn Sie wie ich einmal um eine Befreiung gekämpft haben, dann wissen Sie, wie die gegenwärtigen Bestimmungen vernünftige Regelungen verhindern.
Wir begrüßen auch die Erleichterungen im § 34. Meine Damen und Herren, hier wird ein Schrekkensszenario von dem entwickelt, was sich im Außenbereich vollziehen wird. Wenn wir Regelungen schaffen, um vorhandene Bausubstanz im Außenbereich sinnvoll zu erhalten und zu nutzen, dann hat das mit Zersiedelung der Landschaft überhaupt nichts zu tun.
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Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, von dem auch die Gemeinden profitieren - mein Kollege Theo Magin wird nachher dazu Stellung nehmem -, greift aber auch Probleme auf, die jahrelang nicht gelöst werden konnten, von der früheren Regierung nicht angegangen worden sind, die sich zum Teil allerdings auch neu stellen. Ich will einige Punkte nennen.
Erstens. Umweltschutz, Naturschutz, Landschaftsschutz, Bodenschutz einschließlich des drängenden Problems der Altlasten sowie der Denkmalschutz werden eindeutig als zentrale Planungskriterien definiert. Umweltschutz im weitesten Sinne wird generell Ziel städtebaulicher Sanierung. Das ist ein wesentlicher Fortschritt. Sparsamer Umgang mit Grund und Boden wird ausdrücklich planerische Pflicht.
Zweitens. Der Gesetzentwurf überwindet eindeutig die enge Definition von Stadterneuerung als Abriß und Neubau. Das heißt: weg von der Flächensanierung hin zur behutsamen Objektsanierung und zur Verbesserung der Lebensqualität im weitesten Sinne des Wortes. Darin liegt ein institutionalisierter Zwang zur Konzentration auf den Innenbereich. Und diese Regierung befindet sich damit auch in Kontinuität dessen, was sie mit der beträchtlichen Erhöhung der Städtebauförderungsmittel in diesem und im nächsten Jahr tut. Das muß man in aller Deutlichkeit sehen.
({8})
- Moment!
Drittens. Meine Damen und Herren, trotz wiederholter Aufforderungen aus unserem Ausschuß, aus dem Plenum und aus vielen anderen Bereichen hat die frühere Regierung das Problem der Gemengelage nicht gelöst.
({9})
Diese Regierung geht dieses Problem an und ich kann mich nur wundern, daß der Vertreter von Nordrhein-Westfalen, in dessen Land dieses Problem am meisten kulminiert, genau zu diesem Thema hier kaum etwas oder nichts gesagt hat.
({10})
Da geht es auch um Arbeitsplätze. Der Deutsche Industrie- und Handelstag weist in seiner Stellungnahme ganz ausdrücklich darauf hin, daß von der Standortsicherung auch Arbeitsplätze abhängen.
Viertens. Städtebaupolitiker, meine Damen und Herren, werden seit vielen Jahren von Politikern aller Schattierungen, insbesondere von Kommunalpolitikern, gedrängt, ihnen ein verbessertes gesetzliches Instrumentarium an die Hand zu geben, um in Kur- und Fremdenverkehrsgebieten der uferlosen Ausweitung von Zweitwohnungen entgegenzuwirken und für den Erhalt einer gesunden Struktur zu sorgen. Diese Bundesregierung handelt auf diesem Gebiet. Diejenigen, die glauben, daß wir nicht praxisnah handeln, erinnere ich daran, daß wir in dem, was die Regierung hier vorschlägt, das wiederfinden, was in Symposien im Allgäu, im Schwarzwald, bei Besuchen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, aber auch in unseren eigenen Wahlkreisen hundertfach an Wünschen an uns herangetragen worden ist. Ich sehe hier - da ich aus dem Schwarzwald komme - einen wesentlichen Fortschritt zur Verhinderung dessen, Herr Kollege Werner, was Sie hier prognostizieren.
({11})
Fünftens. Zu den Neuerungen des Gesetzentwurfes zählt auch die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bürger und damit eine Stärkung der mittelständischen Verkaufsorganisation. Das hat auch mit raumordnerischen Gründen zu tun. Das hat mit der Bewältigung von wichtigen Problemen im ländlichen Raum zu tun. Wir wissen, daß dieses Problem vor allem in dünner besiedelten Räumen zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Sechstens. Im Erschließungsbeitragsrecht wird die strittig gewordene Frage der Beitragspflicht bei Wohnwegen eindeutig geklärt. Das ist ein Wunsch vieler Gemeinden und Städte, die sonst auf Millionenbeiträge hätten verzichten müssen. Gleichzeitig wird die Vorausleistung auf Erschließungsbeiträge erleichtert. Das hilft den Gemeinden, die in der Regel vorfinanzieren müssen. Das bringt aber auch Mobilität auf dem Bodenmarkt. Das ist eine wesentlich wirkungsvollere Maßnahme, als mit ideologischen Scheuklappen an das Bodenrecht heranzugehen.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist sich bewußt, daß dieser Gesetzentwurf der gründlichen Beratung bedarf. Bei der Bemessung der dafür benötigten Zeit sollten wir allerdings auch sehen, daß wir nicht irgendwo bei
einer imaginären Stunde Null beginnen, sondern daß wir auch auf Bewährtes zurückgreifen und daß uns vor allem zugute kommt, was die Regierung im Vorfeld dieses Gesetzentwurfs getan hat, nämlich Sachverstand auf den verschiedensten Ebenen zu mobilisieren und auch die kommunalen Spitzenverbände sehr frühzeitig in den Willensbildungsprozeß einzubeziehen und ihre Vorschläge zu hören.
Wir lassen aber auch gar keinen Zweifel daran, daß wir alle Anstrengungen unternehmen wollen, um den Abschluß der Beratungen in diesem Jahr und das Inkrafttreten des neuen Gesetzes zum 1. Januar 1987 sicherzustellen. Ein solches Ziel nimmt uns Parlamentarier, insbesondere die Mitglieder des federführenden Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, stark in die Pflicht. Ich begrüße es sehr und werte es als ein hoffnungsvolles Zeichen, daß wir uns gestern im Ausschuß auf einen Zeitplan verständigen konnten. Die Kooperationsbereitschaft unserer sozialdemokratischen Kollegen, die sich hier gezeigt hat, steht in einem gewissen Gegensatz zu dem, was an rhetorischen Übungen im Vorfeld absolviert worden ist. Aber man kann ja klüger werden. Auch der Minister Zöpel hat heute wahrscheinlich nicht die Rede gehalten, die er ursprünglich vielleicht einmal halten sollte. Der Spiritus Sanctus macht auch vor Sozialdemokraten nicht halt.
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Meine Damen und Herren, die Unionsfraktion wird sich allerdings nicht darauf beschränken - das darf ich hier ankündigen -, dem Gesetzentwurf einfach zu applaudieren. Ich sage: Wir haben Bedenken z. B. gegen die Kompetenzverlagerung seitens des Bundes auf die Länder, etwa im Erschließungsbeitragsrecht, und zwar nicht deswegen, weil wir nicht überzeugte Föderalisten wären, sondern einfach deswegen, weil wir Rechtszersplitterung befürchten, weil wir übrigens auch Leuten aus rot und rot-grün regierten Ländern nicht Spielwiesen für ideologische Spiele eröffnen wollen. Auch das ist ein Grund.
Wir sagen der Bundesregierung unsere Unterstützung zu. Wir erklären unsere Aufgeschlossenheit gegenüber alternativen Vorschlägen, bekunden aber unseren ausdrücklichen Willen, alles zu tun, um diesen Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode zum Abschluß und damit zum Erfolg zu bringen.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Arbeit am Bundesbaugesetzbuch - so hat die Presse berichtet - soll der Bundesbau-minister den Beamten seines Hauses die Lektüre der Märchenbücher der Gebrüder Grimm empfohlen haben, damit die Sprache schlichter wird. Ob das erfolgreich war, bleibe einmal dahingestellt. Aber sicher war es erfolgreich beim Minister, denn er erzählt nun seit Wochen und Monaten in der Öffentlichkeit Märchen über das Baugesetzbuch des Bundes.
Das fängt an mit dem Märchen, es gebe ein einheitliches Baurecht. In Wirklichkeit gibt es eine Vereinheitlichung im Planungsrecht. Das Baurecht selbst bleibt Ländersache. Eigentlich müßten wir dieses Gesetz „Stadt- und Landplanungsgesetz" nennen; denn es hat mit Stadtplanung zu tun, nicht mit dem Bauen unmittelbar.
Aber auch das Märchen der Rechtsvereinfachung erzählt der Minister, so als würde jetzt alles einfacher. In Wirklichkeit bleiben alle alten Flächennutzungspläne, alle alten Bebauungspläne bestehen. Sie gelten weiter nach dem Recht, das galt, als sie beschlossen wurden. Da tritt also überhaupt keine Vereinfachung ein.
Schließlich sagen uns alle Fachleute, alle kommunalen Politiker und Planer, daß sich das Planungsrecht bisher bewährt hat, daß es eine sinnvolle Stadtentwicklung, ein Abwägen der öffentlichen und der privaten Interessen, der Interessen reicher und armer Leute, der Belange von Ökologie und Ökonomie ermöglicht. Die Fehlplanungen, die Fehlentwicklungen, die wir beklagen, liegen ja nicht am Inhalt des Gesetzes, Herr Minister. Die Fehlplanungen liegen doch daran, daß viele Gemeinden die Gesetze nicht entschlossen genug angewendet haben, daß Eigennutz vor Gemeinnutz ging, Rücksichtslosigkeit vor Einsicht.
Deswegen sagen wir zum Anfang dieser Beratungen: Wir wollen nicht nur Behutsamkeit beim Umbau und bei der Weiterentwicklung unserer Städte und Dörfer, wie wollen auch Behutsamkeit beim Umbau und bei der Weiterentwicklung unseres Stadtplanungsrechts. Wir wollen dabei dieses Stadtplanungsrecht an den Bedürfnissen der Zukunft orientieren. Auf drei Punkte will ich hier eingehen.
Wir wollen erstens umweltfreundlicher planen als bisher: sparsamer Bodenverbrauch, Schutz von Tieren und Pflanzen, Erhaltung des Bodens, Schutz des Wassers. Dazu stehen im Entwurf des Baugesetzbuches hohle Phrasen, aber keine wirksamen Vorschriften. Es ist ein Märchen, daß diese Novelle etwas für den Umweltschutz leistet. In Wirklichkeit wird sie, vor allem mit den Erleichterungen für das Bauen im Außenbereich, eher umweltfeindlich wirken.
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Wir haben den Beschluß der Umweltministerkonferenz vorliegen der am 8. November 1985 in München einstimmig gefaßt wurde. Die Umweltministerkonferenz hat gesagt, die Umweltverträglichkeitsprüfung müsse in das Gesetz, das Gesetz müsse sehr viel weitergehende Maßnahmen enthalten. Es müsse von vornherein dafür sorgen - ich zitiere -, „daß durch eine geordnete städtebauliche Entwicklung Umweltprobleme erst gar nicht entstehen". Und weiter: „Umweltrelevante Beteiligungs- und Verfahrensregelungen müssen die frühzeitige und umfassende Beteiligung der Betroffenen sichern." Soweit die Umweltministerkonferenz.
Da fragt man sich - denn das war j a ein einstimmiger Beschluß -: Hat Bundesinnenminister Zimmermann am 4. Dezember 1985 Ihrem Entwurf im Kabinett zugestimmt? Ich vermute, er hat in München so und in Bonn so abgestimmt; denn er ist ja verläßlich: bei ihm gilt das gebrochene Wort.
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Der Bundesbauminister erzählt Märchen, wenn er den Leuten auf der einen Seite verspricht, sie könnten leichter bauen - so haben Sie Ihr Gesetz doch angekündigt -, und auf der anderen Seite gleichzeitig mehr Umweltschutz verspricht; denn beides geht nicht zusammen. Leichter planen und bauen heißt weniger nachdenken, weniger abwägen und weniger prüfen. Umweltschutz braucht aber sorgfältigere Planung, gründlicheres Nachdenken, eingehendere Prüfung als bisher.
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Nicht ohne Grund richten Städte und Landkreise zunehmend Ämter für Umweltschutz ein: um sorgfältiger zu planen als bisher. Wer den Menschen also sagt, „es wird mehr Umweltschutz geben, ihr könnt aber leichter bauen", sagt ihnen nicht die Wahrheit.
Zweitens. Wir wollen, daß menschenfreundlicher geplant und gebaut wird, daß wir behutsamer umgehen mit den Nachbarn, mit den alten Häusern, mit den alten Menschen, mit der Umwelt, mit den Schwächeren. Ich finde es kennzeichnend, Herr Minister, daß in § 1 Abs. 5 Ihres Entwurfs, in dem die zu berücksichtigenden Belange aufgeführt sind, die Bedürfnisse der geistig und körperlich Behinderten, die bisher erwähnt waren, jetzt nicht mehr aufgeführt sind. Das kennzeichnet Ihre Einstellung gegenüber den Schwächeren.
Dafür reden Sie landauf, landab von der Baufreiheit. Sie denken eben in den Kategorien der Gründerzeit vor 100 Jahren. Wir wissen doch alle: In Zukunft wird weniger gebaut als bisher, viel weniger; im Wohnungsbau vielleicht 1 %, 2 % der Bestände. Das sind 200 000, 300 000 neue Wohnungen im Jahr. Ist das Problem dann die Baufreiheit für die ein oder zwei Prozent Bauherren von Neubauten zu Lasten der 98% anderer Bürger, oder ist das Problem ein sorgfältiger und ökologisch sinnvoller Stadtumbau?
Wir haben große Bedenken gegenüber dem, was Sie in § 34 des Gesetzes im unbeplanten Innenbereich der Städte vorhaben, wo Sie ohne Planung, ohne Abwägung und natürlich ohne Bürgerbeteiligung bauen lassen wollen. Wer menschenfreundlich planen und bauen will, muß doch mit den Leuten und nicht ohne sie oder gegen sie planen.
Wir haben im Stadtplanungsrecht in den 70er Jahren die Bürgerbeteiligung verankert; nicht als eine bürokratische Rechtsfigur. Wir haben das als Aufforderung, als Angebot an die Gemeinden verstanden, die Bürger am Nachdenken und am Abwägen über die Zukunft der Gemeinde zu beteiligen. Wir haben uns davon einen Wandel in der politischen Kultur der Kommune, einen Wandel im Umgang zwischen Bürger und Gemeinde erhofft. Ich will Ihnen offen sagen: Ich bin enttäuscht darüber, wie lust- und lieblos viele Gemeinden, auch sozialdemokratisch regierte Gemeinden, die Bürgerbeteiligung handhaben, wie bürokratisch gerade nur das Notwendigste gemacht wird, wie die Chancen eines kreativen Mitdenkens der Bürger nicht genutzt werden.
Aber es entspricht Ihrem autoritären Politikverständnis, Herr Minister, daß Sie die Bürgerbeteiligung weiter einschränken.
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Wir brauchen für das Bauen der Zukunft nicht mehr Baufreiheit, sondern wir brauchen mehr Rücksicht, und zwar mehr Rücksicht auf Umwelt und mehr Rücksicht auf Mitmenschen. Aber ein solches Denken ist der christlichen Union fremd. Ihr Motto heißt ja: Friede den Hütten - ({4})
- Das Originalzitat liegt mir näher, Herr Dr. Kansy. Ihr Motto heißt: Friede den Palästen, Krieg den Hütten. Ihre Freiheit ist immer die Freiheit der Stärkeren.
Ich will drittens etwas zur Entbürokratisierung sagen. Das ist ein prächtiger Knüppel für den Wahlkampf, weil sich jeder von uns über die Bürokratie ärgert. Viele ärgern sich beispielsweise seit Jahren über die bürokratische Unfähigkeit Ihres Ministeriums, Herr Minister, in 15 Jahren eine vernünftige Wohngeldregelung für die Sozialhilfeempfänger zu schaffen.
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- 15 Jahre lang jedes Jahr 100 Millionen DM herausgeworfene Verwaltungskosten der Gemeinden.
Wenn wir an die Entbürokratisierung gehen, darf es wie Herr Wallmann gesagt hat, nicht so sein, daß wir das Städtebaurecht um jeden Preis vereinfachen. Da hat er recht. Der Preis, den Sie zahlen, ist hoch; denn hinter Ihren Entbürokratisierungsvorstellungen verbirgt sich der Abbau von Schutzrechten für Menschen und Natur.
Die Wahrheit ist doch anders. Die Wahrheit ist: Je komplizierter die technischen und sozialen Zusammenhänge unseres Lebens werden, desto schwieriger werden auch die Regelungen unseres Zusammenlebens. Vor der Erfindung des Autos brauchten wir keine Straßenverkehrsordnung. Für Pferd und Wagen brauchten wir keine Straßenverkehrszulassungsordnung. Als die Großfamilie noch für alle Generationen sorgte, brauchten wir weder Kindergeld noch BAföG noch Rentenrecht.
Wer angesichts der explosiven und differenzierten Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft den Menschen das Märchen erzählt, ihr Leben ließe sich mit weniger Gesetzen und Regeln und mit weniger öffentlicher Verwaltung sichern, gefährdet unsere Zukunft.
Ich halte das, was Sie hier beispielsweise mit dem Abbau von Planungsaufsichtsrechten der Regie14324
rungspräsidien versuchen, für opportunistisch. Natürlich finden die Gemeinden das gut; denn es gibt viel Ärger, wenn ein frischgebackener Baurat beim Regierungspräsidium
({6})
- ich komme darauf zurück, ich habe gut zugehört; da bin ich mit Herrn Zöpel völlig einer Meinung - in eine wohlabgewogene gute Planung der Gemeinde hineinregiert.
({7})
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Wir kennen doch auch die andere Seite. Wir kennen auch die Gemeinde, die um etwas mehr Gewerbesteuer willen ein Naturschutzgebiet opfern wollte, hätte nicht der Regierungspräsident nein gesagt. Ich kenne auch Gemeinden in Bayern, die sich nicht getraut haben, ihrem Investor, ihrem Hotelier am Ort, zu sagen: „Nein, das machen wir nicht." Die haben in der stillen Hoffnung genehmigt, der Regierungspräsident werde das dann schon kippen, und dann konnten sie ihrem mächtigen Hotelier am Ort sagen: „Wir hätten dir ja gerne geholfen, aber diese Bürokraten in München ...".
Wir haben ein sorgfältig austariertes Gleichgewicht zwischen kommunaler Planungshoheit, Aufsichtsrechten und -pflichten der Regierungspräsidenten und Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte, und daran sollte man nicht leichtfertig herumbasteln; schon gar nicht, Herr Minister, unter der irreführenden Parole, die einen wollten mehr Selbstverwaltung, und die anderen wollten mehr Staat. Für die meisten Bürger ist die Gemeinde genauso Staat wie der Regierungspräsident und wie das Land.
({8})
Wir werden das sorgfältig prüfen; ich bin dabei gespannt auf die Äußerungen der B-Länder im Bundesrat.
Insgesamt kommen wir zu der Bewertung, daß Ihr Baugesetzbuch kein großer Wurf ist. Ihnen fehlt der Mut zur Zukunft. In Teilen ist dieser Entwurf leichtfertig, opportunistisch, auf Wahlkampf getrimmt; er wird den Aufgaben der Zukunft nicht gerecht.
({9})
- Nein, Sie wollten ihn j a ursprünglich gar nicht einbringen. Sie hatten ursprünglich vor, die ersten vier Jahre am Entwurf zu arbeiten und die zweiten vier Jahre der parlamentarischen Beratung zu widmen.
({10})
Es war doch der Bundeskanzler, der nun von der
Sache wirklich nichts versteht, der Sie, um noch
einen Wahlkampfknüppel in Sachen Entbürokratisierung zu haben, gedrängt hat, dies hier jetzt im Schnellverfahren durchzuziehen.
({11})
- So war es! Wir haben die Zitate des Bauministers über das „Jahrhundertwerk", das mindestens acht Jahre brauche, j a noch hier liegen.
Nein, wir werden kritisch an diesem Gesetzentwurf mitarbeiten, und wir werden dafür sorgen, daß er im Parlament sorgfältig beraten wird. Wir brauchen nicht nur Anhörungen, sondern auch Anschauungen, d. h. Planspiele vor Ort. Eine Haurucklösung, eine Schnellsanierung mit dem Bulldozer, wird es im Städtebaurecht mit uns nicht geben.
Soviel will ich hier aber zum Abschluß jetzt schon sagen: Wenn Sie und Ihre Mehrheit - unbelehrbar, wie Sie meistens sind - diesen Entwurf am Ende unverändert verabschieden wollen, dann nicht mit uns. Wir wollen ein Planungsrecht, das unseren Städten und Dörfern, das der Umwelt und den Mitmenschen, das uns und unseren Kindern eine gute Zukunft sichert, und deswegen werden wir sorgfältig mitarbeiten und am Schluß prüfen, ob wir zustimmen oder ablehnen.
({12})
Das Wort hat der Senator für Bau- und Wohnungswesen des Landes Berlin, Herr Franke.
Senator Franke ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Mitglied einer Landesregierung danke ich der Bundesregierung für die Arbeit, die mit diesem Entwurf geleistet wurde. Es gibt für mich keinen Zweifel: Diese Vorlage mußte jetzt eingebracht werden, und dies aus mehreren Gründen. Als ich soeben die Rede des Herrn Abgeordneten Conradi gehört habe, habe ich noch einen weiteren Grund gefunden, denn was war seine Weisheit? Der Ruf nach mehr Staat! Zu mehr reicht es bei Ihnen nicht.
({1})
Das war schon immer so, aber dies werden wir zu verhindern wissen; das machen wir nicht mit.
({2})
- Ach Gott, wissen Sie, Sie kennen mich gar nicht,
und deswegen können Sie das gar nicht beurteilen.
({3})
Das hat sich bei Ihnen wie ein roter Faden hindurchgezogen: mehr Staat, mehr Staat, mehr Staat, und dann ist alles geklärt. Das Gegenteil ist der Fall! Sie haben es doch in Ihrer Regierungszeit bewiesen; Sie haben es mit dem bewiesen, was Sie kaputtgemacht haben.
Senator Franke ({4})
Meine Damen und Herren, gerade in einer Zeit konjunktureller Probleme der Bauwirtschaft muß der Gesetzgeber dafür sorgen, daß bürokratische Hemmnisse beseitigt, Verfahren beschleunigt und Vorschriften vereinfacht und reduziert werden.
({5})
Deswegen mußte hier schnell gehandelt werden, denn Vorschriften dürfen nicht zum Hemmnis für wirtschaftliche Entwicklungen werden, wenn sie inhaltlich nicht zwingend erforderlich sind.
Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
Senator Franke ({0}): Aber bitte sehr.
Bitte schön, Herr Müntefering.
Das möchte ich doch gern geklärt haben, weil das auch schon bei der Kollegin von der FDP vorkam: Gehen CDU/CSU und FDP davon aus, daß dieses Baugesetzbuch ein konjunkturpolitisches Instrument ist, das dazu führt, daß Hemmnisse - und wo sind sie? - beseitigt werden und daß im nächsten Jahr mehr gebaut wird? Vielleicht sagen Sie das doch einmal etwas konkreter.
Senator Franke ({0}): Es werden auf jeden Fall Hemmnisse beseitigt, und es wird auf jeden Fall in meinem Land, in dem wir dieses Gesetz anwenden werden, mit Sicherheit mehr gebaut werden. Ob das bei Herrn Zöpel so sein wird, vermag ich nicht zu beurteilen.
({1})
Ich habe der Rede des Herrn Zöpel, den ich sehr schätze, den ich für einen guten Fachmann halte,
({2})
- das ist meine Meinung, die mag falsch sein, Herr Kollege - sehr interessiert zugehört. Ich habe geglaubt, daß hier die substantiierte Kritik kommt.
({3})
Es waren Gemeinplätze. Der wichtige Punkt war die Kritik daran, daß die Hausnumerierung abgeschafft wird. Das finde ich natürlich sehr interessant. Wenn er nicht mehr auszusetzen hat, sehe ich den weiteren Beratungen mit großer Gelassenheit entgegen.
Die Vorschriften müssen sich auch dem Strukturwandel der Gesellschaft anpassen. In einer Zeit des allgemeinen konjunkturellen Aufschwunges entsteht ein besonderer Regelungsbedarf für die besonderen Probleme des engen Nebeneinanders von konkurrierenden Nutzungen, z. B. durch Gewerbe und Wohnen. Hier mußte eine eindeutige Rechtsgrundlage notwendige wirtschaftlich unverzichtbare Erneuerungen betrieblicher Anlagen erleichtern, ohne die Erfordernisse des Umweltschutzes oder die Belange der Nachbarn einzuschränken.
Wir brauchen das neue Baugesetzbuch aber auch einfach deshalb jetzt, um allen Beteiligten - ob Wirtschaft, Verwaltung oder bauwilliger Bürger - endlich die Grundlage für ihre Dispositionen zu bieten und Unsicherheiten, die entscheidungshemmend wirken können, dauerhaft zu beseitigen.
Ich möchte der Bundesregierung ausdrücklich dafür danken, daß die Länder ebenso wie die kommunalen Spitzenverbände bei den ersten Vorarbeiten zum Baugesetzbuch frühzeitig beteiligt wurden. Den Ländern war es damit möglich, von Anfang an ihre Ideen zum Gelingen beizusteuern. Um so bedauerlicher war es, daß die Länder Hessen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland sich zeitweise an den Einzelberatungen nicht beteiligt haben. Das, meine Damen und Herren, halte ich weder für demokratisch noch am Gemeinwohl interessiert,
({4})
ganz abgesehen davon, daß die von Ihnen so beklagte kostbare Zeit damit verlorengegangen ist. Aber vielleicht liegt das auch daran, daß Sie, wie auch von Ihnen gesagt worden ist, alles tun wollen, um die Verabschiedung dieses Gesetzes zu verhindern. Nur, wie ich vorhin schon sagte, das werden wir wiederum zu verhindern wissen.
Allerdings - das stelle ich mit Freude fest - hat die Beratung in den Ausschüssen des Bundesrates gezeigt - zumindest in dem Ausschuß, in dem ich den Vorsitz führe -, daß die Vernunft in allen Ländern gesiegt hat. Auch die Länder, die zunächst die Mitarbeit verweigert haben, haben sich in meinem Ausschuß am Verfahren beteiligt. Es hat eine ganze Reihe von einstimmigen Beschlüssen - auch Änderungsbeschlüssen - gegeben, die uns sicher ein gutes Stück weitergebracht haben.
Aus der Sicht eines Stadtstaates, den ich hier vertrete, ist es insbesondere erfreulich, daß von der Politik der Teilnovellen endlich abgegangen wurde und nunmehr eine Reform aus einem Guß vorgelegt wird.
({5})
Es ist damit gelungen, die rechtlichen Grundlagen des Städtebaus in einem einheitlichen Gesetzeswerk zusammenzufassen, das auf die Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben des Städtebaus ausgerichtet ist. Damit sind die Grundlagen für eine aktive Bau- und Wohnungspolitik, einer Politik also, die nicht nur reagiert, sondern selber gestaltet, gelegt worden.
Von dieser Politik sind alle Bürger betroffen. Wohnen, Stadtgestalten und Stadterneuern berühren die Interessen eines jeden. Der wohnungspolitische Grundsatz steht damit fest: Das Wohnen muß bezahlbar bleiben, das lebenswerte Wohnumfeld muß menschlich gestaltet werden. Diesem Grundsatz trägt der Entwurf Rechnung. Er kann dies nur tun, weil er von der Politik der kleinen Schritte abgegangen ist und die Problematik abschließend regelt.
Wir haben wie andere Bundesländer diesen Weg in Berlin mit der Reformierung unserer Bauord14326
Senator Franke ({6})
nung, der Gesamtüberprüfung unserer Bauordnung, bereits beschritten. Dabei hat sich - wie auch beim Baugesetzbuch - gezeigt, daß Bewährtes übernommen werden kann, daß aber auch Änderungen erforderlich waren, die letztlich nur durch die Gesamtüberprüfung sinnvoll waren. Wir werden so sicher auch bei der weiteren Beratung dieses Gesetzes vorgehen.
Geänderte Vorschriften über die Bauleitplanung müssen verbesserte Grundlagen zur Lösung der Aufgaben des Städtebaus schaffen. Eine verstärkte Berücksichtigung des Umweltschutzes, des Naturschutzes und der Landschaftspflege muß unserer Verantwortung für künftige Generationen gerecht werden. Obendrein muß es aber auch gelingen, das Bauen leichter zu machen. Das Recht ist zu vereinfachen. Überflüssiger Verwaltungsaufwand ist abzubauen. Bürokratie ist zu vermeiden. Die Rechtsstaatlichkeit muß gewahrt bleiben. Ordnungsgemäße Verfahren haben garantiert zu bleiben.
Auf einen Nenner gebracht: Das Baugesetzbuch sollte die Diskussion über Rechts- und Verwaltungsvereinfachung und über den Abbau staatlicher Reglementierung beenden.
({7})
- Ja. Wir haben in Berlin sicher allerlei getan. Wir mußten ja das schwere Erbe Ihrer Regierung übernehmen.
({8})
Aber da ist uns schon eine ganze Menge gelungen.
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- Ach Gott, wissen Sie: Das ist aber ein bißchen billig. Nicht? Wir haben ja auch das Erbe des Herrn Ristock übernehmen müssen. Ja? Sie haben ganz vergessen, was mit dem vor einiger Zeit passiert ist. Ich sag's ungern, weil er ein guter Freund von mir ist. Aber wenn wir so anfangen, dann ziehen Sie den kürzeren.
({10})
Aber bestraft worden ist er kürzlich auch. Rechtswidrig? Das wollen wir aber nicht vergessen. Ich bedaure es. Aber ich kann Ihnen die zu Dutzenden aufzählen.
({11})
Und mit Antes sehen Sie schwach aus, meine Herren. Denn das, was Sie hier gemacht haben, ist Vorverurteilung. Da sollten Sie sich ein bißchen schämen. Ein Bundestagsabgeordneter sollte sich auf die Fakten berufen und nicht vorverurteilen.
({12})
Die rasche technische Entwicklung auf dem Gebiet des Bauwesens, ihre Auswirkungen auf die Umwelt, stärkere Gewichtung sozialer und wohnqualitativer Ansprüche, aber auch Wünsche von Interessengruppen haben das Baurecht ausgeweitet und spezifiziert. Der hier vorliegende Entwurf stoppt diese Expansion.
Das Gesetz hat auch der Forderung der Länder, mehr Kompetenzen zu erhalten, gerecht zu werden. Der Bund soll nur das regeln, was bundesrechtlich geregelt werden muß. Den Ländern muß eine weitgehende Regelungskompetenz bleiben. Ich verbinde dies mit der Erwartung und der Forderung, daß die entfallenden Bundesmittel nur unter Wahrung des Besitzstands der Länder voll ausgeglichen werden und die Verhandlungen hierüber alsbald aufgenommen werden.
Als in Berlin für das Bau- und Wohnungswesen zuständiger Senator freue ich mich ganz besonders, daß mir dieser Entwurf die Fortführung der behutsamen Stadterneuerung garantiert. Hier heißt es Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft zu verbinden. Was vergangene Generationen geschaffen haben, muß die heutige Generation für künftige bewahren und weiterentwickeln.
Stadterneuerung wird nie abgeschlossen sein. Dies bedeutet, gemeinsam mit den Bürgern sorgfältig abzuwägen, was zu erhalten und was zu erneuern ist. Nicht die jeweils aktuellen Meinungen und Gruppen dürfen die Stadterneuerung bestimmen, sondern nur die über den Tag hinausweisenden Bedürfnisse der Menschen. Stadterneuerung ist also langfristig angelegte Stadtgestaltung.
Die CSU, die CDU und die CDU/FDP-regierten Länder im Bundesrat werden diesen Entwurf unterstützen.
Ich danke Ihnen.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, angesichts dessen, was der Wohnungsbauminister schon an Geschichte hier verbreitet hat, die Feststellung, daß sich das Bundesbaugesetz und das Städtebauförderungsgesetz von 1971 in vielfacher Hinsicht bewährt haben. Ich glaube, diese nüchterne Feststellung können alle Parlamentarier hier im Hause treffen. Die kommunale Praxis dieser beiden Gesetze war gut.
({0})
Standen vor 26 Jahren bei der Schaffung des Bundesbaugesetzes die einheitliche Gestaltung des über 100 Jahre alten Bau- und Planungsrechts sowie Fragen der Bodenbereitstellung und der kommunalen Planungshoheit im Vordergrund, so waren es bei der Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes vor allem zwei Ziele: die Einführung eines neuen bodenrechtlichen Instrumentariums, verbunden mit erweiterten Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger, und die Begründung eines finanziellen Engagements von Bund und Ländern für die Erneuerung und Anpassung von Städten und Gemeinden an veränderte städtebauliche und soziale Erfordernisse. Ich glaube, das muß die Leitlinie der Beratungen werden, wenn wir an diese beiReschke
den großen Gesetze anknüpfen wollen, die direkte Auswirkungen am Ort haben.
In den 70er Jahren bis Mitte der 80er Jahre lag die verständliche Priorität der Investitionen unserer Städte und Gemeinden bei der Schaffung sozialer und kultureller Infrastruktur wie Schulen, Kindergärten, Wohnungen, Altenheime und Freizeiteinrichtungen sowie der Schaffung der technischen Infrastruktur für Arbeitsplätze und beim Erhalt der Arbeitsplätze unterschiedlicher Art.
Der Kollegin von der FDP - sie ist leider nicht da; aber der Kollege Beckmann kann es übermitteln - sei gesagt: Das Städtebauförderungsgesetz hat auch geholfen, historische Aufgaben zu erledigen, die unsere Städte aus verständlicher Verantwortung selber nicht hätten anfassen können und nicht angefaßt hätten, z. B. Pflege und Schutz und Erhalt unserer Kulturgüter. Ich glaube, auch dieser großen Aufgabe hat sich dieses Gesetz gewidmet.
Städte und Gemeinden sind nach wie vor auf Bundesfinanzhilfen angewiesen - damit da keine Mißverständnisse entstehen. Sachfremde Kosten zwingen die Gemeinden schon heute, dringend notwendige Investitionen zurückzustellen.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird deshalb die Abschaffung der Mischfinanzierung im Städtebau ablehnen, solange nicht eine ausreichende Regelung zur Bewältigung der Probleme in unseren Städten geschaffen worden ist.
({1})
Dies muß Maßstab der Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sein.
Die Städtebauförderungsmittel nur für zwei Jahre zu erhöhen, Herr Wohnungsbauminister, ist für uns ein Wahlschwindel. Wir fordern die Bundesregierung auf, Klarheit zu schaffen, wie es mit Bundesfinanzhilfen für den Städtebau in Zukunft aussieht.
({2})
Die Zeit der großen städtebaulichen Entwicklungsgebiete, die Zeit der großen Sanierungsvorhaben ist vorbei. Was vor uns liegt, ist die soziale und ökologische Sanierung unserer Städte: Randsanierung an Hauptverkehrsstraßen, Nachbesserung von Wohnquartieren der 60er und 70er Jahre, Modernisierung und Instandsetzung von Gebäuden, Schaffung von Grün- und Freiflächen, Blockentkernung und Straßenrückbau, Verkehrsberuhigung als Kern der Wohnumfeldgestaltung, Stadtbildpflege und die Fragen der Lärmsanierung und Altlastenbeseitigung. Die beiden letzten Fragen stehen beim Bürger in den Städten ganz hoch an. Das ist eine Summe von vielfältigen Aufgaben, die unsere Städte und Gemeinden nicht allein lösen können.
Der Deutsche Bundestag hat deshalb schon sehr früh die Debatte über die Weiterentwicklung des Städtebaurechts eröffnet. Ich erinnere an die gemeinsame Entschließung von 1979 als Aufforderung an die Bundesregierung, einen Bericht vorzulegen, der die Probleme des Städtebaurechts in vielen Bereichen darlegt.
Minister Schneider gab den Startschuß zur Erarbeitung eines neuen Baugesetzbuchs mit dem Ziel, in etwa zwei Legislaturperioden die Arbeit erledigt zu haben. Deshalb sagte Wohnungsbauminister Schneider am 8. Juni 1983 vor dem Fachausschuß in „seiner" Regierungserklärung in Interpretation der Regierungserklärung des Kanzlers:
Der zweite große Schwerpunkt wird in dieser Legislaturperiode und bis in die darauffolgende hinein die Arbeit an einem neuen einheitlichen Baugesetzbuch sein. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung angekündigt, daß wir Leitlinien für ein einheitliches Baurecht vorlegen. Diese sollen in einen Gesetzentwurf einmünden, der dann in der nächsten Legislaturperiode ins parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden kann.
Die Materie des Städtebaurechts, Herr Minister, ist im Laufe der letzten Jahre erheblich gewachsen. Das erkennen wir nicht nur an, das sehen wir genauso. Das haben wir in der Entschließung von 1979 festgelegt. An der Überarbeitung gibt es auch in der Fachwelt - so auch bei uns - keinen Zweifel.
Allerdings muß man sich fragen, was aus der Ankündigung einer Reform aus einem Guß übriggeblieben ist. Die Reform wurde einem Kabinettsentwurf geopfert, um eine Leistungsbilanz vorzulegen. Eilnovelle statt Gesetzesqualität!, kündigt sich hier schon an. Was der Wohnungsbauminister der Öffentlichkeit jetzt präsentiert hat, wird Stadtpolitik verhindern, Rechtsunsicherheit erhöhen, Planer in den Städten verwirren, die ohnehin schon überlasteten Verwaltungsgerichte und Kammern erneut beschäftigen. Wir haben gerade die Berichte über die Kammerbeschäftigung auf Grund der Großen Anfragen der verschiedensten Fraktionen bekommen.
Man muß sich fragen: War dieses als Jahrhundertwerk angekündigte Gesetz ohne eine stadtpolitische Perspektive notwendig? Welche Ideologie steckt dahinter? Darauf komme ich gleich noch einmal zurück.
Ich will noch einmal hervorheben, was Staatssekretär Löwenich noch vor gut einem Jahr gesagt hat. Er ist j a Beamter und muß deshalb hart an der Wahrheit bleiben.
({3})
- Ich zitiere Löwenich. Es war ja vor der KonradAdenauer-Stiftung; vielleicht brauchte er es nicht so genau zu nehmen:
Ich darf nochmals an den Zeitplan der Bundesregierung erinnern; danach soll der Regierungsentwurf im Jahre 1986 beschlossen werden. Dies dürfte nach der Wahl im Jahre 1987 eine rasche parlamentarische Beratung ermöglichen, die im wesentlichen in den Jahren 1988/ 89 abgeschlossen werden könnte.
Heute wollen Sie das Gesetz 1986 durchs Rohr schieben.
Was der Staatssekretär auf Grund seiner ministeriellen Experten sicherlich wußte: Die Städte, in denen wir im Jahre 2000 leben sollen, stehen bereits. Insofern müssen wir unser Baurecht danach ausrichten.
Was wir brauchen, ist ein Städtebaurecht für die geänderten Rahmenbedingungen in unseren Städten. Was wir brauchen, ist ein Städtebaurecht, das auf die ökologischen und ökonomischen Entscheidungsnotwendigkeiten Rücksicht nimmt. Schrumpfungsprozesse infolge von Bevölkerungsrückgang oder Bevölkerungswanderung, Wandlung von Industrie und Produktion, Ressourcenendlichkeit, eine veränderte Einstellung der Menschen zur Umwelt und zum Stadtwohnen erfordern eine Haltung vom Gesetzgeber, von uns allen, die sowohl die Finanzausstattung als auch die Voraussetzung vom Planungsrecht her, Konflikte in den Städten entscheiden zu können, berücksichtigt.
Diese Anforderungen finden wir im Entwurf der Regierung nicht wieder. Es gibt bei der Anwendung der heutigen Rechtsinstrumente sicherlich Defizite; das beklagen auch wir. Es gibt Problembereiche im Bereich des Städtebauförderungsrechts und des Baurechts, in denen das heutige Recht zu kurz greift. Dazu zählen - das möchte ich hervorheben - Überplanungen bei Gemengelagen - das Gesetz haben Sie ja 1982 zurückgezogen -, Planverwirklichungsgebote, Abschöpfung der Bodenwertsteigerungen, Fragen des Bodenrechts, die Verzahnung von Städtebaurecht und Umweltrecht, Integration der Fachplanung und des Baunebenrechts und die sich aus der Stadterneuerung ergebenden sozialpolitischen Anforderungen an ein neues Städtebaurecht.
Für uns Sozialdemokraten besteht kein Anlaß, in Novellierungshektik auszubrechen. Mit einer einfachen redaktionellen Überarbeitung und Zusammenfassung von zwei Gesetzen werden wir uns in den Beratungen nicht zufriedengeben, Herr Minister. Wir werden damit den Problemen in unseren Städten nicht gerecht.
Unsere Zielvorstellungen sind: Anständiges Wohnen in unseren Städten muß für alle bezahlbar sein; nicht Abriß und Neubau, sondern behutsame und schrittweise Erneuerung und Pflege der Städte; Erhaltung der Arbeitsplätze und Sicherung der Betriebsstandorte; auch in Gemengelagen Wohnen und Arbeiten ermöglichen; aktiver Umweltschutz; keine Flächenverschwendung und keine Zersiedelung. Rückbau von belegten Flächen ist die These in unseren Städten. Demokratische und bürgernahe Verfahren werden für uns Maßstab bei der Gesetzgebung sein. Die Bevormundung der Bürger durch die Obrigkeit darf nicht wieder durch Zurückdrängen der Bürgerbeteiligung zurückgeholt werden.
({4})
Mit der Zusammenfassung von Städtebauförderungsgesetz und Bundesbaugesetz gaukelt die Bundesregierung dem Bürger vor, ein Baurecht zu bekommen, das alle ärgerlichen Bestimmungen der Vergangenheit hinter sich liegen läßt.
Bestimmungen, die geärgert haben, die Bürger heute noch in unseren Städten und Gemeinden ärgern, sind kaum im Bundesbaugesetz und Städtebauförderungsgesetz zu finden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Diese beiden Gesetze haben geholfen, Konflikte zwischen Bürgern auf der einen Seite und Verwaltungs- oder Investorinteressen auf der anderen Seite zu lösen, wenn teilweise auch unzureichend. Andere Gesetze und die Wirkungen des Baunebenrechts, die die tatsächlichen Ärgernisse vor Ort bedeuten, haben keinen Eingang in das Baugesetzbuch gefunden.
Ich erinnere an Lärmschutz, Abfallbeseitigung, Energiewirtschaft, Zivilschutz und militärische Anlagen, Flughafenplanung, Erschließungsrecht und Bundesfernstraßengesetz. Das alles sind Rechtsmaterien, die Auswirkungen im Bereich Leben und Umwelt unserer Bürger vor Ort bringen. Dies sind Ärgernisse, die der Bürger als Bürokratiemacht und Gängelung empfindet.
Noch am 29. März 1983 tönte unser Wohnungsbauminister:
Engagement und Mitbestimmungsbereitschaft der Bürger bei der Gestaltung ihres gewohnten Wohngebietes sind zu stärken.
Soweit der Wohnungsbauminister. Was heute vorliegt, was bei dem Gesetz herausgekommen ist, ist eine Überbewertung der Belange der Wirtschaft. Die Streichung der Verpflichtung zu Sozialplänen in Sanierungsbereichen bedeutet soziale Rücksichtslosigkeit; Dispensierung im Bereich der alten §§ 31 und 34, insbesondere im unbeplanten Bereich, wird sehr leichtgemacht. Sie führen mehr Markt auf Kosten sozial Schwacher herbei.
Das Enteignungsrecht wird für Spekulanten geöffnet mit der Streichung des Gemeindeprivilegs, Enteignungen durchzuführen. Es wird zugunsten privater und juristischer Personen aufgegeben. Baulöwen, die es mit der Sozialverpflichtung nicht so ernst nehmen, können enteignen. Es kommt hinzu: Sie werden noch nicht einmal mit einer Pflicht zur Wiederveräußerung der enteigneten Grundstücke an Bauwillige belegt. Dies alles machen Leute, die auf der anderen Seite das Grundrecht auf ein freies Eigentum an Grund und Boden als ein klassisches Freiheitsrecht der Demokratie gern hochhalten, wie wir es ja soeben hier gehört haben.
Grundstücksveräußerungen zur Landesverteidigung sind in Zukunft genehmigungsfrei. Sanierungsgewinne und Ausgleichsbeträge bereichern Grundeigentümer und werden nicht irgendwo eingeworfen, um Gemeinden zu entlasten. Erhaltungssatzung und Baugebote werden in ihrer Anwendungsmöglichkeit für die Gemeinden nicht verbessert, wo doch gerade der Fachausschuß festgestellt hat, daß Flächenrecycling hierdurch geschehen kann.
Die Rechtsmaterie - das ist unsere Beurteilung - wird in diesem Gesetzentwurf insgesamt unausgewogen und verschlechtert dargestellt. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion und die FDP sind anscheinend selbst verunsichert. Unter dem Stichwort „Städtebaupolitik" fordern sie in einer EntschlieReschke
Bung an die Bundesregierung, einen städtebaulichen Bericht vorzulegen, der insbesondere Maßnahmen für folgende Bereiche vorschlägt - man höre und staune -: Einschränkung des Freiraumverbaus, Baulücken- und Brachflächennutzung, Begrenzung der Versiedlung des Bodens, an die Ziele des Umweltschutzes angepaßte Bauweise, Stärkung der Durchgrünung von Bau- und Wohngebieten, Sicherung der Grün- und Freiflächen und anderer ökologisch wertvoller Flächen, Lösung des Zielkonflikts in Gemengelagen und funktionsschwachen Gebieten, Schaffung ökologisch verträglicher Voraussetzungen für die Entwicklung von Industrie, Gewerbe und Handel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Drucksache 10/4510, die Sie vorgelegt haben, finden Sie in zwei Beschlüssen des Bundestages komplett wieder, nämlich 1974, 1966 und 1979, und Sie finden sie auch in der Schriftenreihe „Städtebauliche Forschung" des Ministeriums wieder - von der Ziffer 01 bis zur Ziffer 110 -, in der alle diese Erarbeitungen, die Sie hier fordern, stehen. Die Drucksache hat uns leider erst in den letzten Tagen erreicht. Wir können daher noch keine vollständige Bewertung vorlegen. Aber es steht schon fest, daß die angesprochenen Problemlagen inhaltlich alle auf Grund der Einzelberichte zum Städtebau vorliegen.
Wir meinen, was die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die FDP jetzt in dieser Drucksache als Bericht fordern, ist die Vorlage eines Berichts, der Wertorientierung in der Stadtpolitik erkennen lassen soll. Sie verabschieden allerdings ein Städtebaurecht und wollen anschließend die Leitlinien dazu formulieren. Welche parlamentarische Arbeit nehmen Sie eigentlich vor? Ihre Leitlinie heißt Markt - so erkennen wir das - statt Urbanität. Herr Senator, dies gilt natürlich auch für Ihren Baudirektor Antes. Dies ist eine Ermahnung. Sie sollten mal darüber nachdenken.
Sie rufen Entbürokratisierung und schaffen mit Streichung von Gesetzen nur mehr Markt zu Lasten sozial Schwacher. Die Gemeinden sind aber zur sorgsamen Stadtplanung aufgerufen. Stadtplanung heißt soziale und ausgewogene Marktaufsicht. Wer Stadtplanung dem Markt überläßt und in die Stadtplanung Marktgesetze einführen will, benachteiligt sozial Schwache und führt Stadtplanung auf Kosten ökologischer Substanz in Gegenwart und Zukunft durch. Sozialdemokraten lehnen dies ab.
Schönen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Magin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Reschke und Herr Conradi, wenn man Ihnen zugehört hat, hat man schon den Eindruck gewonnen, als würden Sie aus einem ideologischen Käfig heraus argumentieren und hätten das Gesetz eigentlich gar nicht gelesen
({0})
Sie haben beispielsweise mit einer Äußerung den Eindruck erweckt, Herr Conradi, als wäre der Begriff „Behinderte" aus diesem Gesetz gestrichen worden. Ich darf Ihnen wohl wortgetreu vorlesen, was hier im ersten Kapitel unter § 1 Nr. 3 steht: „die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen und alten Menschen und der Behinderten, die Belange des Bildungswesens ...". Das gehört hier mit hinein. Wenn hier Behinderte angesprochen sind, dann sind alle Behinderten gemeint. Wir wissen, daß es hier sehr große Differenzierungen und Unterschiede gibt.
({1})
Herr Kollege Reschke, Sie haben hier wieder mit dem alten Hut der Mischfinanzierung operiert. Ich möchte sagen: wider besseres Wissen. Sie haben sogar von „Wahlschwindel" gesprochen. Sie wissen ganz genau, warum im Bundeshaushalt nur für die beiden Jahre 1986 und 1987 Mittel eingestellt werden können, nämlich weil die Bundesländer und die Ministerpräsidenten in einer seltenen Einmütigkeit bei Ministerpräsidentenkonferenzen gleich zweimal gefordert haben, daß die Mischfinanzierung im Bereich der Städtebauförderung aufgelöst wird und daß sie diese Aufgabe selber haben. Daher kommt das. Die Länder sind nun einmal - das können wir sehen, wie wir wollen - Verfassungsorgane, können solches fordern. An einer solchen Forderung kann die Bundesregierung nicht einfach vorbeigehen.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
Wenn sie mir nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Okay.
Herr Kollege, da Sie auf die Erhöhung der Städtebauförderungsmittel für zwei Jahre abheben: Gehen Sie denn davon aus, daß der Ausgleich, den der Bund den Ländern und damit den Gemeinden im Bereich der Städtebauförderung zugesteht, nach der Höhe der jetzigen Beträge, der Förderung 1986 und 1987 bemessen wird?
Ich gehe davon aus, Herr Kollege Müntefering, daß es eine befriedigende Lösung geben wird. Aber wir werden dann gespannt darauf sein, was die einzelnen Bundesländer dann gerade für diese wichtige Zukunftsaufgabe der Städtebauförderung tun. Nun, Meine Damen und Herren, zum Gesetz selbst: Jeder Verantwortliche weiß - er kann sich überall kundig machen, vor allem auch bei den Kommunen -: Die Zahl der berechtigten Wünsche
- die kommunalen Spitzenverbände können das bestätigen - nach Novellierung von Einzelvorschriften des Bundesbaugesetzes und des Städtebauförderungsgesetzes ist in den letzten Jahren ständig größer geworden. Es ist eben, Herr Zöpel, wie Sie gesagt haben, ein Wandel eingetreten. Ein Wandel braucht eben neue Instrumente. Viele Probleme haben wir durch die Rechtsprechung gehabt. Schon aus diesem Grunde ist die Zahl der Novellierungen größer geworden.
Aber, meine Damen und Herren - das kennen wir ja, ich werde nachher darauf noch zurückkommen -: Novellierungen verdichten den Drahtverhau. Der Bürger blickt doch gar nicht mehr durch, wie die Sache wirklich ist. Die Verwaltungen haben keine richtige Handhabe, mit der sie operieren können. Deswegen ist es dringend notwendig, daß wir eine Gesamtüberprüfung vornehmen. Die kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene haben gerade aus diesem Grund bereits im Jahre 1979 die Forderung nach einer Gesamtüberprüfung des Städtebaurechts unter ausdrücklichem Verzicht auf weitere Teilnovellen erhoben, weil weitere Teilnovellen Unklarheiten und Rechtsunsicherheit hervorbringen. Also, eine in sich stimmige Gesamtüberprüfung ist wichtig.
Diese Forderung ist damals von der SPD bedauerlicherweise nicht aufgegriffen worden, als sie die Regierungsverantwortung trug. Vielmehr suchte sie ihr Heil in zahlreichen Klein- und Kleinstnovellen zur Änderung und zur Ergänzung des Bundesbaugesetzes. Die trotzdem vorliegenden Forderungen nach einer Novellierung zeigen die Grenzen solcher Gesetzgebungspraxis deutlich auf.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich daher schon zu einem Zeitpunkt, als sie noch in Opposition stand, zu einer Gesamtnovellierung des Städtebaurechts entschlossen. Diejenigen Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung nur den Charakter einer Teilnovellierung des Städtebaurechts zuerkennen mögen, sollten einmal vor der eigenen Tür nachschauen. Dort werden Sie feststellen, Herr Conradi, daß in der Zeit Ihrer Regierung kein Novellierungsschritt auf dem Gebiet des Städtebaurechts zustande kam, der sich mit dem vorliegenden Gesetzesvorhaben eines Baugesetzbuchs messen kann. Stellen Sie die 15 Klein- und Kleinstnovellen seit 1960 neben diesen Regierungsentwurf eines Baugesetzbuchs von 1985, so werden Sie feststellen, daß wir auf dem richtigen Weg sind.
Auch die Opposition sieht - das haben wir wiederholt gehört - Novellierungsbedarf. Sie meint indessen, man könne ihn auf die nächste Legislaturperiode verweisen. Meine Damen und Herren, wenn wir noch viel Zeit verstreichen lassen, wenn das Gesetz nicht in Bälde verabschiedet werden kann, dann wird eben der Druck in Richtung auf Novellierungen, Teilnovellierungen - darüber sind wir uns alle einig, und deshalb haben gerade die Kommunen die Forderung erhoben, bald zu Rande zu kommen - so groß, daß man dem nicht ausweichen kann. Ansonsten sind Stimmigkeit und
Rechtssicherheit, die damit verbunden ist, auf lange Sicht nicht zu erreichen.
Also, meine Damen und Herren, die Opposition sieht, wie gesagt, ebenfalls Novellierungsbedarf; das haben wir von Ihnen jedenfalls immer wieder gehört. In einem diametralen Gegensatz stand die Initiative der von der SPD geführten Bundesregierung im Jahre 1981 mit der Vorlage des Entwurfs einer Baulandbereitstellungsnovelle. Es scheint offenbar bei zahlreichen Kolleginnen und Kollegen der Opposition in Vergessenheit geraten zu sein, mit welcher Vehemenz sie damals die Verabschiedung dieser Novelle im Blick auf die, wie es damals hieß, Bedürfnisse der Bürger und ihrer Gemeinden gefordert haben.
Wir greifen auch diese Novellierungsbedürfnisse auf, und sie werden in diesem Gesetz in den größeren Rahmen einer jetzt möglichen Gesamtlösung eingebunden. Sie bringt an vereinfachenden und fortentwickelten Rechtsgestaltungen ein Mehrfaches dessen, was mit der letzten gescheiterten Teilnovellierung der von der SPD geführten Bundesregierung im Jahre 1981 versucht wurde.
({0})
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, behaupten jetzt gleichwohl, der Entwurf des Baugesetzbuches sei nur eine Teilnovellierung. Heute ist das nicht gesagt worden, aber wir hören das j a die ganze Zeit.
({1})
Ich frage Sie. Wie beurteilen Sie dann Ihre damalige Kleinstnovelle aus dem Jahre 1981?
Soweit mir bekannt ist, Herr Zöpel, haben es auch die SPD-geführten Länder im Bundesrat, entgegen damaliger Ankündigungen, bisher nicht für notwendig gehalten, diese Novelle nochmals aufzugreifen. Jedenfalls liegt uns bisher so etwas nicht vor.
Meine Damen und Herren, der Regierungsentwurf eines Baugesetzbuchs kann für sich in Anspruch nehmen, daß er die anstehenden städtebaulichen Problemstellungen der Städte und Gemeinden umfassend löst. Alles, was nach allgemeiner Überzeugung novellierungsbedürftig ist, wird durch den Gesetzentwurf erfaßt. Es wäre gegenüber den Bürgern und ihren Gemeinden unvertretbar, das Gesetzesvorhaben zu verschieben.
Die Baunutzungsordnung, die Synchronisation des Fachplanungsrechts mit dem Recht der Bauleitplanung und das geltende Nachbarrecht fügen sich nahtlos auch in ihrer gegenwärtigen Gültigkeit in den Entwurf eines Baugesetzbuchs ein. Dieses Recht gilt ebenso weiter wie ein großer Teil der Vorschriften des Bundesbaugesetzes und des Städtebauförderungsgesetzes, die wir als bewährte Regelungen durch das Baugesetzbuch zusammenfassen.
Der Kritik der Opposition stelle ich daher die Bereiche entgegen, die durch das Baugesetzbuch unter dem Gesichtspunkt der Vereinfachung und Fortentwicklung neu aufgegriffen werden. Das
Recht der Bauleitplanung und der Zulässigkeit von Vorhaben wird vereinfacht.
Die Bestandskraft von Bebauungsplänen und anderen städtebaulichen Satzungen wird gefestigt.
Zwischen der Bauleitplanung einerseits und den Entscheidungen über die Zulässigkeit von Bauvorhaben im Einzelfall wird ein gleichgewichtigeres Rangverhältnis herbeigeführt. Also konkret: Die situationsgemäßen Anwendungsmöglichkeiten durch die Gemeinden werden gestärkt. Dabei bleibt - das will ich ganz klar sagen, weil hier anders interpretiert wird; auch von Ihnen, Herr Werner, ist heute morgen anders interpretiert worden - der Grundsatz der städtebaulichen Ordnung voll gewahrt.
Die verschiedenen Vorkaufsrechte werden zusammengefaßt, und die Gemengelageproblematik wird gelöst.
({2})
- Ja, lieber Herr Müntefering, seit 1976 - da sind wir uns doch wahrscheinlich einig - hat uns die damalige Bundesregierung eine solche Lösung der Gemengelageproblematik geschuldet.
({3})
Mit diesen Vorschriften ist es möglich, die Gemengelageproblematik zu lösen.
({4})
Das klassische Umlegungsrecht wird unter Vereinfachungsgesichtspunkten geändert und ergänzt. Auch das ist die heutige Opposition bei ihren Novellen 1966 und 1969 schuldig geblieben.
Die Gebiete für Kur und Erholung werden stärker vor sachfremden Nutzungen geschützt. Die längst überfällige gesetzliche Reparatur des geltenden Erschließungsrechts wird geleistet. Die Integration - nicht das Zusammenschreiben, wie es von Ihnen immer heißt - des Städtebauförderungsrechts in das Baugesetzbuch wird vollzogen. Damit wird einer Forderung entsprochen, die von den Städten und Gemeinden bereits bei der Verabschiedung des Bundesbaugesetzes im Jahre 1959 gefordert wurde. Der gemeindliche Handlungsspielraum in der städtebaulichen Ordnung wird erweitert und die Selbstverwaltungsrechte im Bereich des Städtebaus werden fortentwickelt und gestärkt.
Bereits diese Kernpunkte, die ich eben nennen durfte, machen deutlich, daß wir mit diesem Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg sind.
({5})
Der Gesetzentwurf - meine Damen und Herren, wer ihn gelesen hat, wird das bestätigen - zielt in das Zentrum der Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben der Städte und Gemeinden. Wenn die kommunalen Baubehörden zügig und bürgernah arbeiten wollen, dann darf nicht jeder Schritt von oben angeordnet werden, dann dürfen Ermessensspielräume der Verantwortlichen vor Ort nicht unnötig eingeengt werden. Diese Feststellung hat Bundeskanzler Dr. Kohl vor den kommunalen Spitzenverbänden getroffen. Das, was hier ausgesagt worden ist, wird durch den Entwurf des Baugesetzbuches eingelöst.
Wir treten mit dem Bundeskanzler dafür ein, die bewährte Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden zu stärken und vor den Begehrlichkeiten höherer Verwaltungsebenen zu schützen. Wir stehen hier in einer Solidarität mit all denen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten zu Anwälten der Städte und Gemeinden im Interesse ihrer Bürger gemacht haben.
({6})
Uns fehlt jedes Verständnis dafür, wenn der Stadtstaat Hamburg die im Interesse der Städte und Gemeinden liegende Neuordnung im Verhältnis von Staat und Gemeinden in den zuständigen Ausschüssen des Bundesrates ablehnt. Sie haben heute eine moderatere Stellung angekündigt, Herr Zöpel, aber bei Hamburg ist sie offensichtlich so geblieben. Jedenfalls ist uns das so bekannt. Wir sehen darin einen bedauerlichen Mangel an Solidarität zwischen Stadtstaaten und anderen Gemeinden.
({7})
Man muß fragen, meine Damen und Herren: Wird dort schon nicht mehr nach Sachgerechtigkeit verfahren, oder sollte hier nur die parteipolitische Taktik vor die originären Interessen der anderen Städte und Gemeinden gestellt werden?
({8})
- Ja, darauf sind wir gespannt. Das werden wir diskutieren. Er hat sich klar geäußert.
Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf muten wir auch den Ländern zu, auf liebgewordene Genehmigungrechte und Zustimmungsvorbehalte zum Teil zu verzichten. Die Bundesregierung hat sich hierzu aus wohlerwogenen Gründen entschlossen.
Die kommunale Landschaft hat sich grundlegend geändert. Adressat des Bundesbaugesetzes im Jahre 1959 oder 1960 waren 24 500 Gemeinden im Bundesgebiet. Die in den Ländern abgeschlossenen Kommunal- und Gebietsreformen und Verwaltungsreformen haben zu leistungsfähigeren Gemeinwesen auf örtlicher Ebene geführt. Die Stärkung der Verwaltungskraft war ein wesentliches Moment dieser Verwaltungsreform. Und es müssen doch Konsequenzen aus der Tatsache gezogen werden, daß zahlreiche Gemeinden und Dörfer in größeren örtlichen Einheiten aufgegangen sind, denen wir heute auch mehr Verantwortung als vor 25 Jahren geben können.
Wir haben heute 8 500 Gemeinden und Städte. Die sind Adressaten unseres Baugesetzbuches. Sie verdienen das Vertrauen, meine ich, das ihnen der Regierungsentwurf entgegenbringt. Meine Fraktion wird dafür sorgen, daß das Verhältnis von Staat und Gemeinden im Baugesetzbuch im Blick auf die neuen Kommunalstrukturen behutsam zugunsten
der Städte und Gemeinden verändert und fortentwickelt wird. Meine Damen und Herren, dort erlebt der Bürger den Staat. - Das ist heute schon einmal gesagt worden. - Dort muß es auch möglich sein, sehr flexible und angepaßte rechtsentsprechende Lösungen zu finden. Das wollen wir und sonst überhaupt nichts.
({9})
Das dient in vielen Fällen auch der Befriedung. Das ist demokratische Kommunalpolitik.
({10})
- Ich bin gespannt, wie sich die Opposition, Herr Müntefering, zu diesem Prüfstein der gemeindlichen Selbstverwaltung einlassen wird, wenn wir uns heute anschicken, die zahlreichen staatlichen Mitwirkungspflichten bei den städtebaulichen Entscheidungen der Gemeinden auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken.
Wir sind davon überzeugt, daß die Gemeinden das Vertrauen, das in sie in diesem Gesetzentwurf gesetzt wird, verdienen. Und wir wissen auch, daß sich die Gemeinden als Teil - und sie sind Teil - des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland in den Gesamtraum des Staates einordnen müssen. Wir müssen daher jenen, die die Gemeinden völlig von staatlichen Aufsichtsfunktionen freistellen wollen - auch die gibt es -, eine Absage erteilen. Wir erteilen aber auch allen eine Absage, die meinen, daß die derzeit geltenden Genehmigungs- und Zustimmungsrechte des Staates den Anspruch auf Unabänderlichkeit rechtfertigen.
Wir wollen insbesondere die Rechtsaufsicht für Bebauungspläne neu definieren und mit Bezug auf sachlich nicht mehr gebotenen Verwaltungsaufwand bei den Genehmigungsbehörden verändern.
Ich weiß, Herr Präsident, meine Redezeit ist am Ende.
({11}) - Jedenfalls zeigt das hier das rote Licht an.
Die angemeldete Zeit ist vorüber. Ihre Fraktion hat noch einen Rest. Aber ich kann mir vorstellen, daß es noch eine weitere Wortmeldung gibt, die innerhalb der insgesamt vereinbarten Redezeit abgewickelt werden könnte. - Wenn Sie sich knapp faßten. Ich passe hier ein bißchen auf.
Ich darf vielleicht nur noch eines bemerken. Herr Conradi, wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe - die waren auch aus Ihrer gestrigen Pressemeldung zu entnehmen -, vermissen Sie im Regierungsentwurf die von der Bundesregierung angeblich großartig angekündigten neuen Rechtsinstrumente - so haben Sie sich ausgedrückt - auf dem Gebiet des Städtebaurechts.
({0})
Hierzu möchte ich für meine Fraktion feststellen, daß wir unser Heil nicht in immer neuen Rechtsinstrumenten sehen, sondern in der Vereinfachung des ohnehin schon differenzierten und weitverzweigten städtebaulichen Instrumentariums. Diesen bedeutenden Fortentwicklungsansatz scheinen Sie übersehen zu wollen, weil er nicht in Ihr politisches Konzept paßt. Dem Bürger ist nicht immer mit neueren und komplizierteren Instrumenten gedient. Er erwartet, daß die städtebauliche Ordnung für ihn verstehbar und auch nachvollziehbar bleibt. Konkret gesagt: Er erwartet - das erwartet auch die investierende Wirtschaft; wir haben heute morgen vom Herrn Dörflinger schon gehört, welcher Investitionsstau sich gerade aus solchen Problemen ergibt -, daß er im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften schneller als bisher zu seiner Baugenehmigung kommt.
({1})
Meine Damen und Herren, es gibt eine Menge von Vorschriften, die in diesem Gesetzentwurf eingebracht sind, die das geltende Städtebaurecht vereinfachen und fortentwickeln sollen. Ich muß auf die Aufzählung verzichten, da mir die Zeit dafür nicht mehr zur Verfügung steht.
Ich darf Ihnen zum Abschluß zusammenfassend noch folgendes sagen. Der Regierungsentwurf ist jetzt, in dieser Legislaturperiode erforderlich. Das ist die Meinung meiner Fraktion. Wer die Gemeinden und Bürger auf die nächste Legislaturperiode verweist, gibt ihnen Steine statt Brot.
Der Entwurf ermöglicht im Sinne eines verstärkten Umweltschutzes die Konzentration der städtebaulichen Aufgaben der Gemeinden auf Innenbereiche. Wir wissen, daß künftig eine mehr introvertierte Städtebaupolitik gefordert ist - deswegen überall unsere Ansätze gerade in dieser Frage. Die umweltschützenden Anforderungen an die städtebauliche Ordnung werden mit den anderen städtebaulichen Grundsätzen verzahnt. Durch Bauleitplanung wird Umweltschutz von vornherein in optimaler Weise in den Städtebau einbezogen. Man könnte sogar sagen, Herr Werner - wenn Sie das richtig gelesen haben und verstehen wollen -:
({2})
die Bauleitplanung ist so angelegt, daß sie eigentlich eine Umweltverträglichkeitsprüfung darstellt.
({3}) - Das wird künftig auch so sein.
Die Rechtssicherheit des Erschließungsrechts wird durch den Gesetzentwurf wiederhergestellt. Ist denjenigen, meine Damen und Herren - darauf hat Herr Dörflinger bereits hingewiesen -, die ein Baugesetzbuch in die nächste Legislaturperiode verweisen wollen, eigentlich bekannt, welche Mindereinnahmen die Städte und Gemeinden pro Jahr in Millionenhöhe verkraften müssen, weil das Erschließungsrecht fachlich von niemandem bestritMagin
tene Lücken hat, die sich katastrophal auch auf die Finanzlage der Gemeinden auswirken?
({4})
Ich sage aber ebenso, daß die neu eingeräumte Möglichkeit, das Erschließungsbeitragsrecht teilweise in Landeskompetenz zu überführen, nicht zu einer Zersplitterung der finanziellen und rechtlichen Grundlagen der städtebaulichen Ordnung führen darf.
Die Bemühungen um eine Gesamtlösung gehen auf Initiativen zurück - auch darauf ist schon hingewiesen worden -, die bereits 1981 konkrete Gestalt annahmen. Seit dem Scheitern der von der damaligen SPD-geführten Bundesregierung eingebrachten Baulandbereitstellungsnovelle arbeiten Gremien des Bundes und der Länder und der kommunalen Spitzenverbände an einer Zusammenfassung des Städtebaurechts. Wir arbeiten nicht erst seit Dezember 1985 an dieser Aufgabe. Aber wir haben nun den Entwurf. Dafür möchten wir Ihnen, Herr Minister, weil wir wissen, welche schwierige Aufgabe da gestellt wurde, Ihnen und Ihren Mitarbeitern herzlich danken.
({5})
Herr Abgeordneter, nun haben wir Ihnen fast fünf Minuten dazugegeben.
Meine Damen und Herren, wir sind davon überzeugt - es hat bisher kein Gesetz den Bundestag so verlassen, wie es hineingekommen ist -, daß es ein gutes Gesetz wird, mit dem wir die Zukunftsaufgaben im Städtebau mit unseren Bürgern gemeinsam leisten können.
({0})
Damit sind wir immer noch im Rahmen der vereinbarten Gesamtredezeit.
Das Wort hat der Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Dr. Zöpel, für eine kurze Intervention.
Minister Dr. Zöpel ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu zwei Komplexen, zu denen Sprecher der Regierungsparteien Stellung genommen haben, möchte ich noch etwas sagen.
Einmal zu der angeblichen Verweigerung Nordrhein-Westfalens mitzuarbeiten: Am 10. Oktober 1985 wurde ein Referentenentwurf vorgelegt, aus dem deutlich wurde, daß die gemeinsame Zielsetzung des Bundesbauministers und aller Länder nicht erfüllt war und sich auch in knapp zwei Monaten, nämlich bis zum Beschluß der Bundesregierung am 4. Dezember 1985, nicht mehr erfüllen ließ. Deshalb haben wir darauf verzichtet, Detailkorrekturen anzubringen, die nichts gebessert hätten. Das war alles.
Im Bundesrat werden wir natürlich die Anträge stellen, um Schaden abzuwenden und vor allem die ökologischen Verschlechterungen in den §§ 34 und 35 wieder zurückzunehmen.
({1})
Zu den Interpretationen, die Sie auf Grund dessen angestellt haben, ist mir eigentlich nur eins eingefallen: Wenn das Regierungslager sagt, die Nichtmitarbeit Nordrhein-Westfalens boykottiere - das heißt ja: behindert effektiv - die Arbeit am Bundesbaugesetz, muß ich mich natürlich fragen: Welchen Eindruck haben Sie von der Wirkung des Herrn Kollegen Schneider auf seine Beamten? Die waren nämlich einmal so gut, daß sie auch ohne unsere Hilfe Gesetze machen konnten
Das zweite. Sie haben gesagt, ich hätte so moderat geredet, und haben daraus eine Art Zustimmung abgeleitet. Ich will Ihnen eins sagen: Ich werde bei dieser Sache als Fachminister - eine breite politische Öffentlichkeit gibt es nicht, die sich begeistern könnte, wenn wir wegen dieses Gesetzentwurfs mit dem Holzhammer aufeinander zugingen - von Trauer erfüllt wegen der verpaßten Gelegenheit, auf die man sich 1983 geeinigt hat, nämlich tatsächlich in acht Jahren eine richtige Anpassung des Bauplanungsrechts an die ökologischen Veränderungen in unserer bebauten Umwelt vorzunehmen.
({2})
Da bin ich von Trauer erfüllt, und deshalb redet man moderat, deshalb verzichtet man darauf, den Holzhammer zu nehmen. Daß Sie daraus auch noch Zustimmung ableiten, ist mir unverständlich.
Auch wenn Sie zu einem Scheinerfolg kommen werden, wird Ihnen das keine Stimme mehr und keine Stimme weniger bringen. Das sagen Ihnen auch Ihre Wahlexperten. Das zeigt schon, wie resigniert Sie selber auf Grund dieser verpaßten Gelegenheit sind, ein anständiges Planungsrecht zu schaffen.
Noch einmal: Machen Sie Wahlkampf mit den Themen, die Ihnen Herr Geißler rät, und lassen Sie der Bauwelt die Chance, in der nächsten Legislaturperiode in Ruhe wirklich ein gutes Baurecht zustande zu bringen! Es sei denn, Sie glauben, Sie könnten das in der nächsten Legislaturperiode sowieso nicht mehr verantwortlich tun. Das scheint mir der letzte Grund für Ihre Eile zu sein.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu zwei Bemerkungen des Ministers Zöpel und zu den Bemerkungen des Kollegen Reschke machen.
Erstens. Herr Minister Zöpel, Ihre Verweigerungshaltung, die Sie in dem Brief an Ihre Beamten zum Ausdruck gebracht haben, war schon mehr als Verweigerung. Das war Obstruktionspolitik, zu der die Parole von Ihrem Ministerpräsidenten ausgegeben wurde.
({0})
Zweitens. Wir haben in der Tat Ihre moderate Darstellung heute mit Überraschung aufgenom14334
men. Aber wir sind keineswegs der Auffassung, daß Sie Ihre bisherige ablehnende Haltung im Laufe der Gesetzgebungsarbeit trotz besseren Wissens aufgeben werden. Es wird mit diesem Baugesetzbuch keinen Scheinerfolg geben, sondern durch dieses Baugesetzbuch wird in Zukunft eine wesentliche Verbesserung für Bürger und Verwaltung gewährleistet.
({1})
Wenn Sie, Herr Kollege Reschke, eben beklagt haben, daß dieser Entwurf zu sehr auf die Belange der Wirtschaft eingehe, zu sehr die Belange der Wirtschaft berücksichtige, dann frage ich Sie nur: Wollen Sie die Wirtschaft schwächen und damit Arbeitsplätze gefährden? Warum verwenden Sie nicht die neuen Begriffsbestimmungen, die in § 1 enthalten sind, daß nämlich gerade bei der Aufstellung von Bebauungsplänen und Flächennutzungsplänen die Belange der Wirtschaft einschließlich der mittelständischen Struktur zu berücksichtigen sind?
({2})
Wir wollen durch dieses Baugesetzbuch aber auch gewährleisten, daß der Gesichtspunkt der Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen berücksichtigt wird. Das ist unsere Zielrichtung; davon haben Sie nichts gesagt. Gerade Sie und Minister Zöpel hätten Anlaß genug, darauf hinzuweisen;
({3})
denn in Nordrhein-Westfalen haben wir die höchsten Arbeitslosenzahlen. Hier geschieht zuwenig. Wir wollen durch dieses Gesetz auch in diesem Bereich Verbesserungen erzielen.
Ein nächster Punkt: Herr Kollege Reschke, wir haben - die Bundesregierung hat das vollzogen - wesentliche neue Aspekte des Umweltschutzes in diesem Gesetzentwurf verankert. Ich glaube sagen zu dürfen, daß durch dieses Gesetz die Probleme des Umweltschutzes, Bodenschutzes, alle die Probleme, die uns in den letzten Jahren bedrückt haben - Altlasten -, besser in den Griff zu bekommen sind als durch das bisherige Verfahren.
Ein nächster Punkt: Erhaltung und Sicherung von Arbeitsplätzen. Die Bundesregierung hat in § 34 Abs. 3 eine Regelung vorgeschlagen, die gerade auch für Nordrhein-Westfalen - Herr Kollege Reschke, Sie kommen aus diesem Bereich ({4})
ganz besonders wichtig ist, um die Gemengelageproblematik zu lösen. Sie haben in Ihrer Regierungszeit dazu nichts getan. Diese Regierung hat das jetzt getan. Wir sind sehr zufrieden, daß dadurch in der Tat Arbeitsplätze gesichert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Dieser Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, wird sorgfältig - dessen können Sie sicher sein -, aber auch zügig beraten werden. Wir werden von der Koalition aus diesen Gesetzentwurf mit Nachdruck unterstützen.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/4630 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Verkehr und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Uns liegt der Wunsch des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses vor, auch den Haushaltsausschuß beratend, also nicht nicht nach § 96 unserer Geschäftsordnung, einzubeziehen. Dem haben die Geschäftsführer der Fraktionen zugestimmt. Ich nehme das also in die Vorschläge auf.
Gibt es zusätzliche Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung - einschließlich der Überweisung an den Haushaltsausschuß zur Beratung - so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Vogel, Roth, Müntefering, Conradi, Eickmeyer, Lohmann ({0}), Meininghaus, Menzel, Ranker, Reschke, Schmitt ({1}), Dr. Sperling, Frau Weyel, Wolfram ({2}) und der Fraktion der SPD Sicherung preiswerten Wohnens
- Drucksache 10/4292 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({3})
Rechtsausschuß
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung Kohl kümmert sich nicht um die Sorgen der Mieter. Sie hat zu Beginn ihrer Regierungszeit das Mietrecht deutlich verschlechtert und dann die Akte „Mieter" als erledigt beiseite gelegt. Sie ist offensichtlich schon damit zufrieden, daß die befürchtete Katastrophe in Form einer flächendeckenden Mietexplosion nicht eingetreten ist. Sie verschanzt sich hinter nichtssagenden Bundesdurchschnittszahlen und redet.
Hätten Sie doch, Herr Minister Dr. Schneider, wenigstens halb soviel Intensität auf die Sorgen der Mieter gerichtet wie auf den Bau-Duden, über den wir eben gesprochen haben!
Herr Minister, Bundesbaugesetz und Städtebauförderungsgesetz zusammenschreiben und zwischen zwei Buchdeckel zwingen - das können Ihre Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter auch allein. Das machen die sicher ganz ordentlich.
({0})
Sie sollten sich lieber um das kümmern, was die Menschen besorgt macht, beispielsweise die Mieter. Ich nenne den Mietpreis. Darum kümmert sich der Minister nicht weiter, dazu weiß der Minister auch nicht viel.
Die SPD-Fraktion hat mit acht Fragen in Form einer Kleinen Anfrage um Auskunft darüber gebeten, wie es denn um die Entwicklung der Mietpreise und um die Zahlungsfähigkeit der Mieter steht. Sechs von acht Antworten werden in bezeichnender Weise eingeleitet. Antwort Nr. 1: „Die amtliche Statistik enthält keinen hinreichend genauen Nachweis."
Antworten Nr. 2 und 3: „Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsrückstände von Mieten werden bundesweit nicht erfaßt. Die Bundesregierung kann somit keine Aussagen machen."
Antwort Nr. 4: „Die Zahl der Räumungsklagen gegen Mieter ist nicht bekannt."
Antwort Nr. 5: „Der Bundesregierung liegen keine amtlichen Statistiken über die Zahl der Obdachlosen vor."
Antwort Nr. 7: „Der Bundesregierung liegen keine Statistiken darüber vor."
In zwei der acht Antworten wird die Bundesregierung allerdings eindeutig. Das klingt dann so: „Direkte Maßnahmen zur Vermeidung und zur Beseitigung von Obdachlosigkeit fallen in den originären Aufgabenbereich der Städte und Gemeinden."
Alles in allem: Der Ausstieg eines Ministers aus seiner Mitverantwortung auch für die Situation der Mieter und für die Wohnungsversorgungsprobleme unserer Städte.
In den trotzdem mager eingestreuten Statistiken gibt es immerhin einige aufschlußreiche Zahlen. Die Mieten für Zweipersonenhaushalte - Rentner und Sozialhilfeempfänger mit geringem Einkommen - sind seit 1983 bundesdurchschnittlich um 50 DM monatlich gestiegen. Man kann es auch anders sagen: Dieser Personenkreis muß 21 % des verfügbaren Einkommens - das sind 1,5 Prozentpunkte mehr als 1982 - für die Miete ausgeben. Rechnet man die Heizungskosten hinzu, sind das rund 30 % des verfügbaren Monatseinkommens. In Zahlen: Rund 500 DM von 1 600 DM Einkommen gehen fürs Wohnen drauf. Es bleiben 1 160 DM fürs Leben; für zwei Personen sind das für jeden Tag 20 DM. Aber die Kohl-Regierung - und der Minister auch - sagt: Alles in Ordnung, die Mieten steigen nominal nur noch gering. Daß die verfügbaren Einkommen noch sehr viel weniger steigen und teilweise sogar gesunken sind, verschweigt man.
({1})
Ich wiederhole: Die Regierung Kohl kümmert sich nicht um die Sorgen der Mieter.
({2})
Einmal allerdings hat sich die Regierung in diesen Jahren auch zu den Sorgen der Mieter geäußert. Da weinte an diesem Pult plötzlich der Herr Lambsdorff Krokoldiltränen um die Mieter, die sich in den Klauen der Neuen Heimat befinden,
({3})
und auch der Minister Schneider pries sich als Anwalt der Mieter an. Das war schon damals seltsam, und es hat sich in der Tat bald als Luftblase erwiesen.
({4})
Gestern abend im ZDF war denn auch bei Ihnen, Herr Minister, als Sie zur Neuen Heimat befragt wurden, von Mietern nicht mehr die Rede; da wiesen Sie kühl Ihre Mitzuständigkeit zurück und versuchten, die Neue Heimat auf das Schachmattfeld zu schieben. Wenn die Zeitung, die sich ausgerechnet „Welt" nennt - dabei ist die Welt doch etwas Sympathisches -,
({5})
eine Reaktion der Neuen Heimat auf einen Bericht des Ministers Schneider zum „Hilferuf" hochstilisiert und gestern in einer Schlagzeile die Pleite der Neuen Heimat ausruft, weiß der Minister Schneider nichts anderes, als kühl auf Distanz zu gehen: Er sei nicht hinreichend informiert. Das scheint mir auch!
Nehmen Sie, Herr Minister, doch endlich Partei für die rund 60 % der Menschen in unserem Lande, die Mieter sind, auch für die fast 300 000 Mieter der Neuen Heimat, für die rund 1 Million Menschen, die unmittelbar betroffen sind, die Sorgen und Angst haben müssen, wenn die Pleite ihres Vermieters von Ihnen und Ihren Mitkämpfern wahlkampfgerecht betrieben und verkündet wird.
Ihre Aufgabe, Herr Minister, ist es nicht, am Niedergang der Neuen Heimat die Überlegenheit des Kapitalismus zu beweisen. Ihre Aufgabe ist es, dabei zu helfen, daß sich die Menschen in unserem Land, auch die in den Wohnungen der Neuen Heimat, in ihrer Wohnung sicher fühlen können.
({6})
Wohlgemerkt, der Zustand, in den die Neue Heimat vor Jahren durch die Mißwirtschaft größenwahnsinniger Manager an ihrer Spitze gedrängt worden ist,
({7})
ist nicht zu beschönigen; wir erwarten keine Freundlichkeiten in dieser Richtung, und wir selbst geben auch keine Freundlichkeiten in dieser Richtung von uns. Aber wenn Sie sich schon so sehr über die Neue Heimat mokieren, sollten Sie doch wenigstens bereit sein, mindestens den Mieterschutz zu garantieren, den die Neue Heimat ihren
Mietern garantiert, auch denen, die von den Verkäufen betroffen waren oder betroffen sind.
Die Neue Heimat garantiert ihren Mietern folgendes: erstens im Falle der Umwandlung einer Mietwohnung in Einzeleigentum ein Vorkaufsrecht für den Mieter mit einer angemessen langen Entscheidungsfrist; zweitens beim Verkauf an einen Dritten eine achtjährige Sperre für Eigenbedarfskündigung; drittens Schutz des Mieters gegen übertriebene Modernisierung. Das sind auch Punkte in unserem Antrag, die wir, Herr Minister und meine Damen und Herren von der Koalition, miteinander beschließen können, wenn Sie es denn mit Ihrer Sorge um die Mieter ernst meinen.
Wir werden sicher auch miteinander beschließen können, daß der höchstmögliche Mieterhöhungssatz von 30 % in drei Jahren deutlich reduziert wird. Angesichts der heutigen Einkommens- und Preisentwicklung sind 30% in drei Jahren unanständig hoch. Da werden wir uns ja miteinander einig sein und werden beschließen können, daß dieser Satz reduziert werden muß.
So schwächlich Ihr Verhalten in Sachen Neue Heimat ist, so unklar und diffus ist Ihr Verhalten in bezug auf die Wohnungsgemeinnützigkeit allgemein. Da gibt es zwar die wiederholte Zusage des Ministers, die Wohnungsgemeinnützigkeit bleibe in dieser Legislaturperiode unverändert, aber dann kommt das Gutachten von Herrn Stoltenberg, und darin wird festgestellt: Die Wohnungsgemeinnützigkeit ist überflüssig. Wir warten darauf, daß Sie, Herr Minister, jetzt Experten des Wohnungsbaus und der Familien-, Sozial- und Gesellschaftspolitik ebenfalls mit einem Gutachten zur Wohnungsgemeinnützigkeit beauftragen, damit hier außer über Steuervorteile auch einmal über die Menschen gesprochen wird,
({8})
denen die Wohnungsgemeinnützigkeit nützt. Darauf warten wir bisher vergeblich.
Plötzlich war dann im Dezember - in der „Welt", versteht sich - zu lesen, Minister Schneider gehe auf Distanz zur Wohnungsgemeinnützigkeit, übrigens unter Hinweis auf die negativen Erfahrungen mit der Neuen Heimat. Man kann den Gesetzentwurf ja fast schon riechen, der im Laufe dieses Jahres von Ihnen, von der Regierung, vorgelegt werden wird, um die Wohnungsgemeinnützigkeit insgesamt auszuhebeln und wegzuradieren.
Dabei steht fest: Der Vorschlag der vom Bundesfinanzminister eingesetzten Kommission, die Wohnungsgemeinnützigkeit aufzuheben, ist bedenklich. Auch die krassen Fehlentwicklungen bei einem bestimmten Wohnungsbauunternehmen sprechen nicht gegen die Wohnungsgemeinnützigkeit insgesamt.
({9})
Da hätten Sie auch klatschen sollen, denn das hat
der stellvertretende Ministerpräsident des Freistaates Bayern, Herr Hillermeier, gesagt, und das gibt mir ein bißchen Hoffnung.
({10})
Fest steht auch: Für die schwierigen wohnungspolitischen Entscheidungen brauchen die Gemeinden kompetente sozial engagierte Partner. Aus diesem Grunde wäre die Entlassung der Wohnungsunternehmen aus der Gemeinnützigkeit oder der Belegungsbindung falsch. Wir sollten nicht leichtfertig auf die Vorteile der Gemeinnützigkeit verzichten.
Das wiederum sagte Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister, und auch das gibt ein bißchen Hoffnung.
So bitte ich Sie denn, Herr Minister, daß Sie klipp und klar sagen: Wir brauchen die Gemeinnützigkeit, wenn nicht aus Liebe, dann im Interesse der Mieter, denn wenn wir die Gemeinnützigkeit wegradieren, werden wir die Sicherung für viele Millionen Menschen, die Sicherung in bezug auf ihre Wohnung, mit wegradieren. Das können wir nicht wollen, denn vor uns stehen große Probleme.
Bis Mitte der 90er Jahre entfällt ungefähr die Hälfte aller Sozialbindungen. Davon sind zwei Millionen Mieter, fünf bis sechs Millionen Familienmitglieder unmittelbar betroffen. Das wird besonders in den Jahrgängen der 50er und 60er Jahre und in den Innenstadtbereichen Mietsprünge auslösen. Die Zerschlagung der Wohnungsgemeinnützigkeit bedeutet höhere Mieten für Millionen Menschen. Deshalb haben wir in unserem Antrag Punkte vorgeschlagen, mit denen wir sicherstellen wollen und mit denen man sicherstellen kann, daß die Belegungs- und Mietpreisbindungen für unsere preiswerten Wohnungen erhalten bleiben.
Unser Appell an Sie: Seien Sie bereit, mit uns zusammen im Interesse der Mieter über deren Probleme zu sprechen und Wege zu suchen, um preiswertes Wohnen in unserem Lande zu sichern!
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte eigentlich vermutet, Herr Kollege Müntefering, daß Sie sich heute darauf beschränken würden zu sagen, wir müssen die Bestandspolitik als wesentlichen Bestandteil unserer künftigen Wohnungspolitik neu entdecken und in den Vordergrund stellen. Ich hatte auch vermutet, daß Sie aus gutem Grunde darauf verzichten würden, hier die Bundesregierung zu attackieren.
„Die Regierung Kohl", haben Sie gerade gesagt, „kümmert sich nicht um die Sorgen der Mieter."
({0})
Das ist dieselbe Platte wie im Winter 1982/83, als
Sie Hand in Hand mit dem von seinem Präsidenten
mißbrauchten Mieterbund - wo ist er eigentlich,
der Herr Mieterbundpräsident; der ist seit Jahren in keiner Debatte in diesem Plenum gewesen, wo es um Belange der Mieter ging ({1})
Ihre erste Kampagne gegen die neue Bundesregierung anfingen: „Wohnen wird wieder zum Risiko", „eine Mietenexplosion droht", „die Mieter werden vogelfrei", „Jahr für Jahr soll die Miete um 10% höher werden" und ähnliche Angstparolen, die verstreut wurden.
In einer Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages zu diesem Thema am 24. November 1982 sprachen Sie von „Katastrophe für die Mieter", von „Ausplünderung und Rechtslosstellung der Mieter".
({2})
- Sehr richtig, Herr Kollege Link. Lügen haben kurze Beine, und das gilt auch für Mietenlügen. Die Vorhersagen dieser Angstkampagnen auf dem Rükken von Millionen Mietern sind zerplatzt wie ein roter Luftballon. Aber Sie haben nichts, aber auch gar nichts dazugelernt. Statt dessen legen Sie heute einen Antrag vor, der unter der Überschrift „Sicherung preiswerten Wohnens" die ganze Diskussion wieder neu entfachen wird. Bereits der erste Satz ist wieder genau einer der Sätze aus dieser Giftküche der Angstmacher: „Angemessenes Wohnen wird für immer mehr Haushalte unbezahlbar."
({3})
- Wo leben Sie eigentlich, Herr Kollege Müntefering, angesichts der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland?
({4})
Die Ursache der Entwicklung - wen wundert es; Sie schreiben das in der Begründung - sehen Sie in der Mietengesetzgebung der Bundesregierung aus dem Jahre 1983.
({5})
Ich möchte mit wenigen Worten noch einmal die Fakten sprechen lassen. Dann komme ich auf das zurück, was Sie selber angesprochen haben, nämlich Ihre Verantwortung gegenüber denen, die heute wirklich Mietersorgen haben. Die Marktmieten steigen heute wesentlich langsamer als am Ende Ihrer Regierungszeit. Damals, Ende 1982, stiegen sie um 5,1%, 1985 um 2,6%. Bei den freifinanzierten Wohnungen waren es sogar nur 1,7 %. Damit lag die Steigerungsrate zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder unter der Steigerungsrate des Lebenskostenindex. Es ist mir völlig unverständlich, Herr Kollege Müntefering, wie Sie die geringfügige Erhöhung der Mietbelastungsquote - ich glaube, Sie haben von 1,5% gesprochen - innerhalb der letzten Jahre der Politik dieser Bundesregierung anlasten wollen. Der zeitweilige Anstieg der Mietbelastungsquoten ist das Ergebnis der ungünstigen Entwicklung der verfügbaren Einkommen durch
Ihre mißglückte Wirtschafts- und Finanzpolitik in
den letzten Jahren. Das ist doch selbstverständlich.
({6})
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, tragen deswegen die Verantwortung dafür, daß diese Mietbelastungsquote vorübergehend - sie geht ja wieder herunter ({7}) gestiegen ist.
Im übrigen verschweigen Sie unseriöserweise, daß in den Fällen, in denen angemessenes Wohnen für den einzelnen Haushalt unbezahlbar wird, das Wohngeld greift. Gerade vor wenigen Tagen ist die höchste Wohngelderhöhung in Kraft getreten, die es in der Geschichte der Bundesrepublik und in der Geschichte des Wohngelds überhaupt gab:
({8})
900 Millionen DM jährlich mehr Wohngeld. Das bedeutet für den einzelnen Wohngeldempfänger im Schnitt 42 DM monatlich mehr.
({9})
Meine Herren Kollegen von der SPD, das ist unsere Antwort auf Ihre neuen Forderungen nach staatlichem Dirigismus und Eingriffen in die Mietpreisbildung.
Nun wird die Bundesregierung in ihrem Antrag aufgefordert,
... schnellstens ein Gesetz vorzulegen, das folgenden Zielen entspricht: 1. Keine Umwandlungen, die Mieter verdrängen ... 2. Alte Wohnungsbindungen sichern und neue Wohnungsbindungen schaffen ...
Sie haben das soeben, Herr Kollege Müntefering, in Ihrer Rede wiederholt.
Welche Mieter haben denn zur Zeit die größten Angste, durch massenweise Umwandlungen verdrängt zu werden?
({10})
Welche Wohnungsbindungen werden denn zur Zeit zehntausendfach aufs Spiel gesetzt? Sind es denn die Wohnungen der vielen Miethausbesitzer, die ein, zwei Häuser haben? Was sollen denn die Hunderttausende von Mietern der Neuen Heimat beispielsweise denken, wenn Sie sich in dieser Art und Weise hier über die Mietenpolitik der Bundesregierung äußern?
({11})
Was sollen sie über diese Doppelzüngigkeit denken?
Wer sitzt denn dort im Aufsichtsrat der Neuen Heimat?
({12})
Da sitzt der DGB-Chef Breit, SPD;
({13})
da sitzt der Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft, Herr van Haaren, SPD; da sitzt der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall - hört! hört! - Franz Steinkühler, Erfinder der Minimax-Taktik und ähnlichen Unsinns, SPD; da sitzt der HBV-Vorsitzende Volkmar, SPD; da sitzt der DGB-Schatzmeister Teitzel, SPD; da sitzt von Nahrung und Genuß Herr Weber, SPD. Diese Ihre ehrenwerten Genossen kontrollieren als Geschäftsführer Herrn Hoffmann, SPD, und Herrn Frister, den ehemaligen GEW-Vorsitzenden, sehr mundschnell als er selbiges noch war, SPD.
Und was sagt nun der ab und an anwesende so weise Mieterbundpräsident Jahn, SPD, dazu? Spricht er weiter davon, das Wohnen wieder zum Risiko wird und daß die Mieter vogelfrei werden?
({14})
In der Dezember-Ausgabe der Mieterzeitung von ihm kommt er zu folgendem Schluß:
Als Mieter der Neuen Heimat haben Sie nach Gesetz und Mietvertrag einen guten Mieterschutz.
Donnerwetter, kann man da nur sagen. Herr Minister, nachträgliches Kompliment für unsere Mietengesetzgebung aus dem Jahr 1983!
Weiter schreibt Herr Jahn in dieser Zeitung:
Schließen Sie sich zusammen. Im örtlichen Mieterverein sind auch die Interessen der Neuen-Heimat-Mieter am besten aufgehoben.
Tolle Idee: SPD-Jahn bietet den Mietern Hilfe gegen SPD-Genossen im Aufsichtsrat an, gegen Beitragsentgelt, versteht sich; anders ist das ja nicht machbar.
({15})
Herr Kollege Müntefering, dazu brauchen wir keine Anträge im Deutschen Bundestag. Dann beantragen Sie bitte einmal bei Ihrem Parteivorsitzenden oder bei Herrn Vogel oder, falls er überraschenderweise etwas davon verstehen sollte, bei Herrn Rau, alle SPD-Genossen an einen Tisch zu bringen, die in diesem Land Wohnungsbaupolitik machen. Vielleicht nehmen Sie noch den Vorsitzenden der Bremer SPD, Herrn Kunick, dazu, der dazu kürzlich schrieb:
Die Kette Neue Heimat - DGB - nah der SPD - ist politisch nicht aus der Welt zu schaffen.
({16})
Wenn Sie den Kreis noch abrunden wollen, dann laden Sie auch den Münchener Oberbürgermeister ein - SPD -, der schrieb:
Es bedarf keiner Phantasie, daß diese Wohnungen anschließend zu weitaus höheren Preisen weiterverkauft werden und damit eine Praxis vollzogen wird, die sonst nur von Spekulanten geübt wird.
Trotz dieser traurigen Entwicklung, für die den DGB und die SPD ausschließlich die Verantwortung trifft, werden wir uns als CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag der Bestandsproblematik stellen. Wir werden auch Ihren Gesetzentwurf beraten, aber vor dem Hintergrund, den ich eben erleuchtet habe, und nicht als Instrument, diese Bundesregierung zu diskreditieren.
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Das Wort hat der Abgeordnete Werner ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Grundsatz bejahen wir diesen Antrag der SPD, preiswertes Wohnen zu sichern, weil wir uns der vorrangigen sozialpolitischen Bedeutung der Mietenpolitik bewußt sind. Wir GRÜNEN lehnen die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung ab, weil sie mit ihrer Eigentumsförderung den Weg in die Zwei-Klassen-Gesellschaft bahnt: Wer schon Geld hat, wird sich in einer sicheren Behausung freier entfalten können. Diese Umverteilung von unten nach oben lassen wir uns jetzt schon jährlich über 9 Milliarden DM kosten.
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Wer dagegen weniger Geld hat, ist auf den Mietwohnungsmarkt angewiesen.
Schenken wir unserem Wohnungsbauminister Glauben, so ist dort j a alles zum besten bestellt: Der „Mietermarkt" ist ausgebrochen, die Hauseigentümer scheinen vor der Allmacht der Mieter - ich betone: vor der Allmacht der Mieter! - zu zittern. Schneider wird nicht müde, sinkende Mieten propagandistisch herauszustellen. Da ist es aber auch kein Wunder, wenn Neubaumieten ohne Nebenkosten von 12 DM pro Quadratmeter oder mehr nicht mehr am Markt durchgesetzt werden können, und deshalb die Investoren zu Preisnachlässen gezwungen sind.
Preisnachlässe finden wir aber allenfalls auf dem höchsten Preisniveau für Wohnungen der besten Kategorien. Dagegen steigen die Mieten bei Wohnungen der mittleren Preiskategorien unverändert an, also bei etwa 8 DM pro Quadratmeter. Solche Steigerungen geschehen dann jedesmal bei einem Mieterwechsel.
Es zeugt schon von einem seltsamen Verständnis von Sozialpolitik, Herr Schneider,
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wenn Sie erklären, es sei praktizierte Sozialpolitik, daß die Mieterschaft insgesamt 4 Milliarden DM mehr Miete hätte bezahlen müssen, wenn der Mietanstieg nicht gebremst worden wäre. Das bedeutet doch nach Ihrer Meinung offenbar, Sozialpolitik sei der Zustand, bei dem die Ausbeutung eines Renditeobjektes an die Grenze der finanziellen Belastbarkeit der Mieter stößt, Herr Schneider. Wahrlich kein Ruhmesblatt!
Es wird jeden Mieter wenig trösten, daß die Mieten im letzten Jahr um durchschnittlich nur 1,7 %
Werner ({2})
gestiegen sind, wenn ein solcher Mieter gerade eine Mieterhöhung von 30% bekommen hat, wie sie j a gesetzlich zulässig ist. Es wird auch einen Mieter wenig trösten, wenn er gerade die Abrechnung für die Modernisierung in seinem Briefkasten findet. Schließlich weigert sich die Bunderegierung seit langem, direkte Zuschüsse zur Modernisierung und Energieeinsparung zu zahlen, um einen Riegel gegen Luxusmodernisierungen vorzuschieben.
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Gerade diese Mieterhöhungen durch Modernisierungen werden systematisch aus den Statistiken ausgeblendet, mit denen Sie die Erfolge Ihrer Mietenpolitik hochloben wollen.
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Aus diesen Gründen sind wir GRÜNE der Meinung, daß das Grundrecht auf sicheres Wohnen gesellschaftlich nicht teilbar ist. Es darf nicht den Wohneigentümern vorbehalten bleiben. Wir kämpfen dagegen, daß die Mieter zu einer Art vergessener Zwei-Drittel-Minderheit werden.
Wie ich schon eingangs erwähnte, unterstützen wir die Initiative der SPD. Nur, ich möchte doch noch einmal in Erinnerung rufen, daß viele Gesetze, die Sie jetzt ändern wollen, durch die sozialliberale Koalition verabschiedet wurden. Ich erinnere nur an das Mietrechtsänderungsgesetz, das zwar aus dem Jahre 1983 stammt, das aber durch die Umfallerpartei nicht mehr mit Ihnen, sondern mit der CDU verabschiedet wurde. Es lag aber schon „schlüsselfertig" bereit.
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- Ich habe erklärt, warum ich die Verabschiedung des Gesetzes im Jahre 1983 noch den Sozialdemokraten zugerechnet habe.
Ich erinnere auch an die Ausdehnung der 7 b-Regelung auf Käufe aus dem Wohnungsbestand 1977. Der Umwandlungs- und Spekulationsdruck auf preiswerte Wohnungen wurde hierdurch erst richtig angeheizt. Ich erinnere auch an die verbesserten Möglichkeiten, sich aus den Bindungen der Sozialwohnungen herauszukaufen. Die Anderungsgesetze von 1978, 1980 und 1982 tragen Ihre Unterschrift.
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Wenn dieser Antrag nun den Beginn einer neuen sozialdemokratischen Wohnungspolitik darstellt, so können wir ihn unterstützen. Ich freue mich, in Ihrem Antrag auch unsere grüne Forderung wiederzufinden, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu untersagen. Ich vermisse aber, daß Sie das Übel an der Wurzel angreifen; ich vermisse die Forderung nach Streichung der steuerlichen Förderung, wenn Wohnungen aus dem Altbaubestand verkauft werden. Der spekulationsbedingte Umwandlungsdruck würde rapide zurückgehen. So könnte preiswerter Wohnraum wirklich geschützt werden.
Liebe Kollegen von der SPD, Sie haben richtig erkannt, daß der Ausstieg aus den Preis- und Belegungsbindungen unbedingt verhindert werden mull. Dies ist um so nötiger, als bis 1995 von heute 4,5 Millionen Sozialwohnungen nur noch knapp 1 Million übrigbleiben werden. Ich vermisse aber Vorschläge darüber, wie Sie die Sozialwohnungen behandeln wollen, die im Besitz von Privatunternehmen sind. Diese Wohnungen sind ja bekanntlich mit dem Ende der öffentlichen Bindungen völlig frei vermietbar. Diese etwa 2,1 Millionen Wohnungen unterliegen dann - im Gegensatz zu den 2,4 Millionen Sozialwohnungen der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen - keinerlei Mietpreisbindung mehr. Es ist allen Beteiligten klar, daß die Mieten hierdurch explodieren werden. Wie ich schon in meiner Haushaltsrede betont habe, müssen die Wohnungen der Gemeinnützigen einer sozialen Belegungspolitik erhalten bleiben. Es muß aber verhindert werden, daß die Gemeinnützigen so eine Art Ausfallbürgschaft für die Opfer der Marktwirtschaft übernehmen. Sie, meine Kollegen von der SPD, würden sich damit an die Regierungspolitik anhängen, wenn auch Sie die 2,1 Millionen Sozialwohnungen der Privatunternehmen im Dunkeln verschwinden ließen.
Aus diesem Grunde hatte unsere Fraktion schon für den Haushalt 1986 die Einrichtung von kommunalen Interventionsfonds gefordert, die die Aufgabe haben sollen, u. a. solche Altbaubestände zu übernehmen, die von Umwandlung und Abriß bedroht sind. Diese Interventionsfonds sollen aber auch die Sozialwohnungen übernehmen, deren Bindungen auslaufen. Ein weiteres Ziel dieser Fonds wäre, besonders die Bildung von kleineren Genossenschaften und Projektgruppen zu fördern.
Wenn Sie, Herr Minister, die Anträge der Sozialdemokraten als Rückfall in die Wohnungszwangswirtschaft bezeichnen, wie Sie das öffentlich getan haben, so möchte ich Sie noch einmal kurz an folgendes erinnern: 1960 gab es - sozusagen von Ihren politischen Großvätern - ein Gesetz mit dem Titel „Gesetz zum Abbau der Wohnungszwangswirtschaft". Die Folge dieses damaligen Gesetzes war die erste große Mieterhöhungswelle in dieser Republik.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man möchte bei diesem Antrag der SPD fragen: Aus gehabtem Schaden nichts gelernt? Warum sollen alle Fehler der Vergangenheit wiederholt werden? Nur damit der Wohnungsbausektor ein Betätigungsfeld für Politiker bleibt?
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Ich bekenne mich der gleichen Sünden für schuldig. Aber wir haben daraus gelernt, und das unterscheidet uns offensichtlich.
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Für Liberale kann die Forderung nur Entflechtung, Verringerung der Staatsaufgaben lauten. Das bedeutet: Weg von der Objektförderung und hin zur Subjektförderung.
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Bei diesem Antrag möchte man mit Morgenstern sagen, daß für die SPD nicht sein kann, was nicht sein darf. Weil es nicht in ihr Weltbild paßt, wollen Sozialdemokraten einfach nicht wahrhaben, daß auch auf diesem Markt mehr Liberalisierung möglich ist, als es in ihr Denkschema paßt, und die Mietpreise nach der begrenzten Freigabe stabiler geblieben sind, als sie es erwartet und prophezeit haben und hier auch in ihrem Antrag wieder behaupten.
Die Außerkraftsetzung des Preises als Regulativ von Angebot und Nachfrage durch den Kündigungsschutz hat uns doch erst in eine Ungleichgewichtssituation gebracht, und zwar mit den Erscheinungen, die ich bereits beim Tagesordnungpunkt „Baugesetzbuch" angeführt habe, etwa der hohen Normen bei Neubauten und der Wohnungsmodernisierungen, wobei letztere zum Teil nur durchgeführt wurden, um den Mietpreisstopp zu umgehen, da nach der Modernisierung auch bei bestehenden Kontrakten eine Mietpreiserhöhung möglich war. Sie haben aber letztendlich zur Vernichtung preiswerten Wohnraums geführt und so das Angebot preiswerter Wohnungen verringert. Der Mietpreisstopp für bestehende Kontrakte führte aber auch zum Horten von Wohnraum, da meist eine kleinere neu kontrahierte Wohnung teurer als die größere alte war. So wurde das Angebot von günstigem Wohnraum auf dem Markt verringert, durch das der Preisanstieg hätte gebremst werden können.
Von den Sünden bei der steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus wollen wir gar nicht reden, aber vielleicht doch von der durch die besondere steuerliche Begünstigung und die Subvention bewirkten Kapital- und Ressourcenfehlleitung zum Nachteil anderer volkswirtschaftlich wichtigerer Investitionen, die weniger begünstigt worden sind.
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Eine solche Kapitalfehlleitung wirkt sich allemal nachteilig auf die wirtschaftliche Entwicklung und das Wirtschaftswachstum aus. Es wäre auch einmal interessant, dem Zusammenhang nachzuspüren, der zwischen der regionalen Arbeitslosigkeit und den aus einer falschen Wohnungsbaupolitik resultierenden Mobilitätskosten besteht, und zu fragen, ob sich daraus eine Verlangsamung des für das gesamtwirtschaftliche Wachstum erforderlichen Strukturwandels ergeben hat.
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Und diese Fehler sollen wir alle wiederholen, wenn es nach Ihnen ginge.
Da wird die Sicherung preiswerten Wohnens verlangt. Schon an dieser Formulierung ist doch zweierlei verräterisch: erstens das Wort „Sicherung" und zweitens das Wort „preiswert". Das ist der Zeitgeist in Europa. Wieder taucht hier das Verlangen nach Sicherheit, nach Absicherung auf.
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Aber diese Absicherung soll nicht durch eigenverantwortliches Handeln herbeigeführt werden; man ruft vielmehr nach Hilfe und denkt an Absicherung durch den Staat. Es ist also wieder einmal die Daseinsvorsorge durch den Staat und nun noch die Sicherung preiswerten Wohnens, also die Verteilung des Mangels. Wo bleibt hier die Gerechtigkeit? Das ist nämlich das eigentlich Tödliche an diesen ganzen Rezepten mit ihren Verstößen gegen alle Regeln der Marktwirtschaft: das Setzen von Ansprüchen - sprich: Normen des Wohnkomforts zu Niedrigstpreisen -, die in keinem Fall erfüllt werden können. Auf diese Weise gelingt es Politikern sicher immer wieder, die Notwendigkeit für Eingriffe in den Funktionsmechanismus des Marktes und damit letztendlich ihre Daseinsberechtigung zu begründen. Man muß nur den Preis so falsch wie möglich setzen, schon ergibt sich Handlungsbedarf, der sich wie hier im Antrag in Gesetzesvorschriften, aber auch in Forderungen nach Subventionen äußert.
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Von der negativen Wirkung von Subventionen auf die Beschäftigung wollen wir hier gar nicht reden. Trotzdem empfehle ich jedem das Gutachten des Kieler Weltwirtschaftsinstitutes zur Lektüre. Außerdem bedeutet „preiswert" auch hier einmal wieder Umverteilung. Wenn nämlich alle Anspruchsberechtigten - das sind z. B. bei einem Vier-Personen-Haushalt Haushalte mit einem Einkommen von bis zu 44 000 DM - eine subventionierte Sozialwohnung erhalten sollten, müßte für die Subventionierung von 15 Millionen Haushalten
- von insgesamt 25 Millionen Haushalten -, also für 60% der Haushalte, eine Umverteilung der Einkommen erfolgen, die bereits heute dazu geführt hat, daß die Subventionen von Bund, Ländern und Gemeinden im sozialen Wohnungsbau in der Regel
- Sie sollten das richtig genießen - 20 DM pro Quadratmeter betragen. Das heißt: Allein der Subventionsaufwand liegt höher als die Mieten für entsprechende Wohnungen am freien Markt. Dabei muß der Mieter einer Sozialwohnung heute außerdem noch häufig genug bereits 6 bis 7 DM pro Quadratmeter zahlen, woduch dann oft noch die zusätzliche Zahlung von Wohngeld für Mieter im sozialen Wohnungsbau erforderlich wird. Sehen Sie sich dazu den Subventionsbericht der Bundesregierung vom 12. September 1985 an. Die Umverteilung erfolgt also zugunsten der Erbauer von Sozialwohnungen, und dann kommen Sie noch mit der Forderung nach Hilfe für die gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften. Es ist aber nicht Aufgabe der öffentlichen Hand - ob Stadt, Land oder Bund -, beim Ankauf von Projekten der sanierungsbedürftigen Neuen Heimat zu helfen. Für die FDP kann die Forderung, auch auf dem Wohnungsmarkt, nur lauten: weniger Staat und nicht mehr Staat.
({7})
Hilfe für sozial Schwache kann nach liberaler Auffassung nur in der Form der Subjektförderung, nicht aber der Objektförderung erfolgen. Wohin uns die langen Jahre intensiver Objektförderung geführt haben, zeigt das Beispiel „Neue Heimat" schlaglichtartig. Ob die Subjektförderung in der Form des Wohngeldes als einer gebundenen Transferleistung die beste Lösung ist, wird von vielen Wissenschaftlern bezweifelt. Abgesehen davon, daß das Wohngeld zu Mißbrauch einlädt, partizipieren auch die Vermieter an der subventionierten Nachfrage und damit an den Subventionen. Daher spricht vieles für Zuwendungen, über deren Verwendung der Empfänger frei entscheiden kann.
({8})
Der neueste Vorschlag in dieser Richtung kommt von Professor Mitschke, der die Forderung erhebt, alle Sozialleistungen zu einem Bürgergeld zusammenzufassen. Seine neue Steuer- und Transferordnung kommt auf Grund dieser Berechnung zu einem marginalen Steuersatz von lediglich 30%. Das ist eine interessante Feststellung, die die Steuerreformpläne der FDP untermauert.
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Das Wort hat nun der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müntefering, Sie haben eine erstaunliche, eine dreiste - fast möchte ich sagen: tolldreiste - Rede gehalten.
({0})
Sie haben Tatsachen auf den Kopf gestellt und auch den untauglichen Versuch unternommen, unsere wohnungspolitischen Erfolge sozial zu diskriminieren.
({1})
Sie haben davon gesprochen, wir müßten jetzt über Menschen reden.
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Jawohl. Nur: Sie reden über die Menschen, wir aber handeln für die Menschen.
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Sie haben hier dann - das meine ich mit „dreist" und „tolldreist" - zu meiner Überraschung eine Debatte über die Neue Heimat begonnen. Dieser Herausforderung werde ich mich wirklich nicht entziehen.
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Die Vorgänge um die Neue Heimat sehe ich nicht mit Freude und schon gar nicht mit Schadenfreude. Das, was sich hier ereignet, macht mich zutiefst besorgt. Ich muß auf Grund meiner Verantwortung als Bundesminister den ganzen Ernst aufwenden, wenn ich mich diesen Vorgängen zuwende. Diese Vorgänge eignen sich auch nicht zu irgendwelcher Polemik.
({5})
Ich habe das bisher auch überhaupt nicht getan. Die Bundesregierung - das gilt auch für jedes Mitglied der Bundesregierung - wird sich an einer polemischen, sachfremden, den Interessen der Mieter der Neuen Heimat schadenden Auseinandersetzung nie und nimmer beteiligen.
({6})
Aber wenn wir herausgefordert werden, wie das heute geschehen ist, wie das auch damals durch die Aktuelle Stunde geschehen ist, werden wir antworten. Sie selber haben von größenwahnsinnigen Managern der Neuen Heimat gesprochen. Das ist eine euphemistische Umschreibung für einen Vorgang, für den man schon noch tiefer in den Vorrat unserer Sprache greifen muß, um auch nur annähernd den Abgrund beschreiben zu können, der sich hier vor uns auftut. Es gibt auch genügend sozialdemokratische Kollegen, die in diesem Hause nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten haben. Das schicke ich voraus.
Aber nunmehr zum Antrag selber. Der Antrag der SPD trägt das Datum 21. November 1985. Das ist genau der Zeitpunkt, zu dem das Statistische Bundesamt in Wiesbaden verlauten läßt, daß die Mietsteigerungen für die Wohnungen, die nach 1948 gebaut worden sind, auf 1,7 % gesunken sind. Wie man in dieser Lage einen Antrag zur Sicherung preiswerten Wohnens vorlegen kann, ist Ihr eigenes Geheimnis. Denn noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war der Wohnungsmarkt in einem so guten und so mieterfreundlichen Zustand wie heute.
({7})
Noch niemals war er so gut beschickt, und noch niemals war er so sozial ausgewogen wie heute.
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Die allgemeine Mietsteigerungsrate verzeichnet 1985 mit durchschnittlich 3,2 % den niedrigsten Stand seit vielen Jahren. Er lag damit ganz erheblich unter den 5,1 % des Jahres 1982. Darüber hinaus hat sich die Mietsteigerungsrate im Verlauf des Jahres 1985, wie Sie wissen, von Monat zu Monat abgeschwächt.
({9})
Sie hat sich seit Oktober 1982 von 4,9% auf nunmehr 2,4% mehr als halbiert. 2,5% weniger Mietinflation als zur Zeit der SPD-geführten Bundesregierung - ich wiederhole das - bedeutet 4 Milliarden DM weniger Belastung für die privaten Haushalte.
Das Jahr 1986 signalisiert einen Stabilitätsrekord bei den Mieten.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Bitte sehr.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, würden Sie freundlicherweise Ihre Rechnung um die Entwicklung der Einkommen ergänzen? Ohne die Entwicklung der Einkommen macht doch die Darstellung von Mietpreissteigerungen keinen Sinn.
({0})
Ich werde darauf eingehen. Ich stelle nur fest, daß meine Zahlen nicht zu bestreiten sind und daß sie einen wohnungspolitischen Erfolg verdeutlichen, der einzigartig in der ganzen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist.
({0})
Im frei finanzierten Wohnungsneubau sieht die Situation noch wesentlich günstiger aus. Was die Mietenentwicklung noch drückt, sind die Preisentwicklungen im sozialen Wohnungsbau.
({1})
Denn im frei finanzierten Mietwohnungsbau lag 1985 der Mietanstieg im Jahresdurchschnitt nur bei 2,2%. 1982 lag er immerhin noch bei 4,4 %, also doppelt so hoch. Diese 2,2% im Jahre 1985 sind die niedrigste jährliche Mietsteigerungsrate seit es den Mietenindex gibt. Und das sind 25 Jahre.
Wir haben mit der Wohngeldnovelle die Wohngeldleistungen um 900 Millionen DM auf über 3 Milliarden DM jährlich aufgestockt.
({2})
Das bedeutet Erleichterungen bei den Mietkosten für rund 1,7 Millionen Haushalte. Das bedeutet auch 1,7 Millionen preiswerte und durch das Wohngeld bezahlbare Wohnungen.
Wir haben mit unserer Stabilitätspolitik die Inflationsrate von 4,9 % auf 1,8% verringert, also um fast zwei Drittel innerhalb von drei Jahren, und damit der Spekulation auf dem Immobilienmarkt den Boden entzogen.
({3})
Wer spekuliert, hat unter dieser Bundesregierung Helmut Kohl keine Chance.
({4})
Wer spekuliert hat, wird als Spekulant entlarvt.
({5}) Ich komme noch darauf.
({6})
Der Bodenmarkt, Lieblingskind - ich weiß es - sozialdemokratischer interventionistischer Gedankenspiele, ist aus dem Gerede herausgekommen. Erinnern Sie sich an Ihren Parteitag im April 1973 in Hannover.
({7})
Damals stiegen die Ballons „Planungswertausgleich", „Bodenwertzuwachssteuer". Der Kollege Vogel kreierte die neue bodenpoltische Idee vom Verfügungs- und Nutzungseigentum.
({8})
Ich habe damals von einem sozialistischen Bastard gesprochen. Man spricht heute nicht mehr darüber. Es lohnt sich nicht mehr. Die Steigerungsrate der Preise für baureifes Land - da hören Sie mal gut zu - ist von 16,1% im Jahre 1982, als Sie regiert haben, auf 1,7 % zurückgegangen.
({9})
Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Im ersten und zweiten Quartal 1985 sind die Preise für baureifes Land sogar um 2,2% bzw. 3% gegenüber dem Vorjahr gesunken. Eines, meine Damen und Herren der SPD, ist besonders bemerkenswert: In Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnern sind seit 1982 die Preise für baureifes Land um 7 % gesunken. Das sind die Erfolge unserer Politik zur Sicherung preiswerten Wohnens. Das ist eine marktwirtschaftliche und mieterfreundliche Antwort auf die Vorschläge der SPD-Fraktion.
({10})
Im April 1981 stellte die damalige SPD-Regierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion zur Wohnungsmarktlage in Großstädten folgendes fest - erinnern Sie sich bitte; ich zitiere -:
Einem Anstieg der Zahl der Wohnungsuchenden steht ein Rückgang des Angebots aus dem Neubau und mehr noch aus dem Wohnungsbestand gegenüber.
Heute können wir in voller Übereinstimmung mit den Verbänden der Wohnungswirtschaft feststellen - nachdem wir etwas mehr als drei Jahre regieren -: Die Versorgung am Wohnungsmarkt war noch nie so gut. Der Wohnungsmarkt zeigt alle Merkmale der Entspannung. Die Risiken der Vermieter nehmen zu. Die Auswahlmöglichkeiten für die Mieter werden größer. Wir haben mit unserer Politik den Durchbruch zur Normalisierung auf dem Wohnungsmarkt geschafft.
Wenn die SPD darauf verweist, daß die Wohnkosten einen größeren Anteil am verfügbaren Einkommen beanspruchten, dann ist auf folgendes zu verweisen: Nicht die Mieten sind die wesentliche Ursache für eine höhere Mietbelastung, sondern die negative Einkommensentwicklung Anfang der 80er
Jahre als Folge der verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik der SPD-Regierung.
({11})
Diese negative Entwicklung wurde 1983 umgekehrt.
({12})
Für 1986 erwartet der Sachverständigenrat eine Steigerung der verfügbaren Einkommen um real 3% und damit eine doppelt so hohe Steigerung wie im vergangenen Jahr. Diese positive Entwicklung wird sich auch in einer geringeren Mietbelastung niederschlagen.
Wenn die SPD den Schutz der Mieter vor Luxusmodernisierung und übermäßigen Mieterhöhungen fordert, ist festzustellen: Wir haben mit dem am 1. Januar 1983 in Kraft getretenen Mietrecht den Schutz des Mieters vor der sogenannten Luxusmodernisierung eingeführt. Derartige Modernisierungen braucht der Mieter nicht mehr zu dulden. Wir haben in das neue Mietrecht die von der SPD- Regierung propagierte 30-%-Grenze aufgenommen. Die SPD rückt nunmehr von ihren eigenen Vorstellungen ab und plädiert für eine Politik nach dem Motto: Je größer der Vorteil, um so länger sollte er gewährt werden.
Mit dem vorliegenden Antrag verläßt die SPD- Fraktion die bisherige Grundlage ihrer eigenen Wohnungspolitik.
({13})
Sie begibt sich auf den Weg zurück zu mehr Interventionismus. An die Stelle der individuellen Freiheit tritt die staatliche Bevormundung nach dem Motto: Mehr Bürokratie wagen.
Die SPD schlägt heute Maßnahmen vor, die sie selbst in wesentlich schwierigeren Wohnungsmarktsituationen nicht in Betracht gezogen hat. Dieser Antrag ist der Mißtrauensantrag der SPD gegen die Neue Heimat, gegen den Hauptumwandler am Wohnungsmarkt. Gemeint ist die Neue Heimat, getroffen wird die gesamte Wohnungswirtschaft.
Und hier doch einige Ausführungen zur Neuen Heimat: Die Neue Heimat ist heute mit immer noch fast 300 000 Wohnungen das größte Wohnungsunternehmen in Europa. In den Mietwohnungen der Neuen Heimat leben über 1 Millionen Menschen mit einem überdurchschnittlichen Anteil von Famlien mit drei und mehr Kindern sowie Alleinerziehenden. Um diesen Menschen zu helfen, hat die Neue Heimat über 10 Milliarden DM aus öffentlichen Kassen erhalten.
({14})
Staat und Kommunen haben der Neuen Heimat bevorzugt Mittel zur Verfügung gestellt, weil das gemeinnützige Unternehmen in die Gemeinwirtschaft der Gewerkschaften eingebunden und einem sozialen Auftrag verpflichtet ist. In deren Grundsätzen heißt es - ich zitiere -:
Die Politik der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen unterliegt der Kontrolle durch die Gewerkschaften.
Also hat der DGB auch heute die volle Verantwortung für den Zustand der Neuen Heimat zu übernehmen.
({15})
Weiter heißt es in den vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes beschlossenen Grundsätzen:
Durch die von der Gemeinwirtschaft gesetzten Beispiele wird aufgezeigt, durch welche Strukturen und Verhaltensweisen die von den Gesellschaften angestrebte Ordnung geprägt sein soll.
Diesen Satz muß man dreimal lesen und fünfmal überdenken, um die Differenz zwischen Anspruch und Leistung erkennen zu können.
({16})
Im Aufsichtsrat sitzen außer den Arbeitnehmervertretern nur Funktionäre der Gewerkschaften. Die Aufsichtsratsgremien haben eine massive Bodenspekulation, eine Sucht nach Größe und Expasion ohne Eigenkapital gebilligt, mitverantwortet. Man muß ein Weiteres wissen; erst das macht deutlich, warum die Neue Heimat unter anderem in diese Schwierigkeiten gekommen ist. Das Eigenkapital beträgt 3 % der Bilanzsumme bei der Neuen Heimat. Bei der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft sollten mindestens 15% Eigenkapital gegeben sein. Man hatte grenzenloses Vertrauen in die Neue Heimat.
Die Folge dieser - wie wörtlich von den Kollegen gesagt worden ist - Mißwirtschaft der größenwahnsinnigen Manager der Neuen Heimat ist: Das Unternehmen kämpft gegen den wirtschaftlichen Zusammenbruch. Alle Geschäftssparten, Bodenbevorratung, Bauträgergeschäft und Bewirtschaftung des Bestandes, weisen rote Zahlen auf. Die jährlichen Fehlbeträge bewegen sich auf eine halbe Milliarde D-Mark zu. Die Mieter werden durch Massenverkauf von Wohnungen verunsichert. Die gemeinnützigkeitsrechtlichen Mietvorteile gehen verloren. Das aus den Verkäufen erlöste, mit öffentlichen Mitteln geschaffene Kapital wird nicht wieder in den Mietwohnungsbau zugunsten der Mieter eingesetzt, sondern ist durch Verluste längst verbraucht. In Teilbereichen wird der Wohnungsmarkt stark belastet. Es ist nicht auszuschließen, daß weitere Unternehmen durch die Neue Heimat in Schwierigkeiten geraten.
Meine Damen und Herren, ich möchte es kurz machen. Die Geschäftspolitik der Neuen Heimat war auf Inflation und Spekulation aufgebaut. Mit ihrer Stabilitätspolitik hat die Bundesregierung der Spekulation auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Im14344
mobilienmarkt den Boden entzogen. Wir sind die größten Feinde der Spekulanten.
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Das galt für den Häuserspekulanten Herrn Kaussen. Das gilt aber auch für die Spekulanten, die für die Neue Heimat spekuliert haben,
({18})
die Bauerwartungsland in grenzenloser Weise verteuert haben, fremdfinanziert haben. Ich frage mich nur, was der deutsche Arbeitnehmer, das Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, was der kleine Mann auf der Straße zu solch einem Verhalten sagt. Denn gefordert ist hier nicht die Neue Heimat; gefordert ist hier der Eigner, der Gesellschafter,
({19})
deren Repräsentanten in der vollen Verantwortung in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglieder für und in der Neuen Heimat stehen.
({20})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Bitte.
Bitte schön, Herr Müntefering.
Herr Minister, sind Sie bereit, im Interesse der betroffenen Mieter in den Wohnungen der Neuen Heimat bei einer politischen Lösung mitzuhelfen?
Herr Kollege Müntefering, ich möchte darauf sehr, sehr präzise antworten.
({0})
Die Bauminister der Bundesländer haben mich bei unserer Besprechung am 19. Dezember 1985 einstimmig gebeten, eine koordinierende Federführung insoweit zu übernehmen, als ich ein Gespräch mit dem Gesellschafter der Neuen Heimat, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, und der Geschäftsleitung der Neuen Heimat vorbereiten soll. Ich habe mich auf diese Bitte hin an den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewandt, habe um ein solches Gespräch gebeten. Ich erwarte jetzt die Antwort auf mein Schreiben von Anfang Januar und bin dann bereit, einmal zur Kenntnis zu nehmen, wie es um die Neue Heimat bestellt ist. Denn präzise Kenntnisse haben wir nicht, hat auch die Bundesregierung nicht. Es kann auch nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein, sich die Sorgen der Neuen Heimat zu eigen zu machen. Aber für die Bundesregierung ist der Vorgang bei der Neuen
Heimat ein politischer Vorgang. Deswegen wendet sie ihr volles wirtschaftliches, politisches und soziales Interesse diesen Vorgängen zu. Im Rahmen dieser Unterrichtung, im Rahmen dieser Besprechung wird es die Bundesregierung an Sorge um die Mieter der Neuen Heimat nicht fehlen lassen.
({1})
Ich möchte das Thema beschließen: Unsere Forderung lautet in etwa - das ist keine abgestimmte Forderung der Bundesregierung, ich sage das als zuständiger Ressortminister, aus meiner Ressortverantwortung -: Der DGB muß jetzt handeln und weiteren Schaden abwenden. Der DGB muß die gemeinnützige und im sozialen Bereich tätige 'Neue Heimat Wohnungsbau zumindest so behandeln wie die private und in gewerblichen oder gar spekulativen Geschäften tätige Neue Heimat Städtebau. Der Verkauf von Wohnungen darf nur an die einzelnen Mieter erfolgen, um diesen die Möglichkeit zum Eigentumserwerb zu geben. Der DGB muß die Verunsicherung beenden und seiner gesellschaftlichen und unternehmerischen Verpflichtung in sozialer Weise nachkommen.
Ich stelle fest: Mit der Gleichsetzung von Umwandlung von Mietwohnungen in Wohnungseigentum und Mieterverdrängung betreibt die SPD ein Geschäft der Angst. Ich bedaure das. Untersuchungen haben ergeben, daß die Mieter in umgewandelten Gebäuden kaum häufiger umziehen als Mieter in anderen Gebäuden. Es gilt, den Mieter über seine Rechte zu informieren, statt ihn durch falsche Behauptungen zu irritieren. Darauf hat schon mein Vorgänger im Amt, Herr Kollege Haack, im Bulletin der Bundesregierung am 8. November 1978 hingewiesen. Die Mieter müssen ihre Rechte kennen, dann sind sie auch geschützt.
Wir sollten das Thema Mietanstieg, Versorgung unserer Bevölkerung mit preiswertem Wohnraum sachlich, ohne Polemik und ohne falsche Unterstellungen führen. Die Bundesregierung tritt für eine Mietenpolitik ein, die gerichtet ist auf einen fairen Interessenausgleich zwischen Mieter und Vermieter. Ich habe, als ich mein Amt angetreten habe, erklärt: Ich will ein Anwalt der Mieter heute und morgen sein. Ich will dafür eintreten, daß es genügend Investoren am Wohnungsmarkt gibt, daß das Vermieten auch wieder wirtschaftlich und sozial ausgeglichen ist; denn die Miete ist der Preis für eine wirtschaftliche Leistung. Diese Leistung wird nur so lange in ausreichendem Umfange erbracht, als der Interessenausgleich zwischen Mieter und Vermieter hergestellt wird. Darauf ist die Politik der Bundesregierung gerichtet. Allein eine solche Politik berücksichtigt die Interessen der Mieter in höchstem und bestem Umfange.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsident Westphal
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/4292 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 22. Januar 1986, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende und schließe die Sitzung.