Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Wir fahren mit der Haushaltsberatung fort:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986 ({0})
- Drucksachen 10/3700, 10/4101 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
- Drucksachen 10/4151 bis 10/4180 - Ich rufe auf:
Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksachen 10/4161, 10/4180 Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Strube
Roth ({2})
Frau Seiler-Albring Dr. Müller ({3})
Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit
- Drucksachen 10/4165, 10/4180 Berichterstatter:
Abgeordnete Rossmanith Deres
Waltemathe
Dr. Müller ({4})
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Frau Kelly, Dr. Müller ({5}), Auhagen und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4340, 10/4360, 10/4386 und 10/4333 bis 10/4336 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Einzelpläne 11 und 15 sowie eine Aussprache von vier Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sieler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Betrachtet man die Sozialpolitik der Wende, die im Einzelplan 11 weitgehend verankert ist, auch vor dem Hintergrund der letzten drei Haushaltsjahre, so wird eigentlich das ganze Ausmaß der sozialen Verwüstung erst deutlich.
({0})
Wie sehr der soziale Anstand zu verkommen droht, zeigte der Beitrag des Bundeskanzlers am Beginn der zweiten Lesung
({1})
und zeigten auch die übrigen Beiträge aus Ihren Reihen in der gestrigen Debatte.
({2})
Dort fand Arbeitslosigkeit kaum mehr eine Erwähnung.
({3})
In der Drucksache 10/3701 - Finanzplan des Bundes 1985 bis 1989 - kann man dazu lesen - ich zitiere -:
Eine der wesentlichen Ursachen für die finanziell günstige Entwicklung bei der Bundesanstalt für Arbeit liegt in dem Anwachsen der Langzeitarbeitslosigkeit:..
({4})
Während 1982 nur 290 000 Arbeitslose Arbeitslosenhilfe erhielten,
({5})
muß 1986 Vorsorge dafür getroffen werden, daß bis zu 670 000 Arbeitslose Arbeitslosenhilfe erhalten werden.
({6})
Im Haushalt 1986 sind hierfür 10 Milliarden DM eingeplant.
({7})
- 10 Milliarden DM, sehr richtig.
Diese 10 Milliarden DM wurden im Haushaltsverfahren zwar um 559 Millionen DM gekürzt, aber - und das ist das Entscheidende - diese 9,5 Milliarden DM sind bis einschließlich 1989 in den Finanzplan des Bundes eingestellt.
({8})
Damit geht die Bundesregierung offensichtlich von einer bis zum Ende dieses Jahrzehnts ungebrochen hohen Arbeitslosigkeit von mehr als 2 Millionen Bürgern aus.
({9})
Das ist doch wohl die Realität. Das ist die wahre Perspektive dieser Regierung.
({10})
Dieser Luxus von durchschnittlich 2,3 Millionen Arbeitslosen belastet den Staatshaushalt jährlich mit Kosten von mehr als 55 Milliarden DM
({11})
- doch -, ganz zu schweigen von den menschlichen Problemen jener Langzeitarbeitslosen, die von Ihrer Politik, Herr Arbeitsminister, an den Rand der Gesellschaft gedrängt und ausgegrenzt werden. Hierbei sind noch nicht einmal die 1,3 Millionen Bundesbürger berücksichtigt, die als sogenannte stille Reserve nicht mehr in der offiziellen Statistik erscheinen und längst resigniert haben.
({12})
In den beiden Haushaltsjahren 1984 und 1985 hat die Bundesanstalt für Arbeit Überschüsse von rund 5,3 Milliarden DM ansammeln können, die den Arbeitslosen und Beitragszahlern vorher aus der Tasche geholt wurden.
({13})
Deshalb ist es nur konsequent, wenn die SPD-Fraktion in ihrem Gesetzentwurf zum Arbeitsförderungsgesetz die volle Rückgabe dieser 5,3 Milliarden DM an die Betroffenen verlangt.
({14})
Der Regierungsentwurf zur siebten Novelle zum
Arbeitsförderungsgesetz sieht dagegen nur 2,6 Milliarden DM für punktuelle Leistungsverbesserungen und für Qualifizierungsmaßnahmen von Arbeitnehmern vor. Das ist vor dem Hintergrund steigender Massenarbeitslosigkeit zuwenig, Herr Minister.
Allerorten beklagen die Arbeitsämter den Personalmangel. Für die elementaren Aufgaben der Bundesanstalt in der Beratung und Vermittlung gibt es zuwenig Personal, so daß diese Aufgaben kaum noch wahrgenommen werden können. Mit erheblichen Überstunden und vielen Zeitkräften werden die Leistungsfälle bearbeitet und das Personal bis an die Grenze der Zulässigkeit beansprucht. Nach Auffassung der Verwaltung - hören Sie gut zu -, also des Präsidenten Franke, fehlen derzeit 3 194 Planstellen und fallen durch die kw-Vermerke zusätzlich 1 799 Planstellen weg. Vorstand und Verwaltungsrat der Bundesanstalt haben diesen Vorschlag korrigiert
({15})
- nun hören Sie genau zu; dieses Aha paßt genau dazu - und den unabdingbaren Stellenmehrbedarf für 1986 mit 2 824 Planstellen und eine Verschiebung der kw-Vermerke bis 1991 festgestellt und beschlossen.
({16})
- Nein, das ist genau nicht der Fall. Herr Kollege, ich empfehle Ihnen, das Protokoll noch einmal genau nachzulesen. Dann werden Sie feststellen, daß wir dazu einen eigenen Antrag eingebracht haben.
({17})
Unter diesen Stellen befinden sich allein 725 Stellen, die auf Grund der gesetzlichen Regelung über Erziehungsgeld und Kinderzuschlag als nach unserer Überzeugung unsinniger Verwaltungsmehraufwand anfallen und nicht von der Bundesanstalt, sondern von Ihnen zu vertreten sind.
Die SPD-Fraktion stellt sich eindeutig hinter die ausgewogenen und mit großer Mehrheit in der Selbstverwaltung der Bundesanstalt gefaßten Beschlüsse. Wir warnen deshalb auch den Bundesarbeitsminister vor Eingriffen in die Selbstverwaltungshoheit der Bundesanstalt, wie es nämlich die Koalition trotz unserer erheblichen Bedenken im Haushaltsausschuß verlangt hat.
({18})
- Hören Sie einmal gut zu, Herr Kollege.
Da keine Bundesmittel als Liquiditätshilfe der Bundesanstalt zur Verfügung stehen, wäre ein Durchgriff des Bundesarbeitsministers im Rahmen seiner Rechtsaufsicht mehr als fraglich und rechtlich anzweifelbar. Diese Auffassung vertritt übrigens auch der Herr Präsident Franke. Lassen Sie sich das einmal von ihm erzählen.
({19})
Lassen Sie mich an dieser Stelle zum Vorruhestand, Herr Minister, eine kurze Bemerkung maSieler
chen. Originalton Blüm in den letzten Jahren: „Der Renner des Jahrhunderts." Herr Bundesarbeitsminister, nach den bisher vorliegenden Zahlen und der künftigen Entwicklungseinschätzung durch die Bundesanstalt für Arbeit erweist sich dieser „Renner" als eine lahme Ente, weil nämlich genau das eintritt, was angesichts der schlechten Leistungen aus diesem Gesetz von uns befürchtet worden ist: daß sich viele Arbeitnehmer diesen finanziellen Abstieg in den Blümschen Vorruhestand einfach nicht leisten können.
({20})
Beseitigen Sie diesen Nachteil, und Sie haben in diesem Punkt unsere Unterstützung.
({21})
Nicht einverstanden können wir mit der Rentenfinanzentwicklung sein. Sie haben, Herr Arbeitsminister, immer wieder in der Öffentlichkeit versucht, den Eindruck zu erwecken, als wären unsere gesetzlichen Rentenversicherungsträger finanziell aus dem Schneider. Nichts dergleichen stimmt. Nach den jüngst vorliegenden Einschätzungen des Verbands deutscher Rentenversicherungsträger für Arbeiter und für Angestellte wird die Finanzlücke für September 1985 mit 1,615 Milliarden, für Oktober 1985 mit 3,950 Milliarden und für November 1985 mit 5,536 Milliarden DM angegeben. Für Dezember 1985 werden zusätzliche Bundeszuschüsse erwartet.
({22})
- Herr Kollege, zum Jahresende 1985 rechnen die Rentenversicherungsträger mit einem deutlichen Unterschreiten der Mindestliquidität.
({23})
- Ich komme schon noch darauf! Trotz der bisherigen finanziellen Flickschusterei im Rentenrecht wird die Liquiditätsfrage auch 1986 bestehenbleiben und trotz vorfristiger Zahlung der Bundeszuschüsse bis Ende 1986 nicht gelöst sein.
Auch die vorgesehene Beitragserhöhung auf die Rekordhöhe von 19,2 % führt lediglich dazu, daß sich die Zahlungsfähigkeit an der untersten Grenze einer halben Monatsausgabe festsetzt, vorausgesetzt, daß die der Einschätzung der Finanzentwicklung zugrunde liegenden Eckwerte der Bruttoentgeltentwicklung, der Beschäftigungszunahme und der Arbeitslosenzahlen richtig sind und so bleiben.
({24})
Spätestens Ende dieses Jahrzehnts werden wir vor dem gleichen Finanzierungsdilemma stehen. Das ist nicht wegzudiskutieren. Das ist übrigens auch der Grund, warum die SPD-Fraktion konsequent an
ihrer Forderung festhält, die Beiträge zur Rentenversicherung durch die Bundesanstalt für Arbeit
({25})
für jeden versicherten Arbeitslosen wieder auf die ursprüngliche Höhe anzuheben. Genau dies würde den Rentenversicherungsträgern die erforderlichen 5,5 Milliarden DM jährlich an Einnahmen zuführen und sie aus der Liquiditätsklemme herausbringen. Gleichzeitig wären dann die Rentenversicherungsträger von den Risiken des Arbeitsmarkts und konjunktureller Schwankungen freigestellt.
Aber Sie wollen das ja nicht, obwohl es die Rentenversicherungsträger immer wieder fordern.
Wie Sie, Herr Minister Blüm, darüber hinaus mit den vor uns stehenden Problemen einer grundsätzlichen Konsolidierung und Harmonisierung unserer Alterssicherungssysteme fertig werden wollen, bleibt im Moment noch Ihr Geheimnis.
Deshalb ist es geradzu ein Witz
({26})
- Sie unterstreichen das; schönen Dank, Herr Kollege! -, im Haushalt des Arbeitsministers 1986 und, wie angekündigt, auch noch 1987 zusätzlich 8 Millionen DM für Maßnahmen zur Aufklärung über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung einzustellen.
({27})
Bei näherer Betrachtung
({28})
und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in einigen Bundesländern 1986 Landtagswahlen anstehen und daß Ende Januar 1987 die Bundestagswahlen durchzuführen sind, entpuppt sich dieser Titel als das, was er in Wirklichkeit ist: als purer Propagandatitel des Arbeitsministers.
({29})
Angesichts seines ramponierten Ansehens ist es offensichtlich notwendig, daß hier für Sympathien geworben wird.
({30})
Es ist sicher das gute Recht des Arbeitsministers, für sich zu werben, aber nicht, Herr Minister, mit den vorgesehenen Maßnahmen und nicht mit dem Geld des Steuerzahlers.
({31})
Was soll denn mit 12 Millionen Zeitungsbeilagen für 2,5 Millionen DM, mit vier Zeitungsanzeigenserien für 2 Millionen DM und mit 12 100 Großflächenplakaten für zwei Dekaden und 1,7 Millionen DM Ko13478
sten an Information für die Rentner herübergebracht werden, meine Damen und Herren?
({32})
Das konnte der Herr Minister uns ja nicht einmal im Ausschuß erklären. Auf unsere Frage, was er damit an Informationen herüberbringen wolle, fragte er uns seinerseits, ob wir denn den Rentnern diese 8 Millionen DM nicht gönnten. Meine Damen und Herren, wir als Sozialdemokraten
({33})
- das möchte ich an dieser Stelle einmal ganz deutlich machen - gönnen den Rentern die 8 Millionen DM selbstverständlich, aber nicht dafür, daß man sie damit möglicherweise für dumm verkauft.
({34})
Was steckt also - außer einer auf Herrn Blüm zugeschnittene Wahlwerbung - hinter diesen 8 Millionen DM, meine Damen und Herren?
({35})
Gar nichts! Und genau dies, meine Damen und Herren, hat das Bundesverfassungsgericht rechtlich für unzulässig erklärt.
({36})
Wir warnen, Herr Minister, daher die Bundesregierung, Steuermittel verfassungswidrig zu mißbrauchen.
({37})
Viel wichtiger wäre es gewesen, diese Mittel für das notwendige Personal bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz in Dortmund zu verwenden, damit das Chemiekaliengesetz im Interesse unserer Bürger vollzogen werden kann.
({38})
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz wurde doch nicht ohne Grund als Melde- und Bewertungsstelle für gefährliche Arbeitsstoffe, etwa für Formaldehyd, eingerichtet. Wir bedauern daher, daß die Koalition die volle und notwendige Personalausstattung - auch zur Bewältigung der Altstoffprobleme - nicht zur Verfügung gestellt hat. Dennoch begrüßen wir den ersten Schritt als einen Schritt in die richtige Richtung. Die Gesundheit unserer Bürger erfordert es, diesen Weg weiterzugehen.
Ein letztes Problem aus dem Einzelplan 11 Kapitel 1109: Seit Jahren werden den sozialen Verbänden, z. B. dem Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt, dem Deutschen Caritasverband, dem Diakonischen Werk und einigen anderen, öffentliche Mittel für Maßnahmen zur generellen Betreuung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien zur Verfügung gestellt. Der Maßstab für die Mittelverteilung war das Verhältnis zwischen zu betreuenden ausländischen Arbeitnehmern und der Wohnbevölkerung. Ohne zwingenden Grund, meine Damen und Herren, hat nun die Koalition - entgegen dem Vorschlag des Arbeitsministers - die Mittel nicht nur gekürzt, sondern auch den Zuweisungsschlüssel geändert. Dies wird bei der Arbeiterwohlfahrt und beim Deutschen Caritasverband zu einschneidenden personellen Einschränkungen zu Lasten der zu betreuenden ausländischen Arbeitnehmer führen.
({39})
Meine Damen und Herren, wir bedauern diesen Schnellschuß aus der Hüfte und ersuchen dringend, daß dies im nächsten Haushaltsjahr korrigiert wird.
({40})
Meine Damen und Herren, bei den Mitberichterstattern des Einzelplans 11 möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit recht herzlich bedanken. Ich glaube, das kann man an dieser Stelle auch ruhig einmal sagen.
({41})
Zum Haushalt des Arbeitsministers aber darf ich abschließend
({42})
sagen: Mit seinen rund 58,5 Milliarden DM, von denen die drei größten Ausgabenblöcke - Zuschüsse an die Sozialversicherung mit 35,5 Milliarden DM, Kriegsopferversorgung mit 12,5 Milliarden DM und Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz mit 10,4 Milliarden DM - gesetzlich festgelegt sind, läßt sich am Einzelplan 11 deutlich feststellen: Die Sozialpolitik bleibt weiterhin Verschiebebahnhof für eine unsoziale Umverteilung von unten nach oben, meine Damen und Herren.
({43})
Das ist auch der Grund, warum die Sozialdemokraten den Einzelplan 11 ablehnen.
Schönen Dank.
({44})
Meine Damen und Herren, aus Anlaß dieser Aussprache darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß Zwischenrufe selbstverständlich gestattet, ja, sogar erwünscht sind. Aber es müssen Zwischenrufe sein, die der Redner noch parieren kann.
({0})
- Herr Werner, darf ich meine Ausführungen zu Ende führen. ({1})
Wenn Zwischenrufe aber in einer solchen Häufigkeit gemacht werden, kann der Redner nicht mehr darauf eingehen; sie müssen dann als störend empfunden werden. Daß es aber nicht störend ist, dafür soll der Präsident hier sorgen. Haben Sie deshalb, wenn die Zwischenrufe zu häufig werden, VerständVizepräsident Stücklen
nis dafür, daß er ein etwas kritisches Gesicht macht oder zur Glocke greift.
({2})
Schließen darf ich in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, mit einem alten Sprichwort: Was du nicht willst, daß man dir tu', das füg' auch keinem andern zu.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strube.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sieler, ich schätze Sie als ruhigen und sachlichen Kollegen aus dem Haushaltsausschuß. Ich hatte eigentlich geglaubt, Herr Kollege Sieler, daß Sie auch lernfähig seien.
({0})
Ich muß feststellen, daß Sie heute eine Sozialpolitik nach altem SPD-Strickmuster vertreten.
({1})
So werden Sie noch lange an der Klagemauer der Opposition Ihre Lieder singen müssen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausgaben für den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung werden im Haushaltsjahr 1986 fast 59 Milliarden DM erreichen. Dieser Einzelplan ist damit wie auch in den Vorjahren größter Einzelplan des Bundeshaushalts. Seine Zuwachsraten sind im Vergleich zum Gesamthaushalt überdurchschnittlich. Dies ist um so aussagekräftiger, als seit 1985 Ausgaben für die Krankenhausfinanzierung weggefallen sind, der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg keine Zahlungen geleistet zu werden brauchten und das ab 1986 zu zahlende Erziehungsgeld beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit etatisiert ist.
Die seit dem Regierungswechsel im Oktober 1982 von uns betriebene Konsolidierungspolitik erlaubt es jetzt, ebenso wie im Vorjahr den Haushaltsentwurf 1986 ohne Haushaltsbegleitgesetz und ohne Haushaltsstrukturgesetz vorzulegen.
({3})
Der durch diese Politik neu gewonnene finanzpolitische Handlungsspielraum wird im sozial- und familienpolitischen Bereich genutzt. Nachdem sich die SPD über Jahre notwendiger Entscheidungen nur verbal angenommen hat, haben wir Entscheidungen in der Sozialpolitik auf den Weg gebracht.
({4})
Wir, meine Damen und Herren, haben das soziale Netz neu geknüpft, damit es tragfähig wird und unser Sozialstaat auf Dauer gesichert bleibt.
({5})
Der Erfolg unserer Politik lag unter anderem darin,
daß wir nicht Politik für erfragte Mehrheiten gemacht haben, sondern glaubwürdig mit dem Mut zur Unverwechselbarkeit unserer Politik unseren Weg gegangen sind.
({6})
- Ja, da liegen die kleinen Unterschiede, Frau Fuchs.
({7})
Drei große Ausgabenblöcke des Haushalts des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zeichnen sich ab, erstens die Zuschüsse an die Sozialversicherungen mit 35,5 Milliarden DM, zweitens die Ausgaben für die Kriegsopfer mit 12,5 Milliarden DM und drittens die Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und gleichartige Leistungen mit 10,4 Milliarden DM.
Von den 35,5 Milliarden DM für die Sozialversicherung entfallen rund 26 Milliarden DM auf die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. Nach den Schätzungen der Rentenversicherungsträger vom Juli 1985 werden auf der Basis vorsichtiger Annahmen am Jahresende 1986 liquide Mittel von mehr als 0,8 Monatsausgaben in der Rentenversicherung verfügbar sein.
({8})
Legt man den Vorausberechnungen die derzeitigen Annahmen der Bundesregierung zugrunde, wird die Entwicklung noch positiver verlaufen. Das gesetzlich vorgeschriebene Liquiditätsreserve-Soll von 0,5 Monatsraten wird damit zum Jahresende 1986 auch bei vorsichtiger Einschätzung der Finanzentwicklung deutlich überschritten.
Auch der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Doetsch, gibt uns gute Kritiken. Auf einer Tagung in Bad Neuenahr gab er eine überaus positive Einschätzung der Finanzlage der Renten ab.
({9})
Für Doetsch ist die Finanzierung der Rentenversicherung mittelfristig gesichert; ausschlaggebend sei dafür nicht nur die letzte Beitragserhöhung, sondern auch die Verbesserung der Beschäftigtenzahl. Bei der mittelfristigen Einschätzung, die bis Ende 1990 reicht, geht der Verband davon aus, daß die Reserven der Rentenversicherung von einer Monatsausgabe Ende dieses Jahres auf 1,5 Monatsausgaben Ende 1986 und bis Ende 1989 auf 2,3 Monatsausgaben anwachsen werden.
({10})
Meine Damen und Herren, zu diesem Thema sollten nun wirklich keine Horrorgemälde an die Wand gemalt werden, und seitens der Opposition sollte nicht in Panik gemacht werden.
({11})
Meine Damen und Herren, Sie sollten sich schämen, die Rentner wider besseres Wissen in dieser Form zu verunsichern!
({12})
Aber wir haben in unserer Sozialpolitik mehr vorzuweisen. Lassen Sie mich beispielhaft nennen: die Verbesserungen des steuerlichen Familienlastenausgleichs und des Kindergeldes. Wir haben Härten des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 im Bereich der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr beseitigt.
({13})
Eine wichtige familienpolitische Maßnahme ist die Einführung des Erziehungsgeldes für alle.
({14})
Mütter, aber auch Väter können sich im ersten Lebensjahr voll der Betreuung und der Erziehung ihres Kindes widmen.
({15})
Das Erziehungsgeld wird gezahlt, ganz gleich, ob Mutter oder Vater berufstätig waren oder nicht.
({16})
Wir machen endlich Schluß mit der Diskriminierung der sogenannten Hausfrau und Mutter!
({17})
Diese Betreuung des Kindes im ersten Lebensjahr wird erstmals 1986 rentenbegründend und rentensteigernd angerechnet. Das Kindererziehungsjahr wird aber nicht nur der leiblichen Mutter gewährt; Väter bzw. Adoptiv-, Stief- und Pflegeeltern kommen, wenn sie das Kind erzogen haben, ebenfalls in den Genuß dieser Maßnahme.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?
Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen.
({0})
Dafür haben wir 150 Millionen DM für 1986 veranschlagt.
Hätte die SPD nach ihrem Regierungsantritt 1969 ein solches oder ähnliches Gesetz verabschiedet, würden heute schon 17 Jahrgänge in den Genuß einer erhöhten Altersrente kommen.
({1})
Das heutige Eintreten für die sogenannten Trümmerfrauen ist daher, wenn es von Ihnen kommt, wenig glaubhaft.'
({2})
Bei all diesen Maßnahmen zahlt sich die Konsolidierungspolitik der zurückliegenden Jahre aus. Für jede Sozialpolitik ist nun einmal Preisstabilität die wichtigste Voraussetzung. Der Staat kann gar nicht so viele Sozialleistungen produzieren, wie die Inflation reduzieren kann.
({3})
Diese Aussage gilt insbesondere für Rentner, die jahrelang unter der negativen Geldwertstabilität der SPD-Regierungen gelitten haben.
({4})
Denken Sie, meine Damen und Herren von der SPD, eigentlich gar nicht über die Fehler nach, die Sie in der Sozialpolitik gemacht haben?
({5})
Macht es Sie eigentlich nicht stutzig, wenn wir heute in breiten Schichten der Bevölkerung, vor allem bei der Jugend, wieder Optimismus vorfinden, wo früher Resignation und Angst herrschten?
({6})
Das ist auch ein Stück Wende.
13 Jahre haben Sie ein Versicherungsdenken gelehrt, das auf blindem Vertrauen auf Staatsdirigismus und Verläßlichkeit der sozialen Sicherungen aufbaute.
({7})
Es ist ganz natürlich, daß dadurch die Eigeninitiativen des Bürgers gelähmt wurden und sich ein Anspruchsdenken breitmachte, das hin zum Klassen-und Rivalitätsdenken führen mußte. Als dann nichts mehr ging, weil zu viele Hände sich ausstreckten, um Wohltaten entgegenzunehmen,
({8})
setzten Resignation, Hoffnungslosigkeit und Lebensangst ein.
({9})
Norbert Blüm hat seine Sozialpolitik anders angelegt.
({10})
Er sprach von Einschränkungen und Verzicht,
({11})
von Mitverantwortung, Nachbarschaft, Solidarität statt Klassenkampf.
Meine Damen und Herren, der Bürger will die Wahrheit hören.
({12})
Dazu gehört die Tatsache, daß der Staat nicht alles kann.
({13})
Wir wissen, daß diese Welt noch nicht die Vollendung bringt und daß alle Versprechungen, die dieses ignorieren, wie Seifenblasen platzen.
Eigentlich, meine Damen und Herren, müßte das von mir zuletzt Gesagte auch Herr Rau wissen, da er doch immer mit der Bibel unter dem Arm herumläuft. Aber nein, er will alle Fehler von Helmut Schmidt auf sozialpolitischem Gebiet wiederholen. Er verspricht wieder allen alles. Nur in Nordrhein-Westfalen, wo er der Regierung vorsteht, läßt er soziale Leistungen abbauen.
({14})
Fürwahr - ein Traumtänzer zwischen Christentum und Sozialismus!
({15})
Verantwortliche Sozialpolitik, meine Damen und Herren, schaut über den Tellerrand eines Jahresetats hinaus.
({16})
- Nun passen Sie mal auf. Mittelfristig, d. h. bis 1990, ist das Haus bestellt. Aber wie steht es mit der Generationensolidarität danach?
({17})
Professor Geißler aus Hannover nennt eine seiner Studien „Zukunftsvorsorge durch Daseinswissen". Von diesem Daseinswissen möchte ich kurz einiges anführen, da wir alle Gefahr laufen, wichtige Fakten durch sozialpolitische Brennpunkte der Gegenwart verdrängen zu lassen.
Obwohl die geburtenstarken Jahrgänge in das Alter junger Eltern hineinwachsen, sinken die Geburtenzahlen. Die Bundesrepublik Deutschland hat weltweit die niedrigste Geburtenrate.
({18})
Rechnen wir 5 bis 10% eines Jahrgangs ab, für die Kinderlosigkeit ein ungewolltes Schicksal ist und denen wir keineswegs wehtun wollen, müssen wir erkennen, daß gewollte Kinderlosigkeit sich immer mehr ausbreitet. Unter den 35- bis 45jährigen Frauen sind schon jetzt 20% kinderlos. 1984 wurden bundesweit 580 000 deutsche und ausländische Kinder geboren; 1964 waren es noch 1,065 Millionen Kinder.
({19})
Bisher waren alle Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung, die den politischen Planungen zugrunde liegen, zu optimistisch.
({20})
Zu kalkulieren ist die Gefährdung des weitergegebenen Lebens durch Unfälle auf Straßen und bei der Arbeit; auch die Selbstmordrate sollte erwähnt werden.
Wir dürfen auch nicht die Tatsache übergehen, daß in den letzten zehn Jahren mindestens 1,5 Millionen - möglicherweise 2 bis 3 Millionen - Abtreibungen vorgenommen wurden. Genaue Zahlen fehlen.
({21})
212 000 Abtreibungen wurden 1981 bei den Krankenkassen abgerechnet. Die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Trotz unseres beispiellosen Wohlstandes werden 80% der Abtreibungen mit der sozialen Notlage begründet.
({22})
Eine Verpflichtung, den gewohnten Lebensstil zugunsten eines Kindes zu ändern, ist in der Bundesrepublik Deutschland schon „Notlage".
Alle Realitäten des Geburtenrückganges, die wir heute kennen, zusammengefaßt, sagen aus, daß die deutsche Bevölkerung von derzeit 57 Millionen bis 2030 auf unter 40 Millionen sinken wird. Dieser Rückgang entspricht der heutigen Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen. Und wem das alles zu weit in der Ferne liegt, dem sei gesagt: Die möglichen Mütter des Jahres 2020 sind bereits größtenteils geboren und die möglichen Väter bis zum Jahre 2025 auch.
Daraus folgt: Eine soziale Zukunft kann es nur mit Kindern geben. Individuelle Sicherheit ist durch die Kollektivierung der Alterssicherung heute auch ohne Kinder oder mit einem Kind möglich. Die Kosten des Nachwuchses sind allerdings individualisiert. Das heißt, Eltern mit Kindern schaffen durch ihre Investitionen die soziale Sicherung der nächsten Generation.
({23})
Viel zu lange waren Sie mit der Geburt des ersten Kindes zeitlebens ökonomisch im Nachteil, während insbesondere die kinderlosen Ehepaare profitieren. Hier, meine Damen und Herren, wird unsere Familienpolitik ansetzen und einen Lastenausgleich schaffen, der die unter SPD-Regierung übliche Umverteilung in Milliardenhöhe von Familien mit Kindern zu kinderlosen und Ein-Kind-Familien stoppt.
({24})
Es ist reizvoll, aus dem Daseinswissen weitere Schlüsse zu ziehen. Die Alterspyramide des deutschen Volkes, als Lebensbaum gezeichnet, führt zu einem Baumsterben, das uns die Folgen für die Rentenversicherung und Krankenversicherung geradezu aufzwingt.
Aber nicht nur aus Angst vor sinkenden Altersrenten gilt es hier anzusetzen, um die Zukunft zu gestalten. Meine Damen und Herren, was wird das für eine Welt, was wird das für eine Gesellschaft, in der sich die Menschen aus den Augen verlieren?
({25})
Schon heute gibt es Grundschulklassen, in denen kaum ein deutsches Kind Geschwister hat. Das Netzwerk der Verwandtschaft wird immer kleiner, das Alleinsein breitet sich aus.
Gegenwärtig suchen die geburtenstarken Jahrgänge den Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie brauchen Erwerbsarbeit auch für die Familiengründung. Erst im nächsten Jahrzehnt macht sich der demographisch bedingte Druck auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Aber, meine Damen und Herren, dann verringert sich nicht nur die Zahl der Arbeitsuchenden, sondern auch der Beitrag des Nachwuchses zur innovatorischen Erneuerung der Gesellschaft. Es wird Zeit, daß wir uns politisch auf die Zukunft vorbereiten, nicht mit Kanonendonner, nicht, um Profilneurose abzubauen, sondern in Verantwortung vor kommende Generationen unseres Volkes.
Ich danke Ihnen.
({26})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Guten Morgen auf der Seite ({0}), und da ({1}) werde ich ihn versauen.
({2})
Das Schicksalsbuch der Nation nannte der ZDFKommentator Klaus Rommerskirchen den Bundeshaushalt, als er die Übertragung der Haushaltsdebatte im Fernsehen am vergangenen Dienstag einleitete.
({3})
Er führte weiter aus - ich zitiere -: „Drückt sich doch im Haushalt der Kurs aus, den die Regierung steuern will." Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Nur, den Zuhörern und den Zuschauern sollte eines verdeutlicht werden: Es ist der Kurs der Regierung und nicht der Kurs der Oppositionsparteien, den dieser Bundeshaushalt aufzeigt.
({4})
Mir graut immer vor dem gegenseitigen Schulterklopfen hier in diesem Parlament, wenn man die angeblich fairen Beratungen im Ausschuß herausstellt. Fakt ist aber - dies sollte der Bürger und die Bürgerin draußen erfahren -, daß hier im Plenum des Bundestages, aber auch im Ausschuß die arrogante Dampfwalze der CDU/CSU/FDP-Stimmenmehrheit die meisten Anträge der GRÜNEN und in den meisten Fällen auch der SPD gnadenlos niederwalzt.
({5})
Somit besteht keine echte Chance für die Oppositionsparteien, an diesem von der Regierung eingeschlagenen Kurs Wesentliches zu bewegen. Das ist eine Sache, die man draußen registrieren muß.
({6})
Dies ist besonders dann sehr schlimm, wenn es sich - wie bei diesem Haushalt - um einen Bundeshaushalt handelt, der sich gegen die Beschäftigten, gegen die Arbeitslosen, gegen die Sozialhilfeempfänger, gegen die Schwerbehinderten und insbesondere gegen die Frauen richtet.
({7})
Gerade im Bereich der Sozialpolitik und der Familienpolitik, über die es heute zu diskutieren gilt, wird erkennbar, wo und auf wessen Seite die jeweils amtierende Regierung steht. Besonders in der Sozialpolitik wird auch erkennbar, wo eine Regierung lügt, trügt oder redlich mit der Mehrheit der Bevölkerung umgeht.
({8})
Als junges Bundestagsmitglied, das vor drei Jahren noch hinter der Werkbank in der Fabrik stand, muß ich sagen, daß ich noch nie eine Regierung erlebt habe, die ihre Mitbürger so übel hinters Licht führt, finanziell so ausbluten ließ und insbesondere die ärmsten der Armen so übel schröpfte, wie es sich die derzeitige Bundesregierung erlaubt.
({9})
Da helfen auch die Kabarettstücke eures Ministers Blüm nicht. Vom hohen „C" dieser unchristlichen Partei ist nichts, aber auch gar nichts mehr übriggeblieben.
({10})
Jene falschen Christen in der CDU/CSU wissen heute aus der Geschichte des barmherzigen Samariters ebensowenig wie vom Dritten Buch Mose, in dem es heißt - ich zitiere hier einmal aus der Bibel -: „Ihr sollt nicht stehlen noch lügen noch betrügerisch handeln einer mit dem anderen."
({11})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich erinnere Sie an die Auseinandersetzung im Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, als die GRÜNEN und die SPD Einwände dagegen erhoben, daß das Gesetz zur Beförderung unserer
schwerbehinderten Mitmenschen den Titel „Kostenlose Beförderung Schwerbehinderter" auf Verlangen der CDU/CSU tragen sollte, obwohl die Beförderung Schwerbehinderter real eben nicht kostenlos ist.
({12})
Schwerbehinderte bekommen nur einen Teil der Beförderungskosten ersetzt; den Rest haben sie selbst zu tragen.
({13})
Trotz dieser Tatsache bestanden Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, auf der Überschrift „Kostenlose Beförderung". Diese Formulierung entspricht nicht den Tatsachen; sie ist trügerisch.
({14})
Daß Ihre angebliche Christlichkeit nichts taugt und die Liberalität der FDP ebensowenig wert ist, zeigt sich auch an Ihrem Verhalten gegenüber behinderten Mitmenschen. Statt ihnen die Chance zu geben, als Menschen zu leben, halten Sie sie auch weiterhin in den Heimen wie die Hühner im Käfig.
({15})
- Hören Sie doch erst einmal zu!
({16})
Sie geben diesen Menschen durch die Gestaltung des Haushaltsplans keine Möglichkeit, sich in Wohngemeinschaften, in denen sie die notwendige Unterstützung erfahren, in ein menschenwürdigeres Leben einfinden zu können, ja, Sie sind nicht einmal so fair und lassen diese Menschen reden, wenn ihnen der Faden einmal reißt und wenn sie sich - wie vor zwei Wochen hier im Hause geschehen - in einer Protestaktion hier im Bundestag außerhalb der geplanten Tagesordnung einmal zu Wort melden.
({17})
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche: Das Plenum des Deutschen Bundestages ist nicht für Demonstrationen da.
({0})
Das Plenum des Bundestages ist für die Aussprache der gewählten Volksvertreter da und für keine anderen Personen.
({1})
Auf den Punkt können wir eingehen.
Ich bitte, nicht mit mir zu diskutieren.
Nein, nein, sicher nicht. - Ich möchte zwar hier jetzt nicht den Oberlehrer spielen, aber ich glaube, einem Herrn Stücklen, vor allem aber der Mehrheit hier rechts von mir hätte es taktisch gut angestanden, wenn sie in der Situation, als die Behinderten hereingefahren sind, die Leute fünf Minuten hätten reden lassen und ihnen dann manierlich gesagt hätten, daß das nicht der Tagesordnung entspricht, und wenn sie dann wieder herausgegangen wären.
({0})
Aber nein. Statt dessen lassen Sie die Saaldiener und Sicherheitskräfte aufmarschieren und befehlen diese wehrlosen Menschen in ihren Rollstühlen gewaltsam aus dem Saal.
Herr Abgeordneter, ich rufe Sie zur Ordnung und mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie hier nicht Maßnahmen des Präsidenten zu kritisieren haben.
({0})
Ich habe die Vorgehensweise in diesem Parlament kritisiert.
Im Schwerbehindertenbereich treten die GRÜNEN für tatsächlich kostenlose Beförderung ohne Etikettenschwindel ebenso ein wie für die Möglichkeit, über finanzielle und personelle Hilfe über den Bundeshaushalt den Behinderten die freien Lebensräume zu schaffen, die sie selbst seit langem einklagen. Die Bundesregierung und ihre Abstimmmaschinen in diesem Saal werden das verhindern.
({0})
Das ist uns klar.
Kommen wir zu einem weiteren Bereich der Sozialpolitik, der Situation der Rentner in dieser Republik. Sieht man sich die Altersgliederung der Bundestagsabgeordneten an, so könnte man meinen, daß bei der Tatsache, daß knapp hundert Abgeordnete in diesem Hause über 65 Jahre alt sind,
({1})
die Rentner eine satte Lobby haben müßten. Der Schein trügt jedoch. Jene knapp hundert Abgeordneten in diesem Haus, die über 65 sind, haben mit 13 000 DM Bruttoeinkommen - Untergrenze, wohlgemerkt - nicht die himmelschreienden Probleme in ihrer Haushaltskasse wie die Rentnerinnen und Rentner draußen im Land.
({2})
Keiner dieser Abgeordneten mußte bislang mit jenen paarhundert Mark auskommen, die zum Sterben zuviel und zum Leben zuwenig sind.
({3})
Den Rentnerinnen und Rentnern, die abgeschoben in die Armut dahinkümmern müssen, muß doch die Luft wegbleiben, wenn sie einerseits im Fernsehen das Millionen und bald Milliarden DM teure Weltraumspektakel der D-1-Mission mit der armen toten Fliege Willi dieser ach so schrecklich modernen Republik ansehen und andererseits von Blüm und anderen Karnevalisten gesagt bekommen,
({4})
daß eben diese moderne Republik nicht ausreichend Geld für eine existenzsichernde Rente hat. Wer auf dem Boden noch keinen festen Stand hat, der hat im Weltraum nichts zu suchen, lieber Herr Blüm.
({5})
Machen Sie dies Ihrem Kollegen Weltraumexperten Riesenhuber einmal klar, bevor Sie gegenüber den GRÜNEN das Jammern anfangen und behaupten,
({6})
die von den GRÜNEN geforderte Grundrente von 1 000 DM für ein menschenwürdiges Leben wäre nicht finanzierbar. Halten Sie, Herr Blüm, die bundesdeutschen Rentner doch bitte nicht für so vernebelt und unterstellen Sie diesen nicht, daß sie nicht selbst wüßten, wo die Prioritäten einer sozialen und friedlichen Gesellschaft liegen müßten. Allein bei den drei Schlagwörtern menschenwürdiges Leben, teure Raumfahrtprogramme und unsinnige Aufrüstung wird Ihnen jeder Rentner sagen, zu welcher Priorität er eher neigen würde. Nur fragen Sie, Herr Blüm, die Rentner eben nicht.
Die Bilanz dieser Wenderegierung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist eine Schreckensbilanz. Am deutlichsten kommt das unsoziale Verhalten dieser Bundesregierung in der finanziellen Behandlung der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger ans Tageslicht. Allerspätestens hier tut sich auf, wohin die Reise dieser Republik nach dem Willen dieser Bundesregierung gehen soll. Die Zahl der Arbeitsuchenden, die neben Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfe angewiesen sind, hat trotz aller Wende-Sprüche drastisch zugenommen. Die „erfolgreichste Regierung Europas", wie sie Bundeskanzler Kohl neulich nannte,
({7})
hat dafür gesorgt, daß Ende Oktober 1984 ca. 430 000 Bezieher von Arbeitslosengeld und 360 000 Bezieher von Arbeitslosenhilfe monatlich weniger als 1 000 DM erhalten.
({8})
Wie die Mietenspiegel in Hamburg, München oder Stuttgart aussehen, wissen Sie selbst.
({9})
- Das tut weh, das glaube ich.
Diese Zahlen sagen leider nichts darüber aus - das ist in der Statistik sowieso nicht zu finden -, wie viele Ehefrauen und Kinder von diesem Schicksal mitbetroffen sind. All die Zahlen, mit denen seit drei Tagen herumgeworfen wird, drücken auch noch lange nicht aus, wie schlimm es ist, Arbeitslosigkeit zu erleiden. Wer von den Beschäftigten draußen und vor allem von den sattgewordenen Bäuchen hier im Plenarsaal weiß z. B., wie es ist, wenn langsam aber sicher die Familie wegen der andauernden Arbeitslosigkeit zerbricht,
({10})
dann die Kinder auf Grund der häuslichen Situation in der Schule versagen und dann bei den Arbeitslosen plus den erwachsenen Familienangehörigen der Griff zur Flasche nicht mehr schwer fällt,
({11})
weil man irgendwann einmal die Probleme eben herunterspült?
({12})
- Diese dummen Witze würde ich bei diesem Thema aber sein lassen.
({13})
Wer hier im Plenarsaal hat in den letzten 15 Jahren von Ihnen - der kann ja mal den Finger heben - am eigenen Leib verspürt, wie es ist, wenn man wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit zunächst den Gerichtsvollzieher ins Haus bekommt und dann die liebgewonnene Wohnung mit einem 08/15-Bunker getauscht werden muß?
({14})
Wie viele hier im Saal standen in den letzten 15 Jahren einmal wegen einer solchen Situation sprachlos vor Ihren Kindern und wußten nicht mehr, was sie diesen zu dem ganzen Jammerbild sagen sollten?
({15})
So möchte ich Sozialpolitik in diesem Hause diskutieren. So und nicht anders sind nämlich die knallharten Realitäten, über die Sie mit Ihren Zahlen hinwegspielen.
({16})
Nur wenn man sich in diesem Haus endlich einmal traut, die Probleme unbeschönigt so beim Namen zu nennen, wie sie wirklich sind, und nur dann, wenn man sich nicht hinter verblendenden Zahlen versteckt, wie das einige von Ihnen gern tun, ist zu verstehen, warum die GRÜNEN z. B. unter dem beschämenden Gelächter der Regierungsparteien wie
hier jetzt und auch hin und wieder der Sozialdemokraten für Erwerbslose eine Mindestabsicherung von 1 000 DM im Haushaltsplan verlangen. Nur dann ist auch zu verstehen, daß wir eine Mindestabsicherung so ausgestalten wollen, daß alle Erwerbslosen, die Ansprüche auf Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz haben, mindestens 1 000 DM im Monat zur Verfügung haben.
({17})
Für mitzuversorgende Familienangehörige soll unseren Vorstellungen nach ein Anspruch auf Zulagen, entsprechend den Regelsatzstufungen der Sozialhilfe, bestehen.
Um die schlimme Situation der Sozialhilfeempfänger wenigstens zu erleichtern, fordern die GRÜNEN auch eine 30 %ige Anhebung der Sozialhilfesätze, entsprechend der Warenkorbberechnungen, wie wir das im Ausschuß auch ausgeführt haben, die auch Forderungen des Deutschen Vereins sind.
({18})
- Das ist im Ausschuß, Herr Jagoda, ausführlichst diskutiert und erklärt worden.
({19})
- Das ist dummes Geschwätz, Herr Jagoda. Bei dieser Diskussion war ich genauso wie der Herr Bueb dabei. Schauen Sie doch mal in der Anwesenheitsliste im Protokoll nach!
({20})
- Herr Jagoda, diesen Punkt können wir hier auch klären: Wir sind zu dieser Anhörung nicht gekommen, weil die Sachverständigen von uns nicht zugeladen wurden und nicht durch die Obleutebesprechung gekommen sind.
({21})
Darüber hinaus fordern die GRÜNEN eine weitgehende Einschränkung der Generationensubsidiarität sowohl bei der Arbeitslosenhilfe als auch in der Sozialhilfe. Kinder sollen nicht mehr für ihre Eltern unterhaltspflichtig sein. Die Unterhaltspflicht der Eltern soll mit dem Ende der Kindergeldberechtigung ihrer Kinder erlöschen. Auf diesem Wege möchten meine Fraktion und ich ausräumen, daß alte Menschen nicht wegen zu geringer Renten auf das Geld ihrer Kinder angewiesen sind und Eltern für erwachsene Kinder, die längst nicht mehr im Haushalt leben, nicht mehr zum Unterhalt heranzuziehen sind. Die bestehende Generationen-subsidiarität hat sich als sehr problematisch und unzumutbar für die Betroffenen erwiesen, weil sie in der Regel beidseitig als Bettler vor ihrem Partner stehen müssen.
({22})
- Herr Werner, mit Ihnen diskutiere ich darüber nicht.
Die soziale Isolierung, die Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger erleiden müssen, darf nicht mehr einfach hingenommen werden. Es gilt, sie da, wo möglich, zumindest ansatzweise aufzubrechen. Da Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger nicht über ausreichende Gelder für Fahrtkosten verfügen, fordern die GRÜNEN im Bundeshaushalt per finanzieller Aufstockung im Einzelplan 12 die Halbierung der Fahrpreise für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger
({23})
sowie die Gewährung einer zweimonatlichen freien Rückfahrt für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger bei der Deutschen Bundesbahn. Mit diesen Forderungen zum Bundeshaushalt versucht die Fraktion der GRÜNEN die Probleme anzupacken, die den Ärmsten dieser Republik am meisten Sorgen bereiten.
({24})
Ich möchte auch Sie, meine Damen und Herren der SPD, auffordern, diesen Forderungen zugunsten der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger zuzustimmen. An Hand der Abstimmung über diese Anträge sollen auch die Betroffenen messen können, ob das Gerede zahlreicher Abgeordneter dieses Hauses draußen in den Veranstaltungen ernster Natur ist oder ob man wieder einmal nur Sonntagsreden vernommen hat, von welchen man heute, wie das bei Ihnen scheinbar der Fall ist, nichts mehr wissen will.
({25})
Um einen weiteren Bereich sozialer Politik ist es ebenfalls schlimm bestellt. Hiermit komme ich zum sozialen Umgang mit unseren ausländischen Mitbürgern, insbesondere den türkischen Mitbürgern. Dieser Bereich wird bei allen anderen Parteien allzugerne und oft wissentlich vergessen, weil er bekanntlich keine Wählerstimmen bringt.
({26})
1983 hat die Bundesregierung das Rückkehrhilfegesetz durchgesetzt. Allein bis ins Jahr 2000 spart die Bundesregierung dadurch nach unseren Berechnungen 4 Milliarden DM in der Rentenkasse ein. Dies sind 4 Milliarden DM, die man diesen türkischen Kolleginnen und Kollegen aus der Tasche gezogen hat. Jedem Bundesbürger, der klammheimlich diesen Methoden der Ausländerabschiebung - in diesem Zusammenhang nenne ich auch das Wohnbauspargesetz, das Sie auf den Weg gebracht haben - befürwortend zunickt, weil er meint, so wären neue Arbeitsplätze zu schaffen, sei gesagt,
daß wir ohne die aktive Mithilfe unserer ausländischen Kolleginnen und Kollegen nicht das heutige Lohn- und Gehaltsniveau hätten. Gerade unseren ausländischen Mitbürgern haben wir so manchen Prozentpunkt bei Lohnerhöhungen zu verdanken, da sie oft mehr Solidarität in tariflichen Auseinandersetzungen bewiesen haben als wir Deutsche selber, wobei ich mich selber auch gern einschließe. Nicht die klammheimliche Ausbeutung unserer ausländischen Mitbürger, sondern die aktive und soziale Solidarität sollte sich diese Bundesregierung auf die Fahne schreiben, wenn sie noch einen Restbestand von Anstand hat.
({27})
All die aufgeführten Themen passen wunderbar in eine Strategie, die diese Regierungskoalition anscheinend gewählt hat. Das Ziel dieser Strategie dürfte die Spaltung der Gesellschaft in unterschiedliche, sich bekämpfende Interessenlager sein, um die Solidarität dieser Menschen mit dem Ziel zu zerbröseln, eine Gesellschaft aufbauen zu können, die der Industrie und den Regierenden hörig und ihnen widerstandslos dienen soll. Gebrochene Solidarität bedeutet gebrochene Macht. Daß diese Bundesregierung mit allen Mitteln in übelster Form an den Fundamenten der Solidarität der ihr nicht genehmen gesellschaftlichen Gruppen rüttelt .. .
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
... - ich komme gleich zum Schluß -, zeigt sich an der von langer Hand angelegten Vernichtungsstrategie gegen die Solidarität unter den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften.
({0})
Bestes Beispiel hierfür sind die Gesetzesvorbereitungen, um die Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit aufzuheben.
Herr Abgeordneter, ich sage es Ihnen zum zweitenmal: Ihre Redezeit ist zu Ende.
Gut, dann muß ich aufhören.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte heute doch gern noch einmal auf § 33 unserer Geschäftsordnung hinweisen. Er lautet:
Die Redner sprechen grundsätzlich in freiem Vortrag. Sie können hierbei Aufzeichnungen benutzen.
Vielleicht können wir uns ein bißchen in dieser Richtung bewegen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen im ganzen Hause! Herr Abgeordneter Tischer, Sie überschätzen sich und Ihre Fähigkeiten gewaltig, wenn Sie glauben, uns den Morgen mit Ihren Vorlesungen versauen zu können.
({0})
Man ist ja direkt in Versuchung, der Fraktion der
GRÜNEN zu wünschen - zumindest tun das die
Sozialpolitiker -, Willi Hoss möge zurückkommen.
({1})
Der Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ist wieder einmal Spitze. Er ist der größte Einzeletat im Gesamtetat. Weil mir nur wenige Minuten zur Verfügung stehen, habe ich leider nicht die Zeit, auf Details einzugehen. Ich möchte mich deswegen auf die Bemerkung beschränken, daß ich den Kollegen im Haushaltsausschuß vertraue, daß sie nicht dem diskreten Charme der Bürokraten im Arbeitsministerium erlegen sind.
Der Kollege Dr. Vogel hat am Dienstag die Bedeutung des sozialen Konsenses, des AufeinanderZugehens, des sozialen Friedens von dieser Stelle aus beschworen. Ich möchte diesen Bemerkungen uneingeschränkt zustimmen. Herr Kollege Dr. Vogel, man wird allerdings unglaubwürdig, wenn man einerseits den sozialen Frieden beschwört und andererseits zu verbalen Tiefschlägen übergeht; denn ein Tiefschlag, ein Schlag unter die Gürtellinie, war Ihre Bemerkung, Kollege Dr. Vogel, in der Sie Graf Lambsdorff und andere als Protagonisten des Klassenkampfes von oben bezeichnet haben,
({2})
weil wir Wert darauf legen, daß der ursprüngliche Wille des Gesetzgebers in § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes praktiziert wird. Anscheinend haben einige von Ihnen vergessen, wie diese Vorschrift lautet. Deswegen möchte ich den ersten Absatz dieser Vorschrift noch einmal in Ihr Gedächtnis zurückrufen:
({3})
Durch die Gewährung von Arbeitslosengeld darf nicht in Arbeitskämpfe eingegriffen werden.
Und Sie und ich, wir alle, wissen, daß die Neutralität der Bundesanstalt in dem letzten Streik nicht gewährleistet gewesen ist, auf Grund der Urteile der Sozialgerichte.
({4})
Richtschnur unseres Handelns in Konsequenz der Tarifautonomie muß sein, daß die Neutralität der Bundesanstalt gesichert und nicht eine Rückversicherung bei Vater Staat zur Schonung der eigenen Kasse zur Finanzierung von Streiks möglich ist. Uns ist jede Regelung recht, die diese NeutraliCronenberg ({5})
tät der Bundesanstalt nach dem Willen des Gesetzgebers sicherstellt.
({6})
Wir haben Angst davor, daß Waffengleichheit nicht gegeben ist, wenn wir uns z. B. ansehen müssen, wie die größte Gewerkschaft der Welt, die IG Metall, sieben kleine Handwerksbetriebe in Westfalen kaputtzustreiken versucht. Da ist Waffengleichheit nicht gegeben.
({7})
Mit Interesse und Schmunzeln habe ich vernommen, wie zart und feinfühlend der Kollege Dr. Vogel auch mit dem neuen Sozialexperten der SPD, Johannes Rau, und seinen ungewöhnlichen Bemerkungen umgegangen ist.
({8})
Rücknahme aller sozialen Kürzungen, hat die Bemerkung gelautet. Und der Kollege Dr. Vogel hat dies hier noch einmal korrigiert.
Ich kann gut, sehr gut verstehen, daß Johannes Rau lieber in Düsseldorf bleiben möchte, als sich mit dieser SPD in Bonn herumärgern zu müssen.
({9})
Und wir werden alles dazu beitragen, um ihm diesen seinen Herzenswunsch zu erfüllen.
({10})
Herr Abgeordneter Cronenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Herr Präsident, wenn Sie Frage und Antwort nicht auf die Redezeit anrechnen, ja, sonst am Ende meiner Ausführungen, wenn ich die Zeit habe.
({0})
Wird gemacht.
Das steht im Ermessen des Präsidenten.
({0})
Herr Kollege Cronenberg, nachdem Sie den Konsens so beschworen und so getan haben, als wären Sie ein besonderer Befürworter des Konsenses: Sind Sie dann nicht der Meinung, daß das, was Sie hier hinsichtlich der Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit von sich gegeben haben, gerade dem diametral entgegenläuft?
({0})
Nein, Kollege Glombig. Erstens wissen Sie, daß mir Konsens Herzensanliegen ist. Zweitens: Ich habe dafür plädiert, die Neutralität der Bundesanstalt sicherzustellen, nicht mehr und nicht weniger. Und dies ist in meinen Augen nach den Urteilen bedauerlicherweise nicht der Fall. Diese meine Meinung kann doch nicht konsensschädigend sein.
({0})
Ich muß bedauerlicherweise auch noch auf einen weiteren Tiefschlag zurückkommen. Ich habe es, offen gestanden, nicht für möglich gehalten, daß demokratische Politiker in diesem Zusammenhang in die Nähe der Nazis gerückt werden.
({1})
Daß dies kein einmaliger Ausrutscher ist, wird mir dadurch bewiesen, daß der Kollege Professor Dr. Ehmke am Dienstag bei der Rede des Bundeskanzlers, der auf diesen Sachverhalt zu sprechen gekommen war, ausdrücklich gesagt hat - das Protokoll weist es aus -: „Das stimmt". Ich möchte in aller Form und mit allem Ernst - Professor Ehmke ist nicht hier, ich bitte die Kollegen, ihm das mitzuteilen - den Kollegen Professor Dr. Horst Ehmke von dieser Stelle aus auffordern, sich so vorbildlich zu verhalten, wie das Mitglied der IG Metall Janssen, der sich gestern in einer öffenlichen Diskussion mit Graf Lambsdorff für diese Fehlinterpretation - um es vorsichtig zu formulieren - entschuldigt hat; denn ich halte es für unerträglich, daß demokratische Politiker in dieser Form in die Nähe der Nazis gerückt werden.
({2})
Herr Abgeordneter Cronenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?
Unter den Bedingungen ja.
Ich habe schon meinen Finger drauf.
Herr Kollege Cronenberg, Sie wissen doch, daß 1969 die Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit juristisch abgeklärt worden ist und dafür die Voraussetzungen geschaffen worden sind. Ihnen ist bekannt, daß das so lange gehalten hat, bis Sie diese Koalition gebildet haben. Jetzt gefällt Ihnen das nicht mehr. Sind das eigentlich Ihre Gründe, das, was über 15 Jahre gehalten hat, zu zerstören und damit den sozialen Konsens aufzugeben?
Herr Kollege Urbaniak, ich kann nur wiederholen: Mir und meinen Freunden ist an dem sozialen Konsens sehr viel gelegen.
({0})
Wir sind uneingeschränkte Anhänger des Rechtes auf Streik.
({1})
Daran gibt es nichts zu deuteln. Aber wir möchten
das, was der Gesetzgeber 1969 gewollt hat, sicherstellen, nämlich die Neutralität der Bundesanstalt.
Cronenberg ({2})
Wir haben mit Bedauern festgestellt, daß die vorliegenden Formulierungen im Gesetz und in den Anordnungen offensichtlich nicht ausreichend sind, um diese Neutralität sicherzustellen. Es kann doch kein Verbrechen sein, wenn ich dafür sorge, daß das, was der Gesetzgeber gewollt hat, in ordentliche Gesetzesform gekleidet wird.
({3})
Die Koalition hat mit relativ einfachen Maßnahmen in relativ kurzer Zeit im wirtschaftspolitischen, finanzpolitischen und sozialpolitischen Bereich beachtliche Erfolge erzielt. Ich verstehe sehr gut, daß die Opposition das mit großem Neid betrachtet. Diese Betrachtungsweise ist um so verständlicher, als wir Ihnen, verehrte Kollegen von der SPD, 1982 alle die Rezepte und Maßnahmen vorgeschlagen haben, die dann in der neuen Koalition zum Erfolg geführt haben. Wenn Sie sich einmal in einer stillen Stunde das Lambsdorff-Papier von 1982 vornehmen, werden Sie feststellen, daß die Koalition der Mitte vieles von dem realisiert hat. Den Erfolg dieser Maßnahmen sieht man jetzt.
({4})
Verständlicherweise ist Ihr Ärger daher um so größer.
Noch größer wird der Ärger, Frau Kollegin Fuchs, wenn Sie feststellen müssen, daß alle Ihre Prognosen über Arbeitslosigkeit, über mangelnde Inlandsnachfrage - und was weiß der Teufel alles - nicht eingetreten sind.
({5})
Wenn Ihnen, verehrte Kollegen von der SPD, das Wohlergehen der Menschen und der Wirtschaft wichtiger ist als die Tatsache, recht zu haben oder recht zu behalten, müßten Sie sich eigentlich gemeinsam mit uns über die erfreuliche wirtschaftliche Situation freuen. Aber das ist wohl zuviel verlangt. Sei's drum.
Ich wünsche mir, daß Sie den unbestreitbaren Aufschwung weniger mit Miesmacherei als mit mehr Freude darüber begleiten, daß so viele Menschen wieder Beschäftigung gefunden haben.
({6})
Es hat sich eben als richtig erwiesen, daß eine Politik erfolgreich ist, die auf mehr Investitionen, auf mehr wirtschaftliches Wachstum und auf Abbau von Anpassungshemmnissen setzt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kirschner?
Auch unter den genannten Bedingungen.
Die Großzügigkeit des Präsidenten, die Zeit der Zwischenfragen nicht anzurechnen, hat natürlich dort ihre Grenze, wo wir eine Zeitabsprache im Parlament beschlossen haben.
Ich möchte sagen, das sollte die letzte Zwischenfrage sein. Dann kommen wir mit dem Zeitrahmen noch zurecht.
Bitte schön.
Sie werden verstehen, daß ich diese Meinung des Präsidenten unterstützen muß.
Herr Kollege Cronenberg, können Sie trotz Ihrer seit drei Jahren propagierten Aufschwungstheorie einmal darstellen, wie hoch die Beschäftigtenzahlen im Jahre 1985 sind, gemessen an den Zahlen der Jahre 1980 und 1981? Vielleicht können Sie auch einmal darlegen, welche arbeitsmarktpolitischen Effekte die von Ihnen so abgelehnte Arbeitszeitverkürzung hat, die von der IG Metall - das haben Sie gerade im Zusammenhang mit § 116 erwähnt - durchgesetzt worden ist. Ich darf nur daran erinnern,
({0})
daß nach den Aussagen des IAB damit 160 000 Arbeitsplätze geschaffen wurden. Wie stellen Sie sich denn dazu?
Lieber Klaus Kirschner, erst mal eine Richtigstellung. Es handelt sich nicht um einen theoretischen, sondern um einen höchst faktischen Aufschwung, von dem wir reden.
({0})
Zweitens kann ich feststellen, daß wir nicht wegen, sondern nach meiner Auffassung trotz Arbeitszeitverkürzung 500 000 Beschäftigte, addiert für 1984 und 1985 mehr haben, die Arbeit und Brot haben. Ich meine, das ist der Erwähnung wert.
({1})
Damit es klar ist, wiederhole ich es deutlich: Leistung muß sich lohnen. Dieser Satz war und ist Grundlage unserer Politik. Das ist gerade deswegen richtig, weil die mit Recht verlangte Solidarität für die in der Gesellschaft Benachteiligten Leistung voraussetzt. Je höher die Leistungen, desto wirksamer die Chancen für praktizierte Solidarität. Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, muß man Leistung belohnen. Das ist keine soziale Demontage. Das ist keine soziale Kälte. Im Gegenteil, eiskalte Spekulanten sind diejenigen, die noch nicht Erwirtschaftetes verteilen wollen.
Die Liberalen können dem Einzelplan des Bundesministers für Arbeit zustimmen,
({2})
weil Sie beachtliche Teile Ihrer Vorstellungen in diesem Etat wiederfinden. Wir haben die Hoffnung, Herr Bundesarbeitsminister, daß in dem nächsten Einzelplan 11 noch mehr liberale Elemente zu finden sein werden.
({3})
Cronenberg ({4})
Jedenfalls, Herr Bundesarbeitsminister, kann ich Ihnen versichern, daß wir uns um diese Politik, noch mehr liberale Elemente in diesem Einzelplan unterzubringen, in aller Fairneß, aber mit aller Energie bemühen werden. Ich möchte nicht versäumen, Ihnen für Ihr Entgegenkommen an dieser Stelle schon im voraus herzlich zu danken.
In diesem Sinne bedanke ich mich auch für Ihre Geduld.
({5})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Also, Herr Cronenberg, ob sich der Herr Blüm über das, was Sie zum Schluß gesagt haben, so freut, möchte ich bezweifeln.
Wir erleben eine denkwürdige Debatte in diesen Tagen, eine ausführliche Debatte über den Bundeshaushalt 1986. Es werden viele Zahlen, Daten, Begriffe verwendet, positive Daten, Wachstum, Preisstabilität, Exportüberschüsse, wirtschaftlicher Aufschwung.
({0})
Bei all diesen aktuellen wirtschaftlichen Daten wird überhaupt nicht gefragt: Wem nützt eigentlich diese angeblich positive Entwicklung?
({1})
Diese abstrakten Daten werden dazu benutzt,
({2})
um so zu tun, als ob dies eine gute Wirtschaftspolitik sei. Aber diese angeblich positive Wirtschaftsentwicklung mit diesen vielen abstrakten angeblich positiven Daten wird im nächsten Jahr eine schwache Zunahme der Beschäftigung bringen,
({3})
und diese schwache Zunahme der Beschäftigung wird nicht den Stand erreichen, den wir 1980 mit 22 Millionen Arbeitnehmern gehabt haben. Und diese schwache Zunahme der Beschäftigung wird zugleich dazu führen - so schien es in all Ihren Aussagen -, daß wir uns auf Dauer auf Massenarbeitslosigkeit mit über 2 Millionen Menschen einstellen.
({4})
Und da frage ich Sie: Ist das das Ergebnis von Wachstum, wirtschaftlicher Entwicklung und positiven Daten?
({5})
Wir haben eine stille Reserve. Ich habe sie immer bejaht. Sie ist nicht in der Statistik. Wir haben viele Menschen in unserem Land, die sich schon gar nicht mehr der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellen. Ich empfehle Ihnen, die „Zeit" dieser Woche zu lesen, wo steht, dieses Jahreswirtschaftsgutachten sei ein Gütesiegel für Resignation. Dem Sachverständigenrat fällt in seinem Gutachten zum Thema Arbeitslosigkeit gar nichts mehr ein.
({6})
Nun sagen Sie, Leistung müsse sich wieder lohnen. Da hat die FDP ihren eigenen Leistungsbegriff.
Ich habe mir überlegt: Was ist eigentlich Leistung?
({7})
Da bin ich zu dem Ergebnis gekommen: Bei Ihnen ist Leistung ganz allein Geld. Geld ist bei Ihnen Leistung. Wer viel Geld hat, kriegt durch eine Steuerentlastung viel Geld zurück.
({8})
Was ist mit den Leistungen derer, die das ganze Jahr gearbeitet haben, jetzt ihr Weihnachtsgeld bekommen und von diesem Weihnachtsgeld gar nichts mehr übrigbehalten, weil Sie das Weihnachtsgeld in die Sozialversicherungspflicht einbezogen haben?
({9})
Wie ist es mit der Leistung derer, die jetzt zu Weihnachten kein Geld mehr in der Tasche haben? Wie ist es mit der Leistung zwei Millionen arbeitsloser Menschen, die gerne Leistungen erbringen möchten, die Leistung anbieten? Aber diese Wirtschaft, diese Gesellschaft nimmt die Leistung dieser mehr als zwei Millionen Menschen gar nicht an. Dies ist nicht Leistung, von der Sie sprechen, Herr Kollege Cronenberg. Bei Ihnen heißt Leistung Geld, und damit hat es sich in Ihrem Sprachgebrauch.
({10})
Was ist mit der Leistung der Frauen, die nach Zeiten der Kindererziehung einen Arbeitsplatz suchen? Sie bieten Leistung an, sie wollen erwerbstätig sein, aber sie haben gar keine Chance, unter Beweis zu stellen, daß sie in der Lage sind, volkswirtschaftlich Nutzen zu bringen, weil Sie sich damit abfinden, daß wir auf Dauer mehr als zwei Millionen Arbeitslose haben. Sie reden ja gar nicht mehr von Arbeitslosigkeit, sondern Sie reden von der geringfügigen Zunahme der Beschäftigung, und damit ist auch Ihre Strategie deutlich.
({11})
Sie wollen, daß sich die Menschen in unserem Lande an Massenarbeitslosigkeit gewöhnen. Das ist Ihre politische Strategie.
({12})
Frau Fuchs ({13})
Deswegen ist Ihre Politik kalt und unbarmherzig.
({14})
Frau Abgeordnete Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mann?
Das wird ja nicht angerechnet, Herr Präsident?
Meine Damen und Herren, was die Anrechnung angeht, so habe ich bereits mitgeteilt, daß von einer Nichtanrechnung nur in bescheidenem Umfang Gebrauch gemacht wird; denn sonst wird der gesamte Zeitplan über den Haufen geworfen. Also, ganz kurze Fragen müssen es sein. - Bitte schön.
Frau Kollegin Fuchs, ist es richtig, daß Leistungen, die es Frauen nach dem Arbeitsförderungsgesetz ermöglichen, wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren, auch schon unter der sozialliberalen Regierung, unter Ihrer politischen Verantwortung massiv gekürzt worden sind?
({0})
Wir haben in unserer Regierungszeit dafür gesorgt, daß die Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes auch für Frauen zur Anwendung kamen.
({0})
Wir haben in unserer Regierungszeit dafür gesorgt, daß durch eine aktive Beschäftigungspolitik, durch eine beschäftigungsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Jahren 1976 bis 1980 eine Million zusätzlicher Arbeitsplätze geschaffen worden sind.
({1})
Davon haben in unserer damaligen Zeit die Frauen überproportional profitiert.
({2})
Wie steht es mit der Leistung der jungen Männer, die wir in diesen Wochen so loben, weil sie ihren Dienst in der Bundeswehr tun, weil sie ihren Dienst als Zivildienstleistende tun? Was sagen Sie den jungen Leuten, wohl wissend, daß die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen zwischen 20 und 25 überproportional groß ist?
({3})
Was haben wir für eine Antwort, wenn jungen Männern nach der Ausbildung - vor der Einberufung zur Bundeswehr und zum Zivildienst gar kein Arbeitsplatz oder, wenn ihnen einer angeboten wird, nur ein befristeter angeboten wird, damit man die Bestimmungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes gar nicht mehr in Anspruch nehmen kann?
({4})
Das ist doch Ihre reale Unbarmherzigkeit gegenüber den jungen Leuten.
({5})
Dann sagen Sie, die Arbeitslosen seien nicht qualifiziert. Sie haben eine Strategie - ich weiß das wohl -: Sie wollen den Arbeitslosen einreden, sie seien individuell schuld an ihrer Arbeitslosigkeit. Die wirtschaftliche Entwicklung sei so phantastisch, daß derjenige, der da keinen Arbeitsplatz finde, selbst schuld sei: denn er sei ja nicht qualifiziert.
({6})
Ist es nicht so, daß die unternehmerische Wirtschaft immer Wert darauf gelegt hat, daß sie für die berufliche Bildung und die Qualifikation der Arbeitnehmer zuständig ist?
({7})
Ist es nicht so, daß die unternehmerische Wirtschaft zu spät begonnen hat, sich mit der Arbeitnehmerschaft auf neue Berufe einzustellen?
({8})
Heute müssen wir die Fehler der unternehmerischen Wirtschaft durch Qualifizierungsmaßnahmen
der Bundesanstalt für Arbeit mühsam ausgleichen.
({9})
Wir tun das zwar, aber eigentlich ist es nicht Aufgabe der Versichertengemeinschaft, sondern Aufgabe der unternehmerischen Wirtschaft, dafür zu sorgen, daß die Arbeitnehmer vernünftig qualifiziert sind.
({10})
Der Bundesarbeitsminister - wir erinnern uns - wollte das Arbeitsrecht „gelenkiger" machen; das ist ihm gelungen. Das Beschäftigungsförderungsgesetz führt jetzt dazu, daß 35 % der angebotenen offenen Stellen befristete Arbeitsverhältnisse sind.
Herr Bundesarbeitsminister, dieses haben Sie erreicht. Wir gehen den Weg in eine gespaltene Arbeitnehmerschaft mit immer weniger Stammarbeitnehmern und mit Randarbeitnehmern mit befristeten Arbeitsverhältnissen. Das wird die Arbeitslosigkeit nicht abbauen, sondern dafür sorgen, daß wir noch mehr instabile Arbeitsplätze haben, als wir sie heute schon haben.
({11})
Damit ist ein Stück Freiheit der Arbeitnehmer verlorengegangen. Erst das Recht auf Kündigungsschutz, auf Dauerbeschäftigung, auf soziale Absicherung hat aus dem ausgebeuteten Arbeiter des 19. Jahrhunderts den mündigen Arbeitnehmer von heute werden lassen. Und wenn Sie, Herr Bundesarbeitsminister, Verantwortung dafür tragen, daß diese Entwicklung zurückgedreht wird, so sage ich
Frau Fuchs ({12})
Ihnen, Sie sind wieder mal dabei, die Qualität unserer Demokratie zu verschlechtern.
({13})
Wie leichtfertig Sie Arbeitnehmerrechte abbauen, das sehen wir daran, daß Sie sich überhaupt nicht gewehrt haben, als es darum ging, den absoluten Kündigungsschutz für junge Mütter abzuschaffen. Wir erhalten jetzt eine Verwaltungsvorschrift, in der dem Unternehmer die Möglichkeit gegeben wird, den jungen Müttern zu kündigen. Sie haben überhaupt nicht begriffen, was es für die jungen Mütter bedeutete, sich ein halbes Jahr um ihr Kind kümmern zu können, ohne Sorge haben zu müssen, daß ein Kündigungsschreiben ins Haus flattert. Das ist wahrhaft soziale Politik!
({14})
Aber es ist wohl so, wie Ernst Breit sagt: Wir haben einen Wirtschaftsminister, der die Interessen der gewerblichen Wirtschaft vertritt, wir haben einen Landwirtschaftsminister, der die Interessen der Landwirte vertritt, aber wir haben einen Arbeitsminister, der sich persönlich gekränkt fühlt, wenn die Gewerkschaften klar und deutlich Position beziehen. So ist es in der Tat.
({15})
Und ich sage Ihnen, Herr Arbeitsminister, Sie haben hier und heute Gelegenheit, Position zu beziehen: Was sagen Sie zu den Worten von Herrn Cronenberg zum § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes? Wir konnten stolz sein auf den sozialen Konsens in unserem Lande, wir konnten darauf bauen, daß die Gewerkschaften ihre Tarifpolitik mit den Arbeitgebern verantwortungsbewußt gestalten. Wer diesen Konsens aufs Spiel setzt, der schadet der Demokratie. Er handelt wie ein Brandstifter am sozialen Frieden.
({16})
Deswegen fordere ich Sie hier und heute auf, Herr Blüm, sagen Sie hier heute: Mit mir, Norbert Blüm, wird es eine Veränderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes nicht geben. Sagen Sie heute: Ich folge meinen Sozialausschüssen, ich folge Herrn Scharrenbroich, der gesagt hat: Mit den Sozialausschüssen der CDU wird es eine Veränderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes nicht geben. Ich fordere Sie auf, hier und heute eine solche Erklärung abzugeben.
({17})
Sie sind auch zuständig für die Rentenversicherung. In der Rentenversicherung tut alle Welt so, als ob die Welt in Ordnung wäre.
({18})
Herr Strube hat Herrn Doetsch zitiert, den Vorsitzenden des Verbandes der Rentenversicherungsträger. Ich zitiere ihn auch. Denn Herr Doetsch hat gesagt: Die ganze Finanzmisere wäre nicht entstanden, wenn die Bundesregierung, angeführt in diesem Fall von Herrn Arbeitsminister Blüm, nicht die
Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose gekürzt hätte. Der Finanzminister hat sich um jährlich 5 Milliarden DM zu Lasten der Rentenversicherung bereichert. Und das ist der Grund für die ganze Finanzmisere, die wir heute haben.
({19})
Ihre Reparaturgesetze haben keine Stabilität gebracht. Sie brauchen in diesem Jahr wiederum Mittel aus dem Kreditmarkt. Sie haben es etwas feiner verpackt, aber Sie brauchen auch dieses Jahr wieder Geld. Sie haben mit vier Reparaturgesetzen - ich komme noch einmal darauf zurück - vor allen Dingen die Arbeitnehmerschaft zur Kasse gebeten, Sie haben Beiträge erhöht und Sie haben das Weihnachtsgeld für Arbeitnehmer in die Sozialversicherungspflicht einbezogen ({20})
- das war nicht unser Vorschlag - übrigens zur selben Zeit, während andere Steuerentlastungen bekommen.
Wir Sozialdemokraten wollen an diesem Tag noch einmal sagen, wie unser Konzept und unser Angebot für eine Zusammenarbeit zur langristigen Sicherung der Rentenversicherung aussieht. Wir wollen an der leistungsbezogenen, beitragsfinanzierten Rente als Lebensstandardsicherung festhalten. Wir wollen die Rentenformel so ändern, daß die Probleme der wirtschaftlichen und der demografischen Entwicklung gleichermaßen auf Beitragszahler, Rentner und Staat verteilt werden. Wir denken darüber nach, daß sich angesichts der technischen Entwicklung und der damit verbundenen Produktivitätsentwicklung der Arbeitgeberbeitrag bei weniger Arbeitnehmern nicht mehr nur nach Lohn und Gehalt, sondern nach der gesamten Wertschöpfung richten sollte.
({21})
Wir haben Vorstellungen über eine Verzahnung von Sozialhilfe und Rentenversicherung zu einer bedarfsorientierten Mindestrente.
Herr Bundesarbeitsminister, ich fordere Sie mit Nachdruck auf: Tragen Sie jetzt mit dazu bei, daß wir in der Lage sind, Argumente zur langfristigen Konzeption der Rentenversicherung auszutauschen. Überlassen Sie nicht den Bangemanns und Biedenkopfs und den GRÜNEN die Diskussion um die Grundrente, sondern lassen Sie uns jetzt gemeinsam darangehen, für eine langfristige Strukturreform der Rentenversicherung zu kämpfen. Das müssen wir jetzt beginnen; sonst ist es nämlich zu spät.
({22})
Herr Bundesarbeitsminister, ich habe diese Woche hier gesessen und mir die Debatte angehört,
({23})
und ich habe gehört, mit welcher Leichtfertigkeit von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, jetzt wieder Steuerentlastungen angekündigt werden. Mit grandiosen Wahlversprechen will man das den Leuten schmackhaft machen. 38 Milliarden oder 50 Milliarden wollen Sie in der nächsten Legis13492
Frau Fuchs ({24})
laturperiode ausgeben, um steuerentlastende Maßnahmen durchzuführen.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie müssen sich in diese Debatte einschalten! Wir alle wissen doch, daß wir angesichts der wirtschaftlichen und der demo-grafischen Schwierigkeiten auf Dauer einen höheren Bundeszuschuß für die Rentenversicherung brauchen. Sie können nicht zulassen, daß leichtfertig Steuersenkungen versprochen werden! Sie halten Ihren Mund und wundern sich dann, wenn kein Geld mehr da ist, um eine vernünftige Rentenreform zu finanzieren.
({25})
Sie hätten Gelegenheit gehabt, mit uns zusammen die Möglichkeit zu ventilieren,
({26})
wie man das Problem der Arltersarmut angeht. Die Reform der Hinterbliebenenversorgung und die Anerkennung von Kindererziehungszeiten hätten wichtige Schritte sein können, um die Unterversorgung vieler älterer Frauen zu mildern. Ihr Anrechnungsmodell aber bringt keiner einzigen Frau eine Mark mehr; nur die Männer stehen sich besser.
({27})
Ihr Babyjahr haben Sie nur einen Teil der Frauen zuerkannt, den Trümmerfrauen gerade nicht. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir Sozialdemokraten werden uns nicht damit abfinden, daß die Frauen die vor 1920 geboren sind, nicht in den Genuß eines Babyj ahres kommen.
({28})
Ein weiterer Punkt: Erinnern wir uns noch daran, Herr Bundesarbeitsminister, daß Sie sich wegen der FDP dazu durchringen mußten, eine Beitragssenkung in der Arbeitslosenversicherung durchzuführen, um 0,05 % der Beiträge an die Versicherten zurückzugeben und 750 Millionen DM für eine bessere Arbeitsmarktpolitik nicht mehr zur Verfügung zu haben?
({29})
- Frau Adam-Schwaetzer, meine Zeit ist gleich zu Ende!
Da haben Sie gesagt, dies sei ein Appetithappen, und Sie haben weiter gesagt, das Hauptmenü der Senkung der Lohnnebenkosten werde nun folgen, denn Sie seien, da man nun diese Beiträge gesenkt habe, auf dem Wege, ein Konzept anzubieten, das auch die Beiträge in der Krankenversicherung senkt. Wie aber steht es mit den Beiträgen in der Krankenversicherung? Sie werden steigen. Herr Bundesarbeitsminister, sie werden steigen,
({30})
so daß ein großer Teil dessen, was es an Steuerentlastungen gibt, den Arbeitnehmern über erhöhte
Krankenversicherungsbeiträge wieder aus der Tasche gezogen wird.
({31})
Frau Abgeordnete Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Frau Kollegin Fuchs, würden Sie mir bitte bestätigen, daß in den Gesetzentwurf zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht, den die SPD 1972 gemeinsam mit uns im Deutschen Bundestag eingebracht hat, die Trümmerfrauen ebenfalls nicht mit einbezogen waren, was Sie heute, wo Sie in der Opposition sind, so lauthals beklagen? Ist es richtig, daß Sie in der Regierung - ebenfalls aus Kostengründen - die Entscheidung gegen die Einbeziehung getroffen haben?
({0})
Ich finde diese Philosophie immer so fabelhaft, Frau Adam-Schwaetzer! Wenn wir 1972 ein Babyjahr einführt hätten, das Sie abgelehnt haben
({0})
- Sie haben es damals abgelehnt; wir hatten nicht die Mehrheit, aber Sie hätten doch zustimmen können -, hätten wir jetzt für 13 Jahrgänge die Anerkennung eines Kindererziehungsjahres.
({1})
Wir hätten den ersten Schritt getan und wären dann auch in der Lage gewesen, andere Schritte folgen zu lassen.
Deswegen bleibt es dabei: Sie haben damals die Einführung des Babyjahres abgelehnt, meine Damen und Herren von der CDU.
({2})
In der Krankenversicherung steigen die Beiträge. Warum eigentlich steigen die Beiträge? Der Bundesarbeitsminister hat gesagt, er werde sich warmlaufen. Dann hat er gesagt, nun habe er sich heißgelaufen. Jetzt müßte er allmählich am Platzen sein; denn in der Krankenversicherung wird sich überhaupt nichts tun, weil diese Koalition nicht in der Lage ist, an eine Strukturveränderung in der Krankenversicherung heranzugehen. Sie hat nicht die Kraft, zu verlangen, daß die pharmazeutische Industrie sich mit den Krankenkassen zu Preisvereinbarungen zusammensetzt. Sie hat nicht die Kraft, zu verlangen, daß dort Strukturmaßnahmen durchgeführt werden, wo die eigentlichen Verursacher der Kosten sitzen.
Das einzige, was bleibt, ist: Sie wollen, daß wieder einmal die Versicherten zur Kasse gebeten werden. Zunächst einmal sollen die Frauen herangezogen
Frau Fuchs ({3})
werden, denen Sie die Kassenleistungen für den Schwangerschaftsabbruch streichen wollen, und den Hinterbliebenen wollen Sie das Sterbegeld streichen. Sie haben neulich zu mir gesagt, das sei alles einmal so aufgelistet gewesen, das sei nicht so ganz ernstzunehmen. Ich hoffe, daß es so ist. Aber dann sagen Sie hier heute, daß Sie nicht daran denken, wiederum einseitig die Versicherten zur Kasse zu bitten, sondern daß Sie endlich darangehen, durch vernünftige Gesetzesvorschläge dafür zu sorgen, daß die Kosten dort gedämpft werden, wo es notwendig ist, nämlich auf der Anbieterseite!
({4})
Es kann doch wohl nicht sein, daß wir die pharmazeutische Industrie sich dumm und dösig verdienen lassen zu Lasten der Versicherten in unserer Krankenversicherung.
({5})
Ich komme zum Schluß. Herr Bundesminister, Ihnen sind wirklich wichtige Felder der Politik anvertraut.
({6})
Ich sage Ihnen noch einmal: Es ist an der Zeit, daß Sie sich gegen diese Argumentation der Wendepolitik, wie sie Herr Cronenberg heute vorgetragen hat, wehren. Es ist wahr - Herr Cronenberg, Sie sind auch noch stolz darauf -, daß das, was im Lambsdorff-Papier steht, schon fast alles erreicht worden ist. Sie bestätigen damit, daß Sie beabsichtigen, die historische Entwicklung einer sozialen Demokratie aufs Spiel zu setzen, sie zurückzudrehen zu Lasten der Arbeitnehmerschaft, weil Ihnen das in Ihr Konzept paßt.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist der Tag von Norbert Blüm, verehrte Frau Fuchs.
({0})
- Ob Ihnen das paßt oder nicht: Das ist der Tag von Norbert Blüm. Seine Politik für den sozialen Fortschritt in der Bundesrepublik Deutschland wird heute durch eine stabile Mehrheit dieses Hauses ihre Würdigung und ihre Zustimmung finden.
({1})
- Ich spreche mit Frau Fuchs.
Ich hätte es, Frau Bundesminister a. D., als ein Zeichen von Einsicht und Klugheit empfunden, wenn Sie in Ihrer durchaus engagierten Rede einmal den Versuch gemacht hätten, Lehren aus Ihrem eigenen Regierungsscheitern zu ziehen, wenn Sie einmal den Versuch gemacht hätten, darzulegen, warum Sie im angeblichen Kernbereich sozialdemokratischer Regierungskompetenz in dieser verhängisvollen Weise gescheitert sind.
({2}) Das hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden.
({3})
Statt dessen haben Sie hier wieder das ganze Elend sozialdemokratischer Perspektivlosigkeit vor uns ausgebreitet.
({4})
Sie beschränken sich auf tatsachenblinde Nörgelei und Miesmacherei. Sie spekulieren auf Baisse und wollen mit lauten Anklagen den Mißerfolg gerade Ihrer Regierungszeit hier wegwischen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktentwicklung, der ich mich zuwenden möchte, liegt längst nicht mehr im Schatten der Konjunktur: eine Viertelmillion neuer Arbeitsplätze binnen Jahresfrist,
({6})
wachsender Kräftebedarf in der Mehrzahl aller Industriebranchen, Anstieg bei den offenen Stellen -10 % allein in diesem Jahr -, Anstieg bei den Vermittlungen der Arbeitsverwaltung - plus 8 % -, gute Aussichten für 1986 - wahrscheinlich über 300 000 neue Arbeitsplätze - und zu allem unsere verstärkten Qualifizierungsanstrengungen, die in einer breit angelegten Offensive
({7}) Kernstück unserer Arbeitsmarktpolitik sind.
Da frage ich die SPD: Welche Motive haben Sie eigentlich, dies alles zu leugnen
({8})
und geringschätzig hier in diesem Hause abzuqualifizieren?
({9})
- Es bleibt dabei, daß es Ihre Politik gewesen ist, die die Bundesrepublik Deutschland in die schwerste Arbeitsmarkt- und Beschäftigungskrise seit 1949 gestürzt hat; dabei bleibt es.
({10})
Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage mehr, Herr Präsident; denn die nachfolgenden Redner in dieser verbundenen
Roth ({0})
Debatte wollen heute auch noch zu Worte kommen.
({1})
Das Thema Massenarbeitslosigkeit ist und bleibt untrennbar mit dem Namen der SPD als Regierungspartei verbunden.
({2})
1981 und 1982 ist die Arbeitslosigkeit ohne erkennbares Tempolimit auf zwei Millionen explodiert. Sie waren unfähig, diesen Absturz unter Kontrolle zu bringen.
({3})
Als die Bruchpiloten von damals, Herr Ehrenberg, sollten Sie endlich aufhören, sich hier im Gewand von Kunstfliegern vor der deutschen Öffentlichkeit zu produzieren.
({4})
Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn - Roth ({0}) ({1}): Nein, gestatte ich nicht.
Sie wollen generell keine Zwischenfragen zulassen? - Gut.
({0})
Wenn der Regierungswechsel, meine Damen und Herren, nicht rechtzeitig gekommen wäre, wir hätten längst die drei bis vier Millionen Arbeitslose, die damals von den meisten Experten für 1985 prophezeit worden sind.
({0})
Daß es nicht so gekommen ist, dies allein ist schon ein beachtlicher Erfolg unserer Politik. Wir haben die Arbeitslosigkeit gestoppt, wir haben sie eingedämmt und sind jetzt dabei, mit einem kräftigen Beschäftigungsschub die Gesundung des Arbeitsmarktes in einem lang anhaltenden Prozeß weiter zu entwickeln.
({1})
- Wissen Sie, verehrter Zurufer, selbst der Herr Breit hat in der mißglückten Oktoberkampagne des DGB nur von 300 000 zusätzlichen Arbeitslosen gesprochen,
({2})
die in der von saisonbereinigten Einflüssen befreiten Statistik zwischen Oktober 1982 und Juni 1983 zusätzlich registriert worden sind. Aber diese 300 000 Arbeitslose sind doch nur der Nachbrenneffekt Ihrer gescheiterten Regierungspolitik gewesen
({3})
und nicht etwa die Arbeitslosen dieser neuen Bundesregierung.
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt im September und Oktober - Sie kennen ja die Statistik - die saisonbereinigten Arbeitslosenwerte von Juni 1983 wieder unterschritten, erneut unterschritten wie in 28 von inzwischen 37 Regierungsmonaten.
({5})
Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis: die Trendwende am Arbeitsmarkt ist längst Wirklichkeit.
({6})
- Ich verstehe überhaupt nicht Ihre Aufregung.
({7})
Ihr gescheiterter Kanzlerkandidat, der Kollege Vogel, hat doch noch kurz vor der Bundestagswahl in der Wochenzeitung „Die Zeit" am 18. Februar 1983 gesagt, es sei - ich zitiere wörtlich - eine Aufgabe für eine volle Regierungsperiode, den Prozeß der weiter ansteigenden Arbeitslosigkeit zu bremsen und dann umzukehren.
({8})
Woher nehmen Sie eigentlich die Maßstäbe Ihrer hemmungslosen Kritik?
({9})
Meine Damen und Herren, die Haushalts- und Finanzpolitik der neuen Bundesregierung war von Anfang an beschäftigungspolitisch definiert. Millionen Arbeitsplätze gingen in den 70er Jahren verloren, weil auf ihnen nicht mehr die Arbeitskosten erwirtschaftet werden konnte. Wenn also die betriebliche Arbeitsleistung vieler betroffener Mitbürger wieder wettbewerbsfähig und rentabel werden sollte, dann ging dies nur über die Kosten- und Preisstabilität, über den Zinsabbau und über bessere Investitionsbedingungen. Ohne die Haushaltsdisziplin, die Stabilität und die neue Verläßlichkeit dieser Bundesregierung wären wir niemals so weit vorangekommen, wie das heute der Fall ist.
({10})
Dabei muß es bleiben. Der Kurswechsel ist geglückt. Auf die Wende rückwärts können wir gerne verzichten.
({11})
Meine Damen und Herren, es ist doch eigenartig, daß Ihre Gedanken ausschließlich um den verRoth ({12})
meintlichen Ausgabeeffekt zusätzlicher Staatsprogramme kreisen.
({13})
Der Entzugseffekt, also der Nachfrageausfall bei den Bürgern, denen Sie einen zusätzlichen Teil Ihres Arbeitseinkommens wegsteuern wollen, fehlt in Ihren Betrachtungen völlig. Wieso eigentlich, so frage ich, soll bei anhaltendem Wirtschaftswachs-turn vorn Staat ausgegebenes Geld beschäftigungswirksamer sein als die Produktionsanstöße privater Konsum- und Investitionsentscheidungen?
({14})
Das haben uns Sozialisten noch nie erklären können.
({15})
Unsere Wirtschaftspolitik sichert und schafft Arbeitsplätze. Das ist auch die Aufgabe verantwortungsbewußt denkender und handelnder Tarifpartner. Unsere Arbeitsmarktpolitik ergänzt dies alles. Sie dient vorrangig der beruflichen Qualifizierung, die ich als die Schlüsselfrage für die Gesundung am Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren herausstellen möchte.
({16})
Zu keiner Zeit seit Bestehen des Arbeitsförderungsgesetzes von 1969 hat es eine aktivere Arbeitsmarktpolitik als heute gegeben. Nahezu jeder dritte neue Arbeitslose, der heute bei den Ämtern registriert wird, ist noch nie oder lange nicht mehr erwerbstätig gewesen. Die Hälfte aller registrierten Arbeitslosen ist ohne Berufsausbildung. Deshalb ist die Qualifizierungsoffensive der Bundesanstalt für Arbeit wesentlich verstärkt worden. Wir begrüßen das, und wir unterstützen das mit allen unseren Möglichkeiten.
400 000 Menschen in diesem Jahr und 450 000 Menschen im Jahre 1986 können an beruflichen Bildungsmaßnahmen teilnehmen. Im Durchschnitt sind zwei Drittel von ihnen bei Eintritt in die Maßnahme beschäftigungslos. 7,4 Milliarden DM - das sind 1,1 Milliarden DM mehr als 1985 - werden wir im kommenden Jahr für diesen Zweck bereitstellen. Außerdem haben wir die Bildungsbeihilfen des Bundes um 50 % auf 105 Millionen DM aufgestockt. Wir werden die Geltungsdauer dieses wichtigen Gesetzes um weitere fünf Jahre verlängern.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß dieses Geld gut angelegt ist. Drei Viertel aller Teilnehmer an solchen Weiterbildungsmaßnahmen finden innerhalb weniger Monate nach deren Beendigung eine neue Anstellung. Diese Vermittlungsquote ist der eigentliche Gradmesser des Erfolges. Wir freuen uns, daß wir hier auf einem guten Wege sind.
Wir werden unsere Offensive gegen die Verfestigung der Dauerarbeitslosigkeit durch Aufstockung der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen weiter vorantreiben, um jahresdurchschnittlich 100 000 Menschen eine neue berufliche Motivierung geben zu können. Auch hier haben wir eine Steigerung um 31% auf volle 3 Milliarden DM durchgesetzt. Der Haushaltsausschuß will, daß die AB-Programme - das haben wir in einer Entschließung festgehalten - insbesondere für arbeitslose Jugendliche und junge Erwachsene im bewährten Programm „Arbeit und Lernen" verstärkt eingesetzt werden, damit auch hier qualifizierte Schritte vermittelt werden. Wir wollen - das sage ich ganz zum Schluß -, daß die Arbeitsverwaltung selbst ihren Einschaltungsgrad bei der Vermittlungstätigkeit verstärken kann. Er liegt heute bei 25%. Das ist absolut zu niedrig. Wir werden einer begrenzten Aufstockung des Personals zustimmen. Wir tun das, weil wir glauben, daß vom Erfolg dieser engagierten Vermittler und Berufsberater letztlich auch der Erfolg dieser Politik abhängig ist.
Herr Abgeordneter, das war schon der Schluß, nicht?
({0})
Meine Damen und Herren, wir danken dem Bundesminister für seine Leistung. Wir werden dem Einzelplan 11 zustimmen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kelly.
({0})
Die Zwischenbemerkungen, während ich hierhergekommen bin, sind schon recht beachtlich.
Ich möchte während dieser Beratungen zum Einzelplan 11 noch einmal an uns alle appellieren, unserem Änderungsantrag zugunsten krebskranker Kinder und deren psychosozialer Versorgung zuzustimmen. Es muß doch möglich sein - das ist das dritte Mal seit 1983, daß wir diesen Antrag stellen -, daß ein fester Betrag, in diesem Fall 2,1 Millionen DM innerhalb des Titels 684 31, für die psychosoziale Betreuung krebskranker Kinder eingestellt wird.
In diesem Jahr haben Elterninitiativen, Kinderkrebsärzte, Betroffene, aber auch Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause vieles geleistet und vieles getan, um nicht nur die bundesdeutsche Offentlichkeit, sondern auch die Fraktionen in diesem Hause wachzurütteln. Über den eklatanten Mißstand in den Kinderkrebsstationen wurde in vielen Medien detailliert berichtet, zuletzt im „stern" vor einer Woche. Es wurden drei Kunstauktionen abgehalten, in Bonn, in Bad Godesberg und zuletzt in Stuttgart, um ganz bescheiden, aber auch ganz konkret weitere Stellen im psychosozialen Bereich zu schaffen. 25 000 DM in Mainz, 20 000 DM in München und bald 25 000 DM in Tübingen, damit schaf13496
fen wir einige halbe Stellen im psychosozialen Bereich.
Wir haben zusammen mit Elterngruppen Verteidigungsminister Wörner um finanzielle Mittel für Stellen gebeten, Mittel, die aus dem Verkauf von ausgesondertem Bundeswehrmaterial hervorgehen sollten. Dies war nicht machbar. So hat uns Herr Minister Wörner Sanitätsmaterial angeboten, das auch benötigt wird. Aber so kann es eigentlich nicht weitergehen - dieser unermüdliche Bittgang zu Behörden, Länder- und Bundesministerien! Die psychosoziale Betreuung dieser Kinder ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Behandlung. Noch heute ist das Defizit an speziell ausgebildetem Personal derartig groß, daß eine ordnungsgemäße Behandlung kaum möglich ist.
Im April dieses Jahres hat der Deutsche Bundestag die Anerkennung der Kinderkrebsstationen als Intensivstationen verweigert und vieles mehr.
({0})
Kann er dieses Verhalten überhaupt noch verantworten angesichts all der Gelder, die er sonst ausgibt?
({1})
Länder, Bund und Kassen streiten weiter. Aber niemand soll mir heute sagen, es handelt sich hier nicht um unsere eigene Zuständigkeit. Niemand soll unseren Föderalismus entschuldigend ins Feld führen oder auf kommunale Kompetenzen verweisen.
({2})
Der Bund muß hier helfen, wie auch Frau Süssmuth heute in einem Brief an den „stern" selber erklärt hat, mit diesem so knapp bemessenen Betrag von 2,1 Millionen DM im Einzelplan 11, der für krebskranke Kinder bestimmt werden soll. Ich glaube, an seinem Umgang mit den Schwächsten erweist sich die Moral eines Staates, Herr Blüm.
({3})
Ein Gemeinwesen, das diesen Namen verdient, läßt derlei Mißstände nicht zu. Es herrschen schlimme materielle und personelle Unzulänglichkeiten in den Hospitälern, während hier ständig von Bruttosozialprodukt, Ertragsrendite und Tornado- und Jäger-90-Kampfflugzeugen gesprochen wird.
Ich lese zum Schluß aus einem Brief des Fördervereins für krebskranke Kinder in Freiburg vor. In diesem Brief steht, daß die Eltern seit fünf Jahren 750 000 DM aufgebracht haben, um Stellen zu finanzieren.
({4})
Wenn dieser Förderverein dieses Jahr kein weiteres Geld erhält, muß er diese Stellen Ende des Jahres kündigen.
({5}) meldet
sich zu einer Zwischenfrage)
Frau Kollegin Kelly, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich habe wenig Zeit.
Ich möchte noch einmal dazu aufrufen, daß dieses Hohe Haus in der Lage sein sollte, bei der Betreuung von krebskranken Kindern einen ganz bescheidenen Betrag von 2,1 Millionen DM fest zu bestimmen, nicht allgemein in den Haushalt aufgehen zu lassen. Wenn das hier nicht möglich ist, dann glaube ich nicht mehr, daß es in diesem Haus überhaupt noch eine Moral gibt.
Danke.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Handlos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vormittag wird wieder eine Menge Schwarzweißmalerei hier in diesem Hause betrieben. Lassen Sie mich vielleicht einleitend ganz kurz etwas zur politischen Kultur in diesem Hause sagen. Es geht nicht, daß man einen Bundesminister als Karnevalisten bezeichnet,
({0})
es geht auch nicht, daß man Abgeordnete in diesem Hause
({1})
- warum sind Sie denn so nervös? - in die Nazi-Nähe rückt, genauso wenig wie es geht, daß ein früherer Bundesminister die Sozialdemokraten als Fünfte Kolonne Moskaus bezeichnet. All das geht nicht, meine Damen und Herren. Das möchte ich hier einmal zur Einleitung sagen.
({2})
Ich möchte kurz Stellung nehmen zu dem Thema § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, zur Frage der Rentensicherung und einer möglichen Roboterabgabe - ich erlaube mir, dies hier anzusprechen - und dann zur Situation der Saisonarbeiter im Hinblick auf das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenversicherung.
Zum § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes kurz folgendes aus meiner Sicht bzw. aus der Sicht der Freiheitlichen Volkspartei.
({3})
Es wird sicher wieder einige geben, die fragen, wer das ist; dann kann ich darauf Antwort geben.
Die Gewerkschaften haben in Deutschland in den letzten Jahren Augenmaß bewiesen; das muß hier einmal festgestellt werden. Daß es wirtschaftlich in der Bundesrepublik Deutschland aufwärts geht, ist sowohl ein Verdienst dieser Bundesregierung Handlos
das muß hier festgestellt werden - als auch ein Verdienst der Gewerkschaften mit ihren mäßigen Lohnforderungen; auch dies muß hier in diesem Zusammenhang gesagt werden.
({4})
Wenn wir uns die Situation in Italien, in Griechenland, in Frankreich oder anderswo betrachten, dann leben wir in der Bundesrepublik Deutschland sozusagen auf einer Insel der Seligen. Das bedeutet, Deutschland hat mit die wenigsten Streiktage aller europäischen Länder, und dies sollte einmal anerkannt werden. Weil das so ist, sollte alles vermieden werden, was den sozialen Frieden und das sozialpolitische Gleichgewicht in der Bundesrepublik Deutschland stört.
Das Bundessozialgericht hat aus ganz berechtigten Erwägungen 1975 die Bundesanstalt für Arbeit zur Mittlerrolle zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und damit zur Neutralität verpflichtet. Dabei soll es auch bleiben. Es muß deshalb beim geltenden Recht bleiben, weil es nicht geht, daß sozusagen kalt ausgesperrte Arbeitnehmer nicht mehr Kurzarbeitergeld erhalten und zu den Sozialämtern gehen müssen. Solch ein Zustand wäre auch deshalb nicht tragbar, weil sich die Gewerkschaften, wie ich noch einmal betone, bei den Lohnforderungen der letzten Jahre mäßigend verhalten haben. Wir wissen alle, daß in der Frage des § 116 AFG bei den obersten Gerichten Verfahren laufen. Man sollte die Urteile der obersten Gerichte abwarten und im Interesse des sozialen Friedens den geltenden Rechtszustand in dieser Frage beibehalten; denn wenn es anders kommt, wird das sozialpolitische Gleichgewicht in größtem Ausmaß gestört, und ich als fraktionsloser Bundestagsabgeordneter kann hierzu jederzeit meine Meinung äußern und bin nicht darauf angewiesen, was nunmehr die Führung dazu sagt oder nicht sagt.
({5})
- Herr Kollege, ich bin durch Zwischenrufe nicht aus der Ruhe zu bringen, und manche Zwischenrufe waren auch schon intelligenter. Das muß ich auch einmal am Rande sagen.
Ich will zu meinem zweiten Sachbeitrag, zu den Saisonarbeitnehmern in verschiedenen Mittelgebirgslagen Deutschlands kommen, die nichts dafür können, daß z. B. jetzt wieder ein sehr früher Wintereinbruch erfolgt ist. Ich selbst komme aus dem ostbayerischen Raum und möchte mich gerade auch für diesen Personenkreis hier einsetzen. Das betrifft aber sämtliche Mittelgebirgslagen Deutschlands.
Durch die sozialliberale Koalition wurde die vor dem 1. Januar 1982 gültige Anwartszeit von 180 Tagen auf 240 Kalendertage für Saisonarbeiter erhöht, bei gleichbleibender Anspruchsdauer von 104 Tagen. Die jetzige Bundesregierung hat - wohlgemerkt - mit Wirkung vom 18. Februar 1983 die Anspruchsdauer von 104 auf 78 Tage verringert und legte ab dem 1. Oktober 1984 fest, daß eine Vorversicherungszeit von 180 Kalendertagen einen Anspruch von 52 Tagen sowie eine Anwartschaft von 240 Tagen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von 78 Tagen begründet. Herr Minister Blüm, gegenüber der Regelung der sozialliberalen Koalition ist gerade im Interesse der Saisonarbeit die Wiederaufnahme der verminderten Anwartschaftszeit von 180 Kalendertagen in die neue Regelung zu begrüßen. Trotzdem ist die damit verbundene Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld völlig unzureichend. Die Saisonarbeiter können nichts dafür, daß es ihnen nicht möglich ist, bei diesen Verhältnissen länger zu arbeiten. Deshalb darf ich noch einmal an die Regierung appellieren, zu erwägen, ob es nicht möglich wäre, wieder die Regelung, wie sie vor dem 1. Januar 1982 galt, in Gang zu setzen.
Da meine Redezeit offensichtlich zu Ende ist, kann ich zu dem letzten Punkt, nämlich zu der Roboterabgabe, nicht mehr Stellung nehmen. Ich werde mir aber erlauben, dies hier bei anderer Gelegenheit zu tun.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte am Beginn meines Beitrages meinen Dank gegenüber den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und gegenüber den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Ausdruck bringen, die es möglich gemacht haben, daß wir heute diesen Haushalt verabschieden können. Ich möchte mich auch für die Debatte heute bedanken. Ich muß gestehen, ich bin ganz gespannt darauf, was ich sage, denn bereits vor einer Stunde hat die Kollegin Fuchs einen vorbereiteten Redetext verbreiten lassen, in dem steht:
Sie sagen nichts zu den Arbeitslosen oder über Massenarbeitslosigkeit. Sie sagen nicht, was Sie tun wollen, um die uns allen vorausgesagte Arbeitslosigkeit abzubauen.
({0})
Weiter heißt es - und darauf bin ich natürlich sehr gespannt -:
Auch heute haben Sie sich mit Platitüden um die Probleme gedrückt.
({1})
Mein Kompliment! Ich bin gespannt.
Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dieser Haushalt, dieser Tag steht unter dem Stichwort „Solidität".
({2})
Ich bin ganz sicher, daß die Bürger Solidität zu schätzen wissen.
({3})
Die Reallöhne steigen. Realität Nummer 1!
Die Arbeitsplätze sind sicherer geworden. Wir haben in diesem Jahr 200 000 Beschäftigte mehr. Realität Nummer 2!
({4})
Das Defizit in der Rentenversicherung ist verschwunden. Realität Nummer 3!
({5})
Die Rentenfinanzen sind sicherer. Realität Nummer 4!
({6})
Die Inflation ist beseitigt und die Schulden sind abgesenkt. Realität Nummer 5!
({7})
Frau Kollegin Fuchs, ich habe hier vor diesem Hause 30 Punkte vorgetragen, die dem DGB im Sinne von Prüfsteinen vorgelegt wurden. Das folgt einer alten Übung, auch in den Gewerkschaften. Dazu ist inzwischen Stellung genommen worden. 19 der Antworten, die der DGB fairerweise veröffentlicht hat, beginnen mit „Wir begrüßen ...". Nur bei vier Antworten gibt es einen diametralen Gegensatz zwischen Bundesregierung und DGB. 26 : 4, das ist ein satter Punktsieg für die Bundesregierung.
({8})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?
Nein. Herr Kollege Ehrenberg, haben Sie Verständnis dafür, daß ich meine Rede im Zusammenhang vortragen möchte.
({0})
- Natürlich muß debattiert und gestritten werden. Das gehört zur Demokratie. Sie können ganz sicher sein: Ich bin überhaupt nicht gekränkt, auch dann nicht, wenn Gewerkschaften Ansprüche erheben. Es gehört zu ihrer Rolle, kritisch zu sein. Wenn allerdings im IG-Metall-Blättchen Norbert Blüm in einer Fotomontage eine Streikpostenkette durchbricht, also seinen Kollegen als Streikbrecher vorgestellt wird, so kann ich nur sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen draußen, ich habe schon Streikposten gestanden, als diese Manipulateure im Kindergarten noch mit Bauklötzchen gespielt haben.
({1})
Herr Bundesminister, ich möchte Sie fragen, ob Sie nur einzelne Zwischenfragenwünsche oder Zwischenfragen generell ablehnen?
Wenn am Ende meiner Rede für Fragen noch Zeit bleibt, möchte ich darauf antworten. Jetzt möchte ich die Fragen beantworten, die in der Debatte gestellt wurden.
({0})
Solidität ist auch das Fundament von Zuversicht. Es ist doch nun unbestreitbar, daß der Pessimismus der Zuversicht Platz gemacht hat. Das halte ich für die wichtigste Wende in unserer Gesellschaft. Das ist auch das Ergebnis von Anstrengungen, und das ist das Ergebnis von Sparsamkeit. Deshalb beginnt diese Politik der Sparsamkeit, der Solidität ihre Früchte zu tragen. Jetzt trägt eine Politik Früchte, die nicht mehr verteilt als erwirtschaftet wurde, jetzt beginnt eine Politik Früchte zu tragen, die nicht mehr verspricht, als sie halten kann.
({1})
Wenn Sie das Kontrastprogramm mit größerer Autorität dargestellt haben wollen, als Sie sie mir zutrauen, dann nenne ich nur einmal das Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1982, am Ende Ihrer Regierungszeit. Dort ist zu lesen - Zitat -:
daß gegenwärtig die Zeichen der Krise die Chancen auf längere Sicht allzusehr verdunkeln.
Im jüngsten Sachverständigengutachten steht:
Der Aufschwung in der Bundesrepublik entfaltet sich auf solider Basis.
Die Sachverständigen 1982:
Die wirtschaftlichen Erwartungen in der Bundesrepublik erscheinen noch schlechter als anderswo in der Welt.
Die Sachverständigen 1985:
Die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum sind besser als anderswo in Europa.
Das ist die Wende. Das ist ein Kontrastprogramm.
({2})
Die Investitionen nehmen zu.
({3})
Der Aufschwung beginnt auch am Arbeitsmarkt anzukommen. Die Wirtschaft ist optimistisch. 83 % aller Betriebe - so ergab die Herbstumfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages - wollen ihren Personalbestand sichern oder ausbauen. Das ist ein wichtiges Signal auf dem Arbeitsmarkt, daß zum erstenmal nach Jahren des Abbaus in der SPD-Zeit nun Beschäftigung wieder zuwächst. Das ist die gute Nachricht für die Arbeitslosen.
({4})
Wir sichern den Sozialstaat. Wir geben in diesem Bundeshaushalt 86 Milliarden DM für soziale Aufgaben aus. 86 Milliarden DM, das ist ein Drittel des gesamten Haushalts. Das sind im übrigen, Frau Kelly, 40 % mehr als der Verteidigungshaushalt. 58,5 Milliarden DM beträgt das Volumen des EinzelBundesminister Dr. Blüm
plans 11 des Arbeits- und Sozialministers. Während der Gesamthaushalt um 1,6 % wächst, wächst der Sozialhaushalt um 3 %. Ihr Sozialabbau-Vorwurf prallt gegen die Wand der Tatsachen, gegen die Wand der Realitäten, sehr konkret.
({5})
Wenn Sie es noch konkreter wissen wollen, Frau Fuchs: 1982 wurden 8 520 DM pro Kopf der Bevölkerung vom Bund an Sozialausgaben finanziert, 1985 pro Kopf der Bevölkerung 9 310 DM. Jetzt rechnen Sie mal. Was ist mehr? Um rund 800 DM geben wir mehr pro Kopf der Bevölkerung aus als im letzten Jahr der Regierungszeit der SPD. Wie können Sie da sagen: Sozialwüste?
({6})
Wenn Sie weniger ausgegeben haben, können Sie uns doch nicht die Schaffung einer „Sozialwüste" vorwerfen.
({7})
Niemals in der Geschichte wurde mehr für soziale Sicherung ausgegeben.
({8})
- Ich halte doch nur fest, daß Sie nicht sagen können, wir würden den Sozialhaushalt zertrümmern, streichen. Wir geben mehr aus, als Sie in dem letzten Jahr Ihrer Regierungszeit ausgegeben haben.
({9})
Lassen Sie mich auch noch ganz konkret - wir bleiben heute ganz konkret -
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?
Nein, ich möchte meine Rede im Zusammenhang zu Ende bringen.
Wir haben diese Verbesserungen, auch für die Rentner - das finde ich die wichtigste Nachricht -, nicht auf Pump, nicht mit Schulden und nicht mit Inflation finanziert.
({0})
Wir haben die Inflationsrate mehr als halbiert, meine Damen und Herren. Das ist unsere Verteilungspolitik, ganz leise, ganz lautlos. Inflation, das ist der permanente Diebstahl an den kleinen Leuten.
({1})
Die Inflationäre sind die Einbrecher bei den kleinen Leuten. Lautlos kassierten Sie ab, und anschließend haben Sie sich großmäulig hingestellt und verteilt, was Sie vorher durch Inflation abkassiert hatten. Das war Ihre Verteilungspolitik.
({2})
3 % weniger Inflation - Sie kriegen es heute, Frau Fuchs, konkreter, als Ihnen lieb ist - machen in einem durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt 1 200 DM mehr Kaufkraft im Jahr aus. Das entspricht drei Monatsmieten. Das macht für den Rentnerhaushalt im Jahr 810 DM aus. Damit wir das nicht so volkswirtschaftlich verklausuliert vortragen: Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten beschlossen, wir zahlen den Rentnern zwei Monatsmieten - 810 DM entsprechen durchschnittlich zwei Monatsmieten -, wir hätten beschlossen, wir finanzieren den Arbeitnehmern drei Monatsmieten - mein Gott, Sie hätten uns in den Himmel der Sozialheiligen gehoben. Nur, wir haben es nicht lauthals gemacht, wir haben es durch Preisstabilität gemacht. Aber im Ergebnis ist das dasselbe.
({3})
Die Sparerschutzgemeinschaft trägt vor, daß durch den stabilen Geldwert den Sparern eine Substanzeinbuße von 80 Milliarden DM erspart bleibt,
({4})
die sie sozusagen hätten zahlen müssen, wenn die Inflation auf dem Stand geblieben wäre, den Sie uns hinterlassen haben. Deshalb: Schluß mit der Inflation heißt eine Politik für die kleinen Leute, heißt eine Politik für die Rentner.
Zur Rentenversicherung: Es ist kritisiert worden, daß wir Rentneraufklärung betreiben. Aus meiner Sicht hängt soziale Sicherheit nicht nur davon ab, wie hoch die Sozialleistungen sind. Soziale Sicherheit hängt auch davon ab, ob die Bürger das Sozialsystem durchschauen. Deshalb, meine ich, ist es unsere Pflicht, aufzuklären, zu informieren. Das ist auch eine Politik gegen Rentnerangst und Rentnerverunsicherung.
({5})
In vier Wochen - wir machen das heute ganz konkret; ich sage es noch einmal - hat das Bundesarbeitsministerium 100 000 Broschüren „Neu im Rentenrecht" auf Anforderung von Rentnern verteilt. In sechs Monaten sind 450 000 Exemplare „Renten im Klartext" auf Anforderung verteilt worden. Sie sehen doch, daß Bedürfnis nach Information besteht. Dem werden wir entsprechen müssen.
Im übrigen: Die 8 Millionen DM für Rentneraufklärung sind besser verwendet als die 6,6 Millionen DM, die die hessische Regierungsumbildung kostet, weil Herr Fischer zum Umweltminister gemacht wird. Die 8 Millionen DM sind viel besser verwendet, dreimal besser.
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Wir werden unsere gute, liebe, alte Rentenversicherung auch gegen Kampagnen der Verunsicherung schützen müssen. Ich hoffe, Sie helfen uns dabei. Da gibt es solche Anzeigen: „Ihre Rente: Nix mehr da, tut uns leid." Das ist eine Annonce, die der „Stern" in Auftrag gegeben hat. Der „Stern" hat ja
unter Fälschern einen guten Namen. Das ist ja bekannt.
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Herr Minister, es besteht wieder der Wunsch nach einer Zwischenfrage, dieses Mal des Abgeordneten Heistermann.
Nein. Ich möchte im Zusammenhang auf die Fragen antworten, die heute morgen in der Debatte gestellt wurden.
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Zur Sache: Unsere Sanierungsmaßnahmen haben der Rentenversicherung, den Rentenkassen 60 Milliarden DM gebracht. Wo wäre denn die Rentenversicherung, wenn wir das nicht gemacht hätten? Ich bewundere immer das Einmaleins der SPD: Erstens werfen Sie uns vor, wir hätten zuviel gespart. Zweitens werfen Sie uns vor, wir hätten die Beiträge erhöht. Drittens werfen Sie uns vor, die Rücklage sei nicht hoch genug. Also, diese Mengenlehre möchte ich einmal beherrschen. Weniger zu sparen und mehr in der Kasse zu haben - das scheint ein Wunder zu sein, das nur die SPD oder der Mathematiklehrer Johannes Rau vollbringt. Der ist j a im Rechnen ganz gut.
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Die Sozialpolitik der SPD läßt sich ja am besten an dem Vierakter verdeutlichen, der uns vorgeführt worden ist. Erster Akt: Herr Rau sagt am 16. Oktober 1985 im „Express": „Ich würde als Kanzler sicherlich alle Kürzungen im Sozialbereich rückgängig machen." Zweiter Akt: Hans-Jochen Vogel erklärt am selben Tag, am 16. Oktober, im Deutschen Bundestag, alles ungeschehen zu machen sei nicht möglich; das habe Johannes Rau aber auch gar nicht behauptet. Dritter Akt: Johannes Rau nimmt zurück, was er nach Herrn Vogel nicht behauptet hat.
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Und vierter Akt: SPD-Fraktionschef Farthmann kritisiert wiederum die Zurücknahme des Rauschen Versprechens. Jetzt frage ich: Hat Johannes Rau gesagt, was er gar nicht gemeint hat, oder hat Hans-Jochen Vogel gemeint, was Rau gesagt haben wollte? Oder fand Friedhelm Fahrtmann gemein, was Hans-Jochen Vogel glaubte nicht gesagt haben zu dürfen?
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- Ich füge dem Zwischenruf der SPD ein dreifaches Helau auf diese Politik hinzu; in der Tat.
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Wir haben in der Rentenversicherung gehandelt. Wir haben die Rentenanpassung aktualisiert. Wir haben damit die Rentenerhöhungen näher an die Lohnerhöhungen gebracht. Früher hinkten sie in einem dreijährigen Abstand nach. Rentner und Arbeitnehmer sind dadurch näher zusammengerückt. Auch das ist ein Schritt, die Generationensolidarität deutlicher zu machen.
Wir haben die Invaliditätsrenten neu geregelt und damit die Rentenversicherung davor geschützt, daß über Schleichwege Ansprüche auf Altersrente erworben werden, auf die nur Pflichtversicherte ein Recht haben. Wir schützen die Arbeitnehmer, wir schützen die Malocher, daß sie von anderen ausgebeutet werden.
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Auch das ist ein Stück Rentenpolitik.
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- Ja, sehr konkret.
Wir haben die Mindestbeitragszeiten für die Altersrente von 15 auf 5 Jahre gesenkt, mit anderen Worten die Anwartschaftsdauer. Man kommt früher in die Altersrente. 1984 erhielten nach Angaben des VDR 36 000 Mitbürger durch diese Maßnahme zum ersten Mal überhaupt Rente. 90% dieser 36 000 Mitbürger waren Frauen. Die durchschnittliche Rente, die sie dadurch erhalten, ist gering. Sie beträgt 225 DM. Das sind nur 225 Mark mehr, als zu SPD-Zeiten. Da haben die nämlich Null bekommen.
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Bei 100 000 Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrentnern konnte die Rente in eine normale Altersrente umgewandelt werden. 100 000 in einem Jahr! Das bedeutet bei der Berufsunfähigkeitsrente im Durchschnitt eine Erhöhung um 80 DM in einem Jahr. Das ist nicht Rentenpolitik der großen Erklärungen, sondern konkrete Rentenpolitik für 100 000 Rentner, die bisher eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten hatten. Sie erhalten jetzt eine ordentliche Altersrente.
Frau Fuchs, Sie haben hier erzählt, wir hätten das Weihnachtsgeld sozialversicherungspflichtig gemacht. Na, der Bundestag ist nun wirklich nicht dazu da, Nachhilfe zu geben. Die Bezieher kleiner Einkommen - zählen die Kleinen bei Ihnen nicht? - haben fürs Weihnachtsgeld immer Beitrag zahlen müssen.
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Nur ein Teil der Höherverdienenden konnte sich mit geschickter Wahl von Zahlungsterminen um den Beitrag drücken. Es ist doch im Sinn von Gerechtigkeit und Solidarität, daß wir das WeihnachtsBundesminister Dr. Blüm
geld nicht nur bei den Kleinen sozialversicherungspflichtig machen.
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Wir haben die Hinterbliebenenrentenreform, die Sie sieben Jahre im Eisschrank liegen ließen, durchgeführt. Wir können die Debatte ja noch mal führen. Nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Deutschen Angestelltengewerkschaft ist diese unsere Hinterbliebenenreform arbeitnehmerfreundlicher als Ihr Teilhabemodell. Nach Ansicht des Deutschen Frauenrats ist unser Hinterbliebenenrentenmodell frauenfreundlicher als Ihr Teilhabemodell. So ist es halt.
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Und ganz ins Staunen bin ich gekommen, daß Sie uns vorwerfen, daß Babyjahre und Kindererziehungsjahre nicht früher angerechnet wurden. Da hört's natürlich ganz auf. Waren Sie denn 13 Jahre in Grönland und sind heute erst zurückgekommen? Sie haben doch 13 Jahre die Mehrheit gehabt, nicht nur 1972, nein, auch 1969, 1970, 1973, 1974, 1975, 1976, 1977, 1979, 1980, 1981, 1982. 13 Jahre haben Sie die Mehrheit gehabt. 13mal haben Sie die Chance gehabt, Kindererziehungszeiten einzuführen. Wir führen Sie ein.
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Wir haben die Rentenversicherung konsolidiert, und zwar auch nach Meinung der Rentenversicherungsträger. Herr Doetsch ist schon zitiert worden. Ich zitiere Herrn Quartier. Beide bestätigen, daß mehr Beiträge eingehen, als wir selber geschätzt haben. Die Lage ist besser als die Prognose. Das ist ganz wichtig. Bei Ihnen waren meist die Prognosen besser. Mir ist es lieber, die Lage ist besser. Denn Beiträge werden nicht von der Prognose bezahlt. Beitrag wird von der Lage bezahlt.
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Die Lage ist, daß wir mehr Beschäftigte haben. 200 000 mehr Beschäftigte bedeuten mehr Einnahmen für die Rentenversicherung, und zwar ohne Beitragserhöhung. Das ist unser Weg: mehr Beschäftigung, Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, nicht nur für die Arbeitslosen, sondern auch zur Sicherung der Renten.
Und, meine Damen und Herren: Es bleibt die Aufgabe der Strukturreform. Es macht aber doch einen Unterschied, ob man diese Strukturreform angehen muß, wenn dauernd Einsturzgefahr herrscht - man kann ein Haus nicht renovieren, wenn die Brocken dauernd durch die Gegend fliegen, sondern man muß abstützen -, oder ob man das unter günstigeren Umständen tun kann. Wir haben die Voraussetzungen geschaffen, daß eine solche Strukturreform mit Besonnenheit und ohne Hektik angegangen werden kann. Dazu sind alle eingeladen. Eine Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften und der Bundesregierung arbeitet bereits an einem solchen Konzept. Sie, die Opposition, sind herzlich eingeladen mitzuarbeiten. Ich glaube auch, daß die Chancen des Konsens dann größer sind.
Allerdings weiß ich nicht, was die Grundrente den kleinen Leuten helfen soll. Der Arbeitnehmer, der 40 Jahre Beitrag gezahlt hat, hat heute eine höhere Rente, als Sie ihm mit Ihrer Grundrente versprechen. Dem müßten Sie die Rente kürzen, wenn Sie auf Grundrente gehen.
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Ich hoffe, das ist der Konsens einer breiten Mehrheit hier im Hause.
Ich bleibe dabei: Unsere Rente muß beitragsbezogen bleiben.
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Rente hat nichts mit Fürsorge zu tun, sie ist überhaupt kein Geschenk, auch von der Bundesregierung wird da nichts zugeteilt. Die Rente haben sich unsere älteren Mitbürger durch eine lebenslange Arbeitsleistung und Beitragszahlung sauer verdient.
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Lassen Sie mich kurz etwas zur Arbeitslosenversicherung sagen: 14,3 Milliarden DM Defizit standen ins Haus. Hätten Sie geglaubt, daß wir drei Jahre später über die Verwendung von Überschüssen diskutieren können? Meine Damen und Herren, wir haben kürzen müssen. Aber auch das will ich einmal festhalten: Die Verbesserungen der Leistungen des Arbeitsförderungsgesetzes übertreffen die Einsparungen im Arbeitsförderungsgesetz. Ich finde, das sollten Sie auch einmal weitersagen. Natürlich haben wir gespart, nicht aus Jux und Dollerei, sondern weil Schulden im Hause waren. Aber wir haben weniger gespart als durch gezielte Maßnahmen geholfen. Die Kürzungen machen, auf das Jahr bezogen, bei der Bundesanstalt 1,5 Milliarden DM aus, die Verbesserungen aber 2,9 Milliarden. Unsere Reihenfolge ist: erst sparen und dann verbessern. Sie haben immer erst verbessert und anschließend gekürzt.
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Das ist die Vorfahrtsregel der SPD gewesen. Bei uns heißt es: erst sparen und dann verbessern.
In der Tat: Wir verbessern dort, wo Hilfe am meisten gebraucht wird: bei den Dauerarbeitslosen, bei den älteren Arbeitnehmern, und das macht auch Sinn. Denn das sind jene Kolleginnen und Kollegen, die am längsten Beitrag gezahlt haben. Deshalb sollten sie auch am längsten Arbeitslosengeld erhalten.
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Das ist eine Politik nicht von Blaupausen her, sondern von Lebensschicksalen her. Die Lebensschicksale müssen die Sozialpolitik bewegen, nicht aber irgendwelche grauen Theorien.
Wir beschreiten auch neue Wege. Wir werden in der nächsten Woche Gelegenheit haben, über die Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz zu sprechen. Deshalb nur ein paar kurze Andeutungen: Wir wollen einerseits denen helfen, die dauerarbeitslos sind, den Langzeitarbeitslosen, andererseits aber auch eine große Offensive der Qualifizierung starten. Ich teile die Ansicht, daß die Hauptaufgabe der
Qualifizierung in den Betrieben erfüllt werden muß. Aber auch die Bundesanstalt muß helfen. Das duale System „Lernen durch Mitarbeit" darf nicht auf die Lehrlingsausbildung beschränkt sein. Am Arbeitsplatz müssen die Arbeitnehmer in die Lage versetzt werden, der Entwicklung standzuhalten, Herr der Entwicklung zu bleiben. Deshalb flankieren wir das auch durch Geld der Bundesanstalt. Daß manche schlecht oder falsch qualifiziert sind, mag auch daran liegen, daß Sie in Ihre sozialdemokratische Bildungspolitik über Jahre den Universitäts-Spleen eingebaut und die handwerkliche Ausbildung, an der es uns heute mangelt, geringgeachtet haben.
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- Ich spiele doch gar nicht den einen gegen den anderen aus. Ich sage nur: Der 16jährige Lehrling ist nicht mehr und nicht weniger wert als der 16jährige Gymnasiast. Das ist meine Vorstellung von Chancengleichheit.
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Derjenige, der sich in einem handwerklichen Beruf bildet, ist genausoviel wert wie der, der die Welt mit der Theorie durchdringt. Auch das gehört zur Chancengleichheit, wie ich sie sehe. Wir haben nichts davon, wenn alle die Einsteinsche Relativitätstheorie erklären können, aber niemand mehr einen Nagel in die Wand schlagen kann.
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Auch das ist doch Aufgabe einer lebensnahen beruflichen Bildungspolitik.
Ich füge hinzu, Modernisierung der Wirtschaft heißt nicht nur, die Maschinen zu erneuern, sondern heißt auch, die Menschen zu qualifizieren. Eine Politik wie die unsere beginnt bei den Menschen. Die Qualifizierung der Arbeitnehmer ist mindestens so viel wert wie ein milliardenschweres Investitionsprogramm in Sachgütern. Was sind teure, wertvolle Maschinen ohne qualifizierte Arbeitnehmer? Das ist ein Fußball ohne Fußballspieler. Wir brauchen eine Erneuerung der Wirtschaft durch Modernisierung des Maschinenparks und durch Qualifizierung der Arbeitnehmer.
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Im übrigen sehe ich den Vorruhestand nicht so wie Sie. Was heißt hier Ende? Den Wettbewerb mit der 35-Stunden-Woche hält er immer aus, kann ich nur sagen. Denn in der Tat, meine Damen und Herren, bei der Bundesanstalt für Arbeit werden nur die wiederbesetzten Vorruhestandsplätze registriert. Die 20 000 Bauarbeiter, die in den Vorruhestand gehen, ohne daß ihre Arbeitsplätze wiederbesetzt werden, genießen auch den Vorruhestand. Hätten sie diese Möglichkeit nicht, wäre unsere Arbeitslosenzahl um 20 000 höher. Auch das ist ein Erfolg. Viele Tarifverträge laufen ja jetzt erst an. Ich sehe den Kollegen Rappe. Ich hoffe, daß in seinem Chemiebereich jetzt ab Herbst der Vorruhestand ins Laufen kommt. Im Textilbereich gab es große Ankündigungsfristen. Wir haben nie auf eine Politik gesetzt, die von heute auf morgen Wunderwerke vollbringt. Aber einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat auch diese Maßnahme gebracht.
Zur Gesundheitspolitik wenige Sätze. Ich teile die Ansicht, die auch heute hier schon vorgetragen wurde. Wir müssen sozusagen den Irrglauben beseitigen, je teurer, um so besser. Medizinischer Fortschritt kann doch nicht nur bedeuten, daß alles teurer wird. Medizinischer Fortschritt muß doch auch bedeuten, daß die Leute gesund bleiben, daß sie schneller wieder gesund werden.
Also muß im medizinischen Fortschritt nicht nur Kostenausweitung liegen, darin muß doch auch liegen, daß das System nicht dauernd teurer wird. Wir müssen bei all dem im Interesse der Beitragszahler handeln. Das sind die Arbeitnehmer. Die Versicherten sind nämlich nicht nur Patienten, sie sind auch Beitragszahler. Man darf das eine nicht gegen das andere ausspielen. Wenn wir für Beitragsstabilität sind und deshalb auch für eine Reform des Gesundheitssystems eintreten, machen wir eine Politik für die Versicherten, für die Arbeitnehmer.
Meine Damen und Herren, nicht alles kann auf Krankenschein bezahlt werden, was gesundheitspolitisch denkbar wäre, auch wiederum im Interesse der Arbeitnehmer. Wenn der gehobene Anspruch des Nachbarn auf eine Zahnprothese mit allem Schnick-Schnack auf Krankenschein bezahlt wird, dann bezahlt der Arbeitnehmer mit seinem bescheidenen Beitrag den gehobenen Anspruch des Nachbarn mit. Jeder soll das erhalten, was notwendig ist. Wer krank ist, muß ohne Rücksicht auf die Kosten geheilt werden. Es gibt keine Reform auf Kosten der Gesundheit, das darf es nicht geben. Aber ich bestreite die These: Je mehr Geld, um so mehr Gesundheit.
Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, daß der Bundesgesetzgeber zwei Jahre im Wartestand gewesen wäre. Wir haben ein Krankenhausfinanzierungsgesetz durchgesetzt, in dem mehr Chance für Wirtschaftlichkeit eingebaut ist. Nicht nur ein Erstattungsprinzip begleitet die Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern. Es wird nicht einfach abgerechnet, sondern jetzt kann verhandelt werden über die Selbstkosten, die in Zuzkunft entstehen. Die sind damit gestaltbar, Pflegesätze mit mehr Einfallsreichtum. Meine Damen und Herren, ich habe hier eine Aktuelle Stunde erlebt, wo die SPD - Sie, Frau Fuchs -, behauptet haben: Konzertierte Aktion ein großer Scherbenhaufen. Ich würde sagen, alle Tassen sind im Schrank. Die Ärzte und die Krankenkassen haben einen Vertrag geschlossen, vor dem ich meinen Hut ziehe.
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Denn zum erstenmal ist nicht nur über Honorare gesprochen worden, sondern auch über die Menge. Wir haben zum erstenmal eine Preisvergleichsliste auf den Weg gebracht - danach hätten Sie sich die Finger geleckt -, um auf diese Weise überhaupt die Chance für Wettbewerb, die Chance für Selbstverantwortung zu schaffen.
Ich begrüße auch den Appell der Pharmaindustrie, Preisdisziplin zu halten. Sie kann die Kuh nicht schlachten. Dieses Gesundheitssystem ist keine Kuh zum Melken.
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- Ja, wir sind jedenfalls mit Appellen weitergekommen als Sie mit Ihren bürokratischen Regelungen. Der Lehrstellenrekord war das Ergebnis von Appellen und nicht von Regelungen.
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Nun zum Bereich „Zahnärzte und Krankenkassen": Auch da kommt es zu einer Neubewertung, nämlich zu einer Abwertung beim Zahnersatz und zu einer Höherbewertung der Zahnkonservierung. Das alles ist gesundheitspolitisch erwünscht und kostensparend.
Zum Krawall der Zahnärzte im Rahmenprogramm der letzten konzertierten Aktion: Nun, ich denke, das kann nicht das letzte Wort der Zahnärzte sein. Sie können sich nicht aus dem vernünftigen Dialog entfernen. Im übrigen hat mich Krawall noch nie beeindruckt. Lautstärke sagt nichts über Argumentationsstärke. Wir machen eine Politik des Dialogs, wir machen eine Politik des Austauschs von Argumenten. Wir machen nicht eine rechthaberische Politik, sondern eine Politik, zu der alle eingeladen sind.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu dem wichtigen Thema des Konsenses in der Politik und zum Gemeinwohl noch einige wenige Bemerkungen machen.
({25})
Meine Damen und Herren, zu der Wende, wie ich sie verstehe, gehört, daß sich die Gesellschaft nicht auf Inseln von Gruppenegoismus zurückzieht, sondern daß alle Gruppeninteressen in dem Zwang stehen, sich vor dem Gemeinwohl zu rechtfertigen.
({26})
Zur Partnerschaft, wie wir sie wollen, gehört das Gleichgewicht der Kräfte, gehört die Machtbalance, gehört die Machtverteilung. In diesem Sinne gehört die Tarifautonomie zu den Grundbestandteilen einer freien Gesellschaft,
({27})
und zu den elementaren Fundamenten dieser Tarifautonomie gehört die Neutralität des Staates. Das liegt im Interesse auch der Tarifpartner. Der Staat hat den Tarifpartnern einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich eigener Zuständigkeit zu gewähren. Würde er die Neutralität verletzen, würde er in die Tarifautonomie eingreifen.
Deshalb kann das, was hier diskutiert wurde, gar nicht bedeuten, daß wir irgend etwas Neues wollten, daß wir die Gewichte zugunsten der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften, oder zugunsten der Arbeitgeber verschieben wollten. Zur Tarifautonomie gehört Neutralität des Staates!
Wenn es hier Streit und Zweifel gegeben hat, kann es nur sinnvoll sein, klarzustellen, was der Gesetzgeber immer wollte und was er gar nicht anders wollen konnte: daß er mit seinen Mitteln, auch mit den Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit, nicht den Arbeitskampf beeinflussen kann.
({28})
In diesem Sinne sehe ich mit großen Erwartungen den Gesprächen der Tarifpartner mit der Bundesregierung entgegen.
({29})
Es geht um eine gemeinsame Lösung, und zwar nicht deshalb, weil wir uns um Entscheidungen drücken wollten, sondern deshalb, weil diese Grenze zwischen Zahlung und Nichtzahlung einvernehmlich gesucht werden sollte. Dieser Versuch muß der Anstrengung wert sein, damit eine solche Grenze nicht durch die anschließende Benutzung von Schlupflöchern unterlaufen werden kann, damit nicht Mißverständnisse und Mißtrauen eintreten. Konsens ist ein ganz wertvolles Gut in unserer Gesellschaft!
({30})
Partnerschaft gehört zu unseren ordnungspolitischen Vorstellungen. Wir haben den Wiederaufbau nicht mit Klassenkampf, sondern mit Partnerschaft geschafft.
({31})
Das Gemeinwohl ist besser in den Händen derer, die partnerschaftlich denken, aufgehoben als in den Klauen der Klassenkämpfer.
({32})
Ich appelliere keineswegs nur an die Gewerkschaften. Ich appelliere an Arbeitgeber, an Gewerkschaften und an uns selber
({33})
sich dieser Anstrengung, partnerschaftlich eine gemeinsame Lösung zu finden, nicht zu entziehen. Denn Partnerschaft ist nicht nur etwas für Sonnen-tage, Partnerschaft muß sich gerade in der Lösung schwieriger Probleme beweisen.
({34})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rappe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, daß meine Kollegin Fuchs recht hatte, ist ja fast bedauerlich, und ich will Ihnen auch sagen: Ein bißchen mehr Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit Argumenten
({0}) wäre dem Stil des Hauses doch wohl angepaßt.
Ich will Ihnen auch ganz ehrlich sagen: Bei dieser Rede beschleicht mich etwas Grauen, ob denn die Bedingungen und die politischen Interessen der
Rappe ({1})
weiten Schichten der Bevölkerung, die Ihrem Hause anvertraut sind, in guten Händen sind. .
({2})
Herr Minister, Sie haben an die Zeit Ihrer Tätigkeit bei Opel erinnert. Ich wollte Ihnen gern zu drei Punkten etwas sagen, wobei ich hoffe, daß das in bezug auf Ihre Erinnerungen auf fruchtbaren Boden fällt.
Der erste Punkt betrifft Ihre Absicht, unter Umständen dem Parlament und damit den Gewerkschaften, den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern ein Betriebsverfassungsgesetz mit einem überzüchteten Minderheitenschutz zu servieren. Sie werden aus Ihrer Erfahrung wissen, daß das nicht gutgehen kann.
({3})
Zweitens möchte ich an den kurzen Exkurs in Ihrer Rede zum Beschäftigungsförderungsgesetz erinnern. Ich möchte Ihnen sagen: Was mich dabei mit großen Sorgen umtreibt, ist, daß es nun einen Teil der Beschäftigten gibt, die nicht dem vollen Kündigungsschutz und der Sicherheit unterliegen. Wir kommen zu einer geteilten Belegschaft. Sie müßten aus Ihrer Erfahrung wissen: Wenn es diese volle Sicherheit nicht gibt, geht dieser geschwächte Arbeitnehmer geduckt durch den Betrieb. Sie nehmen diesen Arbeitnehmern das Rückgrat.
({4})
Der dritte Punkt, dem ich mich im Rahmen der Zeit, die mir zur Verfügung steht, etwas näher zuwenden möchte, betrifft § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes. Dies höhlt nach unserer Auffassung die Streikfähigkeit der Gewerkschaften aus. Darüber muß in Ruhe und Sachlichkeit geredet werden. Darum will ich mich mit ein paar Überlegungen bemühen.
Zunächst möchte ich Sie bitten, nicht dem Irrtum zu unterliegen, Nuancen in den Gewerkschaften über die Form der Auseinandersetzung könnten einen Zweifel daran aufkommen lassen, daß alle Gewerkschaften in der Sache geschlossen einer Meinung sind und diese Gesetzesänderung verhindern wollen.
({5})
Meine Aufforderung an Sie lautet, sich nicht von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände und von Teilen der FDP und Ihrer eigenen Partei in diese Richtung treiben zu lassen, die dazu führen müßte, daß die von uns allen gewünschte weitere Fähigkeit zur Konsensarbeit unter den Partnern unmöglich wird.
Mich bewegt im übrigen immer wieder die Frage, warum die FDP so sehr auf eine Gesetzesänderung drängt. Mein Eindruck ist, daß die FDP glaubt, am rechten Ufer der Union mit einer besonderen Profilierung in dieser Auseinandersetzung Stimmen sammeln zu können.
({6})
Den Vertretern der FDP möchte ich sagen: Wer Sie um das Linsengericht von 1% Stimmenzuwaci wirklich den Konsens in dieser Republik in Gefahr bringen wollen, dann brechen Sie sämtliche Brükken hinter sich ab. Es gibt ein Bündel von Zitaten von Naumann, Heuss, Flach, Haußmann - damals Justizminister in Baden-Württemberg - und vielen anderen mehr zur Arbeitsfähigkeit freier Gewerkschaften, zur freien Tarifvertragsgestaltung und zum Streikrecht.
({7})
Ich frage Sie, wie das zu der Gesetzeskeule paßt, die Sie in fast jeder Präsidiumssitzung in Richtung Bundesregierung schwingen.
({8})
Nun, meine Damen und Herren, eine zweite Überlegung. Ich bitte Sie, Herr Minister, und alle, die damit im Kabinett zu tun haben, doch die Frage zu überlegen, was denn eigentlich vor 1969 für ein Tatbestand in dieser Republik war, ehe in der Großen Koalition Hans Katzer diese Gesetzesvorlage gemacht hat. Das ist doch nicht vom Himmel gefallen. Damals ging es jahrelang - denn auch seinerzeit ist j a gestreikt worden - um mittelbare Auswirkungen. Diese mittelbaren Auswirkungen mußte bis zur Arbeitsförderungsgesetzgebung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch der Arbeitgeber tragen,
({9})
der in Annahmeverzug bei mittelbarer Streikauswirkung geriet.
({10})
Wir haben wegen der entwürdigenden Auseinandersetzung für Arbeitnehmer und zum Teil für Arbeitgeber, die damit in eine ganz schwierige betriebswirtschaftliche Situation kamen, diese Frage im Arbeitsförderungsgesetz geklärt.
Meine Sorge ist, daß über diese Sache geredet wird, ohne zu wissen, wohin das wieder zurückgehen soll. Wenn schon von Ihnen immer wieder das böse Wort benutzt wird, es ginge uns um eine Ersatzstreikkasse, was uns ja wohl gegenüber unseren eigenen Mitgliedern oder anderen Arbeitnehmern oder anderen in der Bevölkerung diffamieren soll, dann wage ich doch zu sagen: Überlegen Sie mal, um welche Kasse es denn eigentlich ging! Es ging um beide Seiten. Die Neutralitätsanordnung von 1973 ist die Ausfüllung des Gesetzesparagraphen.
({11})
Und lesen muß man die, was da für ein schmales Feld übrigbleibt!
Ein Letztes zu diesem Punkt. Sie sagen, es hinge mit der Streiktaktik des Jahres 1984 zusammen. Selbst wenn das so wäre, wäre ja noch die Frage, ob es richtig ist, durch eine Streiktaktik eines Jahres
Rappe ({12})
einen 35jährigen Konsens in Gefahr zu bringen; das ist noch eine andere Frage.
({13})
Aber ich will Sie auf einen anderen Punkt lenken. Wenn es richtig ist, daß von beiden Parteien bei einem Streik sowohl durch Streik wie durch Aussperrungsmaßnahmen der Unternehmer, möglichst der kleinste wirtschaftliche Schaden erreicht werden soll, dann ist doch wohl die Methode, mit kleineren Einheiten zu beginnen, volkswirtschaftlich richtig, oder Ihre Diskussion und Ihre Beiträge über volkswirtschaftlichen Schaden bei Streiks stimmt auf der anderen Seite nicht.
({14})
Dies sind doch Punkte, die hintereinander gebracht werden müssen.
({15})
- Nein, es geht um die Frage, ob eine solche Streiktaktik u. a. auch volkswirtschaftlich richtig ist, und dann muß die Frage diskutiert werden, ob die Neutralitätsanordnung der Bundesanstalt unter Abwägung aller Aspekte dennoch richtig ist.
Meine Damen und Herren, ich finde, hier kann auf alle Fälle noch allerhand drin sein, wenn Sie, Herr Minister, die Gesetzeskeule, wie ich sagen will, vom Tisch nehmen.
Ich habe dabei noch eine Überlegung. Solange Sie diese Keule auf dem Tisch lassen - übrigens, Demokraten verhandeln eigentlich so nicht miteinander;
({16})
natürlich ist das die finsterste Androhung, die man sich denken kann, an die Adresse freier Gewerkschaften -, werden Sie die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, die glaubt, in dieser Situation das Eisen schmieden zu können, zu vernünftigen Verhandlungen nicht bekommen, weil sie hofft, sie kriegt doch die Endvorstellung einer Gesetzesmöglichkeit als prinzipielle Veränderung.
({17})
Nehmen Sie also die Gesetzesregelung zu irgendeinem Zeitpunkt - am besten heute - vom Tisch.
({18})
Dann muß über das verhandelt werden, um was es geht, und wenn es da Punkte gibt, dann ja; aber doch nicht unter dem Gesichtspunkt, daß Sie mit der Keule des Gesetzes zuschlagen wollen. Meine Damen und Herren, es sind noch Möglichkeiten drin, aber das wird schwierig bleiben, wenn es um die Auseinandersetzung um Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes geht.
An die Adresse der Union möchte ich appellieren, ihre eigene Geschichte unter ihrem Arbeitsminister Hans Katzer nicht kaputtzumachen.
({19})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der Kollege Rappe hat hier über einen Gesetzesvorschlag spekuliert, der in seiner Formulierung überhaupt noch nicht da ist.
({0})
Insofern paßt das schon ein bißchen in die Art von Hellseherei, die an vielen Stellen von der SPD zu betreiben versucht worden ist.
({1})
Herr Rappe hat uns unterstellt, wir wollten die Streikfähigkeit aushöhlen. Damit muß man sich ernsthaft auseinandersetzen. Herr Vogel, Ihr Fraktionsvorsitzender, hat uns gar vorgeworfen, wir wollten die Gewerkschaften kampfunfähig machen.
({2})
Dies paßt allerdings in die Kategorie dessen, womit man sich eigentlich nicht mehr auseinandersetzen muß, denn darauf trifft zu, was Herr Breit in einem Brief an alle Abgeordneten des Bundestages ausgeführt hat. Ich zitiere:
Die öffentliche Auseinandersetzung um die Pläne von Teilen der Regierungskoalition zur Änderung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz leidet unter der unzulässigen Verkürzung dieses komplexen Problems.
({3})
Insofern kann man alle einmal auffordern, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, und ich würde Sie darum bitten.
Ich würde Sie auch darum bitten - ich sage das noch einmal -, meine Kollegen von der SPD, die Sie so stolz darauf sind, einen so großen Einfluß auf die Gewerkschaften zu haben: Ich hätte es begrüßt, wenn Sie sich an dieser Stelle von dem Extrablatt der IG Metall distanziert hätten.
({4})
Ich habe den ganzen Morgen hier gesessen, aber ich habe keinen Ton dazu gehört. Ich finde es unerträglich, das muß ich Ihnen wirklich sagen.
({5})
Ich kenne sehr viele aus meiner eigenen Partei, aus meiner eigenen Fraktion, die die Sozialdemokraten gegen Anwürfe, sie seien das fünfte Rad Moskaus, immer in Schutz genommen haben. Ich habe von Ihnen noch kein Wort dagegen gehört, daß Sie das hier im Plenum in gleicher Weise mit der Regierung, die jetzt angegriffen worden ist, getan hätten.
({6})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rappe?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Frau Kollegin Adam-Schwaetzer, sind Sie nicht auch der Meinung, daß, wenn - wie in diesem Fall - der Hauptvorstand der IG Metall sich davon distanziert hat, unter Ehrenleuten die Sache vorbei ist?
Herr Kollege Rappe, die Distanzierung, die ich dazu gehört habe - mit Ausnahme des Beitrags von Herrn Janssen gestern abend; das sage ich ausdrücklich -, aber das, was ich im übrigen dazu gehört habe, war sogar noch eine Art Rechtfertigung, dieses Photo zu bringen, und zwar unter dem Stichwort, es handele sich hier um ein dokumentarisches Photo.
({0})
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten stehen zu den Grundlagen, die 1969 im Ausschußbericht für das damals fertiggestellte Arbeitsförderungsgesetz formuliert worden sind. Ich möchte das noch einmal zitieren, weil es, denke ich, ganz wichtig für die Grundlage ist, auf der wir uns bewegen. Ich zitiere:
Arbeitnehmer, die durch mittelbare Auswirkungen eines Streiks arbeitslos geworden sind, sollen in Zukunft im allgemeinen Arbeitslosengeld erhalten. Mit Rücksicht auf die Neutralitätspflicht soll das jedoch in zwei Fällen nicht gelten. Wenn der Arbeitskampf auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers abzielt, muß dieser sowohl nach einer natürlichen Betrachtungsweise als auch im wirtschaftlichen Sinne als beteiligt angesehen werden. Die Gewährung von Arbeitslosengeld würde in solchen Fällen Schwerpunktstreiks fördern und wäre daher nicht streikneutral.
Zu den Grundlagen von damals ist allerdings etwas neu hinzugekommen. Das ist die Streiktaktik, die von der IG Metall im vergangenen Jahr angewandt worden ist. Diese Streiktaktik, auch bekannt unter dem Stichwort „Minimax-Taktik", funktioniert ungefähr wie folgt. Man beginnt in dem umkämpften Tarifgebiet mit einem Streik mit relativ wenig Arbeitnehmern, aber man bestreikt einen Betrieb, der Zulieferer für einen wesentlich größeren Betrieb in einem anderen Tarifgebiet ist, in dem bisher Arbeitskampf nicht angesagt ist. Dort muß kurzgearbeitet oder die Produktion ganz eingestellt werden, was bedeutet: Viele Arbeitnehmer verlieren ihre Arbeit oder zumindest einen Teil ihrer Arbeit.
In einem solchen Fall haben zwei Gerichte im vergangenen Jahr entschieden, daß Gewährung von Kurzarbeitergeld gestattet sein soll bzw. sein muß. Ich frage aber, ob die Arbeitnehmer in diesem Tarifgebiet - noch dazu in der gleichen Branche wie der, in der gestreikt wird -, in dem ähnliche bzw. fast gleichlautende Forderungen von der IG Metall gestellt worden sind, nicht ebenfalls als betroffen betrachtet werden müssen. Es geht nur darum, daß auch in solchen Fällen, wo Arbeitnehmer als betroffen gelten müssen, die Neutralität der Bundesanstalt hergestellt werden kann. Es ist richtig: Sowohl die Nichtgewährung als auch die Gewährung von Kurzarbeitergeld kann den Streik beeinflussen. Es handelt sich um eine Gratwanderung, die zugegebenermaßen sehr, sehr schwer ist.
Bei Nichtgewährung entsteht ein Druck auf die Arbeitnehmer in dem Tarifgebiet, wo bisher nicht gestreikt wird. Es würde ein Vorteil der Arbeitgeber entstehen. Bei Gewährung allerdings wird der wirtschaftliche Schaden der Unternehmen sehr groß, weil die Gewerkschaften den Streik sehr lange durchhalten können. Denn sie stehen nicht unter dem Druck der Arbeitnehmer, weil diese von der Bundesanstalt für Arbeit Geld bekommen.
({1})
Das, meine Damen und Herren, sind die Möglichkeiten der neuen Streiktaktik. Nur darauf begründet sich die Sorge der Freien Demokraten vor dem, was uns in einem möglichen zukünftigen Streik bevorstehen könnte. Ich denke, es ist besser, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen, nach dem Motto: Wehret den Anfängen!
Überhaupt kein Verständnis habe ich allerdings dafür, daß der Druck der Gewerkschaften - der legitim ist - mit Methoden ausgeübt wird, die einer Konsensfindung nicht angemessen sind.
({2})
Wir wollen Streikrecht und Tarifautonomie in jedem Fall in der Zukunft schützen. Aber dazu gehört es, sich darüber zu unterhalten.
Noch ein Wort zu vielen Reden der Sozialdemokraten hier. Sie haben immer wieder den Konsens beschworen. Sie haben den sozialen Frieden beschworen. Aber ich frage mich, meine Damen und Herren, ob Sie es damit wirklich ernst meinen. Denn Sie teilen ein. Sie teilen die Menschheit in der Bundesrepublik in gut und böse ein, in oben und unten. Gut sind die, die unten sind, und böse sind die, die oben sind. Das allerdings ist eine Klassenkampfmentalität, die aus dem letzten Jahrhundert kommt. Es ist eine Ausgrenzung, die in einer pluralistischen Gesellschaft eigentlich nicht mehr vorkommen sollte.
({3})
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, hat Frau Fuchs heute morgen mit Ihrem Beitrag, der die Leistung diffamieren sollte, einmal mehr vorgeführt, wie schlecht sie die Realitäten in der Bundesrepublik Deutschland kennt. Frau Fuchs, ist es denn nicht Realität, daß es bei uns Menschen gibt, die ihre Arbeit als einen Job betrachten, für den sie gerade das Minimum dessen tun, was unbedingt erforderlich ist? Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die zielstrebig, beständig arbeiten und mitzuFrau Dr. Adam-Schwaetzer
denken versuchen. Dies allerdings ist ein Unterschied, den jeder Arbeitnehmer für sich selber erkennen kann; er kann entscheiden.
({4})
Das ist ein Leistungsbegriff, von dem ich meine, daß auch Sie gut daran täten, ihn wieder zu akzeptieren.
({5})
Darüber hinaus - das ist allerdings in diesem Zusammenhang sehr wichtig - gibt es Menschen
({6}) - hören Sie erst einmal zu, Frau Traupe -,
({7})
die keine Leistung erbringen können. Die allerdings sind auf unsere Solidarität angewiesen.
({8})
Diese Solidarität kann aber nur erbracht werden, wenn es genügend Menschen gibt, die die Chance haben, Leistung zu erbringen. Daß wir eine solche Politik verfolgen, will ich nur an einem Beispiel deutlich machen. Wir haben die Sozialhilfesätze in diesem Jahr um 8 % erhöht,
({9})
weil wir wieder finanziellen Spielraum hatten, weil dafür insgesamt die Möglichkeiten gegeben sind; aber diese Möglichkeiten haben wir erst durch die Konsolidierungspolitik geschaffen, die maßgeblich von uns mitbestimmt worden ist.
({10})
Das ist eine Politik der sozialen Solidarität aller in unserer Gesellschaft, wo keiner ausgegrenzt wird, weder der, der Leistung erbringt, noch der, der keine Leistung erbringen kann.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.
Waltemathe ({0}) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich mich mit dem politischen Inhalt des Haushalts des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit befasse, möchte ich eine klare Feststellung vorweg machen. Die jetzt amtierende Ministerin hat den Haushaltsentwurf der Bundesregierung nicht selbst gestaltet, sie hat ihn praktisch nicht selbst beeinflussen können. Das müssen wir fairerweise vorweg feststellen.
Deshalb wende ich mich zunächst an Sie persönlich, Frau Bundesminister Professor Süssmuth. Sie können sich darauf verlassen, daß wir eine faire Opposition sind. Wir werden nicht nur beachten, daß die ersten hundert Tage nach Amtsübernahme selbstverständlich als Einarbeitungszeit gelten, sondern darüber hinaus wollen wir Sie auch nicht persönlich für das verantwortlich machen, was Sie vorgefunden haben.
({1})
Denn wenn es ein Kabinettsmitglied dieser Bundesregierung gibt, das berechtigt wäre, von einer schweren Erblast zu sprechen, dann sind Sie das.
({2})
Ihr Vorgänger, der Chefideologe der CDU, hat zu einer Ideologisierung und Verschärfung des politischen Kampfes so sehr beigetragen, daß seine vermeintliche Aufgabe als Generalsekretär auch auf die Wendepolitik im Bereich der Jugend-, Familien-und Gesundheitspolitik abgefärbt hat.
({3})
Die Politik der ungerechten Verteilung von Lasten auf die Schultern der Schwachen, das ist die Erbschaft, die Sie nunmehr antreten, und Ihre allererste Aufgabe wird es sein, Kärrnerarbeit dafür zu leisten, daß es zu einer Entideologisierung der Familien- und Jugendpolitik kommt.
({4})
Bislang signalisieren Ihre Worte, Frau Süssmuth, in Reden und Interviews durchaus einen neuen, einen weitaus erträglicheren Stil.
({5})
Allerdings werden wir Sie selbstverständlich an Ihren Taten messen,
({6})
und es wird uns nicht einfallen, eine von uns als falsch angesehene Politik nur deshalb mitzutragen, weil sie etwas freundlicher dargestellt wird.
({7})
Meine Damen und Herren, glykolhaltiger Wein wird auch nicht dadurch genießbarer, daß man ein neues, freundlicheres Etikett auf eine Flasche klebt, aber den Inhalt unverändert läßt.
({8})
Faire Opposition heißt deshalb nicht, daß wir Ihnen kritiklos und ohne Alternativen gegenübertreten werden. Sie sind nun einmal Mitglied des Kabinetts Dr. Kohl und insoweit mit der Politik der vergangenen drei Jahre belastet.
({9})
Nun ist anzunehmen, daß die Bundesregierung in eine schwärmerische Prahlerei verfallen wird, gerade so, als ginge es ein Jahr vor der nächsten Bun13508
Waltemathe
destagswahl mit der Familienpolitik erst mal richtig los.
({10})
Sollten Sie, Frau Minister, diese Absicht haben, so möchte ich dem mit den einzigen Zahlen begegnen, die ich in meinem Debattenbeitrag nennen will, und schon gleich zu Anfang an folgenden Tatbestand erinnern, der aufzeigt, daß die Masche der Prahlerei nicht ziehen wird.
({11})
Vor mehr als zehn Jahren, nämlich im Jahre 1975, hat die sozialliberale Koalition das einkommensunabhängige, das direkt auszuzahlende Kindergeld eingeführt und die steuerlichen Kinderfreibeträge abgeschafft.
({12})
[CDU/CSU]: Und dann gekürzt!)
Damals stieg der Haushaltsansatz im Einzelplan 15, über den wir hier reden, von 5 Milliarden DM auf 15 Milliarden DM an, und von 1977 bis 1981 stieg der Etat auf über 20 Milliarden DM an. Es gab einen Sprung im Bereich der Haushaltsjahre 1977 bis 1980 bis hinauf zu 4 Milliarden DM jährlich. Dahinter verbirgt sich auch und insbesondere das von uns eingeführte Mutterschaftsurlaubsgeld.
Nach Ihrer Regierungsübernahme am 1. Oktober 1982 hat die konservative Koalition in beiden Bereichen Abbau und Umverteilung betrieben.
({13})
Zum einen wurde das Mutterschaftsurlaubsgeld von 750 DM auf 510 DM gekürzt. Auch Ihr neues Erziehungsgeldgesetz, das zwar wieder auf 600 DM hinaufgeht,
({14})
erreicht bei weitem nicht die finanzielle Absicherung derjenigen Eltern, die durch vorübergehendes Ausscheiden aus ihrem Beruf auf Einkommensbestandteile verzichten, um sich ihrem Kind widmen zu können.
({15})
Im Jahre 1985 betrug der Haushaltsansatz des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit nur noch 16 Milliarden DM. Damit lag er um ein Fünftel niedriger als im Jahre 1981.
({16})
Im nächsten Jahr wird es zwar einen Anstieg auf über 18 Milliarden DM geben - ({17})
- Also: Wenn Sie Zwischenrufe machen, dann zur
Sache. Wenn ich jetzt zum fünften Male von einem
Ahnungslosen höre: Keine Ahnung!, entspricht das Ihrem Niveau.
({18})
Sie werden im nächsten Jahr auf über 18 Milliarden DM gehen. Damit ist erst knapp der Ansatz des Haushaltsjahres 1979 erreicht.
Aus diesen ganz wenigen Zahlen geht schon deutlich hervor, daß zu Prahlerei keinerlei Anlaß besteht. Diese Bundesregierung hat vielmehr drei Jahre lang viele, viele Milliarden bei den Schwächsten eingesammelt, und nun wird erst einmal einer ausgegeben, um das Wahlvolk in Laune zu bringen.
({19}) Das ist die ganze Strategie.
({20})
Meine Damen und Herren, ich behaupte nicht, daß allein materielle Absicherung von Familien oder Alleinerziehenden mit Kindern auch eine kinderfreundliche Gesellschaft gewährleistet. Überhaupt ist es nicht allein Aufgabe von Gesetzen und von Zuwendungen, Kindern zu ihrem Recht zu verhelfen. Wohl aber muß die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um Chancengleichheit und gesellschaftliche Gerechtigkeit zu bewirken
({21})
und somit für eine kinderfreundliche und menschliche Gesellschaft wichtige Voraussetzungen zu schaffen.
({22})
Wenn diese Regierung immer wieder betont, Leistung müsse sich wieder lohnen, dann möchte ich gerade in diesem Zusammenhang fragen, was denn Leistung bitte schön sein soll. Ist es nicht eine weitaus größere Leistung, wenn Alleinstehende oder Elternpaare mit niedrigem oder durchschnittlichem Einkommen bereit sind, für ihre Kinder Lasten auf sich zu nehmen, als wenn das eine gut verdienende Familie tut?
({23})
Hat es denn etwas mit Sozialneid zu tun, wenn wir zumindest die Gleichbehandlung, wenn nicht sogar sozialen Ausgleich von oben nach unten fordern, damit nicht schon die soziale Ungerechtigkeit, die bei den Eltern herrscht, die unterschiedlichen Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern geradezu provoziert?
({24})
Ist es denn nicht leistungsgerechter, durch direkte Kindergeldzahlung insbesondere denjenigen zu helfen, die trotz geringen Einkommens eine große gesellschaftliche Leistung vollbringen?
({25})
Diese Regierung hat die steuerlich ungerechten
Kinderfreibeträge wieder eingeführt, womit der
Waltemathe
Großverdiener mehr bekommt als der Kleinverdiener. Eine solche Wendepolitik hin zur sozialen Ungerechtigkeit wird von uns auf keinen Fall mitgetragen.
({26})
Meine Damen und Herren, auch Ihr Erziehungsgeldgesetz stellt für uns keine wirkliche Alternative zu den weitaus besser durchdachten Vorschlägen eines bezahlten Elternurlaubs für Zeiten der Kindererziehung dar. Unsere Vorschläge haben zum Inhalt, daß Einkommensverluste, die infolge der vorübergehenden Aufgabe von Berufstätigkeit eines Elternteils eintreten, besser ausgeglichen werden.
({27})
Wir schlagen arbeitsrechtlich konsequentere Kündigungsschutzbestiinmungen vor. An unseren besseren Vorschlägen halten wir auch künftig fest, und wir werden sie nach unserer Regierungsübernahme einführen und Ihr Erziehungsgeldgesetz ablösen.
({28})
Nicht ganz nebenbei bemerkt: Diese Bundesregierung hat ganz großmäulig angekündigt, bei der Gesetzgebung und der Durchführung von Gesetzen Vereinfachungen und Entbürokratisierungen durchzusetzen. Das Erziehungsgeldgesetz und die Ausführungsbestimmungen dazu sind geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie Sie Verwaltungswirrwarr, Kompetenzstreit und zusätzliche Behördengänge einführen. Es ist völlig unklar und wahrscheinlich von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, wer denn eigentlich für die Zahlung von Erziehungsgeld verantwortlich sein soll. Ist es das Arbeitsamt? Ist es das Versorgungsamt? Ist es das Jugendamt? Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Ihr Parteifreund Franke, hat sich zu Recht schon deutlich beim Bundeskanzler gemeldet. Der ehemalige Datenschutzbeauftragte hat sogar von verfassungswidrigen Durchführungsbestimmungen gesprochen. Ich will hier keine Rechtsfragen untersuchen, aber sagen: Wenn Sie schon inhaltlich kein vernünftiges Gesetz vorlegen können, so hätten Sie doch Gelegenheit gehabt, wenigstens klare Durchführungsregelungen und Zuständigkeiten einzuführen.
({29})
Im Bereich der Jugendpolitik, Frau Minister, werden wir Sie daran messen, ob Sie den Kurs der Bevormundung fortsetzen oder ob Sie sich das Ziel setzen, unsere junge Generation und ihre Verbände zu eigenverantwortlichem Handeln zu ermutigen.
Es war offensichtlich Teil des ideologischen Kampfes des Generalsekretärs Geißler, unbequeme und kritische Jugendorganisationen zu bestrafen und angepaßte Jugend zu belohnen.
({30})
Das ist nicht nur im Jahre 1984 deutlich geworden bei der Finanzierung der Reise von prominenten Großbürgersöhnen aus Ägypten zu den Olympischen Spielen in Los Angeles, das war auch in diesem Jahr bei der Finanzierung einerseits eines Jamaica-Spektakels und andererseits beim Verbot jeglicher Finanzierung der Reise einer Delegation zu den Weltjugendfestspielen in Moskau so.
({31})
Ich plädiere dafür, daß man die Überlegenheit der Demokratie gegenüber allen anderen Regimen, insbesondere autoritären und diktatorischen dadurch unterstreichen sollte, daß man unsere junge Generation nicht von internationalen Begegnungen fernhält, sondern sie geradezu ermutigt, sich nicht zu verstecken,
({32})
und daß man das Vertrauen in sie setzt, sie sich z. B. mit kommunistischen Ideologien aktiv auseinandersetzen zu lassen.
({33})
Es hat sich nämlich gezeigt, daß die Teilnehmer der Delegation aus unserer Bundesrepublik an den Moskauer Weltjugendfestspielen einen sehr glaubwürdigen Beitrag für demokratische Gesinnung und Standfestigkeit geleistet haben. Dafür sollten wir danken, statt völlig unnötig, völlig ungerechtfertigt und völlig unsinnig durch bürokratische Nichtförderung eine Bestrafung vorzunehmen.
({34})
Ich kann nur hoffen, daß Sie, Frau Minister Süssmuth, nicht von der jugendpolitischen Engstirnigkeit Ihres vorurteilsbehafteten Vorgängers befallen sind.
In der Gesundheitspolitik hat sich das Ministerium nun auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Das Jahr 1985 war das Jahr von Weinskandalen, die erst vertuscht, dann allmählich zugegeben und schließlich als Schuld der Österreicher deklariert wurden.
({35})
Glykol und Acid im Wein und der Lebensmittelskandal um die Nudelherstellung unter Verwendung von angebrüteten Eiern haben spektakulär deutlich gemacht, daß es nicht nur Lücken im Weingesetz oder im Lebensmittelrecht gibt, sondern daß insbesondere die strikte Einhaltung von Gesetzen und die strenge Kontrolle von Vorschriften, die den Verbraucher schützen sollen, offenbar nicht gewährleistet sind.
({36})
Sowohl in diesen von mir genannten Bereichen als auch im Bereich des Arzneimittelrechts muß
Waltemathe
gefordert werden, daß vor gesundheitlichen Gefahren rechtzeitig und umfassend Schutz aufgebaut wird und daß die notwendige Aufklärung nicht mächtigen wirtschaftlichen Interessen von Herstellern oder Importeuren geopfert werden darf.
({37})
Auch im Bereich der Erforschung, der Aufklärung und der Betreuungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der AIDS-Krankheit ist mehr zu tun, als von der Bundesregierung ursprünglich vorgeschlagen worden ist. Auf der einen Seite beobachten wir mit großer Sorge, wie eine unseriöse Sensationspresse zur Massenhysterie beitragen könnte, und auf der anderen Seite haben wir feststellen müssen, daß Verharmlosung und zu zögerliche Politik in diesem Bereich oder aber auch die einseitige Darstellung bestimmter Risikogruppen, bis hin zu deren Ausgrenzung, zu einem völlig falschen Bild führen. Wir, und zwar die Haushaltspolitiker aller Fraktionen, haben deshalb gemeinsam - ich betone das - die Bundesregierung ausdrücklich ermuntert, in diesem Bereich mehr Geld zu fordern, damit kein vernünftiges Forschungsprojekt, keine sinnvolle Aufklärungsmaßnahme, keine Unterstützung vernünftiger Beratungsarbeit und Eigeninitiative aus Geldmangel unterbleiben müssen. Ich freue mich, daß jedenfalls in diesem Bereich die interfraktionelle Initiative dazu geführt hat, daß die Haushaltsansätze für das Jahr 1986 nunmehr in die richtige Richtung weisen. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung den Selbsthilfeinitiativen und den Betreuungsorganisationen sowie den Forschungseinrichtungen in unbürokratischer Weise die notwendigen Mittel an die Hand gibt, um auf diesem Gebiet mehr zu tun, als bislang getan werden konnte.
Der Deutsche Bundestag hat vor über zehn Jahren eine große Untersuchung über die Lage der Psychiatrie und der psychisch Kranken veranlaßt. Das Ergebnis der umfangreichen Enquete ist gewesen, daß für die Jahre 1981 bis 1985 ein bundesweites Modellprogramm zur psychiatrischen Versorgung und Umstellung nicht nur der medizinischen, sondern auch der sozialen Behandlung psychisch Kranker aufgelegt wurde. Dieses Programm läuft also Ende dieses Jahres aus. Eine vollständige Auswertung ist allerdings noch nicht erfolgt; konnte auch noch gar nicht. Es ist aber insbesondere auch noch keine Umstellung der Finanzierung von Einrichtungen erfolgt, die sich in jedem Fall bewährt haben.
Deshalb beantragen wir Sozialdemokraten, die wir ja auch schon einen Gesetzentwurf für die dauerhafte gesetzliche Finanzierung notwendiger Maßnahmen in diesemBereich in den Bundestag eingebracht haben, daß zumindest bis zum Inkrafttreten neuer gesetzlicher Bestimmungen über den 31. Dezember 1985 hinaus noch für ein halbes Jahr das Modellprogramm verlängert wird.
({38})
Ohne irgendwelche Vorwürfe an Kolleginnen und Kollegen oder an Fraktionen dieses Hauses erheben zu wollen, möchte ich feststellen, daß wir gerade im Zusammenhang mit der Behandlung von psychisch Kranken eine schwere Hypothek abzutragen haben. Das hat u. a. auch damit zu tun, daß es in der Nazi-Zeit eine Erbgesundheitsgesetzgebung gab, die unterscheiden wollte nach lebenswertem und nach lebensunwertem Leben. Ich meine, daß die Traditionen dieser Gesetzgebung teilweise auch Spuren im Nachkriegsdeutschland hinterlassen haben und daß wir erst allmählich richtig begreifen, was eigentlich alles mit diesem unseligen Gesetz verbunden war.
Um so besser wären wir alle miteinander beraten, zu gewährleisten, daß die psychisch kranken Menschen ihren Anspruch auf ihre Menschenwürde verwirklichen können und sie nach erfolgreichem fünfjährigen Großversuch ab 1. Januar 1986 nicht wieder ihrem traditionellen Schicksal überlassen werden.
({39})
Schließlich möchte ich im Jahre des 30jährigen Jubiläums der Bundeswehr doch gerne daran erinnern, daß es seit 25 Jahren auch den Zivildienst gibt.
({40})
Viele Aufgaben der Hilfe für Behinderte, der sozialen Betreuung von Alten, der Arbeit an einer Gesellschaft des sozialen Friedens und an einer Gesellschaft mit menschlicher Zuwendung hätten nicht erfüllt werden können - und werden in Zukunft nicht erfüllt werden können - ohne den tatkräftigen, manchmal sehr schweren und mühseligen Dienst von Zivildienstleistenden. Ihr Beitrag zu einer friedlichen Welt und einer sozial gerechten Gesellschaft wird von uns mit großer Dankbarkeit vermerkt. Deshalb ermutigen wir dazu, nicht den Zivildienst zu verbürokratisieren und Aufgaben, die von den Organisationen der freien Wohlfahrtsverbände besser erfüllt werden können als von staatlichen Stellen, auch dort zu belassen. Wir unterstützen die Bundesregierung, wenn es darum geht, Nachholbedarf in diesem Bereich zu befriedigen. Wir sind bereit, dafür entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.
({41})
Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich Sie, Fran Minister, bitten, meinen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses dafür auszurichten, daß die Zusammenarbeit bei der Beratung der Haushaltsansätze sehr gut gewesen ist und ich auch als Oppositionspolitiker und als Neuling im Haushaltsausschuß die von mir erbetenen AusWaltemathe
künfte jederzeit prompt und vollständig erhalten habe.
({42})
Bei vielen Einzelpositionen des Haushalts, über den wir jetzt sprechen, könnten wir durchaus Zustimmung signalisieren. Auch eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung würde manchen Ansatz für Forschungsprojekte, für Betreuungsaufgaben, für Aufklärungsaktionen mit der gleichen Überschrift versehen und mit den gleichen Mitteln ausstatten. Wir melden allerdings Kritik dort an, wo trotz richtiger Überschriften und richtiger Geldansätze aus ideologischen Gründen weiterhin eine falsche Politik betrieben werden sollte und Förderungsmaßnahmen Schlagseite zur Verfestigung konservativer und rückschrittlicher Vorurteile bekommen.
Insoweit werden wir sehr kritisch aufpassen, wie das Regierungshandeln sein wird. Uns Sozialdemokraten geht es darum, Armut an der Wurzel zu bekämpfen und nicht erst soziale Wunden zu schlagen, um dann ein Pflästerchen aufzukleben.
({43})
Uns geht es darum, Rechtsansprüche zu installieren und sie nicht als Gratifikationen zu diffamieren.
({44})
Uns geht es darum, daß die Familienpolitik, die Jugendpolitik, die Sozialpolitik insgesamt der Menschenwürde und der Entfaltung der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten von Menschen gerecht werden.
Die größten Ausgabebrocken im Haushalt des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit untermauern eine in unseren Augen falsche Gesetzgebung: Mit dem gleichen Geld könnte eine weit bessere, weit gerechtere, weit menschlichere Politik betrieben werden. Dazu haben wir Alternativen vorgelegt, die von dieser Bundesregierung abgelehnt worden sind. Allein das ist für uns Grund genug, dem Einzelplan 15 nicht zustimmen zu können.
({45})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rossmanith.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich zunächst zu dem Debattenbeitrag der Frau Kelly einige Klarstellungen bringe. Frau Kelly, ich bedauere es, daß Sie die Kollegen Ihrer Fraktion, die dem Haushaltsausschuß angehören, nicht vorher konsultiert haben. Denn dann hätten Sie diesen Antrag unterlassen, den Sie hier natürlich wieder schaufensterartig mit einem entsprechenden Druck auf gewisse Gefühle gebracht haben.
({0})
Wir haben den Ansatz für die Krebshilfe nicht nur um 2,1 Millionen erhöht, sondern um 6 Millionen DM ausgeweitet, und zwar im Einzelplan 11 in Kapitel 11 02. Sie können das nachlesen.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kelly?
Ja; wenn es nicht angerechnet wird.
Ja. Bitte.
Ich frage Sie, welcher konkrete finanzielle Beitrag wurde für den Posten, von dem ich gesprochen habe, nämlich psychosoziale Betreuung für krebskranke Kinder, in diesen 6 Millionen bei Titelgruppe 03 Titel 684 31 erhöht? Welcher konkrete Beitrag wurde für psychosoziale Betreuung festgelegt? Das möchte ich von Ihnen gern hören.
Ich habe Ihre Frage schon verstanden. Sie brauchen Sie nicht dreimal zu wiederholen. Es geht um Kapitel 1102 Titelgruppe 03. Der Ansatz betrug 20 Millionen DM, und zwar für die Versorgung von Krebspatienten. Dieser Ansatz wurde im Haushaltsausschuß um 6 Millionen DM erhöht. Es sind jetzt 26 Millionen DM. Da ist das natürlich enthalten.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Riedl?
Bitte. Ebenfalls ohne Anrechnung, bitte.
Ja, ja. Bitte schön, Herr Riedl.
Danke, Herr Präsident. Herr Kollege Rossmanith, sind Sie bereit, der Frau Kollegin Kelly, die ich in den letzten zweieinhalb Jahren nicht ein einziges Mal im Haushaltsausschuß gesehen habe und die Gelegenheit gehabt hätte, dieses Thema genauso zu behandeln, wie es der Kollege Dr. Müller von den GRÜNEN in dankenswerter Weise mit uns allen: den Kollegen der SPD, der FDP und der CDU/CSU gemacht hat, mitzuteilen, daß der Haushaltsausschuß darüber hinaus eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 25 Millionen DM, also Haushaltsmittel für die nächsten Jahre, eingesetzt hat, um die beklagenswerte Situation aller krebskranken Menschen, besonders der Kinder, zu verbessern, und daß darüber ein Konsens aller verantwortlichen Politiker im Haushaltsausschuß bestand?
({0})
Herr Kollege Riedl, ich danke Ihnen für diese Zwischenfrage. Ich bestätige das sehr gern. Das können alle Kolleginnen und
Kollegen des Haushaltsausschusses in dieser Form bestätigen. Ich muß aber noch etwas erwähnen, und das sage ich jetzt abschließend zu diesem Thema.
({0})
- Keine Zwischenfragen mehr. Ich glaube, wir haben das Thema jetzt ausführlich diskutiert. Wir sollten uns endlich dem Bereich Familie zuwenden.
Ich will noch zur Frau Kelly sagen: Ich finde Ihr Verhalten wirklich sehr erstaunlich. Ich weiß, daß wir nicht ständig hier im Plenum sein können. Nur: Wie oft sind Sie hier vertreten? Und wenn Sie einmal vertreten sind, fordern Sie eine namentliche Abstimmung. Ich glaube, das muß hier einmal sehr kritisch und sehr deutlich erwähnt werden.
({1})
Ich möchte mich, lieber Herr Kollege Waltemathe, jetzt unserem Thema zuwenden und dabei nochmals sehr deutlich klarstellen, daß ein Kernpunkt der Politik der Christlich Demokratischen und Christlich-Sozialen Union gerade die Politik für Familien war. Und für den Begriff „Erblast" bin ich Ihnen ja fast dankbar. Nur, ich bin der Meinung, daß wir von der großen Erblast, die wir von Ihnen übernommen haben, gerade im Bereich der Familien- und Sozialpolitik den größten Teil wieder abgetragen haben.
({2})
Wir haben in diesem Jahr einen sehr, sehr soliden Haushalt für das kommende Jahr mit einer Steigerung von etwa 2 % vorgelegt. Aber der Haushalt für den Bereich Jugend, Familie und Gesundheit erfährt eine Steigerung um 13,3 %.
({3})
Alle Erfolge, so möchte ich behaupten, die wir in den einzelnen Bereichen erzielen konnten, berühren mittelbar oder unmittelbar auch die Familie. Es ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt und eine erfreuliche Tatsache, festzustellen, daß der Wert der Familie an sich im Bewußtsein unserer Gesellschaft insgesamt wieder einen entsprechenden Platz gefunden hat, daß sich auch junge Menschen wieder verstärkt zu ihrer Familie bekennen und auch den Grad der Geborgenheit und der Hilfe, die die Familie ihnen schenkt, wieder erkennen.
({4})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Blunck?
Ja, bitte, aber das ist dann die letzte. Ich bitte, das nicht auf die Redezeit anzurechnen.
Herr Kollege, Sie sprachen von der Erblast und davon, daß Sie die hinsichtlich der Familien abgetragen hätten. Darf ich Sie fragen, wieweit der Wert einer Familie bei Ihnen proportional mit dem Einkommen wächst.
({0})
Verehrte Frau Kollegin, ich habe mich, um das noch einmal festzustellen, auf einen Begriff bezogen, den der Kollege Waltemathe geprägt hat. Auf die Diskussion, die Sie jetzt anzetteln wollen, werde ich mich nicht einlassen,
({0})
wenngleich ich Ihnen jetzt natürlich mit entsprechenden Beispielen entgegentreten könnte; ich habe sie hier ja liegen. Aber Sie sollten einmal dem zuhören, was ich Ihnen gesagt habe, und auf die Umfrage, die Untersuchung des Instituts für Demoskopie in Allensbach zur Kenntnis nehmen, das festgestellt hat, daß die weit überwiegende Zahl auch der jungen Menschen ihr Zuhause jetzt in einer glücklichen Familie findet.
({1})
und eine glückliche Familie mit zu den Voraussetzungen für eine glückliche Gesellschaft zählt. Das ist für mich ohne Frage auch mit ein Grund dafür, weshalb junge Menschen wieder optimistisch in die Zukunft blicken. Frau Minister Wilms hat ja kürzlich eine entsprechende Umfrage, die eine solche Denkweise belegt, mit veröffentlicht, und aus der sich ergab, daß das sogenannte No-future-Denken schon längst hinter uns gelassen wurde.
({2})
Diese Rückbesinnung auf die Grundwerte des menschlichen Lebens und Zusammenseins geht auch mit einer Politik einher, die ständig darum bemüht ist, eine materielle und natürlich auch ideelle Absicherung der Familie durchzuführen und zu verbessern.
Der erste Teil der Steuerreform mit einem Volumen von annähernd 20 Milliarden DM - jetzt komme ich auf das, was Sie angeführt haben, Frau Kollegin Blunck -, der im kommenden Jahr mit 11 Milliarden DM zu Buche schlägt, ist ja in erster Linie für Familien mit Kindern gedacht. Das wird deutlich an dem Kinderfreibetrag bei der Lohn- und Einkommensteuer von 2 484 DM und auch am Kinderzuschlag von 46 DM für all diejenigen Eltern mit Kindern, bei denen eben dieser Kinderfreibetrag nicht zum Tragen kommt. Hinzu kommt die Verbesserung des Baukindergeldes von 600 DM jetzt schon für das erste Kind. Mit der Anrechnung der Erziehungszeiten bei der Rentenberechnung setzen wir, glaube ich, unsere Aussage in die Tat um, auch dem Beruf der Mutter und Hausfrau die entsprechende Anerkennung zu schenken. Natürlich - und da bin ich sicherlich mit allen von Ihnen einig - ist es die persönliche Angelegenheit der Ehepartner, ob einer oder ob beide außerhäuslich erwerbstätig sein wollen. Aber - auch das möchte ich mit aller Deutlichkeit hier zum Ausdruck bringen, meine sehr verehrten Damen und Herren - es geht einfach nicht an, daß wir nur noch die Frau in unser Idealbild einbeziehen, die neben der HausfrauentäRossmanith
tigkeit und neben der Kindererziehung unbedingt noch einem außerhäuslichen Beruf nachgeht.
({3})
Weiter, auch das möchte ich sagen, bekenne ich mich absolut dazu, daß der Mann nicht nur bei der Erziehung der Kinder Mitverantwortung trägt, sondern daß er auch im Haushalt selbst seinen Teil beitragen und bei diesen Arbeiten mithelfen sollte. Mir ist genauso klar, daß eine Jahrtausende alte Tradition und ein Jahrtausende altes patriarchalisches Rollenverständnis nicht von heute auf morgen und, ich bin der Meinung, wahrscheinlich nicht einmal in einer Generation geändert werden kann. Aber von politischer Seite sind hier erstmals klare, wichtige und richtungweisende Schritte zu einer echten Partnerschaft vollzogen worden. Hier hat sich unser ehemaliger Minister Dr. Heiner Geißler sehr wohl viele Lorbeeren erworben.
({4})
Mir fällt bei dieser Gelegenheit ein altes chinesisches Sprichwort ein, das sagt, es sei leicht, ein Reich zu regieren, aber schwer, eine Familie. Wenn ich da an meine Familie denke, aus der ich stamme - acht Kinder -, dann habe ich durchaus Verständnis dafür, daß mein Vater sich etwas zurückgezogen und die Familienpolitik meiner Mutter überlassen hat. Aber dessen ungeachtet glaube ich, meine sehr verehrten Herren - und Sie will ich ansprechen -, daß Sie mit mir der Meinung sind, daß wir einige Änderungen in uns selber noch vornehmen müssen.
Lassen Sie mich noch auf die Stiftung Mutter und Kind eingehen. Auch das ist ein wesentlicher Erfolg unserer Politik. Wie richtig die Einrichtung dieser Stiftung war, zeigt allein schon der Grad der Inanspruchnahme. Mit der Anhebung der Mittel um 10 Millionen DM, die wir übrigens schon für das laufende Haushaltsjahr 1985 vorgenommen haben, ist es sicherlich in Verbindung mit der Aufstockung der Mittel durch die Länder möglich, daß allen Betroffenen hier eine entsprechende Hilfestellung angeboten werden kann. Ich möchte in diesem Zusammenhang an Sie, meine verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, noch einmal die Bitte richten, daß Sie vor allem an die Ministerpräsidenten der sozialdemokratisch geführten Länder appellieren, ihren Beitrag für diese Stiftung zu leisten, so wie es die Länder Baden-Württemberg oder der Freistaat Bayern in vorbildlicher Weise vorführen, die die Mittel, die der Bund ihnen für diese Stiftung zur Verfügung stellt, aus eigenen Haushaltsmitteln verdoppeln.
In diesem Zusammenhang ist es mir ein Bedürfnis, sehr deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß mit der Errichtung dieser Stiftung keineswegs die Problematik des § 218 aus der Welt geschafft ist.
({5})
- Lieber Kollege Diederich, angesichts von über 200 000 legalen Schwangerschaftsabbrüchen, Tötung menschlichen Lebens, müssen wir uns, glaube ich, mit dieser Frage in allem Ernst und ohne Polemik auseinandersetzen, um rasch zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, das den Schutz des ungeborenen Lebens besser als bisher gewährleistet.
({6})
Denn der Begriff „Ehrfurcht vor Gott und den Menschen" sollte uns allen noch etwas bedeuten!
Mit der Einführung des Erziehungsgeldes von monatlich 600 DM - das haben Sie, lieber Kollege Waltemathe, ja wohl mehr schamhaft verschwiegen -, mit einen Ansatz von insgesamt 1,7 Milliarden DM, haben wir ja - übrigens für Väter oder für Mütter - einen weiteren familienpolitischen Meilenstein gesetzt und einen bislang unbefriedigenden und ungerechten Zustand abgeschafft. Das Erziehungsgeld wird es - nur damit das noch einmal sehr deutlich wird, weil da oft ganz andere Dinge behauptet werden - auch für die Bezieher von Sozial- und Arbeitslosenhilfe geben, und es wird sich auch nicht negativ auf den Bezug von Wohngeld oder Ausbildungsförderung auswirken.
Wir haben aber nicht nur Leistungen für die Familien als solche beschlossen. Unsere Leistungen kommen natürlich auch speziell der Jugend zugute. Aus Zeitgründen kann ich das jetzt nur noch im Telegrammstil ansprechen: Die Mittel für den Bundesjugendplan werden um 2,5 Millionen DM erhöht. Beim freiwilligen sozialen Jahr gibt es eine Ausweitung um 500 Plätze. Das sind doch Erfolge, das sind doch Leistungen für die Jugend! Von 1982 bis jetzt haben wir die Zahl der Plätze im freiwilligen sozialen Jahr um annähernd 40 % erhöht. Wir haben zusätzlich 4 500 jungen Menschen die Möglichkeit einer sinnvollen Tätigkeit und Beschäftigung gegeben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Familie besteht für uns aber nicht nur aus Eltern und Kindern, sondern wir beziehen auch die Großeltern und die Urgroßeltern mit ein. Deshalb gibt es im Haushalt neben dem Ansatz für Familienarbeit mit 11,85 Millionen DM auch Ansätze von 9,25 Millionen DM für Maßnahmen für die ältere Generation, von 6,3 Millionen DM für Hilfen für behinderte Menschen, von 5 Millionen DM für den Bereich Freizeit und Erholung und von 4 Millionen DM für Frauenfragen.
Am Schluß möchte ich mich noch einmal ganz kurz mit Ihrem Antrag zum Modellprogramm Psychiatrie auseinandersetzen, da ja die Förderung in diesem Jahr ausläuft. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, ich muß Ihnen in Erinnerung rufen, daß das von der früheren Bundesregierung ja auch von Anfang an genau für diesen Zeitpunkt vorgesehen war. Weil aber eben klar war, daß zwischen dem Ende der Modellförderung und der Auswertung der Ergebnisse sowie etwaigen gesetzgeberischen Konsequenzen ein gewisser Zeitraum liegen mußte, hat die damalige Bundesregierung auf eine Erklärung der Länder über eine Anschlußfinanzierung Wert gelegt.
Die an der Modellförderung teilnehmenden Länder haben sämtlich eine solche Erklärung abgegeben. Diese Erklärung lautet z. B. - ich sage das
natürlich besonders im Hinblick auf Sie, Herr Kollege Waltemathe - im Falle der Freien Hansestadt Bremen und im Falle des Landes Hessen - ich zitiere jetzt den genauen Wortlaut - folgendermaßen:
Das Land wird eine ausreichende Anschlußfinanzierung der geförderten Einzelprojekte nach Ablauf der Modellzeit von fünf Jahren sicherstellen, soweit dies das Ergebnis der Modellerprobung rechtfertigt.
Ich muß mich hier natürlich fragen: Was sind denn Verpflichtungserklärungen zwischen Bund und Ländern überhaupt noch wert, wenn sie im Bedarfsfall dann wiederum nur auf den Bund zugeschnitten werden?
Herr Abgeordneter Rossmanith, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Ich mache Sie allerdings darauf aufmerksam, daß Sie nur noch 30 Sekunden Redezeit haben.
Nein, da meine Redezeit praktisch abgelaufen ist, tut es mir wirklich leid, Herr Kollege Waltemathe. An sich hätte ich Ihnen besonders gerne eine Zwischenfrage gegönnt.
Mein letzter Satz: Ich kann feststellen, daß der Einzelplan 15 - Jugend, Familie und Gesundheit - trotz der immer noch angespannten Finanzlage, in der wir uns befinden, ein eindrucksvoller Beweis des Willens und der Tatkraft unserer Regierungskoalition ist, ich danke dem bisherigen Minister Dr. Heiner Geißler für die Arbeit und für sein Wirken in diesem Hause aus ganzem Herzen, und ich wünsche Ihnen, verehrte Frau Minister Süssmuth, für Ihre neue Tätigkeit viel Glück und Erfolg, hoffentlich gelegentlich auch einmal Freude, vor allem aber Gottes Segen.
({0})
Das Wort hat Frau Professor Süssmuth, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 1986 des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit weist eine Steigerungsrate von 13% auf.
({0})
Von Sozialabbau kann hier nicht die Rede sein. Ich denke auch nicht, daß Steigerungsraten dieser Art schon gleich etwas mit Ideologie zu tun haben. Ich füge aber gleich hinzu: Ich habe etwas gegen falsche Familienideologien. Allerdings gibt es keine Familienpolitik ohne entsprechende Grundüberzeugungen; diese müssen auch die Politik leiten.
({1})
Sie haben davon gesprochen, es sei unvertretbar, zunächst soziale Wunden zu schlagen und dann Pflästerchen aufzusetzen. Ich kann in diesem Haushalt keine Pflästerchen entdecken, sondern ganz im Gegenteil entscheidende Verbesserungen der familienpolitischen Leistungen, die wir vielleicht weniger durch dieses Haus als durch die Familien selbst beurteilen lassen, die sie ab 1. Januar in Anspruch nehmen können.
({2})
Ich kann jedenfalls in der Vielzahl der Leistungen für die Familie, die in diesem Jahr erbracht wurden und 1986 erbracht werden, keinen Sozialabbau erkennen. Es sind in einem wesentlichen Umfang Leistungen dabei, die 1982 gekürzt werden mußten.
Ich halte es für unerträglich, daß wir uns gegenseitig soziale Kürzungen um die Ohren schlagen, wenn zuvor und gegenwärtig auch von anderen Regierungen - gerade von der SPD - in bezug auf die sozial Schwachen, in bezug auf die Familien einschneidende Kürzungen erfolgen, ohne daß darüber ein Wort verloren wird.
({3})
- Ich denke, daß es entscheidend ist, daß ich zunächst die Mittel beschaffe, die notwendig sind, um die Familien in den Stand zu setzen, den sie brauchen. Es gibt in gewissen Zeiten Notlagen, bei denen finanzielle Kürzungen notwendig sind. Deswegen halte ich es für ein Unding, sie so der einen Gruppe zuzuordnen.
({4})
- Es ist völlig unglaubwürdig, was da passiert.
Ich finde die Behauptung noch unsinniger, daß die 1983 notwendigen Einsparungen im Familienbereich weit über das hinausgehen, was 1986 den Familien an zusätzlichen Leistungen zugute kommt. Wir können sehr wohl nachweisen, daß die finanziellen Verbesserungen für die Familien drei- bis viermal so hoch sind wie die Einsparungen 1983 und 1984. Dies läßt sich in Mark und Pfennig nachweisen.
Nun zu der Frage, wieviel uns denn die Familien wert seien, ob sich das am Einkommen entscheide. Zunächst möchte ich noch einmal nachdrücklich darauf verweisen, daß bei den Familien, die keine Steuern zahlen, ein Kindergeldzuschlag von 46 DM gezahlt wird. Er wird einkommensunabhängig gezahlt, ohne Anrechnung auf sonstige Gelder.
({5})
Zum anderen möchte ich Sie fragen, ob Sie denn zukünftig alle Steuerabzüge abschaffen wollen, bei denen immer auch die Familiengesichtspunkte eine entscheidende Rolle spielen. Sie wissen, daß alle Abzüge vom jeweiligen Steuersatz abhängig sind. Entscheidend ist, daß diejenigen, die Steuern zahlen, ebenso wie diejenigen, die keine Steuern zahlen, Freibeträge haben.
Sie haben auf die Kindergeldleistungen von 1975 verwiesen. Dazu möchte ich sagen: In der Familienpolitik war nichts so unsicher wie das Rauf und Runter der Kindergeldleistungen. Ich denke, daß das Steuersystem einen großen Vorteil hat, nämlich daß es für die Familien je nach Haushaltslage weniBundesminister Frau Dr. Süssmuth
ger herauf- und heruntergeht, als das bei den sozialpolitischen Leistungen der Fall ist.
({6})
Wir gehen jedenfalls von der Maxime aus, daß die Familie in dem Maße Zukunft hat, wie ihr die gebührende Anerkennung durch Gesellschaft und Staat entgegengebracht wird.
({7})
Dies bedeutet, daß wir eine familienfreundliche Grundeinstellung in unserem Lande auch und gerade mit Hilfe der Politik herbeiführen sollten. Sie drückt sich ebenso in den Maßnahmen aus, die zur Förderung der Familie unternommen werden, wie in dem Klima, das wir zugunsten der Familie öffentlich schaffen. Denn das eine sind die Geldleistungen, das andere ist die Bewertung, die Familie tatsächlich erfährt.
({8})
Ihre Kritik am Familienlastenausgleich kann nichts daran ändern, daß vom 1. Januar 1986 an für die Familie entscheidende, wesentliche Verbesserungen erreicht werden, und zwar in einer Höhe, für die wir uns nur bedanken können und von der wir nicht sagen müssen: Ach, hätten wir doch all dieses Geld nicht bekommen! Das wäre ja wirklich ein lächerlicher Grundsatz in der Haushaltspolitik.
Sie erwecken in der SPD mit manchen Erklärungen den Eindruck, als verfolgten Sie in der Familienpolitik dieselben Ziele wie die Bundesregierung. Wenn wir wirklich von Entideologisierung und Gleichbehandlung sprechen, dann verstehe ich nicht, wie Sie in Ihrem Elternurlaubsgesetz noch einmal die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, zwischen leiblichen Eltern und Adoptivmüttern herstellen,
({9})
indem Sie denjenigen benachteiligen, der Familienpflichten wahrnimmt. Bei aller Gleichberechtigung, für die ich eintrete, heißt das, daß wir spätestens im Jahre 1985 erkannt haben sollten, daß die alte Spaltung in Erwerbs- und Familienarbeit der Vergangenheit angehört
({10}) und wir hier einen neuen Weg beschreiten.
({11})
Ich möchte an dieser Stelle auch noch etwas zum Kündigungsschutz beim Erziehungsgeld, etwas zum Erziehungsurlaubsgesetz sagen. Gegenwärtig wird behauptet, der Kündigungsschutz sei ein völlig ungesicherter. Dies ist unwahr.
({12})
Ich sage erstens, wir sind in der jetzigen Regelung auf den Kündigungsschutz zurückgegangen, der auch beim Mutterschutz bestand, und gegen den haben Sie in all den Jahren nie Einwendungen erhoben und Maßnahmen ergriffen, um ihn zu verändern. Von daher ist auch bei einem Kleinbetrieb, wie es jetzt vorgesehen ist, nur eine Kündigung in Ausnahmefällen möglich, nämlich nur dann, wenn der Arbeitgeber zur Fortführung des Betriebs dringend auf eine Ersatzkraft angewiesen ist, die er nur einstellen kann, wenn er mit ihr einen unbefristeten Arbeitsvertrag abschließt.
({13})
- Ich halte dagegen, daß der Arbeitgeber den Beweis erbringen muß, daß er von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch macht, und Sie wissen, wenn Sie die gesetzlichen Vorschriften kennen, daß das mit einem ganz erheblichen Aufwand verbunden ist. Die Zahlen der Vergangenheit zeigen, wie selten davon Gebrauch gemacht wird.
({14})
Von daher würde ich sagen, warten Sie erst einmal die Praxis ab.
({15})
Es ist viel davon die Rede gewesen, daß angeblich Arbeitslose vom Erziehungsgeld ausgeschlossen werden. Dies stimmt so nicht; es ist unwahr.
({16})
Wie ist es denn gegenwärtig nach der Mutterschaftsurlaubsregelung? Wer arbeitslos ist, muß wählen, ob er das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe auf der einen oder das Mutterschaftsurlaubsgeld auf der anderen Seite in Anspruch nehmen will. Beides nebeneinander hat es bei der Mutterschaftsurlaubsregelung nicht gegeben.
({17})
Bei den Einkommensschwachen, etwa einer alleinerziehenden Frau, die sonst über kein Einkommen verfügt, wird das Mutterschaftsgeld in vollem Umfang von der Sozialhilfe aufgezehrt.
Sie haben eben gesagt, Sie wollten eine Familienpolitik, eine Sozialpolitik mit Rechtsansprüchen. Ich bin zwar der Auffassung, daß bestimmte Leistungen über Rechtsansprüche gehen müssen, wie sich gerade bei der Stiftung „Mutter und Kind" zeigt. Aber ich denke, daß im Bundeserziehungsgeldgesetz dieser Rechtsanspruch auf gleichzeitige Inanspruchnahme von Sozialhilfe und Erziehungsgeld durchgesetzt worden ist und für viele eine ganz entscheidende Verbesserung darstellt.
({18})
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reimann?
Es tut mir leid, heute nicht; denn meine Redezeit ist noch einmal beschnitten worden, und ich möchte die Zeit nutzen, um meine kurze Rede zu Ende zu bringen.
({0})
- Dann vielleicht das nächste Mal.
Ich komme zu meinem zweiten Grundsatz. Die Familie lebt von ihrer wirtschaftlichen Förderung, von ihrer ideellen Anerkennung, aber sie hat auch nur in dem Maße Zukunft, in dem wir gleichzeitig Partnerschaft und Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf für Frauen und Männer verwirklichen.
({1})
Es wird sich in der Zukunft erweisen, in welchem Maße in der Gesellschaft das Platz greifen wird, was auch der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom Oktober 1982 gesagt hat: „Unsere freiheitliche Gesellschaft kennt kein bestimmtes Leitbild der Frau, weder das der Hausfrau noch das der berufstätigen Frau. Denn immer mehr Frauen sehen im Beruf einen ebenso selbstverständlichen Teil ihrer Lebensplanung wie in der Familie." Was wir abzuschaffen und schrittweise abzubauen haben, ist, daß wir die Alternative „Familie oder Beruf", „Kinder oder Karriere" insbesondere den Frauen zur Wahl stellen und nicht eines gegen das andere ausspielen. Immer mehr Frauen und auch Männer wollen beides besser miteinander verbinden können. Dafür hat die Politik Sorge zu tragen.
({2})
- Ich sehe nicht, wo ich dagegenarbeite; das betrifft sowohl die jetzt in der Beratung befindlichen Gesetzesentwürfe als auch die Vorhaben unseres Hauses und meiner Politik.
Ich denke, daß die Bundesregierung die Frage von Partnerschaft und Gleichberechtigung immer weniger als ein Frauenproblem, sondern vielmehr als ein Frauen- und Männerproblem erkannt hat und in ihren Gesetzesvorhaben durchsetzt.
({3})
Denn nur in dem Maße, in dem es uns gelingt, Benachteiligungen in unserer Gesellschaft abzubauen, unter denen die Frauen in besonderer Weise leiden, werden wir es auch schaffen, eine Zukunft der Familie in der Familie und in der Gesellschaft herzustellen.
Zu den tatsächlich bestehenden Benachteiligungen tritt dabei gerade in letzter Zeit immer wieder auch die unerträgliche Diffamierung der erwerbstätigen Frau. Ich meine - lassen Sie mich das deutlich sagen - das unverantwortliche Gerede von Doppelverdienern, das natürlich ausschließlich auf die Frauen zielt.
({4})
Ich habe noch niemanden gehört, der mit diesem Begriff etwa die Erwerbstätigkeit eines Mannes hat in Frage stellen wollen. Die Frauen bei uns sind schließlich keine arbeitsmarktpolitische Reserve.
({5})
Wir wissen doch alle, wieviel Familien auf den
Zweitverdienst der Ehefrau wirklich angewiesen
sind. Schließlich haben Frauen auf dem Arbeitsmarkt das gleiche Recht wie Männer, erwerbstätig zu sein, wenn sie es wollen.
({6})
Es besteht kein Zweifel, daß wir die Situation der Frauen in der Ausbildung und hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt verbessern müssen. Das gilt darüber hinaus für die Bereiche Weiterbildung und Aufstiegschancen für Frauen. Es gilt - dabei lassen Sie mich auf die Initiativen unseres Hauses zurückkommen - in den Frauenförderungsplänen, die sowohl in die Wirtschaft als auch in die öffentliche Verwaltung einzubringen sind.
Ein großes Problem, dessen Lösung uns aufgetragen ist, sind der technologische Wandel und dessen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, von der in besonderer Weise die Frauen betroffen sind. Unsere Sorge muß es sein, auf die Sozialverträglichkeit zu achten und damit negative Auswirkungen zu vermeiden und die Arbeitsmarktchancen von Frauen auch in diesem Bereich durch Bildung und Einsatz in den neuen Bereichen zu nutzen.
({7})
Das gilt auch für die politische Beteiligung der Frauen. In allen Parteien hat gerade die Diskussion der letzten Wochen gezeigt, wie sehr darum gerungen wird, den Anteil der Frauen in den Parteien, in den Ämtern, insbesondere in den Mandaten, in den Führungspositionen auch außerhalb der Parteien zu erhöhen.
({8})
Hier zeigt sich sehr deutlich, wie lang der Weg zu einer Beteiligung ist.
({9})
- Ich glaube, da stehen sich die Parteien in nichts nach. Ich würde sehr vorsichtig sein.
Der langfristige Erfolg setzt allerdings voraus, daß das nicht primär von den Frauen zu erledigen ist, sondern daß sich die Männer mit Nachdruck dafür einsetzen müssen, daß diese Plätze auch erreicht werden.
({10})
Unsere Politik für Frauen hat nicht nur die Verbesserung ihrer Chancen zum Ziel, sondern auch die Änderung besonders belastender Lebensbedingungen. Wenn wir wirklich dafür eintreten wollen, daß Familie mehr ist als Eltern-Kinder-Familie, wenn sie Mehr-Generationen-Verantwortung darstellen soll, dann kann dies nicht einseitig in der Inanspruchnahme der Frauen bestehen, ohne dies anzuerkennen und ohne sie in der angemessenen Weise zu entlasten.
({11})
Das gilt insbesondere für die Pflegetätigkeiten in den Familien, die primär von den Frauen übernommen werden.
Lassen Sie mich zum Abschluß meines Debattenbeitrags nur noch kurz auf ein paar Punkte zu sprechen kommen, die mir besonders am Herzen liegen. Ich möchte aus der Debatte die Frage der Jugendpolitik aufgreifen und noch einmal bekräftigen, daß diese gerade bei der Zusammenarbeit mit den Jugendverbänden von den Prinzipien der Autonomie und Partnerschaft bestimmt ist.
({12})
Ich gehe davon aus, daß alle nach diesem Grundsatz handeln und gehandelt haben.
({13})
Ich sage zum anderen, daß hier nicht die Frage der Kürzungen im Bundesjugendplan anstehen kann, sondern nur seine nochmalige Erhöhung.
({14})
Da würde ich wirklich sagen: Wenn die Verteilung auf die in der Bundesrepublik vertretenen Jugendverbände unterschiedlichster Trägerschaft so unparteiisch zugeht wie gegenwärtig, dann brauchen Sie keine Sorge darum zu haben, daß sie eine Rechtslastigkeit habe und alte Begünstigte aus der Förderung herausgefallen seien.
({15})
- Eben nichts. Sie würden vermuten, daß das bei uns so ist, weil Sie das so praktizieren. Das trifft aber nicht zu.
({16})
Ich möchte in gesundheitspolitischer Hinsicht dringend die AIDS-Erkrankung ansprechen. Ich möchte an dieser Steile den Damen und Herren des Haushaltsausschusses und den Berichterstattern meinen Dank für die Unterstützung insbesondere in diesem Bereich sagen. Diese Unterstützung betrifft die Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit. Ich bin sehr froh, daß dies im Haushaltsausschuß einmütig geschehen ist. Ich finde auch, daß wir dieser besonderen Bedrohung nur mit einer gemeinsamen Anstrengung werden begegnen können. Alle sinnvollen Forschungsmaßnahmen - das ist das Ergebnis der Haushaltsberatungen - sollen durchgeführt werden. Keine Maßnahme soll in Zukunft wie bereits in der Vergangenheit am Fehlen der Mittel scheitern. Wir werden alles, was notwendig ist, unternehmen und dank der Haushaltsmittel auch unternehmen können, um die Bevölkerung zu informieren. Wir brauchen diese umfassende Information, weil wir diese Krankheit, solange es keine wirksame Therapie gibt, nur dadurch in Grenzen halten können, daß die Infektionswege unterbrochen werden.
In den nächsten Tagen werde ich die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland durch eine Postwurfsendung informieren, um die Menschen aufzuklären und unnötige Ängste abzubauen.
({17})
Es trifft zu, daß daneben durch Programme zur psychosozialen Beratung AIDS-Gefährdeter und durch ein ,,Street-worker"-Modell, das die Tätigkeit des öffentlichen Gesundheitsdienstes ergänzen soll, die Aktivitäten der Länder in diesem Feld wirksam ergänzt werden. Wir werden die Selbsthilfe gezielt fördern. Wir werden durch die Errichtung zweier nationaler Referenzzentren für eine ständige Verbesserung der Diagnostik und für eine wirksamere Erfassung und Analyse der Krankheitsfälle sorgen. Wir werden ebenso allen Versuchen, AIDS-Kranke oder AIDS-Gefährdete auszugrenzen, sie als Aussätzige zu behandeln, entschieden entgegentreten.
({18})
Wir werden aber auch diejenigen, die andere anstecken können, weiter darüber aufklären, was sie tun können und was sie auf Grund ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen tun müssen, damit sich die Krankheit nicht weiter verbreitet.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal zu den Förderungsmitteln für die psychosoziale Beratung krebserkrankter Kinder Stellung nehmen. In Ergänzung und zum Teil in Wiederholung dessen, was gesagt worden ist, möchte ich noch einmal unterstreichen, daß von Ihnen Frau Kelly, offenbar nicht nachvollzogen worden ist, daß eine Erhöhung um 6 Millionen DM erfolgt ist. Gleichzeitig möchte ich sagen, daß weitere 25 Millionen DM mit Haushaltsvorbehalt für 1987 angesetzt sind und daß für die bereits jetzt geförderten Kinderkrebszentren alle Möglichkeiten bestehen - dazu fordere ich sie auf, auch ganz im Sinne meines Schreibens -, Anträge im Hinblick auf den jetzt bestehenden Titel zu stellen, um die psychosoziale Beratung entsprechend durchführen zu können. Es trifft also nicht zu, was Sie sagen, daß sie mit diesem Titel keine Anträge stellen könnten.
({19})
Von daher muß ich dem entgegentreten und Ihnen dies noch einmal ausdrücklich sagen. Ich teile Ihre Betroffenheit in bezug auf Situation und Sorge für die krebskranken Kinder; aber es trifft nicht zu, daß sie die Mittel für die psychosoziale Beratung nicht in Anspruch nehmen könnten. Im Gegenteil, ich bitte sie ausdrücklich, sie anzufordern.
({20})
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Kelly?
Ich würde das mit Frau Kelly lieber nach der Debatte besprechen, weil die anderen nicht mehr zu Wort kommen.
({0})
- Ich habe alles erklärt, was zu diesem Punkt zu erklären war. Das bedarf keiner Ergänzung.
({1})
Ich habe nicht den Eindruck, daß ich einen schlechten Haushalt und eine schlechte Familienpolitik vorgefunden habe. Ich bin sicher, wenn die Familien abstimmen könnten, würden sie diesen Haushalt begrüßen.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich auf den Geschäftsbereich der Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit eingehe, zunächst noch unsere Haltung zu dem vorgelegten Antrag der Frau Kollegin Kelly hinsichtlich der krebskranken Kinder. Hier wird künstlich ein Dissens erzeugt, der im Grunde nicht vorhanden ist.
({0})
- Nun, klatschen Sie mal nicht zu früh!
Der Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit hat auf Anregung der Kollegin Schmidt seinerzeit einstimmig beschlossen, den Haushaltsausschuß zu bitten, die entsprechenden Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Dies ist geschehen. Aber der Antrag der Frau Kollegin Kelly richtet sich darauf, daß ein Vermerk im Haushaltsplan angebracht wird, wonach ein Teil dieser Summe zur psychosozialen Betreuung krebskranker Kinder anzuwenden ist. Darum geht es, und für diese Zweckbestimmung im Rahmen des gemeinsam erweiterten Haushaltsansatzes sprechen wir Sozialdemokraten uns aus.
({1})
- Sie müssen sich nicht dagegen sperren; das ist doch nur eine Sicherheit, daß die Mittel auch in dem Sinne ausgegeben werden.
({2})
- Ich bleibe dabei, es ist ein künstlicher Gegensatz, der hier von Ihnen heraufbeschworen wird.
({3})
Nun zu Ihnen, Frau Bundesminister Süssmuth. Ich hatte anfangs Ihrer Rede den Eindruck, Sie würden sie Chance verpassen, zu ein paar Fragen, die der Haushaltsberichterstatter der CDU/CSUFraktion, der Kollege Rossmanith, aufgeworfen hat, Stellung zu nehmen. Sie haben diese Chance dann aber im zweiten Teil genutzt. Es muß die deutsche Öffentlichkeit j a wohl ein bißchen überraschen, daß Sie zu den Fragen, bei denen Sie sich klar vom Frauenbild des Herrn Rossmanith abgesetzt haben, nur Beifall von dieser Seite des Hauses bekommen haben.
({4})
Wir sind Ihnen recht dankbar dafür, daß Sie sich von diesem Frauenbild abgesetzt haben. Ich habe in den paar Minuten, die mir zur Verfügung stehen, nicht die Gelegenheit, mich mit den Einlassungen von Herrn Rossmanith zu § 218 und der Stiftung „Mutter und Kind" auseinanderzusetzen.
({5})
- Eben, deswegen lasse ich das auch.
Frau Minister, Sie haben hier ein anderes Frauenbild aufgezeigt. Dann verstärkt sich doch wohl der Eindruck, daß Sie damit in Ihren eigenen Reihen allein stehen oder umstritten sind. Wenn wir Sie heute schonen, Frau Süssmuth, dann deshalb, weil wir die parlamentarische Spielregel einhalten, daß jeder neue Minister hundert Tage Schonzeit hat. Ich werde alles, was ich Ihnen und Ihrem Hause vorzutragen habe, in die Form von Fragen kleiden. Wir schonen Sie nicht deswegen, weil eine renommierte süddeutsche Zeitung dieser Tage zu berichten wußte, daß auf dem CSU-Parteitag jemand gesagt hat: Die Reklamekatholikin hat nichts gebracht; Frau Süssmuth paßt eher in eine sozialistische Regierung als in eine von der CDU/CSU getragene Regierung.
({6})
Dort, wo Sie vernünftige Positionen einnehmen, können Sie aber mit unserer Unterstützung rechnen, Frau Minister.
({7})
Die Ära Geißler ist vorbei und damit, so hoffen wir, auch die Regierungszeit eines Halbtagsministers. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie mit voller Kraft in die Aufgabenfelder einsteigen, denn Aufgaben gibt es genug. Lücken hat Herr Geißler genug hinterlassen.
({8})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich muß Sie allerdings darauf aufmerksam machen, daß ich sie auf Ihre Redezeit anrechnen muß.
Nein, dann kann ich sie auch nicht zulassen; denn ich habe nur noch sechs Minuten Redezeit.
Frau Süssmuth, Sie sollten also, wenn die hundert Tage abgelaufen sind, dem Hause einmal etwas zu den anderen Aufgabenfeldern Ihres Ministeriums aussagen. Sie sollten einmal generell dazu Stellung nehmen, wie Sie dort die Arbeit aufnehmen wollen oder wie Sie sie gestalten wollen. Sie müssen dann noch einmal verdeutlichen, ob Sie sich von Herrn Geißler auf dem Sektor der Jugendpolitik in der Tat absetzen wollen.
Meine erste Frage an Sie ist: Welchen Stellenwert räumen Sie denn der Jugendpolitik insgesamt ein? Zweitens: Distanzieren Sie sich von Herrn Geißler? Gehen Sie einen anderen Weg als er? Gehen Sie nicht den Weg der Disziplinierung durch Zudrehen
des Geldhahns, wenn Ihnen die politischen Aussagen von Jugendverbänden nicht passen?
({0})
Auf diese Fragen erwarten wir in absehbarer Zeit eine Antwort.
Auf die Weltjugendfestspiele ist schon hingewiesen worden. Wenn Sie es noch nicht wissen, dann kümmern Sie sich bitte darum - dies geht in Ihrem Hause ja noch weiter -: Da wird Zensur ausgeübt, was Veröffentlichungen in Organen von Jugendverbänden anbelangt. „Forum" heißt eine solche Zeitschrift. Auch wenn wir Sozialdemokraten mit dem Inhalt des betreffenden Artikels nicht übereinstimmen: Es kann nicht angehen, daß die Förderung eingestellt wird, weil Ihnen der Inhalt eines Artikels nicht paßt.
({1})
Dies ist Zensur. Man braucht sich j a nicht zu wundern, wenn der Stadtdirektor in einer westfälischen Kleinstadt zwischenzeitlich so weit ist, daß er Wallraff-Bücher aus der öffentlichen Bibliothek entfernen läßt. Hier wird das Vorbild von Ihrem Hause aus gegeben. Auf vielen negativen Feldern ist Geißler das große Vorbild für das, was in der Provinz geschieht.
({2})
Frau Bundesminister, kümmern Sie sich bitte auch unverzüglich um die personelle Besetzung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Dort wird Stellenmanipulation betrieben und hin-und hergeschoben. Wenn all die Erklärungen zur Wichtigkeit dieser Aufgabe hier im Parlament und draußen - von Bischofskonferenzen oder von wem auch immer - nicht nur das Papier füllen sollen, auf das sie geschrieben sind, sondern ernstgemeinte Aussagen sein sollen, dann können wir diese Bundesprüfstelle bei einer immer stärker wachsenden Medienflut personell nicht aushungern lassen. Wir müssen ihr vielmehr die Möglichkeit geben, ihre ihr vom Gesetz übertragene Aufgabe vernünftig zu erfüllen.
({3})
Frau Minister, was das Feld der Jugendarbeitslosigkeit angeht, so erwarten wir von Ihnen in absehbarer Zeit angesichts der Herausforderung von 160 000 jungen Menschen ohne Ausbildungs- und Arbeitsplatz auch eine schlüssige Antwort auf die Frage, welche Initiativen die Bundesregierung ergreifen bzw. fördern will.
({4})
Dann erwarten wir von Ihnen auch ein Wort, ob es eine neue, eine eigene Handschrift von Ihnen bei den zwischenzeitlich im Bundesrat vorliegenden Entwürfen zur Veränderung des Zivildienstgesetzes, des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes, geben wird,
({5})
ob Sie wenigstens den Schritt mit uns gemeinsam
gehen wollen, die Gewissensprüfung definitiv abzuschaffen, und ob Sie erkennen, daß es in den Altfällen große Schwierigkeiten und ein großes Maß an menschlicher Tragik gibt, weil die Leute immer noch durch diese Mühlen gedreht werden und, wenn sie anerkannt werden, gleichwohl den längeren Zivildienst zu leisten haben. Wir erwarten von Ihnen klare Aussagen, wie Sie sich als neue Ministerin, die nicht nur die Funktion eines Aushängeschildes hat, die eben nicht nur die Vorzeigedame des Kabinetts Kohl sein will, auf diesen Feldern die zukünftige Arbeit vorstellen.
({6})
In den zwei mir noch zur Verfügung stehenden Minuten will ich kurz einige Probleme der Gesundheitspolitik ansprechen.
Nachdem der Herr Bundesminister Blüm mit leeren Händen dasteht - denn die Konzertierte Aktion hat j a nichts gebracht ({7})
und mit beredten Worten das Verhalten der Zahnärzte kritisiert hat, frage ich Sie: Ist das alles, was ein Bundesminister zu leisten imstande ist?
({8})
Seinen kritischen Ausführungen den Zahnärzten gegenüber schließen wir uns voll an, aber dabei darf es nicht bleiben.
({9})
- Nun schreien Sie doch nicht so.
({10})
Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat einen eigenständigen Bereich, der auch auf die Kostensituation im Gesundheitswesen einwirken kann. Da frage ich Sie: Wann kann denn dieses Parlament damit rechnen, daß der Regierungsentwurf für eine Novelle zum Arzneimittelgesetz vorgelegt wird? Wollen Sie den dann wieder durchs Parlament peitschen? Das Parlament braucht dafür Beratungszeit. Wenn wir als Opposition in der Lage waren, einen Gesetzentwurf zu fertigen und dem Hause vorzulegen, dann wird es doch wohl möglich sein, daß die Regierung mit ihrem großen Apparat das in gleicher Zeit leistet.
({11})
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Gesundheitspolitik noch einen Satz auf AIDS verwenden: Das, was der Haushaltsausschuß in Bewegung gesetzt hat, ist hervorragend, findet unsere Billigung. Aber wo bleibt denn das Gesamtkonzept? Unser Antrag im Hinblick auf ein Gesamtkonzept hätte doch eigentlich zeitgleich mit dem Haushalt hier zur Beratung gestellt werden müssen. Müssen wir denn die Regierung erst auffordern? Man mußte ihr das Geld förmlich aufreden, und jetzt müssen wir im Nebel verharren. Wir wissen nicht, in welche Gesamtkonzeption die Bundesregierung
ein solches Vorhaben einbinden will. Also hier haben Sie noch viele, viele Schularbeiten zu machen.
Ein letztes Wort zur Psychiatrie: Hier wird gesagt, die Länder hätten sich erklärt. Natürlich, das ist richtig. Nur, auch Sie haben auf unseren Druck hin, nachdem unser Gesetzentwurf vorgelegen hat, durch Ihren Nachfolgeentwurf eine Schmalspurreform einleiten wollen. Auch Sie wissen, daß wir dauerhafte Regelungen in der Reichsversicherungsordnung benötigen. Für mich ist die Haltung der gesetzlichen Krankenversicherer unverständlich, die dem ablehnend gegenüberstehen. Die streiten sich darum, ob für Zahnersatz in einem Einzelfall 20 000 oder 30 000 DM aufgewendet werden sollen,
({12})
aber daß in der Psychiatrie noch Zustände herrschen, die menschenunwürdig sind, nehmen sie nicht zur Kenntnis, und dafür 500 Millionen DM aufzuwenden, sind sie nicht bereit.
Diese Kritik, die ich jetzt gegen die Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherung gerichtet habe, muß ich in gleichem Ausmaß gegen Sie richten; denn auch Sie sind offensichtlich nicht bereit, einer solchen Initiative Ihre Zustimmung zu geben.
({13})
Ihr Entwurf wird am 1. Januar nicht in Kraft treten. Deswegen brauchen wir eine geringfügige Verlängerung der Modellaufphase, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß die positiven Ansätze, die es dort gibt, zwischenzeitlich verschüttgehen.
Ich danke Ihnen.
({14})
Bevor ich das Wort weiter gebe: Herr Abgeordneter Werner ({0}), der von Ihnen benutzte Ausdruck „scheinheilig" ist unparlamentarisch, gehört hier nicht her.
({1}) Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß noch einmal zurückkommen auf den leidigen Antrag von Frau Kelly zu den krebskranken Kindern. Ich wäre ganz froh, wenn Frau Kollegin Kelly jetzt zuhören könnte.
Frau Kollegin Kelly, Sie haben ja nicht 2,1 Millionen DM mehr beansprucht, sondern Sie wollen eine Zweckbindung von 2,1 Millionen DM haben. Sie vergessen dabei, daß in diesem Haushalt erstens der Betrag von 20 auf 25 Millionen DM erhöht worden ist
({0})
- Entschuldigung, 26 Millionen DM - und daß zweitens weitere 25 Millionen DM - daher kommt der Versprecher - an Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen sind. In diesem Betrag ist das enthalten, was Sie wollen, nämlich die psychosoziale
Betreuung von krebskranken Kindern. Dadurch, daß die Verwendung der Mittel nicht festgelegt ist, haben wir mehr Gestaltungsraum. Wir können hier mehr hineinbringen als das, was Sie wollen.
({1})
Davon abgesehen, Frau Kelly, bin ich etwas ,enttäuscht über die Art und Weise, in der Sie versuchen, Politik zu machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller ({0}).
Nein. Mir ist meine Redezeit um über die Hälfte gekürzt worden.
Frau Kelly, im Ausschuß ist kein einziges Mal ein Grüner - weder Sie noch Ihre Kollegin Frau Wagner noch irgend jemand anderes - zu uns gekommen, um sich mit uns zu beraten, wie wir etwas tun könnten. Kein einziges Mal!
({0})
Sie kommen immer in der zweiten oder dritten Lesung und stellen Anträge, die sich so schnell nicht verwirklichen lassen.
({1})
Es gab einmal einen Antrag von Ihnen zur Frage der Krebserforschung, dem wir gemeinsam zugestimmt haben. Sie werden sich erinnern. Ein einziges Mal. Damals sind Sie nicht auf uns zugekommen, um zu fragen: Können wir da nicht gemeinsam etwas machen? Vielmehr bin ich im Plenum herumgelaufen und habe für Ihren Antrag die Stimmen gesammelt. Fragen Sie doch einmal die Kollegen der Sozialdemokraten. Wir haben gemeinsam Ihren Antrag unterstützt und unseren Antrag zurückgezogen.
Ich würde mich wirklich sehr freuen, Frau Kollegin Kelly, wenn Sie bei solchen Dingen nicht versuchen würden, Alleingänge zu machen, um sich zu profilieren, sondern zu uns kämen.
({2})
Alle Kollegen dieses Hauses bieten Ihnen ihre Mitarbeit an.
({3})
Ich muß noch einmal sagen: Wir werden nicht dafür stimmen, weil die Zustimmung zu Ihrem Antrag eine Einengung auf 2,1 Millionen DM bedeuten würde. Wir haben dafür mehr Mittel vorgesehen, wir sind für mehr Flexibilität. Das ist mehr als das, was Frau Kelly haben will.
({4})
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Haushalt 1986 hat es die Opposition schwerer, als sie es in der Vergangenheit ohnedies hatte, speziell mit diesem Einzelplan 15. Die Frau Minister hat
Eimer ({5})
schon darauf hingewiesen, wie groß der Zuwachs in diesem Haushalt ist. Hatte die SPD in der Vergangenheit noch von Ankündigungen der Koalition gesprochen und hämisch auf den Tag der Verwirklichung hingewiesen, so sind jetzt die Versprechungen in der Familienpolitik eingelöst, die Gesetze verabschiedet, die Maßnahmen heute im Haushaltsplan ausgewiesen und dokumentiert. Wieder ist der SPD ein klägliches Argument zwischen den Fingern zerronnen. Alles, was angekündigt wurde, ist verwirklicht.
Wir haben zu Beginn dieser Koalition versprochen, die Familienpolitik zum Schwerpunkt zu machen. 1986 sollte dieser Teil in Kraft treten. Der Haushalt 1986 ist das Dokument der Einlösung dieses Versprechens. Das ist alles solide finanziert, das sind keine Wohltaten auf Pump.
Alles, was der SPD übrigbleibt, ist kleinkarierte Kritik, sind Marginalien: da ein bißchen anders und dort eine vermeintliche Gerechtigkeit mehr; eben kleinkariert. Diese kleinkarierte Kritik bezieht sich obendrein in vielen Fällen auf Punkte, bei denen die SPD nichts fertiggebracht hat.
Da werden immer wieder die Kürzungsarie und der Gesang vom Kahlschlag gesungen. Natürlich ist der Ansatz für Kindergeld im Haushalt gegenüber anderen, vergangenen Jahren leicht zurückgegangen. Aber wir haben j a auch wesentlich weniger Kinder.
({6})
Aber das ist alles mehr als ausgeglichen worden durch das verabschiedete Familienpaket. Wenn ich die Vergleichszahlen durch die Zahl der Kinder teile, ist festzustellen, daß die Leistungen pro Kopf nochmals steigen, weil eben die Zahl der Kinder um zirka 11 % zurückgegangen ist.
({7})
Ich hätte ganz gern genaue Zahlen vorgelegt. Ich hatte das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit darum gebeten. Ich bekam zwar einen Berg von Fakten und Zahlen, aber leider nicht die, die ich wollte. Frau Minister, ich habe den Verdacht, daß es in ihrem Ministerium ein paar Sozialdemokraten gibt, die das sabotieren, weil die Zahlen für die Koalition zu positiv sind.
({8})
So muß ich mich mit Daumenzahlen begnügen, weil mit dem bescheidenen Personal, das ein Bundestagsabgeordneter zur Verfügung hat, nicht so schnell reagiert werden kann.
Heute haben wir ungefähr 14,6 Millionen DM Kindergeld im Haushalt. Das sind wegen des Rückgangs der Kinderzahlen gegenüber 1981 etwas weniger. Aber nicht weil gekürzt worden wäre, sondern - ich habe es schon gesagt - weil die Zahl der Kinder zurückgegangen ist. Das ist aber durch die Mehrausgaben aus dem Familienpaket von 8,6 Milliarden DM ausgeglichen. Dazu kommen andere Mehrausgaben für die Familie wie Wohngeld und Baukindergeld.
Ich nenne einige Vergleichszahlen. Ich habe sie leider nur für den Zeitraum zwischen 1984 bis 1986. Familien mit Kindern wird in diesem Zeitraum 4,5 Milliarden DM weniger an Steuern abverlangt. Das heißt, sie behalten 4,5 Milliarden DM mehr. Im Haushalt 1986 werden durch Zuschlag zu Kindergeld, Erziehungsgeld, Stiftung „Mutter und Kind", Erziehungsjahr in der Rentenversicherung 6 Milliarden DM mehr ausgegeben. Ich glaube, diese Zahlen können sich sehen lassen.
Ich habe nochmals die Bitte an die Frau Minister, diese Globalzahlen einmal zusammenzustellen, weil sie mehr und deutlicher als alles andere zeigen, wie gut diese Regierung gearbeitet hat. Ganz gleich, ob wir diese Beträge absolut, pro Kopf oder kaufkraftbereinigt vorführen, sie sind hervorragend; wir können sie zeigen.
Auch in einem anderen Fall stellt die Regierung nach meiner Meinung ihr Licht unter den Scheffel. Hier wurde bereits auf den Zuwachs im Bereich der AIDS-Forschung hingewiesen. Auch hierzu legen DIE GRÜNEN jetzt einen Änderungsantrag vor, der im Ausschuß nicht gekommen ist. Wenn Frau Wagner regelmäßig im Ausschuß mitarbeitete, müßte Sie wissen, daß von den Instituten keine neuen Anforderungen gekommen sind, daß das, was da liegt, ausreicht und daß uns auf meine Frage vom Ministerium sogar gesagt worden ist, wenn sich neue Forderungen ergäben, sei man flexibel und könne man nachschieben. Auch deswegen muß ich den Antrag der GRÜNEN als Schauantrag zurückweisen.
Für Forschung und für Vorbeugung und Aufklärung ist mehr im Haushalt enthalten, als auf den ersten Blick sichtbar wird. Für Forschung - wir haben die Zahlen auf Nachfrage bekommen - werden 5,8 Millionen DM ausgegeben, für Aufklärung und Vorbeugung 7,2 Millionen DM. Das macht zusammen 13 Millionen DM.
Ich kann nur feststellen: Der Opposition zerrinnen alle ihre Argumente gegen die Regierung in ihren Händen. Alle Anträge der GRÜNEN, die hier gestellt werden, sind Schauanträge. Zum Teil haben wir mehr eingesetzt, als hier gefordert wird.
Ich glaube, dieser Haushalt kann sich sehen lassen. Wir werden diesem Haushalt zustimmen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Deres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Zeit etwas zusammengepreßt, etwas nach hinten verschoben - die Kollegen kommen schon rein; der Geräuschpegel beginnt zu steigen -, möchte ich den Herrn Jaunich nur mit einem Satz bedienen. Wenn wir diesen wirren Vorstellungen des Herrn Jaunich in der Gesundheitspolitik folgen würden, wären wir
schnell wieder in dem Durcheinander, aus dem wir gerade erst kommen.
({0})
Was die Zuweisung von Erblast von Herrn Geißler auf Frau Süssmuth betrifft, möchte ich dir, lieber Ernst Waltemathe, sagen: Wir haben noch mit der Erblast der letzten 13 Jahre zu tun. Ich lade dich privatissime et gratis einmal an die Ahr zu einer Weinprobe ein; dann können wir uns darüber mal unterhalten. Die Frau Süssmuth kann man mit so etwas nicht verängstigen.
Meine Damen und Herren, im Herbst des Jahres 1982, als wir unsere Arbeit am Einzelplan des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit aufnahmen, mußten wir zuerst folgendes feststellen. Im Haushalt waren keine echten Schwerpunkte gesetzt, erst recht keine gesundheitspolitischen - offenbar eine Folge sozialdemokratischer Haushaltspolitik, die nicht nur im Einzelplan 15 daran ausgerichtet war: für alle und für jeden etwas, auch wenn erkennbar nichts Vernünftiges dabei herauskam. Diese verfehlte Haushaltspolitik hat schließlich zur Zerrüttung unserer gesamten Finanzen beigetragen.
Wir haben das im Einzelplan 15 geändert und müssen auf diesem Weg konsequent fortfahren. Mir liegt sehr daran, dies heute bei meiner - durch einen Wechsel bedingten letzten - Berichterstattung zu diesem Einzelplan noch einmal zu betonen.
({1})
Die Gesundheit ist für unsere Bürger ein zu wichtiges Gut, als daß sie durch vermeidbare Fehler gefährdet werden dürfte. Deswegen haben wir in einem der bedeutendsten Bereiche des Bundesgesundheitsamtes, im Arzneimittelbereich, die personellen und organisatorischen Voraussetzungen für ein verbessertes, am Willen des Gesetzgebers orientiertes Verfahren bei der Zulassung von Arzneimitteln geschaffen.
({2})
Das Arzneimittelinstitut des Bundesgesundheitsamtes wird nicht nur einen kräftigen Personalzuwachs an Wissenschaftlern erfahren, sondern es wird 1986 auch deutliche Verbesserungen in korrespondierenden Bereichen, etwa der elektronischen Datenverarbeitung, vornehmen können. Die Vorarbeit des Bundesrechnungshofes war bei dieser Arbeit sehr hilfreich. Ich möchte mich beim Bundesrechnungshof und den zuständigen Mitarbeitern dafür bedanken.
({3})
Wir werden - ebenso wie in den Jahren 1984 und 1985 - sicherstellen, daß die neuen Planstellen nur für den vorgesehenen Zweck verwendet werden. Stellenumwidmungen, auch qualitative Verschiebungen genannt - das sind Beförderungen nach Parteibuch, wie sie beim Bundesgesundheitsamt unter sozialdemokratischer Herrschaft vorher vorgenommen wurden -, werden wir zu verhindern wissen.
({4})
Ich fordere Sie, Frau Minister, auf, auf diesen Punkt besonders zu achten.
Die Überprüfung im Bundesgesundheitsamt hat auch ergeben, daß die Gebühren für die Zulassung von Arzneimitteln den tatsächlichen Erfordernissen nicht mehr entsprechen. Wir erwarten, daß der Gebührenrahmen in Kürze so festgesetzt wird, daß sich in ihm auch die tatsächlichen Leistungen, die der Staat bei der Arzneimittelzulassung zu erbringen hat, widerspiegeln. Dies gilt insbesondere auch für die vielen inzwischen vorliegenden Anträge aus dem Ausland, die nicht die Zulassung am deutschen Markt anstreben, sondern die das Testat des Bundesgesundheitsamtes in Berlin brauchen, um es für Werbung und Verkauf auf dem Weltmarkt zu benutzen.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, daß wir auf dem Wege der Schwerpunktbildung fortfahren müssen. Mit der Sicherung der Arzneimittelzulassung und der Nachzulassung von Arzneimitteln ist diese Aufgabe nicht erledigt. Wir haben gerade in jüngster Zeit wieder erlebt, wie schnell etwa Problemen der Lebensmittelsicherheit und der Toxizität von Bedarfsgegenständen begegnet werden muß. Umweltprobleme und ihre gesundheitspolitische Einordnung sind von nicht geringer Bedeutung.
({5})
Bundesgesundheitsministerium und Bundesgesundheitsamt müssen in der Lage sein, sich auf diese Anforderungen schnell und wirkungsvoll einzustellen.
Es war wichtig, um zu diesem Abschnitt noch etwas zu sagen, daß wir uns im Haushaltsausschuß - ich schließe an Ernst Waltemathe an und sage bewußt: im Haushaltsausschuß; alle Gruppen sind das Thema ernsthaft angegangen und haben sich als konsensfähig erwiesen - zu den nach wie vor drängenden Fragen von AIDS geäußert und schnelle und unbürokratische Konsequenzen gezogen haben. So ist erreicht worden, daß auch künftig notwendige Hilfen und Forschungsvorhaben nicht wegen fehlender Mittel unterbleiben müssen.
Neben der Forschung und epidemiologischen Studien haben Aufklärung und Information unserer Bürger hier eine besondere Bedeutung.
({6})
Die neue, unmittelbar bevorstehende Aufklärungsaktion des Ministeriums kann deshalb nur begrüßt werden. Für AIDS ist der Haushalt im Vergleich zu 1985 um insgesamt etwa 10 Millionen DM verbessert worden, einschließlich der Mittel, die im Einzelplan des Bundesministers für Forschung und Technologie und im Einzelplan des Bundesministers für Verteidigung für Einstellungsuntersuchungen zur Verfügung stehen. Es wird zu überlegen sein, ob
durch eine intensivere Koordinierung der einzelnen Ressortzuständigkeiten noch eine gezieltere Wirkung erreicht werden kann.
Abschließend darf ich darauf hinweisen, meine Damen und Herren: Im Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt haben wir ein seit langem anstehendes Problem gelöst und die gebotene Abgrenzung dieses Instituts zum institutionell geförderten Chemotherapeutischen Forschungsinstitut Georg-SpeyerHaus in Frankfurt herbeigeführt, und das kostenneutral. Mit dieser Regelung sind auch für die AIDS-Forschung im Paul-Ehrlich-Institut bessere Voraussetzungen geschaffen worden. Gesundheitspolitik, meine Damen und Herren, auf klaren und erfolgversprechenden Wegen, das war unsere Aufgabe in den letzten drei Jahren, das bleibt unsere Zielvorstellung für die Zukunft.
({7})
Als Berichterstatter nach § 28 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Müller ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Wort zur Berichterstattung ergriffen, um klarzustellen, daß der Haushaltsausschuß die Mittel für die psychosoziale Betreuung von Kindern erhöht hat. Es waren sich auch die Berichterstatter in den Haushaltsberatungen darüber einig, daß diese erhöhten Mittel, 6 Millionen DM in diesem Titel für die Betreuung krebskranker Kinder, im Rahmen psychosozialer Betreuung verwendet werden sollten. Der hier vorliegende Antrag bezweckt nichts anderes, als daß dieses Vorhaben, worüber unter den Berichterstattern Einigkeit bestand, selbstverständlich auch in den Haushalt hineingeschrieben wird. Um mehr handelt es sich nicht. Das heißt, ein Konsens, der vorhanden ist, soll auf diese Weise in den Haushalt hineingeschrieben werden. Darum geht es.
Es ist zwar das Recht einer Fraktion, daraufhin eine namentliche Abstimmung zu verlangen, aber verständlich ist es eigentlich nicht.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu einer Reihe von Abstimmungen, bevor es zu einer namentlichen Abstimmung kommt. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit und wäre dankbar, wenn die Abgeordneten ihre Plätze einnähmen.
Wir stimmen zuerst ab über den Änderungsantrag des Abgeordneten Auhagen und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4386. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4386 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag auf Drucksache 10/4333 zur Abstimmung auf. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer also dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen zu stimmen wünscht oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorn aufgestellten Urnen zu legen.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
({1})
- Hier vorn fehlt noch ein zweiter Schriftführer. Ich darf bitten, daß jemand den Platz einnimmt.
Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß nach dieser namentlichen Abstimmung, und zwar im Anschluß an die Abstimmung vor Mitteilung des Ergebnisses, weitere Abstimmungen stattfinden. Ich bitte also, im Saal zu bleiben und die Plätze wieder einzunehmen.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme abzugeben wünscht? - Dann bitte ich darum, das zu tun.
Kann ich nun davon ausgehen, daß kein weiteres Mitglied des Hauses seine Stimme abzugeben wünscht? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung*), bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, und bitte die Kollegen, wegen der weiteren Abstimmungen wieder Platz zu nehmen.
Diejenigen Kollegen, die durch ihr eindeutig erkennbares Verhalten anzeigen, daß sie hier zur Zeit nichts zu tun haben, bitte ich, das nicht hier zu tun!
({2})
Wir stimmen jetzt über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD ab. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4334 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4335 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4336 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4360. Hier habe ich zunächst eine Berichtigung mitzuteilen. Unter Ziffer 2 dieses Antrags wird der Haushaltstitel 686 01 genannt. Statt 686 01 muß es 681 01 heißen. Ich wäre dankbar, wenn Sie das korrigierten.
Wir kommen nun zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag auf Drucksache 10/4360. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
*) Ergebnis der Abstimmung Seite 13524 B
Vizepräsident Westphal
Dann ist dieser Änderungsantrag mit Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
Wir können jetzt über den Einzelplan 11 nicht abstimmen, weil dazu erst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegen muß. Die Abstimmung über den Einzelplan 11 wird nach der Mittagspause stattfinden.
Wir kommen zum Einzelplan 15. Wer dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 10/4340 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 15 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, ich teile das Ergebnis der namentlichen Abstimmung nach der Mittagspause mit.
Wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14.30 Uhr mit den Abstimmungen über den Einzelplan 11 und der Beratung über die Einzelpläne 06, 36 und 33 fortsetzt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
({3})
Wir fahren in den Beratungen fort.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittelungsausschusses zu dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank - Drucksache 10/4392 - zu erweitern. Dieser Zusatzpunkt soll heute abend nach der zweiten Beratung des Haushaltsgesetzes 1986 ohne Debatte aufgerufen werden. Kein Widerspruch? - Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4333 konnte vor der Mittagspause nicht mehr bekanntgegeben werden. Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis bekannt: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 407 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 178 Mitglieder des Hauses, mit Nein haben 225 Mitglieder des Hauses gestimmt. Vier Mitglieder haben sich enthalten. Die 18 Berliner Abgeordneten haben ihre Stimme abgegeben; davon haben gestimmt 7 mit Ja, 10 mit Nein, eine Enthaltung.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 408 und 18 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 179 und 7 Berliner Abgeordnete
nein: 225 und 10 Berliner Abgeordnete
enthalten: 4 und 1 Berliner Abgeordneter
Ja
SPD
Amling
Dr. Apel Bachmaier Bamberg
Becker ({0}) Bernrath
Bindig
Brandt
Brück
Buckpesch Büchler ({1})
Dr. von Bülow
Buschfort Catenhusen Conradi
Dr. Corterier
Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme Dreßler
Duve
Dr. Ehmke ({2})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Esters
Ewen
Fiebig
Fischer ({3}) Fischer ({4})
Frau Fuchs ({5})
Frau Fuchs ({6}) Gansel
Gerstl ({7})
Gilges
Glombig Dr. Glotz Grunenberg Haar
Haehser
Hansen ({8})
Frau Dr. Hartenstein
Dr. Hauchler
Hauck
Heistermann
Herterich Heyenn
Dr. Holtz Horn
Frau Huber
Immer ({9}) Jahn ({10})
Jansen
Dr. Jens
Jung ({11}) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein ({12})
Dr. Klejdzinski
Kolbow
Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Lohmann ({13})
Lutz
Matthöfer Meininghaus
Müller ({14}) Müller ({15})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Neumann ({16}) Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna Pauli
Dr. Penner
Peter ({17})
Pfuhl
Porzner Poß
Ranker
Rapp ({18})
Rappe ({19}) Reimann
Reschke Reuschenbach
Reuter
Rohde ({20})
Sander
Schäfer ({21}) Schanz
Dr. Scheer
Schluckebier
Schmidt ({22}) Schmitt ({23})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schreiner
Schröer ({24}) Schulte ({25})
Dr. Schwenk ({26}) Sielaff
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({27})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler Stockleben
Dr. Struck
Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Vahlberg
Verheugen
Voigt ({28}) Waltemathe
Walther Weinhofer
Weisskirchen ({29}) Dr. Wernitz
Westphal Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Wieczorek ({30}) Wiefel
von der Wiesche Wimmer ({31}) Witek
Dr. de With
Wolfram ({32})
Würtz
Zander Zeitler Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich ({33}) Egert
Vizepräsident Frau Renger
Heimann Stobbe
Dr. Vogel Wartenberg ({34})
DIE GRÜNEN
Auhagen
Frau Borgmann
Frau Hönes
Kleinert ({35})
Lange Mann
Dr. Müller ({36}) Rusche
Dr. Schierholz
Schily
Schmidt ({37})
Schulte ({38})
Senf ft Suhr
Tatge Tischer Vogel ({39})
Volmer
Werner ({40})
Frau Zeitler
Berliner Abgeordneter Ströbele
fraktionslos
Bastian
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Dr. Barzel
Bayha
Dr. Becker ({41}) Berger
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({42})
Dr. Bötsch
Bohl
Bohlsen
Borchert
Breuer Broll
Bühler ({43})
Dr. Bugl
Carstens ({44}) Carstensen ({45}) Frau Dempwolf
Deres Dörflinger
Doss
Dr. Dregger
Ehrbar Eigen Engelsberger
Erhard
({46})
Dr. Faltlhauser Fellner
Frau Fischer Fischer ({47}) Francke ({48})
Dr. Friedmann Funk
Ganz ({49})
Frau Geiger Gerlach ({50}) Gerstein
Gerster ({51}) Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz
Götzer
Günther
Dr. Häfele
von Hammerstein
Hanz ({52}) Haungs
Hedrich
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({53}) Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland Dr. Hüsch
Dr. Hupka
Graf Huyn
Jagoda
Dr. Jahn ({54})
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({55}) Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller
Klein ({56})
Dr. Köhler ({57}) Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({58}) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Link ({59}) Link ({60}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold
Löher
Lohmann ({61}) Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Milz
Dr. Möller
Müller ({62}) Müller ({63}) Müller ({64})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Frau Pack
Pesch
Petersen
Pfeffermann Dr. Pinger
Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Reddemann Repnik
Dr. Riedl ({65})
Dr. Riesenhuber Rode ({66}) Frau Rönsch Frau Roitzsch
({67}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({68})
Sauer ({69})
Sauer ({70}) Saurin
Sauter ({71}) Sauter ({72}) Scharrenbroich Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer
Schmitz ({73}) Schneider
({74})
Dr. Schneider (Nürnberg Schreiber
Dr. Schroeder ({75}) Schulhoff
Dr. Schulte
({76}) Schultz ({77}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Dr. Sprung
Dr. Stark ({78})
Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Strube
Stutzer
Susset
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({79})
Vogt ({80})
Dr. Voigt ({81})
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner ({82}) Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms
Wimmer ({83})
Frau Dr. Wisniewski
Dr. Wittmann
Wittmann ({84}) Dr. Wörner
Würzbach Dr. Wulff Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({85}) Boroffka
Buschbom Dolata
Feilcke
Kalisch
Kittelmann
Dr. h. c. Lorenz
Schulze ({86}) Straßmeir
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({87}) Eimer ({88})
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoffie
Kleinert ({89}) Kohn
Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger
Dr. Rumpf Schäfer ({90})
Frau Dr. Segall
Dr. Solms
Wolfgramm ({91})
Enthalten
SPD
Berschkeit
Eickmeyer
Frau Traupe
Berliner Abgeordneter Löffler
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Vizepräsident Frau Renger
Frau Kelly hat zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung ums Wort gebeten.
Bitte, Sie haben das Wort.
({92})
Sie nennen das „Gequatsche". Ich werde es aber trotzdem für die Betroffenen machen.
({0})
Ich habe für den Änderungsantrag auf Drucksache 10/4333 gestimmt, weil innerhalb der laufenden Modellmaßnahmen zu Verbesserungen der Betreuung krebskranker Kinder der Bereich Psychosoziale Betreuung personell nicht abgedeckt war und nicht ist, sondern aufgewendete Mittel - sehr begrenzte Mittel - vorrangig für Ärzte- und Schwesternstellen aufgewendet wurden.
({1})
Mit meiner Zustimmung zu diesem Antrag wollte ich mit dazu beitragen, daß innerhalb des erhöhten Finanzvolumens für die Behandlung krebskranker Patienten allgemein ein gewisser Teilbetrag als Modellprojekt ausschließlich für notwendige Stellen im psychosozialen Bereich für Kinder gebunden wird.
({2})
Für mein Abstimmungsverhalten war auch die Überlegung maßgebend, daß die verbesserten Heilchancen heute eine psychosoziale Betreuung und Behandlung - nicht lediglich Beratung, wie Frau Süssmuth vorher meinte - ungleich dringender erfordern, als das vor einigen Jahren der Fall gewesen ist.
Dem Antrag habe ich auch deshalb zugestimmt, weil bisher keine anderen Initiativen zur Verbesserung des psychosozialen Bereichs unternommen worden sind, obwohl die bestehende Notlage in den Kinderkrebsstationen nicht nur den betroffenen Familien und Ärzten durch eigene Erfahrung, sondern auch der Öffentlichkeit durch einschlägige Berichte in den Medien sehr wohl bekannt ist.
({3})
Ferner habe ich diesem Antrag auch zugestimmt, damit eine im Berichterstattergremium vereinbarte allgemeine Erhöhung der Mittel für die Behandlung von Kinderkrebs in Richtung auf psychosoziale Betreuung präzisiert und festgeschrieben wird.
({4})
Nicht zuletzt habe ich dem Antrag auch deshalb zugestimmt, damit den jetzt, heute verzweifelt nach Hilfe suchenden Familien krebskranker Kinder eine konkrete Unterstützungsmöglichkeit geboten wird.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 11. Wer dem Einzelplan 11 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enhaltungen? - In zweiter Lesung angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
- Drucksachen 10/4156, 10/4180 Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster ({0}) Dr. Riedl ({1})
Frau Seiler-Albring
Kleinert ({2})
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
- Drucksachen 10/4176, 10/4180 - Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster ({3}) Kühbacher
Suhr
Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksachen 10/4174, 10/4180 Berichterstatter:
Abgeordnete von Hammerstein Kühbacher
Dr. Müller ({4})
Zu dem Einzelplan 06 liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Kleinert ({5}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4303 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Einzelpläne 06, 36 und 33 sowie eine Aussprache von drei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun ist der Kollege Blüm weg; er hätte hier etwas lernen können. Hier wird über ernsthafte Dinge geredet und nicht nur über Karnevalsjokes.
({0})
Ich möchte den anwesenden drei verehrten Kollegen von den GRÜNEN etwas zu ihrem Antrag betreffend den Umweltschutz sagen. Sie fordern in Ihrem Antrag auf diesem roten Blatt Papier, die Regierung möge 8 Milliarden DM mehr für den Umweltschutz ausgeben. Ihre Präsenz zeigt, wie ernst Sie die ganze Veranstaltung hier nehmen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir behandeln drei größere Etats in verbundener Debatte. Der Einzelplan 06 - Geschäftsbereich des Bundesminister des Innern - umfaßt 3,8 Milliarden DM; der überwiegende Teil wird für Personalkosten verwendet. Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung - umfaßt 851 Millionen DM. Der große Etat Versorgung - Einzelplan 33 -, der gelegentlich nicht die richtige Würdigung findet, hat ein Finanzvolumen von 9,5 Milliarden DM.
Herr Minister, es ist üblich, daß sich die Opposition mit Ihrer Politik anläßlich der Haushaltsdebatte auseinandersetzt. Ich will die Wertung meiner Fraktion vorwegnehmen. Herr Minister, Ihre Politik als Innenminister ist in der Wortwahl aggressiv, im Handeln unentschlossen und zögerlich und bei der Übernahme politischer Verantwortung ängstlich ausweichend.
({2})
- Herr Kollege Riedl, ich weiß ja, daß hinter vorgehaltener Hand auch in den Koalitionsfraktionen diese Meinung - unterschiedlich temperiert - über den jetzigen Innenminister geteilt wird.
({3})
- Das ist so. - Das hat etwas damit zu tun, daß die Ansprüche dieses Innenministers, seine Aussagen, seine plakativen Darstellungen und sein Handeln meilenweit auseinanderklaffen.
({4})
Herr Minister, Sie hatten am 31. Oktober anläßlich einer Medaillenverleihung gesagt - ich zitiere Sie -: „Umweltschutz ist für mich und die Bundesregierung neben der Sicherung des Friedens die wichtigste Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft."
({5})
- Ja, die Aussage ist ja richtig, aber diesem Anspruch wird der Bundesinnenminister in keinster Weise gerecht.
({6})
Wir können das an den verschiedensten Beispielen verdeutlichen. Der Innenminister betrachtet sich im Bereich der Umweltpolitik als Reparaturminister, anstatt in der Umweltpolitik konsequente Vorsorge zu treffen.
({7})
- Konsequente Vorsorge, Kollege Schwarz, ist das umweltpolitische Gebot Nummer eins. Wir müssen in die Zukunft hinein arbeiten und planen und Vorsorge treffen. Wenn es uns nicht gelingt, künftig auftretende Umweltschäden zu verhindern, werden wir die notwendige Umstrukturierung unserer Industriegesellschaft nicht erreichen. Wir werden dabei versäumen, die Strukturen an die sich wandelnde Technologie anzupassen.
Meine Damen und Herren, Umweltschutzpolitik hat auch etwas mit der Sicherung von Arbeitsplätzen zu tun. Im Bereich der Umweltpolitik - das behaupte ich einmal - sind in den nächsten Jahren ohne Schwierigkeiten einige 10 Milliarden DM an Investitionen zu mobilisieren.
({8})
Man muß es nur wollen.
({9})
Beispielsweise kann es im Bereich der Energiepolitik nicht mehr heißen, immer mehr und immer billigere Energie herzustellen, sondern es muß heißen, beim Energieverbrauch rationell und sparsam vorzugehen und die notwendigen Investitionen zu tätigen.
Technische Innovationen sind beim Umweltschutz zu fördern. Ich darf einige Bereiche nennen: Forschung und Entwicklung von Ersatzstoffen für wichtige chemische Substanzen - keiner von uns kann mehr länger zusehen, wieviel chemische Substanzen sich über den Wasserhaushalt in unseren Böden festsetzen und damit das Grundwasser ungenießbar machen -, Abwärmenutzung, Verbesserung der Güte von fließenden Gewässern, neue Abfallbeseitigungsanlagen, Sanierung alter Energieerzeugungsanlagen und der Produktionsanlagen der chemischen Industrie, Sanierung der Mülldeponien. Ich glaube, da ist ein breites Feld, für das der Innenminister ein gerüttelt Maß an Verantwortung trägt. Hier liegt auch ein Feld, wo die Mikroelektronik und moderne Schlüsseltechnologien ihren Einsatz finden. Im Steuern, Regeln, Messen sind wir Deutschen Weltmeister. Aber das findet hier keinen Einsatz, weil Sie nicht durch entsprechende Rahmenbedingungen kapitalintensive Investitionen hier hinein lenken. Was macht die Bundesregierung? Sie beteiligt sich an Rüstungsprojekten wie SDI und wirft damit das Finanzvolumen für sinnvolle Forschungspolitik um Jahre zurück.
({10})
Frau Kollegin Seiler-Albring, es stellt sich die Frage, ob man Umweltpolitik und Friedenssicherung oder aber Rüstungspolitik vorantreiben will. Daran müssen Sie sich messen lassen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns doch einig. Wir müssen in der Umweltpolitik von der Wegwerfgesellschaft zur Wiederverwertungsgesellschaft kommen. Die Vermeidung von Abfällen aus der Produktion und aus dem Konsum muß oberstes Gebot bleiben. Auch in der Wiederverwertung sind wir heute noch viel zu zaghaft. Hier liegen große Chancen für die Schonung unserer Rohstoffreserven, für neue Technologien und damit für mehr Arbeitsplätze.
Allerdings - das will ich nicht verhehlen - bleibt die Reparatur vergangener falscher Politik unausweichlich. Die Kehrseite unseres Wohlstandes liegt auf und zum Teil in der Erde. Hundertfünfzig Jahre lang haben wir gemeinsam - in der Nachkriegszeit besonders - die Umwelt wie ein freies Gut behandelt und zu niedrigsten Kosten bewertet. Wir haben uns über die Frage der Folgenbeseitigung auch bei betriebswirtschaftlichen Überlegungen überhaupt keine Gedanken gemacht. Heute haben wir ökologische Zeitbomben. Fast jeder von uns hat in seinem Wahlkreis irgendeine Altdeponie. Das sind Zeitbomben, von denen wir noch gar nicht wissen, was es damit auf sich hat.
Herr Minister, ich möchte Sie einmal bitten, darüber nachzudenken, ob wir nicht im Umkreis von chemischen Fabriken, im Umkreis von Tankstellen die Böden zu untersuchen haben. Dabei werden wir wahrscheinlich feststellen, daß umfangreiche Sanierungsmaßnahmen in unseren Städten und im ländlichen Bereich notwendig sind, um die Industriefolgen zu beseitigen, die wir nicht politisch zuzurechnen haben. Das hat etwas mit unserer rasanten Entwicklung der letzten dreißig Jahre zu tun.
Auch hier, in der Aufbereitung solcher Altbereiche, liegt ein Investitionsbedarf zwischen 15 und 50 Milliarden DM, so schätzen es die Fachleute. Das bedeutet Arbeitsplätze.
Herr Minister, wir fordern Sie auf, eine Umweltpolitik voranzutreiben, die darin besteht, die Rahmenbedingungen entscheidend zu verändern.
Ich will einmal ein Amt von Ihnen besonders loben. Das ist das Umweltbundesamt. Den Umweltbericht des Umweltbundesamtes des Jahres 1984 kann ich jedem zum Lesen empfehlen. Das ist eine der spannendsten Lektüren, die diese Bundesregierung herausgibt.
({11})
- Ja, natürlich. Ich lobe das Umweltbundesamt. Hier werden viele Investitionsbereiche angerissen. Dort ist zu lesen, was es z. B. bedeutet, die Umstellung auf bleifreies Benzin im Raffineriebereich voranzutreiben. Allein in der Bundesrepublik müßten wir gut 500 Millionen DM sofort dafür aufwenden. Im EG-Bereich sind es über 3 Milliarden DM, die in diesem kleinen Industriezweig investiert werden müßten. Das ist keine Frage von Altlasten, Herr Kollege Günther, sondern es ist die Frage, ob man eine Sache vorantreibt, die man für richtig erkannt hat - wie man es in diesem Bericht auch darstellt. Das ist der entscheidende Punkt.
Herr Minister, Sie sagen auch, konsequente Umweltvorsorge ist ein Stück Überzeugungsarbeit. Da ist Ihnen zuzustimmen. Aber wo bleibt der überzeugungskräftige Innenminister bei der Frage des Tempolimits? Herr Minister, ein Blick in diesen Jahresbericht - ich sage Ihnen auch die Seite: Seite 54 - hätte Ihnen zeigen müssen - diesen Bericht hat Ihr Haus herausgegeben -, was es mit dem Tempolimit auch ohne Großversuch auf sich hat. Das muß man sich einmal anschauen. Hier wird deutlich gesagt, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen den Schadstoffemissionen aus den Auspuffen und der Höhe der Geschwindigkeit. Wenn Sie hier einmal nachlesen, hier geht es um die NOx-Emissionen: Ab Tempo 80 steigen die NOxEmissionen geradezu progressiv. Beim CO-Ausstoß fängt es bei Tempo 110 an. Rasant geht es nach oben. Dazu braucht man keinen Großversuch. Es ist ja gut, daß er gemacht worden ist, nur sind die falschen Konsequenzen daraus gezogen worden.
({12})
Herr Minister, wo ist denn Ihre Überzeugungsarbeit, wenn es darum geht, für die Bäume, für das Leben zu werben?
({13})
Herr Minister, Herr Schütze hat Ihnen in der „Süddeutschen Zeitung" ins Gebetbuch geschrieben: „Die Bundesanstalt für Straßenverkehr sagt: Wenn wir bei einem Tempolimit von 130 km auf Autobahnen wären, würden wir 20 % Verkehrstote weniger haben; wenn wir auf 100 km gehen, wären es sogar 37 % Tote weniger".
({14})
- So zynisch können Sie antworten: Natürlich gibt es bei 0 km wahrscheinlich keine Toten mehr durch den Straßenverkehr. Aber so zynisch, wie Sie, Herr Minister, darüber hinweggehen, gehen Sie die ganze Frage an.
({15})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Boroffka?
Ja, gerne, Herr Boroffka.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß nach dem Gutachten des Umweltbundesamtes vom vorigen Jahr für jeden, der die Prozentrechnung kann, leicht ausrechenbar war, daß nach den Annahmen dieses Gutachtens bei Tempolimit 100 auf Bundesautobahnen und 80 auf Landstraßen nicht mehr als knapp 4 % der Gesamtstickoxidemissionen reduziert werden könnten?
({0})
Herr Kollege Boroffka, Sie sehen das Thema Tempolimit unter einem ganz verengten Blickwinkel. Zum Beispiel zu den Toten sagen Sie kein Wort, zu der Frage der Verkehrssicherheit sagen Sie kein Wort. Es gibt noch weitere Dinge, die dabei zu sehen sind. Eines sage ich Ihnen: Natürlich argumentiert die deutsche Automobilindustrie so, wie Sie es soeben getan haben.
({0})
Eines ist klar, so schreibt die „Süddeutsche Zeitung": „Wo sich eine Regierung nicht zugunsten von Menschenleben durchsetzen kann, wird sie es noch viel weniger für die Natur und für die Bäume tun. Die Kfz-Zulassungen gehen in eine WachstumsstaDeutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Kühbacher
tistik ein, das Siechtum der Wälder nicht." Herr Zimmermann, Sie sollten darüber nachdenken.
Herr Abgeordneter Kühbacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riedl?
Aber gern, bei Herrn Kollegen Riedl immer.
Ich bedanke mich, Herr Kollege Kühbacher.
Herr Kollege Kühbacher, wären Sie, wenn Ihnen so wie uns allen die Minderung von Verkehrstoten auf unseren Straßen - die Zahl ist schrecklich genug - so am Herzen liegt, dann wenigstens auch so fair anzuerkennen, daß es nach 13jähriger Untätigkeit der von Ihnen getragenen Regierung im Hinblick auf die Einführung einer Anschnallpflicht in den Pkw unsere Regierung war, die mit dieser Einführung Tausenden Menschen das Leben gerettet hat?
({0})
Herr Kollege Riedl, leider habe ich die Passage zum Zitieren nicht dabei, in der sich Ihr Verkehrsminister Dollinger und der Innenminister Zimmermann vehement gegen die Pflicht zum Anlegen von Gurten gewendet haben. Das ist die Wahrheit.
({0})
Erst auf den allgemeinen Druck hin hat sich diese Regierung darum gekümmert. Das ist doch völlig klar.
({1})
Fragen Sie doch den Herrn Minister Baum! Der kann dazu etwas sagen. Der Kollege Hirsch nickt jetzt auch. Sie haben es nun durchgesetzt, weil es gar nicht mehr anders ging, weil Ihnen die Toten irgendwann auch zuviel wurden.
({2})
Da komme ich wieder auf den Minister zurück: Bei Null Kilometer gibt es Null Tote. Das ist seine Philosophie.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mann?
Aber gern.
Herr Kollege Kühbacher, der dänische Umweltminister hat hinsichtlich des Kompromisses vom Juni gesagt: In der Nacht saß die Automobilindustrie am Verhandlungstisch. Stirnmen Sie mir darin zu, daß bei dieser Kabinettsentscheidung in der sitzungsfreien Woche - getimet - die Automobilindustrie zumindest geistig mit am Kabinettstisch gesessen hat und daß darin der entscheidende Grund liegt, warum ein Tempolimit nicht beschlossen worden ist?
Herr Kollege Mann, ich will nicht bestreiten, daß das Argument der Automobilindustrie, die Exportchancen unserer Autos würden sinken, sicherlich irgendwo Gewicht hat, und daß das auch in der Frage der Beurteilung, ob man das Tempolimit einführt, bei dem Minister eine Rolle gespielt hat. Ich glaube nicht, daß der Minister von der Automobilindustrie erpreßbar ist. Mich ärgert, daß er erst über mühsame Prozesse zu einem richtigen Handeln geführt werden kann. Ich glaube nicht, daß er derjenige ist, der für die Automobilindustrie den Kasper spielt.
({0})
- Sie können über den Bundeskanzler urteilen, wie Sie wollen. Ich sehe das so, daß er das nicht ist. Ich werfe ihm vor, daß er zögerlich handelt, auch wenn die Fakten klar auf dem Tisch liegen. Das ist kein handelnder Minister, das ist ein zögernder Minister.
Möchten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Hirsch zulassen?
Gern, Herr Kollege Hirsch.
Verehrter Herr Kollege Kühbacher, wenn es schon um die Zahl der Verkehrsopfer geht: Stimmen Sie mir denn darin zu, daß wir auch in früheren Jahren schon längst gemeinsam - wie die anderen europäischen Staaten - ein Tempolimit hätten einführen können und daß dieser Gedanke heute ebenso wie früher in allen Fraktionen auf den heftigsten Widerstand stößt?
Herr Kollege Hirsch, ich will das nicht bestreiten. Bei uns in der Fraktion haben wir, wenn ich mich richtig erinnere, in drei Etappen mehr als acht Stunden darüber diskutiert. Auch zum Schluß gab es bei uns in der Fraktion, wie ich glaube, sechs Kollegen, die gesagt haben: Bei Gewichtung aller Argumente halten wir die Entscheidung innerhalb der SPD-Fraktion nicht für die richtige. - Das waren 6 von 200 Kollegen; der Rest war überzeugt. Natürlich gibt es in jeder großen Partei unterschiedliche Positionen. Die Frage ist nur, ob man sich nach einem Überzeugungsprozeß durchsetzen kann. Herr Kollege Hirsch, ich bin ganz sicher: Wenn wir vielleicht in zwei oder drei Jahren diskutieren, haben wir dieses Tempolimit, weil die EG es uns ohnehin verordnet. Dann wird der Minister als derjenige hier stehen, der das bei der EG durchgesetzt hat. Ich bedanke mich für Ihre Zwischenfrage.
Ich will das Kapitel „Umweltschutz" abschließen. Ich komme nachher im Zusammenhang mit den Nordseebooten und ihrem Einsatz für die Gewässerreinhaltung in der Nordsee noch einmal darauf zurück. Herr Minister, gerade in der Umweltpolitik sind Sie in der Wortwahl nach außen hin aggressiv, im Handeln unentschlossen und zögernd und bei der Übernahme politischer Verantwortung ängstlich ausweichend. Darüber wird zur Zeit gerade im Untersuchungsausschuß debattiert. Das Thema „Verfassungsschutz" hat hier ja schon eine entscheidende Rolle gespielt.
Herr Minister, ich will an Hand des Haushaltsplanes jetzt einmal einige Punkte aufzählen, bei denen ich eigentlich vermisse, daß Sie außer der kalten Politik, die Sie in Ihrem Haus vertreten, sich um die Sorgen von einzelnen Menschen kümmern. Herr Minister, ich glaube, wir sind uns einig, daß die Bezahlung insbesondere von jungen Beamten - im Alter von etwa 30 Jahren, mit zwei Kindern - im einfachen und mittleren Dienst zu niedrig ist. Hier muß etwas passieren. Ich freue mich - ich sage das meinen Kollegen aus dem Innenbereich -, daß mit der vierten Besoldungsnovelle für den einfachen Dienst einvernehmlich ein erster Schritt getan worden ist.
({0})
- Das geschah doch aber auch etwa unter der Überschrift, Herr Kollege Broll: Erst hat man den Beamten die Schuhe und die Strümpfe ausgezogen - ich verweise auf Ihre Sparpolitik und nenne die 1-%-Marke; ich könnte dazu noch einiges mehr sagen -, dann hat man sie eine Zeitlang im Schnee herumlaufen lassen, und nun haben Sie ihnen ein paar Turnschuhe verpaßt und sagen: Nun lauft man schön! Diese Regierung wird es schon richten! ({1})
Das ist Ihr Verhältnis zu den Beamten des einfachen Dienstes, woran man Sie festmachen kann.
Herr Minister, ich fordere Sie auf, sich im einzelnen um die Lebenssituation Ihrer Beamten, und zwar gerade der kleinen Beamten, der schlecht verdienenden Beamten, der jungen Beamten zu kümmern. Ich fordere von Ihnen in diesem Bereich Gerechtigkeit, statt daß Sie aus Ihrem Haus Egoismus in Richtung auf Großverdiener erkennen lassen.
Wir behandeln hier auch den Bereich der Versorgung. Herr Minister, haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie es der Witwe eines Postschaffners geht, der 40 Jahre lang im öffentlichen Dienst gearbeitet hat? Die Mindestversorgung dieser Witwe liegt bei 1 017 DM. Kann man damit auskommen? Ist es Ihre Position, daß diese Mindestversorgung auskömmlich ist, oder sind Sie der Meinung, daß wir in diesem Bereich ergänzend Wohngeld und Sozialhilfe brauchen?
({2})
- Wenn der Herr Minister sich bei der Frage, ob es den kleinen Beamten aus dem öffentlichen Dienst oder ihren Witwen gutgeht oder nicht, mit dem Herrn Justizminister Witze erzählt, so ist das seine Art der Darstellung. Das Fernsehen überträgt diese Aussprache. Die Bürger draußen werden zu bewerten haben, was sie von diesem Minister zu halten haben, der sich nicht um Einzelschicksale, sondern nur um seine Selbstdarstellung kümmert.
({3})
Herr Minister, wir werden ja, wie Ihr Kollege Miltner auf dem Beamtentag verkündet hat, im nächsten Jahr eine recht auskömmliche Erhöhung der Besoldung und Gehälter im öffentlichen Dienst bekommen. Ich rufe nur in Ihre Erinnerung, daß die von mir hier eben als Beispiel angeführte Postschaffnerswitwe bei der angekündigten Besoldungserhöhung von 3,5 % 35 DM mehr haben wird, daß ein normaler Polizeibeamter brutto 70 DM mehr haben wird, daß aber die Herren, die das bei Ihnen im Hause ausrechnen - ich beziehe mich auf einen Ministerialrat -, brutto 240 DM mehr haben werden. Herr Minister, vielleicht lassen Sie sich auch zu diesem Punkt, was unter Leistungsgesichtspunkten zu bewerten ist, einmal ein wenig mehr Besoldungsgerechtigkeit einfallen.
({4})
- Herr Kollege Kroll-Schlüter, ich komme gleich auf eine Alternative und werde darstellen, wie der Minister mit großem Schwung Alibipositionen schafft, in der Wirklichkeit aber nichts tut. Es geht um die rechtliche Stellung der Frau in der Gesellschaft bzw. nach der Verfassung.
Herr Minister, auf Seite 32 Ihres Einzelplans, Kap. 06 02 Tit. 685 01, Untersuchungen auf dem Gebiet der rechtlichen Stellung der Frau, haben Sie für das nächste Jahr einen Ansatz von sage und schreibe 20 000 DM. Was soll dort gemacht werden? Es ist eine reine Alibi-Veranstaltung, Herr Minister, damit auch Sie deutlich machen können, Sie würden sich in Wahrheit um die rechtliche Position, um die Besserstellung der Frauen in der Gesellschaft, in der Rechtspflege, in der Gesetzgebung kümmern. Es ist nicht mehr als eine Schauveranstaltung. In Wahrheit kümmern Sie sich persönlich überhaupt nicht darum.
({5})
- Herr Kollege Broll, über 200 000 DM sind dazu gefordert worden. Nichts wird hier gemacht. - Sie im Innenausschuß haben das Thema ja intensiv diskutiert. Ich war dabei, als Sie sich mit diesem Thema beschäftigt haben, Herr Kollege Broll. Sollen wir die Minuten mal zählen? Es waren nur Sekunden, wo Sie sich damit beschäftigt haben.
({6})
Ich habe mir im Hause des Innenministers einmal aufstellen lassen, wie es denn um die Frauen im öffentlichen Dienst hier in Bonn, insbesondere deren Beförderungschancen, bestellt ist. Herr Minister, in Ihrem eigenen Hause - da freue ich mich so richtig - sind beim Schreibdienst und in der Registratur in den letzten drei Jahren 17 Beförderungen in die dritte Beförderungsstufe vorgekommen. Von den Beförderten waren fünf Frauen -29,4 %. Ich muß Ihnen schon sagen: Beim Schreibdienst eine enorme Anstrengung. - Auf der Sachbearbeiterebene, also bei den Beamten des gehobenen Dienstes, waren von 25 Beförderten drei Frauen - 12 %. Und da, wo eigentlich hier in Bonn Politik gestaltet wird, im höheren Dienst, Herr Minister, als Verfassungsminister auf Gleichberechtigung, Gleichstellung programmiert, waren von 33 Beförderten vier Frauen - sage und schreibe 12 %. Herr Minister, es ist völlig klar: Für die normale
Schreibarbeit und Putzarbeit brauchen wir die Frauen. Da werden sie dann auch gefördert, wenn ihr Anteil an Beförderungen auch nur ein Viertel ausmacht. Da, wo Verantwortung getragen wird, passiert bei Ihnen im Hause nichts. Statt dessen geben sie 20 000 DM für Gutachten für die rechtliche Gleichstellung aus.
Was ich von Ihnen erwarte, Herr Minister - und das muß bei Ihnen im Hause anfangen -, ist ein Frauenförderplan. Sie müssen sich an die Spitze der Bewegung setzen, um den Frauen die ihnen zustehenden Chancen zu schaffen.
({7})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hürland?
Aber gerne. Wenn es um den Minister geht, gerne.
Frau Kollegin, bitte.
Herr Kollege Kühbacher, ich schätze Ihren Einsatz für die Frauen außerordentlich. Ich schätze vor allen Dingen Ihr Fachwissen, das Sie in diesem Bereich haben. Können Sie mir vielleicht vergleichsweise die Zahlen für die Beförderung von Frauen, die in der Verwaltung des Deutschen Bundestages beschäftigt sind, nennen und mir sagen, wie viele Stellen im höheren Dienst und darüber hinaus durch Frauen besetzt sind?
Frau Geschäftsführerin, da Sie da im Vergleich zu mir als normalem Abgeordneten eine gehobene Verantwortung tragen, will ich Ihnen sagen - ich habe die Liste dort hinten auf dem Tisch liegen, ich habe mich sehr wohl auch für den Bundestag darum gekümmert -: Das ist bei uns im Hause nicht besser.
({0})
Ich bedauere, daß wir uns nicht an die Spitze der Bewegung setzen.
({1})
Hier im Hause liegt die Quote auf Sachbearbeiterebene weitaus höher. Das gebe ich zu. Aber was die Referatsleiter, die Abteilungsleiter in der Bundestagsverwaltung angeht, so sind das alles Männer. Es ist keine Frau dabei. Ich bitte das Präsidium, sich auch da einmal anzustrengen.
({2})
Die Plätze sind alle schon besetzt.
Frau Präsident, das ist ja das Problem, mit dem es die Frauen zu tun haben. Überall sind die Stühle, wo man gut verdient, bereits besetzt. Und da, wo es dann um Leichtlohngruppen geht, wird für die Frauen aufgemacht.
({0})
Herr Minister, was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß Sie sich immer nur zu großen Bereichen und dann mit entsprechenden Reden und Fernsehauftritten ergehen, sich aber um die Einzelfälle, die, wo man mal nachfassen muß, nicht kümmern. So ist Ihre Absicht, im nächsten Jahr 500 000 DM für die geistig politische Auseinandersetzung auszugeben, die das Bundesministerium in die Schulen usw. hineintragen will.
({1})
- Herr Kollege Riedl, wie wichtig das ist, hat Ihr Parteifreund Wruck in Berlin gezeigt. Das ist doch der Punkt.
({2})
Meine Bitte, Herr Minister, ist, daß im nächsten Verfassungsschutzbericht auftaucht, wie die Junge Union Berlin von Rechtsradikalen unterwandert ist.
({3})
Es muß doch Sie, Herr Minister, alarmieren, wenn am Vorabend des Empfangs des amerikanischen Präsidenten von ausgewählten Jugendlichen aus der Jungen Union Berlin - das waren j a handverlesene - das Horst-Wessel-Lied gesungen wird. Da müßten Sie als Verfassungsminister doch dazwischenfahren.
({4})
Aber was machen Sie? Sie bespitzeln das politische Umfeld der GRÜNEN; denn dort könnten Revolutionäre usw. sein. Ich meine, dort sind nicht überwiegend solche Leute. Aber natürlich machen die GRÜNEN Ihnen im Bereich der Umweltpolitik Ärger. Deshalb ist es wichtiger, den Blick dorthin zu lenken, als nun wirklich einmal nach Rechtsradikalen nachzuschauen.
({5})
Herr Zimmermann, noch ein kleiner Einzelpunkt - nicht wichtig, aber symptomatisch für Ihre Art von Politik -: Zum Sport wird nachher der Kollege Klein noch etwas sagen, aber ich habe bei der Durchsicht der Erläuterungen zum Haushalt gesehen, daß Sie 200 000 DM mehr reklamiert und von der Union bewilligt bekommen haben - natürlich gegen unsere Stimmen - für Auslandsdienstreisen. Was schreiben Sie da? Sie brauchten mehr internationale Kommunikation auch auf Leitungsebene. Herr Minister, ich sage Ihnen nur eins: Erwische ich Sie, Ihre Stellvertreter oder einen Beamten dabei, daß Sie bzw. sie auf Kosten der Steuerzahler zu den Fußballweltmeisterschaften nach Mexiko fahren, dann rappelt es im Hause.
({6})
Ich habe die Vermutung, Sie haben das Geld dafür vorgesehen.
Nun will ich einmal bei aller Kritik an dem Minister meine Kollegen Gerster, Riedl und Frau Seiler-Albring im Ausschuß loben. Ein Bereich in der Haushaltssystematik bereitet mir jedenfalls Freude. Das ist der Abschnitt Kultur. Kein großer Etat, aber, Herr Kollege Gerster, danke schön dafür, daß dieser kleine Bereich pfleglich behandelt wird und überproportional steigt. Die Ausgaben steigen um 7,4 %. Ich denke, alle Kulturschaffenden - das ist eine ganze Liste - in den Museen, beim Bundesarchiv, in der Musik, beim Film und wo auch immer werden froh über die Steigerungsraten sein, die diese kleinen Etatposten erfahren. Zwischen 5,4 und 13,6 % werden hier zusätzliche Mittel freigemacht. Ich denke, das ist eine der wenigen Wohltaten, die über das Innenministerium zielgerichtet erbracht werden. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie sich im Ausschuß z. B. bei der Denkmalpflege weit über den Ansatz des Innenministers hinweggesetzt haben. Das ist eine vernünftige Etatpolitik aus dem Ausschuß heraus.
Anders der Minister und anders - das muß ich leider auch sagen - der Bundeskanzler. Da werden mit bombastischen Anträgen zwei Projekte in Bonn und in Berlin in Gang geschoben. Sie heißen Haus der Geschichte und Museum der Geschichte des deutschen Volkes; einmal in Bonn und einmal in Berlin. Es handelt sich wahrscheinlich um ein Ausgabevolumen von über 500 Millionen DM. Das wird mit einem Aplomb vorangetrieben, obwohl jeder von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, weiß, daß zumindest das Haus in Berlin nicht einmal etatreif ist. Da gibt es keine Unterlagen außer der Absichtserklärung des Bundeskanzlers.
Da werden Personalvorhaltetitel bereitgestellt, Kommissionen zusammengesetzt. Herr Minister, im übrigen eine Kommission, die 15 Köpfe stark ist und in der wieder keine Frau vertreten ist. Erleben in der Bundesrepublik eigentlich nur Männer Geschichte? Wenn Sie schon Sachverständige befragen, sollten Sie diese Zusammensetzung wirklich noch einmal überprüfen. Jedenfalls zeigt das Ihre Grundeinstellung.
500 Millionen DM für Museumsbauten. Ich sage für die SPD ganz deutlich: Wir sind nicht dagegen. Aber was wir erwarten, Herr Minister, ist: Wenn solche Museen konzipiert werden, darf daraus kein rein nationalistischer Geist des Bürgertums wehen. Das möchten wir verhindern. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie bei der Konzeption dieser Museen das republikanische Gedankentum und die Emanzipationsbewegung in der Bildungsschicht, im Bürgertum und in der Arbeiterschaft seit dem 18. Jahrhundert berücksichtigen. Die Bismarcksche Nationalstaatsgründung und die Einheitsbewegung müssen entsprechend dargestellt werden. Die unterschiedlichen Entwicklungen im Früh- und Hochkapitalismus müssen in einem solchen Museum zum Ausdruck kommen. Und für Sozialdemokraten ist natürlich wichtig, daß die Rolle der Arbeiterbewegung als Haupterbe der demokratischen Traditionen von 1848/49 dargestellt wird.
In Berlin gehört auch ein örtlicher Bezug dazu. Natürlich darf ein solches Museum in Berlin nicht,
Herr Minister, bei 1945 enden. Die Geschichte geht weiter. Ebenso halte ich es für falsch, in Bonn ein Museum vorzusehen, in dem die Darstellung der Geschichte erst mit dem Jahr 1948 beginnen soll. Das entspricht nicht unserer Auffassung, und es entspricht sicherlich auch nicht dem Geschichtsbewußtsein der vielen jungen Leute, die nach Bonn kommen.
Noch einmal: Wir unterstützen diese Museen, aber wir möchten auch, daß diese Gedanken berücksichtigt werden.
Aber von diesen 500 Millionen DM, von diesem großen Wurf des Bundeskanzlers für Berlin und für Bonn - ich kann ihn leider nicht nachmachen, wie das andere können, aber man könnte dieses Wort „Geschichte" entsprechend darstellen ({7})
zu einem kleinen Fall, an dem - Herr Minister, da mache ich Sie ganz persönlich verantwortlich - die soziale Unbarmherzigkeit in Ihrem Hause deutlich wird. Alle in der Kultur Tätigen sind sich einig, Herr Minister, daß die Künstlerhilfe für etwa 2 500 bis 3 000 arme, mittellose Künstler verbessert werden soll. Zur Zeit bekommen diese Einzelpersonen 510 DM aus einem gemeinschaftlichen Fond.
Herr Minister, wir haben dieses Thema im Innenausschuß debattiert. Herr Broll, ich danke Ihnen noch mal dafür, daß Sie gesagt haben: Wir wollen, daß dieser Betrag auf 750 DM im Monat angehoben werden kann und soll, damit man knapp an der Pfändungsfreigrenze liegt.
Was macht der Minister? Er kümmert sich darum überhaupt nicht.
({8})
Was machen seine Vasallen? Sie stimmen diesen Antrag im Haushaltsausschuß nieder. Herr Minister, nicht an 500 Millionen für Museumsbauten, sondern an dem Umgang mit dem einzelnen, alt gewordenen, ohne Altersversicherung dastehendem Künstler wird deutlich, wie ernst Sie es mit dem Menschen meinen.
({9})
Und das werfe ich Ihnen vor: Sie kümmern sich zu wenig um den Menschen.
({10})
Ich komme in meinen letzten vier Minuten auf einige Randbereiche zu sprechen, die nicht so wichtig sind. Aber zum Beispiel zum Thema Datenschutz, Herr Minister, haben wir bei der Durcharbeitung der Personaltitel festgestellt, daß sich Ihr Haus, Herr Minister, was die Stellenbesetzung angeht, an den gut dotierten Stellen des Datenschutzbeauftragten - na ja, ich muß mal sagen: - bedient hat.
({11})
Die herausgehobenen Positionen, die dieses Parlament dem Datenschutzbeauftragten zur Verfügung
gestellt hat, haben Sie in Ihrem Haus befördert, und
Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode .Kühbacher
deshalb sind die niedriger bezahlten Beamten beim Datenschutzbeauftragten tätig. Herr Minister, man kann, wenn man böse ist, natürlich auch fragen: Wollen Sie dadurch, daß Sie dort die Beförderungsmöglichkeiten abgeschnitten haben, den Datenschutz personell ausmanövrieren? Denn es ist völlig klar: Wenn ein Oberregierungsrat im Namen des Datenschutzbeauftragten zu einem Staatssekretär kommt, hat er eine ungleich andere Position, als wenn er als Abteilungsleiter auftreten kann. Aber er ist nicht Abteilungsleiter und auch nicht in einer entsprechenden Funktion, weil die dazugehörigen Ministerialratspositionen im Innenministerium verplant und verbraucht sind. Das muß in Ordnung gebracht werden. Sonst erheben wir den Vorwurf, daß Sie den Datenschutz auf diesem Umweg konterkarieren.
Ein weiterer Punkt, bei dem Sie, wie ich glaube, völlig falsch liegen, sind die Werbeansätze für die Volkszählung. Danach sollen, um die Volkszählung plausibel zu machen, 16 Millionen DM ausgegeben werden. Noch im November oder - nur dann kann es ja eigentlich noch sein - im Dezember 1985 sollen 2' /2 Millionen DM ausgegeben werden. Wo sind denn eigentlich diese Anzeigen, die den Bürger davon überzeugen sollen, daß er im Mai 1987 zur Volkszählung geht und sich daran beteiligt? 5,6 Millionen wollen Sie im nächsten Jahr ausgeben. Meine Sorge ist: All dieses Geld geht zum Fenster hinaus.
({12})
Darüber freuen sich die Zeitungsverlage. Niemand der Bürger wird das ernst nehmen. Richtiger wäre es gewesen, dieses Geld gezielt unmittelbar vor der Volkszählung einzusetzen, die wir ja alle hier im Haus, bis auf die kleine Minderheit der GRÜNEN, gemeinschaftlich beschlossen haben.
Zum Bundeskriminalamt, Herr Minister, kann ich nur sagen, daß durch die Beschlüsse im Haushaltsausschuß, aber nicht durch Ihre Politik, das Bundeskriminalamt dank dem Einsatz von Frau Seiler-Albring und Herrn Riedl innerhalb der CDU/CSU- und der FDP-Gruppe zusätzliches Personal erhalten hat. Herr Minister, auch dort haben Sie sich, was die Einzelfallüberlegung über die Beschäftigten des Bundeskriminalamts angeht, nicht gekümmert. Sie haben sich im Chefgespräch gegenüber Herrn Stoltenberg nicht durchsetzen können. So müssen erst die Kollegen der Union in den Haushaltsgruppen hergehen - ({13})
- „Arbeitsteilung" können Sie das ja nennen, Herr Minister. Man kann natürlich Ihre Schwäche als „Arbeitsteilung" bezeichnen, nachdem der Kollege Riedl es durchgesetzt hat.
({14})
Wenn Sie sich mit falschen Federn schmücken, fällt das nur auf Sie selber zurück.
Und nun will ich zum letzten Punkt kommen, nämlich, zum Bundesgrenzschutz. Herr Minister, kümmern Sie sich eigentlich darum, wie es einem jungen Beamten geht, der von Braunschweig oder
Gifhorn mal für vier Wochen oder mal im Weg des Einsatzes für acht Wochen an die Grenze nach Frankreich, nach Belgien, nach Luxemburg versetzt wird, und daß gleichzeitig und in gleichem Maße von der Küste herunter, von Bad Bramstedt und anderen Orten andere Grenzschutzbeamte nach Helmstedt, 20 km vor Braunschweig, versetzt werden, daß aus Rosenheim Beamte in Karlsruhe Dienst tun müssen, obwohl überall Einzelplanstellen vorhanden sind? Sie selber sagen: Über 400 Planstellen braucht der Bundesgrenzschutzeinzeldienst. Was haben Sie dafür getan, daß die dort etatisiert werden? Auch das mußte im Haushaltsausschuß teilweise repariert werden, Herr Minister.
Das will ich Ihnen sagen: Woran es Ihnen mangelt, ist, daß Sie sich mal mit dem einzelnen Beamten, mit seiner Befindlichkeit auseinandersetzen, wie er sich denn fühlt und - das sage ich en Passant - wie sich auch die Beamten der Sicherungsgruppe Bonn fühlen, wenn sie manchmal mehr als vier oder fünf Stunden im Auto sitzend, bei laufendem Motor auf ihre Minister warten müssen, die irgendwo Dienstgeschäften nachgehen. Auch ich finde es unwürdig, wenn diese Beamten im Auto warten müssen, bis sie ihre Sicherungsaufgaben vollziehen können.
Herr Minister, ich fasse zusammen: In Ihrer Politik sind Sie hinsichtlich der Verantwortung zögerlich. Mein persönlicher Eindruck: Herr Minister, weil Sie sich zuwenig um den Einzelfall kümmern, weil Sie sich um die Befindlichkeit des einzelnen Menschen, der bestimmte Dinge Ihres Ressorts zu vertreten hat, nicht kümmern, können Sie sich nicht selbst als guten Innenminister loben. Das aber tun Sie leider zu häufig. Im übrigen: Selbstlob hat nun einmal einen ganz bestimmten Geruch.
Das war's dann.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Sie in den letzten 30 Minuten hier soeben gehört haben, ist die große Linie, die große Alternative der sozialdemokratischen Innenpolitik.
({0})
Herr Kollege Kühbacher, Sie werden damit selbst Ihre eigenen Anhänger nicht überzeugt haben. Mir tut das ein bißchen leid. Denn der Kollege Kühbacher ist ein geschätzter, integrer und guter Mitberichterstatter für das Innenressort. Er ist besser - bedeutend besser - als der Eindruck, den er heute vermittelt hat. Das beweist nur, daß selbst ein guter Mann die schlechte Politik der SPD-Fraktion nicht gut verkaufen kann.
({1})
Das ist sein Schicksal; dafür haben wir Verständnis.
Gerster ({2})
Wie die Alternative der SPD aussieht, sehen Sie ja in den beiden Entschließungsanträgen. Wohlgemerkt, das sind keine haushaltswirksamen Alternativanträge, sondern Entschließungen. In dem einen wird die Bundesregierung aufgefordert, die Unterstützung für Künstler auf 750 DM monatlich anzuheben
({3})
und auf die Länder einzuwirken, daß sie ihren Beitrag ebenfalls anpassen. Da aber die Länder im nächsten Jahr - das genau ist ja das Problem, das ist zwischen Bund und Ländern vereinbart - keine höheren Quoten zur Verfügung stellen können und wollen, vor allen Dingen auch SPD-regierte Länder keine höheren Beträge zur Verfügung stellen wollen, ist dies nicht zu realisieren. Für die Folgejahre aber ist das vereinbart. Dieser Antrag zielt also voll ins Leere. Er ist es nicht wert, daß man sich weiter mit ihm befaßt.
Der andere Antrag betrifft Wackersdorf, die Wiederaufbereitungsanlage, die Streichung von Forschungsmitteln hierfür: Hier wird der ZickzackKurs der SPD in Verbindung mit der umweltfreundlichen Kernenergie ebenfalls wieder deutlich. Zwei schwache, zum Teil wirklich überflüssige, zum Teil mickrige Anträge, Herr Kollege Kühbacher, sind angesichts des großen Warenkorbs des Innenministeriums zu kurz gesprungen. Weder viel Wortgeklingel noch einzelne Kritikpunkte können darüber hinwegtäuschen, daß die SPD keine Alternative zu unserer Innenpolitik zu bieten hat.
({4})
Meine Damen, meine Herren, wenn dem Innenminister zögerliches Verhalten und Handeln vorgeworfen wird: Also, mir ist ein Innenminister, der vor allen Dingen bedächtig handelt und mit einer Entscheidung auch einmal zögert, lieber als einer, der falsche Entscheidungen trifft, wie Sie sie ja nach wie vor vorschlagen.
Lesen Sie doch einmal den heute in der „FAZ" auf Seite 13 erschienenen kleinen Artikel mit der Überschrift „Immer mehr bleifreies Benzin". Der Artikel beginnt mit folgendem Satz:
Im September ist in der Bundesrepublik mit 25 000 Tonnen gut sechsmal soviel bleifreies Super- und Normalbenzin abgesetzt worden wie im Januar dieses Jahres.
Wie ist das denn mit dem Tempolimit? Hier laufen Sie doch einem längst abgefahrenen Zug atemlos nach. Sie haben aus Umweltschutzgründen ein Tempolimit gefordert. Nun liegen die Untersuchungsergebnisse vor. Nur um 1 % - wenn das entsprechende Fahrverhalten überhaupt festzustellen ist - würden die Schadstoffbelastungen geringer. Durch das umweltfreundliche Auto, das auch nach unserem Willen zwar nicht schnell genug, aber doch zunehmend mehr eingeführt wird, wird diese Diskussion doch überflüssig. Sie werden durch die Entwicklung insoweit überfahren, als ein umweltfreundliches Auto schneller kommt, mehr bringt und vor allen Dingen nicht Tausende von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie zerstört. Hier sind Sie dieselben Kulturbremser, wie Sie es in der Medienpolitik waren, hinsichtlich der Sie gegen die neuen Entwicklungen jahrelang gestritten haben.
({5})
Auch laufen Sie gegen die Wand, wenn Sie Falsches vertreten, was überhaupt nicht die Ergebnisse bringen kann, die Sie meinen. Nein, hier sind Sie die ewig Gestrigen, die den Zug in die neue Zeit verpassen. Herr Kollege Hauff wird ja sicherlich hier noch begründen, warum er in seiner Zeit als Verkehrsminister gegen Tempolimit war.
({6})
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich zu einigen Schwerpunkten, soweit die Zeit reicht, Stellung nehmen. Mein Kollege Riedl wird den Bereich der inneren Sicherheit besonders abhandeln, weshalb ich zu diesem Komplex hier keine Ausführungen mache.
Die Politik der Koalition der Mitte sowie des Innenministeriums und des Innenministers steht unter dem Motto, Technik und Umwelt in Einklang und Gleichklang zu bringen. Der Innenminister ist Umweltschutzminister. Ich meine, man sollte sich gerade auch in einer Haushaltsdebatte, statt allgemeine Anwürfe zu machen, an den Fakten orientieren. Fakten heißt zunächst im finanziellen Bereich: im nächsten Haushaltsjahr werden durch mittelbare und unmittelbare Maßnahmen des Bundes über 10 Milliarden DM für den Umweltschutz aktiviert.
({7})
Im Bundeshaushalt sind insgesamt 1,6 Milliarden DM für Umweltschutzausgaben veranschlagt. Das ist bei den direkten Zuschüssen eine Steigerung von plus 48 %, was bei einer Gesamtsteigerung des Bundeshaushalts von 1,6% bereits ausweist, daß der Umweltschutz absolute Priorität hat.
({8})
- Ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen und lasse vor allen Dingen Fragen der GRÜNEN nicht zu, und zwar deshalb, weil die Art und Weise, wie Sie in den Haushaltsberatungen entweder durch Abwesenheit oder durch Unsachlichkeit geglänzt haben, dieses nicht zuläßt. Wenn jemand wie Sie in einem Antrag z. B. 3 Milliarden DM für die Umrüstung der Energieanlagen beantragt und nicht zur Kenntnis nehmen will, daß von sämtlichen Energieanlagen ein Viertel in allernächster Zeit stillgelegt wird und die restlichen drei Viertel nahtlos umgerüstet werden, wenn Sie hier 3 Milliarden DM so hinauswerfen wollen, dann sagen Sie mir, für was Sie das ausgeben wollen. Sie wollen mit dem Hubschrauber über Deutschland fahren und wollen 1 000-Mark-Scheine ausstreuen, vielleicht in der Hoffnung, daß Ihre arbeitsscheuen AnGerster ({9})
hänger unten stehen und das einsammeln. Das hat doch mit Sachpolitik nichts zu tun.
({10})
Wenn Sie einmal eine historische Bedeutung für diese Bundesrepublik hatten, dann war es die, durchaus mit zu sensibilisieren, manchmal übertrieben, manchmal berechtigt, im Bereich des Umweltschutzes. Aber seitdem diese Koalition der Mitte Umweltschutzpolitik macht, sind Sie längst überflüssig geworden, weshalb auch in der Offentlichkeit zunehmend niemand mehr von Ihnen Kenntnis nimmt.
({11})
Meine Damen, meine Herren, zu den direkten Zuschüssen kommen 1,6 Milliarden DM, die über die Lastenausgleichsbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau für Umweltschutzinvestitionen bereitstehen. Es kommen hinzu 2 Milliarden DM im Bereich des Stadtsanierungsprogrammes, wo weitestgehend Umweltschutzinvestitionen finanziert werden. Und, meine Damen, meine Herren - auch das ist entscheidend -, wir werden im nächsten Jahr mit Sicherheit über 5 Milliarden DM Investitionen haben, die im privaten Bereich aufgebracht werden, die steuermäßig veranschlagt werden. Wir wissen aus den Zahlen von 1984: damals waren es 3,4 Milliarden DM, die als Umweltschutzmaßnahmen steuerlich geltend gemacht wurden. Bei steigender Tendenz werden diese Mittel erheblich zunehmen - erfreulicherweise -, so daß - ohne daß ich jetzt auf die zusätzlichen steuerlichen Erleichterungen für das Katalysatorauto einzugehen brauche - erhebliche Mittel im Umweltschutzbereich, insgesamt über 10 Milliarden DM, im nächsten Jahr aktiviert werden.
Zu dieser sehr eindrucksvollen Finanzausstattung kommen die in dieser Legislaturperiode bereits abgeschlossenen oder derzeit mit Nachdruck betriebenen Rechtsetzungsvorhaben hinzu, von denen ich beispielhaft nenne: die Großfeuerungsanlagenverordnung, die TA Luft, die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes, die Novellierung des Abwasserabgabengesetzes, die Novellierung des Waschmittelgesetzes und schließlich die TA Abfall in der geplanten vierten Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein ganzer Katalog von Umweltschutzmaßnahmen,
({12})
und hier unterscheiden sich auch bürgerliche Parteien von sozialistischen Parteien. Willy Brandt hat als Bundeskanzler 1971 ein Umweltschutzprogramm angekündigt: großer Dampf, viel heiße Luft, aber letzten Endes im gesamten gesetzgeberischen Bereich nichts realisiert! Wir machen nicht große Sprüche, wir handeln,
({13})
und deswegen haben wir die Zustimmung der Bürger.
({14})
Meine Damen, meine Herren, mit dieser Konzeption wird auch eine Systematik in der Umweltschutzpolitik deutlich, in der wir uns offenbar von der SPD und noch mehr von den GRÜNEN unterscheiden. Denn diese Umweltpolitik der Koalition der Mitte
({15})
gründet auf zwei Säulen:
Da ist erstens das Vorsorgeprinzip. Es soll durch staatliche Rechtsnormen die Gefahr von Umweltschäden bekämpft werden, und zwar vorbeugend. Wenn der heutigen Regierung gerade von der SPD vorgeworfen wird, wir würden mit Gesetzen nachhinken, dann sei den Sozialdemokraten gesagt: Sie haben offenbar übersehen, daß wir langsam, aber sicher mit der jeweiligen Entwicklung Schritt halten. Soweit wir zurückgehinkt haben, war das natürlich eine Folge Ihrer 13jährigen Untätigkeit im Bereich der Umweltschutzpolitik.
({16})
Vielleicht kommt jemand von Ihnen einmal nach hier oben und sagt, warum die TA Luft und die Großfeuerungsanlagenverordnung jahrelang unerledigt in den Schubladen des Innenministers lagen und nicht realisiert werden konnten.
({17})
Im Plänemachen waren Sie immer gut, in der Durchführung der Politik ungeeignet!
({18})
Zweitens. Zum Vorsorgeprinzip hinzu kommt das Verursacherprinzip: Die Kosten der Bekämpfung von Umweltschäden trägt grundsätzlich der Verursacher.
Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Die will ich gerne zulassen. - Bitte schön, Herr Hauff; Sie werden jetzt sicherlich erklären, warum Sie als Verkehrsminister noch gegen das Tempolimit waren. Das hoffe ich jedenfalls.
Der Witz war schon dran, Herr Kollege Gerster! - Ich wollte Sie fragen: Können Sie mir ein einziges Beispiel dafür nennen, daß auf dem Gebiet der Umweltschutzgesetzgebung in der Zeit der sozialliberalen Koalition - beim Benzinbleigesetz, beim Abwasserabgabengesetz, beim Abfallbeseitigungsgesetz, um nur einige Beispiele zu nennen - in den Beratungen des Bundesrates die Mehrheit der Union für eine Verschärfung eines Gesetzes eingetreten ist, oder müssen Sie mir nicht
darin zustimmen, daß in all diesen Beratungen lediglich Verwässerungen durchgesetzt wurden?
({0})
Herr Bundesminister a. D., Sie sollten, bevor Sie nach dem Bundesrat fragen, hier erst einmal erklären, warum Sie als Bundesregierung die TA Luft und die Großfeuerungsanlagenverordnung überhaupt nicht verabschiedet haben.
({0})
Ich halte es bei einem Politiker, der eigenen politischen Willen durchsetzen will, für nicht zulässig, daß er, wenn er selbst nicht bereit ist, nach der Verfassung seine Entscheidung zu treffen, nach irgendwelchen Mehrheiten im Bundesrat fragt. Ein vernünftiger Politiker setzt mit seinen Möglichkeiten dort, wo er es kann, das durch, was er für richtig hält, und schielt nicht nach anderen Gremien.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein. Herr Hauff, wenn Sie sich entschlossen haben, mir zu erklären, warum Sie als Minister gegen das Tempolimit waren, aber, seitdem Sie in der Opposition sind, plötzlich dafür sind, lasse ich die Zusatzfrage gerne zu. Ich gebe Ihnen Bedenkzeit.
Das Verursacherprinzip geht - ich darf es wiederholen - davon aus, daß der Verursacher zu zahlen hat. Das heißt, Steuermittel werden im wesentlichen für die Erforschung von Ursachen und Wirkungen von Umweltbeeinträchtigungen sowie für die Entwicklung und Erprobung von Vermeidungstechnologien eingesetzt. Daneben werden durch Kreditprogramme und steuerrechtliche Maßnahmen Umweltschutzinvestitionen gefördert.
Gegenüber diesem überzeugenden Modell des kombinierten Vorsorge- und Verursacherprinzips haben beide Oppositionsparteien keine glaubhafte Alternative vorzuweisen. Die SPD läuft aus ideologischen Gründen wie ein trotziges Kind dem Tempolimit nach, das bereits durch das umweltfreundliche Auto überholt wird.
({0})
Die SPD redet allgemein für den Subventionsabbau und im Umweltbereich für den größten Subventionshain aller Zeiten.
({1})
Die SPD träumt von einem Großprogramm „Arbeit und Umwelt", das mit neuen Schulden- und Steuerlasten garantiert mehr Geld für Bürokratien und weniger Effizienz für den Umweltschutz bringen wird. Das Programm „Arbeit und Umwelt" ist in Wahrheit ein Programm „Staatsmoloch und Chaos". Sie wollen wie in Ihrer Zeit, als die Zahl der Bürokraten um über 1 Million zunahm, mehr Bürokratie und das gleiche finanzpolitische Chaos, das wir 1982 von Ihnen übernommen haben.
({2})
Meine Damen, meine Herren, wie sehr Sie selbst von Ihrem Programm „Arbeit und Umwelt" überzeugt sind, zeigt die Tatsache, daß Sie für den Haushalt 1986 keinen einzigen relevanten Antrag stellen. Hier werden große Programme verkündet, ohne daß Sie bereit sind, konkrete Maßnahmen überhaupt nur vorzuschlagen oder zu beantragen.
Sich mit den GRÜNEN auseinanderzusetzen, wäre vertane Zeit. Diese Partei tut sich hervor durch das Schüren von Umwelthysterie. Manchmal hat man den Eindruck, daß bei bestimmten Politikern der grünen Partei ehrlich geglaubt wird, daß morgen alle Lebewesen bereits vergiftet sind.
({3})
In einer Übertreibungsmaschinerie erster Güte werden hier Katastrophen an die Wand gemalt, während konkrete Beiträge zumindest im Haushaltsausschuß und auch hier in der Haushaltsdebatte nicht zu erkennen waren.
Wir verbinden statt dessen Vernunft und Augenmaß, einen sinnvollen Mitteleinsatz und die Fortschreibung der Gesetzgebung zur dauerhaften Gesundung und Erhaltung einer lebenswerten Umwelt.
({4})
Lassen Sie mich, meine Damen, meine Herren, einen zweiten Schwerpunkt nennen, den ich kurz ansprechen kann, da mein Kollege Kühbacher dankenswerterweise dies bereits abgehandelt hat. Dieser Haushalt 1986 hat in der Tat eine zweite Priorität in der Kulturpolitik. Ich halte es für gut - hier sollten sich die Sozialdemokraten zurückhalten, denn es war ja ihr Bundeskanzler Brandt, der einmal eine große nationale Kultureinrichtung ins Leben rufen wollte, aber auch damit, wie Sie wissen, gescheitert ist -, daß wir sowohl das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn als auch das geplante Historische Museum in Berlin in Angriff nehmen. Ich halte es für besonders sinnvoll - hier haben wir uns auch im Haushaltsausschuß über die Regierungsansätze hinaus stark gemacht -, daß wir mehr Mittel für die ostdeutsche Kulturarbeit zur Verfügung stellen.
({5})
Der dritte Schwerpunkt in diesem Haushalt betrifft die Bewältigung der Folgeprobleme im Bereich der Asylanten. Wir mußten für das nächste Jahr kurzfristig über 126 Stellen allein für das Bundesamt in Zirndorf zur Verfügung stellen, um dem erheblichen Anstieg der Zahl der Asylbewerber Rechnung tragen zu können.
Ich möchte aber deutlich machen: Wir können dem Amt in Zirndorf soviel Stellen bewilligen, wie wir wollen, lösen können wir das Problem dadurch
Gerster ({6})
nicht. Hier sind die Ausländer- und Asylpolitiker in unseren Fraktionen, in den zuständigen Fachausschüssen gefordert. Sorgen Sie dafür, daß das Asylverfahren das leisten kann, was mit Recht immer von ihm gefordert wird, nähmlich die Gewährleistung klarer und rascher Entscheidungen über die Asylberechtigung.
({7})
Dies sind wir den asylberechtigten Mitmenschen, aber auch der deutschen Bevölkerung schuldig.
Lassen Sie mich einen vierten Schwerpunkt nennen. Ich kann das nur in Stichworten tun, weil die Zeit nicht ausreicht. Ich muß darauf hinweisen, daß wir auch im Zivil- und Katastrophenschutz eine Reihe von Versäumnissen der Vergangenheit aufarbeiten müssen. Dieser Bereich steigt immer noch überdurchschnittlich um 3,7 %. Wir haben die Mittel für den Schutzraumbau um 6,8 Millionen DM erhöht. Es ist auch eine Erblast von 13 Jahren SPDRegierung, daß heute nur 3,8 % der Bevölkerung in Schutzräumen unterkommen können. Das ist eine Quote, die nach internationalen Maßstäben völlig undiskutabel und unverantwortlich niedrig ist. Auf diesem Gebiet sind in den nächsten Jahren große Anstrengungen notwendig. Wir haben weiterhin im zivilen Katastrophenschutz Schwerpunkte gesetzt: beim Technischen Hilfswerk, wo wir sowohl die laufenden Mittel um 12 Millionen DM wie auch die Baumittel um 22 Millionen DM erhöht haben.
Meine Damen, meine Herren, ich glaube, hier im Namen des ganzen Hauses sprechen zu können, wenn ich gerade an dieser Stelle den freiwilligen Helfern der Katastrophenschutzorganisationen und dem Technischen Hilfswerk für ihren selbstlosen und tatkräftigen Einsatz bei Katastrophen in diesem Land, aber auch gerade erfolgreich in anderen Ländern, danke.
({8})
Ich möchte eine persönliche Anmerkung anschließen. Auch in Zukunft kann nach meiner Auffassung das THW auf Freistellungsquoten nicht verzichten. Ich fordere die Bundesregierung auf, zusammen mit dem Innenminister hier nach Möglichkeiten zu suchen, welche die Existenz und die Einsatzbereitschaft des THW sicherstellen.
Lassen Sie mich abschließend noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen, den ich für besonders erfreulich halte. Der Etat des Bundesinnenministers leistet einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung des Ausbildungsplatzangebots in diesem Land. Ich möchte die Zahlen kurz nennen. In diesem Geschäftsbereich werden 690 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt, zusätzlich 1 400 Plätze für Studienanfänger an der Fachhochschule des Bundes, weiter 150 Anwärter im Bundesverwaltungsamt und 1 200 Anfängerstellen für den mittleren Polizeivollzugsdienst. Insgesamt können damit im nächsten Jahr rund 3 000 junge Menschen einen Ausbildungsplatz bekommen. Dies ist bedeutend mehr als zu früheren Zeiten. Ich möchte dem Bundesinnenminister und seinen Beamten dafür danken, daß sie gerade in diesem Bereich sehr kooperationsbereit waren. Ich möchte auch den Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern im Haushaltsausschuß für gute Beratungen danken. Dieser Etat des Innenministers ist ein Etat, der Schwerpunkte in die Zukunft setzt. Er ist ein Etat mit klaren Prioritäten.
Die CDU/CSU-Fraktion wird diesem Etat zustimmen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte ({0}).
Herr Gerster, Ihre Rede hätten Sie besser für den Mainzer Karneval aufgespart.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle wissen, wie sehr die Haushalts- und Finanzpolitik des Bundes Auswirkungen auf viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens hat. Die Verteilung von 263 Milliarden DM Steuergeldern entscheidet maßgeblich über das soziale Schicksal vieler Menschen. Der Haushalt bestimmt aber auch die Rahmenbedingungen für die Art und Weise, wie wir unseren Wohlstand erwirtschaften. Seit Jahren ist es erklärtes Ziel der Haushaltspolitik, wirtschaftliches Wachstum zu erreichen. Die Frage jedoch, welche Schäden ein grenzenloses Wachstum für Mensch und Natur zur Folge hat, spielt dabei leider eine untergeordnete Rolle. Besonders diese Bundesregierung betreibt mit nahezu ideologischer Verblendung eine rein materialistische Wachstumspolitik, die zu Lasten der sozial Schwachen wie auch auf Kosten der natürlichen Lebensgrundlagen geht.
({1})
Auch im Haushalt 1986 befinden sich wiederum Milliardenbeträge für zahlreiche Projekte, die den Vernichtungsprozeß in unserer Natur weiter vorantreiben, ob die Wiederaufarbeitungsanlage in Bayern, der Schnelle Brüter am Niederrhein, ob der Großflughafen im Erdinger Moos oder der DollartHafen im Wattenmeer, ob Saarkanal oder RheinMain-Donaukanal, alles unsinnige Projekte, mit denen diese Regierung weiterhin Steuergelder verschwendet und den Naturhaushalt damit noch mehr zerstört.
({2})
Der vorliegende Bundeshaushalt 1986 wird ein historisches Dokument für die Zerstörung des Naturhaushalts im Jahre 1986 sein.
Meine Damen und Herren, jeden Tag gehen in der Bundesrepublik 170 ha Natur verloren. Tagtäglich belasten wir den Naturhaushalt mit zusätzlichen 450 000 t giftigen Luftschadstoffen, 70 000 t Zivilisationsmüll und 90 Millionen m3 Abwasser. Tag
Schulte ({3})
für Tag werden eine Tierart und 25 Pflanzenarten weltweit unwiderruflich von Menschenhand ausgerottet und somit dem Naturhaushalt entzogen. Und schließlich sterben tagtäglich in unseren Wäldern Millionen von Bäumen. Die Mächtigen betreiben zur Zeit in der Bundesrepublik und auf der gesamten Erde einen gigantischen Raubbau an der Natur, und auch die bundesdeutsche Regierung trägt die Hauptschuld für das teuflische Zerstörungswerk, mit dem wir unseren Kindern die Zukunft rauben.
({4})
Diesen massiven Eingriffen in den Gesamthaushalt der Natur steht diese Bundesregierung tatenlos gegenüber. Das fehlende Gespür für den Ernst der Situation und die endlose Ignoranz der Mächtigen führt uns immer schneller an den Rand einer ökologischen Katastrophe.
Wie naiv ist es doch, zu glauben, mit noch mehr Wachstum und noch mehr Technik ließe sich das Unheil abwenden. In einer Botschaft appellierte kürzlich der Irokese John Mohawk an die Europäer: „Wacht auf, die Technik wird euch nicht retten!"
Ich möchte eine Passage aus diesem eindringlichen Appell des Indianers zitieren:
({5})
- Es stände Ihnen gut an, wenn Sie den Gesamttext in „Natur" in der Ausgabe vom August dieses Jahres nachlesen würden. - Das Zitat:
Die westliche Gesellschaft ist blind für die Realität. Wir werden von Wahnsinnigen regiert, die nicht sehen, auf welchem Weg sie sich befinden. Ein Staat, der seine Prioritäten im Militärbereich setzt, ist unmenschlich. Ein Staat, der gegen die Interessen der Erde plant, ist unverantwortlich. Die Regierungen der Industrienationen kümmern sich zuerst um die Stabilisierung ihrer Macht, erst danach um die Lebensqualität ihrer Bürger. Die moderne Welt funktioniert durch eine Summe hockentwickelter, raffinierter Technik; dabei bleiben jedoch fundamentale Erkenntnisse auf der Strecke. Komplexe Biosysteme sind nicht mit Dollars aufzuwiegen. Diesen simplen Satz könnte ich mir sparen, wenn nicht eine beängstigend große Zahl der Erdbewohner in der Vorstellung leben würde, schmutzige Flüsse könnten mit Dollars kuriert werden. Der modernen Welt fehlt eine ganzheitliche Weltsicht.
({6})
Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Eben diese ganzheitliche Weltsicht - die Fähigkeit, ökologische Zusammenhänge zu erkennen - ist auch dieser Bundesregierung völlig fremd.
({7})
Anstatt die Ursachen der Umweltkrise offenzulegen und zu bekämpfen, wird dilettantisch an den Symptomen herumkuriert. Bestes Beispiel: das Katalysator-Auto. Wir alle wissen, daß der Lkw-Verkehr und der Pkw-Verkehr die Umwelt in vielerlei Hinsicht schädigt: giftige Abgase, Lärm, Rohstoffvergeudung, Energieverschwendung, Landschaftszerstörung durch Straßenbau, Verschmutzung des Grundwassers durch Reifenabrieb, Ölverluste, Streusalze usw. Hinzu kommen jedes Jahr eine halbe Million Unfallverletzte und 10 000 Verkehrstote. Objektiv betrachtet - darüber können alle Bequemlichkeiten des Autofahrens nicht hinwegtäuschen - ist das Auto Umwelt- und Menschenfeind Nummer eins.
({8})
Ziel einer jeden umwelt- und menschenfreundlichen Verkehrs- und Haushaltspolitik sollte es sein, diesen Hauptverursacher von Umweltschäden zu bekämpfen. Und es gibt ja mit der Bahn und den anderen öffentlichen Verkehrsmitteln die umweltfreundliche und soziale Alternative.
({9})
Nichts liegt näher, als den weiteren Straßenbau drastisch zu reduzieren und freiwerdende Haushaltsmittel für den Ausbau des öffentlichen Verkehrssektors zu verwenden.
Allerdings ist eine so grundsätzliche Umorientierung in der Verkehrspolitik mit dieser Regierung nicht zu machen. Nein, eine Kohl-Regierung, die sich selber zum Büttel der Automobilindustrie und zum Büttel des ADAC macht, ist zu einer Wende in der Verkehrspolitik unfähig.
({10})
- Das wollen wir hoffen.
Um zumindest das Image des Waldkillers Auto aufzupolieren, versuchte Minister Zimmermann, wenigstens das Symptom des Stickoxidausstoßes zu reduzieren. Nachdem die Einführung scharfer Abgasgrenzwerte im nationalen Alleingang an der Abhängigkeit von der Automobilindustrielobby scheiterte - schieben Sie nicht immer das Argument der EG vor -, will selbst das nicht gelingen. So bezeichnet Herr Zimmermann alle Dieselfahrzeuge neuerdings einfach als umweltfreundlich, obwohl der Schadstoffausstoß genauso giftig, die Energieverschwendung genauso groß und der Lärm genauso gesundheitsschädlich ist wie früher.
Fazit: Statt einer die Gesamtzusammenhänge betrachtenden weitsichtigen Verkehrs- und Umweltpolitik nur ein dummdreister Etikettenschwindel, der als Erfolg angepriesen wird.
Das ist kein Einzelfall, wie die Diskussion um das Tempolimit zeigt. Damit bin ich beim Entschließungsantrag der SPD. Ich möchte dazu folgendes sagen. Sie bringen zu Recht genauso wie wir weitere positive Effekte einer Geschwindigkeitsbegrenzung in die Diskussion. Vor allem um die Verkehrstotenzahl zu reduzieren, brauchen wir Tempo 80 und Tempo 100. Jedoch heißt es in Ihrem Entschließungsantrag:
Schulte ({11})
Der Deutsche Bundestag hält die Einführung von 100 km/h auf Bundesautobahnen und 80 km/h auf Landstraßen für die Dauer von 4 Jahren für das Gebot der Stunde. Wenn sich nach Ablauf der 4 Jahre das Katalysatorfahrzeug wirklich durchgesetzt hat, kann über die Frage des Tempolimits erneut beschlossen werden.
({12})
Nein, egal, wie viele Katalysatorautos in vier Jahren auf den Straßen fahren: Tempolimit brauchen wir auf jeden Fall, um Menschenleben zu retten.
({13})
Ein Vierjahresgroßversuch kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß man bei der SPD diese Frage völlig außer acht läßt. Es ist einfach zynisch, hier nur auf die Ergebnisse in bezug auf Abgasreduzierung zu schielen und die Menschen, die nach vier Jahren weiterhin auf den Straßen sterben, außen vorzulassen. Das ist eine zynische und typische SPD-Position.
({14})
- Sie haben noch Zeit bis morgen, Ihren Antrag zu korrigieren.
({15})
Meine Damen und Herren, das derzeitige Gerangel innerhalb der Koalition und zwischen den Altparteien, wer denn der größte Umweltschützer sei, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es denen nicht um eine ökologische Umorientierung der Politik geht, sondern es wird vielmehr eine Effekthascherei verbaler Art abgezogen, um Wählerstimmen von umweltbesorgten Bürgern einzusammeln.
({16})
Auch die diesjährigen Beratungen des Umweltetats lagen auf diesem Niveau, sofern man überhaupt von einem Umweltetat sprechen sollte; es sind lediglich ein paar Seiten in den dicken Haushaltswälzern, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Die Haushaltsberatungen waren letztlich nichts anderes als ein ritualisiertes Gezänk um kosmetische Reparaturmaßnahmen in der Umweltpolitik. Vor allem über die Farbe der Kosmetik wurde dabei heftig gestritten. Jeder Vorschlag von seiten der GRÜNEN, Gelder für eine konsequente Umweltvorsorgepolitik umzuschichten, konnte dabei nur störend wirken.
Dabei orientieren sich unsere Änderungsanträge lediglich an den Schwerpunkten ökologischer Sofortmaßnahmen. Die vorgeschlagene Ausweitung der Umweltausgaben auf 6 Milliarden DM hätte eine spärliche Steigerung von 0,6 % auf 2,3% an den Gesamtausgaben des Bundes für 1986 bedeutet. 6 Milliarden DM für den Umweltschutz, das wären nur 12 % des Wehretats gewesen. Aber nein, diese Regierung und auch die SPD haben sämtliche Schritte zur notwendigen Sanierung des Naturhaushalts verweigert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger ({0})?
Ja.
Bitte, Frau Berger.
Herr Abgeordneter, nachdem Sie eben über die Beratungen im Haushaltsausschuß sprechen, dem Sie selbst nicht angehören und an dessen Beratungen Sie nicht teilgenommen haben: Können Sie mir vielleicht Auskunft darüber geben, wo sich die Berichterstatter des Haushaltsausschusses aus der Fraktion der GRÜNEN befinden, die für den Einzelplan 05 des Innenministeriums
({0}) zuständig sind? Im Saal sehe ich sie nicht.
Zunächst, glaube ich, meinen Sie den Einzelplan 06, und zum zweiten müssen Sie Verständnis dafür haben,
({0})
daß es für kleine Fraktionen - schielen Sie nur mal auf die FDP - nicht möglich ist, immer präsent zu sein.
({1})
Im übrigen möchte ich auch an Herrn Gerster gerichtet sagen, daß die Anwesenheitsquote der GRÜNEN sowohl bei den Ausschußberatungen als auch im Plenum wesentlich höher ist als bei allen anderen Parteien.
({2})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Selbstverständlich.
Herr Abgeordneter Schulte, können Sie bestätigen, daß die Fraktion DIE GRÜNEN, lediglich zwei Mitglieder im Haushaltsausschuß hat, die für alle Teilhaushalte Berichterstatter sind? Das würde mit anderen Worten heißen - können Sie das bestätigen -, daß diese von morgens bis abends hier sein müssen, ohne Gelegenheit zu haben, Essen zu gehen und auf die Toilette zu gehen.
({0})
Ich kann das bestätigen und sehe auf jeden Fall Kopfnicken auf breiter Front bei all den Abgeordneten, die sich hier sehr selten blicken lassen.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mann?
Wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird, gerne.
Wir können das natürlich so weitermachen. Bitte, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
({0})
Ich störe gar nicht.
Stefan, kannst du vielleicht auch bestätigen, daß auch die Frage der Kollegin Frau Berger nichts daran ändert, daß im Haushaltsausschuß an den Problemen vorbei Haushaltsansätze, anders, als es der Kollege Gerster gesagt hat, nicht nach dem Vorsorgeprinzip festgelegt worden sind und daß hier also nur ein Ablenkungsmanöver stattfindet?
({0})
Norbert, natürlich kann ich das bestätigen. Wie so oft werden hier Formalargumente vorgeschoben, um von inhaltlichen Schwächen abzulenken.
({0})
Meine Damen und Herren, oberstes Ziel einer umweltgerechten, zukunftsorientierten Haushaltspolitik muß es sein, die Gesetze im Haushalt der Natur zu respektieren. Ökologische Prinzipien müssen zur Richtschnur allen politischen Handelns werden. Wir können dabei von der Natur selber viel lernen. So gibt es in der Natur geschlossene Stoffkreisläufe ohne Abfälle und ohne Sondermüll. Rohstoffe werden sparsam genutzt und fast vollständig wiederverwertet. Ohne diesen ständigen Recyclingprozeß hätte das Leben überhaupt nicht Jahrmillionen überdauern können.
Doch der heutige „homo consumensis" bildet sich ein,
({1})
diese Kreisläufe durchbrechen zu können. Rohstoffe werden für Ex-und-hopp-Ware verschwendet; giftige Schadstoffe werden bei der Herstellung vor allem chemischer Produkte freigesetzt, und nach ihrem Wegwerfen sickern gefährliche Abwässer aus Abfalldeponien oder verseuchen Dioxine aus Müllverbrennungsanlagen unsere Umwelt. Selbst der dümmste Politiker muß erkennen, daß diese profitorientierte Art von Vergeudungs- und Vergiftungswirtschaften verantwortungslos und lebensfeindlich ist.
Meine Damen und Herren, auch im Energiebereich brauchen die Regierenden Nachhilfestunden von der Natur; denn für die Natur gibt es keine Energiekrise. Alles Leben hat gelernt, Sonnenenergie zu nutzen und sparsam damit umzugehen. Der „homo consumensis" - so heißt der, Herr Broll - wird jedoch dazu verleitet, die Energiereserven dieser Erde in nur kurzer Zeit zu vergeuden. Es ist töricht, zu glauben, daß diese sinnlose Energieverschwendung keine gefährlichen Konsequenzen für unsere Umwelt hat. Waldsterben, Pseudo-Krupp, Aufheizen der Flüsse, strahlender Atommüll, diese und viele andere Gefahren hängen direkt mit der heutigen Vergeudung von Energie zusammen, auch wenn davon in den großseitigen Anzeigen der Energiekonzerne nichts zu lesen ist. Kein Wunder, denn diese Energiemonopole waren es, die verhindert haben, daß konsequent Energie gespart und die Sonnenenergie direkt genutzt wird. Wären in den letzten 20 Jahren nicht 30 Milliarden DM Haushaltsmittel für die todbringende Atomenergie verpulvert worden, sondern zur Erforschung und Nutzbarmachung der umweltfreundlichen Solarenergie ausgegeben worden, so wären uns gravierende Umweltschäden erspart geblieben.
({2})
Auch auf dem Sektor der Energieeinsparung ist diese Regierung eine Niete. Konsequente Energiesparkonzepte könnten bei gleichzeitiger besserer Energienutzung der Primärenergie nach Untersuchungen der OECD 50 % des Energieverbrauchs einsparen. Nach dem Motto: Die umweltfreundlichste Energie ist die, die eingespart wird, fordern wir die Bundesregierung auf, wesentlich größere steuerliche Anreize zum Einsparen von Energie zu geben. Energiesparprogramme sind ein entscheidender Beitrag zur Sanierung des Naturhaushalts und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Deshalb fordern die GRÜNEN im Einzelplan 06 3 Milliarden DM für Maßnahmen zur Umstellung und Einsparung im Bereich der Energie. Dies wäre ein wichtiger erster Schritt, der Umweltzerstörung durch Energieverschwendung ein Ende zu setzen.
Meine Damen und Herren, die derzeitige Politik setzt die Existenz der ganzen Menschheit aufs Spiel.
({3})
- Wenn Sie meinen, das alles sei Quatsch, dann lesen Sie einmal „GLOBAL 2000". Es bleibt uns nur noch wenig Zeit zur Umorientierung, es bleiben nur noch wenige Jahre zur Rettung unserer Lebensgrundlage.
({4})
Nur wenn wir wieder erkennen, daß wir selber ein Teil der Natur sind, wird es uns gelingen, Haushaltspolitik nicht gegen den Haushalt der Natur zu betreiben.
Von dieser Betonkopfregierung können wir allerdings ein Umdenken nicht erwarten. Deshalb hoffen wir zusammen mit vielen Umweltschützern, Friedensfreunden und sozial Benachteiligten auf die nächste Bundestagswahl und darauf, daß wir eine noch stärkere außerparlamentarische Bewegung bekommen.
Danke schön.
({5})
Meine Damen und Herren, es gibt bei einigen Zwischenrufen, auch bei der letzten Bemerkung das Gefühl, man sollte sich so etwas nicht gegenseitig an den Kopf werfen. Aber es ist nicht so stark, daß man deswegen Ordnungsrufe erteilen müßte.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schulte, wir hoffen eigentlich alle, daß Sie wieder verstärkt außerparlamentarisch tätig sein werden.
({0})
Nun zum Thema der verbalen Effekthascherei: Mein Aha-Erlebnis mit dem umweltpolitischen Engagement der GRÜNEN hatte ich ganz zu Beginn der Legislaturperiode, als ich vom Bahnhof Bonn zum Bahnhof Essen mit der Bundesbahn zu einer Veranstaltung fuhr, an der auch eine wegrotierte Kollegin Ihrer Fraktion teilnahm. Auf meine Frage, wie sie hingekommen sei, teilte sie mir mit, daß sie gerade ihren Fahrer nach Bonn zurückgeschickt habe. Er hole sie dann anschließend wieder ab.
Auch ich bin, wie Sie wissen, Mitglied einer kleinen Fraktion, aber ich glaube, unsere Präsenz im Ausschuß ist mit der Ihrigen in überhaupt gar keinem Zusammenhang zu sehen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich befasse mich heute im wesentlichen mit dem umweltpolitischen Aspekt des Einzelplans 06. Der Kollege Riedl wird den sicherheitspolitischen Teil nachher abhandeln.
({2})
- Das ist kein unsicherheitspolitischer Teil, Herr Kollege Mann,
({3})
und ich glaube, wir sind uns da mit der staatstragenden Opposition in diesem Hause im großen und ganzen durchaus einig.
Meine Damen und Herren, bundesweit, landauf, landab singen die GRÜNEN, wie auch gerade wieder, das traurige Lied von der umweltpolitischen Untätigkeit dieser Regierung. Die Begleitmusik, so muß ich leider sagen, spielt dumpf im Hintergrund die SPD. Ab und zu haut mal einer auf die Pauke. Insgesamt ist das kein Kunstgenuß: lauter, lauter Dissonanzen.
Wie sieht denn nun die Haushaltswirklichkeit aus? Das Volumen des Einzelplans 06 steigt im Haushaltsjahr 1986 auf 3,8 Milliarden DM.
({4})
- Ich habe Ihnen doch auch zugehört. Seien Sie so lieb und verhalten Sie sich einmal einen Moment ruhig. - Hierin sind 254 Millionen DM für Aufwendungen im Bereich des Umweltschutzes enthalten. Wir haben hier eine Steigerungsrate von 10,3 %. Wenn Sie nun zetern, meine Damen und Herren
von den GRÜNEN, daß dieses nicht genug sei, übersehen Sie zweierlei: Erstens sind für die meisten ausgabenrelevanten Gesetze im Umweltschutz die Länder zuständig. Zweitens bedeutet gerade das Verursacherprinzip, an dem wir festhalten wollen, daß für jede Mark des Staates ein Mehrfaches von privater Seite für den Umweltschutz getan wird. In einem Beitrag von „Inter Nationes" werden die staatlichen Umweltaktivitäten der vergangenen Jahre wie folgt zusammengefaßt - ich zitiere -:
Insgesamt hat die öffentliche Hand in der Bundesrepublik Deutschland von 1971
- Sie erinnern sich daran: In diesem Jahr legte meine Fraktion ihr erstes umweltpolitisches Programm vor bis 1981 rund 118 Milliarden DM für den Umweltschutz ausgegeben. Zwei Drittel dieser Summe entfiel auf den Gewässerschutz - inklusive Kläranlagen -, etwa 28% auf die Abfallwirtschaft. Der Rest verteilte sich gleichmäßig auf die anderen Bereiche. In dem genannten Zeitraum stiegen die Ausgaben für die Umwelt jährlich um etwa 5,6 %.
Diese Wachstumsrate ist beibehalten worden, und die Gesamtsumme der für die Umwelt ausgegebenen Gelder ist seit 1971 nun auf etwa 150 Milliarden DM aufgelaufen.
Wer behauptet, daß diese Summe ein Nichts sei, stellt einmal wieder unter Beweis - was wir immer schon vermutet haben -, daß er zum Geld des Steuerzahlers kein Verhältnis hat.
Natürlich bedeutet das Nennen dieser Summe nicht, daß wir in unserem Bemühen nachlassen dürften, eine lebenswerte Umwelt zu schaffen. Wir lassen uns aber kein Etikett - und von Ihnen schon überhaupt nicht - ankleben, mit dem wir unter Preis verkauft werden sollen.
({5})
Meine Damen und Herren, wir lassen uns von zwei Zielen leiten, vom Verursacherprinzip und vom Prinzip der Zweckmäßigkeit. Zweckmäßigkeit heißt, Schadstoffe systematisch zu reduzieren, aber nicht, sich mit Kampfgetöse in einem Teilbereich zu engagieren und gleichzeitig andere Bereiche zu vernachlässigen. Genau dies geschieht zur Zeit im Zusammenhang mit dem Tempolimit.
Ich persönlich mache überhaupt keinen Hehl daraus, daß ich im Vorfeld der Ergebnisse des jetzt abgelaufenen Großversuches dazu tendierte, einem differenzierten Tempolimit zuzustimmen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ({0})?
Nein. Ich muß in meinen Ausführungen fortfahren.
({0})
Vielleicht anschließend.
Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, auch wenn Sie dies nicht wahrhaben wollen, der Großversuch hat ergeben, daß die Schadstoffentlastung durch ein Tempolimit die Schadstoffentlastung durch Einführung moderner abgasmindernder Techniken wie des Katalysators nicht aufwiegt. Man kann ja über die Einführung eines Tempolimits trefflich streiten. Die Ergebnisse des Großversuchs rechtfertigen dieses jedenfalls nicht.
({1})
Wenn Sie sich nun über diese Ergebnisse frei nach dem Grundsatz, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, hinwegsetzen wollen, dann ist das Ihre Art, Politik zu machen.
({2})
- Herr Kollege Walther, ich glaube, den Vorwurf der Manipulation sollten Sie so nicht weiter verfolgen.
({3})
- Herr Mann, regen Sie sich doch nicht so auf. Ich glaube, das ist nicht gut für Ihre Gesundheit.
({4})
Die politische Entscheidung, die das Bundeskabinett getroffen hat und der wir uns anschließen, dient dem Ziel, durch Verzicht auf ein Tempolimit eine weitere Verwirrung der Käufer und der Industrie zu vermeiden, die sich jetzt auf den Verkauf schadstoffgeminderter Fahrzeuge eingestellt hat.
({5})
Meine Damen und Herren, das Wort hat die Frau Abgeordnete Seiler-Albring, wenn ich darauf aufmerksam machen darf.
({0})
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin.
Herr Mann, bewerben Sie sich doch um Redezeit in Ihrer Fraktion, wenn Sie etwas zu sagen haben, was ich bezweifle.
Herr Mann, Sie sind doch ein ständiger Zwischenrufer.
({0})
Nachdem die langwierige und sicherlich nicht glücklich verlaufene Diskussion um die Einführung von Steuererleichterungen für abgasverminderte Fahrzeuge nun endlich beendet ist, gehen die Verkaufszahlen ganz eindeutig in die Höhe. Der Anteil schadstoffarmer Autos an den Zulassungen betrug im Oktober über 26 %.
({0})
Das es auch galt, einen Rückschlag für die Automobilindustrie zu vermeiden, die zu einem Motor der wirtschaftlichen Entwicklung geworden ist und in den vergangenen Monaten Tausende neuer Arbeitsplätze geschaffen hat, ist für uns jedenfalls ein wichtiges Argument.
({1})
Dies gilt sicherlich nicht für Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, da Sie sich, zumindest offiziell, der Förderung des Zweirades verschrieben haben.
({2})
Dennoch ist mit Abschluß des Großversuchs für uns Freie Demokraten die Diskussion um die Autoabgase nicht abgeschlossen, natürlich nicht.
({3})
Wir werden uns weiter für den verstärkten Absatz von bleifreiem Benzin einsetzen. Was die Mineralölindustrie bisher für die Verbreitung des bleifreien Benzins geleistet hat, muß man anerkennen. Man muß sie aber auch auffordern, hier nicht nachzulassen.
({4})
Unsere Forderung, verbleites Benzin zu verbieten, ist nicht vom Tisch. In Österreich und in der Schweiz hat sich eben diese Maßnahme als sehr wirksamer Beitrag zur Verminderung der Schadstoffbelastung erwiesen.
Meine Damen und Herren, heute hat jeder Bürger, der sich einen Neuwagen anschafft, die Gelegenheit, sein Umweltbewußtsein unter Beweis zu stellen, indem er sich ein solches Auto zulegt. Wir haben massive Steuererleichterungen. Das gilt doch auch für die allgemein abgasentgifteten Autos. Die Kaufentscheidung wird durch die nochmalige Verbilligung von bleifreiem Benzin ab dem 1. Januar 1986 weiter erleichtert.
Wir wollen auch die Automobilindustrie nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Sie hat in einer freiwilligen Selbstverpflichtung angekündigt, im nächsten Jahr bereits 50% aller auf dem deutschen Markt angebotenen Neuwagen, im Jahre 1987 mehr als drei Viertel und 1988 sämtliche Neuwagen als schadstoffarm anzubieten.
({5})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch eine Anmerkung zum SPD-Kanzlerkandidaten machen. Bei seinem Besuch in England hat er sich u. a. als Großmeister der Entschwefelung der Kraftwerke im Rhein-Ruhr-Gebiet dargestellt. Leider hat der Herr Ministerpräsident vergessen, darauf hinzuweisen, daß er morgen in Ibbenbüren ein Kraftwerk einweihen wird, für das ein weit höherer Schadstoffausstoß genehmigt worden ist,
({6})
als das nach den Vorschlägen Nordrhein-Westfalens im Bundesrat jemals hätte geschehen dürfen.
({7})
Es ist ja wohl ein schlechter Witz, daß die nordrhein-westfälische Landesregierung zumindest erwogen hat, verfassungswidrig einen Alleingang in Sachen Tempolimit zu unternehmen, aber in einem Bereich, wo sie hätte handeln können, kläglich versagt hat.
({8})
Stichwort Glaubwürdigkeit: In dieser Woche verhandelt die EG-Kommission über die Anregung der Bundesregierung, eine Halbierung des Schwefelgehaltes beim Heizöl EG-weit einzuführen.
Lassen Sie mich nun noch ein anderes umweltpolitisches Thema ansprechen, den Schutz der Nordsee. Wir alle wissen, daß das nach wie vor ein äußerst trübes Kapitel ist. Unsererseits wird nicht bestritten, daß seitens der Bundesrepublik schon eine Menge im Bereich Abfallbeseitigung auf See getan worden ist. Zum Beispiel ist die Einbringung organischer Dünnsäure, von Klärschlamm und von Grünsalz bis zum letzten Jahr zumindest offiziell eingestellt worden. Auch international wird der Schutz der Nordsee vorangetrieben. In diesem Jahr sind EG-Richtlinien zur Begrenzung von Cadmium und Quecksilber, von HCH in Gewässern verabschiedet worden. Im Juni wurde eine EG-Richtlinie zum Verbot der Verwendung von PCB und PCT beschlossen. Weitere EG-Richtlinien sind in Planung.
Aber alle diese lobenswerten Initiativen - die Nordseekonferenzen und Regierungserklärungen zum Thema Nordseeschutz - können nicht verhindern,
({9})
daß Umweltkriminelle nach wie vor üble Verstöße gegen den Gewässerschutz begehen. Es wird nach wie vor munter vor sich hin verklappt. Es wird 01 abgelassen, und es werden Bunker auf hoher See gereinigt. Kurz, es stinkt zum Himmel.
({10})
Diesen Umweltkriminellen muß endlich das Handwerk gelegt werden.
({11})
Es darf doch wohl nicht wahr sein - ich glaube, da sind wir uns alle einig; zumindest die Kollegen der SPD stimmen mir hier zu -, daß vor lauter Uneinigkeit darüber, wer denn hier nun zuständig ist - und es gibt unglaublich viele, die sich hier berufen fühlen -, nicht gehandelt wird. Der Handlungsbedarf besteht darin, Boote zu beschaffen, die den widrigen Witterungsverhältnissen in der Nordsee angepaßt sind.
Ich kann aus Zeitgründen nicht vertiefen, weshalb nach unserer Ansicht hier der Bundesgrenzschutz zuständig ist, die Polizei des Bundes.
({12})
Aber wie auch immer: Zur Durchführung der polizeilichen Aufgaben muß die hohe See einschließlich des Festlandsockels ohne hohes Risiko für Besatzung und Schiff erreichbar sein. Eine Polizei, deren Einsatzerfolg vom Wetter abhängig ist, ist ein Papiertiger; um beim Element zu bleiben: ist eine lahme Ente.
({13})
Wir haben deshalb in diesen Haushalt 300 000 DM Planungsmittel für die Erstellung eines entsprechenden Konzeptes eingestellt und erwarten von der Bundesregierung einen Bericht zum 30. April, damit dann die Beschaffungsmaßnahmen unverzüglich in Angriff genommen werden können. Diese Boote werden nicht wie der Fliegende Holländer als Geisterboote über die Meere huschen. Wir werden sie eines Tages höchst real vom Stapel lassen, damit sie uns helfen, mit dem Schutz der Nordsee vor kriminellen Verschmutzern ernst zu machen.
({14})
Auch ich möchte zum Schluß meiner Rede dem Haus und allen Beamten, die sich im Bereich der inneren Sicherheit vom Bundesgrenzschutz bis zum Bundeskriminalamt für die Bürger der Bundesrepublik einsetzen, sehr herzlich danken.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nöbel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zur Vorrednerin eine Bemerkung machen. Vielleicht weiß sie das nicht: In Ibbenbüren, hinter dem größten Schmelzkammerkessel der Welt, wird die modernste Entstickungsanlage gebaut. Das will ich Ihnen nur zur Kenntnis geben.
({0})
Die ist in zwei Jahren fertig.
Heute auf den Tag vor einem Jahr haben wir uns, wenn ich mich richtig entsinne, am 28. November über den Haushalt des laufenden Jahres unterhalten. Da stand die Innenpolitik an. Ich kann nur empfehlen, die Reden, die damals von unserer Seite gehalten worden sind, dem Protokoll beizufügen. Sie gelten nach wie vor wie auf den Tag genau vor einem Jahr.
({1})
Innenpolitik hat nicht stattgefunden. Ich glaube, es hat damit zu tun, daß der Minister genug mit sich selber zu tun hatte.
({2})
Herr Gerster, einen Satz zu Ihrem Vorwurf, wir seien in der Medienpolitik hinterhergelaufen. Ich bezweifle, daß Sie genug Kenntnis dieser Thematik haben.
({3})
Aber was Ihre Freunde, besonders in den Ländern, geschaffen haben, ist nicht nur ein medienpolitisches Albanien, wo keiner mehr durchschaut.
({4})
Sie machen eine brutale Personalpolitik in den Rundfunkanstalten;
({5})
Sie richten wie im Deutschlandfunk so etwas wie Politbüros als Aufsichtsgremien ein.
({6})
Sie kontrollieren die freien Journalisten; Sie haben einen Postminister, der Milliarden in den Sand setzt.
({7})
Da sitzt der Innenminister, der Journalisten kontrolliert - wir hatten hier vor nicht allzu langer Zeit eine Aktuelle Stunde -; und das Bundespresseamt kontrolliert sogar die eigenen Kontrolleure, nämlich auch Herrn Zimmermann. Das weiß er nur nicht. Aber darüber werden wir uns sehr bald in diesem Raum zu unterhalten haben.
({8})
Sie haben, meine Damen und Herren von der Regierung und den Regierungsfraktionen, in dieser Debatte ziemlich viel geblufft.
({9})
Wer nichts zu bieten hat - hören Sie zu! -, braucht dies nicht einmal zu beabsichtigen; ihm bleibt j a gar nichts anderes übrig.
({10})
Nur lassen Sie mich an einem Punkt festmachen, daß es noch viel schlimmer ist im Hinblick sowohl auf das, was Sie tun, als auch auf das, was Sie unterlassen. Sie haben in Sachen Zivilschutz großen Klamauk gemacht. Ich rede jetzt zum Einzelplan 36.
({11})
Dabei kann ich aus Zeitgründen noch nicht mal auf Herrn Geißlers Affront gegenüber einer Gruppe von Ärzten eingehen. Aber ich denke, er hat wieder einmal so gegen sich selbst gesprochen, daß er keiner fremden Nachhilfe bedarf. Die Regierung hat mittlerweile,
({12})
Herr Kollege Miltner, hat mittlerweile den Geheimplan ZV 2000, also Zivilschutz 2000. Warum? Weil sie das, was sie angekündigt - böswillig würde ich sagen: angedroht - hat, jetzt doch nicht machen will, weil bald gewählt oder - bleiben wir dabei - abgewählt wird.
({13})
- Das werden wir alle müssen, Sie in erster Linie.
- Ich sage heute unseren Bürgerinnen und Bürgern, was ihnen nach der Wahl bevorsteht, wenn die jetzige Konstellation - mehr ist es ja nicht - bleiben sollte, und das in nur einem einzigen Punkt.
Ich berufe mich dabei auf eine große Gefolgschaft: Feuerwehren, Deutsches Rotes Kreuz, Malteser-Hilfsdienst, Johanniter-Unfallhilfe,
({14})
Arbeiter-Samariter-Bund, Technisches Hilfswerk, Bundesverband für den Selbstschutz - den Sie abschaffen wollen. Ich berufe mich, Herr Kollege Miltner, auch auf den einstimmigen Beschluß des Bundestages vom Juli 1980,
({15})
wonach u. a. die Zivilschutzgesetzgebung zu vereinfachen und zu verbessern ist - ein einstimmiger Auftrag.
({16})
Statt zu vereinfachen, haben Sie alle verunsichert. Und nicht nur das: Durch die großen Scheinaktivitäten des Bundesinnenministers haben Sie den Organisationen und Behörden viel Zeit gestohlen. Sie haben drei Gesetzentwürfe unter die Leute gebracht und dann - dann haben Sie gekniffen. Seit März dieses Jahres herrscht absoluter Stillstand. Die Organisationen können Ihre Entwürfe, Herr Zimmermann, nicht mittragen. Die festgelegte Zielsetzung, daß der Bund einen auf dem Katastrophenschutz der Länder aufbauenden einheitlichen Zivilschutz anstreben soll, wird ebenfalls nicht erreicht. Die Schwierigkeiten werden ausgeklammert - man höre! -, damit der Bundesminister des Innern sie auf dem Verordnungswege ohne parlamentarische Kontrolle oder sonstige Kontrolle dann so oder so regeln kann. Das ist der Hintergrund - eine ganz gefährliche Geschichte. Es ist unglaublich, meine Damen und Herren, wie das Parlament hier behandelt wird; Entschuldigung, behandeln kann man sich ja lassen, nein, es ist unglaublich, wie mit ihm in dieser Sache hier umgesprungen wird.
({17})
Es ist auch nicht wahr, daß Sie die Länder auf Ihrer Seite haben, auch nicht die kommunalen Spitzenverbände. Das behaupten Sie zwar, aber das stimmt nicht. Die Regierung muß sich endlich erDr. Nöbel
klären, und sie muß auch erklären, ob sie die Meinung des CDU-Präsidiums vom 5. November übernimmt oder nicht. Es ist doch der Bundeskanzler selbst - in seiner Eigenschaft als Parteivorsitzender ist er vorgeprescht -, der die Freistellung von der Wehrpflicht für den Dienst im Katastrophenschutz abschaffen will.
({18})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie: Unter den 53 000 Helfern des Technischen Hilfswerks,
({19})
Herr Miltner, sind 35 000 vom Wehrdienst freigestellte. Und von 1 650 männlichen Helfern im Warndienst - da geht es, wie Sie wissen, um die Sirenen ({20})
sind 1 574 Helfer freigestellt. Es ist unfaßbar, was sich diese Regierung alles erlaubt.
({21})
- Das tut Ihnen weh, ich weiß das. - Die Freistellung von der Wehrpflicht ist für die Organisationen unverzichtbar. Es handelt sich doch um den Grundstock im Verteidigungsfall. Wenn Sie Ihre Linie durchspielen, müssen Sie doch wenigstens das anerkennen.
Sie haben offenbar die Absicht, Frauen nicht nur im Sanitätsbereich, sondern auch im Einsatzbereich - ich weiß nicht, woher Sie die Leute sonst nehmen wollen - rund um die Uhr einzusetzen.
({22})
Mittlerweile sind ja für die Feuerwehr Pumpen mit einem speziellen Zündmagneten entwickelt worden, der das Anwerfen - so das Bundesamt für Zivilschutz - auch für Laien einfach gestaltet. Für Laien! Die Laien werden Frauen sein. Warum, Herr Innenminister, versuchen Sie es über diese Umschreibung? Sagen Sie den Frauen doch direkt, was Sie mit ihnen vorhaben!
({23})
Sagen Sie doch den Leuten, wie Sie denken. Oder handeln Sie nach der alten Weisheit: Den Menschen sei die Sprache gegeben, um die Gedanken zu verbergen oder gar zu verbergen, daß sie keine Gedanken haben? Das wäre ja noch schlimmer!
({24})
Am 4. April 1984 erklärten die Kollegen Laufs und Kalisch für die CDU/CSU wortwörtlich:
Wir registrieren mit Aufmerksamkeit Überlegungen im Bundesinnenministerium, den Zivilschutz mit neuen Impulsen aus dem Schattendasein zu holen.
({25})
Meine Damen und Herren, tiefer als heute ist der Zivilschutz nie im Keller gewesen, nie.
({26})
- Das ist aus dem Fraktionsdienst von Ihnen wörtlich zitiert, das haben Sie wortwörtlich gesagt. Herr Laufs, unterstellen Sie bitte nicht, daß es nicht stimmt. Es stimmt, ich werde es Ihnen zeigen.
({27})
Einen Tag vorher hieß es bei der FDP vom Kollegen Hirsch - auch wortwörtlich -:
Die FDP lehnt sowohl eine Pflicht zum Schutzraumbau wie auch eine neue Zivilschutzdienstpflicht ab.
Ich habe mir das doch herausgeschrieben, das kann man j a kontrollieren. - Es heißt da weiter:
Für einen modernen Zivilschutz ist die freiwillige Mitwirkung jedes Bürgers unverzichtbar; staatliche Planungen und Vorbereitungen können die Eigeninitiative des Bürgers und seine freiwillige Mitarbeit nicht ersetzen.
({28})
Nichts dagegen. - Ich freue mich, daß Sie zustimmen. - Nur keiner weiß Bescheid.
Selbst der frühere Kollege, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Prinz zu Sayn-Wittgenstein - ich will ihn hier nicht mißbrauchen, aber hier geht es ja um die Sache - versteht diese Regierung nicht. Er hat dem Kanzler, er hat dem Innenminister knallharte Briefe geschrieben und ihnen klargemacht, was er von ihnen hält, von ihrer Politik in diesem Punkt. Da kann ich nur sagen, Herr Zimmermann, Ihre Zukunft kann schwärzer nicht werden.
({29})
- Ich kann ja noch lauter. - 1977 wurden Zusatzprotokolle zum Genfer Rot-Kreuz-Abkommen unterzeichnet, die bis heute nicht ratifiziert sind.
({30})
- Das habe ich noch in meinem Text drin, es kommt noch, nicht so stürmisch. - Dabei geht es um eine bedeutende Weiterentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechts. Wir Sozialdemokraten möchten diese Abkommen rechtsverbindlich machen, und zwar schnell, so schnell wie möglich, noch in dieser Legislaturperiode.
({31})
Die Haltung der Bundesregierung - was heißt Haltung? -, das Ignorieren bzw., um mit Zille aus Berlin zu sprechen, das Noch-nicht-mal-Ignorieren die13546
ser Bundesregierung ist schlichtweg ein Skandal, Frau Kollegin.
({32})
Für 1984 hatten Sie, Herr Minister, die Einleitung des parlamentarischen Zustimmungsverfahrens angekündigt. Gekniffen hat er, gekniffen. Bisher haben 51 Staaten das Zusatzprotokoll I und 44 Staaten das Zusatzprotokoll II ratifiziert, darunter auch NATO-Verbündete wie Norwegen und Dänemark, auch Jugoslawien, Österreich, Schweden, die Schweiz, selbst die Volksrepublik China.
({33})
- Ja, wenn wir hier über Zivilschutz reden, dann muß das auf den Tisch des Hauses. Es geht nämlich um den Schutz der Opfer von Konflikten internationaler und nichtinternationaler Art. Die von der SPD geführte Bundesregierung verfolgte das Ziel, mehr für die zivile Bevölkerung zu tun, auch deshalb, weil sie wußte,
({34})
daß heute noch viel mehr als früher die Last der Leiden im Konfliktfall auf die zivile Bevölkerung fallen würde. Das war unsere Politik, und sie ist es nach wie vor.
Ich betone ausdrücklich: Wenn ich den Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes und das Deutsche Rote Kreuz zitiere, darf die Mehrheit dieses Hauses bitte nicht dem Deutschen Roten Kreuz daraus einen Strick ziehen. Das möchte ich also hier nicht. Nur, die Bundesrepublik Deutschland ist Vertragspartner der vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949. Im Zusatzprotokoll I heißt es u. a. - ich zitiere -:
Weder die Zivilbevölkerung als solche noch einzelne Zivilpersonen dürfen das Ziel von Angriffen sein.
So weit das Zitat. Angriffe auf zivile Objekte, Nahrungsmittel, landwirtschaftliche Gebiete, Ernte-und Viehbestände, Trinkwasserversorgungsanlagen und -vorräte, Bewässerungsanlagen, Kulturgut, Staudämme, Deiche, Kernkraftwerke - das ist alles enthalten - sind verboten. Strenge Vorsichtsmaßnahmen, die Abgrenzung von unverteidigten Orten bzw. von entmilitarisierten Zonen sind enthalten, wie überhaupt die dringend notwendigen völkerrechtlichen Grundlagen für die Arbeit des Zivilschutzes. Die Möglichkeiten von Hilfsmaßnahmen für die Zivilbevölkerung werden beträchtlich erweitert.
Kurz gesagt, meine Damen und Herren, es geht um den Schutz der Würde des Menschen und seiner elementaren Rechte. Für mich ist es unfaßbar, daß wir uns in diesen Tagen in diesem unserem Hohen Hause über Genf, Reagan, Gorbatschow, die beiden Weltmächte freuen oder uns auch den Kopf zerbrechen, aber das, was wir selbst tun können und tun müssen, von dieser Regierung unterlassen wird,
({35})
nämlich eine empfindliche Lücke im humanitären Völkerrecht zu schließen. Von 1974 bis 1977 haben wir auf der diplomatischen Konferenz entscheidend mitgewirkt, und heute frage ich Sie: Was ist Ihnen eigentlich die eigene Bevölkerung wert?
Jetzt zitiere ich:
Wenn die Ansicht zutrifft, alle noch so großen Anstrengungen im Zivilschutz könnten im Ernstfall, insbesondere im nuklearen Holocaust, nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein, dann muß eben durch die Verbesserung des Kriegsvölkerrechts der Schutz der Zivilbevölkerung herbeigeführt werden.
So Prinz zu Sayn-Wittgenstein. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Er sagt weiter:
({36})
Im Golfkrieg beispielsweise wäre der Einsatz von Kindern und Jugendlichen, wie er uns bekannt wurde, unter den Bestimmungen des Zusatzprotokolls I verboten, da Kinder unter 15 Jahren nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen dürfen.
So weit Ihr früherer Kollege.
Meine Damen und Herren, ich weiß, warum sich diese Regierung so schwertut. Auch hier lasse ich den Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes selbst zu Wort kommen:
Nicht nachvollziehen kann das Deutsche Rote Kreuz die Auffassung, wonach das Zusatzprotokoll I auf den Einsatz von Kernwaffen
- das ist nämlich der Punkt: der Einsatz von Kernwaffen nicht anwendbar sein soll. Ich kann eine Privilegierung der Kernwaffen im Rahmen des I. Zusatzprotokolls weder nach Wortlaut noch nach Sinn und Entstehungsgeschichte erkennen.
Das sagte er auf einer Anhörung der SPD-Fraktion vor kurzem hier in diesem Hause. - Weiter sagte er:
Selbst wenn Völkerrechtsexperten das Gegenteil beweisen sollten, so könnte ein solcher Standpunkt dem humanitären Auftrag des Roten Kreuzes niemals entsprechen. Wenn es z. B. einen rechtsfreien Raum für Nuklearwaffen geben würde, dann würde diese Ansicht, wenn man sie heute bekräftigen wollte, auch die vier Genfer Abkommen von 1949, also auch die bereits ratifizierten Abkommen, tangieren.
Ich füge hinzu: Nuklearwaffen gab es 1949 auch schon.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion bekräftigt ihre Auffassung, daß der Ausbau des Zivilschutzes im Sinne der Bestimmungen des Genfer Abkommens von 1949 zum Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte sowie des I. Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen unverzichtbar ist.
Die Einführung einer Schutzraumbaupflicht für Wohnbauten, wie Sie sie wollen, wird von uns abgelehnt.
({37}) - Das haben wir immer schon gesagt!
({38})
Wenn wir Genf - sowohl 1949 als auch 1977 als auch jetzt - ernst nehmen, Herr Kollege Miltner, bedarf es einer Klärung seitens der Regierung - nicht unsererseits -, einer Klärung der Frage, wie sie es überhaupt mit der Förderung des Schutzraumbaus hält. Ich will hier den Sinn des Schutzraumbaus, ob unter der Bedingung atomarer oder unter der Bedingung konventioneller Waffen, in Frage stellen. Ich tue das, und deshalb habe ich über diese Rot-Kreuz-Abkommen gesprochen.
Um zum Schluß noch einen anderen Punkt zu nennen: Ab 1. Januar 1986 plant die Bundesregierung eine Änderung der Jahresbeträge. Das sind die Mittel, die dem Hauptverwaltungsbeamten für Ausbildung, Verpflegung, Reparaturen an Fahrzeugen usw. zur Verfügung stehen. Das ist völlig undurchsichtig! Kein Mensch weiß, wo es langgeht! Wegen der unklaren Unterlagen befürchten die Länder, die Gemeinden und die Organisationen Auswirkungen, die zu enormen Verschiebungen innerhalb der einzelnen Fachdienste führen, ganz abgesehen davon, daß die Beträge real immer geringer werden. Es wird nicht mehr, sondern weniger!
Meine Damen und Herren, Sie müssen sagen, was Sie vorhaben, sonst laufen Ihnen und uns auch noch die letzten Idealisten, auf die dieses Staatswesen angewiesen ist, davon. Wir möchten auch wissen - ebenso wie die genannten Organisationen und auch die Länder -, wie es denn mit dem von uns initiierten Konsolidierungsprogramm weitergeht. 1990 ist Schluß, oder? Da muß doch in die mittelfristige Finanzplanung etwas hinein, oder wie denken Sie sich das eigentlich? Die Leute z. B. bei der Feuerwehr müssen doch wissen, ob sie ein neues Fahrzeug bekommen oder nicht.
({39})
Die sind doch auch bereit, das Fahrzeug zu pflegen. Es gibt doch keine besser gepflegten Fahrzeuge als Feuerwehrautos!
({40})
Herr Abgeordneter, darf ich Sie unterbrechen!
Ich muß zum Schluß kommen.
Sie gestatten keine Zwischenf rage?
Ich bin schon bei Null. Es tut mir leid. - Ich möchte nur noch zwei Sätze sagen.
Dieses Konsolidierungsprogramm haben wir geschaffen, als 15 Jahre nach der Kuba-Krise ein Notstand an Kraftfahrzeugen und Geräten entstanden war. - Herr Präsident, noch zwei Sätze. - Als Opposition haben Sie sich nicht oppositionell, sondern opportunistisch an das angehängt, was wir damals als Konsolidierungsprogramm durchgebracht haben. Das haben wir gemacht. Jetzt müssen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, Farbe bekennen und Butter bei die Fische tun.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Riedl.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe hier nicht zu den Feuerwehrautos zu reden, was ich sehr gerne täte. Herr Kollege Nöbel, wenn Sie hier nicht vernebelt, sondern die Wahrheit gesagt hätten, hätten Sie festgestellt, daß die Ausstattung unserer deutschen Feuerwehren mit Feuerwehrautos jedenfalls weitaus besser ist, als dies zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung der Fall war. Ich kann Ihnen jedenfalls bei der Freiwilligen Feuerwehr in München glänzende und herrlich funktionierende Feuerwehrautos vorführen, die Gott sei Dank fast immer nur in der Übung voll zum Einsatz kommen. Ich darf Sie einmal nach München einladen; Sie werden Ihre wahre Freude an unseren Feuerwehrautos haben.
({0})
- Die sind nicht weiß-blau angestrichen, sondern sogar rot. Daran hat er bestimmt seine Freude.
Meine Damen und Herren, ich muß hier zu einem sehr nüchternen und deshalb auch sehr ernsten Thema sprechen, nämlich zur inneren Sicherheit. Ich möchte versuchen, das Zahlenwerk des Einzelplans 06 - Bundesminister des Innern - zur Verdeutlichung mit einem Hintergrund zu versehen. Ich möchte darzulegen versuchen, wie sich die Kriminalitätssituation in der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund der nüchternen Zahlen darstellen läßt.
Die Sicherheitslage ist in etwa durch drei Faktoren gekennzeichnet, und zwar zum einen durch die hohe Anzahl von jährlich etwa 4 Millionen registrierten Straftaten im Bereich der allgemeinen Sicherheit.
({1})
Der zweite Faktor ist das Ansteigen der auch international organisierten Kriminalität mit großen sozialschädlichen Auswirkungen. Der dritte Faktor ist die erhöhte Gefährdung durch terroristische und extremistische Gruppierungen.
({2})
Die Zahl der in der polizeilichen Kriminalstatistik registrierten Straftaten erreichte 1983 mit sage
Dr. Riedl ({3})
und schreibe 4,35 Millionen einen traurigen Höchststand. Zwar war im Jahre 1984 ein Rückgang um 4,9% auf 4,1 Millionen Delikte zu verzeichnen, und auch die Zahlen für das erste Halbjahr 1985 lassen eine weitere geringfügige Abnahme in diesem Jahr erwarten; dennoch wäre es völlig verfehlt und falsch, angesichts des nach wie vor unverändert hohen Niveaus von einer Entspannung der Lage zu sprechen. Es ist zu erkennen, daß die insgesamt rückläufige Entwicklung auf Faktoren zurückzuführen ist, die man nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Kriminalität sehen kann. Sie ging vielmehr, wie das Bundeskriminalamt bestätigt, mit der Änderung von Versicherungsbedingungen beispielsweise in der Hausrat- und der Fahrzeugteilkaskoversicherung einher. Es ist davon auszugehen, daß in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich nicht weniger Straftaten begangen wurden, sondern daß sich das Anzeigeverhalten geändert hat und daß sich eine Reihe von Bagatelldelikten nicht mehr in der polizeilichen Kriminalstatistik niederschlagen.
In einzelnen bedeutsamen Bereichen haben sich demgegenüber bereits seit Jahren zu beobachtende zunehmende Tendenzen fortgesetzt.
({4})
So nahmen, obwohl insgesamt weniger Diebstähle verzeichnet wurden, die die Bevölkerung in besonderem Maße beunruhigenden Wohnungseinbrüche auch in diesem Jahr wieder beträchtlich zu. Auch im Bereich der Vermögens- und Fälschungsdelikte war wie bereits in den Vorjahren eine Zunahme zu verzeichnen. Gerade hier läßt sich in einzelnen Untergruppen überdies feststellen, daß die Straftaten komplexer und komplizierter angelegt werden und die Täter immer größere, nicht selten kaum absehbare Schäden anrichten. So zeigt beispielsweise eine vom Max-Planck-Institut durchgeführte bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten, daß sich die Schadenssummen aller von den deutschen Staatsanwaltschaften abgeschlossenen Ermittlungsverfahren innerhalb von zehn Jahren verfünffacht haben auf - man höre und staune - 7 Milliarden DM allein im Jahre 1983, und dies, obwohl sich die Zahl der Verfahren, in denen Anklage erhoben wurde, nicht auffällig verändert hat.
({5})
Diese enormen, wegen eines beachtlichen Dunkelfeldes tatsächlich um ein Vielfaches höheren Schäden belegen die von der Wirtschaftskriminalität ausgehende Gefahr, die offensichtlich nicht nur von unseren Polizeibehörden, sondern auch hier von den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages erkannt ist.
({6})
Hinzu kommen Wettbewerbsverzerrungen und weitere, kaum absehbare volkswirtschaftliche Folgen, so etwa durch die Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben bei der unverändert anhaltenden illegalen Vermittlung und dem Verleih ausländischer Arbeitnehmer oder auch die außerordentlich ansteigende Zahl der Umweltdelikte.
Die Situation im Bereich der Falschgeldkriminalität ist trotz der laut Kriminalstatistik leicht rückläufigen Fallzahlen durch außergewöhnlich angestiegene Sicherstellungsmengen gekennzeichnet. So wurde in der Bundesrepublik Deutschland allein 1984 in- und ausländisches Falschgeld im Nennwert von zirka 32 Millionen DM sichergestellt. In diesem Bereich gibt es deutliche Anzeichen für das Bestehen international organisierter Kriminalität.
Wie bereits im vergangenen Jahr, so zeichnet sich auch jetzt wieder ein leichter Rückgang bei den in der Statistik unter dem Oberbegriff Gewaltkriminalität zusammengefaßten Delikten ab. Zwar ist diese durch die Abnahme der schweren Körperverletzungen verursachte Entwicklung an sich erfreulich; es darf jedoch auch nicht unterschlagen werden, daß nach wie vor etwa 100 000 dieser schweren Straftaten jährlich begangen werden. Bei einzelnen Formen des Raubes - dies scheint eine vorübergehende Entwicklung zu sein - ist eine deutliche Zunahme erkennbar.
Auch bei der Rauschgiftkriminalität indizieren bestimmte Feststellungen trotz stagnierender Fallzahlen eine anhaltende Gefährlichkeit. So werden in jedem Jahr mehr Personen erstmalig als Konsumenten harter Drogen erfaßt und nach wie vor sehr große Mengen von Betäubungsmitteln sichergestellt. Offenbar sind international operierende Rauschgifthändlerorganisationen dabei, die bestehende Marktsituation zu festigen und neue Absatzmöglichkeiten zu erschließen. Wie das Bundeskriminalamt kürzlich den Berichterstattern des Haushaltsausschusses deutlich vor Augen führen konnte, ist die Zufuhr von Kokain aus Neuländern, also nicht mehr aus dem „Goldenen Dreieck", sondern beispielsweise aus dem afrikanischen Bereich und neuerdings vor allen Dingen aus Südamerika, in einem unverantwortlichen Maße angestiegen.
Meine Damen und Herren, ich darf einmal einige sehr traurige Zahlen von Opfern dieses Rauschgiftgeschehens bekanntgeben. In diesem Jahr sind vom 1. Januar 1985 bis 31. Oktober 1985 in der Bundesrepublik Deutschland 261 Rauschgifttote zu beklagen; einer davon war noch nicht einmal 18 Jahre alt. 17 waren im Alter von 18 bis 21 Jahren, und 243 waren älter als 21 Jahre. Die Zahl der Erstkonsumenten von harten Drogen belief sich vom 1. Januar 1985 bis 30. September dieses Jahres - also einen Monat weniger - in der Bundesrepublik Deutschland auf 2 350, wovon 43 jünger als 18 Jahre sind, 344 im Alter von 18 bis 21 Jahre und die über 21jährigen sich auf eine Zahl von 1 963 beziffern.
Meine Damen und Herren, die seit Herbst vergangenen Jahres anhaltende Welle von Straftaten terroristischer Gewalttäter hat erneut sichtbar gemacht, daß der Terrorismus unverändert ein Kernproblem für die innere Sicherheit darstellt. Die „Rote Armee Fraktion" - RAF - hat ihre Einbußen ausgeglichen und zeigt ungebrochene Aktivität. Als herausragend sind der versuchte Sprengstoffanschlag auf die NATO-Schule in Oberammergau am 18. Januar, der Mord an dem VorstandsvorsitDeutscher Bundestag - 10.Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 28. November 1985 13549
Dr. Riedl ({7})
zenden von MTU, Dr. Zimmermann, sowie der Anschlag auf die US Air Base in Frankfurt und die damit zusammenhängende Ermordung des amerikanischen Soldaten Pimental Anfang August ebenso zu nennen wie der am vergangenen Sonntag um 15.20 Uhr verübte Bombenanschlag auf das PXQuartier in Frankfurt.
Gerade im Verlauf dieses Jahres waren Ansätze einer internationalen ideologischen Übereinstimmung sowie eine logistische Zusammenarbeit deutscher und ausländischer Terroristen zu erkennen, und zwar in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere Kontakte zur französischen „Action directe" und der belgischen Terroristengruppe CCC. Auch die „Revolutionären Zellen" verübten in diesem Jahr bisher deutlich mehr Anschläge - 19 an der Zahl - als im gesamten Jahr 1984, in dem wir 13 Anschläge zu verzeichnen hatten. Zahlreiche andere Gruppierungen lehnten sich an Handlungsmuster von RAF und RZ - „Rote Zellen" - an. So wurden bis Ende Oktober dieses Jahres bereits 277 Brand- und Sprengstoffanschläge verübt. Das waren bereits mehr als im gesamten vorangegangenen Jahr, in dem es immerhin auch 251 Anschläge gab.
Daneben dokumentiert die Vielzahl schwerwiegender, häufig auch gemeinschädlicher Sachbeschädigungen sowie gefährlicher Eingriffe in den Bahn- und Straßenverkehr die anhaltende Bedrohung der inneren Sicherheit durch terroristische bzw. extremistische Gewalttäter.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann in dieser kurzen Rede nur schlagwortartig den sachlichen Hintergrund der Kriminalitätslage in der Bundesrepublik aufzeigen. Das erwähnte Zahlenwerk im Einzelplan 06 spiegelt sich dementsprechend wie folgt wider:
Wir werden im Haushalt der Bundesrepublik Deutschland für die innere Sicherheit 1986 insgesamt 1,713 Milliarden DM ausgeben, was einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 4,3% entspricht. Das ist deutlich höher als der Gesamtanstieg des Bundeshaushalts um, wie Sie wissen, insgesamt 2,2 %. Das wiederum unterstreicht, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen - in diesem Fall darf ich sagen: dank der guten Zusammenarbeit mit dem Mitberichterstatter im Haushaltsausschuß von der SPD-Fraktion, der dies etatmäßig und etatisierungsmäßig voll mitgetragen hat, auch mit der Zustimmung der demokratischen Oppositionsfraktion SPD - der inneren Sicherheit hohe Bedeutung beimessen.
Meine Damen und Herren, einige wenige Bernerkungen zu Einzelbereichen: Bundesgrenzschutz, Bundeskriminalamt und Bereitschaftspolizeien der Länder.
({8})
Beim Bundesgrenzschutz - Schwerpunkt ist Kapitel 06 25 - werden wir im Etat einen Betrag von 3,2 Millionen DM, über vier Jahre verteilt, ausweisen. Dieser Betrag dient der Maritimisierung der
GSG 9, wobei die bestehende Einsatzeinheit dieser Spezialgruppe des Bundesgrenzschutzes zur Abwehr terroristischer Übergriffe auf maritime Objekte mit Führungs- und Einsatzmitteln auszustatten ist, weil terroristische Aktivitäten auf dem Meer und auf den Seegewässern nicht auszuschließen sind. Ich nenne z. B. die Inbesitznahme eines fahrenden oder ankernden Schiffes, etwa eines Tankers, oder Angriffe auf Bohrplattformen von Erdöl und Erdgas.
Ich erwähne zum zweiten die Boote für die Nordsee. Frau Kollegin Seiler-Albring hat dies schon erwähnt. Das ist ein Kampf des Parlaments mit der Regierung. Es war schon in der alten Regierung so; es ist auch jetzt so. Weil es keine Ressorteinigung zwischen dem Finanzminister, dem Innenminister, dem Verkehrsminister und vielleicht auch dem Verteidigungsminister gibt
({9})
- Wirtschaftsminister -, hat das Parlament in Übereinstimmung von CDU/CSU, FDP und SPD
- - die GRÜNEN kann man hier weglassen. Meine Damen und Herren, beim gesamten Bereich der inneren Sicherheit haben sich die GRÜNEN ausgeklinkt. Sie haben Anträge gestellt, die - was ich aus Ihrer Sicht verstehe - letztendlich zur Abschaffung jedweder Polizei in Deutschland führen würden. Deshalb kann ich mich auch mit den nicht sehr verständlichen Zwischenrufen der GRÜNEN gar nicht auseinandersetzen. Sie wollen keine Polizei in der Bundesrepublik Deutschland. Jedenfalls haben Sie sich in den Ausschüssen so verhalten.
({10})
- Ich kann aus zeitlichen Gründen auf Ihre Fragen leider nicht eingehen, Herr Kollege.
({11})
- Wenn Sie in den Haushaltsausschuß kämen, könnte ich mich mit Ihnen über Ihre unsinnigen Anträge sehr gern und lange unterhalten.
Zurück zu den Nordseebooten. Dies ist ein Kampf des Parlaments mit der Regierung. Wir haben jetzt beschlossen, sehr verehrter Herr Bundesinnenminister, die Bundesregierung möge ein abgestimmtes Konzept bis Ende April vorlegen, mit dem Ziel, daß in der Nordsee der Bundesgrenzschutz zwei einsatzfähige Boote bekommt, die den Aufgaben der Bundesrepublik Deutschland im Bereich des Umweltschutzes in der Nordsee gerecht werden. Da sich unsere Kollegen so eingesetzt haben, Frau Ulla Seiler-Albring, würde ich vorschlagen: Das erste Boot taufen wir auf unsere liebe Ulla. Das zweite Boot müssen wir dem Herrn Innenminister zugestehen; das taufen wir auf „Fritz". Die beiden Rettungsboote auf den Booten taufen wir auf den Klaus, weil er sich entsprechend positiv für diese Boote eingesetzt hat.
({12})
Dr. Riedl ({13})
Meine Damen und Herren, eine kleine Episode aus dem Haushaltsausschuß. - Herr Präsident, ich bin sofort fertig.
Nur die Episode noch.
Nur noch die Episode, Herr Präsident, die Ihnen sicherlich auch gefällt. Es gab auch einen Kampf des Parlaments mit dem Bundesrechnungshof. Der Bundesrechnungshof wollte nämlich die Musikkorps des Bundesgrenzschutzes auf eines reduzieren. Wir haben drei, im Norden, in der Mitte und im Süden. Wir Abgeordnete waren der Meinung, zu einer uniformierten Polizei wie dem BGS gehört auch das Musikkorps, meine Damen und Herren.
({0})
Schöne Märsche sollen da geblasen werden. Wir haben uns durchgesetzt.
({1})
Weil der Präsident des Bundesrechnungshofes in diesen Tagen in Pension geht und demnächst eine feierliche Verabschiedung bekommt, haben wir uns gesagt: Nachdem er die Musikkorps abschaffen wollte, muß er es ertragen, daß zu seiner Verabschiedung das Musikkorps des Bundesgrenzschutzes spielt. Ich habe sogar schon den Marsch vorgeschlagen. Wir spielen dann für den Herrn Wittrock „Alte Kameraden".
({2})
Ein schöner Schluß, Herr Abgeordneter.
Meine Damen und Herren, da ich den Herrn Präsidenten nicht verärgern möchte und meine Redezeit einhalten muß, darf ich zum Schluß nur noch sagen, daß die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion dem Haushalt des Bundesministers des Innern außerordentlich freudig und gerne zustimmen. Der Minister hat unser Vertrauen. Wir freuen uns, daß er auch im nächsten Jahr die Geschicke dieses wichtigen Ministeriums mit der gleichen Tatkraft wie bisher führt.
({0})
Ich bedanke mich herzlich.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein ({0}).
({1})
- Herr Abgeordneter Kühbacher, der Minister ist bereits gemeldet.
({2})
Herr Präsident! Auch wenn die Kleiderordnung jetzt offenbar nicht mehr stimmt - denn nach mir sollen fünf Leute aus der Koalition sprechen, wenn die Ansage korrekt ist -, will ich trotzdem die Gelegenheit wahrnehmen, hier zu Ihnen zu reden.
({0})
- Herr Bötsch, wir hatten erst neulich Krach gehabt. Seien Sie einmal ruhig.
Meine Damen und Herren, der Innenminister ist zugleich auch Sportminister. Wir sollten bei der Debatte über den Haushalt des Jahres 1986 nicht nur einiges über die Feuerwehr sagen, Herr Kollege Riedl, sondern auch über die Themen des Sports und der Sportförderung dieser Regierung innerhalb der letzten drei Jahre. Die Bilanz für die letzten drei Jahre ist kläglich ausgefallen. Das empfinden Sie, die Sie sportlich engagiert sind, meine Damen und Herren innerhalb der FDP und der CDU, in der gleichen Weise wie wir. Wir wollen hier heute bei der Haushaltsdebatte dem Minister Gelegenheit geben, auf unsere Fragen zu den Nichtleistungen - Nichtleistungen sind viel gewichtiger als Fehlleistungen - im Bereich des Sports der letzten drei Jahre eine Antwort zu geben.
Meine Damen und Herren, worum geht es? Wir haben im Bundesgebiet 60 000 Sportverbände. Wir haben innerhalb dieser Sportvereine rund 20 Millionen Mitglieder. Das heißt, ein Drittel der gesamten Gesellschaft ist innerhalb des deutschen Sportes engagiert, und wir leisten als wichtiges Glied unserer Gesellschaft auf diesem Wege ganz eindeutig einen wesentlichen Beitrag für das sportliche, kulturelle und gesellschaftliche Miteinander. Dieses Miteinander schließt alle Altersgruppen bei uns mit ein. Ich möchte sagen, daß der Sport dem Lebensgefühl weiter Kreise unserer Gesellschaft weitaus stärker als etwa die Betätigung in Parteien - ob links oder rechts -, in Gewerkschaften oder Kirchen entspricht. Ich finde es gut, wenn die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Parlament, auf diese Interessenlage der Bevölkerung eine klare und eindeutige Antwort gibt.
Wir müssen allerdings, wenn wir mal Bilanz ziehen, verbuchen, daß die Bundesregierung in den letzten Jahren auf diese Aktivitäten der Sportvereine und die Aktivitäten ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter, auf diese neue Entwicklung, die stärker ist als irgendwo anders, schlechte oder gar keine Antworten gegeben hat. Herr Minister, ich hoffe, daß Sie etwas dazu sagen und nicht nur Zeitung lesen, wie es im Augenblick geschieht. Sie sollten eine Antwort auf Ihre Fehlleistungen oder Nicht-Leistungen im Sportbereich geben. Sie sollten eingeKlein ({1})
stehen, daß Sie die Erwartungen des deutschen Sports kläglich enttäuscht haben.
({2})
Sie als Opposition damals vor vier Jahren haben versprochen, daß die Ubungsleiterpauschale angehoben wird.
({3})
- Herr Stark, Sie sind in anderen Bereichen stark, aber nicht hier. Seien Sie mal ruhig! Wir müssen feststellen, daß die Wünsche im Bereich der Übungsleiterpauschale von Ihnen nicht erfüllt worden sind,
({4})
daß die Anhebung der Freibeträge für andere Betätigungen der Sportvereine nicht vorgenommen worden ist. Sie haben in den letzten drei Jahren nichts getan - Sie legen eine Null-Bilanz für diesen Bereich vor -, um wirtschaftliche Betätigungen von Sportvereinen steuerfrei zu stellen, damit die Gelder anderen Tätigkeiten der Sportvereine - im investiven Bereich - zugute kommen.
({5})
Nichts ist bei Ihnen geschehen. Wir klagen Sie an, daß Sie die Anträge, die Sie vor fünf Jahren als Opposition gestellt haben, heute in der Regierungsverantwortung nicht erfüllen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU.
({6})
Ich habe den Eindruck - um das ganz klar auf den Punkt zu bringen -: Ihr Kanzler Kohl läßt sich viel lieber mit Steuerflüchtlingen oder Steuerverweigerern als mit jenen fotografieren,
({7})
die bemüht sind, für die deutschen Sportvereine eine kleine Steuererleichterung zu bringen, die dringend notwendig ist.
({8})
Das hat es in der Vergangenheit noch nie gegeben; die Bundesrepublik ist ja nun Jahrzehnte alt.
({9})
- Das können Sie sagen, Herr Bötsch, wie Sie wollen. Ich trinke bei Gelegenheit trotzdem einen Schoppen mit Ihnen.
Heute ist hier festzuhalten, daß diese Bundesregierung in den letzten drei Jahren nichts getan hat, um den Sportvereinen zu helfen. Ich muß ganz klar festhalten, daß der offene Brief von Präsident Weyer, der Ihnen politisch näher steht als uns, Ihnen in den Ohren klingen muß - vorher gab es noch niemals offene Briefe an den Bundeskanzler -, in dem er eingeklagt hat, daß die Versprechungen, die Sie damals gemacht haben, endlich auch mal eingelöst werden müssen.
({10})
Denn viele, viele Vereine sind heute in der Zwickmühle, ob sie noch gemeinnützig sind oder nicht. Die Finanzämter entwickeln eine unwahrscheinliche Akribie, um Vereine zu überprüfen. Eigentlich sollten sie große Steuersünder überprüfen, für die es Namen gibt; einer heißt Boenisch.
({11})
Ich meine, daß den Vereinen bei uns durch eine klare Entscheidung der Bundesregierung, die mal angekündigt worden ist, so geholfen werden sollte, daß sie ihren Sportbetrieb auf einer soliden Grundlage weiterführen können; im Augenblick ist er in Frage gestellt.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der FDP, da sind Sie gefordert. Ich hoffe sehr, daß es in absehbarer Zeit gelingt, daß Sie Ihre Versprechungen einlösen, die Sie 1981 und 1982, damals in der Opposition gemacht haben. Wenn Ihre Forderungen damals richtig waren, dann können Sie heute eigentlich nicht falsch sein.
Ich bitte Sie also herzlich, zu Ihrer Redlichkeit von damals zurückzukehren, vorausgesetzt, daß es damals Redlichkeit gewesen ist. Es geht konkret darum, daß wir versuchen, die Gemeinnützigkeit für die Vereine zu bewahren oder wieder herzustellen, damit die bewährte Partnerschaft von Sport und Politik, von Sport und Staat wieder bewahrt werden kann, die in den letzten Jahren durch Ihr passives Verhalten sehr in Frage gestellt worden ist.
({12})
Wir wollen erreichen, daß die Übungsleiterpauschale angehoben wird. Das ist in der Zeit unserer Regierungsverantwortung zweimal geschehen.
({13})
- Ihre praktische Sportpolitik, Herr Kollege Sauer, beschränkt sich darauf, daß Sie erfolgreichen deutschen Sportlern ein Glückwunschtelegramm schikken, wenn Sie gesiegt haben. Ihre Sportpolitik beschränkt sich darauf, daß Sie demnächst wieder das Silberne Lorbeerblatt überreichen.
({14})
- Sie können sich gleich setzen. Ich gebe keine Antwort auf Ihre Frage. Auf die konkreten und drängenden Fragen des deutschen Sports - gestellt von Herrn Weyer und von anderen -, etwa auf die Fragen, wie es in der Frage der Gemeinnützigkeit weitergeht und wie es in der Frage der Übungsleiterpauschale weitergeht, geben Sie keine Antwort. Hier sind Sie bisher passiv gewesen, und hier bleiben Sie auch weiter passiv.
({15})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Sie gestatten sie. Herr Gerster, bitte.
Ich habe gesagt: Er kann sich setzen.
Herr Kollege Klein, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir, seitdem wir regieren, allein im Bereich des Behindertensports eine Verdreifachung der Mittel vorgenommen haben, und wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich auch die laufenden Zuschüsse an Sportverbände um rund 40% erhöht haben, seitdem wir regieren?
Sie sind schlicht falsch informiert. Sie können sich gleich wieder setzen, weil Sie falsch informiert sind.
({0})
Ich sage Ihnen, daß die Sätze nicht angehoben worden sind. Im Gegenteil, ich beziehe mich auf die beredte Aussage Ihres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, Herrn Rühe, der vorgestern hervorgehoben hat, wie wichtig es sei, beispielsweise die Sportförderung mit Blick auf Osteuropa zu verbessern.
({1})
- Setzen Sie sich einmal hin.
({2})
Einen Moment! Herr Abgeordneter, dazu aufzufordern, sich zu setzen, ist immer noch die Aufgabe des amtierenden Präsidenten. Herr Abgeordneter Gerster, die Beantwortung der Frage ist abgeschlossen. Bitte nehmen Sie wieder Ihren Platz ein.
({0})
Herr Präsident, es steht mir nicht zu, mit Ihnen zu rechten. Wenn aber von einem Fragesteller dümmliche Fragen gestellt werden, muß ich ihn belehren, daß er eine dümmliche Frage gestellt hat.
({0})
Ich will festhalten, daß in bestimmten Bereichen durchaus Anhebungen stattgefunden haben.
({1})
Sie halten sich aber im Rahmen dessen, was eine reguläre Anpassung darstellt.
({2})
Wo Akzente gesetzt werden müßten, haben Sie aber kläglich versagt. Ein Beispiel dafür. Der Kollege Rühe hat hier vorgestern - auch unter dem Beifall der SPD und der GRÜNEN - die Kontakte bejaht und bestärkt, die bei dem Gespräch in Krakau vor wenigen Tagen beschworen worden sind. Er hat gesagt, daß in der nächsten Zeit mehr sportpolitische und jugendpolitische Kontakte zu Polen stattfinden sollten. Was aber ist Ihre praktische Politik? Herr Kollege Gerster, Sie beschließen hier heute einen Haushalt, der ausdrückt, daß die Förderungsmittel für Sportkontakte mit Osteuropa von bisher 840 000 DM - das ist zu wenig gewesen - auf 440 000 DM gesenkt werden sollen. Das ist praktisch eine Halbierung dessen, was bisher gewesen ist.
({3})
Ihre Ankündigung und Ihre reale Politik sind doch nicht deckungsgleich. Sie reden auf der einen Seite und verweigern sich auf der anderen Seite, wenn es um praktisches Handeln geht.
({4})
- Das ist eine widersprüchliche Politik, die hier im Hohen Hause angeprangert werden muß. Das gilt auch für viele andere Bereiche. In diesem Fall wurde besonders deutlich, daß Sie auf der einen Seite Kontaktmöglichkeiten in Richtung Osteuropa haben wollen, auf der anderen Seite aber die finanziellen Voraussetzungen, die dafür notwendig sind, nicht schaffen. Das ist eine widersprüchliche Politik. Sie muß hier ganz klar und deutlich angeprangert werden. Sie stehen für diese widersprüchliche Politik, auch wenn Sie vorher etwas ganz anderes gesagt haben.
Meine Damen und Herren, wir haben versucht, im Rahmen der deutschen Sportpolitik, die ja auch mit der Außenpolitik verzahnt ist, die Kontakte nach Osteuropa und auch anderswohin zu verbessern. Wir haben im Sportausschuß bei der Debatte über den Haushaltsplan versucht, die Mittel aufzustocken, die für die Kontakte auf der Sportebene zu den USA nötig sind. Sie haben sich im Sportausschuß wie auch im Haushaltsausschuß geweigert, dafür Mittel bereitzustellen. Ich stelle hier noch einmal die Frage, ob nicht zwischen Ihrem Handeln einerseits und Ihren Ankündigungen andererseits ein ganz eklatanter Widerspruch besteht.
({5})
- Verzeihung, natürlich haben wir den Antrag gestellt. Sie wissen es vielleicht nicht mehr. Lesen Sie es noch einmal nach.
Sie haben hier jedenfalls einer positiven Entwicklung der deutschen Sportpolitik nach Osten und nach Westen widersprochen. Ich finde es eine schlimme Entwicklung, daß Sie als CDU/CSU hier auf der einen Seite so reden und auf der anderen Seite ganz anders handeln.
({6})
Meine Damen und Herren, im Einvernehmen mit der amtierenden PräsiVizepräsident Stücklen
dentin, Frau Renger, erteile ich dem Abgeordneten Weng einen Ordnungsruf für die Bezeichnung: „Ein Flegel ist das", bezogen auf ein Mitglied des Hauses. Ich bitte die Fraktion, das zu übermitteln.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten von Hammerstein das Wort.
({0})
- Darauf kommt es nicht an, Herr Kühbacher.
({1})
von Hammerstein ({2}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer heute morgen das „Handelsblatt" gelesen hat, hat lesen können:
Der Schatzkanzler hat den Etat abgeschlossen. Alles ist abgesichert.
Liebe Opposition, das heißt, daß alles in sicherer Hand ist, daß alle Etats sorgfältig überlegt sind, auch der Einzelplan 33, immerhin in Höhe von 9,5 Milliarden DM.
Dies ist ein trockenes Thema. Aber lassen Sie mich einige Anmerkungen machen.
Zunächst erst einmal zum Kollegen Klaus-Dieter Kühbacher, der zur Beamtenbesoldung gesagt hat, daß überall gekürzt worden sei. Ich will Ihnen folgendes sagen: Die Fraktion der SPD hat den unverständlichen Antrag gestellt, jede Beförderung innerhalb von zwei Jahren vor der Zurruhesetzung bei der Versorgung unberücksichtigt zu lassen. Wir haben das entschieden abgelehnt. Dieser Antrag ist von Ihrem Finanzminister in Nordrhein-Westfalen, Herrn Posser, der gestern hier gewesen ist, unter dem billigen Schlagwort „Verhinderung von Gefälligkeitsbeförderungen" initiiert worden.
({3})
- Auch dieser Vorschlag, lieber Kollege Klaus-Dieter Kühbacher, setzt die Linie der SPD fort, zuerst vor allem die Beamten zur Kasse zu bitten.
Lieber Klaus-Dieter, auch in den Haushaltsausschußsitzungen, ist von dir immer gesagt worden, daß wir als Koalition gerade den einkommensschwachen Beamten etwas wegnehmen wollten. Nein, das ist gerade entgegengesetzt. Wir fördern sie, wir wollen ihnen helfen.
({4})
Und ihr lehnt das grundsätzlich ab.
Wir, die Koalition, haben die Einkommenssituation der Beamten auf vielfältige Weise verbessert. Ich denke nur an die Inflationsrate, die von 6% 1982 - bei Ihnen - auf 2 % runtergegangen ist. Und ich denke an unser Steuerpaket, 20 Milliarden DM, das ich heute nicht mehr weiter ansprechen muß. Die Rentner können sich auf Helmut Kohl verlassen.
({5})
- Nein. Ich möchte Ihnen folgendes vorlesen:
Die Kassen sind wieder voll. Die Rentner können sich auf Helmut Kohl verlassen.
({6})
- Nein, nein. Hört zu: Dies sagte der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Werner Doetsch. Er erklärte:
Die Finanzlage der Rentenversicherung hat sich deutlich verbessert. Die Rentenkassen sind voll. Die Renten sind sicher. Niemand braucht sich Sorgen zu machen.
({7})
Das ist der Erfolg der Regierung Helmut Kohl.
({8})
Allerdings muß man eines klar und deutlich sagen, daß man als Abgeordneter im Zusammenhang mit dem Einzelplan 33 keine große Politik machen kann; denn das Gros dieses Einzelplans ist durch den Art. 131 des Grundgesetzes festgelegt. Das muß man akzeptieren.
({9})
Das darf uns aber nicht vergessen lassen, daß hinter jedem Versorgungsfall ein Einzelschicksal steht. Wir sind verpflichtet, für ein angemessenes Auskommen unserer Versorgungsempfänger zu sorgen. Viele dieser Versorgungsempfänger haben durch ihre Arbeit und unter großen Entbehrungen am Aufbau unseres Staates mitgewirkt. Das wollen wir dankbar anerkennen.
Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Koalition zwei Regelungen in diesem Zusammenhang verabschiedet: erstens, Milderung der vollen Rentenanrechnung gemäß § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes und, zweitens, Schließung von Versorgungslücken für relativ spät in das Beamtenverhältnis eingetretene Beamte. Im Rahmen des 4. Besoldungsänderungsgesetzes, das wir vor kurzem hier im Parlament verabschiedet haben, ist eine sehr nachteilige Folge aus der Änderung der Reichsversicherungsordnung beseitigt worden. Schon 1984 haben wir die Rentenanrechnung entschärft. Dieses war um so wichtiger, weil wir gerade Beamten des einfachen und des mittleren Dienstes helfen konnten. Wenn ich zur linken Seite gucke, frage ich: Was ist eigentlich früher in diesem Bereich passiert? Denn diese beiden Änderungen sind von uns geschaffen worden, nicht von Ihnen. Das muß man hier klar und deutlich feststellen.
({10})
Hätten wir diese Regelung nicht getroffen, wären
viele Angestellte und Arbeiter im öffentlichen
von Hammerstein
Dienst davon abgehalten worden, in das Beamtenverhältnis überzuwechseln.
({11})
- Dies ist nun einmal so. Aber wir wollen auch weiterhin einige Beamte in unserem Staat haben.
Trotz vieler positiver Maßnahmen für die Versorgungsempfänger konnten auch diese nicht von den Sparmaßnahmen verschont werden.
({12})
- Bitte sehr vorsichtig sein, bevor ein Zwischenruf gemacht wird, lieber Kühbacher. Uns allen ist der Abbau der Doppelversorgung durch Änderung des § 55 Beamtenversorgungsgesetz noch zu Zeiten der sozialliberalen Koalition bekannt. Diese Maßnahme - für die allerdings auch wir plädieren; wir sind uns häufiger ja auch einig; deswegen muß man vorsichtig mit Zwischenrufen sein, bevor der Satz zu Ende gesprochen ist - hat in ganz erheblichem Umfang zur Begrenzung der Personalkosten beigetragen und ist hierfür auch in Zukunft unentbehrlich. Auch in Zukunft werden wir in der Regierungskoalition dafür sorgen, daß die Einkommensentwicklung der Versorgungsempfänger nicht unangemessen zurückbleibt.
Ich bedanke mich.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige wenige Bemerkungen machen, zunächst zur Kulturpolitik.
Ich stimme den Vorrednern zu, die es begrüßt haben, daß der Anteil für die Kulturpolitik stärker gestiegen ist als der Haushalt selbst. Dies ist auch ein politisches Signal. Ich danke dem Haushaltsausschuß, daß er dieses Signal noch verstärkt hat.
Der Bund und auch das Bundesparlament haben auf diesem Feld eine Vorbildfunktion. Wir sollten diesen Bereich bei klarer Trennung der Zuständigkeiten - sie liegen bei den Ländern - jedenfalls bei unseren Diskussionen hier nicht allein den Ländern überlassen. Wir erleben es, daß sich immer mehr Menschen mit dem arbeitsfreien Teil ihres Lebens identifizieren. Das künftige Menschenbild wird mindestens so stark von Freizeitwerten geprägt sein, wie von Arbeitstugenden.
Offenbar entwickeln sich neue Typen von Staats-und Wirtschaftsbürgern, bei denen sich neben den alten Tugenden des Erwerbslebens eben neue Bedürfnisse nach sinnvollem Tun, selbständigem Denken, nach Kritikbereitschaft und Toleranz entwikkeln. Im Bewußtsein vieler junger Menschen, meine Kollegen, erscheint die Tagespolitik eben um die kulturelle Dimension verkürzt und zum Medienkampf der Politprofis degeneriert. Die fast ausschließliche Beschäftigung der Politik mit der Gestaltung unserer materiellen Wirklichkeit entfremdet sie von jenen Bereichen menschlicher Wirklichkeit, die seine Einmaligkeit und Würde ausmachen. Ich plädiere dafür, daß wir die Entfremdungen, die in unserer Gesellschaft zwischen den verschiedenen Bereichen bestehen, etwa zwischen den Intellektuellen und der Schriftsteller einerseits und der Politik andererseits, durch einen Beitrag überwinden. Ich plädiere dafür, daß wir auch die Funktion von Kultur, Kunst und Künstlern in unserer Gesellschaft sehen. Künstler haben zu allen Zeiten eine Schlüsselrolle gehabt, durch selbstgewählte und selbstgestaltete Tätigkeit ein Vorbild, ein Beispiel für Leben nach ureigenstem Entwurf zu geben.
({0})
Wir brauchen ein freies, offenes Klima für diese Entfaltung von Kunst und Kultur, und wir wollen als Liberale strikt den in Art. 5 des Grundgesetzes garantierte Freiheit der Kunst bewahren.
Aber der Staat hat auch eine aktive Aufgabe. Er muß für die Bedingungen sorgen, für das Klima, für die Freiräume, damit künstlerische Lebendigkeit von sich aus gedeihen kann, aber nicht im Sinne eines Steuermanns oder Sinngebers. Er hat sich zurückzuhalten; Kulturpolitik kann nicht selber Kultur machen wollen, sie kann nur auf ihre Weise und mit ihren Mitteln Kultur fördern. Das geschieht im Haushalt des Bundesinnenministers in guter Weise. Wir stimmen dem zu. Wir wünschen, daß sich das fortsetzt.
Es ist noch einmal das Projekt der Nationalstiftung erwähnt worden, das wir damals viele Jahre diskutiert haben. Es hat ein Gutes gehabt: Aus der Nationalstiftung sind die Kulturfonds erwachsen, die eine sehr gute Wirkung haben. Junge Künstler fördern sich in Selbstverwaltung, nachdem sie von kulturellen Trägern geführt und getragen werden. Wir haben im Grunde große Fortschritte auf diesem Felde erzielt. Wir als Bund leisten unseren Beitrag, den wir nach der Verfassung leisten können und auch leisten müssen.
Wir hatten, meine Kollegen, vor einiger Zeit eine Kulturdebatte in diesem Hause. Wir, die Koalitionsfraktionen, haben am 7. November 1984 eine Entschließung vorgelegt und die Bundesregierung gebeten, bei einzelnen steuerlichen Fragen der Kulturförderung noch in dieser Legislaturperiode tätig zu weden. Ich möchte den Appell an die Bundesregierung heute an dieser Stelle wiederholen, Herr Kollege Voss: Hier gibt es eine Bitte, eine Aufforderung des Parlamentes - der Koalitionsfraktionen, aber auch der Opposition - an die Bundesregierung, tätig zu werden. Wir haben an die Bundesregierung appelliert, bei der anstehenden Prüfung die Bedeutung steuerpolitischer Instrumente für die indirekte Kunst- und Kulturförderung umfassend zu würdigen. Wir haben auf das Stiftungsrecht hingewiesen. Wir sehen, daß Länder Anträge gestellt haben, etwa Baden-Württemberg im Bereich der Vermögensteuer, aber auch beim Stiftungsrecht. Wir erwarten noch in dieser Legislaturperiode ein deutliches Wort, eine Antwort der Bundesregierung, des Bundesfinanzministers, und wir erwarten auch die
Unterstützung des Kulturministers, also des Innenministers, auf diesem Feld. - Das war meine erste Bemerkung.
Ich möchte eine zweite Bemerkung zum Umweltschutz machen. Ich trage die Entscheidung zum Tempolimit. Ich halte sie unter den gegebenen Umständen für richtig, aber ich möchte kein Hehl daraus machen, daß mich die Art, wie die Entscheidung getroffen wurde, nicht befriedigt hat. Das ist nun geschehen, aber ich möchte das hier noch einmal gesagt haben.
Ich möchte den Innenminister fragen, was denn jetzt von Europa her zu erwarten ist? Wird es da eine Entscheidung geben? Hat die Europäische Gemeinschaft die politische Absicht, die Mitgliedstaaten festzulegen? Was wird jetzt im November bei der Umweltministerkonferenz zu erwarten sein? Wir müssen zu den gesamten Fragen Klarheit haben, nicht nur über unsere eigenen Entscheidungen, sondern auch über die Entscheidungen der EG.
Ihnen von den GRÜNEN möchte ich noch einmal sagen: Das war j a kein neuer Auftritt, den Sie heute hatten. Ich fand, gerade während Sie redeten, ein interessantes Zitat aus der „Süddeutschen": „Der eigenwillige Charme grüner Programmatik liegt in dem selbstgewählten Verzicht auf Stringenz und in der souveränen Mißachtung wirtschaftlicher Zusammenhänge". Ich fand das in Ihrer Rede wirklich erneut bestätigt,
({1})
wie Sie sich vorstellen, daß Sie global Milliarden in einem Jahr für Umweltziele ohne Rücksicht auf die Situation, die in der Wirtschaft und auch auf dem Arbeitsmarkt und bei den Zulieferern gegeben ist, ausgeben können.
Wir halten wirklich aus tiefer Überzeugung an dem Verursacherprinzip fest. Es kommen Milliardeninvestitionen durch die Rahmenregelungen, die wir in dieser Legislaturperiode oder früher beschlossen haben und noch beschließen werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte?
Ja.
Herr Abgeordneter Schulte, bitte.
Herr Baum, da wir ja alle das Verursacherprinzip fordern
({0})
- wir natürlich auch! -, frage ich Sie: sind Sie bereit, dieses Verursacherprinzip auch im Kraftfahrzeugverkehr einzuführen, zumal man weiß, daß die gesellschaftlichen Kosten zwischen 60 und 100 Milliarden DM liegen, die nicht durch den Kraftfahrer alleine getragen werden, und sind Sie auch bereit, anzuerkennen, daß eine Erhöhung der Mineralölsteuer um lediglich 8 Pf die von uns geforderten 3 Milliarden DM für die Umstellung im Energiebereich ausmachen könnte?
Sie sind doch gar nicht in der Lage, diesen Prozeß in einem Jahr in Bewegung zu setzen. Mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung bewegen wir 10 bis 13 Milliarden DM. Das ist der richtige Weg. Da können Sie doch nicht noch zusätzlich investieren. Das ist doch gar nicht möglich. Das ist so wirtschaftsfremd wie nur irgend etwas. Da mag der gute Wille dahinterstehen, aber nicht der geringste ökonomische Sachverstand.
({0})
Sie haben ein zweites Phänomen hier wieder unterstrichen, Herr Kollege Schulte: Das ist Ihre völlig unkritische Technologiefeindlichkeit. Die Technik muß sich kritisch messen lassen. Wir müssen der Technik neue Ziele setzen. Die Technik muß an Grenzen gehen oder neue Grenzen erschließen. Aber sie muß sie erschließen, um eben den Bestand der Menschheit zu sichern. Wir brauchen die Technik, um Umweltziele zu erreichen.
({1})
Wir müssen sie jetzt einsetzen. Wir müssen ein positives Verhältnis zu ihr entwickeln. Die Technik erweitert auch unsere Handlungsmöglichkeiten, sie schränkt sie nicht nur ein. Das sehen Sie überhaupt nicht. Sie haben eine abgrundtiefe Technikfeindlichkeit, mit der Sie die Probleme überhaupt nicht lösen können, die vor uns stehen. Sie haben überhaupt keinen Mut zur Zukunft. Sie verharren in Resignation und Zukunftsfeindlichkeit. Damit können Sie keine Probleme lösen.
Zwei Abschlußbemerkungen. Zuerst zum Zivilschutz. Herr Kollege Nöbel, also, so polemisch habe ich Sie selten erlebt. Sie waren heute nicht so gut. Ich möchte eines unterstreichen. Ich stelle immer wieder fest, daß es - ich sage das auch selbstkritisch - in allen Fraktionen Kollegen gibt, die die Bedeutung der Zivilverteidigung unterschätzen. Sie ist ein Teil der Gesamtverteidigung.
({2})
Wir müssen uns um sie kümmern. Wir müssen ihr eine Perspektive geben. Wir müssen uns zu den Leuten bekennen, die dort tätig sind. Wir müssen ihr auch über die mittelfristige Finanzplanung, auch über 1990 hinaus eine Perspektive geben. Aber das hängt nicht an einem Gesetz allein, sondern daran, wie wir Politiker uns zu dieser Aufgabe bekennen.
Eine letzte Bemerkung zum Sport und zu dem, was der Kollege Klein hier gesagt hat. Ich vermag dem Bundesinnenminister keinen Vorwurf zu machen. Er hat in der Sportförderung keine Fehler zu verantworten. Die Sportförderung ist in Ordnung. Es ergeben sich Veränderungen durch eine ziemlich starke Kommerzialisierung auf diesem Sektor. Das muß aufgenommen werden. Aber ich kann weiß Gott nicht dem Innenminister Vorwürfe machen, daß die Sportförderung nicht in Ordnung ist. Sie können ihn doch nicht dafür verantwortlich machen, daß manche Leistung nicht kommt. Das können Sie doch nicht den Politikern zum Vorwurf ma13556
chen. Das System ist in Ordnung. Wir halten daran fest.
Wir stimmen dem Etat zu.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige wenige Bemerkungen zur Ergänzung machen.
In der Medienpolitik muß es trotz der Obstruktion durch SPD-regierte Länder gegen den geplanten Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens endlich den Durchbruch bei der Nutzung der neuen Techniken und Medien verbunden mit einer Öffnung des Programmarkts bei Hörfunk und Fernsehen für private Angebote geben.
({0})
Wir müssen dafür sorgen, daß künftig auch deutsche Programme via Deutschlandfunk und Deutsche Welle nicht nur in der gesamten DDR, sondern weltweit empfangen werden können.
Meine Damen und Herren, wir werden die friedliche Nutzung der Kernenergie einschließlich der Weiterentwicklung zukunftsträchtiger Technologien, wie Hochtemperaturreaktor und Schneller Brüter, fortsetzen. Mit der Union wird es keinen Ausstieg aus der Kernenergie, sondern ihren Ausbau mit dem weltweit höchsten Sicherheitsstandard geben.
({1})
Wir brauchen deshalb die Endlagerung und Wiederaufarbeitung abgebrannter Kernbrennstoffe in der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Demgegenüber bietet jetzt die SPD von Nordrhéin-Westfalen ein jämmerliches Bild,
({3})
wenn sie sich vor der Betriebsgenehmigung für den SNR 300 in Kalkar drückt.
({4})
Was ist eigentlich von einem Wissenschaftsminister zu halten, der öffentlich sagt, er finde durch die ihm vorliegenden wissenschaftlichen Gutachten nicht mehr durch? Das ist eine unglaubliche Zumutung.
Meine Damen und Herren, die Koalition ist dabei, den Datenschutz konstruktiv fortzuentwickeln. Wir haben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in einer jetzt einbringungsreifen Bundesdatenschutznovelle umgesetzt. In der Koalition haben wir wichtige Gesetzentwürfe zur Datenerhebung und Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich erarbeitet. Öffentliche Verwaltung und auch Sicherheitsbehörden werden nicht, wie es die linken Unsicherheitsapostel gerne wollen, von der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik abgeschnitten. Wir werden die Rechte der Bürger wirksam schützen. Wir wahren die Belange der inneren Sicherheit und lassen uns keine Datenschutzbürokratie aufschwätzen. Insbesondere wird es mit der Union keine staatlich aufgezwungene Informationsordnung für alle Lebensbereiche geben, wie sie von manchen in der SPD unter dem Etikett Datenschutz propagiert wird.
Was den Zivilschutz betrifft, Herr Kollege Nöbel - mit schlechten Argumenten kann man wirklich nicht gut sein -, so kann ich nach 13 Jahren des Nichtstuns Ihre große Erregung nicht recht verstehen. Wo waren Sie damals, als die SPD in der Regierung war? Wir werden den Entwurf eines Zivilschutzgesetzes einbringen, sobald er ausgereift ist und alle schwierigen Fragen ausdiskutiert sind. Sie, Herr Kollege Nöbel, haben unseren Entwurf schon im vergangenen Jahr kategorisch abgelehnt, ohne sich mit ihm wirklich auseinanderzusetzen. Sie können aber sicher sein, daß die Belange der Gesamtverteidigung, der Zivil- und Katastrophenschutz, die Interessen der Verbände, auf deren Leistungsfähigkeit wir stolz sind, in unseren Händen besser aufgehoben sind, als dies jemals bei der SPD der Fall sein könnte.
Bei der Besoldungserhöhung 1986, meine Damen und Herren, darf es kein Abkoppeln von der allgemeinen Einkommensentwicklung geben. Die Beamten müssen bei allen verfassungsrechtlich gebotenen Besonderheiten ihres Status teilhaben an der allgemeinen Wirtschaftsbelebung. Sie dürfen nicht das Gefühl bekommen, gesellschaftlich isoliert zu sein, und sie dürfen schon gar nicht, wie das von der Opposition ständig versucht wird, zum Objekt ideologischer Experimente gemacht werden. Ich erinnere beispielhaft an SPD-Vorstellungen zur Beseitigung der eigenständigen Altersversorgung der Beamten unter dem Vorwand einer sogenannten Harmonisierung der Alterssicherungssysteme. Wir werden jeden Versuch, das Berufsbeamtentum Stück für Stück auszuhöhlen, zurückweisen.
Wenn ich sage, daß die Beamten an der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung teilhaben müssen, dann hat das in den vergangenen Jahren auch bedeutet, daß sie durch Sparopfer wie alle Bürger zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitragen mußten. Der öffentliche Dienst soll jetzt an den Erfolgen dieses Kurses teilnehmen. Der Kaufkraftgewinn aus der weltweit konkurrenzlos niedrigen Inflationsrate von weniger als 2 % kommt ihm genauso zugute wie die stufenweise Steuererleichterung in Höhe von insgesamt rund 20 Milliarden DM. Ich bin überzeugt, daß die Besoldungserhöhung des Jahres 1986, wie immer sie ausfallen mag, zu einer realen Einkommenssteigerung führt.
Der immer noch zu hohen Arbeitslosigkeit darf auch der öffentliche Dienst nicht tatenlos zusehen. Wir haben durch den Ausbau der Teilzeit- und Urlaubsregelungen, durch die Absenkung der Antragsaltersgrenze und die Begrenzung der Nebentätigkeit dazu Beiträge geleistet. Ich warne jedoch vor dem Irrglauben, die Arbeitslosigkeit dadurch bekämpfen zu können, daß man Stellen im öffentliDr. Laufs
chen Dienst vermehrt, ohne daß dies durch Aufgabenzuwachs gerechtfertigt ist. Der öffentliche Dienst ist keine Allzweckwaffe zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Mittel der Personalhaushalte sind begrenzt. Mehr Staatsbedienstete zu beschäftigen kann zur Folge haben, daß die Einkommen der im öffentlichen Dienst Beschäftigten tendenziell sinken. Demotivation und Leistungsabfall wären die unvermeidbaren Folgen. Insgesamt brächte eine derart verfehlte Politik keine Entlastung. Die Kosten der Arbeitslosigkeit würden lediglich umgeschichtet.
An einem bemerkenswerten Beispiel unsolidarischer Politik versucht sich gerade der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und SPD-Kanzlerkandidat Rau, der einen „Solidarpakt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" großartig ankündigt und in dem Personalhaushalt des Jahres 1986 des öffentlichen Dienstes seines Landes weitere 9 500 Arbeitsplätze zu streichen beabsichtigt. Dazu kann ich nur sagen: Nicht an ihren schönen Reden, an ihren Taten sollt ihr sie erkennen!
({5})
Der Oppositionsführer, Herr Kollege Dr. Vogel, hat in seinem Beitrag in dieser Debatte das Tempolimit thematisiert. Er hat der Bundesregierung erst ein absolut falsches Argument unterstellt und dieses dann auf seine unverwechselbare Art mächtig bekämpft. Bei genauer Betrachtung der vorliegenden Testergebnisse müßte auch die Opposition erkennen können, daß die nur 30 %ige Befolgung der probeweise eingeführten Geschwindigkeitsbegrenzung umweltpolitisch überhaupt nicht entscheidend ist. Neben der 30-%-Gruppe, die langsam - maximal 100 Stundenkilometer - fuhr, haben 23 % der Fahrer das Tempolimit ganz geringfügig überschritten, und nur 10 % der Verkehrsteilnehmer lagen deutlich darüber.
({6})
Die lineare Hochrechnung im SPD-Entschließungsantrag ist unwissenschaftlich und mit den Testergebnissen so nicht begründbar.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Kühbacher.
Herr Kollege Laufs, wenn Sie schon diese absonderliche Parallele zum Verhalten der Bevölkerung betreffend Verbote oder Gebote als Maßstab für Ihr politisches Handeln nehmen und hier als plausibel darstellen, frage ich Sie: Sind Sie dann auch der Meinung, daß künftig die Polizei den Diebstahl unter erschwerten Umständen, der im letzten Jahr in der Bundesrepublik 1 503 000mal verübt worden ist, wobei es eine Aufklärungsquote von nur 17 % gibt, nicht mehr verfolgen sollte? Oder sollten wir das nicht mehr mit Strafe bewehren? Oder sollten wir künftig Sachbeschädigungen, die nach der Kriminalstatistik 350 000mal vorgekommen sind, die nur zu 24% aufgeklärt worden sind, künftig nicht mehr unter Strafe stellen, weil sich die Bürger daran nicht halten? Ist das Ihre neue Philosophie?
({0})
Herr Kollege Kühbacher, ich weiß nicht, was diese Frage hier soll.
({0})
Wir diskutieren hier über die Umweltpolitik und das Tempolimit. Selbst bei einer 100 %igen Befolgung würde der Mittelwert der Geschwindigkeiten aller Fahrzeuge auf den Bundesautobahnen gegenüber dem Testergebnis nur um 3 Stundenkilometer sinken.
({1})
Die Opposition muß, ob es ihr paßt oder nicht, zur Kenntnis nehmen: Das Tempolimit ist kein brauchbares Instrument der Luftreinhaltepolitik,
({2})
und zwar nicht wegen des vermeintlich geringen Befolgungsgrades, sondern deswegen, weil bei einem Tempolimit die Schadstoffbelastung im ganzen nicht spürbar zurückgeht.
Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition sind voll darin bestätigt worden, daß sie sofort und energisch auf schadstoffarme Technik, auf den Katalysator, auf die neuen Dieselmotoren und auf bleifreies Benzin gesetzt haben. Nur so bekommen wir wirklich saubere Luft. Dazu gibt es keine Alternative.
Ich bedanke mich.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will dem, was hier gesagt worden ist, nur noch wenige Bemerkungen anfügen.
Herr Kollege Nöbel, Sie haben beim Thema Katastrophenschutz die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Ich fand das unberechtigt. Wenn Sie sich die Zahlen ansehen, müssen Sie feststellen, daß die Mittel seit 1969 - damals haben wir für den Katastrophenschutz 432 Millionen DM ausgegeben - kontinuierlich gesteigert worden sind. Heute sind wir bei etwa 850 Millionen DM. Die Mittel sind also seit 1969 verdoppelt worden. Ein Drittel davon fließt in den erweiterten Katastrophenschutz, also in den Bereich, den Sie berechtigterweise als besonders wichtig bezeichnen, nämlich die Unterbringung und Ausrüstung der Einheiten mit Freiwilligen, die im erweiterten Katastrophenschutz tätig sind.
In der Tat bleibt - der Herr Kollege Laufs hat das zutreffend gesagt - die Aufgabe zu erfüllen, ein Zivilschutzgesetz zu erarbeiten und dieses Gesetz in weitestgehender Übereinstimmung mit den
Freiwilligenorganisationen zu formulieren, weil der Katastrophenschutz in den Ländern nur auf der Grundlage weitestgehender Freiwilligkeit funktionieren kann.
Die zweite Bemerkung: Die Debatte hat eigentlich gezeigt, daß der Innenetat drei wichtige Bereiche hat: den Bereich des Umweltschutzes, den Bereich der Sicherung der inneren Sicherheit und den Bereich der Sicherung des rechtmäßigen Verwaltungsvollzugs.
Beim Umweltschutz habe ich dem, was meine Kollegen gesagt haben, nur eine Bemerkung anzufügen. Die Gemeinden drückt die Frage der Altlastsanierung,
({0})
also der Altlastdeponien, bei denen keiner mehr so richtig verantwortlich ist. Ich denke, daß die Umweltministerkonferenz in dieser Frage eine wichtige Aufgabe hat: diese Last nicht nur bei den Gemeinden zu lassen, sondern ein Gemeinschaftswerk von Bund, Ländern und Gemeinden zu errichten, um dieses Problem gemeinsam anzupacken.
Eine Bemerkung zum zweiten Bereich, nämlich der Sicherung der inneren Freiheit. Der Kollege Laufs hat zutreffend den Bereich des Datenschutzes angesprochen. Ich begrüße es sehr, daß der Innenminister aus seinem eigenen Bereich wenigstens eine wesentliche Planstelle, eine A-15-Stelle, dem Datenschutzbeauftragten zur Verfügung gestellt hat, weil seine Aufgaben wesentlich ange- wachsen sind.
({1})
Diese Stelle ist zur Verfügung gestellt worden. Das ist ganz wesentlich.
Es bleibt in diesem Bereich eine ständige und von Fall zu Fall zu lösende schwierige Aufgabe, die notwendigen Machtmittel des Staates zur Durchsetzung des staatlichen Rechts in einen vernünftigen Einklang mit dem Respekt vor den Rechten des Bürgers zu bringen. Das ist der wesentliche Satz. Zu den Rechten des Bürgers gehören auch die Rechte der ausländischen Bürger, gehören auch die Rechte derjenigen, die bei uns Zuflucht suchen.
({2})
Also werden wir in der von uns gemeinsam geplanten Anhörung auch wesentlich die Fragen des Verwaltungsvollzugs im Zusammenhang mit der Novellierung des Asylrechts in den Ländern erörtern müssen. Da kann man nicht einzelne Länder allein an den Pranger stellen. Was ich in den letzten Tagen z. B. über eine Entscheidung der Ausländerbehörde der Stadt Mülheim gehört habe, ist haarsträubend. Der Bundespräsident hat, wie in der Zeitung zu lesen war, einen Asylbewerber zu einer Veranstaltung eingeladen. Die meisten Menschen wissen ja nicht, daß diese Asylbewerber, wenn sie die heiligen Grenzen ihrer Gemeinde überschreiten wollen, zu welchem Zweck auch immer, eine besondere staatliche Erlaubnis brauchen.
Die Ausländerbehörde der Stadt Mülheim hat diesen Asylbewerber, der Mülheim zugewiesen war, nicht freigegeben, mit dem Hinweis, daß es sicherlich auch in Bonn jemanden gebe, der vom Bundespräsidenten eingeladen werden könnte.
So kann man nicht mit den Rechten von Menschen, die bei uns eine Zuflucht suchen, umgehen.
({3})
Wir müssen dafür sorgen, daß die Entscheidungen in diesem Bereich mit der notwendigen Schnelligkeit getroffen werden.
Eine Bemerkung zum dritten Bereich, nämlich zum Verwaltungsvollzug. Ich glaube, daß die Bundesregierung alles tun sollte, um den Prozeß der Entbürokratisierung voranzutreiben. Dazu werden wir demnächst Gesetze in zweiter und dritter Lesung zu behandeln haben.
Mich hat immer gewundert, warum wir auch Verordnungen ändern, also als Gesetzgeber Entscheidungen revidieren, die die Bundesregierung in ihrem eigenen Bereich getroffen hat. Ich glaube, daß die Bundesregierung ihre eigene Verantwortung in diesem Bereich mehr wahrnehmen und schneller entscheiden könnte, es zu vereinfachen, als das alles in den mühsamen Gang der Gesetzgebung zu schieben.
Bezüglich des Besoldungsrechts freue ich mich über die Erklärungen, die hier von allen Seiten abgegeben worden sind. In der Tat: Wenn wir am Berufsbeamtentum festhalten wollen - und das wollen wir -, müssen wir dafür sorgen, daß wir qualifizierte Mitarbeiter haben, Mitarbeiter, die wissen, daß sie gerecht behandelt werden. Dazu gehört in der Tat nicht nur, aber auch die gerechte Behandlung im Bereich der Besoldung, also der Einklang mit der allgemeinen Einkommensentwicklung.
Es sind einige Punkte zu revidieren. Wir werden sicherlich erneut über den berühmten § 55 sprechen müssen, bei dem wir in Besitzstände eingegriffen haben. Wir werden sicherlich in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres oder am Ende des kommenden Jahres Entscheidungen auf der Grundlage des Berichts, den wir angefordert haben, in der Frage der Harmonisierung der Eingangsämter zu treffen haben. Wir müssen unsere Kraft dazu benutzen, die strukturellen Ungleichgewichte, die es in der Besoldung gibt, zu beseitigen.
Ich denke, daß der Etat keinen Anlaß zu übertriebener Polemik bietet. Das ist immerhin ein Qualitätsnachweis.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Innern.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach meiner Meinung hat der Debattenverlauf gezeigt,
daß es keine wirklich fundamentale Kritik an dem Haushalt des Innenministeriums gegeben hat.
({0})
- Es waren ein paar schrille Töne dabei, die der üblichen Polemik zuzurechnen sind; aber eine fundamentale Kritik oder gar eine glaubwürdige, aussagekräftige Alternative habe ich nicht gehört.
({1})
Zweitens. Ich danke für die Unterstützung bei der inneren Sicherheit, beim Bundeskriminalamt, beim Bundesgrenzschutz, auch beim Umweltschutz. Ich habe sie auch aus den Reihen der SPD gehört. Ich danke auch für die Mitarbeit der sozialdemokratischen Fraktion im Haushaltsausschuß.
({2})
- Ja, das gilt jedem, der dafür zuständig ist, und es braucht sich deswegen niemand zu verstecken, meine Damen und Herren.
Da gibt es - das war in diesen Tagen zu hören - Zahlenspielereien. So rechnet man alles zusammen, und dann sagt man der Anteil des Umweltschutzes ist Or ..%. Jetzt will ich es doch einmal vorlesen. Erstens. Im Gesamthaushalt sind für Umweltschutzzwecke 1,6 Milliarden DM vorhanden. Zweitens. Im Einzelplan des Bundesinnenministers sind die Umweltschutzausgaben um rund 10% auf fast 255 Millionen DM erhöht worden.
({3})
- Wenn ich frühere Jahre als Ausgangspunkt nehme, dann komme ich auf Tausende von Prozenten. Wir sollten es besser bleiben lassen, von dem Ausgangspunkt, der Zeit, wo überhaupt nichts geschehen ist, aus zu rechnen. Im ERP-Sondervermögen werden nach dem ERP-Wirtschaftsplan 1986 für Maßnahmen des Umweltschutzes Mittel in Höhe von über 1 Milliarde DM zur Verfügung stehen. 1985 waren es 695 Millionen DM. Flankierend wurden von der Lastenausgleichsbank, von der Kreditanstalt für Wiederaufbau insgesamt aus Eigenmitteln zusätzlich 600 Millionen DM für 1985 zur Verfügung gestellt.
Das Verursacherprinzip spiegelt erhebliche finanzielle Lasten wider: 7 b des Einkommensteuergesetzes. Ich lese Ihnen mal die Gesamtvolumina vor: 1984 3,6 Milliarden DM; gegenüber dem Vorjahr war das eine Steigerung um 57 % gleich 1,3 Milliarden DM. Und so geht es weiter.
({4})
Meine Damen und Herren, das sind die Zahlen der Zunahme des letzten und dieses Jahres, des Haushaltsjahres, über das wir reden. Diese Zunahmen sind auf allen Gebieten vorhanden, von den Bankleistungen, Leistungen im BMI, Leistungen im
Gesamthaushalt her geradezu phänomenal; darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel.
({5})
Zweitens, die neue TA Luft: Es ist hier genauso wie beim Automobil. Ich möchte hier die Außerungen der deutschen Automobilindustrie der letzten zwei Jahre, die gegen meine Person gerichtet waren, nicht noch einmal vorlesen.
({6})
Ich möchte auch jetzt nicht vorlesen, wie sich der Bundesverband der Deutschen Industrie durch seine Sprecher in den letzten Wochen gegen die TA Luft, den Vorschlag der Bundesregierung und die Vorschläge des Bundesrates, wendet. Das zeigt jedenfalls eines - das kann man bewerten, wie man will -: Die Bundesregierung geht hier nicht den Weg, wie es hier ein Sprecher zu skizzieren versuchte, so wie wenn bei ihr die Automobilindustrie oder die Kraftwerksindustrie stellvertretend am Tisch oder unter dem Tisch oder in ihrer Tasche sitzen würde.
({7})
Nein, die Bundesregierung geht ganz konsequent den für den Umweltschutz notwendigen Weg und läßt sich da auch von keiner industriellen Lobby irgendwie einschüchtern.
({8})
Das Kernstück der TA Luft 1985 ist die Sanierung von Altanlagen. Neu in diesem Konzept ist die Einführung einer Ausgleichsregelung. Sie kennen sie. Ich brauche sie hier nicht weiter differenziert vorzutragen. Die direkten Gesamtinvestitionen, die allein daraus entstehen, meine Damen und Herren, werden auf 10 Milliarden DM geschätzt. Das heißt: Es ist enorm, was durch diese Umweltpolitik auch im Nachfolgebereich, im Investitionsbereich der Industrie, bewegt wird.
Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung wird ein Investitionsvolumen - die Investitionen haben bereits begonnen - von rund 20 Milliarden DM nach sich ziehen. Die gesamten Maßnahmen, über die wir hier mitsammen reden, bringen Arbeitsplätze, deren Zahl die maßgebenden deutschen Institute heute auf 300 000 bis 400 000 schätzen. Das heißt doch, meine Damen und Herren, daß es uns hier gelungen ist, mit Umweltschutzmaßnahmen - auch im Bewußtsein der Wirtschaft und der Öffentlichkeit - viele Dinge auf einmal zu tun, Initialzündungen zu geben, für Kredite zu sorgen, auf Grund unserer Gesetzesvorschläge für Umweltschutzinvestitionen zu sorgen und damit auch die Schaffung von Arbeitsplätzen zu ermöglichen. Die Umweltschutzindustrie ist eine neue Kategorie. In der Bundesrepublik Deutschland existiert bereits eine sol13560
che. Sie braucht keinen internationalen Vergleich zu scheuen.
({9})
Noch einmal zurück zum Auto. Es ist über das Gutachten gesprochen worden. Ich wußte - wie jeder hier - genausowenig Bescheid, wie das Gutachten ausgehen würde. Als das Gutachten in Auftrag gegeben wurde, wußte niemand, welche Zahlen herauskommen würden. Im Gegenteil, wir hatten eine ganze Palette von Vorschätzungen und Prüfstandsversuchen, die zwischen 30 000 t und 300 000 t differierten. Auf dieser Entscheidungsgrundlage -es gab Unterschiede von Hunderten, ja Tausenden von Prozenten - hätte keine verantwortungsbewußte Bundesregierung eine solche Entscheidung aufbauen können. Es war der Sinn des weltweit einmaligen Großversuchs, das tatsächliche Fahrverhalten der Autofahrer zu erforschen.
({10})
Und das tatsächliche Fahrverhalten ist erforscht worden. Der Kollege Laufs hat völlig recht, wenn er zu den 30 % die weiteren 23 % und dann noch einmal 20 % hinzurechnet; dann sind es nämlich 70 % der Autofahrer, die bis zu Tempo 120 gefahren sind. Im übrigen sind es international absolut vergleichbare Zahlen. Wir wissen aus allen Ländern der Welt, wie Geschwindigkeitsbegrenzungen eingehalten werden: mit etwa 60 % bei einer Überschreitung von 10 % bis 15 %. Das ist international absolut klar.
Aber sonderbar hat mich doch berührt, daß diejenigen, die bei jedem Gesetz davor warnen, daß die Polizei vielleicht zu viele Rechte bekommen könnte oder daß es einen fälschungssicheren Personalausweis sowie einen fälschungssicheren Paß gäbe, hier gesagt haben: Ein Armutszeugnis! Diese Bundesregierung traut sich das gar nicht! Kontrollieren! Ja, wo ist denn die Polizei? Her mit der Polizei! - Die Länder haben gewußt, wie es ausgeht, wenn mehr Polizei gefordert wird; das bedeutet nämlich ungefähr 4 000 bis 5 000 Beamte bei der Autobahnpolizei mehr, 1 500 Radaranlagen. Das ist doch schön für das einzige Land in Europa, das dann wirklich kontrolliert hätte! Denn daß die anderen es nicht tun, habe ich in der Europäischen Gemeinschaft j a des öfteren bei stillem Schmunzeln meiner britischen, französischen und italienischen Kollegen deutlich machen können.
({11})
Wie gesagt: Wenn die Werte dreimal so hoch gewesen wären, dann hätten die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen durchaus Anlaß zu Überlegungen gehabt. Vielleicht wäre dann ein gespaltenes Limit herausgekommen, vielleicht. Aber ich sage nur: Bei diesen Werten gab es keinen Handlungsbedarf.
({12})
- Ich habe mich nicht verraten. Sie sollten Ihre Zwischenrufe, die keine Zwischenrufe sind, sondern pure Störung, endlich einstellen, verehrter Herr!
({13})
- Hören Sie sich das erst einmal an; da können Sie immer noch etwas lernen. Dazu ist es nie zu spät.
({14})
Eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung dieser Art auf den besten und sichersten Autobahnen der Welt wäre nachteilig gewesen, weil sie das Umsteigen auf neue schadstoffarme Autos
({15})
und das Umrüsten alter Autos erschwert, verhindert, verzögert hätte. Das wage ich zu behaupten.
({16})
- Das kann ich Ihnen sagen: weil Hunderte von Leuten mir in diesen Tagen geschrieben und gesagt haben, was sie von der Entscheidung halten. Ich muß Ihnen hier leider melden, daß 99,9 % der Zuschriften positiv sind.
({17})
- Das tut Ihnen leid. - Die weiteren haben mitgeteilt: Jetzt traue ich mich ein neues Auto zu kaufen, ein schadstoffarmes; denn jetzt weiß ich, wie ich dran bin. - Das haben die meisten geschrieben.
({18})
Herr Baum, Ihre Frage kann ich allerdings noch nicht beantworten. Ich kann nur ein wenig spekulieren, wie es mit der Europäischen Gemeinschaft sein wird. Die Kommission hat erklärt, sie wird am Ende dieses Jahres zu drei wichtigen Punkten Vorschläge an den Ministerrat vorlegen, und zwar zu Dieselpartikeln, zur Geschwindigkeit und noch zu einem dritten, nicht ganz so wesentlichen Problem, das ich jetzt nicht im Kopf habe. Sie hat uns ausdrücklich zugesagt, daß sie die Ergebnisse unseres Großversuchs und deren Notifizierung abwarten werde. Das heißt, wir gehen davon aus, daß zu diesen beiden wichtigen Punkten Vorschläge kommen. Wenn sie nicht zum Ende dieses Jahres kommen, dann kommen sie zum Anfang des nächsten Jahres. Wie sie aussehen werden, weiß bis zur Stunde niemand. Es wird sich um Meinungsäußerungen der Kommission handeln. Dann wird sich der Umweltministerrat damit beschäftigen müssen. Wie dort die Stimmung sein wird, ist nicht vorauszusagen, weil wir ja die Vorschläge der Kommission noch nicht kennen. Falls hier irgendwelche weitreichenden Vorschläge zur Limitierung von Tempos in Europa gemacht werden - bei aller Verschiedenheit von Straßensystemen, Automobilbau und und und -, dann werden wir darüber zu reden haben. Nach der Praxis der EG - siehe schadstoffarmes Auto mit langen Übergangsfristen je nach HubBundesminister Dr. Zimmermann
raum - wird es sich auch hier um Vorschläge handeln, die erst in vielen Jahren zum Tragen kommen werden, falls es zu solchen überhaupt kommt.
Also: Ich ziehe daraus in der gegenwärtigen Situation den Schluß, daß der deutsche Autofahrer Klarheit hat und daß wir keinen Grund haben, auf eine neue Unsicherheitsdiskussion aus der Europäischen Gemeinschaft heraus zu warten.
({19})
Wir haben dazu keinen Grund. Das wäre das verderblichste, was wir tun könnten.
Meine Damen und Herren, hier ist der Sport angeschnitten worden. Ein Wort dazu. Ich verkehre permanent mit allen wichtigen Sportverbänden, vom NOK bis zum Deutschen Sportbund, bis zur Deutschen Sporthilfe, wo ich erst kürzlich war. Ich bin immer wieder Gesprächspartner der Sportverbände. Von ihnen hat bei mir über den Part der Sportpolitik, für den der Bundesinnenminister zuständig ist, nämlich für den Hochleistungssport, keiner eine Beschwerde vorgebracht, weder von den Fachverbänden noch von der Spitze des deutschen Sports. Die Zahlen machen es deutlich: Der deutsche Sport kann sich über die Zahlen der Bundesregierung - hauptamtliche Trainer, Leistungszentren - wirklich nicht beschweren.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordenten Klein ({0})?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Minister, ist Ihnen wirklich der Brief entgangen, den der Präsident des Deutschen Sportbundes, Herr Weyer, Anfang September an den Kanzler und auch an Sie gerichtet hat, in dem er sich bitter beklagt hat, daß die Fragen von Sport und Steuern von Ihrer Regierung seit drei Jahren unbeantwortet geblieben sind? Herr Minister, es genügt nicht, daß Sie Kontakte zu allen möglichen Leuten haben. Es ist notwendig, daß Sie Lösungen finden und Entscheidungen treffen.
({0})
Ihr höchst bescheidener Beitrag hat schon vorhin deutlich gemacht, was Sie alles nicht verstehen. Ich habe jetzt nämlich ausdrücklich gesagt, daß der Innenminister als Ressortchef für den Hochleistungssport keine solchen Beschwerden hat. Daß der Sport, was den Breitensport betrifft, Beschwerden beim Finanzminister hat, ist eine Selbstverständlichkeit. Ich sprach vom Innenminister als Ressortminister. Und nur als solcher lasse ich mich hier ansprechen.
({0})
Eine Zusatzfrage?
Keine Zusatzfrage, danke, Herr Präsident.
({0})
Die Frage war deutlich und einfach genug, die Antwort ebenso. So sollte man es im Parlament immer halten, dann würde man schneller fertig.
({1})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Terrorismus. Hier sind die Bedrohungen nicht vorbei. Wir haben die vierte Generation der RAF. Ihre Brutalität hat zugenommen. Die Einbindung in das internationale Netz hat sich verstärkt. Der brutale Mord an einem amerikanischen Soldaten, nur um seinen Dienstausweis zu bekommen, um ihn für andere Anschläge nutzen zu können, und der Bombenanschlag auf ein Einkaufszentrum von Sonntag zeigen erstmals Verhaltensweisen und Vorgehensweisen, die der ausländischer Terrororganisationen wie der nordirischen IRA, der spanischen ETA oder palästinensischen Mordkommandos ähneln. Das haben wir so noch nicht gehabt. Die Kaperung der „Achille Lauro" und der jüngste Terroranschlag auf ein ägyptisches Passagierflugzeug stellen das erneut unter Beweis.
Diese Vorfälle zeigen auch, meine Damen und Herren, daß der Terrorismus auch vor völlig Unbeteiligten nicht haltmacht. Wir müssen deshalb alle exekutiven, rechtlichen und politischen Möglichkeiten der Terrorismusbekämpfung voll ausschöpfen. Wir müssen auch, wie die „Achille Lauro" gezeigt hat, gegen Übergriffe auf maritime Objekte gewappnet sein. Der Bundesgrenzschutz ist von mir schon lange vor den dramatischen Ereignissen im Mittelmeer beauftragt worden, die GSG 9 als polizeilichen Spezialverband zusätzlich für die Bewältigung solcher Ereignisse auszubilden. Ich bin dem Haushaltsausschuß, dem Innenausschuß und dem Hause dankbar, daß im Haushalt 1986 die notwendigen Vorkehrungen für die Beschaffung der erforderlichen Ausstattung getroffen werden.
Das Ausstattungsproblem BGS-See ist ebenfalls angesprochen worden. Ich wäre dankbar, wenn wir hier zu einer Lösung kommen. Ich verspreche, daß alles, was in meinen Möglichkeiten liegt, geschehen wird, um das notwendige Gutachten zeitgerecht im nächsten Jahre vorzulegen.
({2})
Meine Damen und Herren, sonst haben wir eine ganze Reihe von Gesetzen auf den Weg gebracht. Wir sind in der Koalition an der Arbeit: Novelle Bundesdatenschutzgesetz, Novelle Verfassungsschutzgesetz, ein Gesetzentwurf über die Zusammenarbeit der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder in Angelegen13562
heiten des Staats- und Verfassungschutzes, der Entwurf eines MAD-Gesetzes,
({3})
Personalausweis, Europapaß, alles auf dem Volkszählungsurteil basierend und ihm Rechnung tragend.
({4})
- Absolut respektierend und ihm Rechnung tragend.
({5})
- Das Parlament bekommt die Gesetze dann zu sehen, wenn sie bei der Koalition fertig sind. Vorher ist es ja wohl schlecht möglich. Oder habe ich jetzt Ihre Intelligenz zu stark in Anspruch genommen? Ich hoffe nicht.
Beim THW, Freistellung ja oder nein, gibt es in der Tat einen Klärungsprozeß, bei dem man zweierlei Meinung vertreten kann. Erstens kann man die Meinung vertreten: Jeder soll dienen, und Ausnahmen soll es überhaupt nicht mehr geben. Ich nehme mal die ganz zugespitzte, extreme Position. Zweitens kann man die Meinung vertreten, beim THW, bei den Warndiensten, handelt es sich um Leute, die im Ernstfall genauso notwendig sind wie der Soldat, und dann kann man sie nicht bei der Bundeswehr dienen lassen. Der Innenminister ist dieser Meinung, und ich hoffe, daß er sich durchsetzt, und ich erbitte Unterstützung.
({6})
Noch ein Wort zur Asylpolitik, meine Damen und Herren. Wir haben einen neuen Anstieg: Wir haben 1983 19 000 Asylbewerber gehabt, 1984 waren es 35 000, und wir rechnen in diesem Jahr, 1985, mit 70 000, und eine weitere Steigerung ist nicht auszuschließen. Wir haben jetzt 600 000 Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland. Wir stehen nicht am Ende der Skala, sondern weit oben, und die Zunahme ist wie in keinem anderen europäischen Land. Dem Hohen Haus liegen Entwürfe zur Novellierung des Asyl-Verfahrensgesetzes vor. Ich wäre dankbar - die Länder und Kommunen drängen uns ständig, das brennt ihnen wirklich auf den Nägeln -, wenn wir hier flüssig beraten und bald zu Entscheidungen kommen würden, die die Länder und Gemeinden brauchen. Man darf sie in diesen wichtigen Fragen nicht alleine lassen.
({7})
Noch ein Wort zum Beamten- und Besoldungsbereich. Herr Kollege Gerster war so freundlich, die Zahlen zu nennen: Allein im BMI-Bereich gibt es 3 000 neue Ausbildungsverhältnisse. Überhaupt steigt die Zahl der Ausbildungsverhältnisse beim Bund, und die Zahl der Überstunden geht zurück. Ich glaube, wir sind auch hier auf dem richtigen Weg.
Ich danke noch einmal vor allem den zuständigen Berichterstattern. Es hat sich alles im Rahmen des finanziell Machbaren erledigen lassen. Ich glaube, wir sollten alle zusammen nicht die Geduld verlieren. Meine Damen und Herren, unterstützen Sie die Bundesregierung weiter so wie bisher! Dann sind wir zufrieden.
Danke schön.
({8})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Einzelplan 06. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4303 ein Änderungsantrag des Abgeordneten Kleinert ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei fünf Ja-Stimmen ist dieser Antrag abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 06 - Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Einzelpläne 36 und 33 ab. Wer dem Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wer dem Einzelplan 33 - Versorgung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei vier Gegenstimmen angenommen.
({1})
- Entschuldigen Sie, Herr Kühbacher, es haben immerhin vier Abgeordnete der GRÜNEN dagegen gestimmt.
({2})
- Da hinten war auch noch jemand, Herr Mann. Ich sehe etwas weiter als Sie.
({3})
Ich rufe auf:
Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksachen 10/4169, 10/4180 Berichterstatter:
Abgeordnete Echternach Nehm
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Suhr, Werner ({4}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4319, 10/4341 und 10/4342 vor.
Vizepräsident Stücklen
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist verenbart worden, daß jede Fraktion zehn Minuten das Wort erhält. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Es wird so verfahren.
Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nehm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesbauminister hat 1982 sein Amt mit der Aussage angetreten, er verstehe sich vor allem als Konjunkturminister.
({0})
Er hat damals ein Strohfeuer abgebrannt und steht nunmehr seit mehr als zwei Jahren tatenlos dabei, wenn immer mehr Bauarbeiter arbeitslos werden.
({1})
Der Bundesbauminister und diese Regierung haben mit ihrer Politik dazu beigetragen, daß die Lage auf dem Baumarkt noch drastischer wurde und inzwischen schlimmer ist als je zuvor.
({2})
Die Regierung hat die Investitionskraft der Städte und Gemeinden drastisch reduziert, so daß dort wichtige Aufgaben der Stadterneuerung, der Instandhaltung und Verbesserung ungetan bleiben.
({3})
Die Regierung hat die Neuregelung der steuerlichen Förderung selbstgenutzten Wohneigentums immer weiter verschleppt und damit Unsicherheit bei potentiellen Bauherren ausgelöst. Was jetzt als Gesetz angekündigt wird, führt zu einer faktischen Verschlechterung. Den Beziehern mittlerer Einkommen, die beim Hausbau auf besondere Hilfe angewiesen sind, wird es dann ab 1987 noch schwerer als heute fallen, ein eigenes Haus zu bauen.
({4})
Diese Regierung, meine Damen und Herren, weigert sich auch bei diesem Haushalt für das Jahr 1986, Mittel für dringend erforderliche Modernisierung und für umweltpolitisch vernünftige Energiesparmaßnahmen einzusetzen.
({5})
Mit Blick auf die Bundestagswahl erhöht die Regierung jetzt die Mittel für die festgelegten Sanierungsgebiete. Das soll 1986 und 1987 gelten.
({6})
Ab 1988 soll es dann keinen einzigen Pfennig des Bundes mehr für neue Maßnahmen des Städtebaus geben.
({7})
Da wird ein neuer, schlimmer Tiefschlag gegen das Bauhandwerk, die Bauindustrie und die dort Beschäftigten vorbereitet.
({8})
Die Regierung hat es versäumt, die Bundesbaudirektion personell so auszustatten, daß diese die dringenden Arbeiten schnell genug vorantreiben kann.
({9})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0})?
Nein.
Auch 1986 werden die Mittel für den sozialen Wohnungsbau weiter reduziert werden. Für den Mietwohnungsbau, der in Schwerpunkten immer noch erforderlich ist, besonders als Wohnungsbau für ältere Mitbürger, gibt der Bund keinen Pfennig mehr.
Wenn es keine Arbeit gäbe, könnte man Ihnen, Herr Bauminister, keinen Vorwurf machen. Aber es gibt Arbeit, und zwar im Hoch- und Tiefbau in unseren Städten und Gemeinden und im privaten Bereich.
({0})
Aber Sie nehmen keine Rücksicht darauf. Sie lassen eine ganze Branche dahinsiechen.
({1})
In Teilen Niedersachsens beispielsweise sind über 50 % der Bauarbeiter arbeitslos.
({2})
Ihre Ernennung zum Konjunkturminister war, gelinde gesagt, ein Flop.
({3})
Wir haben Sie 1982 vor Ihren konjunkturpolitischen Ambitionen gewarnt. Und wir halten diesen Anspruch auch heute noch für überhöht. Aber wir werden Sie nicht aus der Pflicht entlassen, wenigstens das zu tun, was ein Bauminister tun kann. Deshalb verbinden wir diese Haushaltsberatung mit dem Antrag, in einer besonderen Kraftanstrengung in Städten und Gemeinden mit besonders hoher Arbeitslosigkeit schnelle und deutliche Hilfe für Maßnahmen der Stadterneuerung und der Stadtökologie zu geben.
({4})
Auf Ihre Antwort, Herr Raumordnungsminister, sind wir gespannt.
Wir fordern die Bundesregierung auf, das Geld, das der Deutsche Bundestag dem Bauminister bewilligt, auch wirklich auszugeben.
({5})
Angesichts von mehr als 200 000 arbeitslosen Bauarbeitern ist es katastrophal, wenn am Jahresende Millionen DM ungenutzt in der Bundeskasse bleiben. 1984 waren das beispielsweise 340 Millionen DM.
({6})
Nun wissen wir wohl, Herr Bauminister, daß der Finanzminister den Daumen draufhält und daß deutliche Umschichtungen immer nur sehr schwer durchzusetzen sind. Deshalb haben wir mit unserem Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" vorgeschlagen, einen Sondertopf zu schaffen, aus dem viele Maßnahmen mit Zuschüssen und Darlehen gefördert werden könnten,
({7})
die für unsere Städte und Gemeinden dringlich sind und die schnell nachhaltig Arbeitsplätze im Hoch-und Tiefbau sichern und schaffen.
({8})
Wo bleibt Ihre Unterstützung für unser Sondervermögen „Arbeit und Umwelt"?
({9})
Es geht doch Sie in ganz besonderer Weise an.
Nachdem es nichts geworden ist mit dem Konjunkturminister, suchen Sie jetzt Ersatzthemen für das Wahlkampfjahr. Die Mieter sind Ihnen dabei offensichtlich nicht eingefallen, die von Jahr zu Jahr weniger in der Lage sind, ihre Wohnkosten plus Wohnnebenkosten zu bezahlen. Dem Mieter nutzt die nominal niedrige Mietpreissteigerung von zwei oder vier Prozent wenig, wenn sein verfügbares Einkommen gleichzeitig stagniert oder sogar zurückgeht
({10})
oder wenn er nach Umwandlung oder Luxusmodernisierung aus der Wohnung verdrängt wird.
({11})
Hier muß etwas geschehen. Deshalb haben wir einen Antrag zur Sicherung preiswerten Wohnens in den Deutschen Bundestag eingebracht. Hier werden Sie Farbe bekennen müssen, Herr Bundesbauminister.
({12})
Auch Herr Lambsdorff, der sich kürzlich im Zusammenhang mit der „Neuen Heimat" als besonderer Freund der Mieter darstellen wollte, Sie alle werden sehr bald beweisen müssen, wie ernst Sie es mit den Mietern meinen.
Die Wohngeldempfänger sind Ihnen sehr spät eingefallen. Noch Anfang 1984 kündigten Sie verbindliche Wohngeldverbesserungen für 1985 an.
({13})
Daraus wurde dann nichts. Wir haben beantragt, das Wohngeld 1985 wenigstens auf der Grundlage eines Wohngeldsicherungsgesetzes weiterzuzahlen. Sie haben nein dazu gesagt.
({14})
Dann haben wir vorgeschlagen, ab 1. Januar 1986 automatisch allen Wohngeldempfängern auf der Grundlage des neuen Gesetzes ein verbessertes Wohngeld zu zahlen. Auch das haben Sie abgelehnt. Die Wohngeldempfänger kommen erst mit fast zweijähriger Verspätung in den Genuß der verbesserten Ansprüche.
Bleibt als letztes das Baugesetzbuch, das offensichtlich der Renner des Jahres 1986 werden soll.
({15})
Klar ist schon: Die Gesetzgebung zu diesem Baugesetzbuch, das als Jahrhundertwerk angekündigt war,
({16})
steht von Anfang an unter Zeitdruck. Ein Gesetz, das für Jahrzehnte halten soll, erfordert eine gründliche Beratung. Aber so werden Städte, Gemeinden und der Deutsche Bundestag keine Zeit haben, den Entwurf in Ruhe prüfen zu können.
({17})
Der Minister selbst hat vor zwei Jahren erklärt, er werde zwei Drittel aller Vorschriften streichen.
({18})
Ich nehme an, er ist schon bescheidener geworden. Mit Recht. Denn ein dicht besiedeltes Land, eine kochentwickelte Industriegesellschaft kann nicht ohne ein präzises und detailliertes Planungsrecht auskommen.
({19})
Wir werden sehen. Auf keinen Fall wird die SPD ihre Hand für einen riskanten Schnellschuß reichen,
({20})
der anschließend die Entscheidungen noch stärker als heute aus den Amtsstuben in die Gerichtssäle verlagert.
({21})
({22})
Meine Damen und Herren, als Konjunkturminister gescheitert, als Mieterminister unsichtbar geNehm
blieben, als Raumordnungsminister ohne Initiative, als Wohngeldminister wortbrüchig: Deshalb lehnen wir Ihren Haushalt ab.
({23})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Echternach.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nehm, ich habe Sie nach unserer guten, konstruktiven Zusammenarbeit im Ausschuß gar nicht wiedererkannt.
({0})
Wenn ich mir im übrigen das vor Augen halte, was Sie gesagt haben, kann ich nur staunen, wie schnell die Opposition, nach ganzen drei Jahren, bereits jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren hat.
({1})
Ich gebe Ihnen natürlich gerne zu, daß es nach einer solchen Aufwärtsentwicklung in unserem Lande jede Opposition schwer hat, sich glaubwürdig zu artikulieren. Aber wenn Sie so weitermachen, werden Sie noch lange auf den Bänken der Opposition sitzen bleiben.
Der Wohnungsmarkt hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Die Wohnungspolitik muß dem Rechnung tragen, und dieser Haushaltsplan macht deutlich, daß die Koalition dazu auch entschlossen ist. Nach vier Jahrzehnten des Wohnungsmangels, aber auch der Baurekorde ist der Wohnungsmarkt heute bundesweit im wesentlichen ausgeglichen. Das erschien noch vor wenigen Jahren fast unvorstellbar; denn noch Anfang der 80er Jahre sprach man in der Öffentlichkeit von einer neuen Wohnungsnot.
({2})
Wir erinnern uns, wie Sie Ende 1982 über uns hergefallen sind - Sie und der von Ihnen beherrschte Mieterbund -, als wir uns daranmachten, durch eine Neuordnung des Mietrechtes das Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter auf eine neue, eine partnerschaftliche Basis zu stellen.
({3})
Tatsächlich ist der Mietenanstieg seither von Jahr zu Jahr zurückgegangen: von über 5% im Jahr 1982 auf ganze 2,6 % im letzten Monat.
({4})
Im freifinanzierten Wohnungsbau liegt der Mietenanstieg sogar nur bei 1,8 %,
({5})
dem niedrigsten Mietanstieg, seit es überhaupt eine Mietenstatistik gibt.
({6})
Das ist eine große soziale Leistung dieser Regierung für alle Mieter. Aus dem Vermietermarkt ist
inzwischen ein Mietermarkt geworden. Daß dies in
so wenigen Jahren möglich war, ist nicht zuletzt das Ergebnis des Sofortprogramms der neuen Regierung, das einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat.
({7})
Doch sosehr wir uns freuen, daß dieses lange von uns allen erstrebte Ziel jetzt erreicht ist, hat diese erfreuliche Entwicklung eben auch ein neues Problem geschaffen. Der Mietwohnungsbau geht nun natürlich zurück. Auf der anderen Seite leidet die Bauwirtschaft bereits seit langem an den Folgen der von Ihnen hervorgerufenen Wirtschafts- und Finanzkrise.
Mit diesem Haushaltsplan macht die Koalition deutlich, daß sie auf der einen Seite die Bauwirtschaft nicht im Stich läßt, sich aber auf der anderen Seite mit öffentlichen Mitteln nur dort engagiert, wo auch in Zukunft ein bundesweiter Bedarf vorhanden ist. Das gilt zum einen für die Eigentumsförderung im sozialen Wohnungsbau, bei der es weniger um Neubaupolitik, sondern vor allem um Vermögensbildung geht, um Eigentumsbildung für jene 40% unserer Mitbürger, die erklärtermaßen den Wunsch haben, in eigenen vier Wänden zu wohnen, und bisher dieses Ziel nicht haben erreichen können. Wir verbessern zur Zeit die steuerlichen Förderungsbestimmungen.
({8})
Aber schon deshalb, weil nicht alle Bürger gleichermaßen diese Möglichkeit nutzen können, bedarf es einer sozialen Ergänzung, bedarf es auch in Zukunft der direkten Förderung der Eigentumsbildung im sozialen Wohnungsbau.
({9})
Dementsprechend hat der Haushaltsausschuß die Weichen dafür gestellt, daß vom nächsten Jahr an die gesamten Finanzhilfen des Bundes im sozialen Wohnungsbau auf Eigentumsmaßnahmen konzentriert werden. Sie wollen das jetzt mit Ihrem Antrag rückgängig machen.
({10})
Obwohl 200 000 Wohnungen und mehr leerstehen, wollen Sie, daß der Bund zu Lasten der Eigentumsförderung weitere Mietwohnungen finanzieren soll. Der Bau von Mietwohnungen kann aber, da es keinen bundesweiten Fehlbedarf mehr gibt, sondern höchstens einen regionalen, in Zukunft nicht Sache des Bundes, sondern nur der Länder sein. Das entspricht auch der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes zwischen Bund und Ländern. Es ist im übrigen auch von der Sache her vernünftig, weil die Länder näher dran sind und besser beurteilen können, wo es noch einen Fehlbedarf im einzelnen gibt.
Im übrigen: Eine größere soziale Treffsicherheit als jede Direktförderung bietet das Wohngeld. Mit diesem Haushaltsplan stellen wir die Mittel für die größte Erhöhung des Wohngeldes bereit, die es je gegeben hat. Ab Januar 1986 wird das Wohngeld um 30% erhöht, wird es im Durchschnitt monatlich für jeden Haushalt um 42 DM steigen. In jenen Gemeinden, z. B. in Hamburg und in München, in de13566
nen das Mietniveau besonders hoch ist, wird das Wohngeld überproportional steigen, weil wir hier mit Recht eine stärkere Differenzierung vorgenommen haben. In Hamburg und München z. B. wird es im Durchschnitt um 55 DM steigen. Damit stellen wir sicher, daß auch in Zukunft einkommensschwächere Mitbürger sich eine angemessene Wohnung leisten können.
Ein weiterer Schwerpunkt der staatlichen Baupolitik wird die Städtebauförderung sein, die wichtigste Zukunftsaufgabe unserer Städte und Dörfer. Hier stehen wir vor großen Herausforderungen. Es geht nicht nur um die Erneuerung der Stadtkerne. Es geht darum, die gesamten Lebensbedingungen der Menschen in den Kommunen zu verbessern. Die Koalition hat schon in den letzten drei Jahren die Städtebauförderungsmittel von 220 auf 330 Millionen massiv angehoben. Wir steigern sie jetzt auf eine Milliarde DM, einerseits wegen des großen Bedarfs, andererseits auch, um auf diese Weise gefährdete Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft zu sichern und damit den notwendigen Anpassungsprozeß in der Bauwirtschaft abzufedern.
({11})
Inzwischen liegt auch das Ergebnis der Anstrengungen der Länder und Gemeinden vor. Zum vereinbarten Termin vor vier Wochen haben zehn der elf Länder ihre Landesprogramme vorgelegt. Sie haben sie mit dem Bund in diesen Tagen abgestimmt.
({12})
Die Zwischenbilanz zeigt: Das neue Programm ist ein großartiger Erfolg, zu dem ich Bundesminister Dr. Schneider nur beglückwünschen kann.
({13})
Mehr als das Vierfache des vom Bund zur Verfügung gestellten Geldes ist mit Anträgen der Länder belegt. Bezogen auf den Bundesanteil von einer Milliarde DM, beträgt das Antragsvolumen 4 340 000 000 DM. Besonders erfreulich ist, daß mit einer noch schnelleren Auftragsentwicklung zu rechnen ist, als wir selbst erwarten konnten: zum einen, weil unter den vielen Anträgen jetzt diejenigen bevorzugt bedient werden, die auch schnell umgesetzt werden können, zum anderen, weil der Bund und alle Länder - außer Hessen - die Zustimmung dazu gegeben haben, daß sofort - d. h. mit den Mitteln des Jahres 1986 -, noch in diesem Jahr, Aufträge erteilt werden können. Dies ist inzwischen auch schon mit einem Bauvolumen von 340 Millionen DM geschehen.
Leider hat sich inzwischen herausgestellt, daß sich ein Bundesland nicht an die Verabredung mit dem Bund hält,
({14})
sondern sich mit bloßen Umbuchungen um seine
Pflicht zur entsprechenden Aufstockung der eigenen Mittel herumdrückt, nämlich das von Ihrem
Kanzlerkandidaten regierte Land Nordrhein-Westfalen.
({15})
Es ist das gleiche Bundesland, das bisher als einziges sein Programm nicht vorgelegt hat
({16}) und sich erst in drei Wochen äußern will.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müntefering?
Verehrter Herr Kollege, ich habe Zwischenfragen bisher immer zugelassen. Allerdings habe ich festgestellt, daß Sie in diesen Haushaltsberatungen nicht nur mir Zwischenfragen verweigert haben, sondern daß sich - unter Ihrem Beifall - einer Ihrer Kollegen, Herr Schröder, hier hingestellt und gesagt hat, er lasse Zwischenfragen schon deswegen nicht zu, weil wir hier nur stören wollten. Einigen Sie sich erst einmal in Ihrer Fraktion darüber, wie Sie das Instrument der Zwischenfrage in Zukunft handhaben wollen. Dann lasse ich Zwischenfragen gerne wieder zu.
({0})
Obwohl Nordrhein-Westfalen nach der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern seine Mittel im nächsten Jahr um 118 Millionen DM aufzustocken hätte - so hat Nordrhein-Westfalen das wie alle Bundesländer zugesagt -, weigert sich Herr Rau und will nur einen Bruchteil dieser Summe, nämlich ganze 30 Millionen DM, zur Verfügung stellen; Herr Posser hat das hier gestern bestätigt. 88 Millionen DM enthalten Sie der Bauwirtschaft vor. Ich meine, daß dies ein Skandal ist.
({1})
Ich habe dafür kein Verständnis. Ihr Kanzlerkandidat wird ja doch auch sonst nicht müde, über das Schicksal von Arbeitslosen draußen laute Reden zu führen. Ich meine, statt mit solchen Reden über das harte Los der Arbeitslosigkeit wäre den Bauarbeitern mehr geholfen, wenn Sie sich an dieser gemeinsamen Anstrengung zur Ankurbelung der Bauwirtschaft beteiligen würden.
({2})
Die neuesten Zahlen aus der Bauwirtschaft zeigen, daß die Talfahrt der Baukonjunktur beendet ist und erste Zeichen der Besserung in Sicht sind. Der Bericht der Bundesbank und Untersuchungen des Ifo-Instituts zeigen übereinstimmend, daß sich der Auftragseingang in der Bauwirtschaft seit dem Frühjahr deutlich belebt hat, vor allem im Wirtschaftsbau und noch stärker im öffentlichen Bau.
Mit diesem Haushaltsplan beginnt der Bund zugleich eine neue, eine zweite Phase des Ausbaus der Bundeshauptstadt Bonn. Ging es in der Vergangenheit darum, die Arbeit der Regierung und des ParlaEchternach
ments durch neue Zweckbauten zu verbessern, so soll das Parlaments- und Regierungsviertel jetzt auch zu einem Kunst- und Kulturzentrum werden, und zwar mit Hilfe des Bundes. Da ich zum Schluß kommen muß, kann ich es nur stichwortartig ansprechen: Kunstmuseum Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle des Bundes und Haus der Geschichte der Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, mit dem Einzelplan des Bauministers setzen wir wichtige, neue Akzente in der Wohnungsbaupolitik, zur Belebung der Bauwirtschaft und zum Ausbau des Regierungsviertels in der Bundeshauptstadt.
Wir stimmen diesem Einzelplan gerne zu.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Werner ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Tage erschien im „Bayernkurier"
({0})
ein Beitrag des Bundeswohnungsbauministers Dr. Oscar Schneider. Würde man den dortigen Aussagen Glauben schenken, dann wäre in der Wohnungspolitik einfach alles in Ordnung. Aber das, was dort steht, z. B. über den Wohnungsmarkt der Mieter, ist reine Gesundbeterei. Herr Schneider, wenn ich Ihnen etwas Schlechtes wünschen wollte, dann z. B., daß Sie sich mit 1 500 DM netto in München eine Wohnung suchen müßten. Sie würden zwar damit gerade 100 qm mieten können, aber weiter nichts, keine Heizung, und Brötchen kaufen wäre auch schon nicht mehr möglich.
Sinkende Steigerungsraten von Mieten als Erfolg von Wohnungspolitik verkaufen zu wollen, ohne das tatsächliche Mietenniveau zu erwähnen, das entspricht genau dem sozialen Zynismus, der das Markenzeichen dieser jetzigen Koalition ist.
({1})
Ein weiterer Punkt: Sie sagen, daß durch sinkende Steigerungsraten den Mietern die Zahlung von 4 Milliarden DM erspart worden sei. Aber diese Bundesregierung hat ein Vielfaches davon durch Sozialkürzungen den gleichen Haushalten aus der Tasche gezogen! Selbst auf einer zweifelhaften statistischen Basis, die ein geschöntes Bild der Realität zeichnet, steigt die Mietbelastung unverändert weiter an. Seit 1980 stieg die Belastung des Nettoeinkommens der Durchschnittshaushalte durch die Mietkosten um etwa 2 %, zum Beispiel bei den Rentnerhaushalten auf über 21 % des Nettoeinkommens.
({2})
- Richtig!
Eine weitere Tatsache Ihres behaupteten Mietermarktes ist: Die Wohlfahrtsverbände sprechen von steigenden Zahlen bei den Nichtseßhaften, bei den Obdachlosen. Es ist ein Skandal, daß in einem Land, wo das letzte Huhn an der Legebatterie statistisch erfaßt wird, die Bundesregierung angeblich keinerlei Zahlen über Mietzahlungsschwierigkeiten und Obdachlosigkeit vorliegen hat.
({3})
Der Verweis auf die Zuständigkeit der Gemeinden in diesem Punkt zeigt Ihr Verständnis von der Stärkung der kommunalen Selbständigkeit, nämlich folgendes: Sie sorgen für die Profite der Hausbesitzer, die Kommunen machen dann die Dreckarbeit.
({4})
Ihr Kollege Wörner würde ein solches Verhalten innerhalb seines Bereichs bezeichnen als „fire and forget" - „Schießen und Vergessen".
({5})
Von großem Interesse bei der Beurteilung eines Haushaltes sind vor allem die Tatsachen, die nicht in einem Einzelplan auftauchen. Mit keinem Wort wird erwähnt: die kalte Enteignung der Sozialmieter. Nicht erwähnt wird die stille Umverteilung durch die Eigentumsförderung mittels Steuererleichterungen. Rund 9,2 Milliarden DM fließen vorbei am Fiskus, zumeist zugunsten von Beziehern oberer Einkommen. Zur kalten Enteignung gehört aber auch der völlige Rückzug des Bundes aus der Förderung von Mietsozialwohnungen.
Herr Schneider, glücklicherweise haben Sie jetzt endlich Flagge gezeigt, indem Sie verlangen, daß die Bundesländer die gestrichenen Bundesmittel nicht durch eigene Mittel auffüllen. Ich frage Sie, denken auch Sie schon über den Bundeszwang gegen unbotmäßige Bundesländer nach, wie Ihr Kollege Dollinger bei Tempo 80 und 100?
Nach unserer Auffassung - und hier stimmen wir der Auffassung der zuständigen Landesminister zu - greift die Bundesregierung nicht nur in die Kompetenzen der Länder ein. Die Bundesregierung zieht sich vielmehr auch aus ihrer sozialpolitischen Gesamtverantwortung zurück. Ich will dies an einem simplen Beispiel mit dennoch weitreichenden Konsequenzen erläutern.
({6})
Mit dem sogenannten Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz wurden zum Beispiel gestrichen - ich habe das früher schon mal angesprochen - die Zielvorgabe „eine Person erhält einen Raum", die „Mindestwohnfläche" und die Norm für die Wohnungen von alleinstehenden Personen. Die schlichte Begründung damals hieß, es bestehe kein Regelungsbedarf des Bundes, da dieser Sozialschutz durch die Landesbauordnungen sichergestellt sei; das wurde mir mehrfach von einzelnen Mitgliedern auch in unserm Fachausschuß in Gesprächen immer wieder vorgehalten. Der Blick in diese Landesbauordnungen zeigt aber das genaue
Werner ({7})
Gegenteil: In keiner Bauordnung sind diese Dinge geregelt!
({8})
Für mich ist damit der Tatbestand der gezielten Täuschung erfüllt. Die Bundesregierung hat damit die Slums der Zukunft programmiert. „Kosten- und flächensparendes Bauen" erscheint unter diesem Blickwinkel in einem völlig neuen Licht.
Herr Schneider, nach unserem Eindruck läuft Ihre Politik darauf hinaus, die Polarisierung dieser Gesellschaft in Besitzende und Habenichtse zu verschärfen. Hierzu gehört für uns auch die Zerschlagung der Wohnungsgemeinnützigkeit,
({9})
die diese Bundesregierung hinter dem Kürzel „Präzisierung des sozialen Auftrages" versteckt. Da ist der Bundesregierung nahezu jedes Mittel recht. Ich habe noch das herzzerreißende Mitgefühl des Grafen Lambsdorff für die ach so armen Mieter der Neuen Heimat im Ohr. Herr Lambsdorff ist im Monent nicht im Hause. An Herrn Lambsdorff gerichtet: Die Neue Heimat praktiziert mit ihren Verkäufen gerade die sozialfeindliche Politik, für die Sie und Ihre Parteifreunde sich schon seit Jahren aus dem Fenster hängen. Sie haben doch systematisch den sozialen Wohnungsbau mitzerstört, indem der Ausstieg aus den Sozialbindungen immer mehr erleichtert wurde, indem ab nächstem Jahr keine Mietsozialwohnungen mehr gefördert werden, indem Sie nichts dagegen unternehmen, daß bis 1995 rund 3 Millionen Sozialwohnungen auf den sogenannten freien Markt kommen werden, indem Sie nichts dagegen unternehmen, daß gerade die Sozialwohnungen, die aus der Preisbindung fallen, das Mietniveau besonders in den Städten weiter in die Höhe treiben werden. Bekanntlich befinden sich drei Viertel aller Sozialwohnungen in den großen Städten.
({10})
Bei diesem Szenario ehrt es Sie, Herr Müntefering, daß Sie und Ihre SPD-Fraktion die Mieterinteressen jetzt wieder entdecken. Aber nur ein politisches Kurzzeitgedächtnis wird vergessen, daß viele Änderungen bereits von den Sozialliberalen geschaffen wurden: Die Änderungsgesetze von 1978, 1980 und 1982 bringen heute den sozialen Wohnungsbau um. Es sollte auch vermerkt werden, daß Ihre Fraktion im Fachausschuß alle unsere Anträge fast einstimmig - fast! - in einer größtmöglichen Koalition abgelehnt hat.
({11})
- Lesen Sie im Protokoll die umfangreichen Anträge nach, die wir dort gestellt haben. Sind sie Ihnen nicht bekannt?
({12})
- Das mag schon sein.
Ich vermisse bei den Vorschlägen der SPD zur Sicherung preiswerten Wohnraums irgendwelche Aussagen, wie Sie Sozialwohnungen behandeln wollen, die im Besitz von Privatunternehmen sind. Diese Wohnungen sind j a bekanntlich mit dem Ende der öffentlichen Bindungen völlig frei vermietbar. Diese 2,1 Millionen Wohnungen unterliegen dann im Gegensatz zu den 2,4 Millionen Sozialwohnungen der Gemeinnützigen keinerlei Mietpreisbindung mehr. Es ist allen Beteiligten klar, daß hierdurch die Mieten explodieren werden. Es ist nach unserer Meinung wichtig, die Wohnungen der Gemeinnützigen wieder einer sozialen Bindungspolitik zuzuführen. Wir müssen aber verhindern, daß die Gemeinnützigen zum Notnagel der Marktwirtschaftspolitik werden.
Sie machen sich faktisch die Regierungspolitik zu eigen, wenn auch Sie die 2,1 Millionen Sozialwohnungen im Privatbesitz im Dunkeln verschwinden lassen.
Die GRÜNEN fordern daher die Einrichtung von kommunalen Interventionsfonds zum Erhalt des gesamten preis- und sozialgebunden Wohnungsbestandes. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, das notwendige Startkapital von 250 Millionen DM in den Haushalt 1986 aufzunehmen. Der Antrag liegt Ihnen vor. Nur solche Interventionsfonds können sicherstellen, daß der soziale Wohnungsbau in seiner Gesamtheit als gesellschaftliches Sondervermögen erhalten bleibt. Nur so wird es möglich sein, daß das Grundrecht auf sicheres Wohnen unteilbar wird und nicht dem Wohneigentum vorbehalten bleibt.
({13})
Die Übernahme der Sozialwohnungsbestände in ein kommunales Sondervermögen sichert auch die Finanzmasse, da für eine dringend notwendige Umschuldungsaktion - die Probleme der Neuen Heimat führen uns dies drastisch vor - Solidarabgaben auf vorhandene Entschuldungsgewinne unerläßlich sein werden, um das Grundbedürfnis Wohnen sichern zu können und um den sozial gebundenen Wohnraum vor seiner Vermarktung zu schützen.
Wir treten für die Erhaltung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft ein. Wir sind uns aber auch der Notwendigkeit einer tiefgreifenden Demokratisierung dieses Sektors bewußt,
({14})
der Notwendigkeit zur Entflechtung von Großbetrieben, der Notwendigkeit zur Gründung dezentraler Verwaltungsgenossenschaften, die eine Möglichkeit zur Selbstverwaltung durch die Bewohner schafft.
Ich komme zum Schluß. Ich mußte beim Einzelplan 25 viel über Sozialpolitik reden, weil sich der Hauptangriff dieser Regierung gegen die soziale Sicherung des Wohnens richtet. Diesen Angriff gilt es
Werner ({15})
abzuwehren. Diese Regierung macht weniger eine Politik zur Wohnungs-Versorgung, eher zur „-Entsorgung".
Zur Ökologie, die ja wahrlich im Haushalt eines Raumordnungsministers eine vorrangige Rolle spielen sollte, findet sich in diesem Haushalt praktisch überhaupt nichts. Statt dessen kommen aus der Deichmanns Aue, dem Sitz des Ministeriums, sozialpolitische Nebelwerfereien, gegen die nur noch eine politische Smog-Verordnung in Form einer Sozialverträglichkeitsprüfung helfen könnte.
({16})
Ich sage Ihnen: Die nächste Sozialverträglichkeitsprüfung für Sie wird kommen, nämlich die Wahl 1987.
Ich danke Ihnen.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Haushaltsrede vom 28. November 1984 habe ich namens der FDP-Fraktion erklärt:
Wir sind uns alle darüber im klaren, daß die Wohnungswirtschaft der Nachkriegszeit zu Ende ist und daß ein großer Teil unserer Bevölkerung - bis auf wenige Ausnahmen in den Ballungsräumen - versorgt ist. Es wäre eine falsche staatliche Wohnungsbaupolitik, würde die Förderung nicht Rücksicht auf die Marktentwicklungen nehmen. Die Marktentwicklungen haben gezeigt, daß es Schwerpunkte zu setzen gibt, die berücksichtigt werden müssen, um eine Neuorientierung in der Wohnungsbaupolitik zu erreichen.
({0})
Dieses Zitat war damals richtig und ist heute noch richtiger, weil Sie, Herr Bundesminister, und Ihre Mitarbeiter im Amt, aber auch die Koalitionsfraktionen diese Marktentwicklung gesehen und die Weichen entsprechend gestellt haben. Ich danke Ihnen dafür, Herr Minister.
Wir stellen fest:
Erstens. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte macht Fortschritte, und zwar nicht nur im Bund, sondern auch bei den Ländern und bei den Gemeinden.
({1})
Das ist wichtig.
Zweitens. Die Grundstückspreise in der Bundesrepublik sind zum großen Teil auf einer sinkenden Skala, die Baupreise sind leicht steigend, aber nicht besorgniserregend. Wichtig für die Bauwirtschaft ist die Zinsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Sie können Konjunktur-, Umwelt-, Arbeits- und Beschäftigungsprogramme machen soviel Sie wollen. Es gibt kein besseres Programm als gute Zinsen für die Investoren.
({2})
Drittens. Die Bauwirtschaft - ich verweise auf den letzten Ifo-Bericht aus München - erholt sich. Das Programm, das die Bundesregierung über die ERP-Mittel aufgelegt hat, ist ein Volltreffer. Durch die Anträge ist das Finanzvolumen für 1986 bereits ausgefüllt, für 1987 sind fast alle Volumen verplant, so daß man sagen kann, daß die Stadterneuerung, die Dorfsanierung, die Modernisierung und Sanierung voll laufen, aber auch die Umweltschutzprogramme im Abwasserbereich, im Abfallbereich anlaufen.
Viertens. Ich begrüße besonders, daß wir das Programm für die Erneuerung der alten Heizungsanlagen gemacht haben. Wir werden dieses Programm mit einem großen Erfolg in der Energiesparpolitik anlaufen lassen. Durch neue Technologien wie dem Brennwertkessel können wir bis zu 20 % Energie sparen und bis zu 30 % weniger Emissionen bei Heizungsanlagen verzeichnen. Dies wird eine Umweltverbesserung bedeuten.
Fünftens. Das Wohngeld hat gegriffen. Wer daran noch herumbastelt, der geht an der Realität vorbei. Ich kann sie einfach, Herr Kollege Werner, nicht für voll nehmen, wenn Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß die Wohngeldleistungen dieser Bundesregierung nicht nur im Volumen gestiegen sind, sondern daß auch die Strukturveränderung beim Wohngeld selbst dazu geführt hat, daß wir tatsächlich den sozial Schwachen helfen und vom Gießkannenprinzip und von Mitnahmeeffekten abgerückt sind.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein Wort zu dem Antrag der SPD zur angeblichen Mietensicherung sagen. Ich frage nur: Ist dieser Antrag eigentlich eine Kühnheit, oder - wie andere Leute behaupten - ist er in Anbetracht der ganzen Situation der Neuen Heimat eine Frechheit? Ich muß Ihnen einmal etwas sagen. Uns erreichen langsam Briefe, die für mich besorgniserregenden Charakter haben.
({4})
Da gibt es Leute, die meinen, daß das Gutachten der unabhängigen Kommission zur Abschaffung der Steuerbefreiung der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften ein Anlaß wäre, nunmehr eine Mieterhetze zu beginnen, und zwar in folgender Form: Wenn ihr das macht, was in der unabhängigen Kommission von uns gefordert wird, dann werden wir 10 Millionen Mieter gegen Euch aufhetzen.
({5})
- Ich habe heute, Herr Conradi, mit großer Sorge einen Brief bekommen,
({6})
der müßte Sie mit Ihrer Sensibilität in diesen Fragen eigentlich berühren. Ich habe als FDP-Abgeordneter einen Brief bekommen, in dem steht:
Die Nazis haben die Gewerkschaften verboten, diese Regierung will sie ausbluten lassen. Das lassen wir nicht zu. Wir werden überall, auf Betriebsversammlungen, Versammlungen im Betriebskreis, im Familienkreis, im Freundeskreis, bei allen Veranstaltungen únd Vereinen, die Machenschaften der Regierung, besonders der FDP, anprangern.
({7})
Nun schreien Sie: Sehr richtig! Mich hat gestern bei einer Diskussion ein Betriebsrat gefragt: Was will denn eigentlich die SPD?
({8})
- Ich rede über beides,
({9})
weil ja beides, die Verhetzung der Mieter oder die Verhetzung in Betriebsversammlungen, die Frage an Sie aufwirft, was Sie denn eigentlich wollen. Wollen Sie eine Politik der Alternative oder eine Politik der Verunsicherung? Wollen Sie möglichst viel Verunsicherung schaffen, um aus der Unrast der Verunsicherung wieder an die Macht zu kommen? Wenn das Ihr Ziel ist, dann haben Sie das Ziel und die historische Geschichte
({10})
der Sozialdemokraten verfehlt.
({11})
Ich sage Ihnen eines.
({12})
- Nein, ich habe in meiner eigenen Familie einen
Sozialdemokraten - und deshalb sage ich Ihnen
das -,
({13})
der ins KZ gewandert ist. Warum lachen Sie denn darüber? Darüber gibt es doch nichts zu lachen. Ich würde aus der Geschichte der Sozialdemokraten, die wie keine andere politische Kraft in diesem Lande unter der Diskriminierung Andersdenkender gelitten haben, etwas lernen.
({14})
Da müßten Sie doch aus der Geschichte lernen und dürften nicht das gleiche tun, was damals Ihre politischen Gegner getan haben.
({15})
Nein, ich sage Ihnen nur eines. Wenn Sie es so weitertreiben, daß Sie speziell auf die Karte der jungen Generation setzen, daß Sie etwa gerade die junge Generation verunsichern wollen, um aus dieser Verunsicherung politisches Kapital zu schlagen, dann werden Sie sich täuschen. Das ist in keinem demokratischen Land einer politischen Kraft gelungen. Daraus sollten Sie Erkenntnisse ziehen. Ich erkläre hier ausdrücklich, daß wir dieses Gesetz der Gemeinnützigkeit - ({16})
- Wenn Sie ruhiger sind, komme ich schneller zu dem, was Sie hören wollen.
({17})
Das Gesetz der Gemeinnützigkeit im Bereich der Steuerbefreiung - darum bitte ich auch in der öffentlichen Diskussion - sollte wirklich nicht an dem gemessen werden, was sich in der Neuen Heimat zugetragen hat. Meine Damen und Herren, die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften haben nach dem Zweiten Weltkrieg eine enorme Aufbauleistung vollbracht; das muß anerkannt werden.
({18})
- Das soll liberalisiert werden, Herr Kollege, und da ist Besonnenheit am Platze und nicht Gehässigkeit. Da ist Besonnenheit in der Diskussion erforderlich, damit wir das, was eine unabhängige Kommission gefordert hat, erreichen.
Ich möchte zum Schluß noch, Herr Minister, darum bitten, daß Sie Ihre Bemühungen zur Schaffung eines neuen Baugesetzbuches auch im Endspurt verstärkt fortsetzen. Die FDP wird Sie bei Ihren Bemühungen unterstützen, weil das ein wesentlicher Beitrag zur Entbürokratisierung ist. Es ist natürlich eine schwierige Sache. Sie wissen, daß die Akzeptanz der Länder bei der Novellierung des Baugesetzbuches erforderlich ist. Ich würde die SPD-regierten Länder bitten, ihre Blockade aufzugeben und konstruktiv mit Alternativen mitzuarbeiten; denn wenn wir mehr Beschäftigung in der Bauwirtschaft brauchen - und darüber sind wir uns doch alle einig -,
({19})
dann brauchen wir auch mehr vereinfachte Normen, vereinfachte gesetzliche Regelungen, damit die Bauanträge nicht in den Baugenehmigungsbehörden hängenbleiben, sondern tatsächlich zum Bauherrn zurückkommen und der Baubeginn in die Wege geleitet werden kann.
({20})
Ich glaube, daß wir auf dem richtigen Wege sind, Herr Minister. Wir unterstützen Sie bei dieser PoliGrünbeck
tik und werden diesem Haushalt auch unsere Zustimmung nicht versagen.
({21})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich ein Wort des Dankes sagen.
({0})
Der Dank gebührt den Kollegen des Haushaltsausschusses, namentlich den Herren Berichterstattern, den Kollegen Echternach und Nehm.
({1})
Ich danke für die sachverständige und konstruktive Beratung des Haushalts 1986 in meinem Ressortbereich. Ich bedanke mich natürlich auch bei den Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau für die Mitberatung und für die Unterstützung. Schließlich bedanke ich mich auch bei meinen Mitarbeitern und bei den Mitarbeitern im Ausschuß.
Meine Damen und Herren, der Einzelplan 25 ist - wie alle anderen Einzelpläne auch - Ausdruck einer soliden, stabilen Wirtschafts-, Finanz- und Wohnungsbaupolitik.
({2})
Dies gilt, um nur die wichtigsten Bereiche hervorzuheben, natürlich für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, aber auch für die Verbesserung der Wohngeldleistungen und für die beträchtlichen Anhebungen der Förderung im Bereich des Städtebaus.
Die Mittel des Bundes für den sozialen Wohnungsbau - 1986 sind es knapp 1 Milliarde DM - werden künftig schwerpunktmäßig zur Förderung von Eigentumsmaßnahmen eingesetzt. Dies ist sachgerecht, dies ist nachfragebezogen, und dies entspricht einer soliden Haushaltspolitik. Es entspricht vor allen Dingen dem Bedarf.
({3})
Daß sich der Wohnungsmarkt normalisiert hat, bestreitet niemand mehr, gewiß nicht die gemeinnützige Wohnungswirtschaft. Wäre die Nachfrage auf der Mieterseite intensiver, hätte manches gemeinnützige Wohnungsunternehmen weniger Probleme. Sie wissen, daß die Zahl der Leerstände allein in der rheinischen gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in jüngster Zeit weit über 40 % angestiegen ist. Sie wissen auch, daß der Kollege Zöpel von Nordrhein-Westfalen mit Blick auf diese städtebaulichen Giganten mit leerstehenden Wohntürmen die Empfehlung gegeben hat, sie rundweg in die Luft zu sprengen, damit sie nicht mehr als Ärgernis in den Himmel unserer Städte ragen.
({4})
Mit der Aufstockung der Wohngeldleistungen um 900 Millionen DM auf die Rekordsumme von über 3 Milliarden DM erreichen die Wohngeldleistungen das höchste Volumen, das sie jemals besessen haben.
({5})
Ich darf Ihnen sagen: Die Wohngeldleistungen in dieser Höhe werden gezielter gegeben, weil wir das Verteilungssystem geändert haben. Wir heben nunmehr auf die Höhe der Mieten ab. Diese Entwicklung trifft mit der günstigsten Mietentwicklung zusammen, die wir seit Jahrzehnten in unserem Lande haben.
({6})
Ich will die Mietendebatte nicht mehr heraufbeschwören, aber ich hätte es leicht, aus meiner Rede vom 10. Dezember 1982, die ich an dieser Stelle gehalten habe, zu zitieren. Ich habe damals dem Kollegen Jahn ({7}) entgegengehalten:
({8})
Die Entwicklung der Mieten im freifinanzierten Wohnungsbau werde in etwa parallel zu der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten verlaufen. Genau dies trat im Oktober 1985 ein: Die Lebenshaltungskosten stiegen um 1,8% und auch die Mieten im freifinanzierten Wohnungsbau stiegen um 1,8 %.
({9})
- Ich habe vom freifinanzierten Wohnungsbau gesprochen.
({10})
Das sind die Wohnungen, die nach 1948 gebaut wurden. Wir haben j a nach 1948 über 18 Millionen Wohnungen neu gebaut, und wir haben etwa 4 Millionen Wohnungen modernisiert.
({11})
- Bitte?
({12})
- Ja, die sind aber nur ein marginaler Bestandteil; das ist der geringste Teil, das wissen Sie doch.
Diese Entwicklung ist dort eingetreten, wo durch das neue Mietrecht auch eine größere Marktflexibilität geschaffen worden ist. Der von der neuen Koalition, von der neuen Bundesregierung durchgesetzte Zeitmietvertrag hat sich als sozial äußerst effektiv und wirtschaftlich vernünftig herausgestellt! er hat sich wohnungspolitisch aufs beste bewährt.
Wir haben die Mittel für die Städtebauförderung auf das Dreifache erhöht. Auch daran darf ich erinnern. Die alte Regierung hat die Städtebauförderungsmittel zehn Jahre lang bei 220 Millionen DM eingefroren. Wir haben sie sofort auf 330 Millionen DM gesteigert und sie nun, der Baukonjunktur angemessen, nochmals erhöht, länderfreundlich, Rücksicht nehmend auf die unterschiedliche Wirtschafts- und Finanzkraft der einzelnen Länder. So gewähren wir den Hanse-Staaten Hamburg und Bremen und dem Lande Saarland einen Anteil von Bundesmitteln von 50 %.
({13})
Die Ministerpräsidenten - ich komme eben von einem Gespräch mit den Ministerpräsidenten beim Bundeskanzler - aller Couleurs haben in der Sitzung der Ministerpräsidentenkonferenz vom 19. Oktober 1984 einstimmig gefordert, die Mischfinanzierung bei der Städtebauförderung aufzuheben. Obschon dieser Wille der Länder sichtbar wurde, obschon der Entwurf des Baugesetzbuches, den das Kabinett am nächsten Mittwoch beschließen wird, eine Mischfinanzierung nicht mehr vorsieht,
({14})
hat diese Bundesregierung ihre Mittel verdreifacht. Aber über die Mischfinanzierung braucht man nicht zu streiten.
({15})
Das haben alle Parteien so gewollt, alle Ministerpräsidenten. Viele sind j a Regierungschef und Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei ihrer Länder in Personalunion.
Das Programm als solches ist ein Volltreffer. Ich habe mich bei den Ländern zu bedanken. Ich habe mich bei den Gemeinden, bei den Kommunalbehörden, auch bei den Regierungspräsidenten zu bedanken, daß dieses Programm so rasch abläuft. Die Regierung hat die Erhöhung der Städtebauförderungsmittel am 1. Juli beschlossen. Am 1. August konnte ich auf Grund dieses neuen Programms in Rödental bei Coburg zusammen mit dem bayerischen Innenminister den ersten Spatenstich tätigen.
({16})
Innerhalb von vier Wochen war es möglich, einen Regierungsbeschluß in die Tat umzusetzen.
Meine Damen und Herren, der Wohnungsmarkt insgesamt hat sich entspannt. Die Nachfrage bestimmt das Geschehen. Unsere Mietrechtsreform vom Dezember 1982 hat sich als mieterfreundlich, als investitionsanregend und für den Wohnungsmarkt höchst wirkungsvoll und heilsam erwiesen.
({17})
Noch zu keiner Zeit konnte, wer eine Wohnung oder ein Eigenheim mieten will, aus einem so breiten und vielfältigen Angebot wie heute wählen. Dies gilt - um von vornherein einem mir gegenüber immer wieder geäußerten Vorbehalt zu begegnen - auch für preiswerte Wohnungen für schmale Geldbeutel. Denn wir haben nicht nur stabile Preise - übrigens auch stabile, zum Teil sogar nachgebende Bau-, Boden- und Immobilienpreise -, sondern auch - ich vermerke das mit besonderer Genugtuung - stabile Mieten. Ich habe mich dazu geäußert.
Meine Herren aus der SPD-Fraktion, was ist Ihnen eigentlich eingefallen?
({18})
Ich habe vorige Woche gelesen, Sie haben einen Gesetzentwurf in Vorbereitung oder verlangen von der Regierung einen solchen: ein Gesetz zur Begrenzung des Mietanstiegs.
({19})
Ich weiß zwar, daß ich aufgefordert worden bin, das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz zu ändern, um die Sozialmieter der Neuen Heimat in Bremen vor dem Zugriff der Neuen Heimat zu schützen.
({20})
Meine Damen und Herren, wir werden einen solchen Schnellschuß natürlich nicht machen. Ich hoffe, daß sich die Neue Heimat auf die Prinzipien der Wohnungsgemeinnützigkeit und auf die Grundsätze der Gemeinwirtschaftlichkeit besinnen wird.
Ich darf Ihnen sagen: Unter der Herrschaft dieser Regierung, unter unseren Gesetzen, unter unserer Mieten- und Wohnungspolitik geht es den Sozialmietern gut.
({21})
Ich habe gesagt: Ich will ein Anwalt der Mieter sein. Ich bin es bisher gewesen; ich will es auch in Zukunft sein.
({22})
Das Ziel unserer Wohnungspolitik besteht darin, einen wirtschaftlich vernünftigen, sozial vertretbaren, insgesamt fairen Ausgleich zwischen Mieter und Vermieter herbeizuführen. Dies ist gelungen.
({23})
- Diese Frage stellen Sie zunächst einmal der Neuen Heimat!
({24})
Ich habe gar nichts dagegen, wenn der Sozialmieter seine Mietwohnung als Eigentum erwirbt.
({25})
Ich habe aber sehr viel dagegen, wenn ein Unter' nehmen, das etwa 10 Milliarden DM an öffentlichen Mitteln erhalten hat, zur Verbesserung des Betriebsergebnisses, zur Verhinderung des Konkurses in sozial rücksichtsloser Weise Wohnungen veräuBundesminister Dr. Schneider
Bert und damit Mieterhöhungen programmiert, die Mieter verunsichert.
({26})
Meine Damen und Herren, durch die stabilen Mieten erhalten die Wohngeldleistungen von rund 3 Milliarden DM erst ihre volle Wirksamkeit. Insgesamt bedeuten 2,5 Prozentpunkte weniger Mieteninflation eine Entlastung der privaten Haushalte um rund 4 Milliarden DM.
({27})
Wann, frage ich Sie, ist die Wohnungspolitik jemals sozialpolitisch so hervorragend wirksam gewesen wie heute?
({28})
Sagen Sie mal, wann die Mietenentwicklung jemals so günstig gewesen ist! Sie werden den Zeitpunkt nicht finden.
Hinsichtlich der Bauwirtschaft darf ich Ihnen sagen: Es war ganz klar, daß die Leistungen im sozialen Mietwohnungsbau, im Mietwohnungsbau insgesamt das alte Volumen nicht mehr erreichen können. Der Markt ist gesättigt, und wer etwas baut, muß auch fragen, ob dafür noch Bedarf besteht. Wir haben nicht nur die Städtebauförderung verdreifacht, wir haben, wie Sie wissen, auch im Bereich der ERP-Mittel beträchtliche Anhebungen vorgenommen. Das sind fast 6 Milliarden DM. Im Bundeshaushalt sind für das Jahr 1986 bauwirksame Investitionen von weit über 30 Milliarden DM enthalten, wenn ich alle Bundesausgaben addiere. Ich darf Ihnen sagen: Dies ist angemessen. Wir haben nach dem Krieg eine Bauleistungskapazität in der deutschen Wohnungswirtschaft, in der Bauwirtschaft aufgebaut, die es ermöglicht hat, daß die Summe der Bauleistungen von 1949 bis 1985 ein höheres Bauvolumen umfaßte, als die Bausubstanz in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1939 ausmachte. Diese gewaltige Bauleistungskapazität orientiert sich natürlich an der Nachfrage. Unsere Städte sind wieder aufgebaut, die Einrichtungen des sozialen und kulturellen Gemeinbedarfs sind erstellt, und vieles, vieles andere ist gebaut. Seit 1971 haben wir eine fallende Bevölkerungszahl. 1984 kommen auf 100 Sterbefälle nur 77 Geburten. Das alles muß berücksichtigt werden.
Alles in allem kann die wohnungspolitische, die wohnungsbaupolitische Bilanz, die Städtebaubilanz, aber auch die Bilanz der Raumordnung im abgelaufenen Haushaltsjahr mit einem dicken Pluszeichen versehen werden.
({29})
Wir werden das deutsche Baurecht, soweit der Bund zuständig ist, einheitlich novellieren, und wir werden parallel dazu das Baunebenrecht umfänglich durchforsten. Wir haben das Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz verabschiedet und auf diese Weise erreicht, daß mit einem Schlag 500 000 Akten geschlossen werden können. Wenn wir die Rechtsvereinfachung abgeschlossen haben, wenn wir die Entbürokratisierung im Baunebenrecht abgeschlossen haben, werden weit mehr als 1 Million Akten zusätzlich geschlossen werden.
({30})
Ich hoffe, ich finde dabei auch die Zustimmung der Opposition; denn eine gute Bau- und Wohnungspolitik kommt sogar Ihnen zugute.
({31})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Abgeordneten Suhr, Werner ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4319 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD ab. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4341 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4342 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 25. Wer dem Einzelplan 25 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 25 ist in der zweiten Lesung angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
- Drucksachen 10/4157, 10/4180 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt Deres
Kleinert ({1})
Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 10/4166, 10/4180 Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Waltemathe
Dr. Müller ({2})
Vizepräsident Frau Renger
Im Ältestenrat sind eine verbundene Aussprache über die Einzelpläne 07 und 19 und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist auch nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Zutt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Etat des Bundesjustizministeriums nimmt sich im Vergleich zum Gesamthaushalt geringfügig aus. Ganze 1,46 Promille vom Gesamthaushalt macht er aus. Einnahmen in Höhe von 226 Millionen DM stehen Ausgaben von 386 Millionen DM gegenüber, die gegenüber 1985 nur um 2 % gestiegen sind. Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Die drei obersten Gerichte im Einzelplan 07 - Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht und Bundesfinanzhof - kosten aus Bundesmitteln ganze 60 Millionen DM. Für diesen Betrag bekommt der Bundesverteidigungsminister heute wohl keinen einzigen Tornado.
({0})
Ich betone das, weil durch die sogenannte Geringfügigkeit in der Öffentlichkeit leicht das Bewußtsein dafür verlorengeht, welche Bedeutung die obersten Gerichte unserer Republik für den Rechtsstaat haben.
({1})
Vor wenigen Wochen fand in Karlsruhe eine Feierlichkeit zum 175. Geburtstag von Eduard von Sim-son statt, dem Präsidenten der Nationalversammlung in der Paulskirche und späteren ersten Präsidenten des Reichsgerichts. An Bundesprominenz hat es nicht gefehlt. Der Bundespräsident, der Bundestagspräsident, der Bundeskanzler, der Bundesjustizminister haben Reden gehalten und der Präsident des Bundesgerichtshofes hat die Bedeutung einer wirklich unabhängigen, auch gegenüber dem angeblichen „Nutzen des Staates" unabhängigen Justiz in eindrucksvoller Weise am Beispiel der Personen des ersten und letzten Reichsgerichtspräsidenten gezeigt. Die überregionalen Medien haben nach meiner Kenntnis außer einer knappen Meldung auf den hinteren Seiten der einen oder anderen Zeitung von diesem Ereignis keine Kenntnis genommen. Dafür sind wir im Fernsehen aber aufs ausführlichste über die Bierseidelfröhlichkeit des CSU-Geburtstages informiert worden. So viel zum Stellenwert der Justiz in der Öffentlichkeit.
({2})
Meine Damen und Herren, man sollte die relative Geringfügigkeit des Justizhaushaltes vor allem dann vor Augen behalten, wenn immer wieder unter Berufung auf die Belastung der Gerichte, insbesondere auch der obersten Bundesgerichte, an der immer stärkeren Beschränkung von Rechtsmitteln für den einzelnen Bürger herumgebastelt wird. Dahinter steht mangelndes Bewußtsein von der Bedeutung der Instanzenzüge, von der Wichtigkeit der Selbstkontrolle der Justiz.
Sozialdemokratische Rechtspolitik sieht es durchaus als eine ihrer Aufgaben an, auch die Rechtsprechung kritisch zu begleiten. Sie verwechselt nicht, wie dies zum Instrumentarium der Wende zu gehören scheint, die Qualität der Gerichte mit ihrer Willfährigkeit gegenüber der Administration. Darum halten wir die angemessene personelle und sachliche Ausstattung gerade der obersten Bundesgerichte für notwendig und nicht die Einschränkung der Rechtsmittel für den kleinen Mann.
({3})
Der Einzelplan 7 enthält keine spektakulären Veränderungen. Ich will nur zwei Punkte erwähnen.
Das juristische Informationssystem JURIS hat nach langjährigen Vorarbeiten ein solches Entwicklungsstadium erreicht, daß es in diesem Jahr ausgegliedert werden konnte, und zwar in eine GmbH mit Sitz in Saarbrücken, an der sich künftig auch private Gesellschafter beteiligen sollen. Der Haushalt sieht Ausgaben für die Einrichtung und Erweiterung von Dokumentationsstellen bei den Bundesgerichten vor.
Es sei daran erinnert, daß die Entwicklung von JURIS unter der sozialliberalen Regierung in Angriff genommen worden ist und daß dem Aufbau von seiten der Union damals allzu häufig Steine in den Weg gelegt worden sind. Wir stehen hinter dem Konzept von JURIS auf der Grundlage des im letzten Jahr vom Haushaltsausschuß einmütig verabschiedeten Beschlusses, daß der Bund auch in der ausgegliederten Gesellschaft die Mehrheit und damit die Kontrolle behalten wird. Wir werden sorgfältig darauf achten, daß die Beteiligung privater Gesellschafter an dem Projekt den Zielen von JURIS entspricht und dabei auch eine angemessene Beteiligung an den beträchtlichen Entwicklungs-und Anlaufkosten erfolgt.
Ein zweiter Punkt: Als Vorstufe zum Aufbau einer elektronischen Datenbank beim Bundespatentamt sieht der Haushalt eine Kosten-Nutzen-Analyse mit einem Aufwand von 800 000 DM vor. Auch dies halten wir für einen richtigen Ansatz. Die Modernisierung und Beschleunigung des Verfahrens zur Prüfung angemeldeter Erfindungen gehört zu den Voraussetzungen für Entwicklung und Austausch fortschrittlicher Technologie.
Meine Damen und Herren, in Haushaltsdingen pflegt man mit Soll-Ist-Vergleichen zu arbeiten. Lassen Sie mich einen solchen Soll-Ist-Vergleich in einem weiteren Sinn ziehen. Die Ansätze des Einzelplans spiegeln die im wesentlichen sachgerechten, man kann eher sagen: bescheidenen Bedürfnisse der Gerichte und Justizbehörden des Bundes wider. Insofern ist ein Soll-Ist-Vergleich nicht problematisch.
Fatal hingegen fällt ein Soll-Ist-Vergleich dann aus, wenn man die Rechtspolitik dieser Regierung
betrachtet, das Defizit zwischen dem, was die Regierung auf dem Gebiet des Rechts tun sollte, und dem, was sie getan und nicht getan hat. Die Opposition lehnt Ihren Haushalt, Herr Bundesminister der Justiz, ab, weil Ihre Rechtspolitik in den Zielen und in der Durchführung verfehlt ist. Wir haben unter einem freidemokratischen Bundesminister erlebt, wie die Novellierung des Versammlungs- und Demonstrationsstrafrechts unter wiederholter Nichtachtung der Regeln eines geordneten Gesetzgebungsverfahrens durchgedrückt worden ist, auf Kosten wesentlicher liberaler und demokratischer Rechtspositionen, zur höheren Willfährigkeit gegenüber den Axiomen der Wendepolitik.
({4})
- Wachen Sie doch nicht gerade da auf. Lassen Sie mich ausreden.
({5})
Hier ist einmal mehr deutlich geworden, daß dieser Minister einer anderen FDP angehört als zum Beispiel sein Vorgänger Thomas Dehler.
({6})
Ich kann nur das Schiller-Wort aufgreifen, das der BGH-Präsident Pfeiffer kürzlich bei der Ehrung Simsons der Justiz vorhielt:
Mißtraut Euch, edler Lord, daß nicht der Nutzen des Staates Euch als Gerechtigkeit erscheine.
({7})
Die Harmonisierung des Auslieferungsrechts mit dem Asylverfahren ist ein anderes Beispiel. Wie beschämend, daß Art. 16 des Grundgesetzes - ,,... Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." -, dem angesichts der deutschen Geschichte ein so hoher Rang zukommt, langsam immer weiter stranguliert werden soll, um ihn handhabbarer zu machen, um Kosten zu sparen und um Friktionen mit Staaten zu vermeiden, zu deren Instrumentarium die erbarmungslose Verfolgung politischer Gegner nach wie vor gehört.
({8})
Einem freidemokratischen Justizminister stünde es wohl an, auf diesem Gebiet des Asylrechts Gesetzesvorhaben zu unterstützen, die dem Geist unserer Verfassung entsprechen und ihn nicht verkümmern lassen.
Daß die gegenwärtige Rechtspolitik an der Realität vorbeigeht, ja vor ihr die Augen verschließt, um der Selbstzufriedenheit zu huldigen, die das Markenzeichen dieser Regierung ist,
({9})
läßt sich an einem Beispiel aus dem Einzelplan belegen. Für die Erforschung von Rechtstatsachen, also für die Analyse der Lebenssachverhalte, in die wir als Gesetzgeber hineinwirken sollen, hat der Haushalt in den letzten Jahren jeweils 600 000 DM vorgesehen; ein minimaler Betrag, wenn man an die vielfältigen kürzer- und längerfristigen Gesetzesvorhaben denkt. Aber noch nicht einmal dieser geringe Kostenansatz ist ausgenützt worden. Der Herr Bundesminister meint - so hat es den Anschein -, daß Tatsachen seinen legislatorischen Vorhaben nur hinderlich sein können.
Ein schönes Beispiel hierfür ist die überfällige Reform des Insolvenzrechts. Sie kommt nicht voran, weil das Justizministerium die Hinzuziehung von unabhängigen Experten aus der Praxis und der Wissenschaft und die Verwertung ihrer Erkenntnisse scheut.
Dasselbe Schauspiel erleben wir in noch traurigerer Weise beim Scheidungsfolgenrecht. Entgegen allen Rechtstatsachen, entgegen der Überzeugung aller Sachverständigen, insbesondere auch der Richter, läßt der Justizminister offenbar nicht von den Plänen ab, dem Verschuldensprinzip durch Hintertüren wieder Eingang zu verschaffen, zu Lasten vor allem der Frauen und der Kinder aus geschiedenen Ehen.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion kann dem Haushalt der Justiz aus diesen Gründen nicht zustimmen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Deres.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die außergewöhnlich große Ehre, heute erstmalig als Berichterstatter für den Haushalt 07 und für die Justizpolitik der Bundesregierung zu sprechen.
({0})
- Herr Diederich, ich hatte mit Frau Zutt vereinbart, daß wir uns gegenseitig nicht stören. Halten Sie sich bitte an unser charmantes Abkommen.
({1})
Nach den Beratungen im Haushaltsausschuß sind die Gesamtausgaben der Bundesjustiz mit 385,8 Millionen DM und die Gesamteinnahmen mit 226,2 Millionen DM veranschlagt. Damit ist der Ju13576
stizhaushalt wirklich einer der kleinsten. Sein Anteil am Gesamthaushalt beträgt nur 0,15%. Ich möchte nicht auf Promille gehen; denn da hat man ja so seine Erfahrungen, besonders wenn man aus einem Weinbaugebiet kommt.
Daß die Arbeit der Gerichte und Behörden dieses Bereiches nicht den Einsatz bedeutender Finanzmittel erfordert - wozu auch die traditionelle Sparsamkeit der Justiz beiträgt -, schmälert jedoch keineswegs deren Bedeutung.
({2})
Mehr als andere ist der Justizhaushalt eben ein reiner Verwaltungshaushalt, was sich daran zeigt, daß Personal- und direkt personalabhängige Kosten bereits über 90 % seines Gesamtvolumens ausmachen. Größere Beschaffungen und Baumaßnahmen fallen nur gelegentlich an. So wird aber in den nächsten Jahren ein Erweiterungsbau für den Bundesgerichtshof errichtet werden müssen, um die dort seit Jahren bestehende Raumnot zu lindern.
Wir begrüßen es, daß darüber hinaus im Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz in erheblichem Umfang Investitionen für die Zukunft getätigt werden. Lassen Sie mich auf zwei Beispiele eingehen. Zum einen handelt es sich um das bekannte System JURIS, das seit 1974 im Bundesministerium der Justiz aufgebaut worden ist. Dieses zukunftsorientierte System wird demnächst jedem Interessenten zur entgeltlichen Benutzung offenstehen. In seinen Datenbanken, die ständig weiter ausgebaut werden, sind bereits über 550 000 Dokumente gespeichert. Damit ist JURIS das mit Abstand größte deutschsprachige Auskunftssystem seiner Art und eines der größten in Europa. Der Aufbau von JURIS war nicht billig; etwa 100 Millionen DM hat der Bund in den elf Jahren für die Entwicklung dieses Systems ausgegeben. Diese hohen Kosten sind jedoch gerechtfertigt, denn mit JURIS wurde ein Instrument geschaffen, mit dem die auch im Recht ständig wachsende Informationsflut besser bewältigt werden kann.
JURIS soll dazu beitragen, die Rechtssicherheit sowie die Berechenbarkeit der Rechtsordnung zu erhöhen und damit zugleich Entscheidungsprozesse in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zu verbessern und zu beschleunigen. In diesem Sinn ist es auch ein wesentlicher Beitrag zur Rechtspolitik.
({3})
Wie sieht nun, nachdem die Aufbauphase beendet ist, die Zukunft von JURIS aus? Ein marktorientiertes Dienstleistungsunternehmen, wie es JURIS sein soll, kann nicht im Bundesministerium der Justiz verbleiben. Das Bundeskabinett hat bereits im Juli vorigen Jahres beschlossen, JURIS auszugliedern und als privatrechtliches Unternehmen weiterzuführen. Das Projekt konnte gerade auch im Rahmen der diesjährigen Haushaltsverhandlungen ein gutes Stück vorangebracht werden. So ist es gelungen, die durch die Ausgliederung entstehenden Stellenprobleme befriedigend zu lösen. Dies gilt insbesondere für die Dokumentation, also einen der Kernbereiche des Informationssystems. Wir haben mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß inzwischen die JURIS-GmbH gegründet ist und ihre Arbeit - demnächst an ihrem neuen Standort Saarbrücken - aufnehmen kann. Zunächst ist der Bund alleiniger Gesellschafter. Dies stellt aber nur eine Übergangslösung dar; so bald wie möglich sollen private Gesellschafter hinzutreten. Allerdings bleibt der Einfluß des Bundes erhalten. Nachdem die Voraussetzungen für den Start des Unternehmens geschaffen sind, erwarten wir, daß die Gesellschaft in absehbarer Zeit auch finanziell auf eigenen Füßen stehen wird und sich die Investitionen des Bundes als lohnend erweisen.
Auch in einem anderen Bereich des Einzelplans 07 werden erhebliche, in die Zukunft weisende Investitionen vorbereitet: Es handelt sich um das Deutsche Patentamt, das nach wie vor eines der größten und leistungsfähigsten Patentämter der Welt ist.
Nach der Eröffnung des Europäischen Patentamtes in München sind zwar beim Deutschen Patentamt erwartungsgemäß die aus dem Ausland stammenden Patentanmeldungen stark zurückgegangen; doch hält sich dieser Rückgang im Vergleich zu den Patentämtern anderer Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens durchaus in Grenzen.
Die Zahl der aus dem Inland stammenden beim Deutschen Patentamt eingereichten nationalen Patentanmeldungen ist darüber hinaus bemerkenswert stabil geblieben. Für die letzten Jahre ist sogar eine deutlich steigende Tendenz festzustellen. Dies ist ein eindeutiger Beweis nicht nur für die Innovationsfähigkeit und die unverändert starken erfinderischen Aktivitäten in der deutschen Industrie, sondern zugleich für die unverminderte Anziehungskraft auch des nationalen Patentwesens vor allem für kleine und mittlere Unternehmen und selbständige Erfinder.
Wir haben mit besonderer Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß inzwischen auch die durchschnittliche Dauer der Patenterteilungsverfahren wieder deutlich vermindert werden konnte.
Dem Patentwesen kommt im Rahmen einer auf Förderung von Innovation und Technologietransfer ausgerichteten Politik ein hoher Stellenwert zu. Wir unterstützen deshalb mit Nachdruck die Maßnahmen der Bundesregierung, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der Schutz des gewerblichen Eigentums verstärkt und die Leistungsfähigkeit des Deutschen Patentamtes beibehalten und weiter ausgebaut werden kann.
Das Amt, das die Ergebnisse moderner Spitzentechnologie auf ihre Patentwürdigkeit überprüft, muß über entsprechende Arbeitsmittel verfügen. Größtes Problem aller Patentämter ist es, die immensen Bestände an technischen Informationen, die in Patentdokumenten enthalten sind, aufzuarbeiten. Hierzu setzen andere große Patentämter, etwa das der USA oder Japans, aber auch das Europäische Patentamt, in zunehmendem Maß unter Verwendung erheblicher Mittel die elektronische Datenverarbeitung ein. Es ist deshalb unverzichtbar, daß das Deutsche Amt hier nicht den Anschluß
an eine internationale Entwicklung verliert. Das Amt will deshalb eine Patentdatenbank aufbauen, in der die bisher noch in Papierform vorhandenen Patentschriften in digitalisierter Form gespeichert werden. Sie werden damit den Prüfern des Deutschen Patentamtes, aber auch der deutschen Industrie und einer breiteren interessierten Öffentlichkeit abrufbereit zur Verfügung stehen. Dies eröffnet eine neue Dimension der Transparenz des technischen Wissens und des Zugangs zur modernen Technologie.
Der Aufbau der Patentdatenbank wird Jahre in Anspruch nehmen und erhebliche Kosten verursachen. Es ist jedoch davon auszugehen, daß diese - wie bisher üblich - aus dem Gebührenaufkommen des Deutschen Patentamtes zu erwirtschaften sein werden. Im Haushalt 1986 wurde ein Betrag von 800 000 DM für eine erste Projektbeschreibung durch eine Beratungsfirma ausgebracht. Damit ist ein erster Schritt getan, um dieses Projekt in Angriff zu nehmen.
Nicht unter den Scheffel stellen sollten wir die bemerkenswerte Tatsache, daß das chinesische Patentamt unter Anleitung unseres Patentamtes aufgebaut wird. Es findet ein reger Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen chinesischen und deutschen Fachleuten, zwischen München und Peking statt. Unser Patentamt bzw. seine Mitarbeiter haben einen erheblichen Anteil am Aufbau des chinesischen Patentrechts.
Und nun einige Bemerkungen zur Rechtspolitik der Bundesregierung: Hier ist festzustellen, daß bereits Entscheidendes geleistet worden ist und darüber hinaus wesentliche Vorhaben so auf den Weg gebracht worden sind, daß sie noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden können.
Von den bereits erledigten Vorhaben möchte ich nur die wichtigsten nennen, zu denen ich die Neuordnung der Justizausbildung, das Gesetz über die Behandlung des Sozialplans im Konkurs- und Vergleichsverfahren, die Novelle zum Urheberrecht, die Entlastung des Bundesfinanzhofes durch eine befristete Aussetzung der Streitwertrevision zugunsten der Grundsatzrevision, die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte für technische Großvorhaben und das neue Demonstrationsstrafrecht rechne. Dieser Katalog umfaßt bereits den größten Teil der Vorhaben, die Inhalt der Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU, CSU und FDP sind.
Naturgemäß beschränkt sich aber die Rechtspolitik der Bundesregierung nicht auf die Verwirklichung der Koalitionsvereinbarung. Vielmehr war und ist sie in besonderem Maße darum bemüht, auch den aktuellen rechtspolitischen Handlungsbedarf zu befriedigen. Dies möchte ich an drei Beispielen erläutern, und zwar an der Novelle zum Urheberrecht, der Umsetzung der Bilanzrichtlinienverordnung der EG und den gerichtlichen Verfahrensordnungen.
Im Bereich des Urheberrechts hatte die technische Entwicklung dazu geführt, daß der Schutz des geistigen Eigentums und die gebotene wirtschaftliche Beteiligung des Urhebers an der Nutzung seiner Werke nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet waren. Eine entsprechende Neuregelung des Urheberrechts war deswegen überfällig. Sie ist seit Juni dieses Jahres in Kraft und sieht u. a. eine Vergütung für das Fotokopieren sowie Bild- und Tonaufzeichnungen geschützter Werke vor und führt den vollen Urheberrechtsschutz für Lichtbildwerke ein. Mit der Realisierung dieses Vorhabens hat die Bundesregierung einen wichtigen Schritt zur Verbesserung des Urheberrechts getan, mit dem sie im internationalen Vergleich sehr gut - um nicht zu sagen: beispielhaft - dasteht.
Von der Entlastung des Bundesfinanzhofes, die ich soeben erwähnt habe, ist es nur ein Schritt zu den weiteren Vorhaben, die einer Verbesserung der gerichtlichen Verfahren dienen und eine effizientere Rechtsgewährung gewährleisten sollen. Hierzu gehört die Novelle zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, die wir bereits in zweiter und dritter Lesung beraten haben. Zu nennen sind ferner das Strafrechtsänderungsgesetz 1984, die Novelle zum Ordnungswidrigkeitenrecht, die Verwaltungsprozeßordnung und die Novelle zur Zivilprozeßordnung. Diese Vorlagen liegen dem Rechtsausschuß vor.
({4})
- Ich höre die Glocke und sehe auch dauernd das rote Licht aufleuchten. Frau Präsidentin, ich breche ab und schließe mit dem Satz: Wir danken dem Bundesjustizminister, Herrn Engelhard, und seinen Mitarbeitern für die geleistete Arbeit. Und da ich schon dabei bin, darf ich auch gleich den Berichterstattern für die gute Zusammenarbeit danken.
Wir stimmen dem Einzelplan 07, aber auch dem Einzelplan 19 zu.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
({0})
Sie gestatten, daß ich von meinem Platz aus spreche, Frau Präsidentin?
Sie haben die freie Wahl.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte hier heute keinen Haushaltsbeitrag im engeren Sinne leisten, wie das die beiden Kollegen vor mir getan haben, sondern ich möchte zu der Rechtspolitik der Bundesregierung Stellung nehmen.
Nach gut zweieinhalbjähriger Regierungsverantwortung lautet unser hartes, aber gerechtes Urteil:
({0})
Die sogenannte christlich-liberale Bundesregierung
ist rechtspolitisch ohne Perspektive und - gemes
sen an demokratischen, freiheitlichen und sozialen
Maßstäben -, um einen Begriff aus der Sprache von Haushalt und Geld zu verwenden, bankrott.
({1})
Sie ist ein Sicherheitsrisiko für den freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat. Das für den inneren Frieden unserer Republik bedrohliche Versagen der Regierungsparteien wird im wesentlichen auf drei Ebenen sichtbar.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Im Moment noch nicht, Herr Kollege Kleinert.
Erstens. Die Rechtspolitik der Regierung ist bereits nach ihren eigenen Maßstäben gescheitert. Die Regierung ist angetreten mit dem Versprechen, das Rechtsbewußtsein
({0})
- hören Sie gut zu - der Bürger zu stärken und Gesetz und Recht vor allen Dingen ausgerichtet an Kontinuität, Sachbezogenheit und Zuverlässigkeit einfacher und durchschaubarer zu gestalten.
({1})
Wie noch keine Bundesregierung zuvor gehen die Mitlgieder des Kabinetts Kohl mit schlechtem Beispiel bei der Beachtung von Gesetz und Recht voran.
({2})
Beispielhaft sei an die Flick-Affäre und die Skandale um die Minister Schwarz-Schilling und Wörner sowie Staatssekretär Boenisch erinnert. An der Spitze der Bundesregierung steht ein Zeuge, der sich in der öffentlichen Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses am 7. November 1984 unter anderem wie folgt einließ. Es ging um Barzahlungen des Herrn von Brauchitsch für den Flick-Konzern unmittelbar an den Bundeskanzler. Und mein Kollege Schily wies den Bundeskanzler darauf hin, daß er eine Verpflichtung habe, nach dem Grundgesetz und nach dem Parteiengesetz Spenden über 20 000 DM als Parteivorsitzender im Rechenschaftsbericht der CDU anzugeben. Ich zitiere zunächst meinen Kollegen Schily
({3})
- hören Sie zu -:
Darf ich dann Ihre Antwort so verstehen, Herr Zeuge, daß Sie bewußt gegen diesen Verfassungsartikel verstoßen haben?
Der Bundeskanzler antwortet - ich zitiere -:
Aber wahr ist, daß bewußt alle demokratischen Parteien, das heißt der Kollege Brandt, der Kollege Scheel, der Kollege Genscher, in den fraglichen Zeitabschnitten der Kollege Strauß und auch ich und alle unsere Schatzmeister in diesem Punkt einen Verstoß begangen haben. Das ist wahr.
So weit der geständige Bundeskanzler, geständig des Verfassungs- und Rechtsbruchs. Das also ist das Kennzeichen der moralischen Erneuerung der Wende-Regierung.
({4})
Wen wundert da noch die flagrante Aufforderung zum Gesetzesbruch im Zusammenhang mit der Nichteinhaltung des Tempolimits auf Versuchsstrecken.
Die Kontinuität Engelhardscher Rechtspolitik ist gekennzeichnet durch ein Zurück in die 50er Jahre oder sogar in das 19. Jahrhundert, wie das vor der abschließenden Beratung stehende Unterhaltsrecht, das Demonstrationsrecht und die Reform der Juristenausbildung beispielhaft zeigen.
({5})
- Das war eine sogenannte Reform, Herr Kollege Emmerlich, Sie haben völlig recht.
Zweitens. Die Art und Weise, wie die sogenannte liberal-christliche Koalition ihre Gesetze zum Teil regelrecht durchpeitscht, offenbart eine besorgniserregende Nichtachtung des Parlaments. Im Hauruckverfahren, koalitionsintern und mit dem Segen der Münchener Nebenregierung ausgehandelte Formelkompromisse machen die Rechtspolitik der gegenwärtigen Regierung zu einem Sicherheitsrisiko für den freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat.
({6})
Herr Pfeffermann, nicht solche Ausdrücke!
({0})
Ich nenne die Lex Wackersdorf, ich nenne das Demonstrationsstrafrecht vom Juni 1985 und ich erwähne das 21. Strafrechtsänderungsgesetz hinsichtlich der Auschwitz-Lüge, das der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Leonardi als gekennzeichnet von einer widerlichen Aufrechnungsmentalität zu Recht bezeichnet hat.
Drittens, und das ist der entscheidende Beurteilungsmaßstab, meine Damen, meine Herren. Getragen von einem autoritären Staatsverständnis, das wirklich liberalen Rechtspolitikern die Scham- und Zornesröte ins Gesicht treiben muß,
({0})
werden Bürgerrechte abgebaut, ab und an mit
einem scheinliberalen Mäntelchen dekoriert,
wie beim Kontaktsperregesetz, das der Kollege Mischnick am Dienstag voller Stolz erwähnt hat.
({1})
Beispielhaft erwähne ich noch einmal die Lex Wakkersdorf, das Sonderrecht für technische Großanlagen in der Verwaltungsgerichtsordnung, das strafrechtliche Vermummungsverbot für Demonstranten - und jetzt hören Sie gut zu, da können Sie ja noch Besserung bewirken, Herr Kollege Kleinert, Herr Kollege Hirsch, der nicht anwesend ist, und vielleicht auch Herr Kollege Baum, den man zutreffenderweise Feigen-Baum nennen sollte -, die geplanten Gesetze zur informationellen Selbstbestimmung, nein, zur informationellen Selbstbedienung, maschinenlesbarer Personalausweis, ZEVIS, Gesetze für Polizei, Bundesgrenzschutz, Verfassungsschutz und MAD.
Ausgelöst von vermeintlichen technischen Sachzwängen, werden die Konturen eines kafkaesken Überwachungsstaates immer deutlicher sichtbar. Wie sehr sich die Sicherheitsbürokratien der Nachrichtendienste inzwischen verselbständigt und einer demokratischen Kontrolle entzogen haben, ist in den letzten Wochen schlaglichtartig durch den Skandal der von Vertretern der Industrie finanzierten Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes bei der Beauftragung der Detektei Mauss sichtbar geworden.
({2})
Einer solchen die Bürgerrechte und den demokratischen Rechtsstaat an seinen Wurzeln gefährdenden Rechts- und Innenpolitik versuchen wir GRÜNEN eine demokratische und ökologische Alternative entgegenzusetzen.
({3})
- Ja, wir sind bescheiden, Herr Kollege Dr. Stark. Das steht im Gegensatz zu Ihrer Selbstbeweihräucherung, die wir hier seit drei Tagen ertragen müssen.
Es ist notwendig, durch eine qualitativ neue Rechtspolitik den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu verbessern und gleichermaßen die Bürgerrechte zu stärken. Deshalb fordern wir die Einführung eines Grundrechts auf Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen,
({4})
die Verbandsklage für Natur- und Umweltschutzverbände - für die FDP, wenn sie es mit ihrem Programm ernst meinen würde, sicherlich ein interessanter Vorschlag, Herr Kollege Kleinert, Herr Kollege Beckmann - sowie für jedefrau und jedermann ein Recht auf Einsicht in Umweltakten.
({5})
In Sonntagsreden oder auch in dieser Haushaltsdebatte betonen Politiker aller Parteien immer wieder ihren Friedenswillen. Wir GRÜNEN fordern, daß endlich mit der in unserem Grundgesetz niedergelegten Friedensstaatlichkeit Ernst gemacht wird. Ungeachtet der gegenwärtigen Genfer Gipfeleuphorie ist die Militarisierung unseres Alltagslebens im Jahre 1985 traurige Wirklichkeit: die verfassungsrechtlich außerordentlich zweifelhafte Einschränkung des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung, nahezu flächendeckende Tiefflüge mit Eingriffen in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, die verfassungs- und völkerrechtlich zumindest außerordentlich zweifelhafte Stationierung immer weiterer Massenvernichtungswaffen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland, die Kriminalisierung von Tausenden von bisher nicht bestraften friedlich und gewaltfrei demonstrierenden Mitgliedern der Friedensbewegung, die zunehmende Inanspruchnahme unseres immer knapper werdenden natürlichen Lebensraums für militärische Planungen nach Rechtsvorschriften zum Teil aus der Zeit des NS-Faschismus - ich meine das Landbeschaffungsgesetz - und die Planungen für einen selbstmörderischen, auf Kriegsführungsstrategien beruhenden Zivilschutz - Herr Kollege Nöbel hat das heute nachmittag während der Debatte des Haushalts des Innenministers richtigerweise erwähnt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stark?
Nein, ich möchte meinen Beitrag im Zusammenhang beenden.
Die Verwirklichung der Friedensstaatlichkeit könnte durch die von den GRÜNEN seit zwei Jahren geforderte Ratifizierung der Genfer Zusatzprotokolle bewirkt werden.
({0})
Das wäre auch ein Beitrag zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts.
Wir fordern weiter die verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch gebotene Anerkennung der Gewissensentscheidung der Kriegsdienstverweigerer, die Übertragung der Aufgabe der Wehrstrafgerichte auf die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Aufhebung des Landbeschaffungsgesetzes mit der undemokratischen Privilegierung militärischer Planungen gegenüber zivilen und ökologischen Bedürfnissen, um nur einige unserer grünen Initiativen zu nennen.
Schließlich, meine Damen und Herren, ist eine demokratische Rechtspolitik untrennbar mit dem Schutz von Minderheiten verbunden. Das müßte eigentlich auch für die FDP eine Verpflichtung sein. Ich verweise insofern beispielhaft auf unsere Initiativen für ein gesichertes Niederlassungsrecht für unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, auf unseren Gesetzentwurf zur Harmonisierung des Asylverfahrensrechts mit dem Auslieferungsrecht und auf unsere Vorschläge für eine Verbesserung der Rechtsstellung von Strafgefangenen und ein Zurückdrängen der unmenschlichen Freiheitsstrafe.
Ich appelliere an die Vertreter aller Fraktionen, sich rational und ohne Vorurteile mit der Absurdität der Freiheitsstrafe bei Jugendlichen auseinanderzusetzen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist schon überschritten!
Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin.
Nein, wenn Sie bitte Ihre Rede beenden würden! Also wirklich nur noch einen Satz, nicht mehr das ganze Papier, das ich da noch sehe!
Nur mit den GRÜNEN wird eine wirkliche Wende in der Rechtspolitik durchzusetzen sein. Die Zeit ist überreif für eine ökologische und demokratische Rechtspolitik, für ein Mehr an Demokratie in einer ökologischen und von Solidarität geprägten Gesellschaft.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe eben - das will ich auf den Zwischenruf hin einmal sagen - am Beispiel von Herrn Mann gesehen, daß man unsere Auflockerungen des Verfahrens auch mißverstehen, und zwar gefährlich mißverstehen kann. Er hat sich im mehrfachen Sinne des Worts unglaublich verrenkt, weil er für seine Darlegungen das Saalmikrofon gewählt hat. Er hat völlig verkannt, daß wir das Saalmikrofon als einen Ort des Sprechens nicht deshalb zulassen wollten, damit Sie die Lampen am Schluß nicht aufleuchten sehen und nicht wissen, wann Ihre Zeit um ist, sondern damit Sie davon abgehalten werden, Manuskripte zu verlesen und damit die Wirkung Ihrer Ausführungen noch über den Inhalt hinaus zu beeinträchtigen.
({0})
Es wird ja an unseren Geschäftsordnungsregeln manches mißverstanden. Ich finde es z. B. sehr gut und habe Respekt vor der Entscheidung der großen Fraktionen, bei diesen Gelegenheiten die Berichterstatter, die die Mühe und Last der Arbeit im Haushaltsausschuß haben, hier dann auch zu Wort kommen zu lassen und die Sache nicht wieder in eine reine Fachdebatte ausmünden zu lassen. Das finde ich sehr gut.
Das hat allerdings, wie wir an den Ausführungen der Frau Kollegin Zutt sehen konnten, auch gewisse Nachteile.
({1})
Der Haushaltsteil war geradezu hervorragend. Ich unterschreibe jedes Wort voll Dankbarkeit. Der Bundesminister der Justiz wird das sicherlich auch tun. Ihre Ausführungen zur Sparsamkeit des Haushalts, zu der Tatsache, daß man im Sinne einer wohlverstandenen Rechtspflege sogar etwas mehr ausgeben könnte, daß das alles hoch in Ordnung ist,
daß ein so wichtiger Bereich mit so wenig Mitteln gefahren werden kann, waren ganz fabelhaft.
Aber anschließend haben Sie sich verleiten lassen, nun doch Ihrerseits in die Sachdebatte einzusteigen, und das führt zu gewissen Schwierigkeiten, einfach mangels Einblicks in die Verhältnisse.
Ich möchte heute als erstes - das hatte ich mir ohnehin vorgenommen - die Gelegenheit benutzen, nicht nur dem Bundesjustizminister und allen seinen Mitarbeitern für das, was sie geleistet haben, sondern insbesondere - natürlich nicht ohne Eigennutz - für die gute Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Rechtsausschusses, und zwar, wenn ich das richtig sehe, mit allen Mitgliedern des Rechtsausschusses, zu danken.
({2})
Ich wollte diesen Dank auch an die Kollegen von der SPD und - Sie werden es nicht glauben, Herr Mann - von den GRÜNEN richten, genauso wie an unsere Koalitionspartner, mit dem wir naturgemäß etwas mehr zu tun haben als mit Ihnen, weil wir es ja schließlich irgendwie machen müssen. Ich wollte Ihnen allen herzlich danken für die gute Zusammenarbeit.
Herr Mann, Sie sind infolge der Regeln, die Sie in Ihrer sogenannten Partei für richtig halten, erst seit kurzem bei uns. Sie bringen sich mutwillig um Erfahrungen, die nützlich sein könnten. Aber das ist nun wirklich nicht unser Problem. Sie wüßten sonst genauso wie die Kollegen von der SPD, daß uns Kollegen aus anderen Ausschüssen, die einmal in den Rechtsausschuß kommen, ganz spontan und unvermittelt ansprechen und sagen: Sagen Sie mal, das ist aber ein seltsamer Ton, die entschuldigen sich immer, wenn sie eine andere Meinung äußern, sie reden sich alle so höflich an, und da gibt es auch keinen Streit. Darüber staunen die Kollegen. Dies lasse ich mir auch durch eine solche Debatte wie heute oder durch gelegentliche flegelhafte Angriffe von irgendeiner Seite überhaupt nicht nehmen,
({3})
sondern das wollen wir auch weiterhin nicht nur im Interesse unser aller Lebensqualität - das wäre das Geringere -, sondern insbesondere im Interesse der Sache, der wir gemeinsam dienen müssen, nämlich der Gesetzgebung und der Rechtspflege in diesem Lande, so beibehalten. Deshalb halten wir daran fest.
Und nun kommen Angriffe - ich kann ja nur sagen: ausgerechnet - auf den Bundesminister der Justiz, meinen Freund Hans Engelhard, den ich seit 1953 aus dem Liberalen Studentenbund kenne, als wir noch mit Thomas Dehler, Frau Zutt, des öfteren diskutiert haben. Er stand damals immer etwas links von Herrn Dehler. Das war aber jugendbedingt.
({4})
Inzwischen hat er sich durchaus in etwa auf den Punkt begeben, auf dem damals Herr Dehler stand. Wenn Sie sich übrigens näher mit Herrn Dehler und seinen Reden und den daraus sich ergebenden
Kleinert ({5})
Standpunkten befaßten, würden Sie feststellen, daß er in einer Reihe von Fragen erheblich rechts sowohl von Herrn Engelhard wie von mir und anderen Freunden unserer Fraktion gestanden hat. Er hat sowohl in Fragen unserer Nation wie in Fragen unserer Wirtschaftspolitik, wie sehr alte Mitglieder des Hauses - von der Mitgliedschaft her gesehen, versteht sich - deutlich wissen, sehr eigene Ansichten gehabt. Manche Leute haben gesagt: „Herr Engelhard als Bundesjustizminister, diese ungewöhnliche Ruhe, die er ausstrahlt",
({6})
und haben ihm diese Ruhe am Anfang als Langsamkeit vorwerfen zu müssen geglaubt. Ich kenne den Spruch von einem Pfeifenraucher im Kabinett, der mal gesagt hat, er könne seine Pfeife rauchen, bevor der andere sie gestopft hat.
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Ich möchte nur, daß derjenige, der das mal meinte sagen zu müssen, so mit seinen Gesetzen nicht nur ruhig, sondern hinterher auch erfolgreich und sachlich richtig übergekommen wäre wie derjenige, dem ich hier von Herzen dafür danke, daß er sich von keinerlei Hektik in einer so wichtigen Frage wie der Rechtspolitik hat beeindrucken lassen,
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sondern lieber, um solchen unberechtigten Vorwürfen, wie sie hier eben erhoben worden sind, zu begegnen, noch einmal eine Anhörung durch uns veranlaßt hat oder noch ein weiteres Koalitionsgespräch geführt hat oder noch einmal die Ergebnisse der Anhörung zu dem zitierten Ehescheidungsfolgenrecht weiterdiskustiert hat, bis wir uns einig geworden sind und bis die Verbände, insbesondere der betroffenen Berechtigten, also im wesentlichen der Frauen,
({9})
schließlich - und auch das, Frau Zutt, dürfte an Ihnen vorbeigegangen sein, wie der letzte Absatz Ihrer Rede zeigt - gesagt haben: Jetzt sind wir mit der Sache einig. Das ist das Vernünftigste, das man in einer so schwierigen Lage zustandebringen kann. Das kann man aber nicht mit Hektik und Ruckzuckverfahren, sondern nur durch diese eiserne, ruhige Beharrlichkeit, die allerdings der Rechtspolitik hier sehr zugute kommt und deshalb eine Gabe ist, für die wir bei diesem Bundesjustizminister in besonderem Maße dankbar sind.
({10})
Deshalb gehen Ihre Vorwürfe gerade gegen diese Persönlichkeit auf ungewöhnliche Weise fehl, sowohl im politischen wie im persönlichen Bereich.
({11})
- Sie von den GRÜNEN haben keine Sachfragen, sondern lediglich einige Unterstellungen vorgetragen, wofür ich Verständnis habe, weil z. B. Herr Kollege Mann von der Hektik im Beratungsgang, über die er sich beklagt hat, deshalb nicht betroffen sein konnte, weil er zu dieser Zeit anderen Aufgaben
nachgehen mußte, wofür ich auch volles Verständnis habe.
({12})
Da Sie deshalb zur Sache nichts Wesentliches beitragen konnten, benutze ich die letzte Minute, um noch einmal etwas zum Wesen der Haushaltsdebatte zu sagen.
Ich bin schon dafür, daß es bei dem ersten, von mir zu Recht belobigten Teil der Rede von Frau Zutt geblieben wäre - bei anderen Haushalten auch -, daß hier mal die Zahlen auf den Tisch kommen und man eine vernünftige Generaldebatte zu einer Einzelfrage der Gesetzgebung aus einem Sachbereich so veranstaltet, daß sie auch einen gewissen Widerhall in der Öffentlichkeit finden kann, statt sie auch noch unterzubringen in der Überfütterung der Bürger und Medien in diesen vier Tagen mit sämtlichen Fragen, die in einer Regierung behandelt werden müssen. Das ist eine Zumutung an die Bürger. Es ist eine Zumutung an die Presse, und es ist eine Zumutung an alle, die in dieser Sache jahrelang arbeiten, bei so wenig Unterhaltungswert, wie ihn die Rechtspolitik normalerweise hat,
({13})
und völlig unbeachtet bleiben, dann auch noch abends um halb acht eingequetscht zu werden, um etwa in dem Sinne, wie es Ihnen vorzuschweben scheint, in zehn Minuten die paar Sachfragen, die unsere Rechtspolitik zu behandeln hat, abschließend zu klären. So einen Versuch machen wir eben nicht, sondern wir benutzen die Gelegenheit, uns entsprechend dem Wesen der Haushaltsdebatte mit den Zahlen, soweit erforderlich - das war nach den Reden der Vorgänger nicht mehr notwendig; ich habe den Beteiligten zu danken -,
({14})
und mit den Persönlichkeiten, die, wie ich einleitend darlegen konnte, auf sehr unterschiedliche Weise handeln, zu befassen, und wir benutzen dann die nächste Gelegenheit dazu, um - allerdings mit der gebotenen Gründlichkeit und Sachlichkeit - zu einer Reihe von Fragen, die die Rechtspolitik betreffen, wieder Stellung zu nehmen. Ich hoffe, Sie auch bei dieser Gelegenheit hier begrüßen zu können.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Handlos.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann natürlich nicht mit einem so humorvollen Beitrag aufwarten wie der Kollege Kleinert. Ich hoffe aber trotzdem, daß Sie mir einige Minuten zuhören.
Ich möchte im Zusammenhang mit dem Justizetat auf einen Übelstand hinweisen, der in der Öf13582
fentlichkeit weitgehend bekannt ist und dem wir als Abgeordnete immer wieder begegnen, dem aber bisher nicht abgeholfen wurde. Ich meine die schweren Personenschäden aus Verkehrsunfällen und ihre Regulierung durch Haftpflichtversicherer.
Ich möchte darüber hinaus zur Effektivität des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen in Berlin etwas sagen.
Die Rechtsschutzfunktion der Gerichte gegenüber der Schadensersatzpraxis der Haftpflichtversicherer ist nur noch bedingt gegeben. Bei jahrelangen Prozessen zwischen Versicherungskonzernen und dem einzelnen hat dieser keine Chance. Er muß zermürbt aufgeben. Hier ist langsam eine graue Zone der faktischen Rechtslosigkeit entstanden, weil der einzelne Versicherungsnehmer eben auf das eingehen muß, was ihm der Konzern anbietet. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, dessen wir uns alle annehmen müssen, ganz gleich von welchen Fraktionen wir sind oder welche Auffassungen wir vertreten.
({0})
Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen kann Beschwerden von Unfallopfern nur daraufhin überprüfen, ob das Versicherungsunternehmen bei der angebotenen Regelung allgemeine Grundsätze des Schadensersatzrechts beachtet hat, nicht jedoch die in fast allen Fällen wirklich relevante Frage der Angemessenheit der Höhe des angebotenen Schadensersatzes. Daher ruft der erfahrene Anwalt das Bundesaufsichtsamt nicht oder nicht mehr an, weil es keinerlei Sinn hat. Daher hat die Beschwerdestatistik des Bundesaufsichtsamtes keinen Aussagewert über die Praxis der Schadensregulierung durch die Haftpflichtversicherer.
Solange das Bundesaufsichtsamt keine echten Kompetenzen zur Überprüfung der Regulierungspraxis hat, befindet sich das Unfallopfer oft in einer ausweglosen Situation, nämlich die angebotene Abfindung anzunehmen oder leer auszugehen.
Lassen Sie mich ganz kurz zwei Beispiele nennen aus meiner Tätigkeit als Abgeordneter: 1977 verunglückte ein 37 Jahre alter Arbeiter mit einem Nettoeinkommen von 1 800 DM im Monat tödlich. Erst 1980 sollten auf den Unterhaltsschaden der Witwe 10 500 DM gewährt werden,
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der künftige Schaden der Witwe, die 36 Jahre alt und arbeitslos war, sollte mit 50 000 DM abgefunden werden. Wir konnten 1985 über das Abgeordnetenbüro in Verhandlungen eine Abfindung von 180 000 DM erzielen. Hätte diese Frau nicht die Unterstützung eines Abgeordnetenbüros gehabt, wäre sie mit 50 000 DM abgefunden worden.
Ähnliche Fälle kann ich Ihnen im Detail aufzählen. Wir haben mehr als genug Praxis in diesen Fällen. Ich kann nur noch einmal sagen: Hier muß sich dringend etwas ändern.
Nur ein anderes Beispiel. 1979 sind die Eltern eines Kleinkindes verunglückt. Die Versicherung hat lediglich 280 DM monatlich Schadensersatz für den Ausfall von Barunterhalt und für ausgefallene Pflege angeboten. 280 DM im Monat! Auch in diesem Fall konnten zum Schluß 120 000 DM erzielt werden.
Ich sage noch einmal: Hier ist eine Grauzone, die das Parlament in irgendeiner Form bereinigen muß.
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- Jawohl. - Meines Erachtens ist hier der Gesetzgeber gefordert - ich habe in dieser Frage erst vor kurzem mit dem Bundesjustizminister gesprochen -, um Unfallopfern zu ihrem Recht zu verhelfen.
Unfallopfer, meine Damen und Herren, erleiden ihr Schicksal allein. Sie können ihre Lage und ihr Anliegen nicht zum Politikum machen, weil sie keine Lobby haben. Diesem Personenkreis muß geholfen werden, entweder durch eine gesetzliche Änderung der bestehenden Bestimmungen oder dadurch, daß das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen in Berlin echte Kompetenzen erhält.
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Ist das nicht der Fall, ist diese Behörde überflüssig, weil sie nicht hält, was sich der einzelne Versicherungsnehmer von ihr verspricht.
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Ich wäre deshalb dankbar - auch für die Freiheitliche Volkspartei -, wenn im Bundesjustizministerium, Herr Bundesjustizminister, eine entsprechende Lösung überlegt werden könnte.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann auch in diesem Jahr wieder zunächst den Mitgliedern des Haushaltsausschusses danken, speziell den Berichterstattern für unseren Etat, Frau Kollegin Zutt und Herrn Kollegen Deres. Dieser Dank ist nicht nur so routinemäßig erstattet, sondern ich meine es sehr ernst. Ich darf an dieser Stelle auch erwähnen, daß wir vom Bundesminister der Finanzen und seinen Mitarbeitern mit unseren berechtigten und durchaus maßvollen Wünschen sehr ernst genommen worden sind.
Ich bin dankbar, daß die beiden Berichterstatter hier heute eine ganze Reihe wichtiger Anmerkungen zu dem betragsmäßig kleinen, in der Sache aber wichtigen Haushalt gemacht haben. So ist es eine gute Sache, wenn im Rahmen der Haushaltsberatungen einmal die neue JURIS-GmbH eine einBundesminister Engelhard
gehende Würdigung erfährt und wenn einiges zum Deutschen Patentamt mit der geplanten Patentdatenbank gesagt wird, weil alle diese Dinge in der politischen Auseinandersetzung einer solchen Haushaltswoche nur zu leicht unterzugehen pflegen. Mir ist damit abgenommen, dies alles hier erneut im einzelnen vortragen zu müssen.
Es ist gegenüber den vergangenen Jahren ein Haushalt gleichgeblieben, der ca. 1/700 des Bundeshaushalts ausmacht und von dem, was er kostet, etwas über 3/5 selbst einspielt. Auf andere Etats übertragen, würden wir einem goldenen Zeitalter entgegengehen, wenn es anderwärts auch so wäre. Mit etwa 200 Millionen DM ist das Deutsche Patentamt an erster Stelle an den Einnahmen beteiligt.
Weil wir gerade vom Geld sprechen: Wir sind bemüht, auch dort, wo es um kleinere Beträge geht, sehr sorgfältig mit dem Steuergeld umzugehen. Hier muß ich einige wenige Worte einer Notiz aus dem „Spiegel" vom 11. dieses Monats widmen,
({0})
in dem nachzulesen war, daß ich auf Kosten des Steuerzahlers sehr intensiv Umweltschutz dadurch getrieben hätte, daß ich bei einer Ungarnreise meinen Katalysator-Dienstwagen für Kosten in Höhe von 3 000 DM habe umrüsten lassen.
({1})
Es ist deswegen so interessant, weil ein Leserbrief meines Pressesprechers mit der wahrheitsgemäßen Darstellung, daß daran kein Wort richtig ist, nicht abgedruckt wurde.
({2})
Wir sind jetzt gehalten, mit einer förmlichen Gegendarstellung, was gestern geschehen ist, auf den Plan zu treten, und heute haben wir einen Brief bekommen, die Informationen seien richtig, an der Grenze von Österreich nach Ungarn sei mein Dienst-Mercedes hinübergefahren. Dies ist richtig, aber er war nicht umgerüstet, weil man einen Wagen des Baujahrs 1978, der weit über 400 000 km auf dem Buckel hat, überhaupt nicht umrüsten kann. Somit ist es kein Katalysatorauto, und es ist in keiner Weise verändert worden.
({3})
Wenn wir über Geld sprechen, ist das in diesem Zusammenhang vielleicht auch einmal durchaus erwähnenswert.
({4})
Es ist Frau Kollegin Zutt nach ihren Ausführungen, die nicht wie in den vergangenen Jahren ein rechtspolitischer Rundumschlag, sondern eine sehr freundliche Würdigung waren, versehen mit einigen kleinen Nadelstichen, offensichtlich schwergefallen, die Ablehnung des Einzelplans 07 hier zu begründen. Hätte Herr Mann seinen Beitrag nicht so sorgfältig aufgeschrieben gehabt, so hätte man fast der
Auffassung sein können, daß die relativ milde Würdigung durch Frau Kollegin Zutt ihn nicht habe ruhen lassen, nun mit doch sehr plumpen, sehr allgemeinen,
({5})
im einzelnen überhaupt nicht zu würdigenden Anwürfen hier auf den Plan zu treten. Ich bin nicht bereit, mich damit zu beschäftigen.
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Ich wundere mich nur, weil Sie im Kreise der Ihren und Ihrer Fraktion vor und nach der Rotation eher zu jenen gehören, die noch mit mindestens einem Bein auf dieser Erde stehen und sich zuweilen bemühen, die Dinge dieser Welt nicht ausschließlich durch Ihre alles verzerrende Brille zu sehen.
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Meine Damen und Herren, ich will deswegen etwas zu dem sagen, was Frau Kollegin Zutt hier politisch ausgeführt hat. Es ist eingangs der Haushaltsdebatte beanstandet worden, daß angeblich die Neigung bestehe, tote Sozialdemokraten zu zitieren. Ich bitte, auch Abstand zu nehmen, Liberale heranzuziehen, die heute nicht mehr am Leben sind. Mein Kollege Kleinert hat dazu das Notwendige gesagt. Aus seiner damaligen Zeit heraus wußte Thomas Dehler, was das Demonstrationsstrafrecht angeht, auch noch mit dem alten Landfriedensbruchparagraphen zu leben, bevor wir ihn Anfang der 70er Jahre geändert haben. Das ist die schlichte Wahrheit. Im übrigen, kaum hatten wir das Demonstrationsstrafrecht verabschiedet, wurde angekündigt, daß Sozialdemokraten nach dem Brokdorf-Urteil nach Karlsruhe gehen würden. Wir warten mit Interesse auf diese Klage; denn eines ist klar: Mit dem neuen Demonstrationsstrafrecht, so, wie die Koalition eine Einigung erzielt hat, haben wir ein gutes, für jedermann akzeptables Ergebnis erzielt, das auch bei künftigen Auseinandersetzungen uns, den politisch Verantwortlichen, aber insbesondere der Polizei, gut zur Seite stehen wird.
Sie dürfen, Frau Kollegin Zutt, auch überzeugt sein, daß das Asylrecht bei uns in guten Händen ist.
({8})
Wir werden immer im Auge haben, was in unserer jüngeren Geschichte der Grund dafür war, daß das Asylrecht in dieser Form in unsere Verfassung gekommen ist.
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Ich werde in keinem Augenblick jene drei Männer vergessen, die ich noch gut gekannt habe und von denen ich weiß, daß sie nicht mehr am Leben gewesen wären, wenn sie nicht in der Schweiz Aufenthalt gefunden hätten. Das beginnt mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Hoegner, setzt sich fort über den Staatsrechtslehrer Professor Nawiasky, bei dem ich in den 50er Jahren Vorlesungen
gehört habe, und reicht hin bis zu jenem Mann, mit dem ich lange im selben Haus gelebt habe, der als junger Polizeioffizier am 9. November 1923 mit seiner Einheit an der Feldherrenhalle stand, den Auftrag hatte, die Nationalsozialisten nicht durchziehen zu lassen, und der damals schließlich den Feuerbefehl gegeben hat.
Nun zu einem ganz anderen Thema, Frau Kollegin Zutt: zum Insolvenzrecht. Nie war daran gedacht - nachdem der Bericht erst Weihnachten 1984 im ersten Teil von der noch unter Ihrer Verantwortung eingesetzten Kommission vorgelegt worden war und mir in der übernächsten Woche der zweite Teil des Berichts übergeben wird -, die Dinge ohne gewissenhaftes Studium übers Knie zu brechen. Dies ist eine wichtige Aufgabe für die nächste Legislaturperiode. Wir werden im Gespräch mit der Wirtschaft, im Gespräch mit allen Verantwortlichen dafür Sorge tragen, daß es zu einem guten und für alle akzeptablen Ergebnis kommt.
({10})
Das Scheidungsfolgenrecht wird bei den Beratungen in Kürze den Rechtsausschuß beschäftigen.
Es wäre, wäre die Zeit dafür vorhanden, reizvoll, einmal eine kleine rechtspolitische Bilanz zu ziehen. Dann zeigte sich, daß wir uns schon heute sehen lassen können und auch weiter werden sehen lassen können. In den vergangenen Jahren haben wir stets gehört, daß nichts geschehe, und das Wenige, was geschehen sei, sei falsch gewesen.
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Wie bereits Kollege Kleinert verweise auch ich auf das, was heute bereits im Bundesgesetzblatt steht, und das, was in aller Kürze darin stehen wird, wobei ich das Bilanzrichtlinie-Gesetz, das Entlastungsgesetz für das Bundesverfassungsgericht sowie die gesetzliche Regelung betreffend Haustürgeschäfte nenne; demnächst kommt noch das Ehescheidungsfolgenrecht hinzu. All das, was wir versprochen haben, wird mit Ihrer tätigen Mithilfe im Rechtsausschuß bis zum Ende dieser Legislaturperiode über die Runden gebracht werden.
({12})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Einzelpläne. Wer dem Einzelplan 07 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einzelplan 07 ist in der zweiten Lesung angenommen.
Wer dem Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig in der zweiten Lesung angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
- Drucksachen 10/4162, 10/4180 Berichterstatter:
Abgeordnete Purps
Frau Simonis
Dr. Weng ({0})
Hierzu liegen Änderungsanträge der Abgeordneten Schulte ({1}), Senfft, Suhr und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4314 ({2}) und 10/4337 vor. Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wünscht ein Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Purps.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das weite Feld der Verkehrspolitik in zehn Minuten abzuhandeln ist nicht möglich. Deswegen konzentriere ich mich, Herr Kollege Straßmeir, auf vier wichtige Punkte.
Erstens. Seeverkehr: Bei den Neubauhilfen für Handelsschiffe hat der Haushaltsausschuß die Verpflichtungsermächtigung von 200 auf 250 Millionen DM erhöht und bei der pauschalierten Zinsbeihilfe die Verpflichtungsermächtigung neu eingeführt, für 1987 und 1988 je 40 Millionen DM. Dies haben wir gemeinsam getan. Diese Gemeinsamkeit kann man hier in diesem Hause doch betonen, auch wenn es etwas länger gedauert hat, meine Kollegen von der CDU/CSU, bis sich bei Ihnen die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß es sich hier nicht um abbauwürdige Subventionen, sondern um nötige Anpassungshilfen im internationalen Wettbewerb handelt.
Ich möchte an dieser Stelle allerdings auch deutlich feststellen, daß ich es für nötig halte, daß - bezüglich der Finanzbeiträge - die Ausflaggung deutlich zurückgeht; denn ursächlich ist die Gewährung der weiteren Finanzbeiträge für 1987/88 darauf zurückzuführen.
Eigentlich bleibt es verwunderlich, wieso diese Maßnahmen nicht bereits im Haushalt gestanden haben. Der Herr Finanzminister kommt bekanntlich von der Küste und müßte das wissen. Aber da man ja der reinen Lehre nachhängt, überläßt man das schwierige Geschäft, die Zielkonflikte auszutarieren, natürlich gerne den Fußtruppen, um selber die angeblich subventionspolitisch saubere Weste zu behalten.
Zweitens. Verkehrssicherheit, Tempolimit,
Schallschutz: Daß selbst im europäischen Jahr der Verkehrssicherheit ein Antrag der SPD auf Erhöhung des Ansatzes für Verkehrswacht und Verkehrssicherheitsrat um 4 Millionen DM nicht angePurps
nommen worden ist, wirft schon ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Bedeutung, die die Koalition der Verkehrssicherheit zumißt. Dies steht zwar nicht in direktem, aber immerhin doch in logischem Zusammenhang - Herr Kollege, warten Sie, ich werde es Ihnen gleich sagen - mit den unglaublichen Vorgängen im Zusammenhang mit dem Großversuch Tempolimit. Ich möchte Ihnen aus haushälterischer Sicht hierzu sagen, daß das Verfahren jeglicher seriösen Beratung Hohn spricht. 14,7 Millionen DM Steuergelder sind hier buchstäblich in den Sand gesetzt worden. Schließlich sind es die Bürger, die diese Steuergelder aufbringen müssen. Sie haben ein Anrecht darauf, daß nicht auf Grund dürrer Vorausdaten, ohne Kenntnis des gesamten Zahlenwerkes, zwischen Tür und Angel eine vorgefaßte Meinung bestätigt wird. Herr Dollinger, Sie hatten nichts Eiligeres zu tun, als diese Daten möglichst schnell ins Kabinett zu bringen, um die Ihnen genehme Entscheidung herbeizuführen. Dies ist nicht nur unseriös, sondern skandalös. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, eine sorgfältige Untersuchung der Daten in Angriff zu nehmen und in den entsprechenden Gremien vornehmen zu lassen.
({0})
Aber so geht diese Regierung mit den Sorgen all jener Bürger um, die sich um unsere Umwelt, um Energieeinsparung, um Verkehrstote und -verletzte Gedanken machen. Das kümmert Sie nicht, weil es eben nicht in Ihr Weltbild paßt. Man mag sonst fast überall in der Welt aus berechtigten Gründen Tempolimits haben,
({1})
die Bundesregierung weiß bekanntlich alles besser, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
({2})
Ich komme zum Lärmschutz und damit auch zu den Vorstellungen, wie man Straßen und Bundesautobahnen umweltfreundlicher gestalten kann. Lebende Lärmschutzwände, Herr Minister, sind sicherlich besser als tiefe Betonschluchten, durch die wir leider immer noch fahren müssen - eine Aufgabe für Ihre neue Abteilung Umweltschutz. Sie soll sich da an die Arbeit machen.
Bezüglich der Dezibel-Werte im Schallschutz haben wir eine Senkung und eine Differenzierung vorgenommen, die meines Erachtens, Herr Kollege Metz, allerdings nicht weit genug gehen. Sie haben dem Vorschlag der Sozialdemokraten, die Dezibel-Werte in den Bereichen Wohngebiete, Kleinsiedlungen sowie Krankenhäuser, Schulen, Kurheime und Altersheime deutlicher zu senken, als es in Ihrem Vorschlag der Fall war, nicht zugestimmt. Deshalb ist Ihr Vorschlag noch kein Schritt in die richtige Richtung, sondern nur eine vorsichtige Hinwendung in diese Richtung. Ich gehe davon aus, daß mit den kleinen Veränderungen das Problem nicht zu lösen ist, daß der Mittelabfluß weiterhin nicht so erfolgt, wie wir es gerne hätten. Erst eine deutliche Senkung der Dezibel-Werte wird meines Erachtens dafür sorgen, daß nicht 50% der Schallschutzmittel in der Reserve für den Herrn Finanzminister verbleiben oder in andere Straßenbauprojekte einfließen.
({3})
Aus diesem Grunde habe ich angeregt, daß man die globale Deckungsfähigkeit für diesen Titel aufhebt, um zu gewährleisten, daß nicht aus Schallschutzmaßnahmen Straßenbaumaßnahmen werden.
({4})
Ich hoffe, daß Sie, wie angekündigt, dieser Vorstellung im nächsten Jahr nahe treten werden, wenn die jetzt beschlossene Regelung nicht zum Erfolg führt.
Drittens zum öffentlichen Personennahverkehr und zum kommunalen Straßenbau: Die zweckgebundenen Mittel aus dem Mineralölsteueraufkommen reichen für die vielfältigen Aufgaben bald nicht mehr aus. Insbesondere in der Fläche ergibt sich das Problem, daß der hohe Anteil der Energiekosten eine steigende Unterdeckung bei den Nahverkehrsbetrieben bewirkt. Die SPD hat Ihnen während der Beratungen den Vorschlag gemacht, ein Energieprogramm in Höhe von 100 Millionen DM aufzulegen, um Abhilfe zu schaffen. Es ist interessant, daß Sie dem zwar grundsätzlich zustimmen - solche Äußerungen kamen von Ihrer Seite; Herr Kollege Glos, der heute nicht hier ist, hat sie gemacht -, aber das wegen angeblich fehlender finanzieller Möglichkeiten ablehnen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf eine Entwicklung aufmerksam machen, die zum Handeln zwingen wird. Wir haben erlebt, daß die Mineralölsteuer auf Grund der letzten Steuerschätzung niedriger anzusetzen ist. Das hat ja direkte Auswirkungen im Einzelfall 12 gehabt. Da zu erwarten ist, daß sich diese Tendenz wahrscheinlich eher verstärkt, wird das Aufkommen für den ÖPNV und den kommunalen Straßenbau logischerweise zurückgehen. Das wird bei steigenden Kosten einfach dazu zwingen, hier etwas zu tun.
Ich komme zum vierten Punkt, zur Bundesbahn. Mit der vierten Novelle des Bundesbahnänderungsgesetzes - SPD-Antrag - wollen wir eine Verbesserung der Situation der Bahn erreichen. Deswegen stellen wir den Antrag, die Investitionszuschüsse für den Streckenausbau um 700 Millionen DM zu erhöhen und der Bundesbahn die nötigen Mittel zuzuweisen, ebenso die Aufstockung der allgemeinen Investitionszuschüsse um 518 Millionen DM vorzunehmen. Sie haben selbst - wir haben das allerdings als zu wenig empfunden - 100 Millionen DM umgeschichtet. Nur ist diese Umschichtung der Mittel äußerst problematisch. Man nimmt aus der einen Tasche, steckt in die andere Tasche, wünscht der Bundesbahn fröhlich-gute Fahrt und weiß doch, daß das zu einer Bilanzverschlechterung bei der Bahn führen wird.
({5})
Ein Bärendienst, meine Damen und Herren von der Koalition. Mit umgeschichteten Minibeträgen ist der Deutschen Bundesbahn nicht zu helfen.
Die Kollegen Riedl und Rose von der CDU
({6})
- klug, wie sie in diesem Punkte sind - haben das erkannt und sich im Sommer dieses Jahres zu einer Erhöhung der investiven Mittel für den Streckenausbau um exakt 700 Millionen DM eingesetzt. Das ist die Summe, die in dem Antrag der SPD niedergelegt ist.
({7})
Die Koalition hätte besser auf die beiden Kollegen gehört. Oder vielleicht hätten die beiden Kollegen noch besser ihren großen Chef, Herrn Strauß, gebeten, einen geharnischten Brief an Herrn Dollinger oder an den Herrn Finanzminister zu schreiben. Das hätte vielleicht genützt. Aber sie sind eben zurückgepfiffen worden. Sie haben allerdings noch Gelegenheit - falls sie hier sein sollten und sich nicht gedrückt haben -, unserem Antrag zuzustimmen.
Die Verstärkung der Investitionsmittel bei der Deutschen Bundesbahn hat auch noch einen arbeitsmarktpolitischen Effekt. Da nicht an Länderquoten gebunden, bietet sich hier ein hervorragendes Instrument an, in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und schwacher Struktur investive Maßnahmen durchzuführen. So könnten, wenn der Bund die volle Abdeckung der Mittel für den Strekkenausbau übernähme, von der DB eingeplante Mittel für andere Invesitionsschwerpunkte sinnvoll eingesetzt werden, z. B. Modernisierung der Stellwerke, schnellere Beseitigung schienengleicher Bahnübergänge, Gestaltung von Bahnhöfen, Bahnhofsvorplätzen, Ausbau zu Servicezentren, Modernisierung des Hochbaus, Modernisierungsinvestitionen in einen attraktiven Fahrzeugpark, in Umweltschutz, in Schallschutz usw. Es gäbe hier viel Arbeit. Man könnte einen wertvollen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten.
Es darf nämlich, Herr Verkehrsminister, nicht dazu kommen, daß in Zukunft - Sie sind j a mit dem neuen Intercity Experimental gefahren ({8})
ein Teil der Reisenden auf schnellen Strecken im First-Class-Interieur, umgeben von sanfter Musik oder Video, in Konferenzsälen, möglicherweise mit Telefon- und Computeranschluß,
({9})
von Hostessen betreut,
({10})
Herr Kollege, durch die deutschen Lande rauscht,
({11})
während - jetzt kommt die Kehrseite, Herr Kollege - der andere Teil der Fahrgäste auf dem flachen Land - das ist ja heute schon so - in teilweise 30 Jahre alten Waggons die Kehrseite dieser
Medaille kennenlernt: mäßige Geschwindigkeit, ein den Sicherheitsbestimmungen gerade noch notdürftig entsprechendes Schienennetz, einen ausgedünnten Fahrplan, ein unattraktives Angebot.
({12})
Herr Minister, ich darf Sie bitten, hier darauf zu achten, daß die Gleichheit der Lebensbedingungen eingehalten wird und daß es in Zukunft keine ZweiKlassen-Bundesbahn gibt.
Die Anträge der SPD sind solide finanziert,
({13})
durch Umschichtungen, Einnahmeverbesserungen, teilweise durch seriöse Kürzungen im Verteidigungshaushalt
({14})
- da mag der Herr Dregger lachen; er sollte das lieber lesen -; sie schaffen Arbeit, sind nicht an Quoten gebunden, regionalisierbar und können strukturelle Defizite beseitigen.
Wenn hier nichts geschieht, trägt der Haushalt des Bundesverkehrsministers das Menetekel des Investitionsdefizits.
Wir haben diesen Haushalt gezählt. Wir haben ihn gewogen. Wir haben ihn als zu leicht befunden. Wir lehnen ihn ab.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Metz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung ist bürgernah und umweltfreundlich.
({0})
Mehr Sicherheit, mehr Umweltschutz und ein zeitgerechtes - ({1})
- Hören Sie mal zu!
({2})
- Jetzt lassen Sie mich mal einen Satz zu den GRÜNEN sagen. Wissen Sie: Wer mit dem Dienstwagen 800 km zum Popkonzert fährt, ist noch kein Verkehrsexperte. Nur, damit das klar ist.
({3})
Herr Abgeordneter Metz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ({0})?
Nein. Ich habe heute leider keine Zeit. Vielen Dank.
({0})
Mehr Sicherheit, mehr Umweltschutz und ein zeitgerechtes Verkehrsangebot sind politische Ziele, denen auch der Verkehrshaushalt '86 dient. Dieser mehr als 25 Milliarden umfassende Einzeletat ist zugleich der entscheidende Investitionshaushalt des Bundes.
({1})
Jede zweite Mark wird investiert. Damit sichert dieser Einzelhaushalt 240 000 Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft und in abhängigen Industrien.
Für den Bundesfernstraßenbau stehen 6,2 Milliarden DM zur Verfügung.
({2})
Ohne ein leistungsfähiges Straßennetz wäre die Mobilität der Bürger nicht gewährleistet, sondern eingeschränkt. 36 Milliarden Personen fahren im Jahr über unsere Straßen. Daher wollen wir die Substanz dieser Straßen erhalten und ihre Qualität weiter verbessern. Diese Regierung wird auch in Zukunft Unfallschwerpunkte beseitigen, Ortsumgehungen bauen, Radwege anlegen und den Lärmschutz an Straßen weiter verbessern.
({3})
Der Verkehrshaushalt 1986 sieht ganz konkrete Lärmschutzmaßnahmen vor. Herr Kollege Purps hat davon gesprochen. Ich will ein Wort hinzufügen. So begrüßenswert es ist, wenn die Menschen vor Lärm geschützt werden, so ärgerlich ist es, wenn die jeweilige Maßnahme gleichzeitig die Gegend verschandelt. Gerade an bestehenden Straßen sind vielfach nur Schutzwände hingehauen, deren Haltbarkeit zweifelhaft, aber deren Häßlichkeit unzweifelhaft ist.
({4})
Ich bitte sehr, noch mehr Aufmerksamkeit und noch mehr Anstrengung in diese Aufgabe zu investieren.
({5})
Keine Haushaltsdebatte ohne das Thema Bundesbahn! Die Bundesbahn, die unter sechs SPDVerkehrsministern und vier SPD-Finanzministern sehr krank geworden war,
({6})
befindet sich jetzt endlich wieder auf dem Weg der Besserung.
({7})
Die Regierung Kohl hat diese Gesundung eingeleitet. Die Leitlinien der Bundesregierung zur Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn beginnen zu greifen. Das Ergebnis der Bahn für 1985 ist das
beste seit vielen Jahren. Aber ich füge hinzu: Dennoch bedeutet die Bahn mit ihren von früheren Regierungen zu verantwortenden Altlasten immer noch eine schlimme finanzielle Erblast, und zwar für den Bundeshaushalt insgesamt.
({8})
Ich sage Ihnen etwas zu Ihren Heldentaten im Zusammenhang mit der Bundesbahn. Bei etwa gleichbleibender Verkehrsleistung der Bahn zwischen 1969 und 1982 entwickelte sich die finanzielle Situation im gleichen Zeitraum katastrophal, so daß der Schuldenstand der Bahn schließlich in diesen Jahren Ihrer Regierung von 12,7 Milliarden auf 35,5 Milliarden DM wuchs. Der Fremdfinanzierungsanteil am Gesamtkapital stieg in diesem Zeitraum von 38 % auf 61 %.
({9})
Meine Damen und Herren, es ist unbestritten, daß seinerzeit auch eine falsche und fragwürdige Personalpolitik zu diesem katastrophalen Ergebnis beigetragen hat. 1957 beschäftigte die Bahn 511 000 Mitarbeiter. Durch die allgemeine technische Entwicklung gelang es, diese Zahl bis 1969 auf 384 000 zu reduzieren. Dann kamen die sozialdemokratischen Bundesregierungen und stockten diesen Personenbestand wieder deutlich auf. Der Bundesrechnungshof mußte feststellen:
Prüfungen im Jahre 1974 haben wieder ergeben, daß sich der Personalbedarf der DB erheblich einschränken läßt, ohne daß deswegen ihr Leistungsumfang nennenswert verringert oder größere Investitionen getätigt werden müssen.
Meine Damen und Herren, Ende dieses Jahres, 1985, werden bei der Bahn 277 500 Mitarbeiter beschäftigt sein. Für diese Mitarbeiter, deren allergrößter Teil j a wahrlich nicht zu den Besserverdienenden in diesem Lande gehört, ist es von großem Wert, daß sie heute wieder beginnen können, auf ihre Eisenbahn stolz zu sein.
({10})
Wenn sich die Menschen etwa vom Intercity Experimental, wenn sich gerade die Jüngeren vom ICE in den Bann schlagen lassen, dann ist das eben für die gesamte Bahn und für unsere gesamte moderne Gesellschaft Motivation und Aufmunterung zugleich.
({11})
Vorstand und Politik sind auf dem rechten Weg, aber die Fehler der Vergangenheit sind natürlich nicht wegzuretuschieren: Die fehlenden Bemühungen, die Geschwindigkeit zu erhöhen, die fehlenden Bemühungen, sich um den Sektor der Fertigwaren und Halbfertigwaren anstatt nur um Massengutverkehre zu kümmern, die Vernachlässigung der Ne13588
benstrecken, die daher heute oft nicht bezahlbar sind,
({12})
der 700-Millionen-Flop mit dem integrierten Transportsteuerungssystem, der 350-Millionen-Flop mit der automatischen Kuppelung, die vielen Zig-tausende herumstehenden Eisenbahnwagen - das alles machte und macht auch heute noch die Sache für die Bahn so schwierig.
({13})
Und die, die den Niedergang damals zu verantworten hatten, meine Damen und Herren von der SPD, das sind natürlich nicht Leute, die heute zu Sanierern der Bahn hochstilisiert werden können.
({14})
- Ja, ja, wissen Sie, aus Kurpfuschern der Vergangenheit werden keine Vertrauensärzte für die Zukunft. ({15})
Durch Umschichtungen im Haushalt sind wir im Haushaltsausschuß Wünschen der Bahn weiter entgegengekommen. Die Bahn kann sich auf die Unterstützung durch diese Koalition auch künftig verlassen.
Und nun gibt es einen SPD-Antrag auf Erhöhung der Mittel um rund 1,2 Milliarden DM; der Kollege Purps hat ihn begründet.
({16})
Das Geld soll bei der Verteidigung eingespart werden. Das ist nun die Antwort der Verursacher von Finanzbedarf. Meine Damen und Herren, wir werden nicht zulassen, daß ausgerechnet die Bundeswehr für SPD-Sünden bei der Bahn büßen muß.
({17})
Meine Damen und Herren, auch im Jahre 1986 subventionieren wir den deutschen Schiffbau und die deutsche Schiffahrt beträchtlich. Die Bundesregierung setzt sich in internationalen Organisationen für den Abbau von Beihilfen und Wettbewerbsverzerrungen ein. Aber die EG-Kommission hat am 3. Juli die Fortführung direkter Baukostensubventionen in Italien, Großbritannien und in den Niederlanden genehmigt. Marktwirtschaft, meine Damen und Herren, setzt Markt voraus. Wenn Märkte von anderen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden, dann steht die Politik eben vor der Frage: Machen wir mit, oder geben wir die entsprechenden Branchen auf?
({18})
Das gilt auch für die deutsche Schiffahrt, deren komplizierte Einzelfragen ich innerhalb dieser zehn Minuten nicht behandeln kann. Die Frage nach einer deutschen Handelsflotte ist eine politische Frage und muß politisch beantwortet werden, so wie andere ihre nationalen Fragen in diesem Zusammenhang politisch beantworten.
({19})
Und es ist eben nicht nur ein regionales Problem, ob die zweitgrößte Handelsnation der Welt, die beinahe die Hälfte ihres Außenhandels über See abwickelt, eine eigene Handelsflotte besitzt oder nicht. Deutsche Schiffe laufen auch deswegen deutsche Häfen an, vor allem im Linienverkehr, weil sie dort ihre Infrastruktur haben. Es ist eben nicht nur eine regionale Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland über leistungsfähige Universalhäfen verfügt. Es ist kein regionales Problem, wie man die strategische Bedeutung von Handelsflotten, auch der deutschen Handelsflotte, einschätzt. Es wird oft gesagt, die Deutschen säßen mit dem Rücken zum Meer. Wenn das heute noch so sein sollte, dann wäre das die verkehrte Blickrichtung. Wir befinden uns in einem atlantischen Bündnis.
({20})
- Ja, ja. Es geht um nationale Probleme, die zugleich die Küstenregion sehr stark betreffen. Herr Minister Dr. Dollinger, die Menschen an der Nordsee und an der Ostsee wissen, daß Sie ein Herz für die Küste haben. Dafür danken wir Ihnen.
({21})
Parlament und Regierung müssen die vorhandenen positiven Ansätze allerdings hartnäckig begleiten und sie schließlich zu einem guten Ende führen.
Beide Branchen, Schiffahrt und Schiffsbau, brauchen eine kluge, unterstützende Politik. Unabdingbar ist dabei, daß in weiten Bereichen der eingeschlagene Weg der Modernisierungsinvestitionen, der Produktivitäts- und Leistungssteigerung fortgesetzt wird. Ohne eigene Tüchtigkeit gibt es keine Perspektive. Bei kluger Politik allerdings gibt es auch für gut geführte Unternehmen im deutschen Schiffsbau und in der Schiffahrt einen Silberstreifen am Horizont.
Meine Damen und Herren, der Verkehrshaushalt verkörpert ein Stück kluger Politik. Wir stimmen ihm gerne zu.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt ist in diesem Jahr wieder einmal ein sehr trauriges Dokument einer verfehlten Verkehrspolitik, einer Verkehrspolitik, die weiter die Umwelt und die Natur zerstört, die weiter die Verkehrsmittel fördert, die hieran am meisten beteiligt sind, die insbesondere auch am meisten daran beteiligt sind, daß in jedem Jahr etwa 10 000 Menschen auf den Straßen umkommen, und etwa 500 000 Menschen im Verkehr verletzt werden. Hier müssen wir endlich ansetzen, hier müssen wir endlich umdenken.
Ich möchte hier einmal mit einigen Zahlen - weil das ja eine Haushaltsberatung ist - widerleSenfft
gen, was der Kollege von der CDU/CSU-Fraktion gerade ausgeführt hat. Gestiegen sind seit 1982 bis zum Entwurf für nächstes Jahr die Mittel für den Straßenbauplan, um sage und schreibe eine halbe Milliarde DM, um exakt 500 000 DM, von damals 5,7 Milliarden DM auf 6,2 Milliarden DM.
({0})
- Ich registriere Beifall in Ihren Reihen. Das ist kennzeichnend. Wir würden uns freuen, wenn eine Steigerung um eine halbe Milliarde DM auch bei den Mitteln für die Bundesbahn zu erkennen wäre.
({1}) Dies ist leider nicht der Fall.
Nur zwei Zahlen. Die gesamten Mittel für die Deutsche Bundesbahn, die Zuweisungen aus den Einzelplänen 12 und 32, sind von 13,8 Milliarden DM 1982 auf 13,7 Milliarden DM dieses Jahr gesunken, und gegenüber dem letzten Jahr - damals waren es noch 14 Milliarden DM - fehlen 250 Millionen DM, die gekürzt worden sind.
Dieser Trend setzt sich bei den Investitionen fort. 1982 3,9 Milliarden DM, dieses Jahr werden es 3,8 Milliarden DM sein. Auch hier eine Kürzung! Herr Minister Dollinger, vielleicht können Sie uns an Hand dieser Zahlen erklären, wie Sie hier einen Aufwärtstrend erkennen können. Ich vermag ihn in diesen Zahlen auch nicht ansatzweise zu erkennen.
Meine Damen und Herren, wir haben deshalb auch in diesem Jahr wieder einen Antrag vorgelegt, der dort ansetzt, wo wirklich die negativen Ursachen im Verkehr zu finden sind, nämlich beim Straßenbau. Wir sind der Meinung, daß hier 80 % der Mittel für den Neubau und den Ausbau sowie 90 % der Mittel für den Erwerb von Grundstücken zu streichen sind und daß hier zugunsten der umweltfreundlichen und sicheren Deutschen Bundesbahn umgeschichtet werden kann.
({2})
Wir begrüßen in diesem Zusammenhang auch den Antrag der SPD, die ja die Bereitschaft gezeigt hat, für die Deutsche Bundesbahn entsprechend aufzustocken. Nur kommt hier meine kritische Frage: Warum lassen Sie die Bereitschaft vermissen, warum fehlt Ihnen die Bereitschaft, bei dem Konkurrenten, nämlich dem Straßenverkehr, auch nur ansatzweise zu streichen, also die Mittel für den Bundesfernstraßenbau zu kürzen? Insofern ist doch recht unseriös, was Sie hier betreiben: daß Sie auf der einen Seite für die Bahn 1,2 Milliarden DM mehr haben wollen - was wir begrüßen - und auf der anderen Seite nicht bereit sind, bei den Bundesautobahnen auch nur einen einzigen Pfennig zu streichen.
({3})
Zur Verkehrspolitik der Bundesregierung möchte ich aus aktuellem Anlaß, der äußerst kennzeichnend ist, noch einige Worte sagen. Unlängst hatten wir ja die Diskussion über die Senkung der Steuer auf bleifreies Benzin um 2 Pfennige. Soeben habe ich einer dpa-Meldung entnehmen müssen, daß der Geschäfts- und Privatsportflugzeugverkehr - das ist, wie auch Sie wissen werden, der Verkehr, der vom Energieaufwand her und deshalb auch vom Schadstoffausstoß her pro zurückgelegter Strecke weitaus am umweltschädlichsten ist - wiederum von der Mineralölsteuer befreit werden soll. Meine Damen und Herren, es ist ein ungeheurer Skandal,
({4})
daß Sie auf der einen Seite vor kurzem die Steuerbefreiung für die Deutsche Bundesbahn und für die öffentlichen Personennahverkehrsmittel gestrichen haben und auf der anderen Seite sozusagen im Handstreich auf besonderen Wunsch von Franz Josef Strauß, der ja auch ein solches Flugzeug besitzt, nun zum 1. Januar nächsten Jahres diesen Herrn Strauß von der Mineralölsteuer befreien wollen.
({5})
Wir meinen, daß erst einmal bei den umweltfreundlichen Bussen und Bahnen angesetzt werden muß. Aber wir haben natürlich schon längst die Hoffnung aufgegeben, daß bei Ihnen auch nur ansatzweise eine Wende durchsetzbar wäre.
({6})
Ich möchte jetzt einmal kurz ausführen, wie wir uns eine Verkehrspolitik der Zukunft vorstellen, die im Interesse aller Menschen ist, nicht nur im Interesse der Autofahrer:
Zuerst einmal wäre ein flächendeckender Taktverkehr, ein Verkehr im Stundentakt, auf allen Strecken der Deutschen Bundesbahn zu fordern, nicht nur auf dem bescheidenen Intercity-Netz, sondern auf allen Strecken der Bundesbahn.
({7})
Dazu gehören ein Regional- und ein Nahverkehrs-takt, und zwar nicht mit diesen alten klapprigen Wagen, die heute zum Teil noch fahren, sondern mit Wagen, wie wir sie beim Modellversuch in Köln sehen, bei der sehr lobenswerten City-Bahn. Sehr engagierte Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn haben das in unermüdlichem Einsatz - zum Teil gegen den Willen des Vorstandes, zum Teil auch gegen den Willen des Verkehrsministeriums - sehr erfolgreich durchgeführt. Wenn Sie sich danach einmal erkundigen, werden Sie feststellen, daß das ein durchschlagender Erfolg ist, der Ihre ständigen Äußerungen widerlegt, es sei heute nicht mehr möglich, die Nebenstrecken zu beleben.
({8})
Ergänzt werden müßte dieses Netz durch eine entsprechende Fahrpreispolitik, etwa mit Umweltschutztickets, und es müßte durch Zubringerverkehre, durch Rufbusse usw. ergänzt werden.
Wenn wir das geschafft hätten, wäre es vielen Bürgern auch wieder möglich, wenigstens ab und zu auf das Auto zu verzichten und auf Bahn und
Bus, auf ÖPNV, umzusteigen, was in ländlichen Räumen bzw. in den späten Abendstunden oder am Wochenende überhaupt nicht möglich ist, weil man da heutzutage den Zwang zum Pkw hat.
Angesprochen wurde hier auch der kombinierte Verkehr. Dazu ist doch festzustellen, daß Sie die Mittel in der Vorlage gerade gestrichen hatten: Es wurde plötzlich von 156 Millionen im Jahr auf Null gekürzt. Nur durch den Haushaltsausschuß war es möglich, daß zumindest wieder 100 Millionen DM eingestellt wurden. Unter dem Strich aber wurde das an anderer Stelle wieder weggenommen, so daß der Plafond für die Deutsche Bundesbahn bestehenbleibt. Letztendlich bekommt die Bahn keinen Pfennig mehr ab!
Ich habe leider nur noch zwei Minuten und möchte mich noch mit einigen Forderungen bzw. Bitten, die an uns herangetragen worden sind, an den Verkehrsminister wenden.
Der erste Punkt betrifft die Situation der Auszubildenden, die im nächsten Jahr bei der Deutschen Bundesbahn ausgelernt haben. Hier besteht, soweit ich gehört habe, noch keine endgültige Gewißheit. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob endlich Schluß gemacht wird mit dieser üblen Sache, daß die Auszubildenden, wenn sie bei der Deutschen Bundesbahn ausgelernt haben, auf die Straße fliegen. Jedem dieser jungen Leute sollte zumindest ein Arbeitsplatz angeboten werden. Das muß bei der hohen Jugendarbeitslosigkeit endlich geschehen.
({9})
Die Bahn ist immer noch ein Staatsunternehmen. Der Staat hat hier eine ganz besondere Verantwortung. Die Bundesbahn hat sicherzustellen, daß sie die Auszubildenden übernimmt.
Der zweite Punkt betrifft die Situation beim Personal insgesamt. Sie haben seit der Regierungsübernahme 30 000 Arbeitsplätze vernichtet. Inzwischen treten im Betriebsdienst und auch bei den Lokführern Engpässe auf. Die Situation ist so, daß die Lokführer Überstunden am laufenden Meter fahren müssen. Das ist ein untragbarer Zustand. Deshalb wäre es an der Zeit, daß endlich wieder die Laufbahn für die Lokführer geöffnet wird. Hier mangelt es an Nachwuchs.
Ich möchte auch folgendes sagen: Sie betreiben bei der Deutschen Bundesbahn eine Politik der Streckenstillegungen und des Abbaus und damit einer Verschleuderung von Volksvermögen. Sie betreiben einen Ausverkauf von Liegenschaften, von Grundeigentum. Nur dadurch, daß Sie das Eigentum der Deutschen Bundesbahn verkaufen - an wen auch immer; das ist Ihnen egal -, kann diese sich im Moment noch einigermaßen bei den Zahlen halten, die Sie genannt haben, so daß sie nicht noch weiter abrutscht. Erkundigen Sie sich einmal, Herr Hinsken.
Unterm Strich noch einmal unsere Forderung, die wir hier erheben: Wir brauchen endlich eine Umkehr in der Verkehrspolitik hin zu den ökologischen, hin zu den sozialen Verkehrsmitteln. Das sind Busse und Bahnen. Das sind nicht, wie Sie immer meinen, ihre hochvergötzten Automobile, meine Damen und Herren.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Das Jahr 1986 wird für die Verkehrspolitik in der Bundesrepublik und in ganz Europa ein Jahr wichtiger Entscheidungen mit Weichenstellungen weit über die nächsten zehn Jahre hinaus. Ich glaube, das gehört an den Anfang einer Debatte, wenn wir uns mit dem Haushalt des nächsten Jahres beschäftigen.
Das beginnt gleich mit der ersten wichtigen Entscheidung, die wir spätestens nach der Jahreswende treffen wollen, wenn wir noch im Dezember mit den Ausschußberatungen fertig werden. Da geht es nämlich um die Frage, wo und um wieviel wir unser Bundesfernstraßennetz in diesem Jahrhundert noch ausbauen wollen.
Da werden wir die Frage beantworten müssen, wo es noch Kapazitätsengpässe oder Unfallschwerpunkte gibt. Da wird zu fragen sein, ob es eigentlich stimmt, was die GRÜNEN ständig öffentlich behaupten, nämlich daß wir unsere Landschaft nur noch weiter versiegeln, zubetonieren, zuasphaltieren wollen, ob nicht vielmehr richtig ist, was die Bundesregierung verantwortungsgerecht übernimmt, nämlich zu versuchen, wie es von dem Sprecher der SPD gesagt wurde, gleiche Lebenschancen für die Menschen in den strukturschwachen Regionen zu schaffen, weil auch dort Arbeitsplatzfragen von der Verkehrsinfrastruktur abhängig sind. Es wird zu fragen sein, ob es nicht stimmt, daß ein wesentlicher Teil auch von Straßenbaumaßnahmen dem Umweltschutz dient.
Straßenbau nach Maß, meine Damen und Herren, heißt Entlastung der Ortskerne vom Straßenverkehr. Zum Teil leiden dort die Menschen seit Jahrzehnten unter Abgas- und Lärmproblemen sowie der Unfallgefahr. Wenn wir solche Straßen aus dem Ortskern herauslegen, ist das ein Teil von verantwortungsgerechtem Umweltschutz, auch wenn es Eingriffe in die Landschaft bedeuten muß, weil es eben auch um die Lebensbedingungen der Menschen geht.
Für diejenigen, die die Straßen bauen, geht es auch um die Berechenbarkeit unserer Straßenbaupolitik. Hier geht es um die Verstetigung von Bauinvestitionen im größten investiven Bereich des Bundeshaushalts. Aber das werden die GRÜNEN, die ja immer, wenn es sich um Arbeitsplätze handelt, sonst so vorlaut sind, nicht begreifen, wenn es um Fragen der Verkehrspolitik geht. Dann müßten Sie nämlich schon tatsächlich die Frage beantworten, wie Sie die Zehntausende von Plätzen, die Sie im Straßen- und Tiefbau streichen wollen, morgen gleichzeitig bei der Bundesbahn, wie Sie es jetzt noch einmal erklärt haben, erschließen wollen.
({0})
Meine Damen und Herren, trotz der Anträge, die Sie zum wiederholten Male vorlegen, ist für die Koalitionsfraktionen klar: Der Stopp des Bundesfernstraßenbaus wird nicht stattfinden. Er wird dort fortgeführt, wo Lücken des Bundesfernstraßennetzes zwingend geschlossen werden müssen.
({1})
Er wird dort fortgesetzt, wo wir strukturschwache Räume an die Ballungszentren anschließen müssen, wo wir Arbeitsplatzsituationen verbessern wollen, wo wir Verkehrssicherheit vergrößern, wo wir Unfallschwerpunkte beseitigen und wo wir durch den Ortskern entlastende Umgehungsstraßen zu vernünftigen Lebensbedingungen beitragen können.
({2})
Meine Damen und Herren, daß sich die GRÜNEN so sehr um die Belange und das Wohlergehen der Deutschen Bundesbahn kümmern, ist schon ganz lobenswert;
({3})
aber sie verlangen die Bereitstellung von mehr Geld, damit sich die Bahn noch mehr Neubaustrekken vornehmen und noch mehr Strecken ausbauen kann.
Und nun kommt die grüne Schizophrenie, von der ich schon vor vielen Jahren hier gesprochen habe, als die GRÜNEN noch nicht im Bundestag waren. Da habe ich nämlich die Frage gestellt, wie sich das miteinander vereinbart, daß man gleichzeitig Gegner des Individualverkehrs, Gegner des Straßenbaus ist, Gegner der Individualität überhaupt
({4})
und für mehr Menschen auf Bussen und Schienen ist, aber dort, wo wir die wichtigen Neubautrassen tatsächlich dann auch bauen müßten wie die wichtige Trasse Köln-Flughafen Frankfurt - ({5})
- Darmstadt wäre gut, wenn es vielleicht weitergeht; ich bedanke mich, Herr Kollege Haar. - Also diese wichtige Strecke, die der Vorstand der Bundesbahn, die die SPD hier im Deutschen Bundestag fordert, wenn ich das noch recht in Erinnerung habe, ist dann genau die Maßnahme, die die rotgrüne Koalition in Hessen als nicht verantwortbar wegstreichen will.
({6})
Das ist eine dieser wichtigen Maßnahmen - das soll man ruhig bis nach Hessen hören -, von denen der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rau sagt, das sei ganz unverzichtbar, und über die sich der Wirtschaftsminister Kollege Steger aus Hessen
({7})
so äußert, daß er sagt: Na ja, eine Ausbaustrecke von Kassel nach Dortmund kann ich zusammen mit den GRÜNEN vielleicht noch hinkriegen. Aber wenn wir dann eine richtige Hochgeschwindigkeitstrasse bauen wollen, die aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet in das Rhein-Main-Ballungsgebiet führt und die den wichtigen Teil der Fortführung nach Stuttgart und nach Mannheim in der Vernetzung darstellt, dann sind die GRÜNEN nicht mehr bereit, eine solche Maßnahme mitzumachen.
({8})
Und weil es die GRÜNEN nicht machen, macht es die SPD nicht.
Zum zweitenmal der vereinzelte Beifall eines einzelnen Abgeordneten der GRÜNEN. Ich weiß ja, wie peinlich es dem Rest der Mannschaft bei den GRÜNEN und übrigens auch bei der SPD in Hessen ist, daß man sich diese Schizophrenie in Ihren Reihen natürlich auch nicht mehr - und schon gar nicht öffentlich - erklären kann: Gegnerschaft gegen Auto, gegen den Individualverkehr; die Menschen sollen auf die Bahn; aber dort, wo wir neue Bahngleise wollen, bitte sehr, da auch nicht, wenn es mit Eingriffen in die Landschaft verbunden ist, selbst wie im Falle Köln-Groß-Gerau, wenn die Verkehrsbündelung mit der Autobahn erfolgt. Das ist Ihre Bahnpolitik, meine Damen und Herren.
Dasselbe gilt für Ihre Falschaussagen zur Verkehrssicherheit. Da haben andere gerechnet - nicht die Mitglieder des Bundestages -, und die sind zu der Rechnung gekommen, daß wir, nachdem wir 20 % weniger Verkehrsunfälle, insbesondere auf unseren Autobahnen, haben, zum erstenmal wieder bei Zahlen sein werden, die es, vom Unfallgeschehen auf deutschen Straßen her gesehen, zuletzt 1936 gab. Man muß sich einmal vor Augen führen, wie die Verkehrssituation seinerzeit aussah. Es gab doch fast keinen Individualverkehr, nur 3%, 4%; fast 95% des Verkehrs wurden über öffentliche Verkehrsmittel abgewickelt. So hoch sind nach den Berechnungen von Fachleuten heute die Unfallzahlen im Verkehr.
Es gibt immer noch Schlaue, die sagen: Aus Gründen des Umweltschutzes können wir Tempo 100 nicht mehr durchbringen. - Das sagt inzwischen auch die Mehrheit in der SPD, wenn man die Leute ehrlich fragt. Stellen wir also wieder die alte Behauptung auf: Das bringt aber auch noch Verkehrssicherheit. Nun haben wir endlich erreicht, daß die Verkehrssicherheit so groß ist, wie sie seit Jahrzehnten nicht mehr war.
({9})
Ausgerechnet jetzt fordern Sie auf kaltem Wege aus Gründen der Verkehrssicherheit ersatzweise Tempo 100.
({10})
Und das, nachdem Sie - das sage ich einmal an die Adresse der Kollegen von der SPD - mit dieser Begründung einen solchen Vorstoß nicht gemacht haben. Ein solcher Vorstoß kam auch nicht vom
Kollegen Daubertshäuser, der in der sozialliberalen Koalition reichlich Zeit gehabt hätte, aus Gründen der Verkehrssicherheit das zu fordern, was er in diesem Jahr, da wir die beste Bilanz seit Jahrzehnten haben, fordert. Nach einer Auswertung des HUK-Verbandes sind in den Höchstgeschwindigkeitsbereichen der deutschen Autobahnen 47 Menschen zu Tode gekommen. Da fragt man sich, was das eigentlich soll.
({11})
- Jede Zwischenfrage, Herr Kollege Daubertshäuser! Aber erst am Ende, wenn ich noch eine Minute Zeit habe.
({12})
Dann lasse ich Ihre Zwischenfrage herzlich gerne zu.
Herr Kollege, die letzte Minute bricht gerade an.
Ich komme zum Thema zurück. Ich habe gesagt, daß im nächsten Jahr wichtige Entscheidungen zu treffen sind. Ich nannte zuerst den Bundesverkehrswegeplan. Das zweite ist: Zum erstenmal seit 1973 haben wir wieder ein Verkehrssicherheitsprogramm. Die ersten Maßnahmen sind auf dem Weg: Sturzhelmtragepflicht, Führerschein auf Probe, Stufenführerschein. Das Programm insgesamt wird Anfang des Jahres verabschiedet werden müssen.
Es wird aber auch wichtige Entscheidungen in Europa geben. Das EuGH-Urteil zwingt uns dazu.
Herr Bundesverkehrsminister, ich habe in diesem Zusammenhang eine herzliche Bitte an Sie, nämlich daß wir auch bei unseren Besprechungen mit den Verantwortlichen in den europäischen Nachbarländern nicht zu weit von den sehr konkreten und von allen Fraktionen im Verkehrsausschuß getragenen Beschlüssen zur Frage der Liberalisierung, der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im Güterverkehr abweichen sollten. Vielleicht sollte dann auch die deutsche Vertretung mit etwas mehr Standfestigkeit und Rückgrat die deutsche Position, die wir im Verkehrsausschuß festgelegt haben, zu tragen versuchen. Aber ich glaube, meine Damen und Herren, Sie werden heute auch eine Antwort darauf bekommen, welcher Vorbehalt bei diesen Verhandlungen ausgehandelt wurde. Es heißt, daß der freie Markt in Europa ab 1992 verwirklicht sein soll. Ich hoffe, darauf eine Antwort zu erhalten.
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion stimmt dieser Haushaltsvorlage zu.
({0})
Sie wird der Verantwortung gerecht, und sie entspricht der Verkehrspolitik, die wir vereinbart haben. Ich wünsche dem Verkehrsminister dabei guten Erfolg.
Danke.
({1})
Bei allem Wohlwollen, aber Ihre Redezeit ist weit überschritten.
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wurde hier sehr viel gesagt:
({0})
Vollständiges und Unvollständiges, Richtiges und Falsches.
({1})
Es ist nicht möglich, in nur zehn Minuten auf all das einzugehen, und es ist auch nicht möglich, daß ich Sie in so kurzer Zeit bei festgefahrenen Meinungen überzeugen kann.
({2})
Wir können in den Ausschüssen darüber sprechen; dann kann manches erhellt werden.
Ich betrachte den Verkehrshaushalt als ein exemplarisches Beispiel für die Politik der Bundesregierung in zwei Bereichen:
({3})
Stabilisierung der Staatsfinanzen, Impulse für die Wirtschaft durch Investitionen.
({4})
Die Erhaltung und die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in den kommenden Jahren erfordert hohen finanziellen Aufwand. Dies ist unter wirtschafts-, beschäftigungs- und umweltpolitischen Gesichtspunkten zu sehen.
({5})
Gegenüber dem Vorjahr erhöhen sich die Ausgaben im Rahmen des Einzelplans 12 um 230 Millionen DM auf 25,4 Milliarden DM, wobei das Investitionsvolumen um 360 Millionen auf 12,7 Milliarden DM angestiegen ist, wodurch die Investitionsquote von 48,9 % auf 49,9 % steigt, während vergleichsweise nach der mittelfristigen Finanzplanung der von Ihnen geführten Regierung eine Investitionsquote von 45,3 % zu verzeichnen gewesen wäre.
Nun zu den einzelnen Bereichen.
Die Deutsche Bundesbahn erhält 52 % des Etatvolumens. Wie die Beispiele zeigen, wirken die Leitlinien, die wir gemacht haben. Die Deutsche Bundesbahn hat vielleicht symbolisch gerade am letzten Dienstag gezeigt, wie sie sich weiterentwickelt hat.
({6})
Ich erinnere an den ICE und an den Weltrekord von
317 km/h, womit ohne Zweifel die Deutsche BunBundesminister Dr. Dollinger
desbahn von der technischen Seite ihrer Lokomotiven her wieder an der Spitze in der Welt steht.
({7})
Die Rad-Schiene-Technik ist letzten Endes von einer großen Zukunft, wenn sie fortgesetzt wird. Wir werden die Investitionszuschüsse an die Bahn steigern, gegenüber dem Vorjahr um 200 Millionen auf 3,6 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, ich brauche nicht nochmals zu betonen, daß wir eine leistungsfähige Bahn brauchen. Die Entwicklung zeigt, daß wir hier auf dem richtigen Weg sind.
({8})
Ich sage nur: Bei der Entwicklung des Defizits wäre ich etwas vorsichtig, meine Herren. Nach den Hochrechnungen Ihrer Regierung hätten wir heute ein Defizit von weit über 5 Milliarden DM. Wir werden in diesem Jahr bei 3 Milliarden DM stehen. Das ist ein himmelweiter Unterschied.
({9})
Für Bundesfernstraßen, meine Damen und Herren, werden wir 6,2 Milliarden DM ausgeben, davon 5 Milliarden DM für Investitionen. Das Straßennetz muß in sich abgeschlossen werden, damit es sinnvoll und wirtschaftlich ist und der Verkehrssicherheit dient.
Ich muß dabei darauf hinweisen, daß wir allerdings in zunehmendem Maße Erhaltungsaufwand haben. Er liegt zur Zeit bei 2,2 Milliarden DM, wird in absehbarer Zeit aber bei 2,5 Milliarden DM sein. Wir werden in bezug auf die Bundesstraßen das Programm der Ortumgehungen fortsetzen.
({10})
80% werden dafür ausgegeben. Das ist ein entscheidender Punkt für den Umweltschutz im Interesse der Menschen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang muß ich ein paar Sätze zu dem Abgasgroßversuch sagen. Es wurde jahrelang phantasiert.
({11})
Man hat sich bemüht und hat Werte errechnet, was Tempolimit bedeuten würde. Wir haben eine gute Grundlage haben wollen und deshalb den Großversuch gemacht.
({12})
Meine Damen und Herren, eines ist hier völlig klar: Ein Tempolimit von 100 km/h würde eine Reduzierung der Stickoxidemission von lediglich 1 % bringen. Damit kann man den Wald nicht retten.
Herr Purps, ich bedaure, was Sie hier sagen, daß das nicht seriös war
({13})
und daß das, was man gemacht hat, Hohn war. Ich
bitte, einmal eines zu bedenken. Der TÜV hat den
Auftrag bekommen. Wir haben den TÜV gefragt,
wieviel Zeit er für einen wissenschaftlichen Versuch braucht. Dann hat er den Termin genannt: erste Zahlen am 20. November und wenige Wochen später das ganze Gutachten. Wie kommen Sie eigentlich dazu, die Herren des TÜV, Wissenschaftler und sonstige gewissenhafte Arbeiter, so herunterzuwürdigen, wie es hier geschieht?
({14})
Ich betrachte das als unanständig, um es deutlich zu sagen. Man sollte Leute, die ihre Pflicht erfüllen und ihre Arbeit tun, nicht so behandeln, wie es hier geschehen ist.
({15})
- Ich verstehe Ihre Aufregung. Aber man soll jeden achten in bezug auf das, was er tut, und nicht mit Unterstellungen arbeiten.
Das Ergebnis zeigt, daß der Umweltschutz durch ein Tempolimit nicht wesentlich gefördert wird. Ich bin der Meinung, daß die schnelle Entscheidung der Bundesregierung nicht skandalös war, Herr Purps, wie Sie sagen, sondern es war eine rasche Schlußfolgerung auf Grund von klaren Ergebnissen. Hätten wir gezögert, hätten Sie gesagt: Die Regierung ist nicht entscheidungsfähig.
({16})
Wenige Bemerkungen zu ÖPNV und kommunalem Straßenbau. Hier werden 1986 je 1,3 Milliarden DM gegeben. Ich bin sicher, daß wir auch hier vorankommen. Auch das Märchen, der Bund täte hier nichts, ist falsch. Der Bund wird 6,4 Milliarden DM für ÖPNV ausgeben, während es alle Länder und Gemeinden zusammen auf 5,3 Milliarden DM bringen werden.
Bei den Bundeswasserstraßen haben wir keine neueren Projekte. Die alten werden fertiggestellt und ausgeführt. Bei der Seeschiffahrt wissen wir um die Probleme, die im Hinblick auf die weitere Entwicklung sehr ernst genommen werden müssen.
Ich wurde nach der EG-Verkehrspolitik gefragt. Die letzte Sitzung des Ministerrats war ein Erfolg für uns, weil zum erstenmal beschlossen worden ist, daß die Liberalisierung mit der Harmonisierung parallel gehen muß.
({17})
Selbst der Kommissar Clinton Davis hat in seinem Beitrag erklärt, daß Sozialvorschriften harmonisiert werden - das ist zwischenzeitlich geschehen -, daß Maße und Gewichte harmonisiert werden müssen und daß Mineralölsteuer, Kraftfahrzeugsteuer und Straßengebühren - sprich: Autobahngebühren - zu harmonisieren sind. Wer hier sagt, daß das nichts sei, hat keine Ahnung, wie schwer Europa zu bauen ist und wie wichtig es war, daß wir diesen Durchbruch errungen haben.
Es gibt keinen Zweifel, daß einige Sorgen, die das Gewerbe hat, sehr rasch geklärt werden können. Dazu stehe ich auch im Ausschuß entsprechend zur Verfügung. Wir können nicht immer sagen: Wir wollen Europa. Wir müssen etwas tun, daß es gestaltet wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung machen. Jeder weiß, wie wichtig gute Verkehrswege für den Bürger, die Wirtschaft und den Verbraucher sind. Da werden wir mehr tun, als Sie glauben; denn wir handeln, während Sie reden. Das ist der Unterschied.
Ich kann meine Betrachtungen nicht abschließen, ohne darauf hinzuweisen, daß wir auf einem guten Weg sind in einer Verkehrspolitik, die alle Bereiche sieht und den Notwendigkeiten der Bürger auch unter dem Gesichtspunkt der Zukunft gerecht wird.
Ich danke den Damen und Herren der Ausschüsse. Ich danke aber auch allen, die im Verkehrswesen tätig sind: den Frauen und Männern, die bei der Bahn sind, die auf der Straße wirken, bei der Binnenschiffahrt, bei der Hochseeschiffahrt und bei der Luftfahrt. Ihr treuer Dienst, vor allem in der schweren Zeit des Winters, ist eine entscheidende Voraussetzung für ein geordnetes Leben unserer Bürger und unserer Wirtschaft.
({18})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12, und zwar zuerst über die Änderungsanträge.
Wer dem Änderungsantrag der Abgeordneten Schulte ({0}), Senfft, Suhr von der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4314 ({1}) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 10/4337 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 12 ab. Wer dem Einzelplan 12, Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 10/4160, 10/4180 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({2}) Frau Zutt
Hierzu liegen Änderungsanträge der Abgeordneten Suhr, Werner ({3}) von der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4312, 10/4313 und 10/4331 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Zutt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit fast 7 Milliarden DM erreicht der Agrarhaushalt eine neue Rekordhöhe und liegt um 5,2 % über dem von 1985, der auch schon stärker gestiegen war als der von 1984. Die Regierungskoalition wird nicht müde, diese im Vergleich zum Gesamthaushalt überdurchschnittlichen Steigerungsraten allein schon als Zeugnis ihrer hohen Wertschätzung der Bauern und als effektive Lösung der landwirtschaftlichen Probleme hinzustellen.
Der Einzelplan des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist damit aus dem Konsolidierungsziel des Gesamthaushaltes der Wenderegierung von Anfang an herausgenommen.
({0})
Dieser Verstoß gegen Ihre selbstgesteckten Ziele wird von Ihnen immer wieder mit der Notwendigkeit sozialer Maßnahmen für die Landwirtschaft insgesamt begründet. Hier nehmen wir Sie beim Wort und fragen: Was haben drei Jahre Agrarsozialpolitik dieser Regierung den bäuerlichen Familien gebracht? - Zunächst einmal nichts!
({1})
Drei Jahre lang haben Sie nämlich den Auftrag verschleppt, den Ihnen das Parlament gab, ein Gesetz mit dem Ziel vorzulegen, zu sozial gerechten Beitragssätzen für die Altershilfe der Landwirte zu kommen.
({2})
Drei Jahre ist es Ihnen, Herr Minister Kiechle, gelungen, eine Sozialregelung, die Sie als „sozialistisches Experiment" verteufelt haben, zu hintertreiben. Dann haben Sie mit der von Ihnen verordneten Quotenregelung für Milch einen Großteil der Bauern in akute Existenznot getrieben. Gleichzeitig haben Sie mit der Einführung der 5-%-Mehrwertsteuer-Vergütung innerhalb der Landwirtschaft die Polarisierung durch Begünstigung umsatzstarker Betriebe vorangetrieben.
({3})
Erst nach diesen Maßnahmen haben Sie sich unter dem Druck der Bauern endlich bequemt, das Dritte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz vorzulegen, das Sie uns heute als große Errungenschaft dieser Regierung preisen.
({4})
Die Regierung spielt sich als Protektor der wirtschaftlich schwachen Landwirte auf. Wirksame
Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation hat sie bisher planvoll vermieden.
({5})
Sie spricht von der Erweiterung der benachteiligten Gebiete von einem Drittel auf die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche der Bundesrepublik, ohne auch nur eine einzige müde Mark im Haushalt für die damit notwendige Erhöhung der Ausgleichszulage einzuplanen.
Dazu paßt es, wenn Sie, Herr Minister Kiechle, Forderungen nach Hilfe für die wirklich bedürftigen Familienbetriebe mit dem Argument abschmettern, es sei eindeutig Klassenkampf, die kleineren gegen die größeren Bauern auszuspielen.
({6})
Damit haben Sie sich zum verlängerten Arm des Bauernverbandes machen lassen, der ja verschleiert längst nur noch die Interessen der Großbauern vertritt.
({7})
Da der nationale Agrarsektor heute nicht mehr vom europäischen zu trennen ist, in den er voll integriert ist - ich möchte hinzufügen: nach Ansicht der SPD auch bei allen Schwierigkeiten integriert bleiben soll -, ist es notwendig, daß man zu dem nationalen Sektor auch die Kosten für den europäischen Agrarsektor hinzuzählt. Wenn Sie unseren Anteil an den Kosten der Agrarmarktordnung - das sind 30 % von 46 Milliarden DM - sowie die Mindereinnahmen durch die Vorsteuerpauschale -2,7 Milliarden DM; auf den Bund entfallen 1,8 Milliarden DM - zusammenzählen, kommen Sie für das Jahr 1986 auf 23 Milliarden DM.
({8})
Angesichts dieser Summe fragen wir auch im Bereich der europäischen Agrarpolitik: Was haben drei Jahre Politik der Regierungskoalition den Bauern gebracht?
({9})
Das Fazit ist auch hier negativ, Benachteiligung kleiner und Bevorzugung großer Betriebe als Politik und eine Polarisierung im nationalen Sektor,
({10})
ein stetig wachsender agrarpolitischer Dirigismus, der die Ansätze marktorientierter Politik im europäischen Bereich zerstört.
({11})
Drei Jahre Agrarpolitik der Regierung bedeuten drei Jahre agrarpolitischen Dirigismus. Mit der Quotenregelung für Milch haben Sie, Herr Minister Kiechle, für 1984 einen qualitativ entscheidenden Schritt in ein bürokratisches, reglementiertes System getan, das in zweifacher Hinsicht gescheitert ist: Zum einen haben Sie eine Strukturentwicklung gefördert, die schlichtweg als verheerend bezeichnet werden muß.
({12})
Die Quotierung ging voll zu Lasten der Familienbetriebe im kleinen und mittleren Größenbereich, während die Betriebe mit größeren Viehbeständen besser über die Runden kamen. Zum anderen verfehlen Sie mit dieser Politik auch noch bei weitem das gesteckte Ziel, nämlich einen spürbaren Abbau der Überschußproduktion, wenn man die gegenwärtigen Milchanlieferungen ansieht.
Die Quotenregelung stellt sich also nicht nur als unnützes, sondern sogar als schädliches Instrument heraus.
({13})
Dieses Instrument haben Sie, Herr Minister, uns als das Allheilmittel gegen die europäische Agrarmisere angepriesen.
({14})
Ich will hier nicht mehr auf den Schaden eingehen, den der Minister dem Ansehen der Bundesrepublik in Europa zugefügt hat. Nur dies: Mit den Quotenregelungen und in den Getreidepreisverhandlungen wurde mehr europäisches Porzellan zerschlagen, als wir es uns leisten können.
({15})
Wir dürfen froh sein, wenn wir nicht völlig isoliert in der Gemeinschaft stehen.
Angesichts dieser Negativbilanz wundert es nicht, daß Herr Minister Kiechle verstärkt auf Public Relations setzt, um das ramponierte Image aufzupolieren und die Konzeptionslosigkeit der Politik zu verschleiern. Wie Sie, Herr Minister Kiechle, einen Betrag von 145 000 DM als Zuschüsse zu Ihrem Buch sowie zu einem Film mit dem hübschen Titel „Beruf Bundesminister - zu Besuch bei Ignaz Kiechle" gegenüber den finanziell gebeutelten kleinen Landwirten rechtfertigen wollen, ist mir unverständlich.
({16})
Konzeptionslosigkeit kennzeichnet Ihre Position mittlerweile wohl am besten, Herr Minister. Angesichts der Vorschläge der Kommission im Grünbuch und der energischen Forderungen - übrigens auch von seiten der CDU - nach einer Reform der europäischen Agrarpolitik reagieren Sie ratlos. Einerseits erkennen Sie dringlichen Handlungsbedarf an, andererseits glauben Sie unverändert an die Richtigkeit einer sogenannten aktiven Preispolitik, wobei sich doch das Scheitern einer Politik, die auf Einkommenssicherung über Preise und Mengen setzt, längst herumgesprochen hat.
({17})
Mein Kollege Rudi Müller wird nachher einiges zu unserem marktorientierten agrarpolitischen Konzept sagen.
({18})
Ich kann Ihnen nur empfehlen, gut zuzuhören.
Kurz: Herr Minister, Ihre Politik überzeugt uns nicht, die Bauern nicht. Sie ist zum Schaden der Mehrzahl der deutschen Bauern. Wir lehnen daher den Haushalt ab.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitz ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Zutt, Sie haben mit Ihren Eingangsbemerkungen ja völlig recht: Der Agraretat des Jahres 1986 ist der größte Agraretat seit 15 Jahren. - Wer dann am Ende seiner Rede gleichzeitig erklärt, das alles sei nichts wert und leiste im Grunde genommen in dieser Frage keinen Beitrag, der sollte sich doch wirklich einmal vergewissern, was das heißt. 15 Jahre lang haben wir keinen solchen Agraretat gehabt. Dies ist eigentlich die Antwort der Bundesregierung auf die Herausforderung der Probleme, die im wesentlichen Sie hinterlassen haben;
({0})
das müssen wir hier einmal feststellen.
({1})
Diese Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung haben die Sorgen der Landwirtschaft erkannt. Sie antwortet zunächst einmal mit den Möglichkeiten, die finanziell überhaupt machbar sind. Wenn man dies betrachtet, dann ist es bei der sowohl von Ihnen wie auch von den GRÜNEN in einer polemischen Form vorgebrachten Kritik, daß die Kleinen gegen die Großen und umgekehrt ausgespielt würden, angebracht,
({2})
einmal zu untersuchen, was denn eigentlich hinterlassen worden ist.
Haben Sie sich nie die Frage gestellt, daß die Problematik der Überschüsse nicht von heute auf morgen entstanden ist? Haben Sie sich nie die Frage gestellt, wie das passieren konnte
({3})
und daß man das durch administrative Mittel nicht so hätte hineinschlittern lassen dürfen? Ich möchte behaupten, daß Sie, wenn Sie zum jetzigen Zeitpunkt das Sagen hätten - Gott sei Dank hat der Wähler das ja verhindert -, exakt mit denselben Problemen zu kämpfen hätten, mit denen wir es auch zu tun haben.
({4})
Die Überschüsse engen den preispolitischen Spielraum ein. Das ist sicherlich ein Ärgernis der Verbraucher, aber auch ein Ärgernis der Landwirte. Wie wäre es aber gewesen, wenn Sie dran geblieben wären?
({5})
Man muß einmal die Vergangenheit betrachten. Die alte Bundesregierung hatte, als sie 1982 abtrat, damit begonnen, den Bundeszuschuß zur Alterskasse für Landwirte schrittweise abzubauen. Ein Negativpunkt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Aber gern.
Herr Kollege Schmitz, stimmen Sie mir zu, daß es eigentlich der Respekt vor Ihren Ausführungen geböte, daß der Kollege Seiters seine Unterredung mit dem Kollegen Stoltenberg einstellt? Die Kollegin Zutt konnte schon nicht zum Minister durchdringen.
Meine Bitte also, Herr Minister Stoltenberg: Führen Sie die nette Unterhaltung, die Sie sicherlich brauchen, doch hinten im Saal. Vielleicht beendet der Minister aber auch seine Unterhaltung. Dann kann man ihn auch einmal ansprechen. Ich sage das ganz lieb.
({0})
Ich gehe davon aus, daß Ihrer Intervention, die Sie gemacht haben, sicherlich Folge geleistet wird. Aber ich gehe auch davon aus, daß der erste Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion und der Finanzminister sicherlich wichtige Dinge zu besprechen haben.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen wir das einmal auf uns wirken. Man muß ja auch einmal die Finanzplanung aus Ihrer Regierungszeit zu Rate ziehen, wenn über das Jahr 1986 gesprochen wird. Wenn Ihre Finanzplanung jetzt Wirklichkeit geworden wäre, hätten wir, sehr verehrte Frau Kollegin Zutt, 1 Milliarde DM weniger im Einzelplan 10. Wie hätte dann Ihre Politik ausgesehen, möchte ich Sie fragen.
Im Rahmen der Agrarsozialpolitik war laut mittelfristiger Finanzplanung von 1982 vorgesehen - ich habe das eben schon gesagt -, die Unfallversicherung abzubauen. Nach den damaligen Plänen wären wir heute bereits bei 40 Millionen DM Zuschüssen für die Unfallversicherung angelangt. Wir haben 400 Millionen DM eingesetzt. Das ist konkrete Politik für die Landwirtschaft und für die Bauern.
({1})
Wir haben im Zuge des dritten agrarsozialen Ergänzungsgesetzes, das Sie so kritisieren, gleichermaßen gestaffelte Beiträge eingeführt. Sie hätten das ja in Ihrer Regierungszeit machen können.
({2})
Je nach Stufe beträgt der Zuschuß monatlich 25 DM, 50 DM und 75 DM. Darüber hinaus können - um einen gleitenden Übergang zu schaffen, um Härten zu vermeiden - auch noch Haupterwerbslandwirte mit einem Wirtschaftswert von 30 000 bis
Schmitz ({3})
40 000 DM einen Zuschuß von 240 DM erhalten. Das ist eine Leistung von uns an die Landwirte.
({4})
Ich freue mich, daß im Rahmen der Beratungen sowohl des Fachausschusses wie des Haushaltsausschusses ebenfalls ein langjähriger Wunsch
({5})
- ich will das zu Ende führen, Herr Kollege - von vielen Landarbeitern in Erfüllung gegangen ist: die Zusatzversorgung für ältere Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft zum 1. Januar 1986 um fast 30 % zu erhöhen. Sie erhalten künftig monatlich zusätzlich 90 DM - bisher 70 DM - zu ihrer Rente. Gleichzeitig wird der Kreis der von der Zusatzversorgung Begünstigten um sieben weitere Jahrgänge erweitert. Das ist auch eine soziale Leistung. Sie sollten klatschen.
({6})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zander?
Gern.
Herr Kollege Schmitz, finden Sie, daß es eine besondere Auszeichnung für die Agrarpolitik der Bundesregierung ist, daß der Präsident des Deutschen Bauernverbandes an dieser Debatte noch nicht einmal teilnimmt?
Wissen Sie, Herr Kollege, ich bin nicht der Oberzensor. Ich gehe davon aus, daß Sie das auch nicht sind.
({0})
- Ich kritisiere keinen Kollegen wegen seiner Abwesenheit. Was soll das denn? Sie sind j a manchmal auch nicht da.
({1})
Finden Sie, daß es eine Auszeichnung ist, daß Ihr Fraktionsvorsitzender bei einer solch wichtigen Debatte auch nicht anwesend ist?
({2})
- Und Herr Schmidt ({3}) und andere? Sollen wir diesen Unsinn fortsetzen? Ich halte es nicht für richtig.
Ich bin der Meinung, daß sich in der Agrarsozialpolitik das sehen lassen kann, was diese Regierung geleistet hat.
({4})
Deswegen sind Sie, meine ich, gut beraten, in Ihre alten Finanzpläne einmal reinzublicken und festzustellen, was Sie,da eigentlich vorhatten,
({5})
nämlich gar nichts.
Ein weiterer Schwerpunkt der Agrarpolitik ist die Strukturpolitik. Fragen Sie sich doch einmal: Wie sah das bei Ihnen aus?
({6})
Sie haben kritisiert: Wir haben 1,3 Milliarden DM dort jetzt eingesetzt. Nach Ihrem alten Finanzplan sah es doch so aus, daß wir jetzt eigentlich lediglich 1 025 Millionen DM drin stehen hätten, nämlich 275 Millionen DM weniger. Lassen Sie es unsere Sorge sein, ob wir die Ausgleichszulage bezahlen können. Ich möchte behaupten, sie ist zu bezahlen mit diesen 1,3 Milliarden DM, die da drin stehen. Deswegen ist Ihre Kritik nicht richtig.
Fast 50 % der genutzten Fläche der Bundesrepublik Deutschland - dies haben wir gemacht - sind in das Programm für benachteiligte Gebiete reingekommen. Das ist eine Leistung. Das muß von der EG noch genehmigt werden. Das heißt, wir konnten von insgesamt 1,5 Millionen ha auf 4 Millionen ha vergrößern. Das heißt, wir werden insgesamt die jährliche Ausgleichszulage von 180 DM je Großvieheinheit und Hektar auf 240 DM erhöhen. Auch das ist eine Leistung. Das kann ja niemand bestreiten.
({7}) - Das haben wir eben klargestellt.
Unter diesen Voraussetzungen wird dann kritisiert, daß hier auf dem steuerpolitischen Sektor die Vorsteuerpauschale erhöht wurde, um den Währungsausgleich herbeizuführen. Und dann höre ich, daß der Kollege Oostergetelo mit entsprechenden privaten Rechnungen, die er da aufmacht, durch die Lande zieht und groß und klein damit vergleicht und sagt: Das ist ja alles Unsinn; das hätte man ja anders machen müssen. - Wissen Sie, Herr Kollege Oostergetelo, das wäre ja einfach für Sie gewesen. Ich habe noch nicht gehört, daß Sie darauf verzichtet haben, das Geld anzunehmen.
({8})
Herr Abgeordneter, es wird eine Zwischenfrage gewünscht. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?
Ich möchte das jetzt zu Ende führen. Meine Zeit ist begrenzt, Herr Präsident.
({0})
Die steuerlichen Fragen, die ebenfalls jetzt im bevorstehenden Steuerbereinigungsgesetz erhebliche Erleichterungen für die Landwirtschaft bringen, möchte ich auch einmal erwähnen. Stellen Sie sich doch einmal die Frage: Was hat die alte Koalition auf diesem Sektor denn gemacht? Da können Sie einen Strich machen. Da ist nichts. Im Gegenteil. Belastungen haben Sie für die Bauern hier noch bis zum Geht-nicht-mehr eingeführt. Sie ha13598
Schmitz ({1})
ben in der Steuerfrage für die Landwirtschaft derartige Erschwernisse geschaffen, daß es für manche aufgebenswillige Landwirte problematisch war, überhaupt aufzugeben. Das ist Dank der guten Zusammenarbeit zwischen dem Finanzminister und dem Kollegen Kiechle heute leichter und eher möglich.
({2})
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu Ihren programmatischen Vorstellungen machen. Ich höre, daß die Sozialdemokraten jetzt ein neues Programm vorgestellt haben. Ich muß Ihnen sagen: Dieses Programm reißt mich, nachdem ich es gelesen habe, nicht vom Stuhl.
({3})
Ich will Ihnen zugestehen, daß keiner zur Zeit die Patentlösung hat. Aber wenn ich dann lese, daß bei einer marktgerechten Preispolitik entstehende Härten durch direkte Einkommensbeihilfen zu überbrücken sind, dann muß ich mal fragen: Was sind denn für Sie marktgerechte Preise? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das mal konkret erläutern würden.
({4})
Ich sage Ihnen ganz klar: Auch wir arbeiten an einem Programm. Wir wollen uns sorgfältig miteinander abstimmen. Wir wollen aber genau wissen, wie das zu bezahlen ist und wer von den Betroffenen möglicherweise dann, wenn er Flächen stillegt, in diese Programme hineinkommt. Einfach zu fordern „Dann machen wir das mit Flächenstillegung und Einkommensübertragung", ohne seriös die Gesamtrechnung vorzulegen, was das kostet, ist für meine Begriffe keine verantwortete Agrarpolitik.
({5})
Wir sagen: Markt- und Preispolitik muß die Grundlage der landwirtschaftlichen Einkommenspolitik bleiben.
({6})
Solange durch die Überschüsse der Spielraum begrenzt ist, können und müssen wir verstärkte Einkommenshilfe über die vorhandenen Schienen der Agrarsozialpolitik, der Agrarstrukturpolitik sowie der Steuerpolitik einsetzen. Darüber wird es überhaupt keine Diskussion geben. Nur, ich habe den Verdacht, daß Ihre marktgerechten Preise, die dann verglichen werden - es darf da keine restriktive Preispolitik entstehen -, doch ein Widerspruch in sich sind. Sie wissen genausogut wie ich, daß sogenannte marktgerechte Preise im Grund genommen restriktive Preispolitik bedeuten, nichts anderes. Und das sollten Sie den Bauern sagen.
({7})
Meine Damen und Herren, eine Reform der Agrarpolitik muß dem Landwirt und seiner Familie nach unserer Auffassung höchste Priorität einräumen. Es muß deutlich werden, daß die Bauern zu keiner Zeit andere Möglichkeiten haben, als die sich im Rahmen der Marktordnungssysteme bietenden Chancen zu nutzen. Änderungen können hier nur politisch und EG-weit herbeigeführt werden. Dabei muß es in erster Linie darum gehen, die Existenz einer bäuerlichen Landwirtschaft zu sichern und neue, positive Zukunftsperspektiven zu eröffnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Flächenstillegung - man kann darüber sprechen; wir sind auch in der Diskussion. Aber man muß die Konsequenzen bedenken, daß muß raumordnerisch gestaltet werden. Flächen bei Grenzertragsböden stillzulegen, bedeutet doch nicht, diese Dinge sich selbst zu überlassen. Es gibt eine sich über einige Jahre erstreckende Studie der Landwirtschaftskammer Rheinland, die ich Ihnen zur Lektüre empfehlen kann. Daraus geht eindeutig hervor: Dort, wo sich die Landwirtschaft aus der Region zurückzieht, treten Probleme auf. Dies kann man nicht mit der Schere oder am Reißbrett machen, sondern dies muß von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam gestalterisch geordnet werden, meine Damen und Herren. So und nicht anders ist es zu machen.
({8})
Ich meine, wir sollten gerne bereit sein, über all die Probleme miteinander zu reden. Allerdings: Alle Programme - sowohl das, was Sie von der SPD möglicherweise noch vorstellen, erläutern, das, was die FDP hier vorgeschlagen hat, sowie das, was wir möglicherweise in einigen Wochen vorlegen - müssen darauf abgeklopft werden: Dient es der bäuerlichen Landwirtschaft, oder dient es ihr nicht? Ist es bezahlbar, oder ist es nicht bezahlbar? Ist es EGweit durchzusetzen, oder ist es nicht EG-weit durchzusetzen? Mit Wunschträumen kann die heutige Landwirtschaft nichts anfangen.
Ich bin bereit, unsere Fraktion ist bereit, über diese Fragen mit jedem in einen Dialog einzutreten.
({9})
Landwirtschaftspolitik ist zu einem schwierigen Geschäft geworden. Es ist sowohl Finanzpolitik als auch Raumordnungspolitik und Sorge für die Menschen im ländlichen Raum. Ich lade Sie alle ein, an dieser Diskussion teilzunehmen.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Suhr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schmitz, ich nehme die Einladung gern an. Ich hoffe, daß Sie die bisherigen Vorschläge und Programme der GRÜNEN zur Agrarpolitik in Ihrem Schreibtisch liegen haben - ich hoffe, nicht in der untersten Schublade;
({0})
vielleicht werden die jetzt nach den Haushaltsberatungen wieder oben auf den Tisch gelegt -, so daß Sie sich einmal damit auseinandersetzen können.
Wir GRÜNEN lehnen den Einzelplan 10 des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ab.
({1})
- Also, nur weil wir hier in der Agrardebatte sind, brauchen Sie doch noch nicht zu blöken. Lassen Sie mich doch erst einmal ein paar Sätze sagen. ({2})
Der Einzelplan 10 ist weder der Landwirtschaft noch den Verbrauchern bzw. dem Forst oder dem sterbenden Wald dienlich. Ich kann in meinen fünf Minuten leider nicht auf die ganzen Themen eingehen,
({3})
die die Vorredner angesprochen haben. Aber ich möchte doch so viel sagen: Wir haben in den letzten Wochen und Monaten doch ziemlich schlimme Erfahrungen gemacht,
({4}) was die Qualität der Lebensmittel angeht.
({5})
Die ganzen Lebensmittel- und Weinskandale haben einen Flurschaden angerichtet, der in seinem Ausmaß noch kaum erkennbar ist.
({6})
Vergeudet wurde und wird dabei das wichtigste Kapital, das Kapital, das die Landwirtschaft genauso braucht wie gesunde Böden, gesundes Wasser und ausreichend Sonne, nämlich das Vertrauen der Verbraucher. Viele Bauern und Winzer nehmen mit Empörung und Verbitterung zur Kenntnis, daß die Verunreinigung in den Lebensmitteln nicht bei ihnen, sondern in der Weiterverarbeitung entsteht, dort, wo das große Geschäft mit den Produkten der Bauern gemacht wird. Da wird gemischt und gepanscht, denaturiert und verpackt,
({7})
daß es nicht nur der Sau graust, sondern eben auch vielen Verbrauchern.
({8})
Die Nahrungsmittelindustrie interessiert an den Agrarprodukten offensichtlich nur, daß sie als möglichst billiger Rohstoff zur Weiterverarbeitung zur Verfügung stehen. Hier, bei der Weiterverarbeitung, ist der Nahrungsmittelindustrie vor allem wichtig, daß die natürliche Beschaffenheit von Milch, von Fleisch, von Getreide, von Wein der industriellen Verwertbarkeit nicht im Wege steht.
({9})
Mit dieser Agrarpolitik werden dann jährlich für 25 Milliarden DM in der EG die Kühlhallen und Lagerhäuser gefüllt. Wie skandalös bei dieser Kontrolle der Lebensmittel und der bäuerlichen Landwirtschaft mit unterschiedlichen Maßstäben vorgegangen wird, das kann jeder ermessen, der sich erinnern kann, wie damals die Milchgüteordnung selbst im kleinsten Kuhstall mit äußerster Penibilität durchgeführt worden ist. Frostschutz und Sprengstoff im Wein, Bakterien im Flüssigei, Salmonellen in Brathähnchen, Formaldehyd in der Wurst, bei diesen ganzen Schweinereien wird deutlich: Die Nahrungsmittelindustrie und die großen Weinhändler gehen offenbar davon aus, daß die Verbraucher zu dumm sind, etwas davon zu merken, wie diese Lebensmittel degeneriert werden.
({10})
- Ja, ich hoffe, Sie haben schon zu Abend gegessen, Herr Kollege Kühbacher. Diese Haltung in der Nahrungsmittelindustrie wird kräftig unterstützt durch diese Agrarpolitik, die sich in erster Linie an den Großbauern und an der industriellen Verwertbarkeit orientiert, die nicht auf die Informationsbedürfnisse der Verbraucher Rücksicht nimmt.
Deswegen haben wir im Haushaltsplan 10 verschiedene, wirklich relativ kleine Anträge gestellt, um mal zu testen, inwieweit die vollmündigen Ankündigungen des Agrarministers in die Tat umzusetzen sind. Wir haben zum Beispiel 1 Million DM gefordert für einen Untersuchungsauftrag über die sinkende Lebensmittelqualität durch Lebensmittelzusatzstoffe sowie durch die industrielle Verarbeitung und Verpackung. Wir haben vorgeschlagen, läppische 380 000 DM für eine Verbraucheraufklärungskampagne über Rückstände in Lebensmitteln sowie über Vollwerternährung anzustellen.
({11})
- Ich meine Vollwerternährung, Herr Kollege, nicht Vollbier. Wir wollten von dem Gesamtetat von 6,814 Milliarden DM 5,1 Millionen DM einstellen für die Förderung der ökologischen Landbewirtschaftung als Umstellungsbeihilfe, weil das unserer Auffassung nach die einzige Landwirtschaft ist, die wirklich Zukunft hat. Mittlerweile stelle ich fest - ein kleiner Schritt vorwärts -, daß der Sohn von Herrn Kiechle jetzt immerhin schon vom Euro-Schwein abgekommen ist und jetzt streng wissenschaftlich versucht, wieder Ferkel nach alter Väter Sitte zu züchten. Aber der Vater läßt immer noch die Sau raus und betreibt eine Agrarpolitik, die zu Lasten der kleinen Bauern geht.
Jetzt komme ich zum Schluß. Es dauert sehr lange, bis Bauern zornig werden. Ich kann leider nicht alles sagen, was so an den Stammtischen der Bauern gesprochen wird. Dann bekäme ich hier minde13600
stens 50 Ordnungsrufe und müßte verschwinden. Es dauert lange, bis Bauern zornig werden. Wenn es aber so weit ist, dann werden der Herr Kiechle und der Freiherr, der leider heute keine Zeit gehabt hat, an dieser Debatte teilzunehmen, Angst kriegen, wenn sie vor den Mistgabeln davonlaufen müssen. Wir sind sehr gespannt auf die Wahlergebnisse der CSU im nächsten Jahr im Oktober in Bayern. Die Stimmung, Herr Kiechle, werden Sie spätestens am Aschermittwoch in Vilshofen testen können, wenn die GRÜNEN einen Bauerntag organisieren. Wir hoffen, daß Sie uns da besuchen kommen. - Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem wir bereits im vergangenen Jahr mit überproportionalen Steigerungsraten des Agraretats unter Beweis gestellt haben, welchen Stellenwert bei den Koalitionsfraktionen die Landwirtschaft einnimmt, tragen wir auch in diesem Jahr der schwierigen Einkommenssituation der bäuerlichen Familienbetriebe im Haushalt Rechnung. Während der Bundesetat insgesamt nur um 2,2 % ansteigt, weist der Agrarhaushalt eine Steigerungsrate von 5,2 % aus. Sie haben das sehr bedauert, Frau Zutt. Da zeigt sich eben: auf der einen Seite Krokodilstränen angesichts der schwierigen Situation, in der sich die Landwirtschaft befindet - darüber brauchen wir nicht zu streiten -,
({0})
aber auf der anderen Seite Ihre Vorschläge, die wirklich sehr ideenlos, wirklich ohne Intelligenz und ohne Überlegung sind.
({1})
Sie wollen mit reinem Preisdruck die Probleme lösen. Aber, Herr Müller, Sie kommen ja gleich noch.
({2})
Wir haben also 6,9 Milliarden DM im Agraretat eingestellt, und das zeigt, daß die Koalitionsfraktionen sehr wohl auf die augenblickliche Situation der Landwirte reagieren.
Trotzdem betone ich, daß dieser finanzielle Einsatz keinesfalls das anhaltende Konsolidierungsprogramm der Regierungskoalition sprengt. Wir fahren mit der jetzigen Wirtschafts- und Finanzpolitik, in die die Agrarpolitik ja eingeordnet ist, genau richtig; das bestätigt uns gerade in diesen Tagen das Herbstgutachten der Sachverständigen.
Der deutschen Landwirtschaft geht es miserabel. Das ist nicht hinwegzudiskutieren, und daraus macht auch die FDP gar keinen Hehl. Da ist eine wachsende Verschuldung auf den Betrieben zu verzeichnen, eine Flucht in kurzfristige Kreditaufnahmen. Hofverkäufe und Insolvenzen sind zwar nicht an der Tagesordnung, aber auch nicht mehr so unwahrscheinlich wie noch vor zehn Jahren.
({3})
Die Umsätze etwa eines Drittels der landwirtschaftlichen Betriebe in der Bundesrepublik sind zu gering, um ein angemessenes Einkommen zu erwirtschaften und um Eigenkapital zu bilden. Nur ein Drittel der Betriebe erwirtschaftet ein Einkommen, das zur Lebensführung und zur weiteren Entwicklung des Betriebes ausreicht.
({4})
So weit zur deprimierenden Einkommenssituation, vor deren Hintergrund der Einzelplan 10 gesehen werden muß.
Der größte Posten, mit dem wir uns bei der Beratung des Einzelplans 10 beschäftigten, ist der Agrarsozialbereich. Er macht mit über 4,1 Milliarden DM deutlich mehr als die Hälfte der Ausgaben des Bundes für die Landwirtschaft aus. Da die Anzahl der Beitragszahler im Verhältnis zu der der Leistungsempfänger erheblich abgenommen hat und sich dieses Verhältnis auch in Zukunft weiter verschlechtern wird, ist die landwirtschaftliche Sozialversicherung auf erhebliche Bundeszuschüsse angewiesen. Wir haben deshalb den Zuschuß für die Altershilfe von 75% auf 80,3% angehoben. Damit wurden 250 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt.
Die SPD und gerade Sie, Frau Zutt, haben uns hier im letzten Jahr vorgeworfen, daß wir für den Haushalt 1986 nicht schon vorab Zusagen für die Altershilfe für Landwirte gemacht haben. Das ist richtig; wir haben keine Vorabversprechungen gemacht, die immer der Gefahr ausgesetzt sind, daß sie doch nicht erfüllt werden. Wir haben nicht geredet, wir haben in dieser Zeit gearbeitet. Wir sind an die Korrekturen bei der Beratung des 3. agrarsozialen Ergänzungsgesetzes nicht halbherzig, sondern sehr sorgfältig herangegangen.
({5})
Im Gegensatz zur SPD haben wir den Landwirten bei der Altershilfe keinen Sand in die Augen gestreut.
({6})
Wir haben nicht nur eine soziale Staffelung der Bundeszuschüsse gesetzlich verankert, sondern auch die Bundesmittel erhöht.
({7})
Liebe Frau Zutt, seit drei, vier Jahren - ich kenne das Thema ja noch aus der alten Koalition - redet die SPD davon; seit drei, vier Jahren verschleppt sie dies. Die SPD-Vorschläge waren immer nur darauf ausgerichtet, umzuverteilen, und zwar
von den sogenannten reichen Bauern zu den armen Bauern.
({8})
Aber etwas fehlt in Ihren Vorschlägen, etwas haben Sie nie gesagt: Sie haben nicht eine einzige Mark zusätzlich beantragt.
({9})
Ihr Vorschlag hätte dazu geführt, daß wir bei der Umverteilung, die Sie ja so gerne wollen, gerade die Betriebe in der Größenordnung von 25 bis 30 ha, die Vollerwerbsbetriebe, die jetzt sowieso schon große Schwierigkeiten haben, die große Existenzprobleme haben, noch zusätzlich belastet hätten. So wäre es gewesen, wenn Ihr Vorschlag durchgekommen wäre!
({10})
- Ja, ich bin einer der Bauern hier im Parlament, und Sie können mich gern einmal besuchen. Dann werde ich Ihnen das zeigen.
Die SPD hat in diesen ganzen Jahren nur Umverteilungsberechnungen aufgestellt und hat in keinster Weise den Willen erkennen lassen, mit agrarsozialen Finanzmitteln Betriebe von der Bürde der Sozialbeiträge sinnvoll zu entlasten. Sie wollten keine soziale, sondern eine sozialistische Umverteilungspolitik auf dem Rücken der Landwirte betreiben!
({11})
- So ist es! Privatwirtschaft auf eigene Verantwortung und auf eigene Gefahr!
Meine Damen und Herren, der Strukturwandel in der Landwirtschaft wird weitergehen. Die FDP hat diese Entwicklung in ihre Vorschläge zur Neuorientierung der Agrarpolitik mit einbezogen. Die Agrarsozialpolitik soll u. a. den Strukturwandel sozial abfedern. Gerade wenn man weiß, daß 30% der Landwirte zwischen 55 und 65 Jahren keinen Hofnachfolger haben, müssen wir über die Einführung eines vorzeitigen Altersruhegeldes neu nachdenken. Dabei muß es sich angesichts der Überschüsse um eine neue Version der Landabgaberente - eines vorzeitigen Ruhegeldes - handeln, die u. a. an das Kriterium der Extensivierung bzw. Flächenstillegung oder Flächenherausnahme für besondere Zwecke des Natur- und Wasserschutzes usw. gebunden ist.
Wir als FDP sagen: Wir wollen eine Flächenrente.
Nach langem Hin und Her und sicher nicht leichten Herzens haben wir im Einzelplan 10 noch einmal 35 Millionen DM als Überbrückungshilfen für die deutsche Hochseefischerei bereitgestellt, davon 15 Millionen DM für das nächste Jahr. Wir hoffen, daß damit die Strukturprobleme bereinigt werden. Damit wird von uns auch der Arbeitsplatzsituation in den norddeutschen Küstenregionen Rechnung getragen.
Dieser Titel gibt mir allerdings auch Gelegenheit, noch einmal deutlich Stellung zu den vielgescholtenen Agrarsubventionen zu nehmen. Die FDP baut auf marktwirtschaftliche Regulierungskräfte und dies auch, soweit möglich, im Agrarbereich.
Die FDP wendet sich gegen Dauersubventionen. Daß Dauersubventionen die Gefahr von Fehlentwicklungen in der Wirtschaft heraufbeschwören, läßt sich zur Genüge an Negativbeispielen belegen.
Wenn wir in Zukunft nachwachsende Rohstoffe als Anbaualternative für die Landwirte fördern, wollen wir nur zeitlich begrenzte Starthilfen geben. Wir wollen also Subventionen als Hilfe zur Selbsthilfe.
Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe stellen Bund und Länder für die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete im nächsten Jahr ca. 335 Millionen DM bereit. Es ist allerdings auch eine Ausweitung dieser benachteiligten Gebiete von 4 Millionen ha auf über 6 Millionen ha vorgesehen. Das sind dann über 50 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Da muß man sich kritisch fragen: Ist das eigentlich der richtige Weg? Wenn man es durchrechnet, kommt man auf rund 50 DM je Hektar. Ist das nicht eine Politik mit der Gießkanne? Werden diese Steuermittel wirklich optimal und agrarpolitisch sinnvoll eingesetzt? Darüber müssen wir in den Koalitionsfraktionen sicher miteinander diskutieren.
Es macht mich etwas besorgt, wenn Herr Ministerpräsident Albrecht, der jetzt Vorsitzender einer Agrarkommission ist, bei der Milch ein Verfahren wählt, über die Ermessensregelung jedem Landwirt 10 000 kg Milch zur Verfügung zu stellen. Das ist natürlich eine schöne Sache; das kann man weit streuen. Nur: Die Betriebe, die wirklich durch alle Roste gefallen sind - es gibt immer noch welche -, die wirklich in Existenznot sind, müssen natürlich erheblich mehr bekommen. Ich glaube, dafür müssen wir uns alle gemeinsam einsetzen, denn das wäre wichtig.
({12})
Wir müssen uns sicher über die Zuteilungskriterien für die Ausgleichszulagen unterhalten. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob die Bindung der Zuteilungskriterien an den Viehbesatz noch richtig ist.
Beim Bergbauernprogramm gehen wir völlig d'accord. Es ist sinnvoll, vernünftig und richtig. Wir wollen es ausweiten. Wir müssen hier meines Erachtens zu einer mehr am Einzelbetrieb ausgerichteten Förderung kommen. Auch Extensivierung muß möglich sein, und Flächenfreisetzung darf durch Ausgleichszulagen nicht behindert werden.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Bei den wachsenden Überschüssen und der schlechten Einkommenslage der Landwirtschaft verbietet sich eine unveränderte Fortsetzung der Agrarpolitik von selbst. Zentrales Ziel der zukünfti13602
gen Agrarpolitik der FDP ist die Sicherung angemessener landwirtschaftlicher Einkommen. Das Einkommen der Landwirte kann nicht mehr allein durch die Preispolitik gestaltet werden. Um den Landwirten in Zukunft wieder klare Perspektiven zu eröffnen, will die FDP folgenden Weg gehen.
Erstens. Entgegen der Quotenlösung im Milchbereich brauchen wir mehr marktwirtschaftliche Elemente im Agrarbereich und weniger Dirigismus.
Zweitens. Wir wollen den Landwirten dabei helfen und Anreize geben, Alternativen zur jetzigen Überschußproduktion zu entwickeln. Für den einen bedeutet das den vermehrten Anbau von Leguminosen und anderen Eiweißfrüchten sowie von nachwachsenden Rohstoffen, für den anderen den Einstieg in die nichtlandwirtschaftliche Nutzung seiner Flächen und für den Dritten das Ausschöpfen einer ganz besonderen lokalen Marktnische.
Drittens. Wir müssen Produktionsintensitäten drosseln. Die staatliche Förderung zur Ausdehnung von Produktionskapazitäten muß gestoppt werden. Für den Natur- und Gewässerschutz müssen bisher landwirtschaftlich genutzte Flächen angekauft oder gepachtet werden.
Viertens. Die Angebote von seiten des Staates müssen finanziell so attraktiv ausgestaltet werden, daß die Landwirte konstruktiv an dem Abbau der Überschußberge mitarbeiten. Nutzungsänderungen sollen auf freiwilliger Basis vollzogen werden.
({13})
Fünftens. Wesentlich wird in Zukunft die reibungslose Fortsetzung des Strukturwandels sein. Steuerliche Anreize können den Übergang vom Voll- zum Nebenerwerb erleichtern. Die Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum ist dabei eine wesentliche Aufgabe, die bäuerliche Landwirtschaft mit der Agrarpolitik und die strukturschwachen Räume mit der Wirtschaftspolitik in Einklang zu bringen.
({14})
Die FDP-Fraktion stimmt dem Einzelplan 10 zu.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bredehorn, erst einmal zu Ihnen. Sie haben uns vorgeworfen, wir würden umverteilen. Was wir wollten, war, einkommensstarken landwirtschaftlichen Betrieben weniger Subventionen zugunsten einkommensschwacher landwirtschaftlicher Betriebe zu geben.
({0})
Nun zum Kollegen Schmitz. Ich habe Ihrer Rede gut zugehört. Daraus gewinnt man den Eindruck, der Landwirtschaft würde es hervorragend gehen.
Die Lage der Landwirtschaft ist aber katastrophal, und dies nach drei Jahren Ihrer Regierungszeit.
({1})
Ich bin überzeugt, die Landwirte wären sehr, sehr glücklich, wenn es Ihnen heute so ginge wie nach 15 Jahren sozialdemokratischer Regierung.
({2})
An dieser Lage, meine sehr verehrten Damen und Herren - seien Sie doch nicht so nervös -, ändert weder die Steigerung im Einzelplan 10 etwas noch neue Subventionen. Dies sind nur Alibis und der Versuch eines Ausgleichs für das schlechte Verhandlungsergebnis in Brüssel.
({3})
Überschüsse in einem Gesamtwert von über 25 Milliarden DM lagern in der Gemeinschaft.
({4})
Sie sind weder in der EG noch auf dem Weltmarkt ohne Subventionen abzusetzen.
({5})
Exportsubventionen von zirka 16 Milliarden DM haben nicht ausgereicht, diese Vorräte zu vermindern. So liegen heute trotz Quoten - und das ist ja Ihre Erfindung - 1,2 Millionen Tonnen Butter auf Lager,
({6})
Hunderttausende Tonnen Magermilchpulver und Rindfleisch
({7})
und Millionen Tonnen Getreide. Das hat es zu unserer Zeit nie gegeben.
({8})
Trotz Gesamtaufwendungen von 45 Milliarden DM sind die Einkommen vor allem der deutschen Landwirte - wen wundert es - sehr stark zurückgegangen. Und wen wundert es auch, daß die deutschen Landwirte kaum eine Zukunftsperspektive sehen.
Hinzu kommen die ökologischen Probleme. Die Beeinträchtigung von Umwelt und Natur hat vielerlei Ursachen. Unbestritten ist, daß auch die Landwirtschaft mit zunehmender Spezialisierung, Nutzung des technischen Fortschrittes und Intensivierung zur Belastung der Umwelt beiträgt. Ungerecht jedoch wäre es, die Landwirte allein als Umweltsünder anzuklagen.
({9})
Weltfremd ist aber derjenige, der auf den technischen Fortschritt in der Landwirtschaft verzichten
und die Landwirtschaft zu den BewirtschaftungsMüller ({10})
methoden unserer Urgroßväter zurückführen möchte.
({11})
Konsensfähige Lösungen, meine Damen und Herren, wird es nur dann geben, wenn Umweltschutz mit den Landwirten und nicht gegen sie verwirklicht wird.
({12})
Alle Verantwortlichen sind sich einig, daß die Lage der Landwirtschaft und der Agrarmärkte den weiteren Bestand der EG gefährden kann. Einig sind sie sich auch, daß es deshalb so nicht weitergehen kann. Eine breite Mehrheit ist sich im Grundsatz sogar über Parteigrenzen hinweg darüber einig, wie die Lösungen aussehen müssen. Nur die Bundesregierung und der zuständige Landwirtschaftsminister schweigen sich aus. Es liegt kein diskussionsfähiges Konzept auf dem Tisch, obwohl eine Neuorientierung der Agrarpolitik überfällig ist.
Als wirksamer Ausweg aus der bestehenden Krise kommt für uns Sozialdemokraten eine stärker marktwirtschaftlich ausgerichtete Agrarpolitik in Betracht. Das bedeutet weder - und dies will ich hier ausdrücklich betonen - die Aufgabe des Außenschutzsystems und der Gemeinschaftspräferenz noch die Aufgabe der gemeinsamen Agrarpreise. Es bedeutet auch nicht, die Marktordnungen abzuschaffen. Sie sind aber auf die ihnen ursprünglich zugedachten Aufgaben zurückzuführen. Es bedeutet genausowenig die Senkung der EG-Agrarpreise auf Weltmarktniveau.
({13})
Weltmarktbedingungen sind für die europäische Landwirtschaft weder wünschenswert noch durchführbar.
({14})
Dies zur Klarstellung.
Eine marktgerechte Ausgestaltung der EG-Agrarpolitik wird für die betroffenen Landwirte jedoch nur dann annehmbar und innerhalb der Zwölfergemeinschaft kompromißfähig, wenn ihre Auswirkungen auf die Einkommen der europäischen Landwirte in angemessener Weise ausgeglichen werden.
({15})
Solche Einkommenshilfen, die beileibe kein neues Instrument in der Agrarpolitik sind, müssen produktionsneutral ausgestaltet sein.
({16})
Nur so läßt sich der Anreiz zu mehr Produktion vermeiden.
Weiter kann die Förderung der Flächenstillegung oder Nutzungsänderung für Zwecke des Natur- und
Gewässerschutzes in Betracht kommen. Von besonderer Bedeutung wäre außerdem eine Vorruhestandsregelung für ältere Landwirte nach Vollendung des 55. Lebensjahres.
({17})
Die nach der Berufsaufgabe frei werdenden Flächen sollten vorrangig für Zwecke des Naturschutzes genutzt werden.
({18})
Direkte Einkommensübertragungen könnten durch ein Bündel weiterer Maßnahmen ergänzt werden.
({19})
Neben der Aufforstung käme die Förderung sogenannter alternativer Produkte wie z. B. Faserpflanzen, Körnerleguminosen und Luzerne in Betracht.
({20})
Außerdem könnte die Förderung nachwachsender Rohstoffe als Ausgangsstoff für die industrielle Verwendung und als Energieträger den Agrarmarkt entlasten.
({21})
Vor allzu hohen Erwartungen bezüglich nachwachsender Rohstoffe und Flächenstillegungsprogrammen möchte ich jedoch warnen. Sie können kein Allheilmittel für die Krise der Agrarpolitik sein.
Meine Damen und Herren, keine Lösung für uns sind zusätzliche administrative Eingriffe in den Agrarmarkt wie z. B. Quotenregelungen für Getreide oder Überschußprodukte. Keine Lösung ist für uns eine aggressive Exportpolitik, denn der Weltmarkt ist nicht mehr aufnahmefähig, und Exporterstattungen sind nicht mehr finanzierbar. Keine Lösung für uns ist die einseitige Abschottung des EG-Agrarmarktes. Keine Lösung für uns ist die Renationalisierung der gemeinsamen Agrarpolitik. Keine Lösung für uns ist eine aktive Preispolitik.
({22})
- Herr Kollege Eigen, Sie wissen doch, welche Folgen die aktive Preispolitik gehabt hat. Sie hat den Einkommensstarken geholfen, aber den Umsatzschwachen nichts gegeben. Das ist die Konsequenz. Deswegen wollen Sie persönlich weiterhin eine aktive Preispolitik. Das ist die Situation. Sie wollen keine Einkommenshilfen, weil nicht Sie, Herr Kollege Eigen, sie bekämen, sondern die Einkommensschwachen. Das ist unser Konzept. Wir wollen den Einkommensschwachen helfen, um das ganz deutlich zu sagen.
({23})
- Ich habe Ihnen ganz deutlich gesagt, was wir
wollen. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen und
Müller ({24})
dann, wenn man etwas anderes will, nicht immer nur persönliche Vorteile zu sehen.
({25})
Meine Damen und Herren, unser Konzept einer Neuorientierung der Agrarpolitik erscheint konsensfähig. Auch die FDP hält im sogenannten Gallus-Papier einen solchen Weg für gangbar. Herr Bangemann hat dies vor einigen Tagen in Frankfurt noch einmal bekräftigt.
Alle Bundesländer haben sich im Agrarausschuß des Bundesrates auf ein Reformpapier verständigt. Grundlage war ein von Bayern vorgelegtes Papier, auf dessen Kernaussagen sich die für Agrarpolitik zuständigen Staatssekretäre der unionsgeführten Bundesländer geeinigt haben. In Ziffer 14 heißt es - verkürzt -: Anhebung der Agrarpreise auf Überschußmärkten nicht durchsetzbar. - In Ziffer 15 heißt es: Eine marktgerechte Handhabung der Marktordnungsinstrumente ist notwendig. - In Ziffer 20 heißt es: Quoten oder ähnliche Regelungen sind abzulehnen.
Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, die haben unser Konzept vorher gelesen.
({26})
Herr Minister, wie vertragen sich diese Aussagen mit Ihren ständig wiederholten Grundpositionen? Haben Sie doch endlich den Mut, unseren Landwirten offen zu sagen, wohin die Reise geht. Ich meine - wir sollten meinen -, die Landwirte haben einen Anspruch darauf.
Herzlichen Dank.
({27})
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege der GRÜNEN hat seine Rede damit gespickt, daß er auf die biologisch-dynamischen Ferkel meines Sohnes hingewiesen hat. Ich habe meinem Sohn die Freude gern gegönnt. Die ausgemästeten Schweine waren vorzüglich. Aber ich habe auch Buch geführt. Da kann ich Ihnen nur sagen: Das ist noch weniger als ein Hobby. Wenn der Vater nicht draufzahlen hätte können, und zwar ganz erheblich, wäre der Sohn pleite gewesen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte am Ende dieser Debatte meinen Beitrag mit einem Dank an die Mitglieder des Haushaltsausschusses und an den Herrn Finanzminister beginnen. Als zuständiger Ressortminister bedanke ich mich dafür, daß der Einzelplan 10 erheblich angehoben worden ist. Das ist tatkräftige Hilfe und nicht nur Gerede.
({1})
Da ein Teil der Mitglieder des Haushaltsausschusses hier verkündet hat, er werde diesen Einzelplan ablehnen, kann ich den Dank natürlich nur denen gegenüber aussprechen, die dafür sorgen, daß dieser Haushalt angenommen wird.
Gegenüber dem Vorjahr haben wir über 340 Millionen DM mehr eingesetzt. Das zeigt schon den Stellenwert, meine Damen und Herren, den die Landwirtschaft in unserer Politik hat. Nicht von Reden wird sie satt, nicht von Zielvorstellungen, sondern ihr kann nur durch die Tat geholfen werden.
({2})
Ich möchte dabei noch darauf hinweisen, daß dieser Haushalt gegenüber dem Finanzplan, den die alte Regierung unter der SPD-Führung aufgestellt hatte, 465 Millionen DM mehr beinhaltet.
({3})
Ich darf auch daran erinnern - das ist zwar nicht Gegenstand des Haushalts -, daß zu den Maßnahmen, die unsere Wertschätzung der Landwirtschaft zeigt, auch gehört, daß beispielsweise unsere Bäuerinnen ab dem nächsten Jahr Erziehungsgeld bekommen werden.
({4})
Das ist ein Stück Gleichberechtigung und Hilfe, die Sie ihnen immer verweigert haben.
Der Haushalt 1985 hatte Schwerpunkte, meine Damen und Herren. Sie lagen bei der Ausgleichszulage, bei der Milchrente und bei der von der SPD so sehr vernachlässigten Berufsgenossenschaft. Der Haushalt 1986 hat seinen Schwerpunkt vor allem in der Altershilfe. Er hat auch eine zusätzliche Hilfe für landwirtschaftliche Arbeitnehmer gebracht. Wir haben der Hochseefischerei geholfen, daß sie wenigstens in einem den Umständen angepaßten Konzept weiter bestehen kann. Wir gehen davon aus, daß wir, falls es uns gelingt - und ich hoffe das -, in Brüssel die weiteren zwei Millionen Hektar benachteiligte Fläche durchzusetzen, in der Lage sind, für den Teil des Jahres 1986, der dann zur Debatte steht, die Mittel dafür aufzubringen. Wir werden der Landwirtschaft auch im steuerlichen Bereich noch ganz erheblich helfen und im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens bis zum 1. Januar neue Maßstäbe setzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Opposition hat ihre alten Lieder abgespult und wieder gesungen.
({5})
Ich möchte nur zu drei oder vier Punkten kurz etwas sagen.
Frau Zutt, Sie haben die Quotenregelung bei der Milch angegriffen. Wir haben hier so oft darüber diskutiert. Ich möchte nur noch einmal feststellen:
Wir haben damit gerade den kleineren Bauern - die sind es, die davon leben ({6})
die Preise gerettet. Es stand zur Entscheidung an: 12% Preissenkung oder Beschränkung der Menge.
({7})
Wir haben uns für die Mengenbeschränkung entschieden. Wenn Sie draußen nicht Wunschhörer sind, sondern seriös diskutieren und zuhören, dann merken Sie ein zunehmendes Verständnis der Bauern für eine solche Situation. Daß sie noch über manche Härten klagen, ist eine ganz andere Sache. Aber viele andere Staaten der Welt, die das schon zehn und mehr Jahre praktizieren, haben auch Jahre gebraucht, bis sie das System voll durchgesetzt hatten.
Wenn Sie die Preise lieber senken wollen und dafür jedem sein angebliches Recht auf marktwirtschaftliche Betätigung bei der Produktion eines Produkts, das nicht mehr verkäuflich ist, belassen wollen, dann sagen Sie das bitte deutlich, und verstecken Sie sich nicht hinter der einen oder anderen Formulierung.
({8})
Als zweites möchte ich sagen: Sie, Frau Zutt, haben mir als Sprecherin der Opposition noch einmal vorgehalten, mein Veto sei europapolitisch schädlich gewesen. Ich kann in den Verhandlungen davon nichts spüren. Die Mitgliedstaaten haben immerhin erkannt, daß wir in einem ganz entscheidenden Punkt, nämlich in der Frage, ob politisch gezielte und gewollte Preisdruckpolitik zur Mengenanpassung führen und so lange betrieben werden soll, bis sich die Mengen durch Ausscheiden der Schwächeren und Kleineren von selbst regeln, ein klares, eindeutiges Nein gesagt haben.
({9})
An diesem Nein wird sich mehr an vernünftiger Diskussion entwickeln als an den Wischiwaschihaltungen und an den nebulösen Formulierungen, die man gegebenenfalls und auch in der Vergangenheit sehr oft gebraucht hat.
({10})
Der Herr Kollege Müller hat etwas gemacht, was er das Vorstellen eines Programms genannt hat. Ich habe gut zugehört, und da ich es auch schriftlich hier hatte, habe ich es gut verfolgen können. Ich könnte etwas süffisant sagen: Ich weiß nicht, wie das Ganze entstanden ist, jedenfalls ist es zu ungefähr 75% der Inhalt dessen, was ich in mindestens 50 Reden schon landauf, landab seit einem Jahr draußen bei den Bauern, aber auch in den Diskussionen mit Verbänden und anderen ständig vertrete.
({11})
Was da gesagt wurde, was sie alles für möglich halten, was Sie alles möchten und vielleicht tun könnten usw., bis zu den Alternativfrüchten und all diesen Dingen, das ist nichts Neues. Dazu gehört auch die Alternativproduktion für gewerblich-industrielle Bereiche. Wir diskutieren darüber, wie schnell und wie seriös wir das auf den Weg bringen können, ohne die Einkommen der Bauern dabei senken zu wollen oder gar zu müssen.
({12})
In dem von Ihnen vorgestellten Programm stehen so schöne Sätze wie: Der aus der einseitigen Betonung der Preispolitik als Instrument der Einkommenssicherung resultierende Zwang zur Ausdehnung der Produktion hat zu den Überschüssen der Gemeinschaft geführt. Meine Damen und Herren, das ist nicht nur nicht neu, das ist in den letzten 15 Jahren geschehen. Diese Überschüsse habe ich vorgefunden.
({13})
Dann steht da: Als wirksamer Ausweg aus der bestehenden Krise kommt nur eine stärker marktwirtschaftlich ausgerichtete Preispolitik in Betracht. Darüber kann man durchaus diskutieren. Wenn Sie darunter verstehen, daß die Mengen, die man produziert, an die Mengen angepaßt werden sollten, die innerhalb der Gemeinschaft an Lebensmitteln absetzbar sind,
({14})
dann bin ich absolut damit einverstanden. Ich bin sogar der Meinung, daß ein bißchen mehr dazugehört, um in vielen Fällen gelegentlich helfen zu können. Wenn Sie allerdings damit meinen, daß sich die Preispolitik sozusagen an dem heute durch eine falsche Politik so stark überlastet gewordenen Nahrungsmittelmarkt in Zukunft orientieren soll, dann stoßen Sie bei mir und bei uns auf ein absolut klares Nein.
({15})
Ich bin, meine Damen und Herren, nicht bereit - ich habe es heute in Frankfurt gesagt, ich wiederhole es hier einmal -, mit nebulösen Darlegungen den Landwirten vor dem Hintergrund sozusagen Preisersatz zuzusichern, daß die Landwirte aus den Preisen so viel Einkommen wie möglich bekommen müssen, wobei keiner weiß und keiner sagt, in welcher Größenordnung, in welcher Region und bei welchen Produkten das sein soll. Unsere Bauern brauchen Zusatz und nicht Ersatz.
({16})
Deswegen müssen wir ein doppeltes System betreiben: Die Preise mit dem Ziel, durch Mengenanpassungen auch hier wieder Luft zu bekommen, zu halten, wo wir nur können. Zweitens muß, solange dies nicht möglich ist, zusätzlich zu den Preisen in den benachteiligten Gebieten im Bereich der Sozialpolitik etwas getan werden.
({17})
Ich meine, das wäre auch ein Konzept. Das ist das, was ich Ihnen und auch der Bundesregierung vorschlagen werde.
({18})
Das ist mit Sicherheit ein Konzept, über das wir uns mit der FDP einigen können. Sie brauchen sich auch keine Sorgen über die süddeutsche Zustimmung zu machen. Es ist sogar ein Konzept, das, wie ich meine, sozusagen auch für die Opposition diskutabel sein sollte. Dies ist im Sinne der Landwirtschaft meine Bitte.
Ich bedanke mich bei all denen, die dem Haushalt zustimmen, und bedaure, daß die Opposition, die soviel Kritik ausübt, nicht in der Lage ist, einem Haushalt, der über 300 Millionen DM mehr an Hilfe beinhaltet, zuzustimmen.
({19})
Zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Oostergetelo das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Schmitz ({0}) hat mir unterstellt, daß ich durch die Lande ziehe, und hat hier Äußerungen von mir wiedergegeben. Das erste ist richtig. Ich ziehe durch die Lande, und es mag Sie stören, daß dann sehr viele Bauern kommen.
({1})
Das zweite ist falsch. Ich habe die Vorsteuerpauschale in dreifacher Hinsicht kritisiert und diese Kritik möchte ich hier wiedergeben. Erstens. Die Vorsteuerpauschale ist nichts anderes als eine Folge des totalen Abbaus des Grenzausgleichs. Das wissen Sie genau. Alle Parteien waren sich einig, Herr Schmitz ({2}). Nun haben wir den Grenzausgleich total abgebaut und versucht, das mit 5 % Vorsteuerpauschale wettzumachen - und das bei Schneeflocken. Das habe ich gesagt.
({3})
- Herr Schmitz ({4}), in § 30 der Geschäftsordnung steht, daß man Richtigstellungen vornehmen darf.
Zweitens habe ich gesagt, daß es am 6. Juni 1984 im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten von Ihrer Fraktion als Regierungsentwurf tituliert wurde, mit Bezug auf die Vorsteuerpauschale Erhöhungen vorzunehmen, und zwar bei den Schweinen auf 450 und beim Geflügel auf 750 Vieheinheiten. Das war Ihr Entwurf, wobei die Regierung uns aber nicht sagen konnte, ob das zusätzlich Millionen oder Milliarden kostet.
({5})
- Herr Schmitz ({6}), Sie haben mir das von der Vorsteuerpauschale her vorgeworfen.
Drittens sage ich Ihnen dies. Der Bundeskanzler hat - das habe ich draußen gesagt - von dieser Stelle aus, an die Opposition gewandt, erklärt: Herr Vogel, es ist absurd, daß Sie uns kritisieren. Sie hätten den Grenzausgleich doch abbauen können. Wir mußten es machen.
({7})
- Sie verstehen es auch nicht. - Das war in der Woche, als der Bundesminister in allen grünen Blättern Wert darauf gelegt hat, draußen klarzumachen: Wir haben 1,8 % der Vorsteuerpauschale erhalten. - Alle, denen Sie durch die Quote verbieten, Umsatz zu haben, bekommen keine Hilfe. Nur wer Umsatz hat, bekommt die Hilfe. Je mehr Umsatz, desto mehr Hilfe! Dies habe ich gesagt, und dazu stehe ich, Herr Schmitz ({8}).
({9})
Verstehe ich Sie richtig, daß Sie zu einer direkten Erwiderung das Wort wünschen? - Bitte schön.
Herr Kollege Oostergetelo, ich bitte sehr, zu differenzieren. Ich habe Ihnen vorgeworfen, daß Sie durch die Lande ziehen, die Vorsteuerpauschale in ihrer Funktion, bezogen auf den abgebauten Grenzausgleich, kritisieren, den Bauern aber dann gleichzeitig erklären, Sie hielten das für falsch, und Sie könnten in Ihrem Betrieb 60 000 DM überhaupt entbehren, weil Sie über ein so hohes Einkommen verfügen. Ich habe Ihnen vorgeworfen: Man kann nicht gleichzeitig dies für falsch ansehen und sich dann nicht weigern, das Geld anzunehmen. Nicht mehr und nicht weniger habe ich Ihnen gesagt.
({0})
Bevor ich in der Tagesordnung weiter fortfahre, muß ich auf einen Vorgang zurückkommen, der sich im Laufe der Beratungen über den vorigen Etat abgespielt hat. Unser Kollege Haar hat in unparlamentarischer Weise den Ausdruck „Demagoge" gezielt mit Blick auf einen anderen Kollegen gebraucht. Dies muß ich zurückweisen.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt der Tagesordnung.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Abgeordneten Suhr, Werner ({1}) und der Fraktion DIE GRÜNEN.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4312 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Vizepräsident Westphal
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4313 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Drei.
({2})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen drei Stimmen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4331 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der gleichen großen Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 10 ab. Wer dem Einzelplan 10 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun auf:
Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
- Drucksache 10/4163 Berichterstatter:
Abgeordnete Echternach Suhr
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten Dauer für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Walther.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 13 umfaßt „nur" das Gehalt des Ministers, das wir ihm gönnen, und das seines Parlamentarischen Staatssekretärs, dem wir sein Gehalt auch gönnen, sowie die Schlußzahlen der Bundesdruckerei, also vergleichsweise geringe Beträge. Aber, lieber Herr Kollege Schwarz-Schilling, dieser Ansatz ist genau der Richtige; denn über Sie und Ihre Politik wird hier zu reden sein.
Kein Postminister, muß ich leider sagen, ist jemals so ins öffentliche Gerede gekommen wie Sie.
({0})
- Tut mir wahnsinnig leid. Nein, Herr Kollege Pfeffermann, laut „Spiegel" soll er selber zugegeben haben, daß er eine skandalträchtige Person sei.
Ich rede auch nicht von seinen, zumindest früher bestehenden privaten Interessen und Verquickungen, sondern ich rede von seiner Postpolitik.
({1})
- Herr Kollege Pfeffermann, sparen Sie Ihren Atem. Auf Ihre unqualifizierten Zwischenrufe gehe ich sowieso nicht ein.
({2})
Ich rede von seiner Postpolitik, meine Damen und Herren. Über Ihre medienpolitischen Vorstellungen, Herr Kollege Schwarz-Schilling, muß man an anderer Stelle diskutieren. Worüber heute abend zu reden ist, ist der Mißbrauch des Postvermögens zur einseitigen Durchsetzung von medienpolitischen Vorstellungen des Ministers.
({3})
Er schmälert damit das Ansehen der Institution Bundespost und leider auch ihrer Mitarbeiter, die vor Ort den Bürgern die Bocksprünge des Ministers bei der Verkabelungs- und Verkabelungsgebührentrategie erklären sollen und vielfach selbst nicht mehr wissen, woran sie sind.
({4})
Herr Kollege Schwarz-Schilling, ich habe es Ihnen schon im Postverwaltungsrat gesagt, ich wiederhole es hier: Wenn jemand ein Szenario hätte schreiben sollen, wie man Ihre Kabelpolitik diskreditieren kann, er hätte es nicht anders aufschreiben können, als Sie sich selber verhalten haben.
({5})
Und zu guter Letzt haben Sie auch noch in rechtlich bedenklicher Weise den bewährten Grundsatz aufgegeben, daß für die gleiche Leistung die gleiche Gebühr erhoben werden soll. Damit hat der Minister auch hier wie auf anderen Gebieten das flache Land eindeutig benachteiligt.
Die Achtundzwanzigste Änderungsverordnung zur Fernmeldeordnung, die das Kabelgebührenwirrwarr noch vergrößert hat, ist im Postverwaltungsrat mit der knappesten aller Mehrheiten und dazu noch in geheimer Abstimmung verabschiedet worden. Noch nie ist ein amtierender Postminister so knapp an einer Abstimmungsniederlage vorbeigeschrammt wie dieser. Und dieser Niederlage - aber das wissen Sie, Herr Pfeffermann - ist er nur deshalb entgangen, weil er vorher seine Parteifreunde im Postverwaltungsrat in einer Massagestunde bekniet hatte und dabei auch noch erheblich Federn hatte lassen müssen.
({6})
Eindeutiger kann das Mißtrauen, daß der Minister mehr und mehr sich selbst gegenüber aufbaut, nicht beschrieben werden.
Das Ganze ist die Folge einer übereilten und undurchdachten Verkabelungsstrategie, bei der es mehr um die Durchsetzung von medienpolitischen Doktrinen als um rentabilitätsbewußtes Handeln geht.
({7})
Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß der Breitbandverkabelungsdienst ein gewaltiger Verlustbringer ist, der von Telefonkunden subventioniert werden muß.
({8})
Allein in den Jahren 1984 bis 1989 sollen über 7,5 Milliarden DM in die Breitbandverkabelung verlustbringend investiert werden.
({9})
Herr Präsident, ist es möglich, daß man den Schreihals mal zur Ruhe bringt? Ich möchte in Ruhe reden dürfen.
({10})
Vor dem Hintergrund dieser wahrscheinlichen Fehlinvestitionen wirkt die angekündigte Gebührenerhöhung für den Brief-, Paket- und Päckchendienst wie blanker Hohn.
({11})
Dies, obwohl der Briefdienst gar nicht mehr defizitär ist, und dies alles wenige Wochen, nachdem sich der Bundespostminister als Gebührenstabilisator hatte feiern lassen.
({12})
Herr Abgeordneter Pfeffermann, wir hatten den Begriff „Demagogie" gerade eben zurückgewiesen.
({0})
- Das ist richtig. Deshalb mache ich Sie auch vorher aufmerksam, bevor ich Ihnen etwas Kritisches dazu sage.
({1})
Herr Kollege Rose, jeder blamiert sich, so gut er kann,
({0})
und der Kollege Pfeffermann kann das ganz besonders gut.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun will der Bundespostminister einen Haufen Geld für die Öffentlichkeitsarbeit ausgeben, unter anderem für den Bildschirmtext. Dabei handelt es sich um den gleichen Dienst, dessen prognostizierter Ausbau auf 400 000 Anschlüssen in 1985 mit knapp 34 000 Anschlüssen erheblich unterschritten wurde,
({1})
und der sich deshalb als ein großer Flop erwiesen hat und ein weiterer Verlustbringer ist.
({2})
Darüber hinaus ist das Trauerspiel um die Einführung des schnurlosen Telefons ebenso dem Minister anzulasten wie der zögerliche Ausbau des neuen Autotelefonnetzes.
({3})
Das Geld, das der Minister unrentabel in die Breitbandverkabelung steckt, fehlt ihm dringend beim Ausbau zukunftsträchtiger Dienste. Ich denke nur an den Ausbau des integrierten digitalisierten Dienstes, der zu langsam vorangeht. Ich denke, daß sowohl die schnellere Digitalisierung des vorhandenen Netzes als auch der schnellere Ausbau der Glasfaserfernstrecken daran scheitert, daß der Minister nicht genug Geldmittel hat, die er ja für sein Medienhobby braucht.
({4})
Denn der Ausbau dieser Dienste ist keine Frage der Kapazität der Industrie, wie uns der Minister gelegentlich fälschlicherweise erzählen will, sondern eine Frage der fehlenden Finanzen der Post.
Dabei steigt die Verschuldung der Post sowieso nicht unbeachtlich. Seit 1982 hat der Bundespostminister 8 Milliarden DM neue Schulden gemacht. Der Nettokreditbedarf steigt sprunghaft, der Kapitaldienst auch. Gleichzeitig wird das Absinken der Eigenkapitalquote ab 1987 prognostiziert, im gleichen Jahr, in dem der Nettokreditbedarf mit 7,2 Milliarden DM seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Das wäre noch nicht einmal zu kritisieren, wenn das geborgte Geld in gewinnträchtige Dienste investiert würde. Hier jedoch liegt unser Kritikansatz. Ich will Ihnen, Herr Minister, die Gelegenheit geben, darauf einzugehen, was der Sachverständigenrat in diesen Tagen über Sie geschrieben hat. Er hat Ihnen in seinem letzten Gutachten in erheblichem Umfang schlechte Noten erteilt. Ein Teil dieser Kritik - das will ich hier freimütig sagen -, deckt sich mit unserer eigenen. Zu dieser Kritik sollen Sie sich heute abend, wenn Sie können, äußern. Wir stehen dort hinter Ihnen, wo es um die Abwehr von Privatisierungsversuchen geht. Ich denke, da sind wir einer Meinung. Je stärker Sie sich gegen die hier anvisierten Privatisierungsversuche wehren, um so mehr werden wir in dieser Frage, Herr SchwarzSchilling, hinter Ihnen stehen, weil wir glauben, daß das, was in dem Gutachten steht, ideologische Doktrin ist, aber nichts mit der Realität bei der Deutschen Bundespost zu tun hat.
Der Minister redet gern von den Verlusten bei der Gelben Post, die minimiert werden müßten. Dabei verschweigt er, daß allein eine halbe Milliarde von diesen Verlusten in die politisch gewollte Subventionierung des Postzeitungsdienstes geht. Er soll dies auch deutlich sagen und diese halbe MilliWalther
arde nicht auch noch den Beamten bei der Gelben Post in die Schuhe schieben.
({5})
Aber mit diesen Verlusten begründet er die Rationalisierungsbemühungen und verschweigt dabei, daß das zu Lasten des flachen Landes geht und daß dabei die Dienstgüte entgegen allen Beteuerungen des Ministeriums erheblich verschlechtert worden ist.
({6})
Ich sage Ihnen: Ein Brief aus meinem Wahlkreis nach Bonn dauert zwei Tage und mehr. Wenn Sie mir erzählen wollen, das hätte nichts mit dem Dienstgüteverlust zu tun, kann ich darüber nur lachen.
Letzte Bemerkung. In der Oppositionszeit hat die Union kritisiert, daß die Postablieferung auf 10 Vo erhöht worden ist. Wir haben das damals nur sehr ungerne mitgemacht.
({7})
- Halt doch mal die Klappe!
({8})
Da der Bundesfinanzminister jetzt hier ist und er, wie wir wissen, in seinem Haushalt die sinnigsten und unsinnigsten Mehrausgaben und Subventionen finanziert, Herr Schwarz-Schilling,
({9})
stehen wir hinter Ihnen, wenn Sie mit dem Bundesfinanzminister darüber verhandeln, daß die Postablieferung verringert wird, und zwar auf die Höhe, die die Post bezahlen müßte, wenn sie Steuern und Abgaben bezahlen würde. Das wären nach unserer Berechnung etwa 8,5 %. Sprechen Sie mit Herrn Stoltenberg, damit Sie sich einig werden. Unsere Unterstützung haben Sie.
({10})
Wir kritisieren Sie, Herr Minister, nicht als Mensch. Da sind Sie so gut und so schlecht wie andere auch und auch gelegentlich liebenswürdig. Wir kritisieren Sie wegen Ihrer Postpolitik. Ich habe in der kurzen Zeit nur wenige Punkte vortragen können, die uns an Ihrer Politik nicht gefallen. Aber es reicht völlig aus, um Ihnen zu sagen: Diesem Haushalt können wir leider nicht zustimmen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Echternach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Volumen des Posthaushaltes ist höher als das Volumen eines jeden Einzelplanes unseres eigenen Bundeshaushaltes - rund 76 Milliarden DM - und um die Hälfte höher als der Sozialhaushalt, vom Verteidigungshaushalt gar nicht zu reden.
Der Posthaushalt entspricht mehr als einem Viertel des gesamten Bundeshaushaltes. Von den Umsätzen wird die Post von allen deutschen Unternehmen nur durch die VEBA übertroffen. Bei den Investitionen ist die Post sogar der größte Investor der Bundesrepublik.
({0})
Die Investitionen der Post entsprechen etwa der Hälfte dessen, was der Bund selbst im nächsten Jahr für Investitionen ausgibt.
Von all dem steht aber nichts im Bundeshaushalt. Wir erfahren es nur nachrichtlich. Der Haushaltsplan des Postministers umfaßt nur, wie der Kollege Walther schon gesagt hat, die Gehälter des Ministers und seines Staatssekretärs, die Postablieferung an den Bund und die Bundesdruckerei. Für alles andere ist der Deutsche Bundestag nicht zuständig.
Das ist nicht nur für jemanden wie mich, der hier zum erstenmal zum Posthaushalt zu sprechen hat, erstaunlich; es ist, glaube ich, auch für dieses Parlament nicht zufriedenstellend.
({1})
Der Bundestag entsendet zwar fünf seiner Mitglieder in den Postverwaltungsrat - fünf von 24 -; aber auch der Postverwaltungsrat entscheidet nicht endgültig, weil gegen seine Beschlüsse die letzte Entscheidung der Bundesregierung angerufen werden kann. Ich meine, daß über das Verhältnis von Parlament zum Posthaushalt noch einmal grundsätzlich nachgedacht werden muß. Immerhin entspricht es der Übung, daß wir hier bei der Beratung des Posthaushaltes nicht nur über das Gehalt des Ministers sprechen, sondern auch über seine Politik. Der Kollege Walther hat das ja in einer Weise getan, wie wir sie seit drei Jahren ständig hier und vor allem draußen erleben, denn keinen Minister haben Sie von seiten der SPD so gnadenlos angegriffen und so oft zum Rücktritt aufgefordert wie Postminister Schwarz-Schilling.
({2})
Herr Kollege Walther, Sie haben eben mit Ihrer Rede deutlich gemacht, warum Sie eine solche Wut auf diesen Minister haben. Es geht Ihnen um die Verkabelungspolitik dieses Ministers,
({3})
es geht Ihnen darum, daß diese Verkabelungspolitik auf Medienvielfalt zielt,
({4})
und Medienvielfalt ist das, was Sie seit vielen Jahren fürchten wie der Teufel das Weihwasser;
({5})
denn für Sie ist Medienpolitik immer Machtpolitik gewesen; so haben Sie das selbst erklärt.
({6})
Das bedeutet, daß Sie um Ihr politisches Übergewicht in den öffentlich-rechtlichen Monopolanstalten fürchten, das Sie zementiert sehen wollen. Deswegen kämpfen Sie so gegen diesen Minister, denn Sie wollen seine Politik nicht.
({7})
Um diesem Minister zu schaden, haben Sie auch nicht davor zurückgeschreckt, die Bundespost und ihre Arbeit ins Gerede zu bringen. Immer wieder hat gerade der Kollege Paterna mit Falschinformationen Postkunden und damit die Bürger unseres Landes verunsichert.
({8})
Noch im April letzten Jahres haben Sie die Postkunden mit der Behauptung zu erschrecken versucht, daß angeblich eine Zwei-Klassen-Post geplant werde mit einer Verdoppelung des Briefportos auf 1,60 DM. Einige Monate später - Herr Paterna, Sie scheinen sich über diese Falschinformation noch zu freuen - haben Sie dann von einer Erhöhung des Briefportos auf 1 DM gesprochen. Leider habe ich nicht ein einziges Mal feststellen können, daß Sie den Mut hatten, diese falschen Behauptungen richtigzustellen und sich für diese Falschbehauptungen zu entschuldigen. Das ist erbärmlich.
({9})
Besonders bedauerlich ist, daß durch Ihre ständigen Falschbehauptungen auch die Arbeit der Post und damit die Arbeit der 500 000 Postbediensteten ins Gerede gekommen ist. Das haben die vielen Postler, die draußen ihre Pflicht tun, nicht verdient. Deswegen möchte ich ihnen an dieser Stelle ausdrücklich den Dank meiner Fraktion für ihre Arbeit aussprechen.
({10})
Offenbar haben Sie, Herr Paterna, mit Ihrer systematischen Gebührenschwarzmalerei einfach nur die Gebührenpolitik Ihrer früheren eigenen Minister fortgeschrieben. Nehmen wir z. B. das Briefporto, für viele Bürger ein preispolitischer Eckpfeiler: 1972 Anhebung um über 33 %, 1974 noch einmal Anhebung um 25%, 1979 weitere Anhebung um 20%. Und als Ihr Postminister 1982 die Postgebühren wieder um 33% erhöhte, kündigte er zugleich für dieses Jahr, 1985, ein Postdefizit von über 1 Milliarde DM an, so daß spätestens in diesem Jahr eine weitere Gebührenerhöhung fällig gewesen wäre.
Anderes als seine sozialdemokratischen Vorgänger hat Bundesminister Schwarz-Schilling nicht den bequemen Weg der Gebührenerhöhung gewählt, sondern alle Anstrengungen darauf konzentriert, durch Rationalisierung die Kosten zu senken und durch neue Dienstleistungsangebote die Ertragsituation zu verbessern, um die Belastung von Bürgern und Wirtschaft in Grenzen zu halten. Und der Erfolg spricht für sich.
({11})
Zum erstenmal seit 15 Jahren konnte im Briefdienst wieder eine Kostendeckung erzielt werden.
({12})
In diesem Jahr wird die Bundespost nicht, wie von Ihnen geplant, über 1 Milliarde DM Defizit machen, sondern einen Gewinn erzielen, einen Gewinn von über 3 Milliarden DM. Zum erstenmal seit über 20 Jahren werden die Gebühren für Briefe, Päckchen und Pakete in einer Legislaturperiode stabil gehalten.
({13})
Damit leistet die Bundespost einen hervorragenden Beitrag zur Preisstabilität
({14})
und erhöht damit zugleich die Attraktivität der Dienstleistungen der Gelben Post.
({15})
Nicht weniger eindrucksvoll ist die Entwicklung der Investitionen der Bundespost. Die Investitionen der Bundespost stiegen
({16}) von 12,7 Milliarden DM im Jahre 1983 - ({17})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Becker?
Ich habe dazu das Notwendige bei der Beratung des Bauetats gesagt. Ich beziehe mich darauf und sage nein.
({0})
1984 waren es 14,6 Milliarden DM und im vergangenen Jahr 17,2 Milliarden DM.
({1})
- Das tut Ihnen weh. - Das ist ein Viertel dessen, was die gesamte deutsche Industrie und das Handwerk in diesem Jahr investieren.
({2})
Damit baut die Bundespost die für eine moderne
Volkswirtschaft erforderlichen Kommunikationsnetze weiter aus. Sie stärkt damit gleichzeitig die
internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
({3})
Die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechniken spielt für unser Land eine Schlüsselrolle. Diese Informations- und Kommunikationstechniken spielen eine Schlüsselrolle für unsere Volkswirtschaft.
({4})
Im nächsten Jahr wird die Bundespost diese Investitionen noch einmal um 900 Millionen DM auf über 18 Milliarden DM steigern, ein hervorragender Beitrag für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
({5})
In diesem Zusammenhang muß ich allerdings auch die kritischen Anmerkungen des Sachverständigenrates ansprechen, der in seinem jüngsten Gutachten neben vorzüglichen Noten für unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik auch Vorschläge gemacht hat, wie durch eine stärkere Öffnung bestimmter Teilmärkte zusätzliche Möglichkeiten für Investitionen und Beschäftigung geschaffen werden können.
({6})
Ein besonderes Kapitel hat er dabei der Bundespost gewidmet. Der Sachverständigenrat behauptet, die Entwicklung und Verbreitung der neuen Dienste am Markt könne schneller vorankommen, wenn die Post nicht alles selber machen wolle. Ich meine, diese These und auch die sonstigen Vorschläge des Sachverständigenrates zur Öffnung der neuen Märkte für private Anbieter sollten in den nächsten Monaten in diesem Hause einmal offen diskutiert werden. Dabei darf die gegenwärtige Fassung des Postmonopols kein Tabu sein, sondern muß immer wieder unter wirtschaftlichen Aspekten überdacht und, wenn nötig, neu definiert werden.
Meine Fraktion begrüßt es, daß Sie Herr Minister, mit der SPD-Bevormundung unserer Bürger Schluß gemacht haben und die Breitbandverkabelung vorantreiben und damit den Bürgern die modernsten Informationswege zur Verfügung stellen. Um so bedauerlicher ist es, daß die Bundesländer sich bis heute nicht auf einheitliche Startbedingungen für die neuen Medien verständigt haben, sondern den privaten Anbietern durch unterschiedliche Länderregelungen oder sogar durch eine rotgrüne Blockade in Hessen Steine in den Weg legen. Das ist kein Ruhmesblatt für den deutschen Föderalismus und keine Ermunterung, den Wünschen der Länder nach weiterer Kompetenzübertragung zu entsprechen.
Meine Fraktion begrüßt es auch, Herr Minister, daß Sie die neuen Informationstechniken, wie das dienstintegrierende-digitale Netz und Btx, systematisch vorantreiben, damit die Bundespost auch im Jahre 2000 und danach weltweit an der Spitze steht. Und als Haushälter bin ich froh, daß Sie bei der Leitung des Unternehmens Bundespost die Wirtschaftlichkeit nicht aus dem Auge lassen und ohne Gebührenerhöhung bei der Gelben Post in dieser Legislaturperiode auskommen. Wir werden Ihrem Haushalt zustimmen.
({7})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dann.
({0})
Das werde ich Ihnen gleich erzählen. Herr Präsident! Meine Dame! Meine Herren!
Es sind mehrere Damen im Saal, Frau Kollegin.
({0})
Meine Damen, meine Herren! - Es wäre nett, wenn ich erst einmal anfangen könnte.
Ich bitte, wenigstens die Damen ausreden zu lassen.
Zu Beginn eine Feststellung, die alle angeht und der Sie zustimmen könnten. Die Politik der Deutschen Bundespost für die Schaffung der Informationsgesellschaft der Zukunft 2000 wird zu einer tiefgreifenden Veränderung unserer Lebensweise und der Lebensbedingungen führen. Die Gestaltung dieser unserer Zukunft kann nicht allein dem Postverwaltungsrat und der Lobby der Kabel- und Computerindustrie überlassen bleiben. Das Parlament muß daran teilhaben.
({0})
Ebenso muß die Beteiligung der Menschen, die von der Einführung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken betroffen sind, eine Selbstverständlichkeit sein.
({1})
Sie werden behaupten - damit spreche ich vor allem Sie an -, das alles dauere viel zu lange. Ich behaupte aber, wir brauchen ein Tempolimit auch hier für die Einführung neuer Technologien,
({2}) um diesen eine sozial verträgliche - ({3})
- Hören Sie doch mal zu, Herr Pfeffermann.
Wir brauchen ein Tempolimit auch für die Einführung neuer Technologien, um diesen eine sozial verträgliche Gestalt zu geben, die nicht nur an den Interessen der Industrie ausgerichtet ist. Statt dessen spielt die Bundespost den Motor auf der ungewissen Fahrt in die Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Wie diese aussehen soll, bleibt offen. Das Parlament muß sich damit begnügen, über
13612 Deutscher Bundestag - lO.Wahlperiode Frau Dann
die Gehälter im Postministerium und den Etat der Bundesdruckerei zu beschließen.
({4})
Alles andere bleibt der parlamentarischen Kontrolle entzogen.
({5})
Die politischen Entscheidungen werden, wie bereits von meinem Vorredner festgestellt wurde,
({6})
im Haushalt der Deutschen Bundespost, nicht im Einzelplan 13 festgehalten.
Dieser vorgelegte Posthaushalt für das Jahr 1986 zeigt erstmals die ruinösen wirtschaftlichen Folgen von Schwarz-Schillings Verkabelungspolitik.
({7})
Der Gewinnrückgang gegenüber dem Soll-Ergebnis 1985 beträgt 750 Millionen DM.
({8})
1987 wird die Post mit 200 Millionen DM und 1988 mit 1,8 Milliarden DM in den roten Zahlen stehen.
({9})
Wie kommt das?
({10})
- Machen Sie doch nicht so dumme Zwischenbemerkungen!
({11})
Rund 1 Milliarde wird Schwarz-Schilling 1986 für Satelliten, rund 2 Milliarden für die Breitbandverkabelung und rund 3 Milliarden für die Digitalisierung ausgeben.
Auf unverantwortliche Weise ist die Bundespost einem Mann mit Goldgräbermentalität ausgeliefert worden,
({12})
der im Kabelrausch nach Wildwestmanier
({13})
das Postvermögen einsetzt. Die Gemeinwirtschaftlichkeitsgrundsätze der Deutschen Bundespost interessieren dabei - ({14})
Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich muß diesen Ausdruck zurückweisen.
({0})
Ich bitte trotz der späten Stunde noch um ein bißchen Disziplin. Das gilt aber für alle Seiten des Hauses.
({1})
- Ich weise auch diesen Ausdruck zurück, Herr Kollege Paterna! Ich bitte Sie wirklich für diese paar Minuten noch um Disziplin.
({2})
Bitte, Frau Kollegin, fahren Sie fort.
Die Gemeinwirtschaftlichkeitsgrundsätze der Deutschen Bundespost interessieren ihn dabei ebensowenig wie das Immissionsschutzgesetz.
({0})
Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich rufe Sie zur Ordnung!
({0})
„Sonnenschein" läßt grüßen! Statt Daseinsvorsorge leistet Schwarz-Schilling Industriefürsorge.
({0})
Schon bei den gelben Postdiensten läßt sich beobachten, daß die größte Kostenunterdeckung in den Dienstleistungsbereichen besteht, die vornehmlich gewerblich genutzt werden.
({1})
So sind der eigentliche Verlustbringer die Massendrucksachen, gefolgt von den Einschreiben, den Auslandsbriefen sowie den Nachnahme- und Wurfsendungen, während der Briefdienst nahezu kostendeckend arbeitet.
({2})
Im Fernmeldewesen ist dieses unsoziale Gebühren-Kosten-Gefälle extrem.
({3})
Während im Telefondienst riesige Gewinne erwirtschaftet werden, arbeiten alle übrigen Daten- und Textübertragungsdienste mit nur minimaler Kostendeckung.
({4})
Für Btx beispielsweise wird die Deutsche Bundespost wegen mangelnder Akzeptanz bis 1986 überhaupt keine Gebühren erheben.
({5})
Die Post verschenkt ihre Dienste an die Unternehmer.
({6})
Ich rufe Sie erneut zur Ordnung. Eine Kritik am amtierenden Präsidenten ist nicht zulässig; das wissen Sie!
({0})
- Ich bitte auch auf der linken Seite des Hauses um Ruhe. Ich unterbreche sonst die Sitzung. Ich lasse es nicht zu, daß hier in dieser Weise verhandelt wird. Den ganzen Tag rufen aus der Bevölkerung alle möglichen Leute an und beschweren sich über die Art, wie es hier im Parlament zugeht. Ich will Ihnen einmal in aller Deutlichkeit sagen, daß ich das nicht gut finde.
({1}) Bitte sehr, Frau Kollegin.
Die Post verschenkt ihre Dienste an die Unternehmer,
({0})
während sie der kleinen Frau und dem kleinen Mann das Geld aus der Tasche zieht.
({1})
Mit ihren Milliardenprogrammen subventioniert die Post die Rationalisierungsstrategien der deutschen Wirtschaft. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hat nichts von superschneller Datenübertragung und Videokonferenzen. Im Gegenteil: Den Bürger kosten diese neuen Dienste unter Umständen seinen Arbeitsplatz, seine Gesundheit, die Privatsphäre, die persönliche Beratung durch Menschen bei der Post und in Geschäften sowie die zwischenmenschliche Kommunikation.
({2})
Dazu wird er weder gefragt, noch entscheiden die von ihm gewählten Parlamente. Aber bezahlen soll er es über die Postgebühren.
Auch die kommerziellen Fernsehprogramme zur Erbauung des Volkes, die Schwarz-Schilling landauf, landab als Heilsbringer eines medienpolitischen Zeitalters gepriesen hat, stoßen nicht auf die Begeisterung der Beglückten. Klägliche 500 000 Haushalte umfaßt die Kabelgemeinde.
({3}): Sehr wahr!)
Keine der von der Bundespost angestrebten Anschlußzahlen konnte bisher erreicht werden.
({4})
Diese Dienstleistungen, die dem Bürger nur mehr des gleichen abends in die Fernsehstube bringen, wofür er auch noch hohe Gebühren bezahlen soll, lehnt der Bürger zu Recht ab.
({5})
Auch Stellungnahmen der Gewerkschaften zeigen den Gegenwind, der Schwarz-Schilling ins Gesicht bläst. Insbesondere Frauen, welche von dieser Entwicklung viel stärker betroffen sind als Männer, beginnen sich zu wehren. Dies wird mir in Zuschriften und Veranstaltungen immer wieder bestätigt. So forderte die 12. Frauenkonferenz der IG Metall ihre Kolleginnen auf, sich nicht an Btx, Kabelfernsehen und anderen neuen Diensten zu beteiligen. Zahlreiche Gewerkschaften haben ebenfalls den Aufruf zum Boykott des Btx-Dienstes unterzeichnet.
({6})
Statt dessen versucht die Bundespost, dem drohenden Finanzdesaster mit Rationalisierungsplänen, Gebührenerhöhungen und der Verschlechterung der gelben Postdienste zu entkommen. In den traditionellen Postdiensten plant die Post bis zum Ende des Jahrzehnts die Einsparung von 30 000 Stellen.
({7})
Die Knight-Wendling-Studie, die der Postminister zur Untersuchung von Rationalisierungsmöglichkeiten in Auftrag gegeben hatte, geht noch weiter.
({8})
Dort wird eine Verschlechterung und Verteuerung der traditionellen Postdienste zugunsten der gewerblichen Dienstleistungen vorgeschlagen. Es zeichnet sich ab, daß nach der Bundestagswahl 1987
({9})
die Gebühren erhöht werden sollen. Damit bezahlt der kleine Postkunde die ehrgeizigen Pläne Schwarz-Schillings und die Kommunikationsstruktur der Industrie.
({10})
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich komme zum Schluß.
({0})
Demgegenüber treten die GRÜNEN dafür ein, 1. die geplanten Verkabelungs- und Satellitenprogramme auszusetzen, 2. statt dessen die traditionellen Postdienste aufrechtzuerhalten und zu verbes13614
Bern und 3. neue Dienste, wenn überhaupt, erst nach einem technologiepolitischen Bürgerdialog einzuführen.
({1}) - Hören Sie doch mal zu.
Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Schluß.
Dabei ist die Technologie unter Berücksichtigung der kulturellen, sozialen und ökologischen Folgen zu bewerten.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die rasch fortschreitende Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken macht es schon verständlich, daß das wachsende öffentliche Interesse inzwischen auch bis zu den GRÜNEN übergeschwappt ist. Wir haben in dieser Haushaltsdebatte einen guten Anlaß, über die Situation der Post zu reden, weil die finanziellen Ergebnisse, die dieses Unternehmen vorweisen kann,
({0})
dann, wenn die Post ein Privatunternehmen wäre, nur als traumhaft bezeichnet werden könnten. Es gibt einen Jahresüberschuß von mehr als 4 Milliarden DM.
({1})
Die Eigenkapitalquote beträgt 44 %, Herr Kollege Paterna. Auch das ist traumhaft.
({2})
Wenn man auf die Umsatzrendite abstellt, kann die Post nur mitleidig auf Unternehmen wie beispielsweise BMW oder Siemens herabblicken, die es gerade auf 2 bis 3% bringen, während die Deutsche Bundespost 9 % erzielt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Becker?
Wenn mir das nicht auf die Zeit angerechnet wird, Herr Präsident.
({0})
Wird es?
Es läßt sich nicht machen.
Herr Kollege Hoffie, darf ich Sie mal fragen, nachdem Sie das gerade dargestellt haben, ob unter der Regierung der sozialliberalen Koalition in den letzten Jahren, die Sie ja genau beobachten konnten, irgend etwas anders war? Hatten wir nicht die gleichen Gewinne? Darf ich Sie außerdem fragen, ob wir in bezug auf die Rationalisierung nicht genauso gearbeitet haben, wie die Nachfolger in den Regierungsämtern heute arbeiten?
({0})
Herr Kollege Becker, wir hatten die gleichen Ziele, aber nicht die gleichen Ergebnisse.
({0})
Denn das Ergebnis ist, daß wir seinerzeit eine geringere Eigenkapitalquote hatten. Wir haben in bestimmten Jahren gesagt, wenn wir eines Tages mal auf 33 % wären, wäre das eine gewaltige Leistung. Wir haben auf Gewinne, wie wir sie heute vorzeigen können, überhaupt nicht zu hoffen gewagt. Und es war ja der letzte Bundespostminister der sozialliberalen Koalition, der das Porto so erhöht hat,
({1})
daß eigentlich auch die Pläne der Sozialdemokraten schwer dazu beigetragen hätten, ein schlechteres Ergebnis einfahren zu müssen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß vor allem - das ist gesagt worden - die -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mann?
Am Ende. Am Ende, Herr Mann.
({0})
- Ja, ich weiß, dann wird es ein bißchen knapper.
Nun will ich - die GRÜNEN haben es ja inzwischen auch erkannt - noch einmal bestätigen, daß vor allem die Telefonkunden diese Gewinne finanziert haben. Aber es ist schon weniger bekannt, daß auch der Briefverkehr zum erstenmal seit langer Zeit wieder aus den roten Zahlen heraus ist. Auch diese Situation unterscheidet sich von der in der damaligen sozialliberalen Koalition.
({1})
Die vielen Angriffe, denen die Post wegen ihrer Politik der Rationalisierung und der Kostensenkung ausgesetzt ist, sind nach wie vor unberechtigt. Der Post gebührt ausdrückliche Anerkennung dafür, daß sie die Gebühren jetzt schon über fünf Jahre hinweg stabil gehalten hat, daß es auch im nächsten Jahr keine Gebührenerhöhung geben soll und daß damit erstmals über zwei Jahrzehnte die Gebühren während einer ganzen Legislaturperiode nicht nach oben korrigiert werden.
({2})
Diese Gebührenkonstanz ist tatsächlich ein wichtiger Beitrag der Post zur Preisstabilität und zu Wirtschaftswachstum; sie verbessert die reale Kaufkraft der Bürger und trägt zu günstigeren Rahmenbedingungen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik bei.
Vor allem auch deshalb halte ich überhaupt nichts davon, jetzt schon über mögliche Gebührenerhöhungen in späteren Jahren zu spekulieren. Ich meine, wir sollten statt dessen die Post ernsthaft anregen, sich darüber Gedanken zu machen, wie hier und heute die Gebühren vor allem im Telefonbereich gesenkt werden können. Die entfernungsunabhängige Staffelung der Telefongebühren, die j a die ländlichen Gebiete benachteiligt und die Entwicklung der Telekommunikation behindert, wird in meinen Augen zunehmend ein Ärgernis.
({3})
Eine uneingeschränkt positive Würdigung verdient die Post auch wegen ihrer Leistungen für den Arbeitsmarkt. Sie ist nicht nur der größte Arbeitgeber in der Bundesrepublik, der etwa eine halbe Million Menschen beschäftigt. Mit ihren Aufträgen an die gewerbliche Wirtschaft sichert oder schafft die Post weitere 200 000 Arbeitsplätze bei den industriellen Zulieferunternehmen. Mittelständische Unternehmen sind hieran zu einem erheblichen Teil beteiligt; fast 40% des Auftragsvolumens der Deutschen Post kamen unmittelbar dem Mittelstand zugute. Unbestritten ist die Post auch der größte Ausbilder in der Bundesrepublik. Etwa 30 000 Jugendliche werden zur Zeit von der Post ausgebildet. Im letzten Jahr wurden mehr als 15 000 Nachwuchskräfte eingestellt. Besonders anzuerkennen ist, daß die Post in erheblichem Umfang Ausbildungsplätze über den eigenen Bedarf hinaus zur Verfügung stellt.
({4})
- Auch Ihre Frage werde ich am Ende beantworten, wenn noch Zeit ist.
({5})
Daß sie nicht alle Ausgebildeten übernehmen kann, ergibt sich daraus zwangsläufig, meine Damen und Herren. Wenn die Gewerkschaften versuchen, der Post hieraus einen Vorwurf zu machen, stellt dies eine Verdrehung der Tatsachen dar und ist auch schlicht unfair.
Diese Haushaltsdebatte, meine Damen und Herren, gibt auch Anlaß, einen kritischen Blick nach vorn zu richten. Bei den traditionellen Dienstleistungen der gelben Post ist kaum noch mit Wachstumsspielräumen zu rechnen. Das braucht niemanden zu beunruhigen. Sehr viel problematischer ist die Lage im Bereich der neuen Kommunikationstechniken. Der technische Fortschritt bei der Telekommunikation schreitet mit ungeheurem Tempo voran. Von einem ausreichenden Standard der Informationstechniken wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes heute ganz wesentlich mitbestimmt. Daß die GRÜNEN die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes nicht wollen, ist klar. Das wurde hier schon gesagt. Die Tempobremse, die Sie anziehen wollen, hat vor allen Dingen dieses Ziel.
Weil die Bundespost - so hat jedenfalls der Rat der fünf Weisen festgestellt - noch zuviel selbst machen wolle, behindere sie die technische Entwicklung, verlangsame Entwicklung und Verbreitung neuer Dienste und unterdrücke beim Netz und bei den Endgeräten die Entwicklung und Erprobung von Alternativen am Markt. Ich meine, diese Vorwürfe sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Die Regierungskommission für das Fernmeldewesen ist gefordert, richtungweisende Akzente zu setzen.
Ein erster Schritt hin zu mehr Markt und Wettbewerb ist mit der 28. Änderungsverordnung zur Fernmeldeordnung getan worden. Sosehr die Öffnung des Verkabelungsmarktes für private Investoren und private Kabelnetze zu begrüßen ist, so sehr ist diese Maßnahme auch wegen ihrer Halbherzigkeit zu kritisieren. Private sollen ja nur hilfsweise zum Zuge kommen. Ihnen wird keine faire Chancengleichheit von der Post eingeräumt. In dem Maße aber, in dem sich Private und privates Kapital engagieren, kann die Post ihre eigenen Aktivitäten beschränken und ihr eigenes Kostenrisiko überschaubar halten. Das wird in Zukunft zu stabilen und marktgerechten Gebühren und Preisen beitragen.
Meine Damen und Herren, weitere Schritte müssen bei den Endgeräten folgen. Dies ist ein Bereich, in dem unternehmerische Belange der Post und wirtschaftliche Interessen insbesondere der mittelständischen Wirtschaft aufeinanderstoßen. Das Monopol der Post auf dem Fernmeldesektor darf die Entfaltungsfreiheit privater Unternehmer, Handwerker und Anbieter von Dienstleistungen nicht über das Maß hinaus einschränken, das sich aus den fernmeldetechnischen Notwendigkeiten ergibt.
Auch dort, wo die Post kein Monopol ausübt, sondern nur Mitanbieter ist, hat sie vielfach erhebliche Wettbewerbsvorteile. Der Zugang privater Unternehmen zu Wartung und Reparaturen der Geräte muß verbessert, die Beschränkung der Typenvielfalt der Geräte muß gelockert werden. Im Ausland gibt es inzwischen hinlänglich Erfahrungen mit der Deregulierung im Fernmeldewesen. Dort sind private Märkte entstanden oder im Enstehen begriffen, die auch im internationalen Konkurrenzkampf neue Möglichkeiten eröffnen.
Meine Damen und Herren, die Deutsche Bundespost muß sich diesen Herausforderungen stellen. Sie muß Schrittmacher des technischen Fortschritts bleiben. Sie darf den technischen Fortschritt anderer nicht behindern. Wir können im internationalen Wettbewerbskampf nur bestehen, wenn wir den Anschluß im Bereich der Informations- und Kommunikationstechniken halten. Es ist im Interesse aller, daß die Post dem gerecht wird. 13616
Jetzt, Herr Präsident, wenn noch Zeit ist, beantworte ich gerne die Fragen.
({6})
Bitte sehr, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Herr Kollege, würden Sie dem Haus einmal darstellen, wie die Situation der Deutschen Bundespost aussähe, wenn sie Steuern wie die von Ihnen vergleichsweise angezogenen Unternehmen Siemens oder AEG zahlen müßte?
({0})
Völlig richtig. - Ich bin ja gerne bereit, mit Ihnen in einen Vergleich dieser Zahlen einzutreten. Ich bin darüber hinaus gerne bereit, Sie daran zu erinnern, daß wir, die FDP, in der sozialliberalen Koalition die damaligen Bundespostminister ständig gefragt, aufgefordert, gebeten haben, einmal zu überprüfen, ob die jetzige Postablieferung an den Bund in dieser Form und Höhe eigentlich gerechtfertigt ist. Heute haben Sie in der Opposition gefordert, man solle das überdenken, man solle dieses wieder auf die alte Situation, die wir ganz früher einmal hatten, zurückführen. Hier zeigt sich die ganze Schizophrenie solcher Forderungen, einerseits in der Regierungsverantwortung, andererseits in der Opposition. Das gilt auch für Ihren Zahlenvergleich.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeffermann?
Gerne.
Bitte sehr, Herr Kollege Pfeffermann.
Herr Kollege Hoffie, würden Sie im Zusammenhang mit der Frage des Kollegen Becker bestätigen können, daß im Zusammenhang mit der Gebührenerhöhung 1982 um 331/3 % diese Größenordnung damals damit begründet wurde, daß bereits für das Jahr 1985 wieder ein Defizit
({0})
von mehr als 1,1 Milliarden DM erwartet würde, und daß es der heutigen Führung dieses Hauses zu verdanken ist,
({1})
daß genau das nicht eingetreten ist
({2})
und wir diese Legislaturperiode ohne Gebührenerhöhung im gelben Bereich durchstehen konnten?
({3})
Ich kann Ihnen, Herr Kollege Pfeffermann, ausrücklich bestätigen, daß der damalige Bundespostminister Matthöfer eine solche Gebührenerhöhung damit begründet hat und daß er uns im Postverwaltungsrat vorgerechnet hat, in welch kurzer Zeit die Post im übrigen sonst wieder rote Zahlen schreiben müßte. Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß seine Politik der Verkabelung, die heute kritisiert wird, ein wichtiger Beitrag dazu sei, der auch verlange, daß entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt würden.
({0})
Verehrte Kollegen, ich lasse keine Zusatzfragen mehr zu. Die Redezeit ist schon über zwei Minuten überschritten. Ich bitte um Verständnis. Es sollen noch andere Tagesordnungspunkte behandelt werden.
({0})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Offensichtlich ist, wenn die Post drankommt, wieder Leben im Hause. Es ist Tasache, daß um diese Zeit viele Mitarbeiter der Deutschen Bundespost tätig sind. Insofern ist es gut, daß wir uns damit noch zu später Stunde beschäftigen.
({0})
Ich möchte mich bei den Sprechern der Koalitionsfraktionen sehr herzlich bedanken, daß sie die Dinge klargestellt haben,
({1})
die hier vorher gesagt worden sind. Ich bedaure eigentlich, Herr Kollege Walther, daß Sie dem Posthaushalt nicht zustimmen können.
({2})
Denn Sie haben eigentlich einen sehr tiefen Einblick in diesen Haushalt.
({3})
Lassen Sie mich zu Ihren Ausführungen einige kurze Anmerkungen machen. Sie haben davon gesprochen, daß hier ein Mißbrauch des Postvermögens zu einer einseitigen Durchsetzung medienpolitischer Vorstellungen vorliege.
({4})
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Partei muß sich in den nächsten Monaten langsam entscheiden,
({5})
ob sie dafür ist, daß die Bundespost eine Aufgabe wahrnimmt, die heute in allen Ländern der Welt wahrgenommen wird - inklusive Frankreich mit seiner sozialistischen Regierung, inklusive Spanien, inklusive Schweden -, nämlich daß die Postverwaltungen der Nachfrage entsprechend Verkabelungen vornehmen sollen, oder ob sie das gänzlich privaten Unternehmen überlassen. Das ist die Alternative. Insofern finde ich es langsam etwas altertümlich, Herr Walther, immer noch auf dieser Schiene zu laufen. Ich habe manchmal das Gefühl, daß hier ein Wettbewerb zwischen den GRÜNEN und der SPD entsteht, wer das Schlußlicht der Überzeugung auf diesem Gebiet wird.
({6})
Herr Abgeordneter, ich weise diesen Ausdruck zurück.
({0})
Herr Kollege Paterna, Sie haben schon bei einer Versammlung erklärt, daß, wenn die SPD wieder an die Regierung käme, die Verkabelung natürlich fortgesetzt würde.
({0})
Das ist eine sehr interessante Feststellung nach dem, was ich vorher von Ihnen gehört habe. Ich habe gehört, daß z. B. jetzt in Hessen der Vorsitzende der hessischen SPD-Landtagsfraktion erklärt habe, daß die technische Entwicklung nun einmal so weit fortgeschritten sei, „daß wir die Schlacht an dieser Stelle verloren haben". Es wäre ganz gut, wenn man gar nicht mehr laut davon reden würde. Ich möchte Ihnen das nur langsam mal sagen, damit Sie dieses Thema nicht bis zur Bundestagswahl immer noch zu Ihrem Nachteil fortschleppen.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?
Aber selbstverständlich, Herr Kollege Walther.
Herr Kollege Schwarz-Schilling, darf ich Sie fragen, ob Sie nicht möglicherweise bei genauem Zuhören mitbekommen haben könnten, was ich gemeint habe?
({0})
Ich habe gesagt, daß ich nicht über Ihre Medienpolitik, sondern darüber streite, daß Sie das Vermögen der Bundespost mißbrauchen und auf diese Art und Weise, subventioniert von Telefonkunden, hohe Verluste für die Bundespost einfahren. Ich frage Sie, ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, daß der Kritikansatz erheblich geringer wäre, wenn Sie kostendeckende Preise nähmen.
Ich glaube, wir haben uns darüber, Herr Kollege Walther, auch im Haushaltsausschuß und im Rechnungsprüfungsausschuß sehr ausführlich unterhalten. Die Deutsche Bundespost steht auf dem Standpunkt, daß sie bei neuen Diensten nicht sofort mit Vollkostendeckung beginnen kann, weil sie sonst niemals in der Lage wäre, überhaupt neue Dienste in Gang zu bringen. Das ist bei großen Unternehmen, wenn neue Produkte kommen, genau das gleiche. Wir würden heute nicht über das Telefon verfügen, wenn die Einführung des Telefons damals nicht von der gelben Post in entsprechender Weise unterstützt worden wäre. Das ist genau das gleiche.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeffermann?
Ich möchte noch eine zulassen, bitte dann aber im Interesse aller darum, daß Sie mich dann ohne Unterbrechung fortfahren lassen.
({0})
Herr Bundesminister, können Sie bestätigen, daß unter Bezugnahme auf die Rede des Kollegen Walther vorhin und die Abstimmungsverhältnisse im Verwaltungsrat bisher sämtliche Einführungen von neuen Diensten mit großer Mehrheit im Verwaltungsrat beschlossen worden sind,
({0})
mit Ausnahme der 28. Änderungsverordnung, und daß die Sozialdemokratie in den Fällen, von denen der Herr Walther vorhin sprach, im Verwaltungsrat in hoffnungsloser Minderheit gewesen ist?
({1})
Herr Kollege Pfeffermann, ich kann das bestätigen. Ich möchte dazu noch eines sagen: Ich habe Verständnis dafür gehabt, daß einige Bundesländer etwas Sorge hatten, daß wir bei der Anhebung von gewissen Gebühren bei der Kabeltechnologie vielleicht Akzeptanzschwierigkeiten bekommen oder gerade auch bestimmte Kreise nicht in der Lage wären, dann diese neuen Möglichkeiten zu nutzen. Aber ich hätte mich natürlich eigentlich nicht nur gefreut, sondern ich hätte es eigentlich erwartet, daß mich gerade der Kollege Walther, der mich im Haushaltsaus13618
schuß sehr stark auf die Rentabilität hingewiesen hat, in dieser Frage, wo es gerade um die mittelund langfristige Rentabilität dieses Dienstes geht, dann wenigstens bei der Anhebung der Gebühren unterstützt hätte. Das hätte ich zumindest als eine logische Konsequenz im Haushaltsausschuß erwartet.
({0})
Ich darf noch einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn man wirklich um die Finanzen der Deutschen Bundespost so besorgt ist, dann möchte ich Ihnen empfehlen, daß Sie sich mit uns gemeinsam Gedanken machen, wie wir das enorme Defizit, das wir im Bereich des Paketdienstes haben, begrenzen. Dort geht es nicht darum, ob wird die Investitionen in 10, 15 oder 20 Jahren zurückverdient haben, sondern dort geht es um ein Betriebsdefizit von 1,6 Milliarden DM jedes Jahr. Sie sollten uns bei diesen sehr schwierigen Entscheidungen helfen, damit wir in diesem Bereich, auf die Zukunft gesehen, nicht in horrende Defizite kommen, die sich von 1,6 Milliarden DM vielleicht auf 2 oder 2,5 Milliarden DM erhöhen, sondern damit wir die Defizite begrenzen. Dann brauchen wir die Subventionierung des Postdienstes durch das Telefon nicht unkontrolliert ausufern zu lassen, sondern können den Ruf, daß der Telefonbereich seinen Telekommunikationsdienst nicht mehr erfüllen kann, weil zu viele Investitionen in den gelben Bereich gehen, eindämmen und damit die Einheit des Unternehmens Deutsche Bundespost bewahren. Das wäre eine konstruktive Aufgabe für die nächste Zeit. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir dabei helfen könnten.
Ich darf ein Weiteres sagen. Diesem Postminister anzulasten, daß er mit dem Autotelefon zu zögerlich sei, ist ein bißchen blauäugig. Sie wissen ganz genau, daß der Aufbau eines Netzes Jahre dauert. Wenn Sie hier irgend jemand beschuldigen, daß es jetzt erst kommt, müssen Sie Ihre eigenen Regierungen aus der vorhergehenden Zeit, die dies nicht haben einführen wollen, heute in entsprechender Weise kritisieren.
({1})
Ich weiß auch, wieso es so gewesen ist. Man glaubte nämlich, das Autotelefon sei ein Luxus für ein paar Großkopfete; man brauche nicht mehr als 20 000 bis 25 000 Anschlüsse. Deswegen ist das Netz längst voll. Aus diesem Grunde mußten wir schnellstens eine neue Systemtechnologie einführen. Ich kann Ihnen sagen, daß das geschehen ist. Der Betriebsdienst ist bereits im Gange, und der Regeldienst wird ab Mai nächsten Jahres kommen. Damit die Akzeptanz sich weiter verbessert, wird die Deutsche Bundespost ihre Monatsgebühren von über 280 DM heute auf 125 DM reduzieren. Ich glaube, das ist ein Beitrag gerade auch für diejenigen, die auf ein solches Telefon angewiesen sind.
({2})
Nun sagen Sie, daß wir bei den Glasfaserfernstrecken an nicht vorhandenen Geldmitteln scheitern. Herr Kollege Walther, zunächst einmal möchte ich dies sagen. Die vorige Bundesregierung hat zwar wahnsinnig viel von Glasfaser geredet. Sie hat diesen Begriff immer als eine Vision benutzt, damit Kupfer nicht eingesetzt wird, damit um Gottes Willen keine Verkabelung für Rundfunk und Fernsehen kommt.
({3})
Sie hat aber keinen Auftrag erteilt und der deutschen Industrie nicht klargemacht, wieviel dieser Glasfaser man in den nächsten Jahren wirklich verbrauchen will. Bei mir ist das nach dem Oktober innerhalb von sechs Wochen geschehen, so daß die deutsche Industrie ihre Planungen auf die Zusagen des Postministers ausrichten konnte, daß wir in den nächsten zehn Jahren jedes Jahr über 100 000 Glasfaser-Kilometer einsetzen werden.
({4})
Ich möchte damit sagen, daß wir durchaus in der Lage sind, das in der entsprechenden Schnelligkeit durchzusiedeln. Es gibt kaum ein Land, das mit dieser Schnelligkeit das Fernnetz aufbaut, welches bei uns in seiner Kernstruktur bereits im Jahre 1987 dasein wird, und zwar von Hamburg bis hinunter nach Nürnberg und München.
({5}) - Natürlich über Stuttgart.
({6})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Sachverständigengutachten sagen. Ich glaube, daß das Sachverständigengutachten in der Fragestellung der Telekommunikation durchaus einen Bereich angesprochen hat, der auch in der Bundesrepublik so aktuell ist wie in den anderen Ländern der Welt. Ich glaube auch, daß dort einige Fragen durchaus richtig angesprochen worden sind, allerdings von den Fakten her auch einiges zu korrigieren wäre. Aus diesem Grunde hat diese Bundesregierung eine Kommission eingesetzt, die diese Fragen nach sorgfältiger Analyse zu beurteilen haben wird und entsprechende Empfehlungen, die über die Annahmen in dem Sachverständigengutachten hinausgehen, zu geben haben wird. Die Empfehlungen betreffen nicht nur den Bereich der Endgeräte, sondern den Gesamtbereich der Telekommunikation. Ich glaube, wenn Sie einmal auf die Geschichte in den anderen Ländern - Großbritannien, Japan, Vereinigte Staaten - sehen, werden Sie feststellen, daß von den ersten Anregungen - in Amerika z. B. von dem Urteil aus dem Jahre 1968 bis hin zu den sogenannten Deregulierungsbestimmungen; in Japan begann der Prozeß 1978 in den entsprechenden Kommissionen - mehrere Jahre bis zu dem Zeitpunkt vergangen sind, zu dem man nach sorgfältigem Studium solche Entscheidungen getroffen hat. Wenn diese Bundesregierung, die seit 1982 die Verantwortung trägt, etwa im Jahre 1987 bereits über entsprechende Empfehlungen verfügen wird, wird sie relativ
schneller gehandelt haben, als es in den vergleichbaren anderen Ländern geschah.
Sie werden uns aber zugestehen, daß wir uns über die Auswirkungen auch der gutgemeinten Vorschläge, wie sie in Amerika oder England gemacht worden sind, auch faktisch ein Bild machen müssen, damit wir nicht ähnliche Fehler machen, wie sie in jenen Ländern vorgekommen sind.
({7})
Trotz der sogenannten Privatisierung in England, meine Damen und Herren, werden Sie für eine Minute Telefonieren zwischen London und Bonn 3,67 DM und von Bonn nach London, also bei der Deutschen Bundespost, 2,76 DM zahlen.
({8})
Es ist also nicht immer so, wie man es sich vorstellt.
Sie müssen ein Weiteres sagen: Es ist mit Zustimmung aller Parteien dieses Bundestages beschlossen worden, im Nahbereich den Bundesbürgern eine besondere Vergünstigung einzuräumen.
({9})
In allen Ländern mit Deregulierung ist genau das Gegenteil der Fall.
({10})
Es ist eine exorbitante Steigerung im Nahbereich eingetreten, weil sie kostengemäß ist. - Auch hier müßten sich die Fraktionen dann entsprechende Beschlüsse abringen. Sie müssen wissen: Wenn wir in den anderen Bereichen mit den Gebühren heruntergehen wollen, müssen wir hier entsprechende Steigerungen in Kauf nehmen. - Das sind aber Fragen, zu denen erst von dieser Kommission Empfehlungen gegeben werden sollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen: Ich darf mich für die Unterstützung bedanken, die ich insbesondere im Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen bekommen habe, und für die Versachlichung der Diskussion - wenn ich an das Jahr 1984 denke. Ich darf auch darauf hinweisen, daß all das, was als Horrorbild an den Himmel gemalt worden ist, nirgendwo eingetreten ist. Die Bundespost hat den größten Anteil an Investitionen, hat keine Gebührenerhöhungen vorgenommen, hat das beste Ergebnis und sieht mit großem Optimismus im Hinblick auf ihre Mitarbeiter und die Bürger in die Zukunft.
Ich danke Ihnen.
({11})
Meine Damen und Herren, ich rufe die Abgeordneten Schreiner und Fischer ({0}) wegen beleidigender Äußerungen gegenüber dem Abgeordneten Pfeffermann zur Ordnung.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 13.
({2})
- Herr Abgeordneter Diederich, ich rufe Sie ebenfalls zur Ordnung.
({3})
- Sie haben das laut genug gesagt. Ich finde es nicht in Ordnung, daß man sich im Plenarsaal noch gegenseitig beleidigt.
({4})
Wir kommen also nun zur Abstimmung über den Einzelplan 13.
Wer dem Einzelplan 13 - Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe auf:
Haushaltsgesetz 1986
- Drucksachen 10/4178, 10/4179 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({5}) Hoppe
Roth ({6})
Dr. Weng ({7})
Wieczorek ({8})
Frau Simonis
Dr. Müller ({9})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten Dauer für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Wieczorek ({10}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind am Ende der Aussprache zur zweiten Lesung. Wir wollen uns über das Haushaltsgesetz unterhalten. Und ich möchte gern die Gelegenheit ergreifen und mich ausdrücklich beim Bundesfinanzminister bedanken, der gestern in sehr sachlicher Form und sehr schnell auf die von mir gestellten Fragen eingegangen ist. Ich will die Gelegenheit aber auch benutzen, um die Ausführungen von Herrn Dr. Stoltenberg noch einmal hervorzuheben.
Erstens. Er hat festgestellt, daß er das Konsolidierungsziel noch nicht erreicht hat. Er hat in seiner Rede gestern vormittag ausgeführt, daß der Konsolidierungserfolg für den Bundeshaushalt in den letzten drei Jahren, in seiner Amtszeit, etwa zwölf Milliarden DM beträgt. Herr Dr. Stoltenberg
Wieczorek ({0})
hat bestätigt, daß dieser Stand nur ein Zwischenergebnis ist.
Der Bundesfinanzminister hat weiterhin festgestellt, daß zu keinem Zeitpunkt der Eindruck erweckt werden sollte, daß der Schuldenstand des Bundes zurückgeführt werde, und daß eine Rückführung der Bundesschuld auch in den nächsten Jahren nicht in Aussicht gestellt werden könne.
({1})
Dabei hat er auch nicht die von mir genannten Zahlen in Frage gestellt, daß seit seinem Amtsantritt, also von 1983 bis 1986 die Schulden des Bundes um 108 Milliarden DM angestiegen sein werden, und nach dem Finanzplan des Bundes die Verschuldung bis zum Ende der Planungsperiode gegenüber 1982 insgesamt um 180 Milliarden DM zugenommen haben wird.
({2})
Zweitens. Der Bundesfinanzminister bleibt bei seiner Zielsetzung, die Staatsquote auf etwa 40 zurückzuführen. Hier möchte ich noch einmal die Aufmerksamkeit des Bundesfinanzministers erbitten. Er sollte nicht nur auf die nackten Zahlen sehen; denn dahinter steht die Tatsache, daß der Ausgabenanstieg langfristig verringert werden muß, und zwar weit über die bisherigen Zahlen hinaus. Dann muß uns der Bundesfinanzminister konkret sagen, welche Ausgabenbereiche er mit welchen Summen kürzen will. Es darf auf keinen Fall sein, daß diese Ausgabenkürzungen hauptsächlich den Sozialbereich betreffen;
({3})
denn eine Rückführung der Staatsquote in einem solchen Ausmaß würde nach meiner festen Überzeugung zu einer Veränderung unserer Gesellschaft führen und damit den sozialen Frieden in unserem Lande gefährden.
({4})
Drittens. Bundesfinanzminister Stoltenberg hat bestätigt, daß der Ausgabenanstieg des Bundeshaushaltes 1986 1,8 % im Entwurf und jetzt 1,6 beträgt. Er hat ausgeführt, daß beide von ihm angestellten Berechnungen nebeneinander stehen können. Für mich bleibt es deshalb dabei, daß die Steigerungsrate des Bundeshaushaltes 1986 1,6 % beträgt und diese geringe Steigerungsrate erkennen läßt, daß der Bundeshaushalt keinen ausreichenden Impuls für den Abbau der Massenarbeitslosigkeit liefern kann.
({5})
Viertens. Der Bundesfinanzminister hat bestätigt, daß übergroße Haushaltsreste den Gesichtspunkt der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit verletzen würden. Er glaubt, daß hier mit Platzpatronen geschossen wird, wenn man feststellt, daß 1983 6,5 Milliarden DM und 1984 5,4 Milliarden DM Minderausgaben zu verzeichnen waren und darin jeweils 2 Milliarden DM investive Ausgaben. Das können wohl nicht allein vorsichtige und knapp gehaltene Ansätze gewesen sein, wie der Bundesfinanzminister ausgeführt hat. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß die Unterschreitung der Haushaltsansätze in diesen Größenordnungen und bei diesen Ausgabenkategorien die wenigen wirklich beschäftigungswirksamen Bestandteile des Bundeshaushaltes in Frage stellt.
Ich begrüße schließlich die Ankündigung des Bundesfinanzministers, dem Parlament noch in diesem Jahr eine Studie zu der Frage vorzulegen, was er unter dem Begriff vertretbare Neuverschuldung versteht. Ich gehe davon aus, daß hierbei nicht nur die binnenwirtschaftlichen Möglichkeiten und Begrenzungen aufgezählt werden. Auch die Einwirkungen der ausländischen Kapitalnachfrage und die daraus folgende Zinshöhe auf die Ergiebigkeit des deutschen Kapitalmarktes sollten berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren von der Koalition, es gibt keinerlei Anlaß zu Euphorie. Das hat der Bundesfinanzminister in seiner Rede gestern bestätigt.
({6})
Insofern unterscheidet sich die Rede des Bundesfinanzministers von vielen seiner Parteikollegen und des Herrn Bundeskanzlers im deutschen Parlament.
Ich danke Ihnen sehr.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Roth ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Wieczorek hat mit einem freundlichen Halbsatz begonnen, in den ich persönlich gerne einstimme, und zwar ebenfalls mit einem Dank an den Bundesfinanzminister, an den Parlamentarischen Staatssekretär Voss, an den Herrn Haushaltsdirektor Dr. Knott, an die Mitarbeiter des Hauses, aber vor allem auch an die Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses; denn die Beratungen haben ja in einer sachlich aufgeschlossenen und menschlich fairen Weise stattgefunden. Nur - darauf lege ich jetzt am Ende dieser zweiten Haushaltslesung allerdings Wert -, die Kontroverse im sachlichen Ringen, die Unterschiedlichkeit der Positionen in der Finanzpolitik sind in der Aussprache der letzten drei Tage für die gesamte deutsche Öffentlichkeit sehr deutlich geworden.
({0})
Hier hat das Parlament von seinem Budgetrecht in
einer sehr eindeutigen und finanzpolitisch weithin
anerkannten Weise Gebrauch gemacht. Auch dies
Deutscher Bundestag - 10.Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 28. November 1985 13621
Roth ({1})
bestimmt die Qualität unserer Haushaltspolitik. Es ist keine Selbstverständlichkeit in einer modernen Massendemokratie in einem Industrieland, wo oft das Wort von der Anspruchsgesellschaft umgeht, daß in einem Wahljahr nahezu keine reale Haushaltssteigerung stattfindet und kein Ausgabenfieber ausgebrochen ist,
({2})
sondern daß wir Kurs gehalten haben, so wie es der Bundesfinanzminister am 4. September bei der Einbringung des Haushalts vorgetragen hat. Wir haben mit Disziplin Kurs gehalten. Wir haben die Ziele unserer Haushaltspolitik nie aus dem Auge verloren. Wir haben die strengen Vorgaben des Bundesfinanzministers nicht unterlaufen, sondern in der Sache durch unsere Beschlüsse untermauert. Wir haben nicht draufgesattelt, sondern umgeschichtet und am Ende gespart. Das war eine gute Haushaltspolitik mit Ergebnissen, die sich sehen lassen können.
({3})
Immerhin sind insgesamt fast 6 Milliarden DM durch unsere Beschlüsse bewegt worden: Herabsetzungen um 3,1 Milliarden, Erhöhungen um lediglich 2,6 Milliarden DM. Das Einsparvolumen von einer halben Milliarde DM ist die eine Seite, die Eingrenzung der Nettokreditaufnahme auf 23,66 Milliarden DM die andere Seite.
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Nur, Herr Kollege Wieczorek, weil Sie das eben noch einmal so nachhaltig glaubten betonen zu müssen: Für die Zinsen auf die Schulden, die uns die alte Regierung nach ihrem Zusammenbruch hinterlassen hat, diese 308 Milliarden DM Schulden,
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müssen wir im Haushaltsjahr 1986 nicht nur den vollen Betrag dieser Kreditaufnahme von 23,66 Milliarden DM aufwenden,
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sondern noch 7 Milliarden DM aus Steuermitteln zusätzlich.
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Das Geld hätten wir allerdings gern an anderer Stelle ausgegeben.
Ich bin damit schon fast am Ende meiner kurzen Betrachtung. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen: Nahezu keine reale Haushaltsausweitung, aber immerhin ein Betrag von 8 Milliarden
DM an Leistungsverbesserungen für die Bürger, die sich in barer Münze für jeden einzelnen auszahlen: in Form von Leistungsverbesserungen und von Steuerentlastungen.
Wir haben damit nicht nur Freiräume für Bürger und Wirtschaft geschaffen, sondern wir haben den Stabilitäts- und Zinsgewinn auch zu qualitativen Haushaltsverbesserungen nutzen können.
Damit keine Unklarheit bleibt: Ich stimme Ihnen völlig zu: Es ist noch viel zu tun.
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Beim Abbau der Staatsquote, einem erklärten Ziel dieser Regierung, stehen wir erst am Anfang. Der Steuerentlastung muß die Steuerreform noch folgen. Die staatliche Kreditaufnahme muß dauerhaft begrenzt werden, auch für den Zeitpunkt, wo Bundesbankgewinne in der heutigen Größenordnung einmal nicht mehr fließen. Wir müssen die haushaltspolitischen Grundlagen für ein inflationsfreies Wachstum schaffen. Wir müssen aber auch Vorsorge für den Fall einer möglichen späteren konjunkturellen Abflachung schaffen. Die Konsolidierung wird erst dann wirklich beginnen, wenn die Zinsbelastungsquote des Haushalts nicht weiter steigt, sondern wenigstens eingegrenzt ist.
Wir sind weit vorangekommen. Wir danken allen Beteiligten.
Am Ende dieser Aussprache sage ich:
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Wir stimmen zu. Wir verbinden dies mit der festen Zusicherung an das deutsche Volk,
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daß wir diesen finanzpolitischen Kurs weiter halten werden und daß wir uns anstrengen werden. Denn wir wollen noch viele Jahre regieren.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel ({0}).
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Stenographen! In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit sowie des Umstandes, daß die Aufmerksamkeit doch sehr nachgelassen hat, verschone ich Sie heute mit unseren guten Argumenten.
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Sie werden statt dessen morgen früh in die dritte Beratung eingebracht werden.
Ich wünsche allen eine gute Nacht, besonders dem Herrn Pfeffermann.
({1})
Die Tagesordnung, Herr Kollege Vogel, ist leider noch nicht abgeschlossen.
({0})
Wir haben noch weitere Punkte zu beraten. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.
Herr Präsident! Meinen sehr verehrten Damen und Herren! Daß die Sozialdemokraten und die GRÜNEN uns in der Haushaltsdebatte nicht gefordert haben, verdeutlicht die Qualität der Arbeit der Koalition und der von ihr getragenen Regierung.
({0})
Die Haushaltsberatungen gelten nach demokratischer Tradition als die Stunde des Parlaments und hier insbesondere als die Stunde der Opposition. Diese Chance aber hat die Opposition nicht genutzt.
({1})
Statt einer Sternstunde Ihrer politischen Herausforderung haben wir eine dreitägige Mondfinsternis erlebt.
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Wir sind deswegen ganz unbeirrt in unserer Auffassung, meine Damen und Herren: Die Fraktion der FDP stimmt dem Haushaltsgesetz 1986 in der Fassung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu.
({3})
Ich bin sicher, daß sich die Mehrheit des Hauses dieser vernünftigen Haltung anschließen wird.
Ich danke Ihnen.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 31 und den Gesamtplan, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushalts für das Haushaltsjahr 1986 - Haushaltsgesetz 1986 - abgeschlossen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 GG ({0}) zu dem Gesetz zur Anderung des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank
- Drucksache 10/4392 Berichterstatter: Staatsminister Schmidhuber
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat Minister Schmidhuber.
Staatsminister Schmidhuber ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Namens des Vermittlungsausschusses erstatte ich folgenden Bericht zu der Ihnen in der Drucksache 10/4392 vorliegenden Beschlußempfehlung.
Der Deutsche Bundestag hat in seiner 156. Sitzung am 12. September 1985 in dritter Lesung den Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank verabschiedet. Der Bundesrat hat in seiner 555. Sitzung beschlossen, den Vermittlungsausschuß anzurufen.
Der Vermittlungsausschuß hat die Vorlage am 27. November 1985 beraten. Er schlägt vor, daß am 12. September 1985 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz wie folgt zu ändern:
Erstens. Durch eine entsprechende Ergänzung von § 2 Abs. 2 wird festgelegt, daß die Kapitalhaltung über die vorgesehene, gesetzlich festgelegte Mindestbeteiligung des Bundes in Höhe von 51% auf öffentliche Anteilseigner beschränkt wird.
Zweitens. Eine Neufassung des einleitenden Satzteils in § 4 Abs. 1 stellt klar, daß die Bank nur Maßnahmen finanzieren kann, soweit der Bund Aufgaben hat. Diese Prämisse erfaßt sämtliche in § 4 Abs. 1 unter den Nrn. 1 bis 4 aufgeführten Bereiche.
Drittens. In Art. 1 Nr. 5 wird § 4 Abs. 2 so gefaßt, daß die Bank die Übernahme von Bankgeschäften, Treuhand- und sonstigen Geschäften mit zwischenstaatlichen Organisationen und mit obersten Landesbehörden nur vereinbaren darf, solange dadurch nicht in Aufgabenbereiche der Länder eingegriffen wird.
Viertens. In Art. 1 Nr. 5 wird in § 4 Abs. 4 Satz 1 festgelegt, daß die Bank nur Bankgeschäfte betreiben darf, die mit der Erfüllung ihrer Aufgaben in unmittelbarem Zusammenhang stehen.
Fünftens. In Art. 1 Nr. 8 regelt § 7 Abs. 1, daß der Verwaltungsrat künftig aus höchstens 23 Mitgliedern besteht und jeweils fünf Mitglieder vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat entsandt werden.
Der Vermittlungsausschuß sieht hierin einen tragfähigen Kompromiß zwischen den Positionen von Bundesrat und Bundestag, der gewährleistet, daß Bundestag und Bundesrat im Verwaltungsrat gleich stark vertreten sein werden.
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Staatsminister Schmidhuber
- Über diese Frage spreche ich anschließend in der
Parlamentarischen Gesellschaft, Herr Kollege.
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Die Höchstzahl von 23 Mitgliedern stellt die ausreichende Vertretung der von der Aufgabenstellung der Bank betroffenen Interessengruppen sicher.
Sechstens. In Art. 1 Nr. 8 wird in § 7 Abs. 3 nach Satz 3 ein Satz eingefügt, der regelt, daß zur Ausgabe von Schuldverschreibungen die Genehmigung des Verwaltungsrates notwendig ist.
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Man hat hier gegenüber dem Anrufungsbegehren, das von der „Aufnahme von Anleihen" sprach, eine genauere sprachliche Fassung gewählt.
Siebtens. Der Vermittlungsausschuß schlägt schließlich eine Reihe redaktioneller Änderungen zu den Art. 1 und 2 vor.
Meine Damen und Herren, gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Für den Vermittlungsausschuß bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung zu der vorgelegten Beschlußempfehlung.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf der Drucksache 10/4392 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundetages auf morgen, Freitag, den 29. November 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.