Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Dr. Dregger hat am 10. Dezember 1985 seinen 65. Geburtstag gefeiert. Ich darf Ihnen, Herr Abgeordneter Dregger, von seiten des Plenums des Deutschen Bundestages unsere herzlichen Wünsche übermitteln.
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Für den aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Kollegen Dr. Hackel benennt die Fraktion der CDU/CSU als stellvertretendes Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates den Abgeordneten Dr. Pfennig. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Abgeordneter Dr. Pfennig als stellvertretendes Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung dieser Woche erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung" aufgeführt:
2. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Klarstellung der Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit im Arbeitskampf
3. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Maßnahmen gegen AIDS
- Drucksache 10/4516 -
4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Entwicklungshelfer-Gesetzes
- Drucksache 10/3515 -Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. März 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 19. April 1984 zur Durchführung dieses Abkommens
- Drucksachen 10/2667, 10/4534 -
5. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. April 1984 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Soziale Sicherheit, dem Zusatzprotokoll zu diesem Abkommen und der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens
- Drucksachen 10/2684, 10/4530 -
6. a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker ({1})
- Drucksachen 10/3882, 10/4533, 10/4535 -
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der ambulanten und teilstationären Versorgung psychisch Kranker
- Drucksachen 10/4219, 10/4533, 10/4536 Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.
Weiter besteht interfraktionell Einvernehmen darüber, die Punkte 4 - Antrag der Fraktion der SPD betr. Sicherung preiswerten Wohnens, Drucksache 10/4292 - und 8 - von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachter Entwurf eines Gesetzes zum Verbot unmenschlicher Haftbedingungen, Drucksache 10/2819 - der Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Klarstellung der Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit im Arbeitskampf
Hierzu ist ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD angekündigt, über den in namentlicher Abstimmung entschieden werden soll.
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind für die Beratung zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tarifautonomie gehört zu unserem Rechts- und Sozialstaat. Geordnete Sozialbeziehungen dienen der Tarifpartnerschaft. Zu geordneten Sozialbeziehungen gehört in einer freiheitlichen Gesellschaft auch das Notventil des Arbeitskampfes. Das Streikrecht gehört zu unserer Freiheit.
Lohn- und Arbeitsbedingungen werden in einer freien Gesellschaft von den Tarifpartnern ausgehandelt. Das unterscheidet soziale Marktwirtschaft von der kommunistischen Befehlswirtschaft, in der nicht gestreikt werden darf. Bei uns gibt es freie Gewerkschaften und das Streikrecht.
({0})
Wir brauchen starke Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände für eine funktionsfähige, ordnungsstiftende Tarifautonomie.
Es geht bei der Neuformulierung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes nicht um das Streikrecht,
({1})
auch nicht um die Streikfähigkeit, sondern um die Neutralität der Bundesanstalt. Um nicht mehr und nicht weniger.
({2})
Das ist nicht der Streikparagraph, das ist der Neutralitätsparagraph des Arbeitsförderungsgesetzes.
({3})
Die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit war, ist und bleibt unverzichtbarer Bestandteil der Tarifautonomie. Diese Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit hat ihre rechtliche Grundlage in § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes aus dem Jahre 1969
({4})
und in der Neutralitätsanordnung der Bundesanstalt für Arbeit aus dem Jahre 1973. Diese Grundlagen verlassen wir nicht. Wir stellen klar, nicht mehr und nicht weniger.
Im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf in der Metallindustrie 1984 sind Auslegungsunterschiede zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und Sozialgerichten bei Verfahren auf Herbeiführung einer einstweiligen Anordnung entstanden.
({5})
Bis zur letztinstanzlichen Klärung durch die Gerichte können noch Jahre vergehen.
({6})
Deshalb wurde bis zur Entscheidung jeder weitere Arbeitskampf von Unsicherheit begleitet, von der Unsicherheit, wer nun recht hat: die Bundesanstalt mit ihrer Auslegung oder die Sozialgerichte mit ihren einstweiligen Anordnungen.
({7})
Diese Unsicherheit dient nicht dem sozialen Frieden. Diese Unsicherheit dient nicht der Tarifautonomie.
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Die Bundesregierung erwartet von den Gewerkschaften nicht, daß sie bis zur endgültigen Klärung durch die Gerichte auf das Instrument des Arbeitskampfes verzichten. Sie mutet den Arbeitnehmern nicht zu, einen Arbeitskampf mit dem Risiko zu führen, daß Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit nur unter Vorbehalt gezahlt werden
({9})
und möglicherweise nach Jahren Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld zurückgezahlt werden müssen.
({10})
Das kann niemand wollen, der es mit den Arbeitnehmern gut meint.
({11})
Wir schaffen Klarheit, nicht Gewichtsverlagerung zwischen den Tarifpartnern. Was der Gesetzgeber 1969 wollte, das ist auch unsere Absicht. Wir machen eine Klarstellung, nicht gegen, sondern für die Tarifpartnerschaft.
({12})
Die Bundesregierung hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht.
({13})
Wir sind erst nach Vorlage eines Rechtsgutachtens in die Beratung eingetreten. Wir haben eine Vielzahl von Gesprächen mit den Sozialpartnern über dieses Problem geführt. Bereits im Spitzengespräch am 5. September 1985 zwischen Bundesregierung und den Sozialpartnern war die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit Gesprächsgegenstand. Zwei ausführliche Fachgespräche unter Beteiligung der Sozialpartner und der fünf zuständigen Bundesminister dienten der Klärung. Auch das letzte Spitzengespräch am vergangenen Dienstag ist mit dieser Absicht geführt worden. Alle Gespräche, auch das am vergangenen Dienstag, wurden ausgewertet und sind in die Vorbereitung unserer Entscheidung eingegangen. Ich bedanke mich deshalb ausdrücklich
({14})
bei Gewerkschaften und Arbeitgebern für die Sachlichkeit der Gespräche und für die konstruktive Art der Gesprächsführung.
({15})
Die uneingeschränkte Bereitschaft der Bundesregierung zum Dialog darf jedoch nicht mit Feigheit vor der Entscheidung verwechselt werden.
({16})
Jetzt sind Klärungen unumgänglich. Denn es wird mit Falschmeldungen gegen den Gesetzgeber mobilisiert.
({17})
Wir wären hilf- und wehrlos, wenn wir nicht sofort mit einem Gesetzentwurf den Phantomvorwürfen den Boden entziehen und den Verdächtigungen den Garaus machen würden.
({18})
Es ist falsch, wenn der DGB in seinem Referentenmaterial behauptet, das Kurzarbeitergeld solle
({19})
„kaltausgesperrten Arbeitnehmern grundsätzlich und überall verweigert" werden. Dies ist nicht Aufklärung, dies ist Falschmeldung.
({20})
Dies ist nicht Arbeiteraufklärung, dies ist Arbeiterverdummung.
({21})
So werden nicht Arbeitnehmerinteressen vertreten. Es ist falsch, daß die Bundesregierung die generelle Nichtzahlung von Kurzarbeitergeld an mittelbar betroffene Arbeitnehmer derselben Tarifbranche plant,
({22})
wie die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in ihrer Presseerklärung vom 11. Dezember unterstellt.
Meine Damen und Herren, ich finde es eine bodenlose Geschmacklosigkeit,
({23})
wenn in Blättern der IG Metall die Bemühungen der Bundesregierung um die Klärung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit mit dem Naziterror gegen die Gewerkschaften verglichen werden,
({24})
eine bodenlose, eine abgrundtiefe Beleidigung des Widerstandes auch jener Männer, großer Gewerkschafter wie Wilhelm Leuschner, die von den Nazis aufs Schafott geschickt wurden. Die leise Korrektur dieser Verleumdung durch den IG-Metall-Vorstand steht in proportional umgekehrtem Verhältnis zur Lautstärke und Energie, mit der diese Darstellung verbreitet worden war.
({25})
Die Saat des Hasses geht auf. Ein DGB-Kreisvorsitzender aus Oberhessen hat laut Presseberichten von „terroristischen Anschlägen", die zur Vernichtung von Arbeitnehmerrechten dienten, gesprochen. Wer dies zulasse, lasse auch zu, daß ein 1933 wieder möglich werde.
({26})
Als noch gar kein Formulierungsvorschlag vorlag, wurde bereits zur „Mobilisierung der Mitglieder, bis zur demonstrativen Arbeitsniederlegung", durch die IG Metall aufgefordert. Im November, noch vor den Einigungsversuchen und bevor überhaupt ein Text der Bundesregierung vorlag, sprach Franz Steinkühler von der IG Metall von - ich zitiere - „verfassungswidrigem Angriff auf die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaft".
({27})
Von „Kastrierung", „Anschlag", „Sturmangriff" ist die Rede. Es herrscht in der Gewerkschaftspresse ein Jargon des Krieges. Die neueste „Metall Extra" vom 9. Dezember ist überschrieben mit „Protest" und unterschrieben mit der Kommentarüberschrift auf der Titelseite: „Bonn will das Recht brechen".
({28})
Ich fordere die Mitglieder des frei gewählten Parlaments der Bundesrepublik Deutschland auf, sich gemeinsam dagegen zu wehren, daß ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren als Rechtsbruch diffamiert wird.
({29}) Dies ist ein Verfall demokratischer Sitten.
Ich wende mich an die Arbeitnehmer, sich nicht in die Hände von Verleumdern zu begeben.
({30})
Die Bundesregierung nimmt die Herausforderung an. Wir verteidigen die Rechte eines frei gewählten Parlaments.
({31})
Ich wende mich an die Arbeitnehmer: Informiert euch! Geht der Unwahrheit nicht auf den Leim!
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Und, meine Damen und Herren, ich respektiere den Protest, ich achte die Demonstration der Gewerkschaften.
({33})
Nur, meine Damen und Herren, die Gewerkschaftsjugend, jene Gewerkschaftsjugend, die mit Kommunisten paktiert, eignet sich nicht als Lehrmeister des Streikrechts.
({34})
Wer mit Kommunisten, die in ihrem Machtbereich
das Streikrecht abgeschafft haben, die streikende
Arbeiter ins Gefängnis werfen, paktiert, hat das
Recht verloren, hier für Streikrecht einzutreten. Er eignet sich nicht als Lehrmeister.
({35})
Ich appelliere auch an die Gewerkschaften, ihr eigenes Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.
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Die Gespräche mit den Sozialpartnern haben wichtige Klärungen auch im Interesse der Arbeitnehmer geschaffen. Das ist auch ein Verdienst der Gewerkschafter, die an diesen Gesprächen teilgenommen haben.
Ich will zunächst zwei Selbstverständlichkeiten festhalten: Wer am Arbeitskampf teilnimmt, erhält keine Leistungen der Bundesanstalt. Auch im Gebiet des Arbeitskampfes, also im fachlichen und räumlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages, werden keine Leistungen gewährt. Dies verlangen auch die Gewerkschaften nicht. Ich stelle das nur fest, damit dies nicht in einer weiteren Verdrehung als eine Erfindung der Bundesregierung ausgegeben wird.
Ein wichtiger Fortschritt, meine Damen und Herren, auch im Sinne der Gewerkschaften und im Interesse der Arbeitnehmer ist es, daß es uns gelungen ist, Einvernehmen zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Bundesregierung herzustellen, daß außerhalb der Branche, also außerhalb des fachlichen Geltungsbereiches, in dem der Arbeitskampf stattfindet, Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld für Arbeitsausfall infolge des Arbeitskampfes immer gewährt werden.
({37})
Die Bundesregierung folgt nicht dem Gutachten von Professor Müller, der außerhalb der Branche das Ruhen von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit ausdrücklich für bestimmte Fälle gefordert hat. Die Bundesregierung lehnt diesen Vorschlag ab,
({38})
weil nach unserer Ansicht Beeinflussung eines Arbeitskampfes nicht von einem Bereich außerhalb der Zuständigkeit einer Gewerkschaft ausgeübt werden kann.
Die Klarstellung, daß außerhalb des fachlichen Geltungsbereiches immer Arbeitslosenunterstützung und Kurzarbeitergeld gezahlt wird, kann auch zur Beruhigung einer sich lange hinziehenden arbeitsrechtlichen Diskussion beitragen. Auch das ist ein Fortschritt. Auch das ist die Frucht unseres Dialogs.
({39})
Es bleibt also nur noch ein Bereich streitig. Das ist jener Bereich der selbst am Arbeitskampf nicht beteiligten, aber in derselben Branche außerhalb des Kampfgebietes durch Arbeitsausfall mit betroffenen Arbeitnehmer. Auch an diese werden - wie bisher - im allgemeinen Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld gezahlt, wenn ihre Arbeit infolge eines Arbeitskampfes ausfällt. Nur dann, wenn die Streikenden für diese mitstreiken, ruht - wie bisher - die Zahlung von Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld an jene mit betroffenen Arbeitnehmer. Das war bisher so, und das bleibt auch so. Einen Stellvertreterstreik kann und darf die Bundesanstalt für Arbeit nicht finanzieren. Sie würde sonst in den Arbeitskampf eingreifen.
Es kann und darf auch nicht sein, daß eine Gewerkschaft mit zwei Gruppen von Arbeitnehmern für das gleiche Ziel kämpft: Die eine Gruppe bezahlt sie mit Streikunterstützung, und die andere läßt sie sich durch die Bundesanstalt für Arbeit finanzieren. Es kann und darf nicht richtig sein, daß mit einer Handvoll Streikenden an Schlüsselstellen der Effekt ausgelöst wird, daß ein ganzes Heer von Arbeitnehmern arbeitslos wird, und das Ruhen der Zahlung von Arbeitslosengeld dadurch umgangen wird, daß Gewerkschaften im Bereich der mittelbar Betroffenen die Forderung in einer Nebensache variieren. Das kann nicht Sinn der bisherigen Gesetzgebung und auch nicht Sinn der Neutralitätsanordnung sein.
({40})
Wer das bezweifelt, dem empfehle ich, den Bericht des zuständigen Ausschusses für Arbeit nachzulesen, der unter dem Vorsitz meines verehrten Kollegen Adolf Müller gestanden hat; in diesem Bericht aus dem Jahre 1969 wird festgestellt:
Mit Rücksicht auf die Neutralitätspflicht soll das
- nämlich daß allgemein Arbeitslosengeld gezahlt wird jedoch in zwei Fällen nicht gelten. Wenn der Arbeitskampf auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers abzielt, muß dieser sowohl nach einer natürlichen Betrachtungsweise als auch im wirtschaftlichen Sinne als beteiligt angesehen werden. Die Gewährung von Arbeitslosengeld in solchen Fällen würde Schwerpunktstreiks fördern und wäre daher nicht streikneutral.
Außerdem erschien es dem Ausschuß wegen der im voraus nicht überschaubaren Vielfalt der bei Arbeitskämpfen möglichen Interessenlagen notwendig zur allgemeinen Absicherung der Neutralität der Bundesanstalt zusätzlich eine Generalklausel aufzunehmen. Nach ihr soll der Anspruch auf Arbeitslosengeld in allen Fällen ruhen, in denen die Gewährung dieser Leistung den Arbeitskampf beeinflussen könnte.
({41})
Meine Damen und Herren, ich finde, man braucht nicht mehrere Semester Recht studiert zu haben, sondern es genügt wirklich der gesunde Menschenverstand, um zu erkennen: Wenn die Streikenden kein Geld erhalten, können diejenigen, die wie sie für die gleichen Ziele eintreten, auch kein Geld erhalten. Die sind dann mit betroffen. So war das, und so wird das bleiben. Das ist überhaupt keine ErfinBundesminister Dr. Blüm
dung dieser Bundesregierung. Das ist der Sinn der Neutralitätsanordnung der Bundesanstalt für Arbeit.
({42})
Meine Damen und Herren, ich gebe zu, die Materie ist kompliziert. Weil sie kompliziert ist, ist sie das Tummelfeld von Verdrehung und Demagogie.
({43})
Deshalb möchte ich Ihre Aufmerksamkeit aufs Detail lenken.
Der Streitfall - jetzt sind wir beim Streitfall - ist bei der Frage entstanden, wann für andere Arbeitnehmer derselben Branche mitgestreikt wird. Dafür hat die Neutralitätsanordnung aus dem Jahr 1973 mit den Stimmen der damaligen, SPD-geführten Bundesregierung, mit Zustimmung der IG-Metall einen Maßstab geliefert: Das Arbeitslosengeld wird nicht für die Arbeitnehmer außerhalb des Kampfgebietes gezahlt, wenn für diese die Gewerkschaft - jetzt kommt der entscheidende Satz - „nach Art und Umfang gleiche Forderungen" wie für die Streikenden stellt.
({44})
Diese Grundregel hat unterschiedliche Auslegung gefunden. Die Sozialgerichte in Hessen und Bremen haben „gleiche Forderungen" mit „identischen Forderungen" oder „fast identischen" übersetzt.
({45})
Das kann der Gesetzgeber nicht gemeint haben, das kann der Anordnungsgeber nicht gemeint haben.
({46})
Ich kenne keinen Kommentar in der Rechtswissenschaft, der Gleichheit in diesem Falle mit Identität übersetzt.
({47})
Das kann auch nicht gemeint sein; denn man kann Identität sehr leicht durch Variation in der Nebensache auflösen. Wenn man das zuließe, dann müßte man der Ehrlichkeit halber schreiben: Es muß immer gezahlt werden. Das kann der Neutralität halber niemand wollen.
({48})
Was ändern wir? Ich wende mich an die Arbeitnehmer, damit sie nicht das Opfer
({49})
von Falschmeldungen sind, damit sie nicht das Opfer von Desinformationen werden. Wir ändern: Verglichen sollen nur noch die Hauptforderungen werden.
({50})
- Stört es Sie, daß ich die Arbeitnehmer aufkläre?
({51})
Es kann sein, daß ich die Kampagne der Aufwiegelung damit zerstöre.
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Es sollen nur die Hauptforderungen verglichen werden. Man streikt nur für Hauptforderungen, nicht für irgendwelche Nebensächlichkeiten, welche die Arbeitnehmer nicht bewegen. Arbeitskampf ist schließlich kein Kinderspiel. Die Hauptforderungen müssen nicht haarklein dieselben, sondern nur annähernd gleich sein. So wollte das der Gesetzgeber, und das - ich wiederhole es - ist Sinn der Anordnung der Selbstverwaltung. Diese Anordnung - ich wiederhole es nochmal - ist unter der Rechtsaufsicht und mit den Stimmen der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung zustande gekommen,
({53})
und diese Anordnung hat die Zustimmung der IGMetall gefunden.
({54})
Karl-Heinz Janzen, das zuständige Vorstandsmitglied der IG-Metall erklärte seinerzeit auf einer Vertreterversammlung seiner Gewerkschaft in Köln über diese Neutralitätsanordnung, daß sich mit dieser Kompromißlösung „durchaus leben" läßt. Allerdings - so heißt es in der Pressemeldung der IG Metall - würden es sich dann in Zukunft die Gewerkschaften nicht mehr leisten können, zentrale Forderungen aufzustellen oder zentrale Tarifverhandlungen zu führen, wenn sie beabsichtigten, ihre tarifpolitischen Vorstellungen gegebenenfalls mit einem Streik durchzusetzen. Soweit der Kommentar der IG Metall aus dem Jahre 1973. Es ist eine Falschdarstellung, zu behaupten, diese Rechtslage sei im Jahr 1985 entstanden. Sie ist 1973 ausweislich dieses Kommentars der IG Metall entstanden.
({55})
Zentrale Forderungen sind seit 1973 - nicht seit 1985, sondern seit der Zeit, in der die SPD in Bonn regierte - nur mit dem Risiko kampffähig, daß Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld möglicherweise nicht gezahlt werden.
Wir ändern also - ich fasse noch einmal zusammen -: Statt Forderungen sollen jetzt Hauptforderungen im Vergleich stehen. Statt „gleich" soll jetzt „annähernd gleich" gelten. Das ist der ganze Kern der Neuregelung.
({56})
Dieser Kern der Neuregelung lohnt wahrhaftig nicht den Glaubenskrieg, mit dem Sie die Arbeiter verdummen wollen, meine Damen und Herren.
({57})
Wer einen Glaubenskrieg über diese Klarstellungen entfacht, verheizt Arbeitnehmerinteressen.
({58})
Und wer leichtfertig von Verfassungswidrigkeit spricht, der muß sich fragen lassen, warum er nicht schon gegen die bisher geltende Regelung Verfassungsklage erhoben hat.
({59})
Wir ändern doch das Prinzip nicht. Wir stellen klar; wir sperren eine Umgehungsstraße um dieses Prinzip ab und nicht mehr. Das Prinzip wird nicht in Frage gestellt. Der Justizminister Vogel hätte früher eine Verfassungsklage einreichen müssen, wenn das verfassungswidrig wäre.
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Die Klarstellung, die wir beabsichtigen, soll Mißverständnisse und Mißbrauch ausräumen. Deshalb soll auch die Bundesanstalt für Arbeit verbesserte Feststellungsmöglichkeiten erhalten, ob der Arbeitsausfall außerhalb des Kampfgebietes tatsächlich in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitskampf steht oder lediglich als Druckpotential der Arbeitgeber genutzt wird.
Die IG Metall hat in einer für mich eindrucksvollen Untersuchung dargestellt, daß im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf 1984 in manchen Betrieben der Zweifel berechtigt erscheint, ob der Arbeitsausfall tatsächlich vom Streik in anderen Gebieten und mangelnder Zulieferung ausgelöst war. Diesen Zweifel wollen wir beseitigen, indem die Bundesanstalt und die Betriebsräte verbesserte Rechte erhalten, zu klären, ob dieser ursächliche Zusammenhang besteht. Jetzt frage ich Sie: Ist das im Interesse der Tarifautonomie? Ist das im Interesse der Gewerkschaften? Ist das im Interesse der Arbeitnehmer? Die Frage kann nur mit Ja beantwortet werden.
({61})
Ich will ausdrücklich festhalten, daß auch weiterhin gilt, daß auf einen begrenzten Streik nicht mit unbegrenzter Aussperrung geantwortet werden kann. Streik und Aussperrung, Angriff und Verteidigung stehen unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Behauptung, wir wollten das Streikrecht beschränken und die Streikfähigkeit untergraben, ist eine Falschmeldung.
({62})
Wenn sich Arbeitnehmer auf Grund solcher Falschmeldungen Sorgen machen, dann habe ich dafür
sehr viel Verständnis. Aber sie sind das Opfer von Falschmeldungen.
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- Herr Vogel, ich weiß nicht, ob Sie schon einmal
Streikposten gestanden haben. Ich weiß, wie ein
Streik aussieht; ich habe an Streiks teilgenommen.
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Ich rede nicht vom grünen Tisch der Theorie, von dem aus die Mehrheit Ihrer Fraktion offenbar spricht.
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Ich will deshalb auch noch einen Beitrag zur Geschichte der Neutralitätsanordnung leisten. Das wird sehr wesentlich auch zur Aufklärung und, wenn es geht, zur Versachlichung beitragen.
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- Meine Damen und Herren, ich bedaure sehr, daß mein Versuch, den Sachstand zu schildern, Aufklärung zu geben, von der Opposition offenbar als ihre Kampagne störend empfunden wird.
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Wie war die Geschichte der Neutralität der Arbeitslosenversicherung? Meine Damen und Herren, bis 1969 gab es kein Arbeitslosengeld für alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsausfall durch Streik oder Aussperrung verursacht war. Also auch die indirekt Betroffenen erhielten kein Arbeitslosengeld. Lediglich zur Vermeidung unbilliger Härten konnte Arbeitslosengeld gewährt werden. Bis 1969 galt sogar, daß die Verweigerung von Arbeitslosengeld für mittelbar betroffene Arbeitnehmer in den ersten 14 Tagen des Arbeitskampfes keine unbillige Härte sei. Dahin will niemand zurück. Trotzdem wird doch niemand behaupten, das Streikrecht sei erst 1969 geboren worden, wir würden jetzt das Jahr 16 des Streikrechts schreiben. Auch schon vorher gab es Streikrecht und Streikfähigkeit.
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Ich erinnere nur an den 16wöchigen Streik der Metaller in Schleswig-Holstein zur Durchsetzung der Lohnfortzahlung. Das gehört doch in die große Geschichte der Streikbewegung. Wenn das damals keine Beschädigung des Streikrechts war und wir gar nicht dahin zurück wollen, dann kann doch heute, da wir einen weit fortgeschritteneren Standpunkt sichern wollen, ein solcher Vorwurf nicht erhoben werden.
Jetzt, meine Damen und Herren, empfehle ich das Gesetzgebungsverfahren im Jahre 1969 zur Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes Ihrer großen Aufmerksamkeit. 1969 war die Zeit der Großen Koalition; die Regierung wurde von der CDU/CSU und der SPD gebildet. Die Regierung der Großen
Koalition wollte die alte gesetzliche Regelung, daß kein Arbeitslosengeld an mittelbar betroffene Arbeitnehmer gezahlt wird, fortschreiben. Nach § 105 ihres Regierungsentwurfes sollten Arbeitnehmer, die infolge eines Arbeitskampfes arbeitslos geworden sind, im allgemeinen kein Arbeitslosengeld erhalten. In ihrem Entwurf - in dem Entwurf, der von der SPD mitgezeichnet wurde - heißt es - ich zitiere -:
Ist die Arbeitslosigkeit durch einen inländischen Streik oder eine inländische Aussperrung verursacht, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Dauer des Streikes oder der Aussperrung.
({69})
Das war der Entwurf einer Regierung, deren Kanzler Kiesinger hieß, deren Vizekanzler Brandt hieß, deren Innenminister Benda hieß und deren Arbeitsminister Katzer hieß!
({70})
In der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats machte die Regierung der Großen Koalition ihre Position noch einmal deutlich. Ich zitiere jetzt wiederum die Meinung der Regierung der Großen Koalition:
Die Gewährung von Arbeitslosengeld an Arbeitslose, die an einem Arbeitskampf nicht selbst beteiligt sind, deren Arbeitslosigkeit aber durch einen Arbeitskampf verursacht ist, würde die Bereitschaft dieser Arbeitslosen zur Solidarität stärken und damit den Arbeitskampf beeinflussen. Sie würde daher ähnlich wie die Gewährung an unmittelbar beteiligte Arbeitnehmer die Neutralität der Bundesanstalt verletzen, deren Mittel von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam aufgebracht werden.
({71})
Die Arbeitslosenversicherung kann zudem wie jede Schadenversicherung ein derartiges Risiko nicht tragen. Bei einem Schwerpunktstreik könnten die Mittel der Bundesanstalt in wenigen Monaten erschöpft sein.
Das war die Meinung von CDU/CSU und SPD,
({72})
und damals wurde nicht gegen die Regierung mobilgemacht, damals wurde nicht von Widerstand gesprochen, obwohl dieser Standpunkt weit hinter dem zurückbleibt, was wir heute wollen.
({73})
Erst der federführende Ausschuß hat 1969 diesen Standpunkt der Regierung der Großen Koalition zugunsten der Arbeitnehmer verändert,
({74})
und diesen Fortschritt sichern wir heute durch Klarstellung ab.
({75})
Die Regierung der Großen Koalition war anderer Meinung als wir heute. Die Regierung der Großen Koalition lag mit ihrem Entwurf weit hinter unseren Vorschlägen.
({76})
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen.
Erstens. Wir teilen nicht die Meinung, daß Arbeitslosengeld für mittelbar betroffene Arbeitnehmer nie gezahlt werden darf. Solche Vorschläge haben wir abgewehrt.
Zweitens. Wir teilen nicht die Meinung, daß innerhalb der gesamten Branche für alle vom Arbeitskampf mittelbar betroffenen Arbeitnehmer Arbeitslosengeld nicht gezahlt werden darf. Diesen Vorschlag haben wir abgewehrt.
Drittens. Wir bleiben auf dem Stand des geltenden Rechts.
({77})
Stellvertreterstreiks können nicht indirekt durch die Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden. Wir sichern im Interesse der Tarifautonomie die gesetzliche Neutralität gegen Mißbrauch und Mißverständnis.
Viertens. Wir wollen durch verbesserte Nachprüfungsrechte der Bundesanstalt für Arbeit verhindern, daß Arbeitskampffolgen nur vorgetäuscht und der Arbeitsausfall willkürlich herbeigeführt werden.
Meine Damen und Herren, ich halte fest:
({78})
Diese Bundesregierung schützt die Neutralität der Bundesanstalt gegen Mißverständnisse und Mißdeutungen. Diese Klarstellung ist eine Sicherstellung!
({79})
Die im Sinne der Klarstellung notwendigen Änderungen habe ich genannt.
Ich will festhalten: Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen lehnen Extrempositionen ab. Wir sind und bleiben eine Regierung der Mitte und des sozialen Ausgleichs.
({80})
Arbeitnehmer, laßt euch nicht durch Falschmeldungen auf Barrikaden treiben! Das Streikrecht bleibt unangetastet.
({81})
Die Neutralität der Bundesanstalt gehört zu einem ordentlichen Arbeitskampf.
({82})
Diese Neutralität stellen wir sicher, nicht mehr und nicht weniger.
Wir gehen unseren Weg.
({83}) Wir sind immer gesprächsbereit.
({84})
Sachlichen Verbesserungsvorschlägen begegnen wir mit uneingeschränkter Aufnahme- und Prüfungsbereitschaft.
({85})
Diffamierungen treffen bei uns jedoch auf taube Ohren. Wir beugen uns nicht der Demagogie.
({86})
Wir bleiben unbeeindruckt von Verdrehungen und Verfälschungen unserer Absichten.
Ich sage es nicht aus Trotz, sondern bleibe auch jetzt dabei: Kooperation, Partnerschaft sind besser als Konflikt und Klassenkampf, auch für die Arbeitnehmer.
({87})
Wir gehen unseren Weg. Wir arbeiten für Partnerschaft, nicht für Klassenkampf. Deshalb werden wir auch nie von der Anstrengung ablassen, Dialog und Zusammenarbeit der Sozialpartner zu fördern. Trotz aller Widerstände: Partnerschaft ist besser als Klassenkampf!
({88})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß hier eben nicht ein Vertreter der Arbeitgeberverbände gesprochen hat, sondern der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der qua Amtseid dem gesamten Volke verpflichtet ist. Es war unglaublich, was Sie uns hier geboten haben, Herr Bundesarbeitsminister.
({0})
Er hat gesagt, es gehe bei der Änderung um Klarstellung.
({1})
Für diese Klarstellung hat er 40 Minuten gebraucht, für eine Klarstellung, die angeblich überhaupt nichts ändert,
({2})
für eine Klarstellung, von der er meint, sie sei eigentlich ganz bedeutungslos und bewege sich im Rahmen dessen, was schon lange Rechtens sei.
Ich will zu Beginn, meine Damen und Herren, ein bißchen dafür sorgen, daß wir uns der Ernsthaftigkeit und der Wichtigkeit dieses Themas bewußt werden.
({3})
Ich will nicht auf diese polemische Art erwidern.
Ich will zitieren, was der damalige Bundesarbeitsminister Katzer am Ende der Beratungen des Arbeitsförderungsgesetzes gesagt hat. Er brachte in einer schriftlichen Erklärung zum Ausdruck:
Der Ausschuß für Arbeit hat gleichzeitig den Entwurf der Bundesregierung und den Initiativentwurf der sozialdemokratischen Fraktion durchberaten. Diese Kombination der Beratung hat sich glücklich ausgewirkt. Das Ergebnis der Ausschußberatungen bringt eine ganze Reihe fortschrittlicher Verbesserungen des ursprünglichen Regierungsentwurfs. Der Lernprozeß, in dem wir alle stehen, geht eben weiter. Ausdrücklich möchte ich hier feststellen, daß ich für jede konsequente Fortentwicklung der Konzeption dieses Gesetzes nur dankbar bin und darüber sehr befriedigt bin.
So Hans Katzer 1969 nach Abschluß dieser Beratungen. Deswegen ist es falsch, wenn Sie immer nur von der Regierungsvorlage sprechen.
({4})
In diesen Tagen nun ist der Eindruck erweckt worden, als ob die Regierung den Weg von Verhandlungen und Vereinbarungen gehen wolle und nicht den eines gesetzgeberischen Diktats. Spätestens seit dem letzten Freitag wissen wir, was die Regierung tatsächlich will. Sie will nämlich nicht Vereinbarungen, sie will nicht den sozialen Konsens, sondern Verfügung durch den Gesetzgeber. Das ist ihr Ziel.
({5})
Sie will den Arbeitnehmern außerhalb eines Streikgebiets den versicherungsrechtlichen Anspruch auf Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld wegnehmen,
({6})
Arbeitnehmer nämlich, die nicht streiken, die nicht
ausgesperrt sind, sondern auf Grund einer Entscheidung des Arbeitgebers arbeitslos geworden
Frau Fuchs ({7})
sind, weil die Produktion angeblich wegen Streiks oder Aussperrung stillgelegt werden muß.
({8})
Die Gewerkschaften werden geschwächt, denn mit der Behauptung, die Produktion müsse wegen Streiks oder Aussperrung stillgelegt werden, können Arbeitnehmer arbeitslos gemacht werden. Sie erhalten keine Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit, übrigens auch keine Leistungen der Gewerkschaften. Sie sind auf Sozialhilfe angewiesen. Damit soll Unruhe außerhalb des Streikgebiets geschürt und die Position der Gewerkschaften geschwächt werden.
({9})
Deswegen geht es um Abbau von Streikrecht. Deswegen geht es darum, den bisherigen sozialen Konsens aufzugeben. Denen, die diesen Irrweg pflastern, muß geraten werden, die Bauzeichnung der Demokratie in der Bundesrepublik zu studieren und nachzulesen, worauf sich die großen Kräfte in diesem Staat nach dem Kriege verständigt haben:
({10})
Einheitsgewerkschaft, starke Gewerkschaften, deren Wort wiegt. Von diesen Zielen abzurücken heißt, sich von den gemeinsamen Grundlagen zu trennen. Das hat Herbert Wehner gestern gesagt, und wir stimmen dem ausdrücklich zu.
({11})
In dieser Auseinandersetzung sagen manche auch, sie seien erstaunt, daß man die Rechtsprechung nicht abwarten könne. Es sei erstaunlich, daß gerade diejenigen, die sich sonst immer vehement gegen zuviel Staat wenden, jetzt rigoros den Gesetzgeber fordern. Es sei eine bedrückende Perspektive für unseren Rechtsstaat, wenn mit dem Argument, bis zur höchstrichterlichen Entscheidung würde es Jahre dauern, nach dem Gesetzgeber gerufen wird. Es stünde einem Rechtsstaat besser zu Gesicht, wenn das Bemühen um eine Beschleunigung des Verfahrens Vorrang hätte. Und es geht weiter:
Wie immer der Streit ausgehen mag, es gehört keine prophetische Gabe dazu, daß auch eine Neufassung des § 116 AFG nicht von Bestand sein wird, solange die Tarifvertragsparteien nicht zum Konsens zurückfinden.
So Hans Katzer gestern, und er hat recht damit gehabt.
({12})
Nun versucht der Arbeitsminister seit geraumer Zeit, der Öffentlichkeit weiszumachen, es gehe um eine Klarstellung. Das ist eine grobe Täuschung.
({13})
Es geht nicht um eine Klarstellung, es geht um eine
Änderung der Neutralitätsvorschriften der Bundesanstalt für Arbeit zu Lasten der Gewerkschaften und zu Lasten der Arbeitnehmer.
({14})
Der Bundesarbeitsminister hat mit seiner Formel der Klarstellung die Gewerkschaften bewußt hinters Licht geführt.
({15})
Der Bundesarbeitsminister hat die Gesprächsbereitschaft der Gewerkschaften mißbraucht,
({16})
um sich als ehrlichen Makler hinstellen zu lassen. Spätestens seit letzten Freitag wissen wir, daß von vornherein beabsichtigt war, eine gesetzgeberische Initiative zu Lasten der Gewerkschaften durchzupeitschen.
({17})
Die Arbeitgeber, meine Damen und Herren, brauchten gar nicht viel zu sagen. Sie waren in den Gesprächen fast stumm. Der Wirtschaftsminister hatte die Formulierung vorgegeben. Der Arbeitsminister hatte fast deckungsgleiche Formulierungen vorgegeben. Der Wirtschaftsminister und der Arbeitsminister waren sich in den Formulierungen einig.
({18})
Dann hat der Arbeitsminister versucht, diese Veränderung zu Lasten der Gewerkschaften den Gewerkschaften auch noch schmackhaft zu machen. Das hat er im Auftrag der Bundesregierung getan.
Deswegen sagen wir: Die Bundesregierung übt nicht sozialstaatliche Neutralität, sondern nimmt einseitig Partei zugunsten der Arbeitgeber.
({19})
Erinnern wir uns: 1969 - wir haben schon darüber gesprochen - wurde das Arbeitsförderungsgesetz verabschiedet. Ich will auf die Einzelheiten des damaligen Kompromisses nicht eingehen. Aber was jetzt vorgeschlagen wird, meine Damen und Herren, stellt den Willen des Gesetzgebers von 1969 auf den Kopf. Es wird keine Klarstellungen geben. Ein bißchen mehr Juristerei hätte auch Ihnen gutgetan, Herr Bundesarbeitsminister;
({20})
denn Sie arbeiten mit so vielen unbestimmten Rechtsbegriffen, daß Sie eines tun werden: Sie werden Beschäftigungspolitik für Rechtsanwälte betreiben, weil sie mit diesen Formulierungen vor Gericht gehen müssen.
({21})
Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man ein richtiges Kabarett aufführen.
({22})
Frau Fuchs ({23})
Was ist denn „ähnlich"? Wenn in Kiel 6% und in München 2 % gefordert werden, ist das „annähernd gleich"? Wenn einer die 35-Stunden-Woche möchte und der andere die 30-Stunden-Woche, ist das „annähernd gleich"? Wenn einer mehr Urlaub möchte und der andere mehr Weihnachtsgeld, ist das „annähernd gleich"?
({24})
Meine Damen und Herren, was ist eine „Hauptforderung"? Was ist nur eine „Forderung"?
All dies ist völlig ungeklärt.
({25})
Herr Blüm ist sich treu geblieben: Erst manipuliert er in der Rentenversicherung, und jetzt versucht er, mit juristischen Tricks auch noch den sozialen Konsens in diesem Land aufzuheben.
({26})
Dieser Vorschlag, meine Damen und Herren, ist von fünf Ministern erarbeitet worden, von fünf Ministerien; der Justizminister war dabei.
({27})
Dann gehen diese fünf Minister in die Runde und erläutern der CDU-Fraktion, was sein soll.
Nun gibt es fünf ganz große Fragen, die nicht geklärt sind. Ich könnte sie Ihnen aufzählen. Wie Sie bis zur nächsten Woche diese fünf Fragen beantworten wollen, das bleibt Ihr Geheimnis.
({28})
Ich weiß j a, welches der Grund Ihres Verhaltens ist: damit die Sozialausschüsse noch ein bißchen weichgeknetet werden. Die fünf Fragen kommen wohl aus dieser Ecke, um sie so weichzukneten und einen Koalitionsstreit zu verhindern. Darauf wollen wir nur hinweisen.
({29})
Die Pläne würden, wenn sie Wirklichkeit würden, die Tariflandschaft grundlegend ändern. Die Gewerkschaften würden doch gezwungen, ihre Tarifverhandlungen regional und zeitlich zu diffrenzieren. Zentrale Verhandlungen, die übrigens immer die Arbeitgeber gewünscht haben, wären dann nicht mehr möglich. Die Tariflandschaft würde zerfleddern, und es gäbe einen Flickenteppich unterschiedlicher Tarifabschlüsse.
Man muß die Bundesregierung wirklich fragen, ob sie dies will, ob sie auch möchte, daß sich die Arbeitsbedingungen in unserem Land unterschiedlich entwickeln. Sie zwingen - ich sage es Ihnen noch einmal mit Nachdruck - die Gewerkschaften zu einer Veränderung ihrer Tarifpolitik. Das wird Ihnen eines Tages wirklich leid tun.
({30})
Deswegen sage ich nach alldem, was in diesen Tagen debattiert wurde, noch einmal: Es besteht kein Handlungsbedarf.
Ist es eigentlich bei Ihnen so, daß die Ohren so taub sind, daß Sie Warnungen von besonnenen Leuten aus Ihrem Lager gar nicht mehr ernst nehmen? Warum hören Sie nicht auf das, was Hans Katzer gestern noch einmal deutlich gesagt hat? Warum hören Sie nicht auf das, was Herr Benda gesagt hat? Warum hören Sie nicht auf das, was Professor Wannagat gesagt hat?
Die bestehende Regelung hat sich in den letzten 15 Jahren bewährt. Wenn Auslegungsschwierigkeiten auftreten, müssen diese von den Gerichten geklärt werden. Der Gesetzgeber und die Nürnberger Selbstverwaltung müssen sich aus diesem Streit heraushalten.
({31})
Nun wird gesagt, es gebe einen Handlungsbedarf, weil die Gewerkschaften Druck erzeugt hätten. Das stellt nun wirklich die Entwicklung auf den Kopf. Wollen wir noch einmal zurückblicken: Zu Beginn der Tarifauseinandersetzungen des vorigen Jahres um die wichtige Arbeitszeitverkürzung hat sich der Bundeskanzler sofort auf die Seite der Arbeitgeber gestellt und die Tarifauseinandersetzung für „dumm, absurd und töricht" gehalten. Er hat damit den sozialen Frieden verletzt.
({32})
Es war eine Tarifbewegung, die durch Arbeitszeitverkürzungen zu ungefähr 100 000 neuen Arbeitsplätzen geführt hat.
Der Bundesarbeitsminister hat ihm doch sekundiert. Er hat damals gesagt, die Bundesanstalt für Arbeit dürfe nicht zur Streikkasse der Gewerkschaften werden.
({33})
Der Bundesarbeitsminister hat doch dafür gesorgt, daß der Franke-Erlaß rechtswidrig erging.
({34})
Wenn der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit damals bei der bis dahin gültigen rechtlichen Auslegung geblieben wäre, wären diese Probleme gar nicht aufgetaucht. Dann wäre alles so gelaufen, wie es 15 Jahre in dieser Republik möglich war.
Deswegen ist der Bundesarbeitsminister mit seinen leichtfertigen Äußerungen und seinem Druck auf den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, er möge den Franke-Erlaß in seinem Sinne formulieren, der Auslöser dieser ganzen Debatte. Deswegen ist er der Verursacher dieser sozialen Konflikte.
({35})
Er hat damit die Scharfmacher in seinen eigenen Reihen auf den Plan gerufen. Der Arbeitsminister selber hat damit den bestehenden Konsens über die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit aufgekündigt. Sie können jetzt nicht den Gewerkschaften die Schuld zuschieben. Denn Sie selber haben die
Frau Fuchs ({36})
Gräben aufgerissen, die den sozialen Frieden gefährden.
({37})
Die Bundesregierung will nun auf jeden Fall noch vor Weihnachten den § 116 ändern. Gleichzeitig erklärt sie, daß auch das Thema SDI noch vor Weihnachten vom Tisch müsse. Ich frage mich: Ob es zwischen beiden Themen einen Zusammenhang gibt?
({38})
Warum dieser Schritt kurz vor Weihnachten? Hat die Regierung das Gespür dafür verloren, was ein solcher möglicher Zusammenhang in der politischen Auseinandersetzung bedeuten kann?
({39})
Oder ist es richtig, daß Herrn Bangemann der Staatseingriff ins Streikrecht gestattet wird, um gleichzeitig seine Zustimmung zu SDI zu erreichen?
({40})
Die Änderung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz, gekoppelt mit den Plänen zu SDI?
({41})
Wer Fragen des sozialen Friedens und des äußeren Friedens miteinander verkoppelt,
({42})
um die Streitigkeiten in der Koalition zu bewältigen, handelt unverantwortlich.
({43})
Deswegen muß das Parlament fähig und willens sein, seine soziale Ordnungsfunktion, seine Verantwortung für das soziale Gleichgewicht in diesem Land zur Geltung zu bringen. Der Bundestag darf sich nicht dem Regierungswillen unterwerfen. Er muß sich auch seiner sozialstaatlichen Tradition bewußt sein.
Die Änderung des § 116 wird auch zu einer Bewährungsprobe der Sozialausschüsse in der Union.
({44})
Wir sind gespannt. So nicht, hieß es gestern. Mit uns nicht, hieß es auch. Die Gewerkschaften dürfen nicht geschwächt werden, hörte man. Wir sind gespannt und erwarten eine klare Aussage.
({45})
Ich sage den Kolleginnen und Kollegen aus den Sozialausschüssen der Union: Lesen Sie sorgfältig nach, was Ihr früherer Vorsitzender Hans Katzer zu diesem Thema gesagt hat, und hören Sie nicht auf den Arbeitgeberminister Norbert Blüm!
({46})
Wir sind überzeugte Anhänger der Einheitsgewerkschaft und ihrer sozialstaatlichen Fundierung. Für diese Einheitsgewerkschaft kämpfen wir in diesen Wochen. Ich hoffe und erwarte, daß die Kolleginnen und Kollegen aus der Union wissen, worum es geht.
Der Bundeskanzler lächelt mir wieder fröhlich zu. Ich freue mich darüber, Herr Bundeskanzler. Ich wünschte mir nur, Sie würden sich endlich bewußt machen, welchen Weg die Bundesregierung in diesen Tagen geht. Ich habe den Eindruck: Vor lauter Koalitionsgerangel spüren Sie überhaupt nicht mehr, wie sehr Sie sich aus der Tradition von Hans Katzer verabschieden.
Vielen Dank.
({47})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition hat heute durch die Rede von Frau Fuchs das Beispiel eines miserablen parlamentarischen Stils in diesem Hause gegeben.
({0})
Diese Rede strotzte vor Unterstellungen und schiefen Darstellungen eines zugegebenermaßen komplizierten Sachverhalts.
({1})
Heute ist die Opposition in der falschen Pose eines Gralshüters der Tarifautonomie aufgetreten. Sie versucht, die Gewerkschaften als außerparlamentarische Opposition gegen die Bundesregierung zu mobilisieren. Diese Rechnung, meine Damen und Herren von der SPD, geht nicht auf.
({2})
Ich stelle mit Bedauern fest: Die SPD-Opposition hat sich damit ihrer parlamentarischen Pflicht zu einem seriösen, d. h. an den Fakten orientierten Streit um die beste Lösung eines schwierigen Problems entzogen.
({3})
Ihr gegenwärtiger Zustand erlaubt ihr offensichtlich keine andere Reaktion als destruktive Kritik und eine auf Emotionalisierung und Verängstigung der Arbeitnehmer abzielende üble Propaganda.
({4})
Wir werden dieser Kampagne in den kommenden Tagen und Wochen unsere Sachargumente
({5})
und vor allem unsere solide Aufklärung entgegensetzen. Die von der Opposition behauptete Einschränkung des Streikrechts der Gewerkschaften gehört in die Kategorie der Horrorgemälde der Opposition.
({6})
Müller ({7})
Die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen ist für die CDU/CSU ein Kernelement unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die strikte Beachtung dieses Grundsatzes garantiert das Funktionieren der Tarifautonomie. Zur Wahrung des Machtausgleichs der Tarifpartner gerade in Arbeitskämpfen dürfen Leistungen der Arbeitslosenversicherung den Verlauf und das Ergebnis eines Arbeitskampfes nicht beeinflussen.
Seit dem 1. Juli 1969 gilt der Grundsatz: Durch die Gewährung von Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld darf nicht in Arbeitskämpfe eingegriffen werden. Darüber herrscht auch heute noch Konsens zwischen den Sozialpartnern. Ich hoffe, daß unter den Fraktionen des Deutschen Bundestages wenigstens über diesen Punkt noch Einigkeit besteht.
Nach dem Arbeitskampf in der Metallindustrie im Jahre 1984 ist die Auslegung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes in Zweifel geraten. Bekanntlich hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit unter Berufung auf § 4 der Verwaltungsanordnung der Bundesanstalt verfügt, daß an mittelbar betroffene Arbeitnehmer der Metallindustrie auch außerhalb des Kampfgebiets Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld nicht gezahlt werden darf. In vorläufigen Rechtsschutzverfahren haben zwei Sozialgerichte der Auffassung des Präsidenten der Bundesanstalt widersprochen. Die anhängigen Verfahren sind in der Hauptsache bisher noch nicht einmal in erster Instanz entschieden worden. Die Rechtsunsicherheit dauert bis zum heutigen Tage an.
Streit herrscht vor allem darüber, wie sich die Bundesanstalt für Arbeit zu verhalten hat, wenn Arbeitnehmer, die selbst nicht an einem Arbeitskampf beteiligt sind, arbeitslos werden oder Kurzarbeit leisten müssen. Die entscheidende Frage lautet also: Unter welchen Voraussetzungen darf an von einem Arbeitskampf mittelbar betroffene Arbeitnehmer außerhalb des räumlichen, aber innerhalb des fachlichen Geltungsbereichs des in Frage kommenden Tarifvertrages gezahlt werden? Die Bundesregierung, vor allem der Bundeskanzler und der Bundesarbeitsminister, hat nichts unversucht gelassen, in einem Dialog mit den Sozialpartnern Einvernehmen über diese zentrale Frage zu erzielen.
({8})
Vor allem innerhalb des letzten halben Jahres haben in regelmäßigen Abständen offizielle Begegnungen und zahlreiche informelle Gespräche stattgefunden. Daran wird deutlich, daß die Bundesregierung - unter Einbeziehung der Sozialpartner - eine Konsenslösung einer gesetzlichen Klarstellung des § 116 AFG vorgezogen hätte. Die CDU/CSU nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, daß es - ungeachtet der unermüdlichen, geduldigen und aufrichtigen Anstrengungen des Bundeskanzlers und des Arbeitsministers ({9})
nicht möglich war, eine Lösung zu finden, die von den Sozialpartnern akzeptiert oder doch wenigstens toleriert wird.
({10})
Offensichtlich waren in einer Frage, die die Machtbalance der Tarifvertragsparteien berührt, beide Seiten nicht imstande, von ihren einmal eingenommenen Standpunkten abzurücken. Ein Kompromiß, d. h. das Finden eines mittleren Standpunktes, konnte einvernehmlich leider nicht erreicht werden.
Nun, meine Damen und Herren, mit dem Ausdruck des bloßen Bedauerns ist es heute nicht getan. Ein weiteres passives Zuwarten und Hoffen auf das Wunder einer späten Einigung oder den erlösenden Spruch der höchstrichterlichen Rechtsprechung in vielleicht vier oder fünf Jahren sind kein verantwortliches Handeln einer dem Gemeinwohl verpflichteten Politik.
({11})
In einer solchen Situation ist der Gesetzgeber gefordert. Es wäre ein unerträglicher Zustand, wenn jetzt auf Jahre hinaus Rechtsunklarheit darüber bestünde, ob die im Vorjahr unter Vorbehalt gezahlten Leistungen an die Arbeitnehmer Rechtens sind oder nicht.
({12})
Beide Tarifvertragsparteien müssen für ihre zukünftige Strategie Klarheit darüber erhalten, wie die Bundesanstalt für Arbeit bei künftigen Arbeitskämpfen entscheiden wird.
Die CDU/CSU begrüßt deshalb den Beschluß des Bundeskabinetts, den Bundesarbeitsminister zu beauftragen, bis zum 18. Dezember 1985 eine gesetzliche Klarstellung der in Zweifel geratenen Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit zu erarbeiten. Es spricht für die Sorgfalt und für den ernsthaften Willen zur Abwägung aller bisher vorgetragenen Argumente, daß dabei von ihm noch einmal alle wichtigen Detailfragen einer erneuten Prüfung unterzogen werden.
Die CDU/CSU ist sich mit Norbert Blüm in der Zielsetzung einig, daß durch eindeutige Formulierungen für die Zukunft Rechtsklarheit geschaffen werden muß. Für Arbeitnehmer, für die in einer Art Stellvertreterstreik mit Vorreiterfunktion für andere Tarifbereiche derselben Branche mit gekämpft wird, die also nach Beendigung des Arbeitskampfes von den erstrittenen Erfolgen mitprofitieren, wird für die Zukunft klargestellt: Zur Sicherung der Waffengleichheit der kämpfenden Tarifvertragsparteien dürfen sie keine Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit für die Dauer des Arbeitskampfes erhalten.
Die Regierungsvorlage wird Grundlage unserer Beratungen sein. Das schließt nicht aus, daß wir über mögliche Detailänderungen mit dem Ziel einer optimalen Wahrung der Kampfparität im weiteren Gesetzgebungsverfahren nachdenken. Damit sich die Opposition keinen falschen Hoffnungen hingibt, füge ich hinzu: Die Fraktion steht bei den von mir
Müller ({13})
skizzierten Zielen geschlossen hinter dem Bundesarbeitsminister.
({14})
Ich gehöre seit 1961 dem Deutschen Bundestag an. Zu den Höhepunkten meiner parlamentarischen Tätigkeit in diesem Hause gehört die Beratung des Arbeitsförderungsgesetzes in den Jahren 1968/69. Ich habe festgestellt, daß ich das einzige dem Deutschen Bundestag noch angehörende Mitglied des damals federführenden Ausschusses für Arbeit bin. Als Vorsitzender dieses Ausschusses konnte ich entscheidend an der Verbesserung wichtiger Elemente des Arbeitsförderungsgesetzes mitwirken.
Meine besondere Aufmerksamkeit galt auch der ursprünglichen Fassung des § 105 des Regierungsentwurfs; aus ihm ist der heutige § 116 geworden. Ich möchte einige Tatsachen aus den Beratungen der damaligen Zeit in Ihre Erinnerung zurückrufen. Die Regelung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen war, wie Norbert Blüm schon ausdrücklich gesagt hat, in den damaligen Regierungsentwurf unverändert aus dem noch aus der Weimarer Republik stammenden Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung übernommen worden. Das bedeutete: Bei Übernahme dieser Regelung hätten weder die an einem Arbeitskampf unmittelbar Beteiligten, also die streikenden und die ausgesperrten Arbeitnehmer, noch die etwa in der Zuliefererindustrie mittelbar durch die Fernwirkung eines Arbeitskampfes Betroffenen im Falle ihrer Arbeitslosigkeit einen Rechtsanspruch auf Unterstützungsleistungen der Bundesanstalt für Arbeit gehabt. Für nicht am Arbeitskampf Beteiligte war lediglich eine Härteregelung in Form einer in das Ermessen der Arbeitsverwaltung gestellten Ausnahmeregelung vorgesehen. Diese sollte auch erst nach Ablauf einer Karenzzeit von 14 Tagen greifen.
Das Kabinett der Großen Koalition - auch das ist schon gesagt worden, aber man kann das nicht oft genug sagen -, dem u. a. der Vorsitzende der SPD, Willy Brandt, als Vizekanzler und Außenminister angehörte, hat die Fassung der Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit einmütig beschlossen. Vorbehalte von Kabinettsmitgliedern der SPD sind damals nicht erhoben worden. Ich meine, diese Tatsache offenbart die ganze Scheinheiligkeit der Empörung der SPD-Opposition.
({15})
Ich frage Sie: Hat es vor 1969 keine Tarifautonomie gegeben? War etwa die Streikfähigkeit der Gewerkschaften in den ersten 20 Jahren dieser Republik gefährdet?
({16})
Wie aus den Ausschußprotokollen Nr. 76 und 78 vom 16. Januar und 6. Februar 1969 hervorgeht, habe ich damals einen Formulierungsvorschlag unterbreitet, der nach eingehender Diskussion die einmütige Zustimmung des Ausschusses fand.
({17})
Dieser Vorschlag ist im § 116 noch heute geltendes Recht. Wir haben damals einvernehmlich für eine differenzierende Lösung gestimmt, die die Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in ausgewogener Weise berücksichtigt. Mittelbar Betroffene, die zwar außerhalb des räumlichen, aber innerhalb des fachlichen Geltungsbereichs des umkämpften Tarifvertrages beschäftigt sind, erhalten dann keine Unterstützung, wenn die Gewährung einer Leistung „den Arbeitskampf beeinflussen würde".
Die Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit hat diese abstrakte Formulierung des § 116 Abs. 3 später entsprechend dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers durch die ergänzende Neutralitätsanordnung für die Praxis konkretisiert. Für den Fall, daß in einem anderen Tarifbezirk der gleichen Branche nach Art und Umfang gleiche Forderungen gestellt werden, soll der Anspruch auf Versicherungsleistungen sowohl nach der Nr. 1 als auch nach der Nr. 2 des § 116 Abs. 3 ruhen. Von keinem maßgeblichen Fachmann ist die Auffassung vertreten worden, daß für das Ruhen des Anspruchs nach § 116 Abs. 3 AFG eine völlige Identität der Forderungen in beiden Tarifbezirken erforderlich ist. Denn eine solche enge Auslegung entspricht nicht dem historischen Willen des Gesetzgebers.
({18})
Die restriktive und unhistorische Auslegung der Vorschrift des § 116 Abs. 3 durch einzelne Sozialgerichte zwingt uns heute zu einer vorbeugenden Klarstellung. Damit soll, wie bereits in dem Ausschußbericht des Jahres 1969 angedeutet, auch der Anreiz zu Schwerpunktstreiks genommen werden.
Meine Damen und Herren, wenn wir im Jahre 1969 die dynamische Entwicklung zu einer in hohem Maße arbeitsteiligen Volkswirtschaft mit geringer Fertigungstiefe und hoher Spezialisierung der Betriebe vorausgesehen hätten, hätten wir bereits damals, glaube ich, eine schärfere Fassung des Tatbestandes des § 116 Abs. 3 vorgenommen. Den damals nicht vorhersehbaren Schwierigkeiten tragen wir heute durch eine klarstellende Neufassung Rechnung.
Wir werden im Gesetzgebungsverfahren um eine faire, das Machtgleichgewicht der Sozialpartner bewahrende Lösung ringen, sobald die Bundesregierung ihre Aufgabe erfüllt hat.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal feststellen: Niemand, am wenigsten die CDU/CSU, will das Streikrecht antasten.
({19})
Niemand, am wenigsten die CDU/CSU, will die Streikfähigkeit der Gewerkschaften antasten.
({20})
Es geht hier und heute um die Neutralität des Staates und der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß man mit Worten viel vernebeln kann, das war schon klar, bevor dieser heutige Vormittag begonnen hat. Mit Worten kann man die Menschen irreführen. Mit Worten kann man die Menschen täuschen.
({0})
Das, was der Herr Blüm heute morgen über den Sinn Ihrer Neuformulierung vorgetragen hat, war nichts anderes als der Versuch eines Täuschungsmanövers.
({1})
Natürlich, Herr Blüm, geht es bei Ihrer Neuformulierung um das Streikrecht. Natürlich geht es bei Ihrer Neuformulierung um die Streikfähigkeit der Gewerkschaften. Das ist doch der Kern der Auseinandersetzung, die gegenwärtig geführt wird. Herr Blüm, Sie wissen das. Wenn Sie das bestreiten, dann sagen Sie hier bewußt die Unwahrheit, Herr Blüm.
({2})
Irreführend ist ein Zweites. Irreführend ist schon die Überschrift, unter der heute morgen die Abgabe Ihrer Erklärung gestanden hat: „Klarstellung der Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit im Arbeitskampf". Meine Damen und Herren, so harmlos lautet die Überschrift. Aber was diese Bundesregierung tatsächlich will, das hat mit der Harmlosigkeit dieser Überschrift gar nichts mehr zu tun; was diese Bundesregierung will, hat mit Neutralitätsverpflichtung nichts zu tun und mit Klarstellung schon gar nichts; denn dieser Regierung geht es nicht um ein paar Klarstellungen, dieser Regierung geht es auch nicht um den Dialog und auch nicht um den Kompromiß, wie das hier gerne dargestellt wird, dieser Bundesregierung geht es um den Angriff auf das Streikrecht, dieser Bundesregierung geht es um den Eingriff in den Kernbestand von Arbeitnehmerrechten.
({3})
Das ist das Ziel, das der Herr Bangemann und seine Unternehmerfreunde seit langem verfolgen. Das ist das Ziel, das die 130 Unionsabgeordneten mit ihrem Vorstoß zum § 116 schon im Frühjahr klargemacht haben, und das ist das Ziel, an dem diese Bundesregierung jetzt gesetzgeberisch festhalten will.
Sie wollen das Streikrecht über den Hebel der finanziellen Austrocknung der Gewerkschaften praktisch unwirksam machen. Das ist die Weihnachtsbescherung, die diese Bundesregierung für die Arbeitnehmer und für die Gewerkschaften bereithält.
({4})
Wenn der Herr Blüm hier davon gesprochen hat, die Leute würden für dumm verkauft, muß ich Sie fragen, Herr Blüm: Wer verkauft denn eigentlich die Leute für dumm?
({5})
Sie haben ein ums andere Mal treuherzig versichert, Sie würden jeden Angriff auf das Streikrecht zu verhindern wissen.
({6})
Und Sie haben ein ums andere Mal versichert, daß Sie schon dafür sorgen würden, daß der § 116 in seiner Substanz unverändert bliebe. Herr Blüm, was ist von diesen Versicherungen denn heute übriggeblieben? Herr Blüm, angesichts dessen, was jetzt als Änderungsvorschlag auf dem Tisch liegt, kann ich nur sagen: Sie haben die Leute nicht nur für dumm verkauft, Sie haben die Leute getäuscht, und Sie haben uns hier im Bundestag getäuscht, j a Sie haben uns nicht nur getäuscht, Sie haben uns belogen, Herr Bundesarbeitsminister.
({7})
Und wenn der Herr Blüm und andere aus der Koalition Bedauern darüber demonstrieren, daß es bei dem Spitzengespräch am Dienstag nicht zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen ist, kann ich dazu nur sagen: Ich halte das für eine reine Heuchelei; denn Sie wissen so gut wie ich, daß die Gewerkschaften das, was Ihre Ministerrunde vorgelegt hat, gar nicht akzeptieren können, wenn sie nicht selbst daran mitwirken wollen, daß ihr wichtigstes Recht - und das ist das Streikrecht - eingeschränkt wird. Das gilt in ganz besonderem Maße für die IG Metall. Sie, Herr Blüm, wissen das. Auch andere wissen das. Wenn Sie hier jetzt Krokodilstränen darüber vergießen, daß ein Kompromiß, der gar keiner sein konnte, nicht zustande gekommen ist, ist das ein weiterer Beitrag zur Irreführung der Öffentlichkeit.
({8})
- Ach, Sie sind doch ein Schwätzer. Von Ihnen habe ich in zweieinhalb Jahren im Bundestag nur dummes Geschwätz gehört.
({9})
Herr Abgeordneter, so sollten wir nicht miteinander verkehren. Ich weise diesen Ausdruck „Schwätzer" zurück.
Was diese Regierung als notwendige Klarstellung verkauft, würde im Endeffekt dasselbe bewirken - wie ihre ganzen ursprünglichen Absichten zur Änderung des § 116.
({0})
Kleinert ({1})
Hinter der scheinbar so harmlosen Formulierung, daß Kurzarbeitergeld in solchen Bereichen nicht gezahlt werden könne, wo in der Tarifauseinandersetzung die gewerkschaftlichen Forderungen „nach Art und Umfang annähernd gleich" seien, hinter dieser breit auslegb aren Gummiformulierung verbirgt sich Ihre Absicht, das Streikrecht praktisch lahmzulegen. Gewiß würde sich rechtlich nicht viel ändern, aber in der Praxis würde jede Gewerkschaft, die zum Mittel des Streiks greifen würde, mit unermeßlichen finanziellen Risiken konfrontiert werden. Und damit stünde das Streikrecht praktisch nur noch auf dem Papier und liefe schon die bloße Streikdrohung Gefahr, wirkungslos zu verpuffen.
({2})
Wenn das, was Sie hier als notwendige Klarstellung verkaufen wollen, zu geltendem Recht würde, wäre der Franke-Erlaß aus dem Jahre 1984 nachträglich legalisiert, und damit wäre die Substanz des § 116 entscheidend verändert. Das ist ein beispielloser Angriff auf das grundgesetzlich garantierte Streikrecht. Das ist ein Angriff auf die Tarifautonomie und nichts anderes.
({3})
Nicht nur die Gewerkschaften wären betroffen. Betroffen wären auch die Sozialämter in den Kommunen, die heute schon nicht mehr wissen, woher sie das Geld zur Auszahlung der Sozialhilfe nehmen sollen, und die dann unter Umständen auch noch zahlen müßten, wenn eine Gewerkschaft trotz dieser veränderten Bedingungen einen Streik riskieren würde.
Meine Damen und Herren, wenn als Begründung für diese Planungen der Bundesregierung die Sorge angeführt wird, Arbeitgeberverbände könnten sich bei zukünftigen Streikauseinandersetzungen nicht mehr so recht zur Wehr setzen, und sie würden gewissermaßen zum hilflosen Opfer der Minimaxstrategie der Gewerkschaften, dann kann ich dazu nur sagen: Eine solche Behauptung, wie sie vorhin wieder anklang, hat mit der sozialen Realität in der Bundesrepublik nichts, aber auch gar nichts zu tun. Sie stellt die Kräfteverhältnisse in der sozialen Auseinandersetzung, wie sie jetzt bestehen, auf den Kopf. In dieser Wirtschaftsordnung hat die Unternehmerseite in der sozialen Auseinandersetzung sowieso einen strukturellen Vorteil. Das Streikrecht ist doch gerade Ausdruck der Erkenntnis,
({4})
daß der einzelne Beschäftigte den Unternehmern hoffnungslos unterlegen ist und daß allein der gewerkschaftliche Zusammenschluß und die Anwendung gewerkschaftlicher Kampfmittel etwas ausrichten können. Der Streik ist nun einmal das wirksamste Kampfmittel der sozial Schwächeren, um sich gegen wirtschaftliche Übermacht zur Wehr setzen zu können und um eigene Forderungen durchsetzen zu können. So sieht doch die Realität aus.
Alles Gerede von einer gewerkschaftlichen Übermacht ist doch schlicht Unsinn. Es ist ein bloßes Hirngespinst, was in dieser Diskussion heraufbeschworen wird.
({5})
Selbst im Streik können die Arbeitnehmer nicht jenes Machtgleichgewicht herstellen, von dem so gern geredet wird. Sie können es nicht einmal annähernd herstellen, solange die Aussperrung erlaubt bleibt. Solange den Unternehmern die Möglichkeit der Aussperrung als Kampfmittel bleibt, wird der machtpolitische Vorteil der Unternehmerseite in der Streikauseinandersetzung erhalten bleiben. Sie sollten doch wissen - ich zweifle nicht, daß Herr Blüm das weiß -, daß der größte Teil der Fernwirkungen über die umkämpften Tarifbezirken hinaus im Streik um die 35-Stunden-Woche im vergangenen Frühjahr nicht von den Streikenden, sondern von den Ausgesperrten ausging. Herr Blüm, das war doch die Realität. Meine Damen und Herren, Sie kennen diese Realitäten. Sie kennen das Einmaleins der Sozialverfassung der Bundesrepublik, aber Sie verschweigen diese Realitäten oder vernebeln sie. Sie tun das deshalb, weil Sie das gesellschaftspolitische Ziel haben, die Rechte von Arbeitnehmern und Gewerkschaften zu schwächen, weil Sie das Ziel haben, das Kräfteverhältnis in diesem Lande nachhaltig zugunsten der Unternehmer und der Konservativen zu verschieben.
({6})
Das ist die politische Absicht, die diesen Intentionen zugrunde liegt. Die ganzen Begründungen, die zur Rechtfertigung dieser Änderung herangezogen werden, sind scheinheilig und im Grunde aberwitzig. Wenn darauf hingewiesen wird, daß die Anfälligkeit für gewerkschaftliche Schwerpunktstreiks auf der Unternehmerseite in den letzten Jahren zugenommen hat, muß man sich doch wirklich einmal fragen: Wie kommen eigentlich Arbeitgeberverbände und Politiker der Regierungskoalition dazu, die Folgen von unternehmerischen Planungen, von unternehmerischen, betriebswirtschaftlichen Strategien ausgerechnet denen aufhalsen zu wollen, denen sie ansonsten nicht einmal ein Mitbestimmungsrecht zuerkennen wollen, wenn es um solche Unternehmensentscheidungen geht?
({7})
Es ist doch ein Aberwitz, meine Damen und Herren, wenn Sie dann mit solchen Begründungen hier ankommen.
({8})
Ich habe schon am Anfang darauf hingewiesen, daß kaum etwas irreführender ist als die Behauptung dieser Regierung, es ginge ihr um Neutralität in der Auseinandersetzung der Tarifparteien. Auf welcher Seite diese Regierung steht, wissen wir ja nicht erst seit heute. Diese Regierung steht in diesen Fragen immer auf der gleichen Seite. Das war in der Auseinandersetzung um die 35-Stunden13978
Kleinert ({9})
Woche so. Damals hat der Bundeskanzler gesagt, diese Forderung sei dumm und töricht. Der seinerzeitige Bundestagspräsident hat durch die Forderung nach der 35-Stunden-Woche damals schon den Staat in Gefahr gesehen. Diese Koalition von Kapital und Kabinett, die es schon damals gab, hat sich in der Zwischenzeit fortgesetzt. In der Zwischenzeit sind nur die Reihen noch etwas fester geschlossen worden, meine Damen und Herren. Neutral war diese Bundesregierung noch nie, wenn es um die Auseinandersetzung von Kapital und Arbeit ging. Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch alles, was Sie seither beschlossen haben. Das hat mit den Verschlechterungen beim Jugendarbeitsschutz begonnen, das hat sich fortgesetzt beim sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz, das in Wahrheit ein Entlassungsförderungsgesetz ist,
({10})
das setzt sich fort in Ihren Überlegungen zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, und diese Linie findet in der Frage des § 116 nur ihren deutlichsten Ausdruck. Es geht nicht um einzelne Klarstellungen, es geht um eine ganze gesellschaftspolitische Strategie.
Dahinter steckt folgendes. Es gibt inzwischen viele, die nach drei Jahren Kohl-Regierung mehr sehen wollen als radikale Sozialkürzungen, Umverteilung und massive Begünstigung von Wirtschaftsinteressen.
({11})
Jetzt wird massiv eingeklagt, was im LambsdorffPapier und anderswo seinerzeit versprochen worden ist. Dem Wirtschaftsflügel der CDU und der FDP ist das nicht genug, was Sie in den letzten Jahren beschlossen haben. Sie wollen an den Kernbestand von Arbeitnehmerrechten ran, und verschiedene Vorschläge, Vorstöße aus der FDP haben in diesem Frühjahr schon gezeigt, wohin das gehen soll: weitere Lockerungen arbeitsrechtlicher Vertragsverhältnisse, Auflösung eines einheitlichen Tarifvertragssystems, insgesamt eine Strategie, die auf eine soziale Amerikanisierung in der Bundesrepublik hinauslaufen würde. Das ist der Hintergrund dieser Absichten.
({12})
Meine Damen und Herren, das traurigste Kapitel in dieser Auseinandersetzung haben bisher die Sozialausschüsse geschrieben; das muß man hier auch einmal feststellen. Ich frage Sie an dieser Stelle: Was hat Sie eigentlich daran gehindert, wenigstens in dieser einen Frage des § 116 klipp und klar zu sagen: mit uns nicht? Das hätte doch schon ausgereicht, um die Vorstellungen des Wirtschaftsflügels und die Vorstellungen der FDP zu Fall zu bringen.
({13})
Aber Sie haben das nicht getan, genauso wenig wie der Herr Blüm, der ansonsten um flotte Sprüche nicht verlegen ist, aber in der Auseinandersetzung mit dem schwergewichtigen Herrn Bangemann
offensichtlich noch kleiner wird, als es seine Körpermaße sind.
({14})
Herr Blüm, statt dessen haben Sie sich aufs Abwiegeln verlegt, haben Sie die Devise ausgegeben: Das Schlimmste verhindern. Meine Damen und Herren, was ist das Ergebnis? Als es Ernst wurde, hat Herr Bangemann den sozialpolitischen Possenreißer Blüm ausgetrickst, und nun will der IG-Metall-Kollege Blüm mitsamt den Sozialausschüssen genau den Angriff auf die Streikfähigkeit der Gewerkschaften mittragen, den die Union und die FDP von Anfang an wollten.
({15})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Meine Damen und Herren, Sie haben noch immer die Möglichkeit, das abzuwenden. Nehmen Sie die Entschließungsanträge von den GRÜNEN und der SPD an! Wenn Sie es nicht tun, wird nur noch Protest und Widerstand außerhalb des Parlaments die Bundesregierung dazu veranlassen können, ihre Pläne aufzugeben.
({0})
Wir GRÜNEN werden alles tun, was in unseren Möglichkeiten steht, um diesen Protest und diesen Widerstand zu unterstützen.
({1})
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Sie sind ein Haufen von Schreihälsen, meine Damen und Herren von der Unionsfraktion.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mir steht nur wenig Zeit zur Verfügung. Deswegen bitte ich um Ihr Verständnis, wenn ich mich auf das Wesentliche zu konzentrieren versuche. Trotzdem muß ich hier einige Wiederholungen vornehmen; denn es ist die vierte Debatte zum gleichen Thema. WiederholunCronenberg ({0})
gen sind gelegentlich die Mutter der Weisheit, und deswegen bitte ich, mir dies nicht zu verübeln.
Zum wiederholten Male möchte ich feststellen: Weder der Bundeswirtschaftsminister noch Kollegen meiner Fraktion wollen das grundgesetzlich garantierte Recht zum Arbeitskampf in irgendeiner Form - weder in der Form des Streiks noch der Aussperrung - einschränken.
({1})
Streik und Aussperrung sind meiner festen Überzeugung nach legale Mittel des Arbeitskampfes. Wir wünschen uns Tarifvertragsparteien, die diese Mittel nur als Ultima ratio einsetzen, und wir erwarten von den Tarifvertragsparteien, daß sie die dafür vorgesehenen Spielregeln akzeptieren und respektieren.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, uns ist der soziale Friede ebenso wertvoll wie Ihnen; er liegt mir genauso am Herzen wie allen anderen im Hause.
({2})
Und wenn Sie dem Unternehmer Cronenberg dies nicht glauben, dann glauben Sie ihm wenigstens, daß er den sozialen Frieden als Produktionsfaktor für ein ganz wertvolles Instrument hält.
({3})
Die Spielregeln, die sich die Tarifvertragsparteien zum Teil selber gestellt haben, setzen aber auch Neutralität des Staates und Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit voraus. Gemeinsam wurde 1969 - auch mit den Stimmen der FDP - der § 116 AFG mit dem Ziel verabschiedet, daß nicht durch Zahlung von Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld in einen laufenden Arbeitskampf eingegriffen wird. Das ist eine Gemeinsamkeit, die man festhalten sollte.
Nach den Gesprächen, die die Bundesregierung mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern geführt hat, ist auch nicht mehr die Rede davon, daß mittelbar von Streik oder Aussperrung betroffene Arbeitnehmer einer anderen Branche kein Arbeitslosengeld und kein Kurzarbeitergeld erhalten sollen, obwohl es vielleicht gute Gründe gegeben hätte, dies zu fordern. Ich meine, diese Feststellung ist wichtig, weil sie ein beachtliches Stück Gemeinsamkeit zumindest zwischen den drei größeren Fraktionen des Hauses beinhaltet.
Weiter besteht Übereinstimmung darüber, daß mittelbar betroffene Arbeitnehmer aus der gleichen Branche in dem umkämpften Tarifgebiet keine Unterstützung bekommen sollen. Es herrscht in den wesentlichen Fragen insgesamt also eine viel größere Übereinstimmung, als das ganze Wortgetöse, das Sie hier veranstalten, überhaupt vermuten läßt.
({4})
Nun mag sich mancher fragen: Warum streiten die sich eigentlich, wenn so viel Übereinstimmung vorhanden ist? Ich will hier nicht verhehlen, daß es durchaus Unterschiede gibt. Zu diesen Unterschieden möchte ich mich äußern.
({5})
- Kollege Peter, es gibt zwar Unterschiede, aber sie rechtfertigen nicht das ganze Theater, das draußen veranstaltet wird.
({6})
Der § 116 AFG und die Anordnung der Bundesanstalt dazu haben zu Auslegungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit der schon mehrmals angesprochenen Minimax-Methode geführt. Damit ich bei der Bestimmung dessen, was die Minimax-Methode ist, keine Fehler mache, möchte ich schlicht und einfach aus dem EXTRA-Tarifbericht des DGBWirtschaftsinstituts zitieren. Da heißt es: „Fortschreitende Rationalisierung der Produktion und der Verwaltungsprozesse macht die Betriebe nicht unabhängig von der menschlichen Arbeitskraft," - da kann man nur sagen: richtig - „sondern durch die zunehmende Verkettung einzelner Elemente des Gesamtprozesses entstehen neuralgische Punkte, von denen man mit relativ niedrigem Aufwand in das gesamte System eingreifen kann."
An der Legalität einer solchen Effektivmethode zweifle ich nicht. Hier soll mit einem Minimum an Aufwand ein möglichst großer Schaden in den Betrieben angerichtet werden. Dieser Schaden soll nicht vorwiegend in den bestreikten Betrieben, sondern in vielen möglichst unbestreikten Betrieben und möglichst außerhalb des Kampfgebietes entstehen. Durch die Bestreikung einiger weniger Zulieferbetriebe soll z. B. die gesamte Automobilindustrie stillgelegt werden; möglichst vielen Arbeitnehmern in diesen Betrieben soll die Möglichkeit zu arbeiten genommen werden. Das hat auch einen Sinn, den ich sogar verstehen kann: Man will die eigene Kasse schonen, und somit sollen mittelbar Betroffene außerhalb des Tarifgebiets von Nürnberg bezahlt werden.
({7})
- Diese Position bestreiten auch die Gewerkschaften nicht. Das Ergebnis des Arbeitskampfes soll aber selbstverständlich allen in der Branche Tätigen zugute kommen.
Genau an dieser Stelle und nur an dieser Stelle gibt es zwischen uns einen entscheidenden Unterschied, über den wir reden und diskutieren müssen. Diese Vorschläge sind weder durch den § 116 noch durch die Anordnung der Bundesanstalt gerechtfertigt, noch hat - auch das muß man betonen - irgendein Gericht in der Hauptsache in diesem Sinne entschieden.
({8})
Wo entgegen der Entscheidung des Präsidenten der Bundesanstalt, Heinrich Franke, auf Grund einer einstweiligen Verfügung gezahlt worden ist, ist dies unter dem Vorbehalt einer möglichen Rückforderung geschehen. Nun kann uns doch bei Gott nie13980
Cronenberg ({9})
mand übelnehmen, daß wir sagen: Es ist für diejenigen, die dieses Geld empfangen haben, unerträglich, daß sie das Geld möglicherweise in fünf oder sechs Jahren an Heinrich Frankes Bundesanstalt für Arbeit zurückzahlen sollen. Das ist unerträglich!
({10})
Dieser Zustand - ({11})
- Deswegen wollen wir ja die Änderung! Herr Kollege, ich bin für diesen Zwischenruf sehr dankbar. Genau das ist der Grund, aus dem wir uns bemühen
- und Sie sollten das unterstützen -, die Bestimmung so zu ändern, daß sie klar ist, daß ordentliche Verhältnisse enstehen, ordentliche Verhältnisse, wie beide Tarifvertragsparteien sie brauchen.
({12})
Um diese Klarstellung geht es, und die wollen wir
- Herr Kleinert ist im Moment nicht da; ich bitte darum, ihm das mitzuteilen - mit allem Ernst. Wenn Sie sich das Ganze anschauen, so kann ich nur feststellen, es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten, als das ganze Theater, das ganze Wortgetöse überhaupt vermuten läßt. Wir verlangen eben eine Klarstellung, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Wer allerdings bei dieser Gelegenheit - und diese Töne hören wir ja draußen und gelegentlich sogar hier von diesem Pult - das Verbot der Aussperrung will oder wer verlangt, daß überall und in jedem Fall gezahlt wird, der mag zwar subjektiv glauben, er würde Richtiges verlangen; nur kann er eines nicht behaupten: daß er den § 116 verteidigte. Genau das Gegenteil ist der Fall: Wer so argumentiert, will ihn verändern.
({13})
- Der Kollege Bangemann hat nie und an keiner Stelle solches gesagt oder auch nur vermuten lassen.
({14})
Alles andere ist böswillige Unterstellung!
({15})
Nun einmal allen Ernstes - und bleiben wir mal alle schön auf dem Teppich -: Durch eine solche Klarstellung ist das Streikrecht nicht in Gefahr. Wer davon redet, da wäre sogar die Verfassung in Gefahr, der kennt weder den § 116
({16})
noch, mit Verlaub gesagt, die Verfassung.
({17})
Durch eine solche Klarstellung wird der größten Gewerkschaft der Welt nicht verboten, wird ihr nicht unmöglich gemacht, z. B. sieben kleine Handwerksbetriebe in Westfalen kaputtzustreiken. Das ist die soziale Realität in der Republik, Herr Kollege Kleinert, nicht das Gemälde, das Sie entworfen haben.
Die Gewerkschaften werden durch diese Klarstellung auch nicht in ihren materiellen Möglichkeiten eingeschränkt; sie können weiter von mühselig verdienten Gewerkschaftsgroschen Milliardenbeträge der Neuen Heimat als Subventionen zuweisen.
({18})
Um eine solche Einschränkung geht es in diesem Zusammenhang überhaupt nicht! Es geht nur darum, unmißverständlich klarzustellen, daß die Kasse der Bundesanstalt für Arbeit weder eine Streikkasse für die Gewerkschaften noch ein Solidaritätsfonds für die Arbeitgeber ist; beides wäre eine Verletzung der Neutralität.
({19})
Meine Damen und Herren, manchmal habe ich den Eindruck, daß selbst die Kollegen im Hause - geschweige denn die Leute draußen - den § 116 nicht durchgelesen haben und mit der vorgesehenen Änderung sich überhaupt nicht ernsthaft beschäftigt haben. Wer das nämlich tut, muß zu dem Ergebnis kommen, daß diese Klarstellung, die im Grunde genommen die Neutralität, die wir alle wollen, sauberer und besser definiert als vorher, den ganzen Aufwand nicht lohnt.
({20}) Lohnen tut es sich, darüber nachzudenken
({21})
und in Ruhe darüber zu beraten, wie wir das Ding so sauber formulieren, daß dazu möglichst wenig die Gerichte bemüht werden müssen.
Verehrte Kollegen von der Sozialdemokratie, wenn ich mir in den letzten Tagen angeschaut habe, was da an Behauptungen und an Unterstellungen und zum Teil auch an Verleumdungen unters Volk gestreut wird, was da an Demonstrationen stattfindet, dann habe ich den Eindruck: Diese Regierung muß so gut sein, daß Ihnen nichts Besseres einfällt, als um diesen minimalen Unterschied so ein Theater zu veranstalten. Es lohnt sich nicht!
({22})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als das erste Gespräch zwischen den TarifBundesminister Dr. Bangemann
partnern und der Bundesregierung beim Bundeskanzler stattfand, wurde schon die Frage erörtert, ob es ein Einverständnis zwischen den Tarifpartnern über die Frage einer Klarstellung der Neutralitätsverpflichtung der Nürnberger Anstalt geben könne. Damals erklärten die Arbeitgeber, sie sähen hier einen Handlungsbedarf, und zwar einen Handlungsbedarf, den nur der Gesetzgeber erfüllen könne, während der DGB eindeutig und sehr klar das Gegenteil erklärte, nämlich er sehe erstens keinen Handlungsbedarf und zweitens schon gar nicht irgend etwas, was der Gesetzgeber zu regeln hätte.
Es gab also ein breites Auseinander der Standpunkte, und die Regierung stand vor der Frage, was man angesichts dieser Sachlage tun solle. Hätten wir uns damals entschieden, bei dieser offenbaren Gegensätzlichkeit der Standpunkte auf beiden Seiten ein Gesetzgebungsverfahren in Gang zu setzen, wäre das sicher kritisiert worden, aber es wäre durchaus denkbar gewesen. Man hätte es erklären können. Dennoch, meine Damen und Herren, die Regierung hat sich entschieden, auch angesichts dieser offenbaren Gegensätzlichkeit den Versuch zu unternehmen, die Standpunkte anzunähern oder zumindest, wenn das nicht möglich gewesen wäre, abzuklären, was denn eigentlich strittig zu behandeln sei.
Dieser Versuch ist in zwei Gesprächen zwischen fünf Ministern der Regierung und Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften und zum Schluß am Dienstag dieser Woche noch einmal durch ein Gespräch unternommen worden, zu dem der Bundeskanzler eingeladen hatte. Die beiden ersten Gespräche haben ungefähr 15 Stunden gedauert. Hinzu kam am Dienstag das Gespäch mit, ich glaube, drei Stunden. Das sind 18 Stunden, in denen man versucht hat, die Standpunkte anzunähern. Das ist auch gelungen. Es ist nicht wahr, daß diese Gespräche überhaupt kein Ergebnis gehabt hätten. Eine Reihe von Fragen wurde von manchen als unstrittig bezeichnet, weil die Antwort, die ihnen jeweils paßt, als die einzig richtige angenommen wird. Darin liegt ein Stück Verböserung der Situation, daß Leute, die eine Meinung haben, nicht nur das Recht für sich in Anspruch nehmen, diese Meinung zu vertreten, was selbstverständlich ist, sondern jede andere Meinung von vornherein in eine Ecke stellen, verketzern und dadurch eine Diskussion unmöglich machen, die in einer Demokratie selbstverständlich sein sollte.
({0})
Wir haben also bei diesen Gesprächen festgestellt, außerhalb eines Fachbereiches wird immer gezahlt. Dies ist j a nicht von uns in Zweifel gezogen worden, sondern dieser Zweifel entstand durch das Gutachten eines Mannes, dem man wahrhaftigen Gottes nicht unterstellen kann, daß er von der Sache nichts verstünde. Man mag ihm unterstellen, daß er eine bestimmte Meinung hat, aber das sollte doch wohl in einer Demokratie nicht strafbar sein. Dieser Mann hat gesagt: Man muß prüfen, ob es nicht auch außerhalb eines Fachbereiches Fälle geben kann, in denen die Zahlung den Streik, die Aussperrung, generell gesagt: den Arbeitskampf beeinflußt. Das haben wir in diesen Gesprächen klarstellen können, und zwar - weil das auch immer wieder bestritten wird - durch eine klare Aussage der Arbeitgeber. Wir mußten die Arbeitgeber in diesem Punkt nicht über den Tisch ziehen - wie ich gehört habe -, wir mußten sie nicht dazu pressen und drängen, sondern sie haben von sich aus gesagt, wenn das Beeinflussungsprinzip ein geltendes Prinzip in dieser Abgrenzung der Streitfragen ist, dann muß klar sein: Außerhalb des Fachbereichs kann ein solcher Einfluß nicht auftreten, auch kein Binnendruck, und dann muß dort gezahlt werden. Das ist die erste Klarstellung.
Die zweite Klarstellung, die in der Öffentlichkeit vollkommen unter den Tisch gefallen ist, weil sie nicht in das allgemeine Bild paßt, das manche hervorrufen wollen, ist, daß die Arbeitgeber von vornherein gesagt haben: Selbstverständlich muß die Anstalt in Nürnberg nachprüfen, und die Arbeitgeber müssen glaubhaft machen, daß ein Unternehmen, das keine Arbeit mehr hat, feststellen muß, daß der Arbeitsausfall durch den Streik verursacht ist; es darf nicht etwa durch Tricks oder auf andere Weise den Arbeitsausfall herbeiführen. Dies ist auch ein Teil der gesetzgeberischen Vorlage, die wir gemacht haben. Das ist eine wichtige Klarstellung im Interesse der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften.
({1})
Wir sind dann auf den Streitpunkt, nämlich die Frage gekommen - das ist der einzige Streitpunkt, der übriggeblieben ist -: Was hat zu geschehen, wenn im selben Fachbereich, aber in verschiedenen Tarifbezirken, eine Forderung erhoben wird? Hier muß ich übrigens auch einmal Norbert Blüm insoweit in Schutz nehmen, als immer wieder behauptet wird, alles das, was in dem Gesetzgebungsvorschlag der fünf Minister steht, der zur Grundlage der Kabinettsentscheidung geworden ist, sei sozusagen ein Diktat der FDP; das ist alles Blödsinn.
({2})
- Frau Fuchs, wenn Sie Behauptungen über einen Sachverhalt aufstellen, den Sie gar nicht so kennen können, weil Sie an dem Gespräch nicht teilgenommen haben, dann sollten Sie sich wenigstens, wenn Sie objektiv sein wollen,
({3})
vergewissern, was Inhalt dieses Gespräches war. Inhalt des Gespräches am Mittwoch, d. h. an dem Tag, als wir zum letzten Mal vor dem Dienstaggespräch dieser Woche zusammenkamen, war: Wie kann man den unstreitig strittigen Fall definieren?
({4})
- Zu bestreiten, daß das nach dem Franke-Erlaß
und nach verschiedenen Gerichtsurteilen strittig
geworden ist, ist nun wirklich das allerletzte. Daß
da ein Streit vorliegt, wollen Sie ja nun nicht auch noch bestreiten.
({5})
Wie kann man also den strittig gewordenen Fall besser formulieren? Da hat Norbert Blüm von Anfang an in diesen Gesprächen gesagt: Wir müssen eine Formulierung finden - wir schlagen eine Formulierung vor - die etwa folgendermaßen lautet: Es muß auf die Hauptforderung abgestellt werden, denn es kann ja nicht sein, daß irgendwelche belanglosen Nebenforderungen ausreichen, um die Identität zu zerstören. Wir müssen also auf die Hauptforderung abstellen. Wir müssen bei der Hauptforderung von dem Grundsatz der Identität, der vom Gesetzgeber nicht gewollt war, sondern der durch die Gerichtsurteile in den Willen des Gesetzgebers hineininterpretiert worden ist, weg. Wir müssen deutlich machen, daß wir nicht Identität wollen, sondern annähernde Gleichheit.
({6})
- Es ist ja unbestritten, daß Sie das nicht wollen. Das bestreitet Ihnen doch niemand.
Nun unterstellen Sie aber doch nicht - was Sie getan haben -, daß Norbert Blüm die Gewerkschaften hinters Licht geführt hätte.
({7})
Er hat genau das in diesen Gesprächen gesagt. Das war von Anfang an klar. Fragen Sie doch die Gesprächsteilnehmer, die daran beteiligt waren, ob wir ihnen nicht in Deutlichkeit diese Formulierung vorgeschlagen haben.
({8})
- Ich trage dazu bei, daß diese Diskussion in Kenntnis der Tatsachen stattfindet.
({9})
Daß Sie dafür kein Interesse haben, die Tatsachen Ihrer Wertung zugrunde zu legen, entwertet Ihr Urteil von vornherein selbst.
({10}) Frau Fuchs hat auch kritisiert,
({11})
daß wir das Gespräch vom Dienstag dieser Woche zum Anlaß genommen haben, noch einmal zu prüfen, in welchen Punkten wir bessere Formulierungen finden mußten. Das wird hier kritisiert. Ich frage mich, was geschehen wäre, wenn wir diese Prüfung nicht ernsthaft vorgenommen hätten, sondern wenn wir einfach den Gesetzesformulierungsvorschlag, den wir j a für das Gespräch ausgearbeitet hatten, genommen und ohne Änderung verabschiedet hätten. Dann hätte es hier geheißen, daß
das Gespräch nur angeblich zur Klärung der Fronten dienen sollte, in Wahrheit hätten sie schon längst gewußt, was sie tun wollten.
Jetzt haben wir fünf offene Fragen nach dem Gespräch festgestellt. Was geschieht? - Das wird kritisiert. Da kann man sehen, mit welcher ,,Unvoreingenommenheit" die Opposition an diese Frage herangeht.
({12})
Diese fünf Fragen, die wir noch beantworten wollen, sind wie ich meine, wichtig für Arbeitnehmer und für den sozialen Frieden in unserem Land.
Erstens. Wir prüfen, ob nicht trotz der Unstreitigkeit im Gesetzestext klargestellt werden soll, daß außerhalb des Fachbereichs immer gezahlt wird. Das ist zwar nicht strittig, aber es festzuhalten könnte einem zukünftigen Streit vorbeugen. Deswegen scheint es mir wichtig zu sein, daß wir das prüfen.
({13})
Übrigens ist das wichtig für Arbeitnehmer.
Zweitens. Wir wollen prüfen, wann eine Hauptforderung als erhoben gilt; denn es kann ja sein, daß auch über den Zeitpunkt der Erhebung solcher Forderungen noch Streit entsteht.
Drittens. Wir wollen prüfen - das war ein Wunsch von beiden Seiten -, ob die Formulierung des Beeinflussungsprinzips, die wir in Abs. 4 der neuen Regelung festgehalten haben, nicht neue Mißverständnisse schafft.
Wir wollen außerdem prüfen, meine Damen und Herren, ob diejenigen Betriebe, die auf Grund einer Aussperrung keine Arbeit mehr haben, in jedem Fall für die Arbeitnehmer, wenn diese durch einen solchen Umstand arbeitslos werden, beantragen müssen, daß Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld gezahlt wird. Meine Damen und Herren, wie kann man denn hier behaupten, daß diese Regierung ungleichgewichtig nur die Interessen von Arbeitgebern im Auge hat, wenn wir hier einen Fall aufnehmen, der in diesen Gesprächen bisher nicht einmal von den Gewerkschaften angesprochen wurde, der uns aber bei den Gesprächen auffiel, nämlich daß ein Betrieb, der infolge einer Aussperrung keine Arbeit mehr hat, sehr wohl, und zwar verpflichtenderweise, Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld beantragen muß?
Wir wollen prüfen, ob der Betriebsrat, wenn sich dieser Betrieb weigert, ein originäres Recht bekommen soll, dieses Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld zu beantragen. Wo ist denn hier die Ungleichgewichtigkeit der Standpunkte der Regierung? Das ist nicht nur im Sinne des sozialen Friedens notwendig, sondern es ist die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen, was wir hier machen.
({14})
- Ihnen fällt j a dazu außer den bekannten Vorwürfen nichts ein. Das sind ganz sachliche Verbesserungen, die wir hier vorhaben.
({15})
- Herr Kleinert ist Arbeitnehmersprecher; das ist sehr gut!
Lassen Sie mich zum Schluß noch einen allgemeinen Gesichtspunkt erörtern, der auch von Frau Fuchs durch das Zitat einer Ausführung von Herrn Katzer hier in die Diskussion eingeführt wurde. Warum eigentlich - so lautet die Frage - warten wir denn nicht, bis die Urteile der Gerichte vorliegen?
({16})
- Ich wiederhole das, was Frau Fuchs hier zitiert hat, um dann darauf einzugehen, wenn Sie erlauben, falls eine Debatte wenigstens in diesem Hause noch möglich sein sollte.
Warum warten wir nicht auf die Gerichtsurteile, vor allen Dingen diejenigen nicht, die, wie Frau Fuchs in dem Zitat meint, sich immer darum bemühten, den Einfluß des Staates zurückzudrängen?
Ich frage mich wirklich, welche Auffassung von Staat und Demokratie hinter einer solchen Frage steht.
({17})
- Ich sage j a: Es war ein Zitat von Herrn Katzer. Aber ich hatte den Eindruck, daß sich Frau Fuchs dies ein bißchen zu eigen macht. Aber ich will das hier gar nicht sagen; ich rede jetzt zu dieser Auffassung.
Ich frage mich, meine Damen und Herren: Was ist denn eigentlich eine parlamentarische Demokratie anderes als ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Kräften, die den Staat insgesamt ausmachen? Gerichte sind Staat, Gerichte sind nicht etwas außerhalb des Staates. Die Regierung ist Staat, sie ist nicht etwas außerhalb des Staates. In einer parlamentarischen Demokratie ist der Gesetzgeber, wenn Sie so wollen, der wichtigste Partner in diesem Zusammenhalt einzelner staatlicher Elemente.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Penner?
Augenblick, ich will den Gedankengang zu Ende führen.
Was ist davon zu halten, wenn es in einer parlamentarischen Demokratie nicht einmal im Parlament unbestritten ist, sondern wenn es selbst aus den Reihen des Parlaments Zweifel daran gibt, daß das Parlament, der Gesetzgeber - die Regierung verabschiedet das Gesetz ja nicht, sondern wir haben einen Vorschlag gemacht; Sie, das Parlament, werden diesen Streitfall in die Hände nehmen und durch eine gesetzliche Regelung klären -, einen Streitfall durch Gesetzgebung regeln kann? Welche Auffassung von parlamentarischer Demokratie vertreten wir denn dann überhaupt noch?
({0}) Bitte sehr.
Herr Minister, gehört es zum Rechtsstaat, per Gesetz in ein schwebendes Verfahren einzugreifen?
Also, entschuldigen Sie bitte. Das ist nun eine Frage, die geradezu enthüllt, was für in verqueres Verständnis Sie von dem Verhältnis zwischen Rechtsprechung und Parlament haben. Wir greifen nicht in schwebende Verfahren ein,
({0})
- ach was! - sondern wir regeln einen allgemeinen Fall für künftige Streitfälle.
({1})
Ihre Frage zeigt ja schon, wo in jedem Fall die Schäden entstehen würden, wenn man auf die Gerichtsurteile warten wollte. Jedes Gerichtsurteil kann nur einen persönlichen Fall betreffen. Es kann niemals - es sei denn, das Bundesverfassungsgericht wird angerufen - ({2})
- Ein Grundsatzurteil - Herr Kollege Vogel, Sie sind Einserjurist und müßten das ja wohl wissen - kann, wenn ein einzelner Arbeitnehmer sein Recht einklagt, niemals ergehen, sondern allenfalls, wenn das Bundesverfassungsgericht zu einer Regelung angerufen wird.
({3})
Sie haben ja schon angekündigt, daß Sie wegen der gesetzlichen Neuregelung das Bundesverfassungsgericht anrufen wollen. Das ist ja Ihr gutes Recht.
Meine letzte Bemerkung, weil das ziemlich durcheinandergegangen ist. Ich bin gleich fertig.
({4})
- Das will ich Ihnen gerade sagen.
({5})
Selbst wenn wir eine völlige Übereinstimmung zwischen den Tarifparteien hätten erzielen können - was ich gern gesehen hätte -, hätten wir diese Regelung in den Text des § 116 Arbeitsförderungsgesetz übernehmen müssen. Denn ohne eine gesetzliche Änderung kann ein Richter in künftigen Streitfällen nicht Recht sprechen. Ein Richter muß anhand des Gesetzes und nicht irgendeiner Einigung, die man protokolliert, Recht sprechen. Er hat ein Gesetz, aber ein Gesetz, das zu Zweifeln Anlaß gegeben hat. Und weil diese Zweifel ausgeräumt werden müssen, müssen wir den § 116 klarer fassen. Das ist die Absicht der Regierung.
Jetzt kann das Parlament sehen, ob es dieser Absicht folgen will und wird - was ich sehr hoffe, und zwar im Interesse des sozialen Friedens. Der soziale Frieden kann nicht gewahrt werden, wenn wir die Ungewißheit, die wir heute haben, bestehen lassen.
({6})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rappe ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung erklärt den Handlungsbedarf unter anderem damit, daß die Erfahrungen der Tarifrunde des Jahres 1984 der wesentliche Anlaß seien. Ich würde gern unter dem Gesichtspunkt, ob das, was hier jetzt kommt, die Messe lohnt, den Ablauf des Jahres 1984 beleuchten. Denn die Menschen im Lande sollen ja verstehen, worum es geht.
Die IG Metall hat 1984 eine Arbeitszeitforderung gestellt. Darauf hat Gesamtmetall ablehnend geantwortet. Es kam das nach meiner Ansicht aufheizende Argument als Antwort, ehe eine Minute Arbeitszeitverkürzung zustande käme, wolle man lieber vier Wochen streiken. So die Auskunft von Gesamtmetall im Frühjahr.
({0})
- Es ist schon richtig so. Sie wissen schon, was ich meine. Sie müssen das bitte schön bewerten: Ehe eine Minute Arbeitszeitverkürzung kommt, lieber vier Wochen Streik.
Dies hat die Tarifbewegung auf beiden Seiten kräftig aufgeheizt. Dann ist gestreikt worden - mit mittelbaren Auswirkungen -. Am Schluß ist unter Einschaltung des Schlichters, und zwar unseres Freundes Georg Leber, ein Kompromiß zustande gekommen.
Was ich will, ist zunächst einmal, klarzumachen, ob auf der Basis unseres rechtspolitischen Hintergrundes, auf der Basis des § 116 und der Neutralitätsanordnung, der soziale Konsens und die Tarifautonomie und die Auseinandersetzung in der Tarifpolitik, die Streikfähigkeit, das Streikrecht und das Aussperrungsrecht nicht vollständig gewahrt sind.
Gerade der Ablauf des Jahres 1984 mit der Kompromißfindung am Ende zeigt, daß dies beispielhaft gegenüber allen anderen Jahren und allen anderen Ländern in der Welt ist.
({1})
Meine Frage für die gesamtpolitische Debatte ist also: Woher nehmen Sie nun eigentlich den Anlaß, ausgerechnet aus dem Ablauf des Jahres 1984 zu begründen, das sei alles in Unordnung, da müsse nun die Sache mit einer neuen gesetzlichen Regelung geändert werden?
({2})
Ein weiterer Punkt: Sie sagen, es gehe um die Neutralität. Nun ist j a Neutralität für, so will ich einmal sagen, breite Schichten der Bevölkerung, die sich nicht unbedingt politisch oder verbandspolitisch betätigen, zunächst einmal etwas Schönes; das halten die auch alle für eine wunderschöne Sache. Nur möchte ich doch sagen, daß zur Tarifautonomie und zu dem Ringen der Tarifvertragsparteien selbstverständlich parteiliches Verhalten, und zwar auf beiden Seiten, gehört. Die Frage ist, ob Ihr dauernder Neutralitätsappell im Grunde nicht ein Appell an unpolitisches Verhalten ist; mag sein, daß Sie das wünschen.
({3})
Nun, es geht dabei um einen ganz anderen Punkt. Wir sagen Ihnen, Sie wollen damit die Streikfähigkeit der Gewerkschaften treffen. Ich stimme mit Ihnen zwar überein, daß Sie das Streikrecht per Gesetz nicht ändern.
({4})
Aber es ist etwas ganz anderes, ob man den Weg durch die Hintertür geht und die Streikfähigkeit der Gewerkschaften ad absurdum führt, ohne de iure in die Sache einzugreifen.
({5}) Ich gebe zu, das ist die vornehme Art,
({6})
und ich weiß auch, daß das in der Bevölkerung schwieriger darzustellen ist. Aber über einen Punkt gibt es doch keinen Zweifel: Sie wollen die Streikfähigkeit, die Verhandlungsfähigkeit und die Stärke der Gewerkschaften mit einer einengenden Forderung im Gesetz treffen.
({7})
Und nun will ich untersuchen, wen das, was Sie machen, alles betrifft. Es geht nicht allein um die Frage - das muß man auch nach draußen deutlich machen -, daß die organisierten Arbeitnehmer hier getroffen werden, wenn sie bei mittelbarer Auswirkung eines Arbeitskampfes keine Zahlung des Arbeitsamtes für ihren Arbeitslosenbeitrag erhalten. Auch alle unorganisierten Arbeitnehmer und deren Familien kommen in die gleiche Lage. Verdeutlichend will ich doch hinzufügen, daß alle Arbeitnehmer - Arbeiter wie Angestellte, ob organisiert oder nicht organisiert - Arbeitslosenbeiträge zahlen. Sie treffen also alle Arbeitnehmer. Wenn Sie glauben sollten, Sie treffen nur die Gewerkschaften, irren Sie sich. Deswegen wird uns auch breite Mobilisierung gelingen, weil Sie alle treffen, egal, ob sie in der Gewerkschaft sind oder nicht.
({8})
Und dazu will ich Ihnen in bezug auf Neutralität und Absicht der Schwächung noch sagen: Nach unserer Auffassung ist die Gewerkschaft in einem freien Land die solidarische Summe von einzelnen,
Rappe ({9})
deren Einzelvertretung in dem Ringen um gesellschaftspolitische Verbesserungen nicht gesichert ist und auch nicht gesichert werden kann. Die Gewerkschaft ist die solidarische Zusammenfassung dieser einzelnen Interessen. Wenn Sie die Fähigkeit der Gewerkschaften treffen wollen,
({10})
treffen Sie die solidarische Einbindung und Kraftentfaltungsmöglichkeit für alle einzelnen.
({11})
Nun - in aller Ruhe - einen Schritt weiter: Wenn. Sie sagen - einige von Ihnen -, das sei nicht so. Dann wollen wir noch einmal an den ersten Gedanken dieser Sache herangehen.
({12})
Unsere Auffassung bleibt in dieser ganzen Auseinandersetzung sicher unverrückbar: daß wir keine Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes wollen. Ich will Ihnen noch einmal sagen, warum, damit Sie unsere Denkwelt versuchen zu verstehen.
Wenn das Gesetz verändert wird, werden manche unter Ihnen - sicher nicht alle - damit wissen, daß sie den ersten Stein - nach dem Willen und der Traumvorstellung mancher anderer - einer Kodifizierung des Arbeitskampfrechts überhaupt legen. Das ist der Grundstein.
({13})
Es gibt keine Möglichkeit zur Kodifizierung des Arbeitskampfrechts, die ja manche andere und auch Ihr Koalitionspartner im tiefsten Innern wollen, in den weiteren Zeiten, wenn Sie dies nicht vorweg wegräumen. Und den Erfolg der Großen Koalition wollen Sie nun wegräumen.
Wir sind gegen eine gesetzliche Regelung. Wir müssen heute sagen: Wir waren allerdings, Herr Bundesarbeitsminister, anfangs der Meinung - Teile von uns, muß ich jetzt sagen -, daß Sie nicht mit voller Wucht und vollen Segeln auf eine gesetzliche Regelung drängen würden. Inzwischen bin ich
- auch nach Ablauf des Gesprächs vom Dienstag
- der Auffassung, daß Sie von Anfang an irgendwo die Zusage einer gesetzlichen Regelung gemacht haben und nun gar nicht anders können.
({14})
Sie haben die Möglichkeit, das zu reparieren;
({15})
denn wenn es Ihnen um irgendwelche Anwendungsmöglichkeiten geht, über die man j a streiten kann - warum soll es darüber nicht Interessenstreit geben? -, dann geht das auch auf der Basis
des Gesetzes durch die Neufassung der Verwaltungsanordnung der Bundesanstalt.
({16})
Wer den Gesetzestext ändern will, der will mehr als nur die Klärung der Frage, von der Sie vorgeben, daß man sie brauche.
({17})
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eines sagen. Ich weiß, daß die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, an der Spitze ihr Vorstand, eine gesetzliche Änderung will. Sie wollte sie auch von Anfang an.
({18})
An dieser Stelle möchte ich gerne eine Aussage nach draußen, aber auch für Sie zur Überlegung machen. Wenn Sie sich voll auf das Gleis der ideologisch gefärbten Spitze, des Vorstandes der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände begeben
({19}) - langsam;
({20})
Herr Seiters, in der Grundforderung nach einem Gesetz -,
({21})
dann verstoßen Sie - davon bin ich überzeugt; das ist aus der Formulierung übrigens selbst zu ersehen - gegen die Interessen der Fachverbände. Denn zwischen den Interessen der tarifführenden Fachverbände und der ideologisch gefärbten Spitze in Köln besteht ein himmelweiter Unterschied über die Gestaltung der Dinge.
({22})
Sie liegen falsch, wenn Sie hier den politischen Willen von Herrn Esser vollziehen.
({23})
- Ja, wir müssen nämlich zusammen die Tarifverträge machen. Da sind wir sachlicher, als Sie denken.
({24})
Sie können sich das möglicherweise gar nicht vorstellen. Ich werde Ihnen das aber gleich noch schildern.
({25})
Nun will ich zunächst einmal zu der Formulierung kommen, die die fünf Minister vorschlagen, und was da nun Gesetz zu werden droht.
Wie Sie wissen, hieß es bisher: nach Art und Umfang gleiche Forderung. Zur Erklärung: Eine Forderung einer Gewerkschaft in einem bestimmten
Rappe ({26})
Fachgebiet durfte nach Art und Umfang nicht gleich sein, weil sonst die Gefahr einer Nichtzahlung durch Nürnberg drohte. „Nach Art und Umfang" ist in der Sache und für Tarifpolitiker eine Anwendungsformel, die auslegbar ist. Mit gutem Grund, Herr Kollege Müller, ist das damals so gemacht worden. Denn wer etwas von Tarifpolitik versteht, der weiß, wie sehr vor Tarifverhandlungen geklärt werden muß, wo es in einer bestimmten Branche in einem bestimmten Jahr langgehen soll. Dies war also eine Möglichkeit für die Tarifvertragsparteien, eine Forderung nicht identisch oder völlig auseinanderfallend zu formulieren.
Nun kommen Sie mit der neuen Formulierung, einer Formulierung, Herr Minister Blüm, die j a wohl einengend wirken soll. Sonst brauchte man keine neue Formulierung.
({27})
Sie wollen eine eingrenzende Formulierung haben. Das ist überhaupt keine Frage. Die Formulierung, um die es nun geht, ist auch der springende Punkt. Sie lautet nämlich: eine Hauptforderung, die nach Art und Umfang annähernd gleich ist.
Dies bedingt - und das ist der Punkt, über den meine Kollegin Fuchs und ich schon in der letzten Debatte geredet haben - das Problem zwischen uns und den Fachverbänden. Nicht Herr Esser führt Tarifverhandlungen, sondern die Fachverbände tun das.
({28})
- Herr Breit auch nicht.
({29})
Nun ist die Frage, wie sich das gestalten soll. Wir haben die Sorge, daß wir dies auseinanderbringen müssen, daß wir völlig unterschiedliche Forderungen stellen müßten, wenn Sie daraus ein Gesetz machen, damit wir nicht in die Lage der Zahlungsunfähigkeit in einem umkämpften Gebiet mit Auswirkung auf die anderen Gebiete im Fachgebiet kommen. Das heißt, Sie schränken die Tarifautonomie ein.
({30})
Sie können reden, soviel Sie wollen. Tarifautonomie und Streikfähigkeit werden mit dem, was Sie wollen, eingeschränkt.
({31})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Bangemann hatte eben gesagt, es habe auch Erfolge in den Gesprächen gegeben. Herr Bangemann, diese Strategie ist mir klar. Sie haben sich wie ein gekonnter Tarifpolitiker verhalten: zunächst einmal Maximalforderungen an die Adresse Ihres Koalitionspartners und an uns. Dann sind Sie einen halben Meter zurückgegangen. Das ist nun das Ergebnis. Es ist doch gar keine Frage, daß Ihre erste Forderung, bei jedem inländischen Streik solle nicht gezahlt werden, eine Maximalforderung war, mit der Sie beim Bundesverfassungsgericht nun wirklich ins Gedränge gekommen wären. Darüber brauchen wir nicht zu streiten. Daß Sie nachgegeben haben, daß außerhalb der eigenen Branche bei anderen Gewerkschaften, die mittelbar betroffen sind, gezahlt wird, finde ich nicht einen Erfolg. Das ist, wenn überhaupt, ein bißchen politische Klugheit.
Der zweite Punkt. Sie merken als Erfolg an, daß die Bundesanstalt bei einem mittelbar betroffenen Arbeitgeber nachprüfen können soll, ob die Zahlung der Unterstützung berechtigt wäre oder nicht oder ob er sich anders hätte verhalten könne; in der Lagerhaltung soll das ja wohl heißen.
({32})
- Unglaubhaft, ja. - Auch das ist kein Erfolg, Herr Bangemann.
Die Verwaltungsanordnung der Bundesanstalt in Nürnberg für diese Sache ist seit 1978 in Kraft, gilt bereits.
({33})
Ich wollte Sie nur davor warnen, in der weiteren Auseinandersetzung zu glauben, Sie könnten zwei Pluspunkte bringen, um die es nie ernsthaft ging. Es geht nach wie vor, von Anfang an und nur um eine Gewerkschaft in einem Fachgebiet bei einer nach Art und Umfang gleichen Forderung, um die Frage, wie da eine Tarifauseinandersetzung geführt werden kann. Wenn Sie diesen Punkt mit der Formulierung verändern, die Ihre Minister vorgeschlagen haben, dann treten die Wirkungen im Hinblick auf Streikfähigkeit und Tarifautonomie in negativem Sinne ein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scharrenbroich?
Bitte schön, Herr Scharrenbroich.
Herr Kollege Rappe, wenn Sie meinen, daß auf Grund der Überlegungen, die noch gar nicht in Gesetzesform gekleidet sind,
({0})
die Streikfähigkeit und die Tarifautonomie gefährdet werden könnten, obwohl diese Überlegungen erheblich günstiger für die Gewerkschaften sind als die Situation vor 1969, als nach dem alten AVAVG
({1})
über den Fachbereich hinaus in den ersten 14 Tagen nicht gezahlt wurde, möchte ich Sie fragen, ob zu jener Zeit, vor 1969, die Gewerkschaften nicht streikfähig waren und es damals keine Tarifautonomie gegeben hat.
Doch, Herr Kollege Scharrenbroich. Aber damals galt - darauf habe
Rappe ({0})
ich schon in der letzten Debatte hingewiesen - natürlich der § 615 BGB, Annahmeverzug des Arbeitgebers. Wollen Sie diesen Zustand wieder haben? - Ich wollte das nur nicht wiederholen, weil das nur 14 Tage alt ist und ich dachte, Sie wüßten das noch. - Ich will diesen Zustand nicht wieder haben, und ich dachte, auch Sie wollten Ihr Erbe aus der Großen Koalition nicht völlig zertrümmern.
({1})
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß sagen: Die Gewerkschaften werden sich so verhalten, daß es weitere Aufklärung und Mobilisierung gibt.
({2})
Sie werden einkalkulieren, daß wir uns nicht freiwillig von Ihnen an den Baum binden lassen. Ich weiß, es gibt Vorbilder konservativer Regierungen wie in England oder in anderen Ländern. Wir haben nicht die Absicht, diesen Weg zu akzeptieren.
({3})
Wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln - ({4})
- Natürlich rede ich so, wie ich hier als Abgeordneter stehe - und auch als Sozialdemokrat.
({5})
- Aber natürlich, auch als Gewerkschaftsvorsitzender.
({6})
Also, damit Sie da völlig klar sind: Aufklärung und Mobilisierung weit über die Reihen der Gewerkschaftsmitglieder hinaus.
({7})
- Ja, aber sicher. - Dann werden wir innerbetriebliche Aktionen an die Adresse der Arbeitgeber veranstalten;
({8})
denn wir müssen um die Frage der Tariffähigkeit mit den Arbeitgebern ringen.
({9})
Dann kommt die Frage, was hier im Parlament geschieht. Ich hoffe, Sie lassen von diesem Gesetzentwurf ab.
({10})
Wenn Sie ihn dennoch einbringen, wird sich der Deutsche Gewerkschaftsbund an dem Verfahren hier im Hause, Anhörungen und andere Diskussionen, bis zum Schluß beteiligen. Darüber besteht ja wohl kein Zweifel. Wir werden aber alles tun, um
ein Gesetz durch Aufklärung und Mobilisierung, auch an die Adresse der einzelnen Abgeordneten, zu verhindern.
({11})
Wir werden uns vor allen Dingen in dieser Grundfrage freier Gewerkschaften in einer Demokratie nicht auseinanderdividieren lassen.
({12})
Herr Bundesarbeitsminister, ich möchte an Sie die besondere Bitte richten, das Gesetzgebungswerk im Kabinett nicht einzubringen. Wenn Ihre Unterschrift unter diesem Gesetzentwurf steht, so bauen Sie sich Hürden für weitere Debatten und sachliche und fachliche Diskussionen mit den Gewerkschaften. Sie bauen damit Hürden für sich selbst vor den Gewerkschaftshäusern auf.
({13})
Herr Bundesarbeitsminister, im übrigen will ich Ihnen sagen: Es ist schlimm, die Aufgabe und den Verfall der Identität eines Mannes zu sehen, wie dies aus Ihrer Rede heute morgen erkennbar wurde.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz des drohenden Schlusses der Rede von Herrn Kollegen Rappe hat diese Rede bei mir nicht den Eindruck verwischt, daß das Gespräch beim Bundesarbeitsminister und beim Bundeskanzler zu einem positiven Schluß gekommen wäre, wenn lauter Gewerkschafter wie Herr Rappe mitdiskutiert hätten und nicht auch Scharfmacher dabeigewesen wären. Herr Rappe diskutiert hier im Bundestag; draußen aber demonstriert Herr Steinkühler!
Dieser mein Eindruck ist auch dadurch unterstrichen worden - ich habe sehr gut zugehört -, daß Herr Rappe hier ausdrücklich bestätigt hat, daß „in Art und Umfang gleich" nicht „identisch" heißt.
({0})
Sie stellen sich, Herr Rappe, damit ausdrücklich gegen die Gerichte, die das genau anders festgestellt haben.
({1})
Am 22. Juni 1984 hat das Landgericht Frankfurt die Unrechtmäßigkeit der Zahlungen auf der Basis des Franke-Erlasses festgestellt. In der Begründung heißt es - das sollten wir noch einmal nachlesen -:
Schon allein die Tatsache, daß die Ausgangsbasis in den einzelnen Tarifgebieten andersartig ist und zudem noch differenzierte Forderungen nach der Höhe - z. B. bei Lohnerhöhungen von
3,3 bis 3,5% -, andere Arbeitszeitverteilungen und Ausgestaltung der übrigen Arbeitsbedingungen in den einzelnen Tarifgebieten gefordert werden, zeigt die Unterschiedlichkeit der Forderungen, so daß von einer Gleichheit weder im Sinne von „wesentlich gleich" noch von „identisch" gesprochen werden kann. Meine Damen und Herren, das bedeutet, daß die Frankfurter Richter gleichzeitig drei Sachverhalte in unterschiedlichen Tarifgebieten als notwendig erachten: Erstens muß die Ausgangsbasis in den Tarifgebieten identisch sein, zweitens die zentralen Lohnforderungen und drittens auch alle übrigen Nebenforderungen.
Ich frage aber: Wo und wann gibt es derart spiegelbildlich identische Verhältnisse in verschiedenen Tarifgebieten? Die Tarifwirklichkeit sagt uns: nirgends! Das bedeutet aber gleichzeitig, daß nach den Vorstellungen der hessischen Richter, aber eben nicht nach der Vorstellung von Herrn Rappe, die Bundesanstalt für Arbeit immer an Drittbetroffene zahlen muß. Genau das ist nicht der Wille des Gesetzgebers 1969 gewesen!
({2})
Der Gesetzgeber wollte 1969 nicht, daß praktisch in jedem Fall von Drittbetroffenheit die Bundesanstalt für Arbeit und ihre Beitragszahler finanziell geradestehen müssen. Wenn immer bezahlt werden müßte, würde der Staat in Arbeitskämpfe eingreifen. Genau das untersagt § 116 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes unmißverständlich, wo es heißt:
Durch Gewährung von Arbeitslosengeld darf nicht in Arbeitskämpfe eingegriffen werden.
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung dieses Bundestages nannte diesen Abs. 1 des § 116 in seinem schriftlichen Beratungsbericht die „Richtschnur zur Auslegung und Anwendung des ganzen § 116". Hat sich der § 4 der Neutralitäts-Anordnung von dieser Richtschnur schon gefährlich weit entfernt, so haben die Richter in Frankfurt, aber auch die in Bremen und Darmstadt die Nabelschnur zum Willen des Gesetzgebers völlig durchschnitten.
Meine Damen und Herren, ich meine, es ist die Pflicht des Gesetzgebers, tätig zu werden, wenn er sieht, daß sein klarer Wille falsch interpretiert, mißgedeutet, in sein Gegenteil verkehrt wird. Der Gesetzgeber muß selbst klarstellen, muß Mißdeutungen nach Möglichkeit ausschließen. Soll etwa dieser Bundestag tatenlos zusehen, wenn draußen im Lande die hier beschlossenen Gesetze nach Beliebigkeit interpretiert und unterlaufen werden? Wir meinen nein. Wir wollen unsere Pflicht tun!
Meine Damen und Herren, Gewerkschaftsführer draußen drohen nunmehr mit Arbeitsniederlegungen, sogar mit Generalstreik. Es rentiert sich, nachzulesen, was Arbeitsrechtler zu der Frage sagen, ob ein Streik auch für Bedingungen der Tarifauseinandersetzungen gerechtfertigt ist. Zum Beispiel sagt der Arbeitsrechtler Zöller - ich zitiere : Erst recht scheidet aus der Verfassungsgarantie der politische Arbeitskampf aus, und zwar auch dann, wenn mit ihm arbeitsrechtliche Gesetze beeinflußt werden sollen. Das bedeutet: Wenn jetzt draußen Streiks stattfinden, dann sind sie rechtswidrige politische Streiks.
Ein großer Parlamentarier dieses Hauses hat in den 50er Jahren ausgerufen: „Der politische Streik ist kein Streik, der politische Streik ist Revolution!" Es war Carlo Schmid, der dies gesagt hat. Es wäre gut, wenn der DGB die Mahnung dieses großen Sozialdemokraten hören und befolgen würde.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Daß es den Befürwortern einer Änderung des § 116 AFG nicht an verharmlosenden und verschleiernden und irreführenden Formeln fehlt, haben wir auch in dieser Debatte wieder hinreichend erfahren.
({0})
Die Grundtatsachen, um die es geht, lassen sich damit aber weder verhüllen noch verfälschen. Die Feststellung bleibt völlig unbestreitbar, daß Bundesregierung und Koalition mit der von ihnen beabsichtigten Initiative in eine von Gerichten bereits mehrfach entschiedene und noch zur abschließenden Entscheidung anstehende Streitsache eingreifen.
({1})
Natürlich ist es eine täuschende Redensart, wenn in diesem Zusammenhang von Klarstellung gesprochen wird. Was der Gesetzgeber gewollt hat und was heute gelten soll, können Gerichte klarstellen. Das ist ihre Aufgabe.
({2})
Die beabsichtigte Gesetzesänderung soll sich eben nicht darauf beschränken, sondern die gerichtliche Entscheidung erübrigen und einer der Parteien recht geben. Erklärtermaßen ist beabsichtigt, die Regelung des von Gerichten bereits beanstandeten sogenannten Franke-Erlasses zu bestätigen und damit in der Sozialverfassung der Bundesrepublik Deutschland die Gewichte zugunsten der Arbeitgeber zu verschieben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Wird das auf die Zeit angerechnet, Herr Präsident?
Nein. Dr. Schmude ({0}): Dann bitte.
Herr Kollege Schmude, Sie haben gesagt, daß diese Frage bereits mehrfach von Gerichten entschieden sei. Mich würde als Jurist eine Fundstelle für eine Entscheidung in der Hauptsache interessieren, die in dieser Sache ergangen wäre.
Die Entscheidung in der Hauptsache, die noch aussteht, wollen Sie vereiteln. Das ist der Vorwurf, den ich Ihnen mache.
({0})
Diese einseitige Parteinahme zugunsten der Arbeitgeber muß die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften auf das äußerste empören. Sie durften bisher erwarten, daß ihre bereits mehrfach im Eilverfahren gerichtlich bestätigte Rechtsauffassung in den weiteren Instanzen und in der Hauptsache bestätigt wird. Statt dessen müssen sie erleben, daß sich die Mehrheit des Bundestages an die Stelle des Richters setzt und die Sache im Sinne der Arbeitgeber entscheidet.
({1})
Ganz offensichtlich sind Bundesregierung und Koalition in diesem Verfahren Partei. Sie stehen auf der Seite der Arbeitgeber und ergreifen Partei gegen Arbeitnehmer und Gewerkschaften.
({2})
Meine Damen und Herren, das ist für diese keine neue Erfahrung. Von der gegen die Gewerkschaften gerichteten Diffamierungskampagne des früheren CDU-Generalsekretärs Biedenkopf über die Parteinahme des Bundeskanzlers im Tarifstreit um die Arbeitszeitverkürzung bis hin zu Plänen zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes zieht sich eine klare Linie der Agitation gegen die Gewerkschaften und der Maßnahmen zur Beeinträchtigung ihrer Handlungsfähigkeit. Nach diesen Erfahrungen ist es für die Arbeitnehmer ein Hohn, wenn Bundesregierung und Koalition sie jetzt glauben machen wollen, es gehe lediglich um eine Klarstellung des vom Gesetzgeber Gewollten. Diese - die Klarstellung - können sie von den Gerichten erwarten; von CDU/CSU und FDP erwarten sie nichts als die Fortsetzung des Bemühens um Verkürzung der Arbeitnehmerrechte und um Schwächung der Gewerkschaftskraft.
({3})
Nicht nur diese Parteinahme, mit der sich die Bundesregierung in die anhängigen Rechtsstreitigkeiten einmischt, ist in hohem Maße bedenklich; schädlich für den sozialen Frieden unseres Landes und für die Rechtskultur ist es erst recht, daß die Regierung mit ihrer Mehrheit den Gerichten ihre verfassungsmäßige Aufgabe wegnimmt und an deren Stelle selbst entscheidet.
({4})
Das Bemühen um Einengung der richterlichen Befugnisse wird ja sogar noch im Detail sichtbar.
({5})
Nicht durch einen gerichtlich nachprüfbaren Erlaß soll die Neuregelung erfolgen, sondern durch ein Gesetz, daß die Gerichte bindet und ihre bisher bestehende Entscheidungsfreiheit beseitigt.
({6})
Das, meine Damen und Herren, ist der entscheidende Punkt, auf den sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in ihrem Entschließungsantrag konzentriert. Wir halten es für verfehlt, darüber hinaus - wie im Antrag der GRÜNEN geschehen - Unschärfen hineinzubringen und weitere Gesichtspunkte anzusprechen. Das geht bereits auf die Argumentation und Verteidigungslinie der Regierungskoalition ein. Wir werden dem Antrag der GRÜNEN deshalb nicht zustimmen.
Die Bundesregierung und vor allem ihre Verfassungsminister werden j a in anderem Zusammenhang nicht müde, die Bürger zum Rechtsgehorsam aufzurufen
({7})
und die nach ihrer Meinung gegebene Gefährdung des Rechtsbewußtseins zu beklagen. Wie halten es, frage ich Sie, denn diese Amtsträger, die dem Bürger das Vertrauen zur Justiz nahelegen, selbst mit dem Vertrauen zu den Gerichten?
Herr Abgeordneter, würden Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert ({0}) beantworten?
Das soll dann die letzte sein, Herr Präsident. - Bitte schön, Herr Kleinert.
({0})
Herr Kollege Schmude, würden Sie mir wenigstens in einem Satz präzisieren, worin Ihres Erachtens die Unschärfen bestehen, die in unserem Entschließungsantrag zum Ausdruck kommen sollen?
Die Unschärfe liegt darin, daß Sie sich nicht auf den Punkt konzentrieren, um den es hier geht, nämlich die Gesetzesänderung zu verhindern.
({0})
Ich habe gefragt: Wie halten es denn die Verfassungsminister dieser Regierung selbst mit dem Vertrauen zu den Gerichten? Bei dem skandalösen Versuch einer Parteispendenamnestie sind wir ja darüber bereits nachdrücklich belehrt worden. Dort, wo die eigenen Interessen unserer Regierenden und die ihrer Freunde im Unternehmerlager berührt sind, will man sich auf das Vertrauen zur Justiz lieber nicht verlassen, sondern dieser die
Entscheidung mit Hilfe der Parlamentsmehrheit wegnehmen.
({1})
Was für alle Bürger gilt, nämlich daß der Richter die Gesetze auslegt, soll für die Mächtigen nicht gelten.
Die jetzige Gesetzesinitiative ist ein neues Beispiel für dieses verderbliche Vorgehen. Auch hier ist es die erklärte Absicht von Regierung und Koalition, es zu Gerichtsentscheidungen lieber nicht kommen zu lassen, sondern politisch nach eigenem Geschmack und im Interesse der eigenen Klientel zu entscheiden.
({2})
Wenn jemand das Vertrauen in unsere Rechtsordnung erschüttern will, wenn er verbiesterten Kritikern dieser Ordnung beweisen will, daß Gesetze lediglich Instrumente der herrschenden Interessen sind, dann muß er genau so vorgehen.
({3})
Er sollte sich dann aber nicht darüber beklagen, daß wir als Opposition ihn als Schädiger des allgemeinen Rechtsbewußtseins und als Störer des sozialen und des Rechtsfriedens eindeutig namhaft machen.
({4})
Meine Damen und Herren, durch ein Jahrzehnt hindurch haben sich in den Bereichen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gewichte und Kraftreserven gebildet, auf deren Grundlage Arbeitskämpfe durchgeführt, aber auch nach einiger Zeit durch Kompromiß zu Ende gebracht werden konnten.
({5})
Unser Kollege Rappe hat Ihnen das aus eigener Erfahrung anschaulich gemacht. Ob man insoweit von einem Gleichgewicht spricht oder nicht, der Staat darf in diese gewachsene und bewährte Gewichtsverteilung nicht einseitig eingreifen.
({6})
Durch die beabsichtigte Neufassung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes aber würde die Gewerkschaftsseite empfindlich geschwächt und würde die Arbeitgeberseite gestärkt. Die bisher austarierten Gewichte würde verschoben, die Neutralität des Staates würde damit aufgegeben, und die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer würde erheblich beeinträchtigt.
({7})
Den Arbeitnehmern außerhalb der Streikregion sollen ohne triftigen Grund ihre durch Beitragszahlung erworbenen Versicherungsansprüche und damit eigentumsgleich geschützte Rechtspositionen genommen werden.
({8})
Viel spricht schon heute dafür - hören Sie auf Herrn Benda und andere -, daß die neue Rechtslage das Bundesverfassungsgericht beschäftigen und dabei nicht Bestand haben wird.
Meine Damen und Herren, man weiß nicht, ob man über die bedenkenlose Einseitigkeit der hier ans Werk gehenden konservativen Gesetzesveränderer oder über Ihre Begriffsstutzigkeit mehr bestürzt sein soll;
({9})
denn auch Sie können doch auf mittlere und längere Sicht nichts dabei gewinnen, wenn Sie unsere Gewerkschaften schwächen.
({10})
Diese Schwäche würden Sie ja nicht nur in Arbeitskämpfen kennenlernen, sondern auch dort, wo Gewerkschaften im Wirtschaftsleben für Berechenbarkeit und Stabilität sorgen.
({11})
Es ist bitter, daß maßgebliche Regierungsmitglieder wie Bundeskanzler Kohl und Wirtschaftsminister Bangemann offensichtlich überhaupt kein Gespür für den Schaden haben, den sie anzurichten im Begriffe sind. Da werden durch vorzeitige Veröffentlichungen Verhandlungs- und Gesprächsmöglichkeiten zerstört, da wird dem Bemühen um Konsens mit den Tarifpartnern eine leichtfertige und voreilige Absage erteilt, und jetzt erfahren wir - um das Maß vollzumachen - auch noch etwas über den verächtlichen Blick auf die Gewerkschaftsbewegung herunter vom hohen Roß zu Bonn, indem man sagt, vom Druck der Straße werde man sich nicht beeindrucken lassen.
({12})
Wem es auf den Konflikt nicht ankommt, der wird ihn bekommen.
({13})
Schade nur, daß nicht nur die Verantwortlichen, sondern alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes darunter zu leiden haben werden.
({14})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will auf einige Randerscheinungen dieser Debatte gar nicht lange eingehen. Daß der Kollege Rappe meine Identität in Verfall sieht, ist eine
Flucht aus der Sachdiskussion in persönliche Verleumdungen.
({0})
Die Rolle des Psychiaters steht ihm wirklich nicht gut.
Daß die Kollegin Fuchs den § 116 mit SDI vergleicht: Die Krampfhaftigkeit dieser Argumentation steht dieser Sachdarstellung auf der Stirn geschrieben: schwach anscheinend; schwach in der Sache.
({1})
Herr Schmude, da Sie noch einmal die Verfassungsfrage gestellt haben: Der Verfassungsminister Heinemann - Ihnen ja besonders zugetan - hat 1968 ein Gesetz weit unter dem Standard dessen, was ich hier vorlege und verteidige, als verfassungskonform bezeichnet.
Nun aber doch noch einmal zur Sache selbst. Vielleicht gibt es uns Gelegenheit, auch noch einmal kritisch nachzuprüfen, was denn 1984 war. In der Tat, mit einer Handvoll Streikenden bei Kolben-Mahler und Kolben-Schmidt begann die Auseinandersetzung. Von denen war fast hundertprozentig die deutsche Automobilindustrie abhängig. Und nun sage ich Ihnen eines - das ist jetzt nicht Gegenstand der Neutralitätsanordnung -: Wenn die Minimax-Strategie der Normalfall der gewerkschaftlichen Streiktaktik wird - das sage ich Ihnen voraus -, dann wird das das Ende der Industriegewerkschaft sein, das wird die Entsolidarisierung der Arbeitnehmer sein. Denn wenn die Schlüsselstellenarbeiter den Arbeitskampf führen, werden die auf Dauer nur für sich streiken und nicht mehr für die Putzfrau. Das ist die Auflösung der Solidarität.
({2})
Auf diese Wirkung muß ich im Interesse der Gewerkschaften aufmerksam machen. Wir hatten ja schon einmal das Fluglotsensyndrom. Das Thema ist damals geregelt worden, indem die Fluglotsen, die auch an Schlüsselstellen stehen, einfach verbeamtet wurden. So können wir aber nicht „Minimax" lösen.
In der Neutralitätsanordnung geht es in der Tat um folgende Frage: Wenn in Baden-Württemberg für die 35-Stunden-Woche gestreikt wird und dies die zentrale Forderung der IG Metall ist, dann können für die anderen, die gezielt in Mitleidenschaft gezogen werden, nicht Streikunterstützungen gezahlt werden, sonst würde die Bundesanstalt eine Gruppe des Arbeitskampfes mit ihren Beiträgen unterstützen und die Gewerkschaft die andere Gruppe mit ihrer Streikunterstützung. Das kann nicht gemeint sein.
({3})
Im übrigen wird es nicht erst 1985 so verstanden. Ich habe vorhin auf Karl-Heinz Janzen hingewiesen, Kollege Rappe, der gesagt hat: Zentrale Forderungen lassen sich nach der Anordnung '73 nur noch mit dem Risiko vertreten, daß nicht gezahlt wird. Das ist keine Errungenschaft des Jahres 1985. Das ist bereits in der Anordnung so ausgelegt.
Was geht in den Vergleich ein? Da hat der Präsident - aus unserer Sicht zu Recht - gesagt, die dominierende Forderung ist die 35-Stunden-Woche, deshalb sind die Forderungen gleich, während ein Sozialgericht gesagt hat: Nein, da gibt es noch irgendwelche Nebenforderungen, die sind unterschiedlich, in dem einen Tarifgebiet so, in dem anderen so, also muß gezahlt werden. Das kann nicht Sinn der Neutralität der Bundesanstalt sein, daß man sich durch Variation in der Nebensache immer in die Leistungspflicht hineinbegeben kann. Das kann nicht gemeint sein.
({4})
Jetzt noch etwas! Ich bekenne mich dazu: ich halte den Konsens, den Kompromiß für eine große Errungenschaft, eine notwendige Errungenschaft des Sozialstaates. Wir haben sehr, sehr viel Kraft in diese Anstrengung investiert. Ich will auch noch einmal sagen, sie hat sich gelohnt, es hat Annäherungen - wichtige Annäherungen - gegeben, auch wenn wir den letzten Schritt nicht geschafft haben. Die Anstrengungen waren nicht umsonst; die Gespräche haben sich gelohnt, auch für die Gewerkschaften.
Aber jetzt einmal ganz abgesehen von der rechtlichen Bewertung, ob Anordnung oder Gesetz: In die Selbstverwaltung kann man doch nur mit einem Konsens gehen, sonst müßte sich die Bundesregierung auf eine Seite schlagen. Das kann sie doch nicht. Selbstverwaltung geht nur mit Konsens. Wenn dieser Konsens abgelehnt wird, dann bleibt der Bundesregierung nur der Weg des Gesetzes.
({5})
- Ja, so ist es.
Noch etwas: Wir hätten uns auf das Gleis der BDA begeben. Nun mache ich meine Entscheidungen nie davon abhängig, wer auch noch so denkt wie ich. Aber die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber hat etwas anderes vorgeschlagen: Ruhe im gesamten Fachbereich. Diesen Vorschlag haben wir abgelehnt. Wir sitzen in der Tat zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Ich muß sagen, wenn schon kein Konsens, dann ist mir diese Zwischenstellung lieber, als mit einer Seite identisch zu sein. Auch das ergibt sich aus der Sache.
({6})
Ich bleibe dabei, und das sollten Sie wissen: Die Bundesregierung wird nicht tatenlos, wird nicht wehrlos Verteufelung, Aufwiegelung, Verdrehung von Tatsachen entgegensehen.
({7})
Wir werden auch Aufklärungsarbeit bei den Arbeitnehmern leisten. Die Arbeitnehmer sollen nicht der Lüge auf den Leim gehen. Das ist unsere Forderung.
({8})
Meine Damen und Herren, sämtliche Redezeiten sind abgelaufen, so muß ich es diesmal formulieren. Die Debatte ist damit geschlossen.
Wir kommen zu Abstimmungen. Dazu muß ich einen Moment um Aufmerksamkeit bitten. Der Abgeordnete Kleinert von der Fraktion DIE GRÜNEN möchte zu seinem vorgelegten Antrag 10/4547 eine Erläuterung oder Ergänzung geben. Ich bitte um Aufmerksamkeit für eine Änderung des Antrages 10/4547.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir möchten gerne zwei Ergänzungen zu dem vorliegenden Text zur Abstimmung stellen. Ich lese Ihnen den Text, den wir jetzt zur Abstimmung stellen wollen, der Einfachheit halber in dieser Form vor. Der Text lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
In der Frage der Neutralitätsverpflichtung der Bundesanstalt für Arbeit sieht der Deutsche Bundestag keinen Handlungsbedarf.
Das Wort „gegenwärtig" wird gestrichen.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, keine Maßnahmen zu ergreifen, die eine Änderung der derzeitigen Rechtssituation bewirken könnten.
Jetzt folgt ein Satz 3, der lautet:
Insbesondere lehnt der Deutsche Bundestag eine Änderung des § 116 AFG ab.
Ich denke, das ist präzise genug, Herr Schmude.
({0})
Zur Geschäftsordnung wünscht der Abgeordnete Porzner das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Es ist unzumutbar - das richte ich an die Fraktion der GRÜNEN -, daß Sie zu viert, wie Sie anwesend sind, uns jetzt vor der Abstimmung plötzlich eine Änderung Ihres Textes vorschlagen, der aber genauso unpräzise und unbestimmt bleibt, wie das vorhin Herr Schmude gesagt hat. Wir müssen deswegen auch diesen Antrag ablehnen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu den vorliegenden Entschließungsanträgen der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4547 und 10/4548. Bei beiden Entschließungsanträgen ist namentliche Abstimmung verlangt worden.
Wir stimmen zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4548 ab. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4548 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegen stimmt oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die Abstimmung.
Ich wäre dankbar, wenn die Kollegen nach der Abstimmung im Saal blieben. Wenn ich keinen Widerspruch höre, werde ich nach Abschluß dieser Abstimmung gleich die zweite namentliche Abstimmung aufrufen. Ich bitte, im Saal zu bleiben.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme abzugeben wünscht und diese bisher nicht abgegeben hat? Sind die Damen und Herren aus dem Untersuchungsausschuß alle da? - Ich stelle fest: Keiner wünscht weiter seine Stimme abzugeben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich bitte, Platz zu nehmen.
Ich nehme an, es besteht kein Widerspruch dagegen, daß wir sofort in die zweite namentliche Abstimmung eintreten.
({0})
- Ich muß allerdings warten, bis Ruhe entsteht. Eine Minute müssen Sie sich noch gedulden.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4547 auf. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4547 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in eine der aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Ist ein Mitglied anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung.
Ich kann Ihnen nun das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4548 bekanntgeben und bitte um Aufmerksamkeit. Es wurden 433 Stimmen abgegeben; davon war keine ungültig. Mit Ja haben 184, mit Nein 249 Abgeordnete gestimmt; es hat keine Enthaltung gegeben.
Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 433 Abgeordnete; davon
j a: 184 Abgeordnete
nein: 249 Abgeordnete
Ja
SPD
Amling
Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({1}) Bernrath
Berschkeit Bindig
Frau Blunck Brandt
Brück
Buckpesch Büchler ({2}) Dr. von Bülow
Buschfort Catenhusen Collet
Conradi
Vizepräsident Westphal
Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dreßler
Duve
Dr. Ehmke ({3})
Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Esters
Ewen
Fiebig
Fischer ({4}) Fischer ({5}) Franke ({6})
Frau Fuchs ({7})
Frau Fuchs ({8})
Gansel
Gilges
Glombig
Grunenberg Dr. Haack Haar
Haase ({9})
Haehser
Frau Dr. Hartenstein
Dr. Hauchler
Hauck
Heistermann
Herterich Hettling
Heyenn
Hiller ({10})
Dr. Holtz Horn
Frau Huber Huonker Ibrügger
Immer ({11}) Jahn ({12})
Jansen
Jaunich
Jung ({13}) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein ({14})
Dr. Klejdzinski
Klose
Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke
Löffler
Lohmann ({15})
Lutz
Frau Luuk
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens ({16}) Dr. Mitzscherling
Müller ({17})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nehm
Neumann ({18}) Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({19})
Pfuhl
Porzner Poß
Purps
Ranker
Rapp ({20})
Rappe ({21}) Reimann
Reschke Reuter
Rohde ({22})
Sander
Schäfer ({23}) Schanz
Dr. Scheer Schlaga Schlatter Schluckebier
Frau Schmidt ({24}) Schmidt ({25}) Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schreiner
Schröer ({26}) Schulte ({27})
Dr. Schwenk ({28}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Stahl ({29})
Steiner
Stiegler Stobbe
Stockleben Dr. Struck Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt ({30})
Vosen
Waltemathe
Walther Weinhofer
Weisskirchen ({31}) Dr. Wernitz
Westphal Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Wiefel
von der Wiesche Wischnewski
Witek
Dr. de With
Wolfram ({32}) Würtz
Zander
Zeitler
Frau Zutt
DIE GRÜNEN
Frau Borgmann
Frau Eid
Kleinert ({33}) Lange
Dr. Müller ({34}) Rusche
Dr. Schierholz
Schmidt ({35})
Ströbele
Tischer
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Bayha
Dr. Becker ({36}) Berger
Frau Berger ({37}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({38})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Boroffka Braun
Breuer
Broll
Brunner Dr. Bugl Buschbom
Carstensen ({39}) Clemens
Dr. Czaj a
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dolata
Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar Eigen
({40}) Eylmann
Feilcke Fellner Frau Fischer
Fischer ({41}) Francke ({42})
Dr. Friedmann
Funk
Ganz ({43})
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerlach ({44}) Gerstein
Gerster ({45})
Dr. Göhner
Götzer
Günther Dr. Häfele
von Hammerstein
Hanz ({46})
Haungs
Hauser ({47}) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({48}) Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland Dr. Hüsch
Jäger ({49}) Jagoda
Dr. Jahn ({50})
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({51}) Kalisch
Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller
Kiechle
Kittelmann
Klein ({52})
Dr. Köhler ({53}) Dr. Köhler ({54}) Kolb
Kraus
Krey
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({55}) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Link ({56}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold
Löher
Dr. h. c. Lorenz Louven
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Milz
Dr. Möller
Müller ({57}) Müller ({58}) Müller ({59}) Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riesenhuber Frau Roitzsch ({60})
Vizepräsident Westphal
Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({61}) Rühe
Ruf
Sauer ({62}) Sauer ({63}) Sauter ({64}) Sauter ({65}) Scharrenbroich Schartz ({66}) Schemken
Scheu
Schlottmann
Schmidbauer Schmitz ({67})
von Schmude Schneider
({68})
Dr. Schneider ({69}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({70}) Schulhoff
Dr. Schulte
({71}) Schultz ({72})
Schulze ({73}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({74})
Dr. Stavenhagen Dr. Stercken
Stockhausen
Dr. Stoltenberg Stommel
Straßmeir
Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk Vogel ({75}) Vogt ({76})
Dr. Voigt ({77})
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg
Weiß
Werner ({78}) Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer ({79}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann ({80})
Dr. Wörner
Würzbach
Zink
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({81}) Eimer ({82})
Engelhard Ertl
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher
Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoppe
Kleinert ({83})
Kohn
Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger
Dr. Rumpf Schäfer ({84})
Frau Seiler-Albring
Dr. Weng ({85}) Wolfgramm ({86})
Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt worden.
Das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung wird in Kürze vorliegen. Danach rufe ich dann den nächsten Tagesordnungspunkt auf.
Meine Damen und Herren, ich darf um Aufmerksamkeit bitten.
Ich habe das von den Schriftführern mitgeteilte Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung vorliegen und gebe es jetzt bekannt. Es handelt sich um die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4547. Es sind 432 Stimmen abgegeben worden. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 12 Abgeordnete, mit Nein 397 gestimmt. Es hat 23 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 431 Abgeordnete; davon
ja: 12 Abgeordnete
nein: 396 Abgeordnete
enthalten: 23 Abgeordnete
Ja
DIE GRÜNEN
Frau Borgmann
Frau Eid
Kleinert ({87}) Lange
Dr. Müller ({88}) Rusche
Dr. Schierholz
Schmidt ({89})
Ströbele Tischer
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Bayha
Dr. Becker ({90}) Frau Berger ({91}) Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({92})
Dr. Bötsch
Bohl
Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll
Brunner Dr. Bugl Buschbom
Carstensen ({93}) Clemens
Dr. Czaja
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dolata
Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger
Ehrbar Eigen
({94}) Eylmann
Feilcke Fellner Frau Fischer
Fischer ({95}) Francke ({96})
Dr. Friedmann
Funk
Ganz ({97})
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerlach ({98}) Gerstein
Gerster ({99})
Dr. Göhner
Götzer Günther Dr. Häfele
von Hammerstein
Hanz ({100})
Haungs
Hauser ({101}) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({102}) Dr. Hornhues
Hornung
Dr. Hüsch
Jäger ({103})
Jagoda
Dr. Jahn ({104})
Dr. Jobst
Jung ({105})
Kalisch Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle Kittelmann
Klein ({106})
Dr. Köhler ({107}) Dr. Köhler ({108}) Kolb
Kraus
Krey
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({109}) Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Link ({110}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold
Löher
Lohmann ({111}) Dr. h. c. Lorenz
Louven Lowack Maaß
Frau Männle
Magin
Marschewski
Metz
Vizepräsident Westphal
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller ({112}) Müller ({113})
Müller ({114})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Pesch
Petersen Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Reddemann Regenspurger
Dr. Riesenhuber
Rode ({115})
Frau Roitzsch ({116})
Dr. Rose Rossmanith Roth ({117})
Rühe
Ruf
Sauer ({118})
Sauer ({119})
Sauter ({120}) Sauter ({121}) Scharrenbroich
Schartz ({122}) Schemken Scheu
Schlottmann Schmidbauer
Schmitz ({123}) von Schmude
Schneider ({124})
Dr. Schneider ({125}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({126}) Schulhoff
Dr. Schulte
({127}) Schultz ({128}) Schulze ({129})
Schwarz
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing
Seiters
Spilker
Spranger Dr. Sprung
Dr. Stark ({130})
Dr. Stercken
Stockhausen
Dr. Stoltenberg
Stommel Straßmeir Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({131})
Vogt ({132}) Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weiß
Werner ({133}) Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer ({134}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann ({135}) Dr. Wörner
Würzbach
Zink
SPD
Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({136}) Bernrath
Berschkeit Bindig
Frau Blunck
Brandt
Brück
Buckpesch Büchler ({137})
Dr. von Bülow
Buschfort Catenhusen
Collet
Conradi Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Duve
Dr. Ehmke ({138})
Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Esters
Ewen
Fiebig
Fischer ({139}) Fischer ({140}) Franke ({141})
Frau Fuchs ({142}) Gansel
Gilges
Glombig Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase ({143})
Haehser
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Heistermann
Herterich Hettling Hiller ({144})
Dr. Holtz Horn
Frau Huber
Huonker Ibrügger Jahn ({145})
Jaunich
Dr. Jens Jungmann Kastning Kiehm
Kisslinger
Klein ({146})
Dr. Klejdzinski Kretkowski
Dr. Kübler Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke
Löffler
Lohmann ({147})
Frau Luuk
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens ({148})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nehm
Neumann ({149}) Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna Pauli
Dr. Penner Pfuhl
Porzner Poß
Purps
Ranker
Rapp ({150})
Rappe ({151}) Reimann
Reschke Reuter
Rohde ({152})
Sander
Schäfer ({153}) Schanz
Dr. Scheer Schlaga Schlatter Schluckebier
Frau Schmidt ({154}) Schmidt ({155}) Dr. Schmude
Schröer ({156}) Schulte ({157})
Dr. Schwenk ({158}) Sieler
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Stahl ({159})
Steiner
Stiegler Stobbe
Stockleben Dr. Struck Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt ({160})
Vosen
Waltemathe Walther
Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Wiefel
von der Wiesche Wischnewski Witek
Dr. de With Wolfram
({161}) Würtz
Zander
Zeitler
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({162}) Eimer ({163}) Engelhard
Ertl
Dr. Feldmann Gallus
Gattermann Grünbeck Grüner
Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoppe
Kleinert ({164}) Kohn
Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({165})
Frau Seiler-Albring
Dr. Weng ({166}) Wolfgramm ({167})
Enthalten
SPD
Amling
Dreßler
Frau Fuchs ({168})
Dr. Hauchler
Heyenn
Immer ({169}) Jansen
Jung ({170}) Kirschner
Klose
Kuhlwein Lutz
Müller ({171}) Peter ({172})
Dr. Schöfberger Schreiner Sielaff
Frau Simonis
Vahlberg Weinhofer
Weisskirchen ({173}) Dr. Wieczorek
Frau Zutt
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Steuerbereinigungsgesetzes 1986
- Drucksachen aus 10/1636, aus 10/3426, 10/3663, 10/4119, 10/4297, 10/3295, 10/3296, 10/304, 10/4235 -
a) Zweite Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({174})
- Drucksachen 10/4498, 10/4513 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Schulhoff Dr. Spöri
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({175}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/4541 Berichterstatter:
Abgeordnete Roth ({176})
Hoppe
Hierzu liegen Änderungsanträge sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4522 bis 10/4525 vor.
Interfraktionell sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich schlage vor, daß wir zunächst eine Stunde bis 13 Uhr debattieren und dann in die Mittagspause eintreten. - Wenn die Geschäftsführer zu einem anderen Schluß kommen, bitte ich, mir das mitzuteilen. Ich muß das ja nicht von hier aus festlegen. Ich bitte also, noch einmal eine Abstimmung darüber vorzunehmen. Dabei bitte ich, daran zu denken, daß der Ältestenrat um 13 Uhr tagt.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schulhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt müssen wir uns leider einer trockeneren Materie zuwenden. Die Steuergesetzgebung besteht nicht nur aus großen Vorhaben, mit denen das Steuersystem verändert oder massive Änderungen in der Höhe der Steuer vorgenommen werden - bei uns sind das Steuersenkungen, bei der SPD waren das Steuererhöhungen ({0})
oder bei denen die Weichen für die künftige Entwicklung gestellt werden, wie z. B. beim Einstieg in die Tarifreform oder bei der Wiedereinführung der Kinderfreibeträge. Nein, die Steuergesetzgebung besteht auch aus mühsamer Kleinarbeit, aus der Einarbeitung von Rechtsprechung, auch aus der Korrektur von Rechtsprechung, aus der Verwertung von Erfahrungen in der Praxis, aus der Korrektur von Härten die sich bei der Rechtsanwendung ergeben haben, aus der Verbesserung von
Verfahrensvorschriften, aus der Berücksichtigung von Prüfungsfeststellungen des Rechnungshofes, aus rein redaktionellen oder klarstellenden Änderungen. Ein solches Steuergesetz haben wir heute vor uns.
Es sollte nur ein technisches Gesetz sein, ein Bereinigungsgesetz. Das ist zweifellos der Fall. Jedoch wurde im Laufe der Beratungen mehr daraus. Es entwickelte förmlich ein Eigenleben. Nun ist es zu einem sehr umfangreichen Gesetzesvorhaben geworden. Von den zahlreichen Punkten kann ich deshalb nur einige wenige Sachverhalte hervorheben. Doch wer etwa annehmen sollte, das sei Kleinkram ohne große Auswirkungen auf die Bürger, es lohne sich kaum, sich damit intensiv zu beschäftigen, der hätte sich sehr getäuscht.
({1})
Gerade die kleinen, die unscheinbaren Änderungen haben es oft in sich. Ich will dazu nur einige Beispiele nennen.
Nach Art. 7 Nr. 2 wird in § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes der Satz 3 gestrichen. Dahinter verbirgt sich eine wesentliche Verbesserung für die Bezieher von Vorruhestandsgeld. Vorruhestandszahlungen konnten bisher nur dann als Abfindung behandelt werden, wenn sie höchstens 65% des Durchschnittsmonatslohns aus den letzten sechs Monaten ausmachten. Jetzt ist diese Begrenzung weggefallen. Das kann im Einzelfall einen Freibetrag von 30 000 DM bis 36 000 DM ausmachen.
({2})
Ich glaube nicht, daß die betroffenen Bürger das als Kleinkram bezeichnen. Hiermit werden wir gerade der Vorruhestandsregelung eine größere Akzeptanz verschaffen.
({3})
Nach Art. 17 Nr. 8 werden § 109 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes die vier Worte „der Geschäfts- oder Firmenwert" angefügt. Hinter diesen vier Worten verbirgt sich die bewertungs- und vermögensteuerliche Folgerung aus der beim Bilanzrichtlinie-Gesetz in der vergangenen Woche eingeführten Abschreibung des erworbenen Firmenwerts. Auch das werden die betroffenen Firmen nicht als Bagatelle behandeln.
Drittes Beispiel, noch überraschender, aber auch noch unscheinbarer. § 240 Abs. 3 der Abgabenordnung bleibt unverändert. Das bedeutet, daß entgegen dem Vorschlag des Bundesrates auch bei Scheckzahlungen, nicht nur bei Überweisungen, wie bisher eine Schonfrist von fünf Tagen gilt, ehe ein Säumniszuschlag erhoben wird.
Diese Beispiele machen gleichzeitig das Grundmuster unserer Beratungen deutlich. Wir haben uns bemüht, das Steuerrecht an so vielen Stellen wie möglich in Richtung auf mehr Bürgerfreundlichkeit zu verändern.
({4})
Wir haben uns bemüht, Verschärfungen oder Ansatzpunkte für Verschärfungen nach Möglichkeit
ganz zu vermeiden. Wir haben uns bemüht, dem
Grundsatz des Datenschutzes so weitgehend Rechnung zu tragen, wie dies mit den Erfordernissen der Besteuerung gerade noch vereinbar ist.
Dazu ein paar Beispiele. Die Kontrollmitteilungen anderer Behörden an die Finanzämter sind gegenüber dem Regierungsentwurf und auch gegenüber dem Votum des Bundesrates wesentlich eingeschränkt worden. Soweit danach Kontrollmitteilungen von anderen Behörden in wesentlich eingeschränktem Umfang noch ausgestellt werden, dürfen keine Beträge enthalten sein. Darüber hinaus soll der betroffene Bürger unterrichtet werden, damit er seinen Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten besser nachkommen kann. Wir sind dabei vom Leitbild des ordentlichen, des zuverlässigen Steuerbürgers ausgegangen, der sein Einkommen richtig und vollständig erklärt.
Wir sind aber auch davon ausgegangen, daß Besteuerung eine Sache ist, die sich zuallererst zwischen dem Finanzamt und dem Bürger abspielen sollte und bei der Dritte nur dann herangezogen werden sollten, wenn und soweit dies als notwendig angesehen wird.
({5})
Ein zweites Beispiel: Wir haben Vorsorge getroffen, um auch bei der maschinellen Datenverarbeitung einen unbefugten Zugriff auf gespeicherte Daten soweit wie möglich auszuschließen.
Drittes Beispiel: Wir haben den SPD-Antrag, die Obergrenze für Verspätungszuschläge zu verdoppeln, also auf 20 000 DM zu erhöhen, abgelehnt. -Mit Bürgerfreundlichkeit hatte dieser Antrag nichts zu tun;
({6})
denn wer bekommt einen Verspätungszuschlag aufgebrummt? VW, die Bank für Gemeinwirtschaft, die Neue Heimat oder andere Großunternehmungen doch wohl nicht. Und für einen Handwerker - um nur ein Beispiel zu nennen - sind maximal 10 000 DM genug. Es müssen keine 20 000 DM sein, wenn er seine Steuererklärung zu spät abgibt.
({7})
Eine weitere bürgerfreundliche Maßnahme ließ sich leider nicht im Steuerbereinigungsgesetz durchsetzen, ohne ein Vermittlungsverfahren zu riskieren und damit das Inkrafttreten des Gesetzes noch in diesem Jahr zu gefährden. Seitens der Bürger, besonders seitens der Betriebe besteht ein erhebliches Bedürfnis, vor wichtigen und weitreichenden Entscheidungen Klarheit darüber zu haben, wie die zu treffenden Maßnahmen steuerlich behandelt werden - also Einführung eines Instituts der verbindlichen Auskunft. Wir werden das zu gegebener Zeit wieder aufgreifen.
Ein weiteres Ziel, das wir bei unseren Beratungen verfolgt haben, ist die Steuervereinfachung. Spektakuläre Dinge waren in einem Bereinigungsgesetz, das ursprünglich als mehr technisches Gesetz auf Aufkommensneutralität ausgelegt war, von vornherein nicht zu erwarten. Wenn man ein Gestrüpp lichten oder einen seit vielen Jahren ungepflegten Baum wieder in Form bringen will, muß man mit Beil und Säge herangehen. Wir haben diesmal noch mit der Gartenschere hantiert. „Diesmal noch" heißt, daß wir uns vorgenommen haben, in der nächsten Legislaturperiode mit der Steuervereinfachung Ernst zu machen.
({8})
Dieses Ziel - es ist ein hehres Ziel - ist jedoch nur zu verwirklichen, wenn man mit Beil und Säge auch an die Subventionen herangeht, um den vom Bundesfinanzminister gepflegten Sprachgebrauch aufzugreifen: nach der Devise verfährt, „Besser niedrige Steuersätze mit wenigen Ausnahmen als hohe Steuersätze mit vielen Ausnahmen".
({9})
Daß die sogenannte Rasenmähermethode bei den steuerlichen Subventionen nur mit großen Vorbehalten und Einschränkungen anwendbar ist, hat sich inzwischen herausgestellt. Man darf aber andererseits nicht nur einzelne Subventionen herausgreifen, weil dies den massiven Widerstand der Betroffenen geradezu herausfordert. Man muß vielmehr mit der Absicht an den Subventionsabbau herangehen: Kein Bereich darf ungeschoren bleiben.
Wo Subventionen nicht ganz abgeschafft werden können, müssen sie runtergefahren werden. Dabei dürfen auch die Bereiche nicht tabu bleiben, die bisher eifrig an ihrer Tabuisierung mitgearbeitet haben. Auf der anderen Seite - und das dürfte uns auch klar sein - können wir nicht ganz vom Subventionieren abgehen. Wir werden das gleich für einige Bereiche noch deutlich machen müssen.
Diesmal haben wir, wie erwähnt, nur mit der Gartenschere gearbeitet. Doch selbst dabei sind eine Reihe mittlerer und kleinerer Vereinfachungen erreicht worden.
Auch hierzu nur einige wenige Beispiele: Die Kennzeichnungspflicht bei den Werbegeschenken, die es seit der sogenannten Steuerreform von 1974 gibt, ist wieder gestrichen worden. Man braucht sich also künftig nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, ob bei einem Blumenstrauß die Kennzeichnung als Werbeträger auf dem Einwickelpapier, auf einer beigefügten Karte oder auf jeder einzelnen Blume angebracht werden muß.
({10})
Ein weiteres Beispiel für Vereinfachung: Bisher gab es bei der Gewerbesteuer Vorschriften für die Umrechnung auf einen Jahresbetrag, wenn ein Betrieb während des Jahres eröffnet oder geschlossen wurde. Ihre materielle Bedeutung haben diese Umrechnungsvorschriften weitgehend verloren, seit die Freibeträge bei der Gewerbesteuer erhöht worden sind und seitdem eine noch größere Anzahl von Betrieben keine Gewerbesteuer mehr zahlt. Trotzdem haben die Umrechnungsregelungen die Berechnung der Gewerbesteuer außerordentlich kompliziert. Jetzt sollen sie gestrichen werden.
Das Steuerbereinigungsgesetz 1986, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird das letzte Steuergesetz dieser Legislaturperiode sein, in dem nicht nur ein enger Teilbereich geregelt wird, sondern in
dem fast alle Steuerarten angesprochen werden. Deshalb haben wir eine ganze Reihe von kleineren Gesetzesvorhaben, die beim Finanzausschuß schon anhängig waren oder deren Zuweisung unmittelbar bevorstand, mit dem Steuerbereinigungsgesetz zusammengefaßt. Ich nenne diese nur in einigen wenigen Stichworten: Verlängerung des Ausbildungsplatz-Abzugsbetrages um fünf Jahre - das geht im übrigen auf einen Gesetzentwurf des Bundesrates zurück -; Übernahme von Teilen des sogenannten Gepräge-Gesetzentwurfes der Bundesregierung - ich nehme an, daß mein Kollege Häfele darauf noch zu sprechen kommen wird; das ist eine höchst komplizierte Rechtsmaterie -; Verlängerung der Antragsfrist für den Lohnsteuerjahresausgleich - die Antragsfrist endet nicht mehr am 30. September des Folgejahres, sondern am 31. Dezember des übernächsten Jahres, was eine weitgehende Verbesserung für die Lohnsteuerzahler bedeutet -; Anpassung des Investitionszulagengesetzes an die Beschlüsse der Planungskommission für die Regionalförderung - das geht auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zurück -.
Weiterhin nenne ich die Zulassung von Rücklagemöglichkeiten bei Stiftungen und anderen gemeinnützigen Körperschaften, also die Lockerung der Vorschrift, daß gemeinnützige Organisationen ihre Mittel grundsätzlich im gleichen Jahr wieder für ihre satzungsgemäßen Zwecke ausgeben müssen. Gerade bei Stiftungen kommt es immer wieder vor, daß sie ihre Mittel für größere Projekte ansparen müssen oder daß sie einen Teil ihrer Mittel dafür benötigen, ihre Beteiligungsquote an ihren Trägerfirmen zu erhalten, wenn dort eine Kapitalerhöhung durchgeführt wird. Die Verwirklichung des Gesetzentwurfes des Bundesrates löst im übrigen ein Versprechen ein, das wir den Stiftungen im letzten Oktober gegeben haben.
Ebenfalls ein altes Anliegen aus dem Kulturbereich wird mit der Vermögensteuerbefreiung für Werke von Künstlern, die bei der Anschaffung des Kunstwerks noch leben, endlich umgesetzt, nachdem mehrere Anläufe sowohl aus dem Bundesrat als auch aus unserer Fraktion in der Vergangenheit an der SPD-Mehrheit gescheitert sind. Die Vermögensteuerbefreiung wird meiner Ansicht nach dazu beitragen, daß besonders die Absatzchancen junger Künstler verbessert werden.
Schließlich nenne ich die Lohnsteuerhaftung für Entleiher von Arbeitnehmern. Wir haben großen Wert darauf gelegt, daß dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung mit der Modifizierung, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hat, möglichst noch in diesem Jahr in Kraft treten kann, und haben deshalb auch ihn in das Steuerbereinigungsgesetz übernommen. Zu dieser Haltung haben nicht zuletzt die Mißstände beigetragen, die Günter Wallraff in seinem Buch zum Teil aufgedeckt hat und die schlimm genug sind, auch wenn man etwaige Ungenauigkeiten und Übertreibungen, wie sie von Betroffenen behauptet werden und wie sie sich auch herausgestellt haben, außer Betracht läßt. Ich habe das bereits bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes hier ausgiebig gewürdigt und möchte es in diesem Zusammenhang nur noch einmal betonen.
Daß das Steuerbereinigungsgesetz das letzte umfassende Steuergesetz dieser Legislaturperiode ist, hat eine weitere Auswirkung. Wir müssen eine Reihe von unaufschiebbaren weiteren Maßnahmen treffen, um in aktuellen Notsituationen zu helfen. Teilweise handelt es sich dabei um die Modifizierung oder Verlängerung, j a sogar um die Neueinführung von Subventionen. Ich sprach eben schon davon. Ich räume dies unumwunden ein. Wer mir bei der nachfolgenden Aufzählung widersprechen will, möge das von hier aus gleich tun.
Da sind zunächst die Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft und Forstwirtschaft zu nennen, die sozusagen eine Spätfolge der Brüsseler Agrarpolitik sind. Jahrzehntelang ist man dort nach der Devise „Wachse oder weiche" verfahren, hat die Landwirte zu Betriebsaufstockungen und -erweiterungen ermuntert und auch ins Schuldenmachen getrieben. Dann kam plötzlich der Bruch. Jetzt müssen wir der Landwirtschaft helfen, die daraus entstandenen Anpassungsprobleme zu lösen, sowohl was die Zahl der Betriebe als auch was die Schuldentilgung angeht. Deshalb die Verstärkung und Erweiterung der steuerlichen Schonung bei Betriebsaufgabe. Deshalb die Vervielfachung des Freibetrages, wenn weichende Erben noch zu Lebzeiten der Eltern mit Grundstücken abgefunden werden. Dabei soll die geltende Rechtslage nicht verschlechtert werden, wenn die weichenden Erben von Eheleuten abgefunden werden, die beide Eigentümer des Hofes sind. Wir legen Wert auf diese Feststellung. Deshalb auch die Wiedereinräumung und Erhöhung des Freibetrages, wenn Erlöse aus Grundstücksverkäufen zur Schuldentilgung verwendet werden.
Wir haben das alles in der Überzeugung beschlossen, daß dies unumgänglich ist, um die Strukturprobleme zu meistern. Wir haben es aber auch in der Überzeugung beschlossen, daß die Landwirtschaft dies würdigen und die Erfüllung ihrer Forderungen nun nicht mit weiteren Forderungen beantworten wird. Lassen Sie mich hier auch das ganz unmißverständlich sagen: Wir sind mit der Ausweitung des § 14a des Einkommensteuergesetzes an die Grenze des steuersystematisch und vom Gleichbehandlungsgrundsatz her gerade noch Vertretbaren gegangen.
Die zweite Maßnahme ist die Erweiterung der Investitionszulage Stahl. Erstmals werden mit dieser Änderung Anzahlungen auf Herstellungskosten begünstigt. Bisher stand man auf dem Standpunkt, daß es begrifflich Anzahlung nur bei Anschaffungskosten gibt und daß im Herstellungsbereich nur Teilherstellungskosten zur Debatte stehen. Die jetzige Ausweitung erschien im Hinblick auf den engen Anwendungsbereich und die kurze Geltungsdauer vertretbar. An eine Übertragung auf andere Investitionszulagen und auf Abschreibungsbegünstigungen ist keineswegs gedacht. Das Stahi-Investitionszulagengesetz entwickelt sich im übrigen immer mehr als der Beispielsfall für die Auffassung, daß man außersteuerlich motivierte Hilfen,
bei denen es auf Flexibilität und ständige Anpassung an wirtschaftspolitische oder sonstige Gegebenheiten ankommt, nicht über Steuergesetze abwickeln soll. Wir möchten deshalb dem Bundesfinanzminister den Rücken dafür stärken, solchen Ansinnen seiner Kabinettskollegen künftig energischer zu widersprechen.
Die dritte Maßnahme in dieser Reihe ist die Ausnahmeregelung für den bezahlten Sport. Wenn ein Sportler mehr als eine Aufwandsentschädigung erhält, so soll das nicht mehr wie bisher dazu führen, daß dem gesamten Verein die Gemeinnützigkeit aberkannt werden muß. Die vielen echten Amateure sollen nicht darunter leiden, wenn sich einzelne Sportler für ihren Sport bezahlen lassen. Die Veranstaltungen, an denen bezahlte Sportler mitwirken, sollen aber wie z. B. eine Vereinsgaststätte behandelt werden, also als steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb.
Im Rahmen des Steuerbereinigungsgesetzes standen weitere Anliegen im Bereich der Gemeinnützigkeit zur Diskussion. Bei dieser Diskussion ist deutlich geworden, daß die Gemeinnützigkeit dringend einer gründlichen Überprüfung bedarf. Hierzu wird Kollege Dr. Häfele noch ausführlich Stellung nehmen.
Nicht als Subvention sehe ich eine weitere Ergänzung an, die wir beim Kraftfahrzeugsteuergesetz vorgenommen haben. Schausteller sind bisher mit ihren Wohn- und Packwagen von der Kraftfahrzeugsteuer befreit - Sie sehen, welche Bandbreite dieses Gesetz hat -, dürfen aber eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit nicht überschreiten. Sie waren häufig ein Verkehrshindernis. Das wird jetzt beseitigt, indem man den Schaustellern gestattet, schneller zu fahren, ohne daß die Kraftfahrzeugsteuerbefreiung verloren geht.
Meine Damen und Herren, das Steuerbereinigungsgesetz enthält eine Vielzahl von Änderungen in zahlreichen Gesetzen. Ich konnte nur einige wenige nennen, zumal auch unsere Zeit beschnitten wurde. Deshalb mußte ich leider zu schnell sprechen.
Wenn ich ein Resümee aus den langen und oft schwierigen Beratungen ziehen darf: Es wird immer wieder gefordert, alle Steuerrechtsänderungen jeweils in einem Jahressteuergesetz zusammenzufassen. Das klingt einleuchtend; es hat aber auch Nachteile: Das Gesetz wird zu lang, unübersichtlich. Die Beratungen werden, zumindest in der Schlußphase, immer hektischer. Die Versuchung wächst, noch dieses oder jenes mit hineinzunehmen, weil dann wieder für ein Jahr Schluß ist oder sein soll. Manches, was erst in letzter Minute angeregt wird, kann nicht so sorgfältig beraten werden, wie wir es an sich für notwendig halten. Wichtige Dinge gehen, was die Wirkung in der Öffentlichkeit anlangt, im Wust der vielen Regelungen unter. Deshalb möchte ich hier für einen Mittelweg plädieren: kein Jahressteuergesetz, sondern wenige Einzelsteuergesetze.
Lassen Sie mich zum Schluß noch drei Dinge hervorheben: Das erste ist die Kooperationsbereitschaft der SPD-Kolleginnen und -Kollegen im Finanzausschuß. Sie hätten den Gang der Beratungen bremsen und so die Verabschiedung des Gesetzes vor dem Jahresende ernsthaft gefährden können. Sie haben es nicht getan. Danke!
({11})
Das zweite ist die erklärte Bereitschaft des Bundesrates, auf die Fristeneinrede zu verzichten und das Gesetz doch noch am 20. Dezember 1985 im zweiten Durchgang zu behandeln. Das hat bei uns die Beratungszeit entsprechend verlängert. Dankeschön!
({12})
Das dritte ist die Einsatzbereitschaft der Beamten des Bundesfinanzministeriums und des Sekretariats des Finanzausschusses. Wir haben ihnen in den vergangenen Monaten sehr viel zugemutet. Sie haben uns stets sachkundig, hilfsbereit und engagiert zugearbeitet. Herzlichen Dank!
({13})
Unsere besondere Anerkennung gilt auch Herrn Wagner vom Ausschußsekretariat, für den das Steuerbereinigungsgesetz wohl das letzte große Gesetzesvorhaben ist, das er in seiner jetzigen Funktion betreut. Wir wünschen ihm viel Glück in seiner anderen Position.
({14})
Ihnen, meine Damen und Herren, darf ich zuletzt auch dafür danken, daß Sie mir trotz der trockenen Materie so geduldig zugehört haben.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Schlatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegt heute der zweite Teil des Steuerbereinigungsgesetzes zur Beratung vor. Dieser Teil ist im letzten Jahr mit der Begründung abgetrennt worden, die Regierungskoalition habe noch einen Diskussionsbedarf. Ich muß heute, nach Abschluß dieses Diskussionsprozesses, feststellen, daß mich das Ergebnis enttäuscht, denn man ist in wichtigen Punkten dem selbst gestellten Anspruch nicht gerecht geworden. Bei einer Reihe schwerwiegender Fragen ist es nicht gelungen, die Interessen der Steuerbürger und der Wirtschaft einerseits und die Bedürfnisse der Finanzverwaltung andererseits in ein ausgewogenes und akzeptables Verhältnis zueinander zu bringen.
Für die Opposition kommt, ohne daß ich den Dank und das Lob des Kollegen Schulhoff hervorheben möchte, hinzu: Es ist unerträglich, ein 25 Punkte umfassendes Artikelgesetz mit Hunderten von Einzelregelungen in nur drei Wochen parlamentarischer Beratung heute verabschieden zu wollen.
Wir hätten nicht nur für die umfänglichen und schwerwiegenden Eingriffe in die Abgabenordnung mehr Beratungszeit gebraucht, sondern wir hätten unsere Aufmerksamkeit auch etwas mehr der Mah14000
nung aus dem Bereich der Steuerverwaltung widmen müssen, die darüber klagt, daß sie bereits zum Jahresbeginn 1986 mit einer Fülle von neuen Vorschriften belastet wird. Aus der Sicht der Steuerverwaltung muß die nicht abreißende Flut neuer Normen und gesetzlicher Regelungen als eine schlimme Zumutung verstanden werden.
({0})
Eine echte Steuerbereinigung und Steuervereinfachung bedarf der ruhigen und gründlichen Arbeit im Ausschuß, und die Betroffenen müssen gehört werden. Das war dieses Mal nicht möglich, nicht zuletzt auch deshalb, weil bis in die letzten Minuten der Ausschußberatungen neue Vorhaben aufgegriffen, bereits formulierte Regelungen zurückgenommen wurden und weil in dem einen oder anderen Fall auch beides passierte. Ich denke nur an das Thema Mineralölsteuerbefreiung für die Privat-und Sportfliegerei. Daß der Bundesfinanzminister, den ich einmal direkt ansprechen kann, diese Steuerbefreiungsforderung zunächst ganz vernünftig fand, zeigt denn auch den „entschlossenen Ernst", mit dem Sie, Herr Stoltenberg, den Kampf an der Subventionsabbaufront führen.
({1})
Ich bin von dem „entschlossenen Ernst", wenn ich das ironisieren darf, sehr enttäuscht, aber diese Enttäusçhung bestätigt einmal mehr, daß Sie nicht die Kraft aufbringen, Subventionen dort abzubauen, wo es erforderlich ist, und dem Begehren nach Ausbau von Subventionen entschieden entgegenzutreten. Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls sehr zufrieden, daß die Empörung der deutschen Öffentlichkeit das steuer-unsittliche Ansinnen des bayerischen Ministerpräsidenten hat scheitern lassen.
Ich unterstreiche auch für die SPD-Fraktion die Notwendigkeit von Änderungen in der Abgabenordnung. In der ersten Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 waren Vorschläge enthalten, die die Funktionsfähigkeit der Finanzverwaltung anstrebten und gleichzeitig zu einer größeren Rechtssicherheit und zu einer geordneten Durchführung des Besteuerungsverfahrens beitragen konnten. Diese Vorschläge sind zum Teil wesentlich geändert und um vieles Neue und leider auch Ungereimte ergänzt worden.
Bevor ich' auf solch Neues und Ungereimtes eingehe, reizt es mich allerdings, auf die vielen Vorschläge einzugehen, die von der Regierungskoalition bei der Beratung des Steuerbereinigungsgesetzes nicht aufgegriffen wurden. Ich denke z. B. an die Vorschläge zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts. Wir als SPD-Opposition verstehen, daß eine grundlegende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts vielen zusätzlichen Einzelregelungen vorzuziehen ist. Wir unterstützen deshalb die Absicht, eine besondere unabhängige Sachverständigenkommission einzusetzen.
Es ist aber zusätzlich unsere Auffassung, daß unabhängig von der generell notwendigen Überprüfung des Gemeinnützigkeitsrechts die gravierendsten Mißstände und Ungerechtigkeiten bereits heute beseitigt werden sollten. Dazu haben wir Anträge eingebracht.
Wir streben u. a. die Änderung des § 30 der Abgabenordnung mit dem Ziel an, die Finanzbehörden zu berechtigen, Auskünfte darüber zu geben, welche Körperschaften als steuerbegünstigt anerkannt sind. Dieses Auskunftsrecht müßte unseres Erachtens mindestens in Beantwortung mündlicher oder schriftlicher Anfragen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages oder der Landesparlamente gesichert sein. Daß die Regierungskoalition dieses Ansinnen ablehnt, ist bedauerlich. Dennoch werden wir unsere Absicht weiterverfolgen und Gelegenheit nehmen, diese Regelung in die Abgabenordnung hineinzuschreiben.
({2})
Auch die Regierungskoalition greift Einzelvorschläge zum Gemeinnützigkeitsrecht bereits jetzt auf. Ich denke z. B. an die Neuregelung, die es den Stiftungen ermöglichen soll, steuerfreie Rücklagen bis zur Höhe von einem Viertel ihres Einnahmeüberschusses zu bilden. Das tragen wir mit, und ich hoffe, daß wir umgekehrt Unterstützung und Verständnis für die Anträge finden, die wir heute zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts stellen.
Ich wollte über nicht aufgegriffene Vorhaben sprechen. Nicht aufgegriffen wurde von der Regierungskoalition die jüngste Kritik des Bundesrechnungshofs an der unzureichenden Erfassung der Einkünfte aus Kapitalvermögen. Es ist doch in der Tat so, daß ein erheblicher Teil von Steuerzahlern ihre Erklärungen gegenüber dem Finanzamt zu ihren Gunsten so gestalten, daß sie ihre eigentlich zu versteuernden Zinseinnahmen verschweigen und so ihre Steuerlast verkürzen. Sie tun das in der Zuversicht, daß die Finanzämter, die dazu durch den sogenannten Bankenerlaß angewiesen sind, die Angaben der Steuerzahler bei den Banken nicht nachprüfen. Die Abgabenordnung kennt kein Bankgeheimnis gegenüber dem Finanzamt, aber die interne Verwaltungspraxis hat faktisch ein gut funktionierendes Bankgeheimnis eingeführt. Die Folge ist ein Ärgernis, denn die Zinsversteuerung ist zu einer Angelegenheit einer gesetzestreuen Minderheit geworden.
({3})
Was läge eigentlich für den Gesetzgeber näher, als im Zuge des Steuerbereinigungsgesetzes analog zur Neuregelung des § 93 der Abgabenordnung Kontrollmitteilungen für die Erfassung von Zinseinkünften vorzusehen?
({4})
Meine Damen und Herren, eine solche Regelung würde - da bin ich sicher - in der Öffentlichkeit viel Verständnis finden. Aus Gesprächen mit der Wirtschaft z. B. ist uns Politikern ja nicht unbekannt, daß dort weitgehend Unverständnis über die Ungleichbehandlung der Besteuerung der Einkünfte aus Finanzanlagen und aus Sachvermögen herrscht.
Die SPD-Fraktion greift heute durch einen Antrag die begründeten Forderungen nach steuerliSchlatter
cher Erfassung von Zinseinkünften auf und fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den bei gleichzeitiger massiver Erhöhung der Sparerfreibeträge die Besteuerung von Zinseinnahmen künftig sichergestellt wird.
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Zu diesem Thema will ich noch einen weiteren Hinweis geben: In nahezu allen westlichen Industrieländern ist die Erfassung von Zinseinkünften entweder durch ein Quellenabzugsverfahren oder durch Kontrollmitteilungen der Kreditinstitute gewährleistet. Warum eigentlich bei uns nicht? Dies den Bürgern und der Öffentlichkeit zu erklären fällt uns offensichtlich schwer, und schwer ist es erst recht, es dem Bundesrechnungshof deutlich zu machen.
Aus ersten Stellungnahmen aus den Regierungsfraktionen zu unseren Vorschlägen muß ich schließen, daß Sie, meine Damen und Herren, an einer sachgerechten Diskussion der Probleme leider nicht interessiert sind. Wider besseres Wissen erklären Sie in Ihren Pressestellungnahmen, die SPD wolle an die Sparbücher der kleinen Leute. Ich sage: Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Wenn die Regierung nun plant - man hört j a, daß das diskutiert wird -, die Finanzverwaltung stärker in die Pflicht zu nehmen, heißt das doch im Ergebnis eigentlich, daß Sparer mit kleinen und mittleren Vermögen zur Kasse gebeten werden, weil bei ihnen der Fluchtweg ins Ausland keine reale Alternative zur Besteuerung ist.
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Meine Damen und Herren, ich kann an dieser Stelle nur fordern: Beschließen Sie mit uns eine Steuerfreistellung für Zinserträge aus kleinen und mittleren Sparguthaben, und lassen Sie uns dann gemeinsam nach gesetzlichen Regelungen suchen, die Steuerschlupflöcher für die großen Vermögen zu schließen.
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Leider hat die Regierungskoalition auch unsere Vorschläge zurückgewiesen, die steuerliche Schlechterstellung von im Inland wohnenden Eltern mit Kindern im Ausland, die als Folge des Steuersenkungsgesetzes 1986 eintritt, zu korrigieren. Als Ersatz den Betroffenen für die wegfallenden Kinderfreibeträge nun anzudienen, durch Steueranträge außergewöhnliche Belastungen nachzuweisen, muß von den Betroffenen zu Recht als ein Akt der Diskriminierung verstanden werden. Es ist kein Beleg für Glaubwürdigkeit, Auslandskindern die Gewährung von Steuerfreibeträgen vorzuenthalten und gleichzeitig zu behaupten, man wolle, wie Sie das tun, eine familiengerechte Besteuerung aller Personengruppen einführen. Es zeigt sich auch in diesem Fall wieder, daß das neu eingeführte System der Kinderfreibeträge vielfältige Ungerechtigkeiten schafft. Deshalb bleibt die SPD-Bundestagsfraktion bei ihrer Forderung nach Umwandlung der Kinderfreibeträge in ein erhöhtes Kindergeld.
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Ich will ein paar Bemerkungen zu den Änderungen im steuerlichen Verfahrensrecht machen, die teilweise erhebliche Auswirkungen auf die Arbeit der Finanzverwaltungen haben.
Durch den Vorschlag eines § 93 a Abgabenordnung wird eine allgemeine Mitteilungspflicht von Behörden und Rundfunkanstalten an die Finanzbehörden eingeführt. In diesem Zusammenhang unterstützt die SPD-Fraktion die Auffassung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, daß für eine Praxis von Kontrollmitteilungen eine formale Rechtsgrundlage geschaffen werden muß. Wir lehnen es allerdings ab, den Vorschlag der Regierungskoalition zu unterstützen, der den Umfang der zulässigen Kontrollmitteilungen einschränkt und insbesondere nicht zuläßt, in Mitteilungen über geleistete Zahlungen auch den Betrag aufzunehmen. Diese auch aus datenrechtlichen Gründen nicht zwingend gebotene Einschränkung führt zu einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand.
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Ich denke, daß es nicht zumutbar ist, auf Grund von Pauschalinformationen die Steuerverwaltungen zu animieren, sich mit Rückfragen beim Steuerzahler oder sonstigen Erkenntnisquellen erst Eindrücke und Erkenntnisse zu verschaffen, die eine Besteuerung möglich machen. Wir unterstützen darum aus gutem Grunde den Bundesratsvorschlag, der den Bedürfnissen der Steuerverwaltung eher und ausführlich Rechnung trägt.
Eine Bemerkung zu der Übernahme der EGRichtlinie über die gegenseitige Amtshilfe im Bereich der direkten Steuern und der Mehrwertsteuern. Die Regelung wird von Ihnen nur halbherzig und unvollkommen übernommen. Die Beschränkung des Auskunftsverkehrs auf nur drei Fallgruppen schöpft die gebotene Möglichkeit nicht aus, sondern es wird im Ergebnis eher so sein, daß die Absicht der EG-Richtlinie aus dem Jahr 1977, nämlich etwas gegen die zunehmende internationale Steuerflucht zu unternehmen, unterlaufen werden kann. Ich gehe davon aus, daß auch die zwingend vorgeschriebene Anhörung der inländischen Beteiligten im Amtshilfeverkehr eine schlechte Transformation der EG-Richtlinie ist und Erschwernisse beim Kampf gegen die internationale Steuerflucht bringt. Die SPD-Bundestagsfraktion wird deshalb Art. 2 des Steuerbereinigungsgesetzes ablehnen.
Wir begrüßen ausdrücklich, daß die Regelung einer verbindlichen Zusage der Finanzbehörden ohne vorhergehende Außenprüfung zurückgezogen wurde. Es war in der Tat unerträglich, eine Änderung im Eilverfahren durchdrücken zu wollen, die so nachhaltig in die Besteuerungspraxis eingreift. Der Vorschlag sollte die Angehörigen der Steuerverwaltung zwingen, über die Steuerfestsetzung hinaus in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht komplizierte rechtsverbindliche Auskünfte zu erteilen. Die Verantwortung für die Gestaltung des Sachverhaltes sollte von den Steuerpflichtigen weg auf die Verwaltung abgewälzt werden. Zu Recht haben sich die Länder gegen diesen Überrumpelungsversuch zur Wehr gesetzt.
Daß nun die Fraktionen der CDU/CSU und FDP einen Entschließungsantrag nachschieben, der die problematischen Vorschläge wieder aufnimmt und die Bundsregierung zwingen will, einen Gesetzentwurf in dieser Richtung vorzulegen, ist schon ein erstaunliches Stück. Ich hoffe, daß der Bundesrat und die Bundesländer klug genug sind, sich auch künftig gegen dieses Ansinnen zur Wehr zu setzen. Sie werden die SPD-Bundestagsfraktion dabei an ihrer Seite finden.
Letzte Bemerkung. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich in der Schlußabstimmung über die Gesamtvorlage der Stimme enthalten. Wir haben gute Gründe dafür geltend zu machen. Wir haben unsere Gründe unter anderem in Anträgen zum Ausdruck gebracht, die heute mit zur Beschlußfassung anstehen. Nur bedauern wir, daß von unseren Anträgen in den Schlußberatungen durch die Regierungsfraktionen in die heute zu beschließende Schlußfassung des Steuerbereinigungsgesetzes so wenig aufgenommen worden ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Steuerbereinigungsgesetz 1986 dürfte eines der schwierigen steuerlichen Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode sein. Insgesamt werden 23 Gesetze, rund 150 Einzelvorschriften geändert oder neu eingeführt. Damit werden neun Drucksachen der Bundesregierung, des Bundesrats, der Opposition und diverse ergänzende Zusatzanträge der Koalitionsfraktionen erledigt.
Hinter uns liegt ein beträchtliches Arbeitsvolumen. Ich kann das nur unterstreichen, was eben der Kollege Schulhoff getan hat, nämlich den ausdrücklichen Dank an die kooperativen Kollegen von der SPD-Fraktion aussprechen an die das durchschnittliche Maß weit übersteigende Arbeit leistenden Herren des Finanzministeriums und last, not least dem Ausschußsekretär und seiner Mannschaft. Herzlichen Dank auch von mir.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist allerdings die Frage, ob man auf ein solches Arbeitspensum auch stolz sein darf; denn eigentlich geht unser Wunsch dahin, weniger und nicht mehr Gesetze zu haben und nicht ständig neue zu machen und ständig Änderungen vorzunehmen. Aber diese Frage läßt sich eigentlich nur beantworten, wenn man den materiellen Kern dessen, was man da beschlossen hat, im Detail bewertet. Mein Gesamturteil lautet: Sowohl als auch.
Es sind vier Gruppen von Rechtsänderungen, die wir hier verarbeitet haben: erstens Regelungen, die Rechtsbereinigungen enthalten, wie die Anpassung an Rechtsprechung insbesondere des Europäischen Gerichtshofs, zweitens vereinfachende Vorschriften - da ist erfreulicherweise das eine oder andere auch gestrichen worden -, drittens die Einführung neuer oder die Ausweitung bestehender Steuervergünstigungen und viertens neue Rechtsgrundlagen, fortentwickelte Rechtsgrundlagen für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat.
Das als Gesamturteil von mir genannte „sowohl als auch" ergibt sich aus unterschiedlicher Bewertung dieser vier Titelgruppen. Den rechtsbereinigenden Regelungen kommt eine neutrale Bewertung zu; da kann man meist gar nicht anders. Bei den den Ausbau von Steuervergünstigungen bringenden Vorschriften überkommt einen zumindest ein ungutes Gefühl. Den vereinfachenden Regelungen und jenem Teil der Gesetzesvorlage, der das von der Natur der Dinge her spannungsgeladene Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Fiskus erfaßt, kann man dagegen das Prädikat befriedigend oder voll befriedigend geben.
Meine Damen und Herren, die Ausweitung von Steuervergünstigungen kann - wer wollte das bestreiten - vom Grundsatz her nicht gefallen. Bei näherem Hinsehen sind die neuen Vergünstigungen jedoch unabweisbar und sinnvoll. Es darf aber nicht sein, wie ich das gelegentlich aus Kreisen der Opposition höre, daß die Hilfen, zu denen sich die Koalitionsfraktionen durchringen, abgelehnt werden, eigene Hilfen, die man beantragt hat, dann aber für gut und richtig gehalten werden, so nach dem Motto: Hilfen für die Stahlindustrie sind gut, Hilfen für die Landwirtschaft sind schlecht.
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Da muß man sich schon einheitlich bekennen.
Meine Damen und Herren, bei den Stahlinvestitionszulagen, bei denen nunmehr in gewissem Umfang auch Anzahlungen auf Herstellungskosten begünstigungsfähig sind, stellen wir damit lediglich - sozusagen als Abschlußgeste - sicher, daß die Stahlunternehmen und ihre Arbeitnehmer keinen Schaden daraus erleiden, daß ihre geplanten Investitionsvorhaben zur Strukturanpassung durch EGBürokratie oder Lieferengpässe verzögert wurden.
Ich spreche deshalb von einer Abschlußgeste, weil diese unglückselige Subventionierung im Stahlbereich nunmehr zu Ende geht. Hier ein Dank an die Bundesregierung, insbesondere ein Dank an den zuständigen Bundeswirtschaftsminister, aber auch an den ihn massiv unterstützenden Bundesfinanzminister dafür, daß sich die Bundesregierung durchgesetzt hat, damit dieser Unsinn der Subventionitis in diesem Bereich ein Ende findet.
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Meine Damen und Herren, es ist auch nicht wahr - ich glaube, es besteht Veranlassung, dies hier nach der gestrigen Debatte über Wackersdorf anzumerken -, daß die Änderungen des Investitionszulagengesetzes eine Lex Wackersdorf sind. Es ist gut und richtig, daß wir dem Kriterium Beschäftigung bei den Voraussetzungen für die Investitionszulagen in Zukunft mehr Gewicht beimessen. Es ist auch gut und richtig, daß wir für innovative Vorhaben das Verbot einer Kumulation der regionalen
Investitionszulage mit der Zulage für Forschungs-und Entwicklungsinvestitionen aufheben.
Selbstverständlich und übrigens auch verfassungsmäßig geboten ist es, daß man in die geplanten Vorhaben mit den Änderungen aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht eingreift. Das gilt eben auch für Wackersdorf. Wir machen nach unserem Verfassungsverständnis Gesetze für alle. Wir machen keine Spezialgesetze gegen alles, was mit der Kernenergie zu tun hat, oder Spezialgesetze für alles, was alternativen Wirtschaftsformen dient.
({3})
Meine Damen und Herren, bei der Landwirtschaft haben wir in der Tat deutliche Hilfen gewährt durch Verbesserung der Freibetragsregelungen bei der Betriebsaufgabe, bei der Abfindung weichender Erben, bei der Tilgung von Altschulden. Diese Maßnahmen sind im Zuge des laufenden Strukturanpassungsprozesses der Landwirtschaft bitter notwendig.
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Sie sind befristet und entsprechen damit den Kriterien einer modernen Subventionspolitik.
Meine Damen und Herren, es ist in dieser kurzen Debatte nicht möglich, die von mir zahlenmäßig angesprochene Fülle der Detailregelungen im einzelnen darzulegen und zu bewerten. Teilweise ist das schon geschehen. Wir sind jedenfalls sicher, daß wir keine Schelte dafür beziehen werden, daß Stiftungen Rücklagen bilden können, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu verlieren, daß Amateursportvereine ihren Gemeinnützigkeitsstatus bei der Durchführung von wirtschaftlichen Veranstaltungen mit Berufssportlern nicht mehr riskieren.
Wir glauben auch, daß es uns die Wirtschaft dankbar abnehmen wird, daß wir die vom Bundesfinanzhof aufgegebene Geprägerechtsprechung mit einer großzügigen Vertrauensschutzregelung für die Übergangszeit nunmehr gesetzlich verankern.
Wir glauben auch, daß die Lohnsteuerzahler nicht undankbar dafür sind, daß wir den SPD-Antrag verarbeitet haben und nunmehr eine zweijährige Frist läuft, die mit den Fristen bei der Einkommensteuer vergleichbar ist. Das alles sind gute und vernünftige Regelungen.
Meine Damen und Herren, ich will noch ein paar Worte über das Verhältnis zwischen Steuerbürger und Staat verlieren. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß wir eine der effektivsten Finanzverwaltungen der Welt haben. Dennoch sind wir uns bewußt - einen Punkt hat Herr Kollege Schlatter eben angesprochen -, daß in der Praxis der Finanzverwaltung Durchsetzungslücken bestehen, die nicht nur nach Meinung der Opposition allein durch eine noch größere Regelungsdichte geschlossen werden könnten. Dies genau ist der Punkt, an dem sich die Grundsatzfrage stellt, ob eine Steigerung der Effizienz der Steuerverwaltung durch mehr Kontrollmitteilungen, mehr flächendeckende Betriebsprüfungen, mehr Steuerfahndung, noch zu erreichen und eine generell stärkere Durchleuchtung des Steuerbürgers noch vertretbar ist.
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Für die FDP hat das Steuerbereinigungsgesetz den Einstieg dafür geboten, umgekehrt ihre klare Präferenz für mehr Bürgerfreundlichkeit der Steuerverwaltung zu suchen und zu finden. Aber unter Effizienzgesichtspunkten muß man sich darüber im klaren sein, daß dies à la longue Wirkungen nur dann haben kann, wenn zugleich am Abbau des Steuerwiderstandes gearbeitet wird, und zwar durch fairere, transparentere und weniger belastende Steuergesetze. Diesen Zusammenhang muß man sehen.
Wir halten den bei den Kontrollmitteilungen nach langer Diskussion gefundenen Kompromiß für eine akzeptable Lösung: Kontrollmitteilungen nur von jenen Behörden und Institutionen, bei denen keine Betriebsprüfungen durchgeführt werden, und Kontrollmitteilungen nach bayerischem Vorbild - sozusagen nach der bayerischen Lösung -: Zahlenangaben nicht gegenüber der Steuerverwaltung, aber gegenüber den Betroffenen.
Wir glauben auch, daß wir im Interesse der deutschen Wirtschaft den richtigen Weg gefunden haben, um unseren Auskunftsverpflichtungen gegenüber den EG-Partnern zu entsprechen. Wir halten es besonders für richtig, daß Spontanauskünfte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zulässig sind, daß im übrigen aber die Betroffenen vorher zu informieren sind, so daß die Chance der Anrufung der Gerichte gegen Verwaltungsentscheidungen gegeben ist.
Wir glauben aber, auch anmerken zu sollen, daß die in der EG-Amtshilfe-Richtlinie gefundenen Prinzipien Gültigkeit auch für die Doppelbesteuerungsabkommen mit Ländern außerhalb der EG haben müssen. Dies sind die Grundsätze, die wir uns jetzt gesetzt haben. Deswegen müssen noch in der Verhandlung befindliche oder auch bereits paraphierte, aber noch nicht unterzeichnete Doppelbesteuerungsabkommen auf diesen Punkt hin überprüft werden. Für alle schon bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen ist dies ein Merkposten für jedwede Änderung, die irgendwann einmal ansteht.
In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß Datenschutz etwas Umfassendes ist und daß das Recht der informationellen Selbstbestimmung, wie das Bundesverfassungsgericht es formuliert, wirklich nicht auf Hotelanmeldungen oder auf Datenabgleich von Einwohnermeldeämtern beschränkt sein kann. Es ist irgendwie merkwürdig, daß jene, die bei den soeben von mir genannten Punkten auf den Barrikaden stehen, um dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger zu verteidigen, im Bereich der Steuern und der Finanzverwaltung offenbar nicht einmal etwas dagegen hätten, wenn nach schwedischem Vorbild jeder Private dem Finanzamt mitteilen müßte, daß er einige hundert Mark Reparaturkosten an einen Handwerksmeister gezahlt hat.
Aber lassen wir das. Wir werden den Vorwurf, unsere Bemühungen um Bürgerfreundlichkeit hätten etwas mit dem Schutz von Steuerhinterziehern zu tun, zu widerlegen wissen.
({6})
Ein Punkt steht nicht im Gesetz, der vor 14 Tagen noch drinstand: die verbindliche Auskunft. Wir bedauern dies. Aber wir haben einen Entschließungsantrag, der der Bundesregierung einen Auftrag gibt. Ich gehe davon aus, daß dieser Auftrag zügig ausgeführt wird. Ich stelle anheim, sich vielleicht einmal in den Vereinigten Staaten Wissen und Kenntnisse vom Funktionieren eines solchen Systems durch die Beamten des Bundes und der Länder zu verschaffen. Ich merke nur noch an: Dieses Anliegen ist uralt. Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages hat bereits 1963 die Bundesregierung aufgefordert, hierzu einen Gesetzentwurf vorzulegen. Auch der Bundesrat war damals, als der Regierungsentwurf vorgelegt wurde, sehr dafür. Die Begründung war: Ein so kompliziertes Steuerrecht, wie wir es haben, erfordert die Möglichkeit verbindlicher Auskünfte. Unser Steuerrecht ist komplizierter geworden, als es 1963 war. Das Erfordernis ist heute dringlicher denn je.
Die FDP-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Investitionszulagengesetzes, der ein Teil der Steuergesetze ist, ist selbstverständlich eine Lex Wackersdorf; das wurde hier vorhin ja bestritten. Die Beratung einer neuen Lex Wackersdorf genau an dem Tag, an dem mit der Rodung begonnen wird, ist den Befürwortern dieses verheerenden Projektes natürlich nicht willkommen. Aber es war nicht zu verhindern, weil der Beginn des Irrsinnsvorhabens in Wackersdorf in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Änderung des Investitionszulagengesetzes zu sehen ist. Ich werde Ihnen das hier nachweisen: Für den Beginn der Rodung ist nämlich der vorliegende Gesetzentwurf maßgeblich, weil es vom Beginn der Rodung abhängt, welche Investitionszulagen für Wackersdorf gezahlt werden. Das Ganze ist ein ausgetüftelter Abstimmungsprozeß zwischen dem Land Bayern und dem Bund gewesen. Der Teufel ist auch hier im Detail versteckt.
Ich muß deshalb auch sehr ins Detail gehen, um den Teufel vorzuführen: Der Gesetzentwurf enthält erstens eine Regelung, nach der die Investitionszulagen ausgeweitet werden, nämlich die Aufhebung des bisherigen Verbots einer Kumulation von Investitionszulagen und Forschungszulagen. Zweitens enthält der Entwurf eine Regelung, nach der die Leistungen durch Absenkung des förderungswürdigen Höchstbetrages für einzelne kapitalintensive Investitionen abgesenkt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Uldall?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. - Galt bisher der Betrag von 6 Millionen DM Investitionskosten pro gesicherten oder geschaffenen Arbeitsplatz als maximale Bemessungsgrundlage für die Zulage, so sollen künftig 2 Millionen DM Investitionskosten pro Arbeitsplatz als Maximum für die Berechnung der Zulage gelten. Das bedeutet für Wackersdorf mit geschätzten Investitionskosten von 6 Milliarden DM einen Unterschied hinsichtlich der Zulage von 280 Millionen DM. Das ist selbst für ein solches Projekt ein nicht unwesentlicher Unterschied.
Für Wackersdorf sollte nun die erweiterte, nicht aber die einengende Regelung gelten. Diese beiden Absichten, die eigentlich nicht zusammenzubringen sind, wurden auf den pfiffigen Vorschlag des Landes Bayern hin im Bundesrat doch unter einen Hut gebracht, nämlich durch eine raffinierte Bestimmung über den Anwendungsbereich der Gesetzesänderung. Die ausweitende Vorschrift gilt danach für Wirtschaftsgüter, die nach dem 31. Dezember 1985 angeschafft oder hergestellt werden. Das heißt, sie gelten für die Wiederaufbereitungsanlage, weil diese ja erst nach diesem Zeitpunkt hergestellt sein wird. Die einengende Vorschrift wird dagegen nur für Vorhaben gelten, die nach dem heutigen Tag begonnen worden sind und für die nach dem heutigen Tag ein Antrag auf Förderungswürdigkeit gestellt worden ist. Wenn vorher begonnen worden ist, kann der Antrag auch nachher gestellt werden. Es gilt dort die höhere Bemessungsgrundlage für die Investitionszulage.
({0})
Somit sind der Wiederaufbereitungsanlage die höheren Zulagen in jedem Fall sicher. Also ist dieses Gesetz eindeutig eine Lex Wackersdorf zugunsten der Atomenergieindustrie.
({1})
Es wurde hier in genauso undemokratischer Weise rüde durchgesetzt, wie die Atomenergieindustrie und ihre politischen und juristischen Schergen in Wackersdorf den Beginn der Rodung durchgesetzt haben und zur Stunde durchsetzen. Diese Vorgehensweise, die einen Affront gegenüber dem Parlament darstellt, will ich im einzelnen aufzeigen.
Der Gesetzentwurf zur Änderung der Investitionszulagengesetze stammt vom 22. November 1985. Er sollte dann nach dem Vorschlag des Ältestenrats und dem des Bundestages in der Sitzung vom 5. Dezember 1985 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an die Ausschüsse für Wirtschaft und innerdeutsche Beziehungen und an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Da das Ganze vor Jahresfrist durchgezogen werden sollte, waren die Ausschüsse übereilfertig und hatten die Beratung schon für Mittwoch, den 4. Dezember 1985, auf die Tagesordnung gesetzt, obwohl der Gesetzentwurf noch gar nicht überwiesen worden war. Denn er war erst kurzfristig auf die Tagesordnung des Bundestages für die
Dr. Müller ({2})
Sitzung am 5. Dezember 1985 gesetzt worden. Dies ist ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Bundestages. Von den Mitgliedern des Ältestenrates wurde dann später schnellsten die Zustimmung dazu eingeholt, die Vorlage einzig und allein dem Finanzausschuß zu überweisen. Wenn das der Fall ist, kann kein anderer Ausschuß entsprechend unserer Geschäftsordnung beraten haben, weil sich kein Ausschuß des Bundestages anmaßen kann, ein Gesetz zu beraten, das nicht an ihn überwiesen worden ist. Das ist das Problem. Eine Beratung im Haushaltsausschuß hat also entsprechend der Geschäftsordnung nicht stattgefunden. Wer argumentieren würde, sie habe doch stattgefunden, steht vor dem Widerspruch, daß wir eine Überweisung an den Haushaltsausschuß bewußt ausgeschlosssen haben.
({3})
- Ich weiß, warum Sie sich aufregen. Das ist mir völlig klar. Denn wenn hier ein Formfehler begangen worden ist - wie ich Ihnen nachgewiesen habe -, ist es natürlich so,
({4})
Daß dieses Gesetz so nicht verabschiedet werden kann. Deshalb sollten Sie selbstverständlich einer Überweisung an den Haushaltsausschuß zustimmen, damit dort beraten werden kann.
({5})
- Jetzt kommen Sie schon wieder mit der Universität Bremen. Ich begrüße das langsam.
In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung wird argumentiert, daß die Aufhebung des Kumulationsverbotes zirka 40 Millionen DM an Mehrausgaben bewirke, also haushaltsausschußrelevant ist. Diese 40 Millionen DM wurden durch die Absenkung der Bemessungsgrundlage für die Regionalzulage von maximal 6 Millionen DM auf maximal 2 Millionen DM Investitionskosten pro geschaffenen Arbeitsplatz wieder hereingeholt. In dieser Argumentation war nicht berücksichtigt die besondere Regelung für Wackersdorf, nach der für die Wiederaufbereitungsanlage die Absenkung dieser Bemessungsgrundlage noch nicht gelten soll. Das macht an Regionalzulage immerhin 280 Millionen DM Unterschied aus. Damit ist das Gesetz nicht aufkommensneutral und damit eine Finanzvorlage.
Die Hast, mit der Sie diese Lex Wackersdorf durch den Bundestag pushen, reiht sich ein in viele Versuche, Wackersdorf im wesentlichen mit Steuergeldern zu finanzieren. Das Zusammenspiel der Bundesregierung und des Landes Bayern ist kein schlitzohriges Bühnenstück, wie die Bayern es so lieben. Es ist angesichts des Wahnsinns, der in Wakkersdorf gebaut wird, das reine Finanzgangstertum. Bei der vorgeführten Art der Finanzierung würden die Mafia und auch jeder betrügerischer Finanzhai vor Neid erblassen.
Sie sind so scharf darauf, der DWK das Geld für die Wiederaufbereitungsanlage in den Rachen zu werfen, daß Ihnen parlamentarische Sitte und parlamentarischer Brauch völlig egal sind.
({6})
Der Höhepunkt dieses abgekarteten Spieles fand gestern im Haushaltsausschuß statt. Da verniedlichte der Staatssekretär gleichen Namens Schlecht die Wiederaufbereitungsanlage als Chemiefabrik, weil eben Energiewerke nicht förderungswürdig sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulhoff?
Ich gestatte keine Zwischenfragen.
({0})
Da weiß das Wirtschaftsministerium nicht, ob Bayern einen Antrag gestellt hat oder nicht. Das muß man sich einmal vorstellen. Die wissen nicht Bescheid.
Wenn Bayern die Gemeinschaftsaufgabe des Bundes voll ausnutzt, kann es 1,5 Milliarden DM für Wackersdorf ausgeben.
({1})
Wenn dann noch die Sonderabschreibungsmöglichkeiten für das Zonenrandgebiet voll genutzt werden, kommen noch einmal 1,8 Milliarden DM hinzu. Ohne die ganzen Forschungsmittel mitzurechnen, die auch noch hinzukommen können, wären das 3,3 Milliarden DM an Steuergeldern für Wackersdorf.
Ich möchte zum Schluß kommen.
({2})
Das alles natürlich nur unter der Bedingung, daß der geschätzte Preis von 6 Milliarden DM eingehalten wird, wofür bei solchen Großprojekten überhaupt nichts spricht. Eine gigantische Vernichtung von Steuergeldern für eine gigantische Bedrohung von Zivilisation und Kultur. Sie wissen jetzt, wofür Sie stimmen. Keiner von Ihnen kann sagen, Sie hätten es nicht gewußt. Für uns ist es natürlich kein Trost, daß wir hier nur warnend den Finger heben konnten.
Danke schön.
({3}): Sie waren doch bei
den Beratungen gar nicht dabei! - Dr.
20 Minuten
Filibusterei!)
Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Herr Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Steuerbereinigungsgesetz 1986 lei14006
stet nach dem Steuerbereinigungsgesetz 1985 einen weiteren Beitrag zu mehr Rechtssicherheit und auch zu mehr Steuervereinfachung. Ich darf vier Beispiele erwähnen, die zeigen, daß vor allem für die Bürger eine deutliche Steuervereinfachung erzielt wird: etwa der Wegfall der Kennzeichnungspflicht für Werbeträger - der Kollege Gattermann hat das schon erwähnt -; die Anhebung der Grenzen für die Buchführungspflicht - für viele kleine Betriebe, sowohl im Gewerbe wie in der Landwirtschaft, eine Vereinfachung -; der Wegfall der Prosperitätsklausel bei der Investitionszulage und im Zonenrand - eine Anregung des Rechnungshofes zur Vereinfachung; schließlich wird der Ansatz für den Geschäfts- oder Firmenwert künftig gleich sein, sowohl bei der Vermögensaufstellung wie in der Steuerbilanz - auch das ist eine durchgreifende Vereinfachung aus diesem Feld.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ist aus diesem Gesetz ein „Omnibusgesetz" geworden. Es ist mancher noch draufgesprungen, der gerade so unterwegs war. Das hat natürlich auch sein Gutes. Wir haben wieder ein Jahressteuergesetz. In den Verfahrensvorschriften haben wir sogar eine Vorlaufzeit. Da wird das Gesetz erst 1987 in Kraft treten. Das ist an sich eine erwünschte Art der Steuergesetzgebung. Wir könnten auf jeden Fall alle laufenden, aktuellen Gesetzesvorhaben auf steuerlichem Feld in dieses Sammelgesetz einmünden lassen. Wir haben nur noch ein Gesetz für das nächste Jahr im Augenblick in der Beratung, das Gesetz zur Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums. Wenn es irgendwie geht, sollten wir im kommenden Jahr vermeiden, sonst noch irgendeine steuerrechtliche Initiative zu ergreifen. Für den Rest der Periode sollte gelten: „Ruhe an der Steuerfront!", damit wir uns in der nächsten Legislaturperiode der Hauptaufgabe zuwenden können, nämlich:
({0})
lieber niedrige Steuersätze mit weniger Ausnahmen einzuführen als hohe Steuersätze mit vielen Ausnahmen.
({1})
Der Kern des Gesetzes - das war schon im ursprünglichen Regierungsentwurf enthalten - sind die Änderungen der Abgabenordnung und die Überführung des EG-Amtshilfe-Gesetzes in nationales Recht. Hier hat der Finanzausschuß in bewundernswert gründlicher Beratung, die vielleicht in dieser Periode ohnegleichen ist, nach Abwägen des Spannungsverhältnisses zwischen verschiedenen Interessen, das bei dieser Frage besteht, eine Lösung gefunden. Ich glaube, er hat einen Ausgleich zwischen den Notwendigkeiten der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und einer international zugriffsfähigen Finanzverwaltung einerseits und den Grundrechten des Bürgers, dem Schutz des Bürgers, auch Datenschutz des Bürgers andererseits gefunden. Ich darf den Kollegen des Finanzausschusses, sowohl der Koalition wie auch der SPD, meinen Dank für diese gründliche Beratung sagen, auch für die Fairneß, die die SPD-Opposition bei diesen Beratungen gezeigt hat. Aber auch allen sonstigen Beteiligten möchte ich danken - dem Bundesrat und dem Datenschutzbeauftragten der Bundesregierung insbesondere -, die dazu beigetragen haben, daß hier eine ausgewogene Lösung zustande gekommen ist.
({2})
Daß die Regierungskoalition vor allem auf den Schutz, auf die Grundrechte des Bürgers, auch auf den Datenschutz des Bürgers abgehoben hat, ist, glaube ich, wohlbegründet. Denn wenn das Lamm schon geschoren wird, so hat es das Lamm nicht gerne, wenn die Schere bis auf die Haut kommt. Das müssen wir bei unserem Steuervollzug mit bedenken.
Meine Damen und Herren, wir haben steuerliche Verbesserungen für die Landwirtschaft, vor allem für die Kleinbetriebe in der Landwirtschaft, hier hereingebracht. Der Grund dafür ist, dem tiefgehenden Wandel der Landwirtschaft auch mit diesen Hilfsmaßnahmen für eine begrenzte Zeit Rechnung zu tragen. Denn infolge der abenteuerlichen europäischen Überschußlage sind die Schwierigkeiten - dies sind krisenhafte Jahre - enorm angestiegen. Es bestätigt sich hier wieder einmal die Feststellung des Sachverständigenrates: „Subventionen sind Kinder der Krise." Für mache Beteiligte wird es in den nächsten Jahren einen tiefgebenden, bedrückenden Wandlungsprozeß geben. Deswegen haben wir Befristungen vorgenommen. Ich wäre dankbar, wenn wir diese Befristungen sehr ernst nehmen würden. Vor allem ist die Schuldentilgung, die wir einführen, steuersystematisch eine problematische Sache. Das kann nur für eine Übergangszeit vertreten werden. Damit muß Ende 1988 Schluß sein. Ich bitte alle Beteiligten, gerade auch die Landwirtschaft, dieses Angebot zu nutzen, um den Wandel in den nächsten drei Jahren zu fördern, um von dieser Seite her strukturell gleichsam Luft zu kriegen.
({3})
Es kann auf die Dauer nicht gutgehen, Schulden statt Steuern zu zahlen. So etwas kann man nur als begrenzte Hilfe für einen begrenzten Zeitraum machen.
Nun, meine Damen und Herren, ein paar Bemerkungen zu dem Entschließungsantrag der SPD zur Besteuerung der Kapitalerträge. Wir haben die Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofes für das Jahr 1983, worin beanstandet wird, daß die Erbschaftsteuerstellen der Finanzämter die an sich bestehenden Anordnungen nicht überall so befolgt haben, wie es notwendig wäre. Denn der Erbfall ist der Punkt, wo man in der Regel, gleichsam wie in einem Flaschenhals, die Tatsachen voll erfahren kann. Inzwischen sind durch die Landesfinanzverwaltungen, die hier die unmittelbare Verantwortung haben, bei der Erbschaftsteuer ganz besonders, weil sie eine Landessteuer ist, Vorkehrungen getroffen worden, daß das künftig so gehandhabt wird, wie es nach den Vorschriften an sich immer vorgesehen war, so daß dieser Punkt, glaube ich, in den nächsten Jahren bereinigt wird.
Was das darüber hinausgehende anlangt, möchte ich die SPD bitten, doch zu bedenken, daß das ein sehr schwieriges Feld ist. Natürlich begrüße ich das. Sie kennen den Vorschlag, den ich seit langem mache, den Sparer-Freibetag kräftig anzuheben. Ich sage seit Jahren, daß es in diese Richtung gehen sollte. Aber auch Sie haben im Grunde das Anliegen, das in das Vorhaben der nächsten Periode einzubinden, die Unternehmensbesteuerung insgesamt zu erleichtern. Denn auch Sie sagen immer: Wir wollen nicht zusätzliche Anreize schaffen, daß die Leute Finanzanlagen wählen, sondern wir wollen vor allem, daß die Leute risikohaft investieren. Wenn Sie hier isoliert etwas tun und nicht zugleich die Unternehmensbesteuerung insgesamt anpakken, wäre das ein Vorgriff, der die Balance des Gesamtvorhabens stören könnte. Deswegen muß das in das Vorhaben der nächsten Legislaturperiode eingebunden werden.
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Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spöri?
Bitte sehr.
Bitte schön, Herr Spöri.
Herr Staatssekretär Häfele, ausgehend von der Prämisse, - auch unserer Prämisse -, daß die Erfassung der Zinseinkünfte per Saldo nicht zu einer Höherbelastung des Bürgers führen sollte und eventuelle Mehreinnahmen für eine Verbesserung der Struktur unseres Steuersystems eingesetzt werden sollten, frage ich Sie, ob Sie mit Ihren Ausführungen die Ankündigung machen wollen, daß die Bundesregierung endlich für die Kleinsparer mehr Klarheit in dieser Grauzone schaffen und im Rahmen Ihrer Pläne die Sparfreibeträge massiv erhöhen wird.
Herr Kollege Spöri, ich habe es Ihnen schon gesagt: Ich bin der SPD ausgesprochen dankbar, daß sie meinen persönlichen Vorschlag übernommen hat. Es ist völlig klar, in welche Zielrichtung wir in der nächsten Legislaturperiode in dieser Sache gehen werden.
Bloß im Hinblick auf den zweiten Teil Ihres Antrages, den zu den Kontrollmitteilungen, möchte ich sie noch mehr warnen. Sie haben eine Diskussion zum Thema Sparbuchsteuer geführt. Die ist Ihnen nicht gut bekommen. Wir haben das österreichische Erlebnis. Lassen Sie sich einmal informieren, wie das gewirkt hat. Übrigens, auch bei Ihrer Diskussion der Sparbuchsteuer gibt es nachweisbare Wirkungen. Lassen Sie sich einmal von Fachleuten berichten. - Ich warne Sie dringend, hier eine Diskussion genereller Art um Kontrollmitteilungen zu beginnen. Sie werden genau das Gegenteil dessen bewirken, was wir wollen. Wir wollen doch nicht, daß die Zinsen steigen. Wir wollen doch keine Kapitalflucht, sondern diese Probleme müssen doch im Zusammenhang mit einer organischen Senkung der Steuerlast für die Unternehmen, für die Bürger gelöst werden. Da ist der Gedanke mit der Freibetragsanhebung ein Gedanke, den wir offensichtlich gemeinsam haben.
({0})
- Mir geht es nur um die Zeit. Wir haben doch versprochen, daß wir möglichst kurz reden. Gerne würde ich mich mit Ihnen unterhalten. - Aber bitte, ganz kurz.
Herr Kollege Häfele, gehen nicht auch Sie davon aus, daß es, wenn es unser gemeinsamer Wille ist, daß die Inhaber von Sparbüchern mit kleinen Guthaben, die Oma, der Rentner, durch eine massive Erhöhung der Sparerfreibeträge außenvor bleiben sollen, gar nicht möglich ist, die Diskussion über eine Sparbuchsteuer zu führen, weil unter dieser Prämisse diese Leute gar nicht erfaßt würden, und es nur möglich wäre, diese boshafte Diskussion zu führen, wenn sie von Ihrer Seite aus angezettelt würde?
Herr Kollege Spöri, ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie von dem großen Irrtum Abstand genommen haben, den Sie 1982 mit der Diskussion über die Sparbuchsteuer begangen haben, und sich unseren Vorstellungen anschließen, daß die kleinen Sparer freigestellt werden müssen. Das ist ein Fortschritt. Vielleicht können wir dann in der nächsten Periode hier etwas Gemeinsames machen.
Herr Staatssekretär, nun bittet der Herr Gattermann um das Wort zu einer Zwischenfrage.
Nun muß ich auch dem Kollegen Gattermann die Chance zu einer Frage geben.
Herr Staatssekretär Häfele, ich will es ganz kurz machen. Ich verkenne nicht den Charme eines Vorschlages, einen massiven Sparerfreibetrag einzuführen, aber sehen Sie nicht verfassungsrechtliche Probleme darin, 6 000 DM Arbeitseinkommen der Steuer zu unterwerfen und 6 000 DM leistungsfreies, werbungskostenfreies, sonderausgabenfreies Kapitaleinkommen steuerfrei zu stellen?
Ich glaube nicht, daß es ein verfassungsrechtliches Problem ist. Aber alles ist inzwischen in Deutschland ein verfassungsrechtliches Problem. Es kommt auf den Zusammenhang an, in den wir das Ganze hineinstellen. Deswegen muß es in die Steuerreform eingebunden werden. Natürlich hat der Staat das Recht, zu sagen: Sparen ist insgesamt etwas Gutes, und es ist auch volkswirtschaftlich erwünscht. Deshalb wollen wir einen besonderen Sparer-Freibetrag gewähren. - Ich
glaube nicht, daß dies auf verfassungsrechtliche Probleme stößt.
({0})
Wir werden darüber in aller Ruhe diskutieren müssen.
({1})
Es gibt noch einen Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Es tut mir leid! Ich war im Entgegenkommen vielleicht sogar zu großzügig. Im Interesse der Kollegen, die zum Abschluß dieses Tagesordnungspunktes kommen möchten, möchte ich keine weitere Zwischenfrage zulassen.
Nun noch ein paar Bemerkungen zur Gemeinnützigkeit. Der Finanzausschuß hat zwei besonders drängenden Anliegen Rechnung getragen. Ein Anliegen kam von seiten des Bundesrates. Die Bundesregierung hatte zugesagt, diesem Anliegen Rechnung zu tragen. Wir begrüßen es, daß dies nun geschieht. Es geht darum, daß die gemeinnützigen Körperschaften künftig 25 % der Überschüsse aus Vermögensverwaltung einer zweckfreien Rücklage zuführen können. Außerdem geht es um das drängendste Problem, das die Amateursportvereine im Augenblick haben. Viele Amateursportvereine sind in eine schwierige Lage gekommen, weil sie im Rahmen ihres Vereins gelegentlich auch bezahlten Sport ausgeübt haben. Dadurch ist eine Grauzone entstanden. Die schwierige Lage, die sich ergeben hat, wird dadurch beseitigt, daß jetzt eine saubere Trennung stattfindet. Die Amateursportvereine verlieren ihren Gemeinnützigkeitsstatus nicht, und der Bereich des bezahlten Sports bei Amateursportvereinen erfährt eine getrennte Behandlung.
Alle übrigen Gemeinnützigkeitsfragen werden Gegenstand der Beratungen der Gemeinnützigkeitskommission sein, die der Bundesminister der Finanzen berufen hat. Die acht Mitglieder sind inzwischen berufen. Ich werde morgen die Eröffnungssitzung dieser Kommission leiten, die den Auftrag hat, möglichst bis Ende dieser Legislaturperiode alle einschlägigen Fragen zu behandeln und dabei auch die schwebenden Anträge einzubeziehen. Das bedeutet den Versuch, eine Linie in das Gemeinnützigkeitsrecht hineinzubringen, von dem wir alle wissen, daß es nicht mehr stimmig ist. Es gibt in diesem Recht Dinge, die nicht zusammenpassen. Zugleich gibt es aber auch das Bemühen, die Tätigkeit und das segensreiche Wirken der Vereine und ehrenamtlichen Helfer anzuerkennen. Ebenso wird es darum gehen, Wettbewerbsfairneß gegenüber den mittelständischen Betrieben, die oft im Nachteil sind, herzustellen. Das ist die Kernfrage der ganzen Sache. Deswegen bitte ich um Verständnis dafür, daß wir für Pflanzen- und Kleintierzüchter, so sehr sympathisch wir sie auch finden, jetzt natürlich nicht eine Vorentscheidung treffen können. Wir wollen uns erst, wie gesagt, um eine einheitliche Linie bemühen. Wir haben die gleiche Meinung. Lesen Sie bitte das Protokoll des Deutschen Bundestages vom 23. April 1980 nach. Damals haben die Vertreter der SPD/FDP-Koalition den gleichen Antrag des Bundesrates abgelehnt. Es hieß, daß sonst eine Linie überschritten würde, um im Bereich der Gemeinnützigkeit überhaupt noch sinnvoll Abgrenzungen zu finden. Lesen Sie bitte die Ausführungen Ihrer Kollegen von damals nach.
({0})
- Herr Kollege Kühbacher hat ja eine eigene Meinung. Auch die SPD- und die FDP-Fraktion haben sicher eine eigene Meinung gehabt.
({1})
- Herr Spöri, tun Sie nicht so! Bleiben Sie bei Ihrer Linie. Diese Linie war damals seriös. Veranstalten Sie jetzt nicht ein Schaugefecht. Das glaubt Ihnen niemand. Die Bürger sind viel kritischer als sie glauben.
Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich allen Mitgliedern des Finanzausschusses für eine große Leistung nochmals herzlichen Dank sagen. Ich bedanke mich jetzt auch schon beim Bundesrat, der das Gesetz heute nachmittag im Finanzausschuß behandeln will und der die Bereitschaft erklärt hat, es in der nächsten Woche in der Plenarsitzung insgesamt zu verabschieden, so daß es in diesem Jahr noch im Gesetzblatt veröffentlicht werden kann. Es muß ja noch 1985 im Gesetzblatt veröffentlicht werden.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Poß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Häfele, zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß wir auch bei der Diskussion im Jahre 1982/83 erhöhte Sparerfreibeträge vorgeschlagen haben.
({0})
Ihnen ist es mit Ihren Hilfstruppen - mit der „Bild"-Zeitung und wie sonst alle heißen - aber gelungen, die kleinen Leute sozusagen verrückt zu machen. Es war ein großer demagogischer Erfolg, den Sie erzielen konnten. Sie sollten darauf nicht stolz sein.
({1})
Deswegen haben Sie jetzt auch die Schwierigkeiten, von diesem Roß herunterzukommen.
Zur Vorgeschichte des heute hier auch zu beratenden Investitionszulagengesetzes gehören die Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz, die Beschlüsse des Planungsausschusses für die regionale Wirtschaftsförderung. Hier sind Empfehlungen für das Investitionszulagengesetz formuliert worden. Auf zwei Punkte möchte ich kurz eingehen. Bei
dem ersten Punkt beziehe ich mich auf einen Hinweis, den ich schon in der ersten Lesung gegeben habe. Es geht um eine mittelstandspolitisch relevante Frage. Bestimmte Handwerksbetriebe, die im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe gefördert werden, sind in die steuerlich attraktive Zulagenförderung nicht hineingenommen worden. Es handelt sich hier um unterschiedliche Förderungsschwellen für die Handwerksbetriebe. Nur diejenigen, die überwiegend für einen überregionalen Absatz produzieren, sollen steuerliche Zulagen erhalten. Die Gemeinschaftsaufgabe sieht dagegen auch dann die Förderung vor, wenn die Betriebe dadurch in dieses quantitative Förderungskriterium der Produktion, „überwiegend für einen überregionalen Absatz", hineinwachsen können.
Wir bedauern auch im Interesse des Handwerks, Herr Schulhoff, daß bei den Investitionsförderungen für das Handwerk zwei verschiedene Fördergrenzen gezogen werden und dadurch Handwerker von der attraktiven steuerlichen Zulagenförderung ausgeschlossen werden. Das ist Ihre Praxis der Mittelstandsförderung, meine Damen und Herren.
({2})
Sie spitzen die Lippen und pfeifen nicht, wenn es darauf ankommt.
({3})
- Ich bin politischer Handwerker, und daher habe ich auch ein Herz für die Handwerker.
Der zweite Punkt, auf den ich noch einmal eingehen will, ist der um ein Vielfaches teurere besondere Fall der Subventionierung eines einzigen Großunternehmens. Da möchte ich dem Vertreter der GRÜNEN sagen, daß diese Geschichte von mir in der letzten Woche deutlich dargestellt wurde. Ich habe in der ersten Lesung auf die Problematik Wackersdorf hingewiesen, und deswegen weisen wir auch Ihre Feststellung gestern in der Aktuellen Stunde, die SPD würde da mitmachen, entschieden zurück.
({4})
Wir haben im Finanzausschuß dagegen gestimmt, und wir lassen diese Verdrehung der Tatsachen, Herr Müller, nicht zu. Das politisch Interessante an dem Zulagengesetz ist die Geschichte der Lex Wakkersdorf.
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0}) zu?
Wenn es mir nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Da habe ich meine Probleme; wir sind schon zwanzig Minuten über die Zeit.
Dann, Herr Müller, muß es bei der Feststellung bleiben, die auch zutreffend ist.
({0})
Es ist, meine Damen und Herren, die Geschichte vom erneuten Kniefall des so aufrechten Bundesfinanzministers Stoltenberg vor dem bayerischen Löwen, dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß. In der Regierungsvorlage war und ist die Kumulierung von Regional- und Forschungszulagen vorgesehen. Das haben wir begrüßt. Wir haben auch begrüßt, daß die Förderung stärker an der Zahl der zu schaffenden Arbeitsplätze ausgerichtet werden soll, so daß die Förderung extrem kapitalintensiver Investitionsvorhaben ausgeschlossen wird. Dieser Ausschluß von Regionalzulagen sollte nach der Regierungsvorlage für alle Unternehmen gelten, die vor der dritten Lesung dieses Gesetzes noch nicht mit dem Bau begonnen hatten. Hier aber begann aus der Novelle des Investitionszulagengesetzes schnell und plötzlich eine Lex Wackersdorf zu werden. Da kam nämlich der Antrag von Bayern im Bundesrat, daß der Bauantrag entscheidend sein soll. Es gab andere Länderanträge, wie von Hamburg, Wiederaufarbeitungsanlagen aus der Förderung auszuschließen. Die Bundesregierung hatte sich zunächst offengehalten, und dann hatte sie gesagt: Wir stimmen dem Bundesratsantrag zu.
Nun müssen wir uns die Größenordnung anschauen, meine Damen und Herren. Es geht um einen Investitionsaufwand von 8 Milliarden DM, pro Arbeitsplatz in Wackersdorf 3,7 Millionen DM. Falls die sonstigen rechtlichen Voraussetzungen erfüllt werden, würde dieses Investitionsvolumen durch die Regionalzulagen gefördert werden. Das sind 600 bis 800 Millionen DM für ein einziges Unternehmen.
({1})
Ob Wackersdorf jetzt schon einen Bauantrag eingereicht hat oder ob die Rodung heute den Baubeginn darstellt, wird sich zeigen. Es zeigt sich aber auch - das hat Herr Müller schon ausgeführt -, daß die Vorteile der Aufhebung des Kumulationsverbots auch in Anspruch genommen werden. Das sind maximal noch einmal 600 Millionen DM.
Jetzt wird es interessant, wie der Finanzbeamte im bayerischen Finanzamt wohl entscheiden wird, wenn ihm der Antrag vorgelegt wird. Was sind denn jetzt Bestandteile von Forschung und Entwicklung? Ist es das Mauerwerk, das gerade errichtet wird? Natürlich sind die Beamten im vollen Bewußtsein der Intention der bayerischen Landesregierung, was die landespolitische Bedeutung und Förderung von Wackersdorf angeht. Nach dem, was wir bisher mit Wackersdorf erlebt haben, müssen wir mit allem und vor allem auch mit einem großzügigen Bundesfinanzminister rechnen, der bei Herrn Strauß schon für die Privatflieger in die Knie gegangen ist.
({2})
Er war sich nicht zu schade, eine solche Großzügigkeit mit Steuergeldern dann auch noch mit dem Alibi der Verwaltungsvereinfachung zu bemänteln.
({3})
Das ist ein neues Stoltenbergsches Strickmuster. Wieviel Arbeit ersparen wir den Finanzämtern, wenn wir die Reichen nicht mehr besteuern müssen, Herr Stoltenberg?
({4})
Das veranlaßt mich zu der Schlußbemerkung: Jedesmal, wenn der Bundesfinanzminister in Zukunft von Steuervereinfachung spricht, werden wir - nach den letzten Erfahrungen mit der Straußschen Affäre - erst einmal nach der Subventionsklientel suchen müssen.
({5})
Ebenso wie die 20 Milliarden DM Steuersubvention für die umsatzstarken Landwirte bestätigen die auch von mir genannten Beispiele - siehe Wakkersdorf - eine Feststellung: Es gibt für den Bundesfinanzminister immer nur zwei Anlässe für ein besonderes Engagement, einmal wenn es um Streichungen bei den Kleinen geht und zum anderen, wenn es um Steuergeschenke für die Großen geht.
({6})
Das ist das unverkennbare Markenzeichen dieses Bundesfinanzministers und das Kennzeichen der Steuerpolitik dieser Koalition.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mertens ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einige Bemerkungen zu zwei Einzelkomplexen machen, und zwar einmal zur Gemeinnützigkeit von Pflanzen- und Kleintierzuchtvereinen, zum zweiten zum Bereich der steuerlichen Erleichterungen für den Amateursport.
Der Bundesrat hat im Jahre 1984 mit den Stimmen aller unionsgeführten Länder einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Gemeinnützigkeit von Pflanzen- und Kleintierzuchtvereinen vorsieht. Die Mehrheitsfraktionen haben damals im Finanzausschuß des Bundestages eine Vertagung bis zur Beratung des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 durchgesetzt. Folgerichtig hat die SPD-Fraktion jetzt erneut einen Antrag in dieser Sache zum Steuerbereinigungsgesetz 1986 gestellt. Wiederum aber ist unser Antrag von der CDU/CSU und von der FDP mit der Begründung abgelehnt worden, jetzt solle eine Kommission eingesetzt werden, die den gesamten Komplex der Gemeinnützigkeit untersuchen werde. Dies bedeutet ein Verschieben auf die nächste Legislaturperiode. Wir widersprechen dieser zögerlichen Haltung ganz entschieden, ja, wir befürchten, daß die Frage der Gemeinnützigkeit für Pflanzen-und Kleintierzüchter auf den Sankt-NimmerleinsTag verschoben wird, um sie dann möglicherweise unauffällig „sterben" zu lassen.
({0})
Meine Damen und Herren, die Frage der Gemeinnützigkeit ist für Pflanzen- und Kleintierzüchter ein außerordentlich wichtiges Thema. Jeder weiß, daß diese Vereine finanziell weiß Gott nicht auf Rosen gebettet sind. Sie sind auf Spenden angewiesen, und nennenswerte Spenden werden nur dann fließen, wenn die Vereine den Status der Gemeinnützigkeit haben. Ein Mäzen, der seinem Golfclub 10 000 DM spendet, kann diesen Betrag beim Finanzamt steuerlich geltend machen und mehrere tausend DM Steuern sparen.
({1})
Würde er den gleichen Betrag einem Tauben- oder Geflügelzuchtverein geben, dann müßte er diese Wohltat voll versteuern. Die Gnade der Gemeinnützigkeit wird also sehr willkürlich gewährt. Die Tennishalle der Reichen wird gefördert, das Freizeitvergnügen des kleinen Mannes im Ruhrgebiet dagegen nicht.
({2})
Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, daß z. B. die Tauben, die Rennpferde des kleinen Mannes in der Region, aus der ich komme - das ist das Ruhrgebiet -, in der sozialen Bewertung unter den Golfsport und unter den Pferderennsport gestellt werden.
({3})
Die Pferderennvereine aber sind bekanntlich seit dem Jahre 1982 als gemeinnützig anerkannt, obwohl sie im wesentlichen kommerziellen Interessen dienen und nachgehen. Nach unserer Auffassung kann und darf den Kleintierzüchtern heute nicht versagt werden, was den Pferderennvereinen gewährt wird.
Meine Damen und Herren, die Pflanzen- und die Kleintierzüchter erwarten keine großen Zuschüsse, sie verlangen keine teuren Sportplätze, Geld ist für sie nicht das A und O, aber sie erwarten, daß ihre verdienstvolle Beschäftigung mit der Natur auch öffentlich anerkannt wird. Die Auswirkungen auf den Haushalt sind im übrigen unbedeutend. Die jährlichen Steuermindereinnahmen liegen unter einer Million DM.
Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Bundesratsentwurf argumentiert, Kleintierzucht sei lediglich ein privates Hobby und habe keinen allgemeinen Nutzen. Dem widerspreche ich allerdings entschieden. Die züchterische Arbeit der Kleintierzuchtvereine dient auch der Erhaltung wichtiger Genfaktoren und damit auch einer Verbesserung und Neuzüchtung leistungsfähiger Wirtschaftsrassen. Diese Bestrebungen dienen daher in besonderem Maße höherwertigen Zielen der Allgemeinheit. Hinzu kommt, daß in Kaninchen-, Tauben- und Geflügelzuchtvereinen vielen Jugendlichen eine Möglichkeit gegeben wird, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten, und daß das Halten und das Betreuen von Kleintieren, insbesondere in den Großstädten, für viele Mitbürger eine unersetzliche Begegnung mit der lebenden Umwelt ist. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, zeigen Sie ein Herz für Tiere, zumindest aber für
Dr. Mertens ({4})
deren Züchter, und stimmen Sie heute unserem Antrag zu!
({5})
Nun noch wenige Worte zum Bereich des Sports und zu der Tatsache, daß Sie, meine Damen und Herren von der Union und von der FDP, erneut steuerliche Erleichterungen für den Amateursport verweigert haben. Bei der Beratung des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 hätte die Möglichkeit bestanden, dem Wunsch des Deutschen Sportbundes zu entsprechen, die Erhöhung der sogenannten pauschalen Aufwandsentschädigung unter Beibehaltung der Gemeinnützigkeit der Vereine vorzunehmen. Unser Antrag im Finanzausschuß wurde von der Ausschußmehrheit leider abgelehnt. Wir halten dies für einen Vertrauensbruch gegenüber den rund 60 000 Sportvereinen und gegenüber dem Deutschen Sportbund. Die Koalitionsfraktionen sowie Vertreter der Bundesregierung hatten eine Erhöhung der pauschalen Aufwandsentschädigung gegenüber dem Deutschen Sportbund zugesagt. Im Sinne einer vertrauensvollen Partnerschaft zwischen Sport und Staat hätte diese Zusage nun auch erfüllt werden müssen.
Die Bundesregierung hätte jetzt auch die Chance gehabt, ihre weitere Zusage hinsichtlich der Erhöhung der steuerfreien Übungs- und Jugendleiterpauschale von 2 400 auf 3 600 DM jährlich einzulösen. Diese für die Vereine wichtige Frage ist von Ihnen, meine Damen und Herren von der Union und von der FDP, überhaupt nicht aufgegriffen worden, und ein entsprechender Antrag von uns wurde von Ihrer Mehrheit im Finanzausschuß abgelehnt. Wir halten diese Einstellung gegenüber den Amateursportvereinen für außerordentlich bedauerlich und werden das in den Vereinen auch entsprechend deutlich machen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Es liegen aber zur Geschäftsordnung noch zwei Wortmeldungen vor. Zuerst hat der Abgeordnete Dr. Müller ({0}) zu einem inhaltlich schon begründeten Antrag das Wort; Herr Dr. Müller, Sie können es also hoffentlich kurz machen.
Ja, selbstverständlich! - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte so kurz wie möglich noch einmal darauf hinweisen, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Wir haben in der ersten Lesung den Beschluß gefaßt, daß einzig und allein der Finanzausschuß das Steuerbereinigungsgesetz, in diesem Zusammenhang insbesondere das Investitionszulagengesetz, behandelt. Nach § 96 der Geschäftsordnung muß etwas, was finanzwirksam ist, im Haushaltsausschuß behandelt werden. Das Investitionszulagengesetz ist ausgaben- und finanzwirksam; das wird keiner bestreiten. Wenn das so ist, wir aber im Haushaltsausschuß eine Beratung nicht vorgenommen haben, können wir das Gesetz so nicht beschließen.
Sollten Sie jetzt so argumentieren, daß j a in dem gesamten Paket „Steuerbereinigungsgesetz" das Investitionszulagengesetz enthalten ist, ist der rechtliche Tatbestand eingetreten, daß der Haushaltsausschuß etwas beraten hat, was ihm nicht überwiesen worden ist. Das kann nicht sein.
Meine Damen und Herren, nur eines von beiden ist möglich, und das ist das Problem. Aus diesem Problem kommen wir nur heraus, wenn wir das nach § 96 formell richtige Verfahren wählen, nämlich daß - wie es sich bei einem solchen Gesetz gehört - der Haushaltsausschuß berät. Ich gehe also davon aus: Wenn Sie ein formell korrektes Verfahren wollen, müssen Sie einer Rücküberweisung dieses Teils des Steuerbereinigungsgesetzes an den Haushaltsausschuß zustimmen.
({0})
- Meine Fraktion ist natürlich in Wackersdorf, wie es sich gehört. Ich bin als einziger hiergeblieben, um auf diese Weise klarzumachen, daß wir selbstverständlich unseren parlamentarischen Pflichten nachkommen. Daß Sie nicht in Wackersdorf, sondern hier sind, kann ich mir ja gut vorstellen; aber das ist nun wahrlich kein Argument.
Herr Dr. Müller, Sie müssen bei der Geschäftsordnung bleiben!
Entschuldigen Sie, ich war durch den Zwischenruf leicht irritiert.
Um bei der Frage der Geschäftsordnung zu bleiben: Was wäre denn die Folge, wenn wir hier dieses Gesetz beschließen würden? Wir hätten dann ein Gesetz, das in einem formell nicht korrekten Verfahren durch den Bundestag gelaufen ist. Sie wissen, daß sich solche Gesetze nicht halten lassen. Deswegen scheint mir der einzige Ausweg der zu sein, daß Sie, meine Damen und Herren, unserem Antrag auf Rücküberweisung an den Haushaltsausschuß zustimmen.
Danke schön.
Zu demselben Thema hat zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Esters das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Müller, das Steuerbereinigungsgesetz ist sehr wohl dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und nach § 96 überwiesen worden. Nicht überwiesen worden ist dem Haushaltsausschuß das Investitionszulagengesetz.
({0})
Der Finanzausschuß hat nun in das Steuerbereinigungsgesetz Änderungen eingebaut, u. a. Teile aus dem Investitionszulagengesetz, und hat seine Beschlußempfehlung an das Plenum vorher dem Haushaltsausschuß zugeleitet. Auf dieser Basis der
Fassung des Finanzausschusses hat der Haushaltsausschuß sein Votum nach § 96 der Geschäftsordnung abgegeben und die Übereinstimmung mit der Haushaltslage festgestellt.
Wir haben diese Punkte gestern alle ausführlich beraten. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, war allerdings bei den Punkten 7, 8 und 9 kein Mitglied der Fraktion DIE GRÜNEN im Haushaltsausschuß anwesend.
({1})
Meine Damen und Herren, die Ansicht des Präsidenten zur Behandlung dieses Themas ist, daß es mir zwar unverständlich ist, warum der Investitionshilfegesetzentwurf nicht an den Haushaltsausschuß ging. Das kann ich jetzt nicht prüfen. Das ist aber eindeutig dadurch geheilt, daß er im Haushaltsausschuß ordnungsgemäß, wie aus der Vorlage ersichtlich, die uns vorliegt, behandelt worden ist.
Um aber überhaupt keinen Fehler zu machen, schlage ich vor, wir stimmen über den Geschäftsordnungsantrag ab.
Der Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Müller ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN zielt darauf ab, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes auf Drucksache 10/4297 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer diesem Vorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Antrag mit einer Stimme dafür von einer großen Mehrheit abgelehnt worden.
Wir kommen nun zu einer Fülle von Einzelabstimmungen und Einzelberatungen zum Tagesordnungspunkt 2. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, die Herren Geschäftsführer haben Unterlagen, die ihnen helfen, das schnell abwickeln zu können.
Der Finanzausschuß empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4498 unter Nr. 1, den zweiten Teil des Gesetzentwurfs auf Drucksache 10/1636 und einen ersten Teil des Gesetzentwurfs auf Drucksache 10/3426 mit den Gesetzentwürfen auf den Drucksachen 10/3663, 10/ 4119, 10/4297, 10/3295, 10/3296, 10/304 und 10/4235 zu verbinden und mit der Überschrift „Steuerbereinigungsgesetz 1986" in der Ausschußfassung anzunehmen sowie die übrigen Teile der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/1636 und 10/3426 einer späteren Beschlußfassung vorzubehalten. Es geht jetzt nur um das Verfahren. Erhebt sich gegen dieses Verfahren Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zu den Änderungsanträgen der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4522 bis 10/4524. Ich schlage vor, daß wir über diese Änderungsanträge vor Aufruf der Einzelvorschriften abstimmen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann wird so verfahren.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4522 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungantrag auf Drucksache 10/4523 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung wurde dieser Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4524 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Einzelvorschriften. Die Fraktion der SPD verlangt hierzu getrennte Abstimmung.
Ich rufe Art. 1 Nr. 10 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 14 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 28 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Wer den restlichen Vorschriften des Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung sind die Vorschriften angenommen.
Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Art. 3 bis 6 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung sind die Vorschriften angenommen.
Ich rufe Art. 7 Nr. 22 c in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Wer den restlichen Vorschriften des Art. 7 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung sind diese Vorschriften angenommen.
Ich rufe die Art. 8 bis 10 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe Art. 11 Nr. 1 Buchstabe b in der Ausschußfassung auf. - Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 11 Nr. 6 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Wer den restlichen Vorschriften des Art. 11 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen?
- Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung sind diese Vorschriften in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 12 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist diese Vorschrift angenommen.
Ich rufe Art. 13 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Art. 14 bis 16 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Ich rufe Art. 17 Nr. 9 Buchstabe b in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Wer den restlichen Vorschriften des Art. 17 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen?
- Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung sind diese Vorschriften angenommen.
Ich rufe die Art. 18 bis 25, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung sind diese Vorschriften angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit gegen eine Stimme bei Enthaltung der Fraktion der SPD angenommen worden.
Wir haben noch über eine Beschlußempfehlung des Finanzausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4498 unter
Nr. 2 a bis 2 c die Annahme von Entschließungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Entschließungen sind mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4525. Hier ist beantragt, den Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? ({1})
- Wie verhält sich der Antragsteller, die SPD-Fraktion, dazu? Sie kann verlangen, daß es überwiesen wird. Dann hat sie das Vorrecht.
({2})
- Also gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann wird an die genannten Ausschüsse überwiesen. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Dann rufe ich den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 10/4552 auf. Es ist beantragt, diesen Antrag an den Finanzausschuß zu überweisen.
({3})
- Besteht darüber Einverständnis? Dann bitte ich diejenigen, die dem Entschließungsantrag auf Drucksache 10/4552 zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei einer Enthaltung mit Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, nun treten wir eine Dreiviertelstunde nach Plan in die Mittagspause ein. Sie sind sicher damit einverstanden, daß ich zur Fortsetzung der Beratungen die Sitzung für 14.30 Uhr neu einberufe.
Ich unterbreche die Sitzung.
({4})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren mit Punkt 1 der Tagesordnung fort: Fragestunde
- Drucksache 10/4496 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 18 der Frau Abgeordneten Borgmann auf. - Sie ist nicht da. Dann wird diese Frage nicht beantwortet. Dasselbe gilt für die Frage 19 der Abgeordneten Frau Borgmann.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Vizepräsident Frau Renger
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des polnischen Staatspräsidenten General Jaruzelski: „Wir haben alle unsere Vereinbarungen zur Familienzusammenführung erfüllt, sogar übererfüllt" ({0}), und was gedenkt sie zu tun?
Herr Kollege, die Bundesregierung geht von einer fortbestehenden Verpflichtung der Volksrepublik Polen auf dem Gebiet der Aussiedlung und Familienzusammenführung aus. Das in Verbindung mit dem Abkommen über die Renten- und Unfallversicherung, der Vereinbarung über die pauschale Abgeltung von Rentenansprüchen und dem Abkommen über die Gewährung eines Finanzkredits zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik Polen gezeichnete Ausreiseprotokoll vom 9. Oktober 1975 enthält eine „Offenhalteklausel". Diese bestimmt, daß für diejenigen Personen, die außerhalb der im Ausreiseprotokoll festgelegten Zahl von Ausreisen in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen wollen, die im Zusammenhang mit dem Warschauer Vertrag gegebene „Information" der polnischen Regierung gegenüber der Bundesregierung vom Dezember 1970 ihre Gültigkeit behält.
Mit der Offenhalteklausel wird den unter die Kriterien der „Information" fallenden Personen ein Recht nicht nur auf Antragstellung, sondern auch auf Ausreise eingeräumt.
Verpflichtungen ergeben sich für die Volksrepublik Polen auch aus dem Menschenrecht der Ausreisefreiheit in Art. 12 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, zudem in Angelegenheiten der Familienzusammenführung aus Korb III der KSZE-Schlußakte.
Von einer Erfüllung der Vereinbarungen auf dem Gebiet der Aussiedlung und Familienzusammenführung wird erst gesprochen werden können, wenn alle Ausreisewünsche, die nach der „Information" berechtigt sind, erfüllt sind. Es besteht nach wie vor ein großer Ausreisedruck. Ende 1984 waren noch 136 170 Ausreisewünsche namentlich bekannt, mit Bekundungen vor 1980 weitere 143 932.
General Jaruzelski hatte am 7. Mai 1985 in einer Rede in Breslau erklärt, daß Polen alle internationalen Verpflichtungen auf dem Gebiet der „Zusammenführung der infolge des Krieges getrennt lebenden Familien mehr als erfüllt" habe. Die im „stern" zitierte Formulierung geht über diese Äußerung hinaus.
Die Bundesregierung wird - wie auch in der Vergangenheit - bei allen Gesprächen mit der polnischen Regierung auf ihren Standpunkt hinweisen.
Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, indem ich mich für die Richtigstellung dessen, was Jaruzelski gesagt hat, bedanke, stelle ich die Frage: Was hat nun die Bundesregierung auf Grund dieser falschen Darstellung durch den polnischen Staatspräsidenten in der Illustrierten „stern" ihrerseits über unsere Botschaft in Warschau getan?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat das gesamte Jahr 1985 zu einer Reihe von Interventionen genutzt und hierbei ihre Position dargelegt. Auch der Präsident des Bundesrates hat am 10. Juni 1985 in Warschau auf die Lage hingewiesen. Der Leiter unserer Delegation beim KSZE-Expertentreffen über Menschenrechte und Grundfreiheiten in Ottawa hat das am 10. Juni 1985 getan, ebenso der Bundesminister des Auswärtigen wiederholt in einer Reihe von Gesprächen und Begegnungen. Die Bundesregierung war in diesem Jahr auf vielfältigste Weise bemüht, unsere Position darzulegen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wie erklärt sich die Bundesregierung dann, daß der jetzige polnische Staatspräsident genau das wiederholt und sogar noch schärfer formuliert, was er in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident - Sie zitierten das schon - am 7. Mai in Breslau gesagt hat? Das erlaubt doch nur die Schlußfolgerung, daß auf polnischer Seite trotz unseres Vorstelligwerdens nichts geschehen ist und man bei den falschen Behauptungen bleibt.
Herr Kollege, bei der polnischen Regierung kann es keinen Zweifel an unserer Position geben, die j a wiederholt dargelegt worden ist.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich komme nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär Grüner steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Stahl ({0}) auf. - Er ist nicht anwesend. Die Frage wird nicht beantwortet. Dasselbe gilt für die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Stahl ({1}).
Die Fragen 41 und 42 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Gansel, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Roth auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung aus wettbewerbspolitischer Sicht die Fusion von Daimler-Benz mit AEG und die zur Zeit diskutierte Beteiligung von den Bayerischen Motoren-Werken an Messerschmitt-Bölkow-Blohm?
Herr Kollege, die Bundesregierung geht bei allen großen Zusammenschlüssen davon aus, daß zunächst eine kartellrechtliche Kontrolle durch das Bundeskartellamt stattfindet. Im Falle Daimler - AEG prüft das Amt bekanntlich derzeit noch, ob die beteiligten Unternehmen mit dem Zusammenschlußvorhaben marktbeherrschende Positionen aufbauen oder verstärken. Dieser kartellParl. Staatssekretär Grüner
rechtliche Ansatz, auf die Marktwirkungen einer Fusion abzustellen, entspricht nach wie vor unserer wettbewerbspolitischen Überzeugung.
Einen Fusionsfall BMW - MBB gibt es nicht. Daher kann ich mich zu dieser hypothetischen Frage auch nicht äußern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Herr Staatssekretär, teilen Sie unsere Auffassung, daß die derzeit laufenden Fusionen nachhaltige negative Rückwirkungen auf den Wettbewerb haben werden und daß insbesondere Banken tätig sind, um diese Fusionen in Gang zu setzen?
Herr Kollege, die nachhaltigen wettbewerbspolitischen Nachteile, die Sie unterstellen, sind j a Gegenstand des Prüfverfahrens des Bundeskartellamts. Das Bundeskartellamt hat nach dem von uns hier verabschiedeten Gesetz die Pflicht, derartige Nachteile dann, wenn es sie feststellt, auch zu einer Untersagung der Fusion zu nutzen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Teilen Sie die Auffassung des Präsidenten des Bundeskartellamts, die er in einem Gespräch mit der Presse oder jedenfalls presseöffentlich verbreitet hat, daß die derzeitigen Instrumente des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht ausreichen, um Fusionen wie beispielsweise diejenige von AEG und Daimler zu untersagen bzw. wettbewerbsrechtlich überhaupt zu überprüfen?
Es ist nicht so, daß der Präsident des Bundeskartellamts diese Auffassung vertreten hätte, sondern er hat dargelegt, wie die Rechtslage ist und daß wir uns im Deutschen Bundestag entschlossen haben, etwa eine Untersagung allein wegen der Größe nicht vorzunehmen. Daß damit natürlich Probleme verbunden sind, ist klar, und daß etwa das Tätigwerden von Banken bei Fusionsverhandlungen und bei der Einleitung von Fusionen unserer besonderen Aufmerksamkeit bedarf, ist ebenfalls richtig.
Der Deutsche Bundestag hat sich in voller Kenntnis dieser Problematik bei den kartellrechtlichen Novellierungen der Jahre 1973 und 1975 nicht dazu entschließen können, etwa hier gesetzliche Maßnahmen zu treffen, die Grundlage für ein Einschreiten des Kartellamts hätten sein können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jens.
Herr Staatssekretär, sind Sie seitens der Bundesregierung unter Umständen bereit, auf die Bayerische Staatsregierung, insbesondere auf den Ministerpräsidenten Strauß, einzuwirken, daß er von den Bemühungen seines Hauses, BMW mit MBB zu verschmelzen, endlich Abstand nimmt?
Herr Kollege, es gibt weder eine rechtliche Handhabe, noch gibt es andere Gründe, eine solche Intervention von seiten der Bundesregierung vorzunehmen. Wie Sie wissen, ist das Land Bayern an dem Unternehmen MBB beteiligt. Es hat insofern auch in seiner Eigentümerfunktion eine erhebliche Möglichkeit der Einflußnahme. Aber ich bin auch nicht bereit, einen solchen etwaigen Fusionsfall in irgendeiner Weise negativ zu kommentieren, wenn er einträte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, sieht denn die Bundesregierung zumindest den Sachverhalt so, daß bei solchen Fusionen an die Stelle von Marktentscheidungen innerbürokratische Entscheidungen von Großbürokratien treten?
Es ist richtig, Herr Kollege, daß sehr große Unternehmen in besonderer Weise Probleme aufwerfen wegen ihrer Marktmacht, aber auch wegen der ja häufig zu beobachtenden Schwierigkeiten, sehr große Unternehmenseinheiten erfolgreich zu leiten. Meine persönlichen Befürchtungen gehen am ehesten in diese Richtung. Auf der anderen Seite wissen wir j a, daß im internationalen Vergleich sehr große Unternehmen - weit größere Unternehmen als die, die bei uns zur Diskussion stehen - sehr erfolgreich am Markt arbeiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, sehen Sie denn angesichts der bevorstehenden möglichen Fusion von Daimler-Benz mit AEG - und möglicherweise anderen Unternehmen - überhaupt einen Handlungsbedarf der Bundesregierung?
Ich habe gerade auf die Frage von Herrn Kollegen Roth gesagt, daß wir auch angesichts dieser Fusion - AEG/DaimlerBenz -, die angestrebt wird, keine Veranlassung sehen, von seiten der Bundesregierung etwa andere Kriterien vorzuschlagen als solche, die dem Willen des Bundestages entsprechen, den er in der Vergangenheit mit der Formulierung des Kartellgesetzes zum Ausdruck gebracht hat. Wir halten das nach wir vor für richtig, sind selbstverständlich aber auch bereit, über die Frage zu diskutieren, ob es tatsächlich Anlaß geben könnte, von dieser Position abzugehen. Wir sehen dafür keine begründbaren, rechtsstaatlich einwandfreien und das wirtschaftliche Verhalten der Unternehmen nicht negativ beeinflussenden Grundlagen. So ist jedenfalls unser Standpunkt, der ja auch bei der Verabschiedung der Fusionskontrolle im Wirtschaftsausschuß und im Deutschen Bundestag geteilt wurde.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Roth auf:
Sieht die Bundesregierung angesichts der Fusionspläne in der Großwirtschaft die Notwendigkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden?
Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, auf Grund der zur Zeit diskutierten Fusionen und Fusionspläne eine Änderung des Kartellrechts vorzuschlagen.
Eine Zusatzfrage.
Sollten weitere derartige Fusionen erfolgen, die z. B. andeuten, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland in der Zukunft nur noch zwei Rüstungskonzerne haben, sieht auch dann die Bundesregierung keinen Anlaß, einzugreifen, das Kartellamt zu ermutigen oder gesetzgeberisch etwas zu tun?
Herr Kollege, ich möchte mich nicht mit hypothetischen Fragen auseinandersetzen. Aber meine Antwort ist, was die Fusionskontrolle anlangt, ja eindeutig und bezieht einen solchen Sachverhalt mit ein.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Darf ich dann die Meinung der Bundesregierung auf Grund der aktuellen Abläufe und der gesetzlichen Lage in die Kurzfassung bringen: Wettbewerbspolitisch ist in der Bundesrepublik, was Großfusionen anbetrifft, alles in Ordnung?
Herr Kollege, diese Schlußfolgerung wäre eine negative Bewertung. Die Bundesregierung steht vielmehr auf dem Standpunkt, den der Deutsche Bundestag bei der Formulierung der Fusionskontrolle mit großer Einmütigkeit eingenommen hat. Diese Position hält die Bundesregierung nach wie vor für richtig. Sie waren j a, wie ich mich erinnere, an der Verabschiedung dieses Kartellrechts beteiligt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, um eine Formulierung von Ihnen eben aufzugreifen: Sieht die Bundesregierung auch, daß ein Unternehmen um so erfolgreicher am Markt operieren kann, je mehr seiner Konkurrenten es geschluckt hat?
({0})
Grüner, Pari. Staatssekretär: Es ist ja gerade der Sinn des Wettbewerbsrechtes, darauf hinzuwirken, daß derartige, den Wettbewerb ausschließende Fusionen nicht stattfinden. Das ist das ausdrückliche Überprüfungsvorhaben, das auch zum Tätigwerden des Kartellamts im Fall AEG/Daimler-Benz führt. Ihre Unterstellung würde ja voraussetzen, daß derartige negative Wettbewerbsfolgen einträten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, wie vereinbart sich Ihre Äußerung, daß die Bundesregierung keine Korrektur des Verfahrens über die Fusionskontrolle vorhabe, mit der Äußerung des Bundeswirtschaftsministers Dr. Bangemann während der Haushaltsdebatte, der darauf aufmerksam gemacht hat, daß der Präsident des Bundeskartellamtes Schwierigkeiten habe, mit dem geltenden Recht derartige Konzentrationen, die den Wettbewerb insgesamt gefährden könnten, in Frage zu stellen, und erklärte, man müsse sehen, ob man in der nächsten Legislaturperiode eine derartige gesetzliche Änderung durchführen könne?
Herr Kollege, das erklärt sich so, daß ein Problem erkennen noch nicht heißt, eine Lösung für dieses Problem zu haben, und daß man über Lösungen und ihre Nachteile erst dann diskutieren kann, wenn ein konkretes Lösungsmodell vorgelegt ist. Das sehe ich bisher nicht.
Frau Däubler-Gmelin, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn Sie auf die Frage 43 des Kollegen Roth gesagt haben, Sie prüften, und jetzt antworten, Sie sehen keine Notwendigkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden, und das jetzt schon wüßten: Was prüfen Sie dann eigentlich?
Das ist ein Mißverständnis, Frau Kollegin. Ich habe gesagt, daß das Bundeskartellamt das Vorhaben eines Zusammenschlusses von AEG und Daimler-Benz prüft. Das ist seine Aufgabe.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 45 der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier auf:
Hat die Bundesregierung Einfluß genommen - und warum hat sie sich gegebenenfalls nicht durchsetzen können - damit anstatt der Übereignung der Friedrich-Flick-Industrieverwaltung an die Deutsche Bank ein Bankenkonsortium beauftragt wird, treuhänderisch den Verkauf des Vermögens von Herrn Dr. Flick an der Börse zu übernehmen?
Frau Kollegin, es ist Sache der Eigentümer, ob und wie sie Beteiligungsveräußerungen vornehmen. Die Bundesregierung hat daher keinen Einfluß darauf genommen, wer mit der Streuung der Anteile des Flick-Konzerns beauftragt wird.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sehen Sie es angesichts dieses Vorgangs im nachhinein nicht als nicht ausreichend an, daß bei der Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen Vorschriften über die Begrenzung des Anteilsbesitzes von Banken völlig draußen vor gelassen worden sind?
Ich erinnere mich sehr genau an die Diskussion über diese Frage und auf die ursprünglichen Vorstellungen. Auch hier hat sich der Deutsche Bundestag aus wohlerwogenen Gründen dazu entschlossen, eine solche Begrenzung nicht vorzunehmen. Ich meine, daß gerade die angekündigte breite Streuung der Aktien des Flick-Unternehmens einen Hinweis darauf gibt, mit welParl. Staatssekretär Grüner
chen Problemen wir konfrontiert wären, wenn durch eine Anteilsbegrenzung etwa eine solche Aktivität der Deutschen Bank untersagt worden wäre.
Keine weitere Zusatzfrage, Frau Matthäus-Maier? - Dann Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wenn eine breite Streuung schon das Ziel der Bundesregierung ist, wäre es dann nicht noch sinnvoller gewesen, durch mehr Banken breit zu streuen, weil dann schon das Streuen breiter gestreut wäre?
Herr Kollege, ich bin nicht der Meinung, daß es richtig wäre, im nachhinein auch noch darauf Einfluß nehmen zu wollen, wie eine sehr erfreuliche beabsichtigte breite Streuung vorgenommen wird. Warum wollen wir uns eigentlich nicht damit zufriedengeben, daß sich hier ein Vorgang vollziehen soll, der, wenn er sich so vollzieht, unser aller Zustimmung findet? Dann kommt es wohl nicht darauf an, welche Banken in diesem Zusammenhang eingeschaltet sind, ob es nur eine ist oder ob es mehrere sind.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Meine Frage zielt in dieselbe Richtung. Wäre es nicht logischer, glaubwürdiger, wenn die betroffene Bank, die diese Streuung vornimmt, das nicht in Eigenbesitz übernimmt, sondern die Streuung treuhänderisch vornimmt?
Herr Kollege, wir haben auf die Art, wie derartige Aktionen durchgeführt werden, in einer marktwirtschaftlichen Ordnung keinen Einfluß und wollen ihn auch nicht haben. Es lassen sich viele Modelle vorstellen. Aber ich finde, daß die angekündigte Absicht unsere Zustimmung verdient, wenn sie so verwirklicht wird, wie sie angekündigt ist.
({0})
Das ist für mich eigentlich das entscheidende Kriterium, nicht die Modalitäten der Durchführung.
Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung zu diesem Problemkreis eigentlich eine Meinung gebildet und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt?
Die Bundesregierung war nicht aufgefordert, sich eine Meinung zu bilden. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist das auch nicht ihre Aufgabe. Sie hat sich allerdings zu dem ihr dargelegten Vorhaben eine Meinung gebildet. Wenn dieses Vorhaben in der angekündigten Weise durchgeführt wird, ist das positiv zu beurteilen.
Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter.
Herr Staatssekretär, trifft die Information zu, daß die Deutsche Bank nur treuhänderisch handeln, aber keine oder kaum Anteile behalten will?
Das ist die Absicht der Deutschen Bank, wie sie sie angekündigt hat.
Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, wie stellt die Bundesregierung sicher, daß die Wertpapiere, die die Deutsche Bank durch die Übernahme der Flick-Kommanditgesellschaft auf Aktien demnächst halten wird, anschließend auch breit gestreut werden?
Herr Kollege, der Deutsche Bundestag hat der Bundesregierung keine rechtlichen Möglichkeiten eingeräumt, so etwas sicherzustellen. Frau Kollegin Matthäus-Maier hat gerade an die Diskussion über das Kreditwesengesetz erinnert. Aber den deutschen Banken ist bekannt, daß der Deutsche Bundestag mit besonders kritischer Aufmerksamkeit etwa den Anteilsbesitz der Banken verfolgt und daß es darüber eine politische Diskussion gibt. Die deutschen Banken haben daraus Konsequenzen gezogen, wie ich meine. Die Tatsache, daß hier eine breite Streuung beabsichtigt ist, ist auch ein Ausfluß der politischen Diskussion dieser Frage.
Abgeordneter Stahl, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Garantie gibt es denn, daß die Deutsche Bank den Verkauf tatsächlich sehr breit streut? Es besteht doch die Möglichkeit, daß es doch einige Großanleger gibt, die von der Deutschen Bank einen großen Teil des Aktienpaketes erwerben, und es dann auch in Zukunft nur zwei oder drei Besitzer geben wird. Was können Sie denn dagegen tun?
Dagegen würde lediglich das Kartellrecht helfen. Es ist durchaus möglich, daß in einem solchen Fall die beabsichtigten Fusionen durch das Kartellamt verhindert werden. Aber zunächst haben wir doch davon auszugehen, daß die Deutsche Bank angekündigt hat, eine solche breite Streuung vorzunehmen. Eine Garantie, daß es dazu tatsächlich kommt, ist im rechtlichen Sinne allerdings nicht gegeben. In einem solchen Falle gibt es nur die Möglichkeit des Einsatzes des Kartellrechts. Hier wäre dann das Bundeskartellamt am Zuge.
Zusatzfrage, Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, treffen Ihrer Meinung nach Schätzungen zu, die in der Öffentlichkeit geäußert werden, daß die Deutsche Bank allein aus diesem Geschäft etwa 300 Millionen DM Gewinn ziehen wird?
Nein, ich habe keine Ahnung, was der Gewinn der Deutschen Bank sein wird
({0})
- Nein, ich möchte die Frage schon beantworten. - Es ist sicher richtig, daß eine solche Transaktion auch mit einer entsprechenden Provision verbunden ist. Das ist im übrigen üblich.
Dr. Struck.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, innerhalb welcher Frist die Deutsche Bank nach Auffassung der Bundesregierung gegebenenfalls weiterveräußern sollte?
Die Deutsche Bank hat ein Interesse daran, diese Veräußerung möglichst rasch vorzunehmen, weil sie im Augenblick ein gutes Börsenklima für eine breite Streuung dieses Anteilsbesitzes sieht.
Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, wenn Herr Herrhausen von institutionellen Anlegern spricht, ist das schon die breite Streuung?
Herr Kollege, auch das kann tatsächlich eine breite Streuung bedeuten - kann.
({0})
Abgeordnter Dr. Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht die Auffassung, daß es schwierig sein wird, innerhalb einer kürzeren Zeit ein Emissionsvolumen von annähernd 5 bis 6 Milliarden DM überhaupt auf dem Kapitalmarkt unterzubringen?
Das ist sicher nicht einfach. Ja, da teile ich Ihre Meinung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
Herr Staatssekretär, wenn Sie schon nicht die Vermutung bestätigen können, daß die Deutsche Bank bei dem Geschäft 300 Millionen DM verdienen wird, können Sie dann bestätigen, daß die Deutsche Bank 1,2 Milliarden DM an diesem Deal verdienen wird?
Herr Kollege, ich verstehe nicht recht, was diese Frage an die Bundesregierung eigentlich soll. Es wäre doch naheliegend, die Deutsche Bank zu fragen.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grünbeck.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die wirtschaftliche Weiterentwicklung der betroffenen Unternehmen entscheidender sein wird als die spekulativen Fragen der Opposition?
({0})
Ich habe, Herr Kollege, mit Nachdruck betont, daß die angekündigte Absicht, auf diese Art und Weise das große industrielle Vermögen von Herrn Flick breit zu streuen, von mir außerordentlich positiv gesehen wird, und ich kann deshalb Ihrer Frage zustimmen.
Ich rufe die Frage 46 der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier auf:
Was unternimmt die Bundesregierung, um sicherzustellen, daß die Übernahme der Friedrich-Flick-Industrieverwaltung durch die Deutsche Bank nicht zu einem weiteren Konzentrationsprozeß in der deutschen Wirtschaft führt?
Die Bundesregierung hat keinen Grund, an der erklärten Absicht der Deutschen Bank zu zweifeln, die vom Hause Flick erworbenen Unternehmensbeteiligungen über die Börse einem breiten Publikum anzubieten. Dieser Vorgang ist dekonzentrativ. Sollte die Veräußerung einzelner Konzernteile erneut Zusammenschlußtatbestände erfüllen, so unterlägen diese wieder der Fusionskontrolle. Ein wettbewerbsrechtlich unzulässiger Konzentrationsprozeß wird durch das geltende Kartellrecht verhindert.
Eine Zusatzfrage.
Sie sagen, ein wettbewerbsrechtlich unzulässiger Zusammenschluß werde verhindert. Stände es einer Regierung und einem Staatssekretär, der das Wort „Marktwirtschaft" immer wieder im Munde führt, eigentlich nicht gut an, auch auf Grund der Diskussion der anderen Fragen dafür zu sorgen, daß mehr Marktwirtschaft und damit mehr Konkurrenz eintritt und sehen Sie nicht, daß Sie dadurch, daß Sie dies bei allen Fragen negativ beantwortet haben, entgegen Ihrem eigenen Anspruch eben nicht für mehr Marktwirtschaft sorgen?
Nein, ich teile diese Auffassung nicht, Frau Kollegin. Ich erinnere noch einmal daran, daß der Deutsche Bundestag auf die im Rahmen des Kartellrechtes gestellte Frage, ob es ein Fusionsverbot für Größe geben solle, die Meinung geäußert hat, daß es ein solches Verbot nicht geben soll. Bei der Verabschiedung des Fusionsrechts ist diese Auffassung quer durch alle Parteien vertreten worden. Die Bundesregierung hält diese Auffassung nach wie vor für richtig und befindet sich damit im Einklang mit der breiten Mehrheit des Deutschen Bundestages. Mir sind andere rechtliche oder gesetzliche Initiativen der Opposition zu
diesem Fragenkreis bisher auch nicht bekanntgeworden.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Darf ich Ihre bisherigen Antworten zu dem ganzen Komplex so verstehen, daß Sie an diesem ganzen Vorgang überhaupt nichts Beunruhigendes finden?
Frau Kollegin, die Größe von Unternehmen ist ohne jeden Zweifel ein wirtschaftlich, ein für den Wettbewerb bedeutungsvolles Thema. Der Deutsche Bundestag und sein Wirtschaftsausschuß haben sich intensiv mit diesem Thema befaßt. Allerdings waren wir damals gemeinsam der Meinung, daß Größe an sich keinen Grund für den Gesetzgeber darstellt, einzugreifen. Das ist in der Abwägung dieser Fragen vom Deutschen Bundestag damals so entschieden worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, angesichts der Kritik Ihres früheren Ministers an der konzentrierend wirkenden Tätigkeit zweier süddeutscher Ministerpräsidenten und der Tatsache, daß der Bundesfinanzminister diese Kritik ein bißchen teilt, frage ich Sie: Wäre es nicht vorbildlich, wenn die Bundesregierung dadurch dekonzentrierend handeln würde, daß sie auch eine Konzentration der Gewinne beim Verkauf des Flick-Konzerns bei der Deutschen Bank verhindern würde und für eine Dekonzentration der Erträge sorgen würde?
Herr Kollege, ich sehe keinerlei Zusammenhang zwischen der Frage des Verkaufsgewinns und dem hier diskutierten Thema, was Größe an sich für negative wettbewerbspolitische Folgen haben kann.
Ich muß Ihnen recht geben, Herr Staatssekretär.
Eine Zusatzfrage, Herr Roth.
Herr Staatssekretär, es hört sich jetzt so an, als sei es volkswirtschaftlich besonders sinnvoll - so habe ich Ihre Antworten verstanden -, daß Flick jetzt verkauft und die Anteile breit gestreut werden. Wie vereinbaren Sie die volkswirtschaftlich positive Wertung dieses Vorganges mit dem anderen Vorgang vor ein paar Jahren, einen Vorgang der Konzentration, dem Übergang des Hauses Gerling in den Besitz von Flick, der volkswirtschaftlich als so sinnvoll angesehen wurde, daß Ihr Ministerium und das Finanzministerium sogar Steuernachlässe gewährt haben?
Herr Kollege, es handelt sich hier um zwei wirtschaftspolitisch völlig unterschiedlich gelagerte Vorgänge. § 6 b ist vom Deutschen Bundestag geschaffen worden, um die Wiederanlage von Veräußerungserlösen in volkswirtschaftlich sinnvoller Weise in neuen Betriebsvermögen zu begünstigen, was ich nach wie vor für richtig halte. Diese Entscheidung war die Grundlage für die von Ihnen angesprochene damalige Lösung. Die beiden wirtschaftlichen Vorgänge haben aber überhaupt nichts miteinander zu tun. Ich finde, es ist wichtig, daß wir hier gemeinsam feststellen, daß ein solcher Dekonzentrationsprozeß, wie er sich hier vollzieht, positiv bewertet werden kann, wenn er sich so verwirklichen läßt, wie es angekündigt ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, wann hat sich die Bundesregierung erstmalig mit dem hier angesprochenen Fragenkreis beschäftigt?
Als von Herrn Dr. Flick über Herrn Dr. Herrhausen mitgeteilt wurde, daß Herr Dr. Flick sich entschieden hat, sich von seinem industriellen Vermögen auf dem Wege des Verkaufs zu trennen. Das war kurz vor der Veröffentlichung dieser Absichten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß, wenn sichergestellt ist, daß die Deutsche Bank anschließend breit streut, der Verkauf des Flick-Imperiums durch den Eigentümer eine gewisse Art von Entflechtung darstellt, und können Sie mir möglicherweise auch sagen, wie hoch die zusätzlichen Einnahmen des Staates auf Grund dieses Verkaufs sein werden?
Ich kann zunächst sagen, daß es ohne jeden Zweifel eine Dekonzentration sein würde. Ich kann keinerlei Auskunft über die etwaigen fälligen Steuern geben. Das ist Sache des Landesfinanzministers, und dort werden diese Fragen erörtert werden. Ich kann dazu keine Auskunft geben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Struck.
Herr Staatssekretär, ist die positive Bewertung dieses Vorgangs durch die Bundesregierung auch darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung die Zweifel an den unternehmerischen Fähigkeiten des Herrn Friedrich Karl Flick teilt?
Nein, das hat damit überhaupt nichts zu tun, sondern es ist nach unserer wirtschaftspolitischen Auffassung erfreulich, daß hier ein sehr großes Industrieimperium durch einen Dekonzentrationsprozeß breiter gestreut und damit die Chance verstärkten Wettbewerbs geschaffen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
Herr Staatssekretär, in Anknüpfung an die Frage des Kollegen Jens und Ihre Antwort frage ich: Welcher Landesfinanzminister wird denn
zuständig sein, um diese Angaben machen zu können?
Der nordrhein-westfälische.
({0}) - Das ist definitiv so, ja.
Ich rufe die Frage 47 der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin auf:
Teilt die Bundesregierung die öffentlich geäußerte Kritik, daß die Marktwirtschaft durch die „staatskapitalistische" Politik einzelner Ministerpräsidenten unterhöhlt wird?
Frau Präsidentin, ich würde gern, wenn es möglich ist, die Frage von Frau Däubler-Gmelin zusammen mit der Frage 56 von Herrn Kollegen Poß zusammen beantworten, weil sie den gleichen Tatbestand betreffen und in diesem Fall sogar tatsächlich gleichlautende Fragen vorliegen.
Sind Sie damit einverstanden? - Jeder hat dann zwei Zusatzfragen.
Dann rufe ich auch die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Poß auf:
Teilt die Bundesregierung die öffentlich geäußerte Kritik, daß die Marktwirtschaft durch die „staatskapitalistische" Politik einzelner Ministerpräsidenten unterhöhlt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
({0})
Die Bundesregierung hat ihr marktwirtschaftliches Konzept zuletzt ausführlich in den Jahreswirtschaftsberichten 1984 und 1985 dargelegt. Danach müssen - nun zitiere ich - „marktwirtschaftliche Prinzipien und Steuerungsmechanismen in allen Teilbereichen der Wirtschaftspolitik wieder mehr Geltung erhalten". Nur so wird es gelingen, die guten Chancen, die dynamischer Wettbewerb für mehr Beschäftigung, höheren Wohlstand, stabile Preise und eine effiziente Bewältigung der anstehenden Zukunftsaufgaben bietet, umfassend zu nutzen. In einer Wettbewerbswirtschaft sind Forschung, Entwicklung und Innovation originäre Aufgaben der Unternehmen. Staatliche Forschungs- und Technologiepolitik hat sich im Verhältnis zur Wirtschaft am Grundsatz der Subsidiarität zu orientieren und ist dort gefordert, wo aus übergeordneten gesellschaftlichen oder gesamtwirtschaftlichen Gründen Forschung und Entwicklung einer Unterstützung bedürfen. Die Bundesregierung wird darauf achten, daß es durch staatliche Förderung nicht zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommt.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, bezieht sich diese Ihre Distanzierung von dem ehemaligen Bundesminister Lambsdorff - er war es ja, der die Ministerpräsidenten Späth und Strauß „staatskapitalistischer Politik" geziehen hat - von heute nur auf die Wortwahl von Herrn Lambsdorff oder auch auf den Inhalt seiner Kritik?
Frau Kollegin, die Wiedergabe dieser ordnungspolitischen Grundsätze steht in vollem Einklang mit der Auffassung von Graf Lambsdorff von der richtigen Ordnungspolitik.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich hatte Sie in meiner ursprünglichen Frage 47 an sich gefragt, ob die Bundesregierung diese Kritik teile. Ich habe, wenn auch sehr elegant und behutsam versucht, Ihnen jetzt eine Äußerung zu entlocken, ob Sie diese Kritik nicht doch teilen. Ich darf jetzt zum dritten Mal fragen, ob Sie, Herr Staatssekretär, für die Bundesregierung erklären können, daß Sie diese Kritik teilen oder daß Sie sie nicht teilen.
Frau Kollegin, ich möchte hier den Herrn Bundesfinanzminister zitieren, der folgendes zu diesem Thema gesagt hat: „Die schönen und guten Überschriften für Forschungs- und Innovationsförderung dürfen nicht ein Alibi für neue massive Industriesubventionen werden."
({0})
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Poß.
Herr Staatssekretär, in Ihrer letzten Antwort haben Sie eine Äußerung von Herrn Stoltenberg wiedergegeben. In einer Zeitung wird das so interpretiert: „Auch Stoltenberg rügt süddeutsche Industriepolitik." - Teilen Sie die Interpretation dieser Zeitung?
({0})
Herr Kollege, wir wissen alle sehr genau, daß die direkte Forschungsförderung, die projektbezogene Forschungsförderung, ein heiß umstrittenes Thema ist und im Einzelfall sehr unterschiedlich bewertet werden muß. Deshalb möchte ich mich hier nicht in pauschaler Weise in der einen oder in der anderen Richtung äußern. Die Kritik, die Graf Lambsdorff geübt hat, ist ja auf sehr konkrete Einzelfälle bezogen, und jeder Kollege kann sich ein eigenes Bild von der Berechtigung oder Nichtberechtigung dieser Kritik machen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
Um konkret zu werden: Erinnert Sie die Wirtschaftspolitik der Ministerpräsidenten Späth und Strauß an staatskapitalistische Politik, Herr Staatssekretär?
Jede Beteiligung des Staates an Privatunternehmen, wie sie die Bundesrepublik Deutschland ja auch in großem Umfange hält, trägt die Gefahr in sich, daß staatskapitalistische Wirkungen davon ausgehen. Das bezieht sich allerdings nicht allein auf die unternehmenspolitische Betätigung etwa von Ministerpräsidenten der Länder, sondern ist auch eine ständige Herausforderung für die Bundesrepublik selbst, also auch eine Herausforderung für die Bundesregierung.
Dr. Jens zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es denn richtig, daß Sie die Beteiligung des Landes Baden-Württemberg an den Dornier-Werken in Höhe von 4 % grundsätzlich positiv bewerten, und steht das nicht im Widerspruch zu den Grundsätzen, die Sie hier soeben dargelegt haben?
Herr Kollege, ich meine, daß es durchaus positiv bewertet werden kann - das ist meine persönliche Meinung -, daß der Ministerpräsident in der sehr schwierigen Frage der Beteiligung an Dornier durch sein persönliches Eingreifen zu einer Lösung des Konfliktes beigetragen hat. Ich meine nicht, daß eine Beteiligung des Landes Baden-Württemberg notwendig gewesen wäre, auch nicht mit 4 %.
Zusatzfrage, Abgeordneter Roth.
Würden Sie mir zustimmen, daß durch die Auseinandersetzungen zwischen Graf Lambsdorff, dem Vorgänger des derzeitigen Bundeswirtschaftsministers, und den beiden Ministerpräsidenten ordnungspolitische Grundsatzfragen aufgeworfen worden sind, und würde die Bundesregierung meiner Auffassung zustimmen, daß diese ordnungspolitischen Grundsatzfragen im Deutschen Bundestag sobald wie möglich erörtert werden müssen?
Diese ordnungspolitischen Grundsatzfragen haben uns nicht nur in der Vergangenheit bewegt, sie werden uns auch in der Zukunft weiter bewegen. Ich halte es für wichtig, daß das Bewußtsein für die Probleme, die hier aufgeworfen worden sind, durch eine klar formulierte Position in der politischen und wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung geschärft worden ist. Ich finde, daß das die Aufgabe von Parlamentariern ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, beabsichtigen Sie, sich durch die Verundeutlichung Ihrer Antworten auf die gestellten Fragen das Prädikat eines marktwirtschaftlichen Laokoon zu verdienen?
Herr Kollege, es würde mich ehren, wenn ich hier in der Fragestunde des Deutschen Bundestages derartige Kraftleistungen vollbringen könnte. Insofern hätte ich nichts gegen eine solche Ausdrucksweise, denn es ist tatsächlich nicht ganz einfach, Lösungen für die Fragen des internationalen Wettbewerbs, der ja auch ein Wettbewerb der Staaten untereinander geworden ist, zu finden, die die wettbewerbsrechtlich einwandfreie notwendige Grundlage für die Beschäftigung liefern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grünbeck.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie als jemand, der die Veranstaltung in München so aufmerksam verfolgt hat wie ich, darauf hinweisen, daß die Kritik von Herrn Graf Lambsdorff eigentlich darauf beschränkt war, daß er unseren jetzigen Koalitionspartner in bezug auf die Beteiligung des Landes Baden-Württemberg an einem Unternehmen über eine eigene Landesbank oder in bezug auf die Beteiligung der bayerischen Staatsregierung an wirtschaftlichen Unternehmen gebeten hat, nicht denselben Fehler wie unser vorheriger Koalitionspartner zu machen?
Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß Graf Lambsdorff in seinem Beitrag sehr konkrete Äußerungen gemacht hat und daß dadurch die Beurteilung der Berechtigung dieser seiner Äußerungen erheblich erleichtert wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, sind Ihre Äußerungen deswegen so betulich, weil Sie bisher nicht zur Kenntnis genommen haben, daß einer der Ministerpräsidenten in seinem Verhältnis zu Staatshandelsländern sehr massiv Einfluß darauf nimmt, daß die Firmenaufträge unabhängig von Preis und Qualität im Verhältnis zu Konkurrenzfirmen aus anderen Bundesländern nach Bayern vergeben werden?
Ich kann diese Behauptung nicht bestätigen; sie entbehrt nach meiner Kenntnis einer Grundlage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, nun war es ja nicht, wie Sie vorhin dargestellt haben, so, daß Herr Lambsdorff seine Kritik, die er an Herrn Strauß und an Herrn Späth angebracht hat, auf die direkte und die indirekte Forschungsförderung - so haben Sie ja den Herrn Finanzminister zitiert - bezogen hätte, sondern Herr Lambsdorff hat ganz unmißverständlich Kritik daran geübt, daß im süddeutschen Raum mit Hilfe von Landesregierungen Konzentrationen von Unternehmen vorgenommen werden, die dann im Markt unter Umständen beherrschend sind. Teilen Sie die Kritik des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers oder nicht?
Herr Kollege, ich habe meine Position hier nun wirklich eingehend dargelegt und habe ihr nichts hinzuzufügen.
Ich rufe Frage 48 des Herrn Abgeordneten Dr. Jens auf:
Hält die Bundesregierung ein grundsätzliches Verbot von Fusionen von Größtunternehmen mit einem Umsatz von mindestens 10 Milliarden DM im Jahr für nötig?
Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl Staatssekretär: Herr Kollege, die Antwort ist: Nein. Die Bundesregierung hält es nach wie vor für überzeugender, die Fusionskontrolle an den Marktwirkungen eines Zusammenschlusses zu messen. Eine nur an der Größe ausgerichtete Fusionskontrolle wäre nicht zuletzt angesichts der starken Einbindung unserer Wirtschaft in den Weltmarkt nicht richtig.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jens.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie dann die wiederholt vorgetragene Feststellung der Monopolkommission, eines seriösen Gremiums, daß der Umsatzanteil der 100 größten Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland ständig steigt, und macht Sie das nicht irgendwie beunruhigt?
Herr Kollege, selbstverständlich verfolgen auch wir diese Entwicklung mit Besorgnis, aber ich weise noch einmal darauf hin, daß ein Problem zu sehen noch nicht heißt, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Das aber ist die eigentlich politische Aufgabe, weil erst bei der Vorlage einer Lösung sichtbar wird, welche Gefahren dann möglicherweise mit dieser Lösung verbunden wären.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jens.
Herr Staatssekretär, glauben Sie denn wirklich allen Ernstes, daß Großkonzerne per se und automatisch international wettbewerbsfähiger sind als mittlere Unternehmen, die sich innovativ verhalten?
Nein, Herr Kollege. Größe als solche ist sicher kein Ausweis für Leistungsfähigkeit.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grünbeck.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß eine solche Größe von 10 Milliarden DM Umsatzvolumen möglicherweise im Weltmarkt doch ein Wettbewerbsvorteil ist, wenn ich beispielsweise an die chemische oder an die Elektro- bzw. elektronische Industrie denke und deren Wettbewerber im Weltmarkt sehe?
Grüner, Parl Staatssekretär: Herr Kollege, es ist völlig richtig, daß die Frage, von welcher Größe an wettbewerbspolitische Bedenken gerechtfertigt sein können, nicht losgelöst von der Größe der Unternehmen gesehen werden kann, die auf dem Weltmarkt operieren und mit denen deutsche Unternehmen in Konkurrenz stehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Herr Staatssekretär, sehen Sie bei deutschen Großunternehmen eine Tendenz, nun, statt aus eigener Innovations- und Investitionskraft aufgehäufte Reserven zur Weiterentwicklung ihrer Produktionssektoren zu verwenden, quer durch die Branchen aufzukaufen und zuzukaufen, und sehen Sie nicht die Gefahr, daß dadurch Konzerne entstehen, die ähnliche bürokratische Probleme aufweisen, wie wir sie aus anderen Großorganisationen des Staates, der Gesellschaft und der Wirtschaft seit langem kennen?
Herr Kollege, eine pauschale Antwort darauf ist nicht möglich, aber es ist richtig, daß eine Ursache der Konzentration etwa auch darin gesehen werden kann, daß es für Unternehmensleitungen reizvoll - und auch bequemer - sein kann, durch Aufkauf die eigenen Marktmöglichkeiten und die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, ohne daß damit allein automatisch eine Stärkung unserer Volkswirtschaft eintreten würde.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht auch merkwürdig, daß zur Wirtschaftsberatung dieser Bundesregierung an zentraler Stelle ein Unternehmensleiter um so eher taugt, je näher sich die Bilanzsumme seines Unternehmens der Größe des Bundeshaushalts nähert?
({0})
Ich meine, Herr Kollege, daß die wirtschaftlichen Erfahrungen der Vergangenheit, auch die Schwierigkeiten, die gerade einzelne Großunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland gehabt haben, nicht in Einklang stehen mit dieser eher scherzhaften Bemerkung, die Sie eben machten.
Ich rufe Frage 49 des Abgeordneten Dr. Jens auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das Unterlaufen der Fusionskontrolle durch die Einschaltung befreundeter Banken und Industriegruppen zu unterbinden?
Die Konzentrationsvorgänge der letzten Zeit geben der Bundesregierung Anlaß, die Rolle der Banken bei Fusionen aufmerksam zu verfolgen. Von einem Unterlaufen der Fusionskontrolle wird man so lange nicht sprechen können, wie befreundete Banken und Industriegruppen keinen beherrschenden Einfluß haben. Ähnliche oder gleiche Interessenlagen verschiedener Anteilseigner begründen noch keine unternehmerische Kontrolle.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jens.
Herr Staatssekretär, glauben Sie denn nicht auch, daß die Macht von drei großen Banken in der Bundesrepublik Deutschland viel zu groß ist, insbesondere wenn man die Industriebeteiligungen dieser Banken im Auge hat, und haben Sie nicht auch manchmal das Gefühl, daß die Banken mit Ihnen das machen, was sie gerne wollen?
Nein, Herr Kollege, dieses Gefühl habe ich nicht. Zwar ist diese Machtkonzentration und sind die Einflußmöglichkeiten, die damit verbunden sind, sehr beachtlich, gleichzeitig stehen diese Banken aber auch in einem sehr erbitterten Wettbewerb zueinander. Bei der Beurteilung der Machtverhältnisse hat sich der Deutsche Bundestag, wie Sie wissen, nicht entschließen können, etwa über das Kreditwesengesetz, den derzeitigen Möglichkeiten der Banken durch gesetzliche Maßnahmen Einschränkungen aufzuerlegen, weil die Nachteile solcher Einschränkungen, die diskutiert worden sind, auch allen sehr bewußt waren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jens.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn mit mir der Meinung, daß zumindest das Aufgreifkriterium in der Fusionskontrolle - jetzt 25 % - deutlich herabgesetzt werden muß, insbesondere wenn man daran denkt, welche Konzentration in der letzten Zeit im Handel stattgefunden hat?
Herr Kollege, ich möchte mich hier in dieser Frage nicht zu einer Meinungsäußerung durchringen, aber es ist sicher, daß wir in der Diskussion über etwaigen Novellierungsbedarf dieser Frage gemeinsam sehr eingehend nachgehen müssen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Herr Staatssekretär, ich stelle die hypothetische Frage, die allerdings nach Zeitungsberichten sogar Realität sein soll: Hielten Sie es für bedenklich, wenn zwei Vorstandsmitglieder einer Großbank, die in zwei Unternehmen beträchtliche Anteile halten, miteinander die Fusionsverhandlungen führen?
Herr Kollege, ich möchte mich zu dieser Frage nicht äußern, weil eine Fülle zusätzlicher hypothetischer Bedingungen genannt werden müßte, um hier zu einer vernünftigen und gerechten Bewertung zu kommen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, fällt der Bundesregierung nicht doch auf, daß der Wettbewerb von Großbanken um Kleinsparer diese nicht daran hindert, in der Frage politischer Machtausübung gegenüber anderen Konzernen und der Bundesregierung zusammenzuarbeiten, und daß Ihre bisherigen Antworten dazu eher den Eindruck vermitteln, die Bundesregierung verhalte sich gegenüber diesem Phänomen ein bißchen masochistisch?
Herr Kollege, die von mir beschriebene scharfe Wettbewerbsauseinandersetzung zwischen den Banken bezieht sich nicht nur auf den Wettbewerb um die Einlagen der kleinen Sparer, sondern es ist ganz offenkundig, daß sie sich auch um die Möglichkeiten bewegt, die die Börse bietet, und damit auch um die Möglichkeiten, welche Angebote einzelne Banken bei der Einführung von Aktien zu machen haben und wie das im Wettbewerb der Banken untereinander dann aussieht. Ich halte es für ganz wesentlich, daß diese Kontrolle des Wettbewerbs auch im Bankenbereich besteht.
Ich rufe Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Mitzscherling auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Wettbewerb zwischen den Unternehmen völlig unbeeinträchtigt bleibt, wenn eine Bank an mehreren Unternehmen ein und derselben Branche kapitalmäßig und/oder personell über Aufsichtsratsmandate beteiligt ist, oder sieht sie die Gefahr, daß die Bankenvertreter beispielweise auf eine Abstimmung der Investitionsplanungen zwischen den jeweiligen Unternehmen hinwirken?
Sofern die jeweiligen Beteiligungen der Banken eine Fusionsschwelle des Kartellrechts überschreiten, findet bereits heute eine Kontrolle statt. Unterhalb dieser Schwellen dürfte eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch bankfremde Beteiligungen und Aufsichtsratsmandate generell nur schwer nachweisbar sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antworten auf die Frage meines Kollegen Jens dahin gehend deuten, daß Sie dennoch diese Gefahren sehen, wenn Sie sich mit der Überlegung tragen, diese Schwellen gegebenenfalls herabzusetzen?
Frau Präsidentin, wenn ich gleich die zweite Antwort geben dürfte, dann würde das in Einklang zu bringen sein.
Bitte sehr. Dann rufe ich auch Frage 51 des Abgeordneten Dr. Mitzscherling auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Präsidenten des Bundeskartellamtes, daß eine Diskussion über das kartellrechtliche Instrumentarium notwendigerweise auf die Rolle der Banken ausgedehnt werden muß, und ist die Bundesregierung bereit, den Einfluß der Banken zu reduzieren, indem die Zahl der von einer Bank gehaltenen Unternehmensbeteiligungen und Aufsichtsratmandate pro Branche begrenzt wird?
Wenn man zu einer Überprüfung der kartellrechtlichen Instrumenta14024
rien kommen sollte, wird man auch die Rolle der Banken bei Zusammenschlüssen zu bedenken haben. Zur Begrenzung der wettbewerblichen Risiken bankfremden Beteiligungsbesitzes hat es bekanntlich mehrere Vorschläge gegeben. Erinnert sei an die sogenannte Geßler-Kommission, nämlich die Studienkommission für Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft, und an die Monopolkommission, die eine Grenze von 25% plus einer Aktie bzw. 5 % befürwortet hatten. Schon die sozialliberale Koalition hat seinerzeit davon abgesehen, diese Vorschläge aufzugreifen.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß nach der Neufassung des § 12 des Gesetzes über das Kreditwesen Grenzen für Beteiligungen von Kreditinstituten an anderen Unternehmen gesetzt worden sind.
Zusatzfrage von Herrn Dr. Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, unter Zitierung der soeben genannten Quellen: Bestehen in Ihrem Hause Überlegungen in bezug auf zeitliche Abläufe, wann diese Prüfungen zum Abschluß gelangt sein könnten?
Nein, darüber bestehen keine konkreten zeitlichen Vorstellungen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 52 der Abgeordneten Frau Dr. MartinyGlotz wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Teilt die Bundesregierung unsere Auffassung, daß eine Bank sich jeweils nur an einem Unternehmen einer Branche kapitalmäßig beteiligen darf und nicht zugleich auch an seinem Wettbewerber?
Ich würde gerne beide Fragen zusammen beantworten, wenn ich das darf.
({0})
Dann rufe ich auch Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Teilt die Bundesregierung unsere Auffassung, daß die Beteiligung einer Bank an einem Unternehmen auf 10 v. H. des haftenden Eigenkapitals des jeweiligen Unternehmens beschränkt sein soll?
Die Antwort zu Ihrer Frage 53 lautet nein.
Ich würde gerne zu beiden Ihren gestellten Fragen auf meine Antworten verweisen, die ich gerade eben Herrn Kollegen Dr. Mitzscherling gegeben habe.
Sie haben jetzt vier Zusatzfragen, Herr Kollege. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung denn wenigstens, daß angesichts der personellen Verflechtungen in Aufsichtsräten die Investitionsentscheidungen von Unternehmen durch innerbürokratische Kenntnisse und nicht durch Marktdaten beeinflußt werden?
Eine solche Beeinflussung ist durchaus denkbar.
Bitte sehr, Herr Sperling.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nur für denkbar oder für gegeben?
Ich meine, ich halte es für denkbar. Ich halte es nicht in jedem Falle für gegeben.
Herr Staatssekretär, wenn Sie von einer Bank in einen Aufsichtsrat der einen Firma und der anderen Firma geschickt würden: Würden Sie es dann für denkbar halten, daß Sie Ihre Kenntnisse in sich selber verwerten, oder würden Sie es für sehr wahrscheinlich gegeben halten?
Herr Kollege, ich würde es nach dem Gesetz über die Aufsichtsräte insbesondere für meine Verpflichtung halten, ausschließlich zum Wohle des Unternehmens zu handeln, und ich würde mich durchaus in der Lage sehen, auch bei mehreren Aufsichtsratsmandaten zu unterscheiden, was dem einen Unternehmen nützt und möglicherweise zum Schaden des anderen gereicht.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würde dabei nicht Ihre Ordnungspolitik auf der Strecke bleiben?
Nein, Herr Kollege. Wir alle sind ja in unseren politischen und in unseren wirtschaftlichen Funktionen in ständigen Konfliktfeldern. Das gilt insbesondere für Parlamentarier, ohne daß ich bisher den Eindruck gehabt hätte, daß wir mit diesen Konflikten nicht fertig werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Roth.
Sehen Sie die Wettbewerbsproblematik nicht auch dadurch tangiert, daß nicht nur Damen und Herren der Banken aus derselben Bank gleichzeitig in verschiedenen Aufsichtsräten derselben Branche sitzen, sondern dazu auch Bankbeziehungen bestehen? Halten Sie es nicht für denkbar, daß auf Grund der Sicherheitsziele der Banken, die gleichzeitig im Aufsichtsrat tätig sind, die Schärfe des Wettbewerbs in der jeweiligen Branche beeinträchtigt wird?
Ich halte das für denkbar, Herr Kollege. Nur: Die Tatsache, so etwas für denkbar zu halten, heißt noch nicht, eine Lösung
dafür parat zu haben, wie solche möglicherweise bestehenden Nachteile vermieden werden können.
({0})
Zusatzfrage, Frau Hürland.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß es sich in beiden Fällen um mitbestimmte Betriebe handelt und dadurch sichergestellt ist, daß auch Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten sind?
Ja, Frau Kollegin, das ist richtig. Diese Interessenkonflikte, die hier angesprochen werden, sind ja nicht etwa auf Bankmanager beschränkt, sondern beziehen sich selbstverständlich auch auf Vertreter der Gewerkschaften in den Aufsichtsräten großer Unternehmen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, halten Sie es denn für vernünftig und glauben Sie, daß es überhaupt mit der physischen Leistungsfähigkeit eines Menschen zu vereinbaren ist, wenn Bankenvertreter in zehn Aufsichtsräten sitzen und nebenbei möglicherweise noch die Aufgaben des Vorstandsmitglieds einer Großbank wahrzunehmen haben?
Herr Kollege, ich glaube, daß es Grenzen der Leistungsfähigkeit von Menschen gibt, die allerdings sehr unterschiedlich sind. Ich glaube deshalb, daß es nicht möglich ist, eine solche Frage pauschal zu beantworten. In dem einen Fall wird es möglich sein, in anderen Fällen wird tatsächlich eine Überforderung vorliegen. Aber auch das ist nicht auf die Banken beschränkt, sondern erfaßt auch andere Berufsgruppen.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri auf:
Wurde die Bundesregierung bzw. der Bundeskanzler über den geplanten Verkauf des Flick-Konzerns an die Deutsche Bank unterrichtet?
Die Deutsche Bank hat die Bundesregierung kurz vor der Bekanntgabe an die Presse über die geplante Transaktion unterrichtet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wer war an diesem Gespräch beteiligt?
Beteiligt waren der Herr Bundeskanzler, der Herr Bundeswirtschaftsminister und, wie ich glaube - das weiß ich jetzt allerdings nicht auswendig; hier muß ich leider passen -, der Herr Bundesfinanzminister. Ich werde Ihnen das noch mitteilen.
Herr Staatssekretär, wurde dabei auch über steuerliche Aspekte dieser Operation gesprochen?
Das ist nicht der Fall, sondern die Teilnehmer waren sich bewußt, daß das eine Sache ist, die vom zuständigen Landesfinanzminister erörtert und entschieden werden muß.
Zusatzfrage, Dr. Struck.
Herr Staatssekretär, ist der Herr Bundeskanzler auch von Vertretern des Flick-Konzerns über den beabsichtigten Verkauf unterrichtet worden, beispielsweise durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrates des Flick-Konzerns, den Bundestagskollegen Kreile?
Nein, Herr Kollege. Ich habe auch nicht die Absicht, in Einzelheiten dieser Unterrichtung einzusteigen. Ich weiß darüber nicht Bescheid. Ich weiß lediglich, daß eine solche Unterrichtung vor der Bekanntgabe stattgefunden hat, und zwar durch Herrn Dr. Herrhausen den genannten Herren gegenüber, wobei ich Herrn Dr. Spöri gegenüber noch ergänzen werde, wer als Mitglied des Bundeskabinetts außer den beiden genannten Personen an diesem Gespräch teilgenommen hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung dann auch darüber unterrichtet worden, daß das Grace-Aktienpaket von dieser Firma zurückerworben wird? Hat Friedrich Karl Flick in diesem Zusammenhang bestimmte Zusagen über die Nachentrichtung von Steuern einschließlich entstandener Zinsgewinne gemacht?
Nein, Herr Kollege. Es ist so, daß durch die beabsichtigte Veräußerung des Grace-Anteils die umstrittene Steuerstundung ja hinfällig ist und daraus steuerliche Konsequenzen entstehen, über die der Landesfinanzminister mit der Firma verhandelt.
({0})
- Diese Verhandlungen umfassen auch die Frage etwaiger Zinsen.
Zusatzfrage, Abgeordneter Penner.
Herr Staatssekretär, ist der beabsichtigte Verkauf des Flick-Imperiums Anlaß für die Bundesregierung, die Flick nach § 6 b des Einkommensteuergesetzes gewährten Steuervergünstigungen zu bedenken?
Herr Kollege, die beabsichtigte Veräußerung wird auch dazu führen, daß im Zusammenhang mit einer daraus folgenden Steuerzahlung diese Auseinandersetzung über die Rückforderung von gegenüber der Firma Flick gewährten Steuervergünstigungen in einem anderen Licht zu sehen ist, das heißt, daß die Möglichkeit
besteht, daß die Hauptsache durch Zahlung erledigt ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Wenn ich Sie bei einer früheren Frage richtig verstanden habe, war der Steueranfall aus dem Veräußerungsgewinn in Nordrhein-Westfalen. Haben Sie Informationen darüber, ob der bayerische Ministerpräsident das Haus Flick beraten hat, einen Teil des Steueranfalls auf das Land Bayern zu orientieren?
Mir liegen keinerlei Informationen dieser Art vor. Es ist ja auch nicht möglich, daß etwa ein Unternehmen selber darüber entscheidet, wo es veranlagt wird. Darüber entscheidet sein Sitz. Und der ist in Düsseldorf.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, kann der Verkauf eines Konzerns zum Zweck der Vermeidung der Erbersatzsteuer im volkswirtschaftlichen Interesse sein?
Wenn Sie damit die Frage des volkswirtschaftlichen Interesses im Sinn des § 6 b ansprechen wollen - was ich unterstelle -, dann kann dieser Veräußerungsvorgang diese Wirkung haben. Aber er kann nicht losgelöst von der Wiederverwendung gesehen werden - das ist ja das Entscheidende -, so daß ich im Augenblick keinerlei Ansatzpunkte für eine solche Möglichkeit sehe.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Schily auf:
Hat die Bundesregierung Kenntnis von beabsichtigten Anträgen zur Steuerbescheinigung nach § 6 b EStG im Zusammenhang mit der geplanten Veräußerung des Flick-Konzerns an die Deutsche Bank?
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, Herr Kollege Schily, ob im Zusammenhang mit der geplanten Veräußerung des Flick-Konzerns an die Deutsche Bank beabsichtigt ist, Anträge auf eine Bescheinigung nach § 6 b Einkommensteuergesetz zu stellen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, ist es möglich, daß der Bundeskanzler persönlich mit dem dem Vernehmen nach wirtschaftspolitischer Berater, dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Herrn Dr. Herrhausen, noch gesonderte Unterredungen über die möglichen steuerlichen Auswirkungen der jetzt bevorstehenden Veräußerungen des Flick-Konzerns geführt hat?
({0})
Wenn ich, Herr Kollege, sage, daß mir das nicht bekannt ist, so soll daraus nicht der Eindruck entstehen, daß ich das für möglich halte.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist überhaupt über steuerliche Vergünstigungen im Zusammenhang mit dem Verkauf des Flick-Konzerns mit Vertretern der Bundesregierung gesprochen worden, oder hat sie irgendwelche Kenntnisse darüber?
Es ist mit der Bundesregierung und mit Vertretern der Bundesregierung über die Frage gesprochen worden, welche Auswirkungen dieser Verkauf auf den anstehenden oder in Gang befindlichen Prozeß der Rücknahmebescheide hat, und es ist Klarheit auch darüber gefunden worden, daß für die damit zusammenhängenden steuerlichen Fragen der Landesfinanzminister zuständig ist und daß die Verhandlungen darüber dort geführt werden müssen. Das gilt für alle steuerlichen Fragen, die im Zusammenhang mit der Veräußerung auftreten können. Darüber habe ich im Augenblick in der ganzen Breite keinen Überblick.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Spöri.
Herr Staatssekretär, da Ihr Haus, das Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen mehrerer Bescheinigungsverfahren nach § 6b Einkommensteuergesetz und nach § 4 Auslandsinvestitionsgesetz Flick für die Beteiligung an den Grace-1- und Grace-2-Anlagen und für die Beteiligung an der Gerling-Holding-Gesellschaft Subventionen von über einer halben Milliarde DM gewährt hat, stelle ich Ihnen die Frage: Fühlen Sie sich nicht auf Grund der Tatsache, daß Sie Subventionen deshalb gewährt haben, weil Flick gesagt hat, unser Konzern wird mit diesen zusätzlichen Standbeinen Grace 1, Grace 2 und Gerling fester stehen, daß aber jetzt genau diese Anteile veräußert werden, von der Firma Flick getäuscht und betrogen?
Nein, davon kann nun wirklich keine Rede sein, Herr Kollege. Denn auch mit einer solchen 6-b-Entscheidung, die ja eine rechtliche Verpflichtung für die Bundesregierung dargestellt hat, da die Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung gegeben waren, ist nicht etwa eine Verhaltenskontrolle verbunden, die ein bestimmtes Verhalten der Firma Flick für alle Zeiten eingeschlossen hätte.
Die Konsequenz dieses Verhaltens, das wir insgesamt positiv beurteilen - sicher übereinstimmend -, nämlich die Veräußerung des industriellen Vermögens, ist j a, daß die Steuerstundung keinen Bestand mehr haben wird, d. h., daß die Firma Flick die im Streit befindlichen Summen zu zahlen haben wird und darüber mit dem nordrhein-westfälischen Finanzminister in Gesprächen ist.
Zusatzfrage des Herrn Dr. Struck.
Herr Staatssekretär, kann ich aus der Antwort auf die letzte Frage des Kollegen Spöri schließen, daß Sie davon ausgehen, daß der Prozeß, den die Firma Flick zur Zeit noch gegen das Bundeswirtschaftsministerium führt, auf Grund des Verkaufs zugunsten der Bundesregierung ausgehen wird, und daß Sie weiter davon ausgehen, daß die Steuern, die dem Fiskus zustehen, 100 %ig dem Land Nordrhein-Westfalen zufließen werden, da Sie ja häufig von der Beteiligung des nordrhein-westfälischen Finanzministers gesprochen haben?
Ich kann eine so weitgehende Bestätigung nicht geben, da die steuerliche Abwicklung im Anschluß an das Bescheinigungsverfahren ausschließlich Länderangelegenheit ist. Kommt es zu der Zahlung, so würde das für den Prozeß entweder die Klagerücknahme oder aber die Erklärung der Erledigung in der Hauptsache bedeuten. Damit wäre nicht ohne weiteres etwa ein Obsiegen der einen oder anderen Seite, sondern eben die Erledigung in der Hauptsache verbunden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Penner.
Herr Staatssekretär, das Bundeswirtschaftsministerium hat immer wieder betont, daß für die Prüfung der Voraussetzungen der Vorschrift des § 6 b eine Stichhaltigkeitsprüfung genüge: Sind Sie, Herr Staatssekretär, weiterhin der Auffassung, daß die von der Firma Flick bei Antragstellung im Hinblick auf § 6 b vorgetragenen Tatsachen stichhaltig sind?
Herr Kollege, ich möchte zu dieser Frage, für deren Beantwortung eigens ein Untersuchungsausschuß tätig geworden ist, in diesem Zusammenhang nun nicht erneut Stellung nehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Sorge, daß die sie tragenden Parteien des Spendensegens des Herrn Flick, der einmal zugesagt worden war, für die Zukunft nicht mehr teilhaftig werden, wenn der Flick-Konzern verkauft sein wird?
Diese Frage wird nicht zugelassen.
({0})
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Schily auf:
Wäre der geplante Verkauf des Flick-Konzerns an die Deutsche Bank von der Veräußerungsseite her gesehen mit § 6b EStG bei einer eventuellen Wiederanlage des erzielten Verkaufserlöses vereinbar?
Der Bundesregierung sind keine Einzelheiten der geplanten Veräußerung des Flick-Konzerns an die Deutsche Bank bekannt. Eine Beurteilung der Veräußerungsseite nach den maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 6 b Einkommensteuergesetz, d. h. unter den Gesichtspunkten der Eignung zur Branchenstrukturverbesserung oder breiten Eigentumsstreuung, ist daher nicht möglich. Im übrigen setzt die Übertragung von Veräußerungsgewinnen nach § 6b Einkommensteuergesetz voraus, daß der Veräußerungserlös in einem betrieblichen Vermögen und nicht in der Privatsphäre reinvestiert wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily?
Ja. - Herr Staatssekretär, wenn Sie die Frage jetzt so beantworten: In welchem Zusammenhang ist die Unterrichtung der Bundesregierung durch Herrn Dr. Herrhausen erfolgt, und welche Veranlassung bestand dazu?
Diese Unterrichtung erfolgte unter dem Gesichtspunkt, daß es sich um eine außerordentlich bedeutsame Veräußerung von Industrievermögen handelt und die Beteiligten der Auffassung waren, daß die Bundesregierung davon nicht aus der Presse erfahren sollte.
Zusatzfrage, Herr Dr. Schily.
Ohne „Dr."; das ist mein Bruder. - Herr Staatssekretär, ist in diesem Zusammenhang die Frage erörtert worden, ob bei der jetzt erfolgenden Veräußerung des Flick-Konzerns möglicherweise ein reduzierter Steuersatz Anwendung findet?
Alle Beteiligten waren sich darüber im klaren, daß das geltende Steuerrecht auf diesen Veräußerungsvorgang Anwendung finden würde und daß bei Streitfällen zunächst der zuständige Landesfinanzminister zu entscheiden haben würde.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Spöri.
Herr Staatssekretär, ich möchte an die Frage von Herrn Schily anschließen. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß die Nachbesteuerung, die Sie geschildert haben, bei der Gerling-Beteiligung auf Grund einer spezifischen Holdingkonstruktion nicht automatisch gesichert ist, möchte ich an Sie die Frage stellen, ob z. B. bei der Veräußerung der Grace-Anteile die volle Nachversteuerung gesichert ist vor dem Hintergrund, daß Flick angekündigt hat - darüber wird in der Öffentlichkeit geschrieben -, er könne bei der Veräußerung seines Konzerns den hälftigen Steuersatz nach § 34 des Einkommensteuergesetzes in Anspruch nehmen. Wie ist die volle Nachversteuerung gesichert, wenn er den halben Steuersatz in Anspruch nimmt?
Herr Kollege, ich bin nicht in der Lage, hier zu einer solchen - zwar wichtigen, aber steuerrechtlich schwierigen 14028
Frage Stellung zu nehmen, zumal der zugrunde zu legende Sachverhalt gar nicht bekannt ist. Ich bitte deshalb um Verständnis dafür, daß ich dazu keine Stellung nehme.
Richtig ist, daß es den § 34 des Einkommensteuergesetzes gibt und daß diese Vorschrift vorsieht, daß die Veräußerung eines ganzen Betriebsvermögens zum halben Steuersatz
({0})
führt. Das heißt aber nicht, daß zur konkreten Durchführung dieser Transaktion, über die Einzelheiten nicht bekannt sind, heute an dieser Stelle eine Aussage gemacht werden kann. Wenn es irgend jemand gibt, der diese Dinge beurteilen kann - weil er die Anträge und die Akten auf den Tisch bekommen wird -, dann wird das in erster Linie der nordrhein-westfälische Finanzminister sein. Ich bin dann sicher - bzw. mein Kollege vom Bundesfinanzministerium wird es sein - zu diesem Zeitpunkt in der Lage, die Erkenntnisse mitzuteilen, die der nordrhein-westfälische Finanzminister in diesem Zusammenhang gewinnen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Struck.
Herr Staatssekretär, voraussetzend, daß die Presseveröffentlichungen zutreffen, wonach geplant ist, auch den Gerling-Anteil des Flick-Konzerns zunächst an die Deutsche Bank zu
verkaufen, dann aber von dieser wieder an Flick zurückzuverkaufen, frage ich Sie: Wäre denn auch dieser Vorgang, d. h. Verkauf von Gerling-Anteilen an die Deutsche Bank und Rückverkauf von der Deutschen Bank an Flick, ein Tatbestand, der unter § 6 b des Einkommensteuergesetzes fiele?
Herr Kollege, ich sage nein. Das wäre kein solcher Vorgang. Aber ich bitte doch noch einmal, steuerliche Spezialfragen ohne exakte Kenntnis des Sachverhalts nicht zur Diskussion zu stellen. Wir werden das alles noch in allen Einzelheiten erfahren.
Das ist alles wirklich sehr kompliziert.
Herr Penner, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wer war von seiten Flicks beteiligt, als der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister über den geplanten Verkauf des Flick-Konzerns unterrichtet wurden?
Diese Unterrichtung ist allein durch Herrn Dr. Herrhausen vorgenommen worden.
Herr Staatssekretär, sind Sie so freundlich und nehmen noch einmal die Antworten zu den Fragen 39 und 40 zur Hand? Herr Stahl ist eine Sekunde zu spät in den Saal gekommen.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Stahl ({0}) auf:
Wie weit sind die Verhandlungen der Bundesregierung mit internationalen Gremien über die künftige Ausgestaltung des Welttextilabkommens in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht gediehen?
Herr Kollege, die Verhandlungen über eine Anschlußregelung zu dem Ende Juli 1986 auslaufenden Welttextilabkommen wurden am 23. Juli dieses Jahres im GATTTextilausschuß offiziell eröffnet. Eine zweite Verhandlungsrunde fand am 4. und 5. Dezember 1985 in Genf statt. Die dritte Runde im GATT ist für den 3. und 4. April 1986 vorgesehen.
Die am Welttextilabkommen beteiligten Partner haben bisher zunächst grundsätzliche Stellungnahmen abgegeben. Die exportierenden Entwicklungsländer haben in ihrer Mehrheit das Auslaufen des Welttextilabkommens nach Juli 1986 und die Rückkehr zu den allgemeinen GATT-Regeln gefordert. Die importierenden Industrieländer sprachen sich im wesentlichen für eine Anschlußregelung zum Welttextilabkommen aus.
Die EG-Kommission hat im Namen der Mitgliedstaaten eine Grundsatzerklärung abgegeben, die vom EG-Ministerrat am 22. Juli 1985 verabschiedet worden war. Darin setzt sich die Europäische Gemeinschaft angesichts der besonderen Lage der Textil- und Bekleidungsindustrien der Gemeinschaft für eine Fortführung eines angemessenen multilateralen Rahmens für den internationalen Textilhandel ein. Im Hinblick auf deutliche Verbesserungen der industriellen Situation und vor dem Hintergrund der Ziele der neuen allgemeinen Liberalisierungsrunde im GATT wird jedoch eine schrittweise Liberalisierung und Rückkehr zu den normalen GATT-Regeln unterstrichen. Es wird die Absicht angekündigt, die derzeitige Textilhandelsregelung anzupassen und zu größerer Flexibilität bei der Anwendung künftiger Maßnahmen zu gelangen. Dabei werden von den anderen am Textilhandel beteiligten Ländern entsprechend ihrem Entwicklungsstand und ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten parallele Bemühungen zur schrittweisen Öffnung ihrer Märkte erwartet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, wann ist damit zu rechnen, daß diese Verhandlungen beendet sind und daß wir in der Bundesrepublik, vor allen Dingen die Gewerkschaft Textil und Bekleidung und auch die Textilindustrie selbst, klar sehen können, wie der Abschluß insgesamt aussieht?
Herr Kollege, ich möchte jetzt keine zeitlichen Voraussagen machen. Aber es ist allen Beteiligten klar, daß eine rasche Regelung durch ein neues Welttextilabkommen notwendig ist. Es kommt entscheidend darauf an, daß man die Entwicklungsländer dafür gewinnt, daß sie einem solchen neuen Abkommen zustimmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, sagten Sie, daß das neue Abkommen gewisse Liberalisierungen mit sich bringen wird. Können Sie an einigen Beispielen sagen, was das im Einzelfall z. B. für die Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland bedeutet?
Herr Kollege, ich würde diese Antwort gerne mit der Antwort auf die zweite Frage, die Sie gestellt haben, verbinden.
Ich rufe die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Stahl ({0}) auf:
Wie sind oder werden hierbei die Vorschläge der Gewerkschaft Textil-Bekleidung und der Textil- und Bekleidungsindustrie berücksichtigt?
Die Ausgangshaltung der Bundesregierung in bezug auf eine Anschlußregelung zum Welttextilabkommen zeigt eine realistische Kompromißlinie für die Genfer Verhandlungen auf. Sie orientiert sich dabei an der Situation der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie, an der Verantwortung der Bundesregierung für die gesamte Wirtschaft und berücksichtigt auch die Vorschläge der Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Vorschläge der Gewerkschaft Textil-Bekleidung.
Das betrifft zunächst die Grundsatzfrage. Die Bundesregierung sagt ja zu einer multilateralen Anschlußregelung für den Textil- und Bekleidungshandel im Sinne einer Weichenstellung in Richtung normaler GATT-Regeln. An Detailvorschlägen werden vor allem mit abgedeckt: Berücksichtigung der Nachfrageentwicklung bei der Bemessung der jährlichen Importzuwachsraten, Differenzierung des Zugangs zum Europäischen Markt nach Lieferstärke und jeweiligem Stand der wirtschaftlichen Entwicklung der Entwicklungsländer, Fortsetzung der Bemühungen um eine schrittweise Öffnung der Märkte fortgeschrittener Entwicklungsländer. Hinsichtlich der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Entwicklungsländer wird sich die Bundesregierung um eine ausdrücklichere Anerkennung dieses Grundsatzes bemühen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, bedeutet das, was Sie eben dargestellt haben, daß eine nochmalige Verlängerung des Welttextilabkommens in der jetzigen Form von der Bundesregierung nicht für opportun gehalten wird?
Nein, das bedeutet es nicht, Herr Kollege, sondern es bedeutet, daß die Bundesregierung anstrebt, eine Anschlußregelung für das jetzige Welttextilabkommen zu erreichen. Sie wissen, daß dieses Textilabkommen im Juli 1986 ausläuft und ohne eine Verlängerung automatisch eine Rückkehr zu den allgemeinen GATT-Regeln eintreten würde.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn ich den Bundeswirtschaftsminister richtig interpretiere, war er der Meinung, daß nach dieser Verlängerung eine allgemeine Verlängerung des jetzigen Welttextilabkommens nicht mehr stattfinden solle, weil es notwendig wäre, den Handel insgesamt zu liberalisieren. Heißt das, daß die damalige Position des Wirtschaftsministers inzwischen überholt ist und er doch der Meinung ist, daß eine Anschlußregelung nach der jetzigen Verlängerung, die in Aussicht steht, notwendig ist, auch zum Schutze der deutschen Textilindustrie und der Arbeitsplätze?
Der Bundeswirtschaftsminister und die Bundesregierung sind nach wie vor der Meinung, daß eine Liberalisierung dieses Welttextilabkommens in dem von mir beschriebenen Sinne notwendig ist. Die Bundesregierung wird im Lichte einer erreichten Anschlußregelung und ihrer Geltungsdauer zu prüfen und sich zu entscheiden haben, ob eine solche Verlängerung eine einmalige sein wird oder ob sich die Bundesregierung oder die Europäische Gemeinschaft im Lichte einer erreichten Regelung und nach deren Auslaufen auf den Standpunkt stellen sollte, daß eine erneute Verlängerung zweckmäßig sei. Eine Entscheidung darüber kann heute nicht getroffen werden, auch nicht eine Voraussage.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, nun hat der Hauptvorstand der Gewerkschaft Textil - Bekleidung eine Synopse erstellt, in der der Argumentationskatalog des Bundeswirtschaftsministers und der Standpunkt der Gewerkschaft gegeneinandergestellt wurden. Diese ist allen Abgeordneten des Bundestages zugestellt worden. Können Sie bitte überprüfen lassen, welche Positionen im Wirtschaftsministerium gegenüber der damaligen Darstellung abgeändert worden sind, weil inzwischen doch wohl das eine oder andere bei Ihnen im Hause in anderem Licht gesehen wird?
Herr Kollege, ich kann nicht bestätigen, daß bei uns eine Änderung der Haltung eingetreten ist, sondern es besteht nach wie vor ein Gegensatz zu der Position der Gewerkschaft, die verständlicherweise nicht für eine Liberalisierung eintritt, sondern eher für eine Beschränkung. Sie berücksichtigt dabei nicht die Position der Bundesregierung bei internationalen Verhandlungen. Sie berücksichtigt nicht die Verbraucherinteressen, für die die Bundesregierung ebenfalls einzutreten hat. Aber es ist selbstverständlich, daß wir die Argumente der Gewerkschaft sehr aufmerksam analysiert und auch in unsere Verhandlungsüberlegungen einbezogen haben.
Zusatzfrage, Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß sich die deutsche Textilindustrie in einem Strukturwandel befindet und ei14030
nen solchen, der Tausende von Arbeitsplätzen gekostet hat, schon hinter sich hat: Meinen Sie nicht, daß das neue Textilabkommen, das auch Sie als Verlängerung wollen, dieselbe Schutzfunktion wie das alte haben müßte?
Herr Kollege, wir stehen sehr stark unter dem Eindruck, daß die Entwicklungsländer im Augenblick ablehnen, eine Verlängerung des Welttextilabkommens zu beschließen, und daß es vorrangig darauf ankommen wird, eine Verlängerung zu erreichen. Die Position vieler Entwicklungsländer steht in diametralem Gegensatz zu dem, was wir als Schutzmaßnahme für unsere heimische Industrie nach wie vor für notwendig halten.
Die Gefahren, die damit verbunden wären, daß es nicht zu einer Verlängerung des Welttextilabkommens käme, wären für unsere Bekleidungs- und Textilindustrie sehr viel gravierender als jede Art von Liberalisierung, die in einer Verlängerung eines solchen Abkommens eintreten kann.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht der Antwort, die Sie jetzt gegeben haben: Meinen Sie nicht, daß es wenig hilfreich war, daß seitens der Bundesregierung Töne laut geworden sind, daß es irgendwann zu einem Auslaufen kommen werde?
Herr Kollege, nein, es war notwendig, daß die Bundesregierung ihre liberale Grundhaltung und das Erfordernis eines möglichst freien Welthandels immer wieder betont hat. Das muß sie auch in Zukunft tun, weil wir dann am verwundbarsten sind, wenn dieser freie Welthandel zusammenbricht. Gerade im Textil- und Bekleidungsbereich ist diese Gefahr sehr groß, wenn ich nur an die vielen Anträge denke, die im Blick auf Importbeschränkungen dem Parlament der Vereinigten Staaten von Amerika vorliegen.
Zusatzfrage, Dr. Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte sagen, in welchen konkreten Positionen die Erwartungen von Gesamttextil mit Ihrer Verhandlungsposition nicht übereinstimmen?
Ich kann das insofern nicht konkret sagen, als das Welttextilabkommen ein Rahmenabkommen ist und die konkreten Auseinandersetzungen dann in den bilateralen Verhandlungen stattfinden werden, die folgen werden. Aber im Grundsatz ist eine Übereinstimmung mit Gesamttextil im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Liberalisierung im Interesse unserer nationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Erhaltung unserer Exporte festzustellen. Im Detail ist Gesamttextil aber sehr viel zurückhaltender hinsichtlich einzelner Liberalisierungsschritte, hat Erwartungen hinsichtlich der Einfuhrbereitschaft von Entwicklungsländern, die über das hinausgehen, was wir für aus der heutigen Sicht in einem neuen Abkommen durchsetzbar halten.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Beseitigung von Kontingenten bei verschiedenen Warenpositionen, die von Ihrem Hause vorbereitet wird, sowohl von der Gewerkschaft Textil - Bekleidung als auch von Gesamttextil so nicht akzeptiert werden möchte?
Ich würde das nicht in dieser pauschalen Form sagen. Es ist aber richtig, daß unsere Absicht, Kontingente, die nicht ausgenutzt worden sind, nicht mehr in die Textilabkommen aufzunehmen, als Verhandlungsposition nicht nur bei der Gewerkschaft, sondern auch bei Gesamttextil auf Kritik gestoßen ist. Dies gilt allerdings in dieser pauschalen Form nicht für alle hier in Frage stehenden Positionen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Sie haben mehrfach betont, daß die „Weiterentwicklung" des Welttextilabkommens insbesondere einer Liberalisierung diene. Sind bei Ihnen denn auch einmal konkrete Überlegungen angestellt worden, welche Auswirkungen das auf Arbeitsplätze und insbesondere auf Frauenarbeitsplätze hier in der Bundesrepublik Deutschland haben kann?
Ja, diese Überlegungen stehen selbstverständlich im Mittelpunkt unseres politischen Handelns. Ich gebe zu, daß im Vordergrund unsere Besorgnis steht, daß es nicht zu einer Verlängerung des Welttextilabkommens kommt und daß dann bilaterale Schutzabkommen in Kraft träten, die verhängnisvolle Auswirkungen auf die Exportfähigkeit der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie haben müßten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Alle Fragen - die Fragen 59 und 60 des Abgeordneten Hinsken und die Frage 61 des Abgeordneten Stiegler - sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 62 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf:
Ist die Bundesregierung bereit und in der Lage, eine Stellungnahme zu den Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofes vom 11. Februar 1985 zur sparsamen und wirtVizepräsident Frau Renger
schaftlichen Mittelverwendung durch den Verband Deutscher Rentenversicherungsträger abzugeben und auf eine sparsamere Mittelverwendung hinzuwirken?
Frau Präsidentin, wenn die Frau Kollegin Steinhauer einverstanden ist, würde ich gern die beiden von ihr eingebrachten Fragen gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch noch die Frage 63 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf.
Treffen Informationen zu, wonach u. a. die höheren Ausgaben des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger durch eine verstärkte Inanspruchnahme des VDR ({0}) entstanden sind und noch entstehen?
Frau Kollegin Steinhauer, der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger ist als eingetragener Verein organisiert. Es ist daher in erster Linie Aufgabe der dem Verband als Mitglieder angehörenden Rentenversicherungsträger, dafür zu sorgen, daß bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit berücksichtigt werden. Dies folgt schon daraus, daß die Mitglieder durch ihre Verbandsbeiträge zur Finanzierung beitragen und auch insoweit nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches zur Berücksichtigung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichtet sind.
Der Haushaltsplan des einzelnen Rentenversicherungsträgers, in dem für den Verbandsbeitrag ein entsprechender Ansatz zu machen ist, wird von dessen Vertreterversammlung festgestellt. Ich gehe davon aus, daß die Vertreterversammlung dabei auch die in Ihrer Frage angesprochenen Gesichtspunkte gewissenhaft prüft. Die Prüfung der Jahresabschlüsse erfolgt durch den hessischen Sozialminister. Zu einer Beanstandung der Haushaltsansätze für die Verbandsbeiträge haben sich die Aufsichtsbehörden bisher nicht veranlaßt gesehen. Nach meiner Kenntnis haben allerdings eine Reihe von Aufsichtsbehörden im Zusammenhang mit den Haushaltsansätzen für die Verbandsbeiträge die Rentenversicherungsträger angehalten, auf eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung durch den Verband hinzuwirken.
Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich folgendes: Die Bundesregierung kann Informationen, wonach die von Ihnen aufgeführten Gründe für höhere Ausgaben des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger ursächlich sein sollen, nicht bestätigen. Zwar trifft es zu, daß in letzter Zeit umfangreiche Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer verstärkten Inanspruchnahme des Verbandes geführt haben. Dies ist aber keine Besonderheit dieser Legislaturperiode. Es entspricht der satzungsgemäßen Aufgabe des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, durch Stellungnahmen zu Problemen und Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der Rentenversicherung den Sachverstand und die Erfahrung der Rentenversicherungsträger in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Sie sind auf meine Frage hinsichtlich der Prüfung des Bundesrechnungshofes nicht eingegangen. Sind Sie nicht der Auffassung, daß auf Grund dieses Prüfberichtes auch für die Bundesregierung Veranlassung besteht, auf ihre Versicherungsträger, die Versicherungsträger des Bundes - z.B. die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte -, einzuwirken, daß in dem Verband darauf hingewirkt wird, sparsamer mit den Mitteln umzugehen? Es geht nicht allein um die Haushaltsbeschlüsse, sondern auch um die Ausführung.
Frau Kollegin, ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Die Bundesregierung betont sehr oft die Bedeutung der Selbstverwaltung. In jedem Haushalt einer Rentenversicherung sind solche Haushaltsansätze, insbesondere bei den Beiträgen, enthalten, und zunächst einmal ist die Selbstverwaltung gehalten, diese Dinge anzusprechen, was bisher aber nicht in ausreichendem Maße erfolgt ist.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, noch einmal: Sind Sie, nachdem Sie erwähnt haben, daß Landesarbeitsministerien ihre Rentenversicherungsträger oder LVAs gebeten haben, darauf hinzuwirken, daß man mit den Mitteln dort sparsamer umgeht, nicht der Auffassung, daß auch der Bund in seinem Bereich Aufgaben hätte? Welchen Sinn sollte sonst die Bundesrechnungshofprüfung haben?
Die Bundesregierung wird ihren Aufgaben auf jeden Fall gerecht, wenn sie bei all diesen Haushaltsansätzen darauf hinweist, daß die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit zu beachten sind.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß vom Verband der Rentenversicherungsträger auch ausgeführt wird, daß insbesondere dadurch höhere Ausgaben entstehen, daß die Bundesregierung den VdR mehr in Anspruch nimmt?
({0})
Das ist genau die Frage, die auch schon in Ihrer ursprünglichen Frage enthalten war, daß die Bundesregierung durch eine Reihe von Gesetzgebungsmaßnahmen praktisch den Verband der Rentenversicherungsträger beansprucht. Ich glaube, es ist Aufgabe des Verbandes der Rentenversicherungsträger, durch seinen Sachverstand hier in der Gesetzgebung seine Erfahrungen einzubringen, hier mitzuwirken. Das ist in dieser Legislaturperiode nicht neu, sondern in einer Reihe von Legislaturperioden haben wir eine Vielzahl von Gesetzgebungsmaßnahmen
im Rentenversicherungsbereich. Von daher könnte diese Situation nicht entstanden sein.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die Bundesregierung, wenn sie den VdR in Anspruch nimmt, dies auch bezahlen müßte und diese Kosten den Rentenversicherungsträgern in einer Umlage auferlegen kann?
Frau Kollegin, soviel mir bekannt ist, sind Sie selber Mitglied einer Selbstverwaltung. Ich glaube, daß Sie hinsichtlich dieser Aufgabe zunächst einmal in Ihrem Bereich aktiv werden könnten.
Die beiden Fragen 64 und 65 der Abgeordneten Grünbeck und Zander werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung abgeschlossen. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär Höpfinger für die Beantwortung der Fragen.
Wir sind am Ende der Fragestunde.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich Sie, meine Damen und Herren davon unterrichten, daß auf der Ehrentribüne eine Delegation des italienischen Senats Platz genommen hat. Ich habe die Ehre, Herrn Senator Benedetti und die Mitglieder seiner Delegation herzlich bei uns zu begrüßen.
({0})
Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen und angenehmen Aufenthalt bei uns in Bonn.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat Einvernehmen darüber erreicht, daß die für heute abend vorgesehene Debatte zur Parlamentsreform abgesetzt wird und erst im Januar auf die Tagesordnung kommt. Damit entfällt Punkt 11 a bis h der Tagesordnung.
Auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung um die Beratung der Sammelübersichten 122 bis 124 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen erweitert werden. Die Vorlagen sollen mit Tagesordnungspunkt 12 aufgerufen werden.
Weiterhin ist vorgesehen, daß zu dem Tagesordnungspunkt 9 und dem Zusatztagesordnungspunkt 3 entgegen der ursprünglichen Vereinbarung eine Aussprache nicht stattfinden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich stelle dies fest. Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({1})
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Raumordnungsbericht 1982 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Programmatische Schwerpunkte der Raumordnung
- Drucksachen 10/210, 10/3146, 10/4012 Berichterstatter: Abgeordnete Pesch Lohmann ({2})
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Müntefering, Conradi, Eickmeyer und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4147 vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich höre dazu keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den drei Jahren, in denen ich die Verantwortung für die Raumordnungspolitik des Bundes trage, hat die Bundesregierung dem Hohen Haus zwei für die Raumordnungspolitik der 80er Jahre richtungweisende Vorlagen zugeleitet: den Raumordnungsbericht 1982 und die darauf aufbauenden Programmatischen Schwerpunkte der Raumordnung vom Januar 1985. Ich begrüße es sehr, daß der Deutsche Bundestag diese Vorlagen in insgesamt acht Ausschüssen intensiv beraten hat und heute in einer raumordnungspolitischen Debatte erörtert.
Neben dem Hohen Hause hat auch die Ministerkonferenz für Raumordnung, in der der Bund und die Länder zusammenwirken, die Programmatischen Schwerpunkte behandelt. Sie hat die Initiative des Bundes grundsätzlich begrüßt. Die Schwerpunkte werden nun in den Ausschüssen der Ministerkonferenz eingehend beraten, um den gemeinsamen Handlungsbedarf zu ermitteln. Der Beirat für Raumordnung, der mich bei wichtigen politischen Fragen berät, ist ebenfalls dabei, die Schwerpunkte in konkrete Handlungsansätze umzusetzen. Ich verspreche mir von diesen Diskussionen insgesamt, daß die Raumordnungspolitik in der politischen Aufmerksamkeit wieder das erforderliche Gewicht erhält, daß sie neue Impulse bekommt, daß inhaltlich auf einigen besonders wichtigen Feldern möglichst gemeinsame Akzente gesetzt werden.
Die Raumordnungspolitik bedarf dringend neuer politischer Anstöße, denn seit dem Bundesraumordnungsprogramm von 1975 hat die Raumordnung sehr an politischem Interesse verloren. Der Herr Bundeskanzler hat deshalb in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 eine bessere Koordinierung von Raumordnungs-, Struktur- und Umweltpolitik gefordert.
({0})
Die Programmatischen Schwerpunkte der Raumordnung beschreiben die Grundlinien der künftigen Raumordnungspolitik des Bundes. Ich möchte hier einige Aussagen hervorheben.
Erstens. Ausgangspunkt unserer Politik bleibt das Ziel der Raumordnung, in allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland gleichwertige gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen zu erhalten und zu schaffen.
Zweitens. Die Problemräume, also West-Berlin, das Zonenrandgebiet und abgelegene ländliche Regionen, behalten raumordnungspolitische Priorität. Die Bundesregierung legt größten Wert auf diese Feststellung.
({1})
Sie hat deshalb in den Jahren von 1983 bis 1985 die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", in die die wirtschaftliche Zonenrandförderung einbezogen ist, erhöht. Sie hat darüber hinaus die Förderung sozialer und kultureller Einrichtungen und Maßnahmen verstärkt. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe wurden von 1982 bis 1984 im Zonenrandgebiet Investitionsvorhaben in Höhe von rund 11 Milliarden DM gefördert.
({2})
Damit wurden rund 35 000 Arbeitsplätze neu geschaffen
({3})
und rund 234 000 gefährdete Arbeitsplätze gesichert.
Drittens. Ich bitte, jetzt besonders achtzugeben.
({4})
- Herr Kollege Müntefering, Sie kommen genau aus dem Bundesland, das ich jetzt besonders im Visier habe.
({5})
Natürlich lassen wir die Wachstums- und Strukturprobleme an den traditionellen Standorten der Montan- und Werftindustrie nicht außer acht.
Freilich, die Raumordnungskompetenz des Bundes ist eine rahmenrechtliche Kompetenz. Die letzte konkrete Einzelentscheidung vor Ort im Lande, auch gegenüber den dortigen Städten und Gemeinden, tragen die Länder.
({6})
Wenn es also raumordnungspolitische Schwachstellen gibt, haben wir immer zuerst zu fragen: In welchem Land liegen sie, und wer ist dafür verantwortlich?
({7})
Meine Damen und Herren, Raumordnungspolitik erfordert prognostische Kraft, eine prognostische Fähigkeit und auch den Mut, nach den Erkenntnissen vorausschauend zu handeln. Ich habe den Eindruck, daß sich in der Bundesrepublik Deutschland der Süden - er ist näher dem Osten, also der Sonne und der heilenden Wärme näher - sehen lassen kann, was diesen prognostischen Mut angeht.
({8})
- Das Land Niedersachsen zeichnet sich durch eine exzellente Landesentwicklungsplanung aus. Dieses Land hat in den letzten Jahren eine hervorragende Entwicklung genommen. Vielleicht hatten dort die Sozialdemokraten zu lange regiert.
({9})
Meine Damen und Herren, kehren wir wieder zur Sache zurück.
({10})
Es ist völlig abwegig, der Bundesregierung unterstellen zu wollen, sie verfolge eine Politik der Benachteiligung der Verdichtungsräume und setze sich damit in Widerpruch zu den Bestimmungen des Raumordnungsgesetzes. Nichts liegt der Bundesregierung ferner! Wir alle müssen ein Interesse daran haben, daß unsere Verdichtungsräume funktionsfähig bleiben. Entscheidend dafür ist die Bereitschaft der regional Verantwortlichen, das vorhandene Entwicklungspotential auszuschöpfen. Ich muß immer wieder an die Verantwortlichkeit der Länder, aber auch in besonderer Weise an die der Kommunalpolitiker - natürlich auch der Landräte - erinnern.
Im Änderungsantrag der Opposition zur vorliegenden Beschlußempfehlung wird behauptet, die Bundesregierung sei auf Arbeitsmarktprobleme nur ungenügend eingegangen.
({11})
Eine derartige Auffassung kann nur vertreten, wer sich mit unseren programmatischen Schwerpunkten nicht ernsthaft genug auseinandergesetzt hat.
({12})
Das Thema Arbeitslosigkeit ist in wesentlichen Abschnitten mehrfach deutlich behandelt; das zieht sich durch die gesamte Ausarbeitung. Für die Raumordnung ist die schwierige Arbeitsmarktlage natürlich eine prinzipielle und vielfach differenzierte konkrete Herausforderung.
({13})
Inzwischen ist j a bei der Beschäftigung eine positive Entwicklung zu erkennen. Noch nie hat es in unserem Lande eine Entwicklung von wachsender Wirtschaft bei fallender Inflationsrate gegeben, wie es auch noch nie eine Zeit gegeben hat, in der 14034
wie jetzt im November der Fall - die Mietsteigerung nur 1,7 % beträgt.
({14})
Drei Jahre nach seinem Amtsantritt kann der Raumordnungsminister feststellen, daß in den ländlichen Problemregionen Niedersachsens und Bayerns der Anstieg der Arbeitslosigkeit vielfach gestoppt werden konnte. Dies ist auf die konsequente Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung zurückzuführen, die der Sachverständigenrat erst vor kurzem voll bestätigt und positiv gewürdigt hat. Wir werden diese erfolgreiche Politik fortsetzen. Der neue Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", der im Juni dieses Jahres beschlossen wurde, berücksichtigt dies.
Die Stadt- und Dorferneuerung hat sich in den letzten Jahren zum wichtigsten Instrument zur Verbesserung der Wohn- und Lebensverhältnisse entwickelt. Die Bundesregierung unterstützt deshalb die entsprechenden Maßnahmen. Dabei legt sie besonderen Wert auf Maßnahmen im ländlichen Raum.
({15})
Im Bereich der Städtebauförderung hat die Bundesregierung ihren Verfügungsrahmen für die Programmjahre 1986 und 1987 auf jeweils 1 Milliarde DM verdreifacht. Das ist fast das Fünffache der Summe, die die Regierung Schmidt bereitgestellt hatte.
({16})
Gute Beispiele spornen an und reißen mit, und so ziehen die Länder und Gemeinden mit. Damit stehen für die Städtebauförderung 1986 und 1987 insgesamt rund 4,6 Milliarden DM zur Verfügung.
Die wirtschaftlichen Entwicklungschancen strukturschwacher Räume werden im Zuge der technischen Entwicklung immer mehr vom Angebot an Informations- und Kommunikationsdiensten bestimmt. Dies betrifft in erster Linie die Angebote der Bundespost. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien müssen auch im ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Sie eröffnen den peripheren Gebieten Chancen, die genutzt werden müssen. Auch hier wird wiederum die Verantwortlichkeit der Länder und der Gemeinden sichtbar.
({17})
Meine Damen und Herren, zentrales Anliegen der Bundesregierung ist die stärkere Verzahnung von Raumordnungs- und Umweltpolitik. Ein besonderer Schwerpunkt ist der Schutz des Bodens. Hier steht das Ziel des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden im Vordergrund. Dieser Grundsatz findet übrigens auch im vor einer Woche verabschiedeten Entwurf eines Baugesetzbuchs mehrfach konkreten Ausdruck.
Als eine wichtige Vorarbeit für die Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung haben wir im vergangenen Jahr einen Beicht über Flächennutzung und Bodenschutz vorgelegt. Die Forderung nach einer Trendwende im Landverbrauch findet in diesem Bericht ihre sachliche und analytische Begründung. Bei der Konkretisierung und Umsetzung dieser Forderung arbeiten Bund und Länder zusammen.
In dem Entwurf des Baugesetzbuchs haben wir, soweit es dort möglich war, den Versuch unternommen, diesen Zusammenhang, der sowohl die örtliche Bauleitplanung als auch die Landesplanung betrifft, zu verdeutlichen. Natürlich bleibt die alleinige, ausschließliche örtliche Verantwortung für diesen Rechtsbereich erhalten. Aber Landes- und Regionalplanung sind eben gemeinsam mit der kommunalen Bauleitplanung gefordert.
Sie wissen, daß Raumordnungspolitik heute bereits europäische Züge annimmt. Mit unseren Bemühungen um flächensparende Bau- und Siedlungsformen sowie um eine verstärkte Innenentwicklung der Städte und Gemeinden unterstützen wir die Länder und Gemeinden.
Eine stärkere Verzahnung der Umweltbelange mit der Raumordnung erfordert auch entsprechende Instrumente. Das Raumordnungsgesetz von 1965 enthält die wesentlichen Instrumente der Raumordnung und Landesplanung - mit einer Ausnahme: Es fehlt das Raumordnungsverfahren. Man hat dieses Gesetz gemacht, um die föderale Struktur unseres Bundesstaates in besonderer Weise zu unterstreichen, und in der Erwartung, daß die Länder ihrer Verantwortung im Bereich von Raumordnung und Landesentwicklung voll nachkommen. Das Raumordnungsverfahren ist in der Praxis zu einem vielfach unverzichtbaren Instrument in Ergänzung zu den Raumordnungsplänen geworden. Der Bund und die Länder haben deshalb in der Ministerkonferenz für Raumordnung beschlossen, zu prüfen, ob das Raumordnungsverfahren unter Einbindung der Umweltverträglichkeitsprüfung im Raumordnungsgesetz verankert werden kann. Darüber werden wir bald entscheiden. Ich freue mich, daß die vorliegende Beschlußempfehlung des 16. Ausschusses diese Bemühungen unterstützt.
Die Beschlußempfehlung des 16. Ausschusses zum Raumordnungsbericht und zu den Programmatischen Schwerpunkten der Raumordnung setzt die notwendigen Akzente. Auf dieser Grundlage können wir die im Raumordnungsbericht und in den Raumordnungsschwerpunkten enthaltenen Lösungsansätze fortentwickeln. Bei der notwendigen Konkretisierung der Raumordnungsschwerpunkte muß man allerdings immer die Rolle der Raumordnung im Kompetenzverhältnis zwischen Bund und Ländern sowie zwischen dem Raumordnungsminister und den Fachressorts des Bundes im Auge behalten.
({18})
Tut man das nicht, kommt man zu unrealistischen
Vorstellungen. Das zeigen die Anmerkungen der
Opposition, verehrter Herr Kollege Müntefering, insbesondere zu den fachpolitischen Problemstellungen.
({19})
Meine Damen und Herren, es bringt auch nichts, wenn die Opposition auflistet, welche denkbaren Politikbereiche in den Programmatischen Schwerpunkten unerwähnt geblieben sind. Solche Kritik übersieht, daß wir uns bewußt auf ausgewählte Schwerpunkte, d. h. auf die wichtigen Bereiche, konzentriert haben.
Ich will mit der Feststellung schließen: Im Oktober tagte in Den Haag die europäische Raumordnungsministerkonferenz. An dieser Konferenz haben auch Abgeordnete des Europarats und des Europäischen Parlaments teilgenommen. Alle diese Abgeordneten - übrigens aller Fraktionen - haben mit großer Entschiedenheit gefordert, in Europa die raumordnungspolitischen Vorgaben auf nationaler Ebene besser zu berücksichtigen. Ich möchte daran appellieren, daß die Raumordnungspolitiker in der Bundesrepublik Deutschland immer auch ihre europäische Mitverpflichtung und Mitverantwortung sehen. Allerdings, eine gute Raumordnungspolitik in Europa werden wir erst dann haben, wenn sie national die Reife erreicht hat, die ihr zukommt.
Die Bundesregierung hat alles dazu getan, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland wieder konkret raumordnungspolitische Fortschritte nachweisen können.
Ich bedanke mich beim zuständigen Ausschuß, daß er meine Politik unterstützt hat. Ich bedanke mich für jede konstruktive Kritik, für jeden positiven Zuspruch, zumal dann, wenn positiver Zuspruch aus den Reihen der Opposition kommen sollte.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Lohmann ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Die Raumordnungspolitik der Bundesregierung tritt auf der Stelle.
({0})
Sie gleicht dem Versuch einer Schildkröte, sich im Stabhochsprung zu üben.
({1})
So sprach der heutige Staatssekretär Jahn als Oppositionspolitiker 1976 hier zu dem Plan, der damals vorlag.
({2})
Was die Räume brauchen, sind Arbeitsplätze und noch einmal Arbeitsplätze!
So sprach Frau Pack von der CDU als Oppositionsabgeordnete 1980 hier zu einer Zeit, als die Arbeitslosenzahl noch um eine Million tiefer lag als heute.
({3})
Wenn man diese Äußerungen der beiden damaligen Oppositionsabgeordneten wertet, dann müßte inzwischen ein Feuerwerk von aktiver Raumordnungspolitik, Herr Minister, abgebrannt worden sein.
({4})
Aber davon kann keine Rede sein. Wie sieht es beim Minister aus?
({5})
Nach Meinung des „Handelsblattes" entdeckte Minister Oscar Schneider erst zu Beginn dieses Jahres die Raumordnung, als er aus der Tiefe des Raumes auftauchte, seine diffusen programmatischen Schwerpunkte zur Raumordnung vorlegte und meinte, hiermit der größte Raumordnungsminister aller Zeiten werden zu können. Der Altphilologe Dr. Schneider sah das Attribut „diffus" als Kompliment an. Er dozierte: Diffus stamme von diffundere und bedeute Gedankenverbreiten.
({6})
Diesen Eindruck hat auch die SPD. Die Raumordnungspolitik dieser Regierung bedeutet Gedanken verbreiten. So sieht es aus.
({7})
Wir sagen: Wesentliche Gebiete und Aspekte sind in den Schwerpunkten nur angedeutet. Für uns sind dies Massenarbeitslosigkeit und steigende Umweltbelastung. Sie lassen sich nicht mehr nach klassischen raumordnerischen Kriterien lokalisieren und bekämpfen. In den Schwerpunkten fehlt ein dringend notwendiges Handlungskonzept. Die groß-und kleinräumig stark differierenden Arbeitslosenzahlen, die groß- und kleinräumigen Tendenzen bei der Bevölkerungswanderung und die groß- und kleinräumig erheblichen Unterschiede in der Investitionskraft der Kommunen bleiben ohne entsprechende Beachtung.
({8})
Auf die Arbeitslosigkeit als wichtigstes innenpolitisches Problem mit seinen regionalen Ausprägungen wird nur indirekt eingegangen.
Auch dann, Herr Minister, wenn Sie gesagt haben, wir gäben nur die Rahmenkompetenz, möchte ich hier einige Einzelfragen ansprechen, bei denen zu erkennen ist, daß eigentlich Ihr Engagement angebracht gewesen wäre.
Lohmann ({9})
Ich komme zunächst einmal zu dem, was der nordrhein-westfälische Finanzminister hier in der Haushaltsdebatte vorgetragen hat. Er hat eindeutig aufgezeigt - und dies hat etwas mit Gleichwertigkeit zu tun -, welche Problematik Nordrhein-Westfalen zu bewältigen hatte. 80 % der 1958 vorhanden gewesenen Zechen wurden bisher stillgelegt. Die Kohleförderung wurde von 202,5 Millionen t auf 66,3 Millionen t zurückgefahren.
({10})
- Wer dort regiert? Sie müßten einmal die Rede lesen, die Bundespräsident von Weizsäcker im letzten Jahr in Oberhausen gehalten hat, in der er gezeigt hat, welches Verständnis er für die Situation in Nordrhein-Westfalen aufbringt.
({11})
Ähnliches gilt für den Stahlbereich. Insgesamt gingen im Montanbereich eine halbe Million Arbeitsplätze verloren.
Wenn man sich das einmal ansieht, dann, so finde ich, müßte der Raumordnungsminister bereit sein, bei der Gemeinschaftsaufgabe darauf zu drängen, daß mehr Mittel in diesen Bereich fließen. Das gilt ähnlich für Bremen und das Saarland.
({12})
Lassen Sie mich eine Frage ansprechen, die speziell die Stahlstandorte beftrifft. Sie erinnern sich daran, daß wir uns im Raumordnungsausschuß, der zwar nicht federführend für die Stahlstandorte ist, zuletzt im Mai mit dieser Frage beschäftigt haben. Wir haben damals beantragt:
Erstens. Verdoppelung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe angesichts der wachsenden Unterschiede der regionalen Arbeitslosigkeit in altindustriellen Verdichtungsräumen wie in strukturschwachen, ländlich peripheren Gebieten.
Zweitens. Verlängerung des Stahlstandortprogramms über den 31. Dezember 1985 hinaus bis zur Neuabgrenzung der Fördergebiete in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur".
Drittens. Bei der geplanten Neuabgrenzung der Fördergebiete ist die Arbeitsmarktlage wesentlich stärker als bisher zu berücksichtigen.
Was ist geschehen? - Sie haben dies abgelehnt. Somit hat es wahrscheinlich auch der Minister abgelehnt.
({13})
Wann ist das Programm verlängert worden? - Gestern ist es verlängert worden. Was ist in den Kommunen, in den Stahlstandorten bis dahin gelaufen, wenn Betriebe kamen, die investieren, die sich ansiedeln oder umsiedeln wollten? Es mußte ihnen gesagt werden: Wir können keine Auskunft geben; es gibt keine Verlängerung des Stahlstandortprogramms.
Sie haben damals gesagt: Ihr seid Hiob, wenn ihr in dieser Form etwas an die Wand malt. Es ist nicht gehandelt worden. Ich finde, im Interesse der Stahlstandorte und der dort lebenden Menschen hätte der Minister hier handeln müssen.
({14})
Ich könnte für Braunschweig, für Salzgitter, für die Maxhütte, für die Georgsmarienhütte in Osnabrück die Situation auf dem Arbeitsmarkt aufzeigen. Ich nenne Duisburg, Bochum, Dortmund. Dort haben wir seit 1979 eine dramatische und gravierende Verschlechterung der Arbeitsmarktlage. Die Zahl der Stahlarbeiter wurde von 1979 bis 1985 von 121 000 auf 86 000, also um 35 000, abgeschmolzen. Hinzu kamen der mittelbare und der unmittelbare Verflechtungsbereich sowie der Zulieferbereich. Die Zahl der Arbeitslosen stieg von 67 000 auf 126 000. Damit liegen diese Städte in dem angesprochenen Bereich mit 172 % über dem Bundesdurchschnitt.
Herr Minister, wo ist hier die Gleichwertigkeit?
({15})
Ich möchte auch etwas aufgreifen, was heute morgen eine große Rolle gespielt hat. Hier wurde über § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes diskutiert, über die Änderung, die Sie vorschlagen. Ich darf aus der Stadt, in der ich gewählt wurde, folgendes sagen. Die Stadt Bochum bezahlt 1985 70 Millionen DM Sozialhilfe.
({16})
Sie hat 1981 37 Millionen DM bezahlt. Diese Aufwendungen sind um fast 100% gestiegen. Wenn das, was Sie heute morgen im Zusammenhang mit § 116 Arbeitsförderungsgesetz beantragt haben, Gesetz gewesen wäre, hätte das bedeutet, daß die 11 000 kalt ausgesperrten Opel-Arbeiter im letzten Jahr bei der Stadt Bochum Kosten in Höhe von 18 Millionen DM für vier Wochen verursacht hätten.
({17})
Können Sie mir sagen, wie die Stadt in der Lage wäre, dies zusätzlich aufzubringen? Auch hier liegt die Verantwortung des Ministers, der für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen sorgen muß.
({18})
Vielleicht darf ich auch darauf verweisen: Wie sieht es bei der Arbeitslosigkeit aus? Wir haben einen Besuch in England gemacht. Wir sind in Liverpool gewesen. Wir hatten in London Möglichkeiten. Ich erinnere an Tottenham, Birmingham, Brixton. Wir haben Bereiche gesehen, wo 40 bis 50 % der jungen Menschen arbeitslos waren
({19})
und wo dann im Grunde die Situation kippte. Wenn nicht auch der Minister zur Kenntnis nimmt, daß wir in vielen Bereichen einen überdurchschnittlichen Anteil haben, sehe ich die große Gefahr, daß
Lohmann ({20})
wir leider irgendwann ebenfalls in eine so schwierige Situation kommen.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Die SPD stellt fest, daß die wichtige Aufgabe weiterhin bleibt, Berlin und das Zonenrandgebiet bei den vielfältigen Lagenachteilen in besonderer Weise wie bisher zu unterstützen. In den übrigen von uns angesprochenen Bereichen gibt es große Defizite.
Herr Minister, wenn Sie nicht ein so netter Mensch wären, würde ich Ihnen das Prädikat „kolossaler Winzling" geben: kolossal in der Ankündigung, winzig in der Verwirklichung.
Herzlichen Dank.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Pesch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist verwundlich, daß die Kollegen der SPD-Fraktion aus dem Bundesland, wo deren eigene Partei am meisten versagt hat, hier am lautesten agitieren.
({0})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den von der Bundesregierung vorgelegten Raumordnungsbericht 1982 mit seiner sehr sorgfältigen Analyse der räumlichen Entwicklung der Bundesrepublik sowie die vorgestellten programmatischen Schwerpunkte künftiger Raumordnungspolitik des Bundes.
Es wäre gut und sinnvoll gewesen, wenn die Opposition der Beschlußempfehlung der Koalition zum Raumordnungsbericht 1982 und den programmatischen Schwerpunkten zugestimmt hätte
({1})
oder sich zumindest zu einem Kompromiß, zu einer gemeinsamen Beschlußempfehlung durchgerungen hätte.
({2})
Statt dessen haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sich mehr agitativ als argumentativ mit dem Bericht auseinandergesetzt.
({3})
Sie haben die große Schwierigkeit der Problemstellung, was Ihre Lösung angeht, zugegebenermaßen erkannt, aber Sie haben nicht den Willen aufgebracht, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Ich stelle fest, daß die vorgelegten programmatischen Schwerpunkte dieser Regierung konsensfähig waren und sicher sind. Hier sollten Koalition und Opposition in dasselbe Boot steigen und in dieselbe Richtung rudern, da wir alle in diesem Haus wissen, wie unbedingt notwendig breiter Konsens ist, um
Erfolge des Bundes bei der Raumordnungspolitik gegenüber den sehr selbstbewußt agierenden Bundesländern zu erzielen und sichtbar zu machen.
({4})
Das Raumordnungsgesetz hält die notwendigen Ordnungsinstrumente bereit. Auch wir wissen, daß dieses Gesetz im wesentlichen nur eine dienende Funktion des Bundes gegenüber den Ländern zum Inhalt hat. Wir können doch nicht umhin, festzustellen, daß die Raumordnungspolitik des Bundes dort aufhört, wo Landesentwicklungspläne oder Gebietsentwicklungspläne der Länder oder Flächennutzungspläne der Gemeinden beginnen. Wie soll Raumordnungspolitik mit der jeweiligen Strukturpolitik und Umweltpolitik der einzelnen Bundesländer erfolgreich koordiniert werden, wenn die im Raumordnungsgesetz ausführlich geregelte Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden oft nur aus dem Blickwinkel und durch die Brille der jeweiligen Länder oder Gemeinden gesehen wird? Raumordnungspolitik kann doch nicht nur eine Alibifunktion seitens der Länder haben, ein Alibi dafür sein, immer mehr Subventionen für Schwachstellen aller Art im eigenen Land zu fordern, mit denen sie selber nicht fertig werden.
({5})
Wenn hier schon eine Menge Schwierigkeiten im eigenen Land entstehen, wie wollen wir erst - was der Herr Minister eben andeutete - mit den ungleich schwierigeren Problemlösungen einer europäischen, also grenzüberschreitenden Ordnungspolitik fertig werden,
({6})
was z. B. die Abstimmung der Regional- und Landesplanungen, Fragen der grenzüberschreitenden Fachplanungen, Verkehr, Energiestandorte, Umweltschutz, Wirtschaftsförderung, Natur- und Landschaftsschutz, angeht, um nur einmal einige Punkte zu nennen.
Der vorliegende Bericht spricht auch diese Problembereiche an und zeigt Wege zur Lösung auf, die auch Ihre Zustimmung, meine Damen und Herren von der Opposition, finden müßten. Sie benutzen allerdings den vorgelegten Bericht dazu, um von den Sünden Ihrer wahrlich nicht glorreichen Vergangenheit in Sachen Bau- und Raumordnungspolitik abzulenken,
({7})
vor allem von den latenten Sünden der von Ihnen regierten Länder. Hier wäre an erster Stelle Nordrhein-Westfalen zu nennen,
({8})
wo es durch eine gar abenteuerliche Finanzpolitik zu zum Teil völlig desolaten Strukturen im Lande gekommen ist.
({9})
Was hilft eine noch so gut gemeinte, sachlich und
fachlich wohlfundierte Raumordnungspolitik des
Bundes, wenn diese - wie in Nordrhein-Westfalen
- durch eine chaotische Politik wirkungslos gemacht wird,
({10})
wenn - meine Damen und Herren von der SPD, das ist nicht abzustreiten - in Nordrhein-Westfalen die finanziellen Probleme der Städte, Gemeinden und Kreise immer größer und dadurch ohnehin vorhandene Ungleichgewichte zwischen Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern immer augenfälliger werden?
({11})
- Ich lasse keine Zwischenfrage zu. - Gerade ein Land wie Nordrhein-Westfalen mit seiner Vielzahl von Verdichtungsräumen, mit seiner Montan-Industrie, mit seinen besonderen Belastungsräumen, wie es der Raum ist, in dem sich z. B. der Braunkohletagebau befindet, mit all seinen Umweltproblemen sollte sich an die Spitze der Länder stellen, die den Bund unterstützen, die programmatischen Schwerpunkte weiter zu konkretisieren und daraus gemeinsame Handlungsfelder für Bund und Länder zu entwickeln. Wenn allerdings, meine Damen und Herren, die Unterstützung Nordrhein-Westfalens so aussehen wird wie bei der Novellierung des Bundesbaugesetzes, dann haben wir auch in der Raumordnungspolitik wie in vielen anderen Bereichen von Nordrhein-Westfalen nichts, aber auch gar nichts zu erwarten.
({12})
- Als Nordrhein-Westfale weiß ich, wovon ich rede, meine Herren, die Sie in diesem Lande die Regierung stellen. ({13})
Wir als CDU/CSU-Fraktion treten für die Belange Berlins ein. Wir räumen dem Zonenrandgebiet Priorität in der Raumordnungspolitik des Bundes ein.
({14})
Von Wichtigkeit ist für uns der ländliche Raum, die Verbesserung seiner Infrastruktur, um eine günstige Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung zu gewährleisten. Besonderes Augenmerk müssen wir darauf legen, daß alles nur Denkbare unternommen wird, um die ländlichen Räume den modernen Kommunikationstechniken zu erschließen.
({15})
Ich sprach die Verdichtungsräume in Nordrhein-Westfalen an. Diese Verdichtungsräume mit all ihren besonderen Problemen gibt es natürlich auch in anderen Regionen des Bundes, Verdichtungsräume, die von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Allgemeinheit sind. Hier gilt es Standorte zu sichern, sie leistungsfähig und ökologisch lebensfähig zu erhalten. Wir haben die große Aufgabe und Verpflichtung, die ansässigen kleinen und mittleren Unternehmen, die sich auch und nicht zuletzt durch die Bereitstellung vieler dauerhafter Arbeitsplätze auszeichnen, zu stärken.
({16})
Die programmatischen Schwerpunkte zeigen Wege auf, die der Erhaltung der gewachsenen - vor allem sozialen - Infrastruktur und der ökologischen Potentiale dienen. Die Hauptaufgabe ist es also, die Leistungsfähigkeit der Verdichtungsräume zu wahren und die Probleme dieser Räume nicht durch Ausdünnen oder gar Ausräumen zu lösen. Das heißt aber auch, Wege und Lösungen zu finden, Monostrukturen, wie wir sie in einigen Bereichen der Bundesrepublik vorfinden, nicht zu verfestigen, sondern diese einseitigen Strukturen auf Dauer durch vielfältigere Strukturen zu ersetzen.
({17})
Die SPD fordert die Bundesregierung auf, stärker als bisher die Ziele der Raumordnung zu berücksichtigen und aus den in den Berichten festgehaltenen Erkenntnissen die nötigen politischen Konsequenzen zu ziehen.
({18})
Wenn die Konsequenzen, die die Bundesregierung zu ziehen bereit ist, von der Güte wären, wie das bei der Vorgängerregierung der Fall war,
({19})
wäre das natürlich entschieden zuwenig. Hier ist in der Vergangenheit - das ist vorhin auch von dem Herrn Minister festgestellt worden - sicherlich nicht allzuviel passiert.
In einem wichtigen Punkt allerdings stimmen Koalition und Opposition überein, nämlich hinsichtlich der fälligen Novellierung des Raumordnungsgesetzes. Hier muß es vorrangiges Ziel sein, Raumordnungsverfahren der Länder rahmenrechtlich festzuschreiben und darin die erste Stufe einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu integrieren. Dabei ist auf die Wertigkeit der ökonomischen, sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen zu achten. Hier gilt die große Herausforderung der Zukunft, Ökonomie und Ökologie soweit wie möglich in Einklang zu bringen. Raumordnungspolitik muß auch Umweltschutzpolitik sein. Viele Planungen und Maßnahmen, die getroffen werden, haben Auswirkungen auf die Umwelt. Hier sind eine sorgfältige Prüfung und Analyse möglicher Auswirkungen von großer Bedeutung.
Ich darf für meine Fraktion feststellen, daß sich der Bundesbauminister als Raumordnungsminister in hervorragender Form seiner Raumordnungsaufgabe stellt.
({20})
Das zeigen einmal mehr die programmatischen Schwerpunkte, die es wirklich wert sind, meine Damen und Herren von der SPD, daß man sich mit ihnen positiv auseinandersetzt,
({21})
anstatt sie nur nörglerisch zu kritisieren. Helfen Sie mit, das Raumordnungsgesetz so zu novellieren, daß zukünftige Abstimmungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden mit geringeren Schwierigkeiten und größerer Effektivität stattfinden können.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt der vorliegenden Beschlußempfehlung der Koalition zum Raumordnungsbericht und zu den programmatischen Schwerpunkten zu.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. ({22})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Frau Segall.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie gerade festgestellt haben, springe ich für den Kollegen Grünbeck ein.
Ich erlaube mir zunächst ein paar Randbemerkungen. Als Liberaler hat man so seine Probleme mit der Planifikation. Dabei ist sicherlich nicht zu übersehen, daß ein Politiker immer in der Gefahr ist, als Nachweis seiner Daseinsberechtigung etwas zu planen oder zu fördern nach dem Motto: Tu' Gutes und rede darüber. Trotz dieser Maxime aus dem Bereich der Politik meine ich, daß es sich für einen Liberalen geziemt, doch etwas mehr Vertrauen in die Kräfte des Marktes zu setzen.
({0})
Wir kennen in Hessen die Probleme der Regionalpolitik, da wir es sowohl mit weiten Bereichen des Zonenrandgebietes als auch mit dem großen Ballungsraum Rhein-Main zu tun haben. Der Raumordnungsbericht gibt gerade diesen beiden Bereichen besondere Priorität: einerseits wegen der Umweltprobleme, die sich in Ballungsgebieten ergeben, und andererseits unter dem Stichwort regionale Wirtschaftsförderung wegen der Forderung des Grundgesetzes nach gleichwertigen Lebensbedingungen in allen Regionen der Bundesrepublik. Dabei bleibt dann interessanterweise der durchaus entwicklungsfähige Kasseler Wirtschaftsraum weitgehend außenvor.
Wir sollten uns aber vielleicht doch einmal überlegen, ob wir nicht gerade bei der regionalen Wirtschaftsförderung zum Zwecke der Schaffung von gleichwertigen Lebensbedingungen einer Schimäre nachlaufen. Bei der Herstellung von gleichwertigen
Lebensbedingungen soll die Regional- und Raumordnungspolitik helfen. Eine solche Politik ist eine Verteilungspolitik, die durch die Umverteilung von Unternehmen im Raum versucht, Einkommen umzuverteilen. Das ist aber eine sehr teure Lösung, da für die Umverteilung von Unternehmen im Raum Prämien bezahlt werden müssen - sprich: regionale Wirtschaftsförderung -, um eine Einkommensverteilung im Raum zu erreichen. Da gäbe es sicher billigere und effizientere Lösungen,
({1})
z. B. durch einen Bonus und/oder Malus im Einkommensteuersystem. Dies wäre mehr marktkonform und bedeutete weniger bürokratische, dirigistische Eingriffe des Staates.
Ein trauriges Beispiel dirigistischer Wirtschaftspolitik bietet derzeit der Staatsinterventionismus in Bayern und Baden-Württemberg,
({2})
der außerdem unserem erklärten Ziel des Subventionsabbaus diametral entgegensteht.
Doch nun zu einigen weiteren Punkten der Regionalpolitik. Für die FDP stellt die Versorgung und Entsorgung in einigen Umweltbereichen ein besonderes Problem dar. Hier plädieren wir für dezentrale Lösungen. Die Abfallwirtschaft ist zu überregionalen Entsorgungssystemen gekommen, wobei besonders die Deponien, Altlasten oder Neueinrichtungen ein großes Problem darstellen. Die Abwasserentsorgung sollte nicht nur durch große Zweckverbände, sondern auch durch dezentrale Projekte möglich sein. Dies trifft auch für die Trinkwasserversorgung zu.
Die Vorsorgemaßnahmen bei der Luftreinhaltung werden im nationalen Bereich so lange nur Teilerfolge sein, wie wir nicht in Gesamteuropa, in Ost und West, zu Maßnahmen kommen, die langfristig Schäden an der Natur verhindern. Wir müssen Entwicklungen unterstützen, die alte Technologie ablösen und eine bessere Umwelt durch eine bessere Technologie schaffen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Regionalpolitik ist die Verkehrspolitik. Wir begrüßen es, daß erstmals im Haushalt 1986 für den Ausbau der Schienenwege mehr Geld vorhanden ist als für den Straßenneubau. Bei der Beratung des Bundesfernstraßenbaus haben wir Wert darauf gelegt, daß die Fernverkehrsstraßen, insbesondere die bereits begonnenen Projekte, fertiggestellt werden, aber Ortsumgehungen und Beseitigung von Unfallschwerpunkten im Straßenverkehr Vorrang erhalten.
Als liberaler Marktwirtschaftler haben mich die Aussagen des Herrn Bundesministers Schneider besonders gefreut, daß unsere gemeinsame Politik der Liberalisierung des Mietrechts zu dem von uns nicht anders erwarteten Ergebnis geführt hat, daß
die Mietpreise nahezu stabil geblieben sind, und das allen Unkenrufen zum Trotz.
({3})
Man könnte jetzt ein langes Kolleg über Marktwirtschaft anfügen.
({4})
Danke.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Punkt 3 der Tagesordnung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Abgeordneten Müntefering, Conradi, Eickmeyer sowie weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4147. Wer diesem Änderungantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt worden.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf Drucksache 10/4012 ab. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Der Punkt 4 der Tagesordnung ist abgesetzt worden.
Ich rufe nun den Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts
- Drucksache 10/1232 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
({1})
- Drucksache 10/4512 Berichterstatter:
Abgeordnete Bernrath Clemens
Ströbele
({2})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen worden. - Ich höre und sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache und frage mich ernsthaft, wer der nächste Redner sein soll. - Herr Staatssekretär Spranger, Sie möchten als erster das Wort? - Bitte schön.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Spranger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 ausgeführt, daß es uns gelingen müsse, das Recht zu vereinfachen und Überreglementierungen zu beseitigen. Diese Forderung steht im Zusammenhang mit einem alten Parlamentsauftrag aus dem Jahre 1976 zur Vereinheitlichung der Verwaltungsverfahrensvorschriften und einer einschlägigen Forderung der CDU/CSU-Fraktion aus dem Jahre 1982.
Die Arbeiten an dem zur Beratung anstehenden Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts, die das erst kürzlich verabschiedete Erste Rechtsbereinigungsgesetz teilweise ergänzen, haben gezeigt, daß es zum Teil erheblich schwieriger ist, Normen zu vernichten, einzustampfen, um die Rechtsordnung zu entschlacken, als neue Normen zu schaffen.
Das gilt um so mehr, als Teile unseres Volkes offensichtlich immer mehr zum Gesetzesperfektionismus neigen und Lebenssachverhalten nur eine Existenzberechtigung zubilligen, wenn deren Beziehungen bis ins kleinste rechtlich und justiziabel gesichert sind.
Um so wichtiger ist es, im Interesse der Bürger mit dem vorliegenden Gesetzentwurf - in umgekehrter Richtung - einen Schritt auf dem Weg zu mehr Freiheit und Überschaubarkeit und weniger Reglementierung zu tun.
Die Arbeiten an dem anstehenden Gesetzesvorhaben geben mir alle Veranlassung, den Herren Berichterstattern zu danken. Es ist gewiß keine beneidenswerte Aufgabe, den Entwurf eines Sammelgesetzes durchzuarbeiten, das nicht nur etwa das Baurecht und die Gewerbeordnung, sondern auch so bewegende Bereiche wie das Hufbeschlagrecht oder Einfuhrbeschränkungen für Affen und Halbaffen betrifft.
Die rechtsübergreifende Klammer, die das zur Beratung anstehende Gesetzesvorhaben umfaßt, heißt „Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts". Das bedeutet im Klartext Durchforstung und Entrümpelung von verfahrensrechtlichen Sonderregelungen. Damit wird auch ein wesentlicher Beitrag zur Entbürokratisierung geleistet.
Mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf wird die verfahrensrechtliche Bereinigung nicht beendet. Die Streichung verfahrensrechtlicher Sondervorschriften oder deren anderweitige Anpassung an das Verwaltungsverfahrensrecht ist ein laufender Prozeß. Mit dem Ersten Gesetz zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts wird dieser Anpassungsprozeß beschleunigt und in die richtigen Bahnen gelenkt. Als Beispiel, auch der VerfahrensverParl. Staatssekretär Spranger
einfachung, möchte ich die Neuregelung des Saatgutverkehrs- und des Sortenschutzrechts hervorheben. Dabei konnten etwa 20 von insgesamt 130 Gesetzesparagraphen gestrichen werden. Das Ergebnis ist: größere Übersichtlichkeit und mehr Verwaltungspraktikabilität, die dem Bürger, aber auch der Verwaltung, dienlich sind und deren Arbeit erleichtern.
({0})
Der Regierungsentwurf zur Verfahrensbereinigung sah vor, 191 Rechtsvorschriften in Gesetzen und Verordnungen des Bundes zu streichen oder anderweitig dem Verwaltungsverfahrensrecht anzupassen. In der Beschlußempfehlung des Innenausschusses steht nun neben manchem dieser Streichungsvorschläge der Vermerk „entfällt". Das heißt: der Regierungsvorschlag ist inzwischen anderweitig positiv erledigt, entweder im Rahmen einer speziellen Gesetzesnovelle oder durch Änderung einer Rechtsverordnung.
Diese speziellen Bereinigungen wären kaum vorgenommen worden, wenn nicht im vorliegenden Gesetzentwurf konkrete Vorschläge dazu gemacht worden wären. Erfahrungen haben gezeigt, daß die verfahrensrechtliche Vereinfachung im Rahmen einer fachlich gebotenen Novellierung von Gesetzen oder Verordnungen wiederholt übersehen, aus irgendwelchen fachpolitischen Erkenntnissen zurückgestellt oder auch - und das scheint häufig der Fall gewesen zu sein - schlicht als lästig erachtet worden ist.
Die Vorschläge in dem Regierungsentwurf haben zum Teil Modellcharakter für die verfahrensrechtliche Bereinigung auch anderer Gesetze und Verordnungen.
Wer meint, z. B. ohne spezielle Widerrufstatbestände in einem Fachgesetz nicht auskommen zu können, wird künftig erstrangig auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes verwiesen werden. Die verfahrensrechtliche Bereinigung des Abfallbeseitigungsgesetzes etwa hat modellartige Bedeutung für die Vereinheitlichung der Planfeststellungsvorschriften im gesamten Bundesrecht, die ebenfalls einer Bereinigung unterzogen werden.
Darüber hinaus soll die gesetzesübergreifende, querschnittsmäßige Art des vorliegenden Bereinigungsgesetzes natürlich auch als Schranke wirken, um dem Entstehen von neuem Sonderverwaltungsverfahrensrecht vorzubeugen. Insofern hat sich schon die Existenz des Regierungsentwurfs als hilfreich erwiesen. Um so mehr wird das beschlossene und verkündete Gesetz als Mittel einer Art „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" von Rechts- und Verwaltungsperfektionismus dienen. Und daran, meine Damen und Herren, muß uns allen gelegen sein.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetz wird zweifellos ein wichtiger politischer Schritt in Richtung Entbürokratisierung getan. Ein Durchbruch hin zu Vereinheitlichung, zu mehr Bürgernähe und mehr Bürgerfreundlichkeit scheint uns aber noch nicht gelungen zu sein. Hoffentlich gelingt er bald. Wir erwarten also gern weitere Vorschläge der Bundesregierung. Daß dieser Durchbruch noch nicht gelungen ist, ist um so bedauerlicher, als die Entbürokratisierungskommission, die sogenannte Waffenschmidt-Kommission, bisher auch noch nichts praktisch Verwertbares, praktisch Entlastendes gebracht hat. Außer der Streichung einiger ohnehin nicht mehr praktizierter Regelungen ist aus dieser großartig angekündigten Kommission noch nichts herausgekommen.
Es müssen deshalb, wie ich meine, weitere Bereinigungen im Verwaltungsverfahrensrecht im Zusammenhang mit weiteren materiellen Rechtsbereinigungen erfolgen. Vereinfachungen, kostengünstiges Handeln, mehr Bürgerverständlichkeit erfordern aber nicht nur, daß der Bund solche Gesetzentwürfe vorlegt und damit Verbesserungen bewirkt, sondern auch ein Zusammenwirken zwischen allen Ebenen des Staates, zwischen Bund, Ländern und insbesondere den Kommunen. Wichtige Vorarbeiten in dieser Hinsicht hat das Land Nordrhein-Westfalen mit seiner Ellwein-Kommission geleistet. Dort ist - besonders für die Kommunen spürbar - ein erheblicher Teil an bürokratischem Ballast abgeworfen worden. Nach wie vor müssen aber auch die Kommunen um übersichtlichere, in ihrem Inhalt verständlichere ortsrechtliche Regelungen bemüht sein. Erst und nur viele kleine Schritte in allen Bereichen - bei Bund, Ländern und Kommunen - ergeben zusammen die notwendige Vereinfachung.
Nur solche Vereinheitlichungen, Vereinfachungen, Verbesserungen bewirken bei den in Politik und Verwaltung Handelnden aber auch eine Verhaltensänderung. Regelungen müssen einsichtig, zeit- und sachbezogen und auch verständlich sein. Dann werden sie beispielsweise auch von den Mitarbeitern im öffentlichen Dienst so aufgenommen, daß diese ihrerseits nicht mehr hoheitlich handeln oder auftreten, wie wir es hier und da noch erleben, sondern bedienen und beraten, statt abzufertigen.
Schließlich sollten wir die unleugbare Wechselwirkung zwischen der Regelungshäufigkeit und Bürokratisierung im Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsgerichtsrecht einerseits und der Staatshaftung andererseits nicht übersehen. Wir sollten daher, wie ich meine, nicht nur so schnell wie möglich weitere Vereinfachungen in diesem Bereich beraten und beschließen, sondern auch überlegen, ob wir die formellen Mängel der schon einmal beschlossenen Staatshaftung auf dem Wege über eine Wiederaufnahme der Beratungen beseitigen und über die Staatshaftung dann erneut beschließen. In diesem Sinne stimmen wir der Gesetzesvorlage zu.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Clemens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Ersten Gesetz zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts schlägt die Bundesregierung die Aufhebung bzw. die vereinfachende Änderung von rund 130 Gesetzesvorschriften und über 50 Vorschriften in Rechtsverordnungen vor. Der Abbau von zuviel Bürokratie ist schon länger das Ziel von vielen Politikern aller Couleur. Es wurde zumindest in der Vergangenheit viel darüber geredet, leider aber selten nach dieser Maxime gehandelt. Das galt auch - dies muß ich leider so sagen - für die frühere Bundesregierung. Es ist erfreulich, daß die jetzige Bundesregierung in Sachen Entbürokratisierung nunmehr intensiv an der Arbeit ist und durch eine Kommission überprüft, wo überflüssiger gesetzlicher Ballast abgestreift werden kann.
Auch dieser von der Bundesregierung unter der Federführung des Bundesinnenministers vorgelegte Gesetzentwurf zeigt, daß es der Bundesregierung ernst ist, Überreglementierungen unseres Lebens tatsächlich zu Leibe zu rücken. Der Hang der Deutschen zum Perfektionismus ist bekannt. Wir haben viele und zum Teil recht komplizierte Gesetzesvorschriften, die teilweise entweder überflüssig und daher zu streichen oder aber zu kompliziert und daher zu vereinfachen und verständlicher zu machen sind.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 die Entbürokratisierung zu einem politischen Schwerpunkt dieser Legislaturperiode erklärt. Außer durch die Einrichtung der Kommission hat die Bundesregierung in diesem Jahre deutlich gemacht, daß sie es nicht nur ernst meint, sondern entschlossen dieses Problem angeht. Diesem Gesetz zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts ist das Erste Rechtsbereinigungsgesetz vorausgegangen, das wir in der vergangenen Woche verabschiedet haben. Das Kabinett hat ein neues Baugesetzbuch verabschiedet, das erhebliche Vereinfachungen mit sich bringt. Ein Zweites Rechtsbereinigungsgesetz wird in Kürze dem Parlament vorgelegt. Wir warten „sehnsüchtig" darauf. Man hat also nicht nur geredet, sondern hat auch Taten folgen lassen. Insoweit unterscheidet sich die Bundesregierung zu ihrer Vorgängerin. Weitere ständige Rechtsbereinigungen sind aber dringend notwendig, um für die Zukunft sicherzustellen, daß der Abbau der Bürokratisierung überhaupt spürbar wird.
Der Gegenstand dieses Entwurfs ist inhaltlich sehr trocken. Es ist in der Tat nicht immer eine Freude, bei diesen unzähligen Einzelvorschriften Berichterstatter zu sein. Der Entwurf ist für die Allgemeinheit natürlich auch wenig spektakulär. Er besteht, wie eben schon erwähnt, aus vielen Einzelvorschriften, aus zum Teil wenig bekannten Gesetzen, sei es einem Gesetz zur Bekämpfung der Dasselfliege - die Landwirte mögen das kennen - oder der Affen-Einfuhrverordnung. Alle solche Probleme werden hier geregelt und im Verfahren vereinfacht. Im wesentlichen geht es sonst um die Aufhebung bzw. Anpassung von Sonderverwaltungsvorschriften, wie Zuständigkeits- und Genehmigungsregelungen, an die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Doppelgleisigkeit wird also beseitigt. Dadurch wie aber auch durch den Wegfall der Pflicht, Beteiligte im verwaltungsrechtlichen Vorverfahren anzuhören, oder durch den Wegfall des Erfordernisses der Schriftform entstehen wesentliche Vereinfachungen für die Verwaltung und den Bürger.
Die vielen Einzelvorschriften machten das Unterfangen ziemlich schwierig. Es war auch sehr zeitraubend, da sehr viele Behörden, sehr viele Fachbehörden, insbesondere der Länder, daran beteiligt werden mußten. Jede Behörde hält gern an dem fest, mit dem sie lange gearbeitet hat.
Manche Bereinigungen waren überfällig. Das gilt insbesondere für die Regelung des Notaufnahmerechts bei Ausreisen aus der DDR. In bezug auf die Ausreisewelle aus der DDR in der jüngeren Vergangenheit kommt das leider etwas spät.
Diese Erfahrung sollte aber für die Bundesressorts Anlaß und Ansporn sein, weiter mit spitzer und vor allem kritischer Feder ihren jeweiligen Normbestand auf überflüssige Verfahrensregelungen zu durchforsten. Die Verwaltungschefs und auch die Minister sollten Wettbewerbe für Streichungsvorschläge veranstalten und Prämien aussetzen. Vielleicht ist das einmal eine vernünftige Abwechslung zum sonst üblichen Beamtendreikampf Knicken - Lochen - Abheften. Ich glaube, hier könnte viel Positives getan werden. Halten wir es mit Lessings Prinz in „Emilia Galotti": „Weniger ist mehr." Weniger, aber klare und bessere Gesetze bedeuten für uns mehr Entbürokratisierung.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist eines der Gesetze, bei dem der parlamentarische und - ich sage - auch bürokratische Arbeitsaufwand, den sie machen - mein Dank gilt den Mitarbeitern des Innenministeriums - in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem politischen Ertrag stehen. Ich habe eben sehr viel von Verwaltungsvereinfachung und Rechtsvereinheitlichung gehört. Niemand wird ernsthaft bestreiten, daß wir nicht nur in einer komplizierten Welt leben, sondern sie uns auch noch durch komplizierte Regelungen verschönen, die sicherlich komplizierter als notwendig sind.
Aber wenn man sich nun dieses notwendige, von uns bejahte Gesetz ansieht, dann führt das wirklich - Sie haben das angedeutet, Herr Clemens - durch einen Teil der Wunderwelt der deutschen Verwaltung. Da ist der Art. 1 Nr. 4 der Verordnung 212 des französischen Oberkommandierenden von 1949, der sich auf den Mundartwald bezieht, da ist § 20 der Hufbeschlagverordnung, da ist die Affen-Einfuhrverordnung, sie aber nicht insgesamt,
sondern § 2 Satz 2 in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Juni 1975.
({0})
- Nein, 1900. Ich glaube, daß 1875 noch mehr Affen eingeführt wurden als heute, weil es da mehr Zoos gab und die Anzahl der Reisen geringer war.
Dann gibt es § 13 Abs. 2 Satz 4 der Rebenpflanzgut-Verordnung, die wir allerdings nicht aufheben, wie man annehmen könnte, sondern wir lassen sie bestehen, weil diese Vorschrift durch einen Verordnungsentwurf des Bundesrates demnächst auf anderem Wege aufgehoben wird. Das geht natürlich hin bis zu wesentlichen Bestimmungen des Bundesbaugesetzes und anderer Regelungen.
Ich will damit sagen, daß der Ertrag, was die Verwaltungsvereinfachung angeht, deswegen gering sein wird, weil die Zahl der Menschen, die sich mit dem Hufbeschlagswesen oder der Einfuhr von Affen beschäftigen, normalerweise relativ gering ist.
Trotzdem ist es notwendig zu vereinheitlichen. Wir sollten das - da stimme ich Herrn Spranger zu - gleichzeitig als eine Mahnung nehmen, gar nicht erst komplizierte Regelungen einzuführen, wenn es so mühsam ist, sie hinterher wieder abzuschaffen.
({1})
Schließlich gibt es eine sehr tröstliche Vorschrift: Das ist der Art. 54, aus dem man nicht nur auf die Länge dieses Gesetzes schließen kann. Art. 54 sagt erfreulicherweise, daß Verordnungen, die wir durch Gesetz verändern, dadurch nicht insgesamt Gesetzescharakter bekommen, sondern daß sie auch weiterhin durch Verordnungen verändert oder abgeschafft werden können. Das ist ein Weg, den wir der Bundesregierung dringend empfehlen, es sich nämlich da, wo sie selber komplizierte Regelungen geschaffen hat, nämlich durch Verordnungen, nicht zu versagen, dieselben auf demselben Wege wieder zu entfernen, d. h. für die Bereinigung von Verordnungen nicht erst den Gesetzgeber zu bemühen, sondern in die Tiefe des eigenen Gemüts zu greifen und sie sehr schnell und ganz unbürokratisch zu bereinigen.
Ich weiß, daß dem entgegensteht, daß die Ressorts mit großem Egoismus gerade auf ihrer eigenen Verordnung bestehen. Trotzdem sind das, so glaube ich, Widerstände, die eine wirklich an der Sache orientierte und entscheidungswillige Bundesregierung - eine solche haben wir - mit großer Entschiedenheit überwinden kann und überwinden sollte.
Wir werden also dem Gesetz zustimmen und hoffen, daß die Bundesregierung mit immer größerer Geschwindigkeit auf dem Wege der Vereinfachung und der Rechtsvereinheitlichung uns allen voraneilen wird.
Vielen Dank.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen zu dieser hinreißenden Debatte nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 5.
Ich rufe die Art. 1 bis 57, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Stimmenthaltung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit derselben Mehrheit, also bei einer Enthaltung und sonstiger Übereinstimmung, angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung unterhaltsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften ({0})
- Drucksache 10/2888 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 10/4514 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Sauter ({2}) Frau Matthäus-Maier Stiegler
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/4543
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt Deres
Kleinert ({4})
({5})
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4526 bis 10/4528 und ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dann, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 10/4532 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heute in zweiter und dritter Lesung zu beratenden
Änderungen des Unterhaltsrechts im Scheidungsfall sind in zwei Punkten durch Verfassungsgerichtsentscheidungen geboten. § 1568 Abs. 2 erklärte das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig, weil der Richter hier gezwungen sei, nach fünf Jahren des Getrenntlebens eine Ehe auch in einem Härtefall zu scheiden; dies sei im Einzelfall ungerecht. § 1579 Abs. 2 erklärte das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig, weil es nicht angehe, einer geschiedenen Ehefrau mit minderjährigen Kindern ausnahmslos zwingend einen Unterhaltsanspruch zuzusprechen, auch wenn sie sich noch so verwerflich dem Ehemann gegenüber benehme.
Wenn nun schon der Gesetzgeber tätig werden muß, ist es naheliegend, daß man bei einem zehn Jahre alten Gesetz Bilanz zieht und sich Rechenschaft darüber ablegt, welche Vorschriften sich bewährt haben und welche einer Korrektur bedürfen.
Um die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren richtig einzuschätzen, ist es hilfreich, an die Erwartungen zu erinnern, die damals, 1975, bei der Beratung des Ehescheidungsrechts an die gesetzliche Neuregelung geknüpft wurden. Die damalige CDU/CSU-Opposition hatte bezüglich des Scheidungsrechts drei Kritikschwerpunkte:
Erstens. Die Union kritisierte, daß das neue Gesetz das Scheiden zu leicht mache.
Zweitens. Wenn man es aber schon so leicht mache, dann müsse wenigstens der Unterhaltsanspruch der Ehefrau absolut sicher und lebenslang ausgestaltet werden. Die CDU und insbesondere auch die CSU, u. a. vertreten durch den damaligen bayerischen Justizminister Hillermeier, forderten, die auch nach der Scheidung fortwirkende Verantwortung der Ehegatten füreinander müsse das entsprechende Kriterium für den Unterhaltsanspruch nach neuem Recht sein. Es müsse durch eine Generalklausel der Unterhaltsanspruch so weitgehend ausgestaltet werden, daß der geschiedene Ehegatte auch dann einen Unterhaltsanspruch habe, wenn er aus Gründen unterhaltsbedürftig werde, die nicht in Zusammenhang mit der Ehe ständen.
Drittens. Die CDU/CSU-Fraktion forderte allerdings auch damals schon, daß bei Ausschluß eines Unterhalts wegen grober Unbilligkeit eine Generalklausel geschaffen werden müsse. Nur so sei sichergestellt, daß durch die Rechtsprechung alle Fälle grober Unbilligkeit erfaßt werden könnten.
Zur Neuregelung im Zusammenhang mit dem Kritikpunkt drei wird mein Kollege sprechen. Ich nehme zu den beiden ersten Stellung.
Die Kritik am leichten Scheiden und an den leichten Scheidungsmöglichkeiten ist inzwischen verstummt. Die Kritik am schlecht gesicherten Unterhaltsanspruch der Ehefrauen hat sich allerdings bei der CDU/CSU ins Gegenteil verkehrt.
({0})
In der heute vorliegenden Gesetzesänderung wird
der Unterhaltsanspruch des wirtschaftlich schwächeren Partners - ich erkläre das, Frau Kollegin -,
({1})
immer noch in der Regel der Ehefrau, nicht etwa weiter ausgebaut, sondern der Höhe nach und bei Arbeitslosigkeit auch der Zeit nach gekürzt. Wieweit dabei auch in unserer Fraktion der Zeitgeist Eingang gefunden hat, wird deutlich, wenn man das Zitat aus dem Protokoll von 1975, das ich Ihnen soeben vorgelesen habe, mit dem folgenden Zitat aus dem heutigen Ausschußbericht vergleicht. Heute heißt es:
Nicht selten kann das geltende Recht zu einer lebenslangen Unterhaltslast führen, auch wenn die Unterhaltsbedürfigkeit mit der Ehe nicht im Zusammenhang steht oder keine echte Bedürftigkeit vorliegt.
Was früher gewünscht wurde, wird also heute beklagt.
Welche Entwicklung ist hier seit 1975 eingetreten? Mit der einstimmig von allen Fraktionen beschlossenen Abkehr vom Schuldprinzip zugunsten des Zerrüttungsprinzips wurde das Scheiden als solches erheblich erleichtert und dadurch wohl auch immer selbstverständlicher. Es ist heute nicht mehr die große Ausnahme, sondern fast schon die etwas schlechtere Alternative zur lebenslangen Ehe geworden.
Je selbstverständlicher Scheidungen werden, desto mehr verblaßt natürlich auch diese grundsätzlich lebenslang fortwirkende gegenseitige Fürsorgepflicht der Ehepartner. Wir Frauen in der CDU/CSU-Fraktion wollten diese nachwirkende Fürsorgepflicht zumindest für die Ehe mit Kindern noch einmal festgeschrieben haben. Deswegen haben wir auch alles darangesetzt, den ursprünglichen Gesetzentwurf in dieser Richtung klarzustellen. Das ist uns gelungen.
({2})
- Doch! Die Möglichkeit, den Unterhalt zu kürzen, ist nach dem Ihnen jetzt vorliegenden Entwurf in der Regel ausgeschlossen, wenn der oder die Unterhaltsberechtigte ein gemeinschaftliches Kind betreut oder betreut hat.
({3})
- Ja, natürlich, sonst wäre es doch wieder verfassungswidrig. Erinnern Sie sich doch an § 1579 Abs. 2:
({4})
Ein totales Festmachen läßt nicht genug Einzelfallgerechtigkeit zu.
Für uns Frauen ist dies jedoch kein Anlaß zu Triumphgefühlen, eher zur Sorge über die fast unaufhaltsam erscheinende Entwicklung. Je mehr prozentual durch die Wiederverheiratung Geschiedener die Vertreter der Zweit- und Drittehen in unserer Gesellschaft zunehmen werden, desto
schwieriger wird es zukünftig sein, diesen grundsätzlichen Anspruch auf fortwirkende Fürsorge für die Erstfamilien, wie ich sie hier einmal verkürzt nennen möchte, aufrechtzuerhalten.
Dieser Gesetzentwurf ist konservativ, soweit er zugunsten der Frau mit Kindern - natürlich auch eines ausnahmsweise kinderbetreuenden Ehemannes - deren nachwirkenden Unterhaltsanspruch schützt. Bezüglich der kinderlosen geschiedenen Ehefrauen findet die Anpassung an moderne Lebensverhältnisse allerdings in diesem Gesetzentwurf bereits statt. Das Paket der lebenslangen Unterhaltslast wird nicht unerheblich erleichtert. Die Änderungen in den §§ 1573 und 1578 eröffnen die Möglichkeit, aus Billigkeitsgründen den Unterhaltsanspruch kinderloser geschiedener Ehefrauen der Höhe nach und bei Arbeitslosigkeit auch zeitlich einzuschränken. Ehen ohne gemeinschaftliche Kinder sind zukünftig keine Lebensversicherung auf ehelichen Lebensstandard mehr, auch dann nicht, wenn der Frau kein Fall grober Unbilligkeit gemäß § 1579 vorgeworfen werden kann. Gerechtfertigt ist diese Regelung meines Erachtens durch das partnerschaftliche Leitbild für die moderne Ehe. Aber es ist gut, wenn die kinderlosen nichtberufstätigen Ehefrauen von gut verdienenden Ehemännern sich rechtzeitig darauf einstellen, wie schnell zukünftig für sie der Lebensstandardabstieg einer Scheidung folgen kann.
Was ab jetzt bei kinderlosen Ehen im Scheidungsfall gilt, wird aber nach dieser Gesetzesänderung Gott sei Dank noch nicht für die Ehe mit Kindern gelten. Angenommen, die Ansicht des Verbandes der Scheidungsgeschädigten, der übrigens in den nächsten Jahren immer mächtiger werden wird, hätte Eingang in die Gesetzgebung gefunden - auch derjenige Ehepartner, der die Kinder nach der Scheidung versorgt, solle auf einen eigenen Erwerbsberuf verwiesen werden - welche Mutter könnte dann ihrer Tochter noch raten, zugunsten der Kindererziehung zumindest für ein paar Jahre auf eine eigene Berufstätigkeit zu verzichten?
Ich weiß sehr wohl und betone dies ausdrücklich, daß auch mit der ursprünglichen Fassung des Regierungsentwurfs nicht die Absicht verbunden war, Unterhaltsansprüche von Ehefrauen mit Kindern rigoros zeitlich oder der Höhe nach zu begrenzen.
({5})
Durch die Formulierung bestand jedoch die Gefahr, daß im Zuge allgemeiner Billigkeitserwägungen die Groschen des Mannes ehrlich zwischen Erst- und Zweitfamilie geteilt worden wären. „Warum auch nicht?" wird vielleicht mancher hier im Saale denken und, wie ich vermute, vielleicht sogar nach mir noch aussprechen. Ich will eine Antwort versuchen, obwohl ich fürchte, daß die Entwicklung in den kommenden Jahren meinen Standpunkt als hoffnungslos veraltet erscheinen lassen wird. Es muß möglich bleiben, zumindest der ersten Ehefrau eines Mannes und Mutter seiner Kinder von Rechts wegen die Gewißheit zu geben, daß ihr eventueller Verzicht auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der Erziehung der gemeinsamen Kinder eine
gleichwertige Leistung in unserer Gesellschaft ist wie seine Berufskarriere.
({6})
Diese Lebensstandardsicherung ist eben heute nicht mehr durch die Verhinderung der Scheidung wie früher, sondern nur noch durch den sicheren Unterhaltsanspruch auch nach einer Scheidung möglich. Wenn uns dies nicht mehr gelingt, dann haben wir endgültig vor dem Vorrang der Erwerbstätigkeit gegenüber dem Rang der Kindererziehung kapituliert.
Die Zweitfrauen geschiedener Ehemänner werden diese unsere gesellschaftspolitische Entscheidung nicht verstehen. Ihr Einwand lautet, daß diese Privilegierung der Erstfrau dann eben die Zweitfrau trotz Kindern zu einer Berufstätigkeit zwinge. Dieser Einwand ist meist leider richtig. Die Fälle, in denen das Einkommen des Mannes ausreicht, beide Frauen samt Kindern standesgemäß zu ernähren, sind und bleiben die Ausnahme.
Angesichts der hohen Scheidungsraten werden die Zweitehen ihr gesellschaftspolitisches Gewicht verstärken. In dieser mobilen, rundum Scheidungsund Wiederverheiratungsgesellschaft mit zunehmender Durchlaufgeschwindigkeit wird wohl ein Strudel auch diesen Pfeiler zugunsten der Erstehefrauen und Familienmütter, den wir CDU/CSUFrauen in diesem Gesetz noch einmal eingerammt haben, hinwegschwemmen; ich sage die Entwicklung für die nächsten zehn Jahre voraus. Hoffentlich ist dem Bundestag bis dahin eine Unterhaltsregelung im Scheidungsfall für die Familien eingefallen, die sowohl dem Sicherheitsbedürfnis der nichtberufstätigen Familienmütter gerecht wird als auch dem Sicherheitsbedürfnis der Kinder nach einer Geborgenheit vermittelnden Familie.
Bei dem geltenden Scheidungsrecht wird oft darüber geklagt, es sei für Männer zum unkalkulierbaren Risiko geworden, weil der Ehemann im Falle der Scheidung so große Anteile seines Einkommens und seiner Altersversicherung auf Dauer verliere. Die Alternative hierzu ist der von Unterhaltsansprüchen nach einer Scheidung weitgehend befreite Mann, auf den sich junge Frauen zukünftig etwa wie folgt werden einstellen müssen: Drei Ehefrauen traue ich ihm, diesem meinem zukünftigen Gatten, im Laufe seines Lebens zu, in zehn Jahren die zweite, in 20 Jahren die dritte. Ab dann wird sich mein Lebensstandard jeweils halbieren und dritteln, da ich ja sein Einkommen mit den weiteren Frauen teilen muß, es sei denn, ich finde rechtzeitig einen möglichst nicht geschiedenen, gut verdienenden Nachfolgegatten oder ich gehe selbst wieder in den Beruf zurück.
Nach Meinung der CDU/CSU-Frauen wurde mit diesem Gesetzentwurf noch einmal die Gefahr gebannt, daß alle Anstrengungen im Steuerrecht, im Sozial- und Familienrecht zur Stärkung der Familie durch ein hypermodernes, auf die zwangsweise Vollberufstätigkeit beider Ehepartner - trotz Kindern - ausgerichtetes Scheidungsrecht zunichte gemacht werden.
Frau Dr. Hellwig Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Hellwig, ich kann Ihnen in manchem zustimmen. Nur, ich frage mich wirklich, wieso Sie dem, was heute Ihre Regierung hier vorlegt, dann überhaupt zustimmen können.
({0})
- Sie sagen, Sie sind sehr stolz darauf.
({1})
Das macht mich wirklich traurig, denn dadurch, daß die Frauen in Ihrer konservativen Koalition diesem Gesetzentwurf zustimmen, der gegenüber der ursprünglichen Fassung leichte Verbesserungen enthält,
({2})
stimmen sie einer Korrektur zu, die unterm Strich die Frauen ganz eindeutig benachteiligt.
({3})
Erinnern Sie sich nicht? Als diese Koalition vor einem Jahr den Gesetzentwurf vorlegte, ging ein Sturm der Kritik durch die juristische Fachwelt und durch alle Familienverbände. Konzentriert hat sich die Kritik dann in der Anhörung vom 12. Juni dieses Jahres. Ich danke übrigens den Gutachtern in diesem Hearing, die in sehr sachlicher und sehr argumentativer Weise auf die Schwachstellen dieses Entwurfs hingewiesen haben. Ich hatte wirklich gehofft, daß gerade auch die Frauen in der konservativen Koalition daraus Konsequenzen ziehen würden. Aber leider ist das, was hier verändert worden ist, reine Kosmetik.
({4})
Sie übertüncht die Schwachstellen, läßt sie aber inhaltlich bestehen.
({5})
Ich will unsere Kritik in sieben Punkten kurz zusammenfassen.
Erstens. Die Einschränkung des nachehelichen Unterhaltsrechts wird mit einer Lebenswirklichkeit begründet, die es so gar nicht gibt. Jeder von uns hat aus der „Bild"-Zeitung und der Diskussion immer wieder dieses schwachsinnige Beispiel von der Chefarztfrau zu hören bekommen, die sich von der Krankenschwester hochheiratet, sich dann in eine bessere Situation bringt, dann kurz nach der Heirat den Chefarzt verläßt und ihr Leben lang auf seine
Kosten fröhlich dahinlebt. Wir wissen, daß es solche Fälle nicht gibt.
({6})
Es gab sogar eine Journalistin, die gesagt hat: 500 DM gibt es für jeden, der uns ein solches Beispiel bringt! - Sie ist ihre 500 DM nicht losgeworden, meine Damen und Herren!
Die Lebenswirklichkeit geschiedener Männer und Frauen ist ganz anders. In den meisten Fällen reicht das Einkommen gerade für einen Haushalt, um Vater, Mutter und vielleicht zwei Kinder zu ernähren. Wenn dann die Scheidung kommt, gibt es keine Reichtümer zu verteilen, sondern nur der Mangel wird aufgeteilt: Beim Mann reicht es nicht, bei der Frau reicht es nicht, und die Kinder sind auch unglücklich, weil sie neben der Trennung der Eltern die materielle Not kennenlernen.
({7})
- Auch Männer leiden unter der Scheidung. Wenn Sie die Zahlen - die wenigen, die wir haben - durchlesen, wissen Sie, daß die Fälle der Not oder die Fälle, in denen die Leute an die Armutsgrenze kommen, nicht bei den Männern vorkommen, sondern bei den Frauen.
Der Verband der alleinstehenden Mütter und Väter hat dies eindrucksvoll dargelegt. Die Mehrzahl der geschiedenen Familienfrauen kann aus wirtschaftlichen Gründen Unterhaltsansprüche überhaupt nicht verwirklichen. 74 % aller geschiedenen Mütter sind nach der Ehescheidung bereits wieder erwerbstätig. Nur 29 % der geschiedenen Mütter haben überhaupt einen Anspruch auf Ehegattenunterhalt; das ist nicht einmal ein Drittel. Der durchschnittliche Unterhalt beträgt 420 DM. Ein Drittel dieser Mütter erhalten Sozialhilfe.
Das dumme Gerede „einmal Chefarztfrau, immer Chefarztfrau" verstellt den Blick auf diese Tatsachen. Auf Grund der Rechtstatsachenforschung gibt es kein Bedürfnis für diesen Gesetzentwurf.
({8})
Zweitens. Das Gesetz ist überflüssig. Sie sagen immer: Mehr Einzelfallgerechtigkeit muß her. Der Bundesgerichtshof hat jedoch längst entschieden, daß bei offensichtlichem einseitigem Fehlverhalten der Unterhalt eingeschränkt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat uns nur in zwei Punkten eine Handlungspflicht auferlegt. Wir wären bereit, mit Ihnen diese Handlungspflicht in diesen zwei Punkten umzusetzen.
Wir sind allerdings dagegen, daß Sie aus Anlaß der Gesetzesänderung auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts etwas zurückentwikkeln, was Ihnen in Ihrer Mehrzahl schon immer nicht gepaßt hat.
Wir sagen: Familienrecht kann man nicht experimentell mal eben so ändern, nur weil zehn Jahre ins Land gegangen sind.
({9})
Die Gründung einer Familie ist doch eine langfristige Angelegenheit, in den meisten Fällen auf Lebenszeit angelegt. Da müssen sich die Beteiligten schon auf berechenbare Rechtsgrundlagen stützen können und dürfen nicht Gefahr laufen, daß alle zehn Jahre das Eherecht geändert wird.
Dritter Kritikpunkt: Ihr Gesetz benachteiligt die Hausfrau und Mutter.
({10})
Da liegt der Kern unseres Vorwurfs. Trotz heftiger Kritik der meisten Verbände, insbesondere auch der kirchlichen Familienverbände, ist es nach Ihrem Gesetzentwurf möglich, daß einer Familienmutter, die über Jahre die Kinder erzogen hat, nach einer Ehescheidung der Unterhaltsanspruch gestrichen wird und sie auf die Sozialhilfe verwiesen wird. Das halten wir für einen Skandal.
({11})
- Frau Hellwig, das stimmt. Lesen Sie doch den Wortlaut!
({12})
- Ich brauche das Gesetz nicht falsch zu interpretieren. Ich habe dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Lohmann in der Anhörung die Frage gestellt: Ist das nach dem Wortlaut möglich?
- Er hat gesagt: Ja. Ihr Wortlaut unterscheidet sich in dieser Frage kaum von dem alten Wortlaut. Es ist möglich.
Sie sagen, Sie wollen das nicht. Dann fragen wir Sie: Warum schreiben Sie das denn nicht ins Gesetz? Es gab mehrere Gutachterinnen und Gutachter, die ausformulierte Vorschläge vorgelegt haben, die man hätte übernehmen können, wenn man die Familienmutter wirklich vor dem Abgleiten in die Sozialhilfe schützen wollte. Wenn Sie diese Anträge nicht übernehmen, dann sagen wir: Sie haben eben doch andere Hintergedanken.
({13})
Unsere Kernaussage bei der Reform 1976 war: Derjenige, der das Geld verdient, der der wirtschaftlich Stärkere ist, muß den anderen auch nach der Ehescheidung unterhalten, wenn dieser im Einvernehmen für die Kindererziehung seine Erwerbstätigkeit aufgibt.
Nun sagen Sie, einem Ehemann sei nicht zuzumuten, unter Umständen lebenslang nach der Ehe eine arbeitslose Familienmutter zu unterhalten. Da sagen wir Ihnen: Wenn eine Frau in der Ehe eine Entscheidung trifft, die sie lebenslang beeinträchtigt - auch wenn sie nur für vier, fünf oder sechs Jahre aus dem Beruf ausscheidet, wird sie diese Einschränkung der beruflichen Tätigkeit und die dadurch bedingte Behinderung der Möglichkeit, sich selber durch Erwerbstätigkeit zu ernähren, nie wieder ganz korrigieren können -, dann ist es auch konsequent, wenn der Unterhaltsverpflichtete, der ja nur auf Grund der Hausfrauentätigkeit seiner Frau seiner Erwerbstätigkeit nachkommen konnte, auch bei Arbeitslosigkeit weiter zahlt.
Übrigens ist die Aufgabe der Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung nicht das einzige Beispiel für ein ehebedingtes Arbeitsplatzrisiko von Frauen. Die Gutachterin Margot von Renesse hat in der Anhörung weitere Bespiele genannt, etwa: Eine Ehefrau betreut unter Verzicht auf Erwerbsarbeit pflegebedürftige Angehörige des Ehemanns oder dessen Kinder aus erster Ehe. Auch eine solche Frau kann nach dem Wortlaut Ihrer Bestimmungen bei der Sozialhilfe landen. Oder: Die Ehefrau gibt einen sicheren Arbeitsplatz im Einvernehmen mit dem Mann auf, um am Wohnsitz des Ehemanns die eheliche Lebensgemeinschaft mit ihm zu begründen; in der Ehe sind keine Kinder vorhanden. Auch diese Frau kann bei der Sozialhilfe landen.
Unsere Antwort ist: Für die sich lebenslang auswirkenden Probleme, die während der Ehezeit angelegt wurden, muß auch über die Scheidung hinaus eine wechselseitige Verantwortung bestehen bleiben.
({14})
Und ich sage Ihnen: Obwohl Sie als Konservative immer wieder gerade die Hausfrauenarbeit loben und uns - übrigens zu Unrecht - vorwerfen, wir setzten uns nicht genug dafür ein,
({15})
muß man, wenn das, was Sie heute vorschlagen, Gesetz wird, jede Frau davor warnen, bei der Eheschließung oder nach der Geburt des ersten Kindes ihre Erwerbstätigkeit aufzugeben.
({16})
Denn sie kann nicht sicher sein, nicht eines Tages nach der Scheidung auf die Sozialhilfe statt auf den wohlerworbenen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem geschiedenen Mann angewiesen zu sein.
Der vierte Kritikpunkt. Das Gesetz öffnet die Hintertür für die Wiedereinführung des Schuldprinzips. Sie sagen: Das wollen Sie nicht. Aber dann fragen wir Sie: Warum haben Sie unserem Antrag nicht zugestimmt? Wir haben zu § 1573 beantragt: „Die Rechtsfolgen eines Fehlverhaltens sind in § 1579 BGB abschließend geregelt." Dieser Satz stammt aus Ihrer Begründung. Wenn er Ihnen so viel wert ist, warum haben Sie dann nicht unserem Antrag und der Übernahme des klärenden Satzes in den Gesetzestext zugestimmt?
({17})
Nein; wenn man mit einigen von Ihren Kollegen ein bißchen später abends am Tresen redet, dann weiß man: Die Moral und das Verschulden sollen wieder in das Ehescheidungsfolgenrecht. Die ganze Richtung stinkt Ihnen.
({18})
- Ich habe gesagt, Herr Kleinert: einigen von Ihnen! Und das ist zutreffend.
({19})
Wenn Sie Moral in das Unterhaltsrecht einführen, ist es immer Doppelmoral. Wie sagt die Gutachterin Barbelies Wiegmann in Ihrem Gutachten:
({20})
„Unterhaltspflichten sind notwendige wirtschaftliche Konsequenzen im Rahmen der ehelichen Mitverantwortung und haben nichts mit Moral zu tun. Falls Moral eine Rolle spielen sollte, dann wäre sie ohnehin eine Doppelmoral. Unterhaltsansprüche kommen nämlich ihrer Rechtsnatur nach nur für denjenigen Ehegatten in Betracht, der im Falle der Trennung unterhaltsbedürftig und auf die Leistung des anderen angewiesen ist. Nur der Unterhaltsbedürftige - in der Regel die Familienfrau - sieht sich also Vorwürfen von Unmoral oder Fehlverhalten ausgesetzt. Beim Unterhaltsverpflichteten spielen sie keine Rolle." Wer die wirtschaftliche Macht hat, wer das Geld verdient, kann tun und lassen, was er will. Der wirtschaftlich Schwächere aber, der die Kinder erzieht, muß sich, um seinen Unterhaltsanspruch zu bewahren, in Ihrem Sinn moralisch verhalten. Das ist klassische Doppelmoral! Nein, mit uns nicht, meine Damen und Herren!
Fünftens. Das Gesetz führt zu schlimmer Rechtsunsicherheit. Begriffe wie „unbillig", „unzumutbar" und „angemessener Lebensbedarf" sind nur einige Beispiele für unbestimmte Rechtsbegriffe, die zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, bei welcher Ehedauer welche Begrenzung möglich ist, ob es ein Verhältnis zwischen Ehedauer und Dauer der Unterhaltsberechtigung gibt. Mit allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden lassen sich keine halbwegs überzeugenden Ergebnisse begründen. Wir fürchten: Viele Jahre wird es dauern, bis wir wissen, wie die neuen Paragraphen endgültig durch die Gerichte ausgelegt werden.
Sechstens. Das Gesetz führt durch seine Rückwirkung für bereits abgeschlossene Scheidungsverfahren zu einem unglaublichen Durcheinander und zu einem Chaos bei den Familiengerichten. Das war der Hauptgrund, warum gerade die Praktiker Sie bei der Anhörung immer wieder gebeten haben, von Ihrem Gesetzesvorhaben abzulassen.
Siebtens - und damit möchte ich schließen -: Sie wollen mit diesem Gesetz Probleme lösen, die man mit dem Ehescheidungsfolgenrecht nicht lösen kann. Wenn Sie sagen, angesichts der hohen Erwerbslosigkeit von Frauen sollen die Männer nicht so lange zahlen, dann sagen wir: Bekämpfen Sie doch endlich die Arbeitslosigkeit von Frauen und bekämpfen Sie nicht das Ehescheidungsfolgenrecht!
({21})
Wir haben zum Arbeitsförderungsgesetz viele Anträge zur beruflichen Integration von Frauen gestellt. Einige davon haben Sie angenommen; wir freuen uns darüber. Andere haben Sie abgelehnt; das bedauern wir ausdrücklich. Die Wiedereingliederung der Familienfrau in das Erwerbsleben nach der Kindererziehung ist ein wichtiges Ziel.
Wenn Sie das endlich leisten und nicht meinen, die Arbeitslosigkeit erledige sich in fünf Jahren von selber, dann brauchen wir nicht solche Gesetze, wie Sie sie heute vorlegen. Auch die Erhöhung des Realsplittings bei der Steuer auf 18 000 DM im Jahr, das wir vor einem halben Jahr gemeinsam beschlossen haben, ist ein wichtiger Schritt nach vorn und ein wichtiges Beispiel für die steuerliche Besserstellung des Ehegattenunterhalts nach der Scheidung. Es gibt viele andere Punkte, die hier hineingehören.
Unser Vorwurf ist der: Es gibt Ungerechtigkeiten. Natürlich, wenn man auseinandergeht und sich nicht mehr liebt, dann zahlt man auch nicht gerne füreinander.
({22})
Sie wollen die Probleme auf dem Rücken des wirtschaftlich Schwächeren lösen, und das ist die Frau. Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Man braucht sich heute nicht so eifrig umzugucken, um festzustellen, ob man mit der Anrede richtig liegt. Es sind sehr viele Damen anwesend; das fällt bei dieser Gelegenheit auf.
({0})
Auf die Gefahr hin, daß es Ihnen langsam bekannt vorkommt,
({1})
möchte ich Sie zum Eingang darauf hinweisen,
({2})
daß ich hier schon vor Jahr und Tag gesagt habe: Diese Koalition wird sich der schwierigeren Dinge zuerst annehmen, und dann wird sie das tun, was ihr von ihrer Zusammensetzung her im rechtspolitischen Bereich besser liegt. Sie wird erst die Kartoffeln essen und dann das Fleisch, wie manche Leute das auf ihrem Teller so zu teilen pflegen: einige so rum, andere so rum.
Wir sind heute an dem Tag, an dem wir das letzte wirklich schwierige Stück der Zusammenarbeit
({3})
zwischen Liberalen und Konservativen hier zur Verabschiedung stellen und - das freut uns sehr - Ihnen bei dieser Gelegenheit darstellen können.
Frau Matthäus-Maier, im krassen Gegensatz zu Ihren Ausführungen - jedenfalls zu dem, was Sie aus Ihren eigenen Ausführungen schlußfolgern zu können meinten -: Wir freuen uns sehr, daß es uns gelungen ist, hier - im krassen Gegensatz zu Ihren
Kleinert ({4})
Behauptungen - zu einer harmonischen Lösung zu kommen,
({5})
bei der sich keiner der beiden Koalitionspartner mit dem, was er von Hause aus gewollt hat, in irgendeiner Weise verstecken muß.
({6})
Das ist in dieser Sache naturgemäß sehr schwierig. Ich verstehe deshalb auch, daß damit natürlich immer noch sehr viel Emotion verbunden ist. Es ist ein Problem, das man nicht lösen kann; auch darin stimme ich Ihnen zu. Die Mehrheit unserer Bürger
- Sie haben gesagt, die Reichen können sich das erlauben und alle anderen nicht; ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung, wir gehen überhaupt nicht blind durch diese Welt - kann von einem Einkommen nicht zwei Familien ernähren.
({7})
Diese Quadratur des Kreises herbeizuführen, das wird kein Gesetzgeber fertigbekommen.
({8})
Das ist das Problem, vor dem wir hier stehen. Da sollte man nicht hergehen und sagen: Das sind Konservative, und das sind Liberale, und das sind Sozialdemokraten.
({9})
- Bitte schön, „Chauvis". Sagen Sie einmal, wie halten Sie es denn eigentlich mit der Emanzipation oder mit den antichauvinistischen Positionen? - Es ist keine sehr starke emanzipatorische Position, wenn man einen Saal verläßt, in dem gerade über Emanzipation gesprochen werden soll.
({10})
Das ist keine sehr starke emanzipatorische Position.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Däubler-Gmelin?
Bitte.
Herr Kollege Kleinert, sind Sie mit mir der Meinung, daß man sich über bestimmte Sachverhalte in unwürdiger Form unterhalten kann?
Ich bin vollkommen Ihrer Meinung.
({0})
Ich bin allerdings auch der Meinung, daß ich nach
dem Ton, der bisher angeschlagen worden ist,
durchaus versuche, vermittelnd unsere Stellungnahme vorzutragen, wie es der Natur der Sache, wie es meinem Chrakter und wie es insbesondere dem Charakter meiner Partei entspricht.
({1})
Wenn mir das Ihnen gegenüber mißlungen sein sollte, dann bedauere ich das zutiefst.
({2})
Aber wenn Sie hier Emanzipation mit hineinbringen, wenn Sie sich in ein so kompliziertes Thema hineinbegeben, dann prallen natürlich die Ansichten aufeinander. Ich sage es zum wiederholten Male: Wir haben gemeinsam in der alten Koalition ein neues Eherecht ohne das unglückselige Verschuldensprinzip beschlossen. Ich bin deshalb überhaupt nicht erfreut - um das nun einmal ganz besonders bescheiden auszudrücken -, daß Sie hergehen und uns unterschieben wollen, wir wollten das alles zurückdrehen und das Verschuldensprinzip durch die Hintertür - das war in Ihren Mitteilungen des häufigeren zu lesen - wieder einführen.
({3})
Wir tun das nämlich gerade nicht.
({4})
- Herr Emmerlich, Sie wissen, wie es damals gegangen ist. Die sozialliberale Koalition hatte Angst davor, im Bundesrat mit dem neuen Ehegesetz zu scheitern. Die CDU/CSU hatte Angst davor, in den Bundestagswahlkampf 1976 als eine nicht fortschrittliche Partei hineinzugehen. Auf dieser Basis sind im Vorfeld des Vermittlungsausschusses Beratungen gewesen,
({5})
die zu einigen Ungenauigkeiten geführt haben, die weder der Rechtsprechung Freude noch dem Gesetzgeber Ehre gemacht haben. Das war damals so. Alle haben es mitgetragen.
({6})
Insbesondere haben es die Sozialdemokraten und ihr Justizminister Jochen Vogel mitgetragen; damit das doch einmal klar ist.
Dabei sind einige Dinge offengeblieben.
({7})
- Ich werde jetzt keine Zwischenfrage mehr beantworten, weil ich langsam gelernt habe, mit dieser teuflischen Uhr umzugehen.
({8})
Kleinert ({9})
- Wissen Sie, wenn ich nicht ganz genau wüßte, daß das Gegenteil der Fall ist, könnten Sie mich damit kriegen. Aber nein, wirklich nicht.
Sie haben damals allen Kompromissen zugestimmt, die wir nicht so gerne gesehen haben, Sie von der Sozialdemokratie zusammen mit der CDU/CSU im Vermittlungsausschuß.
({10})
- Nein, Herr Emmmerlich. Sie haben genau die Unklarheiten, die den Bundesgerichtshof dazu gebracht haben, fast alles, was jetzt ins Gesetz gekommen ist, so zu entscheiden, wie er es entschieden hat, mitverursacht in dem Bemühen, Kompromisse zustande zu bringen. Solche Kompromisse haben leider, leider den Nachteil der Rechtsunklarheit von Hause aus an sich. Das ist nun einmal so mit solchen Kompromissen. Deshalb mußte an einigen Stellen nachgebessert werden.
Wir Freien Demokraten sind allerdings stolz darauf,
({11})
daß es uns in den Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner gelungen ist, bei Wahrung der beiderseitigen Standpunkte die Sache so zu handhaben, daß nachgebessert worden ist, was nachgebessert werden mußte. Und mehr nicht.
({12})
- Hören Sie doch auch die andere Seite! - Herr Emmerlich ist es, glaube ich, gewesen, der im Pressedienst der sozialdemokratischen Fraktion gesagt hat, die Anhörung des Rechtsausschusses zu diesem Thema sei ein Desaster für die Koalitionsparteien gewesen.
({13})
- Sehr gut. - Dabei hat er den Eindruck erweckt, als wären die Anzuhörenden, alle Mann, der Ansicht der SPD gewesen. Dieser Eindruck ist bloß völlig falsch, denn die Anzuhörenden waren in zwei Hälften geteilt. Die einen wollten viel mehr von uns und die anderen viel weniger. Deshalb liegen wir immer noch in der richtigen Mitte. Das ist alles, was man bei dieser Gelegenheit erreichen kann.
({14})
Mehr kann man in einem so komplizierten Sachzusammenhang nicht erreichen.
Ich muß Ihnen einmal sagen: Die interessante Tour d'horizon - soll man so etwas „Tour d'horizon" nennen? -, dieser Ausflug, den Sie durch mehrere Ehen gemacht haben, immer im Abstand von zehn Jahren usw. - ({15})
- Auch gut. Aber die Würdigung kam dann von der anderen Seite. Sei dem, wie es will. Dann kam die Würdigung von Ihnen, bitte schön. Aber ich bin der Meinung, man sollte vielleicht auch von unserer Seite - statt daß wir uns hier gegenseitig beharken und daß Sie von der SPD versuchen, uns zu erzählen, was an dieser Novellierung, die Sie im Grunde viel besser finden als das, was wir zur Zeit haben und an der Sie nur pflichtgemäß Opposition üben ({16})
den Bürgern einige Mitteilungen machen, z. B. derart - das habe ich als Anwalt immer schon so empfunden -: Ich war immer der Meinung, es gibt eine große Zahl scheidungswilliger Menschen, die einen Fehler im Partner suchen, der in Wirklichkeit in der Institution liegt, und denken, durch einen Partnerwechsel könnten sie den Schwierigkeiten der Institution ausweichen.
({17})
Das ist falsch. Das ist einfach falsch. Darüber sollte man vielleicht einmal zum Nachdenken anreizen, statt hier nach Möglichkeiten zu suchen, die Quadratur des Kreises zu lösen und mit einem Einkommen zwei komplette Familien zu ernähren. Wir haben das Äußerste getan, um hier mehr Gerechtigkeit hineinzubringen.
({18})
Die Freien Demokraten haben schon vor der Ehereform 1976 - und jetzt wieder - sehr großen Wert darauf gelegt - das möchte ich allen Betroffenen bei dieser Gelegenheit deutlich sagen -, die Vertragsfreiheit in Ehren zu halten. Wer in das Unternehmen Ehe hineingeht, der sollte sich die Sache auch in ihren wirtschaftlichen Aspekten richtig überlegen und sollte vielleicht auch einen Vertrag schließen. Das tun Leute wegen kleinerer Unternehmen und kleinerer Beträge sehr viel sorgfältiger als diejenigen, die in ihrem Honeymoon auch noch dieses übersehen. Wir sollten ihnen wenigstens dazu raten, in Zukunft etwas nachdenklicher da hineinzugehen. Denn der Gesetzgeber kann ihnen das Glück, das sie sich selbst nicht verschaffen, durch Aufeinandereingehen, durch Verständnis füreinander und durch Verständnis für die wechselseitigen Fehler, nicht verschaffen.
({19})
Diese Patentlösung gibt es nicht. Wir versuchen nur, uns einer Lösung,
({20})
Kleinert ({21})
die derartige Auseinandergehensereignisse möglichst gerecht gestaltet, etwas mehr anzunähern. Wir wissen, wie unvollkommen wir dabei sind.
({22})
Das unterscheidet uns allerdings wesentlich von denjenigen, die glauben, sie könnten, wenn sie nur an die Regierung kämen, mit Patentrezepten glänzen.
({23})
Wir versuchen das Mögliche. Das haben wir redlich versucht. Dafür danke ich allen Beteiligten von Herzen.
({24})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dann.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich nehme an, ich bin die einzige Nichtjuristin, die hier zu diesem Thema spricht, aber mit jahrelanger Erfahrung mit Scheidungsverfahren von Frauen, die Schutz im Frauenhaus gesucht haben.
Es ist offensichtlich: Der Gesetzentwurf zur Änderung unterhaltsrechtlicher Vorschriften kalkuliert die Verarmung von Frauen und die Abhängigkeit von Sozialhilfe von vornherein mit ein ({0})
und das bei fortschreitendem Sozialabbau. In 98,1 % der Unterhaltsverfahren sind Frauen die Anspruchsberechtigten, und nur in 1,9% der Fälle sind es Männer. Daran läßt sich bereits erkennen, für wen das Gesetz gedacht ist.
({1})
In vollem Wissen um die Folgen wird hier ein weiterer Beitrag zur Armut von Frauen geleistet.
({2})
In der Begründung steht es schwarz auf weiß. Ich zitiere:
Die vorgesehene Begrenzung der Unterhaltspflicht wird Mehrkosten bei der Sozialhilfe und bei der Arbeitslosenhilfe zur Folge haben.
Ein Drittel aller geschiedenen Frauen beziehen Unterhalt unter 500 DM. Mehr als ein Drittel der Mütter sind bereits heute auf Sozialhilfe angewiesen. Und die Zahl wird steigen; denn nach mehreren Erziehungsjahren haben bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation Frauen keine Chance, einen Job zu finden. Außerdem sind es insbesondere die Arbeitsplätze für Frauen in der Wirtschaft und bei der Bundespost, die sehr unsicher, weil leicht wegrationalisierbar, sind. Der soziale Abstieg von Frauen ist vorprogrammiert.
Durch die ökonomischen Zwänge - und hier setzt die Regierungskoalition wirksam den Hebel an - soll vor allem die Ehefrau daran gehindert
werden, aus dem festgefahrenen Ehealltag ausbrechen zu können. Mit der zeit- und höhenmäßigen Begrenzung des Unterhaltsanspruches werden zwar die Forderungen von sachkundigen Juristen und Verbänden sowie des Familiengerichtstages von 1985 zum Teil aufgegriffen, die Grundtendenz des Gesetzentwurfs, nämlich die Unterhaltsansprüche von Frauen einzuschränken und sie der Rechtsunsicherheit auszuliefern, bleibt allerdings erhalten.
({3})
Geöffnet wird damit auch ein Einfallstor für die Berücksichtigung von Verschulden am Scheitern der Ehe im Unterhaltsrecht.
In der Praxis heißt das: Frauen werden wieder zu einem Wohlverhalten gegenüber ihrem Ehemann gezwungen.
({4})
Der beabsichtigte Verschuldenskatalog in § 1579 bietet unzählbare Möglichkeiten der Sanktion per Unterhaltsentzug.
Was bedeutet das für Tausende von gescheiterten Ehen? Das Gericht steigt in das eheliche Intimleben ein. Es wird vor Gericht breitgetreten. Es wird geprüft, ob die Frau den Haushalt auch ordentlich versorgt hat und ob die Kinder richtig geraten sind; denn all das könnte auf die Verletzung ihrer Unterhaltspflicht im Rahmen der Haushaltsführung hinweisen.
Zielscheibe sind Frauen, die ökonomisch abhängig sind. Männer, die aus der Ehe ausbrechen, zahlen nicht automatisch mehr Unterhalt.
Angeblich streben die Männer der Regierungskoalition mit der Verformung des Scheidungsfolgenrechts mehr Einzelfallgerechtigkeit an.
({5}) Wie sehen Sie das, Frau Süssmuth?
Den Preis für diese angeblich erhöhte Gerechtigkeit zahlt die Masse der unterhaltsabhängigen Frauen. In der Anhörung vom 12. Juni 1985 wiesen die sachkundigen Theoretiker und Praktiker, Frauen und Männer, darauf hin, daß kein Änderungsbedarf bestehe. Statt eine neue und repressive Reform durchzusetzen, müßte erst einmal eine Auswertung der bisherigen Erfahrungen mit dem bestehenden Recht unter Einbeziehung aller Beteiligten, der Richter, der Frauen und der Männer, erfolgen. Ich bin davon überzeugt, daß die Auswertung der bisherigen Praxis die Widersinnigkeit der heute zur Diskussion stehenden Reform bestätigen würde, gerade auch im Hinblick auf die Bevorzugung der Erstfamilie vor der Zweitfamilie. Denn wie sieht die Situation bei der Mehrzahl der heutigen Familien aus? Die soziale Misere, Erwerbslosigkeit, das psychische Elend, die Gewalttätigkeit - das alles ist doch Ausdruck der gesellschaftlichen Mißverhältnisse. Diese Mißverhältnisse werden durch die derzeitige Regierung vorangetrieben.
Die familienpolitischen Leitsätze der CDU stehen in krassem Widerspruch zu ihrem tatsächlichen Vorgehen.
({6})
Gesellschaftliche Lasten werden auf die Familie abgeladen, und dann soll die Familie diesen Druck aushalten können, lediglich gestützt durch die schönen, hohlen Worte eines Heiner Geißler. Diese Politik ist durch die Unfähigkeit gekennzeichnet, den Frauen und Männern, Mädchen und Jungen eine sichere Zukunftsperspektive, eine berufliche Existenz und eine ausreichende materielle Grundlage für die gewünschte Lebensplanung zu bieten. Statt dessen glänzt die Regierungskoalition mit Schönwetterreden, wo Worte mehr zählen als Taten.
({7})
Hauptsache, eine Misere ist als solche nicht mehr erkennbar, und die Bevölkerung kann dumm gehalten werden.
({8})
Die jetzt angestrebte Reform des bestehenden Scheidungsfolgenrechts zwingt Frauen, an gescheiterten Ehen festzuhalten.
({9})
- Etwas Besseres fällt Ihnen wohl überhaupt nicht ein? - Das heute noch gültige Gesetz bietet ökonomisch abhängigen Frauen einen gewissen Schutz. Sie sind nicht länger gezwungen, für den Ehemann unbezahlte Hausarbeit zu leisten, wenn die Ehe unerträglich geworden ist. Frauen haben nach der bestehenden Regelung die Sicherheit - ({10})
- Ich wundere mich etwas über diese Unruhe auf der rechten Seite.
({11})
- Eben, das denke ich auch.
({12})
Frauen haben nach der bestehenden Regelung die Sicherheit, gehen und ein eigenständiges Leben planen zu können. Das können Männer schwer ertragen.
({13})
Sie übersehen, daß der Unterhaltsanspruch der Frau eine Nachwirkung der ehelichen Rollenverteilung ist. Sie wollen nicht mehr zahlen, wenn sie nichts dafür bekommen.
Um noch einmal die vielzitierte Einzelfallgerechtigkeit zu erwähnen: Wenn sie gelten soll, müßte der Maßstab auch an die Ehemänner - also ebenfalls an die hier im Saal vertretenen - angelegt werden. Von dem Wohlverhalten der Männer spricht aber niemand. 1983 sind 120 000 Ehescheidungen eingereicht worden; doppelt so viele Frauen wie Männer haben sich zur Auflösung der ehelichen Gemeinschaft entschlossen. Das ist ein Beweis dafür, daß Frauen keine Schwierigkeiten scheuen, wenn es um ihre Lebensplanung und die ihrer Kinder geht. Es bleibt nur zu hoffen, daß sich die Frauen - sie sind dazu zu ermutigen - auch durch das neue Recht nicht einschüchtern lassen und weiterhin den Mut aufbringen, ihren Weg unabhängig von den rechtlichen Hürden selbstbestimmt zu gehen.
Ich danke.
({14})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zur Beratung und Beschlußfassung vorliegende Entwurf hat wie kaum ein anderer in dieser Legislaturperiode Aufsehen erregt. Er hat Emotionen geweckt, und er hat Polemik ausgelöst.
({0})
Die Bundesregierung wie die sie tragenden Fraktionen haben sich durch die Polemik nicht beirren lassen. Bis in diese Stunde hinein werden wir uns auch von dem Geschrei, das jetzt hier aufgeführt wird und das noch angereichert werden soll, nicht beirren lassen. Wir sind ganz beharrlich unseren Weg gegangen, um das Ziel zu verwirklichen, Mißbräuchen zu wehren und im Einzelfall wieder mehr Gerechtigkeit herzustellen.
Meine Damen und Herren, ein Teil des Entwurfs ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben: das Verfahrensrecht. Der Entwurf bringt insoweit eine Reihe von Klarstellungen und Ergänzungen, die das Verfahren in Familiensachen sachgerechter gestalten. Er folgt dabei im wesentlichen den Vorschlägen der Praxis, etwa zur Frage der gerichtlichen Zuständigkeit,
({1})
zu Einzelheiten des sogenannten Verbundverfahrens. Für die Gerichte - das sollte hier nicht ganz unter den Tisch fallen, es soll erwähnt werden - hat dieser Teil des Entwurfs eine ganz erhebliche Bedeutung.
({2})
Wenn wir uns jetzt wieder dem anderen Teil zuwenden, dann sind wir wieder bei der öffentlichen Polemik und den Auseinandersetzungen. Ich meine, daß es insgesamt gelungen ist, diese Fragen auch in
der Öffentlichkeit wieder auf ein etwas sachlicheres Gleis zu bringen.
Schon bei der ersten Lesung am 14. März dieses Jahres hatte ich angekündigt, daß wir uns einer weiteren Verbesserung des Gesetzentwurfs dort, wo sie sich als notwendig erweisen sollte, nicht verschließen werden. Bereits damals hatten die Koalitionsfraktionen von vornherein vorgesehen, vor der endgültigen Beratung im Rechtsausschuß ein umfassendes Sachverständigenhearing zu beantragen. Nach der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuß des Bundestages haben wir uns dann intensiv überlegt, wie den Anregungen der Sachverständigen und der Verbände Rechnung getragen werden kann.
({3})
Wir haben uns darauf verständigt, den ursprünglichen Entwurf zu ändern, um vor allem eines völlig klarzustellen und aus dem Streit herauszunehmen.
({4})
Frauen, die während der Ehe Kinder geboren haben, diese Kinder betreut haben oder sich sonst ganz der Familie gewidmet haben, brauchen den Verlust ihres Unterhalts, die Begrenzung, die zeitliche Befristung oder was immer in keiner Weise zu befürchten.
({5})
Dies gilt sowohl für die neu vorgesehene Möglichkeit, Ansprüche zeitlich zu begrenzen, als auch in den von der Verfassung gezogenen Grenzen für die unterhaltsrechtliche Härteklausel.
Mit dieser Härteklausel soll klarer in das Gesetz hineingeschrieben werden, was seit Jahren die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist. Dieses bedeutet keine Rückkehr zum Verschuldensprinzip im Unterhaltsrecht. Ich sehe mich in dieser Frage in voller Übereinstimmung mit meinem Vorgänger im Amte, Herrn Kollegen Dr. Schmude. Er hat zur unterhaltsrechtlichen Härteklausel auf dem 54. Deutschen Juristentag im September 1982 ausgeführt - ich zitiere -:
Die sich allmählich herausbildende Rechtsprechung zur Versagung des Unterhalts wegen grober Unbilligkeit verschafft dem Gerechtigkeitsempfinden die notwendige Genugtuung, wo die Unterhaltsgewährung nach den Grundsätzen des Regelfalles unerträglich wäre. Der bereits an dieser Rechtsprechung geübten Kritik, sie öffne den Rückweg zum Schuldprinzip, schließe ich mich nicht an.
Wir gehen jetzt daran, das, was mittlerweile gefestigte Rechtsprechung ist, in der Sprache des Gesetzes, die gleichzeitig ja auch die Sprache der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist, ins Gesetz hineinzuschreiben, weil es wohl nicht unrichtig ist, nach so vielen Jahren im Gesetz selbst endlich nachlesen zu können, was gemeint ist und nicht in
vollem Umfange mit den Worten abgespeist zu werden: „Wenn ein anderer Grund vorliegt, der ebenso schwer wiegt, wie ..." usw.
Meine Damen und Herren, der Vergleich dieser sehr abgewogenen Stellungnahme von Herrn Kollegen Dr. Schmude mit der unsachlichen Polemik der letzten Monate hat gezeigt, daß die SPD in diesem Bereich zumindest in einem Meister ist, nämlich mit zwei Zungen zu sprechen, wobei sich die Argumentationen in völlig unterschiedliche Richtungen bewegen. Dabei haben Sie aber gar nicht das Gefühl, daß Sie der Öffentlichkeit eine tiefe Kluft in den eigenen Reihen darstellen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier? - Bitte sehr.
Herr Engelhard, ist es eigentlich abwegig, daß wir hier die Wiedereinführung des Verschuldensprinzips durch die Hintertür vermuten, wenn z. B. der Vorsitzende Richter am BGH, Herr Lohmann, in der Anhörung sagte: „Die Auflistung von lauter Verschuldenstatbeständen - ausgenommen § 1579 Abs. 1 Nr. 1 BGB, Ehe von kurzer Dauer - könnte aber einer Deutung Vorschub leisten, Härtegrund sei bereits die schuldhafte Verfehlung und nicht erst die Unzumutbarkeit der Unterhaltsregelung"? Liegt die SPD so völlig daneben, wenn sie dies auch so empfindet?
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Im Gesetzestext ist völlig klargestellt, daß hier gravierende Gründe, so wie sie der BGH in seiner Einzelfallentscheidung von Gewicht herausgearbeitet hat, bei der Bemessung und Festsetzung des Unterhalts relevant sind und sonst nichts. Diese Grenze wird in keinem Punkte auch nur im Ansatz überschritten mit der Gefahr, zu dem zurückzukehren, was wir ehedem - unbrauchbar in der Praxis und von niemandem heute mehr gewollt -, vor 1977, hatten.
Ich komme zum Entwurf zurück. Die übrigen im Unterhaltsrecht vorgesehenen Regelungen sollen überzogene Ansprüche eingrenzen. Dies gilt für die zeitliche Begrenzung der Unterhaltspflicht bei Arbeitslosigkeit und beim Aufstockungsunterhalt. In diesen Fällen muß die nachwirkende Verpflichtung aus der Ehe dort ein Ende finden können, wo die Arbeitslosigkeit nicht ehebedingt ist und die Ehe nicht von langer Dauer war. Entsprechendes gilt für den Aufstockungsunterhalt.
Auch die sehr undifferenzierte Bemessung des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen hat mitunter ja zu fragwürdigen Belastungen geführt. Hier soll künftig ebenfalls eine flexiblere Lösung mehr Einzelfallgerechtigkeit ermöglichen.
Hier ein kleiner Einschub. Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben hier erneut das uns wohlvertraute Argument eingeführt, problematisch sei die Vielzahl der Ehescheidungen, in denen es einen Verdiener mit einem durchschnittlichen Einkommen gebe. Ein Einkommen reiche nach der
I Scheidung nicht aus, um die Ernährung und das Leben der davon Abhängigen sicherzustellen. Ja, glauben Sie, daß wir blind sind, daß wir nicht wissen, daß dies in 85 bis 90% der Fälle in unserem Lande so ist? Nur, als Teil der Gesetzgebungskörperschaft und als Mitglied der Bundesregierung sage ich Ihnen - wir alle müssen uns das als Demokraten selbst sagen, und als Liberaler sage ich es speziell mir selbst -: Es interessiert mich nicht, ob eine von uns zusätzlich getroffene Regelung in einem Absatz eines Paragraphen im Jahr auf 5 oder auf 15 oder auf 50 oder auf 500 oder auf 5 000 Fälle von Ehescheidung Anwendung findet. Ja, wo sind wir denn? Muß es nicht möglich sein, jedem einzelnen Fall Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? Dann ist die Methode, so gegen den Wind über den Daumen zu peilen und zu sagen „Das sind besonders gestaltete Fälle von kapitalkräftigen Bürgern, die uns nicht zu interessieren haben", keine Gesetzgebung, wie ich sie als eine sorgfältige und notwendige charakterisieren würde.
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Um nun der sehr ernsten Sorge vieler, vieler Frauen gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf, aber auch dem diese Sorge nicht untermalenden, sondern die ganze Landschaft eher störenden Feldgeschrei von der pauschalen Frauenfeindlichkeit zu begegnen und ein Ende zu setzen und um den unbestreitbaren Ausnahmecharakter dieser Vorschrift stärker zu betonen, ist die Gesetzesformulierung jetzt - speziell auch auf mein Drängen - in diesem Punkte geändert worden: An Stelle der Billigkeit einer Begrenzung soll nunmehr die Unbilligkeit eines unbegrenzten Unterhaltsanspruchs als Kriterium für eine etwaige Einschränkung im Gesetzestext festgeschrieben werden. Damit wird auch gegenüber dem verbohrten, auch gegenüber dem böswilligen Kritiker eindeutig klargestellt, daß ein unbegrenzter Unterhaltsanspruch die Regel und ein zeitlich oder höhenmäßig begrenzter Unterhaltsanspruch eben die Ausnahme ist.
({1})
Meine Damen und Herren, die Interessen geschiedener oder getrennt lebender Ehegatten divergieren natürlich, und es ist praktisch nicht möglich, beiden Seiten im Einzelfall einer Ehescheidung mit einem Gesetz voll Rechnung zu tragen. Das haben uns natürlich auch und gerade die Stellungnahmen zum Entwurf gezeigt. Dieser wurde ja teilweise als ein nur erster Schritt in die richtige Richtung begrüßt, von anderen hingegen als das Machwerk einer sehr frauenfernen Altherrenriege herabqualifiziert.
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Diese Extreme zeigen j a, daß wir, uns so in der Mitte bewegend, schon etwas Vernünftiges zustande gebracht haben.
Ich stelle noch einmal klar: Es bleibt beim Zerrüttungsprinzip, und zwar nicht nur bei der Ehescheidung, die hier nicht Gegenstand unserer Beratung und Beschlußfassung ist; nein, auch im Unterhaltsrecht gilt weiterhin - wie vom Gesetzgeber des ersten Eherechtsreformgesetzes gewollt - der Grundsatz der Eigenverantwortung. Es gilt auch weiterhin, daß sich der wirtschaftlich stärkere Ehegatte nicht nach Belieben aus seiner Verantwortung für den anderen davonmachen und fortstehlen kann. Diese Verantwortung dauert in der Regel auch über die Scheidung hinaus an, besonders wenn die Bedürftigkeit des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten ehebedingt ist. Nur, und darauf lege ich Wert, die Verantwortung des wirtschaftlich Stärkeren ist keine einseitige Verantwortung. Sie darf nicht dazu führen, daß der wirtschaftlich Schwächere den Stärkeren beliebig ausnutzen kann.
Der vorliegende Entwurf bringt daher mehr Gerechtigkeit im Einzelfall. Es ist der Versuch, einen fairen und angemessenen Ausgleich der Interessen geschiedener, aber auch schon getrennt lebender Ehegatten herbeizuführen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU und die FDP wollen mit diesem Unterhaltsänderungsgesetz ihre Handlungsfähigkeit auch in der Rechtspolitik unter Beweis stellen.
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Handlungsfähigkeit ist in der Politik in der Tat erforderlich. Sie allein reicht jedoch keineswegs aus. Worauf es letztlich ankommt, ist der Inhalt der Politik.
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Die Rechtspolitik der Koalition ist dadurch gekennzeichnet, daß sie dort, wo Handlungsbedarf besteht, nicht handlungsfähig ist.
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Wenn die Koalition rechtspolitisch aktiv wird, dann geht die Aktivität in die falsche Richtung, nicht nach vorn, sondern zurück.
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Welche rechtspolitischen Impulse gehen von dem Bundesjustizminister aus? Er ist unfähig, sich den rückwärts gewandten Kräften der Gegenreform entgegenzustellen, und entschuldigt sich mit Koalitionszwängen. Er hilft den Konservativen dabei, das Rad der Geschichte zurückzudrehen,
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so bei der Verringerung des Mieterschutzes, bei der Beerdigung der Reform der Juristenausbildung und bei der Einschränkung des Demonstrationsrechts,
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bei der Aushöhlung des Kündigungsschutzes und bei dem fälschlich als Beschäftigungsförderungsgesetz bezeichneten Entlassungsförderungsgesetz, und auch dabei, kalt ausgesperrten Arbeitnehmern ihre durch Beiträge erworbenen Ansprüche auf Kurzarbeitergeld
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verfassungswidrig wegzunehmen und das Streikrecht auszuhöhlen.
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Auch beim Roll-back im Eherecht, bei der Rückwärtswende gegen die Eherechtsreform hat der Bundesjustizminister fleißig mitgemacht und durch von ihm erfundene Retortenbeispiele und Phantom-fälle
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kräftig Stimmung für die Patriarchen und gegen geschiedene Frauen und Mütter gemacht.
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Auch sein heutiges Verhalten unterstreicht das wieder. Wovon er hinsichtlich der öffentlichen Reaktion auf seinen Gesetzentwurf zu berichten hatte, waren Emotion und Polemik. Von den berechtigten Sorgen von den Frauen und den Kindern,
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denen durch dieses Gesetz die Existenzgrundlage entzogen wird und die auf Sozialhilfe zurückgeworfen werden,
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von diesen berechtigten Sorgen ist beim Bundesjustizminister nicht mit einem Wort jemals die Rede gewesen.
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Ich frage den Bundesjustizminister, ob er der Kritik der Familien- und Frauenverbände, der Sachverständigen, die wir im Deutschen Bundestag gehört haben, insonderheit des Deutschen Familiengerichtstages, nichts anderes entgegenzustellen hat als den Vorwurf der Emotion und der Polemik. Der Bundesjustizminister hat heute in diesem Zusammenhang von ,,Neurotik" geredet. Ich frage Sie, meine Damen und Herren, auf wessen Seite denn hier Neurotik anzutreffen ist.
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Die heutige Aussprache hat bereits bestätigt und wird in ihrem weiteren Verlauf vermutlich weiterhin bestätigen, was die bisherige Diskussion über die Gegenreform im Eherecht, insbesondere das
Hearing des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, bereits ergeben hat.
Erstens. Das Unterhaltsänderungsgesetz wird zu einer mindestens jahrelangen, möglicherweise dauernden Rechtsunsicherheit im nachehelichen Unterhaltsrecht führen, einer Rechtsunsicherheit, unter der nicht nur die betroffenen Bürger zu leiden haben werden, sondern auch die Gerichte. Auf die Gerichte wird eine Flut von zusätzlichen Rechtsstreitigkeiten zukommen.
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Das ist zum einen auf die vielen neuen, unbestimmten Rechtsbegriffe dieses Gesetzes zurückzuführen - Frau Matthäus-Maier hat darauf bereits hingewiesen -, bei denen niemand voraussehen kann, wie die Rechtsprechung sie einmal nach jahrelangem Hin und Her auslegen wird.
Diese Rechtsunsicherheit wird aber auch durch die Übergangsregelung für Altfälle herbeigeführt, durch die bei zigtausenden von Unterhaltspflichtigen Hoffnungen geweckt werden, sich ihrer Unterhaltspflicht ganz oder zum Teil entledigen zu können. Kein Rechtsanwalt wird hinreichend sicher darüber Auskunft geben können, ob diese Hoffnungen berechtigt sind oder nicht.
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Weit über hunderttausend Bürgerinnen und Bürger werden wahrscheinlich in neue, entnervende Prozesse hineingetrieben, und die Familiengerichte werden von dieser Woge von Rechtsstreitigkeiten auf lange Zeit überrollt werden.
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Zweitens. Dies alles geschieht, weil CDU und CSU in der Zeit ihrer Opposition, nachdem sie zunächst die Eherechtsreform mit verabschiedet hatten, aus opportunistischen und parteiegoistischen Gründen Front gegen die Eherechtsreform gemacht und Erwartungen geschürt haben, die sie jetzt in der Regierungsverantwortung glauben einlösen zu müssen.
Diese Gesetzgebung, meine sehr geehrten Damen und Herren, findet statt, obwohl ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf nicht im mindesten belegt ist. Der Nachweis dafür, daß mehr Einzelfallgerechtigkeit erzielt wird, wenn der Unterhalt von Frauen und Kindern zusammengestrichen wird, ist nie geführt, nicht einmal versucht worden.
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Herr Bundesjustizminister, wenn Sie zu Recht darauf hinweisen, daß die Verantwortung füreinander auch nach einer Scheidung keine einseitige ist, frage ich sie: Wie wird denn diese Verantwortung bei den sozial stärkeren Ehegatten, also insbesondere bei den Männern, zum Tragen kommen, wenn sie sich gegenüber ihrer Ehefrau schuldhaft verhal14056
ten? Bei der Ehefrau erfolgt die Sanktion: Unterhaltsentzug. Was passiert den Männern? - Nichts!
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Drittens. Das Roll-Back im Eherecht geht zu Lasten des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten und der Kinder. Es geht auch zu Lasten naher Angehöriger, weil sie als Unterhaltspflichtige einspringen müssen, und zu Lasten der Allgemeinheit, weil viele Betroffene - ich sagte es schon - Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Das sind konkrete Auswirkungen der Parole dieser Wende-Koalition „Leistung muß sich wieder lohnen", einer Parole, die die mitmenschliche Verantwortung kalt und unbarmherzig beiseite schiebt.
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Viertens. Bundesregierung und Koalition wollen glauben machen, die schwerwiegenden Mängel ihres Gesetzentwurfes, auf die wir von Anfang an hingewiesen haben und die durch die Sachverständigen in der Anhörung bestätigt worden sind, seien weitgehend beseitigt. Diese Behauptung ist unzutreffend. Bei den Änderungen des ursprünglichen Gesetzestextes handelt es sich überwiegend um Schminke und Tünche. Im übrigen kann es sich die Koalition kaum als Verdienst anrechnen, wenn sie die ursprünglich geplanten Benachteiligungen von
Frauen und Kindern zu einem minimalen Bruchteil zurücknimmt.
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- Herr Kleinert, jetzt hören Sie bitte ganz besonders gut zu. Jetzt kommt etwas in Ihre Richtung, was für Sie vielleicht schwer verdaulich ist.
Fünftens. Bei der Reform des Scheidungsrechtes bestand Einvernehmen, daß der Übergang zum Zerrüttungsprinzip nicht auf das Recht der Scheidungsgründe beschränkt werden dürfe und daß bei den Scheidungsfolgen das Verschuldensprinzip durch den Grundsatz der fortbestehenden Verantwortung des sozial Stärkeren für eine ehebedingte Unterhaltsbedürftigkeit des sozial Schwächeren ersetzt werden müsse. Dieser Grundsatz der auf der Eheschließung und Eheführung beruhenden fortwirkenden Verantwortung wurde bei der Eherechtsreform gerade von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, mit Nachdruck betont und unterstrichen.
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- Sie haben es gesagt, nur handeln Sie bedauerlicherweise nicht danach, Frau Hellwig.
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Nunmehr führen diese, sich christlich nennenden Parteien das Verschuldensprinzip im nachehelichen Unterhaltsrecht wieder in vollem Umfang ein und heben die fortwirkende Verantwortungsgemeinschaft dadurch zum großen Teil auf.
Ich will Ihnen, von der CDU/CSU, zusätzlich sagen: Diese Idee von der fortwirkenden Verantwortungsgemeinschaft haben wir Sozialdemokraten mit großer Mühe und mit großer Energie gegenüber der FDP durchgesetzt. Die FDP hatte nichts anderes im Sinn, als zu fordern: „Weg von dem Verschuldensprinzip bei den Scheidungsgründen zugunsten des Zerrüttungsprinzips. Wenn die Frauen nach der Scheidung nicht mehr zurechtkommen," - Herr Kleinert, Sie wissen, wovon ich rede - „haben sie Pech gehabt; dann haben sie sich eben den falschen Mann ausgesucht". - Das war Ihr Prinzip.
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Es ist bedauerlich, daß Sie, die jeden Sonntag von Frauen- und Familienpolitik reden, nunmehr die Steigbügelhalter für diese verfehlte Auffassung der FDP sind.
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Das, was CDU und CSU damals zu Unrecht an die Wand gemalt haben, nämlich die Einführung der Verstoßentscheidung, wird jetzt Realität, und zwar durch diese Koalition.
Sechstens. Die weitgehende Aufgabe des Grundsatzes der über die Scheidung hinaus fortwirkenden Verantwortung bei ehebedingter Bedürftigkeit führt zu einer Diskriminierung des sozial schwächeren Ehegatten. Da die sozial schwächeren Ehegatten überwiegend die Frauen sind, bewirkt dieses Gesetz eine Diskriminierung von Frauen. - Herr Engelhard, Sie können reden, was Sie wollen: Tatsachen können Sie durch Ihre Camouflagen nicht hinwegwischen.
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Aufgabe unserer Zeit ist es, den Frauen endlich die volle Gleichberechtigung und Gleichstellung zu geben, nicht aber, sie entgegen dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes durch Gesetze erneut zu benachteiligen.
Siebtens. Die bei einer Scheidung den Frauen und Müttern drohende Sanktion des Unterhaltentzugs führt zwangsläufig zu einer Disziplinierung auch während der Ehe, dazu, daß Frauen in der Angst vor dem Verlust des Unterhalts im Falle der Scheidung klein beigeben müssen, daß sie sich dukken müssen, daß sie ihren Anspruch auf Gleichberechtigung in der Ehe nicht verwirklichen können,
({26})
daß eine partnerschaftliche Eheführung erschwert und nicht erleichtert wird. Das vorliegende Gesetzgebungsvorhaben ist somit auch ein Angriff auf die partnerschaftliche Ehe.
({27})
Es ist ehe- und familienfeindlich, weil nur die partnerschaftliche Ehe, nicht aber die patriarchalische Ehe Zukunft hat.
({28})
Wer die Ehe schützen und bewahren will, wer für Partnerschaft in der Ehe eintritt, der muß, Frau Hellwig, mit uns gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung stimmen. - Vielen Dank!
({29})
Das Wort hat der Abgeordnete Sauter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit nahezu zehn Jahren macht die total verunglückte Sozialisten-Scheidungsreform unrühmliche Schlagzeilen.
({0})
Immer stärker und unüberhörbarer wurde die Kritik an dieser Reformpleite,
({1})
die Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, im wesentlichen zu verantworten haben.
({2})
- Frau Matthäus-Maier, Sie brauchen dazu keine Hinweise zu geben; denn Sie waren damals auch dabei.
({3})
Heute sind wir an einem Punkt, wo wir dafür Sorge tragen wollen, daß all dies, was in unverantwortlicher Art und Weise von Sozialdemokraten im Jahre 1976/77 angerichtet worden ist, wieder auf eine vernünftige Linie kommt.
({4})
Es geht nicht darum, die im allgemeinen grundsätzlich für richtig befundene Einführung des Zerrüttungsprinzips bei der Scheidung selbst heute in Zweifel zu ziehen, sondern dessen rigorose Durchführung im Scheidungsfolgenrecht, insbesondere im Unterhaltsrecht.
({5})
- Frau Kollegin, ich weiß nicht, ob Sie betroffen sind; bei mir ist das Gott sei Dank nicht der Fall.
({6})
Herr Abgeordneter Sauter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Martiny?
Selbstverständlich.
Bitte schön!
({0})
- Würden Sie nun der Abgeordneten Frau Martiny die Möglichkeit geben, ihre Zwischenfrage zu stellen?
Herr Sauter, ich bin mir nicht ganz sicher, weil ich nicht Mitglied des Rechtsausschusses bin. Ich möchte Sie jedoch fragen, ob ich mit meiner Erinnerung falsch liege, daß die Unionsparteien damals dem Eherecht zugestimmt haben.
Nicht in der Fassung, die es damals im Rechtsausschuß gefunden hat.
({0})
Die Union stand ja damals vor einer ganz anderen Frage.
({1})
Die Union stand damals vor der Frage, wie es gelingen kann, daß einem Ansatz, den Sie zu verantworten haben und von dem Sie heute nichts mehr hören wollen, nämlich dem Ansatz, daß jeder nach der Scheidung für sich selber zu sorgen hat,
({2}) nicht Rechnung getragen wird.
Heute ist das, was Sie aufführen, mehr als scheinheilig, weil Sie so tun, als ob Sie sich jetzt mit einem Mal für Frauen und Mütter einsetzen werden.
({3})
Sie haben das falsche Denken im Bereich des Scheidungsrechts und des Scheidungsfolgenrechts überhaupt erst eingeleitet.
({4})
Sie haben in den Jahren 1976 und 1977 für Frauen mit Kindern und für die Familien nichts übrig gehabt.
({5})
So waren die Fakten.
Herr Abgeordneter Sauter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Natürlich. Allen Damen.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Würden Sie mir bitte um der Klarheit der Verhältnisse willen bitte erklären, ob die Union dem vorliegenden geltenden Recht damals zugestimmt hat? Ja oder nein? Zweitens. Ist es nicht so, daß Sie die erleichterte Schei14058
dung, die wir damals gemeinsam verabschiedet haben, erst gar nicht wollten, jetzt aber nicht einmal bereit sind, z. B. mit der katholischen Kirche zusammen, die j a Ihren Gesetzentwurf angreift, die Stellung der Frauen, die Kinder erzogen haben, gemeinsam mit uns zu stärken? Ist das nicht ein Widerspruch?
Frau Matthäus-Maier, ich glaube, wenn es um die Frage geht, wie die Stellung der Frauen hier verbessert werden kann, dann ist die Partei, der Sie zur Zeit angehören, absolut die falsche Partei,
({0})
die überhaupt zu Rate gezogen werden könnte. Sie tun heute so, als ob Sie beispielsweise mit der katholischen Kirche zusammenarbeiten wollten.
({1})
Dies entspricht absolut nicht dem, was der tatsächliche Hergang der damaligen Gesetzgebung gewesen ist.
({2})
Wenn Sie wissen wollen, welchem Gesetz wir zugestimmt haben, dann hätten Sie bloß ein bißchen zuzuhören brauchen. Aber dazu sind Sie vor lauter Aufgeregtheit heute offensichtlich nicht mehr in der Lage. Wir haben dem zugestimmt, was damals im Vermittlungsausschuß gemacht worden ist.
({3})
Wir haben dies in einer Situation getan, wo es galt, das, was aus unserer Sicht an fast nicht mehr zu verantwortenden Ungerechtigkeiten in das Gesetz Eingang gefunden hatte, wenigstens teilweise abzuschwächen.
Herr Abgeordneter Sauter, auch der Abgeordnete Erhard möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich lasse sie zu, mache aber das Haus darauf aufmerksam: Herr Abgeordneter, bis jetzt habe ich weder Fragen noch Antworten auf Ihre Redezeit angerechnet.
({0})
Mit Rücksicht auf die Gesamtsituation kann ich dieses Verfahren aber dann nicht weiter praktizieren.
Herr Abgeordneter Erhard, bitte sehr.
Herr Kollege Sauter, könnten Sie den Fragestellern der sozialdemokratischen Fraktion deutlich machen, daß die CDU/CSU-Fraktion sowohl im Rechtsausschuß wie im Bundestag in zweiter und dritter Lesung dem damaligen Entwurf und dem damaligen Gesetzgebungsverf ahren
({0})
nicht zugestimmt hat, sondern lediglich den Änderungen, die der Vermittlungsausschuß vorgelegt
hatte, - nur diesen Änderungen! - zugestimmt hat?
Herr Abgeordneter Erhard, ich werde natürlich darüber nachdenken, ob das nicht eine Dreiecksfrage war. Nun, Herr Abgeordneter Sauter.
Ich weiß gar nicht, was sie dagegen haben, wenn das noch mal konkretisiert wird. Aber sie müßten es j a eigentlich auch wissen. Darum verstehe ich gar nicht, warum sie sich darüber aufregen. Natürlich war es so, daß den Änderungen zugestimmt worden ist, die im Vermittlungsausschuß damals vereinbart worden sind. Es ist aber keine Zustimmung zu dem erfolgt, was an Gesetzgebung im Deutschen Bundestag geschehen ist. Darüber gibt es keinen Zweifel. Aber ich stelle hier die Frage, warum sie überhaupt fragen, wenn sie damals dabei waren. Aber vielleicht haben nur diejenigen gefragt, die es in der Tat nicht wußten.
Wir sind heute in einer Situation, wo haarsträubende Ungerechtigkeiten in der Öffentlichkeit immer mehr für Aufmerksamkeit gesorgt haben und es in der Tat notwendig war, sich in bestimmten Bereichen eine Änderung des Scheidungsfolgenrechts zu überlegen.
Die Rechtsprechung hat in jahrelanger mühseliger Arbeit aus den wenigen Anhaltspunkten, die das Gesetz dafür bot, Formeln entwickelt, die geeignet waren, wenigstens den größten Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten abzuhelfen. Der Bundesgerichtshof mußte dafür teilweise herbe Kritik einstecken. Ihm wurde vorgeworfen, er mißachte ein Grundprinzip des 1. Eherechtsreformgesetzes, daß nämlich keine schmutzige Wäsche mehr gewaschen werden dürfe, und führe das Verschuldensprinzip gewissermaßen durch die Hintertür wieder ein.
Dieser Kritik ist durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, und zwar durch die Entscheidung vom 14. Juli 1981, mit der es § 1579 Abs. 2 BGB für verfassungswidrig erklärt hat, mit erfreulicher Deutlichkeit entgegengetreten worden. Offensichtlich haben einige von Ihnen - auch Sie, Frau Matthäus-Maier - diese Entscheidung noch nie mit der notwendigen Aufmerksamkeit durchgelesen. Sonst müßten und würden Sie hier anders reden. Die Bedeutung der Entscheidung erschöpft sich nämlich nicht in der Beanstandung dieses einen Absatzes. Sie enthält vielmehr eine äußerst wichtige Aussage zum gesamten Scheidungsfolgenrecht. Danach ist das Gesetz zwar mit dem Grundgesetz vereinbar, aber - das wird leider immer wieder übersehen oder vielleicht auch unterdrückt - nur in der Ausgestaltung, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ihm gegeben hat. Dabei wird - und da bitte ich jetzt, wirklich zuzuhören - ausdrücklich betont - und darum ist all das, was heute über Verschuldensfragen diskutiert worden ist, so nicht zutreffend -, daß ein völlig verschuldensunabhängiges Scheidungsfolgenrecht nicht mehr Bestandteil unserer verfassungsmäßigen Ordnung wäre. Deshalb ist also all das, was sonst darSauter ({0})
über geredet wird, so nicht zutreffend und wirklich nicht seriös.
Man hätte meinen wollen, daß die Kritik mit diesem höchstrichterlichen Urteil vom Tisch hätte sein müssen. Dies war leider nicht der Fall. Das hat uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, um so mehr darin bestärkt, uns mit der Novellierung dieses Gesetzes zu beschäftigen. Es wurde beispielsweise auch argumentiert, das Verschuldensprinzip werde durch die Hintertür wieder eingeführt. Ich frage mich, welche Vorstellungen vom Gesetzgebungsverfahren in dieser Republik jemand hat, der meint, die Entscheidung eines Parlaments sei eine Hintertür, auf die man hier zurückgreifen wolle. Es ist die einzig mögliche und die einzig rechtmäßige Art, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Gesetz zu ändern. Dies war in diesem Fall zweifelsohne notwendig und längst erforderlich.
Mit erfreulicher Klarheit kommt in dem Entwurf zum Ausdruck, daß schwerwiegendes, einseitiges Fehlverhalten bei der Regelung des nachehelichen Unterhalts nicht unberücksichtigt bleiben kann. Allerdings ist es eine Verdrehung der Tatsachen und dieser Regelung, wenn behauptet wird, der Unterhaltsanspruch der Frau werde durch den Entwurf von Wohlverhalten abhängig gemacht.
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Diese Behauptung findet in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf keine einzige Stütze.
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Unterhaltsansprüche können nur bei besonders schwerwiegendem Fehlverhalten versagt werden. Das ist etwas ganz anderes, meine sehr verehrten Damen und Herren, als fehlendes Wohlverhalten. Eine Wohlverhaltensklausel kann man, wenn man will, allenfalls in der seit 1977 geltenden Zerrüttungsscheidung finden. Wer sich nicht durch ständiges Wohlverhalten um die Erhaltung der Zuneigung des Partners bemüht, muß damit rechnen, daß sich dieser von ihm abwendet und für ihn damit weitgehende wirtschaftliche Konsequenzen verbunden sind. Allerdings kann er sich selbst durch Wohlverhalten nicht davor schützen, daß die Ehe wegen einer vom anderen Partner einseitig herbeigeführten Zerrüttung geschieden wird. Das sind die Fakten, die wir mit der Zerrüttungsscheidung seit dem Jahre 1977 haben.
Eine klare Fassung des Gesetzes ist auch deshalb erforderlich, weil in der gegenwärtigen Fassung kaum erkennbar ist, welchen Inhalt das Gesetz denn tatsächlich hat. In § 1579 Abs. 1 BGB werden Sachverhalte aufgezählt, die ganz verschiedene, aber zum Teil nur selten vorkommende Fälle ansprechen. Der eigentliche Gehalt der Bestimmung wird mit den Worten angedeutet, es müsse sich um einen Grund handeln, der ebenso schwerwiegend wie die drei aufgeführten Gründe sei.
Nun kann nicht übersehen werden, daß diese Auffangklausel auch im neuen Entwurf steht. Aber jetzt ist sie zusätzlich konkretisiert dadurch, daß weitere Sachverhalte mit Eingang gefunden haben.
Die bereits erwähnte Auffangklausel, die jetzt unter Nr. 7 zu finden ist, wird durch die neuen Regelbeispiele nicht überflüssig. Sie wird auch weiterhin benötigt, wie Beispiele aus der Rechtsprechung belegen. Hier ist insbesondere an die bekannten drittfinanzierten Lebensgemeinschaften zu denken, die so aussehen, daß sich ein Ehegatte nach der Scheidung einen anderen Partner sucht, den früheren Partner aber weiterhin auf Unterhalt in Anspruch nimmt.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Die nach der Scheidung fortgesetzte oder aufgenommene neue Partnerschaft ist kein Fehlverhalten gegenüber dem früheren Ehepartner und ist als solche auch nicht entscheidungserheblich. Sie muß vielmehr neutral betrachtet werden. Was aber jedenfalls in besonders schwerwiegenden Fällen nicht hingenommen werden kann, ist dies: wenn trotzdem in unzumutbarer Weise der frühere Ehepartner unter Berufung auf die nacheheliche Solidarität auf Unterhaltszahlung in Anspruch genommen wird.
Der Entwurf hatte auch einer Beanstandung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des § 1579 Abs. 2 BGB Rechnung zu tragen. Das ist nun mit erfreulicher Deutlichkeit gelungen. Die Belange der Kinder werden weiter Berücksichtigung finden. Allerdings muß der neue § 1579 Abs. 1 BGB so ausgelegt werden - um mit dem Bundesverfassungsgericht zu sprechen, das ich jetzt zitiere -, daß es in Zukunft zu Entscheidungen kommt, die allein am Kindeswohl orientiert sind, die keine ehebeeinträchtigenden Wirkungen zeitigen und die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen.
Mit dem Entwurf wird das Zerrüttungsprinzip bei der Scheidung selbst nicht berührt. Es soll aber wieder mehr Einzelfallgerechtigkeit im Scheidungsfolgenrecht ermöglicht werden. Die Bürger müssen wieder darauf vertrauen können, daß das Gesetz Recht schützt und Unrecht abwehrt. Wer eine Ehe eingehen will, darf nicht von der Sorge gedrückt werden, daß er damit ein unwägbares Risiko eingeht, das er selbst in keiner Weise beherrschen kann.
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Wenn das Gesetz dazu beiträgt, ist das wichtigste Ziel erreicht, das mit diesem in der Tat schwierigen Gesetzgebungsverfahren angestrebt wurde.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat uns zwei Kleinstkorrekturen an einem im übrigen als verfassungskonform angesehenen Gesetz aufgegeben. Wir waren zu dieser Kleinstkorrektur bereit. Wir haben unsere Anträge in zweiter Lesung vorgelegt. Wenn ich mir unseren lieben Vorsitzenden des Rechtsausschusses vor mir anschaue, der immer
gegen das deutsche Übersoll polemisiert hat, wenn es um Belange der Wirtschaft ging, und der jetzt, wenn es um die Belange der Frauen geht, ein Übersoll mitträgt, muß ich sagen, daß ich dieses widersprüchliche Verhalten nicht gutheißen und auch nicht akzeptieren kann.
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Meine Damen und Herren, schauen Sie sich unsere Regelungen an, die wir in der zweiten Lesung zur Abstimmung eingebracht haben. Mit denen kann man leben, mit denen wird man in diesem großartigen Gebäude auch noch die beiden kleinen Hinterzimmer neu tapezieren und bewohnbar machen können, so daß sich die Karlsruher darin wohlfühlen. Alles andere ist nicht erforderlich. Alles andere ist nicht Reform, sondern Reaktion.
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Wir haben zu § 1568 BGB eine Verfahrensrechtliche Regelung vorgeschlagen, die auch Karlsruhe für gut und für möglich gehalten hat. Sie haben sich für eine andere Richtung entschieden und haben die Fünfjahresfrist gestrichen. Das gibt ein falsches Signal. Wir werden in Zukunft wieder schwere Auseinandersetzungen um die Scheidung einer Ehe haben. Gerade auch deshalb, weil Sie die Scheidungsfolgen so greuslich regeln,
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werden viele an zerrütteten Verhältnissen festhalten. Leiden werden die Frauen. Lassen Sie sich von älteren Frauen ihr Elend in den Familien erzählen, was sie oft mitgetragen haben, weil sie nicht wußten, was hinterher kommt; dann wird Ihnen klar, was Sie hier vielen Frauen in diesem Bereich antun.
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In § 1579 Abs. 2 BGB haben wir Ihnen eine Regelung vorgeschlagen, die die Belange der Kinder wahrt. Diese Regelung wäre ausreichend gewesen. Es bestand überhaupt kein Anlaß, wie eine Ziehharmonika die Verschuldenstatbestände auseinanderzuholen und die Phantasie für diejenigen einzusetzen, die ihre Rachegefühle, weil sie mit einer Scheidung nicht fertigwerden, in den Unterhaltsprozeß hineinverlagern.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Kleinert.
Herr Kollege Stiegler, ist Ihnen trotz der Verwendung des Wortes „greuslich" - eindrucksvoll und sympatisch - klar, daß hier nur ganz periphere und sehr minimale Dinge im Gesetz wirklich geändert werden, und wären Sie vielleicht sogar bereit, einmal, statt allgemeine Vorwürfe vorzutragen, vorzutragen, was jetzt wirklich - übrigens im Einklang mit der Rechtsprechung - geändert wird, nämlich ganz ungewöhnlich wenig?
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Herr Abgeordneter Kleinert, würden Sie bitte in gebührender Form die Antwort entgegennehmen!
({0})
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Stiegler.
Lieber Herr Kleinert, Sie kennen mich aus der Zusammenarbeit im Rechtsausschuß. Ich bemühe mich immer, die Dinge mit intellektueller Redlichkeit zu machen. Aber hier haben Sie nicht recht. Ich komme gleich darauf zu sprechen, daß Sie eben mehr einreißen, als durch Karlsruhe notwendig war,
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und daß es gewaltige Rückschritte gibt. Wir kommen gleich darauf zurück. Ich muß mich mit Ihrem Kartoffelpatent am Anfang Ihrer Rede noch befassen.
Meine Damen und Herren, bisher ist überhaupt nicht davon gesprochen worden, daß Ihre Verschlechterungen bis in das Getrenntleben bei der Ehe hineinreichen. Das Getrenntleben soll dazu dienen, zu prüfen, ob man wieder zusammenkommen kann. Das belasten Sie jetzt mit dieser Auseinandersetzung um den Unterhalt; und damit erschweren Sie, daß die beiden wieder zusammenfinden.
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Wenn die erst einmal streiten, daß die Fetzen fliegen, um für sich den normalen Lebensbedarf zu sichern - dann sollen sie eventuell nach dieser Probezeit wieder zusammenkommen? Das erschwert das Beisammenbleiben unnötig und ist geradezu familienfeindlich, weil es eben nicht dazu beiträgt, daß das Zusammenleben wieder harmonisch wird.
Meine Damen und Herren, die zwei Hauptschritte, die Sie außerhalb von Karlsruhe tun, sind die Gefährdung des Unterhalts bei Arbeitslosigkeit und die Gefährdung des Lebensstandards, und zwar ohne jeden verhaltensbedingten Vorwurf. Hier wird nicht für Leute, die sich gegenüber dem Partner unschön benommen haben, der Unterhalt abgesenkt, sondern eine ganz normale faire Scheidung wird zum Anlaß genommen, daß der Frau der Lebensstandard gekürzt wird. Das ist der Sachverhalt.
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Da kommt der Justizminister und singt hier ein trauriges Lied über die armen ausgebeuteten Männer, von bösen Frauen malträtiert. Hier geht es, Frau Hellwig, um die anständigen, um die grundanständigen Frauen. Gleichwohl wird ihnen der Unterhalt und der Lebensstandard gekürzt.
({3})
Das hätten Sie sehen müssen. Ich fürchte, Sie haben es nicht sehen dürfen, weil Ihre Altherrenriege Ihnen hier eine Kappe aufgesetzt hat.
({4})
Meine Damen und Herren, der Sauter ist zwar jung an Jahren, aber denken tut er wie ein 90jähriger.
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Mit dem § 1573 BGB gefährden Sie den Unterhalt bei Arbeitslosigkeit, gefährden Sie den gemeinsam erworbenen Lebensstandard. Sie haben keinen Maßstab für die zeitliche Begrenzung. Sie reden von einem Rechtsstaat. In Wirklichkeit machen Sie ein Richterermächtigungsgesetz,
({6})
wo die einen glauben, Billigkeit heiße, daß es billig sein muß.
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Die werden sich hier gewaltig täuschen, sowohl die, die etwas befürchten, als auch die, die etwas bekommen sollen. Das ist ein Anschlag gegen den Rechtsstaat.
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Es ist ein Anschlag gegen den Rechtsstaat, wenn man den Gerichten keine klaren Regelungen mehr gibt. Beim § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes wollen Sie Überklarheit, und hier wollen Sie eine uferlose Billigkeitsklausel, meine Damen und Herren.
({9})
Es ist bezeichnend, daß Sie nicht bereit waren, Ihren Satz aus der Begründung, daß Verschuldenselemente nur bei § 1579 BGB Platz greifen sollen, in den § 1573 und den § 1578 BGB aufzunehmen. Hier haben Sie praktisch nur ein bißchen camoufliert, aber für die Rechtsprechung bleibt es leider offen.
Meine Damen und Herren, § 1578 BGB begründet einen neuen Unterhaltstatbestand. Ich nenne ihn Absenkungsunterhalt. Das ist der Unterhalt, wo nach einiger Ehezeit der Lebensstandard abgesenkt wird. Viele von Ihnen haben übersehen, daß diese Absenkung auch für den Alterstatbestand, für den Krankheitstatbestand, für den Gebrechenstatbestand und unter bestimmten Umständen sogar für den Unterhaltstatbestand der Kindererziehung gilt. So weit reicht Ihr Wunsch, den gemeinsam erworbenen Lebensstandard abzusenken. Sie schaffen dabei Unsicherheit, weil keiner weiß, was angemessen ist, und keiner weiß, wie man die Dinge begründen soll.
Meine Damen und Herren, Sie verletzen das Rechtsstaatsprinzip. Im Scheidungsverfahren gibt es ohnehin Statusunsicherheit. Sie erschweren sie durch Rechtsunsicherheit. Sie haben drei offene Klauseln. Die erste Klausel ist „Billigkeit". Sie haben dann die Klausel „insbesondere". Mit diesem Wort „insbesondere" machen Sie die Tür für alle denkbaren Erwägungen auf. Und es ist bezeichnend, daß Sie nicht bereit waren, diese Klausel zu streichen. Und mit der Klausel „in der Regel" gefährden Sie sogar den Unterhalt bei Kindesbetreuung.
({10})
In Zukunft wird keine Prognose mehr möglich sein. In der famosen Begründung steht drin, daß man schon bei der Antragsbegründung auch den Tag bestimmen muß, an dem der Unterhalt abgesenkt wird. Die können gleich zum Lottospielen statt zum Amtsgericht gehen, um das Richtige her-auszuwürfeln, herauszubekommen.
({11})
Das, meine Damen und Herren, ist vom Rechtsstaat her nicht geboten.
Nun noch ein Wort zu den Übergangsvorschriften, die uns eine Serie von Prozessen bescheren werden. Wir reden über die Verstopfung der Gerichte und über die knappe Ressource Recht, und hier wird für nacheheliche Rachegefühle im Grunde ein großer Kriegsschauplatz eröffnet, und die Amtsgerichte werden vollgestopft. Das, meine Damen und Herren, ist diesem Rechtsstaat auch nicht zumutbar.
({12})
Ich betone noch einmal: Selbst ohne persönlichen Vorwurf reißen Sie beim Arbeitslosigkeitsunterhalt und beim Lebensstandard alle abgeschlossenen Fälle wieder auf. Und viele, die sich etwas davon erhoffen, werden zu Gericht ziehen.
Meine Damen und Herren, was hier gelaufen ist, ist ein fauler Koalitionskompromiß,
({13})
ein ganz übelriechender Koalitionskompromiß. Die CSU wollte das totale Roll-back. Wenn ich hier den Kollegen Lowack neben der Frau Hellwig sitzen sehe, finde ich: Wenn man die Positionen der beiden in dieser Sache bestimmen wollte, müßte der Lowack hinter dem Kleinert und die Frau Hellwig irgendwo bei uns sitzen. - Die CSU wollte ganz hartes Roll-back. Die CDU wollte eine leichte Korrektur. Da muß ich der Damenriege durchaus Anerkennung zollen, daß sie wacker gekämpft
({14})
und auch ein paar kosmetische Korrekturen durchgesetzt hat. Sie haben ein bißchen Rouge aufgelegt. Nur, Frau Hellwig: Wo man Schmuck und Schminke schauet, tut törlich, wer der Farbe trauet - in diesem Bereich.
({15})
Hier ist die Korrektur nicht ausreichend.
Die FDP wollte ursprünglich gar nichts, hat sich dann in diesem Bereich aber gewendet.
({16})
Herr Kleinert, Sie haben von den Kartoffeln erzählt, die Sie essen. Ich glaube, die sind nicht genießbar. Der Kollege Ertl wird Ihnen sagen, daß sie in keine Marktordnung reinpassen und auch keine Brennerei sie annehmen würde.
Sie haben auch die Harmonie in der Koalition erwähnt. Ich finde, Sie hätten eben nicht die Tonart wechseln sollen. Es ist eine sehr seltsame Harmonielehre, die Sie hier aufgebracht haben. Sie haben vielleicht Harmonie in der Koalition, zerstören aber die Harmonie in zigtausend Einzelpersonenhaushalten, die nicht wissen, wie sie in den nächsten Monaten überkommen sollen.
({17})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch ein paar Worte zum Gesetzgebungsverfahren sagen. Ich nehme für mich in Anspruch, daß ich mit der Koalition sowohl beim Urheberrecht als auch bei der Bilanzrichtlinie und auf anderen Gebieten anständig zusammengearbeitet habe.
({18})
Wir von der Sozialdemokratie haben nicht von vornherein gesagt: Weil die anderen es sagen, ist es Mist. - Wir waren vielmehr bereit, mit Ihnen zu reden. Sie aber haben nicht das Gespräch mit der Opposition gesucht. Sie waren so zerstritten, daß Sie mit keinem anderen mehr reden konnten. Damit haben Sie die parlamentarischen Beratungen schwer belastet. Sie haben die Verbände überhaupt nur widerwillig angehört. Wir haben den Verbänden mit Gewalt Gehör verschaffen müssen, weil Sie sie nicht hören wollten.
({19})
Sie haben auf dem Familiengerichtstag nicht auf den versammelten Sachverstand in diesem Bereich gehört, und Sie haben auch den Fachbeamten das Rückgrat gebrochen.
({20})
- Ich sage das, weil ich empört bin. Es war geradezu peinlich, als die Herren Beamten bei der Beratung im Rechtsausschuß gesagt haben: Diese Koalition trägt uns; wir tragen diese Koalition; sonst haben wir nichts zu sagen. ({21})
Das war die Realität bei den Beratungen im Rechtsausschuß. Ich finde, das ist unwürdig gegenüber dem Parlament. Es gibt Gott sei Dank viele unter Ihnen, denen dieser Sachverhalt auch peinlich ist. Ich will keinen namentlich benennen, um ihn nicht der Ächtung auszusetzen. Meine Damen und Herren, dies ist kein gutes Beispiel für die Rechtspolitik in einem so sensiblen Bereich.
Die Sozialdemokratie war zu Korrekturen nach der Karlsruher Anforderung bereit. Wir sehen, daß das, was Sie tun, die Probleme nicht löst. Ich komme auf das zurück, was Frau Mätthäus-Maier gesagt hat: Schlüsselproblem ist die Arbeitslosigkeit. Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, damit sich nicht nur der wirtschaftlich Stärkere rücksichtslos durchsetzen kann, sondern damit auch der wirtschaftlich Schwächere seine soziale Absicherung hat und wieder in das Erwerbsleben eingegliedert wird. Diese Reform ist kein Glanzstück.
({22})
Friedrich Karl Fromme hat - wie so oft - unrecht, wenn er diese Reform heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" lobt. Er hat die Vorschriften auch nicht angeschaut. Er hat wieder einmal gegen die richtige Überzeugung angeschrieben.
Wir werden unsere Änderungsanträge zur Abstimmung stellen und Ihre Vorschläge ablehnen, weil sie frauen-, familien- und kinderfeindlich sind und weil sie den sozialen Frieden gefährden.
Vielen Dank.
({23})
Nach § 30 unserer Geschäftsordnung gebe ich dem Abgeordneten Lowack die Möglichkeit zu einer kurzen Erwiderung. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß in der Geschäftsordnung ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß es sich nur um Äußerungen handeln kann, die mit Ihrer Person in Zusammenhang stehen. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig, daß ich, wie der Kollege Stiegler hier erwähnt hat, die Auffassung vertreten habe, daß dieses Gesetz weit mehr verspricht, als es halten kann, daß es in der Praxis wahrscheinlich weitgehend überflüssig sein wird, daß es uns aber eine Reihe von fürchterlichen Diskussionen beschert hat, die an Fanatismus kaum zu überbieten waren. Die Bezeichnung „Furie" für einige Diskussionsteilnehmerinnen wäre wahrscheinlich noch eine allzusanfte Bezeichnung.
({0})
Es ist auch richtig, daß ich gesagt habe, daß dieses Gesetz wichtige Dinge nicht berücksichtigt,
({1})
z. B. eine Neuregelung des Sorgerechts. Es berücksichtigt auch nicht das Spannungsverhältnis, das zwischen dem früheren unterhaltsberechtigten Ehepartner und einem neuen Ehepartner entstanden ist. Es überbrückt auch nicht das dogmatische Problem zwischen der Neuregelung des § 1573 Abs. 5 BGB und dem § 1570 BGB; es geht hier um den Unterhaltsanspruch wegen des ausgeübten Sorgerechts für ein Kind. Trotzdem möchte ich in der Hoffnung, daß sich in der Zukunft noch einige Nachbesserungen durchführen lassen, in Erwiderung auf den Vorhalt des Kollegen Stiegler klären, daß ich dem Gesetzentwurf zustimmen werde.
Das Wort hat der Abgeordnete Buschbom.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hatte ich angenommen, daß der Dampf so langsam raus war, aber er ist noch einmal tüchtig abgeblasen worden.
({0})
- Die GRÜNEN sind in Wackersdorf, die sind heute gar nicht da.
Das war eine sehr, sehr mutige und kräftige Veranstaltung, obwohl das Fernsehen gar nicht mehr dabei ist und gar nicht mehr die Möglichkeit besteht, daß man draußen zur Kenntnis genommen wird.
({1})
Lieber Herr Kollege Stiegler, auch Sie hat es ein bißchen mitgerissen. Sie wissen, wie sehr ich Sie schätze, und deshalb möchte ich nicht im einzelnen auf all die Dinge eingehen.
Nur ein Wort möchte ich sagen: Das Wort von dem Anschlag auf den Rechtsstaat muß ich doch ein bißchen zurückweisen. Sie wissen genau, daß es hier nur um die Klarstellung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach zwei Verfassungsgerichtsurteilen geht, die das alte Unterhaltsrecht in ihrem Kern getroffen haben, wo nämlich außer acht gelassen wurde, daß in diesem Recht Treu und Glauben herrschte. Es ist das einzige Anliegen dieser Vorlage, ein wenig Treu und Glauben wieder ins Unterhaltsrecht zurückzubekommen.
({2})
Ich möchte mich mit den Dingen nicht mehr emotionell befassen, sondern nur zu den Übergangsvorschriften sachlich etwas sagen; denn es könnte sein, daß unsere Richter hier noch einmal nachlesen wollen.
Die Übergangsvorschriften - Art. 6 der Vorlage - beantworten die Frage, wie der Konflikt zwischen Rechtssicherheit und dem Vertrauen auf den Fortbestand des bisherigen Rechtszustands einerseits und dem Geltungs- und Anwendungsanspruch des neuen geänderten Rechts andererseits gelöst wird. Der Gesetzgeber hat dabei zwischen dem Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Regelung und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für die Allgemeinheit abzuwägen.
Es ist anerkannt, daß dabei das bisher geltende Recht an veränderte Gegebenheiten angepaßt werden kann. So ermöglicht § 323 ZPO - geltendes Recht -, rechtskräftige Verurteilungen zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen abzuändern, wenn sich die der Verurteilung zugrunde liegenden Verhältnisse wesentlich verändert haben. Das gilt für Dauerschuldverhältnisse, insbesondere für Unterhaltsansprüche, für welche anerkannt ist, daß auch eine Änderung der Gesetzgebung einer Abänderung der rechtskräftigen Verurteilung nicht entgegensteht.
Die Kritik an den Übergangsvorschriften, die teilweise vehement vorgetragen worden ist, hat diese Grundsätze offenbar gar nicht wahrgenommen.
Nun zum Inhalt. Wir haben im letzten Satz von Nr. 1 des Art. 6 die Klarstellung, daß die neuen gesetzlichen Vorschriften für zwei Kategorien von Unterhaltsleistungen nicht in Betracht kommen. Es ist wichtig, auch das zur Kenntnis zu nehmen. Bei der ersten Kategorie handelt es sich um den Unterhalt Geschiedener, wenn die Scheidung nach dem bis zum 30. Juni 1977 geltenden Recht, also vor dem Inkrafttreten des 1. Eherechtsreformgesetzes, erfolgt ist. Das waren die sogenannten Verschuldensscheidungen nach dem alten Verschuldensprinzip; ich nenne sie hier die Uraltfälle. Die zweite Kategorie betrifft Unterhaltsleistungen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes fällig geworden sind. Das ist für uns selbstverständlich. Für diese beiden Kategorien ist die vorgesehene Gesetzesänderung unbeachtlich. Damit ist auch klargestellt, daß das neue Gesetz vom Tage seines Inkrafttretens an nur in die Zukunft wirkt.
Abgesehen von diesen beiden Ausnahmekategorien ist es jedoch die Absicht der Vorlage, in Altfällen, d. h. in Fällen, in denen nach dem 30. Juni 1977 über einen Unterhaltsanspruch rechtskräftig entschieden, ein vollstreckbarer Schuldtitel errichtet oder eine Unterhaltsvereinbarung getroffen worden ist, diese Rechtstitel dem neuen Recht anzupassen, um für die Zukunft bei vergleichbarem Sachverhalt unterschiedliche Rechtswirkungen zu vermeiden. In diesen Fällen sollen die Beteiligten für die Zukunft so gestellt werden, wie sie stünden, wenn ihre Scheidungsfolgen nach dem neuen Recht beurteilt würden. Das ist gewollt und politisch beabsichtigt, denn wenn es die Absicht der Vorlage ist, Ungerechtigkeiten des alten Rechts zu beseitigen, dann würde es dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle widersprechen, wenn man es unterließe, bei Dauerschuldverhältnissen wie hier früher entschiedene Fälle den neu zu entscheidenden anzupassen. Aus Gründen des schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand einmal getroffener Regelungen soll diese Anpassung aber nur möglich sein, erstens wenn sich die den Rechtstiteln zugrunde liegenden Verhältnisse wesentlich verändert haben - das ist der Rechtsgrundsatz aus § 323 ZPO, zweitens wenn das Bestehenbleiben des Titels auch unter besonderer Berücksichtigung des Vertrauens des Berechtigten in den Bestand des Titels für den Verpflichteten unzumutbar ist sowie drittens wenn bei Vereinbarungen, in denen neben dem Unterhalt noch andere Scheidungsregelungen getroffen worden sind, der Verpflichtete zusätzlich dartut und bei Bestreiten beweist, daß die Scheidungsregelungen auch ohne die Unterhaltsvereinbarung zustandegekommen wären.
Die letzten beiden Voraussetzungen der Anpassung machen deutlich, daß die grundsätzliche allgemeine Abänderbarkeit für Unterhaltsansprüche im Sinne von § 323 ZPO für diese Altfälle eine starke Einschränkung erfährt. Auch das hat mancher Kritiker gar nicht erkannt.
Bei Würdigung dieser eingeschränkten Anspruchsvoraussetzungen kann schwerlich die Ansicht vertreten werden, der Gesetzgeber habe nicht ausreichend zwischen dem Vertrauen der betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Regelung und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens, nämlich der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit und rechtlicher Verhältnismäßigkeit, abgewogen.
Weitere kritische Anmerkungen galten schließlich den Auswirkungen des gesetzgeberischen Vorhabens auf die Organisation der Familiengerichte. Auch der Kollege Stiegler hat das hier wieder vorgetragen. Hier hat insbesondere auch der Deutsche Richterbund die Auffassung vertreten, durch die Abänderungsmöglichkeit der Altfälle würden die Familiengerichte mit Abänderungsklagen überflutet und dadurch funktionsunfähig. Nun, ich bin der Praxis noch nicht so entfernt; ich weiß, daß alle diese Fälle schon anhängig sind. Deshalb halte ich diese Befürchtung für unbegründet.
Zwar wird mit einem - vorübergehenden - Ansteigen der Zahl der Abänderungsklagen zu rechnen sein. Der so zu erwartende zusätzliche Arbeitsanfall wird die Familiengerichte jedoch nicht überfordern; denn die Möglichkeit von Abänderungen der Altfälle ist sehr stark eingegrenzt.
Für eine solche Abänderung, lieber Kollege Stiegler, kommen nämlich nur drei Fallgruppen in Betracht:
Zunächst sind es Fälle, in denen der verfassungswidrige Abs. 2 von § 1579 BGB angewandt worden ist. Hier ist eine Abänderungsmöglichkeit verfassungsrechtlich geboten. Da aber nach dem Erlaß des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1981 - es hat mich sehr gewundert, daß in den Diskussionsbeiträgen darauf überhaupt nicht eingegangen worden ist - Zwangsvollstreckungen in diesen Fällen unzulässig waren und auch weiterhin sind, dürften neben den bereits anhängigen oder anhängig gewesenen Zwangsvollstreckungsgegenklagen nur noch wenige zusätzliche Abänderungsklagen erhoben werden.
Ich nenne die zweite Gruppe. Vor der - klarzustellenden - Rechtsprechung des BGH zu § 1579 BGB, also von Juli 1977 bis zum Ende des Jahres 1979, ist es zu Entscheidungen gekommen, die dieser Rechtsprechung nicht entsprechen und daher nicht verfassungskonform sind. Auch insoweit ist eine Abänderungsmöglichkeit verfassungsrechtlich geboten. Die Anzahl dieser Fälle dürfte ebenfalls gering sein. Dasselbe dürfte für Fälle gelten, in denen ab 1980 die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht beachtet worden ist.
Als dritte Kategorie kommen entschiedene Altfälle in Betracht, die wegen der in diesem Gesetz ermöglichten zeitlichen Begrenzung von Unterhaltsansprüchen dem Grunde oder der Höhe nach - §§ 1573, 1578 BGB in der Fassung der Vorlage - wieder aufgegriffen werden, um für die Zukunft von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Auch diese Fälle dürften - schon wegen des vorgesehenen hohen Vertrauensschutzes - nicht häufig sein.
Von den weiteren Vorschriften des Art. 6 ermöglicht es die Regelung in Nr. 2, das neue Recht sachgerecht im Rechtsmittelverfahren anzuwenden.
Schließlich beziehen sich die Nummern 3 bis 9 auf die Änderungen des Verfahrensrechts durch die vorhergehenden Art. 2 bis 5. In diesen Artikeln nimmt sich die Vorlage erkennbar gewordener Unstimmigkeiten des familienrechtlichen Erkenntnis-und Vollstreckungsverfahrens mit dem Ziel an, Mängel oder Auslegungszweifel beim Anwaltszwang, bei der Bestimmung des Rechtsmittelgerichts und der Feststellung der Rechtskraft des Scheidungsanspruchs zu beseitigen, dadurch ein sachgerechtes Verfahren zu ermöglichen und für die Beteiligten mehr Rechtssicherheit zu schaffen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe noch eine Minute Zeit, die ich verwenden möchte, um den Mitarbeitern des Ministeriums Dank auszusprechen, die manche Nachtsitzung erlebt haben. Die Mitarbeiter der Fraktionen beziehe ich ein; ich bin sicher, daß auch Ihre Mitarbeiter, Herr Stiegler, ihre Mühe gehabt haben. Das sollte hier auch einmal erwähnt werden.
({3})
Bei einer so emotional geladenen Materie ist es selbstverständlich, daß das Verfahren Zeit brauchte und daß viele, viele Verhandlungen und Besprechungen stattfanden, wobei uns viele Mitarbeiter helfen mußten.
Namens der CDU/CSU-Fraktion bitte ich, der Vorlage in der Fassung des Rechtsausschusses zuzustimmen.
({4})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben noch einige Minuten Zeit, und deswegen möchte ich am Schluß dieser Debatte noch einige Bemerkungen machen:
Wir bedauern erstens, daß Sie jetzt diese Änderung des Gesetzes durchdrücken. Wir bedauern, daß Sie Frauen, die Kinder haben und ihren Beruf reduziert oder aufgegeben haben, das Leben damit sehr viel schwerer machen und daß Sie - ({0})
- Natürlich gilt es für sie, und das wissen Sie auch ganz genau! Sogar Ihre eigenen Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion gehen davon aus.
({1})
Wir bedauern zweitens, daß Ihnen der Koalitionskompromiß vorgegangen ist; er hat für Sie Vorrang
vor der Situation der Frauen und ihrer Kinder in den Familien.
({2})
Meine Damen und Herren, wir bedauern zum dritten, daß der Justizminister seine Aufgabe wieder einmal nicht wahrgenommen hat und auch heute nicht einen rechtstatsächlichen Grund für diesen Gesetzentwurf vorgetragen hat.
({3})
Meine Damen und Herren, wir bedauern - Ihnen, Herr Kollege Helmrich, sage ich das ganz besonders -, daß die Debatte hier nicht so geführt worden ist, wie Frau Hellwig sie begonnen und wie der Kollege Buschbom sie weitergeführt hat. Wissen Sie, Kollege Lowack, Kolleginnen von uns deswegen, weil sie anderer Meinung sind, als Furien zu bezeichnen, das finde ich nicht anständig. Das sage ich hier sehr deutlich.
({4})
Meine letzte Bemerkung: Wir hätten es sehr gerne gehabt, wenn Frau Süssmuth als für Frauen zuständige Ministerin hier einige Worte gesagt hätte.
Herzlichen Dank.
({5})
Das war die letzte Wortmeldung. Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen nun zur Einzelberatung in der Abstimmung über die Vorlage unter Punkt 6 der Tagesordnung. Auf den Drucksachen 10/4526 bis 10/4528 und 10/4532 liegen Änderungsanträge vor, die sich alle - neben anderen Bestimmungen - auf Art. 1 beziehen. Deshalb schlage ich Ihnen vor, daß wir über diese Änderungsanträge vor dem Aufruf der Einzelvorschriften abstimmen. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4526 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4527 zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag ebenfalls abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4528 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Änderungsantrag - bei einer Enthaltung - abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dann, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4532. Wer diesem
Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Ich rufe nunmehr die Art. 1 bis 8, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Vorschriften sind somit angenommen.
Nun kommen wir zur
dritten Beratung.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Nach Enthaltungen brauche ich nicht mehr zu fragen, da sich alle geäußert haben. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Nach § 30 unserer Geschäftsordnung wünscht der Abgeordnete Lowack zu diesem Tagesordnungspunkt noch einmal das Wort. Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, sich aber sehr in der Zeit zu beschränken, damit ich nicht einen Mißbrauch der Geschäftsordnung feststellen muß.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kollegin Däubler-Gmelin hat mir vorgehalten, ich hätte Kolleginnen hier als Furien bezeichnet. Ich darf nur klarstellen, daß ich keine Kollegin im Saal oder außerhalb dieses Saales als eine Furie bezeichnet habe. Ich habe vielmehr eine Veranstaltung in Erinnerung, an der beispielsweise auch der Kollege Emmerlich am Podium beteiligt war, auf der sich fanatisierte Frauen wie Furien und schlimmer aufgeführt haben.
({0})
Nunmehr kann ich feststellen, daß wir endgültig mit dem Tagesordnungspunkt 6 fertig sind.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes ({0})
- Drucksache 10/2832 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({1})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß jede Fraktion eine Redezeit von zehn Minuten hat. - Das Haus ist damit offensichtlich einverstanden.
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht, so daß ich das Haus jetzt bitten kann, die notwendige Ruhe für den Abgeordneten Rusche herzustellen. - Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hinter dem Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes verbirgt sich die Streichung der §§ 175 und 182 Strafgesetzbuch. Wir, die GRÜNEN, sind für eine Streichung dieser beiden Paragraphen
und halten das für eine konsequente Lösung, um
Jugendlichen ihre sexuelle Selbstbestimmung - ({0})
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Ich möchte erst die Ruhe herstellen, damit Sie Ihre Rede in Ruhe abwickeln können.
Meine hochverehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, entweder den Saal zu verlassen oder Ihre Plätze einzunehmen.
Fahren Sie bitte fort, Herr Abgeordneter.
Wir sind, wie ich eingangs sagte, für eine Streichung der beiden §§ 175 und 182 und halten dies für eine konsequente Lösung, um Jugendlichen ihre sexuelle Selbstbestimmung zu ermöglichen,
({0})
wie das ja auch der Titel des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuchs aussagt.
Beim § 175 geht es um einen Sonderparagraphen für Homosexuelle. Meine Damen und Herren, diese sind bekanntlich überall, also auch im Bundestag. Ich selbst bin homosexuell und melde mich deshalb zu diesem Thema mit einiger Betroffenheit zu Wort.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen?
Wenn es nicht angerechnet wird, gerne.
Nein, vorläufig nicht. Wenn das nicht überhand nimmt, rechne ich Ihnen das nicht an.
Herr Kollege, bedeutet die Tatsache, daß Ihre Kollegen aus der Fraktion DIE GRÜNEN nicht anwesend sind, Sie aber die Anträge hier eingebracht haben, daß Ihre Fraktion nicht hinter den Anträgen steht oder daß sie diese Anträge nicht so unterstützt, wie Sie es gerne hätten?
Meine Fraktion unterstützt diese Anträge einstimmig. Wir haben es in der Fraktion besprochen.
({0})
- Notieren Sie bitte die Zwischenrufe! Sehr interessant!
Wir sind einstimmig in der Fraktion dafür gewesen, diese Strafrechtsänderung im Bundestag einzubringen. Daß meine Kollegen aus der Fraktion nicht hier sind, liegt daran, daß sie in Wackersdorf sind, weil aus bekannter Ursache unsere Anwesenheit auch dort erforderlich ist.
({1})
- Ich lasse gerne Pause für Ihre „schönen" Zwischenrufe.
Es ist oft zu hören, die Homosexuellen seien frei. Gemeint ist damit natürlich, daß sie seit der Reform des § 175 in den Jahren 1969 und 1973 ihre Lebensweise in ausreichendem Maße verwirklichen können. Im Klartext heißt das, mehr will man den Homosexuellen auch gar nicht zugestehen. Eine rechtliche Gleichstellung mit den Heterosexuellen kommt gar nicht in Frage.
Die GRÜNEN im Bundestag wollen diesen unausgesprochenen Konsens der anderen Parteien durchbrechen und fordern ohne Wenn und Aber die ersatzlose Streichung von § 175 Strafgesetzbuch, weil er unerhörtes Leiden über Millionen von Mitbürgern gebracht hat. An der Tatsache, daß es bis heute nicht möglich war, auf eine Sondergesetzgebung gegen Homosexuelle zu verzichten, läßt sich exemplarisch darlegen, daß in Deutschland Toleranz und Verständnis gegenüber dem als andersartig Erlebten nur selten eine Chance gehabt haben. Das erkennt man auch an Ihren Zwischenrufen.
Nachdem sich die deutschen Parlamentarier in einer über 20jährigen Auseinandersetzung endlich dazu durchgerungen hatten, die einfache Homosexualität von der Strafandrohung auszunehmen, bleibt ein Argument - man sollte besser sagen: das blinde Beharren auf einem von der Wissenschaft endgültig widerlegten Argument ({2})
übrig: Eine Sondergesetzgebung in Sachen Homosexualität sei nun einmal notwendig, um die männliche Jugend vor Störungen ihrer sexuellen Entwicklung zu schützen. - Ich will hier nicht die ungezählten, empirisch abgesicherten Beiträge von Sexualwissenschaftlern, Pädagogen und Psychologen wiederholen, die alle ausnahmslos zu dem Schluß gekommen sind, eine Verführung zur Homosexualität mit der Folge einer bleibenden Fixierung auf gleichgeschlechtliche Sexualpartner gibt es nicht; ebensowenig gibt es eine Verführung zur Heterosexualität.
Angesichts dieser Tatsache fragt man sich, woher die Mehrzahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages die Berechtigung abgeleitet hatten, weiterhin auf der Beibehaltung von Sondergesetzen gegen homosexuelle Handlungen zu bestehen. Niemand von Ihnen scheint bereit zu sein, ernsthaft die Auswirkungen des § 175 StGB in seiner jetzigen Fassung auf einen Teil der deutschen Jugendlichen zu bedenken, der im Alter zwischen 14 und 18 Jahren die ohnehin schwierige Entwicklung des Homosexuellwerdens durchläuft.
Ich zitiere aus der bisher umfassendsten soziologischen Untersuchung über den Lebenszusammenhang von männlichen Homosexuellen in der Bundesrepublik, die 1974 erschienen ist:
Homosexuell wird man nämlich nicht mit 4 oder 5 Jahren, sondern mit 14 oder 17 Jahren oder gar später. Mit 4 Jahren wird ein Triebschicksal verankert, und auf diesem Triebschicksal werden soziale Geschlechtsrollen, bewußte Einstellungen, unbewußte Ängste und
Ablehnungen aufgebaut, wird ein Bild der Selbstwahrnehmung und Selbstverurteilung errichtet, das sozialen Zwängen und Gesetzen folgt.
Das bedeutet, daß sich ein Jugendlicher mit einer homosexuellen Disposition durch einen Wust an sozialen und verinnerlichten Vorurteilen seiner sexuellen Wünsche hindurcharbeiten muß, bevor er sich selber eingestehen kann, daß er homosexuell ist. Zu diesem Zeitpunkt, nämlich im Alter von 16 Jahren, hatten nach Dannecker/Reiche bereits mehr als die Hälfte aller Befragten sexuelle Kontakte mit einem Mann gehabt, ohne daß sie sich als homosexuell empfanden. Daraus läßt sich nur folgern, daß die derzeitige Fassung des § 175 StGB nicht nur keine Schutzfunktion hat, sondern daß er im Gegenteil die sexuelle Entwicklung eines nicht unbeträchtlichen Teils der deutschen Jugendlichen in erheblichem Maße hemmt; denn in der Phase des Coming-out ist der junge Homosexuelle auf Kontakte zu anderen Homosexuellen angewiesen, um wenigstens ansatzweise eine eigene Identität ausbilden zu können. Gerade diese aber kann und anscheinend soll der § 175 StGB in seiner heutigen Fassung verhindern.
Bleibt als Grund für die Beibehaltung dieses Paragraphen das politische Kalkül der Parteien. So ungeheuerlich es anmuten muß, daß ein Gesetz, das nur Leiden über die Betroffenen bringt, in die politische Dispositionsmasse der Parteioberen eingegangen ist, so liegt doch der Schluß nahe, daß es die irrationale Angst der Strategen vor möglichen Verlusten bei Wählerstimmen ist, die eigentlich die Abschaffung des § 175 StGB verhindert.
Hinter dem politischen Kalkül können sich aber auch äußerst bequem die ganz persönlichen Ressentiments verbergen, die jeder einzelne von Ihnen gegen Homosexualität hegt. Fragen Sie daher nicht: Wie soll ich meinen Arbeitern im Ruhrgebiet oder meiner älteren Dame in Ruhpolding oder meinem Bauern in der Pfalz erklären, warum ich für die Abschaffung des § 175 StGB stimmen würde? Fragen Sie sich zunächst einmal ganz persönlich, was Sie daran hindert, Homosexualität als lediglich andere Form von Sexualität zu akzeptieren.
({3})
- Das heißt, es steht alles schon vorher fest. Sie denken vorher nicht mehr. Okay.
Der Abgeordnete Werner möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege, sind Sie denn nicht mit mir der Auffassung, daß es sehr wohl im Interesse der Familien und, herauskommend aus den Kenntnissen, die die Eltern bezüglich der Entwicklung ihrer Kinder besitzen, vor allen Dingen auch in deren Interesse und damit auch im Interesse des Kindes liegt, daß Möglichkeiten vorhanden sein müssen, die Kontaktaufnahme gerade in dem Bereich, für den Sie jetzt sprechen und sich stark machen, einzudämmen, unter Umständen zu unterbinden, wenn daraus Gefahren für die Entwicklung des Kindes entstehen könnten?
Das ist genügend gegeben. Es gibt Paragraphen, die vor Nötigung, Gewalt und Einflußnahme schützen. Es ist nicht nötig, daß man Sexualität als solche in diesem Alter unter Strafe stellt, daß man irgendwelche fiktiven Verführer bestraft und den Jugendlichen jegliche Sexualität abspricht.
Es geht darum, daß Sie sich zunächst einmal ganz persönlich fragen sollten, was Sie daran hindert, Homosexualität als lediglich andere Form von Sexualität zu akzeptieren. Genau an diesem Punkt läßt sich nämlich festmachen, warum die Parteien in den letzten Jahren so gut wie nichts getan haben, um in der Bevölkerung einen wirklichen Prozeß der Aufklärung in Gang zu setzen.
Lediglich die Schwulen selbst sind auf die Straßen gegangen, haben Informationsstände gemacht, haben Aufklärung betrieben, haben Veranstaltungen durchgeführt und Unterschriftenaktionen mit Zehntausenden von Unterschriften in die Wege geleitet.
Wie wenig die Parteien an einem Bewußtseinsänderungsprozeß interessiert sind, zeigte sich besonders kraß im November 1980, als der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt die Forderung der FDP nach Streichung des § 175 mit der Bemerkung abwürgte, dann müsse sich die FDP einen anderen Koalitionspartner suchen. Das hat diese, wie wir alle wissen, etwas später auch getan. Offensichtlich ist die früher vehement verfochtene Forderung für die FDP jetzt noch weniger opportun, obwohl sie noch 1983 in sämtlichen Schwulenzeitungen inserierte, um für die Wahl ihrer Partei zu werben.
Wenn Sie, meine Herrschaften von der FDP, Ihren damaligen Vorstoß von der FDP ernstgemeint haben und ihn nicht nur im Hinblick auf ein paar tausend Wählerstimmen aus dem Kreis der Homosexuellen gemacht haben, dann stimmen Sie unserem Antrag doch zu.
Zum Abschluß noch ein Wort an meine schwulen Kollegen hier im Bundestag.
({0})
Wenn es heute trotz Liberalisierung der öffentlichen Meinung nicht gelungen ist, diesen Paragraphen, den Kurt Hiller einmal „die Schmach des Jahrhunderts" genannt hat, zu Fall zu bringen, dann hat das auch damit zu tun, daß Sie sich als Homosexuelle angstvoll hinter der Fassade des anständigen Abgeordneten verbergen. Ich bin nicht stolz darauf, der erste offen auftretende schwule Abgeordnete in der Geschichte des Deutschen Bundestages zu sein. Viel früher hätten sich Abgeordnete in diesem Hause zu ihrer Homosexualität be14068
kennen müssen, um auf diese Weise deutlich zu
machen, daß es nicht irgendwelche dunklen Existenzen sind, die da nach Gleichstellung verlangen.
({1})
Gerade die Tatsache, daß in der Lobby j a doch die meisten wissen, wer von uns homosexuell ist, macht das krankhafte Wahren des Scheins so überflüssig.
So aber komme ich in die Lage, nicht in erster Linie als Abgeordneter der GRÜNEN - deswegen macht es auch gar nichts, daß sie heute nicht hier sind - die ersatzlose Streichung des § 175 zu fordern; ich stehe hier vielmehr in dieser Frage als Repräsentant aller homosexuellen männlichen Mitbürger unseres Staates,
({2})
die unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit oder Parteipräferenz die völlige Gleichstellung mit den heterosexuellen Bürgern verlangen. Emphatische Toleranz mag noch nie die Stärke der Deutschen gegenüber Andersartigen gewesen sein. Das Mindeste ist aber die Gleichheit vor dem Gesetz.
Noch ganz kurz zu § 182 StGB. Es ist grotesk, wenn nur Erziehungsberechtigte die Möglichkeit haben, gegen vermeintliche Verführer ihrer minderjährigen Töchter vorzugehen, während weder die Betroffenen selbst noch irgend jemand sonst das Recht haben, in diesem Zusammenhang Strafantrag zu stellen.
Außerdem gilt dieser Paragraph nur dann, wenn der Verführer die Verführte nicht heiratet. Dies kommt mir vor wie ein aus dem Mittelalter überkommener Schutz der Jungfernschaft. Die Existenz eines solchen Paragraphen ist derart lächerlich, daß man gar nicht weiter darauf eingehen muß.
({3})
Das Wort hat der Abgeordente Eylmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein 45jähriger Mann, der Schwierigkeiten in der Ehe hat, lernt in einem Eiscafé ein 14jähriges Mädchen kennen. Er imponiert ihr mit einem flotten Wagen, beschenkt sie reichlich, holt sie wiederholt ab und schafft es schließlich, mit ihr den Geschlechtsverkehr mehrfach zu vollziehen. Das Mädchen wird schwanger, er läßt sie sitzen.
Ein zweiter Fall: Ein 50jähriger Homosexueller lernt auf einem Jahrmarkt einen geistig einfach strukturierten Hauptschüler kennen, der ein leidenschaftlicher Waffensammler ist. Der Mann zeigt ihm seine eigene Waffensammlung, schenkt ihm auch Waffen, erlangt so das Vertrauen des Jungen und schafft es, ihn in seine Wohnung zu bringen, wo er des öfteren eine Vielzahl von homosexuellen Handlungen an ihm vollzieht. Das sind zwei Fälle, die in dieser oder ähnlicher Form im Bereich der Sexualkriminalität immer wieder vorkommen. Fachleute werden Ihnen das bestätigen. Beide Männer haben keine Gewalt angewendet. Wenn sich Erwachsene Kinder oder Jugendliche gefügig machen wollen, stehen ihnen auch durchaus subtilere und erfolgversprechendere Mittel als körperliche Gewaltanwendung zur Verfügung.
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An der Strafwürdigkeit des Verhaltens dieser beiden Männer ändert das doch wohl nichts.
Die GRÜNEN - ich habe mit Interesse vernommen, alle GRÜNEN - sehen das anders. Sie sind der Meinung, die sexuelle Befreiung des Menschen sei erst dann vollendet, wenn nun auch die letzten Tabus fallen. Kindern und Jugendlichen, bevorzugten Lustobjekten einer bestimmten Spezies älterer Männer hetero- oder homosexuellen Zuschnitts, gilt es in den Augen der GRÜNEN ein unverklemmtes, zwangsloses und herrschaftsfreies Sexualleben zu bescheren. Die Herabsetzung des Schutzalters auf 14 Jahre, worüber wir uns heute unterhalten, ist nur ein erster Schritt. Die GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben bereits Beschlüsse gefaßt, wonach alle Straftatbestände zu streichen sind, die gewaltfreie Sexualität mit Strafe bedrohen; also Sex mit Kindern ist für die GRÜNEN in.
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Da richten im November 1984 die GRÜNEN eine Große Anfrage zum sexuellen Mißbrauch von Kindern an die Bundesregierung. In der Bergründung heißt es - ich zitiere -:
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß bleibende Schäden und Beeinträchtigungen bereits durch sexuelle Übergriffe verursacht werden, die im herkömmlichen Sinne als „gewaltlos" bezeichnet werden.
Dem, Herr Rusche, kann ich nur zustimmen, muß aber gleichzeitig hinzufügen, daß sich eine Fraktion dieses Hauses wohl noch nie so überzeugend für alle selbst der Heuchelei überführt hat wie die Fraktion der GRÜNEN, wenn sie wenige Wochen später einen Gesetzentwurf vorlegt, in dem Mädchen und Jungen von der Grenze von 14 Jahren an schutzlos den sexuellen Wünschen Erwachsener preisgegeben werden.
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Sie wollen die Verführung eines 14- oder 15jährigen Mädchens durch einen älteren Mann straflos stellen. Ich weiß wie Sie, daß ein erheblicher Teil der Mädchen in diesem Alter bereits sexuelle Erfahrungen hat. Das sind in der Regel gleichaltrige oder etwas ältere Jungen. Aber Sie können doch wohl auch nicht ernstlich bestreiten, daß ältere Männer, die auf junge Mädchen fixiert sind, auch unterhalb der Schwelle der Gewaltanwendung eine Fülle von Möglichkeiten haben, sich junge, unerfahrene Mädchen willfährig zu machen. Wollen Sie die schutzlos stellen?
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Wir haben selbst zu Haus eine 14jährige Tochter. Ich muß Ihnen sehr offen sagen, daß meiner Frau und mir bei aller Selbständigkeit, zu der wir die Tochter zu erziehen versuchen, nicht wohl bei dem Gedanken wäre, wenn hier der letzte Schutz des Gesetzes fallen würde. Ich glaube, das fast alle Eltern in der Bundesrepublik, die Töchter in diesem Alter haben, genauso denken.
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Mich würde sehr interessieren, was denn die Damen in Ihrer Fraktion zu dieser Gesetzesvorlage gesagt haben, die sich ja damals so lautstark äußersten. Sie sind heute nicht hier.
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Die GRÜNEN haben mit ihrem Standbein einmal wieder auf der Straße zu tun, und das parlamentarische Spielbein stecken sie dann zwischendurch einmal in die Tasche.
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Nun zu den Homosexuellen! Ich meine, was die Freigabe der 14- bis 17jährigen Jungen für den homosexuellen Zugriff angeht, so zeigt sich die verantwortungslose Immoralität dieser Gesetzesinitiative zusätzlich noch darin, daß sie zu einem Zeitpunkt vorgelegt wird, wo wir uns alle Gedanken darüber machen, wie wir die Ausbreitung von AIDS verhindern können.
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- Sie wissen, Herr Rusche, daß zur Zeit die Verhinderung der Ansteckung die einzig mögliche AntiAIDS-Strategie ist, die Erfolg verspricht.
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Sie wissen ferner, daß es in den USA trotz aller Safer-Sex-Bemühungen nicht gelungen ist, die Ausbreitung von AIDS in der homosexuellen Subkultur zu verhindern. Sie wissen, daß in den deutschen Selbsthilfegruppen keine erfolgreichen oder nachhaltigen Anstrengungen unternommen werden, sich durch Abbau des schnellen Partnerwechsels vor der Ansteckung zu schützen.
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- Das kann ich Ihnen beweisen. Sie wissen, daß der Strichjunge, der ja häufig nicht einmal homosexuell ist, ein besonders trauriges Ergebnis homosexueller Promiskuität ist. Sie wissen, daß mit jedem Jahrgang einige tausend Jungen mit homosexuellen Dispositionen sozusagen neu auf den Markt der kommerzialisierten Promiskuität kommen und damit in die am höchsten gefährdete AIDS-Gruppe geraten.
Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt präsentieren Sie uns einen Gesetzentwurf, der de facto den homosexuellen Umgang mit dem 14jährigen Strichjungen legalisiert. Sie sind auch noch unverfroren genug, das der Öffentlichkeit mit dem Argument verkaufen zu wollen, die Strafdrohung des § 175 StGB behindere Jugendliche „bei einem wichtigen und legitimen Teil ihrer Persönlichkeitsentfaltung". Was hier, Herr Rusche, entfaltet werden soll, ist nicht die Persönlichkeit des armen Strichjungen, was sich hier ausleben will, ist vielmehr die Persönlichkeit des erwachsenen Homosexuellen, und zwar rigoros auf Kosten der körperlichen und geistigen Gesundheit des jugendlichen Opfers.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rusche?
Gerne.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Würden Sie mir zustimmen, daß es, wenn der § 175 StGB nicht existierte und wenn Homosexuelle in dieser Republik freier leben und sich zu ihrer Homosexualität bekennen könnten, wesentlich leichter wäre, mit diesem Problem umzugehen, als unter den gegebenen Bedingungen, bei denen sich die Leute noch verstecken müssen, um ihre Arbeit nicht zu verlieren, um nicht von ihren Nachbarn diskriminiert und um nicht als Seuchenherd ausgemacht zu werden? Sind Sie nicht auch der Meinung, daß es besser wäre, wenn es wirklich frei von Diskriminierungen wäre und wenn es wirklich möglich wäre, daß man offen über all diese Sachen reden kann? Der § 175 StGB erzeugt doch eine solche Grauzone.
Herr Abgeordneter Rusche, würden Sie bitte in der gebührenden Form die Antwort entgegennehmen? Es ist jetzt das zweite Mal, daß ich heute darauf aufmerksam mache.
Herr Kollege Rusche, es geht in dieser Frage überhaupt nicht um das grundsätzliche Problem der Homosexualität. Es geht darum, ob, unter welchen Voraussetzungen und von welchem Alter an wir unsere Jugendlichen, unsere Jungen und Mädchen, schützen wollen. Darum geht es. Es ist bedauerlicherweise so, daß die Erwachsenen ihre eigenen sexuellen Wünsche in die Jugendlichen hineinprojizieren und meinen, die müßten genauso empfinden. Das ist der Mißbrauch der Mädchen und Jungen, der angestrebt wird.
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Es gibt Verhaltensweisen im Leben eines Menschen, die mit besonderer Intensität zeigen, wes Geistes Kind er ist. Das gilt auch für Fraktionen. Es ist ja nicht das erste Mal, daß die GRÜNEN-Fraktion ihr wahres Gesicht zeigt. Aber die deutsche Öffentlichkeit hat es, so meine ich, mit besonderer Deutlichkeit gesehen. Dafür könnte man der GRÜNEN-Fraktion sogar dankbar sein, wenn nicht die Gefahr bestünde, daß es eine Reihe von Päderasten und Pädophilen gibt, die sich in ihren Meinungen und Neigungen nun auch noch durch die Tatsache bestätigt fühlen, daß derartige Thesen von Ihnen, sehr
pseudowissenschaftlich untermauert, nun sogar im Bundestag vertreten werden.
Die vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zum Thema Kindersex von den GRÜNEN entfachte Diskussion hat wesentlich, wenn nicht entscheidend, dazu beigetragen, daß die GRÜNEN nicht in den Landtag gekommen sind.
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Das hat Sie nicht davon abgehalten, dieses Thema in den Bundestag zu bringen. Sie sind nicht lernfähig und tun alles, um sich selbst zu minimieren.
Nehmen wir also, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus dieser Debatte die sichere Erwartung mit, daß die GRÜNEN sich mit solchen Anträgen selber in die politische Bedeutungslosigkeit katapultieren werden, wo sie hingehören,
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eine, wie ich meine, durchaus tröstliche Aussicht zur Jahreswende.
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Das Wort hat der Abgeordnete Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sozialdemokraten sind der Diskriminierung von Minderheiten stets entgegengetreten. Sie haben sich insbesondere gegen die Kriminalisierung und Diskriminierung der Homosexuellen gewandt. Es war der Sozialdemokrat Dr. Magnus Hirschfeld, der 1897 das wissenschaftlich-humanitäre Komitee gründete, das noch im selben Jahr in einer Petition an den Deutschen Reichstag die Straffreiheit für die einfache Homosexualität forderte. Diese Petition wurde von vielen Sozialdemokraten unterzeichnet, u. a. von Rudolf Hilferding, Gustav Radbruch, Paul Löwe und Hermann Müller, dem späteren Reichskanzler. Im Reichstag wurde die Petition von keinem geringeren als August Bebel begründet.
Erinnert sei auch an den unvergessenen großen Sozialdemokraten Adolf Arndt und sein wegweisendes Referat vor dem 47. Deutschen Juristentag 1968 in Nürnberg, in dem er ausführte:
Auch im engeren und engsten Kreis der Strafgesetzgebung und der Strafjustiz müssen dann Signale rot zu leuchten beginnen zwecks Warnung, ob wir der Projektionsneigung auf Sündenböcke nachgeben, ob wir kollektive Vorurteile konservieren, ob wir Agressivität gegen Minderheiten abreagieren, weil uns das Andersartige als fremd und das Fremde als feindlich und das Feindliche als verbrecherisch erscheint, wir also das verkennen und versäumen, was Mitscherlich die Arbeit an der Einfühlung in den anderen nennt. Die Kriminalisierung von Minderheitsgruppen einer andersgeschlechtlichen Art wie der Homosexuellen ist ein Beispiel dafür.
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Die Reform des § 175 StGB gelang erst 1969 unter der Federführung des sozialdemokratischen Bundesjustizministers und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Sie wurde fortgesetzt durch Bundesjustizminister Gerhard Jahn, dem wir bei dieser Gelegenheit vor dem Deutschen Bundestag unseren Dank und unsere Anerkennung dafür aussprechen.
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Die bahnbrechende Bedeutung dieser Reform des § 175 durch Gustav Heinemann und Gerhard Jahn wird in der Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs völlig verkannt. Die Aufhebung der Kriminalisierung der Homosexualität unter Erwachsenen war ein historisches Ereignis. Mit einer vielhundertjährigen schlimmen Tradition der Verfolgung einer Minderheit wurde gebrochen. Über Vorurteile und tagespolitischen Opportunismus wurden die wissenschaftliche Erkenntnis, die Menschenwürde und die Menschenrechte gestellt. Ich darf Sigmund Freud zitieren:
Homosexualität ist kein Vorzug, aber ist auch nicht etwas, dessen man sich schämen muß, keine Last, keine Erniedrigung, und kann nicht als Krankheit bezeichnet werden.
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Es ist eine große Ungerechtigkeit, Homosexualität als ein Verbrechen zu verfolgen, und auch eine Grausamkeit.
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Seit 1969 sind Homosexuelle von der Furcht vor krimineller Verfolgung weitgehend befreit. Seit 1969 hat in unserer Gesellschaft das Verständnis für Homosexuelle zugenommen. Seit 1969 haben immer mehr Homosexuelle den Mut und die Möglichkeit, aus dem Ghetto der Isolierung herauszutreten.
Gewiß, meine Damen und Herren, die Diskriminierung der Homosexualität und der Homosexuellen ist noch nicht zu Ende. Gerade Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit belegen das - wenn Herr Minister Wörner hier wäre, würde ich in seine Richtung sehen - in beschämender Weise. Auf uns allen, vor allem aber auf den Homosexuellen, lasten die Vergangenheit und das Leid, das Homosexuelle durch Kriminalisierung und Diskriminierung haben erdulden müssen.
Uns alle - ich hoffe, ich spreche auch im Namen der Kollegen von CDU und CSU ({4})
- warten Sie einmal ab, was ich jetzt sage - bedrücken zutiefst die schreckliche Verfolgung, die unmenschliche Erniedrigung, die Folter und der Mord, dem Homosexuelle während der Nazizeit ausgesetzt waren.
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- Hören Sie zu! - Wir verstehen, welche Last die Erinnerung an diese Verfolgung für Homosexuelle
Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Dr. Emmerlich
ist, und wir verstehen ihre Forderung, endlich mit jeder Diskriminierung Schluß zu machen.
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So sehr wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, gegen Diskriminierung sind - passen Sie auf, Herr Eylmann; Ihre Ungeduld wird jetzt belohnt -, so sehr treten wir für das sexuelle Selbstbestimmungsrecht ein, für von Gewalt, Zwang und Nötigung freie, von Respekt vor der Würde des Partners bestimmte Liebes- und Sexualbeziehungen. Wir sind der Auffassung, daß der Staat Schutz gegen Eingriffe in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht gewähren muß, das strafrechtlicher Schutz insbesondere gegen sexuelle Gewalt
({7})
und sexuellen Zwang erforderlich ist, gegen den sexuellen Mißbrauch von Abhängigen und Willensgeschwächten und, Frau Kollegin, vor allem gegen den sexuellen Mißbrauch jugendlicher Unerfahrenheit und fehlender jugendlicher Reife.
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Der notwendige Jugendschutz, Frau Kollegin, steht für uns Sozialdemokraten nicht zur Disposition. Von der SPD ist keine Zustimmung zu einer Verringerung dieses notwendigen Jugendschutzes zu erwarten.
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Eine Herabsetzung der Schutzaltersgrenze für Mädchen und Jungen auf das 14. Lebensjahr in der Weise, wie der vorliegende Gesetzentwurf dies vorsieht, stimmt mit unseren Vorstellungen vom Jugendschutz nicht überein. Der vorliegende Gesetzesantrag wird darüber hinaus streckenweise in einer Weise begründet, die der Notwendigkeit des Jugendschutzes nicht hinreichend Rechnung trägt.
Seit der Reform des § 175 sind 16 Jahre vergangen. Die Wissenschaft ist in dieser Zeit nicht stehengeblieben. Wir wissen, daß unter Hinweis auf neue Erkenntnisse der Wissenschaft Kritik am § 175 und auch am § 182 des Strafgesetzbuches vorgetragen wird.
Wir haben Wissenschaftler verschiedener Disziplinen dazu gehört. Viele von ihnen haben uns erklärt, daß und warum sie die Kritik für berechtigt halten. Aber es gab und es gibt auch andere Äußerungen.
Wir haben Kenntnis von der Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und von der Entschließung des Europäischen Parlaments mit der Empfehlung, für homosexuelle und heterosexuelle Kontakte das gleiche Mindestalter anzuwenden.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden dafür eintreten, daß der vorgetragenen Kritik und den an uns gerichteten Empfehlungen der eben genannten Gremien in den bevorstehenden parlamentarischen Beratungen ohne Vorurteile und unter Berücksichtigung ausländischer Erfahrungen nachgegangen wird. Wir schlagen einen offenen Dialog zwischen den Abgeordneten aller Fraktionen vor, aber auch mit unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Wir wollen uns über Ängste und Sorgen nicht kurzerhand hinwegsetzen. Wir wollen geduldig argumentieren. Wir wollen überzeugen und nicht verordnen.
Uns geht es darum, der Diskriminierung entgegenzuwirken. Wer das will, darf die Meinung anderer nicht geringschätzen. Er muß sie auch dann ernstnehmen, wenn er sie nicht für zutreffend hält.
Nach allen bisherigen Erfahrungen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird eine ungestörte Gesetzgebungsarbeit des Deutschen Bundestages wegen der bevorstehenden Neuwahl im Januar 1987 wohl nur bis zur Sommerpause des nächsten Jahres möglich sein, also nur noch rund sechs Monate. In dieser kurzen Zeit werden die sorgfältige Beratung und der Prozeß des offenen Dialogs kaum zu einem Abschluß zu bringen sein. Wir sagen das ganz offen, um falsche Hoffnungen und die damit notwendigerweise verbundene Enttäuschung und Resignation nicht entstehen zu lassen.
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Abschließend sage ich: Es kommt hier nicht darauf an, Flagge zu zeigen. Worauf es ankommt, ist, dabei zu helfen, daß Diskriminierungen abgebaut werden.
Wer Diskriminierungen wirkungsvoll entgegentreten will, der wird einen wichtigen Satz von Gustav Heinemann nicht aus den Augen verlieren: „Reformen haben ihre Stunde und ihre sachlichen Voraussetzungen." Das richtig zu bedenken, ist wesentlich für den Erfolg oder den Fehlschlag.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rusche, Sie haben darauf hingewiesen: Die FDP hat in ihrem Wahlprogramm für diese Legislaturperiode eine Reform des § 175 gefordert, ohne allerdings den Schutz der Kinder und der Abhängigen anzutasten. Auch wir, Herr Kollege Emmerlich, haben nicht die Absicht - und hatten sie nicht -, die Schutzaltersgrenze auf 14 Jahre herabzusetzen. Wir haben weiter gefordert, daß homosexuelle KZ-Opfer entsprechend dem Bundesentschädigungsgesetz zu entschädigen sind.
Zur Zeit ist die Forderung nach einer Reform des § 175 nicht durchsetzbar. Wir respektieren die Haltung derjenigen, die eine andere Meinung haben und sie hier auch geäußert haben. Im übrigen war das in der früheren Koalition, Herr Emmerlich, nicht anders. Auch die wissenschaftliche Diskussion ist von sehr unterschiedlichen Meinungen ge14072
prägt. Das gilt ebenso für die Diskussion im Sonderausschuß des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform vor Verabschiedung der großen Strafrechtsreform.
Ich möchte daran erinnern, daß die Änderungen des § 175, die in den Jahren 1969 und 1974/75 erfolgt sind, maßgeblich von meiner Partei beeinflußt worden sind.
({0})
Zentraler Gedanke dieser Gesetzgebung, dem eine Gesamtreform des Sexualstrafrechts zugrunde lag, war die Überzeugung, daß eine Strafdrohung nur dort vorzusehen ist, wo Rechtsgüter des Einzelnen oder der Allgemeinheit angegriffen oder gefährdet werden und ohne die Mittel des Strafrechts nicht hinreichend geschützt werden. Hier gehen bis heute die Meinungen auseinander. Die einen sagen, daß für sie das Rechtsgut der ungestörten sexuellen Entwicklung, Herr Kollege Eylmann, unantastbar ist. Die anderen - wie mein Kollege Kleinert nach einer Anhörung der FDP-Bundestagsfraktion 1981 - sagen, daß die Sozialschädlichkeit nicht nachgewiesen werden könne, jedenfalls nicht in der Altersspanne zwischen 16 und 18 Jahren.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. Oktober 1981 ist festgestellt, daß die Strafbarkeit der Homosexualität zwischen Nichterwachsenen nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt und es dem Ermessen der Staaten überlassen ist, welche Altersgrenze sie festlegen.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat mit ihrer Empfehlung vom Oktober 1981, das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 13. März 1984 auf das Problem der unterschiedlichen Schutzaltersgrenzen bei homo- und heterosexuellen Handlungen hingewiesen und die Mitgliedstaaten aufgefordert, das gleiche Mindestalter für eine Einwilligung einzuführen. Unser Recht entspricht dieser Aufforderung bis heute nicht.
Eine Aufhebung des § 182 des Strafgesetzbuchs findet unsere Zustimmung nicht. Die Schutzgedanken beider Vorschriften, § 182 und § 175, Herr Kollege, sind unterschiedlich, lassen sich nicht gleichstellen. In § 182 geht es um die sexuelle Selbstbestimmung der Mädchen.
({1})
Übrigens könnte man bei einer Reform des § 175 überlegen, ob nicht junge Männer in diese Schutzzone einbezogen werden sollten.
Das Kernproblem liegt, meine ich, auch nicht in der Änderung des Strafrechts, sondern in der faktischen Diskriminierung, die immer wieder in der Gesellschaft gegenüber homosexuellen Männern und Frauen erfolgt. Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung zum Ausdruck gebracht, daß gegenüber dieser Personengruppe in den Mitgliedstaaten, deren Gesetzgeber die Homosexualität zwischen einverständlichen Erwachsenen nicht als Vergehen betrachtet, immer noch faktischen
Diskriminierungen hinsichtlich der Beschäftigung, der Sicherung des Arbeitsplatzes, der Wohnung, der Verhältnisse in Gefängnissen, der Achtung des Privatlebens und des Besuchs- oder Aufsichtsrechts gegenüber Kindern bestehen.
In unserem Lande konnten in den letzten Jahren und Jahrzehnten Diskriminierungstatbestände abgebaut werden, gerade auch im Bereich der Polizei. Auf der anderen Seite könnten sich neue Diskriminierungstatbestände durch das Phänomen der sich ausbreitenden Volksseuche AIDS ergeben, die aber, wie neue Erkenntnisse zeigen, keineswegs auf Homosexuelle beschränkt ist, sondern zunehmend auch Heterosexuelle umfaßt.
Die Qualität einer Demokratie, meine Kollegen, erweist sich auch daran, wie sie mit Minderheiten umgeht. Darüber haben wir in diesem Raum mehrfach bei verschiedenen Gelegenheiten, in bezug auf verschiedene Minderheiten diskutiert. Wir haben zu unserem heutigen Thema eine hervorragende Analyse des Kölner Literaturhistorikers Hans Mayer mit seinem Buch „Außenseiter", der in der Geschichte verfolgt, was mit diesen Minderheiten, auch derjenigen, über die wir heute reden, geschehen ist.
Ich meine also, daß sich die Qualität einer Demokratie daran erweist, wie sie mit Minderheiten umgeht. Und ich teile die Meinung des Europäischen Parlaments, daß bei der Bekämpfung jeder Art von Diskriminierung die faktische und rechtliche Diskriminierung der Homosexuellen - wie das Parlament sagt - nicht übersehen oder passiv hingenommen werden darf. Ich meine, wir müssen aktiv dafür eintreten, daß Diskriminierungstatbestände in der Gesellschaft abgebaut werden. Es darf, sagt das Europäische Parlament, keine Diskriminierung auf Grund sexueller Neigungen eines Menschen geben. Ich teile diese Meinung in der Überzeugung, daß die Achtung der Würde und Freiheit des einzelnen wesentliche Bestandteile der Demokratie sind.
({2})
Selbstverständlich ist, meine Kollegen - und das muß man immer wieder sagen -, daß der Schutz von Kindern und Abhängigen, wie er in anderen bestehenden Strafvorschriften gewährleistet ist, nicht angetastet werden darf.
({3})
Aber der reife Mensch muß in seiner Würde und Freiheit respektiert werden. Ich meine, daß wir Anlaß haben, immer wieder Anlaß haben, die Diskriminierung von Menschen, die nicht so sind wie die Mehrheit, zu bekämpfen.
({4})
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, kann ich die Aussprache schließen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2832 zu überweisen, zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung
Vizepräsident Cronenberg
an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. - Dann ist dies so beschlossen.
Punkt 8 der Tagesordnung ist abgesetzt. Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Bekämpfung des erworbenen Immun-Mangel-Syndroms ({0})
- Drucksache 10/4071 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({1})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
sowie den Zusatzpunkt 3:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
Maßnahmen gegen AIDS
- Drucksache 10/4516 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({2})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird vorgeschlagen, die Anträge auf den Drucksachen 10/4071 und 10/4516 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Andere Vorschläge werden nicht gemacht. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Wiedereingliederungshilfe im Wohnungsbau für rückkehrende Ausländer
- Drucksache 10/3760 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3})
- Drucksache 10/4450 -
Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Steinhauer
b) Bericht des Haushaltsausschusses
({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/4542 Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Strube
Dr. Weng ({5}) Dr. Müller ({6})
({7})
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4529 vor.
Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Redezeit von je fünf Minuten pro Fraktion beschlossen worden. - Widerspruch hiergegen erhebt sich nicht.
Zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Steinhauer das Wort. Frau Abgeordnete, ich nehme an, Sie sprechen anschließend auch gleich zur Sache. - Das ist der Fall. Dann haben Sie jetzt sowohl zur Berichterstattung als auch zu einem Beitrag zur Sache selber das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Gestatten Sie mir, daß ich zunächst als Berichterstatterin spreche. - Herr Präsident, ich nehme an, dies wird nicht auf meine Redezeit angerechnet.
Bei der mir angeborenen Großzügigkeit wird das selbstverständlich so geregelt.
Sonst hätte ich nämlich zweimal geredet.
Im Rahmen der Berichterstattung möchte ich hier folgendes ausführen. Dieses Gesetz soll heute hier nach einem dreifachen Anlauf endlich verabschiedet werden. Der Zeitablauf macht es notwendig, daß ich auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung einen Antrag stelle, der im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Ich beantrage, § 10 wie folgt zu ändern:
Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1986 in Kraft.
Zur Begründung führe ich folgendes aus. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß aus terminlichen Gründen die erforderliche Zustimmung des Bundesrates nicht mehr bis Ende 1985 erteilt werden kann, an dem Inkrafttreten zum 1. Januar 1986 jedoch festgehalten werden soll, ist die vorgeschlagene Änderung erforderlich, um eine begünstigende Wirkung des Gesetzes nicht zu schmälern. Der Bundesrat wird seine Zustimmung erst im Januar geben. Wir möchten aber, daß rückwirkendes Inkrafttreten erfolgt.
Herr Präsident, ich habe Ihnen diese Änderung auch schriftlich überreicht.
Dafür bin ich sehr dankbar. Mein Nachfolger hat den Antrag dann gleich zur Hand. Wir müssen über diesen Änderungsantrag auch abstimmen lassen. Es geht um mehr als nur eine redaktionelle Änderung. Wir müssen sehr auf so etwas achten.
Ich möchte nun meine Ausführungen zur Sache machen. Als wir diesen Gesetzentwurf hier vorgelegt bekamen, habe ich in der ersten Lesung für die SPD-Fraktion auf unsere Bedenken hingewiesen und gesagt, daß wir bei der Beratung kritische Fragen stellen werden. Heute, am Tage der abschließenden Beratung und der Verabschiedung des in einigen Punkten geänderten
Entwurfs - die Änderungen betreffen die Zwischenfinanzierung und einige juristisch nicht haltbare Formulierungen -, müssen wir feststellen, daß unsere Bedenken nach wie vor bestehen und sich teilweise sogar erhärtet haben.
Türkischen Arbeitnehmern - fast ausschließlich diese werden ja von dem Gesetz gemeint sein -, die Teile ihres ehrlich verdienten Lohns bei den Bausparkassen einzahlten, soll gestattet werden, mit den zugeteilten Bausparsummen in ihrer Heimat zu bauen. Das klingt, wenn man das so hört, großzügig, weil dergleichen bisher rechtlich nicht möglich war und ist. Diese Großzügigkeit sackt aber wie ein getroffener Luftballon in sich zusammen, wenn man wenige Zeilen später liest, daß der betreffende Ausländer innerhalb einer Frist von vier Jahren nach Beginn der Auszahlung der Bausparsumme das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer verlassen muß. Hier wird der Teufelsfuß sichtbar. Das erinnert drastisch an die als Rückkehrforderung getarnte Abschiebeprämie, deren Inanspruchnahme heute viele türkische Familien beklagen, weil sie jetzt ohne Arbeit und nach dem Aufbrauchen ihrer erstatteten Rentenversicherungsbeträge ohne Alterssicherung in der Türkei einer ungewissen Zukunft entgegensehen, ganz abgesehen von den Kindern, die aus Schule, Beruf und Freundeskreis gerissen wurden und heute Fremde in der Heimat ihrer Eltern sind. Wegen dieser bitteren Erfahrungen, vor denen Sozialdemokraten gewarnt haben, raten wir allen angesprochenen türkischen Mitbürgern bei Inanspruchnahme dieses Gesetzes zu großer Skepsis und Vorsicht.
Wir stellen nach wie vor Fragen: Was wird aus den Menschen, wenn sie innerhalb der vier Jahre ihre Lebensplanung ändern? Was wird aus dem mühsam erarbeiteten eigenen Haus, wenn die Last von Zins und Tilgung entgegen den ursprünglichen Berechnungen doch nicht getragen werden kann? Ist bedacht, daß in solchen Fällen nicht nur sofortige Rückzahlung des Darlehens, sondern auch ein Strafzins fällig wird, der sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen dem günstigen Darlehenszins und dem Durchschnittszins für Hypothekarkredite auf Wohngrundstücke ergibt? Wir sehen dazu noch die Gefahr, daß der ausländische Arbeitnehmer in eine Schuldensituation gerät, wenn er hierbleibt, die eine Ausweisung zur Folge haben kann, und das Eigentum ist dann auch noch verloren. Wir sehen in diesem Gesetz eine Gefahr für den ausländischen Arbeitnehmer, die sich zugunsten des türkischen Staates auswirkt. Man kann sagen: Das kann einer faktischen Enteignung gleichkommen. Wir fragen auch: Entspricht es dem Rechtsempfinden der Bundesregierung und der ihr folgenden Koalitionsfraktionen, daß mit Deutschen verheiratete Ausländer und Bürger von EG-Staaten von der Inanspruchnahme dieses Gesetzes ausgeschlossen sind? Unsere Bedenken sind also nach wie vor da, und wir werden die Inanspruchnahme und die Folgen dieses Gesetzes kritisch beobachten.
({0})
Sie erkennen an dieser Aufzählung, daß unsere Sorge berechtigt war und daß aus unseren Fragen handfeste Anklagen gegen die Verursacher dieses Gesetzentwurfs geworden sind. Im wohlverstandenen Interesse unserer ausländischen Mitbürger und aus der Verantwortung als Gesetzgeber können wir als SPD-Bundestagsfraktion diesem Gesetz unsere Zustimmung nicht geben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure Frau Steinhauer, daß Sie Ihre meiner Meinung nach nicht berechtigten Bedenken gegenüber diesem Gesetzentwurf auch hier im Plenum aufrechterhalten. Ich meine, Sie sollten sich von dieser Schwarzweißmalerei abkehren und endlich die Zielsetzung dieses Gesetzes begreifen. Wir wollen den Ausländern, die zurückkehren, helfen, daß sie es in ihrer Heimat leichter haben, sich wieder zurechtzufinden. Mit diesem Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren Schritt in der Ausländerpolitik der Reintegration. Das ist das Ziel, und ich meine, das sollten Sie nun endlich mal zur Kenntnis nehmen. Hier handelt es sich nicht, wie die Fraktion der GRÜNEN im Ausschuß gesagt hat, um eine Abschiebeprämie, sondern hier wird eine wirkliche Hilfe für diejenigen geleistet, die freiwillig jetzt oder in den nächsten Jahren auf Dauer in ihre Heimat zurückkehren.
Wer bei uns einen Bausparvertrag angespart hat oder in den nächsten fünf Jahren noch abschließt, soll in seinem Heimatland Wohneigentum unter erleichterten Bedingungen schaffen können. Wir haben in den Ausschußberatungen weitere Verbesserungen und Klarstellungen beschlossen, die zum Vorteil der betroffenen Ausländer sind. Die Bundesregierung schätzt die Kosten, die durch dieses Gesetz entstehen, auf 200 Millionen DM. Bekanntermaßen können Bausparer nur bedingt den Zeitpunkt der Auszahlung bestimmen, und in Einzelfällen ist es dann notwendig, eine Zwischenfinanzierung vorzunehmen. Deshalb wurde beschlossen, daß eine etwaige Auszahlung der Zwischenfinanzierung bis Ende 1993 nicht zugleich als Fristbeginn für die Ausreise angesehen wird. Durch die Ausdehnung auf Zwischenkredite kann nun der heimkehrwillige ausländische Bausparer seinen Sparund Finanzierungsplan auf eine feste, kalkulierbare Basis stellen. Dank dieser Regelung kann der Bausparer seinen Wohnungsbau auch dann finanzieren, wenn sein Vertrag noch nicht zugeteilt ist, das tarifliche Mindestsparguthaben jedoch eingezahlt ist. Meine Damen und Herren, das ist eine wesentliche Verbesserung, die auf Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP zustandegekommen ist.
Mit diesem Gesetzentwurf erweitern wir die Palette von gezielten Maßnahmen zur Förderung der Integration und der Reintegration. Es hat eigentlich in den vergangenen 30 Jahren in der Ausländerpolitik der Bundesrepublik noch nie eine so breit angelegte Palette von gezielten Hilfen gegeben. AlMüller ({0})
lein der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gibt in diesem Jahre rund 90 Millionen DM für die Integration ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien bei uns in der Bundesrepublik aus. Das Benachteiligtenprogramm ist seitdem erheblich ausgebaut worden. Davon profitieren in besonderer Weise die ausländischen Jugendlichen, die es ansonsten schwer hätten, sich beruflich zu qualifizieren.
Unsere Grundsätze in der Ausländerpolitik sind weiterhin klar und deutlich. Wer seit langem bei uns lebt und hier arbeitet und hierbleiben möchte, der kann dies auch tun. Wir bekennen uns zur Integration; wir fördern und unterstützen sie. Wer aber in seine Heimat zurückkehren will, dem wollen wir durch gezielte Maßnahmen dabei helfen. Dieser Gesetzentwurf dient der Hilfe zur Rückkehr. Ich denke, es ist ein weiterer guter Schritt in die richtige Richtung.
Ich bitte Sie, diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.
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Nachdem der Beifall verrauscht ist, hat der Abgeordnete Gattermann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man besonders schnell und von sich überzeugt ist, kann man den Beifall für den abgehenden Kollegen als Auftrittsbeifall interpretieren.
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Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist ganz gut, wenn ein Nicht-Sozialpolitiker einige Bemerkungen zu diesem Gesetzentwurf macht und dessen Annahme empfiehlt, und zwar indem er den Gedanken hervorhebt, daß wir es hier mit der Frage zu tun haben, daß ein wohnungspolitischer Subventionstatbestand ausnahmsweise über unsere Landesgrenzen hinaus ausgeweitet wird. Es besteht der Grundsatz, daß eine wohnungspolitische Subvention natürlich der Versorgung der deutschen oder auch der ausländischen Wohnbevölkerung mit Wohnraum im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland dient und sonst nichts. Wenn jetzt also mit diesem Gesetz ausnahmsweise die prämienund steuerunschädliche Verwendung von Bauspargeldern jenseits unserer Landesgrenzen genehmigt und bewilligt wird, dann kommt hierin der besondere Wille dieser Regierung und dieser Koalition zum Ausdruck, bei der Reintegration unserer ausländischen Mitbürger, die wieder in ihre Heimat zurückkehren, zu helfen.
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Nichts weiter als dieser Hilfsgedanke steht hinter diesem Gesetz.
Frau Kollegin Steinhauer, daß man bei einem Subventionstatbestand natürlich Regelungen treffen muß, damit die Subvention auch richtig verwendet wird und damit die nationale deutsche Wohnungssubvention für alle Zukunft nicht möglicherweise irgendwoanders eingesetzt wird, scheint mir selbstverständlich zu sein.
Ich will bei dieser Gelegenheit sozusagen für das Protokoll des Deutschen Bundestages noch einmal auf einen Punkt aus dem Beratungsverfahren aufmerksam machen, der auch im Ausschußbericht seinen Niederschlag gefunden hat. Es gibt die Streitfrage, ob deutsche Bausparkassen unabhängig von Prämienschädlichkeit oder Steuerschädlichkeit jenseits deutscher Grenzen tätig sein dürfen. In diesem Streit vertritt die Bundesregierung die Auffassung, es sei eindeutig, daß Bausparkassen außerhalb der deutschen Grenzen nicht tätig sein dürfen. Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, daß sie diese offene, strittige Rechtsfrage nicht präjudizierend im Sinne der Rechtsauffassung der Bundesregierung klären wollen; diese Frage soll anderweitig ausgetragen und geregelt werden.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz helfen wir insbesondere unseren türkischen Mitbürgern, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, dort für ihre Familien Wohneigentum zu schaffen. Das ist eine gute Sache; die werden wir unterstützen.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Vogt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wiedereingliederung durch Kooperation, das ist die Überschrift dieses Gesetzes, Wiedereingliederung derjenigen Ausländer, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, und Kooperation mit den Herkunftsländern, die die schwierige Aufgabe der Reintegration bewältigen müssen.
Ich fasse den Inhalt des Gesetzes in Stichworten zusammen:
Erstens: Wir schaffen für eine große Zahl von Ausländern erstmals die Möglichkeit, mit ihren in Deutschland abgeschlossenen Bausparverträgen Wohnungseigentum im Heimatland zu erwerben. Allein über 130 000 türkische Arbeitnehmer haben bei uns Bausparverträge abgeschlossen.
Zweitens. In Verhandlungen vor allem mit der türkischen Regierung ist erreicht worden, daß die zur Umsetzung des Gesetzes notwendigen Garantien für das Währungs- und Bonitätsrisiko von der türkischen Regierung übernommen werden. Ich sehe darin einen wichtigen Beleg für die Bereitschaft der Heimatländer, bei der Reintegration Verantwortung zu übernehmen und zu helfen.
Drittens. Das Gesetz ist zugleich ein Beweis für die deutsch-türkische Freundschaft. Jedes Haus, das künftig mit Hilfe dieses Gesetzes in der Türkei gebaut werden wird, ist ein Baustein für das Gebäude dieser Freundschaft.
Meine Damen und Herren, das Gesetz eröffnet Arbeitnehmern aus den ehemaligen Anwerbeländern außerhalb der Europäischen Gemeinschaft eine zusätzliche Wahlmöglichkeit: Sie können ihre Bausparverträge - wie bisher - zum Bau und Erwerb von Wohnungseigentum in der Bundesrepublik nutzen, oder sie können in ihrem Heimatland bauen; Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sie sich zur Rückkehr verpflichten.
Der Vorwurf, damit werde „Abschiebepolitik" betrieben, ist unsinnig. Der Ausländer kann sich nämlich frei entscheiden, ob und wie er seinen Bausparvertrag nutzen will, und selbst wenn er sich für die Rückkehr entschieden und den Bausparvertrag für den Wohnungsbau im Heimatland verwendet hat, kann er diese Entscheidung rückgängig machen und hier in der Bundesrepublik bleiben. Dann muß er allerdings die Vorteile aus der Bausparförderung zurückzahlen. Das ist völlig legitim, denn deutsche Bausparer können die günstige Bausparförderung auch nicht für den Bau im Ausland in Anspruch nehmen.
Meine Damen und Herren, wir setzen auf die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen. Wer zurückkehren will, erhält dafür unsere Hilfe, und wer hierbleiben möchte, wird bei der Integration in unsere Gesellschaft unterstützt. Allein im Haushalt des Bundesarbeitsministeriums sind für diese Integrationshilfen und -arbeiten knapp 90 Millionen DM vorgesehen. Integrationshilfe bei uns und Hilfe bei der Reintegration ins Heimatland sind kein Widerspruch, sondern Ausdruck unseres Respekts vor der Entscheidung des einzelnen ausländischen Arbeitnehmers.
Für die Bundesregierung darf ich mich für die zügige Beratung dieses Gesetzes im zuständigen Ausschuß bedanken. Ich danke auch der sozialdemokratischen Opposition für die Mitarbeit und bitte um Zustimmung zu diesem Gesetz.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Bevor ich zur Einzelberatung und Abstimmung komme, muß ich den von Frau Steinhauer begründeten Antrag zur Abstimmung bringen. Es geht um § 10 - Inkrafttreten -: „Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1986 in Kraft." Dies ist der Wunsch aller Fraktionen zur Änderung des vorliegenden Entwurfs.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so angenommen. Die Begründung ist auf dem Antrag enthalten.
Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 10. Ich rufe §§ 1 bis 10, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften einschließlich der eben vorgenommenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit Mehrheit bei Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit bei Stimmenthaltungen angenommen.
Wir kommen nunmehr zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4529. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({0})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist einstimmig abgelehnt worden, und es gab keine Stimmen dafür.
Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Entwicklungshelfer-Gesetzes
- Drucksache 10/4515 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({1})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten je Fraktion vereinbart worden. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Repnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß ich die Ehre habe, zur Einbringung dieses Gesetzentwurfs für meine Fraktion zu sprechen. Ich freue mich deshalb, weil die Koalition mit diesem Gesetzentwurf erneut ein Signal gesetzt hat, und zwar erstens für einen weiteren Beitrag zur Entwicklung der Länder in der Dritten Welt, zweitens wird hier eine neue Kernzelle für einen europäischen Entwicklungsdienst geschaffen, und drittens wird hier die Solidarität der Jugend Europas mit der Jugend in den Entwicklungsländern gestärkt und gefördert.
({0})
Dieser Initiative geht eine Abmachung unseres Bundeskanzlers Helmut Kohl mit dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand voraus. Am 7. und 8. November dieses Jahres, bei den letzten deutsch-französischen Konsultationen
wurde eine gemeinsame europäische deutsch-französische Freiwilligeninitiative beschlossen. Mit dieser Initiative wird jungen Menschen, die ihren freiwilligen Entwicklungsdienst leisten, aus verschiedenen Nationen, ganz konkret: aus Deutschland und aus Frankreich, die Arbeit in gemeinsamen deutsch-französischen Projekten ermöglicht.
Notwendig ist es deshalb, den rechtlichen Rahmen den Entsendebedingungen anzupassen. Erstens beschließen wir hier, daß das Mindestalter auf 18 Jahre heruntergesetzt wird. Ich bekenne sehr freimütig, daß dies nicht ganz unproblematisch ist, weil wir immer gerade bei Entwicklungshelfern Wert auf eine gewisse Berufserfahrung gelegt haben. Wir werden dies auch in Zukunft tun. Wir haben bei der Auswahl der ersten Freiwilligen, die jetzt schon hinausgehen werden, ein erfreuliches Durchschnittsalter, das bei 24 Jahren liegt. Dies ist an unsere bisherigen deutschen Verhältnisse angepaßt.
Zweitens - und dies ist sehr wichtig - haben wir hiermit die Öffnung der freiwilligen europäischen Entwicklungsdienste, hier ganz konkret der deutschen Entwicklungsdienste, für Staatsbürger anderer EG-Staaten gewährleistet. Mit dieser Regelung hat die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesregierung einmal mehr Schrittmacherdienste im Bereich der europäischen Entwicklungshelfer geleistet. Das vorbildliche Entwicklungshelfergesetz - ich darf da die frühere Regierung durchaus mit einbeziehen - erfährt eine wesentliche europäische Komponente. Europa wird hier einmal mehr ein Stück Wirklichkeit.
Meine Damen und Herren, wenn die These stimmt, daß Entwicklung vom Menschen ausgeht und nur über den Menschen zu vermitteln ist, dann leisten wir mit dieser Neuregelung einen weiteren wichtigen Beitrag zur Solidarität der europäischen Jugend mit der Jugend in den Entwicklungsländern, und wir leisten einen weiteren wichtigen Entwicklungsbeitrag für die Länder der Dritten Welt.
({1})
Ich möchte die Gelegenheit zum Anlaß nehmen, der Bundesregierung zu danken, daß sie seit dem Europäischen Rat in Fontainebleau vor einem Jahr so schnell gehandelt, umgesetzt und die Weichen gestellt hat. Ich möchte die Gelegenheit aber auch zum Anlaß nehmen, dem Deutschen Entwicklungsdienst dafür zu danken, daß er eine vorbildliche Vorbereitung parallel zur administrativen Arbeit der Regierung betrieben hat und sich bereits in der Durchführungsphase befindet. Durch dieses schnelle Arbeiten und Wirken der Bundesregierung wie auch des Entwicklungsdienstes ist nämlich sichergestellt, daß bereits im kommenden Frühjahr die ersten 10 bis 15 deutschen Entwicklungshelfer im Rahmen dieser Projekte ausreisen können. Es wurden Projekte ausgesucht, die in besonders not-leidenden Regionen, nämlich im Sahel-Bereich, angesiedelt sind.
Die Auswahl der Berufe wie auch die Auswahl dieser Projekte zeigt, daß in erster Linie landwirtschaftliche und ökologisch sensible Projekte herangezogen wurden. Damit wird mit diesem Dienst einmal mehr eine Entwicklungshilfepolitik bei uns praktiziert, die die Entwicklung von unten fördert, die im besten Sinne Hilfe zur Selbsthilfe leistet und betreibt.
Ich wünsche für meine Fraktion dieser neuen Initiative, diesem Dienst viel Glück. Wir alle hoffen, daß hier eine Keimzelle zu einem größeren, erfolgreichen gesamteuropäischen Entwicklungsdienst geschaffen wurde.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Toetemeyer.
Herr Präsident! Liebe interessierte Kollegen!
({0})
- Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe eben nachgeschaut. Ich bitte um große Nachsicht. Ich habe Sie übersehen.
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Liebe interessierte Kollegin! Die Anregung des Europäischen Rates vom Juni 1984 in Fontainebleau, im Bereich der Entwicklungshilfe die nationalen Grenzen zu überschreiten und junge Europäer gemeinsam Entwicklungshilfe treiben zu lassen, ist ein großartiger neuer Denkansatz. Dies ist der entscheidende Grund, warum meine Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen wird.
Meine Damen und Herren, ich möchte aber einige Tropfen Wermut in den Becher der Freude schütten. Wir sollten, wenn wir jetzt um der Angleichung des europäischen Rechts willen das Alter auf 18 Jahre heruntersetzen, also unser Alter von 21 Jahren als jüngstes Eintrittsalter verlassen, bitte nicht den Fehler machen, daß wir gleichzeitig auf das verzichten, was sich in der Entwicklungshilfe bei Entwicklungshelfern bezahlt gemacht hat, nämlich auf Berufserfahrung. Mit 18 Jahren ist in unserem Lande kaum jemand beruflich qualifiziert. Also sollte zunächst die berufliche Qualifikation erfolgen, bevor junge Menschen aus Frankreich und aus Deutschland - dies ist ja die Pilotphase - als Entwicklungshelfer in Entwicklungshilfeprojekte gehen. Dies scheint mir sehr wichtig zu sein heute zu sagen, damit hier nicht der falsche Eindruck entsteht, nun würde eine neue Generation der 18- bis 21jährigen aufgefordert, in der Sahel-Zone in landwirtschaftlichen Projekten tätig zu sein.
Dies sollten wir auch in den Ausschußberatungen noch einmal miteinander besprechen; denn ich glaube, es wäre nichts schlimmer, als wenn diese erste deutsch-französische Pilotphase von Entwicklungshelfern in Landwirtschaftsprojekten der Sahel-Zone - der Kollege Repnik hat darauf hingewiesen - mit einer großen Frustration junger Menschen enden würde. Die sollten wir unter allen Umständen zu verhindern versuchen. Deswegen legen wir Wert darauf, daß trotz der Herabsetzung des
Alters auf 18 Jahre die berufliche Qualifikation Voraussetzung eines jeden Einsatzes in der Dritten Welt ist.
Unter diesen Voraussetzungen und mit diesen Anmerkungen: Zustimmung zum Gesetzentwurf.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Toetemeyer, ich halte es für sehr schwierig, das Mindestalter von 21 auf 18 Jahre herabzusetzen und trotzdem eine entsprechende Berufserfahrung vorauszusetzen. Ich glaube, dann sind einige Menschen überhaupt nicht mehr in der Lage, von diesem neuen Gedanken Gebrauch zu machen. Obwohl ich durchaus die Bedenken teile, glaube ich, daß man die Sache nicht so eng sehen darf.
Es ist doch so, daß gerade bei den jungen Leuten in unserem Lande die kritischen Stimmen über die Entwicklungshilfe im allgemeinen und im besonderen sehr laut und sehr stark sind. Man sollte gerade ihnen Gelegenheit geben, auch einmal vor Ort zu sehen, was wirklich los ist.
Unsere Jugend ist sehr idealistisch eingestellt. Das hat sich auch bei dem Bericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" gezeigt. Es wäre nötig, durch diese deutschfranzösischen Vereinbarungen ein kleines Ventil zu schaffen, um diejenigen, die es ernst meinen, einmal an der Wirklichkeit teilnehmen zu lassen. Wir wollen nicht, daß die Jugendlichen irgendwelche Abenteuer oder etwas Touristisches in den Entwicklungsländern suchen, sondern wir wollen solche haben, die echt zupacken können.
Deshalb meine ich, daß die Änderung auch die Möglichkeit der Einstellung von Jugendlichen aus allen Ländern Europas gibt. Dies ist auch eine Chance für die einzelnen Entwicklungsdienste, wie das bei uns der DED bisher schon praktiziert hat.
Soweit wäre alles gut, wenn es nicht den deutschen Amtsschimmel gäbe. Die betroffenen Ministerien reagierten nämlich zunächst einmal sehr skeptisch und abwartend. Es wurden verschiedene Argumente angeführt: Die zu kurze Einsatzzeit von einem Jahr ist weder persönlich befriedigend noch der Sache nützlich; junge Leute kommen problembeladener zurück, als sie hingegangen sind; die meisten sind der Sprache und des Landes unkundig; die Dritte Welt darf kein Lernfeld sein. Im übrigen: 40 000 DM pro Mann und Jahr sind vergleichsweise etwas zu teuer.
Man mag die Argumente bejahen oder entkräften. Ich meine, wir sollen den Versuch wagen. Es müssen die Voraussetzungen steuerlicher Art und sozialversicherungsrechtlicher Art geschaffen werden. Es müssen für die Jugendlichen die Voraussetzungen geschaffen werden, daß sie die entsprechenden Zeiten für ihr berufliches Fortkommen nach ihrer Rückkehr angerechnet bekommen usw.
Es geht nicht, daß wir hier im Bundestag einem Gesetz zustimmen, ihm zujubeln, aber in den Amtsstuben bleibt der Muff, und die Fenster werden nicht aufgemacht.
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- Herr Staatssekretär Köhler, ich habe gestern im Ausschuß Ihre Meinung gehört - ich habe auch die Überzeugung gewonnen, daß Sie es tun werden -, daß Sie die Fenster der Amtsstuben weit aufmachen wollen. Das halte ich für sehr gut.
Unter diesen Voraussetzungen stimmt die FDP der Gesetzesänderung zu. Wir würden uns freuen, wenn es zum Erfolg führte.
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Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor etwas mehr als drei Jahren die Notwendigkeit erkannte, mich zu erkundigen, was ein Parlamentarischer Staatssekretär zu tun hat, sagte mir ein alterfahrener Kollege: Merken Sie sich eines, in keinem Gesetz steht irgend etwas, was ein Parlamentarischer Staatssekretär nicht tun darf.
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Insofern kann ich die Aufforderung, Fenster zu öffnen, als nicht im Widerspruch zu den Gesetzen stehend akzeptieren.
Wenn wir heute hier über die Änderung eines Gesetzes reden, das als vorbildlich in ganz Europa anerkannt ist, wie wir ja wissen, dann spielen naturgemäß die Gründe, die uns dazu bewegen, eine besondere Rolle. Das ist auf den ersten Blick, aber nicht allein, das europäische Freiwilligenprogramm, das beim deutsch-französischen Gipfel Anfang November in Bonn ins Leben gerufen wurde. Hier sollen junge Deutsche und Franzosen für zwei Jahre gemeinsam als Entwicklungshelfer in Ländern am Südrand der Sahara arbeiten. Wir wollen auf diese Weise einen Beitrag zur Entwicklung der Dritten Welt leisten, jungen Menschen aus verschiedenen Ländern Europas Entwicklungsprobleme bewußt machen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen Jugendlichen aus Europa und der Dritten Welt schaffen. Eine erste Gruppe von deutschen und französischen Entwicklungshelfern wird im März ausreisen. Die Entwicklungshelfer werden unter Anleitung erfahrener Fachleute in Projekten der deutsch-französischen Zusammenarbeit arbeiten. Das heißt, es wird von vornherein dafür gesorgt, daß ihnen die Chance eröffnet wird, in die Tätigkeit, die verantwortlich ist, schrittweise hineinzuwachsen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich habe im Rahmen der Betätigung unserer Bundesländer an anderer Stelle junge, gerade erst dem Studium entParl. Staatssekretär Dr. Köhler
wachsene Wissenschaftler gesehen - ich denke z. B. an die jungen Ärzte im Wasserlabor in El Fasher im Sudan, die von Niedersachsen entsandt wurden -,
({1})
und ich war davon beeindruckt, wie deren Einsatzwille in kurzer Zeit Dinge kompensieren konnte, die anderswo anhand der Papierform offenbar nur mit langen Fragebogen zu ermitteln sind. Man darf nicht leugnen, daß es auch diese Möglichkeit gibt. Wenn wir uns hier einen Weg eröffnen, die Möglichkeiten zu verbreitern, dann wäre meine Bitte an alle Beteiligten - und das ist nicht so sehr an Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, gerichtet, sondern an die seit Jahrzehnten arbeitenden Institutionen der Entwicklungshilfe -: Lassen Sie uns nicht nur über die Bedenken und Probleme reden, sondern eine gemeinsame Anstrengung machen, diese Probleme zu lösen, um jungen Menschen einen Weg zu eröffnen und zu sehen, was sie denn wirklich können. Es bleibt doch auf der anderen Seite ein anderer hervorragender Grund übrig, nämlich daß die Bilder der Dritten Welt, die täglich im Fernsehen kommen und in den Zeitungen stehen, in diesem Land Zehntausende von Menschen fragen lassen: Kann ich etwas in der Dritten Welt tun? Und daß nur wenige Hunderte den Forderungen standhalten, genug Berufserfahrung und - was weiß ich - sonst noch nötige Qualifikationen haben. Es muß uns als Entwicklungspolitiker zutiefst beunruhigen, daß wir im Moment vielen Tausenden von willigen und interessierten Menschen, die die Dritte Welt umtreibt, sagen: Das ist schön; aber du paßt nicht in das Anforderungsprofil hinein; geh nach Hause und erhalte uns deinen guten Willen. Diese Antwort kann auf die Dauer nicht tragen.
({2})
Wir müssen auf die Gefahr hin, daß es Probleme gibt, nach weiteren Öffnungen suchen. Und niemand sage mir, daß es in dem abgesicherten Bereich sorgfältigster Einlese, langer Vorbereitung und mühsamer Überprüfung der Erfahrenheit keine Fehlschläge gebe. Es wäre doch einfach unredlich, das zu behaupten.
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- Vielleicht lesen sie es im Protokoll. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben.
Die Durchführung dieses europäischen Freiwilligenprogramms ist Anlaß zu zwei Änderungen. Das Gesetz, das aus den 60er Jahren stammt, verlangt, daß Entwicklungshelfer das 21. Lebensjahr vollendet hallen. Ich finde, dieses europäische Freiwilligenprogramm mit seiner Altersgrenze von 18 Jahren ist ein guter Anlaß, die Entwicklungsmündigkeit den allgemeinen Bestimmungen über die Volljährigkeit anzupassen. Ich wundere mich, daß noch keiner gesagt hat, daß das eine veraltete Bestimmung sei. Dabei geht es nicht nur um eine Frage der Rechtssystematik. Entscheidend ist, daß sich die staatliche Entwicklungshilfe das Engagement junger Menschen nicht von vornherein verdirbt.
Die deutsch-französische Initiative ist Anlaß zu einem europäischen Entwicklungsdienst. Deswegen ist es als zweites nur natürlich, daß wir das europäische Freiwilligenprogramm zum Anlaß nehmen, die Empfehlung des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom Juni dieses Jahres über den sozialen Schutz freiwilliger Entwicklungshelfer in Rechnung zu stellen. Wir haben es dabei einfach. Der soziale Schutz unserer Helfer entspricht bereits dem europäischen Maßstab. Das einzige, was noch zu tun bleibt, ist, auch in diesem Bereich die Gleichbehandlung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten sicherzustellen. Das ist der Zweck der zweiten Änderung des Gesetzes.
Meine Damen und Herren, für die Entwicklungshelfer - wie in der ganzen Entwicklungszusammenarbeit - gilt: Wir können die Eigenanstrengungen der Dritten Welt nicht ersetzen, aber wir können versuchen, immer mehr Wege der Unterstützung zu finden und unsere Unterstützungsbereitschaft glaubhaft zu machen. Wir hoffen, daß die Novellierung dieses Gesetzes uns dazu weitere Möglichkeiten gibt. Ich wäre im Namen der Bundesregierung dankbar, wenn das Parlament dieses Gesetz in zügiger Beratung verabschieden würde.
Ich danke Ihnen.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4515 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Dann brauche ich Sie noch für eine Reihe von Tagesordnungspunkten, die ich hier ohne Debatte aufrufen kann.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Sammelübersichten 121 bis 124 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksachen 10/4470, 10/4471, 10/4544, 10/4545 Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind einstimmig angenommen.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1985 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({1})
- Drucksache 10/4367 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Veräußerung des bundeseigenen Flurstücks Nr. 1199/9 ({2}) in München an die Firma BMW AG
- Drucksache 10/4134 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 und 16 auf:
15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Dreiundneunzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -- Drucksachen 10/3810, 10/4277 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Mitzscherling
16. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({4}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Fünfundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -- Drucksachen 10/4023, 10/4280 Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Ausschuß empfiehlt, die Aufhebung der Verordnungen nicht zu verlangen.
Wer der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4277 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wer der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4280 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatz-Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. März 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 19. April 1984 zur Durchführung dieses Abkommens
- Drucksache 10/2667 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({5})
- Drucksache 10/4534 Berichterstatter: Abgeordneter Reimann
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Das Wort zur Berichterstattung und zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Ich sehe, das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatz-Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. April 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Soziale Sicherheit, dem Zusatzprotokoll zu diesem Abkommen und der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens
- Drucksache 10/2684 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({7})
- Drucksache 10/4530 Berichterstatter: Abgeordneter Stutzer
({8})
Das Wort zur Berichterstattung und zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Vizepräsident Westphal
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 13. Dezember 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.