Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/27/1985

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, wir setzen die Haushaltsberatungen fort: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986 ({0}) - Drucksachen 10/3700, 10/4101 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) - Drucksachen 10/4151 bis 10/4180 - Ich rufe auf: Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - Drucksachen 10/4158, 10/4180 Berichterstatter: Abgeordnete Wieczorek ({2}) Dr. Hackel Kleinert ({3}) Einzelplan 32 Bundesschuld - Drucksache 10/4173 Berichterstatter: Abgeordnete Wieczorek ({4}) Austermann Kleinert ({5}) Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung - Drucksache 10/4177 Berichterstatter: Abgeordnete Roth ({6}) Borchert Hoppe Dr. Hackel Einzelplan 20 Bundesrechnungshof - Drucksachen 10/4167, 10/4180 Berichterstatter: Abgeordnete Esters von Hammerstein Dr. Müller ({7}) Dazu rufe ich auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1985 bis 1989 - Drucksachen 10/3701, 10/4102, 10/4256 Berichterstatter: Abgeordnete Roth ({9}) Borchert Wieczorek ({10}) Esters Dr. Müller ({11}) Hoppe Zu den Einzelplänen 32 und 60 liegen auf den Drucksachen 10/4345 und 10/4347 Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die soeben genannten Tagesordnungspunkte eine verbundene Aussprache von fünf Stunden vereinbart worden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der gestrigen Debatte hat das Gutachten des Sachveständigenrats zu Recht eine große Rolle gespielt, und wir sind übereinstimmend zum Ergebnis gekommen, daß sich im Jahre 1986 das Wirtschaftswachstum fortsetzen wird. Allerdings kommt es in einer finanzpolitischen Debatte auch darauf an, die Passagen des Sachverständigengutachtens zur Kenntnis zu nehmen, die auf Schwachpunkte der Konjunktur hinweisen, um daraus Konsequenzen für unsere Fi13366 nanzpolitik zu ziehen. Da werden dann auch die Risiken sichtbar, mit denen wir zu rechnen haben. Sie liegen z. B. - der Sachverständigenrat weist darauf sehr nachdrücklich hin - in der weiteren Entwicklung des Welthandels. Der Sachverständigenrat sagt wörtlich - ich zitiere -: „Es wäre gefährlich, darauf zu setzen, daß die außenwirtschaftlichen Impulse in den kommenden Jahren die wirtschaftliche Entwicklung stützen würden". Ich glaube, wir sind uns einig darüber, daß das, was sich in den USA tut, tiefste Besorgnis findet und auch für unser wirtschaftliches Wohlergehen Konsequenzen haben könnte. Aber der Sachverständigenrat weist auch auf andere Schwachpunkte hin. So bleibt die Massenarbeitslosigkeit im vierten Jahr wirtschaftlichen Wachstums nahezu unverändert bei zwei Millionen arbeitslosen Menschen extrem hoch. Er weist darauf hin, daß die Realzinsen immer noch wesentlich höher als in allen anderen vorausgegangenen Aufschwungsphasen sind, und das führt auch weiterhin dazu, daß es viele Anleger vorziehen, in Finanzanlagen zu gehen, ihr Geld in Amerika anzulegen, und die Bereitschaft, bei uns in Sachanlagen zu investieren, zu schwach ist. Wenn wir genau hinschauen, dann stellen wir fest, daß die ganze Hoffnung auf die weitere Stabilisierung, auf das weitere Wirtschaftswachstum in unserem Land darauf ruht, daß die private Nachfrage kräftig wächst, daß die binnenländische Nachfrage zu einem stabilisierenden, tragenden konjunkturellen Element wird. ({0}) Aber, meine Damen und Herren, wenn das Wachstum des privaten Konsums und die Stabilisierung der binnenländischen Nachfrage die Hoffnungen der Zukunft sind, dann muß natürlich die Frage gestellt werden, ob unsere Finanzpolitik einen adäquaten Beitrag dazu leistet. Wir Sozialdemokraten kommen bei genauer Betrachtung der Finanzpolitik dieser Koalition und auch der sie begleitenden Gesetze zu dem Ergebnis, daß die Finanzpolitik des Bundes dies eben nicht leistet. ({1}) - Reden wir doch über die Zahlen, meine Damen und Herren von der Koalition! ({2}) Dann stellen wir fest, daß die Investitionen des Bundes weiter zurückgehen. Für 1985 haben wir beschlossen, daß 35,3 Milliarden DM für öffentliche Investitionen ausgegeben werden sollen. Wir wissen überhaupt nicht, ob diese Investitionssumme erreicht wird. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, daß Jahr für Jahr 2 Milliarden DM weniger ausgegeben worden sind. Und wir stellen fest, daß nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses im Jahre 1986 die Ausgaben für Investitionen sogar weiter zurückgeführt werden, und zwar auf 34,4 Milliarden DM. Damit wird klar, daß die öffentlichen Investitionen im nächsten Jahr keinen Beitrag zur Stabilisierung der binnenländischen Nachfrage leisten werden. Sie können doch gar nicht bestreiten - die Zahlen kommen j a aus dem Finanzministerium; sie sind vom Herrn Bundesfinanzminister vorgelegt worden -, daß die öffentlichen Investitionen des Bundes bis zum Ende der mittelfristigen Finanzplanung 1989 weiter zurückgehen werden. Ihr Anteil an den Bundesausgaben wird Tiefstände erreichen, die in der Finanzgeschichte der Bundesrepublik Deutschland einmalig sind. ({3}) - Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich rede über die Finanzpolitik, die Sie zu verantworten haben, und ich bitte sehr herzlich darum, daß Sie nicht immer versuchen, dem Thema auszuweichen. ({4}) Damit wird deutlich, daß der Bundeshaushalt auf der Seite der Investitionen eben nicht das erreicht, was z. B. die EG-Kommission in ihrem Jahreswirtschaftsbericht von der Bundesregierung gefordert hat. Ich zitiere aus dem Jahreswirtschaftsbericht der EG-Kommission vom 4. Oktober dieses Jahres: Die wirtschaftlichen Aussichten für 1986 sind insgesamt positiv. Trotzdem bleiben - für die Bundesrepublik Deutschland zwei erhebliche Ungleichgewichte bestehen, der Leistungsbilanzüberschuß - es ist doch eine Sorge der anderen, wenn wir auf ihre Kosten Arbeitslosigkeit aus unserem Lande in ihr Land exportieren und vor allem die hohe Arbeitslosigkeit. Deswegen sagt die EG-Kommission, an die Adresse der Bundesregierung gerichtet: Der Staat sollte seinen wiedergewonnenen finanzpolitischen Spielraum voll nutzen, nicht nur um einer möglichen konjunkturellen Abflachung in 1987 rechtzeitig entgegenzuwirken, - die EG-Kommission sieht also diese Gefahr sondern auch ... um die Kettenreaktion von mehr Wachstum, Beschäftigung und ({5}) finanzpolitischen Spielraum in Gang zu halten. ({6}) Was die Bundesregierung angeht, so stellen wir fest, daß die Finanzpolitik dieser Forderung nicht gerecht wird. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß insbesondere der Anteil der öffentlichen Investitionen rückläufig ist. Das kann und darf nicht das letzte Wort der Finanzpolitik der Bundesregierung sein, denn sonst leistet die Bundesregierung eben nicht den Beitrag, den sie im Konzert der europäischen Länder zu leisten hat, um Wachstum zu stabilisieren. An dieser Feststellung ändert auch die Tatsache nichts, daß für zwei Jahre ein Strohfeuer entfacht wird, und zwar indem Sie die Mittel für die Städtebauförderung für den Zeitraum von zwei Jahren erhöhen. ({7}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, was soll eigentlich ein Strohfeuer für zwei Jahre? ({8}) Welche Gemeinde soll sich eigentlich auf eine Städtebauförderung einstellen, die nach zwei Jahren ausläuft? ({9}) - Nein. Warum sollen wir uns nicht heute und in den nächsten Wochen darauf einstellen, daß das geschieht, was der Städtetag für geboten hält? ({10}) Ich zitiere den Städtetag und damit den Oberbürgermeister von Frankfurt, Ihren Parteifreund Wallmann. ({11}) Die Städte sagen zu diesem Strohfeuer Städtebauförderung: Mit Sorge stellen die Städte fest, daß derzeit für die Stadterneuerung die unabdingbare rechtliche und finanzielle Kontinuität nicht erkennbar ist. ({12}) Der Städtetag fährt fort: Es ist damit zu rechnen, daß sich der Bund ab 1988 aus der Städtebauförderung zurückzieht. ({13}) Der Städtetag fordert - ich zitiere weiter -, daß sich der Bund seiner Verantwortung zur Lösung dieser gesamtwirtschaftlichen Aufgabe nicht entzieht. Wie in allen Industrienationen muß auch in der Bundesrepublik Deutschland der Gesamtstaat an der Finanzierung großer strukturbestimmender Maßnahmen der Stadterneuerung dauernd mitwirken. ({14}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Sozialdemokraten, die Bundestagsfraktion der SPD hier im Hause, unterstützen die Forderungen des Städtetages. ({15}) Wir fordern, daß die Städtebauförderung ein dauerndes Instrument zur Modernisierung unserer Städte und Gemeinden wird, daß insbesondere Stetigkeit und Perspektive für die Gemeindeinvestitionen gegeben sind und gesichert bleiben. ({16})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Grundsätzlich nicht?

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0}) Heute konnten Sie den Zeitungen, z. B. der „Süddeutschen Zeitung", entnehmen, daß der Präsident des Städtetages erneut auf die schwierigen Finanzprobleme der Gemeinden hingewiesen hat. Wallmann hat vor einigen Wochen gesagt, er habe die Hoffnung, daß im Jahre 1986 endlich der Abwärtstrend, die Talfahrt der öffentlichen Investitionen beendet werden könnte. Aber er sagt, daß diese Hoffnung auf eine Beendigung der Talfahrt der Investitionen bei den Gemeinden nur dann realistisch sei, wenn - ich zitiere wörtlich - dabei die Bundesregierung die Gemeinden nicht allein läßt. Ich muß sagen: Bisher sind die Bitten und Forderungen der Gemeinden an die Bundesregierung nicht erfüllt worden. Wir unterstreichen die Forderung von Herrn Wallmann, die wir heute in den Zeitungen finden, die da lautet: Wenn Steuergeschenke in Milliardenhöhe durch die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für den Gewerbebau gegeben werden sollen, die im übrigen konjunkturell nichts bewirken - das wissen wir doch alle -, dann muß der Herr Bundesfinanzminister, der diese Subventionen in einer Nacht- und Nebelaktion überraschend beschlossen hat, auch einen Ausgleich dafür leisten, damit die Gemeinden investieren können. ({1}) Im übrigen, Herr Kollege Dr. Stoltenberg: Wir haben vor mehr als einem Jahr, am 14. September 1984, hier im Deutschen Bundestag erklärt, nach Ihren Informationen könnten wir davon ausgehen, daß die Gemeindeinvestitionen im Jahre 1984 zum erstenmal wieder zunehmen würden, und zwar um 1 Milliarde DM. Heute wissen wir, daß Sie uns - absichtlich oder unabsichtlich - falsch informiert haben. ({2}) Auch im Jahre 1984 waren die Investitionen unserer Städte und Gemeinden weiter rückläufig. ({3}) - Ihre Zwischenrufe sind unglaublich geistreich; aber das liegt sicherlich an der frühen Morgenstunde. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute wissen wir, daß die öffentlichen Investitionen der Gemeinden auch im ersten Halbjahr 1985 weiter rückläufig waren. Vor kurzem hat uns das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung das Ergebnis einer genauen Untersuchung der Ursachen für die dramatische Abnahme der Beschäftigung in der Bauwirtschaft vorgelegt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kommt dabei zu dem Ergebnis, daß ein Drittel der Arbeitslosen am Bau, über 100 000 Arbeitslose, deswegen arbeitslos sind, weil der Finanzminister und seine Finanzpolitik die öffentlichen Investitionen beim Bund und auch bei den Gemeinden verkommen lassen. Das ist die Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({5}) Wenn Sie über die Gemeindefinanzen reden und immer wieder darauf hinweisen, daß doch die Neuverschuldung der Gemeinden zurückgegangen ist, dann übersehen Sie völlig, daß das die Gemeinden nur durch das massive Zusammenstreichen ihrer Investitionen erreichen konnten. Wir wissen, daß die Gemeinden im ersten Halbjahr 1985 ihre Sozialausgaben im wesentlichen wegen der weiteren Explosion der Sozialhilfeausgaben um 9% anheben mußten. Da nimmt es doch kein Wunder, daß, wenn die Sozialhilfeausgaben im ersten Halbjahr 1985 um 9 % steigen, für öffentliche Investitionen bei den Gemeinden kein Raum bleibt; dann müssen wir uns doch nicht darüber wundern, daß die öffentlichen Investitionen bei den Städten und Gemeinden im gleichen Zeitraum - im ersten Halbjahr 1985 - um 8,5 % zurückgehen. Die Vertreter der Städte, der Gemeinden, der Landkreise in ihren Spitzenverbänden haben das j a am 30. Oktober in ihrem Gespräch mit dem Bundeskanzler ganz deutlich gesagt. Ich zitiere: Die Explosion der Ausgaben für die Sozialhilfe ist in hohem Maße auf Sozialhilfeleistungen an Arbeitslose zurückzuführen, die keine oder keine ausreichenden Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten. Meine Damen und Herren, das ist dann die nüchterne Beschreibung der fatalen Konsequenzen der ungerechten und unsozialen Sparpolitik dieser Koalition für die Gemeindefinanzen. Wir haben dem nichts hinzuzufügen. ({6}) Aber wir wissen doch auch, daß die Gemeinden der Steuerpolitik des Bundesfinanzministers nicht mehr über den Weg trauen. ({7}) Sie haben doch in den letzten Jahren erlebt, wie durch die Senkung der Vermögensteuer, durch die Amputation der Gewerbesteuer den Gemeinden Milliarden an möglichen Investitionssummen entzogen wurden. ({8}) Wir wissen doch alle - und Sie können es nicht bestreiten, es sind doch die Zahlen des Bundesfinanzministers -, ({9}) daß die jetzt neu beschlossenen Steuersenkungen ({10}) den Städten und den Gemeinden 18 Milliarden DM an Einnahmeverlusten bringen. ({11}) - 18 Milliarden DM in dem Zeitraum 1986 bis 1989; dies können Sie nachlesen, jawohl. ({12}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ganz besonders ärgerlich sind dabei die Mindereinnahmen auf Grund der Abschreibungsverbesserungen im Gewerbebau. ({13}) - Das kann man Ihnen nicht häufig genug sagen. Die Gemeinden haben mit diesen 1,3 Milliarden DM jährlich gerechnet. Wir wissen doch, wir haben es im Deutschen Bundestag debattiert - es hat eine Anhörung des Bundestages gegeben -, ({14}) diese Verbesserungen der Abschreibungsbedingungen für den Gewerbebau bewirken konjunkturell nichts, aber sie erschüttern das Vertrauen der Städte in die Solidität der Bonner Finanzpolitik. ({15}) Der Deutsche Städtetag sagte sehr vorsichtig vor kurzem, diese Entscheidungen können negative Einflüsse auf die mittel- und langfristigen Investitionsentscheidungen der Kommunen haben. ({16}) Damit wird dann erneut deutlich, daß kurzsichtige Steuergeschenke in Milliardenhöhe im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit überhaupt nichts nutzen. Ganz im Gegenteil; was dort an Milliarden sinnlos weggegeben wird, fehlt den Gemeinden, das werden sie in ihren Investitionen zu kürzen haben. ({17}) Damit werden diese Steuergeschenke, die Sie erneut ausgehändigt haben, der Bauwirtschaft schaDr. Apel den. Wir fordern von Ihnen Stetigkeit und Perspektiven in der Finanzpolitik. ({18}) Auch deshalb bleiben wir dabei, daß eine erneute Gemeindefinanzreform erforderlich ist. Wir fühlen uns in dieser Forderung nach einer Gemeindefinanzreform im übrigen durch das Sachverständigengutachten bestätigt. Auch das Sachverständigengutachten, meine Damen, meine Herren von der Koalition, sagt ja, daß die fehlende Investitionsbereitschaft der Gemeinden auf ihre Unsicherheit wegen der fehlenden künftigen Finanzausstattung der Gemeinden zurückzuführen sei. Sie haben vor einigen Wochen mit Ihrer Mehrheit unsere Vorschläge abgelehnt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß unsere Konzepte zur Stärkung der Gemeindefinanzen vorliegen, während Sie weiterhin leeres Stroh dreschen. ({19}) Das Ergebnis ist deprimierend. Die Investitionen nehmen beim Bund ab, und zwar unter der Stabführung des Bundesfinanzministers. Sie leisten auch weiterhin keinen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftswachstums. Sie leisten damit keinen Beitrag im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. ({20}) Das ist zu bedauern. Deswegen stellen wir zum Bundeshaushalt 1986 Anträge in Milliardenhöhe, ({21}) um die öffentliche Investitionskraft zu stärken. Aber, Herr Kollege, wir machen auch deutlich, wie diese Mehrausgaben zu finanzieren sind, ({22}) und zwar nicht durch Anheben der Nettokreditaufnahme, nein, solide finanziert. ({23}) Aber wir wollen die öffentlichen Investitionen steigern. ({24}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die konjunkturelle Entwicklung des nächsten Jahres - darauf habe ich bereits hingewiesen - hängt von einer kräftigen Steigerung des privaten Konsums ab. Bisher hat der Bundesfinanzminister diese Steigerung der Konsumentennachfrage klar behindert. ({25}) - Ich werde Ihnen eine Zahl nennen, meine Damen und Herren. Von Anfang 1983 bis Mitte 1985 ist der reale private Konsum um gerade eben 1,5 gestiegen. Sie können wohl nicht bestreiten, daß das etwas mit Ihrer fatalen und unsozialen Rentenpolitik zu tun hat, ({26}) mit der Kürzung der Unterstützung bei der Arbeitslosigkeit und mit der massiven Steuer- und Abgabenerhöhung, die Sie zu verantworten haben. ({27}) Meine Damen und Herren, der Bund der Steuerzahler hat Ihre Haushaltskonsolidierung als eine Haushaltskonsolidierung auf dem Rücken der Steuerzahler bezeichnet. Ich halte diese Bewertung - Konsolidierung auf dem Rücken der Steuerzahler - für eher irreführend. Denn es waren ausschließlich die sozial Schwachen und die Lohnsteuerzahler, auf deren Rücken Herr Stoltenberg Umverteilung und Haushaltskonsolidierung praktiziert hat. ({28}) Andere gesellschaftliche Gruppen können sich kaum beschweren. Den Großunternehmen wurde massiv die Vermögensteuer gesenkt. Den Unternehmen wurde die Gewerbesteuerlast ermäßigt. Die Landwirtschaft erhält bis 1991 über 20 Milliarden DM Senkungen bei der Mehrwertsteuer. ({29}) - Ich komme darauf zurück, keine Sorge. - Dem sehr gut Verdienenden sind vorzeitig und ohne Not die Milliarden aus der Zwangsanleihe zurückgezahlt worden. ({30}) In drei Jahren hat der Finanzminister die Steuersubventionen um ein Drittel auf 10 Milliarden DM ausgeweitet. Das alles, was hier an massiven Steuersenkungen gewährt worden ist, zahlen die Normalverdiener. ({31}) Meine Damen und Herren, die heimlichen Steuererhöhungen - wie Sie das in Ihrer Oppositionszeit genannt haben, nämlich die Steuererhöhungen durch das Hineinwachsen in die Steuerprogression - werden im Jahre 1985 15 Milliarden DM Mehreinnahmen bei der Lohn- und Einkommensteuer bringen. ({32}) Oder, meine Damen und Herren, schauen wir uns doch den Anteil der Steuern und Abgaben am Bruttosozialprodukt an. 1981 betrug der Anteil der Sozialabgaben und der Steuern am Bruttosozialprodukt 42,4 %. Heute, nach drei Jahren Finanzpolitik der neuen Koalition, beträgt dieser Anteil ebenfalls 42,4 %. Mit anderen Worten, von 1981 bis heute hat sich die Steuer- und Abgabenlast nicht verändert. ({33}) Da könnte man natürlich sagen: Na, ist ja großartig, da ist überhaupt nichts geschehen. Es ist aber Dramatisches geschehen! Hinter dieser konstanten Abgabenquote verbergen sich nämlich gewaltige Verschiebungen in der Abgabenbelastung: Entlastungen bei den Unternehmen und bei der Landwirtschaft, massive Belastungen bei den Lohnsteuerzahlern, bei den Einkommensteuerzahlern und bei den Beitragszahlern. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer kommt hinzu. Was die einen bekommen haben, haben die anderen bezahlen dürfen. Um über den Durchschnittsverdiener und über seine Abgabenbelastung zu reden: Die Abgabenbelastung des Durchschnittsverdieners betrug 1981 39 %. ({34}) Das heißt, der Durchschnittsverdiener mußte 1981 von jeder Mark 39 Pfennig an Steuern und Abgaben zahlen. 1985, nach drei Jahren Wende-Finanzpolitik, darf derselbe Durchschnittsverdiener 42,7 % fast 43%, ({35}) seines Einkommens an Steuern und Abgaben zahlen. Das sind fast 4 % mehr. ({36}) Und was das eigentlich Dramatische ist: Sie berühmen sich doch, mit der „größten Steuerreform aller Zeiten" 20 Milliarden DM zurückzugeben. ({37}) Der Bund der Steuerzahler hat aber ausgerechnet, daß nach dieser Steuersenkung um 20 Milliarden die Belastung des Normalverdieners nicht abnimmt, sondern zunimmt; ({38}) sie wird fast 44 % seines Einkommens betragen. Das macht doch zweierlei deutlich: Dem Durchschnittsverdiener ({39}) wird aus der Steuersenkung 1986/88 kaum Entlastung gewährt. ({40}) Die Vorteile dieser Steuersenkung gehen vor allem in die Taschen der Gutverdienenden. Das ist auch an den Zahlen nachweisbar. 14 Milliarden DM dieser Steuersenkung werden für Tarifveränderungen vorgesehen. ({41}) Von diesen 14 Milliarden DM Steuersenkungen erhalten 9 Milliarden diejenigen, die mehr als 6 000 DM im Monat verdienen. ({42}) Die Normalverdiener und die mit den kleinen Einkommen dürfen sich die restlichen 5 Milliarden teilen; Mark- und Pfennigbeträge werden bei ihnen ankommen. Deswegen sagen wir Ihnen: Wenn Sie über den „Marsch in den Steuer- und Abgabenstaat" reden, dann meinen Sie Ihre eigene Finanzpolitik, denn Sie betreiben für den Normalverdiener den Marsch in den Steuer- und Abgabenstaat! ({43}) Sie überziehen den Normalverdiener mit immer höheren Abgaben. Die Abgabenbelastung hat unter Ihrer Regierung Rekordhöhen erreicht. ({44}) Das wäre nur zu vermeiden gewesen, wenn an die Stelle Ihrer unsozialen, ungerechten Steuersenkungen unsere Alternativvorschläge getreten wären, ({45}) denn wir hätten die 20 Milliarden an die zurückgegeben, die durch Abgabenbelastung, durch Arbeitslosigkeit, durch Sorgen um die Zukunft, durch Wegstreichen des BAföG wirklich getroffen sind. ({46}) Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, hätte auch eine konjunkturelle Wirkung erzielt. ({47}) Wir müssen im übrigen davon ausgehen, daß die mickrigen Steuersenkungen für den Normalverdiener im Jahre 1986 weitgehend durch die Beitragserhöhungen in der Krankenversicherung aufgefressen werden. Da haben Sie es doch abgelehnt, durch gesetzliche Regelungen die Kostenexplosion zu begrenzen. Sie wollten sich doch nicht mit Ihrer Klientel anlegen, und deswegen lassen Sie lieber allgemeine Appelle ergehen und leiten die Kostenexplosion in der Krankenversicherung über die Beiträge an die Beitragszahler weiter. Ich sage Ihnen: Da werden sich viele, denen Sie eine Steuersenkung versprochen haben, wundern und sich fragen, wo denn diese Steuersenkungen für sie bleiben. ({48}) Sie werden versichern, Sie werden von Beitragserhöhungen aufgefressen werden! Erneut werden das die Normalverdiener bezahlen! Angesichts dieser schlimmen finanzpolitischen Daten ({49}) gibt es für Sie, meine Damen und Herren, keinerlei Veranlassung, sich selbstgefällig zurückzulehnen und sich an Ihrem eigenen konjunktur- und finanzpolitischen Nichtstun zu erfreuen. Für 1986 erwarten alle wirtschaftswissenschaftlichen Institute, auch die Sachverständigen, eine durchschnittliche Jahresarbeitslosigkeit von deutlich mehr als 2 Millionen Menschen. Da wird die Arbeitslosigkeit nach den Schätzungen des einen Institutes um 50 000 abnehmen, nach denen des anderen Institutes und der Sachverständigen um 80 000 abnehmen. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, was sind denn das für Perspektiven? Im vierten Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs sind 2,25 Millionen arbeitslos. Wie soll es denn eigentlich weitergehen? Wie stellen Sie sich eigentlich die Zukunft dieser Republik vor? ({50}) - Meine Damen und Herren, wenn Sie durch Zwischenrufe meinen, mich stören zu sollen, was hoffnungslos ist, dann sollten Sie wenigstens zuhören, wenn ich aus einem gemeinsamen Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zitiere. ({51}) - Ich denke, Sie sollten auf Grund Ihres Parteinamens - aber C steht ja bei Ihnen für konservativ und nicht für christlich - wenigstens zuhören, wenn diese beiden großen Kirchen sich mahnend an uns richten. Die beiden Kirchen sagen: Die Massenarbeitslosgikeit stagniert auf hohem Niveau. Sie sagen wörtlich - ich zitiere -: „Die Gefahr eines weiteren Einbruchs, falls die derzeit günstige Konjunkturentwicklung abflachen sollte, ist groß." Sie sagen, die Gefahr ist groß. Deswegen fordern die beiden Kirchen uns zu einer beschäftigungsorientierten Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik auf. Meine Damen und Herren, das, was die Bundesregierung, was die Koalition zum Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit beiträgt, wird den Forderungen der Kirchen nicht gerecht. ({52}) Wir dagegen stimmen mit den Kirchen überein. Wir sind zufrieden darüber, daß unser Programm „Arbeit und Umwelt" jetzt auch vom Ifo-Institut in München positiv bewertet wird. Das Ifo-Institut sagt uns, dieses Programm wird mindestens 200 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. ({53}) Ich frage Sie: Wo sind Ihre Angebote, ({54}) wo ist Ihr Handeln, um im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit weiterzukommen? ({55}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, interessant ist im übrigen - wir erhalten ja jeden Tag neue Kostproben -, wie die Koalitionäre Tag für Tag gewaltige neue Steuersenkungen versprechen. Es müssen ja mindestens 40 Milliarden sein, und zwar nicht Lire, sondern D-Mark, die Sie den Bürgerinnen und Bürgern an Steuersenkungen versprechen. Da überbietet man sich wechselseitig an unverbindlichen Versprechungen für eine ungewisse Zukunft. Man könnte das ja alles als Wahlspeck und als den Versuch abtun, über die mickrigen Steuersenkungen für den Normalverdiener hinwegzutäuschen, wenn nicht als eine wesentliche Finanzierungsquelle für diese nächsten, sehr ungewissen Steuersenkungen ein massiver Subventionsabbau versprochen wird. ({56}) Da kann ich nur sagen, Herr Kollege Stoltenberg, ich habe mit großem Interesse das gelesen, was Sie im Norddeutschen Rundfunk gesagt haben. Sie haben gesagt, die nächste Steuersenkung müßte aus Subventionsabbau finanziert werden, wenigstens zu einem guten Teil. Sie sagen, Sie könnten sich mit 3 bis 4 Milliarden DM Subventionsabbau nicht zufriedengeben; 8 bis 10 Milliarden DM Subventionsabbau müßten es schon sein. Ich kann nur sagen: Wie war es eigentlich bei der jetzt in Kraft tretenden Steuersenkung? Hatten Sie nicht in Ihrem Neunten Subventionsbericht auch angekündigt, daß ein Teil der Steuersenkungen über Subventionsabbau passieren würde? Und was ist tatsächlich passiert? Sie haben die Subventionen nicht nur nicht abgebaut; Sie haben die Subventionen massiv nach oben geschoben. Anspruch und Wirklichkeit Ihrer Finanzpolitik fallen auch in diesem Punkte wirklich schlimm auseinander. ({57}) Sie aber sprechen angesichts dieser unverbindlichen Ankündigung einer nächsten Steuersenkung, von der niemand genau weiß, wie sie finanziert werden soll, von massiven Steuersenkungen. Wer soll eigentlich an diesen Schwindel noch glauben? ({58}) - Okay, wir werden es sehen. Wir stellen fest: Die Versprechen, zur Finanzierung der jetzigen Steuersenkungen Subventionsabbau vorzunehmen, wurden nicht gehalten. 5 %ige generelle Steuersubventionssenkung, Länge über alles, das war Ihre Forderung, als Sie in der Opposition waren: Was ist passiert? Nichts. Sie haben die Subventionen kräftig angehoben. ({59}) Nun hören Sie doch endlich auf, die deutsche Bevölkerung für dumm zu verkaufen. ({60}) Dann, wenn es Ihnen paßt, werden Subventionen ausgehändigt, insbesondere an die, von denen Sie erwarten, daß sie Sie wählen. So sieht Ihre Politik tatsächlich aus. Da kann ich nur sagen: Anspruch und Wirklichkeit stimmen eben nicht überein. Und das ist bedauerlich. ({61}) Meine Damen und Herren, bleiben wir eine Sekunde beim Subventionsabbau. Sie haben uns mit stolzgeschwellter Brust gesagt, 1986 würde der Subventionsabbau beginnen, 1 Milliarde DM an Steuersubventionen, im wesentlichen im Etat des Wirtschaftsministers, würden Sie kürzen. ({62}) Wir haben doch bereits darüber geredet, daß dieser Zehnte Subventionsbericht eher eine Mogelpakkung als eine seriöse Darstellung Ihrer Subventionspraxis ist. ({63}) - Ja, darüber lache ich insofern, als hier in diesem Deutschen Bundestag der Bundesfinanzminister vor einem Jahr gesagt hat: Die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft ist eine Steuersubvention. Jetzt im Zehnten Subventionsbericht hat er es vorgezogen, diese milliardenschwere Steuersubvention nicht mehr aufzuführen. Darüber kann man doch nur lachen, weil hier augenscheinlich Manipulation an die Stelle von Subventionsabbau gesetzt wird. Das finde ich nicht in Ordnung. Damit das ganz klar ist. ({64}) Im übrigen ist dann aus diesem Subventionsabbau in Höhe von 1 Milliarde DM nichts geworden. Sie haben mit einem Dollarkurs von 3,17 DM gerechnet. Jetzt liegt der Dollarkurs woanders. Jetzt brauchen Sie 700 Millionen DM mehr für die Kokskohlenbeihilfe. Wir unterstützen das. Wir kritisieren das nicht. Wir wollen dem Kohlebergbau und unserer Stahlindustrie helfen. Aber wir sind dagegen, daß noch vor wenigen Wochen Subventionsabbau versprochen wird, dieses Vorhaben dann aber nach kürzester Zeit, nachdem sich der Dollarkurs geändert hat, einfach zusammenbricht. ({65}) - Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie fragen, wo wir kürzen würden, sage ich Ihnen: In diesem Jahrzehnt hat es überhaupt nur ein einziges Mal tatsächlichen Subventionsabbau gegeben - und das in mehrfacher Milliardenhöhe auf Grund eines Gesetzes, dessen Entwurf Finanzminister Matthöfer im Jahre 1981 vorgelegt hatte, auf Grund des Subventionsabbaugesetzes. Davon profitieren Sie in Ihrer Finanzpolitik heute noch. Sie haben die Subventionen nur nach oben gejagt. Wir hatten sie 1981 tatsächlich um ein ganzes Stück nach unten gebracht. ({66}) Aber nachdem ich von Ihnen gefragt worden bin, wie wir uns denn zu den Steuersubventionen für die deutsche Landwirtschaft stellten, sage ich Ihnen folgendes - und das können wir im Protokoll des Deutschen Bundestages nachweisen -: Wir haben damals gewarnt und gesagt, diese 20, 21 Milliarden DM Steuersubventionen für die deutsche Landwirtschaft, beschlossen in einer Nacht-und-Nebelaktion, würden die Existenzkrise der bäuerlichen Familienbetriebe nicht beenden, im Gegenteil. Sie haben das damals höhnisch zurückgewiesen. Sie haben Ihre Politik für richtig gehalten. Und heute? Heute stehen wir doch vor der Katastrophe. Selbst die unionsregierten Länder Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz wenden sich heute mit unseren Argumenten gegen Ihre Agrarpolitik, ({67}) weil sie wissen, daß sonst Zehntausende, Hunderttausende von bäuerlichen Familienbetrieben in die Pleite getrieben würden. Angesichts dessen sage ich Ihnen, obwohl das für die Opposition nicht selbstverständlich ist: Wir sind bereit, das mit zu unterstützten, was an Kurskorrektur geboten ist, um der deutschen bäuerlichen Familienstruktur eine Zukunft zu geben. - Aber Sie müssen anfangen, Sie müssen herunter von Ihrer verfehlten Agrarpolitik. Dann sind wir bereit, mit Ihnen zusammen zu helfen. ({68}) Wenn wir dann schon über Europa reden, reden wir, denke ich, in dieser finanzpolitischen Runde auch über Eureka, über das europäische Forschungsprogramm. Wir sind uns hoffentlich darüber einig - ich gehe davon aus, daß wir es sind -, daß die technologische Zusammenarbeit in Europa verstärkt werden muß, daß wir alles tun müssen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit als Europäer gegenüber Japan und den USA zu stärken. Da ist es dann schon erstaunlich, wenn der Bundesfinanzminister die Bereitstellung von Finanzmitteln für Eureka mit dem Argument verweigert: keine neuen Subventionen. Gerade der Finanzminister hat es nötig, bei diesem Thema von Subventionen zu reden. In einer Nacht-und-Nebelaktion Milliarden verfehlte Subventionen für die Landwirtschaft, aber keine Finanzmittel für Eureka ({69}) da sage ich Ihnen: Ihnen fehlt politisches Augenmaß. Sie wissen nicht, wohin es gehen muß. ({70}) Deswegen legen wir Ihnen einen Entschließungsantrag vor, der mit 40 Millionen DM wenigstens die Startfinanzierung für Eureka ermöglicht. ({71}) Zur Finanzierung des Bundeshaushaltes 1986 setzt der Finanzminister auch 460 Millionen DM ein, die er aus dem Verkauf von Anteilen von Bundesunternehmen erzielen will. Wir hören, daß diese Verkaufsaktion von Bundesunternehmen im Jahre 1987 fortgesetzt werden soll. Wir stellen fest: Diese Verkaufsaktion vollzieht sich wahllos. VorstellunDr. Apel gen über die Aufgabe, die Rolle von Bundesunternehmen in unserer Wirtschaftsordnung, in unserer wirtschaftlichen Lage fehlen. Im übrigen: Mit dieser Grundeinstellung, nämlich Kasse machen, wollte der Finanzminister auch einen Teil unserer Lufthansa verkaufen. Dabei ist er dann auf die Kritik auch aus dem Regierungslager gestoßen, insbesondere auf Kritik von der CSU. ({72}) Ich kann mir vorstellen, wie diese Kritik, insbesondere aus dem Koalitionslager, den Finanzminister geärgert hat; Kritik kann er ja nicht gut ertragen. Daraufhin hat er im Deutschen Bundestag unmißverständlich - unmißverständlich! - erklärt, er bleibe bei der Teilprivatisierung der Deutschen Lufthansa. Er hat gesagt, er sei auch ganz sicher, daß bei dieser Teilprivatisierung der Deutschen Lufthansa das Bundeskabinett hinter ihm stehe. Anfang August hat dann Franz Josef Strauß an den Bundesfinanzminister geschrieben und ihm unmißverständlich mitgeteilt, daß der Plan auf Teilprivatisierung der Deutschen Lufthansa auf den massiven Widerstand der CSU und des Landes Bayern stoßen werde. ({73}) - Wir finden das gut. Wir teilen die Krititk des bayerischen Ministerpräsidenten an dem Versuch der Teilprivatisierung der Lufthansa; denn Sie können doch nicht übersehen, daß das unsere nationale Fluggesellschaft ist, die große Aufgaben bei der Wahrnehmung unserer nationalen Interessen hat. Wir können doch auch nicht übersehen, daß die Deutsche Lufthansa wichtig ist im Hinblick auf die Beschäftigung in unserer Flugzeugindustrie, ob in Bremen, ob in Hamburg, ob in Süddeutschland. Deswegen unterstützen wir den Ministerpräsidenten des Landes Bayern. ({74}) Aber interessant ist ja etwas anderes. ({75}) Seit diesem Brief aus Bayern mit dem Nein zur Teilprivatisierung der Lufthansa herrscht im Finanzministerium Funkstille. Herr Kollege Stoltenberg, Funkstille kann Finanzpolitik nicht ersetzen. Deswegen fordern wir Sie auf, heute eindeutig und klar zum Thema Teilprivatisierung der Lufthansa Stellung zu nehmen. ({76}) Wir erwarten von Ihnen ein Konzept, das aus mehr als nur aus dem wahllosen Verkauf von Anteilen von Bundesunternehmen besteht, die ohne politischen Widerstand leicht zu Geld gemacht werden können. ({77}) - Herr Riedl, ich habe gesagt, daß ich keine Zwischenfragen zulasse. Aber Sie wollen zum Thema Lufthansa etwas fragen. Da sind wir beide ja einer Meinung. Also, bitte schön. ({78})

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Apel, weil Sie die Freundlichkeit hatten, Briefe aus Bayern zu erwähnen - das freut uns immer -, wollte ich Sie nur fragen: Welche Meinung haben Sie eigentlich dazu?

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Riedl, ich glaube, Sie sind eben erst in den Saal gekommen. Als ich sprach, habe ich Sie nämlich gesucht, um Sie positiv zu erwähnen. Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß der Finanzminister wegen seiner Pläne auf Teilprivatisierung der Lufthansa zu kritisieren ist. Wir sind wie Franz Josef Strauß der Meinung, daß das nicht geschehen darf, und wir fordern - hoffentlich mit Ihrer Zustimmung - den Finanzminister auf, hier und heute seine starken Worte zum Thema Teilprivatisierung der Lufthansa zurückzunehmen. Dann sind wir j a weiter. Und Sie können befriedigt Franz Josef Strauß melden, daß Sie in Bonn einen Erfolg gehabt haben. ({0}) 1986, im nächsten Haushaltsjahr, wird der vom Finanzminister erwartete und in seinen Bundeshaushalt eingestellte Bundesbankgewinn mindestens 12,5 Milliarden DM betragen. Ich gehe davon aus, daß es mehr sein wird. Wir müssen uns einmal die Größenordnungen vor Augen führen. Diese 12,5 Milliarden Bundesbankgewinn entsprechen fast den Einnahmen des Bundes aus der Körperschaftsteuer. ({1}) Diese 12,5 Milliarden Bundesbankgewinn senken das Finanzierungsdefizit des Bundesfinanzministers von 36,2 auf 23,7 Milliarden DM. ({2}) Wer als amtierender Finanzminister von 1983 bis 1986 48 Milliarden DM Bundesbankgewinne einstreichen kann und dennoch im gleichen Zeitraum 108 Milliarden neue Schulden macht, ({3}) also ein Finanzierungsloch von 156 Milliarden DM zu verantworten hat, der sollte aufhören, sich hier im Deutschen Bundestag stets und ständig als selbstgerechter Konsolidierer darstellen zu lassen. ({4}) Am Ende des mittelfristigen - ({5}) - Herr Präsident, ist das parlamentarisch, wenn ich hier als „Finanzkasper" bezeichnet werde? ({6}) Aber ich gebe ja zu: Sie haben Wichtigeres zu tun. Ich frage Sie nur.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, ich bin im Augenblick durch eine Anfrage hier abgelenkt worden. Ich werde diese Sache sofort überprüfen lassen.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist sehr gut, Herr Präsident. ({0}) Im übrigen, es gehören ja auch immer zwei dazu, um beleidigt zu sein. Ich kann mich von Ihnen überhaupt nicht beleidigt fühlen. Deswegen tragen Sie doch Ihren Ordnungsruf als Dekoration. Das ist dann ja auch in Ordnung. ({1}) Am Ende der vorliegenden mittelfristigen Finanzplanung werden ein Drittel der dann fälligen Zinsen Zinsen aus der Kreditaufnahme des Herrn Stoltenberg sein. Würde der Bundesbankgewinn bis 1989 nicht auf 76 Milliarden DM steigen, wäre das Bild noch ungünstiger. ({2}) Um was geht es denn? Es geht um folgendes. Während unserer Regierungszeit lebten wir mit einer starken D-Mark ({3}) und einem schwachen Dollar. Die Währungsbestände der Bundesbank verloren damals an Buchwert. So mußte damals die Bundesbank ihre riesigen Zinsgewinne einsetzen, um ihre Bilanz in Ordnung zu bringen. Wir haben damals einmal 600 Millionen DM und sonst keinerlei Bundesbankgewinne bekommen. ({4}) Heute sind wir in einer anderen Situation. ({5}) Heute ist der Dollar sehr viel stärker und die D-Mark ist sehr viel schwächer. Bei jedem Verkauf von Dollar macht die Bundesbank Riesengewinne. Was wesentlicher ist: Die Bundesbank braucht ihre riesigen Zinseinnahmen nicht mehr für ihre Bilanz. Die kann sie seit 1982 an den Bundeshaushalt überweisen. Sie gewinnt enorme Zinseinnahmen auch daraus, daß die amerikanische Haushaltspolitik schlimm ist und zusätzliche hohe Zinseinnahmen ermöglicht. Ich kann mich doch noch daran erinnern, wie Sie 1982, als wir das erste Mal Bundesbankgewinne bekommen sollten, in diesem Bundestag getobt haben, ({6}) wie Sie gesagt haben, man dürfe diese Bundesbankgewinne nicht in den Haushalt einstellen, ({7}) das sei inflationsfördernd, man dürfe daraus Haushaltsfinanzierung nicht betreiben. Und heute? Heute sagen Sie zu diesen Bundesbankgewinnen dankbar ja und benutzen sie, ({8}) um sich die Aura des Konsolidierers zu geben. ({9}) Meine Damen und Herren, lesen wir es nach. Die Wochenzeitung „Die Zeit", eine überparteiliche und sehr angesehene Zeitung, sagt dazu am 25. Oktober 1985 - ich zitiere -: Hätte Stoltenberg ... 1984 nicht 11,4 Milliarden DM von der Bundesbank kassiert, ({10}) wäre das Defizit in seinem Budget mit 40 Milliarden höher ausgefallen als jemals während der Regierungszeit der Sozialdemokraten. ({11}) „Die Zeit" fährt fort: An dem Gewinn, den die Frankfurter Notenbank erwirtschaftet, hat der Finanzminister nicht das geringste Verdienst. „Die Zeit" schlußfolgert aus all dem - ich zitiere -: Bleiben sie - die Bundesbankgewinne aus, dann bricht die ... Konsolidierung in sich zusammen. Der Ruf des ... Sparministers ... wäre dann gründlich lädiert. So sagt es „Die Zeit", und so ist es richtig. ({12}) Aber, meine Damen und Herren, damit auch das klar ist: Wir werfen dem Bundesfinanzminister nicht seine jährliche neue massive Schuldenaufnahme als solche vor, ({13}) sondern wir werfen sie ihm vor, weil sie das Ergebnis einer verfehlten Finanzpolitik ist, die bei den sozial Schwächeren spart, die Lohnsteuereinnahmen explodieren läßt, um dann diese Mehreinnahmen für Steuersenkungen bei den Unternehmen, für die Rückzahlung der Zwangsanleihe und für anDr. Apel deres mehr auszugeben, was jede soziale Symmetrie vermeidet und was der Konjunktur auch nichts nützt. ({14}) Im übrigen können Sie doch nicht leugnen - und das geben die Zahlen her -: Seit der Wende hat der Finanzminister Jahr für Jahr ein Finanzierungsdefizit in seinem Haushalt, das höher ist als seine Ausgaben für Investitionen. ({15}) Da Sie derzeit sicherlich nicht behaupten, wir lebten in einer tiefen Krise, stellt sich hier nun eindeutig die Frage, ob Art. 115 GG damit verletzt worden ist oder nicht. Meine Damen und Herren, Sie können das Grundgesetz doch nicht stets so interpretieren, wie es Ihnen gefällt. ({16}) Als bei uns 1981 in einer wirklich tiefen Krise die Nettokreditaufnahme höher war als die Ausgaben für Investitionen, sind Sie als Oppositionspartei nach Karlsruhe gezogen und haben versucht, den damaligen Bundeshaushalt für verfassungswidrig erklärt zu bekommen. Jetzt haben Sie an dieser Klage plötzlich keinen Spaß mehr. ({17}) Ich kann das angesichts der Tatsache, daß sich wirklich die Frage stellt, wie es denn nun mit der Verfassungsgemäßheit der von Ihnen zu verantwortenden Bundeshaushalte ist, durchaus verstehen. Nur, Sie können das Grundgesetz nicht stets so interpretieren, wie es Ihnen gerade paßt; deswegen werden Sie Stellung nehmen müssen. ({18}) Anspruch und Wirklichkeit haben bei der Finanzpolitik, die Sie vertreten, kaum etwas miteinander zu tun. ({19}) Sie ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, das in Zahlen gegossene Abbild der unsozialen Wendepolitik dieser Koalition. Gerechtigkeit ist für Sie ein Fremdwort. ({20}) Das gilt insbesondere auch für den Haushalt 1986 und die ihn begleitenden Gesetze. Diese Politik stößt auf unseren Widerstand. Wir lehnen den Haushalt 1986 und die ihn begleitende Finanz- und Steuerpolitik auch deshalb ab, weil sie ungenügend Vorsorge betreibt, um das weitere Wachsen unserer Wirtschaft zu stabilisieren. Gegen eine mögliche Abschwächung und für eine gesunde Struktur des Aufschwungs brauchen wir mehr, nicht weniger öffentliche Investitionen. Sie aber drosseln die öffentlichen Investitionen beim Bund und behindern die Investitionen bei den Gemeinden. ({21}) Sie verteilen die Steuerentlastung einseitig und ungerecht und schwächen damit die dringend notwendige Steigerung der Massenkaufkraft. ({22}) Damit leistet Ihre Finanzpolitik einen nur unzureichenden Beitrag zur Bekämpfung der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit. Wir Sozialdemokraten treten deshalb weiterhin für unser solide finanziertes Programm „Arbeit und Umwelt" ein. ({23}) Wir treten weiter für unsere Forderung ein, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. ({24}) Wir brauchen eine aktive Finanzpolitik ohne Erhöhung der Schulden, um die anhaltende Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Unsere Anträge zur zweiten Beratung des Bundeshaushalts 1986 machen unseren politischen Willen deutlich. Wir wollen an die Stelle der leeren Rhetorik aktive Finanzpolitik setzen. Wir brauchen die Verbindung von Arbeit und Umwelt. Wir brauchen soziale Gerechtigkeit. ({25}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine solche aktive Finanzpolitik braucht unser Land. Wir sind sie unserem Land und den mehr als 2 Millionen Arbeitslosen schuldig. Schönen Dank. ({26})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Carstens ({0}). ({1})

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es muß für einen Oppositionspolitiker, Herr Kollege Apel, nicht gerade angenehm sein, wenn ihm in einer Haushaltsdebatte zwar ausreichend Redezeit einge13376 Carstens ({0}) räumt wird, er dann aber in der Sache kaum etwas zu sagen hat. ({1}) Meine verehrten Damen und Herren, Sie können sicher sein, daß es den nachfolgenden Kollegen der SPD-Fraktion ähnlich ergehen wird; denn sie haben es in der heutigen Debatte in der Tat nicht leicht. ({2}) Allseits erfährt die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung Zustimmung; aber allseits ist bekannt, daß die SPD in Sachen Haushalts- und Finanzpolitik keine überzeugende Alternative parat hat. ({3}) Wir debattieren hier heute einen Bundeshaushalt, der im Haushaltsausschuß termingerecht beraten und abgeschlossen werden konnte. Sie werden verstehen, daß wir von der Koalition mit dem dort erzielten Abschlußergebnis außerordentlich zufrieden sind; denn wir konnten die vorgesehene Neuverschuldung noch einmal um 1,3 Milliarden DM zurückführen. Es handelt sich darüber hinaus um den vierten Haushalt in Folge, bei dem die Ausgabensteigerung deutlich unter 3''/o liegt und die Nettoverschuldung jeweils ganz erheblich zurückgegangen ist bzw. weiter zurückgeht, und zwar - das möchte ich Ihnen, Herr Kollege Apel, sagen - unabhängig davon, ob man den Bundesbankgewinn einbezieht oder nicht. ({4}) Das berechtigt zu der Aussage, daß die Haushaltspolitik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition von bestechender Kontinuität und Verläßlichkeit ist. ({5}) Darüber hinaus ist die Haushaltspolitik außergewöhnlich erfolgreich. Denn niemand bestreitet, daß sie Grundlage und Ausgangspunkt für die wirtschaftliche Erholung gewesen ist, die nun schon über einige Jahre inflationsfrei anhält. Sie ist außerordentlich erfreulich und erfolgreich. Allein hieran kann man erkennen, wie wohltuend es für alle Privaten ist, wenn sich der Staat mit seinen Ansprüchen an das erarbeitete Bruttosozialprodukt zurückhält. ({6}) Der Haushalt 1986 zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, daß, obwohl wir ab Januar die Steuerlast erheblich senken ({7}) und obwohl der Ansatz des Bundesbankgewinns gegenüber dem Vorjahr nicht verändert wurde, die Neuverschuldung weiter zurückgeführt werden kann. Das ist ein großartiges Ergebnis, welches nur darauf zurückzuführen ist, daß wir wiederum nur eine sehr geringe Ausgabensteigerung beschlossen haben und daß sich der wirtschaftliche Aufschwung mittlerweile bei den Einnahmen der öffentlichen Hand auswirkt. Des weiteren muß man sich selbst als beteiligter Haushaltspolitiker darüber wundern, wie viele sozialpolitische Akzente in diesem Haushalt gesetzt werden konnten, obwohl die Ausgaben nur um 2,2 % gesteigert werden. Ich werde auf diesen Punkt gleich noch in Einzelheiten zurückkommen. Ich möchte aber bei dieser Gelegenheit einmal daran erinnern, daß heute wiederum der Kollege Apel und gestern die Kollegen Vogel und Schröder versucht haben, ob versteckt oder offen, den Eindruck zu erwecken, sie hätten eine soziale Einstellung, und bei uns fehlte diese soziale Einstellung. ({8}) Meine verehrten Kolleginnen und und Kollegen von der SPD, ich spreche Ihnen diese soziale Einstellung nicht ab; aber ich stelle fest, daß trotz Ihrer sozialen Einstellung die Ergebnisse Ihrer Politik höchst unsozial gewesen sind. ({9}) Ich erinnere daran, daß Sie damals das Kindergeld bei allen gekürzt haben, ob arm, ob reich. ({10}) Wir haben es damals einkommensbezogen gekürzt, und ab Januar wird das Kindergeld schon wieder erhöht. ({11}) Sie haben damals das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche gestrichen, wir haben es wieder eingeführt. ({12}) Bei Ihnen sanken die Reallöhne, bei uns steigen sie wieder. Bei Ihnen stieg die Arbeitslosigkeit, bei uns steigt die Beschäftigungsrate. ({13}) Die Arbeitnehmer waren zu Ihrer Zeit zu Hauf gezwungen, ihre oft selbst erbauten Häuser zu verkaufen, weil sie nicht mehr in der Lage waren, die hohen Zinsbelastungen zu zahlen, die zu Ihrer Zeit üblich waren. ({14}) Bei uns werden die Zinsbeträge wieder erträglicher. ({15}) Mit der hohen Inflationsrate zogen Sie dem kleinen Mann das Geld aus der Tasche; bei uns ist das Geld wieder stabil.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehrenberg?

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, um wieviel die Rate der Zwangsversteigerungen in den Jahren 1984 und 1985 gerade in der Gegend, aus der wir beide kommen, gestiegen ist? ({0})

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehrenberg, das müßten Sie doch richtig einschätzen können. Wenn die kleinen Leute damals in der Zeit der Hochzinsphase mit den hohen Zinsbelastungen geradezu stranguliert wurden, sind sie natürlich jetzt, wo die Zinsen runtergegangen sind, nicht sofort aus der Misere raus. Natürlich müssen auch weiter Arbeitnehmer ihre Häuser verkaufen, weil sie damals zu Ihrer Regierungszeit in diese horrende Belastung gekommen sind. ({0}) Die hohen Zinsen und die hohen Inflationsraten haben im übrigen die größte Umverteilung von unten nach oben in unserem Lande bewirkt, die es seit Kriegsende gegeben hat. ({1}) Bezeichnen Sie unsere Einstellung, verehrte Kollegen der SPD, wie Sie wollen, ich stelle zu unserer Politik fest, daß sie erstens erfolgreich und zweitens außerordentlich sozial ist. ({2}) Ich persönlich bin sehr erfreut darüber, daß es uns nun zum viertenmal hintereinander gelungen ist, die Beratungen im Ausschuß so rechtzeitig abzuschließen, daß die abschließende Beschlußfassung im Deutschen Bundestag wiederum so rechtzeitig vorgenommen werden kann, daß, einschließlich der Beteiligung des Bundesrates, der Haushalt ab 1. Januar 1986 sofort realisiert werden kann. Dies dokumentiert in der Tat Kontinuität und Verläßlichkeit, und das garantiert gleichzeitig auch Wirtschaftlichkeit; denn alle beteiligten Stellen, ob Zuwendungsempfänger oder oberste Dienstbehörden oder die Ministerien selbst, wissen schon jetzt, worauf sie sich für das Jahr 1986 einzustellen haben. Das ist die beste Voraussetzung für einen effektiven und sparsamen Haushaltsvollzug. Die gründlichen Ausschußberatungen bieten des weiteren Gewähr dafür, daß wir auch im Jahre 1986 nicht mit einem Nachtragshaushalt werden rechnen müssen. Solidität und Genauigkeit waren Richtschnur unserer Beratungen. Dies gilt auch für die zugrunde gelegten gesamtwirtschaftlichen Eckdaten. Meine Damen und Herren, die Zeiten der unseriösen Haushaltsaufstellungen sind endgültig vorbei. ({3}) Heute gilt wieder Stetigkeit bei den Zeitplänen, Verläßlichkeit bei den Ansätzen und Treffsicherheit bei den Prognosen. Ein sicheres Zeichen dafür, daß wir so gehandelt haben, wie ich es hier sage, ist die Tatsache, daß wir seitens der Koalition hier nicht einen einzigen Abänderungsantrag in zweiter und dritter Lesung gestellt haben. Das hat man zu Zeiten der SPD überhaupt nicht erlebt. Damals hat es zum Schluß immer noch eine Menge von Abänderungsanträgen gegeben, aber das war angesichts der verheerenden Schuldenpolitik der damaligen Regierung auch nicht verwunderlich. Das, was wir jetzt unternehmen, trägt dazu bei, das Vertrauen zurückzugewinnen, das in den 70er Jahren leichtfertig verspielt wurde. Dies schafft eine Atmosphäre, die unsere Wirtschaft braucht, ein Klima, ohne das die Soziale Marktwirtschaft nicht funktionieren kann, in dem sie aber vorzüglich funktioniert. Es ist seit vielen Jahren guter Brauch im Deutschen Bundestag, bei der Beratung dieses Einzelplanes denjenigen Dank zu sagen, die an der Beratung des Haushalts, daran, daß wir gut beraten konnten und diese Beratungen rechtzeitig abschließen konnten, mitgewirkt haben. Zuerst bedanke ich mich - auch namens meiner Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuß - bei dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und bei den Mitarbeitern des Sekretariates. ({4}) Der Ausschußvorsitzende leitete mit viel Übersicht und Routine, und er hat sich in der Tat bemüht, der Vorsitzende aller zu sein. Ganz herzlichen Dank dafür, lieber Rudi Walther. ({5}) Der SPD-Opposition möchte ich sagen, daß sie zwar hart in der Sache war, aber menschlich im Umgang. Auch dafür herzlichen Dank, lieber Helmut Wieczorek. ({6}) Den GRÜNEN möchte ich bestätigen, daß sie in diesem Jahr zumindest überwiegend an den Sitzungen teilgenommen haben. ({7}) Der FDP möchte ich zurufen, daß ich sicherlich keinen Widerspruch zu erwarten brauche, wenn ich hier behaupte, daß wir in Sachen Haushalts- und Finanzpolitik nahezu nahtlos übereinstimmen, was sich bei allen Beratungen gezeigt hat. Auch der FDP ganz herzlichen Dank dafür. ({8}) Carstens ({9}) Ich sage Dank aber auch unserer Fraktion, insbesondere unserem Vorsitzenden, denn es war gerade in den letzten Wochen nicht immer leicht, die geäußerten Wünsche abzuwehren. Sicherlich mußte auch der eine oder andere Kollege enttäuscht werden, wie der Geschäftsführer unserer Fraktion, der Kollege Seiters, gerne bestätigen wird. Doch eines war immer klar: Die gesamte CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat von Oktober 1982 bis heute uneingeschränkt die finanzpolitische Linie der Bundesregierung mitgetragen. Ich erkläre: Das wird auch in Zukunft so bleiben, meine Damen und Herren. ({10}) Ich darf darüber hinaus dem Bundesminister der Finanzen danken. Der Finanzminister hat mit seinen Beamten dem Haushaltsausschuß mit Formulierungshilfen und Anregungen zur Seite gestanden, ohne die der Bundeshaushalt nicht so zügig hätte beraten werden können. Wir Haushaltspolitiker freuen uns natürlich - ich nehme an, mit Ihnen, Herr Minister -, Ihren schon ausgezeichneten Haushaltsentwurf noch einmal etwas verbessert zu haben. Herzlichen Dank, Ihnen, lieber Gerhard Stoltenberg, und Ihren Mitarbeitern. ({11}) Mit dem Haushalt 1986 wird der erfolgreiche Weg der Vergangenheit kontinuierlich fortgeführt. Die Nettokreditaufnahme wird weiter abgebaut. Hierzu hat der Kollege Apel soeben ja auch einige Aussagen gewagt, möchte ich sagen. Zunächst einmal darf ich feststellen, daß die Neuverschuldung des Jahres 1986 die niedrigste Neuverschuldung sein wird, die wir in den letzten neun Jahren hatten. ({12}) Wenn wir die Kreditaufnahme in Prozent der Gesamtausgaben des Bundes ausdrücken, dann sind wir wieder in der Nähe des Jahres 1974. Wir liegen bei 8,9%. 1974 - zu SPD-Zeiten - lagen wir bei 7,1 %. ({13}) Im Jahre 1975 ging mit dem Finanzminister Apel die Verschuldung erst richtig los. ({14}) Wir sind jetzt also wieder dort angelangt, wo man noch von einer angemessenen Verschuldensrate reden konnte. Im Jahre 1986 müssen wir etwa 7 Milliarden DM mehr Zinsen zahlen, als wir Schulden aufnehmen. Diese 7 Milliarden DM zusätzliche Zinsen und auch die anderen Zinsen müssen wir in der Tat ausschließlich deshalb bezahlen, weil uns die SPD diese horrenden Schulden hinterlassen hat. ({15}) Ich möchte dem Kollegen Apel einmal sagen: Er soll sich endlich entscheiden, ob er uns vorwerfen will, daß wir zuviel Kredit aufnehmen, oder ob er uns vorwerfen will, daß wir uns kaputtsparen. Wir tun zwar beides nicht, aber er muß sich für eines entscheiden. Zum Subventionsabbau: In diesem Jahr ist das Ergebnis wesentlich besser, als die öffentliche Diskussion darüber erwarten läßt. ({16}) Wir konnten zwar unser Ziel nicht erreichen, über 1 Milliarde DM abzubauen, weil dies die Dollarkursveränderung im Zusammenhang mit der Kokskohlebeihilfe nicht zuließ. Aber unabhängig davon ist es der Bundesregierung und der Koalition gelungen, die Subventionen im Rahmen der Finanzhilfen, die im Haushalt stehen, um 435 Millionen DM zurückzuführen. Das sind immerhin gut 3 % der im Haushalt stehenden Finanzhilfen. Da wir ja jedes Jahr weiter abbauen, ist das zumindest ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann. Ich habe hier eine Meldung aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. September, in der Herr Apel zitiert wird. Die Überschrift lautet: „Apel sagt, welche Subventionen zu kürzen sind". Liest man den Artikel, so stellt man fest, daß mittendrin, an wichtigster Stelle, steht: Als Abgeordneter von der Küste hält es Apel hingegen für schwieriger, die Werfthilfe zu reduzieren. ({17}) Er befürwortet auch, daß es bei einer gewissen Unterstützung der Kohle bleibe. Herr Kollege Apel, auf eine derartige Begleitmusik in Sachen Subventionsabbau können wir gut und gerne verzichten. Als ich das las, erinnerte ich mich an Heinz Erhard, der gelegentlich sagte: Nachts ist es kälter als draußen. ({18}) So ähnlich kommt mir auch Ihre Aussage vor. ({19}) Sagen Sie doch demnächst bitte nicht, wo Sie nicht kürzen wollen, sondern wo Sie kürzen wollen. Dann kommen wir beim Subventionsabbau vielleicht auch weiter. ({20}) Ich komme zu Ihrer Aussage, Herr Kollege Apel, zu den öffentlichen Investitionen, deren Anteil am Bundeshaushalt nach Ihrer Meinung zurückgeht. In der Tat geht der Ansatz in diesem Jahr leicht zurück. Insoweit haben Sie tatsächlich auch einmal eine richtige Aussage gemacht. Aber Sie wissen genau, daß im Bundeshaushalt viele Beträge als Investitionen ausgewiesen sind, die es im Grunde gar nicht sind. Wenn der Finanzminister beispielsweise Gott sei Dank auf Grund besserer Ergebnisse bei der Salzgitter AG Millionenbeträge weniger hinüberleiten muß, dann wird das bei uns als ein Minus bei den Investitionen ausgewiesen. Wenn bei den Hermes-Bürgschaften in Millionenhöhe weniCarstens ({21}) ger Ausfälle eintreten, als wir zunächst angenommen hatten, dann freuen wir uns darüber, aber bei den Investitionen ist das ein Rückgang. Ich kann hier für die Koalition erklären, daß wir überall dort, wo die Investitionen beschäftigungswirksam sind, nicht gekürzt, sondern noch etwas draufgelegt haben. ({22}) Man kann sich nur darüber wundern, was Sie hier über die Städtebauförderung zum Ausdruck gebracht haben. Wir haben die Mittel in der Tat ganz erheblich aufgestockt, nämlich um das Dreifache - die Länder um das Zweifache - für die nächsten zwei Jahre. Wenn Sie sich darüber beklagen, daß beim Bund in Sachen Städtebauförderung nicht mehr weitergemacht werde, dann vergessen Sie, die Zusammenhänge so darzustellen, wie es sich hier an diesem Pult gehört. Denn soweit ich mich erinnere, haben dieser Regelung alle Ministerpräsidenten, alle Regierungschefs zugestimmt bis, ich glaube, auf Enthaltung von Herrn Koschnick, der wohl nicht ganz so sicher war, ob es für Bremen gut ausläuft oder nicht. Sie haben zugestimmt, daß ab 1988 diese Mischfinanzierung aufhört und die Finanzierung von den Bundesländern weitergeführt wird; dorthin gehört es ja auch, und dort soll es auch in Zukunft weiterbetrieben werden. ({23}) Denn auch uns liegt daran, daß sich das Gesicht unserer Städte und der dörflichen Gemeinden auch in Zukunft weiter verbessert, sich auch ständig der neuen Zeit anpassen kann. Das werden wir auch sicherstellen. Zur Finanzlage der Gemeinden kann ich erklären, daß schon 1984 im Durchschnitt aller Kommunen in der Bundesrepublik ein Finanzierungsüberschuß von 1,5 Milliarden DM erzielt wurde. Es wird auch in diesem Jahr und 1986 ein Finanzierungsüberschuß erwartet. Die Gemeinden müssen mit Finanzen gut ausgestattet sein, da sie die Hauptträger öffentlicher Investitionen sind, nicht der Bund, nicht die Länder. Das werden wir bei all unseren Beschlüssen auch berücksichtigen. Aber ich möchte doch, auf den Bund bezogen, sagen, daß wir dafür sorgen müssen, daß wir überall dort, wo der Bund investiert, zum Beispiel im Straßenbau oder bei der Breitbandverkabelung oder bei der Bundesbahn, zu einer Verstetigung der Investitionen kommen, damit sich die Betriebe auch darauf einstellen können, nicht nur für ein oder zwei Jahre Aufträge zu haben, sondern auf Dauer mit diesen Aufträgen rechnen können. ({24}) Ansonsten vertrauen wir in Sachen wirtschaftlicher Aufwärtsentwicklung nicht allzu sehr auf die Investitionen der öffentlichen Hand, sondern uns geht es darum, daß die private Wirtschaft bei niedrigen Zinsen und stabilem Geld investieren kann. Von daher kommen auf Dauer Arbeitsplätze, nicht so sehr über die öffentliche Hand. ({25}) Meine Damen und Herren, die Erfolge dieser Haushaltspolitik mit Augenmaß können sich sehen lassen. Wenn die SPD behauptet, die Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung seien nicht hinreichend, so ist das schlichtweg falsch. Wir haben Wachstum, die Preise sind stabil, die Arbeitsplätze nehmen zu. Das ist die Ausgangslage für 1986. Dies haben wir nicht trotz der Konsolidierung, sondern wegen der Konsolidierung erreicht; ohne diese wäre es überhaupt nicht möglich gewesen. Deswegen stelle ich als erstes fest: Die Konsolidierung schreitet voran; gleichzeitig beruhigt sich die Preisrate. Ich bin froh darüber, hier mitteilen zu können, daß sich das in erster Linie bei den Lebensmittelpreisen und bei den Mieten ausweist. Schon der Kanzler hat gestern gesagt, daß wir beim frei finanzierten Wohnungsbau mittlerweile die niedrigsten Mietsteigerungen haben, die wir seit 23 Jahren feststellen können. Das ist soziale Politik einer Bundesregierung. ({26}) Ich stelle zweitens fest: Die Konsolidierung schreitet voran; gleichzeitig nimmt die Zahl der Arbeitsplätze zu. ({27}) In diesem und im nächsten Jahr werden wir aller Voraussicht nach über 500 000 zusätzliche Arbeitsplätze haben. Man kann sicher erwarten, wenn die wirtschaftliche Erholung anhält, was wir hoffen wollen und wovon wir ausgehen, daß sich das auch in das Jahr 1987 hinein fortsetzen wird. Das könnte dann durchaus bedeuten, ohne hier nun zu optimistisch sein zu wollen, daß wir in den Jahren 1985, 1986, 1987 - allein in diesen drei Jahren - imstande wären, in der Endabrechnung 800 000 zusätzliche Arbeitsplätze vorzeigen zu können. Das kann sich sehen lassen. ({28}) Und dann spricht die SPD von einem beschäftigungsunwirksamen Haushalt. Bei denen ging die Arbeitslosigkeit nach oben und die Beschäftigtenzahl nach unten. Ich stelle drittens fest: Die Konsolidierung schreitet voran, gleichzeitig beschleunigt sich das wirtschaftliche Wachstum. Wir erleben ja zur Zeit eine klassische Aufwärtsentwicklung. Zunächst belebte sich der Export, danach Export und die Investitionen, wovon ich eben gesprochen habe, und jetzt kommt für das Jahr 1986, wie die Sachverständigen sagen, der private Verbrauch, die private Nachfrage hinzu. ({29}) Das ist ein sich selbst tragender Aufschwung, wie er gar nicht besser beschrieben werden kann. ({30}) Wir werden mit allem Einsatz dafür sorgen - das Volk wird uns dabei helfen -, daß wir diese Politik Carstens ({31}) in den nächsten vier Jahren fortsetzen können, so daß SPD und GRÜNE das Sagen nicht bekommen. Denn die würden es schaffen, innerhalb von vier Jahren die Kassen zu plündern, ({32}) wie sie es vorher getan haben. ({33}) Ich habe zu Beginn gesagt, daß ich mich bei der Zusammenstellung der Redeunterlagen selbst gewundert habe, wieviel sozialpolitische Akzente wir bei der Ausgabensteigerungsrate von 2,2 % setzen konnten. Es ist eine Vielzahl von neuen Maßnahmen, die wir im Rahmen dieser Ausgabensteigerungsrate beschließen konnten. Wir haben z. B. festzustellen, daß das Steuersenkungsgesetz - dessen Kernstück die Erhöhung des steuerlichen Kinderfreibetrags und die Absenkung der Tarifprogression in einer ersten Stufe ist - ganz bedeutsam für alle ist, die Kinder haben, ob Familien oder Alleinerziehende. Ich hatte jetzt gerade ein Gespräch mit einem A-8-Mann der Bundeswehr, der verheiratet ist und drei Kinder hat und vor kurzem ein Haus gebaut hat. Er rechnete mir vor - ich hatte solche Einzelfälle noch nicht durchgerechnet -, daß er ab Januar eine Steuersenkung von etwa 120 DM bekommt. ({34}) - Im Monat, bei drei Kindern. ({35}) Im Monat bekommt er eine Wohngelderhöhung zwischen 30 DM und 40 DM. Er rechnet nach den Tarifverhandlungen mit einem Zuwachs seines Nettoeinkommens um weitere 40 DM. Das wären real etwa 2 %, was durchaus angemessen zu sein scheint. Somit hätte er ab Januar 200 DM mehr in seiner Familienkasse, als er vorher gehabt hat. ({36}) Es kommt hinzu, daß er auf seinem Haus noch 80 000 DM Verbindlichkeiten hat, wofür er zur Zeit 3 % weniger Zinsen zahlt als noch vor drei Jahren. Das macht netto noch einmal 200 DM im Monat aus. Er steht sich bei unserer Politik um 400 DM im Monat besser als bei der anderen Regierung. ({37}) Es ist mir völlig klar, daß das nicht für alle Bevölkerungsgruppen gelten kann. Soviel Geld haben wir nicht in der Kasse. Wir zahlten es gerne aus, wenn es da wäre. ({38}) Aber wir haben hier festzustellen, daß wir ganz vorrangig Familien und Alleinerziehenden mit Kindern diese Hilfe geben wollen, wie wir es vor Jahren, schon zu Beginn der Regierungszeit, gesagt haben. Das werden auch die Nutznießer der Steuerentlastung sein. Für die, die keine oder nur ganz wenig Steuern zahlen, erhöhen wir - die SPD scheint das nicht zu wissen, weil sie eben ungläubig dazwischenrief - das Kindergeld bis zu gegebenenfalls 46 DM je Kind im Monat. Darüber hinaus fügen wir ein verändertes Bundeserziehungsgeld ein, über welches Mütter oder Väter für Kinder, die ab Januar 1986 geboren sind, künftig 600 DM im Monat bekommen. Und zwar bekommen das alle, nicht wie früher nur die, die vorher berufstätig waren. Bei uns bekommen es alle, auch die Frauen, die zu Hause sind und schon Kinder haben, auch die Bäuerin, auch die Handwerkersfrau. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch ein ernstes Wort in diesem Zusammenhang. Wir stocken auch die Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind" auf. Ich darf in dieser Haushaltsdebatte in diesem Zusammenhang und vor allem auch im Zusammenhang damit, daß es erhebliche Aufstokkungen bei der Sozialhilfe für Familien und für Alleinerziehende gibt, darauf hinweisen, daß sich jede Frau und jeder Mann fragen müssen, ob sie es vor sich und vor Gott verantworten können, bei einem ungeborenen Kind eine schwere soziale Notlage zu reklamieren, oder ob sie das nicht vertreten können. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß es uns mit diesem Thema ernst ist, und deswegen wollte ich es einmal in diesem Sinne angesprochen haben. ({39}) Wir sind darüber hinaus imstande, im Rahmen der Ausgabensteigerung um 2,2 % für die Frauen, die in der Vergangenheit Kinder gehabt haben, Kindererziehungszeiten rentenbegründend und rentensteigernd anzurechnen. Leider sind wir im Moment nur in der Lage, diese Leistung den Frauen zu gewähren, die ab Januar 65 Jahre alt werden. Wenn wir die Lasten ihrer Schulden nicht zu tragen brauchten, wären wir in der Lage, das für alle Frauen zu bezahlen. ({40}) Leider sind wir im Moment dazu nicht imstande. Meine Damen und Herren, die Bundesanstalt für Arbeit erzielte Überschüsse. Aus diesen Überschüssen konnten wir ebenfalls Soziales finanzieren. Wir konnten zum einen die Beitragszahler leicht entlasten. Weiter können wir Geld für die berufliche Bildung älterer Arbeitnehmer und Geld für die Erleichterung des Zugangs zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgeben, und auch die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs wird für ältere Arbeitslose erheblich verlängert. Zu unserem gesamten Ausgabenkatalog, der im Rahmen dieser 2,2 % Ausgabenzuwachs finanziert wird, gehört weiter die 6. Wohngeldnovelle, durch die es in Einzelfällen zu einer Erhöhung des Wohngeldes bis zu 30 % kommen kann. Wir haben das Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen BeförCarstens ({41}) derung Schwerbehinderter im Personennahverkehr beschlossen. ({42}) Wir haben höhere Bundesmittel für die Altershilfe der Landwirte eingesetzt. Bislang mußten alle Landwirte, ob groß oder klein, gleich viele Beiträge in ihre Alterskasse einzahlen. Ab Januar wird es möglich sein, einen sozial gestaffelten Beitrag einzuführen, womit die kleinen Landwirte, die Landwirte mit geringem Einkommen, die Möglichkeit erhalten, niedrigere Beitragssätze zu zahlen, was gerade die Familienbetriebe sehr stark entlasten wird. ({43}) Wir haben durch das 4. Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften und durch eine Novelle zum 2. Haushaltsstrukturgesetz Verbesserungen im öffentlichen Dienst beschlossen. Mit diesen Änderungen wird die Besoldungssituation im einfachen Dienst und bei kinderreichen Beamtenfamilien verbessert. Es werden Versorgungsnachteile im Falle von Erwerbs- und Berufsunfähigkeit bei früher sozialversicherungspflichtigen Beamten ausgeglichen. Die Rentenanrechnung bei vom 2. Haushaltsstrukturgesetz betroffenen älteren Versorgungsempfängern wird teilweise gemildert. Meine Damen und Herren, ich wollte hierdurch nur deutlich machen, daß der Vorwurf der SPD, wir seien nicht in der Lage und vor allem gar nicht willens, soziale Politik zu machen, total fehl am Platze ist. ({44}) Durch diese vielen Beispiele und durch das vorher Gesagte habe ich bewiesen, daß Ihre Politik, meine Damen und Herren, höchst unsozial war und daß unsere Politik höchst sozial ist und von Jahr zu Jahr bei weiterer wirtschaftlicher Aufwärtsentwicklung noch sozialer werden kann. ({45}) Im übrigen paßt diese Komponente auch genau in die volkswirtschaftliche Entwicklung der heutigen Zeit, denn wir müssen nun dafür sorgen, daß die private Nachfrage, bezogen auf das Jahr 1986, verstärkt in Gang kommt. ({46}) Dann wird auch der Einzelhandel verstärkt etwas davon haben, denn dann, wenn die private Seite eine Erhöhung der Realeinkommen erfährt, kann der Einzelhandel davon ausgehen, daß auch er an der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung Anteil hat. ({47}) Bedauerlicherweise wird einiges von unseren sozialpolitischen Maßnahmen durch ein Ansteigen des Krankenversicherungsbeitrages aufgesogen, was wir leider in dieser Phase nicht verhindern konnten. Aber wir haben uns ernsthaft vorgenommen, dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode massivst zu klären. Mit der gesamten Fraktion stehe ich dafür ein, daß das geschehen wird. ({48}) Meine Damen und Herren, abschließend darf ich zum Ausdruck bringen, daß überhaupt kein Zweifel daran besteht, daß die Union und die FDP diese Politik der erfolgreichen Haushaltskonsolidierung und der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung fortsetzen werden, nicht nur in das Jahr 1986 hinein, sondern auch auf 1987 und die folgenden Jahre bezogen. Jeder Bürger kann sich darauf einstellen, daß es im nächsten Jahr nicht zu Wahlgeschenken, die die Bürger irgendwann doch wieder selbst bezahlen müßten, kommen wird; ({49}) vielmehr werden wir diese Politik fortsetzen, die mehr Beschäftigung, stabiles Geld und eine solide Aufwärtsentwicklung für die breite Masse unseres Volkes bringt. Die Politik und die Entwicklung der letzten drei Jahre zeigt uns, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Das ganze Volk kann sich darauf verlassen, daß wir diesen Weg unbeirrt weitergehen werden. Vielen Dank. ({50})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ausweislich des stenographischen Protokolls hat der Abgeordnete Gerster ({0}) den Abgeordneten Dr. Apel einen „Finanzkasper" genannt. Ich rufe ihn deswegen zur Ordnung. ({1}) Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller ({2}).

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es spricht sich natürlich gut unter Finanzkaspern über Haushaltskonsolidierung und Sparsamkeit, wenn man über 263 Milliarden DM Steuergelder beschließen will. Das Loblied auf die Sparsamkeit kam immer schon von denjenigen, die genug Reichtümer hatten, um das Sparen als lohnend zu empfehlen. Die Tugendhaftigkeit des Sparens wurde von Kaisern, Königen und Kanzlern dem Volke mit gleicher Begeisterung anempfohlen wie Enthaltsamkeit durch Päpste und Kirchenfürsten. Beide haben sich selbst nie daran gehalten; ({0}) nie, wie wir wissen. Es ist einfach, den anderen die Tugendhaftigkeit der Sparsamkeit zu empfehlen. Selbst tun sie es auch, aber eben an der falschen Seite. ({1}) Dr. Müller ({2}) In Saus und Braus lebte es sich immer schon am besten, wenn der Bürger tugendhaft und bescheiden lebt. Spitzenprodukt dieser falschen Sparsamkeitsideologie war ja Ihr letzter Regierungssprecher, Herr Boenisch. Der hatte ja überhaupt keine Schwierigkeiten damit, dem Volke die Sparpolitik der Bundesregierung zu verkaufen und gleichzeitig Steuerhinterziehung in größerem Ausmaße zu betreiben. Man sollte diese Verlogenheit nicht vergessen: keine Steuern zahlen und gleichzeitig die Haushaltsdefizite beklagen. Das war wirklich einer der einsamen Höhepunkte in der Skandalgeschichte dieser Bundesregierung. ({3}) Und daß Herr Boenisch kein Einzelfall war, Herr Friedmann, das wissen Sie besser als ich. Nachdem die Staatsverschuldungspolitik der Sozialdemokratie und der sozialliberalen Koalition gescheitert war, sprach damals ja tatsächlich einiges dafür, eine Politik der Haushaltskonsolidierung zu betreiben. Denn mit zunehmender Staatsverschuldung lassen sich die ökologischen und sozialen Krisen der Bundesrepublik sicher nicht beheben. Aber es ist doch nicht entscheidend, ob wir einen konsolidierten Haushalt ersparen, sondern wie dies geschieht. Wo gespart wird, wo verschwendet wird, das ist hier die Frage. Die ökologischen und sozialen Probleme dieses Landes verschwinden nicht deswegen, weil wir einen konsolidierten Bundeshaushalt haben, insbesondere natürlich dann nicht, wenn die Konsolidierung auf Kosten der Gemeinden erfolgt ist. Dies gilt um so mehr, als staatliches Eingreifen angesichts der Umweltkrise und der zunehmenden sozialen Probleme dringend erforderlich ist. Die Bundesregierung hat die steuerzahlende Bevölkerung der Bundesrepublik schlichtweg arglistig getäuscht. Sie hat die Haushaltskonsolidierung als eigenständiges politisches Ziel verkauft, jedoch nicht gespart, sondern umverteilt von unten nach oben, wie es ja bekanntermaßen am einfachsten ist. Von 1983 bis 1985 haben Sie 76,2 Milliarden DM bei folgenden Gruppen eingespart: bei den Arbeitslosen, bei den Sozialhilfeempfängern, bei den Kranken, den Behinderten, den Ausländern, den Rentnern, den Familien, den Frauen und den Mietern, 76,2 Milliarden DM dort genommen, wo das Geld wirklich gebraucht wurde. ({4}) - Das ist nicht Quatsch. Das weist die Statistik von denjenigen aus, denen Leistungen genommen worden sind auf der Grundlage Ihrer Gesetze, die Sie beschlossen haben. Selbst die kleinen Schritte mit zaghaften Rücknahmen früherer Leistungskürzungen bei Arbeitslosen werden zur Haushaltskonsolidierung mißbraucht. Die Verlängerung des Bezuges von Arbeitslosengeld von einem auf anderthalb Jahre für ältere Arbeitslose führte zu entsprechend verringerten Bezügen bei der Arbeitslosenhilfe, die aus dem Bundeshaushalt gezahlt wird. Statt diesen Betrag der Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung zu stellen, wird abkassiert, immerhin gute 500 Millionen DM im Jahr. Mit dem neuen Arbeitsförderungsgesetz wollen Sie auch mal wieder die Arbeitslosenstatistik fälschen. „Arbeitslose ab dem 58. Lebensjahr können über 24 Monate Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beziehen, ohne der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen." ({5}) Die fallen dann aber aus der Arbeitslosenstatistik heraus. Sie schreiben damit die älteren Arbeitnehmer nicht nur ab, Sie täuschen auch die Öffentlichkeit. Den Beifall für diese ganze unsoziale Umverteilung haben Sie sich erschlichen, indem Sie vorgegeben haben, den Bundeshaushalt zu konsolidieren. Biedermännisch, wie sich diese Regierung nun einmal gibt, hat sie sich als sorgender Haushaltsvorstand dargestellt, während den privaten Haushalten dieser Republik das Steuergeld aus der Tasche gezogen wird. Dies alles mit dem scheinheiligen Argument, Sparsamkeit betreiben zu wollen, scheinheilig insofern, als es doch angesichts der mühsam verdienten Lohnsteuern, die Sie abkassieren, selbstverständlich sein sollte, daß mit Steuergeldern sorgfältig umgegangen wird. Insofern macht Ihre biedermännische Sparsamkeit politisch einen Sinn. Wer es den Armen nimmt und den Reichen gibt, der muß schon die hehresten staatsrettenden oder ideologischen Ziele vorgeben, um trotz dieser unsozialen Umverteilung wiedergewählt zu werden. Ich bin mir sicher: In der bundesrepublikanischen Bevölkerung hat diese Regierung keine Mehrheit dafür, daß immer mehr Alte, Frauen, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger unter den Rand des Existenzminimums gedrückt werden. Diese Regierung hat doch alle politischen Ziele von der Haushaltskonsolidierung abhängig gemacht. Genau wie uns die sozialliberale Koalition erzählt hat, daß mehr Staatsverschuldung mehr Arbeitsplätze bringen würde, haben Sie, Herr Stoltenberg, behauptet, Haushaltskonsolidierung werde mehr Arbeitslosen Beschäftigung bringen. Beide Thesen haben sich eindeutig als falsch erwiesen. ({6}) Faktum ist, daß die Arbeitslosigkeit in der Zeit der zunehmenden Staatsverschuldung unter der SPD/FDP-Regierung genauso gestiegen ist wie in der Zeit der Umverteilung von unten nach oben unter dem Schwindeletikett Haushaltskonsolidierung. Bezüglich der Situation auf dem Arbeitsmarkt scheint die Frage Staatsverschuldung oder Konsolidierung heutzutage auch belanglos geworden zu sein. Dafür gibt es gute Gründe. Mit der Entwicklung von moderner computergestützter Technik, die man übrigens nicht wegen ihrer Produktivität,. sondern wegen ihrer Auswirkungen auf Umwelt- und Arbeitsqualität kritisieren sollte - denn gegen Produktivität und sparsamen Umgang mit volkswirtschaftlichen Ressourcen haben wir GRÜNEN am allerwenigsten einzuwenDr. Müller ({7}) den -, mit dem Einsatz computergestützter Systeme ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt kaum noch von dem konjukturellen Auf- und Abschwung abhängig. Staatliche Verschuldungspolitik, die nur mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpte und den Banken die Zinsen in den Rachen warf, bewirkte für die Arbeitslosen genausowenig wie eine Politik der Haushaltskonsolidierung, die da meint, es ließe sich das Investitionsklima verbessern. All dies ist angesichts der ökonomischen Wirklichkeit bestenfalls Ideologie geworden. Der derzeitige Aufschwung - da findet j a etwas statt - beweist dies. Angesichts von 2,3 Millionen Arbeitslosen ist es doch nur als zynisch zu bezeichnen, wenn die Bundesregierung ein außerdem ökologisch fragwürdiges Wirtschaftswachstum feiert, das das derzeitige Niveau der Arbeitslosigkeit nur stabilisiert. So viel Wachstum, als daß es die Arbeitslosigkeit beseitigen könnte, ist überhaupt nicht zu erzielen. Das wissen wir, daß weiß die Bundesregierung. Es ist also zu fragen: Wo sind die Konzepte jenseits der Wachstumshoffnungen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen? Dazu ist Ihnen, da Ihnen Arbeitszeitverkürzung unangenehm ist, überhaupt nichts eingefallen. ({8}) Das heißt, Sie haben sich mit der bestehenden Arbeitslosigkeit abgefunden. ({9}) Nehmen Sie die Situation der Arbeitslosen wenigstens so ernst, daß Sie diese nicht auch noch verhöhnen, indem Sie den Status quo als Ihren Erfolg verkaufen. Ihre Jubel-Trubel-Heiterkeit-Stellungnahme im Zusammenhang mit dem Gutachten des Sachverständigenrates ist angesichts der 2,3 Millionen Arbeitslosen nur als peinlich anzusehen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Suhr?

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte sehr, Herr Kollege.

Heinz Suhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002289, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Dr. Müller, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß die Bayerische Staatsregierung jetzt immerhin begonnen hat, für die älteren Lehrer die Wochenarbeitszeit um zwei Stunden zu kürzen, und sich in der Union hier unter Umständen ein Umdenken abzeichnet?

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Würden Sie bitte stehen bleiben, Herr Abgeordneter Suhr. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich danke Ihnen, daß Sie mir das abgenommen haben, Herr Abgeordneter Müller. Bitte sehr.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe das zur Kenntnis genommen. Ich glaube nicht, daß das ausreicht, um die derzeitige Lehrerarbeitslosigkeit, die wir in der Bundesrepublik haben, zu beseitigen. ({0}) Das ist übrigens ein Sachverständigenrat, der uns samt seinen Fehlprognosen sehr teuer zu stehen kommt. 5,7 Millionen DM kostete dieser geballte Sachverstand eines Monopols von wirtschaftswissenschaftlichen Hofberichterstattern in den letzten drei Jahren. Ganz marktwirtschaftlich empfehlen wir eine pluralistischere Verteilung dieser Gelder. Es wäre ein Segen, wenn sich diese irrenden Apologeten der Marktwirtschaft einer ökologisch orientierten Konkurrenz ausgesetzt sähen. ({1}) Lassen Sie mich meine Kritik zusammenfassen: Ihre Politik der Haushaltskonsolidierung war in Wirklichkeit eine Umverteilung von unten nach oben. Sie hat genauso zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt, wie die Politik der zunehmenden Staatsverschuldung. Allein über die steigende Abnahme der Staatsausgaben läßt sich heute keine Politik mehr machen. Die ökologischen und sozialen Krisen sind nur dann zu mildern, wenn streng auf die Qualität dessen geachtet wird, wofür Steuergelder ausgegeben werden. Wenn ich an die Kosten für die Unmenge von Beamten und Bürokraten in Bonn denke - 2,2 Milliarden DM kostet die politische Führung laut Haushaltsstatistik -, ({2}) dann muß ich doch sagen, daß Ihre Qualität der Haushaltsentscheidung sehr zu wünschen übrigläßt. Von wegen, - „Leistung solle sich wieder lohnen". Die Ausgabenpolitik dieser Regierung hat nichts gebracht für einen verbesserten Umweltschutz, für eine bessere soziale Mindestsicherung. Noch nicht einmal zusätzliche Gelder für die Erforschung des Weges in eine ökologisch verträgliche Produktionsweise der Zukunft haben Sie bewilligt. Gegenüber dem ökologischen Problem sind Sie mit Ihrer Ausgabenpolitik völlig ignorant, ist die von Ihnen geführte Ministerialbürokratie völlig unflexibel. Sie verplempern Zeit, weil Sie die Umweltkrise nicht ernst nehmen. Sie hätten in den letzten drei Jahren problemlos die Ausgaben für Umweltprojekte verzehnfachen können und müssen. Statt dessen ist nichts geschehen. Die ökologische Krise wird man nicht aussitzen können! Man wird die Steuergelder anders verteilen müssen. Ich bin mir sicher, daß es in der Bevölkerung eine große Mehrheit dafür gibt, daß mit Hilfe von Steuergeldern und auch einem umweltbezogenen Steuersystem die industrielle Produktion entgiftet wird. Die Umweltkrise läßt derartige Zeitverluste, die Sie zu verantworten haben, nicht zu. Für den Umweltschutz wollen Sie entsprechend Ihrer eigenen Definition von Umweltschutz im nächsten Jahr nur 1,6 Milliarden DM ausgeben. Das meiste davon Dr. Müller ({3}) geht für Bürokratie und Statistik drauf. Trotzdem nehme ich Ihre Zahl einmal ernst. Das sind lächerliche 0,605% des Bundeshaushalts für den Umweltschutz. Nur 0,6 % für die Umwelt - das ist verantwortungslos. ({4}) Diese Summe ist z. B. nur die Hälfte dessen, was die Landwirtschaft an Subventionen allein durch die Mehrwertsteuervergünstigung abkassierte. 0,6 % für den Umweltschutz sind auch nur halb so viel, wie im nächsten Jahr für den Autobahnbau ausgegeben werden soll. 0,6 % für den Umweltschutz sind nur 3 % dessen, was der Verteidigungshaushalt verschlingt, und 1,85 % der außerdem noch zu niedrigen Sozialausgaben des Bundes. Ein wesentliches Ziel grüner Politik und unserer Haushaltsanträge war es, den Ausgaben für den Umweltschutz problemgemäß den gleichen Rang zu geben, wie Sie es hinsichtlich der Verteidigungsausgaben tun. Ihr ganzes Gerede von äußerer Sicherung ist doch lächerlich, wenn innere Vergiftung durch Umweltvergiftung das wirkliche Programm ist. ({5}) All das Gerede der Bundesregierung über ihr Engagement für den Umweltschutz bricht sich an diesen lächerlichen 0,6 %. Das ist Faktum. Ich bin mir sicher, daß diese lächerlichen 0,6 % für den Umweltschutz nicht dem Mehrheitswillen unserer Bevölkerung entsprechen. Alle unsere Anträge zur Erhöhung des Einsatzes von Steuergeldern für die Bewältigung der ökologischen Krise haben CDU/CSU und FDP abgelehnt. Auch die SPD hat sich bei unseren Umweltanträgen im wesentlichen für Enthaltsamkeit und Ablehnung entschieden. ({6}) Keiner macht bislang mit, wenn der Umweltschutz teuer wird. Dabei weiß jeder, daß die Folgekosten unterlassener Umweltinvestitionen höher sind als die Gelder für Maßnahmen, die zum rechten Zeitpunkt ausgegeben werden. Umweltschutz ist heute ein typisches Thema für Sonntagsreden geworden. Man redet davon. Aber es darf nichts kosten. Das ist das Ergebnis dieser Haushaltsberatungen. ({7}) Diese politische Entwicklung ist sehr schlimm für die Abwendung der ökologischen Krise und damit für die Zukunft unserer Kinder. Kommen wir zu einem weiteren Politikfeld, wo Sie Konsolidierung zu Lasten anderer betreiben, das etwas hochtrabend Gesundheitspolitik genannt wird, obwohl es eigentlich nur die Kostendämpfungs- oder, richtiger, Kostenverschiebungspolitik ist. Sie haben sich aus der Krankenhausfinanzierung zurückgezogen. Der Investitionsbedarf dort würde zig Milliarden DM kosten. Deshalb haben Sie Selbstbeteiligung der Kranken an den Kosten des Krankseins durchgesetzt, obwohl der Kranke sich durch hohe Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sehr wohl vorher beteiligt hat. ({8}) Die gesellschaftlichen Kosten steigen weiter steil an. Nur die Lastverteilung ändert sich zugunsten des Bundesfinanzministers, der den Krankenkassen sogar zusätzliche Leistungen aufbrummte, ohne ihnen wirklich Instrumente zur Kosteneinsparung und Kostenverringerung zur Verfügung zu stellen. Der eigentliche Kostentreiber in diesem Bereich ist eindeutig die Pharmaindustrie. Ich erinnere noch mal an die Debatte über die vielen Parteifinanzierungsspendengelder, die ja von der Pharmaindustrie an alle Parteien gegangen sind. Die hatte ja auch einen guten Grund dafür. Das letzte Kompromißangebot - die Honorare für Ärzte sollen nur noch mit der Grundlohnsumme steigen; dafür wird den Kassenärzten die Konkurrenz von jungen Ärzten vom Leibe gehalten - macht deutlich, wie sehr hier um Privilegien gekämpft wird und wie sehr Sie Ihre Sparsamkeit vergessen, wenn es darum geht, Ihrer Klientel etwas zuzuschieben. ({9}) Nehmen wir doch einmal die wirklichen Einsparungsmöglichkeiten. Ca. 9 Milliarden DM jährlich könnte man durch Angleichung des Arzneimittelpreisniveaus an das europäische Ausland durch Reduzierung der Arzneimittelwerbung und Einführung einer Positivliste für Arzneimittel einsparen, ca. 8 Milliarden jährlich durch die Einführung einer Pauschalhonorierung, also pro Patient für die niedergelassenen Ärzte. Auch nach dieser Umstellung der Honorierung würde das Durchschnittsjahreseinkommen eines niedergelassenen Arztes noch ca. 135 000 DM nach Abzug aller Praxiskosten und nach Zahlung der Steuern betragen. 135 000 DM ist ja kein schlechter Verdienst. ({10}) Es ist nicht so viel wie Ihre 200 000 DM im Jahr, Herr Stoltenberg, als Finanzminister. ({11}) Aber als sparsamer Finanzminister könnten Sie dann ja den Ärzten folgen. Doch Sie vergessen Ihre Sparpolitik immer dann, wenn es Ihrer Klientel zugute kommt. ({12}) Lieber die Kranken schröpfen - das ist Ihre Parole gewesen -, als der Pharmaindustrie mit ihren exorbitanten Gewinnen ans Leder gehen. ({13}) Auch wo Sie Massen von Geldern für Subventionen ausgeben, tun Sie das nicht, um qualitative Effekte zu erzielen, sondern um Ihre Klientel zu subventionieren. Statt daß Sie die Milliarden, die Sie über Bund und EG in die Landwirtschaft pumpen, mit der Auflage versehen, gesunde und ökologisch Dr. Müller ({14}) wertvolle Lebensmittel zu produzieren, wird dieses Geld via Überchemisierung der Landwirtschaft gleich an die Düngemittelindustrie weitergegeben. Wenn dieses Geld dann auch noch in Massentierhaltungsanlagen investiert wird, aus denen östrogenes Fleisch geliefert wird und das Grundwasser zusätzlich vergiftet wird und die Gülle zum Himmel stinkt, wie Sie es ja kennen sollten, dann hat die Bundesregierung hier folgendes geschafft: Sie hat Steuergelder in Scheiße verwandelt. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, das ist kein parlamentarischer Ausdruck. Ich weise das zurück. ({0})

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich entschuldige mich dafür. Aber es ist noch schlimmer. Man hätte die Bundesregierung hier ernst nehmen können, als sie im Juni 1985 vollmundig angekündigt hat, der Etat des Bundeswirtschaftsministers stehe eindeutig im Dienste des Subventionsabbaus. Man war gespannt, ein Opfer für die Ideologie der freien Marktwirtschaft zu sehen. Das Opfer sollten nun die strukturschwachen Branchen Stahl, Werften, Kohle und Luftfahrt sein. Näheres Hinsehen hat schon damals deutlich gemacht, daß die Verminderung dieser Zahlungen nur ein buchhalterischer Reflex auf den auslaufenden EG-Subventionskodex war bzw. sich aus dem damals ungünstigen Preis für Kokskohle ergab, und zwar in DM berechnet. Da sich der Weltmarktpreis für Kokskohle nun aber günstig entwickelt hat, werden statt der 700 Millionen DM 1,4 Milliarden veranschlagt werden müssen. Ergebnis: Schon jetzt müssen von den angekündigten Subventionskürzungen ca. 75 % zurückgenommen werden. Ich halte Subventionen für Branchen, deren Lobby im Laufe der Jahrzehnte größer geworden ist als die Nachfrage nach ihren Produkten, dann für ausgemachten Blödsinn, wenn dieses Geld nicht an ökologisch und sozial sinnvolle Auflagen geknüpft wird. ({0}) Selbstverständlich gibt es noch Überkapazitäten in der Stahlindustrie. Der volkswirtschaftlich notwendige Abbau dieser Überkapazitäten darf aber nicht auf Kosten der in der Stahlindustrie Beschäftigten und auch nicht auf Kosten der eh schon strukturschwachen Regionen gehen. Arbeitszeitverkürzung, Abbau von Schichtarbeit sollte den notwendigen Umstrukturierungsprozeß verlangsamen. Ökologische Investitionen im Bereich der Stahlindustrie - unheimlich notwendig - sollten durch Auflagen und Subventionen gefördert werden. Bestehende Stahlstandorte sollten soweit wie möglich dadurch erhalten werden, daß keine neuen Stahlwerke - auch keine Ministahlwerke - gebaut werden. Die Förderung von schadstoffarmen Produktionsverfahren, die Förderung des Einstiegs in eine Recycling-Ökonomie würde Subventionen dann lohnend machen, wenn dies eine neue Chance für strukturschwache Regionen bringen würde. ({1}) Nun hat man aber den notwendigen Kapazitätsabbau dem freien Spiel des Marktes überlassen, und das heißt natürlich nicht: einer Marktwirtschaft, sondern dem weiteren Konzentrations- und Rationalisierungsprozeß; Fusionen werden das Ergebnis sein. Was die Bundesregierung hier als marktwirtschaftliches Verhalten verkauft hat, ist nur der Abschied von jeglichem Gestaltungswillen in den strukturschwachen Stahlstandorten. Sinnvoll wäre der Aufbau von kommunalen und regionalen Strukturentwicklungsfonds für diese Gebiete gewesen, an denen sich Kommunen, Handwerkskammern, Gewerkschaften, Firmenvertreter und Umweltschutzverbände beteiligen könnten. Dies wäre nicht nur eine Chance für eine Überwindung von Strukturschwäche, sondern auch ein Schritt in eine kommunalorientierte, demokratisierte Wirtschaft - sicher ein demokratischerer Schritt als die Konzentrationsprozesse oder die Forderung nach einseitiger Verstaatlichung und ähnlichen gescheiterten Konzepten. ({2}) Wo die Haushaltspolitik der Bundesregierung viel Schatten läßt, soll wohl auch etwas Licht sein. Für die Repräsentanz der Bundesregierung sollen in den nächsten Jahren 962 Millionen DM verbaut werden. „Wer sonst eher untätig ist, soll wenigstens viel bauen", scheint die Devise der Bundesregierung zu sein: 196 Millionen DM für das neue Postministerium, 146 Millionen DM für das Verkehrsministerium, 85 Millionen DM für das Wirtschaftsministerium - die erste beschäftigungswirksame Maßnahme, die von diesem Ministerium ausgegangen ist -, ({3}) 85 Millionen DM für das Auswärtige Amt. Die Bedeutung des Parlaments im Vergleich zur Administration wird auch hier deutlich: nur 94 Millionen DM für den Umbau des Bundestages. 90 Millionen DM sollen für ein undefinierbares „Haus der Geschichte" ausgegeben werden. Ich kann Herrn Kohl da schon verstehen: Wer keine Geschichte macht, will ihr wenigstens ein Haus erstellen. ({4}) Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nichts dagegen, daß bessere Büros für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien geschaffen werden. Doch für diese Regierung, die anderen Sparsamkeit gepredigt und ihnen das Geld genommen hat, ist das, was Sie sich dort leisten wollen, ein ganz schöner Brocken. Angesichts dieser Steigerung im Bereich der Ministerien erweist sich auch der sparsame Hausvater Stoltenberg als ein Mythos. Gespart wurde wieder einmal nur bei den anderen. Dr. Müller ({5}) Ich möchte zum Schluß kommen: Ihre Politik, die im Haushalt 1986 in Zahlen gegossen wurde, orientierte sich nicht an der Notwendigkeit eines grundlegenden Strukturwandels zur Rettung unserer Lebensgrundlagen - 0,6 % sind da entschieden zuwenig -, sondern an vordergründigen Konsolidierungserfolgen und einer rücksichtslosen Machterhaltungsmaxime bezüglich der Bedienung Ihrer Klientel. Ihre Politik ignorierte die wichtigsten Ansatzpunkte zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit, j a sie nutzte die Krise zur Entrechtung der Arbeitnehmer im Betrieb und zur Entmachtung von Gewerkschaften im Arbeitskampf aus. ({6}) Ihre Politik ist zutiefst unsozial, weil sie drastische Umverteilung von unten nach oben auch jetzt noch, nach fünf Jahren Sozialabbau, fortgeschrieben hat, ohne daß sich dafür eine schlüssige Begründung aus der Haushaltslage ergeben hätte. Mit diesem Haushalt haben Sie die Weichen zur Ablösung Ihrer Regierung im Januar 1987 gestellt. ({7}) Sie forderten: Leistung darf nicht bestraft werden. Angesichts Ihrer Untätigkeit in Sachen sozialer Mindestsicherung und in Sachen Umweltschutz können wir daraus nur schließen: Untätigkeit sollte bestraft werden, und wir gehen davon aus, daß diese Strafe 1987 erfolgt. Danke schön. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng ({0}).

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf, über den das Parlament in dieser Woche nach Vorberatung im Haushaltsausschuß in zweiter und dritter Beratung diskutiert, ist ein Dokument des Möglichen, des Möglichen bei realistischer Fortführung des als richtig erkannten Konsolidierungskurses, des Möglichen in Kenntnis der Verantwortung, die dieses Parlament, besonders die Mehrheit, die Koalition, und die von ihr getragene Regierung für die Entwicklung unseres Landes haben. ({0}) Wir können es uns nicht so leichtmachen wie die Opposition. Haben die GRÜNEN im Ausschuß und eben auch wieder im Bundestag deutlich gemacht, daß ihre Haushaltsvorstellungen so außerhalb aller Realität liegen, daß es sich nicht lohnt, sich damit zu befassen, und dies trotz einer gewissen Anpassung in Richtung SPD, so ist die Haltung der großen Oppositionsfraktion, SPD, ernster zu nehmen. Denn diese wird von den Strategen im OllenhauerHaus geschickt gesteuert: Während von den Rednern der Sozialdemokraten einerseits viel Wünschenswertes gefordert wird - zur Finanzierung kann man j a allemal den Etat des Verteidigungsministers heranziehen -, werden gleichzeitig diejenigen diffamiert, die in der Verantwortung das Notwendige tun; sie werden als herzlos und gefühlskalt bezeichnet. ({1}) Dabei wird ein vermeintlich populärer Kurs gesteuert, der doppelgleisig ist. Der noch nicht nominierte Kanzlerkandidat Rau verspricht laut Pressemeldungen vom 16. Oktober, für den Fall seiner Wahl alle Kürzungen von Sozialleistungen der laufenden Wahlperiode zurückzunehmen -, möglichst noch mit Nachzahlungen. Auch wenn dies einen Tag später vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Vogel wieder eingesammelt wird, muß gefragt werden: Was erhofft man sich denn von solchen Ankündigungen außer billigem Popularitätsgewinn? ({2}) Es ist so ähnlich wie bei den schon gestern diskutierten Äußerungen zur deutschen Staatsbürgerschaft oder bei der Diskussion über das Bülowsche Bundeswehrpapier im abgelaufenen Jahr: Mit der SPD für und gegen Einsparungen, mit der SPD für und gegen die einheitliche Staatsbürgerschaft, mit der SPD für und gegen Sicherheit und Bündnistreue! Und hat nicht gestern auch Herr Vogel plötzlich sein Herz für den Mittelstand und für den bäuerlichen Familienbetrieb entdeckt? ({3}) Meine Damen und Herren, da wird man schnell an einen Pressebeitrag erinnert, den in den Ortsvereinsnachrichten die niedersächsische SPD ihren Mitgliedern zugeleitet, den die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" am 24. September veröffentlicht hat und der folgenden Wortlaut hat: Wir Sozialdemokraten gewinnen die Wahl, wenn jeder von uns sich und andere daran erinnert, daß der Wolf Kreide fraß, um an die jungen Ziegen heranzukommen. ({4}) So leicht, meine Damen und Herren, werden wir es der SPD nicht machen. ({5}) Wir werden unseren Beitrag dazu leisten - nicht nur in dieser Haushaltsdebatte -, daß Klarheit und Transparenz die Bürger und später auch die Wähler in den Stand setzen, ihre Stimmen in Kenntnis aller tatsächlichen Gegebenheiten abzugeben. ({6}) Die vollmundige Erklärung der SPD-Führung, die man hier gestern hören konnte, man wolle Gemeinsames erhalten, steht in Gegensatz zu der kritiklosen Beteiligung an jeder Hetzkampagne gegen die Regierungskoalition. Da muß doch einmal deutlich Dr. Weng ({7}) gesagt werden, wie weit Anspruch und Wirklichkeit bei den heutigen Sozialdemokraten auseinanderliegen. ({8}) Lassen Sie mich nach dieser Vorbemerkung ein kurzes Wort zur abgelaufenen Arbeit des Ausschusses sagen. Wir haben hier erneut über trennende Auffassungen hinweg in vernünftiger und trotz harten Ringens konstruktiver Atmosphäre ein großes Arbeitspensum geleistet. Hierfür gilt mein Dank allen Kolleginnen und Kollegen, aber auch den Mitarbeitern des Ausschusses und den zahlreichen Damen und Herren aus den Ministerien, die uns unterstützt haben. ({9}) Ich will gern zusätzlich erwähnen, daß sich die Bereitschaft zur Kooperation mit der Gruppe der CDU/CSU auch durch eine gute persönliche Zusammenarbeit zwischen deren Haushaltssprecher Manfred Carstens und mir dokumentiert. ({10}) Er hört es leider nicht mal. Meine Damen und Herren, mein besonderer Dank gilt auch dem Ausschußvorsitzenden, Rudi Walther, der um seine Tätigkeit wirklich oft nicht zu beneiden ist und seine Aufgabe bestmöglich erfüllt hat. ({11}) Daß die Medien bei seinen öffentlichen Äußerungen manchmal nicht unterscheiden, was er als Vorsitzender des Ausschusses mit der Autorität des Ausschusses hinter sich erklärt oder was seine Meinung als Oppositionsabgeordneter ist, ist wirklich nicht seine Schuld. Wir alle wissen, daß Rudi Walther ein aufrechter hessischer Sozialdemokrat ist, wie wir auch wissen, daß nicht alle hessischen Sozialdemokraten aufrecht sind. ({12}) Nach der leisen Kritik an den Öffentlichkeitsorganen möchte ich in dieser Richtung auch einmal ein Lob aussprechen: Daß die Herren Altmann und Lueg im 1. deutschen Fernsehen am 8. November 1985 in der Sendung „Bericht aus Bonn" den Bürgern unseres Landes einmal eine gute und aufschlußreiche Darstellung der Arbeit des Haushaltsausschusses gegeben haben, hat uns natürlich gefreut, die wir sonst eher in der Abgeschiedenheit des Neuen Hochhauses im 25. Stock als im öffentlichen Rampenlicht zu finden sind. ({13}) - Herr Kollege von den GRÜNEN - ich kenne Ihren Namen nicht, aber man muß ihn sich wahrscheinlich auch nicht merken -, ich glaube, auch dieser Zwischenruf macht wie vieles andere deutlich, daß es sich bei den sogenannten Nachrückern der GRÜNEN um „Zweite Wahl" handelt. ({14}) Meine Damen und Herren, auch wenn die Zahlen des Bundeshaushaltes weitgehend bekannt sind, will ich in aller Kürze noch einmal den Umfang darstellen, mit dem der Entwurf für 1986 den Haushaltsausschuß passiert hat. Wenn hierbei bedacht wird, daß wir eine Reihe unabänderlicher Ansatzerhöhungen - ich erinnere z. B. an die Kokskohlebeihilfe mit 700 Millionen DM Aufstockung wegen des veränderten Dollarkurses - neu berücksichtigen mußten, dann erst kann man die trotzdem erzielte Ausgabensenkung um 450 Millionen DM gegenüber dem Regierungsentwurf richtig bewerten. Dieser, mit einer Steigerung von 2,4 % gegenüber 1984 veranschlagt, wurde auf eine Steigerungsrate von 2,2 % und damit auf ein Gesamtvolumen von 263,48 Milliarden DM verändert. Zusätzlich wird eine Absenkung der Nettokreditaufnahme um 1,29 Milliarden DM auf geplante 23,66 Milliarden DM möglich. Hier muß auch Berücksichtigung finden, daß im Haushalt der Einnahmeverlust von ca. 10 Milliarden DM aus dem ersten Schritt der zweistufigen Steuerreform eingearbeitet ist. Ich will keine unnötigen Nachhutgefechte führen; ich glaube aber immer noch, daß die Steuerreform in einem Schritt möglich gewesen wäre. Vielleicht konnte die günstigere Situation vor einem Jahr noch nicht von jedem genau vorausgesehen werden. Günstige Situation, meine Damen und Herren, bedeutet natürlich nicht, daß schon wieder alle Schleusen aufgemacht werden könnten. Die neu angenommene Nettokreditaufnahme von 23,66 Milliarden DM bedeutet, daß immer noch rund 9% der Einnahmenseite auf Schuldenaufnahme beruht. Hier sollte sich jedermann klarmachen, daß die freien Spielräume nicht so sind, daß hieraus allein große weitere Steuererleichterungen finanziert werden können. ({15}) So müssen wir uns zu den Steuerplänen von 1987 und für später seriöse Finanzierungsvorschläge überlegen, sicherlich seriöser als die Bemerkung des bayerischen Finanzministers Streibl, eine solche große Steuerreform könne allein aus Wachstum und sparsamer Haushaltsführung finanziert werden. Meine Damen und Herren, erlauben Sie, daß ich einige wenige Beispiele nenne, die deutlich machen, daß im Haushaltsausschuß nicht, wie oft behauptet, finstere Apparatschiks irgendwelche bösen Zahlenspiele veranstalten, sondern daß hier lebendige Politik gestaltet wird. Erstens: Wir haben mit dem Einnahmetitel - die Koalitionsgruppe vielleicht noch deutlicher mit der Erhöhung des Einnahmetitels - bei der Privatisierung von Bundesbeteiligungen einen weiteren Dr. Weng ({16}) wichtigen Schritt in Richtung Entstaatlichung getan. Hiermit machen wir erneut deutlich, daß der Bund seinen Besitz auf solche Beteiligungen konzentrieren muß, bei denen hoheitliche Voraussetzungen oder ein besonderes Interesse des Bundes vorliegen. Diesem Schritt müssen und werden weitere folgen. ({17}) - Natürlich ist die Opposition - hier kommt der Zwischenruf der geschätzten Kollegin Traupe - immer schnell bei der Hand, hier von Verschleuderung von Volksvermögen zu reden. ({18}) Herr Apel hat sich ja in seiner Rede heute morgen auch ähnlich unsinnig geäußert. Meine Damen und Herren, diese Behauptung ist Quatsch. {Kolb [CDU/CSU]: Nur, er hat sich nie daran gehalten!) Es handelt sich um eine ordnungspolitisch ausdrücklich gewollte Umstrukturierung mit kurz- und langfristig sinnvollen Auswirkungen. ({19}) - Herr Kollege Würtz, es läßt sich sicher trefflich darüber streiten, ob eine Teilprivatisierung auf immer noch deutlich über 50 % überhaupt irgend etwas in der von Ihnen angedeuteten Richtung bewirken würde. Ich glaube deswegen, daß Ihr Zwischenruf - Sie stammen noch dazu aus einer Fraktion, die jeder Privatisierung aus grundsätzlichen ideologischen Erwägungen widerspricht - nicht sehr sinnvoll und ganz sicher auch nicht hilfreich ist. ({20}) Meine Damen und Herren, wenn es um Privatisierung geht, will ich an dieser Stelle auch darauf hinweisen, daß es kontraproduktiv ist, wenn die Deutsche Bundesbahn, deren eigenen Privatisierungsbeitrag wir im Moment noch erwarten, in dieser Situation parallel ein bahneigenes Hotelnetz in Konkurrenz zu vielen - auch mittelständischen - Hotelbetrieben aufbaut, um dann in Kombination mit den Fahrtkosten noch dazu mit Dumpingpreisen auf den Markt zu stoßen. ({21}) Der Verkehrsminister, dem ich unterstelle, daß ihm dies nicht bekannt war - er kann heute nicht anwesend sein -, wird in Kenntnis dieser Gegebenheiten seine häufig artikulierte Mittelstandsfreundlichkeit jetzt sicherlich beweisen. Er sollte den Bahnvorstand in dieser Sache zurückpfeifen. ({22}) Auch noch ein Wort zur Lufthansa, nachdem die Forderung hiernach lustigerweise immer von der Opposition kommt. Da die Parteivorsitzenden der Koalition noch nicht abschließend hierüber gesprochen haben, ist man mit der möglichen Teilprivatisierung der Lufthansa zunächst nicht vorangekommen. Wir bleiben aber an diesem Thema. Die Haltung meiner Fraktion hierzu ist bekannt. Ich meine, man sollte auch sagen, daß dieses Thema durch die Tarifauseinandersetzungen der letzten Tage eine besondere Brisanz erhalten hat. ({23}) Es ist ein bezeichnender Vorgang, wenn die Gewerkschaft ÖTV bei einem öffentlichen Monopolbetrieb erst einen Streik anheizt und die Stimmung an ihrer eigenen Basis dann so aus dem Griff verliert, daß der Vorstand gegen das Ergebnis der eigenen Urabstimmung den Arbeitskampf für beendet erklären muß. Das ist schon ein lustiges Faktum, meine Damen und Herren. ({24}) Mit der Gewißheit im Rücken - wir stellen hier Überlegungen über Sinn oder Unsinn staatlicher Beteiligungspolitik an -, daß eventuelle Schäden der Steuerzahler zu berappen hat, da es sich ja um einen staatlichen Betrieb handelt, kann man natürlich trefflich agieren. Ein zweiter Punkt. Wir haben bei der verhältnismäßig kleinen Zahl neuer Stellen, die wir im Bereich des Außenministeriums genehmigt haben, der Situation der Auslandsvertretungen Rechnung zu tragen versucht. Da bei unseren Außenvertretungen verstärkt auch wirtschaftspolitischer Sachverstand eingesetzt werden soll, haben wir festgelegt, daß einige der neuen Stellen dort mit Fachleuten des Wirtschaftsministeriums besetzt werden müssen. Ich finde, auch solche „kleinen" Dinge zeigen die Fähigkeit und die Bereitschaft des Haushaltsausschusses zu politischer Gestaltung. Zum dritten. Wir haben das Geld, das benötigt wird, um sämtliche Kraftfahrzeuge im Besitz des Bundes auf die neue umweltfreundliche Technologie umzurüsten, bei denen dies wirtschaftlich noch vertretbar ist, zur Verfügung gestellt. Das ist nach unserem letztjährigen Beschluß, nur noch umweltfreundliche Fahrzeuge zu beschaffen, ein weiterer deutlicher Schritt hin zur Verbesserung der Situation unserer Umwelt. ({25}) - Ich weiß, Herr Kollege von den GRÜNEN, daß Sie diese kleinen Schritte immer bemängeln, ({26}) aber nicht bereit sind, selbst das Nötige zu tun. Ich meine, es wäre wünschenswert, wenn alle die Kollegen der Opposition, die uns immer umweltpolitische Untätigkeit vorwerfen, zunächst einmal ihre eigenen Kraftfahrzeuge auf den hier beschlossenen Stand bringen würden. ({27}) Zum vierten. Meine Damen und Herren, man kann sich manchmal nicht vorstellen, was draußen in der Praxis geschieht; hatte doch das BundesDr. Weng ({28}) wehrkrankenhaus in Koblenz eine vollständig und gut und aufwendig eingerichtete spezielle Intensivstation für Brandverletzte nicht in Betrieb nehmen können, weil es an einigen Krankenschwestern und den hierfür erforderlichen Stellen fehlte. Hier hat der Haushaltsausschuß - ich muß sagen: angeführt durch die Koalitionsmehrheit; die Opposition ist natürlich auf dieses Pferd aufgesprungen ({29}) sofort gehandelt und noch im laufenden Jahr für die Beseitigung dieses Mißstandes gesorgt. Darauf bin ich - diese Bemerkung erlauben Sie mir - auch persönlich besonders stolz. ({30}) Meine Damen und Herren, nachdem schon die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten ein optimistisches Bild der konjunkturellen Entwicklung zeichneten, bestätigt uns jetzt auch der Sachverständigenrat, daß die wirtschaftlichen Auftriebskräfte in der Bundesrepublik stärker und die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum besser geworden sind. Wenn der Sachverständigenrat für 1986 ein Wirtschaftswachstum von 3 % und einen Zuwachs der Beschäftigtenzahl von etwa 300 000 prognostiziert, kann uns dies nur ermutigen, den Kurs marktwirtschaftlicher Erneuerung und der Haushaltskonsolidierung trotz aller Sirenenklänge konsequent fortzusetzen. Natürlich kann die Lage am Arbeitsmarkt noch nicht befriedigen. Aber die Behauptung ist widerlegt, der Aufschwung gehe am Arbeitsmarkt vorbei. So hatten zuletzt massiv die DGB-Gewerkschaften während ihrer SPD-Werbeveranstaltung, der sogenannten Aktionswoche, polemisiert. Tatsächlich steigt seit Sommer letzten Jahres die Zahl der Beschäftigten wieder. Sie wird Ende dieses Jahres um rund 200 000 höher liegen als Ende 1984. Die Kurzarbeit ist weitgehend abgebaut. Die Zahl der offenen Stellen ist zwar noch unzureichend, aber sie liegt immerhin mit 117 000 um mehr als 30 % über dem Vorjahresstand. Nicht, daß ich mißverstanden werde: Euphorie ist bei diesen Zahlen unangebracht. Trotzdem ist festzuhalten, daß es aufwärts geht. Ich bin sicher, daß der Staat nicht in der Lage wäre, eine bessere Entwicklung durch schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme à la SPD zu erreichen. ({31}) Wir haben es, meine Damen und Herren, bei der Arbeitslosigkeit eben auch mit strukturellen und demographischen Ursachen zu tun und zu einem immer geringeren Teil mit konjunkturellen Gründen. Mehr Beschäftigung, durch die auch die Arbeitslosigkeit weiter fühlbar abgebaut wird, werden wir nur durch verstärkte Investitionstätigkeit erreichen. Dazu ist es aber notwendig, daß wir in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik unseren Kurs konsequent fortsetzen. Ich folge meinem Parteivorsitzenden Martin Bangemann bei seiner gestrigen Bemerkung: Wer wie die SPD den Leistungsgedanken verteufelt, ({32}) ist ein Prophet der Hoffnungslosigkeit. In der Fortsetzung des richtigen Weges unterstützt die Haushaltsgruppe der FDP die Regierung und insbesondere den Bundesfinanzminister auch weiterhin. Herr Stoltenberg, die Fraktion der FDP stimmt Ihrem Haushalt und damit Ihrem politischen Kurs zu. ({33})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte steht unter dem Vorzeichen eines stärkeren und breiter fundierten wirtschaftlichen Aufschwungs, weiterer eindeutiger Fortschritte auf dem Weg zur Gesundung der Staatsfinanzen, einer wiedergewonnenen Spitzenstellung der Bundesrepublik Deutschland in der Geldwert- und Preisstabilität, einer anhaltenden Zunahme der Beschäftigtenzahlen, aber weiterhin zu hoher Arbeitslosigkeit und schließlich - trotz aller pessimistischen Parolen der SPD - einer wachsenden Zuversicht bei der großen Mehrheit unserer Mitbürger. ({0}) Die Finanzpolitik der Regierungskoalition hat hierfür einen entscheidenden Beitrag geleistet. Ein Schlüssel zum Erfolg bleibt nach meiner Überzeugung auch in Zukunft die gute Abstimmung von Haushalts-, Steuer- und Währungspolitik, ihre möglichst konfliktfreie, wechselseitige Ergänzung. Der Bundeshaushalt 1986 ist der vierte Haushalt dieser Koalition. Mit jedem Etat kamen wir den Zielen des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes ein Stück näher. 1983 haben wir endgültig das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wiedergefunden. 1984 setzte der Wachstumsprozeß voll ein. 1985 ist Preisstabilität praktisch erreicht. 1986 wird der sich verstärkende Aufschwung auch auf dem Arbeitsmarkt vor allem durch deutlich steigende Beschäftigtenzahlen zu einer nachhaltigeren Entlastung führen; ({1}) aber Arbeitslosigkeit bleibt natürlich die größte Herausforderung für viele Jahre. Der Bundeshaushalt 1986, meine Damen und Herren, ist zugleich der vorletzte Etat, den dieser Deutsche Bundestag zu beraten und zu verabschieden hat. Er fügt sich nach meinem Urteil konsequent und nahtlos in diese mittelfristige finanzpolitische Konzeption ein: Das Wachstum der Bundesausgaben bleibt deutlich unter 3 %. Die Neuverschuldung - darauf haben die Herren Kollegen Carstens und Weng in der Tat schon hingewiesen - wird trotz der Steuerentlastung im Soll, in der Projektion, nicht steigen. Die Steuern werden weiter gesenkt. Wir beklagen das nicht, Herr Kollege Apel, wir begrüßen das; das ist einer der Unterschiede zwischen uns. Und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden weiter verbessert. Nachdem die Bundesausgaben im Durchschnitt der 70er Jahre noch Jahr für Jahr um 9 % angestiegen waren - mit der Folge einer Explosion der öffentlichen Verschuldung -, haben sich CDU/CSU und FDP Ende 1982 zu Beginn ihrer gemeinsamen Arbeit darauf festgelegt, diesen genannten Rahmen von 3 % jährlich nicht zu überschreiten. Diese Vereinbarung haben wir durchgehalten. In den vier Jahren von 1983 bis 1986 steigen die Bundesausgaben insgesamt - aus heutiger Einschätzung - um knapp 8 %; das sind im Durchschnitt rund 2 % jedes Jahr. Ich halte das für einen eindrucksvollen Beweis der finanzpolitischen Standfestigkeit dieser Koalition. ({2}) Das Ergebnis, Herr Kollege Apel, ist eben nicht das Kaputtsparen der Konjunktur, das Sie zwei Jahre prophezeit haben, sondern eine starke dynamische Entwicklung unserer Wirtschaft zum Nutzen aller Bürger unseres Landes. ({3}) Das Ergebnis ist nicht die Umverteilung von unten nach oben, wie die alten Phrasen heißen, die Sie heute hier wieder aufgetischt haben, sondern ein Stabilitätserfolg, der vor allem den sozial Schwachen unseres Landes hilft, denen Ihre Inflationspolitik geschadet hat. ({4}) Professor Karl Schiller, ohne Zweifel einer der bedeutenden sozialdemokratischen Politiker der Nachkriegszeit, sprach vor einigen Wochen in Heidelberg von einem „mühsamen Bußgang" der Konsolidierung, den wir und andere Europäer nach den „Sünden der 70er Jahre" zu gehen haben. Mir scheint das in den Worten Karl Schillers eine sehr treffende Beschreibung im kritischen Rückblick und in der gegenwärtigen Situation zu sein. Allerdings - Herr Kollege Apel, das muß ich Ihnen und Herrn Vogel sagen - ist bei den Hauptsündern der 70er Jahre immer noch wenig Bußfertigkeit zu spüren. ({5}) Schillers Wort vom Bußgang der Konsolidierungspolitik nach den Sünden der 70er Jahre erscheint mir angemessener als die in unangenehmer Weise polemische Einführung des Begriffs der Barmherzigkeit in die finanzpolitische Diskussion gestern durch Ihren Fraktionsvorsitzenden HansJochen Vogel. ({6}) - Ich setze mich mit Begriffen auseinander und mit Ihnen, Herr Kollege Vogel. War es barmherzig, Herr Vogel, als Sie 1981 das Kindergeld für alle Eltern, auch die Frauen mit geringstem Einkommen, massiv gekürzt haben? ({7}) War es barmherzig, als Sie 1981 Bürger in größter Bedrängnis durch ein Kürzungsgesetz aus der Arbeitslosenhilfe herausgeworfen haben? ({8}) War es barmherzig, als Sie 1981 für arbeitslose Jugendliche das Kindergeld gekürzt haben, das wir jetzt wieder eingeführt haben? ({9}) Wir reden hier nicht von einer grauen Vorzeit. Wir reden von der jüngsten Vergangenheit, in der unter Ihrer führenden Mitwirkung, Herr Kollege Vogel, und unter Mitwirkung von Herrn Apel in schwerster Weise soziale Eingriffe beschlossen wurden. Sie sollten es nach der Bilanz der vergangenen Jahre vermeiden, Einsparbeschlüsse dieser Koalition mit Begriffen wie „unbarmherzig" abzuqualifizieren. Sie haben keine Legitimation dafür. ({10}) Was Sie damals getan haben und was wir - unbestritten mit zum Teil harten Sparentscheidungen - weitergeführt haben, ist nicht in den Kategorien von barmherzig oder unbarmherzig zu behandeln. ({11}) Das sind die falschen Kategorien. Sie haben es 1981 und 1982 aus einer Notsituation heraus getan, in die Sie nicht deswegen hineingekommen waren, weil Sie unbarmherzig waren, sondern weil Sie vorher eine falsche Finanzpolitik betrieben hatten - das ist die Kategorie der Diskussion über diese Fragen -, ({12}) weil Sie in der Zeit wirtschaftlichen Wachstums bis 1976 bis 1980 die Staatsverschuldung zu stark nach oben getrieben haben. Einer der Hauptverantwortlichen, der Kollege Apel - ich muß das wirklich sagen -, kritisiert die angeblich zu hohe Neuverschuldung in unseren Jahren. Wenn man den Herrn Kollegen Apel als Kritiker einer angeblich zu hohen Staatsverschuldung hier hört, kann man nur sagen: Das ist wirklich ein Zeichen von schwarzem Humor im deutschen Parlament, wie wir das selten genug erlebt haben. ({13}) Herr Kollege Vogel, ich will ein paar Sätze zu den Rechnungen sagen, die Sie und in einer Neuauflage Herr Kollege Apel heute über die Konsolidierungsbilanz der letzten drei Jahre hier vorgetragen haben. ({14}) Ich will nur ein paar Zahlen vortragen, damit wir eine vernünftige Diskussionsgrundlage haben. Im Jahre 1982 - das ist sozusagen die Schlußbilanz, das letzte Jahr sozialdemokratischer RegieBundesminister Dr. Stoltenberg rungsführung gewesen - gab es eine Verschuldung des Bundes, eine Nettokreditaufnahme, von 37,5 Milliarden DM und einen Bundesbankgewinn von 10,5 Milliarden DM. Im Jahre 1983 ging die Verschuldung auf 31,5 Milliarden DM zurück. ({15}) - Auf den komme ich gleich, seien Sie unbesorgt, Frau Traupe. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß Zahlen wirken, jedenfalls in einer finanzpolitischen Debatte. Zwischenrufe stören in diesem Moment etwas. 1984 betrug die Nettokreditaufnahme 28,3 Milliarden DM. Ich veranschlage für 1985, weil sich Ausgabenreste bilden, eher einen Wert von 22,5 Milliarden DM Nettokreditaufnahme als 23 Milliarden DM. Es gibt noch eine kleine Unschärfe. Unterstellen wir einmal 22,5 Milliarden DM. Das macht also, wie wir alle wissen, die wir die Grundrechnungsarten noch gelernt haben ({16}) - ich unterstelle das einmal -, einen Unterschied von 15 Milliarden DM. Ich unterstelle sogar bei Herrn Kollegen Müller, obwohl er von der Universität Bremen kommt, daß er die Grundrechnungsarten beherrscht. ({17}) Das heißt also, der Konsolidierungserfolg in drei Jahren beläuft sich auf 15 Milliarden DM. Der Bundesbankgewinn hat sich in dieser Zeit in der Tat um 2,4 Milliarden DM erhöht, nämlich von 10,5 Milliarden DM auf 12,9 Milliarden DM. Diese Tatsache ist unbestritten. Das heißt, man kann sagen - ich akzeptiere das -, der echte Konsolidierungserfolg in drei Jahren Verantwortung dieser Koalition, besonders unter meiner Verantwortung, beträgt nicht 15 Milliarden, sondern 12,6 Milliarden DM. ({18}) - Natürlich. - Das ist die Zurückführung, brutto oder netto gerechnet. Sie, Herr Kollege Apel, tun hier nun so, als ob das alles nichts wäre, als ob der Finanzminister ohne den Bundesbankgewinn schlechter dastünde als seine Vorgänger, über die ich persönlich hier gar nicht viel reden will. Aber all diese Behauptungen haben mit den Tatsachen und mit den Zahlen nichts zu tun. Es wird dies auch nicht besser, wenn Sie einen in diesem Falle wirklich einmal schlechten Artikel der sonst angesehenen Wochenzeitung „Die Zeit" als Alibi für falsche Behauptungen heranziehen wollen. Es wird dadurch in gar keiner Weise besser! ({19}) Wenn man dies alles mit irgendwelchen tollen Additionen und Subtraktionen über die Jahre 1980 bis 1984, wie der Herr Vogel und Sie sie vortragen, verwischt, dann ist das ein untauglicher Versuch. Wenn man das als eine Milchmädchenrechnung bezeichnen würde, wäre das, meine Damen und Herren, eine grobe Kränkung der Milchmädchen, eine ausgesprochen grobe Kränkung der Milchmädchen! ({20}) Das gilt auch für den Versuch des Herrn Kollegen Vogel - es ist, glaube ich, der siebente seit dem Jahre 1980, der in diesem Hohen Hause unternommen wird -, mit irreführenden Behauptungen die finanzpolitische Bilanz meiner Tätigkeit als Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein zu kritisieren. Ich glaube, ich habe das jetzt zum siebenten Male erlebt; das fing schon an, als ich noch Ministerpräsident war. ({21}) Deswegen will ich Ihnen, Herr Kollege Hans-Jochen Vogel, nur einen einzigen Tatbestand nennen: Wenn wir die Gesamtverschuldung der verschiedenen Ebenen - Länder und kommunale Selbstverwaltung - zusammennehmen, haben wir, weil wir in Schleswig-Holstein eine besonders kommunalfreundliche Politik betrieben haben, als Bürger dieses Landes in Westdeutschland neben unseren bayerischen und baden-württembergischen Landsleuten die niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung, ({22}) und ich muß sagen, auf meine Mitwirkung an dieser Politik bin ich relativ stolz. ({23}) Ich sage es Ihnen noch einmal: Wenn wir Länder und kommunale Selbstverwaltung zusammennehmen, haben wir in einem eher wirtschafts- und finanzschwachen Land neben unseren Mitbürgern aus Bayern und Baden-Württemberg die niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung in ganz Westdeutschland, ({24}) d. h. von den zehn westdeutschen Ländern. Berlin hat ja eine Sonderstellung. Wir sind uns darüber einig, daß wir über 50% des Berliner Etats durch einen Bundeszuschuß finanzieren. Darüber hat es in unserer Betrachtung nie einen Streit gegeben. Meine Damen und Herren, nach dieser Auseinandersetzung mit einigen Argumenten der Opposition möchte ich mich doch noch einmal dem Haushalt zuwenden. Es ist für mich nicht nur ein Gebot der Höflichkeit, sondern auch Ausdruck der außerordentlichen Wertschätzung, wenn ich den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß, Herr Kollege Walther, herzlich für ihre Arbeit danke. Da ich selbst als junger Abgeordneter dort unter dem Vorsitz von Erwin Schoettle, den ich gern erinnere, meine parlamentarischen Lehrjahre absolviert habe, weiß ich etwas besser als viele andere in Regierung und Parlament, was diese Arbeit bedeutet. Meine Damen und Herren, Sie haben auch bei den Beratungen des Etats 1986 durch viele Einzelentscheidungen die Struktur des Haushalts weiter verbessert, Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit durchgesetzt und sowohl den Ausgaberahmen als auch die vorgesehene Neuverschuldung weiter verringert. Wir mußten zu Beginn unserer gemeinsamen Arbeit vor drei Jahren noch eine Kreditaufnahme von über 50 Milliarden DM befürchten. Jetzt liegt das Soll unter 24 Milliarden. Ich hoffe, daß wir es im Haushaltsvollzug noch etwas unterschreiten können. Herr Apel, das ist, in absoluten Zahlen gerechnet, der niedrigste Stand seit 1977 und, gemessen am Bruttosozialprodukt, der niedrigste Stand seit 1974. Meine Damen und Herren, wir werden uns im Vollzug des Bundeshaushalts auch weiterhin als Anwälte der Sparsamkeit verstehen. So müssen wir, wie ich sagte, die Kreditermächtigungen in diesem Jahr nicht voll ausnutzen, und wir werden uns darum auch im nächsten Jahr bemühen. Dies ist um so wichtiger, als 1984 und nach den jetzigen Erkenntnissen auch 1985 die Einnahmen des Bundes hinter den Ansätzen zurückbleiben. Dies ist ein Punkt, der mir in der längerfristigen finanzpolitischen Debatte einige Sorgen bereitet. Dennoch können wir durch Ausgabendisziplin, was die Haushaltsperspektiven anbetrifft, auch für die Zukunft über das nächste Jahr hinaus optimistisch sein. Mit dieser disziplinierten Haushaltspolitik haben wir die Finanzpolitik überhaupt erst wieder zu einem wirksamen Instrument der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gemacht. ({25}) Sie war, Herr Kollege Apel, Anfang der 80er Jahre in der Rezession völlig gelähmt, weil zuvor in den wirtschaftlich guten Jahren zuviel Schulden gemacht wurden und Sie dann - ich habe es eben schon erwähnt - in der Krise, im Abschwung Investitionen und Sozialleistungen kürzten, vielleicht sogar kürzen mußten, mit dem Ergebnis einer Verschärfung des ungünstigen Trends. Ich muß das noch einmal sagen nach diesem in Zahlen ungenauen, in der Sache nicht überzeugenden Plädoyer, das Sie kritisch an uns in Verbindung mit den kommunalen Investitionen gerichtet haben. Man muß hier wirklich die Tatsachen zugrunde legen, Herr Apel. Wir können Ihnen nicht durchgehen lassen, was Sie hier gesagt haben. Ich habe mir noch einmal die Zahlen der Finanzstatistik geben lassen. Die dramatische Talfahrt der kommunalen Investitionen begann 1980. 1980 betrugen die investiven Ausgaben der Kommunen noch über 45 Milliarden DM, 1981 44,7 Milliarden DM, 1982 40,2 Milliarden DM, 1983 36,7 Milliarden DM, und erst 1984 ist es zu einer Stabilisierung mit 35,1 Milliarden DM gekommen. Mein Zitat, das Sie kritisiert haben, beruhte natürlich auf den Soll-Zahlen, den Annahmen der kommunalen Spitzenverbände. Daß Soll und Ist nicht völlig identisch sind, wissen Sie. Und jetzt geht - darüber sind wir uns mit den kommunalen Spitzenverbänden im Finanzplanungsrat einig - ihr Investitionsvolumen wieder hoch, nach den Voranschlägen für 1986 auf 37,5 Milliarden DM. Wer diese falsche Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik vertreten hat, die diesen dramatischen Niedergang der kommunalen Investitionen 1980, 1981 ausgelöst hat - mit schlimmen Folgen für die Bauarbeiter und die Bauwirtschaft -, ist wirklich nicht berufen, in der Art, wie Sie das versuchen, als Anwalt der Kommunen anklagend gegen diese Bundesregierung aufzutreten. ({26}) Nein, wir nutzen diesen Spielraum, den wir wiedergewonnen haben, vor allem mit der Steuerpolitik, der Beschäftigungspolitik und der Familienpolitik. Und, Herr Kollege Apel - ich muß das sagen -, was Sie über die sozialen Wirkungen der Steuersenkung hier ausgeführt haben, ist falsch. Das ist ein bewußtes Mißverständnis, ein gewolltes Mißverständnis, ({27}) - ein gewolltes Mißverständnis. Herr Kollege Carstens hat das hier zu Recht gesagt. Wir haben uns politisch entschieden, bei der ersten Stufe der Steuerentlastung im wesentlichen die Berufstätigen mit Kindern zu entlasten, während die Berufstätigen ohne Kinder im wesentlichen die Entlastung zwei Jahre später bekommen. Deswegen ist es nicht korrekt - ich will mich sehr höflich ausdrücken -, die Entlastungsbeispiele für 1986 bei Berufstätigen ohne Kinder vorzuführen. Die schlichte Wahrheit ist, daß ein Arbeitnehmer mit Durchschnittseinkommen und zwei Kindern im nächsten Jahr rund 1 000 DM Lohnsteuer weniger zahlt als in diesem Jahr. Natürlich ist das eine arbeitnehmerfreundliche Politik und vor allem eine familienfreundliche Politik. ({28}) Wir werden den anderen Steuerzahlern und Berufstätigen - ich weiß, daß das nicht immer einfach sein wird - erklären müssen, daß wir diese Priorität so gewählt haben. Aber nach der groben Vernachlässigung der Familie in den vorhergehenden Jahren ist das nach meiner Meinung sozial-ethisch zu begründen. Das ist es, was uns unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit bewegt. Ich weise die Unterstellung nachdrücklich zurück, daß es dieser Regierung nicht um Gerechtigkeit geht, Herr Kollege Apel. Ich weise das mit Nachdruck zurück. Nur, wir haben ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit, wenn wir mehr für die Familien mit Kindern tun, als Sie das in 13 Jahren getan haben. ({29}) Es geht um die Frage, was die Konsequenzen des Prinzips der Gerechtigkeit, des Wertes Gerechtigkeit, für die politischen Prioritäten sind. Da unterscheiden wir uns allerdings. Wir haben mit der Übertragung weiterer Umsatzsteueranteile auf die Europäische Gemeinschaft die finanziellen Grundlagen für ihre Erweiterung und Fortentwicklung geschaffen. Das ist ein erheblicher Beitrag der Bundesrepublik. Er engt auch unseren finanzpolitischen Handlungsbereich in den komBundesminister Dr. Stoltenberg menden Jahren ein Stück ein. Aber ich hoffe - die Beratungen im Ministerrat zu Budgetfragen in den letzten Tagen haben das gezeigt -, daß sich auch bei unseren Partnern die Erkenntnis durchsetzt, daß in Europa die Ausgaben unter Kontrolle bleiben müssen und der europäische Fortschritt, den wir wünschen, nicht im wesentlichen in einem ständig weitergehenden Ressourcentransfer besteht. Das ist nicht die Hauptaufgabe der EG. ({30}) Wir verbessern mit diesem Haushalt und den begleitenden Vorlagen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter, natürlich, Herr Kollege Apel, mit Blick auf den Arbeitsmarkt. Sie haben die neuen Abschreibungsmöglichkeiten für Wirtschaftsgebäude kritisiert, und dann sagen Sie, das bewirke nichts. Wie kommen Sie eigentlich dazu? ({31}) - Ich habe viele Meinungen dazu gehört, sehr viele. Und ich habe als letztes dazu gelesen - Herr Apel, lassen Sie sich das einmal vorlegen, vielleicht heute oder morgen, oder suchen Sie es selbst heraus, je nachdem, wie die Arbeit in Ihrem Büro organisiert ist -, daß das Ifo-Institut, das in diesen Fragen durch die direkten Befragungen wirklich sehr zeitnahe Prognosen gibt, gerade festgestellt hat, daß zu den Lichtpunkten in der schwierigen Lage der Bauwirtschaft die deutliche Nachfragesteigerung im Bereich der Wirtschaftsgebäude gehört. Wir sehen das als ein Zeichen dafür - ich höre das auch in meinem Wahlkreis, wenn ich mit den örtlichen Bauämtern und den mittelständischen Unternehmen rede; ich hoffe, daß Sie in Ihrem Wahlkreis etwas Ähnliches erfahren; ich wünsche Ihnen übrigens ausdrücklich, wobei ich hoffe, daß es Ihnen nicht schadet, daß Sie in Ihrem Wahlkreis wieder kandidieren können, weil das nach meiner Meinung eine faire Entscheidung Ihnen gegenüber wäre; deswegen spreche ich von Ihrem Wahlkreis -, daß politische Signale zur Investitionsförderung von den mündigen Bürgern als Investoren vor Ort auch begriffen werden. Das wird der Bauwirtschaft, Gott sei Dank, ein Stück helfen. ({32}) Wir haben die Mittel für die Stadterneuerung in dem genannten Umfang erhöht. ({33}) - Nicht genug. Darauf komme ich gleich. Ich hoffe, daß Herr Posser, der auf der Bundesratsbank war, das mithört. ({34}) - Ja, er hört es. Sehr schön, Herr Posser. Vor allem hat er dann Ihren Zwischenruf „Nicht genug" ebenfalls gehört. Herr Kollege Apel, es ist Ihr gutes Recht, als SPD-Fraktion die Entflechtung 1988 abzulehnen. Aber Sie sollten natürlich - Manfred Carstens hat das schon gesagt - dabei einfach in Betracht ziehen, daß alle Ministerpräsidenten der Bundesländer, auch Ihr Kanzlerkandidat Johannes Rau, in mehrfachen Diskussionen mit dem Bundeskanzler und der Bundesregierung kategorisch auf diese Entflechtung, auf dem Rückzug des Bundes, bestanden haben. Wir müssen es als einen Erfolg ansehen, daß wir - es war nicht leicht, - die Regierungschefs der Bundesländer überzeugt haben, sie nicht 1986 vorzunehmen, sondern erst 1988, um damit in der Übergangszeit die Möglichkeit zu einer so starken Belebung der Bautätigkeit zu erreichen. Die Arbeitsteilung kann doch nun nicht so sein, Herr Kollege Apel, daß Herr Rau, Herr Börner, Herr Wedemeier und Herr Dohnanyi, jeder in seiner Art, massiv Forderungen an die Bundesregierung richten und anschließend die sozialdemokratische Opposition im Deutschen Bundestag die Bundesregierung heftig angreift, wenn sie Kompromisse mit den Regierungschefs der elf Bundesländer erzielt. Das zeigt nur, daß Ihnen jede Geschlossenheit auch in diesen Fragen des Bund-LänderVerhältnisses fehlt. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn in einer der nächsten Sitzungen des Deutschen Bundestages der neue Kanzlerkandidat Johannes Rau einmal eine Linie hierzu vortragen könnte. ({35}) Ich entnehme allerdings meinen Unterlagen, daß der Beitrag des Landes Nordrhein-Westfalen in diesem Zusammenhang leider immer noch ungeklärt ist. Nach einer Aufzeichnung vom 18. November 1985 haben alle Bundesländer - am 21. November 1985 auch Ihr Heimatland, also der Stadtstaat Hamburg - die vereinbarten Unterlagen eingereicht und die Vorkehrungen dafür getroffen, daß die Mittel der Länder verdoppelt werden - alle mit Ausnahme des Landes Nordrhein-Westfalen. ({36}) Der zuständige Minister Zöpel hat dem Kollegen Oskar Schneider geschrieben, man könne die notwendigen Angaben überhaupt erst in der zweiten Dezember-Hälfte, weit nach dem vereinbarten Termin, machen. Die Diskussion in Nordrhein-Westfalen zeigt uns, daß in keiner Weise gesichert, zumindest sehr zweifelhaft ist, ob die zwischen Bund und Ländern vereinbarte Zusatzfinanzierung der Länder dort erfolgt. Ich würde es begrüßen, wenn Herr Posser dem Deutschen Bundestag dazu einen klärenden Beitrag liefern könnte. Es kann ja wohl nicht angehen, daß Sie als SPD hier antreten und Beschäftigungsprogramme fordern und wir nicht einmal wissen, was Ihr eigener Kanzlerkandidat im Land Nordrhein-Westfalen machen will, ({37}) wenn wir, Bund und Länder, mit einer vernünftigen, sinnvollen Verstärkung vorhandener Programme ein Doppelziel erreichen wollen: Stadt- und Dorferneuerung und eine Stützung der Bauwirtschaft. ({38}) - Überlassen wir es lieber einmal Herrn Posser, die nötige Erklärung abzugeben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Nein. Ich gehe davon aus, daß der Kollege Posser die notwendige Erklärung abgibt. Ich verspreche mir davon etwas mehr. Ich will übrigens zum Thema der öffentlichen Investitionen kurz darauf verweisen, daß die von uns im Sommer dieses Jahres beschlossenen ergänzenden Maßnahmen im ERP-Haushalt, bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau, bei der Lastenausgleichsbank zu zusätzlichen Investitionen von rund 10 Milliarden DM führen werden - das können wir bei diesem nachhaltigen Echo vor allem der Gemeinden für Umweltschutzinvestitionen und andere Fördermittel sagen -, über die Hälfte davon in den Jahren 1985 und 1986. Im Hinblick auf Ihre Kritik, Herr Apel, an der Investitionsentwicklung im Haushalt füge ich hinzu: Wir nutzen diese Möglichkeit der Sondervermögen und der Agenturen des Bundes voll aus. Die Bundesbahn wird die entsprechenden Ansätze für Investitionen im nächsten Jahr um 1 Milliarde DM erhöhen, die Bundespost noch einmal um 900 Millionen DM vor allem für die Verbesserung des Fernmeldenetzes. ({0}) Das heißt, unsere Gesamtpolitik führt zu steigenden öffentlichen oder öffentlich induzierten Investitionen, auch wenn - das ist richtig - die Investitionsansätze im Haushalt 1986 etwas zurückgehen. Sie gehen vor allem zurück - auch das hat der Kollege Carstens bereits hervorgehoben - aus einem erfreulichen Anlaß: Wir können 500 Millionen DM wegnehmen, weil wir auf dem Weg der Gesundung von wichtigen Bundesunternehmen und Bundesbeteiligungen vorankommen. Der Salzgitter-Konzern wird nach unserer Einschätzung im neuen Geschäftsjahr ein ausgeglichenes Ergebnis erreichen. 630 Millionen DM Defizit im Jahr 1982. Die Saarbergwerke, die 1983 noch einen Verlust von 200 Millionen DM gemacht haben, werden zum erstenmal seit langer Zeit wieder mit einem - wenn auch kleinen - Überschuß abschließen. Es ist doch gut, wenn wir nicht mehr Steuermittel in diese Unternehmen in der Form von Subventionen hineingeben müssen. ({1}) Ich habe nicht begriffen, Herr Kollege Apel, was Sie über Art. 115 des Grundgesetzes gesagt haben. Sie haben in Ihrem verteilten Manuskript ausgeführt, wir hätten eine höhere Neuverschuldung als die Investitionsmittel des Bundes. ({2}) - Das ist aber eine neue Definition, die für meine Mitarbeiter und mich etwas überraschend ist. Den Punkt können wir einmal fachlich vertiefen. Es war jedenfalls so, Herr Kollege Apel - wenn ich einmal die letzten beiden Jahre sozialdemokratischer Regierungstätigkeit nehmen darf -, daß 1982 die Nettokreditaufnahme um 6,9 Milliarden DM, 1983 um 7,6 Milliarden DM über den Investitionsansätzen gelegen hat. Jetzt, 1985, liegen die Investitionsansätze um 10,3 Milliarden DM höher als die Nettokreditaufnahme und 1986 um 10,8 Milliarden DM. ({3}) - Auch, aber nicht nur. Wir werden auf dem Gebiet der Privatisierung vorangehen. Es kann gar keine Rede davon sein, daß wir kein Gesamtkonzept haben. Wir haben ein sehr gut durchdachtes Konzept für die Beiteiligungspolitik, das ich ja der Öffentlichkeit im vorigen Jahr vorgestellt habe. Ich freue mich, daß wir uns über wichtige Schritte einig sind. Wir haben noch einen Diskussionsbedarf bei der Lufthansa. Warum soll man das hier verschweigen? Da gibt es unterschiedliche Meinungen, die abgeglichen werden müssen. Herr Kollege Apel, zur Privatisierungspolitik: Sie war in der großen Koalition wegen unterschiedlicher Meinungen nicht mehr möglich. Sie war 1965 überhaupt nicht möglich. Sie war auch nach 1969 in der Koalition zwischen SPD und FDP nicht möglich. Wir haben in der neuen Koalition einen breiten Konsens zwischen CDU/CSU und FDP. Deswegen gehen wir voran. Die Tatsache, daß wir bei einem einzigen Unternehmen noch Diskussionsbedarf haben, ändert doch nichts an dieser erfreulichen Trendwende. Im übrigen fangen auch die französischen Sozialisten an, über Privatisierung wieder laut zu reden. Ich empfehle Ihnen, sich einmal mit der Diskussion in Paris über den Mißerfolg der Verstaatlichungspolitik in Frankreich auseinanderzusetzen. ({4}) Die wichtigste Aufgabe unserer finanz- und wirtschaftspolitischen Strategie ist, dem Aufschwung Dauer, Dauer in Stabilität zu verleihen. Auf diese Perspektive hat der Sachverständigenrat bereits im vorigen Jahr in der Überschrift seines Gutachtens hingewiesen: „Chancen für einen langen Aufschwung". Auch deshalb behalten für uns ein Höchstmaß an Preisstabilität, eine niedrige Kreditaufnahme zur Förderung des Zinssenkungstrends und die Stärkung der Investitions- und Innovationsfähigkeit unserer Volkswirtschaft Vorrang. So können wir die unvermeidlichen Umstrukturierungsprozesse wichtiger Wirtschaftszweige ohne unerträgliche soziale und menschliche Brüche vollziehen und neue dauerhafte Arbeitsplätze schaffen. Eine wieder steigende Nettokreditaufnahme des Staates bei Wirtschaftswachstum wäre das völlig falsche Signal. Deshalb bleibt auch rückblickend die Entscheidung der Koalition völlig richtig, die Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer in zwei Stufen 1986 und 1988 zu vollziehen. Wer bei gewissen saisonalen Schwankungen - wie im vorigen Winter, als uns nicht nur von der Witterung, sondern auch von der Politik der Wind ins Gesicht blies; das ist wahr - sofort in haushalts- oder steuerpolitischen Aktionismus verfallen will, gefährdet dieses Ziel einer langfristig angelegten Stärkung unserer Volkswirtschaft, des Arbeitsmarkts und der finanzpolitischen Grundlagen des Staates. ({5}) So ist für mich, bei sehr viel Anerkennung und auch einigen kritischen Anmerkungen, Herr Apel, die wir ernst nehmen, an dem Jahresgutachten 1986 des Sachverständigenrates besonders ermutigend, daß es diese Chance eines Gesundungs- und Wachstumsprozesses auch über 1986 hinaus nicht nur beschreibt, sondern auch begründet und uns dafür wichtige Hinweise gibt. Wir müssen unsere Bundesrepublik ökonomisch und finanzwirtschaftlich wetterfest machen, soweit dies in unseren Kräften steht, um gewappnet zu sein, falls es zu einem späteren Zeitpunkt wieder einmal zu weltwirtschaftlichen Turbulenzen kommen sollte. Wir können diese Turbulenzen für spätere Jahre nicht ausschließen. Ich stimme da mit Ihnen überein, und ich sage auch einiges dazu. Hier ist auch die Verantwortung der autonomen Gruppen gefordert. Anhaltend hohe private Investitionen - die sind noch wichtiger als die öffentlichen Investitionen -, Risikobereitschaft der Unternehmen ist das eine; die Bereitschaft der Gewerkschaften zu maßvollen Tarifabschlüssen, um die Chancen der Arbeitslosen zu verbessern, ist das andere. Maßvolle Tarifabschlüsse werden, wenn sie sich im nächsten Jahr auf einen Anstieg der Löhne und Gehälter konzentrieren und Konflikte zur Arbeitszeitfrage vermieden werden, zu einer Steigerung der Realeinkommen führen. ({6}) Daran besteht bei einer Inflationsrate von 1,7 bis 1,8 % und der Perspektive, daß sie sich weiter günstig entwickelt, überhaupt kein Zweifel. Vor allem die erwähnte Steuersenkung, besonders für Berufstätige mit Kindern, neue und verbesserte staatliche Transferleistungen wie Erziehungsgeld, Wohngeld und anderes und die Zunahme der Beschäftigtenzahlen werden 1986 zu einer spürbaren Belebung des privaten Verbrauchs führen. Auch international, meine Damen und Herren, breitet sich wieder ein stärkeres Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unserer deutschen Volkswirtschaft aus. Dies drückt sich in der deutlichen Aufwertung der DM gegenüber dem US-Dollar aus - trotz eines nach wie vor hohen Zinsabstandes von viereinhalb Prozent im Vergleich zu den Vereinigten Staaten. Inzwischen redet niemand mehr von der verlorengegangenen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Im Gegenteil: Trotz der Aufwertung der Deutschen Mark gehen die meisten Wirtschaftswissenschaftler für die kommende Zeit von günstigen Exportchancen aus. Das Bild der Weltwirtschaft hat seinen überwiegend hellen Grundton behalten. Allerdings sind Schatten unübersehbar. Ich rechne hier besonders die kritische Lage hochverschuldeter Schwellenländer und notleidender Entwicklungsländer dazu. Bei der Jahrestagung von Weltbank und Währungsfonds im Oktober sind einige wichtige Entscheidungen für diese Länder getroffen worden, andere sind dringend notwendig. Vom Willen zur Zusammenarbeit war auch das Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure der fünf großen Industrieländer am 22. September 1985 in New York geprägt. Wir waren uns dort einig - wir haben es öffentlich ausgesprochen -, daß ein Anstieg des Werts der europäischen Währungen - vor allem aber der des japanischen Yen gegenüber dem amerikanischen Dollar - wünschenswert ist. Die dort getroffenen Vereinbarungen haben erhebliche Wirkungen gehabt. Erstens. Wir sind bei der „Entzerrung" der Wechselkurse schon jetzt, nach rund zwei Monaten, beträchtlich vorangekommen. Die europäischen Währungen haben sich seit dem 22. September gegenüber dem Dollar um gut 11 % aufgewertet. Der japanische Yen ist gegenüber der amerikanischen Währung mit rund 20 % - wie angestrebt - wesentlich stärker gestiegen. Den Zentralbanken ist es so gelungen, den Devisenmärkten eine gewisse Neuorientierung zu geben. Dazu hat sicher auch beigetragen, daß die Währungsbehörden einen im Ansatz bereits vorhandenen Markttrend wirksam unterstützen konnten. Zweitens - und das ist für mich von besonderer Wichtigkeit - haben sich die Vereinigten Staaten in überzeugender Weise beteiligt. Sie haben so zu verstehen gegeben, daß sie - im Gegensatz zu den vergangenen Jahren - dem Wechselkurs des Dollar die ihm zukommende Bedeutung für das internationale Wirtschaftsgeschehen einräumen. Drittens ist es mit den New Yorker Beschlüssen gelungen, zu einem Umdenken im amerikanischen Kongreß im Hinblick auf die Gefahren des Protektionismus beizutragen. Für eine störungsfreie Entwicklung der Weltwirtschaft hat dieser Meinungsumschwung zentrale Bedeutung. Wenn die protektionistischen Vorschläge, die auch im amerikanischen Kongreß wie eine Welle angestiegen waren, verwirklicht worden wären, hätte das schlimme Auswirkungen auf die Weltwirtschaft gehabt. Für einige hochverschuldete Länder der Dritten Welt hätten sich existenzbedrohende Folgen ergeben können. Diese währungspolitischen Absprachen sind so ein Schritt in die richtige Richtung, die tieferliegenden Ursachen der wirtschaftlichen Fehlentwicklungen in den Vereinigten Staaten von Amerika und anderen Teilen der Welt können sie natürlich nicht beseitigen. Solange die Vereinigten Staaten ihr hohes Haushaltsdefizit nicht entscheidend abbauen, wird Amerika mit hohen Zinsen internationales Kapital anlocken. Dies führt zu erheblichen Verwerfungen und immer noch überhöhten Dollar-Zinsen. Auch da gibt es ein Umdenken. Wer die Debatten im Kongreß in diesen Wochen verfolgt, also z. B. Rudman-Gramm-Amendment oder auch die Beschlüsse im demokratisch bestimmten Repräsentantenhaus, sieht, daß die Bemühungen vorangehen. Wir alle können im Interesse der Vereinigten Staaten, im Interesse Europas, vor allem im Interesse der armen und notleidenden Länder, die die hohen Dollar-Zinsen schwer belasten, nur hoffen, daß diese Bemühungen endlich zu einem überzeugenden Ergebnis der Haushaltskonsolidierung in Amerika führen. ({7}) Aber, meine Damen und Herren, es macht keinen Sinn, die Amerikaner hier anzumahnen und zu kritisieren, im eigenen Land aber Haushaltskonsolidierung kleinzuschreiben. Ich habe es kürzlich auf der internationalen Tagung in Seoul - ich werde das betreffende Land natürlich nicht nennen; ({8}) das kann ich als Mitglied der Regierung ja nicht, weil es ein befreundetes Land ist - auch erlebt, meine Damen und Herren, daß ein geschätzter Kollege aus einem uns befreundeten Land heftige Kritik an dem amerikanischen Haushaltsdefizit und seinen schlimmen weltwirtschaftlichen Folgen übte, an dem amerikanischen Haushaltsdefizit, daß insgesamt bei 6 % des Bruttosozialprodukts liegt. Anschließend mußte er sich von dem amerikanischen Kollegen vorhalten lassen, daß er soeben einen Haushaltsentwurf mit einem Defizit von 14 % des Bruttosozialprodukts vorgelegt habe. So kann die Debatte zwischen den Industrieländern ja wohl nicht ernsthaft geführt werden. Stabilität beginnt zu Hause. ({9}) Wir alle sind hier in der Pflicht, in Europa wie in Amerika. Die letzte umfassende Wechselkursanpassung im Europäischen Währungssystem liegt mittlerweile 2 1/2 Jahre zurück. Da immer noch erhebliche Unterschiede in der Inflationsentwicklung vorhanden sind, ergeben sich zwangsläufig Veränderungen in den jeweiligen Wettbewerbspositionen. Manche unserer Partner im Europäischen Währungssystem können das nur durch sehr hohe Zinssätze ausgleichen. Sie erreichen in der Spitze bis zu 15%; das ist die Wirklichkeit Westeuropas, meine Damen und Herren. Es ist die Entscheidung unserer Partner, souveräner Regierungen und Notenbanken im Europäischen Währungssystem, die Wechselkurse gegebenenfalls auch durch hohe Zinsraten zu stabilisieren. Wir haben aus der Interessenlage der Bundesrepublik Deutschland keine Ursache, auf sie Druck in Richtung auf eine Wechselkursanpassung auszuüben. Aber wer den anderen Weg wählt, wer trotz einer höheren Inflationsrate im Vergleich zu uns seine Wechselkurse durch überhöhte Zinsen langfristig halten will, darf sich nicht über zunehmende deutsche Außenhandelsüberschüsse beschweren. Das will ich für die internationale Diskussion hier einmal sagen. ({10}) Natürlich bedeuten die seit über 2 1/2 Jahren fast stabilen Wechselkurse im Europäischen Währungssystem für uns einen zunehmenden Wettbewerbsvorteil bei einer Inflationsrate von etwa 2 %. Gegenüber 5, 6, 8 und 10% in anderen europäischen Ländern gewinnen wir dadurch. Aber wer dann aus seiner nationalen Interessendefinition diese Wechselkurse festhalten möchte, darf nicht die Außenhandelsüberschüsse kritisieren; er muß die Konsequenz ziehen, Stabilitätspolitik im eigenen Land zu betreiben. Unser wirtschafts- und finanzpolitischer Kurs, meine Damen und Herren, zielt darauf ab, die in der Bundesrepublik Deutschland gegebenen Wachstumsmöglichkeiten auszuschöpfen, ohne neue Inflationsgefahren heraufzubeschwören. Der internationale Vergleich zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Wir haben neben Japan von allen Industrieländern die beste Kombination zwischen Wachstum und Geldwertstabilität und so gute Aussichten auf einen stetigen Fortgang der konjunkturellen Aufwärtsentwicklung. Auch der Präsident der Deutschen Bundesbank hat gerade erst darauf hingewiesen, daß die Perspektiven - ich zitiere ihn - „für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft so günstig sind wie seit vielen Jahren nicht mehr". In seiner Schlußfolgerung stimmt er mit der Bundesregierung überein, wenn er sagt - ich zitiere -: Es gibt nach meiner Auffassung zur Zeit keine konjunkturpolitische Begründung für eine expansivere Finanzpolitik. Ich begrüße diese klare Haltung. Sie sollte denjenigen zu denken geben, die wieder nach Aktionismus rufen. Ziel der kommenden Jahre sind eine weitere Festigung und Verbreiterung des neu geschaffenen wirtschaftlichen Fundaments. Wir hoffen das auch für diejenigen, die noch auf der Schattenseite stehen, die Arbeitslosen, Teile des Mittelstands, die Bauwirtschaft, die Landwirtschaft. Wir müssen diesen Prozeß verbreitern und stabilisieren. Die Koalition ist sich darin einig, daß dafür eine deutliche Rückführung sowohl des Staatsanteils als auch der Steuer- und Abgabenquote notwendig ist. ({11}) Meine Damen und Herren, in unserer engverflochtenen Welt stehen die Steuer- und Abgabensysteme in einem internationalen Wettbewerb. In vielen Ländern wird eine intensive Diskussion um grundlegende steuerpolitische Neuorientierung geführt. ({12}) Es wird zunehmend verstanden, daß im internationalen Wettbewerb um Märkte und Arbeitsplätze nur erfolgreich sein kann, wer ausreichend Spielraum zur Entfaltung der schöpferischen Kräfte eröffnet und wer die Arbeitsleistung und das unternehmerische Risiko belohnt, statt es zu bestrafen. ({13}) Die Vereinigten Staaten von Amerika, Japan und die Schweiz haben überdurchschnittliche wirtschaftliche Dynamik und einen vergleichsweise besseren Beschäftigungsstand erzielt. Sie haben zugleich niedrige Steuer- und Abgabenquoten von nur 30 %. Hier zeigen sich Wechselwirkungen. In der Bundesrepublik liegt die Quote bei 40 %. Herr Kollege Apel, sie ist in Ihrer Regierungszeit - das muß ich zu Ihren erstaunlichen Bemerkungen sagen - um etwa 7 % angestiegen: 1 % die Steuerquote, 6 % die Quote der Sozialabgaben. Sie sind nicht in einer überzeugenden Position, wenn Sie uns einen vermeintlichen oder wirklichen Anstieg der Sozialabgaben hier vorhalten. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Nein, ich bitte um Entschuldigung, mit Blick auf die Zeit, Herr Ehrenberg. Ich habe noch einen wichtigen steuerpolitischen Teil hier zum Abschluß vorzutragen. Ich bitte um Nachsicht. Dieser Unterschied zwischen 30 % in Japan, der Schweiz und den USA und den 40 % bei uns bedeutet, daß die Bürger dieser Länder vergleichsweise, gemessen an der Einwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland, 170 Milliarden DM weniger jährlich an Steuern und Abgaben zahlen als die Bundesbürger. Wenn wir unser Wirtschaftswachstum langfristig sichern wollen, wenn wir unsere Volkswirtschaft wieder wetterfester machen wollen, müssen wir dafür sorgen, daß die Bundesrepublik Deutschland auch steuerlich ein attraktiver Standort für Arbeit und Investitionen bleibt, verstärkt wieder wird. ({0}) Meine Damen und Herren, das wichtigste Ziel der nächsten Wahlperiode ist deshalb eine große Steuerreform. Sie kann ihre volle positive Wirkung auf unsere Volkswirtschaft entfalten, wenn sie in das Gesamtkonzept, von dem ich eingangs gesprochen habe, eingepaßt wird. Dafür sind folgende Eckpunkte wesentlich. Erstens. Jede Steuerentlastung muß verdient werden. Sie muß mit der Politik der Gesundung unserer öffentlichen Haushalte und damit niedriger Zinsen und Preise in Übereinstimmung gebracht werden. Hauptfinanzierungsquellen bleiben so eine Stärkung der volkswirtschaftlichen Kräfte und zugleich ein sehr eng begrenztes Wachstum der Staatsausgaben, also das, was Karl Schiller mit dem „Bußgang" beschrieben hat. Ich will das nicht dauerhaft in meinen Sprachschatz aufnehmen. Das hat, auf die Dauer gesehen, vielleicht einen etwas dramatischen Akzent, aber für ein paar Jahre ist das ein Bußgang, meine lieben Freunde; wir haben das alle so empfunden. Nun werden zunehmend die Bürger unseres Landes die Früchte der Umkehr, der Konversion im christlichen Verständnis, auch ernten. Davon sind wir überzeugt. ({1}) Regierung, Bundestag, Bundesrat und alle gesellschaftlichen Gruppierungen müssen bereit sein, auch in den kommenden fünf Jahren der Steuerentlastung Vorrang vor neuen Ausgabenforderungen einzuräumen. Zweifellos löst eine Steuerreform auch Wachstumsimpulse aus. Gegen die in Teilen der Wissenschaft verbreitete Vorstellung einer weitgehenden Autofinanzierung, also Selbstfinanzierung, habe ich nach wie vor gewisse Zweifel. Dagegen sprechen auch jüngste internationale Erfahrungen, etwa die der USA. ({2}) Zweitens. Die Begrenzung der Ausgaben reicht bei dem vorgesehenen Entlastungsvolumen als alleinige Finanzquelle nicht aus. Wir müssen daher den Abbau von Steuersubventionen - ich gebe Ihnen j a recht, Herr Apel, daß das nicht zu den größten Erfolgserlebnissen dieser Jahre gehört - und möglicherweise auch darüber hinausgehende Umschichtungsmöglichkeiten im Steuersystem in die Betrachtung einbeziehen. Keineswegs dürfen wir den Fehler der Amerikaner wiederholen, die vor drei, vier Jahren im Glauben an die Selbstfinanzierung von Steuersenkungen ({3}) zu großzügige Entlastungsmaßnahmen ohne Rückführung der Ausgabenquoten beschlossen haben und die heute unter den geschilderten schweren Problemen leiden. ({4}) Auch das muß gesehen werden. Das muß man auch einigen, die jetzt Modelle geben und Interviews machen, in Erinnerung rufen. Drittens. Unsere nationalen steuerpolitischen Ziele müssen mit den Verhandlungen über eine europäische Steuerharmonisierung abgestimmt werden. Nicht alle Vorschläge der Kommission sind annehmbar. Wir brauchen einen gewissen Spielraum für Kompromisse bei der Anpassung der indirekten Steuern, weil diese Bundesregierung, diese Koalition, die Herstellung des Binnenmarktes zur wichtigsten europapolitischen Aufgabe der nächsten fünf Jahre erklärt hat. Viertens. Hauptansatzpunkt der Reform muß der Lohn- und Einkommensteuertarif sein. Es geht in erster Linie um eine Entlastung von 21 Millionen Steuerzahlern, deren berufliche Leistung als Arbeitnehmer oder Selbständige die wirtschaftliche und soziale Kraft der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet. ({5}) Fünftens. Durch Abbau von Steuervergünstigungen wollen wir niedrigere Steuersätze auf einer breiteren Bemessungsgrundlage, erreichen, damit wir von der Entwicklung wegkommen, daß immer weniger Steuerpflichtige immer höhere Steuersätze bezahlen müssen. Sechstens. Vor allem die jüngste Entwicklung in den USA, Großbritannien und den Niederlanden macht eine weitergehende steuerliche Entlastung bei den Unternehmen dringend erforderlich. Meine Damen und Herren, es ist ein gutes Zeichen, daß bei den Partnern der Regierungskoalition bereits in der jetzigen Phase der Diskussion ein hohes Maß an Übereinstimmung über die wichtigsten Ansatzpunkte der künftigen Steuerpolitik besteht. Wir sind uns einig, daß die Grenzsteuerbelastung zurückgeführt werden muß und im gesamten Progressionsbereich gleichmäßig verlaufen soll. Ziel ist der linear-progressive Tarif. Wir sind uns ferner einig, daß neben dem Kinderfreibetrag auch der Grundfreibetrag erhöht werden muß, um allen Steuerzahlern und ihren Familien ein angemessenes steuerfreies Existenzminimum zu gewährleisten. Natürlich bedarf es noch weiterer intensiver Vorarbeiten und vieler Abstimmungsgespräche. Dabei werden wir - Herr Kollege Posser, ich sage es, weil wir immer wieder darüber diskutieren - auch die Argumente und die ernsten Probleme der finanzschwächeren Bundesländer zu beachten haben. ({6}) - Natürlich auch, selbstverständlich. - Allerdings kann auch nicht das langsamste Schiff das Tempo der Steuergesetzgebung bestimmen. Entscheidend bleibt, daß wir daneben den Kostenanstieg bei den Sozialabgaben begrenzen. Es wäre eine fatale Entwicklung, wenn wir in der Steuerentlastung große Schritte tun, während zugleich für die Berufstätigen die Sozialabgaben ungebremst ansteigen. Wir müssen Steuerpolitik und Abgabenpolitik koordinieren. ({7}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß meiner Ausführungen sagen - ({8}) - Gut, ich verstehe ja, Herr Müller; daß das nicht Ihre Denkweise ist und nicht ihre Zustimmung findet, ist sonnenklar. ({9}) - Ja. - Aber wir betrachten das nicht als ein Minuszeichen für unsere Politik, wenn ich diesen Maßstab anlegen darf. ({10}) Die Zwischenbilanz der Finanzpolitik nach drei Jahren ist gut. ({11}) Wir wissen, welche großen Aufgaben in der nationalen und internationalen Politik noch vor uns liegen. Aber wir sagen ohne Überheblichkeit: die Richtung stimmt. Die Sozialdemokraten haben große Probleme, Herr Apel. Die alten Sprüche des Sozialneids, des Klassenkampfes und der Krisenbeschwörung klingen immer hohler und immer unglaubwürdiger. ({12}) So haben das mit uns gestern viele empfunden, und wir haben es bei Ihrer Rede heute wieder so empfunden. Das Ergebnis unserer Finanzpolitik ist nicht, daß wir uns kaputtgespart haben, sondern daß die Wende zur Gesundung eingeleitet wurde. ({13}) Unsere Politik soll den Menschen helfen. Zu unserer Tradition als Christlich-Demokratische Union, Christlich-Soziale Union gehört der Grundwert der Solidarität, den uns der Abgeordnete Schröder ({14}) in einer ziemlich schlimmen Rede gestern absprechen wollte. Wir lassen uns nicht von den großen überzeugenden Traditionen und sittlichen Werten, die unser Handeln letzten Endes bestimmen, abtrennen; wir lassen sie nicht in Frage stellen. Ich will das im Hinblick auf diese schlimme Rede hier noch einmal ausdrücklich sagen. ({15}) Unsere Politik soll den Menschen helfen. Dabei vertreten wir sozialdemokratischen Parteien gegenüber unterschiedliche, zum Teil entgegengesetzte Konzepte. Wir vertrauen auf die schöpferischen Kräfte, die Phantasie und den Leistungswillen der Menschen. Leistung ist eine soziale Tugend und kein kaltes ökonomisches Prinzip. Es ist vollkommen falsch, was hier gestern erwähnt wurde. ({16}) Es ist kein falsches ökonomisches Prinzip, wenn wir sagen: Leistung soll sich wieder lohnen. Wir verstehen den Leistungsbegriff natürlich in seiner ganzen Weite; wir verstehen darunter nicht nur die Leistung einer sogenannten Elite, vielmehr auch die Leistung eines jeden, der ehrlich schafft, und auch die sozialen Leistungen. Zu unseren Grundüberzeugungen - wir haben wichtige Schritte dazu getan - gehört, daß wir das ehrenamtliche soziale Engagement, die Leistungen im kulturellen Bereich - nicht nur in hochsubventionierten Staatstheatern wie in Hamburg, sondern auch im Dorf wie in der Stadt durch die Millionen, die sich dieser Aufgabe zuwenden, wieder stärker anerkennen und würdigen möchten. ({17}) Das ist auch ein Element unseres Verständnisses von Leistungsgesellschaft. Unsere Politik soll den Menschen helfen. Dazu gehört auch, daß wir Leistung und Nachbarschaftshilfe ermutigen und besser würdigen. Bundesminister Dr. Stoltenberg Schönen Dank. ({18})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Posser. ({0}) Minister Dr. Posser ({1}): Ich höre den Zuruf „Mexiko". Dazu will ich gern außerhalb meines Redemanuskripts etwas sagen. ({2}) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt enthält die in Zahlen ausgedrückte Politik der Bundesregierung und der sie stützenden Koalition. ({3}) Der Haushalt des Gesamtstaates Bundesrepublik Deutschland hat zugleich eine entscheidende Bedeutung für die Länder und ihre Gemeinden. Während in anderen bundesstaatlichen Ordnungen - etwa in den USA oder in der Schweiz - die Einzelstaaten bzw. Kantone ihre steuerlichen Einnahmen durch ihre Parlamente selbst festlegen, kann in der Bundesrepublik Deutschland kein Landtag über die Einnahmen des jeweiligen Landes entscheiden. Vielmehr beruht das gesamte Steuerwesen auf der Entscheidung der Bundesorgane, auch soweit reine Landessteuern betroffen sind. ({4}) Der Bundeshaushalt ist überdies kein zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz. Der Bundesrat hat also kein Vetorecht. ({5}) Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben deshalb eine besondere Verantwortung für die Finanzausstattung der Länder. ({6}) - Ich habe soeben schon gesagt, daß es kein zustimmungsbedürftiges Gesetz ist und der Bundesrat allenfalls nach vorheriger Einschaltung eines Vermittlungsverfahrens Einspruch einlegen könnte. Das hat es bis jetzt noch nicht gegeben. Zum Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder gibt es seit 1950 den zwischen ausgleichsberechtigten und ausgleichspflichtigen Ländern vorgenommenen Länderfinanzausgleich und seit 1967 Bundesergänzungszuweisungen. Nordrhein-Westfalen hat 30 Jahre lang insgesamt 11,267 Milliarden DM an die Länder Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Saarland und Bremen gezahlt. ({7}) - Sie haben es immer noch nicht gelernt, deshalb muß ich es mehrfach sagen. ({8}) Seit 1981 ist Nordrhein-Westfalen das einzige Bundesland, das weder Geber- noch Nehmerland ist. ({9}) Seit einiger Zeit wird Nordrhein-Westfalen durch Mitglieder der Bundesregierung und von Mitgliedern des Deutschen Bundestags in unverantwortlicher Weise geschmäht, es habe eine leichtfertige Verschuldungspolitik betrieben, ({10}) konsolidiere seinen Haushalt nicht und opponiere gegen die vorgenommenen und geplanten Steuersenkungen. ({11}) - Das habe ich nicht selbst gesagt. Wenn Sie das sogenannte Papier meinen, dann sage ich Ihnen: Das war ein Aktenvermerk, den ich geschrieben habe, den ich auch versandt habe. Sie können ihn auch gern bekommen. Da ist überhaupt kein Vergleich zwischen Nordrhein-Westfalen, Mexiko, Brasilien, Polen usw. gezogen. ({12}) Wir können auch keinen derartigen Vergleich anstellen. Nordrhein-Westfalen hat nicht eine einzige Auslandsverschuldung, die auf fremde Währung lautet, etwa auf Dollar. Insofern wäre der Vergleich völlig abwegig. Ich habe in einem ganz anderen Zusammenhang dieses Vermerks davon gesprochen, man sehe, wohin eine Zinsbelastung führe, wenn sie sich über Jahre hinaus vollziehe; das führe zu einem fehlenden Handlungsspielraum und zu dieser großen finanziellen Enge, in der sich die und die Länder - die habe ich dann aufgeführt - befänden. ({13}) Ich habe vor allen Dingen - das scheinen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben, weil Sie das Papier nicht kennen - die Gründe genannt, weshalb Nordrhein-Westfalen heute in einer unvergleichlich schwierigeren Lage ist als etwa in den 70er Jahren. ({14}) - Ich werde jetzt trotz aller Ihrer Zurufe die Vorwürfe widerlegen; dann haben Sie die Gelegenheit, das im Protokoll des Deutschen Bundestages einmal nachlesen zu können. Minister Dr. Posser ({15}) Kein anderes Land, meine Damen und Herren, hat einen so starken Strukturwandel erlebt wie Nordrhein-Westfalen. ({16}) Während in der Aufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg der Montanbereich eine dominierende Rolle spielte, haben sich gerade hier gewaltige Veränderungen vollzogen. Über 80% der 1958 vorhandenen Zechen mußten bis heute stillgelegt werden. Die Steinkohleförderung ging von 202,5 Millionen Jahrestonnen im Jahre 1958 auf 66,3 Millionen im Jahre 1984 zurück. Die Beschäftigtenzahl sank von 523 744 Personen auf 142 659 Ende 1984. Ähnliches hat sich in der Stahlindustrie vollzogen. Das heißt, im Montanbereich gingen über 500 000 Arbeitsplätze verloren. ({17}) Gleichzeitig ging der Anteil der Montanindustrie am Steueraufkommen in Nordrhein-Westfalen auf unter ein halbes Prozent zurück. Das sind die Fakten. Wenn Sie nun sagen, die Steuereinnahmen in Nordrhein-Westfalen sind unterdurchschnittlich, so ist das richtig. Wir bewegen uns genau im Bundesdurchschnitt. Woran liegt das? Es liegt zum Beispiel daran, daß, wie die Deutsche Bundesbank festgestellt hat, über ein Drittel aller Firmen in Nordrhein-Westfalen, die Gewinn gemacht haben, dennoch keine Steuern zahlen, weil sie Verlustvortrag in ihren Büchern haben. Ein anderer wichtiger Punkt, den Sie bei Ihren Verunglimpfungen gegenüber Nordrhein-Westfalen immer übersehen, ist, daß wegen der Industriegeschichte, die dieses Land gehabt hat, bei uns auch die größten Anstrengungen zum Umweltschutz gemacht werden müssen. ({18}) Die Umweltschutzinvestitionen sind - auch proportional - nirgendwo stärker als in NordrheinWestfalen. Das wollen wir ja politisch, und das ist ja gewünscht. Aber es hat den unvermeidbaren - und ich sage das ausdrücklich, weil es politisch gewünscht wird - Nebenerfolg, daß bei uns die Umweltschutzinvestitionen selbstverständlich Betriebsausgaben sind und sich damit gewinn- und steuermindernd auswirken. Man müßte eigentlich davon ausgehen, daß ein Land, das so unter dem geschilderten Strukturwandel wie kein anderes gelitten hat, ({19}) bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" besser behandelt würde. Das ist j a seit 1970 eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der gerade denen, die durch Strukturwandel betroffen sind, die gemeinschaftliche Hilfe zugute kommen sollte. Da sind wir auch stark benachteiligt worden, weil da nämlich eine qualifizierte Mehrheit der Länder erforderlich ist, nicht nur die elf Stimmen des Bundes, der Bundesregierung. Ich habe hier im Plenum am 28. Januar 1981 - noch in der Zeit der sozialliberalen Regierung - darauf hingewiesen, daß zum Beispiel 1980 - das war das letzte abgeschlossene Jahr vor dieser Rede - Nordrhein-Westfalen am Volumen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" mit 7,48 % beteiligt war, aber Rheinland-Pfalz mit 7,82 % und Bayern mit 22,79%. ({20}) Jetzt ist es nach vielen Bemühungen auch schon unter der alten Regierung ein bißchen besser geworden. Wir werden bei dieser Gemeinschaftsaufgabe aber gemessen an den Problemen, die objektiv vorhanden sind, und nach der Bevölkerungszahl ganz unproportional bedient. ({21}) - Herr Rau macht die Amtsgeschäfts als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, für die ihn die Bevölkerung mit 52,1 % gewählt hat. ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Minister Dr. Posser ({0}): Ich bin an eine feste Redezeit gebunden. Sie können Ihre Äußerung durch Zuruf machen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich bitte die Zurufe nicht noch zu verstärken, Herr Minister, wenn es geht. Minister Dr. Posser ({0}): Der Herr Bundesfinanzminister hat auch keine Zwischenfragen zugelassen. ({1}) Ich möchte Sie einmal mit den objektiven Problemen des Landes Nordrhein-Westfalen vertraut machen, für dessen Einnahmesituation Sie die Verantwortung tragen. Der Landtag kann das nicht ändern, obwohl er es möchte. Wir haben aus den geschilderten Gründen durchschnittliche Steuereinnahmen. Aber wir haben wie kein anderes Land Sonderlasten zu tragen. ({2}) Minister Dr. Posser ({3}) Sie, der Deutsche Bundestag, sind für unsere Einnahmen zuständig, nicht der Landtag. Das müssen Sie sich einmal vor Augen führen lassen. ({4}) - Nein, das gilt nicht für Bayern. Sie können sich nachher melden und das vortragen. Wir tragen Sonderlasten im gesamtstaatlichen Interesse, z. B. durch Kohle und Stahl, vor allen Dingen durch Kohle. 90% der Kohle liegt nun einmal in Nordrhein-Westfalen. Wir haben aus der Landeskasse für die Kohle über 12 Milliarden DM bezahlt. ({5}) Das macht seit 1978 jahresdurchschnittlich 1,1 Milliarden DM Landesmittel für die deutsche Steinkohle aus. Zu unserer großen Überraschung wird diese Sonderlast Nordrhein-Westfalens nirgendwo berücksichtigt, obwohl wir das immer wieder gefordert haben. Sie wissen, daß die Finanzverhältnisse zwischen Bund und Lädnern alle zwei, höchstens drei Jahre durch jeweilige Neufestsetzungen des Umsatzsteueranteils von Bund und Land ausgeglichen werden. Die Sonderlast Kohle, über 12 Milliarden DM aus der Landeskasse - kein anderes Land zahlt aus seiner Kasse einen Beitrag für die Kohle; das Saarland bekommt zu Recht einen Großteil vom Bund zurück; das haben wir nie beanstandet, das ist in Ordnung -, wird bei den Umsatzsteuerverhandlungen der Ländergesamtheit gutgeschrieben. Die anderen Länder partizipieren durch Mehreinnahmen an der Sonderlast des Landes Nordrhein-Westfalen. ({6}) Sie müssen sich das einmal vorstellen. ({7}) Natürlich bekommt Nordrhein-Westfalen davon 28%. Aber wir haben seit 1978 Jahr für Jahr 1,1 Milliarden DM Barauslagen. Ich meine, es ist ein Unding, daß diese Last Nordrhein-Westfalens bei der Berechnung der Umsatzsteuerneuverteilung den anderen Ländern zugute kommt. Die müssen doch geradezu ein Interesse daran haben, daß wir immer höhere Lasten haben. ({8}) Umgekehrt gibt es etwas Groteskes. Unser nördlicher Nachbar, Niedersachsen, bekommt eine bergrechtliche Förderabgabe auf Erdöl und Erdgas. Sie wird bei den Verhandlungen über die Festsetzung der Umsatzsteueranteile zwischen Bund und Ländern der Ländergesamtheit abgezogen. Weil die Niedersachsen in ihrer Landeskasse z. B. im abgeschlossenen Jahr 1984 2,004 Milliarden DM bergrechtliche Förderabgabe haben, bekommt Nordrhein-Westfalen Jahr für Jahr 300 Millionen DM weniger Umsatzsteueranteil, als es bekäme, wenn diese Sondervergünstigung nicht in der niedersächsischen Landeskasse wäre. ({9}) Wir haben den Streit in Karlsruhe beginnen müssen, weil es keine politische Einsicht in diese groteske Auswirkung gab. ({10}) Als alle politischen Verhandlungen um dieses Thema gescheitert waren - das muß man objektiv klären können -, sind wir zum Bundesverfassungsgericht gegangen. Seit Juni 1983 ist die Klage anhängig. Jetzt komme ich zum Stahl. Wir als Land können in Brüssel nicht verhandeln, und wir haben immer Verständnis dafür gehabt, daß sich keine Bundesregierung gegen die vereinigten Auffassungen von Großbritannien, Frankreich, Belgien und Italien durchsetzen kann. Das konnte die frühere nicht, und das kann die heutige Bundesregierung auch nicht. Weil die deutsche Stahlindustrie nicht mit den Staatskassen von Großbritannien, Frankreich, Belgien und Italien konkurrieren kann, hat man schließlich ein 3 Milliarden DM umfassendes Stahlhilfeprogramm aufgelegt. Der Bund hat erklärt: Ein Drittel davon müssen aber die Stahlländer tragen. Nun, an Stahlländern haben wir ein paar mehr als bei der Kohle. Bei der Kohle haben wir nur zwei, außer Nordrhein-Westfalen nur noch das Saarland. An Stahlländern gibt es einige mehr. Nur, 60 % der Stahlproduktion findet in Nordrhein-Westfalen statt. Selbstverständlich waren wir bereit, ein Drittel zu zahlen. Das ist eine weitere Sonderlast. Wir haben aus der Landeskasse 432 Millionen DM für den Stahl bezahlt, für eine Aufgabe, die doch der Gesamtstaat erfüllen muß. ({11}) Wir haben ja kein Standing in Brüssel. Aber wir haben das gemacht. Nun kommt wieder ein wichtiger Punkt: Wir haben in Wirklichkeit viel mehr als ein Drittel getragen, denn dieses Stahlhilfeprogramm bestand ja aus zwei Teilen, aus Zuschüssen und Zulagen. Wir haben aus der Landeskasse 432 Millionen an Zuschüssen gezahlt, und wir haben durch Stahlinvestitionszulagen Steuermindereinnahmen von 452 Millionen gehabt. Wir haben also durch Mindereinnahmen mehr zu tragen gehabt, als wir bar zu zahlen hatten. Mit anderen Worten, wir haben die Hälfte gezahlt, denn die Steuermindereinnahmen bei der Körperschaftsteuer werden je zur Hälfte von Bund und Land getragen. ({12}) - Ich sage das hier deshalb, weil Sie für unsere Einnahmen verantwortlich sind, nur Sie! ({13}) Minister Dr. Posser ({14}) Meine Damen und Herren, dennoch hat das Land Nordrhein-Westfalen konsolidiert, und ich will Ihnen jetzt die Zahlen nennen. ({15}) - Das ist ja nicht wahr! Ich werde es Ihnen jetzt einmal darlegen: Wir haben die Steueransätze im Haushalt ja nicht auf Grund von Schätzungen der Landesregierung, sondern auf Grund der Schätzung eines Arbeitskreises von Bund, Ländern, Gemeinden, Wirtschaftsforschungsinstituten usw. Auf der Basis der Annahmen, die aus dem Bundeswirtschaftsministerium gekommen waren, wurden uns im März 1980 die Steuern für die Jahre 1981 bis 1984 angekündigt. Das war natürlich geschätzt, und das war selbstverständlich auch mit einem Risiko behaftet. Diese Frühjahrsschätzungen beziehen sich immer auf vier Jahre, auf das laufende und die drei folgenden Jahre. Nun gab es einen Unterschiedsbetrag zwischen dem, was uns die Steuerschätzer im März 1980 für die Jahre 1981 bis 1984 angekündigt hatten, und dem, was wir bekommen haben. Das ist ein Minus von 27,6 Milliarden DM nur für Nordrhein-Westfalen! ({16}) - Aber nicht in dem Maße wie für uns! ({17}) Jetzt geht es weiter: Das Land hat keinen Einfluß auf seine Steuereinnahmen und mußte deshalb - ({18}) - Aber ich bitte Sie! Es ist doch eine Besonderheit unserer bundesstaatlichen Ordnung, daß wir Staaten haben - die Länder haben ja Staatscharakter -, die auf eine der beiden Seiten ihres Haushalts durch ihr Parlament überhaupt keinen Einfluß nehmen können. Das ist doch eine Besonderheit der Bundesrepublik Deutschland! ({19}) - Nein, das will ich nicht. Das hat damit gar nichts zu tun. Ihre Schlußfolgerung ist falsch. Deshalb konnte der Landtag nur auf einer der beiden Haushaltsseiten etwas tun, nämlich bei den Ausgaben. Wir haben eine starke Begrenzung der Ausgaben vornehmen müssen. Seit 1981, dem Jahr der höchsten Kreditaufnahme beim Bund und übrigens auch in Nordrhein-Westfalen, hat unser Land die Nettokreditaufnahme von 10,1 Milliarden auf 6,9 Milliarden DM abgesenkt, d. h. um 31,4 %. Der Bund konnte seine Kreditaufnahme in diesem Zeitraum von 37,39 Milliarden auf 28,3 Milliarden DM zurückführen; das ist eine Absenkung um 24,3 %. Dabei muß man zusätzlich berücksichtigen, daß der Bund in den Jahren 1981 bis 1984 über 35 Milliarden DM Bundesbankgewinn erhalten hat. Überhaupt hat ja die Bundesregierung geschickt den Eindruck, ich will nicht sagen, entstehen lassen, aber, soweit er durch Publikationen entstanden war, bestehen lassen, es sei ihr gelungen, die Schulden des Bundes zu verringern, ({20}) und nur einige Länder hätten ihre Schulden erhöhen müssen. Sie persönlich nicht, Herr Kollege Stoltenberg. Aber in der Öffentlichkeit werde ich immer darauf angesprochen, es sei eine großartige Leistung, daß die Schulden des Bundes jetzt so drastisch zurückgeführt worden seien. Die Leute verwechseln Senkung der Nettokreditaufnahme und Senkung des Schuldenstandes. In Wirklichkeit steigt doch die Schuldenlast in den vier Jahren 1983 bis 1986 um weit über 105 Milliarden DM, und dies, obwohl von 1983 bis 1986 ein Bundesbankgewinn von fast 48 Milliarden DM zur Verfügung gestellt wird. Ende 1985 haben wir eine Verschuldung des Bundes von 388,9 Milliarden DM. Mit Recht hat ein von mir sehr geschätzter Abgeordneter der FDPFraktion, der seit Jahren in dieser Richtung um Konsolidierung kämpft, gesagt: Wie können wir denn so tun, als hätten wir das Ziel schon erreicht? Wir sind noch weit davon entfernt, wir werden im nächsten Jahr beim Bund allein über 400 Milliarden DM Schulden haben. - Warum klagen Sie uns denn an, während wir eine solche Konsolidierungsanstrengung gemacht haben? Jetzt will ich Ihnen noch eine Zahl nennen. Wir haben unsere Ausgaben 1984 im Verhältnis zu 1981, also schon vor dem Regierungswechsel in Bonn, in drei Jahren um 2,8 % gesteigert. Das nächstbeste Land war Rheinland-Pfalz mit 6,3%. Der Bund hat in diesen Jahren eine Haushaltssteigerung von 7,9% gehabt. Wenn jemand sich solche Mühe gibt, dann müssen Sie schon mit diesen ständigen Verdächtigungen aufhören, wir würden leichtfertig Haushaltspolitik betreiben. ({21}) Lassen Sie mich jetzt noch etwas zu dem Kapitel Steuersenkungen sagen. Der Bund hat es da verhältnismäßig leicht. Der Bund zahlt von den Ausfällen der Steuerreform 1986/1988 nach offizieller Mitteilung des Bundesfinanzministeriums vom 6. November dieses Jahres - von 19,4 Milliarden DM Gesamtsteuerentlastungsvolumen 1986 bis 1988 - 42,5%, d. h. 8 240 000 000 DM. Diese 8 240 000 000 DM sind nur ein Teil, runde zwei Drittel, des Bundesbankgewinns von 12,5 Milliarden DM, der allein für 1986 mit hoher Sicherheit zu erwarten ist. Der Bund kann also seinen Anteil an den Steuerentlastungen bequem aus der nichtsteuerlichen Einnahme des Bundesbankgewinns tragen. Man könnte ja geradezu von einer Bundesbankfinanzierungsquote des Bundeshaushalts reden. ({22}) Und wir haben nichts. Minister Dr. Posser ({23}) Schon die bisher erfolgten Steuerrechtsänderungen des Bundes beeinträchtigen die Einnahmesituation der Länder und ihrer Gemeinden in besonderem Maße. Auf das Land Nordrhein-Westfalen alleine entfallen dadurch in den Jahren 1986 bis 1989 Mindereinnahmen von insgesamt 8 700 000 000 DM. Wenn diese Steuersenkung nun noch in einer Art erfolgte, die wir mitmachen könnten, die wir wirklich frohen Herzens unterstützen könnten - denn wir tragen mehr Ausfälle als der Bund; die Länder und Gemeinden tragen 57,5 % und haben keinen Bundesbankgewinn -, dann wird es natürlich durch die Verteilung der Steuerentlastung für uns außerordentlich schwierig, dem zuzustimmen. Ich will Ihnen ein einziges Beispiel nennen. Ein kinderloses Ehepaar - es gibt mehr kinderlose Ehepaare als Ehepaare mit Kindern - mit einem zu versteuernden Jahrseinkommen von 36 000 DM zahlt 6 060 DM Lohn- oder Einkommensteuer. Es bekommt eine Entlastung von 144 DM im Jahr, zwölfmal zwölf DM. Ein kinderloses Ehepaar mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 260 000 DM - das ist unsere Preislage, Herr Bundesfinanzminister - zahlt 115 900 DM, zahlt 19,13mal soviel wie von einem Jahreseinkommen von 36 000 DM beim kinderlosen Ehepaar gezahlt wird. Selbstverständlich bin ich mit Ihnen einig, daß einer, der so viel Geld verdient, auch entsprechend mehr entlastet werden muß, mehr als um 144 DM. Das ist doch klar. Der wird um 7 330 DM entlastet. Das heißt, dieses kinderlose Ehepaar mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 36 000 DM zahlt nicht ganz ein Zwanzigstel dessen, was das kinderlose Ehepaar mit 260 000 DM Jahreseinkommen zu zahlen hat. Die Steuerlast ist bei dem hochverdienenden nicht ganz zwanzigmal höher. Aber die steuerliche Entlastung ist um 50,9mal höher als bei dem anderen. ({24})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter? Minister Dr. Posser ({0}): Nein, ich lasse keine Fragen zu. ({1}) - Wenn Sie die Zahlen beanstanden: Kommen Sie rauf, widerlegen Sie sie. Sie sind nach dem Steuertarif, den der Bund festsetzt, ermittelt. Das sind überprüfte Zahlen. Im Bundeshaushalt 1986 werden mehr als 1,7 Milliarden DM an Bundesergänzungszuweisungen für einige Länder ausgewiesen. Über den Haushalt entscheiden Sie in dieser Woche endgültig. Über das Siebente Änderungsgesetz zum Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, das die Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen für die Jahre 1986 und 1987 regelt, werden Sie in der nächsten Woche zu befinden haben. Seit Juni 1983 schwebt der Streit vor dem Bundesverfassungsgericht über den bundesstaatlichen Finanzausgleich, insbesondere über Volumen und Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen. Mir ist unverständlich, wie der Deutsche Bundestag in Kenntnis der diesem Rechtsstreit zugrundeliegenden Problematik und in Kenntnis der derzeitigen Finanzkraftverhältnisse der Länder eine Neuregelung der Bundesergänzungszuweisungen beschließen soll, die nicht nur verfassungspolitisch, sondern verfassungsrechtlich aufs äußerste fragwürdig ist. Denn wenn Sie dem Entwurf der Bundesregierung folgten, würden Sie einem finanzstarken Land 1986 und 1987 insgesamt über 600 Millionen DM geben, gleichzeitig dem finanzschwachen Saarland einige Millionen abnehmen und Nordrhein-Westfalen unberücksichtigt lassen, obwohl nach dem aktuellen Zahlenmaterial Nordrhein-Westfalen sowohl 1985 als auch 1986 eine geringere Finanzkraft besitzt als der Freistaat Bayern, der wie in allen Jahren seit 1967 auch 1986 und 1987 Bundesergänzungszuweisungen erhalten soll. Das ergibt sich aus der Zwischenabrechnung für den Länderfinanzausgleich zum 30. September 1985 und aus der Steuerschätzung für das Jahr 1986 vom 12. November dieses Jahres. Auf der Basis dieses Zahlenmaterials, das im Bundesministerium der Finanzen zusammengestellt worden ist, ist Bayern, das ab 1. Januar 1950 35 Jahre lang ununterbrochen von anderen Bundesländern, darunter 30 Jahre lang auch von Nordrhein-Westfalen Ausgleichszahlungen erhalten hat, ab 1985 ausgleichspflichtiges Land im Länderfinanzausgleich, kommt damit nach seinem eigenen Vorschlag beim Bundesverfassungsgericht tatbestandsmäßig nicht mehr als Empfängerland für Bundesergänzungszuweisungen in Frage, während andererseits Nordrhein-Westfalen diese tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllt, aber keine Bundesergänzungszuweisungen erhalten soll. ({2}) Wie soll diese ungleiche Behandlung denn gerechtfertigt werden? Und dabei sind die Sonderlasten Nordrhein-Westfalens überhaupt noch nicht berücksichtigt. ({3}) Hinzu kommt, daß die Bundesregierung trotz besseren Wissens die hohen Förderzinseinnahmen insbesondere des Landes Niedersachsen bei der Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen völlig unberücksichtigt läßt, obwohl die Bundesregierung in der Bundestagsdrucksache 9/2067, Seite 3, bald nach dem Regierungswechsel im Oktober 1982 erklärt hatte - und nun zitiere ich -: daß sich die Finanzkraftverstärkung einzelner Länder durch bedeutsam angestiegene Förderzinseinnahmen auch bei der Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen niederschlagen muß. Wir warten jetzt seit über drei Jahren darauf, daß dieser Erklärung der Bundesregierung auch Taten folgen. ({4}) Und jetzt wird über weitere Steuersenkungen geredet, die für die nächste Legislaturperiode angekün13404 Minister Dr. Posser ({5}) digt werden. Da werden Größenordnungen von 38 Milliarden bis 50 Milliarden DM genannt. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben doch nun wirklich Verbündete, die Ihnen zur Seite stehen. Sie haben doch am vorigen Donnerstag, am 21. November dieses Jahres, eine Sitzung des Finanzplanungsrates erlebt. Da war nichts abgesprochen. Ich wußte nicht, was der baden-württembergische Finanzminister oder niedersächsische Finanzminister sagen würde. Das wußte ich nicht. Die haben Ihnen doch alle gesagt: Das geht nicht mit einem solchen Volumen. Der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank hat gesagt - es ist ja keine vertrauliche Sitzung gewesen -: Sie dürfen auf keinen Fall kompensieren bei den Verbrauchsteuern, insbesondere nicht bei der Mehrwertsteuer. Er hält es für extrem ({6}) gefährlich, wenn das geschieht. Er hat das auch ausgeführt. Wenn Sie schon unbedingt auf Einnahmen verzichten wollen, dann doch bitte nicht zu Lasten der Länder, die sich dagegen nicht wehren können. ({7}) Benutzen Sie uns als natürliche Bundesgenossen. Nun will ich noch auf ein paar Bemerkungen eingehen; denn Nordrhein-Westfalen hat in den letzten Sitzungen des Deutschen Bundestages eine große Rolle gespielt. Heute haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, auch einige Punkte genannt. Sie meinten, allein im größten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, komme es offensichtlich nicht zu einer echten Verstärkung des Städtebaus. Ich habe bei einem meiner Rechtslehrer an der Universität gelernt: Wo „offensichtlich" steht, steht immer etwas Unbewiesenes. Und das, was Sie sagen, ist unbewiesen. ({8}) Es ist natürlich keine Rede davon. Vielmehr haben Sie nicht den neuesten Informationsstand, Herr Kollege Stoltenberg. Selbstverständlich stellt das Land die Komplementärmittel zur Verfügung. Der Bund hat ja einen Verfügungsrahmen, der nur aus sehr wenigen Barmitteln und sehr vielen Verpflichtungsermächtigungen besteht. Das beanstande ich gar nicht. Nur, die 30 Millionen DM Komplementärmittel des Landes werden gestellt. Unsere Landesmittel allein betragen mehr als das Sechsfache dessen, was der Bund für diesen Zweck gibt. Wenn Sie sagen, wir hätten um eine Fristverlängerung gebeten, dann ist das sicher richtig. Das stimmt. ({9}) Das hat unser zuständiger Minister beim Wohnungsbauminister gemacht. Das hängt damit zusammen, daß bei uns Anträge von Gemeinden eingegangen sind. Es wurde nämlich überall herumerzählt, jetzt komme der große Geldregen: Jetzt könnt ihr alles das bauen, was seit 20 Jahren nicht berücksichtigt werden konnte. Anmeldungen mit einem Volumen von weit über 4 Milliarden DM sind bei uns eingegangen. Die müssen natürlich geprüft werden. Das ist nicht so leicht möglich. ({10}) Deshalb haben wir folgendes gemacht. Wir haben eine Ausnahmeregelung mit Zustimmung des Haushalts- und Finanzausschusses getroffen, daß jetzt schon der Baubeginn erfolgen kann. So fortschrittlich sind ja nur ganz wenige Länder. ({11}) Sie haben zweitens gesagt, jede Steuerentlastung müsse verdient werden. Dabei hätten Sie auch auf die Argumente und ernsten Probleme der finanzschwachen Bundesländer zu achten. Wir können das nur hoffen. Wir sind zu jedem Gespräch bereit. Wir sind fest davon überzeugt, daß wir nicht nur nach den herkömmlichen Regeln im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs bereits einen hohen Anspruch haben, sondern daß dieser Anspruch insbesondere dann noch weit größer wird, wenn man unsere Sonderlasten berücksichtigt. Schließlich noch eine Bemerkung zu einem Hinweis von Ihnen. Sie haben sich noch einmal energisch dagegen gewehrt, daß Schleswig-Holstein als ein hochverschuldetes Land bezeichnet wird. Sie haben gesagt, zusammen mit unseren Gemeinden stünden Sie bei der Pro-Kopf-Verschuldung mit am günstigsten da, also nicht in der Spitzengruppe. Verehrter Herr Kollege Stoltenberg, zum 31. Dezember 1984 betrug die Kreditmarktverschuldung des Landes Schleswig-Holstein - des Landes! - pro Einwohner 4 799 DM. Das sind Ihre Unterlagen. 4 799 DM! Die Nordrhein-Westfalens betrug pro Einwohner 3 970 DM. ({12}) Und nun kommt das Entscheidende: NordrheinWestfalen hatte Sonderlasten zu tragen, hat keine Mark bekommen aus dem Länderfinanzausgleich und von den Bundesergänzungszuweisungen. Schleswig-Holstein hat bis 1985 13 787 000 000 DM bekommen, pro Einwohner 5 268 DM. ({13}) Das habe ich nie beanstandet. Sie werden nie von mir eine Rede hören und haben auch von meinen Vorgängern nie eine Rede dagegen gehört, in den ganzen 30 Jahren nicht, in denen wir an SchleswigHolstein und Rheinland-Pfalz gezahlt haben. Das war für uns alle selbstverständlich. Aber das dürfen Sie doch nicht verschweigen, wenn Sie sich jetzt da so hochloben. ({14}) Verehrter Herr Kollege Stoltenberg, nun müssen Sie doch mal die Einwohnerzahlen miteinander vergleichen. Schleswig-Holstein hatte nach amtlicher Statistik per 31. Dezember 1983 - neuere Zahlen Minister Dr. Posser ({15}) habe ich nicht - 2 617 000 Einwohner, NordrheinWestfalen 16 837 000. ({16}) Vergleichen Sie das einmal miteinander. Ich sage, das kann man nicht, weil Sie in den vergangenen Jahren natürlich viel schlechter dran waren; ({17}) deswegen haben wir ja auch zahlen müssen. Aber damit mal eine Größenordnung sichtbar wird, um was es da geht, will ich Ihnen sagen: ({18}) Wenn ich die 13,787 Milliarden, die Schleswig-Holstein aus dem Länderfinanzausgleich und aus Bundesergänzungszuweisungen erhalten hat, auf Nordrhein-Westfalen umrechne, wären das 88,7 Milliarden DM. Und unsere Kreditmarktverschuldung am 31. Dezember 1984 betrug 66,6 Milliarden DM. ({19}) Auch so muß man die Dinge einmal sehen. ({20}) In Nordrhein-Westfalen gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die sagen: Die Bundesregierung will dem Land Nordrhein-Westfalen aus parteipolitischen Gründen Schaden zufügen. ({21}) Das ist nicht meine Meinung. Nein, das ist nicht meine Meinung. Ich widerstehe dem auch. Aber ich sage zugleich als Mahnung, Herr Bundesfinanzminister: In der Politik entscheidet letztlich nicht das, was man tun will, sondern das, was man tut. ({22}) Und die Benachteiligung Nordrhein-Westfalens ist wirklich für jeden nachweisbar gegeben. ({23}) Da ist man schnell bei der Hand mit dem Vorwurf an die nordrhein-westfälische Regierung, besonders ihren Finanzminister: Versager, Kurpfuscher. ({24}) Ich weiß, das Nachdenken ({25}) ist so unsagbar mühsam, daß die meisten Menschen vorziehen, gleich zu urteilen. ({26}) Und sie werden um so schneller zum Verurteilen bereit sein, je weniger sie über die Tatsachen wissen und nachgedacht haben. Ich wollte einen Beitrag zu diesem Nachdenken liefern, weil in erster Linie Sie für die Einnahmeseite des Landes Nordrhein-Westfalen und der übrigen Länder verantwortlich sind. Ich danke Ihnen. ({27})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben, Herr Minister Posser, für die besonderen Probleme des Landes Nordrhein-Westfalen - Sie haben sie angesprochen - durchaus Verständnis. Und ich habe Verständnis dafür, daß Sie sich darum bemühen, im Rahmen des Länderfinanzausgleichs eine Besserstellung zu erreichen. Ob das allerdings sinnvollerweise über einen Verfassungsgerichtsstreit geht, lasse ich dahingestellt. Nur, Herr Posser: Das, was Sie mehrmals, auch zum Schluß, gesagt haben, nämlich daß der Deutsche Bundestag für die Einnahmepolitik des Landes Nordrhein-Westfalen verantwortlich ist, ist wohl richtig. Aber Sie sind für die Ausgabenpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen verantwortlich. ({0}) Da zitiere ich aus Ihrem eigenen Brief: „Weitere Hauptursachen sind in sonstigen Mehrausgaben zu suchen, die wir als sozialdemokratisch geführte Regierung und Fraktion aus politischer Überzeugung in der Vergangenheit auf uns genommen haben, aber in diesem Umfang nun nicht mehr durchhalten können." Das ist Ihre Ausgabenpolitik. Und die hat zu der Lage in Nordrhein-Westfalen geführt. ({1}) Dafür gibt es ja genug Beispiele. Sie erinnern sich noch an die Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen und deren Kosten. Sie erinnern sich an den Klinikumbau in Aachen, dieses „Rausoleum" für Milliarden, das da aufgeführt worden ist. Und Sie haben eine Wirtschaftspolitik betrieben, die nicht dafür gesorgt hat, daß für Arbeitsplätze, die verloren gingen, Ersatz geschaffen wurde durch Ansiedlung mittelständischer Betriebe mit neuen Arbeitsplätzen. Nein, Sie haben eine Wirtschaftspolitik betrieben, die diese Unternehmen aus dem Lande gescheucht hat. Das ist die Schwäche Nordrhein-Westfalens! ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. ({0}) Herr Posser, kommen Sie nicht hier her und halten Sie eine Entschuldigungsrede für sozialdemokratische Politik in Nordrhein-Westfalen, sondern betreiben Sie eine Entschuldungspolitik, wie wir sie in Bonn betrieben haben. ({1}) Wir kennen das ja: Wenn man über die Finanzen Nordrhein-Westfalens spricht, dann sagt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, er betrachte sich das in fideler Resignation. Er soll einmal hierher kommen, uns seine fidele Resignation demonstrieren und hier sagen, was in Nordrhein-Westfalen geschieht. ({2}) Schließlich und endlich, meine Damen und Herren: Niemand im Hause, niemand in der Koalition - Herr Kollege Posser, zweimal haben Sie das behauptet - beteiligt sich an einer Verunglimpfung Nordrhein-Westfalens. ({3}) Wir kritisieren sozialdemokratische Mißwirtschaft in Nordrhein-Westfalen, und das ist etwas ganz anderes. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lambsdorff, das, was Sie soeben getan haben, war nur belanglos. Das war keine Antwort auf das, was Herr Posser gesagt hat; da hätte ich mehr erwartet. Aber das, was Sie, Herr Stoltenberg, gesagt haben, war schon interessant. Sie haben hier gesagt, daß die Arbeitslosigkeit - trotz des sich verstärkenden Aufschwungs - in den nächsten Jahren die größte Herausforderung bleibe. Das heißt: Ich habe recht gehabt, wenn ich gesagt habe, daß Sie sich mit dem Problem der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik für längere Zeit abgefunden haben. ({0}) Sonst könnten Sie das so nicht bestätigen. Herr Stoltenberg, ich mache mich - um darauf noch einmal und das letzte Mal einzugehen - ja auch nicht darüber lustig, daß Sie sich als Historiker ihren wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstand in einem Schnellkurs bei Herrn Krupp in Kiel angeeignet haben. Ich mache mich darüber, wie gesagt, nicht lustig, aber Sie sollten sich auch nicht darüber lustig machen, daß es die Universität Bremen gibt, die ich sehr schätze. Ich finde es unverschämt, die Universität Bremen auf die Art und Weise, wie Sie es hier getan haben, zu diskriminieren. Sie sollten sich beim Präsidenten der Universität Bremen dafür entschuldigen. ({1}) Ansonsten mache ich Sie zum letzten Mal darauf aufmerksam, daß ich zwar früher einmal an der Universität Bremen sehr gern gearbeitet und dort auch viel gelernt habe, aber dort nicht herkomme und dort auch zur Zeit nicht mehr arbeite. Ich bin es leid, schlichtweg leid, daß eine strukturschwache Region, die zur Zeit eine unterfinanzierte strukturschwache Universität hat, auf diese Art und Weise auch noch lächerlich gemacht werden soll; das ist ungerecht. Ich lade Sie hiermit gern ein, an die Universität Bremen zu kommen. Stellen Sie sich dort der Auseinandersetzung mit den Professoren für Ökonomie. Ich bin gespannt, wirklich gespannt, ob Sie diese Einladung, diese Herausforderung annehmen. Ich bin mir sicher, daß auch der Präsident der Universität Bremen diese Einladung mit unterstützt, um dem Ruf der Universität Bremen auch in öffentlicher Art und Weise gerecht zu werden. ({2}) So, dies erst einmal, damit das endlich klar ist. Jetzt zu Herrn Posser. Sie sprechen vom Umweltschutz, von den hohen Umweltbelastungen in Nordrhein-Westfalen. ({3}) Sie sagen, der Umstand, daß es dort sehr viele Sonderlasten gebe, sei historisch bedingt; das ist richtig. Nur, diese Sonderlasten im Bereich der Umwelt in Nordrhein-Westfalen sind natürlich das Produkt jahrzehntelanger sozialdemokratischer Regierungspolitik, ({4}) die den Umweltschutz immer vernachlässigt hat. Das sollte man dann, bitte schön, auch sagen, um klarzumachen, wer denn die Verantwortung für diese Sonderlasten trägt. ({5}) Ein letzter Satz zu dem, was hier mein Hauptthema war: Ich hatte erwartet, daß von seiten der Regierung auf den Skandal, nämlich daß nur 0,6 % für den Umweltschutz ausgegeben werden, wenigstens eingegangen wird. ({6}) Wenn es hier offensichtlich so ist, daß Sie, Herr Stoltenberg, es nicht als notwendig ansehen, dieses Ergebnis der Haushaltsdebatte zu rechtfertigen, wenn Sie noch nicht einmal das tun, dann gehe ich allerdings davon aus, daß wir von dieser Regierung in Sachen Umweltschutz in Zukunft überhaupt nichts mehr zu erwarten haben. Wenn Sie dann noch 45 Milliarden DM Steuergelder einsparen wollen, verschenken wollen, dann wird das bedeuten, daß für ökologische Problemlösungen noch weniger Geld zur Verfügung steht. Das wird das Ergebnis Ihrer Steuerschenkungspolitik sein. Das wird der Bereich sein, an dem Sie sparen wollen. Das ist das große Problem, das wir damit haben, wenn Sie den Wahlkampf auf der Ebene von Steuergeschenken führen wollen, ohne zu sagen, wo Sie einsparen wollen. Diese Art von Wahlkampf wird auf ein großes Desaster für die Umwelt hinauslaufen. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie darauf aufmerksam maVizepräsident Frau Renger chen, daß sich die Unterlagen für die nachher stattfindenden Wahlen des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs in Ihren Pulten befinden bzw. noch verteilt werden. Es handelt sich um Wahlausweise und Stimmkarten. Ich bitte Sie, damit sorgsam umzugehen; denn wenn diese Unterlagen in Ihren Papieren verschwinden, stehen sie nachher beim Wahlgang nicht mehr zur Verfügung. Die Wahlen finden erst gegen 17 Uhr statt. Ich teile dies mit, damit jeder Bescheid weiß und sich darauf einstellen kann. Wir treten jetzt in die Mittagspause ein und setzen die Beratungen um 14 Uhr fort. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Meine Damen und Herren, wir setzen die Aussprache über die Einzelpläne 08, 32, 60, 20 sowie die Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses betreffend den Finanzplan des Bundes 1985 bis 1989 fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hackel.

Dr. Wolfgang Hackel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer mit Interesse und Aufmerksamkeit die bisherige Haushaltsdebatte verfolgt, muß feststellen, daß die SPD doch in recht arger Bedrängnis ist. ({0}) Das verwundert natürlich niemanden; denn die Erfolge der Regierung einerseits, die Kopflosigkeit der Opposition andererseits und die überall greifbare Stimmungslage, der Stimmungsumschwung, der in der Bevölkerung nun einmal zu erkennen ist, haben durchaus ihre Wirkung. ({1}) Dies ist sogar bei Herrn Posser klargeworden. ({2}) So muß ein solch großes Land wie Nordrhein-Westfalen einen Finanzminister herschicken, um hier im Bundestag Klagen über die Einnahmen des bislang finanzstärksten Landes in der Bundesrepublik Deutschland zu führen. So weit sind wir gekommen. ({3}) Man stelle sich das einmal vor! Ich entnehme der Rede von Herrn Posser, daß Herr Rau die Absicht hätte, im Falle eines Wahlsieges, was ja ({4}) so gut wie ausgeschlossen ist, die Steuern zu erhöhen. Anders ist das doch nicht zu erklären; ({5}) denn die Ausgaben, die offensichtlich bisher im Übermaß in Nordrhein-Westfalen geflossen sind, sollen in diesem Sinne weiter fließen, ohne daß eine entsprechende Deckung da ist. So einfach, meine Damen und Herren von der Opposition, können Sie es sich natürlich nicht machen. ({6}) Weil Sie die Entwicklung der letzten Jahre nicht wahrhaben wollen, diese aber nun einmal so sehr schön ist, möchte ich noch einmal die wichtigsten Dinge herausheben. Der öffentliche Haushalt zeichnet sich wie in den vergangenen Jahren durch Solidität und durch die Fortsetzung der Konsolidierung über geringere Ausgabenzuwächse aus. Bei einem Ausgabenvolumen von 263,5 Milliarden DM beträgt die Steigerungsrate 2,2% und liegt damit erheblich unter der Steigerung des Bruttosozialproduktes. ({7}) Folgerichtig wird, wie schon 1983, 1984 und 1985, auch im Jahre 1986 die Nettoneuverschuldung - auf 23,66 Milliarden DM in diesem Jahr - zurückgeführt, und diese Zahl, meine Damen und Herren, bekommt dann den richtigen Stellenwert, wenn wir uns noch einmal vergewissern, daß vor drei Jahren von einer Nettoneuverschuldung von 55 Milliarden DM ausgegangen werden mußte, die uns die Sozialdemokraten hinterlassen haben. Dieses muß einmal ins Verhältnis gesetzt werden. ({8}) Aber sparsame Haushaltsführung und die Verringerung öffentlicher Verschuldung sind im Gegensatz zur Annahme so mancher SPD-Kollegen nicht Werte an sich, sondern sie haben sehr wesentliche, ganz reale Ziele, z. B. Senkung der Inflationsrate, Erhöhung der Realeinkommen für die Bürger, Einleitung und Absicherung wirtschaftlichen Aufschwungs und damit Senkung der Arbeitslosenquote. ({9}) Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Die Inflationsrate liegt in diesem Jahr bei nur 1,7% bis 1,8%. Davon können Sie nur träumen. ({10}) Das Realeinkommen der Bürger ist in den Jahren 1984/85 um 20 Milliarden DM angestiegen. Die gesamtwirtschaftliche Produktion zeigt in diesen Jahren eine Steigerung von 2,5 % auf. Der Sachverständigenrat geht in seinem Jahresgutachten davon aus, „daß 1986 wieder ein gutes, vielleicht sogar ein noch besseres Jahr als 1985 werden wird". Meine Damen und Herren, damit können wir arbeiten. ({11}) Auch der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist gestoppt worden. Da gibt es überhaupt nichts gesundzubeten. Das sagt immerhin das Gutachten aus; auch die Zahlen weisen es aus. Sie brauchen die Zahlen nur nachlesen, Sie müssen sie nur lesen können. ({12}) In dem Gutachten steht z. B., daß in diesem Jahr 200 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind, obwohl die Arbeitnehmer in stärkerem Maße als Anfang der 80er Jahre auf den Arbeitsmarkt drängen. Auch für 1986 werden 300 000 zusätzliche Beschäftigtenplätze prognostiziert; einige Institute gehen sogar davon aus, daß es 330 000 sein werden. Das ist eine Entwicklung, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, die Sie selbst dann nicht totreden können, wenn Sie noch so viel schwarzmalen; da können Sie tun oder lassen, was Sie möchten. ({13}) Wenn wir hier schon von Beschäftigung und Beschäftigten reden, so möchte ich ein ganz konkretes Beispiel aus dem hier in Rede stehenden Einzelplan 08 herausgreifen. Ich habe im vorigen Jahr von dieser Stelle aus darauf hingewiesen und somit öffentlich gemacht, daß die Koalitionsfraktionen den festen Willen haben, eine Verbesserung der Stellensituation in der Zollverwaltung zu bewirken. Was wir vor einem Jahr sehr vorsichtig versprochen haben, können wir heute als ein eingelöstes, als ein erfülltes Versprechen bezeichnen. Auch darin unterscheiden wir uns von der Opposition. Unser Ziel und unser Wunsch war es, Stellenbewegungen und Stellenhebungen im mittleren und gehobenen Dienst der Zollverwaltung zu erreichen. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Im nächsten Jahr werden wir 584 Hebungen in den Besoldungsgruppen A 7 bis A 12 vornehmen. Es kommen auch noch andere Bereiche hinzu, z. B. die Bundeswehrverwaltung, das Bundeskriminalamt zur Bekämpfung von Rauschgiftdelikten; wir werden 284 Stellenhebungen im BGS sowie im nachgeordneten Bereich des Auswärtigen Amtes durchführen. Insgesamt stehen 1 404 Planstellen zur Debatte, ohne oberste Bundesbehörden, ohne oberste Bundesgerichte; auch der höhere Dienst ist ausdrücklich ausgenommen. Das ist eine beachtliche Leistung. Wenn Sie sagen: Endlich kommen auch Sie - nämlich wir, die Koalition - dazu, die niedrigeren Einkommen zu beachten und sie anzuheben, dann sagen wir voller Stolz: Jawohl, in nur drei Jahren Regierungsverantwortung ist uns dieser erste Durchbruch gelungen. Wir haben etwas für die Hausmeister, für die Boten, für die Sachbearbeiter, für die Schichtleiter und für die Poststellenleiter getan, wozu Sie in 13 Jahren nicht in der Lage waren; Sie haben noch nicht einmal davon gesprochen. ({14}) Das macht wirklich soziale Politik aus.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wieczorek?

Dr. Wolfgang Hackel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr, Herr Kollege.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte.

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hakkel, Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Ihre Aktivität einer Aktivität der sozialdemokratischen Gruppe im Haushaltsausschuß nachgeschaltet war, daß wir von uns aus versucht haben, das Unrecht der vergangenen Jahre wiedergutzumachen, und daß wir die Aktion, die Sie jetzt als alleinige Leistung für die Regierung reklamieren, gemeinsam durchgeführt haben?

Dr. Wolfgang Hackel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wieczorek, Sie haben just in dem Moment, in dem Sie die Regierungsverantwortung verloren hatten, solche Anträge - z. B. im Haushaltsausschuß - eingebracht. ({0}) Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wenn wir so etwas anpacken, dann verwirklichen wir das auch und reden nicht nur darüber. ({1}) Daß Sie uns dabei unterstützt haben, steht völlig außer Rede. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Leistungen des Bundes für Berlin sagen. Mit 11,6 Milliarden DM schlägt die Bundeshilfe für Berlin 1986 zu Buche. Das ist eine Steigerung gegenüber 1985 um 2,7 %. Diese Steigerung ist somit um 0,5 % höher als die Steigerung des Bundeshaushalts insgesamt. Bemerkenswert dabei ist aber die Tatsache, daß trotz dieser Steigerung der Anteil des Bundes an der Finanzierung des Berliner Landeshaushalts gegenüber den Vorjahren gesunken ist. Auch wenn der Anteil über 50 % beträgt - er beträgt insgesamt 52,4 % -, ist er doch immer noch sehr hoch. Dennoch läßt sich ablesen, daß in Berlin das eigene Steueraufkommen wächst, daß damit die Einnahmen aus eigenen Mitteln steigen, daß durch eine seriöse Haushaltspolitik das „Faß ohne Boden" gegen ein „Faß mit Boden" ausgetauscht werden konnte und der Berliner Wirtschaft neue Impulse gegeben worden sind. Das wird, meine Damen und Herren, auch an einem anderen Punkt deutlich, der hier bei uns im Bund immer wieder eine Rolle spielt: Das ist die Frage des Fluggastaufkommens in Berlin. Im Jahre 1985 hat sich dieses Fluggastaufkommen um 9 % erhöht. Diese außerordentlich erfreuliche Zahl spiegelt nicht nur die positive Entwicklung im touristischen Bereich wider, sondern sie spiegelt auch eine Entwicklung im Geschäftsverkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin wider. Sowohl die Bundesregierung als auch der Berliner Senat gehen davon aus, daß dieser Trend anhält und sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird. Aus diesem Grund hat der Haushaltsausschuß den Entwicklungen Rechnung getragen und die Zuschüsse für den Luftreiseverkehr aus dem übrigen Bundesgebiet nach Berlin um 5 Millionen DM auf 104 Millionen DM erhöht. In diesem Zusammenhang - das wird insbesondere die bayerischen Kollegen interessieren - steht die Tatsache, daß wir im Haushaltsausschuß für dieses Jahr von insgesamt 148 Millionen DM 76 Millionen DM für die Grunderneuerung der Teilstrecke der Autobahn Berlin-Hirschberg bereitgestellt haben. Auch dieses ist ein Teil der Arbeit, die die Bundesregierung in kontinuierlicher Zusammenarbeit und vom konkreten Objekt ausgehend mit der DDR leistet. Das kommt auch Berlin zugute. Es ist andererseits auch ein Beweis des Vertrauens des Bundes in die Leistungsfähigkeit und in die Lebensfähigkeit der Stadt Berlin. ({3}) Aber Berlin, meine Damen und Herren, lebt nicht nur von den finanziellen Hilfen des Bundes, sondern die Stadt gründet ihre wiedergewonnene Vitalität in viel größerem Maße auf die Solidarität aller Bürger in der Bundesrepublik einerseits und auf die Sympathie der Deutschen in der DDR andererseits. Dies ist eine Grundvoraussetzung - wenn Sie so wollen: ein Essential - der Deutschland- und Berlinpolitik. Aus diesem Grunde appellieren wir an alle Institutionen und Organisationen, an alle Verbände und gesellschaftlichen Gruppen, an alle, die sich in Richtung auf die DDR oder osteuropäische Länder bewegen, den Berlin-Aspekt nicht zu vernachlässigen. Das gilt für die Wirtschaft wie für die Gewerkschaften, für Parteien wie für Bürgerinitiativen; das gilt für Sportverbände und für Jugendorganisationen. Das gilt auch für die deutschen Städte und Gemeinden. Umgehen Sie, meine Damen und Herren, die Sie in den Städten und Gemeinden Verantwortung tragen, nicht die Beschlüsse des Deutschen Städtetages selbst, die Berlin betreffen. Suchen Sie Verständigung mit den Partnern in West und in Ost, aber handeln Sie bitte nicht auf Kosten Berlins, und isolieren Sie die Stadt nicht auf kaltem Wege. Wenn darauf Verlaß ist, bleibt richtig: Solange in Bonn und in Berlin die Unionsparteien die Regierung führen, ({4}) solange die Solidarität der Bürger in der Bundesrepublik mit Berlin aufrechterhalten wird, solange in Bonn und Berlin ein vertrauensvolles und vor allem ein berechenbares Verhältnis zu den westlichen Alliierten besteht, so lange braucht sich niemand um die Zukunft und um die Sicherheit der Stadt ernsthaft Sorgen zu machen, ({5}) sondern so lange wird es so rasant wie in den letzten vier Jahren mit dieser Stadt und damit mit einem Hoffnungsträger für alle Deutschen in diesem Lande weitergehen. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf vielleicht im Rahmen dieser Debatte doch einmal an die historische Entwicklung erinnern. Wie kam es eigentlich dazu, daß der Glaube entstanden ist, der Staat könne durch seine Nachfragepolitik die Konjunkturzyklen gestalten, er könne sozusagen alles Wünschbare machen? Das hat bei den Bürgern dazu geführt, vom Staat eben auch alles Gewünschte und scheinbar Machbare zu fordern. ({0}) Es war doch Ende der 60er Jahre in der Großen Koalition, als seinerzeit Plüsch und Plum - Strauß und Schiller - das Stabilitäts- und Wachstumgsgesetz eingeführt haben und die leichte Depression im Konjunkturzyklus, die seinerzeit vorhanden war, durch Nachfragepolitik des Staates ausgeglichen haben. ({1}) - Ich entziehe mich nicht der Verantwortung der FDP, ich schildere das. Das war so und wird durch Karl Schiller jetzt bestätigt, der kürzlich in einer Rede - das können Sie in der FAZ vom 23. November dieses Jahres nachlesen - über die Grenzen der Wirtschaftspolitik gesprochen hat. ({2}) Ich zitiere wörtlich: Nachdem die Nachfragepolitik in der Bekämpfung der Rezession von 1967 in der Bundesrepublik mit raschem Erfolg angewendet worden war, wurde sie in den siebziger Jahren, besonders in der zweiten Hälfte, auch international nicht mehr unter den ihr adäquaten Voraussetzungen betrieben. Expansive Nachfragepolitik war unter den Bedingungen von Angebotsschocks - wie der Ölverknappung - und tiefgreifenden Strukturwandlungen in der Tat nicht angemessen. ({3}) Das ist ein Beispiel dafür, wie sich aus einer anfangs gut angelegten politischen Entwicklung in veränderten Zeiten falsche Auswirkungen ergeben können. Ich will hier ganz deutlich darauf hinweisen, es kann sich in diesem Hause keiner - außer den GRÜNEN, die damals nicht existent waren - aus der Verantwortung stehlen; ({4}) denn die vielen Ausgabenprogramme und Steueränderungsgesetze, die in den 70er Jahren von der sozialliberalen Koalition beschlossen worden sind, ({5}) sind vom Bundesrat jeweils zustimmend zur Kenntnis genommen bzw. durch zusätzliche Leistungen des Staates im Vermittlungsausschuß aufgefüllt worden. ({6}) - Durch die damalige Bundesratsmehrheit. Das heißt, diese Politik ist von allen Seiten dieses Hauses betrieben worden. Die Frage ist nur: Wer hat dann die richtige Schlußfolgerung daraus gezogen, als klar wurde, daß diese Politik in eine Sackgasse führen mußte? ({7}) Ich darf daran erinnern, daß die FDP, insbesondere mein Kollege Hoppe, bereits in der dritten Lesung des Haushalts 1979 eine Tendenzwende in der Haushaltspolitik angemahnt hat. Bei der ersten Lesung des Haushalts 1980 warnte er davor, daß bei der damals aufgelaufenen Staatsverschuldung ein gefährliches Potential erreicht wurde, das mit einer tickenden Zeitbombe vergleichbar war. Meine Damen und Herren, die Bombe ist ja dann am 17. September 1982 explodiert, als nämlich die alte Koalition endete, weil die notwendigen Korrekturen in der Haushalts- und Finanzpolitik nicht mehr mit den Sozialdemokraten durchgeführt werden konnten. ({8}) Das ist Tatsache, und so war die Entwicklung. Ich weise noch einmal ganz deutlich darauf hin, daß damals die FDP das Risiko - auch das Risiko ihrer eigenen Existenz - auf sich genommen hat, ({9}) um eine neue Haushalts- und Finanzpolitik möglich zu machen. ({10}) Die Voraussetzung dazu haben wir mit dem Eingehen der neuen Koalition geschaffen und sind infolgedessen natürlich dem Finanzminister dankbar, daß er die Gelegenheit ergriffen ({11}) und eine vernünftige, auf lange Zeit ausgerichtete Haushalts- und Finanzpolitik in die Wirklichkeit umgesetzt und damit die Voraussetzung für die guten Zahlen geschaffen hat, die wir j a schon heute ablesen können.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen. Meine Damen und Herren, das ist das Entscheidende, daß diese stetige Finanzpolitik mit Perspektive - und das hat Herr Apel heute morgen gefordert - seit 1982 betrieben wird und in so kurzer Zeit doch schon Erfolge zeitigt. Es wird darauf ankommen, daß diese Politik fortgesetzt wird, und zwar konsequent und nachhaltig. Denn wir haben die Problemzonen noch nicht verlassen. Die Nettoneuverschuldung ist immer noch zu hoch. Sie wird zwar durch die hohen Bundesbankgewinne gemindert. Das muß man anerkennen. Aber es können auch Zeiten kommen, in denen diese Bundesbankgewinne nicht mehr oder zumindest nicht mehr in dieser Höhe zur Verfügung stehen. Das heißt also, die Haushaltspolitik muß weiterhin äußerst diszipliniert betrieben werden, um Freiräume zu schaffen, damit die öffentlichen Hände wieder investiv tätig werden können, um Freiräume für weitere Zinssenkungen und für Investitionen der privaten Wirtschaft, aber beispielsweise auch der Hausbauer zu schaffen. Das ist nur erreichbar, wenn der Staatsanteil weiterhin zurückgeführt wird. ({0}) Die Deutsche Bundesbank hat den Finanzminister und die Koalition durch eine vernünftige Geldmengensteuerung begleitet. Jedoch muß man darauf achten, daß nicht zu starke deflatorische Entwicklungen stattfinden können. Deflatorische Einflüsse haben wir heute durch sinkende Rohstoffpreise und sinkende Agrarpreise festzustellen. Deshalb sollte die Bundesbank - das sagt auch der Sachverständigenrat - in den nächsten Jahren die Leine etwas lockerer lassen. Meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat hat die Politik dieser Regierung breit bestätigt. Ich will einige Zahlen wiederholen. Sie sind schon vier- oder fünfmal genannt worden. Aber sie sind so schön, daß man sie wiederholen muß. Die Beschäftigtenzahl wird in den Jahren 1985/86 um eine halbe Million steigen. Wer hätte das gedacht - vor dem Hintergrund, daß die Beschäftigtenzahl zwischen 1972 und 1982 um rund anderthalb Millionen zurückgegangen ist? Die Arbeitslosenzahl geht nur langsam zurück. Sie kennen die Gründe. Jedoch ist die Zahl der Kurzarbeiter von 1,3 Millionen auf nur noch 125 000 drastisch gesunken. Das Wirtschaftswachstum ist angelaufen. Die Außenhandelsbilanzüberschüsse sind größer denn je. ({1}) Das heißt also, es ist außer bei der Arbeitslosenzahl wenig zu wünschen übriggeblieben. Was ist die Politik der Opposition in diesem Moment? Ich habe mir die Mühe gemacht, im Entwurf des Wirtschaftsprogramms der SPD nachzulesen, welche Vorschläge steuerpolitischer und finanzpolitischer Art sie macht. Ich darf aus diesem Katalog einiges vorlesen: Ergänzungsabgabe für Besserverdienende, ({2}) Rückgängigmachung der von der Koalition beschlossenen verkürzten Abschreibungsfristen für Wirtschaftsgebäude und der Senkung der Vermögensteuer, ({3}) aktive staatliche Kapitallenkung durch Einführung einer Investitionsrücklage, steuerliche Diskriminierung von Geldvermögensanlagen, im Rahmen von „Arbeit und Umwelt" Einführung einer Sondersteuer auf den Verbrauch von Strom, Erdgas und Mineralölprodukten sowie auf umweltbelastende Produktionsverfahren, ({4}) quasi Quellensteuer für Zinseinkünfte ({5}) durch die Einführung von Kontrollmitteilungen, teilweise Abschaffung des Ehegattensplitting, ({6}) drastische Reduzierung der Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, ({7}) und dies, um den Grundfreibetrag und die untere Proportionalzone zu erhöhen. Darauf setzt der Kollege Spöri dann noch den I-Punkt, indem er sich an die Popularität von Boris Becker anhängt und nun versucht, ({8}) Kapitalflucht aus der Bundesrepublik durch gesetzliche Maßnahmen in den Griff zu kriegen, obwohl er natürlich wie alle anderen weiß, daß die Kapitalflucht in einem Land mit völlig freier Währung, ({9}) mit freien Wechselkursen, in einem Land, aus dem jährlich 20 Millionen Bürger ins Ausland reisen, so nicht in den Griff zu bekommen ist. ({10}) Sie können sie nur durch eine vernünftige, langfristig angelegte vertrauensbildende Wirtschafts- und Finanzpolitik ({11}) und eine Politik der Steuersenkung in den Griff kriegen. Wenn Sie diese betreiben, werden die Investoren aus aller Welt bereit sein, in der Bundesrepublik zu investieren. ({12}) Meine Damen und Herren, die Opposition hat in der Finanz- und Steuerpolitik nichts gelernt. Das muß man einfach zur Kenntnis nehmen. Die Hauptprobleme des Steuersystems der Bundesrepublik liegen in zwei Punkten: in der unangemessen hohen Besteuerung der gewerblichen Einkünfte - durchschnittlich 70% - und in der übertrieben hohen Steuerbelastung der Leistungsträger der Gesellschaft; das sind die Facharbeiter, die Angestellten, die Ingenieure, die Bauarbeiter. Die Leute, die die eigentliche Leistung bringen, werden mit der höchsten Steuerprogression belastet. Das muß abgebaut, hier müssen die Steuern gesenkt werden. ({13}) Die FDP hat im Sommer in der Öffentlichkeit Vorschläge zur Steuerpolitik vorgelegt. Wir wollen das Steuersystem entscheidend vereinfachen, durchsichtiger machen, gerechter machen, aber auch die Steuerbelastung in allen Bereichen drastisch senken, und zwar angefangen bei der Besteuerung des Existenzminimums, wo wir heute viel zu niedrige Freibeträge haben, über den Tarifverlauf, wo wir die Steuerprogression durch einen geradlinigen, linear steigenden Tarif stark beschneiden wollen und müssen, bis hin zum Spitzensteuersatz, der unter 50 % liegen sollte, weil 50 % die psychologische Grenze sind, an der die Bürger nicht mehr bereit sind, freiwillig Steuern zuzahlen. Darüber hinaus geht es um die Entlastung der Unternehmen durch Abbau der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuer sowie durch Abbau der Vermögensteuer auf Betriebsvermögen. Meine Damen und Herren, wir wollen dafür ein Volumen von über 40 Milliarden einsetzen und wollen dies weitgehend durch Abbau von Subventionen finanzieren. ({14}) - Moment! Ich gebe hier ganz offen zu, daß diese Koalition und die Regierung im Bereich des Subventionsabbaus eine Bringschuld haben. Es ist nicht das erreicht worden und nicht das getan worden, was wir alle uns gewünscht hätten. Um so dringender ist es, daß wir dies in der nächsten Legislaturperiode tun, aber deutlich mit der Absicht, nicht die Kassen des Staates besser zu füllen, sondern dem Bürger, dem Steuerpflichtigen, mehr Geld in seiner Tasche zu belassen; denn er muß das j a zunächst erwirtschaften. Das geht eben nur, indem man einen drastischen Subventionsabbau mit einer drastischen Steuersenkung verbindet. Dann wird das von den Bürgern, von den Betroffenen, auch akzeptiert werden. ({15}) Meine Damen und Herren, die FDP freut sich darüber, daß es auf seiten des Koalitionspartners - in Bayern wie in Bonn - ähnliche Entwicklungen gibt, daß ähnliche Tendenzen zu verzeichnen sind. ({16}) Ich sehe in dieser dann gemeinsamen Steuerpolitik für die nächste Legislaturperiode eines der wesentlichen Bindeglieder dieser Koalition. ({17}) Ich bin zuversichtlich, daß die Bürger das ebenfalls so sehen werden und daß sie nicht auf die Steuerpolitik der Sozialdemokraten hereinfallen werden, die nur darin besteht, Steuern zu erhöhen und den Neidkomplex bei den Bürgern anzuregen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich als schleswig-holsteinischer Bundestagsabgeordneter zunächst einige wenige Sätze zu den Ausführungen sage, die Herr Posser hier zum Vergleich zwischen Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen meinte machen zu müssen. Da ich die Zahlen mitgebracht habe - ich wußte, daß das wieder kommt -, kann ich sagen, daß keine einzige Zahl von denen, die Herr Posser hier vorgetragen hat, gestimmt hat. ({0}) Ich darf das an ganz konkreten Zahlen nachweisen: Nehmen wir einmal die Verschuldung im Lande Nordrhein-Westfalen - Land plus Gemeinden - im Jahre 1984: 6 700 DM pro Einwohner. Im Vergleich dazu Schleswig-Holstein: 6 300 DM, also 400 DM weniger als in Nordrhein-Westfalen. Wenn Sie noch den Vergleich innerhalb der letzten Jahre hinzunehmen, ist eindeutig, daß Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen Ländern zurückgefallen ist. Ich nenne jetzt absolute Zahlen, weil Herr Posser hier offensichtlich Äpfel mit Birnen verwechselt hat: Schleswig-Holstein ist mit 13 Milliarden verschuldet, Nordrhein-Westfalen mit 74 Milliarden. ({1}) - Ja, natürlich! Oder nehmen Sie das Städtebauförderungsgesetz. Herr Posser sprach von Komplementärmitteln in der Größenordnung von 30 Millionen. Jeder weiß aber, daß allein das Land Nordrhein-Westfalen vom Bund 200 Millionen erhält. ({2}) Und dann Komplementärmittel von 30 Millionen? Das kann ja wohl nicht richtig sein. Nun vielleicht noch etwas zur Investitionskraft der Gemeinden in Schleswig-Holstein: Im Jahre 1985 werden die schleswig-holsteinischen Gemeinden für 100 Millionen DM mehr investieren als im Jahre 1984. Das spricht wohl kaum' dafür, daß sich die finanzielle Situation der Gemeinden verschlechtert hat. Demgegenüber betätigt sich Herr Rau als Milliarden-Klau. Eine Milliarde nimmt er den Kommunen im Finanzausgleich 1986 weg, und er bringt seinen Anteil bei den Städtebauförderungsmitteln nicht auf. Bisher gibt es ja dazu nur Erklärungen. Wenn man da die Sonderlasten aufführt, könnte natürlich jedes Land seine eigenen Sonderlasten, Schleswig-Holstein z. B. die Werftsituation, andere Länder andere Sonderlasten, aufführen. Es ist nicht redlich, so zu argumentieren. Offensichtlich war Herr Posser hier nur hergeschickt, weil sein Vorturner kneift. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal anknüpfen und deutlich machen, wie die finanzielle Situation, die Verschuldungssituation tatsächlich aussieht. Geordnete Staatsfinanzen sind die wichtigste Voraussetzung für eine gesunde Wirtschaft. Das kann man gar nicht oft genug sagen, weil den Bürgern nur eine begrenzte Steuerlast zuzumuten ist. Wer eine gute Politik für Arbeitnehmer, Mittelstand und Industrie machen will, muß dies berücksichtigen. Und dagegen hilft keine neuerliche Verschuldung, weil sie nur vorübergehend den Handlungsspielraum erweitert. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das an einem kleinen Beispiel deutlich machen. Ich habe hier in der Hand einen 50-Milliarden-MarkSchein der Reichsbank, 50 Milliarden Mark, ausgestellt vor 62 Jahren, etwa am gleichen Tag wie heute. Dafür konnte man genau ein halbes Brot kaufen. Das zeigt doch wohl, daß Inflationspolitik, Verschuldungspolitik unsozial ist, unsoziale Politik ist. ({4}) Lassen Sie mich die Entwicklung der Neuverschuldung kurz noch einmal am Beispiel der Kreditaufnahme deutlich machen. Wir haben eine Bruttokreditaufnahme, die im nächsten Jahr noch einmal ansteigen wird, und zwar deshalb, weil wir die unheimlichen Tilgungen aus kurzfristigen Krediten, die Ihre Finanzminister aufgenommen haben, aufbringen müssen. Aber die Nettokreditaufnahme sinkt weiter. Ich bin davon überzeugt, daß sie im Jahre 1986 die magische Zahl von 20 Milliarden DM im Ist erreichen wird - magische Zahl deshalb, weil das bedeutet, daß um diesen Betrag der Anteil des Staates steigen kann, ohne daß deswegen der Anteil der Verschuldung am Bruttosozialprodukt größer wird. Ich sage, 20 Milliarden DM sind im nächsten Jahr im Haushaltsvollzug erreichbar. Sparsame Ausgabengestaltung bedeutet also auch sinkenden Kreditbedarf. Während Helmut Schmidt im Jahre 1982 noch 47 Milliarden DM neue Schulden machen mußte, einschließlich Bundesbankgewinn - das scheint ja ein neues Lieblingsthema von Ihnen zu werden -, werden es im nächsten Jahr 13 Milliarden DM weniger sein. Unsere Politik hat eine spürbare Zinssenkung zur Folge gehabt. Das spüren Hausbesitzer, das spüren Unternehmer, das spüren Kontoüberzieher, das spüren Autoverkäufer, das spüren die Rentner. ({5}) - Die Sparer auch, weil eine solide Politik die Inflation vermeidet. Die Sparzinsen liegen immer noch über der Inflationsrate; das ist das Entscheidende dabei. Heute liegen die Zinskosten für den Bund bei öffentlichen Anleihen um 5 % unter den Zinsen vor fünf Jahren. 5 % niedrigere Zinsen! Man kann sich kaum vorstellen, was das an Kaufkraft bedeutet. In diesem Jahr sanken die Zinsen weiter deutlich, und dieser Trend hält an. Die Regierung Kohl-Stoltenberg ist die Partei sinkender Kreditzinsen, ({6}) und jedes Jahr weniger Kredite bedeutet natürlich auch weniger Zinsen, die wir nicht aus dem Haushalt zu bezahlen brauchen. Das heißt, der Investitionsanteil kann größer werden. Lassen Sie mich noch etwas zur Berücksichtigung des Bundesbankgewinns sagen, weil das, wie gesagt, ein neues Thema von Ihnen werden soll. Es ist natürlich falsch, daß Sie sagen, bei uns ist das eingerechnet, und deswegen fällt die Verschuldung nicht ab. Ohne Bundesbankgewinn hätte Helmut Schmidt in seinem letzten Regierungsjahr 47,7 Milliarden DM neue Schulden gemacht. 1986 werden es 13 Milliarden DM weniger- sein. Und da behauptet der Kollege Apel noch, die Verschuldung sei zu hoch, obwohl er zweimal Artikel 115 der Verfassung gebrochen hat. Dem kann man eine einfache Rechnung gegenüberstellen: Der Schuldenberg der Regierung Schmidt - der Monte Sozi - kostet den Steuerzahler vom 1. 1. 1983 bis zum 31. 12. 1986, also verteilt auf die Zeit dieser Legislaturperiode, 103 Milliarden DM Zinsen. ({7}) Jetzt ist die Frage: Wie sieht es mit der Nettoneuverschuldung aus? Man kann doch diese Legislaturperiode in etwa überblicken. Ich gehe davon aus: Wir werden in dieser Legislaturperiode etwa 102 Milliarden DM neue Schulden machen, d. h. 1 Milliarde weniger, als wir brauchen, um nur die Zinsen für den Schuldenberg Ihrer Regierung zu finanzieren. Mit anderen Worten: Jede Mark Neuverschuldung dieser Regierung hat die Regierung Schmidt verschuldet. Oder noch anders ausgedrückt: Diese Regierung arbeitet kostendeckend, ({8}) kostendeckend deshalb, weil Kredite nur aufgenommen werden müssen, um den Schuldendienst für die von Ihnen aufgenommenen Kredite zu finanzieren. Lassen Sie mich das auch an der Zahl der unvorhergesehenen Mehrausgaben deutlich machen ({9}) - auch ich glaube, das ist zu schwer -, die in diesem Haushalt für soziale Leistungen, für Leistungen für die Familie, für Steuersenkungen eingeplant werden. Wenn man das alles, was in der mittelfristigen Finanzplanung nicht vorgesehen war, einmal addiert, ergibt das einen Gesamtbetrag von 12,5 Milliarden DM. Ziehe ich das bei der Nettoneuverschuldung ab, komme ich auf 10 Milliarden DM neue Schulden, die wir machen müßten, wenn wir nicht in diesem Umfang neue Aufgaben übernommen hätten, um Politik in unserem Land tatsächlich auch zu gestalten. Eine zukunftsorientierte, erfolgversprechende Finanzpolitik heißt auch, das Wachstum der Staatsausgaben zu begrenzen, Finanzsalden in öffentlichen Haushalten weiter abzubauen und die Steuern zu senken. Nur so werden wir den Handlungsspielraum, den wir brauchen, für weitere Aufgaben gewinnen. Meine Damen und Herren, in den letzten drei Jahren sind wir mit den finanzpolitischen Aufräumungsarbeiten schon ein gutes Stück vorangekommen. Die Bundesausgaben nahmen nur um 2 % zu. Die sparsame Haushaltsführung von Bund, Ländern und Gemeinden hat schon jetzt erreicht, daß jährlich 36 Milliarden DM weniger durch die öffentlichen Kassen fließen, 36 Milliarden DM, über die die Bürger unseres Landes zusätzlich in freier Entscheidung selbst verfügen können. ({10}) Diese Entwicklung belegt einmal mehr, wie falsch und töricht das Gerede von der „Politik für die Reichen" ist. ({11}) Die Unternehmen sind Teil des Wirtschaftssystems, das letztlich allen Bürgern dient. Verbesserte Rahmenbedingungen für unternehmerische Initiativen und Investitionen bedeuten deshalb zunächst und vor allem mehr Wohlstand für alle, die am Erfolg der Unternehmen teilhaben. Das sind auch Kleinaktionäre, ({12}) aber das sind auch die Mitarbeiter der Firmen, die sinnvoll und erfolgreich arbeiten. Meine Damen und Herren, in diesem Sinne wollen wir weiterarbeiten. In diesem Sinne darf ich Sie um Zustimmung zu unserer Finanzpolitik, zum Einzelplan 32, bitten. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Wieczorek.

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Austermann, bei Ihrer Zahlenspielerei habe ich nur darauf gewartet, daß Sie irgendwann im Plus gewesen wären. ({0}) Das hätte mich angesichts Ihrer Eigenschaft als Berichterstatter für den Einzelplan 32, der „Bundesschuld" heißt, doch sehr gewundert. Diese Zahlenspielereien, Herr Kollege, können wir alle anstellen, und ich werde heute mit Ihnen einige anstellen. Es kommt immer nur darauf an, welche Zeiträume man sich aussucht. Sie vergleichen einmal ein Jahr mit einer Legislaturperiode, dann vergleichen Sie zwei Legislaturperioden, und dann konsumieren Sie schlicht und einfach das, was die frühere Regierung schon mal mitgemacht hat. Können wir uns nicht darauf verständigen, daß wir nur Zahlen vergleichen, die vergleichbar sind? Sonst kann sich der Bürger draußen im Lande doch überhaupt kein Bild von dem machen, was Sie hier an Zahlenfriedhof hinterlassen. ({1}) Ich werde mich darum schlicht und einfach auf den Planungszeitraum konzentrieren, den wir jetzt vor uns haben, also den Zeitraum bis 1989. Und ich werde den Zeitraum dazunehmen, in dem Sie begonnen haben, die Verantwortung in diesem Land zu übernehmen. Und dann sollten wir abwägen, wie das mit den Schulden auf der einen Seite und auf der anderen Seite ist, und dann sollten wir uns auch klarwerden, was Konsolidierung eigentlich ist. Darüber unterhalten wir uns dann heute morgen, nein: Wieczorek ({2}) heute nachmittag. - Ich war eigentlich auf heute morgen programmiert. ({3}) Lassen Sie mich zunächst aber feststellen: Johannes Rau ist heute nicht hier. Aber er wird selbstverständlich in einer Debatte des Bundestages reden. ({4}) Und wenn Sie einmal richtig nachgucken, werden Sie sehen, daß auch der jetzige Bundeskanzler Kohl in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident nie in einer Haushaltsdebatte hier geredet hat. Die Haushaltsdebatte ist etwas für Leute, die sich als Insider mit den Dingen beschäftigt haben. - Das hat uns der Herr Kohl doch sehr gut vorgemacht. Darum lassen Sie also dieses Geschwätz! ({5}) Herr Posser kann ebenfalls nicht hier sein, weil er gerade versucht, als Ländervertreter gemeinsam mit unseren Kollegen im Vermittlungsausschuß ein Gesetz konform zu bekommen. Also auch da keinerlei Probleme. Ich muß Ihnen aber nach wie vor sagen, daß Ihr Haushalt, den Sie vorgelegt haben, Herr Friedmann, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einfach nicht ernst genug nimmt - das wiederhole ich -, daß die Bundesregierung Versprechungen macht, die sie später nicht einhalten kann, daß sie der Bevölkerung vorgaukelt, wir lebten in einer heilen Welt. Ungerechtigkeiten sind nach der Vorstellung dieser Regierung „Randprobleme", mit denen man noch lange und gut leben kann. Es sind „Randprobleme", die Ihnen lästig sind und mit denen Sie sich auch nicht ernsthaft auseinandersetzen wollen. Auch der vierte Haushalt in Ihrer Verantwortung wird den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen nicht gerecht. Trotz der auch von uns begrüßten positiven Entwicklung der Konjunktur sind immer noch über 2,2 Millionen Menschen ohne Arbeit. Dazu kommen noch die Arbeitslosen aus der stillen Reserve, die ja nicht mitgezählt werden. Auch hier wollen Sie noch einmal beginnen, eine Zahlenmanipulation vorzunehmen. Man kann nicht über Statistiken Arbeitslose von der Straße bringen, sondern man muß ihnen schon Arbeit verschaffen. Wie alle Sachverständigen in diesem Land erwarten, wird sich durch die Politik dieser Bundesregierung auf diesem Gebiet überhaupt nichts ändern. ({6}) Wir Sozialdemokraten lehnen den Kurs dieser Bundesregierung ab; denn für uns steht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an erster Stelle. ({7}) Das haben auch die fünf wirtschafswissenschaftlichen Institute in ihrem Herbstgutachten gefordert, und das fordert der Sachverständigenrat, der so oft zitiert wird, in seinem jüngsten Jahresgutachten. ({8}) Die Bundesregierung hat derweil nichts anderes zu tun, als sich an Eigenlob zu berauschen, Wachstum, niedrige Preise und die weitere wirtschaftliche Entwicklung hochzuloben und von den wahren Problemen abzulenken. ({9}) Wenn der Bundeshaushalt in der jetzigen Form verabschiedet wird, werden die investiven Ausgaben 1986 um 800 Millionen DM zurückgehen. ({10}) Diese 800 Millionen DM weniger tragen zu Ihrer hausgemachten Arbeitslosigkeit bei. ({11}) Wären Sie unseren Vorschlägen von vornherein gefolgt, wäre nicht nur nicht die Kürzung um 800 Millionen DM zustandegekommen, sondern 1 Milliarde DM für weitere, zusätzliche Investitionen beschlossen worden. Damit wäre wiederum für 50 000 Menschen Arbeit beschafft worden. Und reden Sie nicht davon, daß das nur vorübergehend wäre! Jeder Bauarbeiter arbeitet nur vorübergehend. Wenn sein Bauwerk fertig ist, ist seine Arbeit insoweit beendet. Reden Sie nicht davon, daß über Beschäftigungsprogramme keine nachhaltige Wirkung erzielt werden könne! Fragen Sie doch einmal die Bauarbeiter, ob sie lieber unter Ihrer Regie Arbeitslosengeld beziehen oder auf Grund eines sozialdemokratischen Beschäftigungsprogrammes Arbeit haben, die noch dazu sinnvoll ist. ({12}) Das ist genauso eine fadenscheinige Diskussion wie die, die über den Subventionsabbau geführt wird. Ich will nicht wiederholen, was dazu gesagt wurde. Herr Minister Stoltenberg, Sie werden der Subventionsminister dieser Republik sein. Sie kündigen Einsparungen an und erhöhen so kräftig, wie es keiner Ihrer Vorgänger jemals getan hat. ({13}) - Was er erhöht hat? Die Kokskohlenbeihilfe? Er hat die Anteile für die Großbauern erhöht, für die landwirtschaftlichen Fleischfabriken. Dahin ist das Geld geflossen. Herr Kollege, machen Sie nicht so dumme Zwischenbemerkungen. ({14}) Ich würde mich jetzt eigentlich noch gerne mit den Steigerungsraten des Bundeshaushaltes beschäftigen. Ich will das nicht tun. Ich sage Ihnen nur: Die Steigerungsrate beträgt nicht 2,2 %, sie beträgt 1,6 %. Als seriöser Finanzminister sollte man sich wirklich beherrschen und nicht zu einem Trick greifen. Ich kann nicht in einem Jahr einen Posten als Ausgabe einsetzen - wie die EG-Leistungen Wieczorek ({15}) und sie bei der Steigerungsrate mitrechnen und dann im anderen Jahr, wenn es mir nicht gefällt, diesen Posten wieder herausnehmen und dann eine neue Steigerungsrate errechnen. Herr Finanzminister, das ist unseriös ({16}) und intellektuell unredlich. Hier wird dem deutschen Volk Sand in die Augen gestreut. Das haben Sie, wenn man Ihr normales Auftreten bewertet, doch eigentlich gar nicht nötig. Oder sollte sich dahinter doch etwas mehr verbergen, als Sie uns bisher gesagt haben? Zahlenmanipulationen darf sich ein Finanzminister an keiner Stelle erlauben. An keiner Stelle! Das darf kein Finanzminister. Herr Stoltenberg, Sie manipulieren hier Zahlen, indem Sie dem Bundestag andere Zahlen nennen; Zahlen die Sie haben wollen. Ich kann nicht mit Indexzahlen arbeiten und da und dort etwas verstecken. Vergleichen Sie die richtigen Zahlen miteinander. Dann können wir uns darüber unterhalten. ({17}) Manipulation oder gewolltes Am-Parlament-Vorbeijonglieren ist für mich auch die Frage bei Ihren Haushaltsresten, die Sie immer bilden. Überlegen wir uns doch einmal, meine Kollegen - jetzt schließe ich den Herrn Finanzminister mal aus -, was in den letzten drei Jahren eigentlich passiert ist. Der Bundesfinanzminister hat 1983 6 1/2 Milliarden DM weniger Ausgaben als geplant ausgegeben. Da kann man eigentlich sagen: Hervorragend. Er hat 1984, 5,4 Milliarden weniger ausgegeben, als wir beschlossen haben. Und er hat 1985 wieder rund 2 Milliarden DM Minderausgaben. Feiern Sie das bitte nicht als einen Erfolg! Hier wird Ihr Wille, den Haushalt zu fahren, nicht vollzogen. Er spart an Stellen ein, wo wir im Grund genommen die Mittel brauchen, um sie der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen, um damit Arbeit zu schaffen. Das kann man nicht als Erfolg feiern, sondern das geht am Haushalt, am Parlament vorbei. Denn solche Haushaltsreste darf man nicht bilden, sondern hier muß man sauber und ordentlich arbeiten. Wenn wir das Ganze vor dem Hintergrund sehen, was wir an Beschäftigungsprogrammen und im Programm „Arbeit und Umwelt" als Finanzierung gefordert haben und was Sie unter dem Gesichtspunkt „Es wäre ja richtig; aber wir haben kein Geld dafür!" zurückgewiesen haben und wir nicht durchsetzen konnten, und wenn wir dann auf einmal sehen, wieviel im Haushalt bleibt, dann ist das gegenüber der deutschen Wirtschaft und den arbeitenden Menschen in diesem Land nicht zu verantworten. ({18}) Ich komme damit zum Thema Konsolidierung, Herr Bundesfinanzminister. Die Sozialdemokraten haben schon 1981 begonnen, den Bundeshaushalt auf eine neue Basis zu stellen. Auch wir haben seinerzeit schon sehr schmerzhafte Eingriffe vornehmen müssen. Diese Konsolidierung - das hat der Sachverständigenrat bestätigt - wird von Herrn Dr. Stoltenberg fortgesetzt. Aber was hat er daraus gemacht? Für 1983 hat er die Vorschläge der sozialliberalen Koalition aus dem Jahr 1982 in der Größenordnung von immerhin über 9 Milliarden DM zum Großteil übernommen, verschärft und noch drauf gesattelt. Und was bei ihm auf Grund der Einsparungen ab dem Jahr 1984 übrigblieb, hat er in andere Bereiche umgeleitet. Und hier setzt unsere eigentliche Kritik ein. Denn wo ist dieses Geld geblieben? Der Herr Bundesfinanzminister hat umverteilt, umverteilt an Unternehmen und an die deutschen Großbauern, wie ich es Ihnen eben schon gesagt habe. ({19}) Damit hat er die soziale Ausgewogenheit und den sozialen Anstand verletzt, Herr Kollege Glos. ({20}) Er hat durch soziale Unbarmherzigkeit dazu beigetragen, den sozialen Frieden in unserem Land zu stören. ({21}) Er hat diesen wichtigen Produktivfaktor, nämlich den sozialen Frieden, ernsthaft gefährdet. Wer den sozialen Frieden nicht als einen Produktivfaktor ansieht, der hat nicht beide Füße auf der Erde, sondern er guckt aus einem Wolkenkuckucksheim auf die Erde.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter!

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Für Zwischenfragen habe ich keine Zeit, Herr Kollege Glos. Wir können das dann hinterher irgendwann klären. Sozialdemokraten sagen: Nur Gerechtigkeit kann sozialen Frieden schaffen. Ich wende mich nun einem anderen Bereich zu, der hier ebenfalls besprochen werden muß, nämlich den längerfristigen Aspekten der Haushaltspolitik dieses Bundesfinanzministers. Ich versuche, diese Finanzpolitik durchsichtiger und vielleicht auch intellektuell etwas redlicher zu machen. Ich bediene mich dabei der Argumentation dieser Bundesregierung. Ich will versuchen, abzuklopfen, was Propaganda und was Wirklichkeit ist. Ich sage nicht „Werbung", sondern ich sage bewußt „Propaganda", und ich meine das so. Die erste Frage. Baut die Regierung eigentlich wirklich Schulden ab? Senkt die Regierung tatsächlich die Steuern, und schenkt sie den Bürgern 20 Milliarden DM mit der angeblich größten Steuerreform aller Zeiten? Begrenzt die Bundesregierung den staatlichen Ausgabenanstieg auf 3 % und senkt damit den Staatsanteil? Das Durcheinanderwerfen von Milliarden-Größenordnungen, Herr Kollege Austermann, bei den Steuersenkungen und Prozentsätzen bei den Ausgaben löst - eine für mich beabsichtigte - Verwirrung aus. ({0}) Wieczorek ({1}) Richtig muß es nämlich heißen: Der Bundesfinanzminister hat die Schulden des Bundes mit dem Haushalt 1986 seit seinem Amtsantritt, also von 1983 bis 1986, um 108 Milliarden DM erhöht. ({2}) Nach dem neuen Finanzplan, über den wir uns gerade unterhalten, wird die Verschuldung des Bundes bis zum Ende der Planungsperiode gegenüber 1982 - darauf haben wir uns ja verstanden - um 181 Milliarden DM steigen. Meine Damen und Herren, ich wiederhole das: In der Zeit, die Herr Dr. Stoltenberg hinter sich hat ({3}) und die er vorher geplant hat, werden die Schulden des Bundes um 181 Milliarden DM steigen. ({4}) Hier wird nichts zurückgeführt, sondern die Zahlen steigen an. ({5}) Die Propaganda, daß der Bundesfinanzminister Schulden abbaut, ist falsch; der Schuldenberg wächst. Für die neuen Schulden, die diese Regierung seit 1983 zu verantworten hat, werden allein 1989 mehr als 11 Milliarden DM Zinsen zu zahlen sein, ({6}) also für Ihre Schulden, die Sie in dieser Zeit gemacht haben, und nicht etwa für die, die Sie übernommen haben. Wenn Sie den Bundesbankgewinn noch eliminieren, dann werden es 16 Milliarden DM sein - das, was Sie da vorhin in dem Zusammenhang gesagt haben, Herr Austermann, ist nicht zutreffend -, die diese Bundesregierung dem deutschen Volk zusätzlich aufdrückt. Das Ganze wird dann unter dem Gesichtspunkt verkauft, Sie führen Schulden zurück. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, daß hier mit Zahlen unredlich umgegangen, ja, daß manipuliert wird. ({7}) Ich will nicht darüber reden, daß der Bundesfinanzminister bis zum Ende des Planungszeitraumes 76 Milliarden DM an Bundesbankgewinnen eingerechnet hat; darauf will ich überhaupt nicht eingehen. Ich will dem nur entgegensetzen, daß Helmut Schmidt in der ganzen Zeit, in der er regiert hat, 13 Milliarden DM an Bundesbankgewinnen zur Verfügung gehabt hat. Er hat diese 76 Milliarden DM in seiner Zeit zwar erarbeitet, erwirtschaftet, aber verfrühstücken tut es ein anderer. Das ist in der Politik nun einmal so, das ist die Kontinuität der Politik: Der eine erwirtschaftet etwas, und der andere hat den Nutzen davon. Auch so etwas kann man ja erben. ({8}) Meine Damen und Herren, ein weiterer Grund, warum der Schuldenberg unter dieser Regierung nicht noch schneller wächst - denn eigentlich hätte er schneller wachsen müssen, meine Damen und Herren -, ist das, was jetzt als Erfolg gefeiert wird, nämlich die Ursache für die Steuerreform. Mit dieser Steuerreform werde ich mich jetzt etwas kritisch auseinandersetzen, damit wir wissen, wovon wir hier eigentlich reden. Niemals in den Jahren der sozialliberalen Koalition, meine Damen und Herren, hat es einen so langen und konsequenten Marsch in den Lohnsteuerstaat gegeben wie bei dieser Bundesregierung. Niemals hat es eine Zeit gegeben, in der die Lohnsteuerzahler so lange auf eine tarifliche Anpassung warten mußten. Niemals wurde dem Lohnsteuerzahler so viel weggenommen und so wenig belassen wie bei der Regierung Kohl. ({9}) Von 1982 bis einschließlich 1989 wird das Lohnsteueraufkommen nach den Beschlüssen dieser Bundesregierung um 62 Milliarden DM steigen. Wenn man das Aufkommen aus der veranlagten Einkommensteuer noch hinzurechnet, wird sich dieser Betrag um fast 70 Milliarden DM erhöhen - und das trotz der angeblich größten Steuerreform aller Zeiten, meine Damen und Herren, die eine tarifliche Entlastung um 14 Milliarden DM bringen wird. Es werden also den Bürgern immer noch rund 70 Milliarden DM mehr aus der Tasche gezogen als vorher. Das ist natürlich auch ein Teil der Konsolidierungspolitik, die hier auf Kosten der Steuerzahler betrieben wird. Auch das angebliche Steuergeschenk von Geißler und der Bundesregierung in Form einer neuen Familienpolitik entpuppt sich, meine Damen und Herren, bei näherem Hinsehen eindeutig als Etikettenschwindel. ({10}) Es geht hier bei dieser „Reform" um eine einseitig ausgerichtete Steuerpolitik zugunsten der reichen Familien. Das ist ja heute schon einmal angesprochen worden. Meine Damen und Herren, Herr Geißler spricht nicht umsonst von der notwendigen Besserstellung des ersten Kindes durch den steuerlichen Familienlastenausgleich. Er verschweigt dabei die Umverteilungswirkung zu Lasten der Mehrkinderfamilie. Er hat auch allen Grund, sie zu vertuschen; das wissen Sie ganz genau. Die Bundesregierung hat auf unsere Fragen hin zugeben müssen, daß jeder Arbeitnehmer, der ein durchschnittliches Einkommen bezieht, Jahr für Jahr schon ab 1987 höher belastet wird, wenn er drei, vier oder fünf Kinder hat. Und das nennen Sie eine familienpolitische Komponente, auf die Sie stolz sind. Es drängt sich die Frage auf, warum die Anpassung des Tarifs an die inflationäre Entwicklung, also das, was Herr Häfele immer als heimliche Steuererhöhung bezeichnet hat, nur so niedrig ausfällt. Die Antwort ist einfach. Bevor nämlich die Regierung die ersten 5 Milliarden DM an heimliWieczorek ({11}) chen Steuererhöhungen zurückgibt, hat sie die öffentlichen Kassen schon durch Milliardensteuergeschenke für die Unternehmensbereiche in Höhe von 13 Milliarden DM jährlich geleert. Damit es nicht verlorengeht, nenne ich hier die Stichworte, Herr Dr. Stoltenberg: Gewerbesteuer- und Vermögensteuersenkung, Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft, Abschreibungserleichterungen. Das Ergebnis dieser angeblichen Konsolidierungspolitik ist offenkundig: Nur immer herunter mit den Investitionen und immer herauf mit den Subventionen! Der Sachverständigenrat umreißt das mit den schönen Worten - ich zitiere -: Bei der qualitativen Haushaltskonsolidierung ist die Finanzpolitik weiter zurückgefallen. ({12}) Aber das sind nur andere Worte für die gleiche Feststellung, Herr Stoltenberg. Wie verhält es sich denn mit Ihrer dritten Propagandathese zur Finanzpolitik des Bundesfinanzministers, nämlich die Staatsquote zu senken? Bezüglich der Staatsquote wird Ihnen vom Sachverständigenrat im Gutachten sehr deutlich gesagt - auch das zitiere ich wörtlich -: Wenn die Zuwachsrate der Staatshaushalte nicht 3, sondern 31/2 % beträgt, läßt sich an der nahezu unveränderten Staatsquote ablesen - ich wiederhole: an der nahezu unveränderten Staatsquote ablesen -, daß von der Ausgabenpolitik kein Konsolidierungsbeitrag mehr zu erwarten ist. Wer dies zur Kenntnis nimmt, dem wird klar, wie abenteuerlich die Aussagen des Bundesfinanzministers sind, wenn er groß davon tönt, den Staatsanteil von 49 auf 45 und dann auf 40% senken zu wollen. Gerade dieser Subventionserhöhungsminister redet von Rückführung der Staatsquote. ({13}) Ich fordere Sie auf, Herr Bundesfinanzminister, noch in dieser Debatte zu erklären, wie Sie zu einer so dramatischen - ich würde sogar sagen: unsere Gesellschaft verändernden - Absenkung des Staatsanteils kommen wollen. Ich fürchte, dies ist die Abkehr von unserem sozialverpflichteten Staat. Wollen Sie den gesamten Bereich der sozialen Sicherung so radikal zusammenstreichen, Herr Bundesfinanzminister? Wollen Sie den Bildungsbereich so stark zusammenschneiden? Oder wollen Sie den Abbau staatlicher Leistungen mit einem solchen Volumen vornehmen? Meine Zeit ist beendet. Ich breche meine Rede hier ab. Den Antworten des Bundesfinanzministers sehe ich mit großer Spannung entgegen. Ich danke Ihnen, daß Sie mir so nett zugehört haben. ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Roth ({0}).

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegen die Macht der positiven Tatsachen und der guten Entwicklung ist nur schwer anzudiskutieren, Herr Kollege Wieczorek. Das hat Ihr Beitrag soeben wieder nachhaltig bewiesen. ({0}) Sie sind ein durchaus geschätzter Haushaltskollege, aber Ihr Zahlengefühl hat Sie bei dieser Diskussion offensichtlich über weite Strecken verlassen. Sie haben das Gesamtbild der Debatte nicht zugunsten der Opposition verändert, sondern Sie haben es zum Nachteil der Opposition verhärtet. Das wird auch das Pressebild morgen wieder ergeben. Denn sowohl Ihre Rede als auch die Rede von Herrn Apel und die von Herrn Posser haben einen Rahmen der SPD-Politik vermittelt, vor dessen Hintergrund sich die bedeutende Rede des Bundesfinanzministers mit Ihrer weitreichenden Perspektive und großen Brillanz positiv abhebt. ({1}) Wir danken dem Bundesfinanzminister für diese seine Leistung. Er hat eine stabile Mehrheit in diesem Haus, und er hat eine noch größere Mehrheit im deutschen Volk, wo er allergrößtes Ansehen genießt, ob Ihnen das gefällt oder nicht. ({2}) Nicht der Kurs dieser Bundesregierung muß korrigiert werden, Herr Kollege Wieczorek, korrekturbedürftig und trostlos ist das Programmdefizit, das die Sozialdemokratie in dieser Debatte geboten hat und das sich seit gestern vormittag wie ein roter Faden durch die Diskussion zieht. Ihre Irrtümer, Ihre Fehleinschätzungen haben Sie für eine fachlich-seriöse Diskussion untauglich gemacht. Sie isolieren sich mehr und mehr, und ich rate Ihnen, diese Position zu überdenken; denn unter Ihrer politischen Verantwortung haben die arbeitenden Menschen in der Bundesrepublik ({3}) durch das Zusammenwirken von Rezession, Inflation und Steuerprogression massive Einkommens- und Wohlstandsverluste hinnehmen müssen. Jetzt stehen wir wieder inmitten einer dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwungentwicklung mit zunehmender Wachstumsdynamik und zunehmender Beschäftigungsdynamik, dies alles gleichzeitig bei abnehmender Inflationsrate. ({4}) Eine solche Konstellation haben Sozialdemokraten in ihrer dreizehnjährigen Regierungszeit nicht ein einziges Mal zuwege gebracht. Lassen Sie sich das bitte gesagt sein. ({5}) Es ist doch kein Zufall, daß sich mit der Rückkehr zur Geldwertstabilität die Beschäftigungslage in der Bundesrepublik endlich gebessert hat. Sie haben mit Inflation Massenarbeitslosigkeit ausgelöst. Hören Sie also endlich auf, meine Damen und Her13418 Roth ({6}) ren, gerade die sozialen Wirkungen unserer Stabilisierungspolitik in dieser demagogischen Form herabzuwürdigen! Meine Damen und Herren, der Kollege Spöri hat vor einigen Tagen der Bundesregierung vorgeworfen - wir sprechen gerade über den Einzelplan 60 -, seit ihrer Amtsübernahme durch eine zu optimistische Einschätzung des Wirtschaftswachstums eine wirklichkeitsnahe Vorhersage über die Steuereinnahmen erschwert zu haben. Er hat sich dabei konkret auf die erste Steuerschätzung von 1983 und die erwartete Abweichung hiervon im kommenden Jahr bezogen. Der angeblich übertriebene Optimismus zum Zeitpunkt unserer Regierungsübernahme hindere die Regierung daran, geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen. ({7}) Meine Damen und Herren, das ist eine geradezu groteske Verdrehung von Tatsachen und finanzpolitischen Zusammenhängen. ({8}) Die letzte Steuerschätzung für das Jahr 1986 hat vor 14 Tagen rund 457 Milliarden DM ergeben. Das sind ca. 20 Milliarden DM weniger, als in der ersten Finanzplanung im Frühjahr 1983 angenommen. Mehr als die Hälfte dieser Abweichung, nämlich fast 11 Milliarden DM, entfallen auf die im Jahre 1986 wirksam werdenden Steuerentlastungen, so daß es der Bundesregierung gelingt, die volkswirtschaftliche Steuerquote gegenüber der ersten Planung bei Amtsantritt von 24,2 auf 23,7 % abzusenken. ({9}) Meine Damen und Herren, Herr Kollege Zander, ich frage Sie: Stört Sie das etwa, wenn die Bürger im Zuge von größerer Stabilität nun auch weniger Steuern bezahlen müssen? Eine Antwort darauf müssen Sie geben. ({10}) Die verbleibende Abweichung von 2 % ist kein Mißerfolg, sondern genau das Gegenteil. ({11}) Sie ist die logische Konsequenz des eindrucksvollen Stabilitätsgewinns durch diese Regierungspolitik. ({12}) Was Sie hier machen, ist der dreiste Versuch, diese Leistung zu verschleiern, und dies nehmen wir nicht hin. Dreist ist dieser unhaltbare Angriff vor allem auch deshalb, weil während Ihrer Regierungszeit, meine Damen und Herren, die entsprechenden Einnahmedefizite weit höher gewesen sind, wenn auch nicht als Folge von Preisstabilität, sondern sie sind ganz im Gegenteil trotz massiver Preissteigerungen eingetreten. In den Finanzplänen Ihrer Regierungszeit wurden fast ausnahmslos das Wirtschaftswachstum und die Steuereinnahmen wesentlich zu hoch, die Ausgaben des Bundes hingegen permanent zu niedrig veranschlagt. Sie haben nie zuverlässig gerechnet. Sie sind mit Ihrem Zahlenwerk immer durcheinandergeraten. Ihnen laufen diese Fakten aus dem Ruder, und Sie stellen sich hier hin und wollen uns Vorschläge für eine kalkulierbare, berechenbare Politik machen. Diese gibt es seit Gerhard Stoltenberg das Finanzressort übernommen hat. ({13}) Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen übrigens dringend, einmal die Betrachtungen eines unverdächtigen Beobachters, nämlich von Thilo Sarrazin, über „Die Finanzpolitik des Bundes 1970 bis 1982" zu lesen. Sie sind in der noch druckfrischen von Helmut Schmidt herausgegebenen Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans Matthöfer nachzulesen. Ich empfehle Ihnen das sehr. ({14}) - Ich danke für Ihre Bestätigung. - Dieser Herr Sarrazin kommt in seinem Beitrag zu einem geradezu vernichtenden Urteil über die sozialdemokratische Finanzpolitik, ({15}) die er vorrangig für das Scheitern der damaligen Regierung verantwortlich macht. ({16}) Er konstatiert bei der SPD noch heute „eine Vertrauens- und Orientierungslücke und ein konzeptionelles Vakuum, das jenseits programmatischer Floskeln der Aufarbeitung immer noch harrt". - Er beschreibt eindrucksvoll das Scheitern Ihrer sozialdemokratischen Hoffnung, „durch eine entsprechende staatliche Politik unter fast allen Bedingungen Vollbeschäftigung, steigende Arbeitnehmereinkommen und einen stetigen Ausbau des Sozialleistungsapparates gleichzeitig und dauerhaft sicherstellen zu können". Er hat im übrigen auch das Scheitern Ihrer Konzeption einer nachfrageorientierten Finanz- und Wachstumspolitik eindrucksvoll beschrieben, genau wie Karl Schiller, der in der schon mehrfach zitierten Heidelberger Rede ausgesagt hat, die Nachfragepolitik müsse „eindeutig bezogen sein auf den Fall der Rezession im Sinne eines kumulativen Verfalls der allgemeinen Nachfrage". Meine Damen und Herren, Sie sind mit dem Beharren auf Ihren alten Phrasen und auf Ihren gescheiterten Konzeptionen dem deutschen Volk Rechenschaft darüber schuldig, wie Ihr Programm eines Tages aussehen würde, falls Ihnen der Wähler Roth ({17}) die Chance zu einer neuen Regierungsübernahme gäbe. ({18}) Diese Rechenschaft sind Sie uns schuldig. Wir wollen nicht, daß ein zweites Mal durch den Zusammenbruch der Finanzen und der Beschäftigung, so wie 1982, ein innenpolitisches Fiasko in der Bundesrepublik Deutschland eintritt. Meine Damen und Herren, zum Schluß noch eine Bemerkung zur Einnahmeseite des Bundeshaushalts, bei dem wieder die 12,5 Milliarden DM Bundesbankgewinn genauso hervorstechen wie die 460 Millionen DM Erlös aus der Privatisierung von industriellen Bundesbeteiligungen. Ich halte es keineswegs für ausgeschlossen, daß sich die Gewinnabführung der Bundesbank auch im nächsten Jahr noch etwas günstiger darstellen könnte, als dies jetzt veranschlagt worden ist. Wir Haushälter sind hier auf zuverlässige Informationen angewiesen, und Genaueres wird man sicher erst zum Jahresende sagen können. Herr Kollege Wieczorek, Sie haben ja hier den Antrag gestellt, diesen Bundesbankgewinn sozusagen auf Verdacht hin durch den Haushaltsgesetzgeber einfach höher einzuschätzen. Dies machen wir nicht mit. Wenn es zu einer höheren Gewinnabführung käme, die wir dankbar registrieren würden, dann würde sie in vollem Umfang zur Rückführung der Nettoneuverschuldung verwendet und nicht schon im vorhinein für irgendwelche Ausgaben-programme zusätzlicher Art „verbraten". Meine Damen und Herren, ich schließe, indem ich sage: Wir werden den Kurs dieser Bundesregierung nachhaltig unterstützen. Unser finanzpolitisches Zielquadrat bleibt unverrückt: Preisstabilität, Zinsabbau, Steuersenkungen und eine Rückführung der Staatsquote. Deshalb stimmen wir den hier diskutierten Einzelplänen in ihrer vom Haushaltsausschuß vorgelegten und verabschiedeten Fassung zu und sprechen dem Bundesfinanzminister unser Vertrauen aus. Herzlichen Dank. ({19})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spilker.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen, Herr Wieczorek, ein Kompliment machen: Sie haben eine schnelle Rede gehalten. Sie war so schnell, daß ich vom Inhalt nur einige Stichworte mitbekommen habe, auf die ich im Laufe meiner Rede zurückkommen werde. Aber eines möchte ich vorweg sagen: Ausgerechnet diesem Finanzminister Unsolidität vorzuwerfen, das ist schon fast ein Witz und keine Beleidigung. Das dürfen Sie mir schon glauben. ({0}) Uns vorzuwerfen, wir hätten zugelassen, daß die Lohnsteuerbelastung und die Belastung mit anderen Steuern gestiegen ist, liegt etwa in derselben Kategorie. Sie wissen, daß wir bereits Ende 1982 unsere Entlastungspolitik „nur" mit dem Haushaltsbegleitgesetz begonnen und ein Jahr später mit dem Steuerbereinigungsgesetz fortgesetzt haben. Sie wissen auch, daß wir mit der großen Tarifentlastung für die Jahre 1986 und 1988 in Höhe von 20 Milliarden DM ein weiteres Beispiel gesetzt haben, von dem Sie nicht einmal geträumt haben. ({1}) Ich werde auf die Frage der Staatsquote im Laufe meiner Ausführungen noch zurückkommen. Auch hier übernehmen Sie sich. Natürlich war und ist es unser Ziel, diese beharrlich und konsequent Schritt für Schritt auf einen Wert unter 45% zurückzuführen, wie sich das bei einer soliden Finanzpolitik gehört. Damit möchte ich zu meiner Rede kommen und mich auf Herrn Kollegen Dr. Vogel beziehen, der es gestern nach einem kurzen Ausflug in die Philosophie und Außenpolitik für angezeigt hielt, ein bißchen aufgeregt über die Arbeitslosenzahl in der Bundesrepublik zu sprechen. Die Frage, warum er so aufgeregt war, brauchte nicht gestellt zu werden, weil fast jedem klar war, daß sich Herr Kollege Vogel bei der Zahl „2 Millionen Arbeitslose" an die Hinterlassenschaft der SPD-geführten Bundesregierung 1982 erinnerte. ({2}) Aber die Erregung von Herrn Dr. Vogel täuscht nicht darüber hinweg, daß Sie sich mit dieser schlimmen Zahl und darüber hinaus mit einer geradezu grausamen Staatsverschuldung nach jahrelanger schlechter Politik 1982 aus der Bundesregierung verabschiedet haben. ({3}) Bei dieser politischen Verantwortung, die durch nichts, auch nicht durch Rhetorik, wegzuleugnen ist, sprechen Sie heute von Massenarbeitslosigkeit - ein Ausdruck, den ich Anfang der 80er Jahre von Ihnen nicht gehört habe. ({4}) Sie verschweigen allerdings heute die positiven Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt, für die Sie allerdings nichts können und die Sie politisch natürlich auch nicht für sich in Anspruch nehmen können. ({5}) Es war und ist unsere Politik, dafür zu sorgen, daß die Zahl der Beschäftigten weiter wächst. ({6}) Denken Sie einmal an den Anfang der 80er Jahre. Wir waren j a alle dabei. Hatten Sie in dieser Zeit jemals eine Beschäftigungszunahme von mehreren hunderttausend Menschen in einem Jahr? ({7}) Konnten Sie nur einmal die Zahl der Kurzarbeiter von über 1 Million auf 100 000 absenken? ({8}) Oder konnten Sie gar eine merkliche Abnahme der Jugendarbeitslosigkeit sicherstellen? Solche Entwicklungen konnten Sie sich nicht einmal vorstellen. Dafür träumen Sie heute schon wieder von staatlichen Beschäftigungsprogrammen, die zugegebenermaßen viel Geld gekostet, aber leider nichts gebracht haben und die auch in Zukunft, könnten Sie sie realisieren, nichts bringen würden. Trotz des Einsatzes von 40 Milliarden DM, möglicherweise 50 Milliarden DM - je nachdem, wieviele Beschäftigungsprogramme man zugrunde legt -, stieg die Arbeitslosigkeit ständig, um dann zu explodieren. Kein Wunder also, daß Sie sich aufregen, wenn Sie an diese Entwicklung erinnert oder wenn Sie, wie jetzt von mir, darauf aufmerksam gemacht werden. ({9}) Meine Damen und Herren, ob Sie das gerne hören oder nicht, lassen Sie sich noch einmal sagen: Wer heute behauptet, daß die Zahl der Arbeitslosen bei uns der Politik der jetzigen Bundesregierung zuzuschreiben ist, spricht schlichtweg die Unwahrheit. ({10}) Sie müssen sich bei Ihrer Kritik anläßlich dieser Debatte schon etwas anderes einfallen lassen, oder ich muß Sie fragen - frei nach Mario Simmel -, ob Ihnen wohl der Stoff ausgegangen ist. Ich nenne Ihnen einige Themen. Darüber können wir lange diskutieren. Sie sollten sich viel länger darüber unterhalten, vielleicht, um einmal Ihre Politik zu ändern: Preisstabilität, kontinuierliches Wachstum seit 1983, wachsendes Realeinkommen, niedrige Zinsen, allseitiges Vertrauen, daß es in dieser Bundesrepublik wieder aufwärtsgeht. Vertrauen und Optimismus, das gehört auch dazu; das sind Saaten, die Sie nicht gerne aufgehen sehen; sonst würden Sie nicht durch die Lande ziehen und das Lied vom sozialen Unglück anstimmen und während Ihrer Reisen durch die Lande immer die Frage nach der Wende stellen. Ich darf Ihnen antworten. Fragen Sie nicht so viel, sondern schauen Sie sich um, schauen Sie den Tatsachen ins Auge, beschäftigen Sie sich mit dem Sachverständigengutachten, mit dem Wirtschaftsgutachten, mit den Bundesbankberichten, sprechen Sie mit den Arbeitern, mit den Gewerkschaftlern, mit den Betriebsräten, mit den Unternehmern, sprechen Sie mit den Vertretern der Kommunen, der Länder. Unterhalten Sie sich vielleicht auch am heutigen Tage noch einmal mit Herrn Minister Posser aus Nordrhein-Westfalen. ({11}) Oder geben Sie vor dem nächsten „Express"-Interview Herrn Rau einen anderen Rat; denn der wollte doch, wenn ich mich richtig erinnere, alle Ausgabenbegrenzungen im Sozialbereich rückgängig machen, sofort rückgängig machen. Herr Vogel war da gestern etwas gemäßigter; der wollte nur noch einige rückgängig machen. Wir können noch ein bißchen warten, dann ändert sich dieser Standpunkt vielleicht. Bei Ihrer Unterhaltung mit Herrn Posser - in der Mittagszeit ist ihm das nicht gelungen - kann er Ihnen wohl erklären, warum die Finanzpolitik in Nordrhein-Westfalen zusammengebrochen ist. ({12}) - Denn dieser Finanzminister hatte in seinem Brief festgestellt, daß eine solche Verschuldungspolitik - wie die in Nordrhein-Westfalen - nur wenige Jahre durchzuhalten ist. Wir haben mit Ihnen hier natürlich eine längere Phase erlebt. Die Folgen, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen nicht Sie allein tragen, sondern wir haben sie gemeinsam - alle Bürger dieses Landes - zu tragen. Die heutige Rechtfertigungsrede - es war ja fast schon eine Ablenkungsrede - von Herrn Posser war im übrigen nicht geeignet, eine jahrelange Verschuldungspolitik zu rechtfertigen, auch nicht die der früheren Bundesregierung. ({13}) Ich möchte ihn einmal einladen, mit uns nach Bayern zu fahren. Er soll sich einmal vor Ort - das ist ja ein Ausdruck aus Ihrem westfälischen Bereich - die Folgen einer soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik anschauen. ({14}) Dann braucht er sich auch gar nicht mehr zu wundern, daß ganze Industrien abwandern. Meine Damen und Herren, das ist leider Gottes eine ganz traurige Folge dieser Politik. ({15}) Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem Jahresgutachten nachdrücklich die erfolgreiche Politik der Bundesregierung bestätigt. Herr Wieczorek, vielleicht nehmen Sie das netterweise einmal zur Kenntnis. Der Aufschwung wird fortdauern, so heißt es, und mit ihm wird eine zunehmende Beschäftigung einhergehen. Die Politik der Haushaltskonsolidierung dieser Bundesregierung hat entscheidend dazu beigetragen, das Wirtschaftswachstum zu stärken, mehr Beschäftigung zu ermöglichen, die Zinsen zu senken und eine Preisstabilität wie zu Ludwig Erhards Zeiten zu haben. Das ist alles nicht selbstverständlich, meine Damen und Herren. Ich sage Ihnen erneut: Die heutige Preisstabilität mit einer Preissteigerungsrate von weniger als 2 %, das ist beste Sozialpolitik. ({16}) Bundesbankpräsident Pöhl formulierte es anders; aber inhaltlich ist es das gleiche. Eine Politik der Geldwertstabilität, so sagte er, ist deshalb die sozialste Politik, während Inflation die unsozialste Politik der Einkommensumverteilung darstellt. ({17}) Die Bürger bei uns, meine Damen und Herren - das hören Sie nicht gerne -, haben nicht vergessen, daß am Ende Ihrer Regierungszeit die Preise um mehr als 6% gestiegen waren, mit all den negativen Einflüssen auf Investitionen, Sparen, Wachstum, Beschäftigung und Einkommen. Diese Bürger haben die Mißerfolge Ihrer Regierungstätigkeit bis 1982 noch vor Augen. Das ist Ihr Problem. Während Ihrer Regierungszeit explodierte die Arbeitslosigkeit ebenso wie die Staatsverschuldung und die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger. Wir hatten, wie die Statistiker sagen - das ist nicht meine Wortwahl -, „Minuswachstum" in allen Bereichen. ({18}) - Ich habe mich dazu nicht bekannt. Die Sozialdemokraten werden trotzdem nicht müde, immer wieder Programme für öffentliche Ausgaben zu fordern. Herr Dr. Apel hat kürzlich in einem Interview gemeint, die Beschäftigungsprogramme der 70er Jahre seien durchaus erfolgreich gewesen. Ob er das wohl selbst glaubt? Wo, das konnte er nicht sagen. Tatsache ist und bleibt: Die Arbeitslosigkeit ist trotz der aufwendigen Programme teilweise raketenartig - leider, muß ich sagen - gestiegen. In dem gleichen Interview wird Herr Apel dann schon etwas bescheidener. Er meint, daß durch das SPD-Programm „Arbeit und Umwelt" 200 000 neue Arbeitsplätze entstehen würden. Herr Glotz war bei ganz anderen Zahlen. Er wollte die gesamte Arbeitslosigkeit gleich halbieren, ({19}) und das auch noch in einem Jahr. Aber Herr Apel sagte dann: Damit wird aber deutlich, daß natürlich auch Sozialdemokraten kein Patentrezept zum Abbau der Arbeitslosigkeit haben. - Herr Dr. Apel, das ist richtig. Ich muß Ihnen aber ehrlich gestehen: Wir haben noch nie geglaubt, daß Sie ein Rezept haben, jedenfalls nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Von anderen Rezepten möchte ich vorsichtshalber nicht sprechen. Sonst gibt es hier Unruhe im Saal. ({20}) Ich glaube Ihnen auch, verehrter Herr Dr. Apel, daß Sie die Arbeitslosigkeit wegbringen wollen. Leider weiß ich aus Erfahrung - das gilt auch für meine Freunde -, daß Sie dazu politisch einfach nicht in der Lage sind. ({21}) Das ist eine Feststellung und die Erfahrung aus der Vergangenheit. ({22}) Etwas nervös durch den Stimmungsumschwung und nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen fahren Ihre politischen Repräsentanten jetzt herum und fordern so ungefähr alles, was für den Abbau der Arbeitslosigkeit ungeeignet ist: Ergänzungsabgabe, Solidarsteuer, Sparbuchsteuer etc., Maßnahmen, die Wachstum und Beschäftigung bremsen, Verschuldung erhöhen, Leistungsbereitschaft mindern und die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger erhöhen. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Reicht denn das Ergebnis Ihrer Politik, die Bilanz bei Ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung 1982 immer noch nicht aus, um von diesen für den Bürger schädlichen Forderungen endlich Abstand zu nehmen? ({23}) Wir stimmen den Sachverständigen auch in wesentlichen Teilen der steuerpolitischen Ausführungen zu. Ich empfehle Ihnen übrigens, meine Damen und Herren, die Bemerkungen der Sachverständigen noch einmal nachzulesen, ein wenig zu studieren. Dann würden Sie vielleicht endlich aufhören, unsere Steuerpolitik, diese erfolgreiche Steuerpolitik für alle Bürger, für mehr Wachstum, für mehr Beschäftigung als Geschenke an die Reichen zu diffamieren. ({24}) Das ist leider Ihre Demagogie, nicht Ihre Argumentation. ({25}) Die von uns beschlossenen Steuerentlastungen 1986/88 sind ein wesentliches Element der Politik der Wende. ({26}) Wir wirken damit der zunehmenden Steuer- und Abgabenlast der Bürger entgegen. Es bleibt unser Ziel, diese Steuerbelastung in Zukunft mehr und mehr abzubauen. Die Solidität, repräsentiert durch diesen Finanzminister, verlangt auch hier ein vernünftiges Vorgehen, weil wir uns eine weitere Verschuldung einfach nicht erlauben wollen. ({27}) Meine Damen und Herren, Sie haben uns genug Schulden hinterlassen, unter deren Zinsen wir alle gemeinsam - ich sagte es schon: gemeinsam - zu leiden haben. ({28}) Eine vordringliche Aufgabe dieser Bundesregierung war es im übrigen von Anfgang an, das geltende Steuerrecht im Interesse aller Bürger zu ändern. Auf dem Wege, die drückenden Steuerlasten zu senken und die Wachstumskräfte weiter zu stärken, sind wir durch die beschlossene Steuerentlastung von fast 20 Milliarden DM ohne jede Gegenrechnung für die Jahre 1986/88 ein Stück vorangekommen. Herr Dr. Apel, das ist keine Steuerentlastung, die „mickrig" ist. Ich glaube, dieses Wort stammt von Ihnen. Es ist kein gutes Wort. ({29}) Wir brauchen weiterhin Wachstum, Stabilität, Einkommenszuwächse, Kaufkraftsteigerung, niedrige Zinsen und mehr Steuergerechtigkeit. Nur so kommen wir wirtschaftlich weiter, und nur so läßt sich die Arbeitslosigkeit abbauen. Das erfordert Disziplin des Staates, Disziplin der öffentlichen Hände, das erfordert Ausgabenzurückhaltung, um die Steuern senken zu können, statt sie zu erhöhen. Es erfordert auch weiterhin die Rückführung der Staatsverschuldung und eine grundsolide Geldpolitik.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es erfordert auch viele Haushalte wie den hier zur Beratung anstehenden, und es erfordert Stetigkeit, Zielorientiertheit und auch Zurückhaltung. Der deutsche Bürger will keine Gleichmacherei. Wer tüchtig ist, möchte für diese Tüchtigkeit bezahlt, nicht durch hohe Steuern bestraft werden. ({0}) Das, meine Damen und Herren, sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben. Wer Kinder hat oder haben will, fragt nicht nur nach dem ideellen Wert des Kindes für unser Volk, sondern vergleicht auch seinen Geldbeutel mit dem der Arbeitskollegen ohne Kinder.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Spilker, ich muß Sie jetzt bitten, zum Schluß zu kommen. Sie haben längst überzogen.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, es tut mir aufrichtig leid, daß ich überzogen habe.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Mir auch!

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Geschwindigkeit der Rede von Herrn Wieczorek hat es mir nicht möglich gemacht, meine Zeit einzuhalten. ({0}) Ich freue mich, hier für die Fraktion sprechen zu können - darauf bin ich stolz -, die einen Finanzminister stellt, der dafür sorgt, daß sich die Bürger in diesem Lande auf ihre Zukunft mit Recht freuen können und daß diese Bürger mit uns dafür sorgen werden, daß Sie, meine Damen und Herren, Ihre realitätsfremde Politik nicht durchsetzen können. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen. ({0})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Wieczorek hat vier konkrete Fragen an mich gerichtet, und es entspricht einem guten parlamentarischen Brauch, daß ich sie kurz zu beantworten versuche. ({0}) Das erste Thema war der Rückgang der Neuverschuldung. Ich habe hier unsere Position klargemacht, auch die Kollegen von CDU/CSU und FDP. Wir haben auf dem Wege zur Gesundung in drei Jahren ein gutes Zwischenergebnis erreicht. Ich lege Wert darauf, festzustellen - ich sage das immer wieder -, Herr Kollege Wieczorek, daß wir das Konsolidierungsziel noch nicht erreicht haben. Zu keinem Zeitpunkt haben die Politiker der Koalition oder die Mitglieder der Bundesregierung den Eindruck erweckt, daß wir jetzt den absoluten Schuldenstand des Bundes zurückführen oder daß wir das in den nächsten Jahren in Aussicht stellen können. Insofern können die Vorwürfe sich nicht an uns richten. Sie können im besten, freundlichsten Verständnis als der Versuch gewertet werden, öffentliche Mißverständnisse zu zerstreuen. Aber mit dieser Auseinandersetzung verbindet sich eine grundlegende Frage, das ist die Frage nach der vertretbaren Neuverschuldung unter ausgewogenen wirtschaftlichen Bedingungen. Zu dieser Frage möchte das Bundesministerium der Finanzen noch in diesem Jahr eine Studie vorlegen, was wir mit dem Begriff „vertretbare Neuverschuldung" unter einigermaßen ausgeglichenen wirtschaftlichen Bedingungen zu verstehen haben. Diese Studie wird - das haben wir im Finanzplanungsrat besprochen - zwischen Bund, Ländern und Kommunen und hoffentlich auch in diesem Hohen Haus zu einer vertieften Debatte führen. Zweitens. Herr Kollege Wieczorek, Sie haben mich kritisiert wegen des Ziels, den Rückgang der Staatsquote und der Steuerquote zu verfolgen. Dieses Ziel ist nur durch stetiges Wachstum auf der einen Seite, eine Politik, vorsichtiger gesagt, die stetiges Wachstum fördert, und äußerste Ausgabenzurückhaltung auf der anderen Seite erreichbar. Hier werden nicht ungedeckte Wechsel ausgestellt. Ein unabhängiger, bedeutender Experte hat vor kurzer Zeit geschätzt, daß wir wahrscheinlich Ende nächsten Jahres eine Staatsquote von etwa 47 % gegenüber knapp 50 % zum Zeitpunkt des Regierungswechsels haben. Ich bleibe bei meiner Einschätzung, daß wir längerfristig versuchen sollten, die Staatsquote in Richtung auf 40 %, wahrscheinlich nicht absolut 40 %, zurückzuführen. Ich habe das heute mit dem Hinweis auf die Vereinigten Staaten, Japan und die Schweiz begründet. Nun sollte sie nicht in Verbindung damit in der Form der Unterstellung ein Horrorgemälde des Kahlschlags bei sozialen und Bildungsleistungen entwerfen. Nein, es geht nur, wenn wir alles tun, um wirtschaftliches Wachstum zu verstetigen und so die Spielräume zu gewinnen. Dazu gehört natürlich Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Es kann j a nicht angehen, daß am Vormittag Herr Apel mit ungerechtfertigten Vorwürfen gegen uns den Anstieg der Sozialabgabenquote in der Wirkung auf die Arbeitnehmer beklagt und am Nachmittag eine Politik, die den Unterschied zwischen brutto und netto bei den Arbeitnehmern wieder geringer machen will, kritisiert wird, Herr Wieczorek. So kann es auch nicht gemacht werden. ({1}) Dritte kritische Bemerkung oder Anfrage zur Steigerungsrate des Haushalts 1986. Ich habe in der Einbringungsrede dieses Etats im Deutschen Bundestag am Mittwoch, dem 4. September - Sie können das auf Seite 11320 des Stenographischen Protokolls nachlesen -, beide Berechnungsmöglichkeiten hier erläutert, die Berechnungsmöglichkeit mit einer Steigerungsrate von 1,8% und die nach meiner Meinung volkswirtschaftlich vernünftige Berechnung, nämlich die EG-Sonderleistung herauszunehmen und so auf eine Zuwachsrate von 2,4 % zu kommen. Ich habe das nebeneinander erläutert und begründet. Deswegen ist es völlig abwegig, hier von irgendwelchen statistischen Tricks zu sprechen. Jede dieser beiden Berechnungen hat Argumente für sich. Nun zu der kritischen Anmerkung zu den Haushaltsresten. Haushaltsreste kommen nach einer alten Erfahrung beim Bundeshaushalt eigentlich jedes Jahr vor, mit etwas unterschiedlicher Höhe über den Wechsel der Regierungen hinweg. Sie sollten nicht zu groß sein - das ist eine Gratwanderung -, weil das den Gesichtspunkt der Haushaltswahrheit und -klarheit verletzen würde. Aber Haushaltsreste sind andererseits wegen des Jahresabschlusses und der geringeren Neuverschuldung zumindest für die Finanz- und Haushaltspolitiker auch nicht ein Vorgang, den wir zutiefst bedauern. Diese Diskussion hat ihre zwei Seiten. Ich bin nach langen Erfahrungen und auch den bitteren Erfahrungen meiner sozialdemokratischen Vorgänger mehr dafür, vorsichtig zu veranschlagen, d. h. im Zweifelsfall bei Haushaltstiteln, die wir nicht übersehen können, lieber etwas vorzuhalten und hinter dem Ansatz zurückzubleiben, als um einer guten Optik willen zu knapp zu veranschlagen, um dann im Laufe des Jahres einzubrechen, wie wir das in früheren Jahren doch mehrfach erlebt haben. ({2}) Insofern glaube ich, daß die Veranschlagung, die wir gewählt haben, auch mit den Korrekturen des Haushaltsausschusses, richtig ist. Ich glaube, daß im letzten Punkt etwas mit Platzpatronen geschossen wurde, wie auch in manchen anderen Punkten dieser Debatte. Schönen Dank ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Simonis. ({0}) Herr Abgeordneter Porzner, ich habe nur diese Wortmeldung von der SPD vorliegen. ({1}) Alles zurück. Frau Abgeordnete Simonis, darf ich Sie bitten, noch einmal Platz zu nehmen. Bitte schön. ({2}) - Ich habe gesagt: Frau Simonis darf wieder zurück auf ihren Platz. ({3}) - Also, höflicher und freundlicher kann ich das nicht machen, bei der Frau Simonis ohnedies nicht. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 08. Wer dem Einzelplan 08 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan 08 ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen jetzt zum Einzelplan 32. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4345 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Wer dem Einzelplan 32 - Bundesschuld - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen. Wir kommen nunmehr zum Einzelplan 60. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4347 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt. Wer dem Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. - Mit Mehrheit angenommen. Vizepräsident Stücklen Ich rufe jetzt den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - in der Ausschußfassung zur Abstimmung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. - Einstimmig angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Finanzplan des Bundes 1985 bis 1989 ab. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/4256 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - Drucksachen 10/4159, 10/4180 Berichterstatter: Abgeordnete Glos Dr. Weng ({5}) Frau Simonis Dr. Müller ({6}) Hierzu liegen Änderungsanträge des Abgeordneten Dr. Müller ({7}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4304 bis 10/4311 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Aussprache von zwei Stunden Dauer vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Simonis. ({8})

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Darf ich jetzt? Oder schicken Sie mich noch mal weg?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein, Sie dürfen. Frau Simonis ({0}): Danke. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein weiter Weg, den die beiden Koalitionsfraktionen von den Zeiten zurückgelegt haben, als die CDU im Bewußtsein ihrer christlichen Wurzeln ihrer Verantwortung für wirtschaftspolitisches Handeln im Ahlener Programm nachkam und die FDP in den Freiburger Thesen die große liberale Tradition ihrer Partei fortsetzte. In der Zwischenzeit zeigt sich bei beiden Parteien ein tiefer Gesinnungswandel. An Stelle von sozialem Anstand und von sozialer Gerechtigkeit wurden Egoismus und Selbstbedienungsmentalität in den Vordergrund geschoben. ({1}) Wenn Herrn Stoltenberg heute morgen zum Stichwort Barmherzigkeit als einziges die ehrenamtliche Tätigkeit von Bürgern einfällt, dann zeigt das eigentlich mehr, als wir es je gekonnt hätten, um was es sich bei Ihnen handelt. Anstatt von Barmherzigkeit in der Politik zu sprechen, wird die ehrenamtliche und unbezahlte Tätigkeit von Bürgern und Bürgerinnen herangezogen. Das ist sozusagen die ausgleichende Gerechtigkeit, die Sie zu bieten haben. Gemessen an der zu beobachtenden empörenden sozialen Ungerechtigkeit, die die CDU und die CSU bzw. die FDP heute praktizieren, ist die christliche Partei, die dem Wachstums-und-Stabilitäts-Gesetz aus dem Jahr 1967 zugestimmt hat, fast als eine soziale Veranstaltung zu betrachten. Das Wachstums-und-Stabilitäts-Gesetz hat aus heutiger Sicht der Sozialdemokraten einige Fehler. Es sagt nichts zum Zustand der Umwelt. Es sagt nichts zur Verteilungsgerechtigkeit. Es sagt nichts zu den sozialen Nebenkosten unseres wirtschaftlichen Handelns. Aber es sagt aus, daß gehandelt werden muß, wenn sich wirtschaftliche Ungleichgewichte und Arbeitslosigkeit einstellen. Das genau will die jetzige Koalition um eines Prinzipes willen nicht machen. Sie kann und will diesem Gesetz nicht folgen, obgleich sie sehr viel darüber redet. Es ist schon merkwürdig, mit welcher Affinität Sie vom Wachstums-und-Stabilitäts-Gesetz sprechen. Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, daß Sie wirklich an Wunder glauben, d. h. an die Allheilkraft von wirtschaftlichem Wachstum bzw. an den funktionierenden Markt. Allen Realitäten zum Trotz scheint sich in Ihrem Kopf festzusetzen, daß man nur das richtige Knöpfchen drücken müsse, um quasi automatisch die richtigen Resultate aus der großen Maschinerie „Markt" herauszulocken. Ein bißchen Wachstum, kombiniert mit Preisstabilität, ergibt ein ideales Beschäftigungsmuster. Ausreichende Beschäftigung sorgt für Wachstum, und alle drei Faktoren zusammen bewirken eine ausgeglichene Handelsbilanz. Wer an diese mechanistischen Formeln glaubt, muß sich auch gefallen lassen, daß seine Politik daran gemessen wird. Dabei zeigen sich auch die Defizite Ihrer Regierungsarbeit. Zwei Zielvorgaben - Wachstum und Preistabilität - scheinen erreicht zu sein und dienen als Begründung für das relative Nichtstun der Regierung. ({2}) Das dritte Ziel, Vollbeschäftigung, oder besser: Abbau der bestehenden Arbeitslosigkeit, ist jedoch nicht erreicht. Ihre Tatenlosigkeit ist in keiner Weise gerechtfertigt, die hohe Arbeitslosigkeit verbietet sie sogar. Sie hätten auch keinen Grund zur Selbstzufriedenheit, wenn Sie schon heute behaupten könnten, daß die zu beobachtenden Wachstumsraten tatsächlich der Beginn eines dauerhaften Erholungsprozesses wären. Gott sei Dank tun Sie das auch nicht. Wir Sozialdemokraten fragen uns: Was ist der Preis für dieses Wachstum? Wer zahlt dafür? Wer profitiert davon? Wo sind die Schattenseiten? Wir bestreiten überhaupt nicht, daß wirtschaftliches Wachstum stattgefunden hat, daß wir uns in einer Phase einer - wenn auch labilen - konjunkturellen Erholung befinden. Dieses Wachstum hat jedoch nur die Gewinnhoffnungen von Unternehmen erfüllt, nicht die Beschäftigungshoffnungen von 2,3 Millionen Arbeitslosen. ({3}) Es erfüllt nicht die Hoffnung auf gerechte Teilhabe am Wohlstand. Es erfüllt nicht die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit. Sie haben dieses Wachstum erkauft mit brutalen Kürzungen bei Rentnern, bei Arbeitslosen, bei Frauen, bei BAföG-Empfängern, bei Schülern, bei Studenten, eigentlich bei jedem, der in dieser Republik nicht zu den Starken und nicht zu den Reichen gehört. ({4}) Dieses Wachstum ist erkauft bzw. gleichzeitig einhergegangen mit einer Arbeitslosenzahl, die eigentlich nicht mehr zu entschuldigen ist. Jeden Monat hat Ihre Regierung den höchsten Nachkriegsstand an Arbeitslosigkeit zu verantworten. Sie haben den traurigen Rekord zu verantworten, die Arbeitslosenzahl durch wirtschaftspolitische Abstinenz innerhalb von zwei Jahren noch um 400 000 gesteigert zu haben. In einzelnen Regionen sind mehr als 20 und 25 % der erwerbsfähigen Menschen arbeitslos. Dazu fällt Ihnen nichts ein außer der Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. Was da zum Ausdruck kommt, ist nicht Zuversicht, sondern die Gewöhnung an die Massenarbeitslosigkeit. Ich habe mir eigentlich nicht vorstellen können, daß das bei einer Regierung möglich sein könnte, die doch mit dem Versprechen angetreten ist, in diesem Jahr auch dem letzten Arbeitslosen wieder einen Arbeitsplatz zu verschaffen. ({5}) Aber Sie müßten eigentlich auch eine gewisse Beunruhigung verspüren, wenn Sie einzelne Wachstumsfaktoren analysieren. Zu mehr als der Hälfte ist dieser Wachstumserfolg in der Vergangenheit auf die gestiegenen Exporte zurückzuführen. Dies ist leider nicht Zeichen unserer gestiegenen Wirtschaftskraft, sondern Ergebnis des wahnwitzigen Defizits im amerikanischen - ({6}) - Danke schön, Frau Berger. Ich versuche, langsamer zu reden, damit auch Sie mir folgen können. ({7}) Dieser gestiegene Export ist leider nicht Zeichen unserer gestiegenen Wirtschaftskraft, sondern Ergebnis des wahnwitzigen Defizits im amerikanischen Budget bzw. des Defizits in der amerikanischen Handelsbilanz. Die gestiegenen amerikanischen Zinsen und der ungesund hohe amerikanische Dollar haben dazu beigetragen, daß deutsche Exporte so groß wie noch nie waren. Niemand kann voraussagen, ob ein sinkender Dollar und eine energischere Bekämpfung des Defizits in Amerika unsere Exportchancen auf die Dauer beeinträchtigen werden. Niemand kann auch voraussagen, in welchem Maße und gegebenenfalls wann es geschehen wird. Niemand kann aber bestreiten, daß davon Gefahren ausgehen, und niemand kann bestreiten, daß diese Gefahren nicht ganz unbeträchtlich sind. Wir werden damit zu rechnen haben, daß die Amerikaner, weil sie Fehler über Fehler in der Wirtschaftspolitik gemacht haben und zu feige sind, sie zuzugeben und abzustellen, noch mehr nach Protektionismus schreien werden. Wir werden auch erleben, daß die langsam werdende Konjunktur in Amerika beträchtliche Auswirkungen auf den Weltmarkt hat. Und noch ist nicht klar, welche Folgen dies für unsere Wirtschaft haben wird. ({8}) Es ist aus der Sicht der Regierung dann vielleicht sogar schon weise, schon heute dafür zu sorgen, daß als eine Art Auffangnetz für den Fall der Fälle Waffenexporte erleichtert und gefördert werden. Diese gefährlichen, j a geradezu tödlichen Exporte, deren Tücken sich auf die Dauer noch zeigen werden, sind unter Ihrer Regierung in einem geradezu unvorstellbaren Maß gestiegen. Waffenexporte in alle Teile der Welt sollen die Exportbilanz schönen helfen. Sie vergessen dabei völlig, daß die weise Beschränkung auf die Exporte nichtmilitärischer Produkte den Ruf der deutschen Wirtschaft wie übrigens auch den Ruf der japanischen Wirtschaft im Ausland begründet und uns zur größten Außenwirtschaftsnation gemacht hat. Das hat der deutschen Wirtschaft genützt, das hat den deutschen Arbeitnehmern genützt, jedenfalls dauerhafter und friedensbewahrender als die Akquirierungsreisen in Sachen Waffenexporte, die der Bundeskanzler nach dem Motto unternimmt, ({9}) daß Deutschland nicht schaden, was schon Frankreich und England in der Vergangenheit nichts genützt hat. ({10}) Gekürzt wird die Werftenhilfe. Dafür dürfen Fregatten gebaut und exportiert werden. Panzer werden in Spannungsgebiete geschickt. Firmenanlagen zur Herstellung von Waffen werden genehmigt. Das ist Ihre Alternative zu einer ausgleichenden, aktiven und sozialen Wirtschaftspolitik. Parallel dazu verläuft eine nicht abebbende Welle von Firmenzusammenbrüchen. Auch hier haben Sie einen traurigen Rekord zu verzeichnen und zu verantworten. ({11}) Diese Pleiten finden ja nicht bei den Großfirmen, sondern bei kleinen und mittelständischen Unternehmen statt. Sie vernichten auf diese Art und Weise nicht nur Arbeits- und Ausbildungsplätze. Es ist auch das Versagen der Politik, die angeblich mittelstandsfreundlich und marktgerecht ist und den risikofreudigen Einzelunternehmer unterstützt. Se13426 henden Auges lassen Sie einen Konzentrationsprozeß in unserer Wirtschaft zu, der sich unter anderem in prestige- und öffentlichkeitsträchtigen Fusionen zeigt. Für Kohle, Stahl und Werften wird der Markt verordnet; Dornier, MBB, AEG, BMW, Mercedes dürfen sich der Gunst christdemokratischer Ministerpräsidenten als Chefunterhändler und Chefverkäufer beim Zusammenzimmern von Großunternehmen erfreuen. ({12}) Da wird „unter einem guten Stern" fusioniert, daß die marktwirtschaftlichen Gedankengebäude nur so ächzen. Ganze Wirtschaftsimperien bauen sich unter den schützenden Händen marktwirtschaftlicher Tugendwächter auf. Im Lehrbuch der Marktwirtschaft steht das wirklich nicht, und es hat mit Marktwirtschaft auch nichts zu tun. Dahinter steckt etwas ganz anderes ({13}) wie gestern meine Kollegin Traupe hier aufgewiesen hat. Sie leisten sich diese „Fehltritte", weil Sie einem militärisch-industriellen Komplex die Hand reichen, der die Bundesrepublik in der Herstellung von Militärgütern an die Spitze katapultieren soll. Nicht einmal der strammste Stamokap-Anhänger bei der SPD hätte sich das in seinen kühnsten Träumen vorstellen können, was Sie heute machen. ({14}) Weil Sie die Großindustrie so fördern, passiert bei uns etwas, was sich auf Dauer noch als ein Handicap Ihrer Politik herausstellen kann. In den Großindustrien findet nämlich im wesentlichen das Wachstum statt, weil sich dort arbeitsplatzsparende und arbeitsplatzvernichtende Investitionen vollziehen, die Sie ja fördern. Es stimmt doch nicht, was der Bundeskanzler hier gestern aufführte - aber von Wirtschaftspolitik braucht er ja auch nichts zu verstehen -, daß Investitionen immer Arbeitsplätze schaffen. Sogar die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" erklärt heute in einem sehr ausgewogenen Kommentar, daß wir damit rechnen müssen, daß die gestiegenen Investitionen in der deutschen Wirtschaft dazu führen könnten, im Zweifelsfalle sogar dazu führen werden, daß Arbeitsplätze vernichtet werden und daß die Dynamik der Rationalisierung den Arbeitsmarkt in seiner Unausgeglichenheit auf die Dauer zementieren wird. ({15}) Baufirmen, vor allem in Norddeutschland, gehen in einem geradezu dramatischen Maße kaputt, Kaufhäuser im Ruhrgebiet schließen, Mitarbeiter werden herausgesetzt - und Sie reden von einer ausgeglichenen Wachstumspolitik. Nein, das ist eine Wachstumspolitik, die Arbeitsplätze kaputtmacht. Das, was Sie machen, ist wirklich nicht im Interesse der Arbeitslosen. Es ist auch nicht im Interesse der kleinen Unternehmer, es ist nicht im Interesse der mittelständischen Firmen, sondern es ist im Interesse der Festigung Ihrer konservativen Wahlinteressen getan. Weil Sie dies im Hinblick auf die Wahl im nächsten Jahr benötigen, werden Sie sich in Ihrer Politik auch nicht ändern. Wer sagt Ihnen aber, wer garantiert Ihnen aber, daß die immer noch schwache heimische Nachfrage als Folge Ihrer Spar-, Einkassier- und Wegnehme-politik nicht der Stolperstein auf dem Weg einer dauerhaften konjunkturellen Erholung sein kann? Fast flehentlich nehmen sich die Appelle des Finanzministers und der Fünf Weisen aus, daß doch die heimische Nachfrage zum Wachstumsmotor werden müsse und daß sich die Gewerkschaften doch bitte für ordentliche Lohnerhöhungen statt für andere gewerkschaftliche Ziele einsetzen sollten. Nach den Kreuzritter-Feldzügen gegen zu hohe Löhne in der Vergangenheit dürfen es auf einmal 3% bis 5% sein. ({16}) Sie sind sich vielleicht doch ein bißchen dessen bewußt, daß das, was Sie uns als ein so herrliches Bild darstellen, seine Schattenseiten hat. Es ehrt den Finanzminister, daß er in seiner Replik auf meinen Kollegen Wieczorek die allzu strahlenden Bilder, die die Kollegen von der CDU hier gemalt haben, noch einmal ausdrücklich ein bißchen relativiert hat. Die geringen Lohnzuwächse bzw. die Lohnzuwächse, die nicht stattgefunden haben, die Null-Runden im Sozialbereich kneifen nicht nur die Nachfrage ab, sondern sie haben auch negative Auswirkungen auf die im Stoltenbergschen Haushaltsentwurf zugrunde gelegten Steuereinnahmen. An dieser Stelle liegt der Schlüssel zum Verständnis für die plötzlichen und unerwarteten sozialen Züge beim Wirtschaftsminister, beim Finanzminister und bei den Fünf Weisen. ({17}) Was die Preisstabilität betrifft: Es ist richtig, wir haben die Inflation bei uns bekämpft. Wir haben dort scheinbar einen Erfolg zu buchen. ({18}) - Die Deutschen, dazu dürfen wir dann ja auch noch gehören, vielleicht erlauben Sie das doch noch. - Richtig ist aber auch, daß der Prozeß der Inflationsbekämpfung weltweit zu beobachten ist. Angesichts der Verflechtung unserer Wirtschaft könnte die Bundesrepublik allein - bei allem guten Willen - in der Inflationsbekämpfung nämlich nicht erfolgreich sein. Anzuerkennen, daß es auf dem Gebiet der Inflationsbekämpfung Erfolge gibt, heißt aber nicht, daß wir die Methoden, die Sie dazu eingesetzt haben, anerkennen werden. Sie haben den Beziehern kleiner Einkommen, den Beziehern von kleinen Renten, den Schülern, den Frauen mit Mutterschaftsgeld, den Behinderten eine derart radikale Abmagerungskur verabreicht, ({19}) daß die Preisstabilität mit realen Einkommensverlusten in diesen Einkommensklassen „erwirtschaftet" worden ist, und einige wenige Große haben sich dabei dumm und dösig verdient. Reale EinkomFrau Simonis mensverluste aber bedeuten Nachfrageeinbußen, und dies bedeutet sinkende Preise. ({20}) Richtig ist - das sagt der Blüm ja auch immer -, daß Empfänger kleiner Einkommen von den geringen Preissteigerungsraten irgendwann einmal profitieren. Aber sehr viel richtiger ist, daß die Bezieher hoher Einkommen davon sehr viel mehr profitieren, wenn wir Preisstabilität haben. ({21}) - Sie können es ja einmal nachrechnen, was Sie sich von Ihren Diäten alles leisten können ({22}) und was sich ein Rentner von seiner Rente leisten kann; da werden Sie dann feststellen, daß Sie viel größere Sprünge machen können als der kleine Rentner. ({23}) - Nun schrei doch nicht so, Rose; deine Rede war gestern so miserabel, daß ich an deiner Stelle heute leise sein würde. ({24}) Den Beziehern hoher Einkommen wird auch nicht durch die - selbst vom Finanzminister zugegebenen - heimlichen Steuer- und Abgabeerhöhungen der letzten Jahre mehr aus der Tasche genommen, als durch eine Antiinflationspolitik in dieselben Taschen überhaupt jemals hineingebracht worden ist. Die entscheidendste und unsere Gesellschaft dauerhaft am meisten belastende Fehlleistung der Regierung sind die Verfestigung und Zunahme der Massenarbeitslosigkeit. Frauen, Jugendliche und Behinderte sind am stärksten Opfer Ihrer Tatenlosigkeit. ({25}) Und was machen Sie? Sie atmen begeistert auf, wenn die Arbeitslosenzahl von 2,3 Millionen im Oktober um ganze 2 800 zurückgegangen ist. Und Sie können uns nicht einmal beweisen, daß dies nicht eine statistische Schönfärberei bei der Bundesanstalt für Arbeit gewesen ist. ({26}) So wie der Finanzminister mit deutlicher Genugtuung die erwirtschafteten Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit mit der zunehmenden Dauerarbeitslosigkeit erklärt, muß man sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen; er sagt mit aller Zufriedenheit: Die zunehmende Dauerarbeitslosigkeit führt dazu, daß mehr Geld in der Kasse übrigbleibt. ({27}) Genauso unbewegt und genauso ohne Mitleid mit den Betroffenen registriert die Regierung, daß die dahinterstehenden Zahlen der Arbeitslosigkeit eigentlich viel schlimmer sind als die ausgewiesenen 2,3 Millionen. 3,1 Millionen Menschen haben bis zum Oktober in diesem Jahr das Schicksal von Arbeitslosigkeit erlebt. Einige, viele sogar, konnten wieder zurückvermittelt werden. Sehr viele aber bleiben arbeitslos, werden länger arbeitslos, und die Dauerarbeitslosigkeit währt in der Zwischenzeit bei sehr vielen schon fast zwei Jahre. Es stört Sie nicht, daß in Ihrer Regierungszeit 400 000 Menschen mehr in die Arbeitslosenstatistiken gekommen sind. Es stört Sie nicht, daß die durchschnittliche Arbeitslosenzahl steigt. Es stört Sie auch nicht, daß die fünf Weisen Ihnen für 1986 keine Besserung voraussagen. ({28}) Im Gegenteil, Sie verweisen auf die Zunahme der Beschäftigung als Beweis für den Erfolg Ihrer Politik. Schauen Sie sich einmal die Zahlen bei der Zunahme der Beschäftigung an! Fast drei Viertel kommen aus der sogenannten „stillen Reserve", sind Hausfrauen, die in nicht zumutbaren oder nur in unzureichenden Beschäftigungsverhältnissen im Dienstleistungsbereich eine Arbeit gefunden haben. Gleichzeitig wird durch Technisierung und Automatisierung die Produktivität erhöht und werden mehr Leute in die Massen- und Dauerarbeitslosigkeit entlassen, als Sie Hausfrauen auf der anderen Seite in Dienstleistungsbereichen untergebracht haben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Simonis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lammert?

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es nicht angerechnet wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Simonis, wenn nach den vorliegenden Zahlen der vergangenen Jahre und nach den Vorausschätzungen nicht nur der Sachverständigen, sondern aller Wirtschaftsforschungsinstitute seit dem Beginn dieser Legislaturperiode bis zu ihrem Ende die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse um 900 000 gestiegen sein wird, ist das dann in Ihrer Terminologie eine tatsächliche Verbesserung der Arbeitsmarktlage oder statistische Schönfärberei? ({0})

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist zunächst einmal erfreulich, daß auch Hausfrauen wieder einen Arbeitsplatz finden. Aber das ist nicht unser Problem. Es ist keine reale Verbesserung der Situation, wenn diese Hausfrauen in den Beschäftigungsverhältnissen, in die sie kommen, schlecht bezahlt werden, sich in Abrufverhältnissen befinden und jederzeit damit rechnen müssen - wie bei McDonald's oder Aldi -, wieder herausgeschmissen zu werden. ({0}) Dann ist es keine Verbesserung der realen Situation. Man könnte Ihnen auch an anderer Stelle nachweisen, wie wenig es Ihnen gelungen ist, Ihre eigenen Versprechen einzuhalten. Statt eines Subventionsabbaus haben wir eine neue Rekordzahl an Subventionen. Statt Senkung der Steuer- und Abgabenlast verzeichnen wir eine neue Rekordhöhe der Steuern und Abgaben. Statt Ausbildungsplätzen für jeden Jugendlichen gibt es immer mehr unversorgte Jugendliche. Statt Abbau der Arbeitslosigkeit noch in diesem Jahr haben wir eine Zunahme der Zahl der Arbeitslosen. Dies alles haben Sie zu verantworten. Wenn Sie schon die Versprechungen, die Sie gemacht haben, nicht gehalten haben, nimmt es nicht wunder, daß sich auf anderen Gebieten, wo Sie sich nicht gebunden fühlen, sozusagen ein schwarzes Loch auftut. Was in Ihr stramm konservatives Weltbild nicht hineinpaßt, verschwindet in diesem schwarzen Loch auf Nimmerwiedersehen. Keine Umweltpolitik, keine Sozialpolitik, keine vernünftige Methode, Arbeitszeit zu verkürzen und mehr Menschen am Wohlstand teilhaben zu lassen! Ihre Hau-ruck-Wachstumsideologie ist nicht im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, sondern sie orientiert sich am Gewinninteresse der Großindustrie. ({1}) Ihre Hau-ruck-Wachstumsideologie ist nicht behutsam auf das Maß zurückzuführen, was Mensch und Umwelt ertragen können, sondern sie wird bewußt so gefahren, daß die Umwelt auf die Dauer darunter leiden muß. Wenn ich mir den Parlamentarischen Staatssekretär im Verkehrsministerium richtig angehört habe, dann ist er für den erhöhten Einsatz von Salz beim Bestreuen vereister Straßen. Ihre Politik zementiert eine Raffke-Gesellschaft. ({2}) - Raffke! Raffen heißt nehmen, einkassieren - auf Kosten anderer. ({3}) Wer das will, ist mit Wachstumsraten leicht zufriedenzustellen und schert sich nicht um Arbeitslosigkeit. Da wir Ihre Auffassung nicht teilen, können wir Ihrem Haushalt nicht zustimmen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für diejenigen draußen und diejenigen unter uns, die die Frau Kollegin Simonis weniger gut kennen, darf ich sagen, daß sie im Ausschuß ganz anders ist: Sie ist eine charmante, liebenswerte Kollegin, die dort auch ganz vernünftige wirtschaftspolitische Ansichten von sich gibt. ({0}) Heute hat sie anscheinend etwas im Streß gestanden; wir haben dafür sehr viel Verständnis. Es geht überall auf die Nominierungen zu; ({1}) sie muß in Schleswig-Holstein wieder nominiert werden. Ich nehme an, daß sie deswegen heute all dies - Sie auch, Herr Jungmann -, was in Schleswig-Holstein ideologisch eine Rolle spielt, hier ausgebreitet hat, vom Rüstungsexport bis zu sonst-was. ({2}) - Aber verehrter, lieber Herr Jungmann, wir wissen doch, daß Politik mit Ideologie zu tun hat, ({3}) und was hier gebracht worden ist, war Ideologie in Reinkultur. ({4}) Ich möchte jetzt auf die Wirtschaft zu sprechen kommen. „Die gegenwärtige Haushaltsgebahrung des Staates und die Defizite, die sich für die nächsten Jahre abzeichnen, haben eine Vertrauenskrise entstehen lassen." Meine Damen und Herren, das war die Quintessenz des Sondergutachtens des Sachverständigenrates vom Juli 1981, angesichts der dramatischen Zuspitzung auf dem Arbeitsmarkt, in den öffentlichen Haushalten, bei Preisen, Zinsen, Löhnen, Realeinkommen und Leistungsbilanz. Der Sachverständigenrat hatte damals nicht übertrieben: Sämtliche Ziele des Stabilitätsgesetzes waren verfehlt. Der jährliche Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Jahren 1981 und 1982 mit jeweils 40 % war nicht anders als dramatisch zu bezeichnen. Deswegen habe ich mich sehr gewundert, daß Herr Apel heute morgen so getan hat, als ob er mit diesen Sünden überhaupt nichts zu tun hätte. Er hat dies alles ignoriert. ({5}) Zwischen den beiden Aussagen, nämlich zwischen dem Sachverständigenrat von damals und heute, liegen nicht nur vier Jahre, sondern es liegen auch Welten dazwischen. Ob Kapitalmarktzins, Preisrate, gesamtwirtschaftliche Investitionsquote, Zuwachs des Bruttosozialprodukts, Realeinkommen, Leistungsbilanz, alle Vergleiche mit den Zeiten sozialdemokratischer Regierungskunst fallen zugunsten der neuen Wirtschafts- und Finanzpolitik besser aus. ({6}) Hohe Investitionen, steigende Beschäftigung, Preisstabilität, Steuerentlastungen und ein ganzes Bündel von neuen sozialen Maßnahmen sind sichtbares Zeichen der Wende. Was die SPD als „neue Armut" bezeichnet, war das Ergebnis Ihrer Politik. ({7}) Die SPD will den Aufschwung nicht wahrhaben und mit demagogischer Miesmacherei leugnen, daß es bei uns wieder dauerhaft und stabil aufwärtsgeht. Darüber ärgern sich viele von der SPD. ({8}) Ich kann dies verstehen, weil es schlecht in Ihr wahltaktisches Konzept paßt. Ich habe mich gefreut, daß der Herr Wieczorek hier als einziger ausdrücklich gesagt hat, er freue sich darüber, daß es 'aufwärts gehe. ({9}) - Dann war es sehr schwer zu verstehen. Wir müssen Sie veranlassen, Herr Jungmann - Sie haben j a viel Einfluß auf die Dame -, daß sie künftig so spricht, daß auch wir alles verstehen können. Sonst soll sie uns ihre Rede vorher schriftlich geben. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei ihm gestatte ich eine; er ist immer amüsant dabei. Bitte sehr!

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Glos, wollen Sie bestreiten, daß es eine Parteistrategie Ihres Parteivorsitzenden Strauß in Sonthofen war, die hieß: Alles miesmachen, treiben lassen, immer tiefer in das Desaster hinein, und daß sich die SPD durch ihren Optimismus in die Zukunft von Herrn Strauß ganz wohltuend unterscheidet?

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werde Ihnen, lieber Herr Kühbacher, Gelegenheit geben - vielleicht werde ich eine Eintrittskarte oder so etwas besorgen -, Herrn Strauß mal life zu erleben, seine Reden im Originalton zu hören. Dann müßten Sie vielleicht nicht auf solche Verdrehungen, wie sie möglicherweise im „Vorwärts" oder sonstwo abgedruckt sind, Bezug nehmen. Dann kämen Sie zu ganz anderen Schlußfolgerungen. ({0}) Unsere Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist vor allen Dingen eine Politik für Arbeitnehmer und für die Familien. Sichere Arbeitsplätze, stabile Preise, steigende Realeinkommen, ({1}) das ist für uns echt arbeitnehmerfreundliche Politik. ({2}) Sie haben auf Baisse statt auf Hausse spekuliert. Sie liegen jetzt daneben. Das ist für jeden Spekulanten ärgerlich. Ich kann Ihren Arger verstehen. Die Fakten sprechen jedenfalls für uns. Sie sollten diese Fakten einfach zur Kenntnis nehmen, denn sie sind durchweg positiv, und zwar zum Teil sogar in einem Maße, das wir selber nicht erwartet haben. Diese Fakten bestätigen die Richtigkeit unserer Politik. Deswegen ärgert sich die Opposition im Hause auch so. Wir möchten Sie bitten, die Wirklichkeit bei uns im Land endlich zur Kenntnis zu nehmen. Solange sich eine Opposition weigert, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen, so lange taugt diese Opposition nichts. Wir wollen nicht so weit gehen wie Herbert Wehner, der hier einmal in einem Anfall von Hochmut gesagt hat: „Wir brauchen die Opposition nicht." - Ich bin der Meinung, daß wir die Opposition brauchen. Nur, wir haben keine richtige Opposition, schon gar nicht auf wirtschaftlichem Gebiet. ({3}) Beweis dafür ist das sogenannte „neue Wirtschaftsprogramm" der SPD, das wieder den Anschein von Kompetenz in Wirtschaftsfragen zurückgeben soll. Dieses Paket enthält nichts weiter als alte Ladenhüter in neuer Verpackung. Es ist also eine Mogelpackung, alter Wein in neuen Schläuchen. Das ist mit Glykol verfälschter wirtschaftspolitischer Wein mit haushaltspolitischem Sprengstoffzusatz. ({4}) Was Herr Roth hier auf den Tisch gelegt hat, beurteilen selbst alte Juso-Freunde wie folgt: Wie die SPD mit diesem Konzept die Zukunft gestalten oder auch nur vier Regierungsjahre politisch durchstehen soll, bleibt ein Rätsel der Kommission. Die „Welt" schreibt: Es ist weder Fisch noch Fleisch, sondern wäre bei einer Umsetzung wirklich das, was man als verheerend bezeichnen kann. Die „Kölner Rundschau" schreibt über dieses Programm: Hätte sich dieses Programm jemals in der Praxis zu bewähren, würde es sich wieder rasch als ein großer Bluff erweisen. Ich habe dem sehr wenig hinzuzufügen. Wenn man sich dieses Programm näher anschaut, dann wird einem klar, daß hier wieder alte Ladenhüter auftauchen. Staatlicher Bürokratismus soll alles besser machen als freie unternehmerische Entscheidungen. Marktwirtschaft ist nur noch ein Lippenbekenntnis. Letztlich soll alles global, regional oder sektoral gesteuert werden. Anstelle von Wirtschafts- und Sozialräten gibt es jetzt sogenannte Kommissionen. Und neue Technik unterliegt selbstverständlich „demokratischer Kontrolle", was immer darunter zu verstehen ist. ({5}) Bis man sich in diesem Gremium der „demokratischen Kontrolle", wie Sie es nennen, überhaupt auf ein Minimum an technischem Fortschritt verständigen könnte, hätten unsere Konkurrenten auf dem Weltmarkt schon längst das Geschäft gemacht, und wir hätten das Nachsehen. ({6}) Beschäftigungsprogramme heißen jetzt schamhaft „beschäftigungsorientierte Strukturprogramme" - als ob neue Etikette und Verpackungen einen ungenießbaren Inhalt verbessern könnten. ({7}) Hinter wohlklingenden Wortschöpfungen wie „Soziales Bündnis - Arbeit für alle" verbergen sich ganz massive Steuererhöhungen für sogenannte Besserverdienende, ({8}) für den Handwerker, für den Freiberufler, für den tüchtigen Facharbeiter und für dessen berufstätige Ehefrau. Sie alle sollen zur Kasse gebeten werden, obwohl heute schon die Grenzabgabenbelastungen von jeder verdienten Mark weit über 50 Pfennige betragen. Letztlich bleibt im Programm des Herrn Roth alles verschwommen; alles ist voller Widersprüche. Keiner weiß wirklich, welchen wirtschaftspolitischen Kurs die SPD einschlagen würde. ({9}) Eines ist ganz sicher: Sie würden wieder alles daransetzen, um dem Steuerzahler noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen ({10}) und vor allen Dingen um unsere Konsolidierungspolitik wieder zunichte zu machen, indem Sie die Staatsverschuldung erneut dramatisch in die Höhe schrauben würden. ({11}) Bei Ihnen ist eines erkennbar: Je stärker der Trend zum grünen Bündnis auch in Bonn ist, desto verworrener, widersprüchlicher und irrationaler werden Sie auch in Ihrer Energiepolitik. ({12}) Die Abwendung der deutschen Sozialdemokratie von der Kernenergie wird immer deutlicher. Wiederaufbereitung und Brütertechnologie werden abgelehnt. Der Ausstieg aus der gesamten Kernenergie ist erklärtes mittelfristiges Ziel der SPD. ({13}) Ich erinnere an die beinahe haßerfüllten Diskussionen zur Frage, ob Wackersdorf in die regionale Strukturpolitik einbezogen werden soll oder nicht. ({14}) - Es war ein guter Coup. Das war gut gemacht; allen Respekt für die, die es eingefädelt haben. Ich bedanke mich dafür, daß Sie die bayerische Bürokratie loben, Herr Kollege Müller. Ich werde es ausdrücklich weitergeben. Die Entwicklung im rot-grünen Hessen wirft bereits Schatten auf das Kohleland Nordrhein-Westfalen. Darüber hätte Herr Posser heute ein paar Worte verlieren können. ({15}) - Ich erläutere es Ihnen gerne. Die hessischen Pläne zum Ausstieg aus der Kernenergie und zur Schaffung einer sogenannten dezentralen Energieversorgung durch eine Vielzahl kleiner öl- und gasbetriebener Kleinkraftwerke, wie sie genannt werden, gingen ohne Zweifel zu Lasten der deutschen Steinkohle. ({16}) Der grünen Ideologie von Sektierern werden also leichtsinnigerweise - ich möchte sagen: skrupellos - Arbeitsplätze geopfert. ({17}) Es sind nur wenige in der SPD, die sich dagegenstellen und sich dagegen verwahren. Diese Minderheit nimmt meiner Ansicht nach immer stärker ab. Der Sog des hessischen Bündnisses setzt sich durch. Wir haben das Nötige für die deutsche Steinkohle getan. Wir haben durch eine entsprechende Mittelbereitstellung dafür gesorgt, daß der Hüttenvertrag neu abgeschlossen werden kann. Wir werden auch künftig dafür sorgen, daß die deutsche Steinkohle ihren Beitrag zur Energieversorgung leistet. Was soll die Arbeitnehmerschaft, was soll vor allen Dingen der gutverdienende Facharbeiter, der junge Ingenieur, der aufstrebende Techniker von diesem diffusen, technikfeindlichen und arbeitsplatzgefährdenden Wirtschaftsprogramm der SPD halten? Herr Glotz, der ja als einer Ihrer Vordenker gilt, hat nicht so unrecht, wenn er sagt: Die SPD wird sich in Zukunft stärker um ihre traditionellen Kernwähler - Facharbeiter, die technische Intelligenz usw. - kümmern müssen. Jedenfalls ist das mit diesem aufgewärmten programmatischen Gehversuch nicht möglich. Sie werden dieses Ziel verfehlen. Wir scheuen nicht die Auseinandersetzung um die Arbeitnehmerstimmen. Je grüner Ihre Politik und je gefährdeter die Arbeitsplätze sind, desto mehr disqualifizieren Sie sich als das, was Sie angeblich sein wollen, nämlich eine echte Arbeitnehmerpartei. Je mehr Sie sich den GRÜNEN auch in der Bundesrepublik anbiedern, desto mehr verraten Sie die ureigensten Interessen der Arbeitnehmer in unserem Land. ({18})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Suhr?

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, nicht mehr. Die Haltung der SPD und ihrer grünen Wunschpartner zum Tempolimit ist ein Schulbeispiel dafür und zeigt, daß Ihnen technischer Fortschritt und damit Arbeitsplätze vollkommen gleichgültig sind. ({0}) Im Gegenteil: Ohne die Ergebnisse des Großversuchs abzuwarten, hat man das Tempolimit gefordert. Man nimmt die Ergebnisse des Großversuchs nicht zur Kenntnis. Dabei ist es einem ganz egal, wenn Arbeitsplätze in der Automobilindustrie kaputtgehen. ({1}) Es steht fest, daß die Automobilindustrie wie kein anderer Wirtschaftszweig zum Aufschwung beigetragen hat. In den beiden vergangenen Jahren hat die Zahl der Beschäftigten dieses Industriezweigs um über 40 000 zugenommen. Deutsche Autos werden international gekauft, weil sie technisch hervorragend und sicher sind und weil man mit ihnen auch sicher schnell fahren kann, auch wenn man es nicht überall darf. Gottlob ist auch dank der schnellen Entscheidung der Bundesregierung Ihr dritter Versuch, eine sozialistische Einheitsgeschwindigkeit zu verordnen, gescheitert. ({2}) Wir erinnern uns doch an die beiden vorangegangenen Versuche. Bei dem ersten Versuch mußte die angebliche Unfallgefahr bei hoher Geschwindigkeit herhalten. Dann kam die Energiesituation, um den alten sozialistischen Traum von der Gleichheit - immer auf niedrigem Niveau - zu verwirklichen. ({3}) Unser Weg ist es, auch die umweltpolitische Herausforderung mit den gleichen Mitteln zu bekämpfen, mit denen wir andere Probleme bewältigt haben, mit Mut zur verbesserten Technik. Das abgasarme Auto wird sich dank seiner Überlegenheit, dank steuerlicher Anreize und hoffentlich auch bald dank der besseren umweltpolitischen Einsichten der Verbraucher durchsetzen. ({4}) Herr Leinen und Herr Fischer machen kraftmeierische Sprüche. Unter Beugung und Bruch geltenden Rechts wollen sie mit ihren rot-grünen Landesregierungen nicht davor zurückschrecken, ein Tempolimit kraft hochstaplerischer Kompetenzanmaßung durchzusetzen. ({5}) Wer sehen will, weiß jedoch: Hierdurch würde weder der Wald grüner, noch würden die Zukunftsaussichten der deutschen Automobilindustrie und damit die Beschäftigungsmöglichkeit auf längere Sicht besser. Im Gegenteil, sie würden ungleich düsterer. ({6}) Völlig vergeblich sind Ihre Bemühungen um den Mittelstand. Diese Gruppen haben Sie in einem Maße verprellt, daß Sie hier auf absehbare Zeit keine Zustimmung zu Ihrer Politik erwarten dürfen. Auch mit Ihrem „neuen Wirtschaftsprogramm" wird Ihnen dies nicht besser gelingen, auch nicht, wenn Sie neuerdings das Instrument der mittelstandsbezogenen Investitionsrücklage fordern, das Sie von uns abgeschrieben haben. Ihre Absicht ist durchsichtig. Sie waren hier nur Trittbrettfahrer, um sich beim gewerblichen Mittelstand anzubiedern, und wollen das Ganze zudem als Einstieg zu einer umfassenden Investitionslenkung. Während Sie noch das Lockmittel Investitionsrücklage ausstreuen, halten Sie sich schon bereit; Sie haben den Knüppel in Ihrer rechten Hand, um mit massiven Steuerbelastungen speziell für den Mittelstand, mit Ergänzungsabgabe, Einschränkung des Ehegattensplittings, Abschaffung von Kinderfreibeträgen, Einbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer und Rückgängigmachung der Gewerbesteuerentlastungen ({7}) sowie mittelstandsfeindlichen Eingriffen im Einkommensteuertarif dies dann wieder abzunehmen. ({8}) Die Summe dieser Vorschläge würde den Mittelstand in unserem Land geradezu strangulieren. Das Medikament, verabreicht aus ihrer wirtschaftspolitischen Alchimistenküche, ({9}) würde so viele schädliche Nebenwirkungen haben, daß der Patient dann zuletzt zu Tode kuriert ist. ({10}) Ich rechne fest damit, daß wir unsere Absicht, diese steuersparende Investitionsrücklage - mittelstandsbezogen -, in der nächsten Legislaturperiode ohne schädliche Nebenwirkungen durchsetzen können. Ich hoffe, daß dies auch mit unserem Koalitionspartner FDP gelingt; sie haben bisher noch nicht j a dazu gesagt; aber vielleicht überlegt es sich Herr Minister Bangemann, anschließend ein freundliches Wort dazu zu sagen. Jedenfalls haben die kleinen und mittleren Unternehmen, die kleinen Handwerker, die kleinen Einzelhändler dazu beigetragen, daß die Einbrüche bei der Beschäftigung, die wir in den letzten Jahren leider zu beklagen haben, nicht noch viel schlimmer ausgefallen sind. Sie haben die Krisen durchgehalten, sie haben auch ihre Mitarbeiter in schwieriger Zeit durchgehalten. Wir müssen dann, wenn sich wieder neue steuerpolitische Verteilungsspielräume ergeben, diese Gruppe an entscheidender Stelle mit berücksichtigen. ({11}) Ich darf in diesem Zusammenhang auch einmal die deutschen Banken und Sparkassen an den Mittelstand erinnern. ({12}) Man scheint sehr risikofreudig zu sein, wenn es um die Finanzierung dubioser Großkunden geht; aber man ist sehr kleinlich, wenn es darum geht, einem kleinen Handwerker einen Kredit für nötige Investitionsmaßnahmen einzuräumen. Der muß dann den allerletzten Knopf aus seinem Privatvermögen verpfänden, um überhaupt etwas zu bekommen, während es großen Baugesellschaften - dubiosen Steuerhinterziehungsfirmen, hätte ich fast gesagt - direkt so irgendwo hereingeschoben wird. Ich will jetzt nicht sagen, wo. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wählen als zentralen Punkt zur politischen Auseinandersetzung die Arbeitslosigkeit. Auch hier scheuen wir die Auseinandersetzung nicht. Die Zahlen sind heute schon genannt worden: 300 000 neue Arbeitsplätze im nächsten Jahr. Ich bin der Meinung, es könnten sogar noch mehr werden. Ich darf Sie daran erinnern, was Helmut Schmidt, Ihr damaliger Bundeskanzler, vor der Bundestagsfraktion gesagt hat. ({14}) Danach ist unter der Regierungsverantwortung der SPD in zwölf Jahren die Zahl der Arbeitsplätze um 1,3 Millionen zurückgegangen und gleichzeitig die Zahl der Arbeitslosen von praktisch null auf 1,8 Millionen angestiegen. ({15}) Helmut Schmidt hat Ihnen damals diese Zahlen vorgetragen, um Ihnen klarzumachen, daß es nicht so weitergehen darf. Sie haben in der Mehrzahl seine Ansicht nicht geteilt. Das hat Sie die Regierungsverantwortung gekostet. Ich darf allerdings zur Ehrenrettung meiner Vorrednerin sagen: sie hat die Ansichten von Helmut Schmidt meistens nie geteilt, ganz egal, in welcher Frage. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Beschäftigungs- und Qualifizierungsoffensive des nächsten Jahres bedarf vor allen Dingen auch der Unterstützung der Tarifpartner. Deswegen appellieren wir an die Tarifpartner, ihrer Verantwortung für den Aufschwung der jetzt läuft und der im nächsten Jahr mit einem vermehrten Tempo laufen wird, gerecht zu werden und keinen unnötigen Streik, wie wir ihn z. B. jetzt bei der Lufthansa erlebt haben, vom Zaun zu brechen. Ich kann mir vorstellen, daß so ein Streik auch den Arbeitnehmern nicht gefällt und daß die DGB-Gewerkschaften damit keine neuen Mitglieder gewinnen, sondern daß ihnen die Mitglieder davonlaufen. Wir schauen nicht mit Häme drauf, sondern wir weisen Sie ausdrücklich auf dieses Risiko hin. ({17}) Ich vertrete einen Wahlkreis, der hauptsächlich von Arbeitnehmern geprägt ist, die ihr Geld in der Metallindustrie verdienen. Wenn die Arbeitnehmer all den Ratschlägen folgen würden, die sie aus Ihren Hetzpamphleten bekommen, die z. B. die IG Metall herausgibt, dann hätten wir nie so stark zum Erfolg kommen dürfen. Im Gegenteil: Ich sehe sogar, daß sich die Zahl der Mitglieder der IG Metall dort reduziert, weil Sie überzogen haben mit diesen Argumentationen. ({18}) Machen Sie Ihren Einfluß geltend! Sie haben den Einfluß. ({19}) - Sie sind im Zweifelsfall Gewerkschaftsfunktionär. Ich kenne Sie nicht. Aber machen Sie Ihren Einfluß geltend, daß das in Zukunft besser wird, daß Ihre Organisation wieder vernünftiger wird, daß sie wieder objektiver wird. Dann leisten Sie einen ganz entscheidenden Beitrag. ({20}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, über Nordrhein-Westfalen ist heute schon viel debattiert worden. Herr Posser war hier. Sein Brief ist ausführlich behandelt worden. Ich kann nur sagen - Sie sind aus Nordrhein-Westfalen -: Helfen Sie mit, daß man, wenn man in Zukunft die schöne Stadt Düsseldorf irgendwo in der Welt auf der Landkarte sucht, Düsseldorf immer noch am Rhein vermutet, nicht am Rio de la Plata, am Amazonas oder an der Weichsel. ({21}) Denn mit diesen Ländern hat Herr Posser ({22}) die Finanzpolitik des Herrn Rau und der dortigen SPD-Fraktion verglichen. Er hat gesagt: Wenn wir so weitermachen, geht der Weg ganz genau dort hin. ({23}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der wirtschaftliche Aufschwung ist grundsolide. Er gewinnt an Breite und Dynamik. Davon sind wir überzeugt. Im nächsten Jahr wird auch die Nachfrage im Inland wieder steigen, ({24}) so daß wir hier eine zusätzliche Stütze der Konjunktur bekommen. Dies alles ist das Ergebnis einer Politik, die auf Konjunkturprogramme alten Stils verzichtet und sich voll auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen konzentriert hat. Hätten wir statt dessen Beschäftigungsprogramme alten Stils gemacht, die das Strohfeuer nur künstlich entfacht hätten, dann wäre dieses Strohfeuer schon jetzt abgebrannt, und der Aufschwung wäre schon wieder tot. ({25}) Wird werden trotz aller schlechten Ratschläge, die Sie uns geben, diesen Weg fortsetzen. Wir werden auf diesem Weg der vertrauenschaffenden Politik, die zugleich eine soziale Politik ist, zum Erfolg kommen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehrenberg?

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe vorhin auch Kollegen von den GRÜNEN nicht fragen lassen. Ich bedaure, daß ich Sie gleichbehandeln muß, nachdem Sie irgendwo Partner sind. ({0}) Ich bin der festen Überzeugung, wir können dem Jahre 1986 mit großer Zuversicht entgegensehen. Dieses Jahr 1986 wird dank der Politik des neuen Wirtschaftsministers, dem ich bescheinigen kann, daß er sich inzwischen auch im Haushaltsausschuß einen hervorragenden Namen gemacht hat, ({1}) ein hervorragendes Jahr mit steigenden Sozialleistungen, mit Hunderttausenden von neuen Arbeitsplätzen und mit deutlichen Erfolgen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werden. ({2}) Die Politik und der Haushalt des Wirtschaftsministers haben wie schon in den vergangenen Jahren zu diesem Erfolg beigetragen. Deswegen darf ich Sie am Schluß herzlich bitten, diesem Haushalt Ihre Zustimmung zu geben. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, darf ich eine Begrüßung vornehmen. Auf der Ehrentribüne hat der Sekretär des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeitspartei, Herr Dr. Matayás Szurös, Platz genommen. Ich darf Sie im Namen des Deutschen Bundestages sehr herzlich begrüßen. Ich wünsche Ihnen nützliche und erfolgreiche Gespräche während Ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland. ({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Auhagen.

Hendrik Auhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000064, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollege Glos: Wir sind nicht gegen technischen Fortschritt, wir wollen aber vorher wissen, wozu technischer Fortschritt, und wollen keinen Technoromantizismus zu unkalkulierten Preisen. Der hier zu behandelnde Haushalt für 1986 gilt als ein großer Einsparerfolg. Da wir GRÜNEN fürs Sparen sind, haben wir nichts dagegen, solange es sich nicht um vordergründiges Geldsparen auf Kosten der Natur und der menschlichen Grundbedürfnisse handelt. Unter diesem Gesichtspunkt will ich mich jetzt mit einzelnen Punkten des Haushalts 09 beschäftigen, insbesondere mit der Energiepolitik. Als im Herbst und Winter 1973/74 der Ölpreisschock, sichtbar an autofreien Sonntagen, den Bürgern ins Mark - und das heißt: ans Portemonnai - ging, schien eines zumindest unumstritten: Energiesparen. Als Gebot nicht nur der Stunde wurden schwarz-rot-goldene Aufkleber „Ich bin Energiesparer" gedruckt und zumindest halbherzige Energiesparprogramme in die Wege geleitet. Nun wird sicherlich die Mehrzahl der Zuhörer dieser Debatte annehmen, daß dieser Energiesparkonsens auch noch weiterhin besteht. Die konkreten Zahlen im Haushalt 09 sprechen aber eine andere Sprache: In der Titelgruppe 03 werden die Maßnahmen zur Energieeinsparung von sowieso schon mageren 20 Millionen auf 17 Millionen DM gekürzt. Die Förderung der Markteinführung energiesparender Technologien wird ganz gestrichen. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie werden nun sicherlich darauf verweisen, daß es ja andere, nämlich steuerliche Maßnahmen zur Förderung der Energieeinsparung gibt. Einmal davon abgesehen, daß sie nur Steuerzahler, nicht aber Rentner oder Arbeitslose, die Häuser besitzen, betreffen, bedeuten diese Abschreibungsmöglichkeiten zur Zeit eine Reduktion, sie laufen weitgehend aus, und zum Teil fallen sie völlig fort. Gefördert aber werden in diesem Haushalt andere energiepolitische Maßnahmen: 21 Millionen DM werden als Zuschüsse zum Bau großtechnischer Kohleveredelungsanlagen gewährt. Die sogenannte Kohleveredelung ist aber eine Energieverschwendungstechnologie, weil ein extrem großer Teil der Primärenergie bei der Umwandlung in flüssige oder gasförmige Energieträger verlorengeht. ({0}) Deshalb lehnen wir GRÜNEN im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen solche Technologien ab. 120 Millionen DM werden jährlich an die DEMINEX zur Erschließung neuer Erdölfelder in der Nordsee gezahlt. Das ist zum einen im Vergleich zu den lächerlich geringen Ausgaben zur Energieeinsparung eine ungeheure Summe; zum anderen aber stellt die Ölförderung in der Nordsee eine tödliche Gefahr für die sowieso schon kranke Nordsee dar. Aber diese Ansätze im Wirtschaftshaushalt für teure und riskante Energietechnologien sind noch minimal im Vergleich zu den Ausgaben für die Wiederaufbereitungsanlage, den Hochtemperaturreaktor und die Kernfusionsforschung. 10 Milliarden DM werden allein für den Gipfel an großtechnologischem Abenteurertum und Zauberlehrlings13434 leichtsinn, nämlich für die Wiederaufbereitungsanlage, ausgegeben, die selbst für die Atomenergienutzung ohne ökonomischen Sinn ist. Anscheinend verfährt die Bundesregierung nach dem Motto: Lieber mit superteurer Großtechnologie den Spatz auf dem Dach fangen als die Energie-Taube in der Hand greifen. Die fette Taube in der Hand aber ist das Energiesparpotential z. B. bei der Raumwärme, das mit 40 % angesetzt wird. Der EG-Energiebericht spricht sogar davon, daß ein Achtel der gesamten Primärenergie eingespart werden könnte. Ja, meine Damen und Herren, wenn es sich um ein Ölfeld unter dem Eis der Antarktis handeln würde oder gar um das Einfangen eines Urankometen aus dem Weltall, das mit deutscher Spitzentechnologie unter der Leitung von Reinhard Furrer eine Science-Fiction-Show abgeben könnte, dann ließe sich hier sicherlich über zig Milliarden reden. Da es sich aber um banalpraktische Maßnahmen zur Energieeinsparung ohne Abenteurertum handelt, fehlt das Interesse und damit das Geld für die von uns geforderten drastischen Aufstockungen für Energiesparmaßnahmen. Oder handelt es sich bei der Politik der Bundesregierung vielleicht um die Lösung einer anderen Energiekrise, nämlich der Absatzkrise der Stromerzeuger? Soll vielleicht den unter Überkapazitäten leidenden Elektrizitätsversorgungsunternehmen und den Gasverteilungsfirmen durch ein Abdrosseln der Energiesparmaßnahmen unter die Arme gegriffen werden? ({1}) - Entschuldigung, ich habe nicht genug Zeit, um durchzukommen. ({2}) Auf jeden Fall, die Zahlen sagen es deutlich: Die Bundesregierung hat ein deutlich nachlassendes Interesse an Energiesparmaßnahmen. Das ist hier zu betonen: Wann eine neue Energiekrise kommen wird, ist nicht sicher. Daß sie aber bei dieser Politik kommen wird, ist sicher. Da werden Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, von diesem Pult sich zu rechtfertigen haben, warum Sie vor dem Hintergrund der Erfahrungen der 70er Jahre und angesichts brachliegender Umbaukapazitäten heute die Energiesparpolitik sanft einschlafen lassen. Deshalb fordern die GRÜNEN, die Unterstützung für Aufklärung über die Möglichkeiten einer rationellen und sparsamen Energieverwendung um 12 Millionen DM aufzustocken, die Umschichtung der 21 Millionen DM für die Kohleverflüssigung zugunsten des Nahwärmeausbaus, die Förderung der beschleunigten Markteinführung energiesparender Technologien mit 100 Millionen DM, die Förderung von Wärmedämm-Maßnahmen an Altbauten in Höhe von 500 Millionen DM. ({3}) Kommen wir zu einem anderen Bereich wirtschafts-politischer Sparsamkeit, dem Verbraucherschutz. Meine Damen und Herren, wir alle wohl werden uns mit Schadenfreude an das Scheitern jener großen Kaffeewerbekampagne erinnern, die dem Verbraucher weiszumachen versuchte, ein Pfund sei gleich 400 Gramm Kaffee. Daß diese gescheiterte Unverschämtheit aber nur die Ausnahme von einer erfolgreichen Regel darstellt, nämlich eines weitgehenden Ohnmachtsverhältnisses des Konsumenten gegenüber den Herstellern, haben die Lebensmittelskandale der letzten sechs Monate bewiesen. ({4}) Hier ist gerade auch nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten der Staat gefragt, der solche Marktungleichgewichte zumindest zu mildern hat. Während die Herstellerfirmen eine propagandistische Großoffensive nach der anderen starten und dabei ca. 30 bis 40 Milliarden DM Werbeumsatz haben, müssen die Anwaltschaften der Verbraucher mühsam um einzelne Stellen kämpfen. Die Zeitschrift der Stiftung Warentest ist aus Geldmangel auf die Annoncen von Firmen angewiesen, deren Produkte sie kritisch und unparteiisch zu prüfen hat. ({5}) Der Haushaltsansatz für Verbraucherunterrichtung und Verbrauchervertretung beträgt mit 25 Millionen DM also ein Tausendstel allein der Werbeetats von Lebensmittel- und Alkoholindustrie. Nichts macht das mangelnde Interesse der Bundesregierung deutlicher, die in anderen Fällen immer so hochgelobte Waffengleichheit zwischen Marktteilnehmern herzustellen. Daher haben die GRÜNEN eine Aufstockung des Gesamttitels um 6,8 Millionen DM gefordert, insbesondere zur Förderung von unabhängigen und ökologischen Verbraucherinitiativen. ({6}) Lassen Sie mich zum Schluß noch zu einem dritten Bereich kommen. Am nächsten Dienstag jährt sich die schlimmste Industriekatastrophe der Menschheit, nämlich die von Bhopal, bei der über 3 000 Menschen getötet und zigtausende schwerstens geschädigt worden sind. Die Wiederholbarkeit solcher Katastrophen auch hier in der Bundesrepublik ist nicht auszuschließen. Außerdem sind die Folgeprobleme der Chlorchemie immer schwerer zu bewältigen. Daher haben wir für den Haushalt 1986 unter dem Titel „Konversion der Chemieindustrie" 50 Millionen DM mit Verpflichtungsermächtigungen von 200 Millionen DM für die Jahre 1987 bis 1990 beantragt. Mit diesen Mitteln soll die Abkehr von der chlorierten Kohlenwasserstoff-Chemie durch Modellanlagen und Demonstrationsvorhaben finanziert werden. ({7}) Meine Damen und Herren, dieser Haushalt spart, indem er Energie verschwendet. Er lenkt knappe Finanzmittel in die falsche großtechnische Richtung. Er subventioniert die inzwischen nach innen wie nach außen gefährlich gewordene Exportpolitik. Wir müssen daher diesen Haushalt ablehnen. Lassen Sie mich zum Schluß Frau Simonis - sie ist nicht da - noch mit ihren kritischen Bemerkungen gegenüber der Exportlastigkeit unterstützen. Diese können wir teilen. Aber wenn ich die Politik auch Ihrer Fraktion im Wirtschaftsausschuß und die Unterstützung der Exportsubventionierung ansehe, sei es der Außenhandelskammern, sei es der Messeunterstützung, dann muß ich sagen, auch Sie sind nicht bereit, hier andere Akzente zu setzen. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Hendrik Auhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000064, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist zu Ende. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich will mich mit der Bezeichnung vorstellen, die mir der Herr Kollege Vogel gestern hat zuteil werden lassen. Es spricht zu Ihnen ein Protagonist des Klassenkampfes von oben. Sagen Sie dem Herrn Vogel: Immer noch lieber Klassenkämpfer von unten ({0}) - von oben - als Klassenlehrer von unten, meine Damen und Herren. Es ist in der Tat das gute Recht der Opposition, die Politik der Bundesregierung und den Haushalt zu kritisieren. Aber wir wüßten gerne: Was will die SPD eigentlich selber? Wollen Sie nun die Steuern senken wie Herr Apel? Wollen Sie die Ergänzungsabgabe wie Herr Roth? Wollen Sie überhaupt keine Steuersenkung wie Herr Posser? Oder wollen Sie für alle einen 10%igen Steuerzuschlag wie der Fraktionsvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag, Professor Farthmann? Was will denn die SPD bei den Sozialleistungen? ({1}) Herr Rau kündigt im Interview die totale Rückgängigmachung aller Kürzungen an. Herr Vogel erklärt postwendend, nur die übertriebenen Kürzungen sollten gestrichen werden. ({2}) Herr Farthmann kritisiert Herrn Rau öffentlich für die Zurücknahme seiner Ankündigungen. Und Herr Rau erklärt anschließend im nordrhein-westfälischen Landtag, an sich fühle er sich wie die SPD natürlich zur Rückgängigmachung aller Kürzungen verpflichtet. - Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, das ist nicht Vielfalt in Eintracht, das ist Einfalt in Zwietracht. ({3}) Was will die SPD nun wirklich? Wie steht es übrigens um ein Gesamtkonzept der SPD in der Wirtschaftspolitik? Seit 1983 haben Sie nichts zustande gebracht. Jetzt wird eine endgültige Entscheidung auf den August 1986, sechs Monate vor der Bundestagswahl, verschoben. Es ist zwar verständlich, daß das SPD-Präsidium die Loseblattausgabe alter Ladenhüter, die der Kollege Roth zu einem angeblichen Wirtschaftsprogramm zusammengebastelt hat, kaum als Leitfaden für eine wirtschaftspolitische Aussage betrachten konnte. ({4}) Es ist ein Armutszeugnis, daß die größte Oppositionspartei es drei Jahre nach den Wahlen nicht fertiggebracht hat, genau die Fragen zu beantworten, für die ihr im März 1983 vom Wähler die Kompetenz abgesprochen worden ist. ({5}) Nun, meine Damen und Herren, ein Wort zu der Frau Kollegin Simonis, die leider nicht mehr hier anwesend ist. Ich habe immer mit großem Vergnügen dem zugehört, was Frau Simonis hier in den letzten Jahren vorgetragen hat. Daß natürlich der Hinweis ausgerechnet auf eine Fregatte, mit der sie wirklich nichts zu tun hat, dann auch schiefgehen mußte, weil Fregatten mit so langen Lieferzeiten noch zu Zeiten der früheren Regierung bestellt und ausgeliefert worden sind, will ich hier nur am Rande vermerken. ({6}) Aber das heute war ein verworrener Beitrag. Und warum? Weil den Erfolgen der Regierungspolitik von dieser Argumentationsbasis her auch mit Amüsement und großer Schnelligkeit wirklich nicht beizukommen ist. ({7}) Ich fand übrigens interessant - vielleicht darf man sich diese Einlage erlauben, Herr Präsident, meine Damen und Herren -, daß einige der Kollegen bei dem Hinweis auf eine „Raffke-Gesellschaft" die Frage brachten: Was ist das? Nun, Raffke, bei Tucholsky Wendriner, das erinnert an die alte Geschichte, wie Raffke mit seiner Frau vor dem Kollosseum in Rom steht und dabei die Bemerkung macht: Sollen Sie doch nicht anfangen zu bauen, wenn ihnen unterwegs der Kies ausgeht. ({8}) Aber zurück, meine Damen und Herren, zu unseren wirtschaftspolitischen Diskussionen. Ebenso wie die Bundesregierung wollen die Sozialdemokraten die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Aber wie bringe ich das eigentlich in Übereinstimmung mit den jüngsten Äußerungen von Helmut Schmidt von unseligen Überschüssen der deutschen Leistungsbilanz, also des deutschen Exports, von denen er gesprochen oder geschrieben hat? Wie sähe es mit der Arbeitslosigkeit aus, wenn der Export nicht liefe? ({9}) Die Bundesregierung betreibt die richtige Außenhandelspolitik. Das kommt im Haushalt 1986 des Bundeswirtschaftsministeriums deutlich zum Ausdruck. ({10}) Die Stärkung der Außenhandelskammern, die Stärkung der Außenhandelsinformationen, die Stärkung der Wirtschaftsabteilungen der Botschaften, die Verbesserung der Hermes-Deckung, das ist richtige Politik. Bei Hermes ist übrigens wichtig, daß nicht durch Prämienkürzungen Subventionselemente eingefügt worden sind. ({11}) Exportsubventionen, davor kann man bei einem Handelsbilanzüberschuß von 54 Milliarden DM nur warnen. Die Entwicklung des Exports, meine Damen und Herren, zeigt unsere starke Einbindung in die Weltwirtschaft. Sie zeigt aber auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen, dank ihrer breiten Angebotspalette und dank der breiten Streuung ihrer Abnehmerländer. Sie zeigt den Preis- und Kostenvorsprung dank moderater Lohnabschlüsse und dank einer konsequenten Stabilitätspolitik von Bundesregierung und Bundesbank. Ganz sicher hat der Wechselkurs des Dollar die deutschen Exporterfolge unterstützt. Er war und ist aber nicht, wie Frau Simonis vorhin meinte, ihre entscheidende Grundlage. Die Bedeutung der Wechselkurse für die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik ist in der Diskussion der letzten Monate nach meiner Auffassung zu kurz gekommen. Eine schnelle Anpassung der Währungsrelationen an die güterwirtschaftlichen Austauschverhältnisse ist nur bei flexiblen Wechselkursen möglich. Verzögerte Anpassungen, wie wir sie zeitweilig im Europäischen Währungssystem erlebt haben, schaffen eine künstliche Exportbegünstigung für die Bundesrepublik, führen auf Dauer aber zu bruchartigen Entwicklungen. Wir sollten sie deshalb vermeiden. Es gibt in letzter Zeit eine lebhafte Diskussion darüber, ob die Welt mit dem System der flexiblen Wechselkurse weiterleben kann. Der Delors-Plan gehört zu dieser Diskussion. Die FDP unterstützt die Haltung von Bundesregierung und Bundesbank. Bis zu einer autonomen europäischen Währungsbehörde ist es noch ein weiter Weg. Die Stationen dorthin heißen Harmonisierung der Wirtschafts-, Geld- und Konjunkturpolitiken. Dem unziemlichen Nötigungsversuch des Präsidenten Delors darf die Bundesregierung nicht nachgeben. Ich höre, daß Helmut Schmidt für Dezember eine europapolitische Rede für den Bundestag vorbereitet. Auch er wird einräumen müssen: Die Zeichen stehen nicht gut für die Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems. Großbritannien macht nicht mit. Italien, Frankreich, Belgien denken nicht an den vollen Abbau ihrer Kapitalmarktbeschränkungen. Sollen wir nun über das EWS hinaus zurück zu festen Wechselkursen? Sollen wir sogenannte Zielzonen vereinbaren? Nach meiner Überzeugung bringt das alles nichts. Wer eine realistische Währungsdiskussion führen will, muß sich von solchen Vorstellungen freimachen. Auch die Kemp-Bradley-Konferenz in Washington hat zu diesem ernüchternden Ergebnis geführt. Feste Wechselkurse sind Erinnerungen an eine vermeintlich besonnte Vergangenheit, nämlich die von Bretton Woods. Träumereien von festen Wechselkursen sind aber auch Flucht aus der Wirklichkeit, Flucht vor klaren Entscheidungen, vor allem in den Vereinigten Staaten. Die Währungs- und Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten bereitet aus internationaler Sicht nach wie vor Sorge. Das ist durch die Verabredung der Finanzminister der fünf großen Industrieländer - Herr Minister Stoltenberg hat sie heute erwähnt - nicht besser geworden. Dort hat man entgegen aller bisherigen Politik verabredet, zugunsten eines schwächeren Dollarkurses in den Devisenmärkten zu intervenieren. Hat man etwa die Überzeugung aufgegeben - Herr Bundesfinanzminister, haben Sie vielleicht auch Ihre bisher fest vertretene Ansicht aufgegeben -, daß man gegen den Markt nicht erfolgreich intervenieren kann? Lösen diese Interventionen das Problem? Sie erlauben allenfalls - um einen amerikanischen Ausdruck zu benutzen -, Zeit zu kaufen, Zeit nämlich - und das haben Sie heute morgen erwähnt -, um dem protektionistischen Druck in den Vereinigten Staaten entgegenzuwirken und ihn zu mildern. Das ist sicher für uns nützlich, vor allem aber für die Japaner. Nutzen aber die Vereinigten Staaten die so gewonnene Zeit? Bauen sie ihr Haushaltsdefizit ab? Zu sehen ist davon nicht viel. Herr Stoltenberg, ich habe heute morgen versucht, ganz genau hinzuhören. Sie haben gesagt: Wir können nur hoffen. Ich habe mich gefragt, ob Sie gesagt haben, wir können nur hoffen, oder ob Sie gesagt haben, wir können nur hoffen. ({12}) - Ich weiß es nicht. Hoffen, gut. Ich hoffe, daß dabei nicht das Hoffen und Harren herauskommt. ({13}) Eher scheint ja in den USA die Neigung zu wachsen - leider -, mit laxer Geldpolitik und der Inkaufnahme von mehr Inflation das Problem zu verkleistern. Ich frage deshalb: Warum beteiligt sich die Bundesregierung ohne deutlich formulierte Reserve an diesem Kurswechsel? Ist es Rücksicht auf die schwierige innenpolitische Situation unseres wichtigsten Bündnispartners? Das wäre ein Grund. Warum gibt die Bundesbank ihre Dollarreserven für diese Aktion in den Markt? Sie tut es immerhin vorsichtig, und sie verdient dafür nicht Kritik, wie die US-Treasury und der „Economist" meinen. Sie verdient dafür Lob. Noch einmal: Das Defizitproblem der Vereinigten Staaten ist in keiner Weise gelöst. 1984/85 betrug das Haushaltsdefizit sage und schreibe 212 Milliarden US-Dollar. So bald wird sich daran nichts Wesentliches ändern. Die von Ihnen zitierte Kongreßresolution endet, wenn ich es recht im Kopf habe, bei 177 Milliarden Dollar für das nächste Haushaltsjahr. Das ist kein sehr großer Unterschied. Die Zinsen sind viel zu hoch. Jede Zinssenkung hilft den Entwicklungsländern mehr als jeder neue Kredit. Es ist zuzugeben, daß neue Kredite gebraucht werden. Hier hat der Baker-Plan sicher recht. Auch eine Stärkung der Weltbank, eine Stärkung von IDA und IMF sind wünschenswert. Wird die amerikanische Regierung aber die notwendigen Mittel vom Kongreß bewilligt erhalten? Nach allen Erfahrungen besteht Anlaß zu Zweifeln. Problematisch wird es, wenn die privaten Banken aufgefordert werden, den Entwicklungsländern zusätzliche Kredite in der Größenordnung von über 20 Milliarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen. Kein Wunder, daß die Banken sich kürzlich getroffen und vereinbart haben, die nationalen Regierungen um staatliche Garantien zu ersuchen. Wollen wir tatsächlich für die Umschuldung, für die Fristverlängerung bei den gewährten Krediten nachträglich staatliche Garantien zur Verfügung stellen? Oder auch für neues Geld? Ich erinnere mich, daß ich daran beteiligt war, den deutschen Banken 1980 einen Blankokredit für Polen aufzureden. Ich würde das nicht noch einmal tun. Es ist eine widersprüchliche Haltung, wenn man einerseits über die Bankenaufsicht auf höhere Wertberichtigungen in Bankbilanzen drängt und andererseits die Banken auffordert, Blankokredite an Schuldner zu geben, die sie sonst nicht bedienen würden. Es ist richtig, daß der Bundesfinanzminister sich hier sehr zurückhaltend gezeigt hat. Entscheidend für die Schuldensituation der Entwicklungsländer bleibt es, ob diese Länder zu einer Politik des dynamischen Wachstums zurückfinden können und ob sie die Kapitalflucht in ihren Ländern beenden können. Der Sachverständigenrat sagt klar: Ein höheres wirtschaftliches Wachstum, eine Öffnung der Märkte und niedrige Zinsen sind der Schlüssel. Außerdem ist es wichtig, daß wir in den Industrieländern Leistungsbilanzüberschüsse erzielen und sie nicht, wie Helmut Schmidt meint, forciert abbauen. Nur Leistungsbilanzüberschüsse können Kapitalexporte in die Entwicklungsländer ermöglichen. Auch deshalb ist es eine falsche Politik, daß die Defizite der USA den Kapitalexport in das reichste Land der Welt animieren und damit die Finanzierungsmöglichkeiten für die Entwicklungsländer drastisch verschlechtern. ({14}) Wir brauchen offene Märkte für die Produkte der Entwicklungsländer. Die vom US-Kongreß verabschiedete Jenkins Bill ist das Gegenteil dessen, was notwendig ist. Man kann nur hoffen, daß Präsident Reagan sie mit seinem Veto verhindert. Alles andere wäre blanker Textilprotektionismus. Bundeswirtschaftsminister Bangemann ist auf dem richtigen Weg, wenn er ein liberaleres Welttextilabkommen anstrebt, als es die bisherigen Regelungen vorgesehen haben. Ich sage ihm aus eigener Erfahrung, seine besseren Argumente werden sich auch gegen die getrennt marschierenden, aber vereint schlagenden seltsamen Kampfgefährten Gesamttextil und Gewerkschaft Textil und Bekleidung durchsetzen. ({15}) Dem Bundeswirtschaftsminister gebührt Dank auch für seine engagierte Arbeit zur Verteidigung und Ausweitung des GATT. Die Vorbereitungskonferenz des GATT hat einen - auf deutsch gesagt - miserablen Verlauf genommen. Es wird noch viel Arbeit brauchen, um hier zu besseren Ergebnissen zu kommen. Zum Thema „Offene Märkte" muß ein Wort in Richtung Japan gesagt werden. Es ist notwendig, daß die Europäische Gemeinschaft und auch wir weiter auf Marktöffnung der Japaner drängen. Es ist aber unsinnig, wenn zwei EG-Kommissare nach Japan fahren und dort die Regierung veranlassen wollen, sich auf quantitative Importziele festzulegen. Es kommen einem die Tränen, wenn man sich daran erinnert, daß einer der Kommissare Liberaler und der andere ausgewiesener Marktwirtschaftler ist. ({16}) Ich denke, daß die Bundesregierung und die Bundesbank es richtig machen, wenn sie den Japanern erweiterten Zugang zum deutschen Kapitalmarkt nur bei Einhaltung von Gegenseitigkeit erlauben. Dieser Exkurs in die weltwirtschaftliche Problematik im Rahmen einer Haushaltsdebatte schien mir notwendig, weil wir über den Tellerrand der eigenen Probleme hinaussehen müssen. ({17}) Die weltwirtschaftliche Problematik hat entscheidenden Einfluß auch auf uns. Es muß in der Weltwirtschaft nicht schiefgehen. Aber es muß an den Grundsätzen einer auf Stabilität und Defizitkonsolidierung gerichteten Politik festgehalten werden. Ein Umschwenken, weil dieser Weg unbequem geworden ist oder weil man nicht die politische Kraft findet, ihn zu Ende zu gehen, kann nur in die Sackgasse führen. Patentrezepte oder - wie die Amerikaner es nennen - ein Quick-fix gibt es nicht. Aber es gibt eine beharrliche und zielgerichtete seriöse Politik. Die Bundesregierung betreibt diese Wirtschafts-, Währungs- und Außenhandelspolitik. Sie werden verstehen, daß es mich erheitert hat, als der Kollege Stoltenberg heute gesagt hat „Stabilität beginnt zu Hause", nachdem ich gestern abend um ein Vortragsthema für einen Vortrag in New York gebeten worden bin und denen gesagt habe, ich wolle reden über „Stability begins at home". Das, meine Damen und Herren, ist guter Karl Schiller. ({18}) Wenn Sie sich dem noch anschließen könnten, dann hätten wir eine ungeheuer große Koalition auf diesem Gebiet. Aber das ist nur Beifall von Ihnen, hinter dem in der Sache leider nichts mehr steht. ({19}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit dieser beharrlichen Politik Erfolg, Erfolg, der die Opposition beunruhigt; diese Debatte macht es allzu deutlich. Der Haushalt 1986 ist eine gute Grundlage, diesen Erfolg auszubauen und ihn zu sichern. Die Freie Demokratische Partei und ihre Bundestagsfraktion werden die Regierung darin weiter unterstützen. Wir versichern die Bundesregierung, wir versichern den Bundeswirtschaftsminister unseres Vertrauens. Herzlichen Dank. ({20})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vorhin von Frau Kollegin Simonis gehört, die Arbeitslosigkeit störe uns nicht; ({0}) so hat sie sich ausgedrückt. Frau Kollegin Simonis, ich möchte Sie darauf hinweisen, daß wir seit dem Sommer 1984 nicht nur in der allgemeinen Beschäftigungsentwicklung das erste Mal einen deutlichen Fortschritt haben - 200 000 Arbeitsplätze mehr -, sondern daß wir im Sachverständigengutachten auch gesagt bekommen haben, ({1}) daß bis Dezember 1986 weitere 300 000 Arbeitsplätze entstehen werden. Jüngere Ergebnisse, etwa die des Instituts der Deutschen Wirtschaft, gehen sogar von einem höheren Zuwachs aus. ({2}) Meine Damen und Herren, es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß der Aufschwung inzwischen auch am Arbeitsmarkt angekommen ist. ({3}) Ich finde, wir sollten das nicht durch Bemerkungen wie die von Frau Simonis wegdiskutieren. Dazu hat nicht nur die allgemeine Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung beigetragen, die soeben von Graf Lambsdorff und heute morgen von Gerhard Stoltenberg in den Grundlinien dargestellt worden ist, sondern dazu hat auch eine Vielzahl von ganz praktischen, haushaltswirksamen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beigetragen, die ich hier nur einmal kurz nennen will. Sie sind nicht alle im Einzelplan 09 aufgeführt, sondern sie sind auch in anderen Einzelplänen aufgeführt, aber sie zeigen die Grundlinie unserer Wirtschaftspolitik. Wir haben die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, meine Damen und Herren von der SPD, seit 1982 um ein Drittel erhöht, und zwar von 6,9 Milliarden DM auf 9,2 Milliarden DM. Wir haben ferner den Mittelansatz für berufliche Fortbildung, Umschulung und betriebliche Einarbeitung zwischen 1982 und 1985 um 15% aufgestockt mit dem Ergebnis, daß von Januar bis August dieses Jahres 52 % mehr Arbeitnehmer als im selben Zeitraum des Jahres 1982 davon Gebrauch machen konnten. Wir haben - das bleibt bei Ihren Diskussionsbeiträgen völlig außen vor ({4}) die Finanzierungsmittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen seit 1982 um 185% aufgestockt und mit 97 000 Teilnehmern mittlerweile eine Zahl erreicht, die um 254 % über der des Jahres 1982 liegt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben darüber hinaus, meine Damen und Herren, mit dem Rückkehrförderungsgesetz für ausländische Arbeitnehmer 140 000 ausländischen Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben, auf humane Weise zurückzukehren. Wir haben mit dem Vorruhestandsgesetz insgesamt 275 000 Arbeitnehmern über 58 Jahre eine Möglichkeit gegeben, davon Gebrauch zu machen. Mit anderen Worten: Ich habe jetzt allein fünf haushaltswirksame Maßnahmen angesprochen, die auf den Arbeitsmarkt direkt einwirken und die zeigen, daß wir nicht nur hinsichtlich der Grundlinie unserer allgemeinen Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern auch in ganz praktischer Arbeitsmarktpolitik - im Unterschied zu Ihnen - nicht reden, sondern handeln. Das sollten Sie, so meine ich, endlich zur Kenntnis nehmen. ({0}) - Ich würde mir wünschen, lieber Herr Kollege Wolfram, daß die Herren aus den Ländern, die hier heute eine vorübergehende Stippvisite machen - beispielsweise aus Hessen -, in einer ähnlichen Weise beschäftigungswirksam tätig werden könnten ({1}) und daß sie nicht durch ihre verfehlte Kernenergiepolitik dazu beitrügen, daß Hunderte von Arbeitsplätzen bei NUKEM und anderswo gefährdet würden, meinen Damen und Herren. ({2}) Ich würde Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, einmal empfehlen, den Teil des Sachverständigengutachtens nachzulesen, der sich mit anderen Vorstellungen von Wirtschaftspolitik auseinandersetzt. Nach mir wird ja der von mir sehr geschätzte Kollege Dr. Mitzscherling sprechen, dessen differenzierte Ansicht zu vielen wirtschaftspolitischen Frage ich kenne. Lieber Kollege Mitzscherling, meine Bitte wäre einfach: Sagen Sie uns doch wenigstens einmal, was Sie denn von den Einwänden der Sachverständigen halten, die uns alle dringend davor warnen, jener anderen Wirtschaftspolitik zu folgen, die sich, entweder in Beschäftigungsprogrammen oder in der Forderung nach einem Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" oder in irgendwelchen anderen Etiketten verpackt, im Kern als die alte Sache darstellen, ({3}) nämlich als nachfrageorientierte Staatsprogramme. Die Sachverständigen sagen, dies wäre genau der falsche Weg für die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ich finde, Sie sollten das zur Kenntnis nehmen und darauf eine Antwort geben. Ebenfalls bitte ich Sie, uns eine Antwort auf die Frage zu geben, die hier auch Graf Lambsdorff angesprochen hat: Wie wollen Sie eigentlich solche Vorstellungen finanzieren? Herr Farthmann sagt, eine 10 %ige Abgabe sollte auf alle Einkommen erhoben werden, also auch auf die Einkommen von Millionen Arbeitnehmern. Herr Roth empfiehlt eine Energiesteuer für alle Energiearten. Herr Jens, Ihr Obmann im Wirtschaftsausschuß, erklärte nach der Anhörung zum Sondervermögen „Arbeit und Umwelt", nachdem er sich offensichtlich von Experten eines Besseren belehren lassen mußte, daß man sich das mit der Energiesteuer noch einmal ernsthaft überlegen müsse. Herr Apel sagt bei bestimmten Gelegenheiten, das Konzept von Gerhard Stoltenberg, die Lohn- und Einkommensteuer zu senken, sei im Prinzip gar nicht so falsch, wenn auch in Einzelheiten fragwürdig. Herr Roth spricht gleichzeitig - um eine vierte offene Flanke zu nennen - von der Frage einer Quellensteuer. Mit anderen Worten: Es gibt zu jedem denkbaren Thema der Finanzierung Ihres Sondervermögens oder irgendwie gearteter Beschäftigungsprogramme mindestens fünf Antworten aus der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Wenn Herr Vogel in den kommenden Monaten eine Aufgabe hat, dann ist es die, dafür zu sorgen, daß es endlich eine kohärente Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik in seiner Bundestagsfraktion gibt ({4}) und nicht ein so diffuses Bild, wie Sie es heute noch haben. Meine Damen und Herren, wir haben im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers erstmals im Jahr 1986 das Existenzansparprogramm. Das ist ein von der CDU/CSU-Fraktion gestarteter Versuch, die Tendenz zu Existenzgründungen gerade junger Leute weiter zu verstärken. Wir begrüßen es, daß dieser Versuch, der im August 1985 gestartet worden ist, schon in weiten Teilen der Bevölkerung eine große Aufnahmebereitschaft gefunden hat. ({5}) Zwischen dem 1. August 1985 und heute haben sich bereits 25 000 Bürger quer durch die Bundesrepublik und vom Norden bis zum Süden zu einem Existenzansparvertrag entschlossen. ({6}) - Das zeigt, Herr Kollege Wolfram, daß die Bereitschaft junger Leute zur Selbständigkeit weit größer ist, als es mancher Sozialdemokrat vermutet, und daß wir den Weg zur Förderung der Existenzgründung junger Leute weiter fördern sollten, weil jeder, der selbständig wird, neue Arbeitsplätze schafft. ({7}) - Herr Kollege Stahl, ich verstehe nicht, warum Sie sich so aufregen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Das gilt auch für die Stehparty vor der Bank des Bundesrates. Das ist auch nicht sehr freundlich gegenüber den Rednern.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie müßten doch mit uns ein Interesse daran haben, daß die Bereitschaft junger Menschen zur Selbständigkeit ermutigt wird und daß wir überall in der Bundesrepublik wieder mehr neue Existenzen bekommen. ({0}) Ich glaube, der stolzeste Teil der Bilanz in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, ({1}) daß seit Sommer 1984 die Zahl der Existenzgründungen in Deutschland wieder höher ist als die Zahl der Pleiten, und das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen. Das schafft neue Arbeitsplätze, ({2}) das bringt eine neue Dynamik gerade in den Mittelstand hinein. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber auf einen Punkt zu sprechen kommen, der uns unter mittelstandspolitischen Gesichtspunkten Anlaß zur Besorgnis gibt. Wir sollten bei aller Erfreulichkeit der konjunkturellen Entwicklung weiter vorhandene strukturelle Probleme nicht übersehen. Ich meine die Konzentrationsentwicklung im Einzelhandel, die uns nach wie vor mit Sorge erfüllen muß, und die zeigt, daß wettbewerbliche Praktiken in diesem wichtigen Bereich inzwischen Züge angenommen haben, die mit unserem Grundverständnis eines fairen Leistungswettbewerbs oft nicht mehr übereinstimmen und deswegen Hunderte von selbständigen Existenzen gefährden. ({3}) Die Monopolkommission, die sich im Frühjahr dieses Jahres in einem Sondergutachten ausführlich mit der Konzentrationsentwicklung im Lebensmitteleinzelhandel beschäftigt hat - ({4}) - Wenn Sie davon so oberflächlich sprechen, Herr Wieczorek, dann will ich darauf hinweisen, daß dieses Sondergutachten deutlich macht, daß zwischen 1968 - ({5}) - Herr Wieczorek, ich schlage vor, daß wir uns mit den Fakten beschäftigen, und daß Sie sich nicht künstlich erregen. Zwischen 1968 und 1979 beträgt der Rückgang der Zahl der Lebensmitteleinzelhandelsbetriebe 38%, und zwischen 1980 und 1982 hat sich die Zahl der Unternehmen noch einmal um 4 % verringert. Wir haben es - nicht in der gesamten Wirtschaft, aber in bestimmten Bereichen des Handels - mit leistungswettbewerbswidrigen Praktiken zu tun, und deswegen kann sich niemand selbstgerecht aufspielen, sondern es muß uns allen, denen es um die Zukunft des Mittelstandes geht, Sorge machen, daß es eine solche Entwicklung gibt. Wir sollten nicht nur Sorgen darüber haben, sondern wir sollten dort, wo wir es können, handeln. ({6}) Deswegen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusammen mit den Kollegen der FDP in diesen Wochen Vorbereitungen getroffen, um noch in dieser Legislaturperiode eine Novelle zum UWG vorzubereiten, des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, um wenigstens einige der schlimmsten Praktiken in Zukunft besser als bisher verhindern zu können. Deswegen wollen wir ein Verbot bestimmter Formen der Preisgegenüberstellung; deswegen wollen wir ein Verbot bestimmter Formen der mengenmäßigen Beschränkung; deswegen wollen wir eine klarere Regelung des Rechts der Sonderveranstaltungen; deswegen wollen wir keinen Aufwendungsersatz mehr für die erste Abmahnung; deswegen wollen wir ein Rücktrittsrecht für Verbraucher bei irreführender Werbung; deswegen wollen wir insgesamt ein marktwirtschaftkonformes, aber gegen leistungswidrige Praktiken gerichtetes neues Gesetz zum Thema unlauterer Wettbewerb. Und wenn Sie vom Mittelstand nicht nur in Zwischenrufen reden, sondern bereit sind, etwas zu tun, ({7}) dann fordere ich Sie auf: Schließen Sie sich unseren Vorschlägen an und helfen Sie dabei mit, daß etwas Praktisches zum Schutze des Mittelstands geschehen kann. ({8}) Ich glaube ohnehin, daß die Zeit vorbei ist, wo die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sich mit nebulösen Ausreden ({9}) aus der Antwort zu konkreten Mittelstands- und Wirtschaftsfragen herausdrückt, sondern daß die Zeit gekommen ist - Herr Mitzscherling, Sie haben ja jetzt die Gelegenheit -, daß Sie uns einmal klar sagen, wohin die Richtung sozialdemokratische Wirtschaftspolitik geht: hin zu mehr Steuern, hin zu einer immer größeren Konzentration, hin zu immer mehr Bürokratisierung und zu mehr Staat oder wieder hin - im Sinne von Karl Schiller - zu mehr Wettbewerb, mehr Marktwirtschaft und damit auch einer besseren Zukunft für den Mittelstand. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Mitzscherling.

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich sehe meine Aufgabe darin, die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu analysieren und zu kritisieren. Deshalb werde ich aus meiner Sicht meine Schwerpunkte auf diesen Teil legen. Falls dabei Verdeutlichungen, sofern sie Ihnen überhaupt erforderlich erscheinen, sozialdemokratischer Positionen notwendig sind, sollen Sie sie von mir erfahren. Sie, meine Damen und Herren, von der Koalition, haben sich in den letzten Tagen - heute und gestern - ja in eine euphorische Stimmung hineingeDr. Mitzscherling steigert, offenbar durch das Gutachten des Sachverständigenrates motiviert, und waren aus dieser euphorischen Stimmung etwas herausgerissen, als meine Kollegin Simonis Ihnen sagte, daß die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes offenbar nicht in einem solchen Umfang erfüllt worden sind, daß Sie das als Erfolg für sich verbuchen können. ({0}) Dies ist auch aus dem Sachverständigenratsgutachten zu ersehen. ({1}) Ich verstehe nicht, daß das von Ihnen offensichtlich nicht bemerkt worden ist. Vielleicht haben Ihnen Ihre Referenten das nicht aufgeschrieben, um Sie nicht aus dieser Stimmung herauszuholen. Es ist doch eindeutig festzustellen, daß in diesem Gutachten ausschließlich das Ziel Preisstabilität als erreicht genannt wird. Selbstverständlich ist das zu begrüßen, aber damit hört es schon auf. ({2}) Die Sachverständigen sagen klipp und klar, daß das außenwirtschaftliche Gleichgewicht in der Bundesrepublik gestört ist. ({3}) Graf Lambsdorff, wenn Sie Helmut Schmidt zitieren und ihn kritisieren, dann haben Sie mit Ihrer Argumentation sicherlich insoweit recht, als Sie sagen: Ein Leistungsbilanzüberschuß ist nötig, denn wir haben Aufgaben zu erfüllen, die sich nur mit einem Leistungsbilanzüberschuß erfüllen lassen. Aber das Tempo seiner Entwicklung, das Ausmaß und die Steigerung rufen doch in aller Welt Gegenkräfte hervor. Das stört doch die internationalen Beziehungen zunehmend. Sie beklagen sich über Protektionismus auf der einen Seite. Das ist doch aber wiederum nur ein Reflex auf ein Verhalten, das auch darauf beruht, daß die durch einen überbewerteten Dollar induzierten Exporte auf die Märkte drängen. Deshalb unser Exporterfolg. ({4}) Wir haben eine gespaltene Konjunktur. Die Binnennachfrage ist nach wie vor schwach. Immer noch trägt der Export das Wachstum. Das wird auch im Jahre 1986 so sein. ({5}) Allerdings sagt der Sachverständigenrat hier, er hoffe, daß dann verstärkte Investitionstätigkeit und privater Verbrauch eine Art Ablösefunktion übernähmen. Nun, wir wollen das hoffen. Zum Wachstum. Meine Damen und Herren, würden Sie ein Wachstum als angemessen bezeichnen, das neu in das Berufsleben tretenden jungen Menschen die Beschäftigung versagt? Reicht das denn? ({6}) Solange wir Massenarbeitslosigkeit haben - das sagt der Sachverständigenrat -, haben wir das Ziel angemessenen Wachstums verfehlt. Sie können es nachlesen. Und der hohe Beschäftigungsstand? Ich glaube, darüber wollen wir uns nicht länger unterhalten. Das ist heute schon häufig zitiert worden. Wir haben unter Einschluß derer, die sich - wie man das so lieblos nennt - in der stillen Reserve befinden, mehr als 3,5 Millionen arbeitslose Bürger. Das ist jeder sechste Bürger in unserem Land. Das muß Sie und uns doch alle aufrütteln. Das kann man doch nicht einfach hinnehmen. ({7}) Ich will diese Kritik, die heute schon geäußert worden ist, nicht noch einmal aufnehmen, daß Sie heute vorwiegend von Beschäftigung und ihrer Zunahme sprechen und die Arbeitslosigkeit als Ziffer gar nicht mehr erwähnen. Es ging um die Beschäftigung im dritten und vierten Jahr eines Konjunkturaufschwungs. ({8}) - Ja, das mag sein. - Im dritten und vierten Jahr des Konjunkturaufschwungs haben wir 500 000 mehr Beschäftigte, nicht 900 000. 500 000 mehr Beschäftigte sind in einem Konjunkturaufschwung, der sich dem Ende zuneigt, verdammt wenig. ({9}) In der letzten Konjunkturperiode - ich darf daran erinnern -, die von 1975 bis 1979 reichte, hatten wir eine Zunahme der Beschäftigung um immerhin 1 Million. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert?

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Mitzscherling, warum unterschlagen Sie in genau diesem Zusammenhang dann aus dem von Ihnen gerade mehrfach zitierten Bericht des Sachverständigenrates präzise die Passage, in der der Sachverständigenrat auf genau diese Zahlenentwicklung des letzten Konjunkturaufschwunges hinweist und dies mit der Bemerkung versieht, es gäbe überhaupt keine überzeugenden Gründe, die eine Wiederholung dieser Entwicklung in der laufenden Periode ausschlössen? ({0})

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Sachverständigenrat hat in seiner Argumentation nicht die Gründe zu dieser Mehrbeschäftigung genannt. Die spielen nämlich in das hinein, was wir damals als Zukunftsinvestitionsprogramm gehabt haben und was durch die zweite Ölpreisentwicklung in seinen Wirkungen voll verdeckt worden ist. Es spricht kein Mensch mehr darüber, daß dieses damalige Pro13442 gramm tatsächlich erhebliche beschäftigungspolitische Wirkungen hatte. ({0}) Der Sachverständigenrat nimmt diesen Teil der Argumentation nicht auf. Das muß ich feststellen. ({1}) Über eines müssen wir uns doch klar sein: Wir sind 1986 im vierten Jahr eines Konjunkturaufschwunges. Wann denn, wenn nicht in einem Konjunkturaufschwung, soll es uns gelingen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren? ({2}) Ich will damit nicht in Frage stellen, daß es durchaus möglich sein kann - der Sachverständigenrat prognostiziert das ja -, daß über das Jahr 1986 hinaus der Aufschwung - in welcher Größenordnung auch immer - anhält. Aber - das ist doch das Problem - wir glauben nicht daran, daß es mit Ihrer Politik gelingen wird, die Zahl dann auch unter 2 Millionen Arbeitslose zu drücken. ({3}) - Wir sprechen jetzt zu Ihnen, Herr Wissmann, wie ich Ihnen vorhin angekündigt habe. Wir glauben auch nicht, daß das, was der Kanzler gestern als „Optimismus mit Augenmaß" bezeichnet hat, geeignet ist, konjunkturgeschichtliche Erfahrungen einfach außer Kraft zu setzen. Es ist nun einmal so, daß nach jedem Konjunkturaufschwung irgendwann ein Konjunkturabschwung kommt. Auch spricht diesmal einiges dafür - da gebe ich Graf Lambsdorff recht -, daß dieser Abschwung durch außenwirtschaftliche Faktoren beeinflußt werden könnte, denn sie geben in der Tat zu sehr großen Bedenken Anlaß. Nehmen Sie sich doch bitte zu Herzen, was der Sachverständigenrat dazu sagt, und lassen Sie das nicht einfach unerwähnt. ({4}) Er sagt klipp und klar: Die Risiken der Weltwirtschaft sind größer geworden. Er sagt klipp und klar - Graf Lambsdorff hat Ihnen das noch einmal wiederholt; ich kann das nur bestätigen -: Das Haushaltsdefizit in den USA bleibt in den nächsten Jahren sicherlich hoch, und es steht grundsätzlich niedrigeren Zinsen entgegen. Es ist die große Frage, ob es der Geldpolitik gelingt, in den USA überhaupt ein inflationsfreies Wachstum dauerhaft zu sichern. ({5}) Vieles spricht vielmehr dafür, daß dieses enorme Leistungsbilanzdefizit der USA und der Importdruck auch bei einem niedrigeren Dollarkurs fortbesteht und daß deshalb die protektionistischen Tendenzen anhalten oder sich sogar verstärken. Die internationalen Verschuldungsprobleme sind ungelöst. Dies ist die Feststellung des Sachverständigenrates. Das ist kein Horrorgemälde, das Sozialdemokraten unterbreiten, sondern diese Feststellung findet sich im Gutachten des Sachverständigenrats. ({6}) Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, halten Sie sich doch bitte vor Augen, was gerade in den letzten Tagen der Chef der amerikanischen Notenbank, Paul Volcker, gesagt hat. Er hat die atemberaubende Verschuldung bestätigt, die Graf Lambsdorff nannte, und zwar nicht nur die des Staates, sondern auch die der Verbraucher und der Unternehmen in Amerika. Er hat gesagt, daß dies mit langfristiger ökonomischer und finanzieller Stabilität nicht vereinbar ist. Er hat weiter gesagt, daß sich die Aussicht auf ein langfristiges Wirtschaftswachstum verdüstert, weil diese Situation die Zinsen in den USA unnötig hochhält. Hohe Zinsen - das wissen wir; darüber haben wir oft genug diskutiert - belasten nicht nur die Dritte Welt und ihre Entschuldung, sondern sie gefährden das internationale Finanzsystem und belasten alle übrigen Industrieländer. ({7}) - Das ist nicht die Bestätigung Ihrer Politik, denn Sie treffen daraufhin keine Vorsorge. Der Sachverständigenrat warnt aber auch davor, in den kommenden Jahren weiter auf den Wachstumsmotor Export zu setzen, Graf Lambsdorff. Er sagt ausdrücklich, es seien Überlegungen diskutabel, ob nicht die Bundesrepublik als ein Land mit beträchtlichen Konsolidierungsfortschritten und einer relativen Preisstabilität nunmehr dazu übergehen sollte, innerhalb Europas eine expansive Politik zu überlegen und dabei natürlich auf den Stabilitätsgrad zu achten. ({8}) Im vergangenen Jahr war schon festzustellen gewesen, daß der Aufschwung in der Welt mit erheblichen Risiken behaftet ist und daß diese Herausforderung, die in der internationalen Wirtschaftspolitik liegt, von uns aufgenommen werden muß.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Mitzscherling, würden Sie zugeben, daß wir hier an dem entscheidenden Punkt der Meinungsverschiedenheiten sind, daß Sie nämlich die Anregung des Sachverständigenrates, eine expansivere Politik zu fahren, über mehr staatliche Ausgaben, wir hingegen durch Steuerverkürzungen, ausnehmen wollen?

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Graf Lambsdorff, was ich dazu zu sagen habe, wie wir uns das vorstellen, werde ich am Ende meiner Ausführungen noch bringen. Wenn Sie gestatten, komme ich darauf zurück. Meine Damen und Herren, wir sind in der merkwürdigen Situation, daß die Analyse des Sachverständigenrates in seinem internationalen Teil sich klar mit diesen Risiken auseinandersetzt, daß der Sachverständigenrat aber in seinen binnenwirtschaftlich orientierten Teilen auf diese kritische Analyse überhaupt keinen Bezug mehr nimmt und ihn schlichtweg fallenläßt. Er wird damit in meinen Augen in der Gestaltung seines Gutachtens zweifelhaft. Vielleicht paßte diese spätere Wirkungsanalyse, die in einen Maßnahmenvorschlag hätte münden müssen, nicht in das Konzept dieser wertfrei urteilenden vier Professoren; das mag sein. ({0}) Wir haben in den letzten Jahren wiederholt darauf hingewiesen, meine Damen und Herren, daß uns die Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten zunehmend Schwierigkeiten bereitet. Sie haben das noch im vorigen Jahr hier als Antiamerikanismus bezeichnet. ({1}) Heute bestätigt Paul Volcker und bestätigen Graf Lambsdorff und auch Bundesminister Stoltenberg durchaus diese Gefahren. Wir haben auf die Notwendigkeit engerer wirtschaftlicher Kooperation zwischen den Industrieländern verwiesen. Genau das sagt heute auch der Sachverständigenrat. Wir haben wiederholt auf die Notwendigkeit stabilerer Wechselkurse und ihrer Entwicklung und damit auf die Notwendigkeit stabilerer Kalkulationsgrundlagen hingewiesen. Graf Lambsdorff, Sie haben sich zu einem Bekenner flexibler Wechselkurse artikuliert und sich hier als solcher vorgestellt. Es war ja sehr interessant, die unterschiedliche Position zu beobachten, die hier deutlich wurde, die Sie markiert haben, auch gegenüber den Beschlüssen, die in New York hinsichtlich der Intervention getroffen worden sind. Nun, ich vertrete die Auffassung, daß das System flexibler Wechselkurse, so wie wir uns das damals gewünscht haben, grundsätzlich und in der Theorie durchaus hätte funktionieren müssen; aber was ist mit dem Dollar und seiner Kaufkraftbewertung und der Veränderung dieser Bewertung im Verhältnis zu anderen Währungen geschehen? Die internationale Devisenspekulation hat sich dessen bemächtigt, und dann stimmte das nicht mehr. Deshalb ist die Überlegung doch gerechtfertigt, ob man nicht nach Möglichkeiten und Wegen sucht, stabilere Wechselkurse und ein System stabilerer Wechselkurse zu schaffen, die auch den Unternehmen eine bessere Kalkulierbarkeit ermöglicht.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, genehmigen Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff? - Bitte sehr, Herr Kollege.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Mitzscherling, können wir uns darüber verständigen, sind wir uns darin einig, daß jedwedes Währungssystem flexibler Wechselkurse und fester Wechselkurse, dann ruiniert werden kann, wenn die Beteiligten, insbesondere der Hauptbeteiligte, sich nicht mehr an monetäre Stabilität und Disziplin halten? ({0})

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich stimme Ihnen so weit zu. Als wir für Interventionen eintraten, die jetzt die Bundesregierung in New York im Konzert der fünf Großen beschlossen hat, haben Sie uns noch als Interventionisten beschimpft und die freie Marktwirtschaft am Devisenmarkt gefordert. Ich darf nur daran erinnern; das ist noch gar nicht so lange her. Nun, es ist jetzt interessant zu sehen, wie das mit den New Yorker Beschlüssen ausgehen wird. Die amerikanischen Äußerungen aus letzter Zeit üben ja einen gewissen Druck auf die Bundesregierung aus; sie besagen, daß die Bundesregierung und die Bundesbank ihren in New York übernommenen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, daß sie sie noch nicht vollständig erfüllt hat. Da hat Finanzstaatssekretär Mulford ein Wechselkursziel von 2,40 DM als erwünscht genannt und hat die Stärkung der Binnennachfrage durch fiskalpolitische Maßnahmen angeregt, hat seine Unzufriedenheit mit der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht und gefordert, daß die Bundesregierung ihren Spielraum mehr nutzen möge. Hier ist offensichtlich ein kleiner Dissens. Es wäre interessant, wenn uns der Herr Bundesfinanzminister einmal sagen könnte, was in New York eigentlich beschlossen worden ist und womit wir zu rechnen haben. Wozu haben Sie sich da eigentlich verpflichtet? Denn über eines müssen wir uns im klaren sein. Wenn der Dollar auf 2,40 DM herunterkommen soll - wer kann schon garantieren, daß er nicht noch stärker fällt -, dann kann sich die Prognose des Sachverständigenrates sehr schnell als zu optimistisch erweisen. Eine solche Entwicklung hat der Sachverständigenrat gar nicht in seine Überlegungen einbezogen. Im übrigen muß man darauf hinweisen - das wissen auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition -: Der Rat ist keinesfalls unfehlbar. Er hat sich in den letzten beiden Jahren schon kräftig geirrt, einmal, was den prophezeiten Investitionsboom im Jahre 1984 betraf, und zum anderen hatte er das Wachstum falsch eingeschätzt. Das kann jederzeit wieder passieren. Wir müssen uns fragen: Wie äußern sich heute die vielfältigen Meinungen, die sich in der Öffentlichkeit breitmachen, in den Investitionsabsichten der Unternehmen? Im Moment scheint das gut zu sein. Jedoch lese ich im „Handelsblatt" von gestern, daß die Industriekreditbank allen im Export tätigen Unternehmen empfiehlt, Exportkapazitäten im Inland nur dann aufzubauen, wenn bei einem Kurs von 2 DM je Dollar noch Absatzmärkte im Ausland gefunden werden könnten. Ich bin sehr im Zweifel, ob alle Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen und ihre Investitionsplanungen, die sie jetzt veröffentlichen, an einer solchen Empfehlung ausgerichtet haben. Ich denke daran, daß das EmnidInstitut im Auftrag der „Wirtschaftswoche" 260 deutsche Unternehmen nach dem Thema „Exportmöglichkeiten und Dollarkurs" befragt hat. Hier kommt man zu dem Ergebnis, daß die Sache bei einem Kurs von 2,40 kritisch wird. Genau das ist die Grenze, die offensichtlich auch die Amerikaner gern erreichen möchten. ({0}) Wir wissen nicht, von welchen Zinserwartungen die Unternehmen bei ihren Investitionsplänen ausgehen. Viele - auch der Sachverständigenrat - erwarten weitere Zinssenkungen, andere, die das anhaltende US-Defizit vor Augen haben, rechnen eher mit steigenden Zinsen. Auf jeden Fall bleibt heute immer noch - das müssen wir uns alle stets vor Augen halten - die Finanzanlage eine interessante Anlagealternative zu einer Sachinvestition. Sicher ist deshalb der prognostizierte Investitionsaufschwung für 1986 keineswegs. Dies, meine Damen und Herren, wollte ich Ihnen sagen, weil ich den Eindruck habe, daß die Bundesregierung wie der Sachverständigenrat in ihren Vorschlägen, in ihrer Politik oder in ihren Maßnahmenvorschlägen die außenwirtschaftlichen Risiken zu sehr vernachlässigen. Die Bundesregierung glaubt optimistisch, es werde schon alles gutgehen. Welche Antworten gibt der Sachverständigenrat? Da kann man nur meditieren. Er sagt schlichtweg: weniger Staat, mehr Markt, vor allem eine fortgesetzte Lohnzurückhaltung. Das sind seine Rezepte. Danach seien alle Probleme gelöst. Wenn das nicht klappt, dann war eben eines davon schuld; im Zweifel war das der Mangel an Lohnzurückhaltung. So einfach ist sein Rezept, das sich übrigens der Bundeswirtschaftsminister zu eigen gemacht hat. Ich möchte keine Mißverständnisse aufkommen lassen, meine Damen und Herren. Auch wir sind für Markt und für Wettbewerb. Das sind für uns wichtige Elemente. ({1}) Aber diese Elemente bedürfen einer sozialen und gesellschaftlichen Kontrolle. ({2}) Sie dagegen scheinen auf diese Kontrolle verzichten zu wollen. Denn wie sonst kann man erklären, daß beispielsweise der Herr Späth tätige Mithilfe beim Zusammenschmieden eines Superkonzerns Daimler-Benz leistet und daß Herr Strauß nicht nachstehen möche und BMW drängt, sich an MBB zu beteiligen? Der Kartellamtspräsident Kartte und der Herr Staatssekretär Schlecht befürchten, daß diese Unternehmenszusammenschlüsse, die mit dem geltenden Kartellrecht praktisch nicht aufzuhalten sind, eine allgemeine Konzentrationswelle in Gang setzen. Dann sind Markt und Wettbewerb nicht nur im Einzelhandel gefährdet, sondern in unserer gesamten Wirtschaft. ({3}) Auch hier hätten wir gern gewußt, was die Bundesregierung dazu zu sagen hat. Eine Meinungsäußerung hierzu haben wir bisher überhaupt noch nicht gehört. ({4}) Meine Damen und Herren, ich darf weiterhin feststellen: Auch wir halten angebotspolitische Elemente in der Wirtschaftspolitik für notwendig, aber eine Angebotspolitik, wie sie von Bundesregierung und Sachverständigenrat ausschließlich propagiert wird, kann nicht alles sein. ({5}) Denn erstens kann Abgebotspolitik nur langfristig wirken, und zweitens garantiert der Markt nicht automatisch mehr Beschäftigung, Herr Wissmann. ({6}) Deshalb haben Sie Karl Schiller auch mit der falschen Stelle zitiert. Karl Schiller hat nämlich gesagt - und er hat völlig recht, wenn er das sagt -: Bei aller Hochachtung vor der angebotspolitischen Botschaft, daß mit einer großartigen Entrümpelung der Wettbewerbshemmnisse der wirtschaftende Mensch wieder mehr Mündigkeit und mehr Handlungsraum erhalten solle - das Beschäftigungs- und das Konjunkturproblem lassen sich damit nicht aus der Welt schaffen. ({7}) Deshalb werden wir Sozialdemokraten - und das ist die Antwort - auch weiterhin auf eine aktive Beschäftigungspolitik drängen. ({8}) Wir wollen und können nicht 2 Millionen Menschen in einer Phase, in der der konjunkturelle Aufschwung zu Ende zu gehen droht, so lange auf der Straße stehen lassen, bis irgendwann einmal angebotspolitische Rezepte wirken. ({9}) Ich verwahre mich gegen das, was gestern Herr Bangemann gesagt hat, daß es nämlich unser Interesse sei, die Menschen in unserem Lande in Hoffnungslosigkeit zu halten. Es ist unwürdig, daß das ein Minister hier einer Partei vorwirft! ({10}) Wir verwahren uns dagegen, daß Sie Ihren Optimismus als Politik-Ersatz benutzen. ({11}) Wir möchten die Enttäuschung der arbeitslosen Menschen, vor allem der jungen Leute - es sind heute immerhin 500 000, die davon betroffen sind -, nicht in Hoffnungslosigkeit münden lassen. ({12}) Da sehen wir den Ansatz einer aktiven Politik! ({13}) Deshalb haben wir in dem, was wir der Öffentlichkeit als den Entwurf eines Programms der SPD vorgelegt haben, gesagt: Wir brauchen eine Beschäftigungsbrücke für die jungen Menschen, ({14}) die ihnen diese Hoffnungslosigkeit nimmt. ({15}) Natürlich sind auch wir - wie Sie - für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, natürlich sind auch wir - wie Sie - für eine Qualifizierungsoffensive, und natürlich sind wir dafür, daß - auch in den Betrieben - mehr Weiterbildung und mehr Fortbildung betrieben wird. Aber dafür muß Solidarität gezeigt werden, und dazu gehört dann auch, zu überlegen, wie man das finanzieren kann. Wenn Sozialdemokraten darauf heute noch unterschiedliche Antworten geben, wird daran doch nur deutlich, daß sie sich die Aufgabe verdammt schwermachen; sie haben keine Patentantworten. ({16})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluß. ({0})

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin dabei, aber ich darf nicht weiterreden. Herr Präsident, wenn Sie erlauben, darf ich es nur noch skizzieren: Ich wiederhole: Wir wollen das so nicht laufen lassen. Den Punkt 1 haben ich Ihnen genannt. Punkt 2: Wir wollen die umweltpolitischen Altlasten beseitigen. ({0}) Ifo - es ist genannt worden - und DIW haben Beschäftigungswirkungen attestiert. Wir brauchen natürlich ein umweltpolitisches Vorsorgerezept. Wir werden auch weiterhin Arbeitszeitverkürzungen anstreben, und wir sind auch für eine grundlegende Steuerreform mit der Zielsetzung: besser niedrige Tarife und wenige Ausnahmen als hohe Tarife und viele Ausnahmen. Ich glaube, da gibt es gewisse Übereinstimmungen. Es gilt auch, eine Reform der Unternehmensbesteuerung herbeizuführen, und vor allem wollen wir eine gerechtere Besteuerung. Schließlich halten wir - das ist der letzte Punkt - an unserer Auffassung fest, daß die wirtschaftspolitischen Weichen in Europa für mehr Arbeit neu gestellt werden müssen. Darüber wird hier in der nächsten Woche zu diskutieren sein. Das Binnenwachstum muß verstärkt werden; damit müssen die Risiken, die besonders von der US-Wirtschaft ausgehen, eingegrenzt werden. Wir fordern Sie zu einem offenen und an der Sache orientierten Dialog auf. ({1}) Ich meine, das sind wir den Arbeitslosen und das sind wir unserer Gesellschaft schuldig. Ich bedanke mich. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft das Wort. ({0})

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Dank sowohl an den Wirtschaftsausschuß als auch an den Haushaltsausschuß beginnen. Ich glaube, daß es jedem Minister in einer parlamentarischen Demokratie gut ansteht, wenn er sagt, die Beratungen der zuständigen Ausschüsse hätten das, was er als Haushalt vorgeschlagen hat, verbessert. Das ist in diesem Fall so. Ich möchte mich auch bei den Kollegen von der SPD und von den GRÜNEN dafür bedanken, daß sie bei diesen Beratungen sehr objektiv und produktiv mitgearbeitet haben, insbesondere was den Teil Außenwirtschaft angeht. Damit bin ich bei einigen Bemerkungen, die von den Rednern hier besonders ausführlich gemacht worden sind. Meine Damen und Herren, es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß Export nicht die einzige Möglichkeit ist, auf die eine Wirtschaft setzen darf. Selbstverständlich muß man auch bei der Ausgewogenheit wirtschaftlicher Entwicklung darauf achten, daß kein Mißverhältnis bei den Kapazitäten und ihrer Ausnutzung entsteht, gemessen an den Binnenmarktmöglichkeiten und an den Exportmöglichkeiten. Aber es unterliegt auch keinem Zweifel, daß die Möglichkeiten, die wir heute haben und die durch die Politik dieser Regierung entstanden sind, z. B. durch das Setzen auf technologische Entwicklungen, durch den Wettbewerbsvorteil, den die deutsche Industrie heute durch die Preiswürdigkeit ihrer Produkte hat, nicht einfach ausgeschlagen werden können, wenn man sich auch um Probleme des Arbeitsmarktes Sorgen macht. Ich frage, wie Sie das anders machen wollen. Da sagt Herr Mitzscherling, es zeichnet die SPD aus, wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, weil sie noch im Begriff des Nachdenkens über schwierige Probleme ist. ({0}) - Gut, wir warten ja gern noch vier, fünf, vielleicht acht Jahre, bis Sie dann zu einer gemeinsamen Meinung gekommen sind. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe und Aufmerksamkeit für den Redner. Die Kolleginnen und Kollegen, die stehen, bitte ich, sich entweder zu setzen oder den Saal zu verlassen.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Es ist natürlich nicht überzeugend, wenn der frühere Bundeskanzler den Vorschlag macht, den Export um die Hälfte zurückzuführen. Überzeugend ist es nicht, weil er nicht gleichzeitig sagt, was wir an die Stelle dieser Produktion setzen sollen. Überzeugend ist es nicht, weil er nicht sagt, wie man das machen will. Wie will man denn in einer freien Marktwirtschaft den Export um die Hälfte zurückführen? Das ist doch unmöglich. Was wir allerdings machen können - und da fängt die Widersprüchlichkeit der SPD an -, ist, unseren Markt stärker für Produkte von Entwicklungsländern zu öffnen, für Produkte der Länder, mit denen wir diesen großen positiven Handelsbilanzsaldo inzwischen erreicht haben. Da frage ich die SPD, wie sie sich denn dazu stellt, etwa ein liberaleres Welttextilabkommen zu erreichen. Da frage ich Sie, wie Sie sich dazu stellen, zu den GATT-Regeln zurückzukehren. Immer dann, wenn diese Fragen auftauchen, vertreten Sie widersprüchliche Positionen. ({0}) Das gilt sogar vom Waffenexport. Meine Damen und Herren, die Regierung hat sich an die Richtlinien gehalten, die hier in diesem Hause verabschiedet worden sind. Und wer etwas anderes behauptet, der soll nachweisen, wo wir die Richtlinien verletzt haben. Wenn Frau Simonis hier mit moralischen Argumenten gegen den Waffenexport angeht, gleichzeitig aber nicht bereit ist, die Lieferung von U-Booten oder Fregatten, die Schleswig-Holstein betreffen, in den Waffenexport einzubeziehen, dann ist das diese Zwiespältigkeit, die nichts mit Nachdenken zu tun hat. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mitzscherling?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Bitte sehr.

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen bekannt, daß uns die Bundesregierung im Handelspolitischen Beirat auf die Frage von Abgeordneten nach der Weiterentwicklung im Bereich des Welttextilabkommens zur Antwort gegeben hat, daß die Bundesregierung sich für eine Anschlußregelung zum Welttextilabkommen wird aussprechen müssen? Ist Ihnen ferner bekannt, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sich ebenfalls für eine Anschlußregelung zum Welttextilabkommen ausgesprochen hat? Ist Ihnen ferner bekannt, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sich für eine GATT-Runde und für einen liberalen Welthandel ausgesprochen hat?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Herr Mitzscherling, das ist doch nicht das Problem. Erstens ist mir das alles bekannt, denn ich betreibe diese Politik. Zweitens liegt darin nicht das Problem; das Problem liegt vielmehr darin, daß wir alle ganz genau wissen, wir können nicht einfach eine Verlängerung des jetzt geltenden Welttextilabkommens erstreben, denn das werden unsere Handelspartner nicht akzeptieren. Wir werden auch nicht zulassen - das habe ich auch öffentlich erklärt -, daß an die Stelle des jetzt Geltenden gar nichts tritt, weil wir dadurch eine Übergangsphase verlieren, die wir sicherlich brauchen. Darum geht der Streit. Das nächste Textilabkommen muß liberaler sein. Es muß möglich sein, daß sich beim nächsten Textilabkommen unsere Märkte stärker öffnen, und zwar, wie ich bewußt sage, für die Entwicklungsländer, nicht für Länder wie Hongkong, Taiwan und Südkorea, die ja im Textilbereich gar nicht mehr Entwicklungsländer sind. Wenn Sie da mit mir einer Meinung sind, dann treten Sie doch einmal mit mir zusammen auf den Tagungen auf, wo die Gewerkschaft Textil-Bekleidung die Bundesregierung wegen dieser Politik angreift. Da fehlen Sie. Da sind Sie nicht zu bemerken. ({0}) Ein Wort, meine Damen und Herren, zu der Wettbewerbsordnung und zu den Fusionen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Gestatten Sie vorher noch eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Simonis?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Ich muß, Herr Präsident, da ich nur noch fünf Minuten habe, dies zu Ende bringen. Ich rede sowieso nur zehn Minuten. Daran mögen Sie, Frau Simonis, den Respekt des Ministers vor dem Parlament und seinem Sachverstand erkennen. Ich habe mich auf zehn Minuten beschränkt, aber diese möchte ich jetzt wirklich ausnutzen. ({0}) - Wenn Sie jemals in die Verlegenheit kommen sollten, ein Regierungsamt auszuüben, was ich nicht annehme, werden sicherlich auch Sie das Bedürfnis verspüren, einmal zehn Minuten lang Ihre Politik zu erklären, zumal dann, wenn ein Erklärungsbedarf auf seiten der Opposition besteht, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Zu diesen Fusionen, die angesprochen worden sind: Natürlich wird das Bundeskartellamt - und dazu ist es ja gehalten - das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen so anwenden, wie es heute besteht. ({2}) So, wie es heute besteht, ist die Fusionskontrolle nicht an das Kriterium der schieren Größe gebunden, sondern die bloße Größe ist ein Aufgreifmerkmal, aber nicht das Beurteilungsmerkmal. Beurteilen muß man die Fusion nach ihrer Auswirkung auf den relevanten Markt. Der relevante Markt hängt einmal von der Art der Produkte der Firmen ab, die sich zusammenschließen, zum anderen aber auch von der Definition. Und da, Herr Mitzscherling, fangen die Probleme an; denn wenn wir den relevanten Markt wirklich vernünftig definieren wollen, genügt es heute nicht mehr, nur den bundesdeutschen Markt zu betrachten. Wir leben in der Europäischen Gemeinschaft. Wir wollen - die Bundesregierung hat das erklärt - den Binnenmarkt erreichen. Wenn wir einen Binnenmarkt erreichen, dann müssen sich im Hinblick auf den relevanten Markt natürlich Unternehmensgrößen anders ausmachen als nur mit Bezug auf den bundesrepublikanischen Markt. Es wird sicherlich in der nächsten Legislaturperiode Überlegungen geben müssen, wie man die Fusionskontrolle wirkungsvoller macht. Aber diese Überlegungen müssen mit einbeziehen, daß wir eben nicht mehr in einem nationalen Markt leben, sondern sich unser Markt erweitert hat, europäisch geworden ist und bei manchen Produkten sogar über die Europäische Gemeinschaft hinausreicht. Nun haben Sie nochmals das alte Thema aufgegriffen, wir seien mit unserer Wirtschaftspolitik deswegen nicht so wirkungsvoll, weil Investitionen heute eben nicht die Arbeitsplätze schaffen könnten, die man brauche, und das Wirtschaftswachstum reiche nicht aus, um diese Arbeitsplätze zu schaffen. Ich möchte hier noch einmal sagen: Ein langanhaltender Aufschwung - und die Sachverständigen haben in ihrem letzten Gutachten wie auch dem in diesem Jahr von der effektiven Chance gesprochen, daß der Aufschwung über mehrere Jahre, nicht nur das nächste Jahr, anhalten könne - kann nicht mit Wachstumsraten von fünf, sechs oder sieben Prozent ablaufen; denn dann würde er nicht über vier, fünf Jahre anhalten können. Er muß vielmehr mit geringeren jährlichen Wachstumsraten auskommen, hat dafür aber die Chance, ohne Verspannungen über längere Zeit anzudauern. Herr Mitzscherling, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind vorhanden. Wir werden in diesem Jahr 200 000 Arbeitsplätze mehr haben. Wir werden im nächsten Jahr 300 000 Arbeitsplätze mehr haben. Das sind doch Auswirkungen, die sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar gemacht haben. ({3}) Ich wiederhole noch einmal: Das große Problem, vor dem wir hier alle stehen, übrigens in besonderer Weise auch die Tarifparteien, ist die strukturelle Arbeitslosigkeit. Die neuen Arbeitsplätze stellen höhere Anforderungen, weisen ein höheres Qualifikationsprofil auf. Wenn die Hälfte der Arbeitslosen heute aus Menschen besteht, die entweder keine abgeschlossene Schulbildung oder keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, liegt da der strukturelle Mangel, den wir bekämpfen müssen, wofür wir Qualifikationsangebote gemacht haben, die jetzt wahrgenommen werden müssen. Dazu gehört auch eine Bereitschaft zu größerer Mobilität. Am erschütterndsten fand ich den Einwurf eines jüngeren Arbeitslosen, der auf die Frage „Würden Sie denn von Nordrhein-Westfalen wegziehen, wenn Ihnen in Bayern ein Arbeitsplatz angeboten wird?" geantwortet hat: „Ich lasse mich nicht nach Bayern deportieren." Bei einer solchen Einstellung werden Sie ungeheure Schwierigkeiten haben, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. ({4}) Herr Mitzscherling, Sie sagen: Wir sind für Marktwirtschaft, wir sind für Investitionen. Herr Mitzscherling, aber wenn Sie sagen, es bestehe immer noch ein Unterschied zwischen der Rentabilität einer Geldanlage und der einer Sachanlage, dann müssen Sie auch zugestehen, daß sich dieser Unterschied erheblich verringert hat. In den zwei Jahren, in denen wir diese Wirtschaftspolitik mit Nachdruck betrieben haben, hat sich die Rentabilität von Sachanlagen gegenüber der von Geldanlagen erheblich verbessert. ({5}) Warum? Weil die Gewinne der Unternehmen gestiegen sind. Das ist notwendig, damit erstens Geld für solche Sachanlagen zur Verfügung steht und man zweitens investieren kann. Aber gerade das verteufeln nicht Sie persönlich, aber Ihre Partei und Ihre Fraktion als die berühmte Umverteilung. Sie sagen, das sei eine Politik zugunsten von Reichen. Das ist eine Politik zugunsten von Arbeitsplätzen. Solange Sie das nicht einsehen, werden Sie mit Ihrer Politik auch nichts bewirken können. ({6}) Ein letztes Wort zum Handwerk und zu kleinen und mittleren Betrieben. Die Gewerbesteuer ist hinsichtlich ihrer Bedeutung für kleine und mittlere Betriebe ständig zurückgegangen. Sie spielt aber immer noch eine entscheidende Rolle bei der Frage der steuerlichen Belastungen von Unternehmungen. Es ist auch eine statistische Zahl, die niemand bestreiten kann: Unsere Unternehmungen sind heute im Durchschnitt mit 70 % steuerlich belastet. Das ist ein Prozentsatz, der höher ist als jeder Prozentsatz bei unseren wichtigsten Konkurrenten um uns herum. Wenn wir die Steuern, vor allen Dingen auf die ertragsunabhängigen Teile - z. B. Vermögen -, nicht abbauen - und das heißt: auch die Gewerbesteuer -, werden Sie diese steuerliche Belastung nicht senken können. Wenn wir nicht zu einem besseren Einkommen-, Lohnsteuer- und Körperschaftsteuertarif kommen, der leistungsgerechter ist, kriegen Sie diese Belastung ebenfalls nicht weg. Da sind Sie gefordert. Man kann sich hier nicht einfach hinstellen und sagen: Wir sind ja auch für Marktwirtschaft. - Das reicht nicht aus. Sie müssen Roß und Reiter nennen. Sind Sie für die Herabsetzung dieser Steuerbelastung von kleinen und mittleren Unternehmen? Sind Sie dafür, daß das Handwerk und die kleinen Betriebe von dieser Belastung freikommen? Dann erst können wir Sie im Lager der Regierungspolitik begrüßen. Aber dann machen Sie genau dasselbe, was wir machen. Dann haben Sie sich schon dadurch unnötig gemacht; denn wir machen es in jedem Fall besser als Sie. Solange Sie aber zu dieser Klarheit nicht in der Lage sind, Herr Glotz, solange Sie immer noch mit unterschiedlichen Zungen reden, so lange können Sie nicht erwarten, daß wir Ihre Angebote ernst nehmen, so lange können Sie nicht erwarten, daß der Wähler Ihre Angebote ernst nimmt. Eine Partei, die mit unterschiedlichen Zungen Verschiedenes an verschiedenen Orten sagt, wird für lange Zeit nicht aus der Opposition herauskommen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Vergnügen. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung erteile ich der Abgeordneten Frau Simonis das Wort.

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, nachdem Sie die Möglichkeit, mich am Mikrophon abzuweisen, genutzt und mir nicht die Möglichkeit gegeben haben, Ihre Unterstellung zurückzuweisen, muß ich nach § 30 der Geschäftsordnung des Bundestages noch einmal das Wort ergreifen. Sie haben gesagt, ich wäre für Waffenexporte, wenn sie meiner eigenen Region - Schleswig-Holstein - oder meinem Wahlkreis dienen würden. Sie haben mir damit Opportunismus unterstellt. Merkwürdigerweise ist es das erste Mal, daß mir Opportunismus unterstellt wird. Sonst unterstellen Sie mir immer, ich sei eine dickköpfige Linke. ({0}) Ich erkläre hiermit, daß Ihre Unterstellung nicht der Wahrheit entspricht, daß dies auch nicht richtig ist, daß Sie dies nicht einmal beurteilen können, weil Sie mich überhaupt nicht genügend kennen, weil Sie nicht lang genug im Parlament sind, weil Sie sich mit der Materie nicht beschäftigt haben. Ich erkläre ausdrücklich zu Protokoll, daß ich aus moralischen, ökonomischen und friedenspolitischen Gründen - auch wenn es Ihnen schwerfällt, das zu begreifen und nachzuvollziehen - immer gegen Waffenexporte außerhalb von NATO-Gebieten gewesen bin. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über die Änderungsanträge des Abgeordneten Dr. Müller ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4304 bis 10/4311. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4304 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4305 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4306 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4307 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4308 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4309 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4310 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4311 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09. Wer dem Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Ich rufe nun Punkt II der Tagesordnung auf: Wahl des Präsidenten des Bundesrechnungshofs und des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs Nach § 5 Abs. 1 des Bundesrechnungshofgesetzes wählen der Deutsche Bundestag und getrennt auch der Bundesrat ohne Aussprache auf Vorschlag der Bundesregierung den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, noch so lange Platz zu nehmen, bis die Vorkehrungen zur Wahl getroffen sind. Ich bin nicht bereit, hier vor einer Stehversammlung Erklärungen zu geben. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. ({2}) Ich bitte die Damen und Herren, Platz zu nehmen. - Das trifft für alle Abgeordneten zu. Ich fahre so lange mit den Beratungen nicht fort, bis die Kolleginnen und Kollegen Platz genommen oder den Saal verlassen haben. ({3}) Präsident Dr. Jenninger Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit. ({4}) Dies gilt für alle Abgeordneten, auch für den Herrn Bundesminister. ({5}) Ich darf wiederholen. Nach § 5 Abs. 1 des Bundesrechnungshofgesetzes wählen der Deutsche Bundestag und getrennt auch der Bundesrat ohne Aussprache auf Vorschlag der Bundesregierung den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs. Die Bundesregierung schlägt mit Schreiben vom 8. November 1985 vor, Herrn Dr. Heinz Günther Zavelberg zum Präsidenten und Herrn Ernst Heuer zum Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs zu wählen. Ich erlaube mir nun einige Hinweise zum Wahlverfahren: Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 des Bundesrechungshofgesetzes werden der Präsident und der Vizepräsident des Bundesrechnungshofes in geheimer Wahl gewählt, also mit versteckten Stimmzetteln. ({6}) - Mit verdeckten, Entschuldigung. Aber auch „mit versteckten Stimmzetteln" kann zutreffen, wenn sie in den Pulten sind. - Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält. Auf Ihren Pulten befindet sich ein Umschlag mit Wahlunterlagen, der einen Wahlausweis sowie zwei Stimmkarten enthält. Sie dürfen Ihre Stimmkarten nur in der Wahlkabine ankreuzen. Zur Vereinfachung des Wahlverfahrens ist vorgesehen, daß beide Stimmkarten in einen Umschlag gelegt werden. Auch dies muß in der Wahlkabine geschehen. Die Schriftführer müssen jeden zurückweisen, der seine Stimmkarten außerhalb der Wahlzelle gekennzeichnet oder in den Umschlag gelegt hat. Die Wahl kann in diesem Falle jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. Bevor Sie die Stimmkarten für die Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes in eine der aufgestellten Wahlurnen geben, bitte ich Sie, den Wahlausweis dem Schriftführer an der Wahlurne zu geben. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß allein die Abgabe des Wahlausweises als Nachweis der Teilnahme an der Wahl gilt. Gültig sind nur Stimmzettel mit einem Kreuz bei „Ja", „Nein" oder „Enthalte mich". Ungültig sind Stimmen auf nichtamtlichen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich freue mich, daß der Deutsche Bundestag so viele Schriftführer hat. ({7}) Haben die Schriftführer Ihre Plätze eingenommen? - Ich eröffne die Wahl des Präsidenten des Bundesrechnungshofes und des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes und bitte, die Stimmkarten in der Wahlzelle anzukreuzen und beide Stimmkarten in den Umschlag zu legen. Nach Übergabe des Wahlausweises an den Schriftführer bitte ich, die Stimmkarten in eine der aufgestellten Wahlurnen zu geben. Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimmzettel abgegeben? - Links und in der Mitte sind ebenfalls noch Kabinen. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, an der Auszählung teilzunehmen. Es werden alle Schriftführer benötigt. - Meine Damen und Herren, darf ich noch einmal fragen: Haben alle Mitglieder des Hauses - auch die Schriftführer - ihre Stimmzettel abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, auf Grund einer interfraktionellen Verständigung ist vereinbart worden, daß wir mit den Beratungen der anderen Einzelpläne fortfahren. Ich unterbreche nachher die Beratungen, um das Wahlergebnis bekanntzugeben. Dies ist aus zeitlichen Gründen notwendig, denn die Auszählung wird etwas länger dauern. Ich rufe auf: Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie - Drucksachen 10/4171, 10/4180 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Müller ({8}) Austermann Dr. Weng ({9}) Hierzu liegen Änderungsanträge der Abgeordneten Dr. Müller ({10}) und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4323, 10/4324 und 10/4343 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Zander. - Meine Damen und Herren, soweit Sie stehen, bitte ich Sie, entweder Platz zu nehmen oder den Plenarsaal zu verlassen. - Bitte.

Karl Fred Zander (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002581, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem wir soeben wieder für eine ordnungsgemäße Besetzung des Bundesrechnungshofes gesorgt haben - ich darf als erster Sprecher dem neugewählten Präsidenten und Vizepräsidenten meinen Glückwunsch aussprechen -, können wir uns wieder dem Ausgeben und dem Bewilligen für die Bundesregierung widmen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Wahl ist noch nicht abgeschlossen, Herr Kollege.

Karl Fred Zander (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002581, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, wenn ich vorgegriffen haben sollte, tut mir das leid. Wir beginnen mit dem Einzelplan 30 des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Meine Damen und Herren, dafür sind für 1986 ca. 7,4 Milliarden DM vorgesehen. Das entspricht einer Steigerungsrate von 3%. Technologiepolitik ist sicher mehr als das, was sich im Einzelplan 30 widerspiegelt. Technologie entsteht nicht nur auf Grund staatlicher Förderung, und Forschung findet nicht nur in den Einrichtungen statt, die vom Bund gefördert werden. Technologiepolitik umfaßt zunehmend auch Elemente der Industriepolitik und der Außenpolitik. Technologie - darüber sind sich eigentlich die Fraktionen einig - ist heute eine große Herausforderung für unsere Zukunftssicherung und daher von entscheidender Bedeutung. Ich bin nicht der Meinung, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung dieser Herausforderung gerecht geworden ist. ({0}) Sie hat meiner Meinung nach nicht angemessen darauf reagiert. Sie hat gekleckert an Stellen, wo eigentlich hätte geklotzt werden müssen. ({1}) Ich glaube, der Bundeshaushalt eignet sich trefflich dazu, das zu belegen. ({2}) Natürlich spricht auch die Bundesregierung von einer technologischen Herausforderung. Aber sie handelt, als könnte alles so weitergehen wie in den Vorjahren: hier ein bißchen rauf mit den Ansätzen, dort ein bißchen runter, hier eine Prise mehr indirekt spezifische Förderung, da ein Schlag weniger Projektförderung, dazu viele und ausführliche Reden vom Dienst für den Menschen. Und das soll eine Antwort auf das sein, was man eine Herausforderung nennt? Ich glaube, das, was hier als Haushaltsentwurf für 1986 vor uns liegt, ist einer Herausforderung nicht angemessen. ({3}) Es ist doch wohl richtig, daß sich die Forschungs- und Entwicklungslandschaft durch das militärische Weltraumprojekt SDI weltweit dramatisch verändert hat und noch verändern wird. Europa und die Welt sind herausgefordert durch ein gigantisches Rüstungsprojekt, das weitreichende Auswirkungen auf den Stand der Technik bei vielen Schlüsseltechnologien haben wird. Ich meine, daß man dieser Herausforderung mit einem Projekt mit ziviler Zielsetzung zum Zweck der europäischen Selbstbehauptung entgegentreten muß. Aber stattdessen treibt die Bundesregierung eine Politik der illusionären Selbsttäuschung und eine Politik der Täuschung der Öffentlichkeit zugleich, ({4}) wie es eigentlich nur einem echten Lebenskünstler vom Format unseres Bundeskanzlers gelingen kann. ({5}) Ich nenne es eine Selbsttäuschung, wenn der Bundeskanzler eine SDI-Beteiligung in der Hoffnung fordert, Know-how aus den USA erwerben zu können, indem deutsche Firmen Aufträge aus diesem Projekt erhalten. Es wird das Gegenteil eintreten: Eine SDI-Beteiligung bedeutet für die deutsche Technologie einen Transfer des deutschen technologischen Wissens in die USA, einen militärischen Geheimschutz statt eines freien Technologietransfers, eine weitere Abhängigkeit von den USA und eine entsprechende Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Das, meine Damen und Herren, käme neben den schädlichen außen- und sicherheitspolitischen Folgen für uns bei einer SDI-Beteiligung technologisch heraus. ({6}) Als Täuschung der Öffentlichkeit bezeichne ich die Eureka-Farce in fünf Aufzügen. Der erste Akt lief 1984 mit der Ablehnung des französischen Memorandums „Zu einer neuen Stufe Europas: einem Raum für Forschung und Industrie". Die Koalitionsfraktionen führten als Begründung an, die Zielsetzung sei durch die bereits eingeleiteten Maßnahmen der Bundesregierung überholt bzw. unfinanzierbar. So nachzulesen auf Seite 3 der Drucksache 10/2364. Die erste Reaktion der Koalitionsfraktionen auf das heute so hochgelobte und vieldiskutierte Projekt lautete also: Es besteht überhaupt kein Handlungsbedarf, und außerdem ist kein Geld da. Zweiter Akt: Ablehnung der französischen Eureka-Agentur. Dritter Akt: Verweigerung von angemessenen Finanzmitteln für Eureka. Vierter Akt: Umbuchung von schon im Haushalt enthaltenen Projekten auf den Titel Eureka. Fünfter Akt schließlich: Einrichtung eines Eureka-Sekretariats in Straßburg, vorbei an der EG und zur Überraschung der Briten und Italiener. Ich möchte in Klammern die Frage hinzusetzen, ob hier Versorgungsüberlegungen für Staatssekretäre im Hintergrund stehen. An Stelle dieser Farce, meine Damen und Herren, haben wir Sozialdemokraten eine wirkliche Initiative zur technolgischen Selbstbehauptung Europas gefordert. Ihr Ziel ist: Integration Europas, große und neue Infrastrukturprojekte, die auch neue Technologien im Dienste der Menschen in Europa nach sich ziehen werden. Ich nenne Ihnen dafür Beispiele: ein europäisches Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens, ein europäisches Umweltschutzprogramm, ein europäisches Programm zur Ressourcenschonung und europäische Kommunikationssysteme. Wir sind uns bewußt, daß ein wirklich entscheidender Ansatz zur Integration Europas nur durch die Wirtschafts- und Finanzpolitik ereicht werden kann. Um so entschiedener aber verurteilen wir, daß die Bundesregierung durch ihre Mogelpackung Eureka eine europäische Initiative zu simulieren versucht. Meine Damen und Herren, mit dem Haushalt des Forschungsministers für 1986 beginnt eine gefährliche Entwicklung für die deutsche Forschungspolitik. In 1985 sind politische Entscheidungen getroffen worden, die für künftige Jahre einschneidende finanzielle Folgen nach sich ziehen. Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat politische Entscheidungen selbst getroffen oder doch im Kabinett mitgetragen, die zu einer weitgehenden Verödung einer breitgefächerten Forschungslandschaft führen können, wenn es nicht zu einer deutlichen Erhöhung des Einzelplans 30 in den Jahren 1988 und folgenden kommt. ({7}) „Zu viele große Brocken", schrieb die „Wirtschaftswoche" vor kurzem. Diese großen Brocken in der Grundlagenforschung und in Weltraumprojekten binden in den nächsten Jahren in zunehmendem Maße Finanzmittel. Diese „großen Brocken" haben bereits jetzt den Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung gesprengt; denn der Finanzminister hat für Ariane und Columbus bereits 50 % der Kosten über die Finanzplanung hinaus zugesagt. Man darf gepannt sein, zu wessen Lasten diese Zusage eingelöst wird. ({8}) Aber, meine Damen und Herren, mit Ariane und Columbus ist es ja noch lange nicht getan. Es sind ja noch weitere milliardenschwere Projekte in Sicht. Bezieht man die offenen Projekte, wie zum Beispiel die Weltraumfähre Hermes, in die Betrachtungen ein, ({9}) denkt man an D2 und weitere Missionen, so erkennt man, daß der Etat des Bundesministers für Forschung und Technologie entweder ganz drastisch aufgestockt werden muß, oder daß die Vielfalt der Forschung den genannten Großprojekten zum Opfer fallen wird, weil Streichungen und Kürzungen unumgänglich sind. Unsere Priorität wäre es, im Falle einer Alternative Columbus und Hermes erst die Transportmittel und dann die Raumstation zu bauen. Meine Damen und Herren, ich möchte das heute in aller Deutlichkeit sagen, damit der Forschungsminister, aber auch der Finanzminister in späteren Jahren, wenn die absehbaren Folgen dieser Politik eingetreten sind, nicht die Ahnungslosen oder Überraschten oder jedenfalls Unschuldigen spielen können: Die Bundesregierung ist dabei, sich forschungspolitisch zu übernehmen. Sie nimmt zu viele Projekte gleichzeitig oder doch nur geringfügig zeitlich versetzt in Angriff, Projekte, die je für sich genommen sinnvoll und wünschenswert sind. ({10}) Im Finanzplan der Bundesregierung heißt es: „Im Bereich der Weltraumforschung führen die neuen Vorhaben Columbus und Ariane in den Jahren 1986 und 1987 zu einem erhöhten Ausgabenbedarf. Dieser Mehraufwand wird in den Jahren 1986 und 1987 durch Rückführung anderer Aktivitäten im Forschungshaushalt ganz und in den Jahren 1988 und 1989 zum Teil aufgefangen", sagt der Finanzplan der Bundesregierung. Da muß man sich nun einmal plastisch vor Augen führen, was das heißt: Der Mehraufwand 1986 und 1987 wird durch die Rückführung anderer Aktivitäten aufgefangen. Da mag natürlich noch ein gewisser Spielraum bei der nuklearen Energieforschung sein. Aber wie sollen denn diese Mittel 1988 und 1989, wie hier steht, „zum Teil" aufgefangen werden? Von den Jahren danach, über die sich die Bundesregierung ausschweigt und in denen bei den Großprojekten die Milliardenkosten erst anfallen, wird kein Wort gesagt. Meine Damen und Herren, beim Tornado stellte sich seinerzeit heraus, daß 700 Millionen DM nicht gedeckt waren. ({11}) Beim Einzelplan 30 ist jetzt schon für 1988 und 1989 ein Mehrfaches dieser Summe verplant, aber nicht gedeckt. ({12}) Man kann auch sagen: Bundesminister Riesenhuber bestellt laufend, aber er weiß nicht, wie er zahlen soll, und wird das wohl bei der Langfristigkeit dieser Projekte auch seinem Nachfolger überlassen müssen. Wie auf vielen anderen Feldern der Politik zeigt sich auch hier ein Dilemma zwischen Ehrgeiz und Vermögen, zwischen Wollen und Können dieser Bundesregierung. Das ist auch ein Kennzeichen der Forschungspolitik. ({13}) Die Bedeutung der technologischen Herausforderung Europas durch die USA, aber auch durch Japan, gehört zum Standardrepertoire der Sonntagsreden der verschiedenen Bundesminister, die sich auf diesem Feld kompetent fühlen. ({14}) Es ist nicht zu bestreiten, daß diese Herausforderung in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Nicht zuletzt das amerikanische SDI-Programm kann Europa nicht ignorieren oder so lapidar beantworten wie der Bundeskanzler mit dem Hinweis darauf, daß die Beteiligung der Industrie ja völlig ausreichend sei. Wir jedenfalls wollen - um das deutlich zu machen - keine Beteiligung an militärischen Technologieprojekten. ({15}) Wir wollen die zivile, die friedliche Technologiepolitik gemeinsam mit unseren europäischen Partnern. Aber wenn man das will, muß man dafür auch die nötigen Mittel bereitstellen. Es ist völlig unzureichend, es ist geradezu lächerlich, ein so hochgelobtes Projekt wie die europäische Technologiegemeinschaft Eureka mit sage und schreibe ganzen 40 Millionen DM ({16}) im Haushalt für 1986 abspeisen zu wollen, ohne auch nur eine müde Mark an Verpflichtungsermächtigungen für Folgejahre vorzusehen. Und dieser - gemessen an den Dimensionen des Vorhabens - kleinkarierte Beitrag ({17}) soll auch noch aus anderen Ansätzen des Forschungshaushaltes zusammengekratzt werden! ({18}) Das Trauerspiel, das die Bundesregierung in der Diskussion um Eureka geboten hat, ist geradezu beschämend. ({19}) Erst lobt man das Vorhaben wie ein Jahrhundertereignis, und dann dotiert man es wie eine Dorfschule. ({20}) Dieses Dilemma zwischen Wollen und Können zwingt den Forschungsminister auch zu rhetorischen Eiertänzen. Ein Beispiel dafür bietet seine Rede anläßlich der 25-Jahr-Feier des Instituts für Plasmaphysik. ({21}) - Ich komme gleich darauf, Herr Dr. Probst. Sie war von Ihrem Minister, deshalb war sie sicher besser als die Reden, die Sie gewöhnlich halten. - In dieser Rede schlägt sich der Bundesminister Riesenhuber gewissermaßen selbst auf die Schulter und erklärt wörtlich - ich zitiere -: So haben wir in diesen Jahren mehr Großgeräte in der Grundlagenforschung entschieden als zu irgendeiner Phase der Wissenschaftspolitik in Deutschland zuvor. ({22}) Aber das Problem des Bezahlens steht dahinter. Wenig später lobt sich der Minister erneut mit dem Hinweis auf den steigenden Anteil der Grundlagenforschung im Forschungshaushalt, den er für 1986 mit bereits 36 % beziffert. Dieser enorme und überproportionale Anstieg der Dotierung der Grundlagenforschung und die in den nächsten Jahren steigenden, in die Milliarden gehenden Aufwendungen für Weltraumprojekte zusammengenommen, werden die Vielfalt der Forschungsförderung ersticken. Auch wohl darum hat der Minister in der genannten Rede darauf hingewiesen, daß die Schwerpunkte einzelner Großprojekte die Vielfalt der Wissenschaft nicht überwuchern dürften. Diese Feststellung glaubte er in seiner Rede unterstreichen zu müssen. Aber dann muß ich ihn fragen: Wo bleiben die unausweichlichen Konsequenzen aus dieser Erkenntnis? Entweder wird der Forschungshaushalt in den nächsten Jahren drastisch aufgestockt, und zwar weit über die in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Ansätze hinaus, oder die Grundlagenforschung und die ehrgeizigen Weltraumprojekte ersticken die Vielfalt der Forschungsförderung. Dies ist die zwingende Konsequenz, die sich aus den Zahlen ergibt. ({23}) Herr Bundesminister, die von mir schon zitierte Rede ist auch an anderer Stelle aufschlußreich. Sie teilen darin auch mit, daß der Wissenschaftshaushalt der ESA mit 5 % realem Wachstum in den nächsten Jahren ausgestattet werden soll. Auch hier frage ich Sie: Woher wollen Sie dieses Geld nehmen? Zu wessen Lasten wird eingespart, wenn hier überproportional gesteigert werden soll? Wo bleibt die nötige Aufstockung? Sie müßte sich dann auch in der mittelfristigen Finanzplanung niederschlagen. ({24}) Was eigentlich will der Finanzminister tun, wenn durch neue Entwicklungen, z. B. auf dem Gebiet des Umweltschutzes oder der Gesundheitsvorsorge, neuer Forschungsbedarf in den nächsten Jahren in erheblichem Umfang entsteht? Zu wessen Lasten sollen die Mittel dann bereitgestellt werden? Wo will er überhaupt künftig Mittel für andere Forschungsbereiche noch hernehmen? Der Forschungsbedarf für Probleme unseres Alltags auf der Erde und in der Gegenwart wird in den nächsten Jahren eher zu- als abnehmen. Ich muß dem Forschungsminister vorwerfen, daß er gegenwärtig sehenden Auges den finanziellen Spielraum für die Aufnahme neuer Forschungsprojekte für solche Zwecke verplant und festlegt. Es mag sein, daß er sich dabei vorkommt wie eine Art Urenkel von Jules Verne oder ein Enkel von Hans Dominik. Das alles aber wird zu Lasten vieler Forschungsprojekte, vieler Forscher, vieler Betriebe - vor allem auch kleiner und mittlerer Betriebe - gehen. ({25}) Ich habe, Herr Präsident, meine Damen und Herren, eingangs gesagt, daß meiner Meinung nach Forschungs- und Technologiepolitik mehr ist als der Einzelplan 30. ({26}) Sie sollte auch Industriestrukturpolitik sein. Dafür reicht es eben nicht, zu glauben, man könne es durch ein paar finanzielle Unterstützungen und Anreize schon richten. Das Versagen der BundesregieZander rung in der Forschungs- und Technologiepolitik dokumentiert sich auch in der Nichtunterzeichnung der Seerechtskonvention. Damit haben wir erhebliche Optionen auf große Off-shore-Aktivitäten unserer Werft- und Anlagenbauindustrie aufgegeben. ({27}) Ein anderes Beispiel ist die schleppende Normensetzung im Bereich der Umweltpolitik durch den Innenminister. Damit ist die Entwicklung unserer Umwelttechnologien beeinträchtigt, oder aber wir produzieren Umwelttechnologie auf Halde, die aber nicht marktgängig werden kann. Natürlich gibt es im Einzelplan 30, einem 7,5 Milliarden-DM-Etat, auch eine Reihe von Ansätzen, die auch eine sozialdemokratisch orientierte Technologiepolitik so oder jedenfalls ähnlich konzipiert hätte. Hervorheben möchte ich, daß wir die Aktion zur Verbesserung der Altersstruktur in den Großforschungseinrichtungen unterstützen. Die Zahl von 30 k. w.-Stellen bis 1995 hätten wir auf 60 aufgestockt. Diese Aktion ist wichtig für die Übernahme junger Wissenschaftler von den Hochschulen. Aber wir kritisieren die insgesamt falschen Weichenstellungen einer zu ehrgeizigen Grundlagen- und Weltraumforschung, zu geringe Mittel für Umweltforschung, nichtnukleare Energieforschung oder etwa Friedens- und Konfliktforschung. Wir bejahen die Technologie. Sie darf unserer Meinung nach nicht der Rüstung dienen. Sie darf sich nicht in falscher Schwerpunktsetzung auf Großprojekte konzentrieren. Bei der Forschungsförderung des Bundes sollte auch immer wieder der Bezug zu den Menschen, zu ihren Problemen erkennbar bleiben, der bei vielen Großprojekten nur sehr schwer vermittelbar ist. ({28}) An diesen Zielen gemessen, ist der Einzelplan 30 falsch konzipiert und kann daher unsere Zustimmung nicht finden. ({29})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, es wurde mir eben mitgeteilt, daß das Ergebnis der Wahlen in wenigen Sekunden vorliegen wird. Ich unterbreche die Beratungen des Einzelplans 30 und die Sitzung für einen Augenblick. ({0}) Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe zunächst das Ergebnis der Wahl des Präsidenten des Bundesrechnungshofes bekannt. Von den stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 399 ihre Stimme abgegeben, davon ungültige Stimmen 8. Mit Ja haben gestimmt 337, mit Nein haben gestimmt 26, Enthaltungen 28. Die Berliner Abgeordneten haben wie folgt gestimmt: abgegebene Stimmen 16, davon ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben gestimmt 15, mit Nein hat gestimmt einer, Enthaltungen keine. Ich stelle fest, daß Herr Dr. Heinz Günther Zavelberg die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Hauses erhalten hat. ({1}) Ich gebe nunmehr das Ergebnis der Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes bekannt. Von den stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 399 ihre Stimme abgegeben, davon ungültige Stimmen 7. Mit Ja haben gestimmt 306, mit Nein haben gestimmt 38, Enthaltungen 48. Die Berliner Abgeordneten haben wie folgt gestimmt: abgegebene Stimmen 16, davon ungültig keine. Mit Ja haben gestimmt 16, mit Nein hat keiner gestimmt, Enthaltungen keine. Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß Herr Ernst Heuer ebenfalls die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Hauses erhalten hat. ({2}) Meine Damen und Herren, Herr Dr. Heinz Günther Zavelberg und Herr Ernst Heuer haben auf der Ehrentribüne Platz genommen. Ich begrüße sie recht herzlich und spreche ihnen zu diesem Teil ihrer Wahl die Glückwünsche des Deutschen Bundestages aus. ({3}) Der Bundesrat wird seine Wahl am kommenden Freitag vollziehen. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, nur mit einem Satz sagen: Mit der nun vorgenommenen Wahl haben wir zum erstenmal eine Entscheidung nach dem neuen Gesetz über den Bundesrechnungshof getroffen. Damit würdigt auch der Bundestag die hohe Bedeutung der Haushaltskontrolle im demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Diese politische Kontrolle der Exekutive ist Aufgabe des Parlaments. Sie kann nur erfüllt werden, weil der Bundesrechnungshof mit seiner Sachkunde und seiner politischen Unabhängigkeit die notwendige Hilfestellung leistet. Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat auch der langjährige bisherige Präsident des Bundesrechnungshofes, Herr Wittrock, Platz genommen. Auch ihn grüße ich herzlich, verbunden mit unserem Dank, mit unserem Respekt für sein verdienstvolles jahrelanges Wirken. ({4}) Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung des Einzelplans 30 fort. Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war zunächst etwas erstaunt, zu hören, daß sich der Kollege Zander doch sehr widersprüchlich geäußert hat, nachdem es, wie ich glaube, in der Zusammenarbeit im Haushaltsausschuß eigentlich keine Probleme gegeben hatte. Er hat auf der einen Seite gesagt, wir würden mit diesem Haushalt die Herausforderungen der Zukunft nicht annehmen, es werde nur gekleckert und nicht geklotzt, und auf der anderen Seite gleichzeitig beklagt, daß wir zu viele große Brocken mit klarer Zielsetzung hätten. Dann hat er sich hauptsächlich auf Dinge konzentriert, die überhaupt nicht im Forschungshaushalt stehen, z. B. das Thema SDI. Ich kann keine einzige Mark dafür finden. Hier vertritt er die bei der SPD inzwischen übliche OhneMichel-Position. - Dann ging es darum, zu Eureka eine klare Aussage zu machen. Wir haben natürlich Geld dafür bereitgestellt. 40 Millionen DM sind verfügbar. ({0}) - Das ist Ihnen auf der einen Seite zuwenig, auf der anderen Seite beklagen Sie, daß das Projekt noch keine Haushaltsreife habe. Das paßt nicht zusammen. Von daher ist Ihre Position sehr widersprüchlich. Wenn gesagt wird, der Forschungsminister werde nicht wissen, wie er sein Geld aufbringen solle: Wir haben nach seiner in den drei Jahren geleisteten Arbeit gutes Vertrauen. ({1}) Unsere solide Finanzpolitik ermöglicht es, ihm auch für die Zukunft das Geld für die neuen, vernünftigen Projekte zur Verfügung zu stellen. ({2}) Unser Ziel muß sein, in der Forschungspolitik eine Spitzenposition auszubauen und mit neuen Schwerpunkten neue Arbeitsplätze zu sichern. Der Forschungshaushalt ist mit einem Volumen von 7,5 Milliarden DM sichtbares Zeichen für diese neuen Schwerpunkte, die wir setzen, und für maßgebliche Korrekturen der Forschungs- und Technologiepolitik durch diese Regierung und diesen Minister. Mit den Zielen von mehr Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft, einem Ja zur Zukunft und zum Fortschritt, Verantwortungsfreude und zur persönlichen Freiheit im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft ({3}) und mit klarer ethischer Grenzziehung ist auch der Rahmen für Forschung und Entwicklung klar umschrieben. Seit dem Jahre 1982 ist die Grundlagenforschung, die lebenswichtigen Entwicklungen den Boden bereitet, ständig gewachsen. Das schlägt sich nieder in den Finanzbeiträgen für die Max-PlanckGesellschaft ({4}) - aber nicht die Steigerungsrate, Herr Kollege -, ({5}) die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, Zuschüssen für die 13 Großforschungseinrichtungen, Institute der Blauen Liste und für die internationalen Forschungszentren, deren Mittel erheblich ansteigen. Wenn man so will, ist auch dies zum größten Teil europäische Zusammenarbeit, auch Eureka, was da überproportional von uns finanziert wird. 1986 wird der Anteil der Grundlagenforschung am Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie auf etwa 36% gegenüber 27% im Jahre 1982 steigen. Das zeigt, glaube ich, daß wir eine deutliche Korrektur vorgenommen und deutlich gemacht haben, daß wir im Bereich der Umweltpolitik, der Informationstechnik, der Materialforschung, der Biotechnologie ({6}) - Biotechnologie als besonderer Schwerpunkt - und mit den Einzelentscheidungen für die Großgeräte der Grundlagenforschung, die ich nicht im einzelnen aufzuführen brauche, neue Schwerpunkte gesetzt haben. Diese Schwerpunkte sind zukunftsorientiert und sichern Arbeitsplätze durch neues Wissen. Die Bundesregierung hat sich daneben das Ziel gesetzt, die Rahmenbedingungen für die Forschung und Entwicklung zu verändern. Dazu gehört die Senkung der direkten Förderung bei Projekten in der Wirtschaft. Die Wirksamkeit der von uns eingesetzten Mittel muß erhöht werden. Dazu gehört auch die Verlagerung der Förderung von leistungsfähigen Großbetrieben zu mehr innovationsfreudigen mittelständischen Betrieben. Forschungsförderung ist Industriepolitik, muß aber auch Mittelstandspolitik sein. Ich finde, es ist an der Zeit gewesen, deutlich zu machen, daß die Weitergabe von Subventionen an die Creme der deutschen Industrie, die dies nicht nötig hat, einzugrenzen ist. Immerhin bezogen 76 Großunternehmen mit mehr als 10 000 Mitarbeitern, von Agfa bis VEBA, 1984 noch über eine halbe Milliarde DM an Forschungsmitteln. Die Förderung für kleine und mittlere Betriebe steigt demgegenüber seit 1982 stark an, was uns freut, aber liegt immerhin noch um 100 Millionen DM unter der Förderung für Großbetriebe. Ein Beispiel für diese überdenkenswürdige Zuschußpolitik scheint mir das sogenannte 4-MegabitProjekt zur Entwicklung von neuen Halbleiterspeichern zu sein. Die öffentliche Hand der Bundesrepublik und der Niederlande unterstützen mit 500 Millionen DM Entwicklungsarbeiten bei den Firmen Siemens und Philips, zwei Firmengiganten, die nach ihren letzten Bilanzen nicht gerade zu den Ärmsten der Armen gehören. Allerdings stehen hier der Förderung zwei angekündigte neue Werke mit je 500 Millionen DM Investitionsvolumen für jeweils 400 Mitarbeiter in Regensburg und im Raume Hamburg sowie die Hoffnung gegenüber, daß europäische Unternehmen im Elektronikbereich endgültig den Anschluß an die Weltspitze finden können. Deshalb sagen wir - wenn auch mit Bedenken - ja zu diesem Projekt. Der Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Wirtschaft dient neben der finanziellen Förderung von Forschungs- und Entwicklungspersonal und neben der Fortführung des Modells „Technologieorientierte Unternehmensgründungen" aber auch die verbesserte Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft, vor allem im Rahmen verstärkter Auftragsforschung und Verbundvorhaben. Auch diese Maßnahmen sind meines Erachtens eindeutig der Forschung im Bereich des Mittelstandes und der Mittelstandsförderung zuzuordnen. Die Zahl der direkten Förderungen geht zurück. Dafür steigt die Zahl der indirekten Förderungen an. Dennoch wäre es falsch, von einem Rückgang der Investitionen zu sprechen, wie die Opposition das in bezug auf diesen Haushalt, in bezug auf den Forschungshaushalt gesagt hat. ({7}) Der Forschungshaushalt steigt um 3 %. - Ich bin der Meinung, daß darunter auch die Investitionen in das Humankapital zu verstehen sind. Zu den Investitionen zählen auch die Zuschüsse zu internationalen Organisationen, welche Rückflüsse in Form von Aufträgen für die deutsche Industrie zur Folge haben. Für die Bürger von besonderem Interesse ({8}) - das ist Gewerkschaftsphraseologie, Frau Kollegin - sind Forschungen für die Sicherung und Verbesserung der konkreten Lebensbedingungen. Die Ansätze werden ebenfalls verstärkt. Für ökologische Forschung, Umwelttechnologie, Gesundheitsforschung und Humanisierung des Arbeitslebens werden insgesamt 635 Millionen DM bereitgestellt. Herr Kollege Zander, ich weiß nicht, wie man dann sagen kann, da täten wir zuwenig. ({9}) - Da wird geklotzt und nicht gekleckert. Hierzu gehört auch die Aufstockung der Mittel für die AIDS-Forschung. Man kann heute allen Besorgten sagen, daß kein sinnvolles Projekt aus Mangel an Mitteln gestrichen werden muß. Hierzu gehören auch die entschiedenen Schritte gegen die sogenannte Abfallaltlastenproblematik. Es ist sicher eine Aufgabe für ein Jahrzehnt, um das in den Griff zu bekommen. Die Kollegen aus Hamburg, insbesondere Herr Duve, wissen, wer dort wo versagt hat. Hierzu gehört natürlich auch die Fortführung der Krebsforschung. Lassen Sie mich einen Hinweis auf das Thema Tierversuche machen. Es kann nicht die Aufgabe des Haushaltsausschusses sein, hier eindeutige Grenzen zu ziehen. Wir haben aber immerhin die Mittel noch einmal reduziert von 24,8 auf 23,8 Millionen DM. Es wird Aufgabe des neuen Tierschutzgesetzes sein, klare Grenzen festzulegen. Ebenfalls in diesem Zusammenhang - menschenwürdiges Leben - gehört die wichtige Vorarbeit der Benda-Kommission zu ethischen und rechtlichen Fragen der Anwendung der Gentechnik. Nicht alles, was die Wissenschaft könnte, darf erprobt werden. Ich meine, man sollte den Anfängen wehren. Mir persönlich scheint, daß die Kommission nicht in allen Fällen konsequent geblieben ist. Wer Leihmutterschaft ablehnt, muß auch Samen-, Ei- und Embryonenspende, Haltbarmachung von Embryonen durch Tieffrieren - wie lange eigentlich, wie viele Generationen? - und Experimente mit befruchteten Eizellen „im Interesse des menschlichen Fortschritts" ablehnen. ({10}) - Ich bedanke mich für die Zustimmung. - Gentechnologie zur Heilung von Krankheiten, zur Bekämpfung des Hungers, zur Gewinnung neuer Rohstoffe ja, zur Manipulation von menschlichem Erbgut nein. Für staatliche Langzeitprogramme werden 1986 1,3 Milliarden DM vorgesehen. Schwerpunkt ist der Bereich der Weltraumforschung. Ich glaube, daß es unsere Aufgabe ist, dem Bürger noch deutlicher zu machen, welche Vorteile, Erfolge und positiven Leistungen für ihn aus der Weltraumforschung entstehen können und vor allen Dingen schon entstanden sind im Bereich der Datenübertragungstechnik, der Entwicklung der Kameratechnik, der Entwicklung von Robotern und der Weiterführung der Elektronik. Heute ist das Satellitenbild für den Wetterbericht im Fernsehen oder die weltweite Übertragung der Olympischen Spiele eine Selbstverständlichkeit geworden. ({11}) In Zukunft wird es im Bereich der Beobachtungstechnik - wir reden von der Zukunft -, der Satellitenkommunikation und Navigation, im Bereich der Forschung des verminderten Schwerkrafteinflusses, bei der Biochemie, bei der Medizin und bei der dezentralen Stromversorgung neue Möglichkeiten geben. Heute arbeiten 4 500 Mitarbeiter in der Raumfahrtindustrie. Sie erhalten durch Entscheidungen im Bundeshaushalt die Möglichkeit, neue Perspektiven - und darum geht es bei diesem Haushalt - der kommerziellen Nutzung der Weltraumforschung für die deutsche Industrie zu eröffnen und damit mehr Wohlstand und Arbeitsplätze zu schaffen. Im Hinblick auf die breite und langfristige Wirksamkeit der Weltraumtechnik ist es deshalb meines Erachtens wünschenswert, daß sich die Beteiligung der deutschen Industrie drastisch verstärkt, zumal wir bisher keine militärische Beteiligung bei Weltraumprojekten haben. Zu den Herausforderungen der Zukunft gehört auch die Aufgabe, die Fragestellung der 13 Großforschungseinrichtungen in Teilbereichen zu überprüfen. In ihnen sind 20 000 Mitarbeiter, darunter 10 000 Wissenschaftler und Techniker, tätig. Heute stellen sich größtenteils neue Ziele und neue Aufgaben für Institute, die vor vielen Jahren gegründet wurden. Elementarphysik, Kerntechnik und Raumfahrt haben ganz unterschiedliche Bedeutung. Von der Bevölkerung mehr akzeptiert werden wohl in Zukunft die Schwerpunktbereiche biologische Strukturforschung, Krebsforschung und die Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Gesundheit. Eindeutig neue Technologien wie Biotechnologie, Informations- und Kommunikationstechnik und Materialforschung müssen Durchbruch erhalten. Thematisch haben die Großforschungseinrichtungen bewiesen, daß sie flexibel geblieben sind. Im Innern müßte sich der Wandel meines Erachtens häufig noch stärker im Management, in der Führung, im wissenschaftlichen Aufbau bemerkbar machen. Das zentrale Problem - darauf hat der Kollege Zander mit Recht hingewiesen - ist das Personal13456 problem. Wir haben hier geholfen, indem wir nicht 30, sondern 35 neue Stellen bereitgestellt haben. Das ist ein bescheidener Anfang im Rahmen eines neuen Programms von 300 künftigen k.w.-Stellen, die helfen sollen, die Strukturprobleme in den Großforschungseinrichtungen zu lösen. Auch Grundlagenforschung kann und darf aber kein Blankoscheck sein. Auch hier müssen sich kreative Kräfte entfalten. Die deutschen Forscher sind übrigens bei den Gehältern führend. Daß dies generell auch bei der Phantasie der Fall ist, muß im Einzelfall bezweifelt werden. Ein Nobelpreis macht noch keinen Forschungssommer. ({12}) Auch die Grundlagenforschung muß sich mehr dem Wettbewerb stellen. Wir müssen als Politiker den Mut aufbringen, mehr in der Forschung zu erproben und auch mal ein größeres Projekt abzubrechen. Die Fraunhofer-Gesellschaft ist dafür Modell. Auch in der Forschung bleibt der Mensch Träger des Wissens. Er bleibt - bei allem Respekt vor Datenbanken - entscheidend für die Forschung. Der Bund trägt mit knapp 7,5 Milliarden ({13}) - das wird Ihre Redezeit nicht verlängern, Herr Kollege Müller, zumal ich sicher bin, daß Sie wenig Sinnvolles sagen werden - nur 14 % der Kosten für Forschung und Entwicklung in der Bundesrepublik. Das kann viel sein, wenn wir uns auf die Bereiche fördernd beschränken, die durch die mittelständische und industrielle Forschung nicht abgedeckt werden, wo Marktmechanismen nicht funktionieren. Dies gilt für die Grundlagenforschung, und dies gilt für Daseinsvorsorge im Gesundheits- und Umweltschutz. Marktnahe Forschung kann steuerlich erleichtert werden, aber sie muß nicht vom Staat direkt finanziert werden. Zu den Bereichen, die zurückgeführt werden, gehört die Kernenergie. Das ist wieder ein Beweis für die Ohne-Michel-Position der SPD. Nachdem man jahrelang die großen Projekte SNR und THTR favorisiert hatte, ({14}) sagt man heute bei THTR ja, bei SNR nein. Wie soll das eigentlich weiter gemacht werden, nachdem der Bund hier 7,5 Milliarden DM für beide Projekte trägt? Da redet Herr Rau wie üblich nebulös. ({15}) Sie wissen noch nicht, was Sie machen sollen, nachdem offensichtlich bei 17 Einzelgenehmigungen keine Bedenken entstanden sind. Ich glaube, Sie müssen hier die Frage beantworten: Welche neue Erkenntnis führt denn hier zu der Neubewertung, die Sie gern vornehmen wollen? ({16}) Ich habe unsere Unterstützung zum Thema Eureka zum Ausdruck gebracht. Ich hätte mir gewünscht, daß manches dort konkreter wäre. Das betrifft die Voraussetzung der Verwaltung. Das gilt auch für das DHI. Das gilt auch für die globalen Minderausgaben. Haushaltsklarheit, -wahrheit und -vollständigkeit haben uns vielleicht manchmal etwas zweifeln lassen. Lassen Sie mich zum Abchluß ein paar Sätze zum Nord-Süd-Gefälle im Forschungsbereich sagen. Die Aktivität der Fraunhofer-Gesellschaft hört leider an der Stadtgrenze Hamburgs auf. Die MaxPlanck-Gesellschaft konzentriert sich im wesentlichen auf den Süden des Bundesgebiets. Dennoch kann man hier - und dafür sind wir Ihnen, Herr Minister, dankbar - deutliche Korrekturen zu mehr regionaler Ausgewogenheit erkennen. Regionale Ausgewogenheit darf nicht das oberste Prinzip für Forschungsförderung sein, aber auch nicht als Keule gegen jene norddeutsche Aktivität sprechen. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, daß auch beispielhafte Projekte bei uns unterstützt werden müssen. Ich freue mich, daß es gelungen ist, alle Kollegen, auch die der Opposition, zur Zustimmung zu neuen Anträgen zu bringen: zur Verstärkung der Umweltforschung im Bereich von Nord- und Ostsee, für kleine Windenergieanlagen, für besseren Küstenschutz, auf den Gebieten der Unterwassertechnik und für eine GEOMAR-Studie. Ich meine, Meeresforschung und Meeresgeologie sind eine Zukunftsaufgabe, die unterstützt werden muß und für die hoffentlich alle im Haushalt 1987 die Nägel klar einschlagen. Der Haushalt für Forschung und Technologie sichert neue Schwerpunkte, er sichert neue Arbeitsplätze und garantiert, daß wir dem Wandel in der Zukunft auch hier zugewandt sind. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und für die gute Arbeit des Ministeriums. ({17})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller ({0}).

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser kurzen Zeit ist es natürlich nicht möglich, eine Alternative zu dem zu entwickeln, was von Herrn Riesenhuber als Forschungskonzeption vorgeschlagen worden ist. ({0}) Ich möchte mich zunächst einmal auf eine Sache beziehen, und zwar deshalb, weil sie eines der teuersten Projekte von allen ist: Teilchenbeschleuniger und Speicherring. Es sind in den letzten vier Jahren - ich habe das einmal durchgerechnet -1 812 000 000 DM allein für Teilchenbeschleuniger zur Verfügung gestellt worden. Da frage ich mich: Wofür geschieht das? Ich habe nichts gegen die Forschung im Bereich der Beschleuniger. Was ich mich aber frage, ist, warum und wieso dies nun ein Schwerpunkt der Forschung geworden ist. ({1}) Dr. Müller ({2}) Da wird dem unendlich kleinen Teil im düsteren Nebel des unergründlichen Seins gefolgt in der Hoffnung, irgend etwas zu finden. Doch was? ({3}) Das hat in den letzten vier Jahren 1 812 000 000 DM gekostet. Es ist aus der Teilchenbeschleuniger-Forschung bis jetzt nichts herausgekommen, ({4}) nichts von dem, was Sie wahrscheinlich gesucht haben. Ich weiß j a nicht, was Herr Riesenhuber bei diesen kleinen Teilchen sucht. Den letzten Quark, der irgendwo im Nebel verschwindet? ({5}) Ich glaube und bin mir da ganz sicher, daß für diese Art von Beschleuniger-Forschung hier kein gesellschaftlicher Bedarf in dem Ausmaße besteht, daß hier Geld für diese Art von Forschung rausgeschmissen wird. ({6}) Das gleiche gilt hinsichtlich der letzten vier Jahre natürlich auch für die Atomenergieforschung. Atomenergie ist eine völlig unmoderne Energieform, wie wir wissen. ({7}) In den USA investiert kein Mensch mehr einen Dollar in Atomenergie, weil es sich nicht mehr lohnt, hier dagegen wird noch dafür geforscht. Herr Riesenhuber, dies ist der unmodernste Teil Ihres gesamten Forschungsprogramms, um es einmal deutlich zu sagen. ({8}) Auch in diesem Bereich sind in den letzten vier Jahren immerhin 8 187 000 000 DM zur Verfügung gestellt worden - vergleichsweise viel Geld. Nun gibt es in der letzten Zeit diese wunderschöne Eureka-Diskussion. Die einzigen, die hier im Augenblick noch dafür sind, sind, glaube ich, Herr Riesenhuber auf der einen und die Sozialdemokratie auf der anderen Seite, die darum kämpft, wer dieses Feld nun irgendwie besetzen kann. 40 Millionen sind dafür, für diese Konkurrenz natürlich zuwenig; das lohnt sich nicht. ({9}) Als wir hier beobachtet haben, wie das mit Eureka aufkam, habe ich immer die Frage gestellt: Was für Projekte denn bitte schön? Das Projekt, das mir im Haushaltsausschuß als Spitzenprojekt für Eureka vorgestellt wurde, diese Vision, diese wunderschöne Entgegnung auf die amerikanischen und sonstigen Herausforderungen, war das digitalisierte Autotelefon. Das war das einzige konkrete Projekt, das mir dort vorgestellt worden ist; ansonsten, Herr Riesenhuber, wurde schwadroniert. Da wollte man den Schadstoffen durch Europa folgen, wahrscheinlich genauso wie den kleinsten Teilchen im Beschleuniger. Alles mögliche hat man versucht und angesprochen, aber es gibt keine konkreten Projekte. Es gibt Vorstellungen aller Art, und deswegen kann natürlich jeder auch sagen: Ja, ich bin wahrscheinlich dafür, wie die Sozialdemokratie es ja tut. Aber das ist unspezifisch. Ich habe in diesem Fall keine Position dazu. ({10}) Denn zu nichts kann man keine Position haben. ({11}) Wir haben im Haushalt für eine Reihe von Möglichkeiten zwar 40 Millionen DM als Finanzierungsmittel, aber es steht nichts darin, wofür es denn, bitte schön, ausgegeben werden möge. Gut, ich verstehe die Sozialdemokratie da j a sehr gut. Sie sagt: Jeder Pfennig, der für Eureka ausgegeben wird, wird nicht für SDI ausgegeben. Wenn es so wäre, würde ich auch sagen: Großartig. Aber ich weiß bis heute immer noch nicht, welche Projekte, welche konkreten Projekte - Herr Austermann, von Ihnen kam das mit dem digitalisierten Autotelefon; nicht schlecht, die Idee; das kam von Ihnen, ich kann mich daran sehr gut erinnern - dazu gehören. ({12}) Angesichts der Probleme, die wir in der Forschung heute haben, wäre doch entscheidend, Schwerpunkte entsprechend den Problemfeldern unserer Gesellschaft zu setzen, die Forschung in diese Richtung zu orientieren. Ich bin davon überzeugt, daß wir die ökologischen Probleme, die wir haben, nur unter dem Einsatz von erheblichen Mitteln für naturwissenschaftliche Forschung lösen können. ({13}) Ich gehe auch davon aus, daß wir bei dieser Problemlösung einen wesentlich höheren Forschungsbedarf haben, beispielsweise in der Frage der Entgiftung der chemischen Produktion, als das, was dafür bis jetzt angesetzt worden ist, bzw. als das, was wir uns da überhaupt vorstellen können. Wenn wir so etwas wie eine giftfreie Produktion wollen und wenn wir wollen, daß die Konversion sozial in diese Richtung geht, dann werden in der Zukunft wesentlich mehr Forschungsmittel nötig sein, als für die Forschung bisher ausgegeben worden ist. Jetzt ein letztes. Herr Riesenhuber, Ihr Ministerium gilt als besonders flexibel, modern usw. ({14}) Dr. Müller ({15}) Sie kennen die Begriffe. Aber Sie waren nicht in der Lage, auf ein Problem, das heraufgekommen ist, in adäquater Weise zu reagieren. Es ist schon länger bekannt. Es ist in der öffentlichen Diskussion aufgekommen. Es ist die Frage der AIDS-Forschung. Das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat nach unserer Auffassung dabei vorbildlich reagiert. Es hat auf unsere Anträge hin erhebliche Erhöhungen des Ansatzes vorgenommen. Beim Bundesministerium für Forschung und Technologie sind aber wesentlich zuwenig Mittel eingesetzt. Denn eines ist klar: Diese Krankheit wird nicht mit einem Forschungsaufwand zu bekämpfen sein, der sich bei lächerlichen 16 Millionen DM bewegt. Ich glaube, da muß man wesentlich stärker einsteigen. Wenn man hier verantwortlich handeln will, kommt es auch darauf an, die Diskussion über AIDS auf die Ebene von Wissenschaft und Forschung zu lenken, um klarzumachen, daß hier ernsthaft der Versuch gemacht wird, diese Krankheit zu bekämpfen und Gegenmittel zu entwickeln. Deswegen haben wir hier den Antrag gestellt, die Mittel im Bereich des Bundesministeriums für Forschung und Technologie für die AIDS-Forschung weiter zu erhöhen. Wir wissen genau, daß Bedarf für diese Mittel vorhanden ist und daß es in der Bundesrepublik auch genug Kompetenz für diese Art von Forschung gibt. Ich bedanke mich. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat Professor Laermann das Wort.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müller hat festgestellt: Zu nichts kann man keine Position haben. - Zu seinen Ausführungen habe ich keine Position. ({0}) Ich möchte etwas zu Herrn Kollegen Zander sagen. Sie haben hier Flügelschläge vorgeführt. Das erinnert mich fatal an den SPD-Growian. Dessen Nabe ist gerissen, weil er in Schwingung geraten ist. Ich möchte Ihnen doch empfehlen, sich einmal mit Ihrem Nachbarn kurzuschließen, dem Kollegen aus dem Forschungsausschuß; denn was Sie hier vorgetragen haben, stimmt überhaupt nicht mit dem überein, was Ihre Kollegen aus dem Forschungsausschuß in der Öffentlichkeit verkündet haben. ({1}) - Das beweise ich Ihnen gleich; ich komme gleich darauf. Natürlich kann ich Ihnen das beweisen. Sie haben nämlich gefordert, daß neben Columbus und Ariane weiteres gemacht werde. Nachdem Sie bei Herrn Minister Curien waren, der Sie gebrieft hatte, haben Sie gesagt, die Bundesregierung müsse auch Hermes machen und sich viel stärker in der Weltraumforschung engagieren. ({2}) Ich möchte hier jetzt zum Haushalt sprechen. Deutlicher als in den vorhergegangenen Jahren - da steht unsere Beurteilung in einem Gegensatz zu derjenigen der Opposition; das ist verständlich - wird im Haushalt des Forschungsministeriums die allmähliche Umsteuerung in der Forschungspolitik auf andere Problemfelder offenbar. Wir begrüßen dies ausdrücklich. Ich betone mit Nachdruck, daß sich diese Entwicklung konsequent fortsetzen muß. Die Forschungspolitik eignet sich nun weiß Gott nicht für eine Stop-and-go-Politik. Eine Umsteuerung kann wirklich nur erfolgen, wenn sie vernünftig, langfristig, behutsam und kontinuierlich betrieben wird. ({3}) Man kann kein Vollschiff im Hau-ruck-Verfahren durch den Wind bringen. Als besonders bemerkenswert möchte ich die Verstärkung der Grundlagenforschung herausstellen. Denn nur auf den Ergebnissen der Grundlagenforschung aufbauend sind anwendungsorientierte Forschung und technische Entwicklungen möglich. Damit wird sie zur unverzichtbaren Voraussetzung für spätere Innovationen. Ich möchte in diesem Zusammenhang feststellen, daß die Großgeräte in der Grundlagenforschung zunehmend höheren finanziellen Bedarf verursachen, der national nicht mehr zu decken ist. Hier ist zunehmend internationale, vor allen Dingen europäische Kooperation gefordert. Hier sind - das stelle ich ausdrücklich und mit Befriedigung fest - einige Großprojekte bereits auf gutem Wege. Ich darf die Hamburger Kollegen an HERA erinnern, an DESY oder die ESRF oder auch an den Joint Torus, die Fusionsforschung in Culham. Ich denke, das sind die richtigen Wege, die wir beschreiten müssen. ({4}) - Das habe ich auch nicht behauptet. Ich stelle fest, was in der Forschungspolitik notwendig ist. Das tue ich hier in Vertretung der FDP-Fraktion, nicht als Vertreter des Forschungsministers; der kann sich selber verteidigen. ({5}) Eine wirkungsvolle Forschungs- und Technologiepolitik ist aber nicht zu erwarten, wenn dann nicht hinreichend qualifizierte Fachleute, Wissenschaftler, Techniker, zur Verfügung stehen. Es macht keinen Sinn, Forschungsprogramme in gewiß wichtigen, sehr wichtigen Bereichen, z. B. der Biotechnologie oder der Klimaforschung, mit Geld zu dotieren, diese Bereiche mit hohen Finanzzuweisungen abrupt hochzufahren und dann nach den Fachleuten zu suchen, die diese Forschung auch wirklich qualifiziert betreiben können. ({6}) - Wir brauchen sie doch, und Sie können doch ein Forschungsprogramm nicht im Hauruck-Verfahren hochfahren. Gleichfalls brauchen wir natürlich auch in der Wirtschaft, in der Industrie, zum Technologietransfer ebenfalls entsprechend qualifizierte Leute, und deswegen ist es ganz wichtig, daß wir im Bildungsbereich, begleitend zur Forschungspolitik, entsprechende Maßnahmen einleiten; denn es steht wohl außer Zweifel, daß innovierende Unternehmen einen besonders hohen Bedarf an technisch-wissenschaftlicher Intelligenz haben, und dies gilt insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen. Deshalb unterstreiche ich an dieser Stelle ganz nachdrücklich die Bedeutung der Personalkostenzulage, die beim Wirtschaftsministerium liegt, und die Bedeutung des ergänzenden Zuwachsförderungsprogramms, ({7}) das beim BMFT liegt. Aber neben der Grundlagenforschung erfordern auch diejenigen Bereiche der angewandten Forschung und Entwicklung eine staatliche Förderung, die zur Erfüllung der Aufgaben staatlicher Daseinsvorsorge notwendig sind. Die Erhöhung der Etatansätze für den Gesundheitsbereich, den Bereich der medizinischen Forschung, der Klima- und Umweltforschung, der Technikfolgenabschätzung ({8}) will ich als besonders begrüßenswert herausstellen. Wir erwarten, daß die Mittel dafür im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung in den kommenden Haushalten kontinuierlich hochgefahren werden. ({9}) - Zu Eureka sage ich dann auch noch was, wenn Sie mich dazu drängen. ({10}) - Ich weiß nicht, was das soll; die kann doch jeder im Haushalt nachlesen. Warum soll ich hier die Pfennigfuchserei betreiben? Ich möchte hier zu grundsätzlichen politischen Positionen in der Forschungspolitik etwas sagen. ({11}) Wir möchten damit in bezug auf diese neuen Schwerpunktbereiche die Forderung an das Ministerium verbinden, die steigenden Ansätze auch in der mittelfristigen Finanzplanung zu realisieren. ({12}) Ich bin allerdings der Auffassung, daß Technikfolgenabschätzung nicht ein eigenständiger Forschungsbereich sein kann, sondern integraler Bestandteil aller wissenschaftlich-technischen Entwicklung sein muß und wirkungsvoll nur in interdisziplinärer Kooperation zwischen Wissenschaft und Technik, den Gesellschafts- und Sozialwissenschaften, den Tarifpartnern, zwischen Politik und Verwaltung wirkungsvoll geleistet werden kann. Dies ist eine Aufgabe, die man nicht über ein Programm erledigen kann. Zur staatlichen Daseinsvorsorge gehört aber auch die langfristige Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung, und in diesem Zusammenhang möchte ich die Notwendigkeit der Förderung von Meeresforschung und Meerestechnik in allen ihren Teilbereichen herausstellen. Ich glaube, dazu hat sich Herr Kollege Austermann schon geäußert. Darin liegt für die FDP auch eine starke regionalpolitische Komponente, eine Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, die zweifellos vorhandenen Strukturprobleme der Küstenländer mit zu lösen. Im gleichen Sinne sind für uns auch weitere Anstrengungen auf dem Gebiet der erneuerbaren Energiequellen, der Entwicklung rationeller und umweltschonender Energietechniken unverzichtbar, und dazu gehören für uns in Nordrhein-Westfalen auch die Techniken zur Kohleveredelung. ({13}) - Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen nehmen. Wenn Ihre Forderungen die Sie öffentlich erheben, in dem Umfang realisiert würden, wie Sie das fordern, dann müssen wir an manchen Stellen allerdings wirklich den Spargriffel ansetzen. ({14}) Lassen Sie mich noch ein Wort zu Eureka sagen, das hier wohl auch eine gewisse Rolle spielt. Ich erkläre hier ausdrücklich für meine Fraktion, daß wir die grundsätzlichen Ziele der Idee Eureka mit allem Nachdruck begrüßen und ihre Verwirklichung als einen bedeutenden Schritt zu einem vereinten Europa ansehen, das nicht nur die derzeitigen EG-Staaten umfaßt. ({15}) Aber um dauerhaft Produkte, Systeme und Dienstleistungen, aufbauend auf Hochtechnologien, entwickeln zu können, ist auch die Grundlagenforschung mit in Eureka einzubeziehen, und Ziel sollte eine insgesamt weit umfassende europäische Forschungsgemeinschaft sein, in die auch Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit einbezogen werden sollten. Im Sinne dieser Ziele muß aber darauf hingewiesen werden, daß europäische Zusammenarbeit seit Jahren bereits auf den Gebieten Luftfahrt, Raumfahrt, Kernenergie mit Erfolg praktiziert wird: ich muß hier an ESA und Euratom erinnern. Hier haben wir Modelle, wie so etwas übernational funktionieren kann. ({16}) Ich glaube, wir sind hier Europa gegenüber, unseren Partnern gegenüber, insbesondere aber Frankreich gegenüber in der Pflicht. Bitte bedenken Sie das auch. Ich meine, diese Kooperation ist ja nicht erst gestern installiert worden. ({17}) Dr.-Ing. Laermann - Okay. Eureka könnte aber auch zum Etikettenschwindel werden - ich sage das mit Nachdruck -, ({18}) wenn ohnedies schon laufende nationale Forschungs- und Entwicklungsprojekte nur umadressiert werden, wobei im übrigen jedoch die alten bürokratischen Förderprozeduren beibehalten werden, oder wenn den nationalen Förderprogrammen und denen der EG noch neue hinzugefügt werden nach dem Motto: zu bestehenden Töpfen ein neuer Topf. Wenn Eureka wirkungsvoll umgesetzt werden soll, müssen die nationalen Maßnahmen, insbesondere aber auch - das sage ich hier ausdrücklich - EG-Maßnahmen auf ihre weitere Notwendigkeit hin überprüft werden. Ich weiß, daß das nicht einfach ist. Das ist sicherlich eine brisante Äußerung; dennoch mache ich sie hier. Ich meine, es wird eine der wichtigsten Aufgaben der beteiligten Staaten sein, administrative Hemmnisse zu beseitigen oder abzubauen, Standardisierung und Harmonisierung von Normen als Voraussetzung für eine Verbesserung der Kooperationsmöglichkeiten zu fördern und vor allen Dingen auch für mehr Mobilität und Flexibilität von Wissenschaftlern und Ingenieuren aus dem Bereich der Hochschulen und der Forschungseinrichtungen zu sorgen. Wir sind aus liberaler ordnungspolitischer Sicht grundsätzlich der Auffassung, daß Wirtschaft und Industrie die Entwicklungen selbst finanzieren sollen. Dann allerdings, meine Damen und Herren, stellt sich doch die Frage, ob es dann eigentlich noch umständlicher bürokratischer Bewertungs- und Bewilligungsprozeduren bedarf. ({19}) - Lassen Sie mich einmal ausreden. - Finanzierungsbeiträge der europäischen Staaten sollten nach unserer Auffassung über Aufträge an kooperierende Firmen nur dann erfolgen, wenn die Produkte und Dienstleistungen zur Daseinsvorsorge in Europa erforderlich sind, wobei insbesondere auch kleine und mittelständische Firmen mit einbezogen, in angemessenem Umfang berücksichtigt werden müssen. Es kann hier nicht nur darum gehen, daß Großunternehmen miteinander kooperieren, sondern hier kommt es ganz entscheidend darauf an, daß auch kleinere und mittlere Firmen das tun. Im Sinne dessen, was ich vorhin gesagt habe, sind Förderzuwendungen darüber hinaus auch dann vertretbar, wenn es sich um Grundlagenforschung handelt. Ich sprach den Bereich der Großgeräte in der Grundlagenforschung schon an. Wir müssen diesen Anteil, wenn wir es mit Eureka ernst meinen, mit in diesen Bereich einbeziehen. - Leider, meine verehrten Damen und Herren, leuchtet die rote Lampe auf. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({20})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie, Dr. Riesenhuber.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für die zahlreichen Hinweise. Ich möchte einige von ihnen aufgreifen. Lassen Sie mich zunächst einmal sagen: Forschungs- und Technologiepolitik hat wohl drei Ziele: das Wissen zu mehren, Risiken rechtzeitig zu erkennen, Technik zu entwickeln, um Arbeitsplätze zu schaffen. In den ersten beiden Bereichen hat der Staat eine originäre Aufgabe. Bei Grundlagenforschung und bei Vorsorgeforschung entsteht das neue Wissen nicht aus der Industrie; das ist nur dann möglich, wenn der Staat die Voraussetzungen dafür schafft, daß dieses Wissen entwickelt werden kann. Der Staat schafft diese Voraussetzungen dadurch, daß er rechtzeitig die richtigen Möglichkeiten schafft, Gelder bereitstellt, bei der Vorsorgeforschung die richtigen Fragen stellt und dafür sorgt, daß die besten Köpfe Lust daran haben, neue Fragen anzugehen. Glauben Sie nicht, daß das alles durch Geld zu bewirken ist! Wenn die Leute nicht mit Mut, Unternehmungsgeist und Freude an die Lösung dieser neuen Aufgaben herangehen, dann ist alles, was wir administrieren, ohne Wert. ({0}) Sprechen wir jetzt einmal über das Geld. Lieber Herr Kollege Zander, Ihre Rede - so habe ich Sie verstanden - war ein einziges Staunen darüber, was man mit Geld machen kann, wenn man es vernünftig und sparsam einsetzt. ({1}) Ich muß sagen: Ich betrachte dies als ein ungewöhnlich liebenswürdiges Kompliment, für das ich mich bedanke. Ich möchte einmal einige Bereiche aufgreifen, wo Sie Sorgen geäußert haben. Sie sprachen davon, wir hätten uns mit Großprojekten im Bereich der Grundlagenforschung sehr viel aufgeladen. Ich möchte Sie bitten, zu beherzigen, was der Kollege Laermann durchaus zu Recht gesagt hat, welche Großprojekte im Bereich der Grundlagenforschung oder im Bereich der angewandten Forschung wir auf internationaler Ebene gemeinsam durchführen, so daß die finanziellen Lasten überhaupt tragbar werden. Wir tragen ungefähr 25% der Kosten für den Transschall-Windkanal, der bei Köln-Porz errichtet werden soll, aus dem Haushalt des BMFT; Deutschland trägt insgesamt 38% der Kosten. Wir können es bei der ESRF zeigen, wo wir uns im Ausland beteiligen. Wir bekommen bei HERA mit 1,2 Milliarden DM erhebliche Beiträge von befreundeten Ländern. Wir haben eine ganze Reihe von Projekten, bei denen wir in internationaler Zusammenarbeit Finanzierungen erhalten. Wenn Sie dies alles, lieber Herr Zander, vor dem Hintergrund der mittelfristigen Finanzplanung sehen - das steht im Haushalt, den Sie hier selbst beraten haben -, dann stellen Sie fest, daß die Aufwendungen pro Jahr für die Großprojekte der Grundlagenforschung in der Größenordnung von ungefähr 7 % liegen. Das heißt, Sie müssen dies in einer Proportion sehen. Gewiß ist die Sicherung der Grundlagenforschung eine staatliche Aufgabe. Wenn ich den Anteil der Grundlagenforschung hochgefahren habe, dann deshalb, weil Grundlagenforschung nur dort entsteht, wo der Staat die finanziellen Freiräume schafft und natürlich auch - dazu hat der Haushaltsausschuß erheblich beigetragen - hilft, Bürokratien zu beseitigen, um durch eine bessere Deckungsfähigkeit von Investitionsmitteln und Betriebsmitteln und durch eine höhere Verfügung der Professoren über die Stellenpläne schnellere Entscheidungen zu ermöglichen. Es stimmt in der Struktur und im Volumen. Es ist auch nicht so, Herr Kollege Müller, daß ich alles, was an Beschleunigern kommt, mit großer Leidenschaft aufnehme, bloß weil es so schnell ist. Es war durchaus nicht leicht, für die großartige Forschungseinrichtung in Jülich auf die Spallationsneutronenquelle zu verzichten. Mit 2,93 Milliarden DM war das ein großes Projekt. Ich finde es großartig, in welcher Weise sich Jülich auf neue Aufgaben einstellt im Bereich der Informationstechnik, der Materialtechnik, im Bereich des Umweltschutzes und neuer Formen von Energietechniken. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir Grundlagenforschung nicht nur an Geld messen dürfen. Was wir zur Spitzenforschung tun, ist die Herausforderung an die besten Köpfe, um ideale Arbeitsbedingungen zu konkurrieren. Diese wollen wir ihnen, soweit wir dies können, bieten. ({2}) Was wir als internationales Stipendienprogramm machen, führt dazu, daß in der Grundlagenforschung die Wissenschaften zusammenwachsen und junge Wissenschaftler aus allen Ländern bei uns arbeiten können. Sie haben sich darüber beklagt, Herr Zander, daß wir nur 30, 35 Stellen für das KW-Programm aufwenden. Dies ist eine ungewöhnlich sparsame Regierung. Es ist faszinierend, wieviel man erreichen kann, wenn man sparsam und vernünftig mit Geld umgeht. ({3}) Dies ist für Sie noch ein ständiger Quell des Staunens. Wir haben über 200 Stellen für Nachwuchswissenschaftler dadurch geschaffen, daß wir das Nachwuchsprogramm dotiert haben, was unter früheren Regierungen nie der Fall war. Der zweite Punkt, bei dem Sie Sorgen angemeldet haben - auch der Kollege Müller hat darüber gesprochen -, war die Frage, Herr Zander: Tun wir genug für Umweltforschung, für ökologische Wirkungsforschung, für Vorsorgeforschung? Ich kann Ihnen hier nur eines sagen: Ob es genug ist, weiß man nie genau. Aber die Haushaltswachstumsraten sind in diesen Bereichen größer als zu Ihrer Zeit. Wir haben bei der ökologischen Wirkungsforschung einen Zuwachs von 14 % um 18,9 Millionen DM. Das sind Wachstumsraten, die ein Vielfaches der durchschnittlichen Wachstumsraten im Haushalt ausmachen. Wir haben bei der Umwelttechnik Zuwachsraten von 17,8 %. Das entspricht 23 Millionen DM. Wir haben bei der Klimaforschung Zuwachsraten von 27%. ({4}) - Bei den gerade genannten Bereichen waren es insgesamt über 50 Millionen DM. Ich glaube, das ist ein ordentlicher Betrag. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen: Auch wenn es kleine Beträge sind, so sind es doch die Beträge, die ich in Ihren Haushalten vorgefunden habe. Glauben Sie nicht, daß ich durch eine Verdoppelung der Mittel doppelt soviel gute Köpfe finde. Das ist nicht proportional. ({5}) Zu Recht hat Kollege Laermann darauf hingewiesen, daß wir solche guten Teams schrittweise aufbauen müssen und schauen müssen, wo wir die besten Leute bekommen. Wir müssen die Forschung nach dem Maß der Köpfe bestimmen und dürfen uns nicht zumuten, die Köpfe nach dem Maß des Geldes zu konstruieren. Der dritte Bereich, der hier angesprochen wurde, betrifft die Förderung der Wirtschaft und der Arbeitsplätze. Sie haben, Herr Kollege Zander, Ihre Sorge um die kleinen und mittleren Unternehmen geäußert. Hier kann ich nur sagen: Ich habe den Anteil des Geldes, der aus dem Gesamtkomplex der wirtschaftsbezogenen Forschung an den Mittelstand geht, um die Hälfte erhöht. Wir haben heute beim Mittelstand - so grenzt es das Ifo-Institut aus - 13 % der F + T-Kapazität der Wirtschaft. Aber nicht 13 %, sondern 29 % der marktbezogenen Mittel des F + T-Haushalts sind an die kleinen und mittleren Unternehmen gegangen. Das ist ein Anteil, den es unter früheren Regierungen nie gegeben hat.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Ich möchte mich mit Respekt an die Redezeit halten. Ich bitte um Nachsicht, verehrter Herr Kollege. ({0}) - Ich bin der Diskussion noch nie ausgewichen, Herr Schily. ({1}) Die Fragen der Industriestrukturpolitik können wir, Herr Zander, hier leider nicht ausdiskutieren. Aber ich muß Ihnen eines sagen. Der Glaube, daß der Staat künftige Industriestrukturen programmieren könnte, ist ein lebensgefährlicher Glaube, der dazu führen kann, daß Wachstumskräfte der Wirtschaft paralysiert werden, weil man hier vom Staat Vorgaben erwartet, die allein die Unternehmen aus ihrer Kenntnis des Marktes und seiner Möglichkeiten geben können. Insofern sprechen Sie über ein ganz gefährliches Gebiet. Ich glaube, daß ein Teil des Attentismus, der Wachstumsverluste, der Schrumpfung Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre darin lag, daß zu viele Leute zuviel vom Staat erwartet haben, anstatt zu wissen, daß es nur auf sie ankommt, ob sie in Wissenschaft, in Wirtschaft und Technik Neues erreichen. Darauf setzen wir. ({2}) Ich möchte allerdings einen Punkt aufgreifen. Mit dem Kollegen Schwarz-Schilling, der hier unter uns sitzt, zusammen haben wir die Fragen der Rahmenbedingungen in den Märkten durchaus angegangen. Hierher gehört auch die Frage, die Herr Kollege Müller angeschnitten hat. Herr Kollege Müller, es passiert gelegentlich, daß man einem Mißverständnis aufsitzt; aber so grob darf das nicht sein. Das digitale Autotelefon ist eine Geschichte, die zwar der Struktur nach ein Eureka-Projekt sein könnte, aber verabredet worden ist es längst, bevor es Eureka gab. Was wir bei Eureka gemacht haben - ich komme gern der Anregung nach -, schicken wir gerne dem Haushaltsausschuß mit allen Projekten, die wir bis jetzt kennen. Was wir hier angelegt haben im Deutschen Forschungsnetz, im Laser-Programm, in dem Umweltprogramm, wo wir die Schadstofftransporte in der Luft verfolgen, dies ist etwas, was durchaus das große Spektum von Eureka-Projekten zeigt: Infrastrukturen für Wissenschaft und Technik, die Möglichkeit, Umweltfragen rechtzeitig zu verstehen, und die Möglichkeit, neue, marktorientierte Techniken aufzubauen. Dies ist Eureka. Auch da, Herr Zander, tun wir es nicht in der Weise, daß wir sagen, wir fangen jetzt erst mal damit an, daß wir die großen Gelder ausloben. Das Denken beginnt doch nicht mit dem Geld. Das Denken beginnt damit, daß hier Ziele und Strukturen geschaffen werden. Und dann, wenn die Projekte da sind, wollen wir mal sehen, wie die vernünftig rankommen. ({3}) - Dann muß ich Ihnen eines sagen. Ich kann es jetzt nicht ausführen; aber das, was in die Wirtschaft geht, ist nur ein kleiner Anteil am Forschungsetat, und das, was in andere Bereiche geht - von Grundlagenforschung bis Vorsorgeforschung -, ist ziemlich groß. Ich möchte nur noch mit einer Bemerkung auf die Großprojekte eingehen. Also, Herr Zander, zu den Großprojekten der Grundlagenforschung mit Ihrem Anteil von etwa 7 % in den Haushalten der kommenden Jahre - nachzulesen in der „Mifrifi" - habe ich etwas gesagt. Jetzt möchte ich doch noch einmal von einer anderen Seite die großen Projekte im Weltraum beleuchten, über die Sie gesprochen haben. Ich halte dies - auch nach Ihren eigenen Kategorien - für genau die richtige Antwort: Für das, was jetzt zusätzlich gekommen ist und zusätzliche Mittel verlangt, sind von dem Herrn Kollegen Stoltenberg, von dem Bundesfinanzminister, hier zusätzliche Mittel eingebracht worden. Dadurch bekommen wir in der Tat einen Haushalt, der - ablesbar aus der mittelfristigen Finanzplanung - im Lot ist, der gleichmäßig ist, wo die Bereiche ausgewogen sind, wo wir mit begrenzten Mitteln Initiative erweitern, wo wir nicht glauben, daß Geld alles macht, wo wir mit dem Kollegen Schwarz-Schilling die Infrastruktur für die Märkte schaffen: die Netze, die Normen, die Standards, die internationale Abstimmung, aus denen die Techniken erst entstehen, ({4}) wo wir uns darauf verlassen, daß das Neue entsteht, weil die Leute Lust bekommen, etwas Neues anzugehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube also nicht, daß es das Geld alleine macht; aber es ist eine wichtige Voraussetzung. Die begrenzten Mittel, die wir haben - da bedanke ich mich für alle Komplimente aus allen Fraktionen -, setzen wir hier offensichtlich sehr gut ein. Ich bedanke mich besonders noch beim Kollegen Austermann für den Hinweis darauf, daß zu dem Thema „Geld ist nicht alles" auch die Frage aufgegriffen worden ist: Wo tragen wir Verantwortung beispielsweise für das, was Technik erlaubt, wenn wir die Grenzen berühren, die uns die Würde des Menschen setzt? ({5}) Dies ist ein Thema, das hier von uns in das Gespräch gebracht worden ist. 1982 fand ich keine Gesprächspartner. Ich muß mich bei den Männern und Frauen aus den Kirchen, aus der Wissenschaft, aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen dafür bedanken, daß diese in einer so hervorragenden engagierten und kompetenten Weise dieses Thema aufnahmen. Der Staat kann nicht nur nichts erfinden, der Staat ist auch nicht die Quelle der Moral, er kann ihr Hüter sein. ({6}) Aber er hat rechtzeitig die Frage zu stellen: Wo befinden wir uns in gefährlichem Gelände? Er hat Gespräche so zu organisieren, daß wir begreifen, was wir können und was wir sollen. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich für die anregende Debatte. Ich bedanke mich auch für die freundschaftliche und konstruktive, die hilfreiche und natürlich auch kontroverse Zusammenarbeit im Haushaltsausschuß und im Forschungsausschuß. Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir in der gleichen konstruktiven Weise langfristig einen erfolgreichen Haushalt so aufbauen, daß Technik und Wissenschaft in Deutschland blühen und daß wir mit einer verletzlichen Umwelt verantwortlich umgehen können. Ich danke Ihnen schön. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, kann ich die Aussprache schließen. Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst stimmen wir über die Änderungsanträge der Fraktion der GRÜNEN ab. Ich lasse zunächst einmal über den Antrag 10/4323 abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag abgelehnt. ({0}) Über den Antrag 10/4324 der Fraktion der GRÜNEN ist getrennte Abstimmung gewünscht worden. Ich lasse zunächst über die Ziffern 1 bis 5 abstimmen. Wer den Ziffern 1 bis 5 auf dem Antrag 10/4324 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die Ziffern 1 bis 5 dieses Antrags abgelehnt. Ich komme nunmehr zu der Ziffer 6. Wer der zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer lehnt die Ziffer 6 ab? - Enthaltungen? - Damit ist die Ziffer 6 abgelehnt. Ich lasse nunmehr über die Ziffer 7 abstimmen. Wer der Ziffer 7 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die Ziffer 7 und der ganze Änderungsantrag 10/4324 abgelehnt. Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4343 ab. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 30. Wer dem Einzelplan 30 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 30 angenommen. Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Einzelplan 31 auf: Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft - Drucksachen 10/4172, 10/4180 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Rose Dr. Diederich ({1}) Dr. Müller ({2}) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4344 vor. Im Ältestenrat ist eine Aussprache von zehn Minuten pro Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht? So kann ich die Aussprache eröffnen und dem Abgeordneten Professor Dr. Diederich das Wort geben. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. ({3})

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebes verehrtes anwesendes Humankapital! Wie im Vorjahr schrumpft der Anteil des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft am Ausgabevolumen des gesamten Bundeshaushalts. Diese Feststellung charakterisiert insgesamt und zusammenfassend die Glaubwürdigkeit einer Bundesregierung, deren Kanzler mit dem Anspruch der geistig-moralischen Erneuerung und dem Versprechen eines garantierten Ausbildungsplatzes angetreten ist. ({0}) Der Haushalt dieses Ministeriums, das sich mit der Zukunft der jungen Menschen und vornehmlich mit der Erhaltung unserer geistigen und wissenschaftlichen Kultur befassen soll, zeigt folgende Grundtendenzen. Erstens. Der Bundeshaushalt wird weiter zu Lasten der Schwachen saniert. Dafür wird erbarmungslos der Geschäftsbereich „Bildung und Wissenschaft" herangezogen. Meine Damen und Herren, Sie senken die Staatsquote - das haben wir heute mehrfach gehört -, und Sie tun das auf Kosten der jungen Menschen. ({1}) Zweitens. Chancengleichheit ist für Sie nur noch ein leeres Wort. Bildungsplanung, die die Aufgabe hat, Chancengleichheit herzustellen und die Begabungsreserven zu mobilisieren, findet kaum noch statt. Der Bund zieht sich aus einer zentralen Zukunftsaufgabe zurück. Drittens. Dort, wo verstärkte Förderung stattfindet, betrifft sie unter dem Vorwand der Elite- oder Hochbegabtenförderung oftmals Schichten und Gruppen, die bereits privilegiert sind. Viertens. Die Kooperation in den Bildungsinstitutionen, vor allem in den Universitäten, die gleichberechtigte Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, wird zunehmend durch die Rückkehr zu veralteten Autoritätsstrukturen, die sich am Bild der überlebten Ordinarienuniversität des 19. Jahrhunderts orientieren, ersetzt. Meine Damen und Herren, das zentrale und brennende Problem in der Verantwortung dieses Ministeriums ist immer noch die Frage der unversorgten Ausbildungsplatzbewerber. ({2}) 1983 fanden fast 47 000 Bewerber keinen Ausbildungsplatz. Ende September 1984 fanden 58 000 Bewerber keinen Ausbildungsplatz. Am 30. September dieses Jahres waren es 59 700 Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz fanden. Das heißt, die Zahl Dr. Diederich ({3}) der Unversorgten steigt an. Selbst wenn wir die offenen Stellen abziehen, bleiben fast 38 000 Jugendliche unversorgt. ({4}) Man muß auch berücksichtigen, daß es einige 30 000 gibt, die sozusagen in einer Warteposition - also nicht auf dem Platz, den sie sich wünschen - sind. ({5}) Lieber Herr Kollege, wir Sozialdemokraten haben Vorschläge gemacht. Wir haben vorgeschlagen, beim Programm für die Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher zu klotzen, statt zu kleckern. Wir haben vorgeschlagen, das einmalige Sonderprogramm zur Gewinnung von über- und außerbetrieblich organisierten Ausbildungsplätzen zu erhöhen. Wir haben vorgeschlagen, Versuchs- und Modelleinrichtungen und Programme im Bereich der beruflichen Bildung verstärkt zu fördern. Wir haben vorgeschlagen, die Modernisierung überbetrieblicher beruflicher Ausbildungsstätten insbesondere zur Einführung neuer Technologien verstärkt zu fördern. Im Ausschuß haben Sie alle diese Anträge abgeschmettert. ({6}) Sie haben sich immerhin insoweit beeindruckt gezeigt, als Sie beim Benachteiligtenprogramm ein bißchen zugelegt haben. Aber wir alle sind uns darüber einig, daß das im Saldo nicht reicht, nicht reichen kann, um die Probleme, die jetzt da sind, zu lösen. ({7}) Frau Ministerin, wir sind auch darüber enttäuscht, daß die bescheidene Nachbesserung beim Benachteiligtenprogramm, die wir im Ausschuß bewilligt haben, im nachhinein in eine Wahlkampfhilfe für Niedersachsen umgebogen wird. Länder wie Hamburg und das Saarland gehen bei diesem Programm leer aus. Ich möchte Sie, Frau Ministerin, von dieser Stelle aus bitten, möchte Sie auffordern, die beim Benachteiligtenprogramm benachteiligten Länder zu berücksichtigen und ihnen einen fairen Anteil zu garantieren. ({8}) Es genügt auch nicht, die Länder auf eine eventuelle Zweitverteilung zu verweisen. Ich bitte Sie, dies zu korrigieren. Die Bundesregierung und dieses Ministerium steigen systematisch aus der Bildungsplanung aus und reduzieren planmäßig die Modellversuche. Was ist denn die Aufgabe von Bildungsplanung? Sie soll die Chancengleichheit in dieser Gesellschaft erhöhen, und sie soll die Begabungsreserven, die in allen Schichten unseres Volkes schlummern, erschließen. ({9}) Langfristig kann das Leistungsniveau einer modernen Gesellschaft - das betrifft ja auch den Nachwuchs für Herrn Riesenhuber - nur erhalten bleiben, wenn alle Begabungsreserven ausgeschöpft werden. Dazu ist aber eine Förderung ohne Ansehen des Vermögens und des Besitzes der Eltern notwendig. ({10}) Meine Damen und Herren, wir halten die Streichung des Schüler-BAföG auch heute noch für den sichtbarsten Beweis der Wendung zur Ellenbogengesellschaft. ({11}) Sie haben die Bundesausbildungsförderung gestrichen, um den einkommensbezogenen Kinderfreibetrag finanzieren zu können. Unten nehmen, oben geben! Ihr Bekenntnis zur Familienförderung und zu einer kinderfreundlichen Gesellschaft wird durch diese soziale Unbarmherzigkeit immer wieder Lügen gestraft. ({12}) Frau Ministerin, ich fordere Sie auf, die Zahlen zur sozialen Lage der deutschen Studenten unverzüglich offenzulegen. Ich vermute nämlich, daß diese Bundesregierung die Daten bewußt zurückhält, um sie einer parlamentarischen Kritik zu entziehen. ({13}) Es würde dann offenbar werden, daß durch die BAföG-Streichung Familien mit mehreren Kindern, Familien mit geringem Einkommen, daß Mädchen betroffen sind. Dieses Ergebnis Ihrer Politik würde allzusehr, mehr als andere Kriterien, die Scheinheiligkeit Ihrer Familienpolitik, offenbaren. ({14}) Je mehr die Studentenförderung zu einer Hochbegabtenförderung wird und soziale Kriterien durch den Wegfall von BAföG zurücktreten, um so mehr sinken die Chancen der sozial Schwächeren, von Begabtenförderungsstipendien zu profitieren. Die sozial Schwächeren müssen Darlehen aufnehmen. Dort ist - verständlich - von den Familien her die Zurückhaltung am größten; denn Kredit wird nach alter Erfahrung nur dort gegeben, wo schon etwas ist und dort verwehrt, wo nichts ist. Wer verdenkt es dem Arbeiterkind, wenn es dem Rat des besorgten Familienvaters, der besorgten Familienmutter folgt und lieber auf ein Studium verzichtet, als sich langjährig zu verschulden. Es ist grotesk, wenn die Zukunftsbelastung derjenigen, die aus schwächeren Familien kommen, am Ende ihres Studiums erheblich größer ist als derjenigen, die beruhigt mit dem dicken Portemonnaie der Eltern im Hintergrund ihr Studium absolvieren können. ({15}) Dr. Diederich ({16}) Sozialdemokraten sind beileibe keine Gleichmacher. Wir wollen Leistung fördern. Wir halten aber die Förderung bereits Privilegierter für falsch. Ich spiele hier auf Ihr Spitzenförderungsprogramm an, bei dem wir den Verdacht haben, daß etablierte Wissenschaftler begünstigt werden sollen, daß vergangene und nicht künftige Leistungen belohnt werden. Leistungselite in einer demokratischen Gesellschaft setzt voraus, daß alle jungen Menschen die Chance haben, ihre Leistungsfähigkeit, ihre Leistungsbereitschaft frühzeitig zu trainieren. Sie auszuschließen heißt eine Rückkehr in eine Gesellschaft der Privilegierten, und damit werden wir die Zukunftsaufgaben, die in unserer Gesellschaft auf uns zukommen, nicht bewältigen können. ({17}) Bildung ist kein Privileg, Bildung ist ein allgemeines Bürgerrecht. Wir finanzieren das Training für Wissenschaftler, für Spitzenarbeitsplätze im Weltraum. Das macht der Herr Riesenhuber; der führt das ja auch vor. Wir schaffen dort Traumjobs, und die Herren werden vorgeführt, weil es das bundesbürgerliche Selbstbewußtsein stärkt und dazu beiträgt, so wie Franz Beckenbauer und Boris Becker, wobei der letztgenannte Name kein so großes Beispiel mehr ist, nachdem wir alle wissen, daß er seine Steuern in Deutschland vermeidet. ({18}) Aber wie kann sich der benachteiligte arbeitslose Jugendliche mit diesen Beispielen überhaupt identifizieren, wenn ihm diese Gesellschaft nicht das Angebot macht, wenigstens in einem ganz bescheidenen Rahmen, sich bilden, sich weiterbilden zu können, j a überhaupt den Zugang zu bekommen! Von einer Vermittlung in seinen Traumjob ganz abgesehen. Die Bildungspolitik bleibt die Antwort auf die Grundfragen, die sie zu geben hat, schuldig. Die Ablehnung des Einzelplans des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft - es tut mir leid, Frau Ministerin - ist der angemessene Ausdruck unseres politischen Urteils. ({19})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gutem parlamentarischem Brauch entspricht es, daß man auf die Argumente des Vorredners eingeht. Aber der müßte dann zuhören, lieber Kollege Diederich! Schlechtem parlamentarischem Brauch entspricht es, wenn man im polemischen Stil auf die Argumente des Vorredners eingeht. Das kann ich nicht, ich bin viel zu friedlich, und ich weiß auch, daß hinterher ein Fußballspiel im Fernsehen wartet und daß wir auch deshalb friedlich miteinander umgehen sollten, damit die Holzhackermethoden woanders sind. Nur, lieber Kollege Diederich, ich stelle bei Ihrer Rede fest, daß Sie doch einiges so dargestellt haben, wie es nicht ganz den Tatsachen entspricht. Sie sind zwar ein sehr geübter Professor. Aber Sie haben heute ein bißchen Polemik hineingebracht. Das nehme ich nicht übel; das gehört dazu. Ich möchte deshalb einige Ihrer Argumente entkräften beziehungsweise die Linien klarstellen, auf denen wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, für die ich zu sprechen die Ehre habe, stehen. Zum ersten ist es so, daß der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft zunimmt. Es kann also keiner behaupten, daß es hier Abschläge gegeben hätte, daß man immer auf Kosten dieses Ministeriums oder der Menschen, die durch dieses Ministerium betreut werden, Politik machen würde. Der Haushalt nimmt zu mit einem Nettozuwachs von 41,3 Millionen DM, und - das halten wir uns im Haushaltsausschuß zugute, ({0}) wir, die wir sonst immer als die strammen Streicher verschrien sind - wir haben der Bundesregierung dieses Mal geholfen, daß noch ein bißchen was dazukam, damit die wichtigen Aufgaben auch gemacht werden können. ({1}) Damit hat - auch im Vergleich zum Vorjahr - der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft um 38 Millionen DM zugenommen. Er hat die Vier-Milliarden-Grenze wieder deutlich überschritten. Nachdem ich Ihnen voriges Jahr, verehrte Frau Bundesminister, zu Ihrem strammen Vier-Milliarden-Haushalt gratuliert habe, möchte ich es auch dieses Mal tun. Dieses Ministerium wird unter Ihrer Leitung nicht untergehen. ({2}) Welche Aufgaben, meine Damen und Herren, standen vor uns, und welche Probleme hatten wir zu lösen? Wir wollen ja die Linien aufzeigen, die bei uns im Zusammenhang mit diesem Haushalt wichtig sind. Unsere Ziele waren die Verbesserung der Bildungschancen der jungen Generation, insbesondere auch der Benachteiligten, ({3}) zweitens Stärkung des Leistungsgedankens und Förderung von Begabung, und zwar ganz eindeutig, denn wir sind für die Begabtenförderung, drittens Verbesserung der Qualität von Forschung und Lehre an den Hochschulen und viertens Verstärkung der Haushaltsaktivitäten. Zu letzterem möchte ich bemerken, daß ich es nicht zuletzt wegen meiner persönlichen Erfahrungen auch als Haushaltsberichterstatter für das Auswärtige Amt gerne sehe, daß auch das Bundesbildungsministerium internationale Kontakte pflegt. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Staaten auf dem Feld der beruflichen Bildung und der Hochschulen ist nicht bloß Selbstzweck ({4}) - verehrter Herr Vorsitzender, Rudi Walther, auch die Villa Vigoni haben wir sauer durchgekämpft, und am Schluß wird es sich noch als gut herausstellen -, sondern diese Zusammenarbeit mit anderen Ländern ist für unser Land, für unseren eigenen Staat lebens-, ja überlebenswichtig. ({5}) Unser bewährtes duales Berufsbildungssystem soll sich eventuell auch in anderen Ländern verankern können, und es ist wegen seiner positiven Langzeitwirkung für uns auch erklärtes Ziel. ({6}) Nun zu einigen Schwerpunkten unserer Politik auf dem Feld von Bildung und Wissenschaft. Zunächst, lieber Herr Kollege Dr. Diederich, zum sogenannten Benachteiligten-Programm. Wir waren uns dabei einig, daß es eigentlich ein häßliches Wort ist, weil man damit einen Teil unserer jungen Mitmenschen abzuqualifizieren scheint, aber es kommt auf den Inhalt des Programms an. Der Inhalt ist, daß man Nachteile dieser jungen Menschen ausgleichen möchte und daß man ihnen Bildungschancen vermitteln will. ({7}) Nun komme ich dazu, daß in der ersten Lesung des Haushalts im Monat September dieses Jahres der Oppositionsredner, Kollege Dr. Schmude, die Frage gestellt hat: Wo bleiben denn die Erhöhungen, die jetzt notwendig sind, um das Programm voll zur Wirkung zu bringen? Heute hat auch der Kollege Dr. Diederich wieder darauf verwiesen, er hätte noch mehr und er hätte es gerne noch schöner gehabt. Wenn wir nun unseren Sparhaushalt insgesamt ansehen, kann man darauf verweisen, daß schon beim Regierungsentwurf mit 7,4 % ganz deutlich eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen war, daß aber dann durch unsere Beschlüsse im Haushaltsausschuß eine Steigerung von 31 % herauskam. Nun frage ich: Was bleibt von der Behauptung von Herrn Dr. Schmude, „buchstäblich nichts zu tun", wie er damals sagte? Herr Dr. Schmude ist damit genauso eindeutig widerlegt, wie auch gestern der Bundeskanzler dem Oppositionsführer vorgerechnet hat, daß er bei all seinen Greuelmärchen, die er als Oppositionsführer beschworen hat, nirgendwo recht hat und daß Sie deshalb auch als Opposition versagen. ({8}) - Verehrter Herr Kollege, wegen des Fußballspiels - und nur deshalb! - muß ich Sie bitten, sich ein bißchen zu bescheiden. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Plenum hat für Ihre Haltung, Herr Abgeordneter, ganz sicher Verständnis.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vergleiche ich also die Ausgaben des Jahres 1986 mit den Ausgaben des Jahres 1982, als es nur 49 Millionen DM waren, so sind die jetzigen 335 Millionen DM wahrhaftig eine gewaltige Steigerung, und es stellt sich heraus, daß hier eine Verdrehung der Tatsachen von der Seite der Opposition stattfand. ({0}) Noch etwas, lieber Kollege Diederich. Sie haben davon gesprochen, daß es bei der Steigerung um eine Wahlkampfhilfe für Niedersachsen gehe. Jeder von uns weiß, daß zweifellos nicht bloß Niedersachsen Nachholbedarf hat, sondern vor allem auch Bremen an der Spitze der Empfänger dieser Gelder steht. ({1}) Bremen selber ist ja leider in all den Fällen, in denen wir Zuschüsse geben müssen, immer an der Spitze bzw. umgekehrt am Ende. Die Bremer sollten sich ({2}) endlich einmal ein Beispiel an ihrem Tabellenführer Werder Bremen nehmen - wenn wir schon beim Fußball sind -, die momentan an der Spitze stehen, aber auch nur dank Völler, den der Erich Riedl einmal großgemacht hat, und die Bayern haben dafür gesorgt, daß auch Werder Bremen einmal untergeht. ({3}) Durch alle Reden der Opposition zieht sich der unterschwellige Versuch, Neidgefühle und das ArmeLeute-Bewußtsein hervorzurufen. Da gilt auch für Ihren ständigen Vorwurf in bezug auf BAföG. ({4}) Immerhin geben wir auch 1986 wieder 1,57 Milliarden DM für BAföG aus. Es gibt eine Steigerung von 20 Millionen DM, um damit gewisse Anpassungen zu bewerkstelligen. Man kann wirklich nicht sagen, daß wir hier nichts täten. Ich bin aber - anders als Sie - der Meinung, und zwar aus eigener Erfahrung - ich sage das auch immer wieder laut, eben weil ich auch ein Arbeiterkind bzw. später das Kind eines kleinen Beamten war, ein Darlehen genommen und dies zurückgezahlt habe -, daß es ein Akt der Solidarität ist, daß der Student dieses Geld, wenn er später verdient, zurückbezahlt, damit andere wieder studieren können. ({5}) Wir haben einen zweiten Schwerpunkt bei der Förderung von Begabung und Leistung, wie ich gesagt habe. Wir haben im Haushaltsausschuß dafür gesorgt, daß die Mittel für die Studien- und Promotionsförderung gegenüber dem Vorjahr um 7,4 % erhöht wurden und daß auch besondere Leistungswettbewerbe eingeführt werden, deren Mittel im Vergleich zum Vorjahr um sage und schreibe 28,6 % gesteigert wurden. Vor allen Dingen wollen wir die Spitzenleistungen im Technologiesektor voranbringen und auch dafür Geld einsetzen. Wir wollen mit einem neuen Forschungsvorhaben auch erreichen, daß Frauen und Mädchen in ihrer Ausbildung den Zugang zu diesen neuen Technologien finden. Etwas, was wir noch nicht lösen konnten und wo ich noch um die Zusammenarbeit der gesamten Bundesregierung mit dem Bundestag bitte, ist die Lage auf dem Feld der überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Hier ist für die Fortbildung noch mehr zu tun. Wir müssen also schauen, wie wir das Ziel der 77 000 Plätze, das bald erreicht ist, noch erweitern können, damit nicht nur Ausbildung, sondern auch Fortbildung in diesen Stätten stattfinden kann und vor allen Dingen die Technologie Einzug findet, um uns auch in Zukunft stark zu halten. Als letztes zur Ausbildungsplatzsituation. Auch hier wird immer geklagt und das Datum September herangezogen. ({6}) Bis 30. September waren bereits 92 % aller Ausbildungsplatzsuchenden vermittelt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt sind mindestens 700000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Darüber hinaus hat sich bis jetzt aber noch eine zusätzliche Anzahl ergeben, so daß die neue Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden im Oktober auf 53 000 zurückging. Darin hat sich noch nicht das Benachteiligtenprogramm niedergeschlagen. Sobald auch diese Maßnahmen greifen, wird sich die Zahl der noch nicht vermittelten Jugendlichen erheblich verringern, so daß sich die Quote der Versorgung der Jugendlichen mit Ausbildungsplätzen in den nächsten Monaten wie im Vorjahr auf mindestens 97 % erhöhen wird. Für alle kann man nicht sorgen. Das wissen Sie selber. Immer wird es einen gewissen Prozentsatz geben. Da kann man nicht der Regierung die Schuld geben, sondern die Ursachen für diese Probleme liegen woanders. ({7}) Mit diesen Leistungen kann sich die Bundesregierung durchaus sehen lassen. Die Koalitionsfraktionen danken der Wirtschaft für ihre enormen Anstrengungen auf dem Sektor der Ausbildungsplätze und auch der Bundesregierung für die nochmalige Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze. Die nochmalige zweifache Erhöhung des Benachteiligtenprogramms des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beweist außerdem die Ernsthaftigkeit der Anstrengungen der Bundesregierung, konkret Entscheidendes für die Zukunftschancen der jungen Generation zu leisten. Das haben wir in diesem Haushalt zu machen versucht. Ich glaube, wir haben es einigermaßen erreicht. Wir waren uns im Haushaltsausschuß meistens auch einig. Deshalb wäre es sehr nett von Ihnen, wenn sie sich durchringen, diesem Einzelhaushalt zuzustimmen. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat die Abgeordnete Frau Zeitler das Wort.

Karin Zeitler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002586, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsplan des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft erinnert mich an einen second-hand-shop. Da stehen nämlich die Reformruinen der SPD-FDP-Regierung zum Teil unkenntlich bis zur Absurdität, beispielsweise im BAföG-Bereich, neben dem alten neuen oder auch neuen alten Bildungsinstrumentarium der heutigen Regierung. Ich will zunächst etwas zur wiedererstandenen Bildungspolitik der Bundesregierung sagen. Sie ist so platt, wie sie destruktiv ist. Sie kreist und konzentriert sich auf einen Punkt, nämlich Auslese und Selektion. Das soll in der Schule anfangen. Deshalb wird im Bereich Bildungsplanung der Etat für die Förderung hochbegabter Kinder und Jugendlicher aufgestockt. Auf 800 000 DM nur, werden jetzt einige einwenden, aber dem stehen nicht zufällig Kürzungen von Modellversuchen im Bereich ausländischer Kinder und Jugendlicher in Höhe von 5,5 Millionen DM gegenüber. Diese besondere Aufmerksamkeit für Hochbegabte richtet sich nun nicht etwa auf musisch, künstlerisch oder intuitiv Begabte; denn diese haben es in unserem Schulsystem, das der Rationalität, Leistung und Disziplin verschrieben ist, unbestreitbar schwer. Nein, Hochbegabung wird gleichgesetzt mit rationalem Intellekt in den technischen und naturwissenschaftlichen Bereichen. Das ist die rote Linie, die sich durch den ganzen Bildungshaushalt zieht. ({0}) - Pardon: die schwarze; meinetwegen. In diese Schwerpunktsetzung paßt dann auch die Förderung neuer Technologien, für die immerhin - aufgestockt - 9 Millionen ausgegeben werden. Dem abstrakten, logischen, analytischen Denken wird im gesamten Bildungsbereich Priorität eingeräumt, und einige wenige sollen darüber hinaus in Elitestudiengängen besonders trainiert werden - dies alles, um den Nachwuchs für die auf diesem Prinzip beruhenden Technologien auszusieben. Da kann man dann auch mal 10 Millionen für die Förderung des hochqualifizierten promovierten wissenschaftlichen Nachwuchses lockermachen, wobei - ich zitiere - „bestimmten Fachgebieten Vorrang gegeben werden kann". Welche Fachgebiete das sind, wird spätestens dann klar, wenn wir auf den neu aufgenommenen Haushaltstitel „Preise für Spitzenleistungen des Technologie-Transfers aus den Hochschulen" stoßen, in dem die Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Wirtschaft honoriert wird. Da überrascht es auch nicht, daß die Förderung von Spitzenforschung an den Hochschulen, insbesondere auf den Gebieten der Naturwissenschaften, einschließlich Mathematik, Biowissenschaften, medizinischer Forschung und Ingenieurwissenschaften, der Bundesregierung 3,75 Millionen wert ist, 2,75 Millionen mehr als dieses Jahr, in dem damit begonnen wurde. Daß jede Politik die Kräfte fördert, von denen sie sich Vorteile verspricht, ist klar. Es ist auch klar, daß die Politik dieser Regierung der Industrie zuarbeitet. Aber was weit schlimmer ist: Ich sehe, was diese forcierte und ausschließliche Unterstützung des analytischen, reduktionistischen und abstrakten Denkens für die Welt bedeutet. Wir sehen es an der Vergiftung von Mensch und Umwelt, an der drohenden atomaren Vernichtung, an der Verelendung von Menschen, -die neben der Verarmung eine psychische Dimension bekommen hat, nämlich die Isolierung, die Standardisierung von Menschen, die seelische Abstumpfung und das Leiden an der Sinnlosigkeit des Lebens. Diese Entwicklungen sind auf die Dauer tödlich. Denn die Welt hat eine andere Seite, die nicht in Logik und Mikrochips einzufangen ist. Diese andere Seite, die intuitive, verstehende, die gefühlsmäßige - jeder Mensch kennt sie und hat seinen Namen dafür -, diese weibliche Seite - wobei weiblich nicht bedeutet, daß sie auf Frauen beschränkt ist - ist notwendig, soll unsere Welt nicht aus dem Gleichgewicht fallen. Und diese Seite genauso zu fördern wie die abstrakte, logische und rationale, ist die Aufgabe von Bildung für die Zukunft. Den Blick fürs Ganze zu entwickeln, nach außen und nach innen zu schauen, Gefühle zu verstehen, uns nicht als Herrscher, sondern als Teil des lebendigen Kosmos zu fühlen und zu begreifen, ist eine Begabung, die in jedem Menschen steckt, manchmal versteckt ist. Diese Begabungen zu entwickeln, ist die Voraussetzung dafür, die Welt vor der ökologischen und sozialen Katastrophe zu bewahren, in die einseitiges Denken sie führt. Die Jugendlichen stehen diesem ganzheitlichen Denken und Fühlen noch näher. Und damit komme ich zu einem weiteren Schwerpunkt dieses Haushalts, nämlich der beruflichen Bildung. Erst vor kurzem haben wir hier im Zusammenhang mit jugendlichem Protestverhalten über das Verhältnis der Jugendlichen zu Ausbildung und Beruf gesprochen. Es wurde betont, welch zentralen Stellenwert Ausbildung und Beruf für die Jugendlichen haben. Dies wurde etwa zur gleichen Zeit vom soziologischen Forschungsinstitut Göttingen in einer Untersuchung, die vom DGB und vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben war, bestätigt. Darüber hinaus wurde in der Untersuchung festgestellt, daß die Mehrheit der Jugendlichen von ihrer Ausbildung mehr erwartet, als daß sie damit Geld verdienen können. Sie erwarten Sinnerfüllung in der Arbeit, die Arbeit soll ihnen Spaß machen, sie wollen sich in der Tätigkeit beweisen, den Sinn und Zweck ihrer Arbeit erkennen und für andere nützliche Ergebnisse produzieren. ({1}) Sie erwarten von ihrer Arbeit auch, daß sie miteinander reden, sich austauschen und voneinander lernen können. Und: Sie wollen über ihre Arbeit am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Diese Vorstellungen gehen meines Erachtens von einem relativ intakten Menschenbild aus. Vor diesem Hintergrund ist es erschreckend, was Sie, Frau Wilms, in Ihrem Ministerium im Bereich berufliche Bildung und Berufsbildungsförderung anzubieten haben. Da wird, wie alle Jahre wieder, das Benachteiligtenprogramm aufgestockt, und zwar um ca. 80 Millionen DM, was etwa 4 500 Ausbildungsplätzen entspricht. Dabei haben im Frühjahr 1985 bereits 10 000 Jugendliche nachgefragt, nur etwa 4 000 konnten berücksichtigt werden. Wenn dann noch, wie letztes Jahr, alle Jugendlichen, die beim Arbeitsamt gemeldet waren und bis zum 30. September keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, übers Benachteiligtenprogramm gefördert werden könnten, wären - bei vorsichtiger Schätzung - allein etwa 40 000 Mädchen berechtigt, wobei die Mädchen noch nicht mitgezählt sind, die in Teilmaßnahmen untergebracht sind und sich nicht für eine Vollausbildung bewerben, weil sie wissen, daß sie ohnedies keine Chance haben. Und Sie haben jetzt auch noch die Leistung vollbracht, den geringen Ansatz, der für Mädchen in gewerblich-technischen Berufen vorgesehen war, zu streichen. Die tatsächlichen Erwartungen der Jugendlichen, wie ich sie eingangs geschildert habe, werden durch diesen blinden Aktionismus, der kurzfristig nur aufs Benachteiligtenprogramm setzt, völlig ignoriert. So viel zur Tragfähigkeit der Politik Ihres Hauses, Frau Wilms. Wer die Jugendlichen in ihrem Menschsein ernst nimmt, muß ihre Ansprüche an sinnvolle Arbeit und Ausbildung aufgreifen, muß alle Ansätze aufgreifen und fördern, in denen die allseitige Entfaltung von jungen Menschen gelebt wird, muß sinnvolle, die Sinne ansprechende Arbeitsplätze subventionieren und muß vor allem darum bemüht sein, die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen, damit die Jugendlichen überhaupt eine Zukunft haben. Diese zukunftsorientierte Bildungspolitik betreibt diese Regierung weder im großen noch im kleinen. Wenn Sie jetzt sagen, daß für zukunftsorientierte Bildungspolitik kein Geld da ist, will ich Sie nur auf die ca. 1 Milliarde DM hinweisen, die seit 1982 beim BAföG eingespart wird, während z. B. in die Nuklear-, Weltraum- und Beschleunigerforschung 3 Milliarden DM fließen. Da müssen Sie sich doch fragen lassen, wofür Sie Ihr Geld ausgeben. ({2}) Wir können diese Umverteilung nur ablehnen. Danke. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast zum Ende des heutigen Tages ist es vielleicht erlaubt, eine Stelle aus der Apokryphen zum Alten Testament zu zitieren. Bei Jesus Sirach finden wir eine Mahnung, die ich nicht auf andere beziehen will, sondern mir selbst zu Herzen nehme. Es heißt da nämlich: Wohl dem, der sich nicht mit Reden vergeht und davon ein böses Gewissen hat. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist offenkundig, daß dieser immer aktuelle Hinweis auch in den Debatten dieser Tage oft mißachtet worden ist. Wo anders aber als in der Aussprache über den Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft wäre es angebrachter, sich solcher Bildungsfrüchte beispielhaft zu erinnern, heißt es bei der hier angezogenen ehrwürdigen Quelle - dringlicher noch - doch auch: Setze dich nicht mit einem Streitsüchtigen auseinander, damit er dir nicht aus deinen Worten einen Strick dreht. ({1}) Und außerdem: Wer sich daran gewöhnt, schändlich zu reden, der nimmt sein Leben lang keine Zucht an. ({2}) Meine Damen und Herren, ich finde, Haushaltspläne haben für jeden, dem ein Thema inhaltlich besonders wichtig ist - trotz der Einsicht, daß auch Bildungspolitik nicht auf Zahlen eines Haushalts beschränkt ist -, immer etwas Ernüchterndes oder, um es neudeutsch zu sagen, etwas Frustrierendes. Da das aber, wie gesagt, jedem so geht, will ich diese Überlegung nicht vertiefen, schon aus Respekt vor den Haushältern und den Finanzpolitikern, die bekanntlich ein gutes Gedächtnis haben, vor allem aber deswegen nicht, weil ich mich für die Offenheit bedanken möchte, mit der im Haushaltsausschuß die Anregungen des Bildungsausschusses aufgenommen worden sind, sei es - um dennoch ein mir besonders wichtiges Thema und Beispiel zu nennen - bei der nochmaligen Aufstockung der Mittel für die Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher, sei es - um einen kleineren, aber wirkungsvollen Posten zu erwähnen - zur Fortführung der Förderung von Stipendien der United World Colleges durch die Studienstiftung des deutschen Volkes. Das erstgenannte Thema, das der sogenannten Benachteiligtenförderung, ist mir trotz aller Kritik, die es hin und wieder erfährt, aus zwei Gründen besonders wichtig: erstens weil es - das stellt man fest, wenn man sich erkundigt - ein wichtiges und wirkungsvolles Mittel in der allgemein schwierigen Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist und zweitens weil die Entwicklung dieses Postens in den letzten Jahren den Vorwurf einer einseitigen Schwerpunktbildung in Richtung auf eine mißinterpretierte Elitebildung eigentlich ganz deutlich widerlegt. Wir können nicht den Haushalt in verschiedene Sektoren einteilen, sondern müssen schon zusehen, welche Mittelveränderungen sich hier ergeben. Auch dazu, meine Damen und Herren und lieber Herr Kollege Kuhlwein oder Herr Professor Diederich, auch dazu zitiere ich den von mir angezogenen alttestamentlichen Schriftsteller: Verdamme niemand, bevor du die Sache untersucht hast; wäge erst ab und tadle dann. Man kann diese Abwägung nicht dadurch ersetzen, daß man einfach Änderungsanträge mit einem unrealistischen Finanzbedarf stellt, Die FDP hat ihren Beitrag zur Aufstockung dieses Programms geleistet. Wenn jetzt die Verteilung der zusätzlichen 60 Millionen DM kritisiert wird, so ist das zunächst einmal ein Thema, das zwischen den Regierungen von Bund und Ländern zu klären ist. In dem Gespräch mit den Beauftragten der Ministerpräsidenten für den Ausbildungsstellenmarkt ist hier j a eine zweite Verteilungsrunde verabredet worden. Wichtig ist auch folgendes. ({3}) - Also wenn ich der Kandidat der SPD für den Posten des niedersächsischen Ministerpräsidenten wäre, würde ich Ihnen jetzt antworten: Sie haben ja doch nur Störungen im Sinn; ({4}) deswegen lasse ich keine Zwischenfragen zu. ({5}) Richtig ist: Es ist sichergestellt, daß alle im Benachteiligtenprogramm freiwerdenden Stellen in jedem Bundesland und in jedem Arbeitsamtsbezirk wieder besetzt werden können. Richtig ist auch, daß gerade Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Länder sind, in denen besonders viele Mädchen Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Im übrigen bitte ich um Nachsicht, daß ich das hier jetzt so vortrage; denn als niedersächsischer Abgeordneter bin ich doch einigermaßen zufrieden, daß Niedersachsen zumindest nicht benachteiligt wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Trotz Ihrer Bemerkung hat Herr Kastning die Absicht, eine Zwischenfrage zu stellen.

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich lasse die Frage zu, wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird.

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Neuhausen, können Sie mir heute abend bestätigen, daß Sie nicht der Kandidat für das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten sind?

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde mich um ein solches Amt niemals bewerben, lieber Freund Kastning. Meine Damen und Herren, zurück zum Grundsätzlichen. ({0}) - Nein, bitte nicht. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich sagen: Für uns Liberale gibt es in der Bildungspolitik - ich nenne diesen Punkt als ein weiteres Beispiel aus Ihren Ausführungen - keinen Widerspruch zwischen der Förderung aller jungen Menschen und der Entdeckung und der Unterstützung besonderer Befähigungen und Begabungen. Es gibt in der fortlaufenden Entwicklung - ich bitte, das einmal ernst zu nehmen - immer verschiedene Akzente. Zu dem quantitativen Aspekt der Chancengleichheit, zu dem wir nach wie vor stehen, sowie zu der Ausdehnung der Bildungsangebote und -möglichkeiten in den vergangenen zwei Jahrzehnten, also seit 1965, kommt notwendigerweise und selbstverständlich der Aspekt der individuellen Chancengleichheit hinzu. Das wird vor allem an den Rändern des breiten Spektrums, also sowohl bei den Lernschwachen als auch bei den Hochbegabten besonders deutlich. Da kann man doch nicht von einer Abkehr aus der Kontinuität eines gemeinsamen Konsenses sprechen. Vielmehr handelt es sich hier um das Aufgreifen eines neuen, notwendigen Aspekts. Meine Damen und Herren, der Begriff der Chancengleichheit ist kein statischer Begriff; mit den gleichen Chancen am Start ist es nicht getan. Aber sowenig er gleiche Erfolgschancen umfassen und versprechen kann, so wichtig ist andererseits seine Erweiterung auf angemessene, d. h. immer individuelle, Förderung, wobei naturwissenschaftlichtechnische, geisteswissenschaftliche, handwerkliche, musische, pflegerische und soziale Begabungen, um den Katalog hier auszubreiten, und Befähigungen als gleichwertige Ausdrucksformen menschlicher Kreativität selbstverständlich zu berücksichtigen sind. Diese sozusagen Dynamisierung des Begriffs der Chancengleichheit würde uns für die praktische Politik auch von den umstrittenen und theoretischen Fixierungen darauf ein wenig befreien, was Begabung eigentlich sei. Wie kommt Begabung zustande? Demokrit, Herr Kuhlwein, sagte: „Mehr Leute werden durch Übung tüchtig als aus Anlage." Aber wie dem auch immer sei, Begabung in dem hier dargestellten Sinn und Förderung sind nicht voneinander zu trennen. Sie sind für den einzelnen wie für die Gesellschaft und für jeden Lebensbereich und eben nicht nur für den technischen, für den naturwissenschaftlich-technischen Lebensbereich wichtig. Was Bildung sei, ist immer umstritten gewesen. Hinzu kommt doch, daß die Welt immer komplizierter wird und wir uns mit den schlichten Definitionen der Vergangenheit nicht mehr begnügen können. Wie idyllisch war es, als man sagen konnte, dem Glücklichen sei die Bildung Schmuck und dem Unglücklichen Zuflucht, wie Demokrit sagte. In der etwas negativ-pessimistischen Einstellung aus Baltasar Graciáns Handorakel, durch den pessimistischen Arthur Schopenhauer übersetzt, heißt es dann: „Der Mensch wird als ein Barbar geboren, und nur die Bildung befreit ihn von der Bestialität." ({2}) Meine Damen und Herren, in der Zeit der 48er Revolution des vorigen Jahrhunderts sagte man schon: „Die Erziehung als einziges Mittel, dem Staat zu einer brauchbaren und kräftigen Bürgerschaft zu verhelfen, hat von jeher die Köpfe der Weisen und den Scharfsinn der Gesetzgeber beschäftigt." Nun will ich betonen, daß für uns Bildung nicht allein diesen Zweck haben kann - so verändert sich das -, aber das ist aus der Aufbruchstimmung einer liberalen Demokratie 1848 gesagt. Wir sollten den Scharfsinn und die Köpfe zusammentun, aber nicht um uns rhetorische Fallstricke zu stellen, sondern die Bildungspolitiker wären wirklich gut beraten, wenn sie berücksichtigen würden, daß ein Haushalt immer auch den Stellenwert eines Politikbereiches widerspiegelt. Deswegen sollten Sie sich über alle Profilierungen und notwendigen Unterschiede hinaus doch mit den Köpfen und dem Scharfsinn zusammentun und dabei bedenken - ich komme zum Schluß, Herr Präsident -, was Jesus Sirach in Kapitel 10, Vers 31 bis 33, sagt: Mein Kind, in aller Demut achte dich doch selbst und halte dich nicht für weniger, als du bist. Wer wird dem sein Recht geben, der sich selber schlecht macht, und wer wird dem die Ehre geben, der sich selbst verachtet. In diesem Sinn, meine Damen und Herren, stimmen wir dem Haushalt zu. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Frau Dr. Wilms.

Dr. Dorothee Wilms (Minister:in)

Politiker ID: 11002518

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, ich nehme Ihre Zeit jetzt nicht mehr ungebührlich in Anspruch. Ich will auch jetzt nicht mehr auf die geheime Offenbarung, auf die Apokalypse und die Apokryphen kommen, sondern ich will versuchen, das noch einmal sachlich zusammenzufassen. Ich denke, ich kann jetzt am Ende der Haushaltsberatungen in der zweiten Lesung feststellen, daß der Einzelplan 31 ein Zeugnis einer differenzierten und sozialen Bildungspolitik ist, wie sie von dieser Bundesregierung und von den Koalitionsfraktionen gewollt ist. ({0}) Der Einzelplan ist Ausdruck einer Politik, die besondere Schwerpunkte setzt, die Benachteiligte fördert und Begabte fordert, ohne eine qualifizierte Breitenausbildung zu vernachlässigen. Ich möchte dies an einigen wenigen Beispielen verdeutlichen. Das Benachteiligtenprogramm - die Vorredner haben schon darauf hingewiesen - wurde bereits im Regierungsentwurf und dank der Bemühungen der Koalitionsfraktionen noch einmal aufgestockt. Diese Aufstockung der Mittel von 49 Millionen DM im Jahre 1982 auf nunmehr 335 Millionen DM ist ein deutlicher Beweis für eine systemgerechte, die Selbstverantwortung der Wirtschaft für die berufliche Ausbildung punktuell unterstützende Politik. Diese Mittel, Herr Kollege Diederich, werden regional gezielt und besonders für Mädchen eingesetzt. Sie werden in zwei Tranchen auf die Landesarbeitsamtsbezirke verteilt, in denen besondere Probleme bestehen. Das Benachteiligtenprogramm flankiert damit die Bemühungen der Wirtschaft, weiterhin Ausbildungsangebote zu machen. Ich möchte hier auch noch einmal auf die andere Hilfe des Bundes, nämlich auf die gestiegenen eigenen Ausbildungsleistungen, verweisen. Die Bundesbehörden und die Sondervermögen haben ihre Ausbildungsangebote in den letzten zwei Jahren um rund 15 % gesteigert. 1985 werden 31 500 Ausbildungsplätze im Bereich des Bundes für das erste Ausbildungsjahr bereitgestellt. Damit werden insgesamt 84 000 Jugendliche im Bereich des Bundes ausgebildet. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Betriebe der Wirtschaft in den nächsten Wochen und Monaten - flankiert durch die Maßnahmen von Bund und Ländern - alles tun werden, um weitere Ausbildungsangebote zu machen. Es sind erste Erfolge zu verzeichnen, und zwar ohne Benachteiligtenprogramm; Herr Kollege Rose, Sie haben es bereits angemerkt. Zum 31. Oktober sind jetzt noch rund 53 000 junge Menschen nicht vermittelt. Auch ihnen soll in den nächsten Wochen noch die Chance der Ausbildung geboten werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum zweiten betonen, daß die Bundesregierung in diesem Jahr das Thema der Begabtenförderung sehr deutlich herausgestellt hat und damit eine breite politische Diskussion eröffnet hat, die wir gerne führen. Ich denke, wir müssen um der Chancengerechtigkeit willen - hier unterstreiche ich auch das, was Kollege Neuhausen gesagt hat - den unterschiedlichen Begabungen und Neigungen junger Menschen in der Bildungspolitik verstärkt Rechnung tragen. Die erhöhten Budgetansätze für Leistungswettbewerbe und für Begabtenförderung sind Ausdruck dieser auf Differenzierung angelegten Bildungspolitik. Meine Damen und Herren, wer Chancengerechtigkeit im Bildungswesen will, der muß Differenzierung wollen. ({1}) Der Haushaltsentwurf sieht für die Begabtenförderung insgesamt 87,5 Millionen DM vor, davon allein 81,5 Millionen DM für die Studien- und Promotionsförderung der Begabtenförderungswerke. Meine Damen und Herren und Frau Kollegin von den GRÜNEN, diese im Vergleich zu der Benachteiligtenförderung immer noch relativ geringe Summe zeigt, daß es sich hierbei eben nicht um den Abbau der Breitenausbildung handelt, schon gar nicht um Maßnahmen zu Lasten von Benachteiligten. Lassen Sie mich - drittens - erwähnen, daß nach dem Willen der Bundesregierung der technischen Entwicklung auch im Bildungswesen verstärkt Rechnung getragen werden muß. Die Haushaltsansätze für das Programm „Neue Technologien" in der beruflichen Bildung in Höhe von etwa 15 Millionen DM zeigen dies ebenso deutlich wie die Maßnahmen zur Qualifizierung von Mädchen und Frauen im Bereich der neuen Technologien, aber auch die ersten Ansätze zur verbesserten technischen Ausstattung überbetrieblicher Lehrwerkstätten sowie auch die Verbesserung des Wissenstransfers zwischen Wissenschaft und Berufspraxis. Einen vierten Schwerpunkt, den ich noch erwähnen möchte, bildet in diesem Haushalt die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der für uns alle, glaube ich, aus objektiven Gründen unabdingbar ist. Es geht auch darum, diesen jungen Leuten Zukunftschancen zu geben. ({2}) Die Mittel für den wissenschaftlichen Nachwuchs wurden um insgesamt 6,5 % auf 319 Millionen DM erhöht. Dazu kommen die Beträge für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die um 3 % erhöht werden, was auch zum großen Teil jungen Wissenschaftlern zugute kommt. Das Postdoktorandenprogramm läuft mit 15 Millionen DM in 1986 voll an. Dies gilt auch für das Spitzenforschungsprogramm. Meine Damen und Herren, ich möchte betonen: Daß die Breitenausbildung nicht zu kurz kommt, macht beispielsweise der Hochschulbau deutlich. Der Hochschulbau wird unvermindert auf der Höhe von 1,15 Milliarden DM gehalten. Damit wird den Hochschulen jetzt direkt in der Phase der Überlast geholfen. Auch das BAFÖG wird eine Anpassung an die Kostenentwicklung entsprechend der verbesserten Haushaltsansätze 1986 erfahren. Eine Verbesserung der Bedarfssätze und der Freibeträge wird erfolgen. Junge Menschen können sich auf die Stetigkeit der Ausbildungsförderung heute verlassen, was in früheren Jahren nicht der Fall war. ({3}) Dagegen - dies sage ich hier noch einmal sehr deutlich - wird es beim Studenten-BAföG bei dem zinslosen Darlehen bleiben. Ich halte dies angesichts der großzügigen sozial- und leistungsorientierten Rückzahlungsbedingungen für sozial gerechtfertigt. Viele Jugendliche in anderen Bildungsgängen wären froh, wenn sie zu derartigen Bedingungen eine finanzielle Hilfe erhalten könnten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als letzten Punkt hier erwähnen, daß wir uns auch im kommenden Haushaltsjahr sehr darum bemühen werden, die Bildungs- und Qualifizierungsmaßnah13472 men für junge Fachkräfte - Männer wie Frauen - zu verbessern, insbesondere um dem Problem der sogenannten zweiten Schwelle Herr zu werden. Das Beschäftigungsförderungsgesetz und die Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz werden hier neue Formen von Arbeit und Bildung ermöglichen. Die Aufgabe des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft in diesem Zusammenhang ist es, durch Entwicklungsvorhaben und Modellversuche vor allen Dingen pädagogische Hilfeleistung zu geben, damit wir gezielte Bildungsangebote auch mit Blick auf die speziellen Personengruppen anbieten können. Nur so können die Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes auch wirklich voll greifen. In gleicher Weise halte ich es für dringend notwendig, daß wir der Stärkung der Weiterbildung insgesamt als einem dynamischen Element des Bildungswesens verstärkt Aufmerksamkeit zuwenden. Es ist die Aufgabe der Betriebe, der Sozialpartner, der freien Träger der Bildungsarbeit, die Angebote in der Weiterbildung zu machen. Hier müssen wir bei einem flexiblen offenen System bleiben. Es ist die Aufgabe des Staates, dem einzelnen die Annahme solcher Angebote zu erleichtern, falls sich dies sozial als notwendig erweist. Meine Damen und Herren, mir bleibt zum Schluß, den Herren Berichterstattern in allen Fraktionen sehr herzlich für gute, teilweise kritische Zusammenarbeit - aber das fördert den Lauf der Dinge - zu danken. Ich bedanke mich bei allen Kollegen des Haushaltsausschusses für die in diesem Jahr wirklich sehr großzügige Bedienung, die ich erfahren durfte. Ich bedanke mich bei den Kollegen des Fachausschusses für die immer wieder sehr fruchtbaren Diskussionen. Ich bitte Sie, dem Einzelplan 31 Ihre Zustimmung zu geben. Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich schließe die Aussprache, weil weitere Wortmeldungen nicht vorliegen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4344 auf. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 31 ab. Wer dem Einzelplan 31 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan angenommen. Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Sie kommen noch gerade recht zum Fußballspiel. ({0}) Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. November 1985, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.