Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/14/1985

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Ihnen folgendes bekanntgeben: Mir liegt ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Tagesordnung vor. Ich werde diesen Antrag nach Schluß der Aktuellen Stunde und vor der Regierungserklärung aufrufen und behandeln lassen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Verhalten der Bundesregierung gegenüber der ständig zunehmenden Arbeitslosigkeit bei Frauen Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 Buchstabe c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau DäublerGmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil die ständig steigende Zahl arbeitsloser Frauen es gebietet, daß sich der Deutsche Bundestag ernsthaft mit ihren Problemen auseinandersetzt. Gerade die letzten Nürnberger Zahlen zeigen mit bestürzender Deutlichkeit, daß sich die Entwicklung auf dem Gebiet der Frauenarbeitslosigkeit fortsetzt. 33 000 zusätzliche arbeitslose Frauen seit Oktober letzten Jahres, und in jedem Monat werden es mehr: Das sind nicht nur Záhlen; dahinter verbergen sich auch Menschen. Das sind die Verkäuferinnen bei Hertie, die um ihren Arbeitsplatz zittern. Das sind die zahlreichen und immer zahlreicher werdenden jungen Frauen, die mit hervorragender Ausbildung und guten Abschlußzeugnissen in der Tasche jetzt versuchen, ihre Vorstellungen von Selbständigkeit, von finanzieller Unabhängigkeit und von Bewährung in einem Beruf zu verwirklichen, und die zunehmend die Erfahrung machen müssen, daß man sie nicht will. Das sind die Familienfrauen, die wieder in den Beruf zurück wollen und die nach Absolvierung von Kursen die Erfahrung machen, daß ehrenamtliche, unbezahlte Tätigkeit für sie in Hülle und Fülle vorhanden ist, daß es aber Arbeitsplätze, die ihnen sozialversicherungsrechtlichen Schutz bieten und auf denen man eine eigene Existenz aufbauen kann, nicht gibt. ({0}) Und da sind die entlassenen Frauen, die umsonst Bewerbung auf Bewerbung schreiben und denen man sagt, man habe sich anders entschieden, und das immer wieder, weil es schließlich auch junge Familienväter gebe, die zu berücksichtigen seien. Das sind mehr als 1 Million Frauen. Neben ihnen steht etwa die gleiche Zahl nicht registrierter arbeitsloser Frauen, die zum Heer der Entmutigten, zur „stillen Reserve" gehören. Wir stellen fest, meine Damen und Herren, daß sich die Regierung mit der Lebenssituation dieser Frauen überhaupt nicht befaßt. Diese Frauen hören von der Bundesregierung nur Schlechtes: Abbau von Rechten oder wohlfeile Erklärungen: das liege alles daran, daß die Zahl der Frauen, die ins Berufsleben drängten, steige. Dabei weiß jeder, daß die Zahl der Frauen, die Arbeit finden, seit 1982 viel langsamer wächst als die Zahl der Frauen, die arbeiten wollen. Wenn man uns sagt, Frauen seien weniger ausgebildet und weniger flexibel, dann läßt sich dazu nur sagen: Es gab noch nie so viele gut ausgebildete Frauen wie heute. ({1}) Frauen machen Teilzeitarbeit, aber Sie, die Bundesregierung können sich Teilzeitarbeit offensichtlich nur als zweitrangige Arbeit vorstellen. Sie können sich nur vorstellen, daß Frauenarbeit und Frauenausbildung den zweiten Rang einnehmen. Frauen gelten als Doppelverdiener. Gegen diese Herabwürdigung in der Offentlichkeit wird viel zuwenig vorgegangen. ({2}) Nun hat die Frau Süssmuth vor einigen Wochen im „Spiegel" einen Akzent der Hoffnung gesetzt. Sie hat gesagt, man wolle und man könne gegen diese Herabwürdigung arbeitender Frauen in der Offentlichkeit als Doppelverdiener etwas tun. Nur, gehört haben wir davon nichts. Es gibt bisher keine Kampagne. Wir fragen: Wo ist die Kampagne der Bundesregierung? Wir hören nichts davon. Wir stellen nur fest, daß dann, wenn Frauen oder der Deutsche Frauenrat ihre Rechte auf Arbeit oder Arbeitslosengeld einklagen, sie vom Regierungssprecher ebenso abgebürstet werden, wie z. B. Frau Süssmuth, wenn sie vernünftige Dinge sagt, Angriffen etwa von Christa Meves ausgesetzt ist, die an Infamie schon nicht mehr zu überbieten sind ({3}) Ich hoffe, daß, wenn schon der Bundeskanzler dazu schweigt, wenigstens die Frauen der CDU nachher etwas dazu sagen. Nein, wir fordern Sie auf: Ändern Sie nicht nur Ihre Wirtschaftspolitik, sondern nehmen Sie das Problem der Frauenausbildung und Frauenerwerbstätigkeit ernst! Die Frauen und wir mit ihnen werden nicht mehr davon ablassen, dies bei Ihnen einzufordern. Danke schön. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Frau Verhülsdonk.

Roswitha Verhülsdonk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002371, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit es Arbeitslosigkeit gibt, ist die Frauenarbeitslosigkeit ein besonderes Problem. Das war so in den 70er Jahren, in denen die SPD regiert hat, das ist so überall in Europa, überall auf der Welt, egal, wer regiert. Wer anderes sagt, ist nicht redlich. Neu ist, daß immer mehr Frauen Arbeit nachfragen; junge, gutausgebildete aus den starken Jahrgängen und vor allem Frauen, die wegen der Kindererziehung ausgeschieden waren und zurückkehren wollen. Im Oktoberbericht der Bundesanstalt für Arbeit kann man allerdings lesen, daß die Zahl der beschäftigten Frauen um 144 000 oder um 2 % höher ist als ein Jahr zuvor. Auch 1983 hatte sie sich bereits um 2 % erhöht. Trotzdem - das stimmt, Frau Kollegin - haben sich mehr Frauen arbeitslos gemeldet. Sie suchen Vollzeit- und sie suchen vor allem auch Teilzeitarbeitsplätze. Die Frauenarbeitslosigkeit ist ohne Zweifel ein schwierigeres Problem geworden. Niemand nimmt es leicht, schon gar nicht die Bundesregierung. Eine wesentliche Ursache liegt darin, daß Familienpflichten in unserer Gesellschaft einseitig zu Lasten der Frauen verteilt sind. Das macht besondere Hilfen notwendig. Die Regierung Schmidt hat allerdings 1975 die Chancen von Frauen zur Rückkehr in den Beruf wesentlich verschlechtert - weil sie auch schon damals sparen mußte, das räume ich ein. Die Regierung Kohl hat diese Beeinträchtigung nicht nur aufgehoben, sondern den Anspruch der Frauen auf Rückkehrhilfen pro Kind auf fünf Jahre verlängert. Das gilt seit dem Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes am 1. Mai 1985. Dieses Gesetz hat weitere gezielte Maßnahmen zugunsten von Frauen gebracht, z. B. die sozialere Ausstattung der Teilzeitarbeit, die vor allem von Frauen mit Familienpflichten gesucht wird. Es besteht kein Zweifel, daß dank dieses Gesetzes die von den Frauen gewollte Flexibilisierung der Arbeitszeit auch in qualifizierteren Berufen mehr und mehr vorankommen wird. Wir brauchen vielfältige Formen der Teilzeitarbeit; denn wir wissen, auch viele Vollzeitbeschäftigte würden an ihrem Arbeitsplatz gern weniger als acht Stunden am Tag arbeiten. Die Unternehmer sind jetzt gefordert, entsprechende Angebote zu machen. Die gutausgebildeten jungen Frauen unter 25 Jahren sind eine besondere Problemgruppe, der wir helfen müssen. Ab Januar 1986 tritt das Erziehungsurlaubsgesetz in Kraft. Dann erhalten viele arbeitslose Frauen die Chance, zunächst wenigstens vertretungsweise ins Erwerbsleben einzusteigen und schon einmal Berufserfahrungen sammeln zu können; denn es ist damit zu rechnen, daß etwa 300 000 Mütter den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen. Nach bisherigen Erfahrungen hat die Hälfte dieser Ersatzkräfte Aussicht auf einen Dauerarbeitsplatz, weil sehr viele Mütter nach dem Urlaubsjahr noch nicht zurückkehren. Das schwierigste und häufigste Problem der arbeitsuchenden Frauen ist ihre nicht ausreichende Qualifikation. Wir wollen hoffen und alles dafür tun, daß die schwach ausgebildeten Frauen und Mädchen die Chance nutzen, die jetzt durch die siebente Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz eröffnet wird. 750 Millionen DM werden für Qualifizierungsmaßnahmen eingesetzt. Darunter sind besonders frauengerechte Angebote: Weiterbildung in Teilzeitformen, Kombination von Teilzeitarbeit und Weiterbildung in Betrieben. Noch nie wurden die Instrumente der Arbeitsförderung und des Arbeitsrechts so gezielt zugunsten von Frauen eingesetzt. ({0}) Dafür danke ich Ihnen, Herr Dr. Blüm. ({1}) Wir Unionspolitiker werden mit aller Energie und mit aller Phantasie fortfahren, den arbeitslosen Frauen zu helfen. Mit politischer Polemik ist nichts zu erreichen. ({2}) Die allerwichtigste Voraussetzung, nämlich eine wieder wachsende florierende Wirtschaft, hat die Bundesregierung bereits zuwege gebracht. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Frau Abgeordnete Wagner.

Marita Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002410, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicher als positiv zu bewerten, daß mittlerweile alle Parteien das besondere Problem der Frauenerwerbslosigkeit erkennen und das Thema heute auf der Tagesordnung ist. Doch meiner Meinung nach geht es Ihnen nicht wirklich um die Interessen der Frauen, sondern vor allem um deren Wählerstimmen. ({0}) Würden Sie sich wirklich intensiver mit den Interessen von Frauen auseinandersetzen, dann könnte es z. B. nicht passieren, das Thema „Frauenarbeitslosigkeit" zu nennen; denn die Frauen sind nicht arbeitslos, sondern erwerbslos. ({1}) Frauen leisten zwei Drittel aller gesellschaftlich notwendigen Arbeit, nehmen jedoch nur ein Drittel aller Erwerbsarbeitsplätze ein. Die Ursache dieser Mißverhältnisse beruht auf der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die den Männern den Erwerbsarbeitsplatz eher sichert und den Frauen den natürlichen Bestimmungsort an Heim und Herd zuweist. In Zeiten geringerer Arbeitslosigkeit wurde auch den Frauen der erweiterte Zugang zum Erwerbsleben ermöglicht. Doch bei der derzeitig hohen Erwerbslosenzahl sind es vor allem die Frauen, die wieder besonders betroffen sind. Frauen sind die ersten, die aus sozial gerechtfertigten Gründen gefeuert werden, ihre oft so monotonen Tätigkeiten werden als erstes wegrationalisiert, und Frauen sind diejenigen, die den von Ihnen massiv betriebenen Sozialabbau durch unbezahlte Arbeit auffangen sollen. Falls das Haushaltseinkommen nicht reicht, wird den Frauen noch ein kleiner, ungeschützter Nebenjob zugestanden. Aber, Frauen, nicht vergessen: Die Familienpflichten dürfen dabei nicht vergessen werden. Im Zusammenhang mit der hohen Massenerwerbslosigkeit wird zur Zeit viel von der neuen Armut gesprochen, so als hätte bisher keinerlei Armut existiert. Doch viele Frauen sind schon sehr lange arm und werden immer ärmer. Konkret bedeutet dies: Erstens. Frauen verdienen im Durchschnitt ein Drittel weniger als Männer. Zum Beispiel verdienen 38 % aller erwerbstätigen Frauen unter 1000 DM. Zweitens. Frauen nehmen über 90 % aller Teilzeitbeschäftigung ein, ganz zu schweigen von den nicht registrierten ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen, die auf 1 bis 3 Millionen geschätzt werden. Drittens. Erwerbslose Frauen erhalten entweder geringes Arbeitslosengeld oder bekommen überhaupt nichts, da bei Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe das Einkommen des Ehemannes mit einbezogen wird. ({2}) Fazit: Egal, welche Arbeit Frauen leisten, es reicht zum größten Teil nicht aus, um ein unabhängiges, menschenwürdiges Leben zu führen. ({3}) Was unternehmen Sie, meine Damen und Herren der Bundesregierung, um die Situation der Frauen zu verbessern? Nichts. Sie halten wohl große Fensterreden, doch in der Praxis verschlechtern Sie eher, anstatt zu verbessern. ({4}) Als Beispiel möchte ich hier nur einige Ihrer letzten gesetzlichen Initiativen zum „Wohl der Menschheit" nennen. Nach dem sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz, auch Entlassungsförderungsgesetz genannt, können die Frauen je nach Belieben des Arbeitgebers noch besser geheuert und gefeuert werden, und es werden frauenfeindliche Beschäftigungsformen, wie Kapovaz und Jobsharing gesetzlich zementiert. Ihr neues Arbeitszeitgesetz ermöglicht weiterhin bis zu 58 Wochenarbeitsstunden und hebt das Nachtarbeitsverbot für Frauen auf, anstatt es aus gesundheitlichen Gründen auf Männer auszuweiten. Daneben bringen Sie ein Elternurlaubs-und Erziehungsgeldgesetz ein, wovon „frau" ohne zusätzliches Einkommen nicht leben kann und das die Rückkehr an den Erwerbsarbeitsplatz verhindern soll. Bei Ihrer sogenannten Wahlfreiheit bleibt den Frauen keine andere Wahl, als zu Hause zu bleiben, und dies wollen Sie auch. Sie wollen das Problem der hohen Erwerbslosigkeit auf dem Rükken der Frauen austragen, und Rückhalt haben Sie, wie die letzte „Brigitte"-Untersuchung gezeigt hat, dafür genug. Jetzt zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD. Auch Sie kümmern sich nur sehr halbherzig um die Interessen der Frauen; denn Sie hätten ja bis heute genug Zeit gehabt, in Ihren gesetzlichen Initiativen Zeichen zu setzen. ({5}) Doch dem ist nicht so. Ihr damaliger Arbeitszeitgesetzentwurf legt wohl die 40-Stunden-Woche als Regelarbeitszeit fest, schafft jedoch so viele Ausnahmen, daß bestimmt keine neuen Erwerbsarbeitsplätze entstehen würden. Ihr Gesetz zur Teilzeitarbeit würde wohl die Situation von Frauen verbessern, doch die volle Absicherung ab der ersten Erwerbsarbeitsstunde - überigens auch eine programmatische Forderung von Ihnen - ist nicht enthalten. ({6}) In dem Änderungsvorschlag zum Arbeitsförderungsgesetz wollen Sie die Verwandtensubsidiarität aufheben, doch gleichzeitig erweitern Sie die Ehegattensubsidiarität auf eheähnliche Gemeinschaften. ({7}) Ich denke, Sie sind sich sehr wohl bewußt, daß Sie damit die finanzielle Abhängigkeit der Frauen noch weiter verstärken. ({8}) Unserer Meinung nach kann das Recht auf Erwerbsarbeit für Frauen nur durch eine generelle Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich eingelöst werden; eine radikale Arbeitszeitverkürzung für das Recht auf Erwerbsarbeit von Frauen zur Sicherung der ökonomischen Unabhängigkeit und als Voraussetzung für eine Umverteilung der Hausarbeit auf die Männer.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, ich bin gezwungen, strikt auf die Redezeit zu achten. Ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Marita Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002410, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte noch einen letzten Satz sagen. ({0}) Letztes Wochenende fand die 12. IG-Metall-Bundesfrauenkonferenz statt. An Hand der Beschlüsse kann ich abschließend nur sagen, daß unsere Vorstellungen mit den Positionen der Gewerkschaftsfrauen weitgehend übereinstimmen und diese Frauen dementsprechend mit unserer vollen Unterstützung rechnen können. Ich danke Ihnen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Wagner, Sie haben zu Anfang gesagt, Sie wüßten, was die Frauen wollen. Ich gestehe ganz offen: Ich nehme nicht für mich in Anspruch, hier für alle Frauen reden zu wollen, wie Sie das eben getan haben; ({0}) denn Frauen haben ganz unterschiedliche Wünsche. Ich finde es ausgesprochen selbstverständlich, daß sie sich ihr Leben nach ihren Wünschen gestalten. Das können sie nicht in allen Fällen. Da gibt es eine ganze Menge Hindernisse; da sind wir uns völlig einig. Wir müssen noch viel tun, um die Chancengleichheit und die Wahlfreiheit von Frauen und auch von Männern zu verbessern. Vieles von dem, was die Opposition heute morgen hier vorgetragen hat, ist weiß Gott nicht neu. Es fügt sich zusammen zu einem Gemälde aus Halbwahrheiten in schwarz. ({1}) Ich bin ziemlich sicher, daß dieses Gemälde aus Halbwahrheiten bald nicht mehr zieht; die schwarze Farbe, die hier massiv aufgetragen wurde, kann die hellen Stellen nicht mehr verdecken, selbst wenn Sie dies nicht akzeptieren wollen. Der Arbeitsmarktbericht der Bundesanstalt für Arbeit weist aus, daß wir im dritten Quartal 1985 einen Beschäftigungsgewinn von etwa 200 000 Beschäftigten gegenüber 1984 hatten und der größte Teil davon auf Frauen entfiel. ({2}) Der Vergleich der Beschäftigungszahlen vom Mai 1984 und 1985 weist aus, daß Frauen in 144 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen Beschäftigung gefunden haben. ({3}) Das heißt, es haben mehr Frauen Arbeit gefunden. Kein Mensch steht hier an, zu sagen, daß auch mehr Frauen Arbeit nachsuchen. Nur, Frau Däubler-Gmelin: Es wäre fair und auch der Wahrheit entsprechend gewesen, ({4}) wenn Sie diese Zahlen genannt hätten. Ich stehe ja gar nicht an, zu sagen, daß es mehr Frauen gibt, die Arbeit suchen. ({5}) Einer der Gründe für einen ganzen Teil von Frauen, die zusätzlich Arbeit nachsuchen, ist sicherlich, daß sie das Geld wirklich brauchen, daß sie darauf angewiesen sind. ({6}) Das ist im übrigen einer der Gründe, weshalb wir der Meinung sind, daß auch die Teilzeitbeschäftigung positiv zu werten ist, ({7}) denn viele können dadurch die verschiedenen Notwendigkeiten, die sich für sie ergeben, besser miteinander in Einklang bringen. Die Tatsache, daß sich mehr Frauen melden, hängt aber natürlich auch damit zusammen, daß ganz offensichtlich mehr Frauen wieder eine Chance sehen, einen Arbeitsplatz zu bekommen, d. h. die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz ist bei vielen vorhanden. Es gibt einen dritten Grund, weshalb sich viele Frauen beim Arbeitsamt zurückmelden. Dieser Grund ist der Wiedereinstieg in das Berufsleben nach den Zeiten der Kindererziehung, der von vielen Frauen gesucht wird. ({8}) Auch das ist eine Entwicklung, die wir positiv bewerten. Das ist j a auch der Grund, weshalb wir mit der siebten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz eine Verbesserung der Leistungen für qualifizierende Maßnahmen herbeiführen wollen, die ganz besonders Frauen zugute kommen wird. Deshalb wollen wir auch mit der siebten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz Frauen einbeziehen, die bisher keine Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz in Anspruch nehmen konnten. Meine Damen und Herren von der SPD, da kann ich Sie nur bitten zuzustimmen; denn damit täten Sie wirklich etwas für Frauen, d. h. Sie würden nicht nur reden. ({9}) Hinsichtlich des Tuns allerdings, finde ich, haben wir alle gemeinsam noch Nachholbedarf. Wir haben auch in der öffentlichen Diskussion mit Ihnen von der SPD Nachholbedarf, um nämlich ideologische Scheuklappen zu entfernen, was unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse angeht. Ich war ja ganz froh, Frau Däubler-Gmelin, daß Sie die Teilzeitarbeit für Frauen heute morgen nicht mehr rundweg abgelehnt haben, so wie das bis vor kurzem noch der Fall gewesen ist. ({10}) Jetzt werden Teilzeitarbeitsplätze als zweitrangig angesehen. Das ist dann die nächste Form der Diffamierung. ({11}) Wenn Sie einmal mit vielen Frauen sprechen, die sich ihr Leben nach ihren Vorstellungen gestalten wollen, werden Sie feststellen, ({12}) daß sie Teilzeitarbeit haben wollen. Das ist der Grund, weshalb wir mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz diese Form der Arbeit zu erleichtern versucht haben. Das ist auch der Grund, weshalb wir Arbeitgeber auffordern, mehr Teilzeitarbeitsplätze anzubieten. ({13}) Das ist auch der Grund, weshalb wir in der Zukunft weiter dafür eintreten werden, die Chancengleichheit auch durch das Angebot von mehr Teilzeitarbeit zu verbessern. ({14})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Adam-Schwaetzer, der Umgang mit der Wahrheit ist ein schwieriger. ({0}) Alle haben ihr Herz für Frauen entdeckt: die Medien, die Parteien. Die Regierung klopft sich - das haben wir heute morgen wieder gesehen - begeistert und selbstgefällig auf die eigenen Schultern ob ihrer Frauenfreundlichkeit. Da erklärt sich der Bundesarbeitsminister in der Frauenzeitschrift „Brigitte" zur Emanze der Nation. Da wird eine Statthalterin ins Familienministerium geholt, ja sogar ein ganzer Parteitag der CDU wird ausschließlich den Frauenfragen gewidmet. ({1}) Nur, all das kann über die katastrophale Lage der Frauen in unserem Lande nicht hinwegtäuschen. ({2}) So sie überhaupt einen Arbeitsplatz haben, sind sie Beschäftigte zweiter Klasse. Die Berufschancen der Frauen haben sich seit 1982 radikal verschlechtert. Die Frauen sind die eigentlichen Verlierer der Wende-Regierung. ({3}) Dabei sind gerade in einer Zeit extrem hoher Arbeitslosigkeit besondere Anstrengungen erforderlich, um die berufliche Situation der Frauen zu verbessern. Die sozialliberale Koalition hat immerhin versucht, die bildungsmäßige Benachteiligung der Frauen aufzuarbeiten. Sie hat beispielsweise mit dem Modellvorhaben Ausbildung von Frauen in gewerblich-technischen Berufen auch etwas zur Verbesserung der beruflichen Ausbildung unternommen. Die Mädchen haben diese Chance ergriffen, haben die Ausbildung mit Erfolg abgeschlossen und stehen jetzt mit leeren Händen da; ({4}) denn diese Mädchen sind viermal so häufig arbeitslos wie die Jungen. Ich frage Sie: Was tun Sie eigentlich für diese Mädchen und Frauen, die im Vertrauen auf die Ansätze während der sozialliberalen Koalition und bestärkt durch die schönen Worte auf Ihrem Parteitag diesen mühsamen Weg gegangen sind? ({5}) Sie nehmen sie schlicht nicht zur Kenntnis. Sie lassen das erfolgreiche Programm auslaufen und stellen wortgewaltig fest, daß, um ein latent vorhandenes Interesse junger Frauen an gewerblich-technischen Berufen stärker zu aktivieren, allerdings weitere Motivationsmaßnahmen sowie ein ausdrücklich auch an Mädchen gerichtetes Angebot an gewerblich-technischen Ausbildungsplätzen erforderlich seien, legen dann allerdings die Hände in den Schoß, machen die Augen fest zu. Beides soll wohl den Glauben an den Satz „Die Wirtschaft wird's schon richten" stärken. Dann, wenn es überhaupt nicht mehr zu umgehen ist, legen Sie ein Programm auf, das die Frauen immerhin befähigen soll, die Apparate zu bedienen, die mittelfristig ihre eigenen Arbeitsplätze wegrationalisieren. So geschehen beispielsweise in Schleswig-Holstein mit einem Aufwand von 2,2 Millionen DM. Frauen werden in eine verkürzte Ausbildung u. a. zur technischen Zeichnerin, zur Arzthelferin, zur Hauswirtschaftsleiterin mit Kenntnissen im Bedienen von Computern ausgebildet. Merke: Die nächste Leichtlohngruppe läßt grüßen. „Man" braucht immer drei Jahre zur Ausbildung, „frau" nur zwei: denn diese Bundesregierung hält an dem traditionellen Frauenbild fest: ({6}) Um Himmels willen keine Konkurrenz für den Mann, sondern diesem zuarbeitend, sich ihm unterordnend, sich auf ihn als Ernährer verlassend - und dies, obwohl immer mehr Frauen auf sich al12994 lein angewiesen sind und ihre Kinder allein großziehen müssen. ({7}) Wo, bitte schön, ist die Antwort dieser Bundesregierung auf die Feststellung ihrer Familienministerin: Die Arbeitsmarktkrise führt bei Männern nicht dazu, ihre Berufsrolle in Frage zu stellen. Anders verhält es sich bei Frauen. Sie erleben nicht nur ungleich erschwerte Bedingungen im Zugang zu Ausbildung und Beruf, sondern auch ein erhöhtes Risiko, arbeitslos zu werden. Versteckt und offen wird den Frauen in Zeiten der Arbeitsknappheit deutlich gemacht, daß ihr Arbeitsplatz in der Familie ist. Eine verheiratete oder alleinstehende Frau mit Kindern ist auf dem Arbeitsmarkt am wenigsten erwünscht. Wo bleibt die dringend benötigte und auch angekündigte Ausweitung der Beratungs- und Vermittlungsdienste der Arbeitsämter? Außer großem Tamtam, außer öffentlichen Belobigungen, außer dem obligatorischen Blumenstrauß ist nichts, aber auch gar nichts geschehen; im Gegenteil, überall Verschlechterungen! ({8}) Die Bundesregierung steht mit ihren Taten da wie der Kaiser mit seinen neuen Kleidern in Hans Christian Andersens Märchen: nackt und bloß. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Professor Männle.

Prof. Ursula Männle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001405, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Verhülsdonk hat schon ausgedrückt, daß das Problem der Arbeitslosigkeit von Frauen kein neues Problem ist. Lesen Sie einmal im Enquete-Bericht „Frau und Gesellschaft", 1980 herausgekommen, nach, in einem Bericht, den Sie mehrheitlich mit zu verantworten haben. Da heißt es: Die überproportionale Arbeitslosigkeit der Frauen ist eine der Erscheinungsformen der Benachteiligung von Mädchen und Frauen im Arbeits- und Berufsleben. Sie ist keine vorübergehende Erscheinung. Sie ist auch keine neue, unter dieser Regierung plötzlich auftretende Erscheinung, wie Sie uns gerade eben weiszumachen versucht haben. ({0}) Es gilt - auch dies liest man in dem EnqueteBericht -: Die Beschäftigungsnachteile von Mädchen und Frauen müssen vorurteilslos und umfassend analysiert werden. ({1}) Das, was Sie, meine Damen und Herren, heute mit dieser Aktuellen Stunde tun, und das, was Sie, Frau Blunck, gerade mit Ihrer Rede getan haben, kann ich nicht als vorurteilslose und umfassende Analyse ansehen. ({2}) Sie haben vorhin von der Wahrheit gesprochen. Wo ist sie denn? Wo haben Sie denn aufgezeigt, was sich verbessert hat, was sich verändert hat? ({3}) Lesen Sie doch einmal die Rede von Frau Verhülsdonk nach; dann werden Sie das sehen. Wie genau nehmen Sie es denn mit der Wahrheit? Was soll denn diese Äußerung, die Sie gerade gemacht haben, Frau Süssmuth sei eine Statthalterin? Ich finde, was Sie hier sagen, ist eine Unverschämtheit. Frau Süssmuth ist unsere Ministerin! ({4}) Sie, Frau Däubler-Gmelin, frage ich: Ist Frau Me-ves in der Bundesregierung? Ist Frau Meves Mitglied unserer Bundestagsfraktion? Wenn eine Frau irgend etwas äußert, wird uns das in die Schuhe geschoben, und es wird so getan, als ob das unsere Positionen wären. ({5}) Von daher frage ich mich: Was soll das? ({6}) Sie rechnen uns Dinge zu, mit denen wir uns nicht identifizieren lassen, ich nicht! ({7}) Sie entdecken plötzlich die Frauenarbeitslosigkeit als ein Problem, und Sie wollen sie als ein Problem dieser Regierung ausgeben. Sie legen eine vordergründige Betrachtung der Arbeitslosenquoten an den Tag und verschleiern damit meines Erachtens die tatsächliche Situation. Sie verschweigen ganz bewußt, wie die Beschäftigtenentwicklung heute aussieht. Der Anteil der Frauen an der Beschäftigtenzahl steigt kontinuierlich an. Frau Blunck, sind 144 000 Frauen mehr in Beschäftigung im März 1985 gegenüber März 1984 nicht etwas, was positiv ist? Immer mehr Frauen fragen Arbeit nach, und immer mehr Frauen bekommen auch Arbeit. Wir wissen natürlich: Der Anteil der arbeitslosen Frauen ist auch angestiegen. Aber fragen Sie einmal nach, mit welchen Mitteln Frauen heute zum Teil zum Arbeitsamt gebracht werden, ({8}) zum Teil auch mit falschen Versprechungen. Sehen Sie sich einmal an, wie sie aufgefordert werden, sich arbeitslos zu melden, und es wird ihnen vorgeFrau Männle macht, daß sie dadurch ganz bestimmte Vorteile haben. ({9}) Denn Sie, meine Damen und Herren, bewerten Frauen nur danach, ob sie am Arbeitsmarkt sind oder nicht am Arbeitsmarkt sind; eine Frau, die sich aus guten Gründen für etwas anderes entscheidet, gilt für Sie nichts. Eine Frau muß für Sie entweder in Arbeit oder arbeitslos sein; eine Frau, die gerne zu Hause ist, die sich der Erziehung der Kinder widmet, ({10}) die nicht auf den Arbeitsmarkt will, wird bei Ihnen nicht gewertet! ({11}) Es ist unsere Aufgabe, die strukturellen Probleme zu lösen, und strukturelle Probleme haben wir ganz sicher. Wir haben immer noch eine zu geringe berufliche Qualifikation von Frauen. Es gilt, dies abzubauen, die jungen Mädchen aufzufordern, sich beruflich zu qualifizieren, nicht darauf zu hören, daß sie mit einer geringen Ausbildung einverstanden sein sollen. ({12}) - Lassen Sie mich doch ausreden, ich habe Ihnen doch auch zugehört. ({13}) Eltern, auch Lehrer und Berufsberater, müssen wir auffordern, daß sie sich bewußt sind, daß Mädchen eine qualifizierte Ausbildung brauchen. Es ist auch wichtig, den Frauen klarzumachen, daß sie sich, im Beruf stehend, weiterhin qualifizieren sollen. Auch die enge Konzentration auf einige wenige Berufe hindert natürlich. Auch hier meine Aufforderung an die Mädchen: Orientiert euch breiter, nützt die neuen Technologien. Neue Technologien sind nicht der Fluch, so wie Sie sie hier darzustellen versuchen, sondern sie bringen im Gegenteil neue Arbeitsplätze. ({14}) Wir müssen auch die Einstellungen abbauen, daß durch die Familientätigkeit von Frauen Beschäftigungsschwierigkeiten entstehen, auch die Befürchtungen von Arbeitgebern, daß junge Frauen, die sie einstellen, ja doch heiraten und sofort schwanger werden, was die Erwerbschancen vermindert. Hier möchte ich die Arbeitgeber auffordern, nicht so kurzfristig zu denken, nicht ein Potential zu vernachlässigen, das sie vielleicht später einmal brauchen. Die Frauen sollten nicht als Reservearmee behandelt werden. Ich denke, die Arbeitgeber müssen sich auch hier ihrer politischen Verantwortung bewußt sein. Ich meine, es sind strukturelle Probleme, die wir lösen müssen. Kurzatmige Aufgeregtheit, wie Sie sie hier heute an den Tag legen, hilft uns mit Sicherheit nicht weiter. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Frauen werden noch immer benachteiligt. Wir sind gegen Gleichmacherei, aber mit gleicher Entschiedenheit gegen jede Benachteiligung. ({0}) Deshalb bin ich dafür, dieses Thema nicht mit parteipolitischen Scheuklappen zu behandeln. Laßt uns doch einen Zusammenschluß bilden; der kann so groß sein, wie es der Sache nützt. Deshalb gibt es gar keine Grenzen, alle sollen mitmachen im Kampf gegen Benachteiligung der Frauen, jeder an seinem Platz, alle Parteien, die Sozialpartner, die Arbeitgeber, die Betriebsräte, die Öffentlichkeit, ({1}) die Bundesregierung, jeder an seinem Platz. ({2}) Ich glaube auch, daß es nicht geht, daß wir das Thema nur den Frauen überlassen. Auch die Männer müssen sich einreihen in diesen Kampf gegen Benachteiligung der Frauen. Das verstehen wir unter Partnerschaft. Ich glaube auch nicht, daß das Thema Arbeitslosigkeit gelöst wird, indem wir es sozusagen balkanisieren, indem sich jeder seine Gruppe heraussucht und nur diese Gruppe im Blick hat. Arbeitslosigkeit ist für die Jungen, für die Älteren, für die Behinderten, für die Frauen, für die Männer, für alle ein hartes Schicksal. Deshalb geht es nur mit einer großen, auch beschäftigungspolitischen Offensive. Was allerdings die Darstellung hier in der Aktuellen Stunde angeht: Ich bin kein Spezialist für diese Vergleiche zwischen gestern und heute. Ich finde, davon werden die Probleme von morgen nicht gelöst. Aber wenn es hier so dargestellt wird, als wäre bis 1982 die Morgenröte der Frauenemanzipation gewesen und ab Oktober 1982 sei die finstere Nacht der Frauenbenachteiligung ausgebrochen, ({3}) dann muß ich doch ein paar Zahlen ins Gedächtnis rufen. Von 1980 bis 1982 stieg der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen um 3,4%. Ab 1982 stieg er immer noch, aber nur um 1,6%. Der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen beträgt heute 43 % und liegt damit höher als ihr Anteil an den Erwerbstätigen. Deshalb ist in dieser Zahl auch die Benachteiligung greifbar. ({4}) - 43%, liebe Frau Däubler! 1980 war ich noch nicht Arbeitsminister, da betrug der Anteil der Frauen an der Arbeitslosigkeit 52 %. Meiner Rechnung nach sind das 9 % mehr als zu dieser Zeit. Ich will auch daruf aufmerksam machen, daß auch die Dauer der Arbeitslosigkeit unterschiedlich ist bei Männern und Frauen, und zwar anders, als manche vermuten: bei den Frauen ist die Arbeitslosigkeit im Durchschnitt kürzer als bei den Männern. ({5}) - Ich trage das doch hier nicht als große Erfolgsmeldung vor, sondern als Aufruf zur Differenzierung, als Aufruf, eine differenzierte Politik zu machen. Ich glaube, die Benachteiligung der Frauen beginnt bereits beim Einstieg ins Erwerbsleben; bereits im Bildungssystem werden die Chancen unterschiedlich verteilt. Auch müssen wir aus der alten Kleiderordnung aussteigen, als gäbe es eine Vielzahl von Männerberufen und eine geringe Zahl von Frauenberufen. Das meiste, was da als Männerberufe reserviert wird, ist patriarchalische Reservierung. Von den 430 Berufen sind mehr als 400 Berufe mit Sicherheit auch Frauen zugänglich. Ich will zwar nicht empfehlen, aus dem Bergmann eine Bergfrau zu machen, aber ich glaube, daß in der alten Kleiderordnung der Berufszuteilung in der Regel viel Resentiment und viel Vorurteil enthalten sind. Aber auch hier sind wir doch weitergekommen, weitergekommen allerdings nicht in dem Sinne, daß wir am Ziel sind: Der Frauenanteil an den Lehrlingen stieg von 1972 bis 1984 von 35,8 % auf 39 %. Der Anteil der Mädchen im Rahmen der gewerblich-technischen Ausbildung stieg von 2,6 1977 auf 7,5 %. Das ist zwar immer noch zu wenig, aber Sie sollten nicht den Eindruck erwecken, als würden wir auf der Stelle treten. ({6}) Denn wer den Eindruck erweckt, wir würden auf der Stelle treten, entmutigt doch. ({7}) - Schwarzmaler, obwohl sie die Roten oder die GRÜNEN sind, ein gewisser Farbgegensatz. - Der Anteil der Frauen an Fortbildung und Umschulung betrug 1984 32,6 %, ein Jahr früher machte er 31,8 % aus. Sie sehen, wir kommen Schritt für Schritt voran. Wer auf die großen ideologischen Bereinigungen wartet - das ist in der Sozialpolitik immer so gewesen -, wird alt und erlebt sie nicht. Wir machen eine Politik Schritt für Schritt. ({8}) Ich glaube, daß sich beispielsweise die starren Arbeitszeiten, auf die sich die Industriegesellschaft seit 150 Jahren eingestellt hat, gerade für Frauen nachteilig ausgewirkt haben, daß gerade die starren Einteilungen - entweder alles oder nichts, entweder ganz ins Erwerbsleben hinein oder nie - gegen die Frauen gewirkt haben. So könnte eine Auflokkerung der starren Arbeitszeiten, auch getragen von der Nachfrage der Frauen, hier eine Besserung bringen. Sie sind nicht der Vormund der Frauen, und ich bin nicht der Vormund der Frauen. Lassen Sie doch die Bedürfnisse der Frauen sprechen. ({9}) Wieso wollen Sie, wenn ein großes Bedürfnis, eine große Nachfrage nach Teilzeitarbeit vorhanden ist, denn eigentlich die Frauen diskriminieren? Ich jedenfalls sehe in einer Auflockerung dieser Großpakete - mehr Teilzeitarbeit, und zwar nicht nur in Tagesform, sondern auch einem Lebensrhythmus folgend - auch einen Gewinn an Freiheit. Das ist auch ein Stück Emanzipation. Und so könnte die Nachfrage der Frauen geradezu bahnbrechend für neue Arbeitsgewohnheiten sein, nach denen auch die Männer verlangen. Ich würde das nicht so einteilen: starre Arbeitszeiten für Männer, flexible für Frauen. Wir, verehrte Frau Däubler, haben in unserem Beschäftigungsförderungsgesetz, was Ihnen entgangen sein mag ({10}) - hören Sie doch zu -, die Teilzeitarbeit zum ersten Mal sozial abgestützt, zum ersten Mal gebändigt. Jene Arbeitsformen, etwa Arbeit auf Abruf, die Sie doch freigelassen haben, ({11}) haben wir unter sozialen Gesichtspunkten verträglich geregelt. Da haben Sie doch 13 Jahre gepennt, da haben Sie doch 13 Jahre nichts gemacht. ({12}) Da Sie ein ideologisch bedingtes Vorurteil gegen die Teilzeitarbeit hatten, haben Sie die Rolladen heruntergelassen und die Sache ohne sozialen Schutz sich entwickeln lassen. ({13}) - Ja, die Wahrheit regt Sie auf. Ich kann doch nichts dafür, wenn Sie in Ihrer Rede hier Krieg gegen die Wahrheit geführt haben. Ich bin dafür, daß wir auch Einstieg und Ausstieg erleichtern und deshalb die Rahmenfristen - wie etwa im Beschäftigungsförderungsgesetz - verlängern, daß Frauen, die längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, wieder zurückkommen können, daß wir hier Brücken bauen. Es geht uns um den Brückenbau, es geht uns darum, die freie Entscheidung des einzelnen zu erleichtern. Das Unterhaltsgeld - es ist schon davon gesprochen worden - auch jenen anzubieten, die bisher keinen Anspruch hatten, wird eine Maßnahme sein, die gerade den Frauen zugute kommt. Eine weitere Maßnahme: Das Mutterschaftsgeld wurde in eine Umlage einbezogen, die der Lohnfortzahlung entspricht - aus meiner Sicht Abbau von Beschäftigungshemmnissen. Und, meine Damen und Herren: Ich glaube nicht, daß man den Frauen durch Beschäftigungsverbote hilft. Ich meine, daß solche Beschäftigungsverbote, wenn sie in der Sache nicht gerechtfertigt sind, keine soziale Hilfe, sondern sozialer Ausschluß sind. Kann mir einmal jemand erklären, warum es in der alten Arbeitszeitordnung, die wir beseitigen wollen, für Frauen eine andere Pausenregelung gibt als für Männer? Können Sie sich einen Betrieb vorstellen, der um 11.00 Uhr eine Mittagspause für Frauen und um 11.30 Uhr eine für Männer macht? Die Gefahr ist groß, daß sich die Betriebe entweder nicht nach einer solch lebensfernen Regelung richten oder keine Frauen einstellen. Weder das eine noch das andere ist richtig. Deshalb liegt nicht in jedem Verbot eine Hilfe für Frauen. Ich plädiere dafür, daß wir dieses Thema ({14}) nicht in wechselseitiger Schuldzuweisung angehen, ({15}) sondern daß wir die konkreten Hemmnisse abbauen. Ich appelliere an die Arbeitgeber, ich appelliere an die Betriebsräte, ich appelliere an alle Parteien, ihre Beiträge zu leisten. Die Bundesregierung jedenfalls wird ihren Teil dazu beitragen, Beschäftigungshemmnisse für Frauen abzubauen. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs ({0}). ({1})

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Minister Blüm, warum uns ein Zusammenschluß mit Ihnen in der Frauenpolitik ganz besonders schwerfällt, will ich an einem Beispiel deutlich machen. Ich fange an, indem ich Sie zur Teilzeitarbeit zitiere. Sie haben, Ihr sogenanntes Beschäftigungsförderungsgesetz kommentierend, gesagt: Viele Arbeitnehmer wünschen Teilzeitarbeit. Sie ist eine Chance, den Arbeitsrhythmus mit dem Lebensrhythmus zu versöhnen. Und weiter: Teilzeitarbeit ist kein Arbeitsverhältnis zweiter Klasse, sondern jetzt mit Vollzeitarbeit gleichberechtigt. ({0}) Wenn dies nun alles stimmt, Herr Minister: Warum haben die Frauen das denn nicht begriffen? Warum suchen drei Viertel aller arbeitslosen Frauen Vollzeitarbeitsplätze und nur ein Viertel Teilzeitarbeitsplätze? ({1}) Weil Frauen, die zu über 90% Teilzeitarbeitende sind, die Geschädigten sind. Schon bei der traditionellen Teilzeitarbeit nehmen Frauen im betrieblichen Alltag erhebliche Nachteile in Kauf: beim Aufstieg, bei betrieblichen und gesetzlichen Sozialleistungen, wenn aus betrieblichen Gründen entlassen wird, bei der Einbindung in die betrieblichen Informationsabläufe und in die Interessenvertretung. ({2}) Ihr am 1. Mai 1985 in Kraft getretenes sogenanntes Beschäftigungsförderungsgesetz läßt darüber hinaus neue, noch flexiblere Arbeitsverhältnisse zu, z. B. Kapovaz, die Teilzeitarbeit mit variabler Arbeitszeit. Sie bedeutet eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Sie ist häufig im Handel anzutreffen, häufig kombiniert mit Beschäftigungsverhältnissen mit Entgelt unter 400 DM. ({3}) Aus der Praxis der Kaufhäuser stammt folgende Erfahrung - nun hören Sie bitte mal zu; das ist authentisch -: „ Da werden die Kolleginnen kurzfristig angerufen, weil jemand krank geworden ist. Da werden die Frauen ohne Zustimmung des Betriebsrats von der einen in die andere Abteilung versetzt, weil dort zuwenig Personal ist. Da werden kurzfristig die freien Tage verschoben, weil jemand ausgefallen ist. Was flexibel ist, bestimmen allein die Unternehmer. ({4}) Wer aufmuckt, muß Angst haben, als nächster seinen Arbeitsplatz zu verlieren." So sieht das aus. Und genau dies ist der Sinn dieser Beschäftigungsform: unbezahlte Arbeitszeitverkürzung, Arbeitnehmerinnen als Verfügungsmasse, Ausbeutung der Arbeitskraft nach den betrieblichen Notwendigkeiten. ({5}) Sind dies, Herr Blüm, etwa die von Ihnen verheißenen Chancen, den Arbeitsrhythmus mit dem Lebensrhythmus zu versöhnen? Dennoch, meine Damen und Herren, jede vierte arbeitslose Frau sucht heute einen Teilzeitarbeitsplatz. Warum? Unter anderem deshalb, weil Frauen durch fehlende familienergänzende öffentliche Einrichtungen gezwungen sind, sich auf die Strategie der Arbeitszeitflexibilisierung einzulassen, und weil die rigorosen Kürzungen der Sozialleistungen durch diese Regierung und der Reallohnverlust der letzten Jahre in immer mehr Familien zu materiellen Notlagen führt, die nur durch den sogenannten „Zuverdienst" der Frauen abgefedert werden können. Mit befristeter Arbeit, die laut Blüm immer noch besser sei als unbefristete Arbeitslosigkeit, soll die Massenarbeitslosigkeit abgebaut werden. Nun fällt auf, daß es auch viel zu wenig Teilzeitarbeitsplätze gibt. Auf eine Stelle kommen fast 40 Suchende. Die Zahl gesicherter Teilzeitarbeitsverhältnisse nimmt ab, die ungesicherter nimmt zu. Das ist so auch gewollt. Warum sonst wird Frauen ein Mutterschaftsurlaubsgeld und den Eltern der Elternurlaub verweigert? Statt dessen sollen Frauen mit 600 DM Erziehungsgeld von ihren Vollzeitarbeitsplätzen gelockt werden. Aber sie dürfen noch 19 Stunden arbeiten. Daß sie nach Ablauf der zehn oder zwölf Monate dann wieder einen Vollzeitarbeitsplatz be12998 Frau Fuchs ({6}) kommen, wenn sie ihn nicht überhaupt verloren haben - Kündigungen sind nun ja möglich -, ist höchst unwahrscheinlich. Somit reihen sie sich in die Schar der ungesichert Teilzeitarbeitenden ein, ohne renten-, kranken- oder arbeitslosenversichert zu sein. ({7}) Die CDU hat auf ihrem diesjährigen Kongreß beschlossen: Es ist zu gewährleisten, daß Teilzeitbeschäftigte nicht aus den Systemen der sozialen Sicherheit ausgeschlossen werden. - Ich gratuliere Ihnen. Nun frage ich: Warum haben nicht einmal die CDU-Frauen unserem Gesetzentwurf zugestimmt, der genau dies will? Abgelehnt haben sie ihn. Auch heute nachmittag werden Sie das tun. Ich hoffe, daß sich die betroffenen Frauen das für die nächsten Wahlen merken werden und Ihnen dafür die Quittung geben. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feilcke. ({0})

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich gedanklich an das anschließen, was schon Minister Blüm gesagt hat. Es ist ein Thema, das sich eigentlich nicht dafür eignet, Madigmacherei ins Parlament zu tragen. ({0}) Es ist eigentlich auch kein Thema, das nur unter dem Aspekt behandelt werden sollte: Wann ist wohl der günstigste Zeitpunkt für die Medien? Frau Blunck hat zwar gesagt, es sei ein Thema, für das sich auch die Medien interessierten. Tatsächlich ist der Anteil der Medienvertreter auch um diese Tageszeit nicht so groß, obwohl das der Grund war, warum Sie dieses Thema in der letzten Woche abgesetzt haben. ({1}) Die Regie des Bundestages hatte Ihnen eine Zeit empfohlen, die Sie für nicht mediengerecht hielten. Die Aktualität war für Sie offensichtlich nicht so groß. Und dennoch: Die öffentliche Beachtung ist auch heute nicht in Ihrem Sinne. ({2}) Meine Damen und Herren, ich finde es auch nicht gut, die Aktuelle Stunde so zu benennen, wie Sie es getan haben, und von der ständig zunehmenden Arbeitslosigkeit von Frauen zu reden. ({3}) Denn das widerspricht den Tatsachen. ({4}) Bis 1981, meine Damen und Herren von der SPD, gab es mehr arbeitslose Frauen als arbeitslose Männer. Herr Minister Blüm hat die Zahl von 1980 genannt. Ich will Ihnen die Zahl von 1979 nennen. 1979 waren 57 % aller Arbeitslosen in unserem Lande Frauen. Heute sind es weniger, obwohl es immer noch zuviel sind. ({5}) Aber es sind heute eben, wie Minister Blüm sagte, 43%. Also ist es unredlich, ({6}) . von ständig zunehmender Arbeitslosigkeit von Frauen zu sprechen und sie als Versagen dieser Regierung zu brandmarken. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen, es wäre gut, wenn wir den Redner ausreden lassen würden. Sie übertreiben es wirklich ein wenig. ({0})

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, mich stört das überhaupt nicht. Das belebt die Aktuelle Stunde. Ich habe nur den Eindruck, Frau Däubler-Gmelin braucht vielleicht einen Arzt; sie ist so wahnsinnig nervös. ({0}) Der zurückgehende Anteil der Frauenarbeitslosigkeit läßt sich bei einem immer weiter steigenden Anteil von Frauen verzeichnen, die ins Erwerbsleben eintreten. ({1}) Ich möchte aber nichts verharmlosen. Ich möchte an Sie appellieren, auch nichts unnötig zu dramatisieren. Damit nützen Sie niemandem. ({2}) Tatsächlich waren im Oktober 1985 von den Frauen 10,4 % arbeitslos, von den Männern 7,5 %. ({3}) - Jawohl, dazu bin ich gerne bereit: 1 022 542 Frauen gegenüber 1 126 277 Männern. Ich will hier nichts verharmlosen. ({4}) Ich finde nur, Sie sollten nichts dramatisieren! Ich sage noch mal: Sie helfen damit niemandem. Wir können diese Entwicklung auch darauf zurückführen, ({5}) daß bei den Männern seit geraumer Zeit während des wirtschaftlichen Aufschwungs die Entwicklung günstiger ist als bei den Frauen, während sie übrigens Anfang der 80er Jahre erheblich ungünstiger war. Als relativ positiv kann in diesem Zusammenhang genannt werden, was schon erwähnt worden ist, daß nicht nur mehr Frauen ins Erwerbsleben eintreten, sondern auch mehr Frauen beschäftigt sind als früher. Auch insofern ist die Überschrift der Aktuellen Stunde nicht richtig. 370 000 Frauen haben sich allein in diesem Jahr, von Januar bis Oktober, bei den Arbeitsämtern gemeldet, die vorher noch nie gearbeitet oder zumindest seit langer Zeit nicht gearbeitet haben. ({6}) Die hohe Zahl der Arbeitslosen hat sicher auch spezifische Gründe, die in den Chancen der Frauen liegen. Heute muß gesagt werden, die Frauen, die aus der sogenannten stillen Reserve kommen - Sie sprachen von Entmutigten -, ich sage, sind heute Ermutigte, weil sie wieder Chancen am Arbeitsmarkt sehen. Sie sind sehr viel optimistischer als Sie. Sie sehen bei steigender wirtschaftlicher Entwicklung wieder eine Chance am Arbeitsmarkt und melden sich deshalb bei den Arbeitsämtern. Das sind keine Entmutigten, sondern das sind Ermutigte. Frauen haben häufig eine geringere Qualifikation als Männer; auch das ist schon gesagt worden. Ich finde es sehr bemerkenswert, wenn wir feststellen, daß unter den arbeitslosen Frauen, die über 40 Jahre alt sind, zwei von dreien keine berufliche Qualifikation haben. Das heißt, hier ist etwas in der Struktur, in der Qualifikation zu verändern. Deshalb sollten auch hier die Maßnahmen ansetzen: Qualifikationsoffensiven nach dem siebten Änderungsgesetz zum Arbeitsförderungsgesetz. Ich möchte heute an alle appellieren, an private und öffentliche Arbeitgeber: meldet alle Stellen den Arbeitsämtern, auch wenn ihr zur Zeit keine Vermittlungschancen seht, damit die Qualifikationsmaßnahmen gezielt greifen können und die Mittel nach dem siebten Änderungsgesetz zum Arbeitsförderungsgesetz auch sinnvoll eingesetzt werden können. Vielen Dank. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Blunck hat vorhin den rhetorischen Satz in diesen Raum gestellt: Wie halten Sie es eigentlich mit der Wahrheit? Ich möchte diesen Satz nach Ihrer Rede und nach der Rede Ihrer Kollegin Frau Fuchs zurückgeben: Wie halten Sie es eigentlich mit der Wahrheit? Sie malen hier ein Horrorgemälde über die Arbeitswelt. Ich habe den Eindruck, daß der Kontakt zur Arbeitswelt von Ihnen so eng nicht sein kann. Sonst hätten Sie dieses Bild nicht malen können. ({0}) Die Zahlen, die uns das Arbeitsamt meldet, sprechen ja eine deutlich andere Sprache. Diese Zahlen wurden schon von Herrn Minister Blüm zurechtgerückt. Mein Vorredner hat Ihnen einige Zahlen genannt, die das Gegenteil besagen. Ich kann hier aus dem Bericht der Bundesanstalt lesen: Ende März lag die Zahl der beschäftigten Frauen um 144 000 oder 2 % höher als ein Jahr zuvor. Ich weiß nicht, wie Sie zu diesem Horrorgemälde kommen. Wir können feststellen, daß in den letzten Jahren - das sollten auch Sie zur Kenntnis nehmen - zunehmend mehr Frauen in Männerberufe gehen, und zwar in Berufe, die hochqualifiziert sind. Ich darf hier das ganze Haus an etwas erinnern. ({1}) - Es wäre gut, wenn Sie mal zuhören würden. Ich habe Ihnen auch zugehört. Was haben Sie für eine merkwürdige Art, hier zur Debatte beizutragen? Ich meine, wir sollten uns einmal daran erinnern, was die Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" festgestellt hat. Da wurde uns vor allem von Frauen gesagt, daß wir endlich einmal hergehen und die Schutzgesetze entrümpeln sollten, weil es eine ganze Reihe von Schutzgesetzen gebe, die Frauen hinderten, gute, hochqualifizierte Berufe zu ergreifen. Diese Bundesregierung hat in einer Reihe von Fällen Voraussetzungen geschaffen, daß mehr Frauen in Männerberufe gehen können. Aber es ist noch eine ganze Menge zu tun. Ich denke z. B. an die Schutzgesetze beim Bau. Es waren vor allem Frauen, die uns gesagt haben: Schafft hier um Gottes willen andere Schutzgesetze; denn die Schutzgesetze, die wir jetzt haben, hindern uns, hochqualifizierte Berufe auszuüben. Ich möchte nochmals betonen, es waren vor allem die Frauen, die diese Forderungen aufgestellt haben. Ich bin auch nicht der Meinung, daß es notwendig und richtig ist, Schutzgesetze abzubauen. Sie müssen nur anders organisiert werden. Wir müssen jedenfalls immer wieder feststellen: Wenn Schutzgesetze arbeitsrechtlich organisiert sind, wenden sie sich gegen die zu Schützenden. Diese Eigenart der Schutzgesetze in der Form, wie wir sie heute haben, wendet sich ja nicht nur gegen Frauen, sondern in gleicher Weise gegen Behinderte, gegen junge Wehrpflichtige. Sie brauchen ja nur einmal zum Arbeitsamt zu gehen und zu fragen, wie es jungen Männern geht. Die werden nämlich gefragt: Sind Sie bundeswehrfrei? Ich meine, der Bundestag hat hier eine ganz wichtige Aufgabe: Schutzgesetze zu überdenken und zu reformieren, nicht mit dem Ziel, diese Schutzgesetze abzubauen, sondern sie anders zu or13000 Eimer ({2}) ganisieren, damit sie sich nicht mehr gegen die zu Schützenden wenden. ({3}) - Sie schütteln den Kopf. Ich kann Ihnen nur dringend raten, zu lesen, was Ihre eigenen Vertreter in der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" festgestellt und gefordert haben. Dann werden Sie anders reagieren, als es heute morgen der Fall war. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Peter.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Zahlenspielereien des Herrn Kollegen Feilcke und auch des Bundesarbeitsministers Blüm ({0}) haben deutlich gemacht, warum sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen weigern, unserem Antrag, endlich einen Arbeitsmarktbericht vorzulegen, zuzustimmen. Sie weigern sich deshalb, weil sie sich sträuben, ihren Namen für nachweisbare Zahlen herzugeben. Denn das hier läuft nach dem Prinzip: Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe. ({1}) Es gibt für die Auseinandersetzung über die Arbeitsmarktpolitik, Herr Kollege Jagoda, eben verschiedene Möglichkeiten. Die ernsthafteste und beste wäre: Politik gegen Arbeitslosigkeit für alle, besonders für die Frauen. Das verweigern Sie allerdings, ({2}) weil Sie sich das gegenüber anderen Interessen nicht trauen. Die andere Möglichkeit ist die Manipulation an den Arbeitslosenzahlen. Dazu lassen Sie sich jeden Tag etwas Neues einfallen. Die siebente Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz, wonach bei älteren Arbeitslosen die Meldepflicht, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, wegfällt, verringert die Arbeitslosen in der Statistik um 200 000, obwohl kein einziger Arbeit gefunden hat. Und wenn Sie sich beim Erziehungsgeldgesetz, das heute nachmittag zur Debatte steht, weigern, die Anspruchsberechtigung für Arbeitslosengeldempfängerinnen anzuerkennen, betreiben Sie ebenfalls Statistikbereinigung, ohne daß auch nur eine einzige Frau mehr dadurch einen Arbeitsplatz bekommt. ({3}) Das müssen Sie sehen. Das nenne ich unwahrhaftig, Herr Minister Blüm. Das dritte Instrument ist, Mechanismen zu finden, daß sich Frauen freiwillig aus dem Arbeitsmarkt drängen lassen. Das haben Sie im vorigen Jahr bei Ausländern mit dem Abschieben in die Heimat betrieben. Das betreiben Sie mit anderen Mechanismen im Zusammenhang mit der Frauenerwerbstätigkeit. ({4}) Das nenne ich zynisch, das nenne ich einen Widerspruch zur Menschenwürde, Herr Jagoda. ({5}) Ich gebe Ihnen zu, daß im Zusammenhang mit der Frauenarbeitslosigkeit in der Gesellschaft einiges möglich ist. Es gibt das Ausnutzen des weit verbreiteten Vorurteils, Frauen hätten in der Hausarbeit eine Alternative. Dasselbe sagen Sie für das Ehrenamt. Ich gebe Ihnen zu, daß dieses Vorurteil die Parteigrenzen überschreitet. Es hängt damit zusammen, daß in einer bestimmten Phase der deutschen Geschichte Arbeitnehmer stolz darauf waren, daß sie es sich leisten konnten, daß ihre Frauen nicht arbeiten gehen mußten. Hier findet das Reden vom Doppelverdiener seine gesellschaftliche Begründung und fruchtbaren Boden. Wenn die Frau Ministerin Süssmuth eine Kampagne gegen das Doppelverdienertum beabsichtigt, dann wünsche ich ihr Glück. Die Beiträge von Frau Männle und Frau Verhülsdonk haben gezeigt: Sie wird sehr viel Glück nötig haben. Denn das, was Sie betrieben haben, ist Beihilfe, um Frauen aus dem Arbeitsmarkt herauszudrängen. ({6}) In einer freien, menschenwürdigen Gesellschaft haben Frauen und Männer das gleiche Recht auf Erwerbsarbeit: zur Sicherung des Lebensunterhalts, zum Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung, zur Teilhabe an den Chancen, die durch gesellschaftliche Arbeit vermittelt werden. Gerade wenn diese Arbeit nicht vorhanden ist und wenn Armut, fehlende soziale Sicherung und fehlende Lebenschancen zur Regel werden, wird besonders deutlich, was Erwerbsarbeit gerade für Frauen bedeutet. ({7}) Die SPD-Frauen, die hier im Saal sitzen und heute nachmittag zur Frauenkonferenz des DGB fahren werden, haben heute morgen sehr gut zugehört. Es wird uns ein Vergnügen sein, mit den Kolleginnen des DGB, die Geisteshaltung und die Einschätzung von Frauenarbeit, die wir heute morgen gehört haben, an die Frau zu bringen. ({8}) Ich wünsche der Frau Ministerin Süssmuth viel Glück bei ihrer Kampagne gegen Doppelverdiener. ({9}) Sie wird nicht erfolgreich sein, wenn der Gesellschaft bei dem Begriff Doppelverdiener die doppelt belastete Frau einfällt, sondern sie wird erst dann erfolgreich sein, wenn der Gesellschaft dabei beispielsweise der Chefarzt, der nebenbei privat liquidiert, beispielsweise der Politiker, der nebenbei aus Beraterverträgen abkassiert, oder beispielsweise Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 174. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 14. November 1985 13001 Peter ({10}) der hohe Beamte mit Nebentätigkeiten oder andere doppelt verdienende Männer einfallen. Ich danke Ihnen. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hürland.

Agnes Hürland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000976, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich, daß wir hier im Deutschen Bundestag lebhafte Diskussionen - auch in Aktuellen Stunden - hatten, wenn es, als Entlassungen drohten, um die Erhaltung von Arbeitsplätzen ging. Ich denke dabei an Entlassungen in der Größenordnung von 500, 1 000 oder 2 000 Arbeitsplätzen. Wir haben uns zu Recht darum bemüht, Arbeitsplätze zu erhalten. Manchmal ist es uns gelungen, nicht immer. Wenn wir es aber erreicht haben, waren wir alle miteinander - auch Sie - sehr froh, denn bei jedem verlorenen Arbeitsplatz - ich spreche bewußt nicht nur von Frauenarbeitsplätzen - sind doch in der Regel Frauen mit betroffen: als Ehefrau, als Mutter, als Schwester. Wir haben Unternehmer geradezu beschworen: Strengt euch an, daß ihr Arbeitsplätze für Männer und Frauen erhaltet, daß ihr sie nicht entlaßt! Wenn wir erreichen konnten - z. B. durch Garantien der Bundesregierung -, Entlassungen zu verhindern, dann waren wir alle miteinander sehr froh. Jetzt hören wir durch Firmenveröffentlichungen oder durch die Presse fast wöchentlich, daß die Unternehmer Neueinstellungen vornehmen. Siemens in Gladbeck hat nahezu 800 Neueinstellungen vorgenommen; bei Bayer Leverkusen waren es 3 500 Neueinstellung; das nur als Beispiel. Im vergangenen Jahr wurden plötzlich 200 000 neue Dauerarbeitsplätze durch Unternehmer geschaffen, die wieder Vertrauen in die solide Politik dieser Bundesregierung gesetzt haben. ({0}) Von diesen über 200 000 neu geschaffenen Arbeitsplätzen ist kein einziger auf eine staatliche sogenannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zurückzuführen, sondern allein auf marktwirtschaftliches Verhalten der Unternehmer, die sich wieder marktwirtschaftlich verhalten können, weil diese Bundesregierung die Rahmenbedingungen dafür geschaffen hat. ({1}) Von diesen über 200 000 neuen Arbeitsplätzen waren allein im Jahre 1984 über 145 000 Arbeitsplätze für Frauen. Das ist hier schon mehrmals gesagt worden, aber es kann nicht oft genug gesagt werden, weil man den Eindruck hat, es will niemand wahrhaben. ({2}) Sie wollen den Frauen einreden, ihre Beschäftigungssituation habe sich verschlechtert. Dabei haben 145 000 Frauen mehr als vor einem Jahr einen Arbeitsplatz, und das wollen Sie nicht wahrhaben. ({3}) Es ist zwar zutreffend, daß in der Statistik mehr Frauen als arbeitslos verzeichnet sind, aber das ergibt sich einfach daraus, daß sich Frauen ebenfalls marktwirtschaftlich verhalten. Die Frauen, die es in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung aufgegeben hatten, sich arbeitslos zu melden und sich um eine Erwerbsarbeit zu bemühen, weil es unter Ihrer Regierung ja keinen Zweck hatte, melden sich heute arbeitslos, weil sie wieder Mut gefaßt haben, einen Arbeitsplatz zu finden. ({4}) 145 000 Arbeitsplätze mehr als vor einem Jahr: Ich könnte es noch mehrmals wiederholen, damit Sie es endlich begreifen. Manchen Leuten scheint es in Wahrheit nur um die Erhöhung der Zahlen in der Statistik zu gehen. Wir fragen uns nämlich, worin der Sachbeitrag zur Förderung der Beschäftigung von Frauen liegt, wenn der Deutsche Frauenrat seine Mitglieder pauschal auffordert, sich bei den Arbeitsämtern arbeitslos zu melden. In diesem Aufruf wird den Frauen wahrheitswidrig schmackhaft gemacht, sie könnten ihre Rentenanwartschaften durch Ausfallzeiten steigern. Das trifft aber nur dann zu, wenn die Meldung sofort auf eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung folgt, und zwar bei Männern und Frauen gleichermaßen. Diese Bundesregierung ist sich des Problems von arbeitslosen Männern und Frauen, vor allem auch von behinderten arbeitslosen Männern und Frauen, bewußt. Sie ist aber auch unter diesen Umständen nicht bereit, kostspielige dekorative Kosmetik durch verschiedenste Programme, wie Sie sie durchgeführt haben - die sich leider nicht als fundierte Heilung erwiesen haben -, nachzumachen, weil sie nicht zu einer dauerhaften Entlastung des Arbeitsmarktes führen. Dekorative Kosmetik haben Sie lange genug aufgetragen. Sie hat den Arbeitslosenberg nicht abgebaut, aber den Schuldenberg erhöht, die Stabilität geschwächt, das Vertrauen erschüttert. Mehr Arbeitsplätze - über 200 000 in einem Jahr -, das schafft auf Dauer weniger Arbeitslose. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Die heutige Debatte hat gezeigt, wo die Frauen ihre Vertreter haben. Die Mitglieder des Frauenrates und auch die Gewerkschaftsfrauen, die von heute an ihren DGBFrauenkongreß haben, werden ihre echte Freude haben. Auch die letzten Debattenbeiträge zeigten wieder einmal, wie Sie die Rechte der Frauen behandeln. ({0}) Sie sind es doch, die ständig die eigenständigen Ansprüche der Frauen im Sozialwesen zurückschrauben. Heute nachmittag gibt es wieder ein Beispiel dafür. Damit einiges einmal klar wird: Wir Sozialdemokraten haben etwas dagegen, daß Frauen, die sich durch ihre Tätigkeit im Hausfrauen- und Mutterdasein ausgefüllt sehen, zu einer Erwerbsarbeit gezwungen werden, wenn sie es nicht wollen. Wir haben aber auch etwas dagegen - wie es heute der Fall ist -, daß Frauen, die berufstätig und erwerbstätig sein möchten, keine Chance haben, eine Arbeit zu bekommen, und die Mädchen keine Ausbildung bekommen. ({1}) Und dann: eine Million arbeitslose Frauen, ({2}) dies hat es überhaupt noch nicht gegeben. ({3}) Darüber können noch so schöne Worte überhaupt nicht hinwegtäuschen. Sie sagen - das haben Sie heute morgen wieder getan -: Wir brauchen einen Solidarpakt, wir brauchen das Prinzip Hoffnung - und was weiß ich, was nicht alles. Sie sind es doch, die den Frauen Hoffnungslosigkeit geben, die ihnen überhaupt keine Chance mehr geben, in die Arbeitswelt einzutreten. ({4}) Haben Sie eigentlich einmal überlegt, was es bedeutet, daß junge Mädchen - das hat nämlich die soziale Bildungspolitik der Sozialdemokratischen Partei zuwege gebracht - heute einen guten Schulabschluß haben, ({5}) daß sie fast solche Schulabschlüsse haben wie die Jungen, zum Teil besser, daß sie aber keinen Ausbildungsplatz bekommen? ({6}) Dies heißt für sie Hoffnungslosigkeit. Haben Sie eigentlich einmal überlegt, was das gesellschaftspolitisch bedeutet? Dies wirkt sich noch Jahrzehnte aus. Dies wirft uns zunächst in einen Zustand zurück, den heute die älteren Frauen zu beklagen haben, die nämlich keine Chance hatten, ausgebildet zu werden. ({7}) Das gleiche spielt sich zur Zeit ab. Dies wird sich noch in Jahrzehnten auswirken. Ich kann nur sagen: Worte machen keine Politik! Taten machen Politik! ({8}) Ich fordere Sie auf, zu Taten zu kommen. Wir haben gute Ausgangsbasen geschaffen. Wo sind denn die Weiterführungen der Modellversuche in der Ausbildung für die Mädchen? Wo sind sie denn? Ich fordere Sie auf, meine Damen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion: Machen wir eine fünfte Fraktion, daß hier wirklich echte Frauenpolitik gemacht wird und die Benachteiligung endlich aufhört! Ich bin ja sehr erstaunt. Es sollte um diese Zeit die Bundeswehrdebatte beginnen. So ernst nimmt wohl auch die neue Familienministerin ihre Aufgabe: Bei der Debatte um die Frauenarbeitslosigkeit war sie nicht da, aber bei der Bundeswehr-Debatte ist sie anwesend. ({9}) Ich zitiere ihre Worte: „Wenn es in unserer Gesellschaft wirklich das Ziel wäre, die Arbeit der Frauen in Familie und Beruf in gleicher Weise anzuerkennen und zu fördern, dann müßte das andere Konsequenzen im politischen Handeln haben." Ich kann dem kaum noch etwas hinzufügen. Sie sind aufgefordert, für die Frauen wirklich echte Politik zur Beseitigung der Benachteiligung zu machen ({10}) und nicht den Weg nach rückwärts weiterzugehen, auf dem Sie sich befinden. Hier haben Sie die Aufgabe, wirklich eine Wende, und zwar nach vorwärts, zu tun, im Interesse der Frauen und unserer gesamten Gesellschaft. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Arbeitsmarkt ist in der Tat noch nicht in Ordnung; darüber müssen wir nicht streiten. Davon sind alle an Erwerbstätigkeit Interessierten betroffen, Männer wie Frauen, und es ist weder ökonomisch sinnvoll noch sozialpolitisch erträglich, hier Männer und Frauen gegeneinander auszuspielen. ({0}) Eine durchgreifende Verbesserung auch und gerade der Erwerbschancen von Frauen kann nur durch eine allgemeine Verbesserung der Arbeitsmarktentwicklung zustande kommen, ({1}) und diese hängt wiederum von einem Fortdauern der nachhaltigen positiven Entwicklung unserer Wirtschaft ab. Sie haben völlig recht, Frau Steinhauer, wenn Sie hier mit allerdings bemerkenswerter Rückwirkung davon gesprochen haben, daß es nicht auf Worte, sondern auf Fakten und auf Taten ankomme. Faktum ist, daß die Zahl der beschäftigten Frauen heute - Frau Kollegin Hürland hat darauf hingewiesen - um 150 000 höher als vor einem Jahr ist. ({2}) Ich bin gern bereit, einzuräumen, daß kurzfristige Betrachtungen nicht immer ein vollständiges Bild ergeben; aber auch wenn wir die Entwicklung über einen längeren Zeitraum betrachten, kann keine Rede davon sein, daß die relative Position der Frauen auf dem Arbeitsmarkt etwa ständig schlechter geworden wäre. Die Wahrheit ist, daß sich etwa in dem Zeitraum von 1978 bis 1984 die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen um über 4 % vergrößert hat, während die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Männer im gleichen Zeitraum um fast 3 % zurückgegangen ist. Wenn wir den Zeitraum seit Anfang der 70er Jahre, als der Arbeitsmarkt noch in Ordnung war und anschließend unter Ihrer Verantwortung ins Durcheinander geriet, ({3}) bis heute betrachten, dann stellen wir fest: Seit Anfang der 70er Jahre ist die Anzahl der Frauen auf dem Arbeitsmarkt um 3,7 % gestiegen, während die der Männer um 3,6 % zurückgegangen ist. Unter den Beamten, Angestellten und Arbeitern ist die Anzahl der beschäftigten Frauen sogar um über 10 % gestiegen, während die der Männer um 2,5 % zurückgegangen ist. Auch unter den selbständigen Frauen haben wir über 7 % Zuwachs und einen gleich großen Rückgang bei den Männern. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, von einer katastrophalen Entwicklung gerade der Frauenerwerbstätigkeit kann unter Berücksichtigung der Fakten überhaupt keine Rede sein, Frau Blunck. Der Umgang mit der Wahrheit ist in der Tat schwierig; das kann ich nur bestätigen. ({4}) Frau Blunck, ich wäre mit dem Ausrufen von Katastrophen zurückhaltender, erst recht dann, wenn diese Katastrophe unter der Verantwortung der eigenen Regierung eingetreten ist. ({5}) Davon sollte in diesem Zusammenhang dann gewiß auch die Rede sein. ({6}) Richtig ist, daß nach wie vor der Anteil der arbeitslosen Frauen höher ist, als es ihrem Anteil unter den Erwerbstätigen entspricht. Deswegen ist es wahr, daß es hier auch, wenn auch nicht nur, politischen Handlungsbedarf gibt. Wenn hier übrigens die Probleme, die ja kein Mensch bestreitet, wirklich allesamt politisch und gesetzlich gelöst werden könnten, dann, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, wäre es doch ein reiner Zynismus, wenn Sie in den langen Jahren Ihrer Regierungsverantwortung in Kenntnis dieses Problems und seiner Ursachen alle die Maßnahmen verweigert hätten, die Sie heute mit Tremolo in der Stimme in dieser Debatte drei Jahre nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung fordern. ({7}) Diese Regierung hat in der Tat die Versäumnisse aufgearbeitet, die in Ihrer Regierungszeit eingetreten sind. Wir haben, gerade weil es hier eine besonders hohe Nachfrage nach Teilzeitarbeit gibt, durch Flexibilisierung von Arbeitszeiten und durch arbeitsrechtliche Gleichstellung von Teilzeitarbeit mit Vollarbeitsverhältnissen die Diskriminierung gerade von Frauenerwerbstätigkeit beseitigt. Wir haben durch die Einbeziehung von Mutterschaftsgeld in das Ausgleichsverfahren nach dem Lohnfortzahlungsgesetz ({8}) eine wichtige Beschäftigungshürde gerade für Frauen auf dem Arbeitsmarkt beseitigt. Auch der Entwurf des Frauenarbeitsschutzgesetzes beseitigt eine Reihe von Behinderungen, die bisher der Beschäftigung vor allen Dingen von Frauen im Wege stehen. Wir stellen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, meine verehrten Damen und Herren, einen Anstieg des Frauenanteils an der Gesamtzahl fest. Dasselbe gilt für den Bereich von Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Wir schaffen beim Unterhaltsgeld die Möglichkeit der zeitlichen Verlängerung. Die in der Beratung befindliche Siebte Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz ermöglicht die Zahlung von Teilzeitunterhaltsgeld gerade für diejenigen Frauen wie Männer, die auf Grund des Ausscheidens aus dem Beruf und gleichzeitigen Familienpflichten einen ganztägigen Erwerbsberuf nicht ausüben können. Wir und nicht Sie eröffnen die Möglichkeit der Zahlung von Unterhaltsgeld auch für diejenigen, die überhaupt noch keinen Anspruch nach dem Arbeitsförderungsgesetz begründen konnten. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß durch Fakten, durch Handlungen und nicht durch Worte die Versäumnisse aufgearbeitet werden, die Sie in den vergangenen Jahren nur lebhaft beschworen haben. Es trifft sich gut, daß gerade heute der Bundestag in zweiter und dritter Lesung zum erstenmal in seiner Geschichte mit dem Abbau der Diskriminierung derjenigen Tätigkeiten beginnt, die sich auf gesellschaftlich wichtige Bereiche beziehen, ohne als Erwerbsarbeit anerkannt zu werden. Dies haben Sie jahrelang versäumt. Deswegen steht Ihnen die geringste Legitimation zu, sich hier als Advokat von diskriminierten Berufsgruppen und Gesellschaftsgruppen aufzuführen. Danke schön. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Zunächst einmal habe ich die angenehme Pflicht, dem Abgeordneten Rohde ({0}), der am 9. November 60 Jahre alt geworden ist, sehr herzlich zu gratulieren. ({1}) Außerdem darf ich der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Frau Berger, der gelegentlich auch Vizepräsident Cronenberg „Kummerkasten der Nation" genannt wird, die gestern ebenfalls einen runden Geburtstag gefeiert hat, von dieser Stelle aus im Namen des Hauses herzlich gratulieren. ({2}) Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen mitteilen, daß für den ausgeschiedenen Abgeordneten Vogt ({3}) die Fraktion DIE GRÜNEN den Abgeordneten Suhr für den Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes als stellvertretendes Mitglied vorschlägt und daß aus dem Vermittlungsausschuß der Abgeordnete Dr. Schmude ({4}) als stellvertretendes Mitglied ausscheidet. Die Fraktion der SPD schlägt Ihnen als Nachfolger den Abgeordneten Dr. Penner vor. Ich frage, ob das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden ist. - Das scheint der Fall zu sein. Damit sind die Abgeordneten Suhr und Dr. Penner als stellvertretende Mitglieder im Vermittlungsausschuß bestimmt worden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorgelegten Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung" aufgeführt: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der ambulanten und teilstationären Versorgung psychisch Kranker - Drucksache 10/4219 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({5}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes - Drucksache 10/4220 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({6}) Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Verbesserung und Ergänzung sozialer Maßnahmen in der Landwirtschaft ({7}) - Drucksache 10/3483 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({8}) - Drucksache 10/4246 - Berichterstatter: Abgeordneter Kirschner b) Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/4254 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Strube Frau Seiler-Albring Dr. Müller ({10}) ({11}) Beratung des Antrags des Abgeordneten Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN Grundrente statt Altersarmut und sozialer Ungerechtigkeit in der Altershilfe für Landwirte - Drucksache 10/4209 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({12}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte, soweit dies erforderlich ist, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Weiter besteht interfraktionell Einigkeit darüber, die Punkte 9 a und 15 abzusetzen. Punkt 23 soll am Freitag nach Zusatzpunkt 8 aufgerufen werden. Ich frage das Haus, ob Sie mit diesen interfraktionellen Vereinbarungen einverstanden sind. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 2 aufrufe, komme ich auf den heute morgen von mir angekündigten Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zurück. Wird zu diesem Antrag das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - Das ist der Fall. Herr Abgeordneter Bueb, Sie haben das Wort.

Eberhard Bueb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000293, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Ich beantrage nach § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung eine Änderung der Tagesordnung. Die beiden Großen Anfragen meiner Fraktion „Naturbeeinträchtigung durch Rüstung und Militär in der Bundesrepublik Deutschland" sowie „Umweltschutz und Bundeswehr" sollen im Rahmen der Regierungserklärung „30 Jahre Bundeswehr" mitbehandelt werden. ({0}) Begründung: Bei der Geschäftsführerbesprechung wurde ursprünglich vereinbart, diese beiden Anfragen bei der Regierungserklärung mit zusätzlicher Redezeit meiner Fraktion mitzubehandeln. ({1}) Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU, Dr. Bötsch, legte im Ältestenrat dagegen Widerspruch ein mit der Begründung, die politische Stoßrichtung der GRÜNEN sei ja ziemlich klar, d. h. im Klartext, sie wollten sich wieder einmal als Nestbeschmutzer betätigen. ({2}) Man könne ja die beiden Großen Anfragen so gegen 22 Uhr auf die Tagesordnung setzen, denn dann nehme weder die Presse noch das Fernsehen davon Notiz. Damit ist klar, welche Absicht von Ihnen verfolgt wird: Die Jubelfeier und das glänzende Bild der Bundeswehr sollen möglichst unbefleckt über die Bühne gehen, Kritik ist nicht erwünscht. ({3}) Wenn man die Kritik schon nicht ganz mundtot machen kann, wird sie so plaziert, daß die ÖffentBueb lichkeit davon möglichst wenig erfährt. Das ist die Freiheit, die Sie meinen. Sie wollen möglichst die Kritik von einer Einrichtung fernhalten, die letzten Endes nur dazu besteht, Menschen und Natur zu vernichten, die natürlichen Ressourcen sinnlos zu verbrauchen und der Dritten Welt die Lebensgrundlage zu entziehen. ({4}) Nirgendwo auf der Welt lagern mehr Atomwaffen pro Quadratkilometer als in der Bundesrepublik Deutschland.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie erinnern sich daran, daß Sie zur Geschäftsordnung sprechen wollten?

Eberhard Bueb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000293, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme gleich zum Schluß. Nach Meinung der Bundesregierung aber ist die Bundeswehr die größte Friedensbewegung und der größte Umweltschützer in der Bundesrepublik. ({0}) Aufgabe der Bundeswehr sei es, Frieden und Freiheit zu sichern. Sie sei auch bemüht, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu erhalten. Daß das ein ausgemachter Unsinn ist, werden wir in der Diskussion um die Großen Anfragen beweisen. Deshalb fordere ich Aufsetzung der Beratung dieser Großen Anfragen auf die Tagesordnung und sofortige Beratung. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag der GRÜNEN abzulehnen. Wir werden im Anschluß an die Regierungserklärung des Bundeskanzlers heute eine Debatte führen, in der wir das 30. Jubiläum der Bundeswehr, ihre Stellung in Staat und Gesellschaft und im Bündnis würdigen wollen. Es wäre eine Verfälschung des Themas und es würde der Bedeutung dieses wichtigen Datums nicht gerecht, wenn wir die beiden Großen Anfragen der GRÜNEN damit verknüpfen würden. ({0}) Die Begründung, die Sie vorgetragen haben, macht deutlich, worum es Ihnen geht: Sie haben leider ein gebrochenes Verhältnis nicht nur zum demokratischen Rechtsstaat, sondern auch zur Bundeswehr. ({1}) Wir werden eine Verfälschung der heutigen Debatte nicht zulassen. Im übrigen darf ich nur darauf hinweisen, daß wir uns im Ältestenrat mit dieser Frage beschäftigt haben, daß wir im Ältestenrat nach Ablehnung Ihrer Anträge eine klare Vereinbarung getroffen haben. Wir nehmen zur Kenntnis, daß Sie nicht bereit sind, sich an diese Abmachungen zu halten. ({2}) Herr Präsident, nach der Geschäftsordnung ist es offensichtlich streitig, ob es ein Recht der Fraktion DIE GRÜNEN auf Aufsetzung dieser beiden Punkte auf die Tagesordnung gibt. Es gibt keinen Anspruch darauf, diese Fragen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu behandeln. Wir sollten im Ältestenrat darüber reden. Eine Verknüpfung mit der Debatte heute vormittag lehnen wir entschieden ab. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Porzner.

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Bueb, ich muß sowohl Ihrem Antrag widersprechen - der Geschäftsordnung wegen ({0}) als auch der Begründung, die Sie eben gegeben haben. Die Fraktion der GRÜNEN weiß nicht, was sie will. Sie haben bei der Vorberatung über die Tagesordnung für diese Woche im Ältestenrat zuerst den Wunsch geäußert, diese Punkte auf die Tagesordnung zu setzen, d. h. die Beratung über die beiden Großen Anfragen. Das haben wir getan. Wir haben uns im Ältestenrat allerdings nicht darüber verständigt, wann die Beratung stattfinden soll; denn auch meine Fraktion ist, nachdem wir mit unseren Fachleuten gesprochen haben, gegen eine Verbindung mit der Debatte heute morgen. Nach der Ältestenratssitzung hat Ihre Fraktion die Beratung über die beiden Großen Anfragen von der Tagesordnung wieder absetzen lassen mit der Begründung, daß über sie nicht im Zusammenhang mit dieser Debatte beraten werden solle. ({1}) - Doch, so war das. Deswegen ist das j a wieder abgesetzt worden; sonst könnte es der Präsident nach der Geschäftsordnung gar nicht absetzen. ({2}) Wir sind der Meinung, daß diese Punkte - unsere Geschäftsordnung gibt dafür jedenfalls nichts her - heute nicht wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden können. Debatten müssen vorbereitet werden. Dafür gibt es Ältestenratssitzungen, dafür gibt es Vorbesprechungen. Da kann man nicht am Abend vorher mit dem Antrag kommen, die Beratung über die beiden Großen Anfragen am nächsten Vormittag durchzuführen, und das damit begründen, daß die Geschäftsordnung dafür Handhaben hergebe. Das tut sie nämlich nicht; sonst könnte jede Fraktion jede Debatte, jede Tagesord13006 nung, die im Ältestenrat vorbereitet worden ist, durch den Antrag auf Aufsetzung der Beratung über Große Anfragen auf die Tagesordnung beliebig durcheinanderbringen. Ich sage nicht: stören. Das ist nicht der Sinn und das entspricht nicht dem Wortlaut unserer Geschäftsordnung. Aus all den Gründen müssen wir Ihren Antrag ablehnen. Wenn Sie über diese Dinge in der nächsten Sitzung diskutieren wollen, steht Ihnen dazu das Recht nach unserer Geschäftsordnung zu. Außerdem können Sie heute im Rahmen dieser Debatte über alles reden, was Sie besprechen möchten; das Thema „30 Jahre Bundeswehr" sieht keinerlei Einschränkungen vor. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt darüber abstimmen, ob die Große Anfrage der GRÜNEN in verbundener Debatte mit der Regierungserklärung beraten werden soll oder nicht. ({0}) Wer ist für die beantragte verbundene Debatte? Ich bitte um das Handzeichen. - Danke schön. Wer ist dagegen? - Danke schön. Damit ist der Antrag abgelehnt. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung 30 Jahre Bundeswehr Hierzu liegt Ihnen auf Drucksache 10/4237 ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung drei Stunden vorgesehen. Ich erteile nun dem Bundeskanzler das Wort.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Bundeswehr besteht jetzt seit drei Jahrzehnten. Ich darf diesen 30. Geburtstag der Bundeswehr zum Anlaß nehmen, namens der Bundesregierung allen aktiven und allen ehemaligen Soldaten unserer Streitkräfte für die Bundesrepublik Deutschland Dank auszusprechen. ({0}) Unsere Soldaten haben sich um die Freiheit unseres Landes und um den Frieden verdient gemacht. ({1}) Die Entscheidungen, die vor 30 Jahren getroffen wurden, hatten historische Tragweite. Der Weitsicht der damaligen Bundesregierung unter Konrad Adenauer verdanken wir den Frieden und auch die Freiheit bis in unsere Zeit. ({2}) Die Bundeswehr hat sich als Mittel deutscher Bündnis- und Sicherheitspolitik bewährt, ({3}) und sie hat wesentlich zur Friedenserhaltung in Europa beigetragen. Damit untrennbar verbunden ist der Aufstieg unserer freiheitlichen Republik zu einem anerkannten und angesehenen Partner in der internationalen Staatengemeinschaft. Die Gründung der Bundeswehr und der Beitritt zum Nordatlantischen Bündnis im Jahre 1955 schufen damals mit die Voraussetzungen für die Souveränität und damit für die internationale Gleichberechtigung der Bundesrepublik Deutschland. Die freiheitlichen Demokratien des Westens, unsere Partner und Freunde, erkannten und handelten danach: Westeuropa braucht, um frei zu bleiben, eine stabile, freiheitliche Demokratie in Deutschland, so wie der Schutz durch unsere Partner für den Bestand unserer eigenen Freiheit unentbehrlich ist. Der Ausgang des Zweiten Weltkrieges hatte 1945 eine Machtverteilung in Europa geschaffen, die eine Zusammenfassung der freiheitlichen Kräfte dringend gebot. Nur zehn Jahre nach dem Ende von Krieg und Diktatur erhielten wir im freien Teil unseres Vaterlandes die Chance, in diesem Bündnis mitzuwirken. Wir sollten diesen Vertrauensbeweis niemals geringschätzen. ({4}) Auch heute, meine Damen und Herren, sind wir für die gemeinsame Verteidigung Westeuropas auf das Zusammenwirken mit alliierten - vor allem auch amerikanischen - Streitkräften in unserem eigenen Lande angewiesen, und ebenso wie vor 30 Jahren brauchen wir dafür eine starke, eine zuverlässige Bundeswehr. Diese Bundeswehr trägt zugleich entscheidend zum deutschen Gewicht, zum deutschen Einfluß im Bündnis bei. Der deutsche Beitrag zur Verteidigungsgemeinschaft des Westens hat unsere politische Handlungsfreiheit wesentlich erweitert. Wir haben neuen Raum gewonnen für eine schöpferische Gestaltung unserer auswärtigen Politik - mit dem klaren Ziel, einen Beitrag für eine dauerhafte Friedens- und Freiheitsordnung in Europa zu leisten. Vor 30 Jahren, meine Damen und Herren, konnten nur wenige diese historischen Perspektiven voll ermessen. Damals, bei der Aufstellung der Bundeswehr, ging es vor allem um zweierlei: um die kurzfristige Schaffung einsatzfähiger Verbände und um die möglichst schnelle Eingliederung der neuen Streitkräfte in unseren freiheitlichen Staat. Die Bundeswehr ist die erste deutsche Armee, die sich vom Tag, ja von der Stunde ihrer Gründung an der demokratischen Ordnung, der Verfassung unserer Republik verpflichtet fühlte. Sie hat sich ohne jeden Vorbehalt in diese offene, pluralistische Gesellschaft eingefügt. Nichts bringt dies deutlicher zum Ausdruck als das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Pflichten wie Rechte des Soldaten sind bei uns in einem freiheitlichen, in einem rechtsstaatlichen Geist geregelt. Die Bundeswehr ist mit ihrem Verfassungsauftrag zur Landesverteidigung wie alle anderen Staatsorgane auch an Recht und Gesetz gebunden. Ebenso haben alle Soldaten - gleich welchen Ranges - das Gesetz zu achten und zu wahren. Heute, meine Damen und Herren, dürfen wir dankbar feststellen: Unsere Verfassung und die innere Ordnung, die der Bundestag als Gesetzgeber den Streitkräften gegeben hat, haben sich in den drei Jahrzehnten auch in der Bundeswehr, in ihrem Alltag bewährt. ({5}) Kern dieser Ordnung ist der Wehrdienst, der auf der allgemeinen Wehrpflicht beruht. Unser erster Bundespräsident, Theodor Heuss, hat die Wehrpflicht aus gutem Grund „das legitime Kind der Demokratie" genannt. Bei der Wehrpflicht in der Demokratie geht es um den Dienst des freien Bürgers für die Gemeinschaft freier Bürger. ({6}) Die allgemeine Wehrpflicht geht in Deutschland auf die Epoche der Freiheitskriege im 19. Jahrhundert zurück. In Preußen waren ihre wichtigsten Befürworter der Staatsreformer Freiherr vom Stein und der General von Scharnhorst, der die Heeresreform leitete und der ein Volksheer schaffen wollte. Scharnhorst, an dessen 200. Geburtstag die Bundeswehr vor 30 Jahren gegründet wurde, bekannte sich wie viele andere zu dem Prinzip: Eine Gemeinschaft muß sich selbst verteidigen, wenn sie Gefahr von außen abwehren will. ({7}) So wurde der allgemeine Wehrdienst als patriotische Pflicht zum Schutze des eigenen Staates verstanden. Die Bürger empfanden ihn weniger als Einschränkung, sondern eher als eine Erweiterung ihrer Rechte. Die allgemeine Wehrpflicht ist eine der bedeutenden politischen Überlieferungen deutscher Freiheits- und Einigungsbewegungen. Unter den schwarzrotgoldenen Truppenfahnen unserer Bundeswehr wird diese Tradition aus gutem Grund lebendig erhalten. ({8}) Die allgemeine Wehrpflicht wurde 1956 von neuem eingeführt. ({9}) Sie ist, wie es das Bundesverfassungsgericht in einer wichtigen Entscheidung des vergangenen Jahres formuliert hat, in unserer Verfassungsordnung „demokratische Normalität". Wer den Wehrdienst leistet, so heißt es in der Urteilsbegründung, kommt „der verfassungsmäßig verankerten Pflicht" des Staatsbürgers nach, „sich an einer bewaffneten Landesverteidigung und damit insoweit an der Sicherung der staatlichen Existenz zu beteiligen". ({10}) Wehrdienst ist, so verstanden, bürgerschaftlicher Friedensdienst für unsere freiheitliche Grundordnung. Erst dieser Verfassungsdienst schafft Sicherheit und damit die Voraussetzung dafür, daß wir auch das Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen glaubhaft und wirksam gewährleisten können. ({11}) Meine Damen und Herren, wir haben dieses Recht als einziges Land der Welt in unsere Verfassung aufgenommen - aus geschichtlicher Erfahrung; denn unter der Hitler-Diktatur waren junge Männer hingerichtet worden, weil sie sich aus Gewissensgründen geweigert hatten, den Dienst mit der Waffe zu tun. Wir respektieren Gewissensentscheidungen, wir respektieren die persönliche Haltung junger Männer, die aus Gewissensgründen keinen Wehrdienst leisten wollen. Mit der Neufassung des Zivildienstgesetzes haben wir auch in diesem Bereich für mehr Gerechtigkeit gesorgt. Bei meinem Besuch in den Bethelschen Anstalten im März dieses Jahres habe ich für die Bundesregierung unsere Anerkennung für den oft nicht einfachen Ersatzdienst zum Ausdruck gebracht. Aber die Entscheidung gegen Wehrdienst und Armee kann immer nur eine Gewissensentscheidung des einzelnen sein. ({12}) Sie kann nicht zur Maxime für die Politik unseres Staates erhoben werden. ({13}) Niemand von uns - ich sage: niemand - hat das Recht, unserer Republik und damit unserem Staat und unserer Gesellschaft aufzuerlegen, waffenlos zu sein. In der Welt, in der wir Deutschen leben - in der Mitte Europas, an der Trennlinie zwischen Ost und West -, würde das zugleich bedeuten, wehrlos zu sein. Wehrlosigkeit aber, meine Damen und Herren, so lehrt die Geschichte, sichert den Frieden niemals, sondern ermutigt zur militärischen Lösung politischer Konflikte. ({14}) Die große Mehrheit unserer Bürger billigt und unterstützt die allgemeine Wehrpflicht und den Verteidigungsbeitrag der Bundeswehr zur Freiheit in Europa. Erst kürzlich wurde in einer umfassenden demoskopischen Untersuchung festgestellt, daß 86 % unserer Bevölkerung und 78 % der 16- bis 24jährigen im Wehrdienst einen Dienst am Frieden sehen. Das hat sicher auch damit zu tun, daß die Bundeswehr in den 30 Jahren ihres Bestehens zu einer wirklichen Bürgerarmee geworden ist: Viele Millionen Mitbürger haben als Wehrpflichtige in den Streitkräften gedient. 2,5 Millionen ehemalige Soldaten sind heute Reservisten; viele von ihnen nehmen regelmäßig an Übungen teil. 495 000 Soldaten stehen derzeit im aktiven Dienst der Bundeswehr. Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, daß die Bürger unserer Republik die Verteidigung der Freiheit und die Sicherung des Friedens als ihre Aufgabe angenommen haben. Die Bundeswehr ist Bürgerwehr im besten Sinne des Wortes geworden. ({15}) Sie steht heute nach Ausbildung und Ausrüstung mit an der Spitze der Armeen im Bündnis. Unsere Soldaten beweisen Leistungswillen und Verläßlich- keit, Verantwortungsbewußtsein und Einsatzfreude im täglichen Dienst ebenso wie bei großen Manövern oder internationalen Wettbewerben. Ihr militärisches Können wird im Westen anerkannt und von unseren östlichen Nachbarn respektiert. Bei Katastropheneinsätzen im In- und Ausland - in diesem Jahr zuletzt in Äthiopien und im Sudan - zeigt die Bundeswehr auch immer wieder, daß sie in schwierigen Lagen schnell und wirksam helfen kann. Auch das gehört für uns zum Verständnis der Bundeswehr als Friedensarmee. ({16}) Meine Damen und Herren, wir haben allen Grund, auf diese Soldaten stolz zu sein. ({17}) Aufbau und Leistungen der Bundeswehr sind in besonderem Maße auch das Verdienst derer, die Sie seit 1955 als Verteidigungsminister in der politischen Verantwortung gesehen haben und die schwere Verantwortung tragen mußten. Ich nenne Theodor Blank, Franz Josef Strauß, Kai-Uwe von Hassel, Gerhard Schröder, Helmut Schmidt, Georg Leber, Hans Apel und Manfred Wörner. ({18}) Die Bundesregierung wird auch in Zukunft die Mittel bereitstellen, die die Bundeswehr zur Erfüllung ihres Auftrages braucht. Wir haben diese Verpflichtung nicht nur gegenüber den Menschen unseres Landes und dem Bündnis, sondern gerade auch gegenüber unseren jungen Mitbürgern in Uniform. Wir wissen, daß die Soldaten Lasten auf sich nehmen müssen, die in anderen Bereichen unserer Gesellschaft nicht in gleicher Weise gefordert werden. So leisten über 70 % der Angehörigen der Bundeswehr mehr als 52 Stunden Dienst in der Woche. Oft sind sie auch an Wochenenden dienstverpflichtet. Sie müssen Trennungen von der Familie, sie müssen Versetzungen über weite Distanzen in Kauf nehmen. Solchen Dienst, meine Damen und Herren, können wir von unseren Soldaten nur verlangen, wenn wir uns ernsthaft auch ihrer Sorgen, ihrer Wünsche annehmen. Ich denke dabei an die alltäglichen Sorgen, die manchmal doch beschwerlich, ja ärgerlich werden: Mängel in der persönlichen Ausrüstung, im Blick auf die Verpflegung, Schwerfälligkeit einer viel zu großen Bürokratie und auch die menschlichen Schwächen, die ganz selbstverständlich bei Vorgesetzten auftreten können. Mit dem Wehrbeauftragten haben wir unseren Mitbürgern in Uniform hier einen aufmerksamen Partner an die Seite gegeben. Alle Soldaten können sich mit ihren Anliegen jederzeit an ihn wenden. Ich danke den bisherigen Inhabern dieses verantwortungsvollen Amtes, zuletzt Karl Wilhelm Berkhan und jetzt Willi Weiskirch, für ihren Einsatz. ({19}) Aufgeschlossenheit für die Sorgen der Soldaten müssen wir zu allererst von jedem Vorgesetzten erwarten. Ungeachtet des sicher notwendigen Prinzips von Befehl und Gehorsam muß es möglich sein, zwischen Soldaten auch menschliche Solidarität herzustellen, muß der einzelne zuverlässigen Rückhalt in der Kameradschaft, auch in der Kameradschaft mit Vorgesetzten, finden. Für die Bundesregierung erkläre ich: Wir nehmen unsere Fürsorgepflicht selbstverständlich ernst. Wir werden uns weiterhin darum bemühen, den spezifischen Belastungen des Dienstes - und dabei geht es nicht etwa nur um Dienstzeitausgleich, sondern um vieles andere mehr - gerecht zu werden und die allgemeinen Lebensbedingungen der Soldaten in einer fairen und angemessenen Weise weiter zu verbessern. ({20}) Die Bundesregierung hat mit Zustimmung des Deutschen Bundestages seit 1982 aus ihrer Verantwortung für Frieden und Freiheit wichtige Entscheidungen für die Zukunft der Bundeswehr getroffen. Insbesondere ging und geht es darum, auch über das Jahr 1989 hinaus den Personalumfang der Bundeswehr sicherzustellen. Wir haben weitreichende Beschlüsse für mehr Wehrgerechtigkeit gefaßt. Wir werden auch - und dies fällt uns ganz gewiß nicht leicht - den Grundwehrdienst ab 1989 um drei Monate verlängern. Ich erinnere ferner an das neue Personalstrukturgesetz. Es wirkt einer Überalterung der Truppenführer entgegen, die die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sonst beeinträchtigen könnte. Die Bundeswehr, meine Damen und Herren, verfügt jetzt über eine umfassende und langfristige Planung. Sie wurde im Oktober 1984 von der Bundesregierung im Grundsatz verabschiedet. Die Streitkräfte können sich bei ihren personellen und materiellen Überlegungen für das nächste Jahrzehnt an diesen Daten und Vorgaben ausrichten. Ziel dieser Planung ist es, die konventionelle Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr langfristig zu stärken. Wir verfolgen dieses Ziel in dem Bewußtsein, daß das Bündnis auf starke konventionelle Streitkräfte nicht verzichten kann und deshalb auch stets eine voll einsatzbereite Bundeswehr braucht. Vordringlich war es dabei, bestimmte Defizite - etwa bei Aufklärung, Führung und Sanitätsdienst - zu beseitigen, Lücken in der Luftverteidigung zu schließen und insgesamt jene Ausrüstung bereitzustellen, die die Bundeswehr ganz einfach für ihren Verteidigungsauftrag benötigt. Wir werden mit diesen Entscheidungen der Verantwortung gegenüber unseren Soldaten gerecht. Wir schulden es ihnen, sie ihrem Auftrag entsprechend auszustatten. ({21}) Umfang, Struktur und Ausstattung der Streitkräfte dienen ausschließlich dem Verteidigungsauftrag im Bündnis. Die Bundeswehr hat eine rein defensive Aufgabe. Alles andere widerspräche unserer Verfassung, die aggressive Handlungen ausdrücklich unter Verfassungsverbot stellt. Ziel unserer Politik und Auftrag unserer Armee sind die Verhinderung eines Krieges, welcher Art auch immer, und die Gestaltung des Friedens in Freiheit zum Wohl aller Nationen. Wir bedrohen niemanden, sondern stellen sicher, daß uns niemand wirksam bedrohen kann. ({22}) Die Verteidigungsbereitschaft der Nordatlantischen Allianz ist darauf gerichtet, einen Angriff als zu großes, als nicht tragbares Risiko erscheinen zu lassen. In diesem Risiko liegen Sinn und Zweck der Abschreckung. Dabei kommt es maßgeblich auf die Entschlossenheit der Verbündeten zur Verteidigung an. Die Bündnisstrategie der Abschreckung hat sich in dreieinhalb Jahrzehnten als Mittel der Friedenssicherung bewährt. Sie hat den Ländern der Allianz politische Handlungsfreiheit bewahrt. Wir werden im Einvernehmen mit unseren Partnern an dieser Strategie auch in Zukunft festhalten, solange es dazu keine wirkliche Alternative gibt, die den Frieden in Freiheit für uns sicherer macht. Die Politik der Bundesregierung zielt darauf ab, die Konfrontation im West-Ost-Verhältnis zu überwinden, die militärischen Potentiale beider Seiten ausgewogen und nachprüfbar zu verringern und eine Zusammenarbeit zwischen allen Staaten über die Bündnisgrenzen hinweg zu ermöglichen. ({23}) Auf diese Weise wollen wir die militärischen Mittel zur Friedenssicherung durch Dialog und Ausgleich auch und nicht zuletzt mit unseren Nachbarn im Osten ergänzen. Solange der politische Konflikt zwischen Ost und West noch nicht überwunden ist und umfassende Abrüstung nicht erreichbar ist, bleibt unser Verteidigungsbeitrag, bleibt unsere Bundeswehr als eine wesentliche Voraussetzung dazu im Bündnis unverzichtbar. ({24}) Die Bundeswehr ist eine Friedensarmee, und sie will es bleiben. Dafür, daß es zum Verteidigungsfall nicht kommt, sind in erster Linie unsere Soldaten, modern und gut ausgebildet, mitverantwortlich. Sie verdienen Achtung und Anerkennung für diesen Dienst am Frieden. ({25}) Gemeinsam mit ihnen, unserer Bundeswehr, gewährleisten Streitkräfte von NATO-Verbündeten auf deutschem Boden Stabilität in Mitteleuropa und Freiheit für uns und unsere Partner. Wir wissen, aus eigener Kraft alleine können weder wir noch unsere Nachbarn unsere gemeinsame äußere Sicherheit schützen. Nur aus der festen Position der Westbindung heraus konnte die Bundesrepublik Deutschland nach einem Interessenausgleich mit den osteuropäischen Staaten streben. Ohne dieses Sicherheitsfundament wären Bemühungen um Entspannung vergeblich, wären Initiativen in der Ostpolitik aussichtslos gewesen. Verhandlungen über Vertrauensbildung, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa setzen, um erfolgreich zu sein, gleichwertige Sicherheit voraus. ({26}) Alle Vorstellungen von einer Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas sind, wenn sie nicht von der festen Westbindung der Bundesrepublik Deutschland ausgehen, nichts anderes als eine gefährliche Illusion. ({27}) In ihrer besonders exponierten Mittellage in Europa ist die Bundesrepublik Deutschland auf den Rückhalt im Westen angewiesen, und zugleich - das ist wohl ihre historische Aufgabe - ist sie zum Brückenschlag nach Osten aufgerufen. ({28}) Doch um unsere Politik des Ausgleichs und der Mäßigung im west-östlichen Spannungsfeld zukunftsweisend gestalten zu können, bedürfen wir in besonderer Weise 'der Solidarität unserer Bündnispartner. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, gewinnt unser Beitrag zu den gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen sein ganz besonderes Gewicht. Die Bundeswehr stellt das stärkste Heereskontingent an unserer Grenze zum Warschauer Pakt. Unser Heer hat mehr als die Hälfte dieser rund 1 750 Kilometer zu verteidigen. Unsere Luftwaffe stellt für die Allianz zur Zeit die Hälfte der bodengebundenen Luftverteidigungskräfte und mehr als 30 % der Kampfflugzeuge in Mitteleuropa. 70% der Seestreitkräfte des Bündnisses in der Ostsee kommen von der Bundesmarine. Dies ist ein hoher, unserer eigenen Friedenssicherung allerdings angemessener Anteil an der Verteidigung Europas. Dieser deutsche Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit - ich unterstreiche es nochmals - unterstützt auch, schützt auch unsere westlichen Nachbarn. Meine Damen und Herren, bis handfeste und nachprüfbare Verhandlungsergebnisse zwischen West und Ost vorliegen, bis die Konfrontation abgebaut werden kann und die Sicherheit mit weniger Waffen verbürgt wird, dürfen wir in unseren Verteidigungsanstrengungen nicht nachlassen. Wir werden das Sicherheitserbe der letzten 30 Jahre nicht aufs Spiel setzen. ({29}) So eindeutig und klar diese Politik auch ist, die Bundesregierung strebt intensiv danach, für alle Völker Europas die Last der Rüstung zu mindern und den Ausgleich zwischen West und Ost zu fördern. Die Erfolgsaussichten für die Rüstungskontrollverhandlungen auf allen Ebenen haben sich verbessert. Dazu hat auch beigetragen, daß wir bei der Ausführung des NATO-Doppelbeschlusses von 1979, den die damalige Bundesregierung unter der Führung meines Vorgängers mit herbeigeführt hat, die notwendige Festigkeit bewiesen haben. Ende 1983 mußte damit begonnen werden, neue amerikanische Mittelstreckenwaffen in der Bundesrepublik Deutschland, in Großbritannien und Italien zu stationieren. Die Weigerung der Sowjetunion, ihre einseitig aufgestellten SS-20-Raketen wieder abzubauen, ließ uns, wie jeder weiß, keine andere Wahl. Diese konsequente Antwort war beispielhaft für die politische Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit des Bündnisses. Belgien und jetzt auch die Niederlande sind dem Beispiel der Partner gefolgt. Wir werden an den Verhandlungsvorschlägen der Vereinigten Staaten in Genf und denen des Bündnisses vor allem in Wien und Stockholm weiter mitwirken. Die Bundesregierung läßt keine Chance aus, die besonderen Anliegen der Deutschen diesseits und jenseits der Grenze zwischen Ost und West zur Geltung zu bringen. ({30}) Wir haben aktiv zu den jüngsten Vorschlägen der Vereinigten Staaten in Genf wie auch zu früheren Vorschlägen beigetragen, um die Verhandlungen zwischen den Großmächten nach besten Kräften zu fördern. Wir sind aufgeschlossen für jede Initiative, die wirkliche Fortschritte in Verhandlungen über Rüstungsbegrenzungen und Abrüstung fördert. ({31}) Gemeinsam mit unseren Verbündeten werden wir dabei immer darauf achten, daß Verhandlungsergebnisse dem Kräftegleichgewicht und der Stabilität dienen und den westeuropäischen Sicherheitsbedürfnissen gerecht werden. Unser vitales Interesse an gleichwertiger Sicherheit im Verhältnis zu den Großmächten und zu den osteuropäischen Staaten muß auch in Zukunft gewahrt sein. ({32}) Voraussetzung dafür ist, daß die strategische Einheit des Bündnisgebietes und die Solidarität der Alliierten erhalten bleiben. Unsere Bundeswehr ist der entscheidende Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Sicherheitspolitik geworden. Ohne diesen Beitrag, ohne die Leistungen unserer Soldaten hätte die Bundesrepublik Deutschland auch keinen Einfluß auf die Gestaltung der Politik und der Strategie des Nordatlantischen Bündnisses. Die Entwicklung der West-Ost-Beziehungen und die Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle würden ebenfalls an uns vorbeigehen. Auch deshalb gebe ich diese Erklärung für die Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag ab, und wir alle sollten uns darüber einig sein: Die Bundeswehr ist unentbehrlich für die politische Handlungsfreiheit der Bundesrepublik Deutschland. ({33}) Sie bleibt der Garant für die Sicherheit unseres Staates und die Freiheit seiner Bürger. Alle Soldaten haben daran einen ganz persönlichen Anteil. Dies gilt vor allem für unsere wehrpflichtigen Mitbürger in Uniform. Es gilt für die Unteroffiziere und Offiziere in Spezialfunktionen ebenso wie für die Kommandeure auf allen Ebenen; es gilt für die Inspekteure der Teilstreitkräfte ebenso wie für den Generalinspekteur der Bundeswehr. ({34}) Ihnen allen will ich ein herzliches Dankeswort sagen und meine Anerkennung für ihren Einsatzwillen aussprechen. In diesen Dank schließe ich die Soldaten der Reserve ein, die für ihre Wehrübungen häufig persönliche Opfer bringen müssen. Unsere Streitkräfte können ohne diesen Dienst der Reservisten ihren Auftrag nicht erfüllen. ({35}) Mein Dank gilt auch all denen, die als Zivilbedienstete in der Bundeswehr die Streitkräfte und ihren Verteidigungsauftrag mit ihrer täglichen Arbeit unterstützen. ({36}) Die Bundeswehrverwaltung hat an Aufbau und Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte einen ganz bedeutenden Anteil. Gerade das Zusammenwirken von Soldaten und Zivilbediensteten in der Landesverteidigung ist ein besonderes Kennzeichen der Integration unserer Streitkräfte in den demokratischen Staat. Ich möchte an diesem Tag auch den vielen Bürgerinnen und Bürgern herzlich danken, die unsere Bundeswehr - im Alltag und häufig bei lästigen Übungen und Manövern - mit Wohlwollen und größter Hilfsbereitschaft unterstützen. ({37}) Die Bundeswehr ist in den 30 Jahren ihres Bestehens den Weg gegegangen, den die Gesetzgebung, der Bundestag und der Bundesrat, in jenen Jahren vorgezeichnet hat. Sie hat den übernommenen Auftrag vorbildlich erfüllt. Wir alle, die Bürger der Bundesrepublik, können uns auf die Bundeswehr verlassen. Ebenso gilt: Unsere Soldaten können sich auf die Solidarität der Demokraten in unserer Republik verlassen. ({38})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag gedenkt in der ihm gemäßen Weise, nämlich in Form einer Aussprache über eine RegierungserkläDr. Vogel rung, des 30. Jahrestags der Gründung der Bundeswehr. Wir begrüßen das. Denn ein solcher Jahrestag gibt Anlaß, die bisherigen Leistungen der Bundeswehr zu würdigen und vor der Öffentlichkeit über den Zustand der Bundeswehr, ihr Selbstverständnis und ihre Funktion innerhalb unseres demokratischen Gemeinwesens Rechenschaft abzulegen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben das soeben aus der Sicht der Bundesregierung und damit auch aus der Sicht der Parlamentsmehrheit getan. Ich tue es jetzt aus der Sicht der sozialdemokratischen Opposition. Dabei werden Übereinstimmungen, aber auch Gegensätze deutlich werden. Zunächst stelle ich fest: Auch in der Opposition fühlen wir Sozialdemokraten uns für die Bundeswehr mitverantwortlich. ({0}) Diese Bundeswehr - darin stimmen wir überein - ist nicht die Armee der Regierung oder gar die Armee einer Partei, diese Bundeswehr ist die Armee des ganzen Volkes. ({1}) Wir stimmen auch in der Feststellung überein, daß es eine schwerwiegende Beeinträchtigung unserer verfassungsmäßigen Ordnung wäre, wenn sie diesen Charakter verlöre. An den Beginn meiner Ausführungen stelle ich - ebenso wie die Bundesregierung - ein Wort des Dankes. Ich danke allen Soldaten und Zivilbeschäftigten, die in den vergangenen 30 Jahren in den Streitkräften ihre Pflicht getan und damit ihren Beitrag zur Kriegsverhütung und in vielen Fällen zur Katastrophenabwehr und zur Katastrophenhilfe geleistet haben. ({2}) In diesen Dank schließe ich die Familien und insbesondere die Frauen der Soldaten ein, die in dieser Zeit die Folgen hoher Dienstzeitbelastungen und vielfacher Umzüge und damit zusätzlicher Anstrengungen auf sich genommen haben. ({3}) Ich gedenke auch der 2 000 Bundeswehrangehörigen, die seit dem Jahr 1955 im Dienst ihr Leben verloren haben. Ich danke bei der gleichen Gelegenheit den Zivildienstleistenden. Auch sie tun ihren Dienst seit 25 Jahren. Auch sie haben einen wichtigen Beitrag zur sozialen Stabilität unseres Gemeinwesens geleistet, ({4}) so etwa durch die konkrete Sorge um alte Mitbürgerinnen und Mitbürger und die dadurch bewirkte Verbesserung des Verhältnisses zwischen den Generationen in unserem Volk. ({5}) Den Dank an die Bundeswehr verbinde ich mit einer Feststellung, die uns mit Befriedigung erfüllt, nämlich mit der Feststellung, daß unser Volk mit der Bundeswehr erstmals über eine Armee verfügt, die sich als Teil unserer Gesellschaft versteht, die nicht Staat im Staate ist und es auch nicht sein will, die den Primat der Politik und den zivilen Oberbefehl anerkennt und sich ihm bewußt unterordnet. ({6}) Umgekehrt hat unser Volk gelernt, im Soldaten den Bürger in Uniform zu sehen, nicht den Repräsentanten einer außerhalb oder auch nur neben der Verfassung stehenden Macht. Wir Sozialdemokraten bejahen dieses Selbstverständnis der Bundeswehr, und wir bejahen die Bundeswehr und das Atlantische Bündnis, in das sie seit ihrer Gründung eingegliedert ist, als Instrumente der Kriegsverhütung. Der Parteitag als das höchste Organ der deutschen Sozialdemokraten hat das zuletzt im vergangenen Jahr bekräftigt. Es heißt in dem Beschluß: Die Bundesrepublik bleibt politisch und militärisch eingebunden in der Europäischen Gemeinschaft und in der NATO. Sie findet das für uns erreichbare Maß an Sicherheit nur mit ihren Partnern und nur dann, wenn sie ihre eigenen Sicherheitsinteressen innerhalb des Bündnisses definieren, einbringen und durchsetzen kann. Diese Sätze gelten. ({7}) Aber es gilt auch: Bundeswehr und Bündnis verfehlen ihren Zweck, nein, Bundeswehr und Bündnis sind gescheitert, wenn sie, wenn die Politik insgesamt das Ziel der Kriegsverhütung und Kriegsverhinderung verfehlen sollten. ({8}) Manche sagen - sie sagen es auch heute -, die deutschen Sozialdemokraten hätten von ihrer Geschichte her gegenüber der bewaffneten Macht ein zwiespältiges, ein eher ablehnendes Verhältnis. Daran ist so viel richtig, meine Damen und Herren: Wir haben die Verabsolutierung des Militärischen, wir haben insbesondere die nationalistische Übersteigerung der militärischen Macht, wir haben Mili- tarismus stets abgelehnt und sehen darin auch heute noch Ursachen unserer nationalen Katastrophe. ({9}) Wir haben uns auch mit Entschiedenheit gegen ein Armeeverständnis gewandt, aus dem heraus beispielsweise preußische Soldaten zur Niederschlagung bürgerlicher Freiheitsbewegungen zur Zeit der Paulskirche eingesetzt worden sind, oder gegen ein militärisches und Armeeverständnis, aus dem heraus Kaiser Wilhelm II. 1891 als Kriegsherr bei einer öffentlichen Rekrutenvereinigung in Potsdam mit Blick auf die deutschen Sozialdemokraten, die damals bereits rund ein Viertel des Volkes repräsentierten, wörtlich sagen konnte: Denket daran, Rekruten, daß die deutsche Armee gerüstet sein muß gegen den inneren Feind sowohl als gegen den äußeren! Mehr denn je hebt der Unglaube und Mißmut sein Haupt im Vaterlande empor, und es kann vorkommen, daß ihr eure eigenen Verwandten und Brüder niederschießen oder -stechen müßt. Gegen ein solches Armeeverständnis haben wir uns seit unserer Gründung im Weg unserer Geschichte zur Wehr gesetzt. ({10}) Natürlich haben in der deutschen Sozialdemokratie stets auch Pazifisten einen Platz gehabt. Schon deshalb hat die Sozialdemokratie pazifistische Überzeugungen stets respektiert. Aber wir sind und waren keine pazifistische Partei. Die Forderung nach einem Volksheer, ja nach allgemeiner Wehrhaftigkeit, die an die Ideen eines Scharnhorst und an Ideen der Französischen Revolution und der Volkserhebung gegen die napoleonische Herrschaft anknüpft, findet sich im Eisenacher Programm von 1869 ebenso wie im Gothaer Programm von 1875, im Erfurter Programm von 1891 oder in den wehrpolitischen Richtlinien von 1929. Ja, Wilhelm Berkhan hat bei seiner Ansprache auf unserer eigenen Veranstaltung zum 30. Jahrestag der Bundeswehr eindrucksvoll dargelegt, daß die Forderungen dieser Richtlinien, die damals, in den 20er Jahren, in- und außerhalb der Armee als wehrfeindlich bekämpft und diffamiert wurden, nach der Katastrophe allseits anerkannt und inzwischen fast vollständig verwirklicht worden sind, ({11}) so etwa die Forderung nach der Kontrolle des Reichstags über alle Angelegenheiten der Reichswehr, nach der Sicherung der staatsbürgerlichen Rechte der Soldaten, nach der Demokratisierung des Diziplinarrechts und des Militärstrafrechts und nach einem Verbot des Einsatzes der bewaffneten Macht bei Arbeitskämpfen. Ich wiederhole: All diese Forderungen sind in den 20er Jahren als militärfeindlich, als wehrfeindlich verleumdet und diffamiert worden. Aus dieser Grundeinstellung heraus haben die deutschen Sozialdemokraten auch an der Gestaltung der Wehrverfassung und am Aufbau der Bundeswehr mitgewirkt. Gewiß, wir haben der Westintegration und der Wiederbewaffnung zunächst widersprochen. Wir haben widersprochen, weil wir davon überzeugt waren, daß dadurch die Wiedervereinigung auf unabsehbare Zeit unerreichbar werden würde. Erst die Geschichte wird das endgültige Urteil darüber sprechen, ob diese damalige Überzeugung begründet war oder nicht, ob freie Wahlen in einem Gesamtdeutschland möglich gewesen wären oder nicht. Was Gustav Heinemann und Thomas Dehler dazu in den historischen Auseinandersetzungen mit Konrad Adenauer Anfang der 50er Jahre gesagt haben, ist noch heute bedenkenswert und ein Beweis tiefer geschichtlicher Verantwortung unserem Volk gegenüber. ({12}) Ebenso verantwortungsbewußt war aber die Haltung der Sozialdemokraten, nachdem die Entscheidungen gefallen waren. Adolf Arndt hat dieser Haltung schon 1957 von dieser Stelle aus mit folgenden Worten Ausdruck gegeben. Er hat gesagt: Keiner von uns sollte sich im unklaren sein, welche geschichtliche Gefahr in der bitteren Tragik lauert, daß der Aufbau der Bundeswehr im Vollzuge einer Politik geschehen muß, die von der sozialdemokratischen Opposition nach bestem Wissen und Gewissen als ein die Wiedervereinigung erschwerendes Experiment nicht gebilligt werden kann, aber als demokratische Entscheidung und aus dem übergeordneten Gesichtspunkt des Wertes völkerrechtlicher Vertragstreue hingenommen werden muß. Im Einklang damit hat vor allem der unvergessene, viel zu früh verstorbene Fritz Erler maßgebenden Einfluß auf die Wehrverfassung genommen. Ihm und Richard Jaeger, dessen Engagement als wehrpolitischer Sprecher der Union in jener Zeit ich in diesem Zusammenhang, unbeschadet aller sonstigen Meinungsverschiedenheiten mit diesem Manne, mit großem Respekt erwähne, ist es zu verdanken, daß die Bundeswehr ein Bestandteil unseres demokratischen Gefüges und nicht ein Fremdkörper wurde. ({13}) Fritz Erler und - ich erwähne es noch einmal - Richard Jaeger bestanden auf dem Vorrang der zivilen Gewalt, auf der parlamentarischen Kontrolle und auf dem Institut des Wehrbeauftragten. Er unterstrich immer wieder, daß der Staatsbürger in den Streitkräften Staatsbürger bleiben, daß seine Persönlichkeit nicht gebrochen, sondern gefestigt werden müsse, und daß niemand gegen sein Gewissen zum Wehrdienst herangezogen werden dürfe. Fritz Erler bewirkte auch, daß die geltende Wehrverfassung am 6. März 1956 im Bundestag mit ganz breiter Mehrheit verabschiedet wurde. Daran, so meine ich, sollten wir uns gerade in dieser Stunde erinnern, ebenso an andere Männer der ersten Stunde. Ich nenne stellvertretend für viele andere nur Graf Baudissin, den Schöpfer des Konzepts der Inneren Führung. ({14}) Sozialdemokraten haben aber nicht nur an den Grundlagen konstruktiv mitgearbeitet, sie haben 13 Jahre lang in der Regierung unmittelbar Verantwortung für die Bundeswehr getragen. Der heutige Stand der Bundeswehr, das Ansehen, das sie im Bündnis, aber auch in der Welt und - ich füge das hinzu - auch in den Ländern Osteuropas genießt, ist nicht zuletzt auch ihr Werk, ist das Werk Helmut Schmidts, Georg Lebers und Hans Apels. Helmut Schmidt hat schon als junger Abgeordneter in der Opposition wesentliche Beiträge zur StrategiedeDr. Vogel batte geleistet. Als Bundesverteidigungsminister hat er durch seine Bestandsaufnahme die Modernisierung in Bildung und Ausbildung und Ausrüstung ermöglicht. Auf diesem Fundament haben Georg Leber und Hans Apel weitergebaut. Hans Apel hat mit der Schaffung der geltenden Heeresstruktur den Schlußstein gesetzt. ({15}) Das bleibende Verdienst Georg Lebers ist überdies, daß in seiner Person die Normalisierung des Verhältnisses zwischen den Arbeitnehmern, den Gewerkschaften und der bewaffneten Macht einen sichtbaren und, wie wir zuversichtlich hoffen, un-umkehrbaren Ausdruck gefunden hat. ({16}) Ich füge hinzu: Für die Sicherheit unseres Gemeinwesens bedeutet diese Normalisierung des Verhältnisses zwischen Arbeitnehmerschaft und bewaffneter Macht mehr als die Stationierung einiger nuklearer Raketen. ({17}) Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen, meine Damen und Herren. Georg Leber ist nicht zufällig Sozialdemokrat und nicht zufällig seit 1962 Mitglied unseres Parteivorstandes. Er hatte und hat in einzelnen Punkten einen besonderen Standpunkt. Aber alle irren sich, die glauben, ihn gegen seine eigene Partei in Anspruch nehmen zu können. Außerdem rührt seine ungebrochene Beliebtheit bei der Bundeswehr nicht daher, daß er forsche Reden gehalten hätte, sie rührt daher, daß er auch in kritischen Situationen an sich die gleichen, nein, strengere Maßstäbe angelegt hat als an seine Untergebenen. Auch für dieses Beispiel ist diesem Manne zu danken. ({18}) Die Sicherheitspolitik, die Fragen nach dem richtigen Weg zur Friedenssicherung ist in den letzten Jahren stärker als früher zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion und des politischen Meinungskampfes geworden. In Anbetracht des andauernden Rüstungswettlaufs und der Gefahr seiner Ausdehnung auf den Weltraum kann das nicht verwundern. Ja, es wäre geradezu anormal, es wäre Anlaß zu größter Besorgnis, wenn die Tatsache, daß die Waffentechnik erstmals in der Geschichte der Menschheit die Zerstörung ganzer Kontinente, ja die Auslöschung des Lebens auf unserem Planeten in den Bereich des Möglichen gerückt hat, in unserem Volk und unter den Völkern insgesamt keinen Widerhall fände und angesehen würde, als ob es sich um eine x-beliebige Entwicklung handeln würde. ({19}) In diesem Vorgang liegen die Wurzeln einer Bewegung, die sich keineswegs auf unser Land beschränkt und die begonnen hat, das Bewußtsein in unserem Volk, aber auch in anderen Völkern zu verändern. Nicht umsonst findet beispielsweise der Vorschlag Carl Friedrich von Weizsäckers, die christlichen Kirchen sollten zu einem weltweiten Friedenskonzil zusammentreten, ein immer breiteres Echo in unserem Volk und in anderen Völkern. Nicht umsonst erfaßt diese Diskussion auch die Bundeswehr und die Menschen, die in ihr Dienst tun. Ein ehemaliger Kommandierender General der Bundeswehr trug bei einer Veranstaltung im Mai 1983 folgendes vor: Die Intensität und Furchtbarkeit eines konventionellen Krieges lassen sich hier und heute nur erahnen ... Je schrecklicher das Geschehen, um so eher wird das atomare Inferno ausgelöst, und es kommt dann zu dem wirklich nicht mehr Faßbaren, zum Unvorstellbaren ... Was am Ende übrig bleibt von dem, was zu schützen war, dazu reicht unser Vorstellungsvermögen nicht aus. Da versagen selbst die Bilder vom zerstörten Dresden. So ein Kommandierender General, der vor nicht allzulanger Zeit in den Ruhestand getreten ist. Ich sage: Der General hat doch recht. Er weiß doch, wovon er redet. Außerdem: Man kann nicht einerseits rühmen, daß die Bundeswehr ein integraler, ja ein selbstverständlicher und offener Bestandteil unserer Gesellschaft sei, und dann beklagen, daß gesellschafliche Diskussionsprozesse auch die Bundeswehr erreichen und sich mit der Bundeswehr auseinandersetzen. ({20}) Eine solche Haltung wäre widersprüchlich und deshalb nicht redlich. Im Gegenteil: Wir müssen von den Angehörigen der Bundeswehr erwarten, daß sie an diesen Diskussionen, daß sie an dem Ringen um den richtigen Weg zur Friedenssicherung teilnehmen und in diese Diskussion ihre Erfahrung und ihre Sachkenntnis einbringen. Wir müssen erwarten, daß die Soldaten der Bundeswehr und auch die Offiziere bei derartigen Diskussionen auch unbequeme Meinungen ertragen, j a daß sie sich in Frage stellen lassen und auf diese Fragen dann ihre Antwort geben und ihren Beitrag leisten. Unsere Positionen in diesem Ringen sind bekannt. Wir sind dafür, daß Inhalt und Ausmaß der Bedrohung nüchtern und objektiv betrachtet werden. Bedrohungsanalysen dürfen nicht als Mittel zur Durchsetzung bestimmter militärischer Forderungen im nationalen Bereich oder im Rahmen des Bündnisses instrumentalisiert werden. Zur Bewertung müssen außer den militärischen auch alle anderen gesellschaftlichen Potentiale herangezogen werden, also z. B. die Bevölkerungszahlen, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die innere Stabilität der Gesellschaftsordnung und ihre Flexibilität und Innovationsfähigkeit sowie ihre Akzeptanz. Zur Bedrohungsanalyse gehört auch die Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Erfahrung der Völker, mit denen wir hier in diesem Kontinent leben. Auch das gehört zu einer nüchternen und objektivem Analyse. ({21}) Es ist kontraproduktiv und ein Mangel an Selbstbewußtsein; wenn uns ständig eine geradezu besorgniserregende Unterlegenheit eingeredet und der Bundeswehr das Gefühl vermittelt wird, ihr Beitrag und ihre Fähigkeit zur Kriegsverhütung verliere von Monat zu Monat an Gewicht. Die militärische Spitze sagt doch selbst immer wieder, daß dem nicht so ist. Gerade auch durch die Arbeit von Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel ist die Bundeswehr eine modern ausgerüstete, gut ausgebildete Armee, eben die Armee, die sie ist. Wir treten dafür ein, daß die Bundeswehr auch in Zukunft das bekommt, was sie zur Erhaltung der Kriegsverhütungsfähigkeit - das allein ist unser Kriterium - nachgewiesenermaßen braucht. ({22}) Wir sind mit aller Entschiedenheit gegen die Fortsetzung des schon heute wahnwitzigen Rüstungswettlaufs. Wir sind überzeugt, daß seine Fortsetzung und seine Ausdehnung auf den Weltraum die Sicherheit unseres Volkes und des Kontinents nicht erhöhen, sondern mindern. Wir wollen die Anhebung der nuklearen Schwelle und die Reduzierung der vorhandenen Nuklearwaffen. Wir halten Rüstungskontrollvereinbarungen auch regionaler Art für möglich. General Rogers, der NATO-Oberbefehlshaber, hat vor wenigen Tagen erneut erklärt, daß die USA ihre Giftgasbestände aus der Bundesrepublik abziehen und bei uns auch keine neuen Depots errichten wollen. Das ist eine erfreuliche Mitteilung. Um so unverständlicher ist mir, warum, wenn es so ist, die Bundesregierung nicht die Chance ergreift, auf der Grundlage unseres mit der DDR-Führung erarbeiteten Vorschlags auch den Abzug der sowjetischen Giftgasbestände aus der DDR und aus der Tschechoslowakei zu erreichen, wenn wir zum Abzug der amerikanischen bereits die Zusage der amerikanischen Seite haben. ({23}) Die Auseinandersetzung über all diese Fragen und die Fragen der Bundeswehrplanung führen wir mit den Trägern der politischen Verantwortung: mit der Parlamentsmehrheit, der Bundesregierung, mit Ihnen, Herr Bundeskanzler. Sie sind in diesen Fragen unser politischer Widerpart und unser Gegner, nicht die Bundeswehr und schon gar nicht die einzelnen Soldaten, Unteroffiziere oder Offiziere. Unsere Gegner sind auch nicht die Inspekteure oder der Generalinspekteur. Ich bekunde ihnen, dem Generalinspekteur und den Inspekteuren, bei dieser Gelegenheit unser Vertrauen als sozialdemokratische Opposition. ({24}) Es wäre gut, wenn auch andere über die Adressaten ihres Widerspruches und ihres Protestes keinen Zweifel ließen. Moralische Disqualifikationen der Soldaten lehnen wir deshalb ebenso ab wie die Diffamierung von Pazifisten oder die Ausgrenzung und Diskriminierung von Gruppen oder ganzen Bewegungen. ({25}) Gut wäre es allerdings auch, wenn in diesem Ringen auf die Diffamierung von Denkanstößen und von neuen Vorschlägen und Ansichten verzichtet würde, wenn mit ihnen eine sachliche Auseinandersetzung stattfände. ({26}) Ein zentraler Bezugspunkt unserer Sicherheitspolitik sind und bleiben die Menschen in den Streitkräften. Wir haben für die Verbesserung der sozialen Situation während unserer Regierungszeit viel getan. Das meiste ist damals auch einstimmig beschlossen worden. Ich erwähne nur beispielhaft die Einführung des Prinzips der heimatnahen Einberufung oder die freien Familienheimfahrten mit der Bundesbahn. Wir haben z. B. dafür gesorgt, daß Zeitsoldaten von Anfang an volle Dienstbezüge erhalten. Auch als Opposition haben wir zahlreiche Initiativen ergriffen. Ich denke an die Anfragen zur sozialen Lage der Soldaten in den Streitkräften und zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes oder an unsere zahlreichen Anträge, mit denen wir während der laufenden Beratungen des Haushaltsentwurfs 1986 die konkrete Verbesserung der Ansätze im Personal- und Sozialbereich des Verteidigungsetats erreichen wollten. Leider sind sie nach dem gegenwärtigen Stande alle ohne Erfolg und in der Minderheit geblieben. Große Sorge - ich sage das ganz betont und bewußt am Tage des Jubiläums - bereitet uns unverändert die Situation der Soldaten, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Wehrdienst keinen Arbeitsplatz finden und zum Teil lange arbeitslos bleiben. Insgesamt ist das selbstverständlich ein Teilaspekt der unverändert andauernden Massenarbeitslosigkeit. Die Folgen der Massenarbeitslosigkeit sind für alle Betroffenen und für unsere ganze Gesellschaft gravierend. Für junge Menschen, die als Soldaten - ich füge hinzu: genauso auch als Zivildienstleistende - ihre Pflicht der Gemeinschaft gegenüber getan haben, ist es jedoch besonders verbitternd, wenn die gleiche Gemeinschaft nicht imstande ist, ihre Pflichten gegenüber dem einzelnen jungen Menschen zu erfüllen. ({27}) Ein spezielles Problem ist dabei die Lage der Soldaten auf Zeit, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Wir halten diesen Zustand für nicht annehmbar und treten deshalb dafür ein, das ausscheidende Soldaten auf Zeit mindestens so gestellt werden wie aus dem Ausland in die Heimat zurückkehrende Entwicklungshelfer. Ich bedaure ausdrücklich, daß die Koalitionsmehrheit auch in den gegenwärtigen Haushaltsberatungen unsere entsprechenden Anträge nicht angenommen hat. Es hätte nahegelegen, gerade im Jubiläumsjahr der Bundeswehr für dieses Problem eine konstruktive Lösung zu finden. Wir bieten erneut unsere Mitwirkung bei der Lösung dieses Problems an. ({28}) Die Menschen in der Bundeswehr betrifft auch die richtige Pflege der Tradition. Meine sehr verehrten Damen und Herren, keine Gemeinschaft kann ohne Erinnerung an Vorbilder und ohne Erinnerung an ihre eigene Geschichte existieren. Das gilt auch für die Bundeswehr. Ihre Traditionspflege muß sich aber ausschließlich und peinlich genau an demokratischen Vorbildern und an der Wertordnung des Grundgesetzes orientieren. ({29}) - Auf dümmliche Zwischenrufe erwarten Sie bitte keine Antwort! ({30}) Hans Apel hat als Bundesverteidigungsminister gerade dies durch seine Traditionsrichtlinien unterstrichen. Ich sage in vollem Ernst allen, die es angeht: Wir mißbilligen deshalb Veranstaltungen, die Mißverständnissen des Inhalts Vorschub leisten, als gäbe es eine Kontinuität zwischen Einrichtungen oder Aktivitäten aus der Zeit der NS-Gewaltherrschaft und der heutigen Bundeswehr und ihren Einrichtungen. Wir mißbilligen das. ({31}) Ich füge noch einen Satz hinzu: Wir können beispielsweise auch in solchen Heerführern keine Vorbilder sehen, die von der NS-Gewaltherrschaft hohe Dotationen entgegengenommen haben. ({32}) Schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß unsere Bundeswehr weiterhin auf die Kultivierung eines Feindbildes und erst recht auf Haßgefühle verzichten, die solche Feindvorstellungen regelmäßig zur Folge haben. ({33}) - Entschuldigung, es wäre schön, wenn Sie sich die Mühe des Zuhörens machen würden! Ich habe gesagt „auch weiterhin". Was haben Sie dagegen einzuwenden? ({34}) - Herr Zwischenrufer, wenn Sie das nicht verstehen, kann es vielleicht auch an Ihnen liegen; es muß nicht an meiner Rede liegen. Es kann auch an Ihnen liegen. ({35}) Ich wiederhole diesen Satz: Schließlich muß unsere Bundeswehr auch weiterhin - auch weiterhin! - auf die Kultivierung eines Feindbildes und erst recht auf Haßgefühle verzichten, die solche Feindvorstellungen regelmäßig zur Folge haben. ({36}) Ebenso widersetzen wir uns der Verabsolutierung soldatischer Tugenden, etwa der Verabsolutierung der Tugend des Mutes und des Gehorsams. Soldatische Tugenden dürfen nicht von den Inhalten und Zielen losgelöst werden, zu deren Erreichung sie eingesetzt werden. ({37}) Das Ziel der Bundeswehr und ihre einzige Rechtfertigung - ihre einzige Rechtfertigung und, um einen in einer Regierungserklärung einmal sehr mißverständlich verwendeten Begriff aufzunehmen, ihre raison d'être - ist und bleibt die Kriegsverhütung, ist und bleibt die Sicherung des Friedens, dies allein! ({38}) Gustav Heinemann, der dritte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, hat dies am Ende seiner Amtszeit anläßlich seines Abschiedsbesuches bei der Bundeswehr am 10. Juni 1974 in Munsterlager mit folgenden Worten ausgedrückt: Seien Sie sich bewußt, daß Sie als Soldaten in eine Pflicht genommen sind, die Verantwortung für den anderen, für den Nebenmann, für die Kameraden, für das Ganze einschließt. Das Ganze aber, zu dem Sie mit Ihrem Dienst beitragen, heißt: Sicherung des Friedens, des Friedens als des Ernstfalles, für den sich alles lohnt. Dem haben wir Sozialdemokraten heute nichts hinzuzufügen. Das soll auch für die Zukunft gelten. ({39})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Oldenstädt.

Dr. - Ing. Martin Oldenstädt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001644, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie, Herr Dr. Vogel, haben sich erneut und zum wiederholten Male als kleinlich erwiesen. ({0}) All das, was Sie in der Bundeswehr für gut und richtig halten, rechnen Sie sich und Ihren Ministern als Verdienst an, ({1}) und all das, was Sie aus Ihrer Sicht für schlecht oder für nicht erreicht halten, lasten Sie uns an. ({2}) 13016 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 174. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 14. November 1985 Seien Sie versichert, daß Ihnen weder unsere Soldaten noch die Öffentlichkeit diese Schwarzweißmalerei abnimmt. ({3}) Nach den ebenso umfassenden wie in die Tiefe gehenden Ausführungen in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzler ({4}) und nachdem bereits so viel Bedeutsames bei der Eröffnung der Ausstellung „30 Jahre Bundeswehr", bei der Verleihung von Ehrenzeichen für Verdienste um die Streitkräfte bei dem vorgestrigen Empfang auf der Hardthöhe und während des nachfolgenden zentralen Festaktes gesagt wurde, ist es schwer, dem noch etwas Bemerkenswertes hinzuzufügen. ({5}) Ich habe mir deshalb gedacht, daß es zur Vermeidung von Wiederholungen sinnvoll sein könnte, wenn ich einen vielleicht etwas ungewöhnlichen Beitrag zum heutigen Tage leiste. Ich werde in Schlaglichtern die Situation der Jahre 1945 bis 1955 aus eigenem Erleben darstellen und mich dann einer Gruppe in der Geschichte der Bundeswehr besonders zuwenden, der mein größter Respekt gehört: den Frauen und Männern der ersten Stunde. Diese Beschränkung auf einen einzigen Aspekt dessen, was uns heute bewegt, meine ich auch deshalb vornehmen zu können, weil ich nach Alter und Erfahrung einerseits einem nicht geringen Teil dieser Gruppe selbst angehöre, mich zum anderen aber von ihr dadurch unterscheide, daß ich damals für mich persönlich eine andere Entscheidung getroffen habe. Diese Tatsache mag zur Glaubwürdigkeit meines Urteils beitragen. Lassen Sie mich zurückblicken. Von der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 erfuhren wir, die Besatzung von U 190, durch amerikanische Küstenstationen. Eine Verbindung zur Heimat gab es nicht mehr. Der UBoot-Sender war zerstört. Als wir vier Tage später etwa 200 Seemeilen ostwärts Neufundlands durch eine noch kriegsmäßig fahrende Zerstörersuchgruppe aufgebracht wurden, waren wir keineswegs, was man aus der heutigen Sicht vielleicht vermuten könnte, erleichtert, den grauenhaften Krieg endlich hinter uns zu wissen. Unser Gefühl war vielmehr das einer grenzenlosen Enttäuschung. ({6}) Wir waren niedergeschlagen, wir waren fassungslos traurig. Jahre der Entbehrung, des Kampfes, des Einsatzes von Leben und Gesundheit zum - wie wir überzeugt waren - Schutze unserer Heimat und unseres Volkes waren vergebens gewesen. Wir waren am Ende. Ohne Zukunft. Daß dieses Ende zugleich auch die Chance eines neuen und besseren Anfangs war, wurde uns erst später klar. Als ich 1948 aus kanadisch-britischer Gefangenschaft in das zerstörte und zerrissene Deutschland zurückkehrte, wurden wir auf den Bahnhöfen mit dem Transparent „Heimkehrer, wir grüßen euch" empfangen. Als ich mich jedoch kurz darauf beim Arbeitsamt meldete, um meine Lebensmittelmarken abzuholen und auf die Frage nach meinem Beruf nur zögernd und ein wenig irritiert antwortete: „Schüler, und dann: Soldat", da mußte ich mir die zynische, die verächtliche Gegenfrage gefallen lassen: „Und sonst haben Sie nichts gelernt?" Ich war mit 171/2 Jahren ausgezogen; nahezu 24 Jahre war ich alt, als ich zurückkam. Etwa 1953/54 bekam ich einen freundlichen Brief aus dem Amt Blank, von einem meiner Crew-Kameraden unterzeichnet, mit der Bitte, zu prüfen, ob ich nicht in eine neue deutsche Marine wieder eintreten wolle. Ich schrieb ebenso freundlich zurück, daß sich mir die Frage nicht mehr stelle; die Entwicklung sei darüber hinweggegangen. Heute füge ich hinzu: Ich hatte mich, kurz vor dem Abschluß meines Studiums stehend, für eine zivile Laufbahn entschieden. Ich wollte am wachsenden wirtschaftlichen Wohlstand unmittelbar teilhaben, ich wollte nicht wieder dienen, sondern eher verdienen. So weit dieser persönliche Hintergrund. Was galt allgemein, jedenfalls aus meiner Erfahrung? Die Masse der Deutschen hatte tapfer gekämpft in der festen Überzeugung, einer selbstverständlichen Pflicht zu genügen. Statt dessen erfuhren wir nach Kriegsende, daß ein verantwortungsloses Regime uns mißbraucht hatte, und mußten erdulden, daß wir trotzdem mit diesem Regime identifiziert wurden; das traf tief. Als sich Konrad Adenauer dennoch schon Anfang 1949 für die Aufstellung westdeutscher Einheiten in einer europäischen Armee aussprach und darin im März 1950 von Churchill unterstützt wurde - denn, so der englische Kriegspremier, „ohne deutsche Soldaten sei eine wirkungsvolle Verteidigung Europas nicht möglich" -, da stieß das in unserem Lande auf wenig Verständnis und Gegenliebe. Diese Stimmung erhielt zusätzliche Nahrung durch den Fortgang der Entnazifizierung und der sogenannten Umerziehung, aber auch durch Äußerungen aus dem Lager der ehemaligen Kriegsgegner, die Churchills Auffassung ganz und gar nicht teilten. So machte etwa der britische Außenminister Ernest Bevin die Aussage, die Vorstellung von einer deutschen Wiederbewaffnung sei derart gräßlich, daß sie überhaupt nicht in Frage komme. Und der französische Innenminister Moch verkündete im August 1949: „Wir wären Wahnsinnige, wenn wir unsere Zustimmung dazu gäben." Etwa zur gleichen Zeit rief Außenminister Robert Schumann entsetzt aus: „Westdeutschland im Atlantikpakt - niemals!" Wir ehemaligen Kriegsteilnehmer hatten übrigens außerdem noch gut die Parole im Ohr, die Eisenhower seinen Truppen eingehämmert hatte „Vorwärts, christliche Soldaten der Welt!" und auch seine bedingungslose Forderung: „Der Militarismus muß aus der deutschen Gedankenwelt ausgerottet werden!" Noch heute, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, erscheint mir die „Ohne-mich-Haltung" der damaligen Zeit aus den genannten und aus nicht genannten Gründen sehr verständlich. Und dennoch war diese Haltung von Anfang an falsch. Um so größer ist deshalb das Verdienst jener Politiker - allen voran Konrad Adenauer -, die dies erkannten, und jener Männer der ersten Stunde, die aus dieser Erkenntnis die Konsequenz zogen und sich den Verteidigungsstreitkräften in unserer parlamentarischen Demokratie, integriert in einem Bündnis freier Staaten, zur Verfügung stellten. Die ersten Soldaten der Bundeswehr kamen aus dem Inferno eines mörderischen Krieges - als damals Handelnde oder auch als junge Menschen, die seine Schrecken und Folgen nur grausam erlitten hatten. Sie zogen die Uniform an, weil die wiedergewonnene Freiheit und der Friede in Gefahr waren. Sie ließen sich für diese Entscheidung - General Schmückle erinnerte in einer Fernsehsendung der letzten Woche daran - an manchen Orten von Gegnern der Wiederbewaffnung brutal zusammengeschlagen und - noch häufiger - als Militaristen beschimpfen. Sie, diese Männer der ersten Stunde, haben damals wirklich eine Entscheidung aus tiefstem Gewissen getroffen, während das Gewissen heute oft so leichtfertig - und nicht selten organisiert - bemüht wird. Ohne die Bundeswehr, meine Damen und Herren, wären wir kein freies Land in einem Bündnis der Freien, hätten wir den Frieden in diesem Teil der Welt nicht 40 Jahre bewahren können, wären unser Wohlstand und unser beispielloses soziales System nicht denkbar und könnten wir den vielen notleidenden Menschen in der Welt nicht so helfen, wie wir das tatsächlich tun. ({7}) Am entscheidenden Anfang der Bundeswehr standen politische Weitsicht, die nüchterne historische Erfahrung, daß Wehrlosigkeit den bewaffneten Überfall eher provoziert als verhindert, und die christliche Gewißheit, daß die Pflichterfüllung gegenüber unserem freiheitlichen Staat - theologisch gesprochen: der von Gott gewollten „obrigkeitlichen Ordnung" - keine Privatangelegenheit ist, sondern um des Gewissens willen erfolgen muß. Wir alle, insbesondere aber jene, die andere Wege, manchmal auch Umwege, gegangen sind, wir, die wir unter dem Schutz der Bundeswehr unseren mannigfachen Aufgaben und Geschäften nachgehen können, haben allen Grund, unseren Soldaten Dank zu sagen, vor allem den Frauen und Männern der ersten Stunde. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordneten Frau Hönes.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Oldenstädt hat gerade ausgeführt, was er als Betroffener im Zweiten Weltkrieg empfungen hat. Ich muß sagen, ich hätte mich auch dafür interessiert, was seine Frau oder seine Freundin oder seine Mutter oder seine Schwester in dieser Zeit empfunden haben. „Erst Paraden, dann Trümmerfrauen, doch nach dem nächsten Krieg können wir nicht mehr aufräumen", unter diesem Motto haben gestern als Trümmerfrauen verkleidete Frauen in der Garnisonsstadt Geilenkirchen gegen Truppenparaden und Militärfeiern protestiert. In Heilbronn sind die „Frauen für Frieden" zusammen mit Frauen aus dem Deutschen Gewerkschaftsbund und aus den Kirchen mit einem Trauerzug zum Pershing-II-Depot auf die Waldheide gezogen, um an den Pershing-Unfall und die von der Stationierung ausgehende Kriegsgefahr in Europa zu erinnern. In Schwandorf haben sie sich zu einer Mahnwache gegen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage versammelt. ({0}) Für alle diese Frauen, Herr Bundeskanzler, sind die größten Militärschauspiele in der Geschichte der Bundesrepublik, die in diesen Tagen zum 30jährigen Jubiläum der Bundeswehr in vielen Städten unseres Landes stattfinden, kein Grund zum Feiern, erst recht nicht zur Verharmlosung der Situation, daß die Bundeswehr 40 Jahre nach Kriegsende fest in offensive NATO-Strategien eingebunden ist. ({1}) Für diese Frauen ist das ganze Militärspektakel Anlaß, daran zu erinnern, meine Herren Kollegen, daß die Wiederbewaffnung Westdeutschlands 1955 - wie auch die sogenannte NATO-Nachrüstung 28 Jahre später - gegen eine überwältigende Mehrheit in der Bevölkerung vollzogen wurden, deren Kanzler Adenauer schon vor seiner Wahl mit den Amerikanern Geheimverhandlungen über einen Wiederaufbau der deutschen Streitkräfte als ein Gegengewicht gegen die russische Macht betrieb ({2}) und der nach seiner Wahl sein einsames Vorgehen, selbst am Kabinett vorbei, mit den enormen Vorteilen zu rechtfertigen versuchte, die ein junger Staat habe, wenn er auf Grund seines Verteidigungsbeitrages gleichzeitig zum Empfänger verstärkter Wirtschaftshilfen werden würde. Die den Bürgern eingeredete Gefahr „bolschewistischer Horden" war das Schreckgespenst, die gleichzeitige Belebung der Industrie und somit die Rettung der bundesdeutschen Wirtschaft, der Köder, um der Bevölkerung ihre überwiegend pazifistische Haltung auszutreiben. Dieses Bild halten Sie noch heute hoch. Bis heute wollen Sie, meine Herren auf der Regierungsbank, nicht zur Kenntnis nehmen, daß es Deutsche waren, die zweimal in diesem Jahrhundert andere Völker mit Krieg überzogen haben, und daß es die Regierung Adenauer war, die den aufrichtigen Pazifismus weiter Teile der Bevölkerung, gemeint als ernsthafter Versuch, Konsequenzen aus der deutschen Vergangenheit und Verantwortung zu ziehen, 13018 Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Frau Hönes als Defätismus diffamiert hat. Das von Ihnen ständig und gern zitierte Lernen aus der Geschichte, Herr Kohl und Herr von Weizsäcker, haben doch Ihre Amtsvorgänger, von Adenauer bis Schmidt, von Heuss bis Carstens, rigoros unterbunden und damit eine ganze Anti-Atomtod-Bewegung, Männer wie Frauen, vorübergehend in die politische Resignation getrieben. Wir haben heute Anlaß, festzustellen, daß diese Bundeswehr, die hier so prunkvoll und scheinbar überlegen ihren Geburtstag feiert, auf einer doppelten Irrationalität basiert, auch in ihrer eigenen Logik, deshalb, weil das, was verteidigt werden soll, im Falle der Verteidigung unwiderrufbar zerstört wird und weil das, was verteidigt werden soll, schon in der Vorbereitung der Verteidigung nachhaltig geschädigt und belastet oder getötet wird. Und da haben Sie noch die Dreistigkeit, Herr Wörner, zu behaupten, daß die Bundeswehr nicht nur die größte Friedensbewegung, sondern auch der größte Umweltschützer sei. ({3}) Dabei wird kein Land militärisch mehr genutzt als die Bundesrepublik. Kein Land hat eine ähnlich hohe Stationierungsdichte von Waffen und Soldaten. ({4}) Kein Land wird auf engem Raum so stark von Manövern bedrängt. Zwei Drittel der Bundesrepublik sind Tieffluggebiet. Mindestens 5,6 % der Fläche der Bundesrepublik werden militärisch geschunden. Ein enormer Anteil! Dagegen stehen nur 11,5 % Siedlungs- und 1 % Naturschutzfläche. An dieser Irrationalität leiden auch die Soldaten. Oder wie ist es zu erklären, Herr Wörner, daß bei Ihrer blitzblanken Wehrmoral immer mehr Soldaten verzweifeln und einen Ausweg nur im Suff oder gar Selbstmord sehen? Deshalb haben die Soldaten recht, wenn sie an Wochenenden in überfüllten Zügen singen: Wir haben die Schnauze voll, und wir wollen nach Haus. ({5}) Weshalb sind es nun in diesen Tagen vor allem Frauen, die auf die gigantischen Public Relation Shows der Bundeswehr pfeifen und statt dessen vor den Stationierungsorten gegen das Militär protestieren? Weil Frauen in allen bisherigen Kriegen in besonderer Weise als Opfer betroffen waren, als Beute der siegenden Männer, als Witwen und Mütter, die ihre Söhne verloren haben, als Trümmerfrauen, die nicht nur nach dem Zweiten Weltkrieg nach dem Wiederaufbau einer von Männern zerstörten Gesellschaft alleingelassen wurden, aber auch weil Frauen zu lange die Männerkriege akzeptiert haben und getreulich durch Schweigen mitgetragen haben und weil viele Frauen, wenn man sie zur Wahlurne rief, der Partei mit den noch stärkeren Männern den Vorzug gaben und dann der Politik den Rücken kehrten, um zu Hause in den eigenen vier Wänden für Harmonie zu sorgen, bis ihnen die Bomben aufs Dach fallen. Lassen wir doch nicht mehr zu, daß, während sich Frauen um mehr Lebensqualität mühen, weiter aufgerüstet wird! Lassen wir doch nicht zu, daß sich die Herrschenden die Zustimmung der Bevölkerung zu ihrer eigenen Vernichtung erschleichen! Krieg ist eine gigantische Männerphantasie, auch heute noch, selbst wenn er in der Computerrealität alle Romantik eingebüßt hat. Noch immer - das zeigen Befragungen - assoziieren Männer beim Thema Krieg ungezügeltes Abenteuer und ausgelebte Aggressivität. Dafür wollen sie sich die historische Möglichkeit offenhalten, wenn sie erklären, Kriege würde es immer geben. Auch in Friedenszeiten sind Frauen immer durch das Militär, seine Strukturen und sein Handeln betroffen. Die Bundeswehr ist - nicht anders als ihr Rechtsvorgänger; da brauchen wir uns keinem Zweifel hinzugeben - eine zutiefst patriarchalische, hierarchische, undemokratische Institution. ({6}) In dieser sogenannten Schule der Nation wird ein Männerbild eingedrillt und zementiert, vor dem uns Frauen graut. ({7}) Wir lehnen dieses Männerbild ab, dessen Auswirkungen wir tagtäglich zu spüren bekommen. Denn ein traditionelles Männerklischee, das die psychologischen Voraussetzungen für die gewaltsame Aneignung fremder Territorien schafft, macht nicht vor der gewaltsamen Aneignung von Frauen halt. ({8}) Dieses Rollenverständnis sieht eine klare Aufgabentrennung und -zuweisung vor: hier die ach so tapferen, entschlossenen Verteidiger der Heimat, dort die „sanftmütigen" Pflegerinnen und Hüterinnen der Kranken und Schwachen. Solche Mythen, die wir seit Jahren bekämpfen, lassen sich nicht vereinbaren mit unseren Vorstellungen von partnerschaftlicher Erziehung und Teilung der Hausarbeit, von verständnisvollen Männern, die zuhören und Schwächen zeigen können. ({9}) Deshalb hoffen wir auf die Frauen, die gestern in Heilbronn, Schwandorf, Bonn, Genf und vielen anderen Orten gegen die Atomwaffendepots und andere lebensbedrohende Projekte des militärisch-industriellen Komplexes protestierten. Wir hoffen darauf, meine Herren von der Regierung und den hohen Militärs, daß Sie dieses Mal die Rechnung ohne uns Frauen machen werden, daß die Frauen aus ihrer historischen Rolle als Opfer, aber auch als Mittäterinnen die Konsequenzen ziehen und sich Ihren grauenhaften militärischen Strategien verweigern. ({10}) Und wir danken den mutigen Männern des „Darmstädter Signals", die es sich mit ihrer kritischen Haltung innerhalb der Bundeswehr nicht leicht machen. Wir danken den Zivildienstleistenden und den Totalverweigerern, die sich mit hohem persönlichem Risiko bis zur Hinnahme von Haftstrafen dem Militarismus entgegenstellen. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zentralen und, wie ich mit Befriedigung sage, zahlreichen Veranstaltungen zum 30jährigen Bestehen der Bundeswehr ebenso wie die aus diesem Anlaß abgegebenen offiziellen Erklärungen haben neben den Schlaglichtern auf die berechtigte Selbstdarstellung der Streitkräfte und der politischen Führung auch konturenscharfe Schatten sichtbar werden lassen, wie wir dies soeben noch einmal eindrucksvoll vorgeführt bekommen haben, Schatten, denen auch an einem solchen Tage Aufmerksamkeit gewidmet werden muß. Dem Recht der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte entspricht ebenso die Verpflichtung, den Streitkräften die Erfüllung ihres Auftrages zu ermöglichen, und, Frau Kollegin, entspricht auch die Verpflichtung, diejenigen, die diesen Dienst leisten, menschlich zu würdigen und nicht herabzuwürdigen. ({0}) Auf den ersten Blick ist dies gewiß eine Selbstverständlichkeit für alle Mitglieder dieses Hauses, ausgenommen die Fraktion der GRÜNEN, die j a Militär und Demokratie grundsätzlich für unvereinbar halten, aus dem einen entscheidenden Grunde, weil ideologische Scheuklappen sie hindern, allein z. B. in der jüngsten deutschen Geschichte zu sehen, daß es die großen westlichen Demokratien waren, die mit alliierten Streitkräften dem deutschen Totalitarismus ein Ende gesetzt und uns den Weg in die Demokratie geebnet haben. Man könnte, meine Damen und Herren, die historische Ignoranz einzelner nachsichtig als Unbefangenheit oder vielleicht Naivität unbeachtet lassen. Schwieriger wird es damit aber schon, wenn eine Fraktion dieses Hohen Hauses die Seriosität des Deutschen Bundestages in Anspruch nimmt, um zumindest, wie in der Vergangenheit geschehen, die Teilstreitkraft Luftwaffe zu denunzieren, sie über Angriffskrieg, oder, wie heute, Frau Kollegin Hönes, noch einmal durch Sie geschehen, der NATO eine aggressive, eine offensive Strategie zu unterstellen, wenn Sie dafür dieses Haus in Anspruch nehmen, um solchen Aussagen den Anschein einer plausiblen Glaubwürdigkeit zu verleihen. ({1}) Dem Versuch der Vertreibung unserer Streitkräfte ins politische Abseits der Gesellschaft, der damit aus dem außerparlamentarischen Raum in dieses Haus Eingang gefunden hat, muß hier nachdrücklich begegnet werden. ({2}) Denn es gibt einen psychologischen Mitnahmeeffekt solcher Initiativen von Randgruppen und eine Bestärkung der Distanz auch wichtiger gesellschaftlicher Gruppen, die unserer auf Friedenserhaltung angelegten Sicherheitspolitik nicht gleichgültig bleiben kann. Obwohl nach unserer Gesetzgebung und unserer Auffassung in fast jedem Wehrpflichtigen ein Freiwilliger auf Grund eigener Gewissensentscheidung zu sehen ist, obwohl die Bundeswehr über die Leistung der Soldaten sich hohes Ansehen im In- und Ausland erworben hat und die große, die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung den Streitkräften als einer Friedensgarantie positiv gegenübersteht, kann es uns doch nicht gleichgültig bleiben, daß z. B. für die zentralen Veranstaltungen zum 30jährigen Bestehen der Bundeswehr vor Kasernen- oder Truppenübungsplatzbereichen große Demonstrationen angekündigt waren - einige wenige Beispiele sind soeben genannt worden -, die dann tatsächlich nur in geringem Umfang stattgefunden haben. Aber ich habe in meiner persönlichen Erinnerung noch die tiefe Betroffenheit der Angehörigen eines Lehrgangs in der Führungsakademie, die vor den Toren dieser Akademie mit Argumenten beworfen worden waren, wie sie zum Teil auch heute hier genannt worden sind und die diese Soldaten in ihrem eigenen Selbstverständnis tief getroffen haben. ({3}) Es hätte daher nicht des vielfachen und öffentlich geäußerten Dankes und der nachdrücklichen War, digung bedurft, wenn wir von hier aus für das ganze Haus ganz selbstverständlich die nüchterne Feststellung treffen könnten: Unsere Bürger in Uniform sind in allen Rechten und Pflichten, in der Akzeptanz durch alle Bürger in Zivil ebenso Bürger wie alle übrigen. Vielleicht ist es gut, wenn wir zur Beurteilung der Frage, ob Bürger in Uniform und Bürger in Zivil heute bereits in allen Einzelheiten gleich und gleich geachtet sind, und zur Beurteilung der Frage, wie weit wir auf dem Weg zu diesem Ziel gekommen sind, doch noch einmal einen Blick in die Vergangenheit werfen. Die angesichts des wachsenden Kräfteungleichgewichts zuungunsten des Westens erkannte Notwendigkeit eines aktiven Verteidigungsbeitrags der Bundesrepublik einerseits und die Verhinderung einer erneuten potentiellen Gefahr durch eben diese zu schaffenden neuen Streitkräfte andererseits bestimmten die äußeren Rahmenbedingungen, bei den Planungen von Organisation, Ausrüstung und Bewaffnung dieser Streitkräfte. Hinzu kam ein engerer Ring von Rahmenbedingungen, deren wichtigste wohl darin zu sehen sind, daß die junge Republik sich und andere davor schützen mußte und wollte, daß das, was allgemein unter dem Stichwort „Deutscher Militarismus" subsumiert wird, sich selbständig machen und zu einer Gefahr für den demokratischen Staat selbst wie für seine Nachbarn werden könnte. Man wollte aus den Erfahrungen der Weimarer Republik und ihres Endes die Konsequenzen ziehen und die Lehren aus den Fehlern beachten. Im Deutschen Reich standen Heeresverfassung, Verfassung des Staates und gesellschaftliche Ordnung in traditionellem unlösbarem Zusammenhang miteinander. In diesem Selbstverständnis und in dieser Tradition standen Generalstab, Offiziers-und Unteroffizierskorps der ehemals Kaiserlichen Armee, die trotz Demobilisierung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs weiter bestand und der provisorischen Regierung als Übergangsheer schon als Schutztruppe diente, bevor Organisation und Struktur der neuen Republik von der Nationalversammlung beschlossen und durchgesetzt werden konnten. Fast zwangsläufig überkamen damals so die alten Strukturen und die sozialen und politischen Bindungen und Traditionen in die Reichswehr und prägten nach wie vor deren Selbstverständnis. Dabei ist festzuhalten, daß ein ausgeprägtes demokratisches Selbstverständnis der Republik und ihrer Träger über Ansätze damals noch gar nicht hinausgekommen waren. In der im Nachhinein als „Weimarer" bezeichneten Republik lebte das Deutsche Reich trotz veränderter Staatsform in seiner Kernsubstanz, in seiner gesellschaftlichen Schichtung und in seinem Verwaltungsaufbau nahezu unverändert weiter. Mit Beginn der Diskussion über einen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik galt der Grundsatz vom Primat der Politik. Bundesregierungen, Experten und Berater sowie diejenigen, die ein neues Offizierskorps aufzubauen hatten, zogen die Konsequenzen aus der deutschen Militärgeschichte und wandten sie an. Quer durch alle Fraktionen des Deutschen Bundestages war man übereinstimmend der Meinung, die neue Armee dürfe nicht zum Staat im Staate werden. Vielmehr war man entschlossen, die Streitkräfte einer engmaschigen Kontrolle zu unterwerfen. Die Meinungen darüber, wie man das erreichen könne, gingen allerdings auseinander. Der damalige Bundeskanzler Dr. Adenauer vertrat die Auffassung, dem Primat der Politik sei Genüge getan, wenn die Armee voll der Regierungskontrolle unterliege. Bundesminister Blank dachte ähnlich, wollte aber mit den Prinzipien der Inneren Führung ein weiteres Sicherheitsinstrument einbauen. Im Deutschen Bundestag herrschte die Auffassung vor, daß politische Kontrolle in erster Linie parlamentarische Kontrolle zu sein habe, und es ist eine der großen Stunden der deutschen Parlamentsgeschichte, daß sich das Parlament, der Deutsche Bundestag, mit dieser Auffassung seinerzeit durchgesetzt hat ({4}) und daß wir von daher ein System parlamentarischer Kontrolle haben, innerhalb derer sich die Streitkräfte zu bewegen haben und ihre Aufgabe zu erfüllen vermögen. Ich glaube, daß die Leistung aller Beteiligten - Soldaten wie Zivilisten - erst aus diesem historischen Zusammenhang, auf den ich hier nur in aller Kürze eingegangen bin, in diesen Tagen ihre verdiente Würdigung erfahren hat und voll respektiert werden kann. Das Wissen aber um diesen Hintergrund muß vor allen Dingen den jüngeren Generationen vermittelt werden, gerade auch den Jahrgängen, denen wir in Zukunft mehr als bisher abverlangen werden, sei es als Wehrpflichtigen oder als beorderten Reservisten. Die Jugendoffiziere der Bundeswehr haben hier bereits in der Vergangenheit hervorragende Leistungen erbracht. Sie sind allerdings häufig gegenüber dem feststellbaren Mangel an staatspolitischer und historischer Grundwissensvermittlung in den Schulen in einer oft ungewöhnlich schwierigen Situation. Zum Erhalt des Erreichten und zur Vertiefung der gesellschaftlichen Integration gehört auch, daß wir die Integration der Bundeswehrsoldaten und ihrer Angehörigen faktisch nicht etwa mehr behindern als unvermeidbar, d. h. sie einerseits nicht voll in die staatsbürgerliche Pflicht nehmen dürfen, ohne andererseits dafür Sorge zu tragen, daß sie auch ihre Rechte wahrnehmen können. Die Vermittlung solcher Hintergründe und Entwicklungen zwingt uns, meine Damen und Herren, aber auch - wie heute auch wieder geschehen -, darüber nachzudenken, was Traditionspflege in den Streitkräften der Bundesrepublik Deutschland denn eigentlich heißt und heißen kann. Niemand sollte den Versuch unternehmen, die Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland von ihren geschichtlichen und traditionell bedingten Wurzeln abzuschneiden. ({5}) Meine Damen und Herren, diese Wurzeln reichen viel weiter zurück als etwa in die Jahre von 1933 bis 1945. Aber diesen Zeitraum mit zu überbrücken und daran zu denken, was deutsche Militärgeschichte und deutsche soldatische Tradition in der Vergangenheit war, ist etwas, was man unseren Streitkräften heute auch nicht vorenthalten sollte. ({6}) Daß dabei niemand daran denkt, sich auf Grundregeln oder Prinzipien oder Fehler oder Fehlentwicklungen der 30er Jahre zu beziehen, dürfte in diesem Zusammenhang eine Selbstverständlichkeit sein. Ich habe davon gesprochen, daß Soldaten ihre Rechte auch wahrnehmen müssen und daß man ihnen die Möglichkeit dazu geben muß. Herr Kollege Dr. Vogel, ich meine damit den Freiheits- und auch Freizeitentzug der Soldaten, mit dem wir etwas sorgsamer umgehen müssen, als wir es in der Vergangenheit vielleicht getan haben. Ich meine damit den beruflichen Zwang zur häufigen Aufgabe des sozialen Umfeldes, gewohnter Umgebung und zwischenmenschlicher Beziehungen und nicht zuRonneburger letzt auch die fiskalischen Grenzen einer attraktiven Besoldung und gerechten Versorgung. Aber, Herr Kollege Dr. Vogel, es bedurfte ja wohl nicht einer Darstellung, die den Eindruck zu erwekken versuchte, als gäbe es nur eine einzige Fraktion in diesem Hohen Hause, die sich dieser Aufgabe annähme. Wer die Beratungen im Verteidigungsausschuß auch für den Haushalt des nächsten Jahres mitgemacht hat, der hätte die Behauptung, mit der Sie hier agiert haben, nicht aufstellen können. Ich meine, daß wir hier die Gemeinsamkeit der Aufgabe der Verpflichtung gegenüber den Soldaten, die Dienst für die Gemeinschaft leisten, auch in aller Deutlichkeit als gemeinsam herausstellen sollten. ({7}) Wir werden jedenfalls nicht davon abgehen, den Soldaten die Rechte zu geben und für ihre Verwirklichung zu sorgen, auf die sie als Staatsbürger in Uniform Anspruch haben und für die wir in die Pflicht genommen werden. Aber lassen Sie mich hinzufügen: Solange nicht entweder Erfolge der Entspannungspolitik, Abrüstung, Vertrauensbildung und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit über die Grenzen der Blöcke hinweg eine durchgreifende Strukturveränderung der Streitkräfte zulassen oder realistische Alternativen zur Vorneverteidigung gefunden sind, darf die Basis des Selbstverständnisses unserer Streitkräfte zu ihrem eigenen und zu unserem Schutz nicht angetastet werden, darf es den Soldaten in der Bundeswehr nicht zugemutet werden, einen anderen Auftrag als den der Vorneverteidigung als für sich verbindlich zu betrachten. Ich habe vorhin von der Gewissensentscheidung auch des Wehrdienstleistenden gesprochen. Respektieren wir dieses Gewissen auch dadurch, daß wir nicht Unzumutbares von ihnen verlangen! Es darf deswegen nicht das Nachdenken über die Zukunft kritisiert, nicht das Erstellen von Konzepten oder das Entwerfen einer Vision und die Suche nach möglichen Alternativen angeprangert werden; das ist richtig, und das wird von den Liberalen mit Sicherheit nicht getan, Herr Dr. Vogel. Aber nachdrücklich ist doch wohl die Forderung zu stellen, daß solche Konzepte und Visionen und mögliche Alternativen dann auch eindeutig als solche ausgewiesen werden und nicht, um einen Teil der öffentlichen Meinung oder ihre Stimmung einzufangen, der Eindruck erweckt wird, als handelte es sich um eine durch Fakten abgesicherte, in die Praxis umsetzbare Alternative, die im Gegensatz zum Bisherigen den Frieden sicherer mache. ({8}) Lassen Sie mich zum Abschluß, auch wenn in den letzten Tagen wiederholt geschehen, dennoch auch den Anteil würdigen, den die Streitkräfte unserer Bündnispartner zur Leistung der Bundeswehr und zum Erhalt des Friedens beigetragen haben. Sie stehen in fremdem Land neben unseren Soldaten und ebenso wie unsere Soldaten tagtäglich für unsere Sicherheit und unsere Freiheit. Meine Damen und Herren, das Parlament, der Bundestag der Bundesrepublik Deutschland, hat vor 30 Jahren eine große Verpflichtung übernommen, als er den Primat der Politik durchsetzte, als er den Grundsatz der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte geltendes Recht werden ließ. Aber aus dieser Entscheidung heraus folgt nicht nur die Verpflichtung - ebenso dieses Bundestages -, denen Dank und Anerkennung zu zollen, die den Dienst in der Bundeswehr leisten - ob in der Bundeswehrführung, ob, Herr Minister, im Ministerium, ob den Soldaten aller Dienstgrade in den Einheiten oder den zivilen Mitarbeitern -, sondern aus dem, was der Bundestag damals beschlossen hat, ergibt sich auch die Verpflichtung, den Soldaten einen Auftrag zu erteilen, den sie mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Es ergibt sich die Verpflichtung, ihnen die Mittel an die Hand zu geben, mit denen sie diesen Auftrag der Friedenssicherung auch in Zukunft sinnvoll erfüllen können. Es ergibt sich darüber hinaus, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE GRÜNEN, auch die Verpflichtung, menschlich zu würdigen und menschlich anständig miteinander umzugehen, auch wenn man denen gegenübersteht, deren politischen und soldatischen Auftrag man möglicherweise ablehnt. ({9}) Wir jedenfalls werden uns zu dieser Verpflichtung bekennen und werden gemeinsam in der Koalition und, ich hoffe, im ganzen Hause, der Bundeswehr unseren Respekt so wenig versagen, wie wir unsere Bereitschaft auch in Zukunft verwirklichen werden, ihnen alles an die Hand zu geben, was sie zur Erfüllung ihres schweren Auftrages brauchen. Ich danke Ihnen. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der wohl bisher Jüngste am Rednerpult bei 30 Jahren Bundeswehr ({0}) möchte ich dem Respekt zollen, was Herr Oldenstädt, Frau Hönes und Herr Ronneburger gesagt haben, weil es eigentlich das Spektrum unseres Volkes umfaßt. ({1}) Weil es ein Spektrum ist, reden wir darüber, und deswegen hat wohl der entschuldigte Bundeskanzler eine Regierungserklärung für dieses Land abgegeben. Eines möchte ich, weil ich Ihnen sehr persönlich verbunden bin, lieber Herr Ronneburger, sagen: Dies war nicht eine Wertung, wie Sie die Rede unseres Fraktionsvorsitzenden gerade so im Schluß Ihrer Rede angesprochen haben, das war nicht Ver13022 pflichtung, das war Verantwortung für diesen Staat. ({2}) Dies ist eine Rede aus der Verantwortung für diesen Staat gewesen, und deswegen möchte ich Sie sehr herzlich bitten, das in diesem Zusammenhang noch einmal zu überlegen. Sie haben auch eines angesprochen - damit darf ich mit dem, was ich sagen wollte, beginnen -: Stimmungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind keine Stimmen. Und Sicherheitspolitik geht natürlich auch - da wende ich mich an Sie, liebe Frau Kollegin ({3}) nicht immer nur vom Patriarchat aus, sondern auch diese Frage muß in der Tradition und der Entwicklung gesehen werden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat mit den Worten unseres Fraktionsvorsitzenden den Menschen in der Bundeswehr, den Soldaten, den Beamten, den Angestellten und den Arbeitern, den Aktiven wie den Pensionierten, aber auch den Reservisten und nicht zuletzt den Familien der Bundeswehr ihren aufrichtigen Dank ausgesprochen. Ich unterstreiche dies nachdrücklich. 30 Jahre Bundeswehr sind, meine Damen und Herren, zugleich Anlaß zur politischen Besinnung, zur Bestandsaufnahme und zum Blick nach vorn. Dabei sollten wir bedenken: In unserer Generation hat die Rolle der Streitkräfte in Mitteleuropa einen bedeutsamen Wandel erfahren. „Nie wieder Sieg", lautet die treffende Maxime von Graf Baudissin, dem frühen Reformer, dem späteren General und dem heutigen Friedensforscher. Die SPD - ich darf das unterstreichen, was vorher gesagt worden ist, und ich bitte da auch um Ihre Unterstützung, was ich insbesondere zur rechten Seite des Hauses sage, weil noch nachfolgende Reden kommen, wie ich weiß, Herr Präsident - hat es sich mit ihrem zutiefst demokratischen Verhältnis zur bewaffneten Macht nie leichtgemacht. Die wilhelminische Parole, „gegen Demokraten helfen nur Soldaten", hat bei ihr das damalige stehende Heer in Mißkredit gebracht. Gleichwohl sprach sich die SPD von allem Anfang an schon 1869 so, wie es ausgeführt worden ist, in Eisenach für - ich unterstreiche das: für - allgemeine Wehrhaftigkeit und die Volkswehr aus. ({4}) Sie hat in schweren Zeiten Bürden auf sich genommen, die den jüngeren Parteien erspart bleiben sollten. Die SPD hat sich in der Weimarer Republik und auch heute der Landesverteidigung stets in der Hoffnung angenommen, die Gefahr eines Krieges überwinden und den Frieden mit den Nachbarn politisch sichern zu können. Ich möchte hier sagen: Wir tragen diese Hoffnung weiter. ({5}) Helmut Schmidt und andere haben den Gedanken der Sicherheitspartnerschaft entwickelt. So, wie die Weltmächte auf Grund ihrer gegenseitigen nuklearen Gefährdung eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit vereinbaren, wollen wir Sozialdemokraten zur Festigung des Friedens in Europa dadurch beitragen, daß statt eines Gegeneinander und Nebeneinander das Ziel einer gemeinsamen Sicherheit in West- und Osteuropa angesteuert wird. Es ist gesagt worden, daß in der SPD Pazifisten ihren Platz haben. Es ist ja auch gerade die staatspolitische Funktion einer Volkspartei, gesellschaftliche Gruppen zu integrieren. Ich bitte Sie, das auch in diese Debatte mit aufzunehmen, wenn Sie über die SPD nachdenken und über die SPD natürlich auch reden. ({6}) Wir müssen uns der Forderung stellen, die uns der Herr Bundespräsident in seiner, wie ich meine, wegweisenden Rede zum Gedenken an den 8. Mai 1945 abverlangt hat: „Schauen wir, so gut wir das können, der Wahrheit ins Auge." Dann, meine Damen und Herren, müssen wir erkennen, daß die deutsche Frage, die Teilung unseres Vaterlandes weder durch ein militärisch unterlegtes „roll back" - so sagt man es heute - noch durch Neutralität gelöst werden konnte. ({7}) Herbert Wehner hat darauf in seiner wichtigen Rede von 1960 von diesem Pult aus für die SPD die Konsequenz gezogen, nämlich die feste Westbindung. ({8}) 1984 hat die SPD in Essen erneut bekräftigt, daß die Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Gemeinschaft und, was uns heute angeht, in die NATO eingebunden bleibt. Dies ist heute vom Fraktionsvorsitzenden dieser Partei nachdrucksvoll erklärt worden. Allerdings sind wir der Auffassung - da wenden wir uns in der Debatte natürlich an Sie, auch an die Bundesregierung, an den Bundesminister der Verteidigung -, daß das bündnispolitische Gewicht der Bundesrepublik und der daraus erwachsende Handlungsspielraum genutzt werden müssen, und zwar nicht für das Taktieren oder gar in der Funktion als Vollzugshilfe, sondern zur politischen Orientierung des Bündnisses und zur schrittweisen Herstellung einer europäischen Friedensordnung, damit die Teilung Europas und Deutschlands eines Tages überwunden werden kann. ({9}) Meine Damen und Herren, wer den Verlust in der Sicherheitspolitik bedauert, soll wissen: Der Kurs der SPD ist unbeirrt. ({10}) Nicht wir bewegen uns von der Gemeinsamkeit weg, sondern - erlauben Sie mir das - die Union läßt sich vielleicht, wie ich es einschätze - nur ich -, für eine Abgrenzungs- und Ausgrenzungspolitik, was diese Frage angeht, benutzen. Willy Brandt und Helmut Schmidt haben eindrucksvoll unter Beweis gestellt, was im deutschen Interesse möglich ist. Der heutige Zustand spricht für sich selbst. ({11}) Sozialdemokraten wie Adolf Arndt, Fritz Erler und Carlo Schmid haben - es ist gesagt worden - die Wehrverfassung maßgeblich mitgestaltet. Die Bundeswehr ist die erste der demokratischen Verfassung verpflichtete deutsche Armee von Bestand. Das trennt uns auch von Ihnen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, weil Sie glauben, daß sich Bundeswehr und Demokratie gegenseitig ausschließen. Da besteht ein Unterschied zwischen uns. Ich bin verpflichtet, Ihnen das, wenn ich hier spreche, deutlich zu machen. ({12}) Die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft gelang dank der Mitarbeit aller maßgeblichen politischen und gesellschaftlichen Kräfte, nicht zuletzt auch der Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr selbst. Die Namen der Verteidigungsminister, die die Wege hierfür geebnet haben, die der sozialdemokratischen Partei angehörten, sind genannt worden; ich brauche sie nicht zu wiederholen. Es ist in diesem Zusammenhang eben auch zu einem grundlegenden Verständnis mit den Gewerkschaften gekommen. Daß zehn Jahre lang ein der Sozialdemokratischen Partei angehörender Wehrbeauftragter für das Parlament als Ombudsmann tätig sein konnte, zeigt doch sehr deutlich, wie die Sozialdemokratie in diese demokratische Wehrmacht eingebunden ist. 1982 war die Bundeswehr nicht nur im Bündnis anerkannt, leistungsfähig ausgebildet und modern ausgerüstet, sondern auch in einem guten inneren Zustand. Verteidigungsminister Dr. Wörner hat das bei Amtsübernahme anerkannt. Ich habe es nicht ganz verstanden - ich nehme das Recht wahr, von diesem Pult aus das dem Verteidigungsminister zu sagen -, daß der General a. D. Dr. Kießling und auch der General a. D. Schmückle auf die Warteliste für das 30jährige Jubiläum der Bundeswehr gesetzt worden sind. ({13}) Ich finde das nicht gut. Wie immer, wenn ich etwas nicht gut finde, sage ich das. ({14}) In dieser für das Selbstverständnis der Soldaten wichtigen Angelegenheit hat der Bundeskanzler meiner Meinung nach die Bundeswehr in einer - vielleicht - Minute der Wahrheit - ich weiß nicht, was er immer so zu tun hat; er hat viel zu tun - im Stich gelassen. Er hat alles zu einem entschuldbaren Betriebsunfall erklärt. Die Koalition beschloß: Der Minister hat Rechtens gehandelt. Wenn wir Gemeinsamkeit in der Sicherheitspolitik wollen, darf sich Derartiges nicht wiederholen, weder der Vorgang noch die Bewertung. ({15}) Im Blick nach vorne sehe ich die SPD alleine in der Erfüllung der Pflicht - das sage ich für die, die mich beauftragt haben zu sprechen; das wollte ich auch als meine persönliche Position in dieser Partei deutlich machen -, die Bundeswehr auf die absehbaren Probleme der Zukunft hinzuweisen und konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. Die Militärstrategie des Bündnisses ist im Umbruch. Der amerikanische Präsident selbst hat mit seiner SDI-Rede vom März 1983 den Anstoß gegeben. Das Bündnis diskutiert. Die Bundesregierung schweigt aber und ist jetzt sogar uneinig. ({16}) Die vom Verteidigungsminister vorgelegte Bundeswehrplanung ist nicht haltbar. Die Personalplanung der Bundeswehr ist langfristig nicht gesichert. Die ins Auge gefaßte Wehrpflichtverlängerung um drei Monate, die angesprochen worden ist, muß ohne Reform der Bundeswehr Stückwerk bleiben. ({17}) Bei der Beschaffungsplanung sind - das wissen wir alle miteinander - die Finanzansätze zu niedrig, so daß dereinst für das Personal das Geld fehlen wird. Bei allem Verständnis: Es geht um das Jubiläum der Bundeswehr und nicht der Rüstungsindustrie. ({18}) Für Einzelheiten ist heute nicht der Platz. Aber wenn wir zur Gemeinsamkeit zurückfinden wollen, dann lassen Sie uns bald über eine sinnvolle Strukturreform der Bundeswehr und über eine Neufassung der Bundeswehrplanung beraten, die nicht im laufenden Haushalt mehrfach und in Höhe von mehreren Milliarden D-Mark geändert werden muß. ({19}) Wir haben den Soldaten gesagt, daß wir uns an den Grundwerten der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität orientieren. Wir sagen wie Sie, daß der Mensch im Mittelpunkt steht. Bitte glauben Sie uns, daß wir uns dafür auch einsetzen. Lassen Sie uns dort zusammenfinden, wo es die Sache gebietet. Die Bundeswehr hat es verdient. ({20})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Biehle.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kolbow, ich verstehe Ihre Lage und weiß, wie schwierig es für Sie ist, einen eigenen Kurs zu steuern. ({0}) Wenn Sie sagen, die SPD setze ihren Kurs unbeirrt fort, so teile ich diese Auffassung. Nur ist das leider oftmals ein Kurs von Geisterfahrern und Slalomfahrern, die nicht wissen, wo sie eigentlich enden. ({1}) Sie haben einen netten Spruch aus der wilhelminischen Zeit gebracht: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. Da ist mir etwas Neueres eingefallen. Da hieß es einmal: Wählst du die Heinemann-Partei, kommst du am Barras vorbei. ({2}) Das könnte man natürlich auch mit in die Debatte einführen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, über die Bundeswehr ist in den letzten Tagen sehr viel Lobendes geschrieben und gesagt worden, und nachdem vorgestern der Herr Bundespräsident - wohl stellvertretend für das ganze deutsche Volk - der Bundeswehr gratuliert hat und nachdem auch der Herr Bundeskanzler heute in sehr eindrucksvoller Weise in seiner Regierungserklärung ({4}) den Wert und die Bedeutung der Bundeswehr ({5}) - nun, wenn die GRÜNEN dauernd vor Kasernentoren sitzen, können sie das alles natürlich nicht mitbekommen ({6}) gewürdigt hat, möchte ich heute für meine Fraktion, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber auch als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der Bundeswehr, unseren Soldaten und Zivilisten, noch einmal herzliche Glückwünsche aussprechen. Lassen Sie mich diesen Glückwünschen aber auch ein paar Gedanken anfügen. Der 2. Deutsche Bundestag hat sich nach äußerst heftigen Auseinandersetzungen mit den Stimmen meiner Fraktion und mit einer klaren Zweidrittelmehrheit für die Wiederbewaffnung entschieden. Die Brisanz der damaligen Entscheidung war nur mit der der in diesem Hause geführten Debatte über die Nachrüstung vergleichbar. Die oppositionelle Alternative war jeweils - damals wie heute - nur das Nein. Beide Entscheidungen waren sicherlich nicht populär, aber beide Entscheidungen wurden von Realpolitikern getroffen, die sich nicht von den Illusionen und dem Wunschdenken der Opposition insgesamt blenden ließen. 40 Jahre Frieden - das sage ich auch und gerade mit Bezug auf 30 Jahre Bundeswehr - sind also nicht das Ergebnis eines Wunschdenkens in bezug auf atomwaffenfreie und C-waffenfreie Städte oder Zonen, sondern das Ergebnis einer Friedenspolitik im Bündnis und mit der Bundeswehr. ({7}) Wenn Sie, Herr Kollege Vogel, vorhin von einer erfreulichen Mitteilung von General Rogers gesprochen haben, daß die C-Waffen abgezogen werden, daß nichts in Europa neu gelagert werden soll, nun, dann haben Sie eine ganze Menge Zeit verschlafen; ({8}) denn dies ist keine neue Mitteilung, es ist ein alter Hut. Es ist schon lange so zugesagt, sogar schriftlich, ({9}) weil wir - in Anwesenheit auch der SPD-Kollegen im Verteidigungsausschuß - Wert auf schriftliche Zusagen von General Rogers gelegt haben, was Sie anscheinend verpaßt haben. ({10}) Wir sind - das sei immer wieder gesagt - nicht für eine atomwaffenfreie und C-waffenfreie Zone in der Bundesrepublik und der DDR, sondern für eine C-waffenfreie Welt, ({11}) und wir kämpfen auch weiter dafür, daß diese Waffen kontrollierbar abgeschafft werden. ({12}) Helfen Sie uns dabei; ({13}) wir nehmen Sie gerne als Partner in Anspruch. In der Gründerzeit der Bundeswehr wurden - ebenso wie bei der Nachrüstung 1983 und den Aktionen der sogenannten Friedensbewegung - die Soldaten der Bundeswehr leider oft in eine unmittelbare Beziehung zu Krieg und Kriegsgefahr gesetzt. Viele machen sich das ja zu einfach und sagen immer wieder, Soldat bedeute Krieg. Aber niemand ist bisher auf den Gedanken gekommen, zu sagen, Feuerwehrmann bedeute Feuer oder Polizei bedeute Verbrechen. Die Wahrheit ist, daß 40 Jahre nach Kriegsende und 30 Jahre nach dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO und der Aufstellung der Bundeswehr Mitteleuropa die längste friedliche Periode seiner Geschichte erlebt hat. Die Bundeswehr selbst besteht länger als Reichswehr und Wehrmacht zusammen. Man müßte sich nach diesen 30 Jahren Bundeswehr doch eigentlich einmal die Frage stellen: Was wäre denn mit diesem freiheitlichen demokratischen Staat alles passiert, wenn wir all diese Neinsageratschläge der Opposition befolgt hätten? Was wäre mit diesem Land eigentlich geschehen? ({14}) Nun, es ist ja erfreulich: Zwar waren Sie gegen die Geburt der Bundeswehr, zwar haben Sie damals nein gesagt, und nun feiert die SPD im Ollenhauerhaus den Geburtstag mit. Das ist sicher ein erfreulicher Aspekt, wobei ich hoffe, daß sich die Gesinnung in allen Teilen der SPD geändert hat, nicht nur bei denen, die hier und in der Öffentlichkeit reden. Denn vor den Türen des Ollenhauerhauses hört man im Lande andere Töne. Erst gestern las ich in einem SPD-nahen Blatt, die SPD in Hessen-Süd habe erklärt, daß die Bundeswehr durch öffentliche Gelöbnisse militärische Machtdemonstrationen betreibe und daß sie sich damit als ein Staat im Staate hervorhebe. ({15}) Dies ist genau das Gegenteil Brandtscher Bekundungen vor Generalen und Soldaten. Ich will keine neue Bülow-Debatte heraufbeschwören, wenn ich auch weiß, welche Schwierigkeiten Sie damit haben, in Ihren Reihen ein Antipapier zuwege zu bringen. Man könnte eine lange Liste aufzählen bis hin zu dem Flugblatt der SPD Bonn - die Jungsozialisten sind ja nach ihrer Satzung Genossen innerhalb der SPD -, die da mitverantwortlich gesagt hat, bei diesem Bundeswehrjubiläum sei von einer neuen Kriegsführungsstrategie die Rede, und in dem festgestellt wird, daß die Bundeswehr in die Vorbereitungen für den nächsten Krieg einbezogen sei. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie in Ihrer Jubelschrift „30 Jahre Bundeswehr" auch ein bißchen aus der Vergangenheit hineingeschrieben hätten, all das, was die SPD damals gesagt hat, und daß sie sich heute davon distanziert hätten. Hätten Sie das hier in diesem Hause, vor aller Öffentlichkeit getan, wäre das ein gerader Kurs gewesen. ({16}) Lassen Sie mich zu den Soldaten zurückkehren. ({17}) Die Keimzelle der heute 500 000 Mann starken Bundeswehr bestand aus 101 Soldaten, einem kleinen Häufchen. Es ist eine stolze Leistung, die dieses Land in der Zwischenzeit erbracht hat. Über 4 Millionen Bürger haben seither in der Bundeswehr ihre Wehrpflicht erfüllt oder als Zeit- oder Berufssoldaten gedient. Sie haben damit unseren demokratischen Rechtsstaat und unsere freiheitliche Lebensordnung verteidigt und ihre staatsbürgerliche Pflicht erfüllt. Gleichzeitig - das sage ich auch hier sehr deutlich - haben sie auch die Freiheit derer verteidigt, die den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen ablehnen, so wie es das Grundgesetz vorsieht, aber auch der vermummten und gewalttätigen Demonstranten. Deren Freiheit, demonstrieren zu können, haben sie auch verteidigt, auch die Freiheit der GRÜNEN, in der Öffentlichkeit und hier ihre Possenspiele vollziehen zu können. Das muß doch auch einmal deutlich gesagt werden. ({18}) Die Bedrohung ist für jeden sichtbar. Wer die, die uns heute beschützen, mit denen, die uns bedrohen, auf die gleiche moralische Stufe stellt, wer plant, den Wehrdienst auf sieben Monate zu verringern, oder wer die Annullierung des Nachrüstungsbeschlusses anstrebt und schließlich auch den Austritt aus der NATO als Möglichkeit erwägt, der verläßt einfach die gemeinsame Basis, die sich in diesem Parlament über viele Jahre zunächst einmal abgezeichnet hat. Gegenwarts- und Zukunftsfragen lassen sich aber ohne die Einbindung und Besinnung auf die eigene Geschichte nicht erfolgreich bewältigen. Wer auf die Erfahrungen der Geschichte verzichtet, verliert sich selbst oder findet nicht die richtigen Koordinaten für den Weg in die Zukunft. Ein neuer Traditionserlaß wird dies zu berücksichtigen haben, auch den Unterschied zwischen Systemen und den Soldaten, die in gutem Glauben in der Wehrmacht gedient haben, aber mißbraucht wurden. Auch das muß in dieser Stunde einmal deutlich gesagt werden. Ich sage das als einer, der auch dabei war, der als 161 /2jähriger Uniform bekam und dann auch an die Front mußte. Am Aufbau der Bundeswehr haben viele mitgewirkt, Soldaten, Politiker, Beamte, Zivilbedienstete, viele gesellschaftliche Gruppierungen. Man kann also mit Fug und Recht sagen, sie ist das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen von Staat und Gesellschaft. Deutschland ist aber auch ein geteiltes Land mit allen damit zusammenhängenden Problemen. Millionen Deutschen ist das Selbstbestimmungsrecht, sind die Menschenrechte verwehrt. Auch dies muß man sehen, wenn es um die Frage der Verteidigung von Frieden und Freiheit geht. Wir haben der Gewalt für immer abgeschworen. ({19}) Nur Gedankenträger sowjetischer Bedrohungspolitik können ein Interesse daran haben, Zwietracht zwischen uns und Amerika zu säen und dem Bedroher Sowjetunion gleiche Partnerschaft anzubieten wie dem, der uns beschützt: Amerika und die Bündnispartner. Lassen Sie mich dazu noch sagen, 30 Jahre sind für mich aber auch Anlaß, nicht nur befriedigt zurückzuschauen, sondern auch mit Optimismus und Zuversicht in die Zukunft zu schauen. Dies sage ich, obwohl ich weiß, daß die Bundeswehr gerade jetzt vor schwierigen Aufgaben steht. Es geht darum, für Umfang, Stärke, Struktur und Bewaffnung die Weichen für die 90er Jahre zu stellen, damit die Bundeswehr auch in Zukunft ihren Auftrag der Friedenserhaltung glaubhaft darstellen kann. Es sind große Herausforderungen, aber ich bin nach all dem, was die Soldaten und die Zivilbediensteten geleistet haben, sicher, daß auch dies gemeistert wird. Probleme im materiellen und personellen Bereich sind zu bewältigen, wobei insbesondere durch größere Wehrgerechtigkeit und damit stärkere Ausschöpfung des Wehrpflichtpotentials, Verlängerung des Grundwehrdienstes, Erhöhung des Anteils länger dienender Soldaten und Erhöhung der Zahl der Wehrübungsplätze der Friedensumfang erhalten werden soll. Einen besonderen Stellenwert werden wir auch in der Zukunft weiterhin dem Soldaten beimessen, doch dazu wird der Kollege Ganz noch einiges sagen. Ich meine, daß wir finanzielle Gründe nicht vorschieben dürfen. Ich wiederhole, was ich schon einmal gesagt habe: Notfalls ein Panzer oder ein Tornado weniger, aber motivierte Soldaten und zufriedene Soldatenfamilien! Lassen Sie mich zum Schluß kommen und namens der CDU/CSU-Fraktion, aber auch als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses ein Wort des aufrichtigen Dankes an die Aktiven und Reservisten der Bundeswehr - Offiziere, Unteroffiziere, Wehrpflichtigen und Zivilbediensteten - für die Leistung, die Sie erbracht haben, für die Erhaltung von Frieden und Freiheit sagen. In diesen Dank möchte ich auch die Familien der Soldaten einbeziehen, die alle besonderen Belastungen, die der Soldatenberuf mit sich bringt, mitgetragen haben. Ich denke bei diesem Dank auch an den Wehrbeauftragten und an die Militärseelsorge beider Kirchen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wünscht der Bundeswehr für die Zukunft ein weiterhin erfolgreiches Mitwirken für den Frieden in Freiheit zum Wohle unseres Staates und seiner Bürger, damit auch die nächste Generation unsere schöne Heimat, unser Vaterland Deutschland und damit Europa in Frieden und Freiheit bewohnen und erleben kann. Dies sollte unser gemeinsames Bekenntnis sein. Alle reden vom Frieden - wir haben ihn. Alle reden von Freiheit - wir haben sie. Lassen Sie uns doch zusammenstehen, um beides gemeinsam zu erhalten! Ich bedanke mich. ({20})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Klejdzinski, den von Ihnen verwendeten Begriff „unverschämter Bengel" weise ich als unparlamentarisch zurück. Das Wort hat der Abgeordnete Lange von der Fraktion DIE GRÜNEN.

Torsten Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Biehle, lassen Sie mich als „sowjetischen Gedankenträger" - so haben Sie es, glaube ich, genannt - versuchen, einen Keil zwischen Amerika und die Bundesrepublik zu treiben, und lassen Sie mich zu einer Organisation reden, die Sie mit der Freiwilligen Feuerwehr verglichen haben. Das Problem dabei ist nur, daß die Feuerwehr mit Wasser spritzt, während Soldaten mit gefährlichen Waffen auf Menschen schießen. ({0}) Insofern ist Ihre Denkstruktur etwas an der Sache vorbeigegangen; der Vergleich hat nicht ganz gepaßt. Herr Kollege Ronneburger, ich weiß nicht, ob Sie das so gemeint haben, wie Sie es gesagt haben. Es geht uns nicht darum - ich glaube, Sie wissen das sehr wohl -, die Menschen, die in der Bundeswehr ihren Dienst tun, zu denunzieren. ({1}) Aber es muß doch wohl das Recht einer Fraktion im Bundestag sein, die Bundeswehr als Institution in ihrer Rolle im Bündnis kritisch unter die Lupe zu nehmen, ({2}) ohne daß dies mit den Menschen verwechselt wird, die wir sehr schätzen und von denen wir auch sehr viele aus unseren eigenen Reihen in dieser Institution haben. Insofern trifft dieser Vorwurf absolut nicht. ({3}) An die Adresse der SPD gerichtet: Wir haben hier heute das Thema Bundeswehr - ein sehr heikles Thema. Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen die SPD bewußt in den Geruch gesetzt wurde, aus vaterlandslosen Gesellen zu bestehen. Ich habe den Eindruck, daß Sie im Hinblick auf 1987 langsam eine Strategie verfolgen, mit der Sie die GRÜNEN in den Geruch der NATO-Land-losen Gesellen rükken, um damit einen Keil zwischen Kräften in der Friedensbewegung zu treiben - eine Sache, die Ihnen allerdings schlecht bekommen wird, wie ich vermute. ({4}) Meine Damen und Herren, in diesen Tagen geschieht viel Lärm. Es werden laute Ansprachen gehalten, es werden bunte Hochglanzbroschüren verteilt, es wird ein dröhnendes Dschingderassabum gehört, es wird gefeiert. Warum feiert man laut? Man feiert laut aus Überschwang, aus Freude. Man kann aber auch aus einer gewissen Unsicherheit heraus laut feiern. Wenn man den Bundeskanzler heute gehört hat, so hat man natürlich, wenn ich es einmal etwas ironisch sagen darf, seine innere Beteiligung an diesem Thema gespürt. Man hat gespürt, mit welcher Vehemenz er die Bundeswehr verteidigt hat. Ich denke, daß die Art und Weise, wie er die Sache hier vertreten hat, ein Indiz dafür ist, in welchem Zustand sich die Bundeswehr befindet. ({5}) Ich frage mich, in welchem Zustand, in welchem Zustand hinsichtlich Ihrer Motivation die Bundeswehrsoldaten außerhalb der Kasernen und in den Kasernen diese Rede gehört haben mögen. Man mag Dank sagen. Die Bundeswehrsoldaten werden das sicher gerne hören. Sie werden vielleicht auch sagen: Na ja, gut, so etwas hört man immer gerne. Aber was soll ich schon tun? Ich muß ja meinen Dienst verrichten. Sie können Ihnen nicht öffentlich entgegentreten und ihre Meinung sagen. Wir behaupten: Trotz allen Getöses, trotz allen Lärms sieht sich die Bundeswehr heute nach 30 Jahren einem Rechtfertigungsdruck der Öffentlichkeit gegenüber ausgesetzt wie noch nie. Deshalb die feierliche Flucht in die Öffentlichkeit, deshalb die Lautstärke, mit der Wesentliches übertönt werden soll. Es ist heute die Zeit der großen Illusionen. 30 Jahre Bundeswehr heißt 30 Jahre Verdrängung. Es ist auch die Rede von Traditionen, vom Traditionserlaß gewesen, der neu definiert werden müsse. Wir meinen dazu, daß fehlende demokratische Traditionen in der Bundesrepublik, gerade hier in Deutschland, nicht durch militärische Traditionen ersetzt werden sollten. Beleidigen Sie doch um Himmels willen mit Traditionsgerede nicht die Millionen Toten vergangener Kriege, die nicht in deutschem Namen entstanden sind, wie es immer wieder gesagt wird, sondern die durch Deutsche angezettelt wurden und sonst nichts. Wer von Tradition redet, redet von einer unheilvollen Tradition. Wir jedenfalls wollen damit nichts, aber überhaupt nichts zu tun haben. ({6}) Zweiter Punkt. Eine Bemerkung, die weh getan hat: Militär und Demokratie seien unvereinbar. Ich habe nicht gesagt, die Bundeswehr und Demokratie seien unvereinbar. Ich habe gesagt, Militär und Demokratie seien unvereinbar. Und das ist ein Unterschied, ({7}) das ist ein Unterschied in der Hinsicht, daß wir als politische Kraft die Bundeswehr als Institution zunächst einmal zu akzeptieren, als real existierend zu betrachten haben, daß wir aber dennoch sagen, daß wir uns trotz dieser Institution Bundeswehr immer darüber im klaren sein müssen, daß Militär an sich antidemokratisch ist. ({8}) Als kleines Beispiel: Das Prinzip Befehl und Gehorsam hat mit Demokratie im militärischen Bereich genausowenig zu tun wie im wirtschaftlichen Bereich. Und die Forderungen der SPD nach Mitbestimmung sind doch berechtigt, weil sie eine demokratische Substanz beinhalten. ({9}) Insofern müssen Sie sich diesen Vorwurf immer wieder gefallen lassen. Die Demokratie leidet am Militär. Das Militär leidet, weil es funktional sein muß, an der Demokratie. Das ist doch eine Tatsache, der man sich stellen kann, über die man sich im klaren sein kann. ({10}) - Wahrscheinlich ist das viel zu schwierig für die Fraktion der CDU/CSU, die sich mit dieser Institution Bundeswehr geradezu identifiziert. Man kann j a auch Verständnis dafür haben. Wer glänzende Augen bei öffentlichen Gelöbnissen bekommt, mit dem kann man natürlich schwer in einer solch differenzierten Form kommunizieren. ({11}) In dieser Hochglanzbroschüre zu 30 Jahren Bundeswehr schreibt Herr Wörner, im Gelöbnis unserer Soldaten stehe - und dies sei die einfachste und treffendste Antwort auf viele Analysen zum verfassungsmäßigen Auftrag der Bundeswehr -, der Bundesrepublik Deutschland werde der Soldat treu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen. Dieser Auftrag der Bundeswehr ist, wir wissen das alle, nicht realistisch. Die Realität im Ernstfall sieht anders aus. Sie ist menschenverachtend und dauerhaft nicht konsensfähig in der Bevölkerung. Die Friedensbewegung wird nicht locker lassen, immer wieder auf diesen Tatbestand hinzuweisen. ({12}) Die Bundeswehr im NATO-Bündnis - und darauf komme ich wieder zurück, auch wenn das hier nicht gerne gehört wird - entwickelt sich zu einem Instrument einer aggressiven amerikanischen Global- und Hegemonialpolitik, mit der zugleich Kriegsführungsdenken mit nuklearen, chemischen und konventionellen Mitteln eingeführt werden soll. FOFA Air/Land-Battle, War-time-host-nationsupport-Vertrag usw. sind Belege dafür. Wir fordern den NATO-Austritt nach wie vor und betrachten den Vorwurf der Wehrlosigkeit als eine Denunziation, wo Sie genau wissen, daß wir dem Prinzip der sozialen Verteidigung Vorrang einräumen. ({13}) Meine Damen und Herren, es ist nicht die Zeit des Feierns, es ist die Zeit des Fragens und des Umdenkens. Mit Militär ist heute kein Staat und erst recht kein Krieg mehr zu machen. Ich fordere die Soldaten auf: Legt die Tötungsapparate aus der Hand! Zersetzt eine Wehrkraft, die auf Aggression ausgerichtet ist! Helft mit, eine nicht militärische Verteidigung aufzubauen, die, wenn auch nicht ohne Risiko, im Ernstf all unser Überleben eher garantiert als ein Krieg mit militärischen Mitteln! Wenn schon Gewissensprüfung, dann aber auch für jene, die Waffen in die Hand nehmen und bereit gemacht werden sollen, damit zu töten. 30 Jahre Bundeswehr, meine Damen und Herren, kein Grund zum Feiern aus der Sicht der GRÜNENFraktion. Vielen Dank. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Lange, der Begriff: „Zersetzt eine Wehrkraft" ist nicht akzeptabel. Das widerspricht unseren Gesetzen. ({0}) Vizepräsident Westphal Ich rufe den Abgeordneten Ganz ({1}) auf. ({2})

Johannes Ganz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000634, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will auf das, was der Kollege Lange dargestellt hat, nicht eingehen. Ich würde mich nicht wundern, wenn sein Redebeitrag morgen wortwörtlich im „Neuen Deutschland" abgedruckt würde, wie das in den letzten Tagen schon einmal geschehen ist. Es gab in der vorigen Woche eine Debatte im saarländischen Landtag über Tieffluglärm, und der Beitrag eines SPD-Kollegen, leider, ist am anderen Tag im „Neuen Deutschland" erschienen. ({0}) Meine Damen und Herren, bei Diskussionen um Frieden und Sicherheit habe ich manchmal den Eindruck, als sähen einige, die von der Bundeswehr reden, in ihr nur ein gigantisches Gebilde der Kriegsmaschinerie, das uns viel Geld kostet und von namenlosen oder seelenlosen Wesen betrieben würde. Es sind dieselben, die bei Diskussionen um den inneren Frieden unsere Polizeibeamten als „Bullen" oder „Schlägertruppe" diffamieren. ({1}) Die so denken und reden, sind nicht mehr in der Lage zu begreifen, daß es sich bei diesen Institutionen unseres Staates zuerst um Menschen, um unsere Mitmenschen handelt und erst danach um den Apparat. Beim Begriff der Bundeswehr sehe ich zuerst den jungen, hoffnungsvollen Abiturienten aus meiner Heimatstadt St. Wendel vor mir, der vor drei Jahren seinen Dienst bei der Bundeswehr aus Überzeugung und freiwillig auf sich genommen hat und einige Wochen danach durch einen Unfall ums Leben gekommen ist. Deswegen sollten wir, wie der Herr Bundeskanzler für die Regierung dies bereits getan hat, auch als Parlamentarier bei der Rückschau auf 30 Jahre Bundeswehr zunächst all derer ehrend gedenken, die durch technische Unzulänglichkeiten oder gar durch menschliches Versagen im Dienst der Bundeswehr ihr Leben ließen, und ihren Angehörigen unser Mitgefühl zum Ausdruck bringen. Ich sehe aber auch den jungen Mann aus meinem Wahlkreis vor mir, der durch einen Unfall im Dienst sein weiteres Leben querschnittsgelähmt im Rollstuhl verbringen muß. Wir sollten uns am heutigen Tag auch all derer erinnern, die in Ausübung ihrer Pflicht bleibende Gesundheitsschäden davongetragen haben. Ich weiß und erkenne dankbar an, daß die Truppe, die Sozialberater und die Dienststellen der Bundeswehr in solchen Fällen schnell und unbürokratisch helfen. Aber vielleicht darf ich bei Ihnen, Herr Bundesminister Dr. Wörner, anregen, auch einmal aus besonderen Anlässen eine Delegation von Wehrbeschädigten zu Veranstaltungen der Bundeswehr einzuladen. ({2}) Beim Stichwort Bundeswehr sehe ich aber auch die jungen Wehrpflichtigen und Soldaten vor mir, die mit mir diskutieren, die man durch Wort und Tat in größte Gewissensnot zu treiben versucht. Äußerungen wie „Soldaten sind potentielle Mörder", Störungen bei feierlichen Gelöbnissen und Kasernentorbesetzungen wollen ja diese Gewissensnot provozieren, um über diesen Weg die Bundesrepublik Deutschland verteidigungsunfähig zu machen. ({3}) Ich versuche dann den so Bedrängten mit einem Zitat von Theodor Heuss zu helfen, der 1959 vor der Führungsakademie in Hamburg die Würde des Soldatenberufs und dessen ethischen Rang so umschrieben hat: Für die anderen, den Nachbarn, die Heimat, das Volk, auch den Staat, der die Herberge der bürgerlichen Freiheit und der menschlichen Gerechtigkeit sein soll, die sachliche und auch seelische Wehr zu bilden. Er hat hinzugefügt: Ihre Seele soll frei und muß frei sein, um mit gelassener Souveränität demagogischen Anwürfen - es hat eh und je in der Geschichte auch eine christlich eingekleidete Demagogie gegeben - zu begegnen, daß Ihr Tun, wenn es auch nicht unmittelbar als verbrecherisch angesprochen sein mag, so doch Ihre Arbeit als Wegweisung zum Verbrechertum deklariert wird. Es gibt heute wie damals Meinungsbildner, die ihre pädagogische oder kirchliche Autorität dazu mißbrauchen, den ihnen Anvertrauten einzureden, die Verweigerung habe eine höhere moralische Qualität als der Wehrdienst. Sie unterschlagen dabei die Tatsache, daß es gerade der Kriegsverhinderungsdienst unserer Soldaten ist, der ihnen die Wahrung des durch die Verfassung garantierten Ausnahmerechts auf Verweigerung erst sichert. Es bleibt dabei - um ein Wort von Altbundeskanzler Kiesinger zu wiederholen -: Die Bundeswehr und ihre Soldaten sind für uns die eigentlichen und primären Garanten des Friedens. ({4}) Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, sehe ich die Vielzahl der Soldaten und zivilen Mitarbeiter und deren Familienangehörige vor mir, die, ohne dauernd zu lamentieren, viele Entbehrungen auf sich und ihre Familien nehmen und weit mehr als ihre Pflicht tun - sie haben keine 40-StundenWoche, oft noch nicht einmal die 60-Stunden-Woche, Bereitschaft an Sonn- und Feiertagen, häufiger Wechsel des Standorts mit den umzugsbedingten Problemen der Wohnungssuche, des Schulwechsels, der Eingliederung in und der Gewöhnung an die neue Umgebung, von den Kosten gar nicht zu reden. Ganz ({5}) Deswegen sollten wir dieses Jubiläum auch zum Anlaß nehmen, den Ehefrauen und Kindern unserer Soldaten und Zivilbediensteten der Bundeswehr zu danken für das Verständnis, das sie dem Dienst ihrer Männer und Frauen entgegenbringen, und für ihre eigene Bereitschaft, dafür Opfer auf sich zu nehmen. ({6}) Das Bild vom Menschen in der Bundeswehr, meine Damen und Herren, spiegelt sich aber auch wider in dem, was wir Innere Führung nennen. In der letzten Ausgabe „Das Parlament" meint Dietrich Wagner in seinem Artikel „Dienst für den Frieden" - ich zitiere Obwohl die sozialisatorischen Leistungen der Inneren Führung unbestritten bleiben, muß das „Experiment Innere Führung" heute aber als weitgehend gescheitert gelten. Der „Staatsbürger in Uniform", Leitbild der Inneren Führung, ist zum Trugbild, ja zum Zerrbild geworden. Er beruft sich dabei auf den letzten Jahresbericht des Wehrbeauftragten und die darin geschilderten Grundrechtsverletzungen. Aus solchen nicht entschuldbaren Ausnahmen diesen Schluß zu ziehen ist meines Erachtens unzulässig. Er diffamiert damit Tausende von Offizieren und Unteroffizieren, die sich im Laufe der Geschichte der Bundeswehr jede erdenkliche Mühe gegeben haben, das Vertrauensverhältnis zwischen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften zu fördern, die Menschenrechte der Soldaten zu achten, ihre persönliche Freiheit nur dort einzuschränken, wo die besonderen militärischen Belange in Organisation, Ausbildung und soldatischer Disziplin dies notwendig machen, um sie in die Lage zu versetzen, kämpfen zu können, damit sie nicht kämpfen müssen. Wir sind denen, die das Modell der Inneren Führung entworfen haben, deswegen ebenso dankbar wie den Tausenden von Offizieren und Unteroffizieren, die dieses Leitbild für sich akzeptieren und in der Truppe praktizieren. Die Mitmenschlichkeit der Angehörigen der Bundeswehr zeigt sich darüber hinaus aber auch in ihrem sozialen und helfenden Engagement. Wie vielen Menschen in Not hat der Rettungsdienst SAR schon geholfen! Bei wie vielen Katastrophen - ich denke an die Waldbrände, an die Überschwemmungen - sind unsere Soldaten helfend eingesprungen! Ihr Einsatz zur Linderung der Hungerkatastrophe in Nordafrika ist beispiellos in der Welt. ({7}) - Lassen Sie sich mal die Kontonummer sagen, Herr Lange. Zirka 1,2 Millionen DM haben unsere Bundeswehrsoldaten seit 1983 bis jetzt für die hungernden Kinder in der Welt in ihren eigenen Reihen gesammelt. Das empfehle ich zur Nachahmung. Und wieviel ehrenamtliches Engagement bringen die Mitarbeiter des Bundeswehr-Sozialwerkes jährlich auf! Dies sind nur Beispiele, deren man noch viele anführen könnte. Sind das Kommißköpfe? darf ich fragen. Meine Damen und Herren, mein Anliegen in dieser Stunde war es, unsere Bundeswehr, ihre Soldaten, Beamten, Angestellte und Arbeiter in ihrer Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit herauszustellen, aufzuzeigen, daß sie ganz einfach ein Teil unserer Gesellschaft sind. Das bedeutet aber für uns Parlamentarier, daß wir nicht nur ihre unverzichtbaren Leistungen für Frieden und Freiheit anerkennen, sondern ihnen auch Gleichbehandlung angedeihen lassen. Ich habe schon einmal hier gesagt und wiederhole es: Die Soldaten, Beamten, Angestellte und Arbeiter der Bundeswehr verlangen keine Sonderbehandlung, keine Sonderrechte für sich. Aber sie erwarten zu Recht, daß sie für ihren Dienst im Vergleich zu anderen Gruppen, die ihre Interessen vielleicht mit größerer Lautstärke vertreten, nicht benachteiligt werden. Die Sorgen und Nöte der Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr sind uns bekannt, und wir sind ernsthaft bemüht, sie Schritt für Schritt zu mildern. Den Katalog dessen, was bereits verbessernd geschehen ist und was zur Bewältigung noch ansteht, kann ich in dieser Zehn-Minuten-Rede leider nicht aufzählen. Ich verweise, was die Soldaten anlangt, auf das, was ich am 28. März dieses Jahres hier im Plenum gesagt habe, und, was die zivilen Mitarbeiter betrifft, auf meine Ausführungen am 17. Oktober auf der Bundesvertretertagung der Beamten der Bundeswehr in Koblenz. Ich meine, daß das, was wir in den letzten drei Jahren zuwege gebracht haben, als Beweis für unser Bemühen und unsere Ernsthaftigkeit gelten kann. An dieser Stelle möchte ich insbesondere Herrn Bundesminister Dr. Wörner ein herzliches Wort des Dankes sagen, der sich wie kein anderer bei dieser schwierigen und kritischen Haushaltssituation dieser Themen angenommen hat und dafür auch Verständnis und Zustimmung im Kabinett und in diesem Hohen Hause gefunden hat und sie zum großen Teil auch durchgesetzt hat. Herzlichen Dank, Herr Minister Dr. Wörner. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie müssen Ihre Rede beenden; Ihre Redezeit ist vorüber.

Johannes Ganz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000634, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich herzlich für Ihr Zuhören. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Bastian. ({0})

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich nicht vor, mich mit einem so kurzen Beitrag in dieser wichtigen Debatte zu Wort zu melden. Aber einiges, was gesagt worden ist, hat mich bewogen, diese Zurückhaltung aufzugeben und doch meine Meinung zu äußern. Zu Recht ist von vielen Rednern hervorgehoben worden, daß die Bundeswehr die Armee eines demokratischen Rechtsstaats ist, die sich Staat und Gesellschaft in absoluter Loyalität verpflichtet fühlt und sich als Instrument einer auf Kriegsverhütung angelegten Sicherheitspolitik versteht. Wer die Bundeswehr kennt, weiß, daß dies so ist, ({0}) und weiß auch, daß es unsinnig ist, der Bundeswehr oder dem Soldaten Kriegsvorbereitungen oder gar Kriegslüsternheit zu unterstellen. Das ist tatsächlich absurd. ({1}) Deswegen möchte ich eines sagen. Wer für den Abbau von Feindbildern in der Außenpolitik eintritt, wie auch ich es tue und wie das sicher sehr viele in diesem Raum tun, der sollte es bitte unterlassen, Feindbilder im Inneren aufzubauen ({2}) und die Soldaten zur Zielscheibe von Attacken zu machen, die an eine ganz andere Adresse gerichtet werden müssen. Die Soldaten sind das Instrument der Sicherheitspolitik, aber nicht die Sicherheitspolitik selber. ({3}) Wer kritisiert werden kann und sich dieser Kritik in einem demokratischen Staatswesen stellen muß, sind die Politiker, der für die Bundeswehr verantwortliche Minister, der Bundeskanzler, ({4}) aber nicht die Bundeswehr selbst und nicht die Soldaten, die in ihr dienen. ({5}) - Nein, keine späte Erkenntnis; ich habe nie etwas anderes gesagt. Das Gegenteil werden Sie mir nicht nachweisen können. ({6}) - Das hat damit nichts zu tun. ({7}) - Es wäre besser, Sie ließen mich jetzt ausreden. Dagegen ist zu Recht betont worden, daß die Bundeswehr durch ihre bloße Existenz der Bundesregierung und dem Bundeskanzler mehr Gewicht im Bündnis und seinem Wort größere Beachtung verschafft hat. Aber da setzt die Kritik ein, auch am 30. Geburtstag der Bundeswehr. ({8}) Denn der Bundesregierung ist vorzuwerfen, daß sie von dieser von der Bundeswehr geschaffenen Einflußmöglichkeit eben nicht im ausreichenden Maß Gebrauch macht: ({9}) zur Wahrung nationaler Interessen und zur Abwehr von Entwicklungen, die diesen Interessen schaden müssen. ({10}) Auch das muß am 30. Geburtstag der Bundeswehr und im Interesse der Soldaten gesagt werden. Die beflissene Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung etwa von Pershing-II-Raketen in unserem Land und die sich abzeichnende beflissene Unterstützung des SDI-Programms der Vereinigten Staaten sind nur zwei Beispiele für diese Nichtausnutzung eines Handlungsspielraums im Bündnis, ({11}) der durch die Bundeswehr geschaffen worden ist. ({12}) Es ist leider in diesem Zusammenhang notwendig und richtig, kritisch hinzuzufügen, daß sich die Bundesregierung am 30. Geburtstag der Bundeswehr fragen lassen muß, ob ihre Sicherheitspolitik nicht gerade gegen die Interessen der Soldaten wie auch gegen die Interessen der Öffentlichkeit gerichtet ist, ob den Soldaten denn überhaupt noch zugemutet werden kann, daß mit dem wachsenden Risiko, mit der wachsenden Dominanz nuklearer Offensivwaffen im Rüstungsspektrum ({13}) und dem von dieser Rüstungsentwicklung hervorgerufenen Risiko die Möglichkeiten der Bundeswehr und der Politik zur Kriegsverhinderung weiter und weiter reduziert werden, ({14}) daß die Gefahren eines Krieges und einer nuklearen Auseinandersetzung in unerträglicher, aber nicht notwendiger Weise wachsen und daß damit ja auch dem Soldaten eine inakzeptable Rolle zugemutet wird, im Kriegsfall nicht mehr der Verteidiger seiner Heimat sein zu können, sondern nur noch der Zerstörer all dessen sein zu müssen, was erhalten bleiben soll und was ja auch erhaltenswert ist. ({15}) Ich muß schließen, da meine Redezeit abgelaufen ist. Ich richte gerade zum 30. Geburtstag der Bundeswehr den Appell an den Bundesminister der Verteidigung, der Bundeswehr ein Geschenk zu machen, nämlich die von solchen Besorgnissen ebenfalls geplagten Soldaten, die es ja im aktiven Dienst gibt, zu ermutigen, die Diskussion in den Streitkräften zu führen, und diese Soldaten, wie das bisher leider der Fall gewesen ist, dienstlich nicht zu benachteiligen. ({16}) Auch das wäre ein Beitrag zur konstruktiven Würdigung des 30. Geburtstages der Streitkräfte. Es geht darum, die Diskussion in den Streitkräften über den richtigen Weg zu beleben - diese Diskussion beschäftigt uns alle, die wir alle noch nicht das Rezept haben; aber wir müssen gemeinsam versuchen, diesen Weg zu finden -, damit eine Alternative entwickelt werden kann, die weg von dem wachsenden Risiko der nuklearen Vernichtung und hin zu einem Zustand friedlicher Koexistenz führt, wie er von der Politik einmal angestrebt wurde, aber heute leider der Vergangenheit angehört. Danke schön. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Steiner.

Heinz Alfred Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002235, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst einige Bemerkungen an die Adresse des Kollegen Biehle. Herr Kollege Biehle, wir haben uns nicht - wie Sie es hier darzustellen versuchten - verschämt unter die Geburtstagsgäste gemischt. Sozialdemokraten haben einen maßgeblichen Anteil am Aufbau der Bundeswehr, die nicht Anhängsel einer Partei ist, schon gar nicht Besitzstand der Partei, der Sie angehören. ({0}) Ich weise deshalb die Äußerung, die Sie hier vor diesem Hause getan haben und die wir als unverschämt empfinden, mit Entschiedenheit zurück. ({1}) Herr Kollege Biehle, ich erwarte, daß Sie als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Interesse einer weiteren sachlichen Zusammenarbeit für die Bundeswehr ein Wort der Entschuldigung dazu finden werden. ({2}) Meine Damen und Herren, bei unseren Überlegungen, die wir Sozialdemokraten anläßlich des 30. Jahrestages der Gründung der Bundeswehr anstellen, lassen wir uns weitgehend vom Verfassungsauftrag der Bundeswehr und von dem leiten, was die SPD in ihrem Godesberger Programm zur Landesverteidigung niedergeschrieben hat. Daraus folgt, daß unser grundsätzliches Verhältnis zur Bundeswehr nicht davon abhängt, ob wir in der Regierungsverantwortung stehen oder nicht. Wir wissen, daß es für die Bundeswehr zur Zeit, so wie die Welt aussieht, keine Alternative gibt. Es gibt auch keine Alternative zur Einbindung der Bundeswehr in das westliche Verteidigungsbündnis. Das entbindet uns aber nicht von der Verantwortung, uns den Fragen zuzuwenden, die der Entwicklungsprozeß immer wieder neu an die Sicherheitspolitik stellt. Im Gegenteil, wir sind verpflichtet, unsere eigenen Sicherheitsinteressen in Abhängigkeit von sich ändernden Rahmenbedingungen stets neu zu definieren und nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, unsere Interessen auch oder gerade auch im Bündnis einzubringen und durchzusetzen. 30 Jahre Bundeswehr sind nicht nur ein Anlaß zum Feiern, Dank zu sagen oder Glückwünsche entgegenzunehmen, so richtig und so wichtig dies einigen auch erscheinen mag. 30 Jahre Bundeswehr sind Anlaß genug, sich den Problemen der Bundeswehr, insbesondere der sozialen Lage der Soldaten innerhalb der Bundeswehr zuzuwenden. Gefeiert und paradiert wurde wahrlich in einem Maße, das auch kritische Stellungnahmen geradezu herausgefordert hat. Als ehemaliger Truppenoffizier mit einer über 20jährigen Dienstzeit in der Bundeswehr kann ich abschätzen, welcher Aufwand erforderlich war, damit die von der Führung gezielt angeordneten oder gewünschten Veranstaltungen zusätzlich zu den eigentlichen Aufträgen der einzelnen Verbände und Dienststellen stattfinden konnten. Ich weiß, wieviel Arbeit, wieviel Phantasie und welche dienstlichen Klimmzüge für die Vorbereitung und für die Durchführung derartiger Selbstdarstellung erforderlich ist. Bei einer wöchentlichen Dienstzeit, die in den Einsatzverbänden das zumutbare Maß seit Jahren überschreitet, wären auch maßvollere Jubiläumsaktivitäten sicherlich angebracht gewesen. ({3}) Es gibt Kommandeure und Dienststellenleiter, die sich das rechte Maß bewahrt haben. ({4}) Ich kann nur hoffen, daß diese Soldaten nicht in Ungnade fallen, weil sie die vom Minister in sie gesetzten Selbstdarstellungserwartungen nicht hinreichend genug erfüllt haben. Dr. Wörner sollte auch wissen: Das rechte, das zumutbare Maß zu finden ist nämlich Aufgabe eines jeden militärischen Vorgesetzten. Die Sorgepflicht für seine Untergebenen gebietet das. Die Fürsorgepflicht des Dienstherren ist sogar noch umfassender. Daran muß ich auch am 30. Geburtstag der Bundeswehr erinnern. Es gibt nicht nur Grund zum Feiern, sondern im Interesse unserer Soldaten und ihrer Familien auch Grund genug zu kritischen Anmerkungen - und diese muß man ertragen können; das gilt auch für den Kollegen Biehle. Die Dienstzeitbelastung habe ich bereits kurz erwähnt, aber das genügt nicht. Ich muß dem bereits Gesagten noch hinzufügen, daß es nach 30 Jahren Bundeswehr im Frieden möglich sein muß, eine Normalbelastung und eine höchstzulässige Dienstzeitbelastung zu definieren. ({5}) Es muß in Friedenszeiten möglich sein, verbindliche Maßstäbe für Dienstzeitanforderungen festzulegen. Ich weiß aus meiner Funktion als Kompaniefeldwebel und später als Kompaniechef, welche persönlichen und familiären Schwierigkeiten sich aus einer hohen Dienstzeitbelastung über einen längeren Zeitraum ergeben können. Als Staatsbürger in Uniform und Teil der Gesellschaft muß auch der Soldat in einem angemessenen Umfang an der gesell13032 schaftlichen Entwicklung und an der Verbesserung der Lebensqualität teilhaben. Mindestens muß das Recht auf eine ausreichende Freizeit auch für unsere Soldaten gelten. ({6}) Unsere Soldaten und Zivilbeschäftigten erfüllen seit nunmehr 30 Jahren ihre Pflicht in der Bundeswehr. Viele Probleme konnten gelöst werden, einige sind ungelöst geblieben, neue sind hinzugekommen. Die Wohnungsfürsorge, eine Aufgabe des Dienstherrn, ist prinzipiell ein Problem geblieben, das sogar nach 30 Jahren Bundeswehr noch anzuwachsen droht. Die Versetzungshäufigkeit bei den Soldaten ist zwar zurückgegangen, die sozialen Folgen der von häufigen Versetzungen betroffenen Soldatenfamilien werfen aber nach wie vor große Probleme auf. Die Schulausbildung der Kinder, ihre Ausbildungsplätze, die Berufstätigkeit der Ehefrauen sollen als Beleg für diese Aussage reichen. Ein weiteres Problem, das erst in den letzten Jahren aufgekommen ist und das Dr. Vogel bereits angesprochen hat, bedarf dringend einer Lösung: Die durch Massenarbeitslosigkeit gekennzeichnete Arbeitsmarktsituation macht eine Wiedereingliederung von ausscheidenden Zeitsoldaten in das zivile Berufsleben immer schwieriger. Viele Soldaten auf Zeit werden in die Arbeitslosigkeit entlassen, nicht wenige gehen ohne finanziellen Rückhalt, ohne Anspruch auf Leistung aus der Arbeitslosenversicherung auf Stellensuche. Es ist für einen Vorgesetzten deprimierend, wenn er seinen pflichtbewußten und zuverlässigen ehemaligen Unteroffizieren und ihren Familien kaum helfen kann, wenn er miterleben muß, wie ehemalige gute Mitarbeiter unmittelbar im Anschluß an ihren Dienst für die Gemeinschaft zu Sozialhilfeempfängern werden. Wenn ich auf meine ersten Dienstjahre bei der Bundeswehr ab 1959 zurückblicke, kann ich feststellen, daß ich auch Entwicklungsschritte der Bundeswehr zu einer demokratischen Armee in einer demokratischen Gesellschaft habe miterleben können. Bemerkenswert ist, was Gustav Heinemann als Bundespräsident bereits im April 1972 in der Schule der Bundeswehr für Innere Führung sagte - ich zitiere -: Vernünftiges demokratisches Verhalten und der militärische Führungsgrundsatz von Befehl und Gehorsam stehen sich gegenseitig nicht im Wege. Die Behandlung der anvertrauten Menschen unter dem Gebot der Wahrung ihrer Würde und ihrer Rechte, das ist die eine Seite. Demgegenüber fordern Eigenart des soldatischen Dienstes und die Erfüllung des militärischen Auftrages eine klare Führung, die auf Befehl und Gehorsam nicht verzichten kann. Das ist die andere Seite. Beides ist durch Verfassung dem Soldaten zugesprochen und auferlegt. So weit Bundespräsident Heinemann. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß ein vernünftiges demokratisches Verhalten zu Beginn meiner Dienstzeit von Vorgesetzten sehr unterschiedlich definiert wurde und sich deshalb zum militärischen Führungsanspruch von Befehl und Gehorsam erhebliche Spannungen auftaten. ({7}) Demokratisches Verhalten, zudem noch vernünftig geprägt, war in den Anfangsjahren der Bundeswehr nicht durchgängig zu erleben und zu erfahren. Ich muß dem Zwischenrufer recht geben, der ruft: Das ist nicht nur typisch für die Bundeswehr. Demokratisches Verhalten hat sich erst im Laufe der Jahre sowohl bei Vorgesetzten als auch bei Untergebenen dank der Grundsätze der Inneren Führung und ihrer inhaltlichen Ausgestaltung zu dem entwickelt, was man heute herkömmlich als vernünftig und größtenteils als selbstverständlich ansieht. Demokratisches Verhalten findet aber auch heute noch seine Grenzen im militärischen Führungsanspruch von Befehl und Gehorsam und befindet sich deshalb stets in einem Spannungsfeld, dessen Größe und Intensität von der Führungsqualität der Vorgesetzten und ihrer Fähigkeit und Bereitschaft abhängen, die Grundsätze der Inneren Führung im militärischen Alltag zu praktizieren. Demokratisches Verhalten läßt sich nicht verordnen, auch für die Bundeswehr nicht; es muß gelernt werden. Wenn der Wehrbeauftragte heute in seinem Jahresbericht Verstöße besonders herausstellt, so sind sie die Ausnahmen, die vor weniger als 30 Jahren oftmals noch den Stellenwert eines Kavaliersdeliktes hatten. Heute sind Verstöße gegen die Grundsätze der Inneren Führung kein Kavaliersdelikt mehr. Bei all dem Erreichten dürfen wir aber in unserer Aufmerksamkeit nicht nachlassen. Nicht Mißtrauen soll dabei unsere Leitlinie sein, sondern das Wissen, daß in einer großen Organisation wie der Bundeswehr die Inhalte der Inneren Führung verengt werden können, wenn wir nicht einer technokratischen Auslegung entgegenwirken. Auch die Erweiterung des Mitsprache- und Mitwirkungsrechts des Vertrauensmanns, an den sich altgediente Vorgesetzte übrigens - das ist die Erfahrung, die ich gemacht habe -, auch erst gewöhnen mußten, kann mit dazu beitragen, das Erreichte zu bewahren, besser noch, es weiter auszubauen. Abschließend möchte ich noch einige Sätze an diejenigen richten, die nicht müde werden, direkt oder indirekt darauf hinzuweisen, daß sich Bundeswehr und Sozialdemokratie in ihrem Verständnis von Staat, Gesellschaft und Militär fremd oder gar diametral gegenüberstehen. Auch die Äußerung des Kollegen Biehle ging heute in diese Richtung. Ich selbst bin doch wohl ein lebendes Beispiel dafür, daß derartige Verallgemeinerungen nicht angebracht sind; teilweise haben sie auch einen böswilligen Charakter. Ich habe als ehemaliger Berufssoldat weder ein gestörtes Verhältnis zur Bundeswehr noch fühlte oder fühle ich mich als Soldat innerhalb der SPD als Außenseiter. Ich hatte und habe auch im Umgang mit Parteifreunden, die eine pazifistische Gesinnung haben, keine Schwierigkeiten. ({8}) Wir haben nämlich als Sozialdemokraten eines gemeinsam, und das unterscheidet uns von vielen, die mir jetzt zuhören: Wir sind für die Gewissensentscheidung, und wir respektieren und verteidigen das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Kriegsdienstverweigerung. ({9}) Aber wir motivieren nicht dazu. ({10}) Wir distanzieren uns auch von denjenigen, die Argumentationshilfen und Techniken nur mit dem Ziel anbieten, die Zahl der Kriegsdienstverweigerer möglichst hochzutreiben. Wir sind für die Landesverteidigung, weil wir keine pazifistische Partei sind. Wir sind für die Wehrpflichtarmee, allerdings im Gegensatz zum Verteidigungsminister für eine Wehrpflichtarmee mit realistischen Umfangszahlen. ({11}) Wir können deshalb die Ablehnung des Dienstes mit der Waffe nicht als Regelfall akzeptieren. Deshalb fordern wir zum Wehrdienst auf. Allerdings erscheint es mir richtig, an dieser Stelle noch einmal darauf hinzuweisen, daß wir Sozialdemokraten den dynamischen Entwicklungsprozeß in der Sicherheitspolitik konstruktiv kritisch begleiten. Die Soldaten der Bundeswehr finden in uns verantwortungsbewußte Partner, die sich der Mühe des kritischen Mitdenkens nicht entziehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich sehr herzlich bei den Fraktionen bedanken, die hier ein Bekenntnis zur Bundeswehr abgelegt haben. Ich finde, das war eine gute Stunde für das deutsche Parlament, noch mehr eine gute Stunde für die Bundeswehr. Die Bundeswehr hat dreierlei geschafft: Sie ist zum ersten eine Bürgerarmee geworden, Sie ist zum zweiten eine Bündnisarmee von Rang geworden, und sie ist zum dritten eine Armee der Freiheit nach innen wie nach außen. ({0}) Darum haben wir - dazu bekenne ich mich ganz persönlich; das ist meine Entscheidung und meine Verantwortung gewesen - Wert darauf gelegt, den 30. Geburtstag zu begehen, und zwar in aller Öffentlichkeit. Daß wir die Bundeswehr zeigen, ganz bewußt auch bei einem solchen Anlaß zeigen mit dem, was sie hat, und mit dem, was sie kann, verehrte Frau Kollegin von den GRÜNEN, ist - mit Verlaub gesagt - kein Militärspektakel, sondern eine bare Selbstverständlichkeit wie in jeder anderen Demokratie dieser Welt auch. ({1}) Wer keine Armee als Staat im Staate will, muß die Bundeswehr in die Öffentlichkeit bringen und darf sie nicht von ihr abkapseln. ({2}) Das in der Tat haben wir geschafft: Die Zeit ist vorbei - ich werde nicht müde, das zu wiederholen -, in der lautstarke Minderheiten glauben konnten, sie könnten bestimmen, wann, wo, bei welchen Gelegenheiten die Bundeswehr wie gezeigt wird. ({3}) Diese Bundeswehr hat auch nichts zu verstecken. Sie hat den Frieden gesichert. Das dürfen alle Soldaten und zivilen Mitarbeiter für sich in Anspruch nehmen. ({4}) - Ja, das kann ich beweisen: Unser Land - um Ihr Stichwort aufzugreifen - und Europa blieben im Gegensatz zu den 150 Regionen, in denen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges um uns herum Kriege geführt wurden, von einem Krieg verschont. Das ist nicht zuletzt der Bundeswehr und dem Bündnis zu danken. ({5}) Deswegen sage ich zum Schluß dieser Debatte hier an dieser Stelle noch einmal: Nicht diejenigen, die unsere Kasernen oder die Kasernen unserer Verbündeten blockieren, können für sich in Anspruch nehmen, daß sie dem Frieden dienen. Es sind vielmehr diejenigen, die die Uniform des Soldaten anziehen und für die Freiheit und für den Frieden eintreten. ({6}) Ich wünschte mir überall die Gesinnung, wie ich sie am letzten Freitag bei einem öffentlichen Gelöbnis in Osterode erlebt habe. Ich war vorher zu einem Truppenbesuch und hatte unmittelbar, bevor ich auf den Marktplatz ging, eine Diskussion mit Wehrpflichtigen. Es waren Demonstrationen angesagt; am Schluß kamen aber nur vielleicht 30 Teilnehmer. Es waren größere Demonstrationen angesagt, als sie dann stattgefunden haben. Ich habe die jungen Wehrpflichtigen gefragt: Was haltet ihr davon? - Die spontane Antwort dieser jungen Wehrpflichtigen lautete: Wir finden es großartig, daß wir eine Demokratie haben, in der man auch abweichende Meinungen darstellen kann. Wir wünschen uns nur, daß das friedlich verläuft. Wir empfinden unseren Dienst in der Bundeswehr als einen Dienst, der dieses demokratische Recht schützt. Eine solche Gesinnung wünschte ich mir bei denen, die mit Lärm versuchen, solche Feiern der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu stören. ({7}) Das ist die Haltung unserer jungen Soldaten, unserer jungen Wehrpflichtigen. Ich finde sie prima, ich finde sie selbstverständlich und finde sie gut. Wir respektieren die Meinung der anderen. Das wird so bleiben. Wir respektieren das Recht auf Demonstration. Wir werden es schützen. Aber wir erwarten den gleichen Respekt für diejenigen, die ihrem Gewissen folgen, die diese unsere Demokratie in der Bundeswehr schützen. ({8}) Nun ein Wort zu Ihnen, verehrte Frau Kollegin: Sie haben ein Bild der Bundeswehr mit Alkoholismus und Selbstmord gezeichnet, das ich im einzelnen nicht aufgreifen will. Ich möchte Sie nur zum Nachdenken bringen. Vielleicht korrigieren Sie Ihr Bild in diesem Punkt. ({9}) Nachweislich ist die Selbstmordrate in der Bundeswehr geringer - ich wiederhole das: nachweislich geringer; ich bin bereit, das Ihnen jederzeit nachzuweisen; Sie haben die Zahlen im übrigen von uns schon mehrfach erhalten - als in den entsprechenden Altersgruppen unserer Gesellschaft. Hören Sie auf, ein Bild zu zeichnen, das so aussieht, als ob die Bundeswehr die jungen Leute in den Selbstmord triebe. ({10}) Ich möchte ganz wenige Punkte aus der Debatte aufgreifen. ({11}) - Wenn es unseriös ist, Fakten zu zitieren, dann kann ich nur sagen: Ich bekenne mich gern zur Unseriosität. Zur Diskussion über die Sicherheitspolitik: Herr Bastian, Sie haben mich aufgefordert, sie zuzulassen. Sie wissen, daß in dieser Armee leidenschaftlich über die Fragen der Sicherheitspolitik diskutiert wird. Es gibt keinen Maulkorb. Auch das wissen Sie. ({12}) In dieser Armee kann in Freiheit diskutiert werden. Weder die politische noch die militärische Führung verbieten das. ({13}) Herr Kollege, das wird auch so bleiben. ({14}) - Lieber Herr Schily, regen Sie sich nicht so auf. Eines allerdings wird auch so bleiben: Wir haben ein Soldatengesetz, und der Bundesminister der Verteidigung ist dafür verantwortlich, daß sich die Soldaten an dieses Soldatengesetz halten. Das wird auch so bleiben. ({15}) Im übrigen: Suchen Sie einmal eine Armee in der Welt - auch in den demokratischen Staaten -, in der in solcher Freiheit und Offenheit diskutiert wird. ({16}) Nun möchte ich das Stichwort Tradition kurz aufgreifen, das der Fraktionsvorsitzende der SPD erwähnt hat. In einem Punkt stimmen wir mit Sicherheit überein: hinsichtlich dessen - wie er gesagt hat -, daß sich die Tradition, die Traditionsbildung in unseren Streitkräften an den Wertvorstellungen des Grundgesetzes orientieren müsse. Richtig! Das wird so bleiben. Im übrigen meine ich, daß der Bundespräsident beim Zapfenstreich auf der Hardthöhe in seiner Rede etwas ausgeführt hat, was ich festhalten, noch einmal sagen sollte, weil es sich mit meiner persönlichen Auffassung deckt und mit dem, was ich als Leitlinie auch für das Traditionsverständnis der Bundeswehr heute und in der Zukunft empfinde. Er hat dort gesagt: Unsere Streitkräfte wurden von Soldaten einer Generation aufgebaut, die mit Tapferkeit und Pflichtgefühl gekämpft hatte, ({17}) aber von einem Unrechtsregime in einem sinnlosen Krieg mißbraucht worden war. Dennoch hatte sich im Widerstand deutscher Soldaten gegen die Diktatur der Rang des Gewissens und der Treue gezeigt, wie es den besten Überlieferungen entsprach. Befehl und Gehorsam sind an Recht und Gewissen gebunden. Treue ist nicht Hörigkeit. Der Eid verpflichtet zu gegenseitiger Treue. ({18}) In diesem Sinne bekenne auch ich mich in der Tat zu den soldatischen Tugenden und zur Traditionspflege. ({19}) - Wir haben das schon einmal besprochen. Sie werden von mir erst dann einen Traditionserlaß bekommen, wenn ich selbst der Meinung bin, daß er ausgereift ist und eben nicht von den Zufälligkeiten einer Regierungsbildung abhängig wird. Das ist mein Ehrgeiz. Ob ich ihn erfüllen kann, ob ich das wirklich schaffe, weiß ich - ich sage es noch einmal - heute noch nicht. Aber eines weiß ich: daß es ein sehr schwieriges Unterfangen ist. Das haben schon die ersten Arbeiten daran gezeigt. Aber ich denke, ich sollte an diesem Ziel festhalten. Nun noch einige wenige Bemerkungen zu Fragen, die Sie aufgegriffen haben, ohne daß ich dies jetzt am Schluß in eine streitige Debatte abgleiten lassen wollte: Was hier zu den Soldaten auf Zeit, zur ArBundesminister Dr. Wörner beitslosigkeit und zur Dienstzeitbelastung gesagt wurde, sind unsere gemeinsamen Sorgen. Nur werden Sie es mir nicht verdenken, wenn ich folgendes sage: Ich werde jetzt gemahnt, aber ich weise auf das hin, was wir beispielsweise beim Dienstzeitausgleich erst einmal tun mußten, um nur das wieder auszugleichen, was Sie kurz vorher eingeschränkt hatten. Ich weise auf das hin, was wir getan haben, damit Soldaten auf Zeit einen Arbeitsplatz finden. Soldaten auf Zeit finden übrigens im Durchschnitt weit besser als die bis jetzt Unbeschäftigten einen Arbeitsplatz. ({20}) Sie werden dank ihrer guten Ausbildung draußen hervorragend aufgenommen. Ihre Arbeitslosigkeit liegt weit, weit unter dem Durchschnitt; das haben erst vor ganz kurzer Zeit Erhebungen ergeben, die ich Ihnen gerne zur Verfügung stellen kann. Dennoch, jeder, der auch nur für drei Monate arbeitslos bleibt, ist einer zuviel. Deswegen werden wir uns anstrengen. Wir sollten uns doch aber darüber einig sein: Sie können, nachdem Sie 13 Jahre lang das Problem nicht gelöst haben, nun, kaum in der Opposition, nicht herkommen und uns anklagen, wenn wir es noch nicht ganz gelöst haben. ({21}) Zur Bundeswehrplanung nur soviel: Lieber Kollege Kolbow, auch wenn Sie es zehnmal wiederholen, wird es nicht wahr. Sie sagen nach Art einer Gebetsmühle, die Bundeswehrplanung sei auf Sand gebaut. Sie ist nicht auf Sand gebaut. Sie beruht auf sorgfältigen Berechnungen der militärischen und zivilen Mitarbeiter im Bundesministerium der Verteidigung, auf Berechnungen, die zum Teil sogar noch auf die Zeit zurückgehen, in der ein Sozialdemokrat die Verantwortung trug. Diese Bundeswehrplanung steht also. Natürlich gibt es einige Prämissen, von denen wir noch nicht wissen, ob sie eintreten werden; das ist aber bei jeder Planung so. Deswegen wird die Bundeswehrplanung Jahr für Jahr überprüft. Eines allerdings habe ich mit großem Interesse gehört: Sie, lieber Herr Kolbow, haben gesagt, die Ansätze für die Beschaffung seien zu niedrig. Das ist eine gute Erkenntnis. Es wäre nur schön, wenn Sie diese Erkenntnis an die SPD-Kollegen im Haushaltsausschuß übermitteln könnten, denn die behaupten andauernd, die Ansätze seien zu hoch. Sorgen Sie also für Klarheit in den eigenen Reihen, und kommen Sie dann wieder hierher! ({22}) Ein Letztes zu den Fragen, die hier aufgeworfen wurden: Ich möchte mich ganz besonders herzlich bei den Wehrpflichtigen bedanken. Alles andere ist ja schon gesagt worden. Das liegt mir sehr am Herzen, denn je häufiger ich mit Wehrpflichtigen zu tun bekomme, desto klarer wird mir, daß wir im Augenblick eine ganz vorzügliche Generation junger Wehrpflichtiger in unseren Streitkräften haben. ({23}) Sie kommen nicht mit Hurrapatriotismus zum Bund; das verlangen wir auch gar nicht. ({24}) Sie kommen nicht mit Hurrapatriotismus, aber wenn sie da sind, haben sie das Gefühl: Jetzt wollen wir etwas leisten. Sie alle kommen auch sehr bewußt zum Bund, und sie bekennen sich dazu, häufig, meine Damen und Herren, mit einer Spontaneität, einer Aufrichtigkeit und einer Überzeugungskraft, die ich als Bundesminister der Verteidigung bewundere. Dafür möchte ich hier einmal sehr herzlich Dank und Anerkennung sagen. ({25}) - Sie wissen, ich komme aus der Luftwaffe. ({26}) Wir haben viele der Probleme, die die Truppe drücken, lösen können. Vor uns stehen aber noch große Herausforderungen. Der Bundeskanzler hat zwei genannt: die zukünftige Personallage der Bundeswehr und deren Ausrüstung. Der Lösung dieser beiden Probleme dient unsere Bundeswehrplanung. An den Schluß dieser Debatte will ich aber ganz bewußt noch andere Herausforderungen stellen, Probleme, mit denen wir uns konfrontiert sehen: die Neigung, in einer Friedensarmee die Anforderungen des Ernstfalles als Maß der Ausbildung aus den Augen zu verlieren; die Gefahr der Bürokratisierung, die die Verantwortlichkeit von Menschen bei der Erfüllung ihres Auftrages aushöhlen kann; die Gefahr, sich mit dem seelenlosen Funktionieren zufriedenzugeben und dabei den Menschen aus den Augen zu verlieren; die Schwierigkeit, unseren jungen Soldaten den Sinn des Dienstes - nicht nur in der Theorie, sondern auch im täglichen praktischen Dienst - zu vermitteln. Das sind einige der Probleme, mit denen wir uns konfrontiert sehen, Probleme der militärischen gleichermaßen wie der politischen Führung. Ich denke, wir stellen uns diesen Problemen nicht nur, sondern wir werden sie auch lösen können. Wir können das tun, wenn der Dank und die Anerkennung, die der Bundeswehr jetzt an ihrem 30. Jahrestag entgegengeschlagen sind, nicht auf Feiertage beschränkt bleiben. Wenn die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr sich täglich von den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft wie von allen Bürgern unseres Landes getragen wissen, dann, aber auch nur dann ist mit der Zukunft unserer Armee auch die Zukunft des Friedens und der Freiheit gesichert. Das wäre das ein13036 zige und das schönste Geburtstagsgeschenk, das sich die Bundeswehr wünscht. ({27})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4237 ({0}). Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Meine Damen und Herren, wir haben eine Reihe von Wortmeldungen für Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung, also persönliche Erklärungen. Dazu rufe ich zuerst den Abgeordneten Werner ({1}) auf.

Gerd Peter Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002482, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will hier begründen, warum ich dem Entschließungsantrag der GRÜNEN zustimmen mußte. Ich bin Pazifist geworden. Ich war sechs Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Auf einer Dorfstraße in Schleswig-Holstein erlebte ich in dieser Zeit - wie gesagt, als Sechsjähriger -, wie zwei Männer in militärischer Uniform einen dritten, ebenfalls in Uniform, regelrecht massakrierten, den reglosen Körper in den Straßengraben rollten. Ich habe dieses Bild nie vergessen können. Ich war etwa zwölf Jahre alt, als zum erstenmal bekannt wurde, daß Adenauer Pläne für eine deutsche Wiederbewaffnung hatte. Da wußte ich schon mit Entschiedenheit: Ich werde niemals Soldat werden. Ich war etwa 15, als mein Lehrer mich für ein Schüleraustauschjahr in den USA vorschlug. Ich wurde zu einem Interview der Schulbehörde geladen und habe dort auf Befragen schon damals, als 15jähriger, meine Zweifel an Adenauer geäußert, insbesondere meine Befürchtung, Adenauer habe heimlich, ohne vorher eine öffentliche Meinungsbildung herbeizuführen, den Amerikanern deutsche Soldaten angeboten. Nun, ich wurde nicht in die USA geschickt, und andere, die ausgewählt und dorthin geschickt wurden, haben mich später ausgelacht wegen meiner mangelnden Bereitschaft zur Anpassung. So waren die 50er Jahre: muffig! Und in diesen Jahren wurde die Bundeswehr gegründet. Kurz bevor ich meinen Termin zur Anerkennung, zur Überprüfung meines Gewissens als Kriegsdienstverweigerer hatte, erfuhr ich, wie es einem Onkel von mir im letzten Krieg ergangen war. Er war als Soldat in Polen als Bewacher in einem KZ eingesetzt worden. Nach kurzer Zeit wählte er den einzigen ihm möglichen Ausweg: Selbstmord. In meiner Verhandlung wurde mein Gewissen anerkannt, und ich muß hier erklären, ich bin sehr dankbar, daß ich als Bundesbürger die Möglichkeit nach unserem Grundgesetz habe, diese Gewissensentscheidung zu wählen. Mein Onkel, wie gesagt, hat diese Möglichkeit nicht gehabt. Meine Zweifel an der heutigen wie damaligen Praxis der Gewissensüberprüfung will ich hier nicht darlegen. Ich möchte aber doch kurz auf einen Punkt hinweisen. Das Wort Gewissen kommt in unserem Grundgesetz nicht nur in Art. 4 für die Kriegsdienstverweigerer vor, sondern auch in Art. 38 für uns Abgeordnete, dort allerdings ohne die Möglichkeit irgendeiner rechtlichen Überprüfung. Sonst wäre es ja wohl auch nicht möglich, daß sich Gewissensentscheidungen in diesem Hause exakt entlang einer gewissen Linie - so hier in der Mitte des Hauses - vollziehen. ({0}) Ich habe bereits 1961 meinen damals so genannten „zivilen Ersatzdienst" geleistet, hier in Bonn, oben auf dem Venusberg, in der Klinik. Da ein dortiger Verwaltungsdirektor uns KDVer, wie man uns im alten Jargon nannte, auf Grund seiner politischen Vergangenheit als suspekt betrachtete, durfte ich nicht in der Krankenpflege arbeiten, sondern mußte Rasen mähen, das Heizkraftwerk bewachen, Mülltonnen leeren und z. B. auch in einem großen Gasofen Tierleichen verbrennen - die Ergebnisse wissenschaftlicher Experimente mit Hunden, Katzen, Schafen, Kaninchen usw. ({1}) Ich denke, daß diese kurzen biographischen Notizen deutlich machen, warum ich hier nicht anders kann, als dem Entschließungsantrag der GRÜNEN zuzustimmen. ({2}) Ich kenne wohl das Argument, daß ich hier nur deshalb reden kann, weil die anderen meine Freiheit mit Hilfe von Waffen schützen. ({3}) Aber dem steht immer noch gegenüber, was ich schon in den 50er Jahren empfunden habe: Die Wiederbewaffnung ist ohne vorherige öffentliche Meinungsbildung durchgeführt worden - um den Preis der Wiedervereinigung Deutschlands. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter - Werner ({0}) ({1}): Ich weiß wohl, daß hier nicht eine Alternative zur Abstimmung auf dem Tisch lag: entweder Wiedervereinigung oder NATO-Beitritt; das weiß ich sehr wohl. Aber es ist genauso sicher, daß es mit erheblichen, intensiven politischen Bemühungen dazu hätte kommen können, diese Alternative hier herbeizuführen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, es geht nicht um die Fortführung der Debatte, sondern es geht um Ihre persönliche Erklärung zu Ihrem Vizepräsident Westphal Abstimmungsverhalten. Ich bitte Sie, sich daran zu halten. Sie haben das zwar bis jetzt getan, aber es drohte sich zu ändern. Darf ich um einen Schlußsatz bitten.

Gerd Peter Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002482, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich werde einen Schlußsatz sprechen. - Als meine Gewissensentscheidung damals staatlich anerkannt wurde, gab es noch eine fortlaufende Numerierung von uns Kriegsdienstverweigerern. Ich hatte eine Nummer unter 4 000. Heute sind es bereits mehr als 700 000 Kriegsdienstverweigerer in dieser Republik; im Jahre 1984 waren es z. B. 43 000. Ich denke, auch wegen dieser anwachsenden Zahl ist es nötig, auch einmal für diese Seite hier eine solche Erklärung abzugeben. Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Vogel ({0}).

Axel Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002376, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe selber vier Jahre in der Bundeswehr gedient. Ich habe lange gebraucht, um die Nachwirkungen dieser Zeit im Denken und im Verhalten halbwegs zu überwinden. ({0}) Ich bin der Auffassung, daß die Bundeswehr nicht nur eine Funktion nach außen hat, sondern eben auch nach innen wirkt: auf die Menschen, auf die Hirne dieser Menschen, die in ihr dienen und gedient haben. ({1}) Ich habe die Bundeswehr in der Tat als eine Schule der Nation erlebt. Nachdem ich die allgemeine Schulbildung abgeschlossen hatte, nachdem ich das Grundwissen hatte, das man benötigt, um in der Wirtschaft verwendbar, um in der Wirtschaft vermittelbar zu sein, wurde ich in der Schule der Nation auch in hierarchische Strukturen eingepaßt und mit der Möglichkeit vertraut gemacht, in Hierarchien zu denken und zu arbeiten. Dies geschah z. B. über eine weitestgehende Entmündigung, die bei der Formalausbildung beginnt und ihre Extrem-punkte in einigen Zentralen Dienstvorschriften findet. Ich nenne hier nur die eine, in der steht, daß ab einer Wassertiefe von 1,5 Meter selbständig mit den Schwimmbewegungen zu beginnen ist. ({2}) Diese Entmündigung geht dann weiter bei Spenden, die der Herr - aber das darf ich ja nicht sagen -- Also, die Entmündigung geschieht weiter dort, wo der Kompaniefeldwebel bei der Lohnauszahlung danebensteht und darauf achtet, daß die Soldaten auch genug Geld für die Kriegsgräberfürsorge spenden. Das Prinzip „Befehl und Gehorsam" funktioniert auch, weil es attraktiv ist, attraktiv für 20jährige, wie ich damals einer war, attraktiv für jemanden, der nie etwas zu sagen gehabt hatte und dem nun die Möglichkeit gegeben wurde, innerhalb kürzester Zeit Macht zu erhalten, Macht über andere. Ich glaube, daß hierin die große Attraktivität, die große Gefahr eines solchen Prinzips liegt. ({3}) Ich habe in der Bundeswehr erlebt, daß Machtmißbrauch passiert, daß dieser Machtmißbrauch natürlich auch dadurch erzeugt wird, weil persönliche Ohnmacht kompensiert werden muß. Ich habe erlebt, daß die formalen Hierarchien noch wesentlich harmloser sind als die informalen Hierarchien, die unter Wehrpflichtigen herrschen. Diese informalen Hierarchien ohne Schulterstücke, ohne Abzeichen sind wesentlich schlimmer. Es geht hier um die Geschichten, die jeder Vorgesetzte kennt, bei denen jeder Vorgesetzte das Maul hält, ({4}) weil er genau weiß, daß er dagegen nicht ankommt. Das sind die Maßbandriten - Sie kennen das ganz genau -, Schnapstage, Besäufnisse, Neue-LageBrüllen, natürlich damit einhergehend, daß die Alteren, die ein Maßband tragen, die Jüngeren, die gerade erst eingezogen worden sind, die Bettes oder Jungfüchse, wie immer man sie, nach Region verschieden, auch nennt, mit brutalen Disziplinierungsmaßnahmen dazu zwingen, die Maßbänder zu küssen. Wenn sie es nicht machen, werden sie in der Nacht aus dem Bett rausgezogen, abgeduscht, teilweise werden ihre Stiefel vollgeschissen. ({5}) Das alles sind Sachen, die ich erlebt habe ({6}) und die in der Tat nicht abgestellt werden können, weil sie im System verankert sind. Diese Unmenschlichkeit setzt sich fort. Das Unglaubliche, das auch ich selber erlebt habe, ist doch, daß das am Anfang alle Wehrpflichtigen ablehnen, dem völlig entfremdet gegenüberstehenden und am Ende genauso zu Unterdrückern geworden sind, genau dieselben Riten durchführen, die sie am Anfang auf das entschiedenste abgelehnt haben. ({7}) Das zeigt doch deutlich, daß die Bundeswehr die Menschen verändert, daß ein Veränderungsprozeß in ihnen stattfindet ({8}) und daß es unglaublich schwierig ist, sich, wenn man dann wieder rausgekommen ist, davon zu lösen. ({9}) Vogel ({10}) Insofern ist für mich ganz klar, daß die Bundeswehr eine basisdemokratische und selbstverwaltete Gesellschaft verhindert, weil sie nämlich auch in den Köpfen der Menschen weiterwirkt. Danke. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Wortmeldung zu § 31 der Geschäftsordnung liegt von der Frau Abgeordneten Hönes vor.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte hier begründen, warum ich unserem Entschließungsantrag ebenfalls zustimmen muß.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Hönes, Sie haben dazu bereits in der Sache gesprochen.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich habe keine persönliche Erklärung abgegeben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich muß sehr deutlich aus dem, was Sie in den nächsten Sätzen sagen werden, erkennen können, daß es etwas anderes und eine persönliche Erklärung ist. Zur Sache haben Sie bereits gesprochen.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte hier eine persönliche Erklärung abgeben, weil ich mir große Sorgen mache, ({0}) daß man in den 90er Jahren Frauen in die Bundeswehr ziehen wird, weil sie Probleme haben wird, die notwendige Mann-Stärke von 495 000 zu gewährleisten. Ich habe Angst, daß sich der instrumentelle Zugriff auf Frauen als beliebige, manövrierbare Reservearmee wiederholen wird. ({1}) - Die kommen nicht freiwillig. Die besondere Perfidie besteht doch darin, daß unter Schlagworten wie „Kein Berufsverbot für Frauen" die berufliche Gleichstellung mit Männern vorgegaukelt wird, die ihnen in sämtlichen anderen Bereichen verwehrt bleibt. Während in allen Bereichen des öffentlichen Sektors und des privaten Sektors bisher von der Bundesregierung nichts unternommen worden ist, um Mädchen qualifizierte Berufsausbildungen zu eröffnen, nichts gegen die Diskriminierung von Frauen in der Erwerbsarbeit getan worden ist, so daß Frauen damit weiterhin auf den uninteressantesten und schlechtestbezahlten Arbeitsplätzen konzentriert sind, wird diese Perspektiv- und Chancenlosigkeit vieler Mädchen skrupellos ausgenutzt, sie mit dem Versprechen auf sichere Arbeitsplätze in der Bundeswehr für die Integration in den Militärapparat willfährig zu machen. Das macht mir Sorge. ({2}) Und bei diesem angestrebten Erhalt der Mann-Stärke spielt bei allen Überlegungen um Frauen in der Bundeswehr ein weiteres Motiv eine entscheidende Rolle. Es ist doch klar, daß es in Zeiten zunehmenden Legitimationschwundes der Rüstungspolitik, wie wir sie Gott sei Dank erleben und wie er seit dem Stationierungsbeschluß 1983 und der allmählichen Hinwendung zu Offensivstrategiekonzepten auch von den Militärs und Politikern nicht mehr ignoriert werden kann - meine Damen und Herren, wachen Sie doch endlich auf -, ({3}) um so wichtiger wird - und das ist das Entsetzliche -, die gesellschaftliche Ablehnung und den potentiellen Widerstand gegen die Kriegsvorbereitungspläne dadurch zu verringern, daß relevante Oppositionsgruppen zumindeset teilweise in das eigene Handwerk integriert werden und es somit legitimieren. ({4}) Das ist doch der Punkt, der mir hier Sorge macht und zu dem ich sprechen muß. Ich lehne es ab, Frauen wieder zu aktiven Assistentinnen der Vernichtung und zu Legitimationsbeschafferinnen zu machen, und das mit Vehemenz. Ich setze die Hoffnung auf Frauen, die in der Tradition der Antikriegsbewegung von Frauen im Ersten Weltkrieg und der Frauenfriedensbewegung der 50er Jahre auch jetzt beginnen, sich zu organisieren. ({5}) Ich hoffe auf die vielen tausend jungen Frauen, die in den letzten Jahren vorsorglich ihre Kriegsdienstverweigerung erklärt haben, wenn sie in einem nächsten Krieg zum Zivilschutz eingezogen werden sollten. ({6}) Das sollte auch Ihnen Sorge machen. Sie sollten darüber nicht so dumm lachen. ({7}) Ich hoffe auf die Ärztinnen und die Krankenschwestern, ({8}) die in der Internationalen Vereinigung der Ärzte zur Verhinderung des Atomkriegs maßgeblich daran mitwirken, vor den katastrophalen Folgen eines nuklearen Krieges zu warnen, und die dafür sehr zu Recht den Friedensnobelpreis zuerkannt bek amen. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung. Ich bitte, diese Bestimmung vorher noch einmal gründlich zu lesen. Sie wissen, daß es keine einfache Sache ist, Redefreiheit für jeden aufrechtzuerVizepräsident Westphal halten, uns aber ganz strikt an die Geschäftsordnung zu halten. ({0}) Ich bitte herzlich darum, das zu befolgen.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich werde das tun, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Es ist mir anläßlich dieser Abstimmung ein persönliches Anliegen, deutlich zu machen, ({0}) „daß zu dieser Zeit angesichts der Aufrüstung in der Welt und bei einer solchen Gefährdung des Weltfriedens eigentlich ein Soldatendienst nicht mehr geleistet werden kann". Das war ein Zitat, und ich mache mir damit eine Feststellung zu eigen, die der Bischof der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg in der DDR am Sonntag zum Beginn der Friedensdekade vom 10. bis 20. November so getroffen hat. ({1}) Mit den Kirchen in der DDR halte ich die Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst für das einzig deutliche Zeugnis von christlichem Friedensengagement und daher eine klare Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckungspolitik für geboten. ({2}) Wohlgemerkt: Es geht mir dabei nicht darum, die Gewissensentscheidung derer herabzusetzen, die sich für den Dienst in der Bundeswehr entschieden haben. ({3}) Diese respektiere ich. Als staatlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer muß ich aber entschiedenen Protest auch von dieser Stelle anmelden, wenn ich sehe, wie mit Hunderten von zentral gelenkten Jubelveranstaltungen Nationalfeiertagsatmosphäre -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Dr. Schierholz, das war bereits das Thema. Dazu können Sie jetzt hier nicht in Ihrer persönlichen Erklärung sprechen.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte persönlich begründen, Herr Präsident: - - auf allen Wellenlängen verbreitet wird, indem das Nachdenken, erst recht ein Prozeß der Gewissensbildung über Überlebensfragen regelrecht zugedröhnt wird. Ein Staat, der neben den gesetzlich festgelegten Feiertagen massive Anstrengungen für heimliche, eben ungesetzliche Feiertage verordnet, dokumentiert für mich ein bedenkliches Ausmaß an demokratischem Substanzverlust, ({0}) weil hier eine politische Symbolik für die größte Parade aller Zeiten, Zapfenstreiche und jene fragwürdigen öffentlichen Gelöbnisse, das ersetzen, was in Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgesehen ist, nämlich eine auf aktiver, kontroverser und breiter Diskussion beruhende Herrschaft des Volkes. Ich messe den Grad von Frieden in einer Gesellschaft nicht am Vorhandensein möglichst vieler Waffen und Soldaten, sondern an der Stabilität und Leistungsfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherheit, an dem Bewußtsein und Handeln für die Schwachen in der ersten und in der dritten Welt, insbesondere aber an der Engagement- und Widerstandsbereitschaft möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger. Diese soziale Verteidigungsbereitschaft sollte gefördert werden, von der Regierung und vom Parlament. ({1}) Weil hier in diesen Tagen so viel Dank abgestattet worden ist, ist es mir ein persönliches Bedürfnis, anläßlich dieser Abstimmung allen Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistenden meinen Dank und meine Anerkennung für ihre Arbeit, ({2}) für ihre Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst auszusprechen. Mein besonderer Dank gilt dem Engagement der totalen Kriegsdienstverweigerer, ({3}) deren Grundrecht auf Gewissensfreiheit in der Praxis durch den Vorrang militärischer Interessen mit Füßen getreten wird. Totale Kriegsdienstverweigerer haben in diesen Tagen Schlagzeilen gemacht, weil zirka fünfzig junge Männer in der DDR an der Wahrnehmung ihrer Gewissensfreiheit gehindert worden sind und statt dessen mit rechtlichen Mitteln diszipliniert wurden. Ich habe die Gelegenheit ergriffen, am Rande dieser Debatte in der Botschaft der Deutschen Demokratischen Republik in Bonn gegen dieses Vorgehen zu protestieren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Schierholz, Sie haben den Rand der Debatte bereits überschritten. Ich muß Ihnen sagen, daß Sie nicht mehr im Rahmen des § 31 unserer Geschäftsordnung sind. Ich muß Ihnen deshalb sagen, Sie müssen jetzt aufhören und das Rednerpult verlassen. Es tut mir leid.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich noch einen Schlußsatz sagen, Herr Präsident?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie dürfen einen Schlußsatz sagen.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aus diesem Grunde unterstütze ich den Antrag meiner Fraktion. Wir greifen damit ein Anliegen der Friedensbewegung auf, das diese gegenwärtig in der Informationswoche, in der Friedensdekade zum Ausdruck bringt. Dieses Anliegen hat meine volle Unterstützung. - Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich möchte noch einmal für weitere hier gemeldete Redner sagen, die Unterstützung Ihres Antrags, der mit der Entschließung der Fraktion DIE GRÜNEN vorgelegt worden ist, ist hier bereits durch Ihre beiden Redner erfolgt. Insofern muß es sich um eine Erklärung handeln, die Ihr eigenes Verhalten von dem abhebt, was dort gesagt worden ist. Bitte, Herr Abgeordneter Mann, zu einer Erklärung nach § 31. ({0})

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich dann zunächst zu dem hier streitigen § 31 sagen, daß ich als Abgeordneter dieses Deutschen Bundestages es als eine Zumutung empfinde, daß ich zu meinem Abstimmungsverhalten nachträglich etwas erkläre, obwohl z. B. in der Kommentierung zu unserer Geschäftsordnung drinsteht: „Unzulässig ist eine Erklärung zur Abstimmung nach der Abstimmung." Das muß an dieser Stelle auch mal gesagt werden. Zum zweiten möchte ich kurz und präzise nachträglich begründen, warum ich dem Antrag zugestimmt habe. ({0}) Ich denke, daß wir hier wenige Tage vor dem Genfer Gipfel und fast zwei Jahre nach dem verhängnisvollen Stationierungsbeschluß des Deutschen Bundestages - und daher, Herr Kollege Dr. Bötsch, hat j a auch schon einmal -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie sind schon wieder in der Debatte. Diese ist beendet. Ich bitte Sie, das zu beachten. Hier oben sitzt jemand, der dafür zu sorgen hat, daß wir gemeinsame Regeln einhalten. Ich bemühe mich darum. Ich kann auch von Ihnen verlangen, sich danach zu richten.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bemühe mich darum. Nach diesem ersten Halbsatz möchte ich sagen, daß ich in dieser Verantwortung, die wir als gewählte Volksvertreter haben, hier bei dieser Diskussion „30 Jahre Bundeswehr" meine, wir müssen darüber abstimmen, wie wir den Frieden in der Zukunft sichern wollen. Der Punkt, warum wir uns hier streiten, ist ein Generationenproblem. Sie blikken zurück, und wir blicken nach vorn, und wir wollen den Frieden sichern. Diese Bereitschaft, den Frieden zu sichern, sollten Sie uns nicht absprechen. Wir werden sie auch Ihnen nicht absprechen. Darauf bezieht sich unser Antrag. Ich darf - und damit komme ich zum Schluß, Herr Präsident - aus dem letzten Absatz zitieren und Sie sozusagen nachträglich fragen, warum Sie dem nicht zugestimmt haben. Es heißt dort: Der Deutsche Bundestag ist der festen Überzeugung, daß alle diese Maßnahmen - die Sie nachlesen können die Gefahr des Krieges nicht herabsetzen, sondern verstärken. Geboten ist die konsequente Vorbereitung des Friedens durch Abrüstung. Wenn dazu beispielsweise von Herrn Minister Wörner mehr geredet worden wäre, -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie jetzt, das Rednerpult zu verlassen. Ich habe Sie zweimal gemahnt, und ich muß Ihnen deutlich machen, daß Sie eine Debatte fortsetzen, die längst beendet ist.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe begründet - und ich bin am Ende -, warum ich diesem unserem Antrag hier zustimmen mußte, wenn wir das ernst nehmen wollen, was Sie gesagt haben auch zur Bedeutung der Bundeswehr in einem demokratischen Rechtsstaat. Vielen Dank.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich habe Sie aufgefordert, das Rednerpult zu verlassen. Ich rufe auf Frau Dann zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung. ({0})

Heidemarie Dann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich empfinde es nicht als zufällig, daß Männer dieses Datum besonders feiern. Als Jahrestag einer internationalen Macht- und Männerorganisation ({0}) - ich komme dazu - muten mich die zahlreichen Festlichkeiten mit potenziertem Umfang wie eine Demonstration der männlichen -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Dann, ich kann das nicht zulassen. Sie können eine Erklärung dazu abgeben, in der Sie persönlich sagen, was Sie zu Ihrer Entschließung vorzutragen haben. Sie können nicht eine Ergänzung dazu geben, weil das alles in Ihrem Entwurf steht.

Heidemarie Dann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe verstanden. Das Arbeitssicherstellungsgesetz, das im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung von 1968 verabschiedet wurde, hat für die Einbeziehung der Frauen in die Bundeswehr schon Voraussetzungen geschaffen. Vor diesem Hintergrund ist diese Feier nicht von der Notstandsgesetzgebung zu trennen. Ich zähle zu den Frauen, die aus Einsicht in die internationale Gewaltstrategie der Regierung öffentlich - ({0}) - Ach, meine Herren! Wenn Sie persönliche Erklärungen abgeben, werden Sie nicht so laufend unterbrochen. ({1}) Ich zähle zu den Frauen, die aus Einsicht in die internationale Gewaltstrategie der Regierung öffentlich gegen die Dienstverpflichtung protestiert und den Dienst verweigert haben. ({2}) Vor diesem Hintergrund habe ich dem Antrag der GRÜNEN zugestimmt. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat zu einer Erklärung nach § 31 der Herr Abgeordnete Rusche.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann Ihnen versprechen, daß sich meine persönliche Erklärung von den Debattenbeiträgen der Kollegen meiner Fraktion abheben wird. Kurz ein Vorwort. Mein Vater war im Krieg. Er hat es nicht versäumt, mir in meiner Kindheit - ich bin 1952 geboren - intensiv von dieser Zeit im Krieg zu erzählen und mir beizubringen, was es bedeutet, wenn Krieg ist, und wie Menschen leiden und Menschen sterben. ({0}) Ich bin von Kindesbeinen an zum Pazifisten erzogen worden. Ich bin stolz darauf. Ich finde es traurig, daß viele Herrschaften, die auch hier in diesem Haus sind, es offensichtlich versäumt haben, das für sich selbst und ihre Kinder nachzuvollziehen. ({1}) Eine weitere persönliche Bemerkung dazu: Ich selbst bin froh - Frau Timm, hören Sie doch mal zu; es ist wirklich interessant, was ich zu sagen habe -, daß ich weder Kriegsdienst noch Ersatzdienst leisten mußte, weil der ehrliche Umgang mit meiner Homosexualität bei den Herrschaften der Bundeswehr Besorgnis und Erschrecken erregte. ({2}) - Wahrscheinlich. Trotzdem betone ich, daß die Bundeswehr versucht, homosexuelle Mitbürger oder vermeintlich homosexuelle Mitbürger ihrem Bild entsprechend zu verformen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Fall des Hauptmanns a. D. Lindner und an den erbärmlichen Skandal um den General Kießling. Danke. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bevor ich die Sitzung unterbreche, teile ich mit, daß der Tagesordnungspunkt 3 am Nachmittag aufgerufen wird, aber nicht gleich um 14 Uhr. Die Fraktionen wollen sich erst darüber einigen, wann über ihn beraten wird. Um 14 Uhr setzen wir diese Sitzung mit der Behandlung des Tagesordnungspunkts 4 a fort. Fraktionssitzungen für 13 Uhr haben die Fraktion der CDU/CSU und die Fraktion der SPD angesetzt. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. ({0}) Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Tagesordnungspunkt 3, den wir nicht, wie geplant, vor der Mittagspause behandeln konnten, heute nach Tagesordnungspunkt 5 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ({1}) - Drucksachen 10/3792, 10/3926 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({2}) - Drucksachen 10/4148, 10/4212 Berichterstatter: Abgeordneter Eimer ({3}) bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/4240 Berichterstatter: Abgeordnete Rossmanith Waltemathe Dr. Müller ({5}) ({6}) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ({7}) - Drucksache 10/3806 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({8}) - Drucksachen 10/4148, 10/4212 Berichterstatter: Abgeordneter Eimer ({9}) bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/4240 Berichterstatter: Abgeordnete Rossmanith Waltemathe Dr. Müller ({11}) ({12}) Vizepräsident Westphal Zu Tagesordnungspunkt 4 a liegen Änderungs-und Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4221 sowie 10/4228 bis 10/4231 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordungspunkte 4 a und 4 b und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag debattiert heute über das Erziehungsgeldgesetz, das die Grundlage für eine noch bessere Förderung der Familie schafft. Die Familie steht unter dem besonderen Schutz des Staates; er soll sie fördern und in ihrer unersetzlichen Erziehungsaufgabe unterstützen. Deswegen Erziehungsgeld. Nach der Geburt eines Kindes erhalten alle Mütter oder Väter 6mal 600 DM Erziehungsgeld; ab dem siebten Monat wird das Erziehungsgeld einkommensabhängig gezahlt; je höher das Einkommen, desto niedriger das Erziehungsgeld. Mit dem Erziehungsgeld verbunden ist eine Beschäftigungsgarantie für zehn Monate. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein weiterer Schritt zur Korrektur der Familienpolitik vor allem der SPD der 70er Jahre, die kaum eine Familienpolitik war, weil sie weder der Familie als Ganzheit noch den Interessen der einzelnen Familienmitglieder gedient hat. Damals sollten die Kinder - ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen - von der „elterlichen Fremdbestimmung befreit" werden. Eltern wurden durch massive Kritik an bewährten Erziehungsmethoden verunsichert und irregeführt. Es wurde viel gesprochen, problematisiert, analysiert, aber man kam nicht zum Handeln. Wir handeln heute, bewegt von einem christlichen Familienbild und in der Fortsetzung einer beachtlichen sozialpolitischen Tradition, in die sich auch dieses Erziehungsgeld einreiht: Sparprämiengesetz, Vermögensbildung für Arbeitnehmer, Bundeskindergeldgesetz, 312-DM-Gesetz; Rentenreform, Bundesversorgungsgesetz, Arbeitsförderungsgesetz; Ausbildungsförderungsgesetz, Bundessozialhilfegesetz, Lastenausgleich und andere - und jetzt das Erziehungsgeldgesetz. ({0}) Wir setzen damit diesen sozialpolitischen, diesen familienpolitischen Weg fort. Das zeigt sich auch ganz deutlich in Zahlen. 1976 gab es etwas über 17 Millionen Kinder, davon 2,2 Millionen ausländische Kinder. Für sie wurden vom Bund in Form von Kindergeld, steuerlichen Erleichterungen usw. 12,6 Milliarden DM ausgegeben. 1986 wird es etwas mehr als 13 Millionen Kinder geben. Für sie werden wir 24,5 Milliarden DM ausgeben. ({1}) Das heißt: weniger Kinder, aber fast eine Verdoppelung der Leistungen. Wie auch immer, man kann dies oder jenes auch im einzelnen kritisieren, aber insgesamt ist das Volumen der Leistung nicht nur gerecht, differenziert, berücksichtigt die besondere Situation der einen und anderen Familie, sondern es ist auch eine beachtliche Leistung. Hinzu kommt bei diesem Erziehungsgeld jetzt zum ersten Mal, daß das Erziehungsgeld nicht auf die Sozialhilfe oder die Arbeitslosenhilfe angerechnet wird. Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe unterliegen der Bedürftigkeitsprüfung. Man muß nachweisen, welches Einkommen man noch in der Familie hat, ob man ein größeres Haus etc. hat, und dann wird das alles miteinander verrechnet. Jetzt aber kann man Sozialhilfe und Erziehungsgeld, kann man Erziehungsgeld und Arbeitslosenhilfe und kann man Erziehungsgeld auch bei einer Teilzeitbeschäftigung von unter 20 Stunden bekommen. Es ist klar: Erziehungsgeld schließt eine volle Erwerbstätigkeit aus, Teilzeitbeschäftigung ist möglich. Es geht j a auch und vor allem um das Kind, indem der Elternteil, der sich dem Kind in besonderer Weise - ganztägig - zuwendet, dann auch das Erziehungsgeld bekommt. ({2}) Ausgeschlossen ist somit auch der gleichzeitige Bezug von Erziehungsgeld und Arbeitslosengeld. Der Bezug von Arbeitslosengeld - auch das muß unterstrichen werden - begründet Ansprüche in der Arbeitslosenversicherung in gleicher Weise wie die Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Diese Zusammenhänge, meine Damen und Herren, sind von großer Bedeutung; sie sind z. B. vor allem für alleinstehende Frauen wichtig, die ein Kind erwarten und fürchten, nach der Geburt des Kindes in eine Notlage zu geraten. Sie erhalten den vollen Regelsatz in der Sozialhilfe, die Mietkosten, das Kindergeld und zusätzlich das Erziehungsgeld. Es ist erfreulich und besonders zu betonen, daß die Bundesländer dieser Regelung voll zustimmen. Einige Bundesländer haben auch vor, ein an das Bundeskindergeld anschließendes Landeskinder-geld zu gewähren. Wer z. B. 1986 in Baden-Württemberg oder in Berlin wohnt, bekommt Erziehungsgeld vom Bund und er bekommt ein zweites Jahr lang ein Familiengeld vom jeweiligen Land. ({3}) Leider ist dies nicht der Fall z. B. in Nordrhein-Westfalen und in anderen SPD-geführten Bundesländern, wie Hamburg, Bremen und Hessen. ({4}) Mit diesem Erziehungsgeld, gültig ab 1. Januar 1986, wird das Mutterschaftsurlaubsgesetz wesentlich erweitert, das - ich will daraus keine Polemik machen, aber es war doch ein großer Nachteil - die Mütter leider in zwei Klassen geteilt hat. Wer erKroll-Schlüter werbstätig war und ein Kind bekam, bekam Mutterschaftsurlaubsgeld, eine Mutter, die zwei Kinder hatte und deswegen nicht berufstätig sein konnte, bekam nichts. Es war wirklich eine schreiende Ungerechtigkeit, mit der wir jetzt Schluß machen. ({5}) Es gibt auch mehr Geld, und zwar für alle: beim Mutterschaftsurlaubsgeld am Anfang - sozusagen in den besten Zeiten - 4mal 750 DM gleich 3 000 DM, Erziehungsgeld mindestens 6mal 600 DM gleich 3 600 DM, und zwar für alle und nicht, wie beim Mutterschaftsurlaubsgeld, nur für die Hälfte der Mütter. Viele Mütter mit geringerem Einkommen bekommen das Erziehungsgeld aber nicht nur 6 Monate, sondern 10 Monate. Viele Mütter oder Väter mit mittleren Einkommen bekommen es ebenfalls 10 Monate, wenn auch etwas weniger als 600 DM pro Monat, und nur 20% erhalten ab dem 7. Monat infolge ihres hohen Einkommens kein Erziehungsgeld mehr. Wir bitten herzlich um Verständnis. Wir hätten es gerne ohne Einkommensgrenzen gemacht, wir haben aber nicht so viel Geld, und wir möchten die Neuverschuldung nicht in die Höhe treiben. Deswegen diese Begrenzung, deswegen diese Einkommensgrenzen. Ich hoffe und bin auch zuversichtlich, daß die Bezieher höherer Einkommen dafür Verständnis haben werden. Wenn jetzt noch ein zweites Jahr durch die Bundesländer hinzukommt, wie soeben angeführt, so wäre das wirklich erfreulich. Wir können nur an alle Bundesländer herzlich appellieren, den Beispielen von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Berlin - Bayern überlegt das gleiche - zu folgen. Ich denke an eine Fernsehdiskussion in der vergangenen Woche: Auch Johannes Rau könnte sich anschließen, sich besonders positiv hervortun; aber infolge seiner miserablen Finanzpolitik fehlt ihm für solche familienfördernden, die Erziehung stärkenden Maßnahmen das Geld. ({6}) Das Unvermögen von Johannes Rau, auf die bohrenden Fragen von Frau Minister Süssmuth in der Fernsehsendung „Was nun?" zu antworten, war geradezu bezeichnend und entlarvend. ({7}) - Ich unterstreiche das gern. - Wir sollten uns das noch einmal in Erinnerung rufen und betonen: Diese riesigen Unterschiede in der Familienförderung zwischen einzelnen Bundesländern sind langsam beängstigend. Es ist fast verfassungswidrig, daß es so große Kluften gibt. Das heißt, die SPDgeführten Länder müssen sich große Mühe geben, dem vorbildlichen Verhalten der CDU-geführten Bundesländer gegenüber den Familien nachzukommen. Das sage ich ganz ohne Überheblichkeit. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Menzel?

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter, sind Sie sich klar darüber, daß gerade Nordrhein-Westfalen über den Länderfinanzausgleich dazu beigetragen hat, daß z. B. das CSU-regierte Land Bayern seine Beamtenbezüge bezahlen konnte? ({0})

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir wollen ja solide miteinander sprechen. Es gibt unterschiedliche Finanzstärken der Bundesländer; das ist gar keine Frage. Aber dem Land Nordrhein-Westfalen ging es schon mal wesentlich besser, und auch zu besseren Zeiten, als es dort wesentlich besser ging als in Baden-Württemberg, haben Sie es auch nicht gemacht. Das heißt, es ist bei Ihnen nicht nur eine finanzielle Frage, ({0}) sondern es ist auch eine Frage der politischen Einstellung und der familienpolitischen Position. ({1}) Wir möchten noch einmal betonen: Die Familie ist das Fundament unserer Gesellschaft, der wichtigste Ort persönlicher Entfaltung, die Mitte der Erziehung und Förderung des jungen Menschen, und das Erziehungsgeld ist die konsequente Folge dieser persönlichen Wertschätzung, dieser politischen Wertschätzung, dieser unserer Grundsatzposition und unserer politischen Aussagen. Das Erziehungsgeld ist das Herzstück unserer aktuellen Familienpolitik, und deswegen bitten wir das Hohe Haus herzlich in Gänze um Zustimmung. Vielen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Als erstes möchte ich heute hier Gemeinsamkeiten betonen. Ich möchte das tun, um einmal hier, aber natürlich auch vor allem nach außen deutlich zu machen, daß dieses Parlament nicht in allen Fragen zerstritten ist. Ich möchte damit, Herr Kroll-Schlüter, natürlich auch dem immer wieder gern erzählten Märchen entgegenwirken, die SPD habe ein einseitiges Frauenbild - ich habe das schon das letzte Mal hier getan, ich kann es nicht mehr hören - und wolle nichts für Frauen, die den Beruf der Hausfrau gewählt haben, tun. Wir begrüßen, daß der Versuch unternommen wird, Familien, in denen nur der Vater oder die Mutter das Einkommen verdient und der jeweilige Partner sich über einen Zeitraum ausschließlich um die Kinder kümmert, finanziell unter die Arme zu greifen. Wir wissen - das sollten Sie auch einmal registrieren -, wie die Sparmaßnahmen der vergangenen drei Jahre gerade bei den Familien gegriffen haben - nicht zuletzt Sie, Frau Ministerin, haben uns in Ihren vorherigen Funktionen mehrfach be13044 Frau Schmidt ({0}) stätigt, wie sehr die Familien von diesen Maßnahmen betroffen sind - und daß sich die Familien auch nach der sogenannten Steuerreform, nach dem Kindergeld für Einkommensschwache, nach dem Inkrafttreten des Erziehungsgeldgesetzes immer noch schlechter stehen als im Jahre 1981. ({1}) Da läßt sich jetzt trefflich gegen Nordrhein-Westfalen polemisieren. Man kann wunderbar gegenüberstellen, was die einzelnen Bundesländer tun. Nur: Was hilft mir denn ein Erziehungsgeld in Bayern, wenn gleichzeitig die Schulwegkostenbefreiung zusammengestrichen wird? ({2}) Was hilft es mir denn, wenn gleichzeitig Benachteiligtenprogramme für arbeitslose Jugendliche zusammengestrichen werden? Auch das ist Familienpolitik. Familienpolitik findet nicht nur im ersten Lebensjahr eines Kindes statt. ({3}) Wir sind also dafür, daß diese Familien, die sich immer mehr nach der Decke strecken müssen, 600 DM monatlich bekommen. ({4}) - Ich möchte heute keine Zwischenfragen zulassen. Sehr geehrte Frau Ministerin, Ihr Vorgänger hat Ihnen einen Gesetzentwurf hinterlassen. Er hat Ihnen finanziell Grenzen gesetzt. Sie haben in diesem wichtigen familienpolitischen Bereich kaum Handlungsspielraum. Dennoch müssen Sie sich fragen lassen, warum Sie Verbesserungen für die nicht erwerbstätigen Frauen mit Verschlechterungen für die erwerbstätigen Frauen erkaufen wollen, ({5}) warum gerade Sie, die Sie vor dieser Zeit als Ministerin die Frauen in ihrer veränderten Einstellung zur Erwerbstätigkeit unterstützt haben, die Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf Ihr Banner geschrieben haben, zulassen, daß Hausfrauen - das sind alle Frauen, teils ganz, teils zeitweise in ihrem Leben - gegen Berufsfrauen - das sind alle Frauen, teils ganz, teils zeitweise in ihrem Leben - ausgespielt werden. ({6}) Damit bin ich bei dem, was uns unterscheidet. Erstens. Wir wollen den Mutterschaftsurlaub beibehalten und das Mutterschaftsurlaubsgeld in der alten Höhe von 750 DM wieder herstellen. ({7}) - Für vier Monate, sehr richtig. - Wir halten das für dringend notwendig, weil berücksichtigt werden muß, daß in einer Familie von einem Tag auf den anderen ein ganzes Einkommen wegfällt und ein Kind zusätzlich zu ernähren ist. Wir halten das für notwendig, weil wir hier in der Bundesrepublik die kürzesten Mutterschutzfristen nach der Geburt haben und der Frau auch aus biologischen Gründen mehr als acht Wochen Zeit zur Verfügung stehen muß, um sich zu regenerieren, sich auf ihr Kind einzustellen, das Kind zu stillen und auch zu überlegen, wie denn das Leben der Familie künftig organisiert werden soll. ({8}) Dies ist keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, sondern ein unterschiedliches Lösungsangebot für unterschiedliche Probleme. ({9}) Zweitens. Mit dem Mutterschaftsurlaubsgesetz war ein absolutes Kündigungsverbot verbunden. Damit komme ich zu dem gravierendsten Punkt der Kritik am Regierungsentwurf. In den Ausschußberatungen stellte die Bundesregierung, vertreten durch Sie, Frau Ministerin, und Herrn Staatssekretär Chory, klar, daß die im Gesetzentwurf angekündigte Verordnung, die die Kündigungsmöglichkeiten in besonderen Ausnahmefällen präzisieren soll, u. a. enthalten wird, daß die Kündigung bei unbilliger Erschwernis für den Arbeitgeber möglich sein soll. ({10}) Die Begründung des Gesetzentwurfs enthält dieselbe Formulierung. Dies bedeutet, daß die Kündigungsmöglichkeiten weit über den bisherigen Mutterschutz hinausgehen werden. Dies bedeutet auch, daß diese Verordnung auch den Kündigungsschutz des Mutterschutzgesetzes aufweichen wird. Dies bedeutet, daß für die pro Jahr rund 320 000 erwerbstätigen Arbeiterinnen und Angestellten, die ein Kind bekommen, eine radikale Verschlechterung eintreten wird, mit einer Signalwirkung für alle berufstätigen Frauen bis zu 35 Jahren. ({11}) Dies bedeutet, daß für die rund 40 % der Frauen, die in Kleinbetrieben und kleinen Mittelbetrieben tätig sind, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Wind geschrieben ist. ({12}) Dies bedeutet für die rund 150 000 Frauen eines jeden Geburtsjahrgangs, die in den Beruf zurückkehren wollen oder müssen, nicht zehn Monate unbesorgte Betreuung ihres Kindes, sondern 10 Monate Angst um den Arbeitsplatz. ({13}) Wir alle - Sie ganz genauso - haben Zuschriften von Arbeitgeberverbänden unterschiedlichster Art bekommen und wissen deshalb, daß das keine grundlosen Ängste sein werden. Nun haben Sie uns entgegengehalten, unsere Gesetzesformulierung sei wortgleich mit der Ihren. Frau Schmidt ({14}) Die Anhörung hat dennoch die deutlichen Unterschiede der beiden Entwürfe bestätigt. Der SPDEntwurf behält während des Mutterschaftsurlaubs den absoluten Kündigungsschutz bei. Der sich anschließende Kündigungsschutz entspricht dem des Mutterschutzes und enthält keine Ankündigungen von Verschlechterungen. Nun der dritte Kritikpunkt. Der Bezug von Arbeitslosengeld und vergleichbaren Lohnersatzleistungen und die Inanspruchnahme von Erziehungsgeld schließen sich in Ihrem Entwurf aus. Sie haben das u. a. damit begründet, daß Mißbrauchsmöglichkeiten ausgeschlossen werden sollen und daß Arbeitslosigkeit einer vollen Erwerbstätigkeit gleichzustellen sei. Gleichzeitig lassen Sie zu, daß der Bezug von Arbeitslosenhilfe und Erziehungsgeld möglich sein wird. ({15}) Wir schätzen das nicht gering ein und sind dankbar für diese Verbesserung. Sie haben diese Änderung gegenüber dem Regierungsentwurf damit begründet, daß hier wie bei der Sozialhilfe eine Bedürftigkeitsprüfung vorgenommen wird. Nun sehen wir uns aber die Auswirkungen an. Nach Ihrem Gesetz wird es möglich sein, daß z. B. eine alleinstehende Frau Arbeitslosenhilfe von 900 DM und Erziehungsgeld von 600 DM beziehen kann, während einer anderen alleinstehenden Frau mit 700 DM Arbeitslosengeld das Erziehungsgeld verwehrt wird. ({16}) Diese muß zum Sozialamt gehen, wenn sie das Erziehungsgeld haben will, sich mit der geringeren Sozialhilfe zufriedengeben und auf das Arbeitslosengeld verzichten. ({17}) Die alleinstehende Sozialhilfemutter wird von Ihnen bewußt produziert. ({18}) Oder ein zweites Beispiel: Eine verheiratete Frau kann in den ersten Monaten Krankengeld aus einer geringfügigen Beschäftigung z. B. in Höhe von 2 000 DM und zusätzlich Erziehungsgeld von 600 DM beziehen. Dagegen würde eine verheiratete arbeitslose Frau, die krank wird und Anspruch auf Krankengeld von nur 500 DM hätte, dieses nicht erhalten können, wenn sie Erziehungsgeld beziehen will. Die Unternehmersgattin, die Ehefrau des Zahnarztes mit einem monatlichen Familiennettoeinkommen von 10 000 DM und mehr bekommt dann natürlich noch 600 DM jeden Monat zusätzlich, zumindest sechs Monate lang. ({19}) - Bekommt sie es nun oder bekommt sie es nicht? Sie bekommt es. Mißbrauchsmöglichkeiten wird Tür und Tor geöffnet. Bei den Ärmeren, bei den Benachteiligten wird Wert auf Bedürftigkeitsprüfungen gelegt, bei den nicht erwerbstätigen Reichen werden Steuergelder nach dem Gießkannenprinzip verteilt. ({20}) Hier sage ich Ihnen: das mit uns garantiert nicht. In den fünf Jahren, in denen ich jetzt Erfahrungen in der Sozialpolitik habe sammeln können, habe ich eines gelernt: ({21}) Wir, die Gesetzgeber, haben dem Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Wir haben dafür zu sorgen, daß Mißbrauchsmöglichkeiten gering gehalten werden, wenn wir wollen, daß Sozialgesetze auch von denen akzeptiert werden, die sie nicht in Anspruch nehmen können, aber sie bezahlen müssen, wenn wir wirklich wollen, daß Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren entsteht. Dieses Gesetz widerspricht leider in zu vielen Punkten dieser Zielsetzung. Der Ausschluß der Arbeitslosen hat natürlich einen - Ihnen, wie mir scheint, willkommenen - Effekt: ({22}) Arbeitslose Frauen mit Anspruch auf Erziehungsgeld werden aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden. Wieder einige Zehntausende weniger, die die Statistik optisch verbessern, ohne daß ein einziger Arbeitsplatz mehr da wäre. ({23}) Sie behaupten, das sei ein zu vernachlässigendes Problem, da es kaum arbeitslose Frauen mit Anspruch auf Arbeitslosengeld gebe, die Erziehungsurlaub beanspruchen könnten; schließlich könne während einer Schwangerschaft einer Frau nicht gekündigt werden. Hier muß ich Sie ganz sanft an Ihre eigenen Gesetze erinnern. ({24}) Das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz erlaubt die befristete Beschäftigung von bis zu 18 Monaten ohne Angabe einer Begründung. Dies hat zur Folge, daß bereits wenige Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes viele Betriebe Frauen nur noch solche Arbeitsverträge anbieten. Diese enden dann, ohne daß es einer Kündigung bedarf, ob die Frau schwanger ist oder nicht, ob Mutterschutz besteht oder nicht. ({25}) Sie können sicher sein: Die Zahl der arbeitslosen Frauen mit Anspruch auf Erziehungsgeld wird dank Ihrer Gesetzgebung steigen. Träfe aber das, was Sie behaupten, zu, hätten Sie also recht, wir würden uns täuschen, und es wären wirklich zu vernachlässigende Zahlen, frage ich Sie: Frau Schmidt ({26}) Warum schließen Sie die wenigen Frauen mit komplizierten, unübersichtlichen Regelungen eigentlich aus? ({27}) Unser vierter Kritikpunkt: Für Alleinerziehende ist die Verschlechterung durch das ErziehungsgeldGesetz besonders gravierend, da sie auf den unbedingten Kündigungsschutz besonders angewiesen sind und sowohl hinsichtlich der Dauer des Erziehungsurlaubs als auch bezüglich der Höhe des Erziehungsgeldes bessergestellt werden müßten. ({28}) - Sie wissen, daß ich da war und sehr intensiv mitdiskutiert habe! ({29}) Der Regierungsentwurf enthält keine Regelung für Alleinerziehende; ({30}) der von 750 DM auf 510 DM und jetzt auf 600 DM reduzierte Betrag bleibt für diese Mütter ungenügend. ({31}) Unser fünfter Kritikpunkt: Besonders unverständlich ist, daß Beamtinnen bis zu 20 Stunden während des Erziehungsurlaubs weiterarbeiten können, während Arbeiterinnen und Angestellte dies maximal 19 Stunden tun dürfen. Der Sinn der Beamtenregelung ist, daß ihnen Leistungen, die auf diese Stundenzahl abstellen, erhalten bleiben sollen. Daß dies auch für Arbeiterinnen und Angestellte von Belang ist, vermochte die Regierung nicht einzusehen. Auch hierzu noch einmal ein Beispiel: Alle betrieblichen Altersversorgungswerke, die mir bekannt sind - und das ist eine ganze Reihe -, berücksichtigen nur Betriebszugehörigkeiten mit einer Wochenstundenzahl von mindestens 20. Eine Vielzahl von anderen betrieblichen und tariflichen Sozialleistungen schließen Teilzeitbeschäftigte mit weniger als 20 Stunden aus. Die Illusion, dies alles würde jetzt postwendend geändert, bleibt wohl wirklich eine Illusion; das wird nicht in die Praxis umgesetzt werden. Die Liste der Kritikpunkte ließe sich fortsetzen, z. B. damit, daß Sie Zwang ausüben, weil der Elternurlaub direkt nach der Geburt des Kindes genommen werden muß, daß Sie keinerlei Anreize schaffen, Vätern die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs schmackhaft zu machen, daß Sie das Teilen des Elternurlaubs zwischen Vater und Mutter erschweren, ({32}) daß die Stichtagsregelung höchst unbefriedigend ist, daß Sie keine zusätzlichen Hilfen bei Mehrlingsgeburten vorsehen und daß Sie Wehrpflichtige und Soldaten vom Erziehungsurlaub ausschließen. Herr Schlottmann, wenn Sie hier die Wahlfreiheit ansprechen, muß ich Ihnen sagen: Mit einer Wahlfreiheit, die auf die bestehenden Rollenverhältnisse abstellt, ist uns Frauen nicht mehr geholfen. ({33}) Wir gehen davon aus, daß Sie unseren Gesetzentwurf, der all diese Fragen besser löst, hier - wie auch im Ausschuß geschehen - ablehnen, und dies, obwohl die Kosten ab 1988 nicht höher sind als nach Ihrem Entwurf. Wir haben deshalb Änderungsanträge zum Entwurf der Bundesregierung vorgelegt. Nachdem ich das jetzt gehört habe, vielleicht auch noch eine Anmerkung dazu: Herr Dr. Hoffakker, ich glaube, inzwischen ist sanfter Zwang an manchen Stellen wohl angebracht. ({34}) - Das mag wohl sein! - Mit unseren Änderungsanträgen wollen wir erreichen, den Mutterschaftsurlaub und das Mutterschaftsurlaubsgeld in Höhe von 750 DM wiederherzustellen; ({35}) Empfänger von Arbeitslosengeld und vergleichbaren Lohnersatzleistungen nicht vom Erziehungsgeldbezug auszuschließen; ({36}) - wir wollen mehr Geld geben, wir wollen mehr! ({37}) - doch, ich kann rechnen; 750 ist mehr als 600 ({38}) durch die Einkommensabhängigkeit vom ersten Monat an Steuergelder denen zugute kommen zu lassen, die sie auch brauchen; die besonderen Bedürfnisse Alleinerziehender zu berücksichtigen, und zwar durch einen längeren Urlaub und ein höheres Erziehungsgeld; die Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleich zu gestalten. Mit diesen Anträgen bleiben wir im vorgegebenen Finanzrahmen, weil wir eben Steuergelder nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilen wollen. Außerdem fordern wir die Bundesregierung in einem Entschließungsantrag u. a. auf, uns die künftige Verordnung über die Kündigungsmöglichkeiten während des Erziehungsurlaubs vorzulegen. Uns beseelt dabei die Hoffnung, daß doch noch das Schlimmste verhindert werden kann. An dieser Stelle noch eine Anmerkung zu den Befürchtungen der FDP, Schutzbestimmungen für Frauen könnten die Arbeitsplatzchancen von Frauen verschlechtern: Diese Befürchtung ist leider nicht von der Hand zu weisen. Aber die Frage wäre Frau Schmidt ({39}) doch in diesem Parlament endlich einmal anders herum zu stellen: Welche Verpflichtung haben eigentlich die in unserer Gesellschaft, die über Kapital und Produktionsmittel verfügen? ({40}) Was bedeutet der Satz in unserer Verfassung, daß das Eigentum verpflichtet? Ist es richtig, daß die Mehrheit der Bevölkerung nur aus der Tatsache heraus, daß sie Kinder haben und einen Beruf ausüben will, dauernd benachteiligt wird? Ist es nicht an der Zeit, daß die, die in Sonntagsreden den Geburtenrückgang und das Anspruchsdenken junger Frauen und Familien beklagen, endlich einmal über ihre eigene Verpflichtung nachdenken, diesen Frauen, obwohl sie Kinder haben, Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen? ({41}) Lehnen Sie auch diese Änderungen ab, bleibt mir nur festzustellen, den nicht zu leugnenden Vorteilen für die nichterwerbstätigen Frauen, auch solchen leider, die staatliche Hilfen nicht benötigen, stehen immense Nachteile für die erwerbstätigen Frauen gegenüber. Ihnen wird der Kündigungsschutz für einen Betrag zwischen 360 und maximal 2 760 DM abgekauft. Eine in Maßen progressive Frauenpolitik, wie Sie, Frau Ministerin, sie verbal vertreten, darf sich nicht damit abfinden, den einen Frauen zu nehmen, um den anderen zu geben, ({42}) sondern muß nach umfassenden Lösungen suchen. Prioritäten, die dabei unzweifelhaft gesetzt werden müssen, dürfen sich nicht wie im Regierungsentwurf gerade gegen ohnehin benachteiligte Frauen richten. ({43})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Erziehungsgeldgesetz ist ein Teil des umfassenden Familienkonzepts dieser Bundesregierung und gehört in eine Reihe von anderen Gesetzen wie z. B. Kindergelderhöhung, steuerliche Berücksichtigung von Kindern, Stiftung „Mutter und Kind" und anderes mehr. Die Bedenken, die ich persönlich beim Kindergeldgesetz vorgetragen habe, gelten für mich uneingeschränkt auch für dieses Gesetz. Auch hier bin ich der Meinung, daß wir das Gesetz wegen der bürokratischen Ausgestaltung bald novellieren müssen und wohl auch werden. Wenn ich mich dennoch heute in der Abstimmung anders verhalte als damals und für meine Fraktion die Annahme dieses Gesetzes begründe, so deshalb, weil dieses Gesetz eine Reihe von Vorteilen bringt, die alle Nachteile aufwiegen und überwiegen. Die FDP ist für ein Erziehungsgeld, das die Erziehungsarbeit der Eltern honoriert. Familien mit Kindern haben zu viele Nachteile in unserer Gesellschaft. In unserem Kinderprogramm von 1979 wurde das Erziehungsgeld als Zuschlag zum Kindergeld für die ersten drei Jahre gefordert, und zwar ohne Einkommensgrenzen, ohne Bedingungen, ob jemand arbeitet oder zu Hause ist oder ob Mann oder Frau. Ziel liberaler Politik war und ist es, kein Rollenbild vorzuschreiben, keine neue Bürokratie zu produzieren, keinen Systemfehler zu produzieren, wie wir ihn z. B. jetzt bei der Sozialhilfe schaffen, aber darauf will ich später eingehen. Wir haben nicht alles erreicht, aber wir haben mehr erreicht als in der sozialliberalen Koalition. ({0}) Dort war das Mutterschaftsgeld nur für die erwerbstätigen Frauen vorgesehen. Hausfrauen oder Männer, die zu Hause blieben und Kinder erzogen, gingen leer aus, als ob sie nicht die gleiche Erziehungsarbeit leisteten. ({1}) Ich war natürlich dabei, ich weiß, wie das Gesetz zustande gekommen ist. Ich weiß, welche Einwände die FDP damals gebracht hatte. Frau Kollegin, es waren die gleichen Einwände, wie ich sie heute bringe. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, wie Frau Minister Huber damals das Gesetz aus der Tasche gezogen hat. ({2}) Es war damals - ich kann mich noch ganz genau erinnern - als Teil eines Beschäftigungsgesetzes gedacht, es war als familienpolitische Maßnahme gedacht. ({3}) - Lassen Sie mich bitte ausreden. - Dann mußte man feststellen, daß es aus organisatorischen Gründen in die Zuständigkeit des Arbeitsministers gehörte. Deswegen wurde es als arbeitsrechtliches Gesetz so gestaltet. Ich kann mich sehr genau erinnern, wie das entstanden ist. Dieses Gesetz jedenfalls ist eine qualitative Verbesserung gegenüber dem alten Gesetz. Es entspricht zwar nicht voll liberalem Ideal, aber wir sind dem Prinzip, kein Rollenbild vorzuschreiben, ein erhebliches Stück näher gekommen. Ich habe heute vormittag - wie wahrscheinlich alle Fraktionen - ein Fernschreiben von den Frauen der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden bekommen. Darin steht die Forderung: Erziehungsgeld muß allen Eltern, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht, gezahlt werden. Wir teilen diese Forderung. ({4}) Eimer ({5}) Aber dann kommt etwas, was ich nicht mehr teilen kann. Hier heißt es: Wir Gewerkschaftsfrauen können und werden es nicht hinnehmen, daß ein arbeitsrechtliches Schutzgesetz in eine familienpolitische Leistung umfunktioniert und abgewertet wird. ({6}) Ich wiederhole: in eine familienpolitische Leistung abgewertet wird. Meine Damen und Herren, das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Dies teile ich nicht. ({7}) Meine Damen und Herren, wenn unser Ziel nicht ganz erreicht wurde, dann u. a. auch deshalb nicht, weil der Finanzrahmen, den der Finanzminister uns gesetzt hat, nicht mehr zuließ. Ich betone, wir akzeptieren dies, weil für Liberale gilt: Wohltaten auf Pump kann es nicht geben. Das ist unseriös und auf Dauer nicht zu halten. Was wir tun, ist finanzpolitisch solide. In den Diskussionen, die dieses Gesetz begleitet haben, ist eine Frage besonders in den Vordergrund geschoben worden, nämlich die Frage der Beschäftigungsgarantie. Ich teile die Meinung, daß eine solche Beschäftigungsgarantie den Frauen mehr schadet als nützt. Heute morgen haben Sozialdemokraten auf die Benachteiligung der Frauen im Arbeitsleben hingewiesen. Hier werden durch Forderungen der Sozialdemokraten neue Benachteiligungen produziert. Unter dem Blickwinkel der Benachteiligung der Frauen ist dieses Gesetz zwar immer noch nicht optimal, aber ich meine, das Schlimmste haben wir verhindert. Das, was die SPD will, ist schlimmer. ({8}) Es genügen hier, meine Damen und Herren von der SPD, nicht der gute Wille und die gute Absicht, sondern es muß sich auch so auswirken. Ich muß hier auch einige kritische Worte an die Wirtschaftspolitiker richten, und damit meine ich auch die Wirtschaftspolitiker der eigenen Fraktion. Ihre Argumentation hinsichtlich der Auswirkungen dieser Beschäftigungsgarantie ist zwar richtig, aber Sie können keine Frauen überzeugen, wenn hier vom Standpunkt der Unternehmen aus argumentiert wird. Die Frauen in der FDP waren gegen diese Beschäftigungsgarantie, weil sie die Wirkungen dieses Gesetzes erkannt haben; sie haben von ihrer eigenen Betroffenheit aus argumentiert. Diese Argumente waren überzeugender. Darüber hinaus hat die Diskussion um die Beschäftigungsgarantie andere, noch wichtigere Punkte und Schwachstellen des Gesetzes verdeckt. Ich meine, die öffentliche Meinung hat andere Argumente leider zu wenig zur Kenntnis genommen. Ein Fehler, ja ein Sündenfall in diesem Gesetz ist die gleichzeitige Gewährung von Sozialhilfe und Erziehungsgeld. Ich will den Systemfehler hier jetzt nicht begründen, ich will nur die Auswirkungen aufzeigen; einen Teil dieser Auswirkungen hat meine Kollegin Frau Schmidt aufgezeigt. Nur, sie hat verschwiegen, daß ihre Folgerungen diesen Systemfehler nur noch verschlimmert hätten. ({9}) Der ursprüngliche Gesetzentwurf hätte zur Folge gehabt, daß Arbeitslosenhilfeempfänger weniger Geld bekommen hätten als Sozialhilfeempfänger, die gleichzeitig auch Erziehungsgeld bekommen, ({10}) wenn diese Koalition das im Ausschuß nicht geändert hätte. Wir hätten die Menschen damit in die Sozialhilfe getrieben, in eine Abhängigkeit, die für Liberale unerträglich ist. Wir hätten Sozialhilfeempfänger ja geradezu produziert. Also, dieser Entwurf ist geändert worden. Nach dem Gesetz werden Arbeitslosenhilfebezieher Erziehungsgeld bekommen. Jetzt taucht natürlich der nächste Folgefehler auf; denn ein Arbeitslosengeldempfänger kann unter Umständen weniger haben als jemand, der Arbeitslosenhilfe bezieht. ({11}) Dies kann in Ausnahmefällen sogar so weit gehen, daß jemand, der Sozialhilfe und Erziehungsgeld bekommt, eventuell sogar weniger hat als jemand, der Arbeitslosengeld bezieht. Der Forderung der Länder, der Forderung der SPD konnten wir nicht nachgeben. Wir können das Erziehungsgeld nicht auch generell für Arbeitslose zahlen, weil dann diejenigen, die arbeiten, netto weniger hätten als diejenigen, die Arbeitslosengeld und gleichzeitig Erziehungsgeld bekommen. Ich frage mich, was die Arbeitnehmer gesagt hätten, auch zu Ihnen, Frau Schmidt, wenn sie das hätten feststellen müssen. Frau Schmidt, auch einiges von dem, was Sie gesagt haben, muß ich korrigieren. Die Frau, die arbeitslos ist und Erziehungsgeld bekommt, erhält nach dem Erziehungsgeld selbstverständlich noch Arbeitslosengeld. Dieser Anspruch geht nicht verloren. Das haben Sie in Ihren Ausführungen verschwiegen. ({12}) - Natürlich, nach dem Erziehungsgeld. Außerdem haben Sie, obwohl Sie gegen ein Rollenbild gesprochen haben, in Ihrem Gesetzentwurf ein Rollenbild produziert. Die Frau, die gearbeitet hat, wird dort besser behandelt als diejenige, die zu Hause geblieben ist und Kinder erzogen hat. ({13}) - Ich muß hier eines feststellen, Frau Kollegin: Die Sozialpolitik ist ein sehr kompliziertes System. Ich glaube, es ist gar nicht richtig, wenn wir immer vom sozialen Netz - manche nennen es auch soziale Hängematte - sprechen. Ich glaube, es wäre treffender, wenn wir von einem sozialen Mobile spräEimer ({14}) chen. Ein falscher Eingriff - und sei er noch so gut gemeint - bringt das ganze System zum Tanzen, in Unordnung. Ein Fehler produziert Folgefehler. Unsere Forderungen aus dem Kinderprogramm, nämlich Erziehungsgeld ohne Bedingungen an alle zu zahlen, hätte diese Folgefehler verhindert. Auf eine weitere Schwachstelle muß ich hinweisen, auf die ich bei ähnlichen Gelegenheiten schon aufmerksam gemacht habe. Es sind die Einkommensgrenzen, die zu Ungerechtigkeit führen, die leistungsfeindlich und bürokratisch sind. Es ist nicht möglich, weder technisch noch mathematisch, mehrere Einkommensgrenzen einigermaßen gerecht aufeinander abzustimmen. Wir haben über zehn verschiedene Einkommensgrenzen mit unterschiedlichen Einkommensbegriffen und Erfassungszeiträumen. Es ist ein Wahnsinnsaufwand an Bürokratie. Es gibt ein hervorragendes System, unterschiedliche Einkommen aus unterschiedlicher Herkunft für unterschiedliche Zwecke gerecht zu bewerten und aufeinander abzustimmen; das ist unser Steuersystem. Besteuern wir doch alle Sozialleistungen, alle Transferleistungen. Dies wäre ein sehr viel einfacheres, sozial viel gerechteres System als alle Klimmzüge, die wir jetzt versuchen. Sie werden nicht funktionieren. Ich meine, wir müssen hier umdenken und diese Einkommensgrenzen abschaffen. Eine Reihe von anderen Fehlern, die im Gesetzentwurf enthalten waren, konnten beseitigt werden. Ich hatte in der ersten Lesung bereits darauf hingewiesen. So sind z. B. Nachteile und Ungerechtigkeiten für Beamte im Rahmen der Ausschußberatungen beseitigt worden. Die Kosten für Krankenkassen konnten verringert werden. Auf die Problematik der Arbeitslosenhilfebezieher habe ich schon hingewiesen. Es hat sich einiges bei den Beratungen bewegt. Ich möchte deswegen unserem Koalitionspartner ausdrücklich dafür danken. Ich habe auch den Eindruck, daß man sich der Schwachstellen in diesem Gesetz durchaus bewußt ist. Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich den Teilnehmern der Anhörung danken; denn diese Anhörung hatte Substanz wie selten eine Anhörung zuvor. ({15}) Die Argumente, die kamen, waren zum größten Teil Sachargumente. Selten gab es einen politischen Schlagabtausch. Wir, alle Seiten, wurden kritisiert, unabhängig davon, wer die Sachverständigen eingeladen hatte, aber in einer Form, aus der wir, glaube ich, alle sehr viele Erkenntnisse ziehen konnten. Es tut mir leid, daß wir aus zeitlichen und finanziellen Gründen nicht alle Anregungen und Korrekturen übernehmen konnten. Ich kann jedenfalls für meine Fraktion sagen, daß das alles nicht vergessen, daß das alles nicht umsonst gewesen ist. Wir wollen, sobald die Möglichkeit besteht - hier muß ich dazufügen: vor allem die finanzielle Möglichkeit -, dieses Gesetz verbessern. Ich habe sehr viel davon gesprochen, wie dieses Gesetz nach liberalen Vorstellungen aussehen sollte. Warum sind wir dennoch dafür, auch wenn wir eine Reihe von Fehlern feststellen können? Ich will zusammenfassen. Das Erziehungsgeldgesetz ist dringend nötig. Es bringt qualitative Verbesserungen gegenüber dem alten Gesetz. Es ist eine erhebliche finanzielle Ausweitung gegenüber früher. Ein Teil der Fehler konnte beseitigt werden, Fehler und Mängel, auf die ich in der ersten Lesung hingewiesen habe. Aber es gibt noch einen anderen - damit will ich schließen -, einen letzten Grund. Sie wissen, die FDP ist gegen eine Änderung des § 218, aber nicht deswegen, weil wir für die Abtreibung sind, sondern weil es ein Eingeständnis von uns ist, daß das Strafrecht hier am Ende ist, weil es Dinge gibt, die sich einem menschlichen Richterspruch entziehen. ({16}) Wir Liberalen haben deswegen auch die Verantwortung, dafür zu sorgen, daß niemand glaubt, aus sozialen und wirtschaftlichen Nöten abtreiben zu müssen. Dieses Gesetz ist ein Teil der Einlösung dieser Verpflichtung gerade den Sozialhilfeempfängern gegenüber. Der Schutz des werdenden Lebens, den wir durch diese Maßnahme verbessern wollen, steht über den angesprochenen Systemfehlern in der Sozialhilfegesetzgebung. ({17}) Wir stimmen deshalb dem Gesetz zu, trotz aller Bedenken, trotz dieser Fehler, die ich aufgezeigt habe. Wir nehmen aber die Verantwortung auf und sehen die Verpflichtung, über unsere Systeme der sozialen Sicherung insgesamt nachzudenken, sie zu reformieren, nicht mit dem Ziel, Sozialgesetze abzuschaffen, sondern aus dem instabilen sozialen Mobile, das bei jedem Eingriff, bei jedem Konjunkturwind aus dem Gleichgewicht kommt, ein stabiles soziales Gesetz zu schaffen. Vielen Dank. ({18})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.

Marita Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002410, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Windeseile wird mal wieder ein Gesetz durchgezogen, das unausgegoren ist, ja, eine Verschlechterung für die erwerbstätigen Frauen darstellt. ({0}) Ich bezweifle, daß Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, hiermit die Frauen zurückgewinnen, die Ihnen bei den Wahlen davongelaufen sind. ({1}) Die Kritik der Gewerkschaftsfrauen ist Ihnen offensichtlich bekannt. Denn gestern schickten die Frauen der IG Metall und der IG Bau-Steine-Erden Telexe mit dem Appell, diesem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, ({2}) da dies eine Politik beinhaltet, die sich gegen die erwerbstätigen Frauen richtet. ({3}) Noch heute kam ein Telex der Gewerkschaft Textil-Bekleidung mit dem gleichen Inhalt. In diesem Zusammenhang dürfte das Abstimmungsverhalten der SPD von Interesse sein, muß ich sagen. Es wird uns hier ein Gesetz vorgestellt, das in der Anhörung auf breiter Front von den Sachverständigen äußerst kritisch bis ablehnend eingestuft wurde. ({4}) Was übrig blieb, waren Verwirrungen, ({5}) die sich auch in der anschließenden Beratung im Ausschuß zeigten, aber nicht aufgelöst werden konnten. Einige geringfügige Änderungen und Zugeständnisse können der geäußerten grundsätzlichen Kritik an dem Gesetzentwurf in keiner Weise gerecht werden. Ich bringe die Kritik der Sachverständigen auf einen kurzen Nenner. Erstens. Das Bundeserziehungsgeldgesetz schreibt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern in dieser Gesellschaft fest. ({6}) Zweitens. Es ist keine zukunftweisende familienpolitische Alternative für beide Geschlechter, sondern vor allem eine bevölkerungspolitische Maßnahme. Drittens. Es ist eine Verschlechterung vor allem für die erwerbstätigen Frauen im Vergleich zu den Regelungen des Mutterschaftsgeldes und Mutterschaftsurlaubs vor Antritt dieser Regierung und vor allem in Verbindung mit dem neuen Arbeitsförderungsgesetz, das man besser als Entlassungsförderungsgesetz bezeichnen könnte. Alles in allem ist das also ein Gesetz, das geradezu frauen- und familienfeindlich ist. Als dieses wird es auch richtigerweise von den Frauen der IG Bau-Steine-Erden bezeichnet. Das Gesetz steht ganz in der Logik der vielgepriesenen neuen Familienpolitik dieser Regierung. In der Regierungserklärung des Herrn Kohl vom 13. Oktober 1982 heißt es dazu: Beruf ist für uns aber nicht nur die außerhäusliche Erwerbstätigkeit; Beruf ist für uns ebenso die Tätigkeit der Hausfrau in der Familie und bei ihren Kindern. ({7}) Wohlgemerkt: Es ist hier von der Familienarbeit der Frauen die Rede. Daß hier die Männer gleichfalls gefordert sind, ist nicht das Anliegen der regierenden Politiker. ({8}) Die von der Bundesregierung betriebene Politik des Sozialabbaus und die Ausgliederung der Frauen aus dem Erwerbsleben, die auch durch das vorliegende Gesetz betrieben wird, zielt auf die Wiederherstellung von Familienstrukturen, in denen Frauen erneut auf Haus- und Erziehungsarbeiten „verpflichtet" werden. ({9}) Aber wer sagt denn, daß Kinderbetreuung und Hausarbeit allein eine Sache von Frauen ist? Unbestreitbar ist es ausschließlich die biologische Eigenschaft der Frauen, Kinder auf die Welt zu bringen. Dies berechtigt dann offensichtlich dazu, die Frauen in die private Familienarbeit zu drängen, während überwiegend die Männer die Machtdomäne bezahlter Erwerbsarbeit besetzen. ({10}) Dies berechtigt dann offensichtlich auch dazu, die Frauen in die finanzielle und psychische Abhängigkeit von ihren Ehemännern zu drängen, die sich bis ins Rentenalter fortschreibt, bedingt durch die Struktur der Systeme der sozialen Sicherung. Dies bedeutet dann auch, von der Abhängigkeit in der Ehe direkt in die Altersarmut zu gelangen. Und dies ändert sich auch nicht durch die verschiedenen Formen der Teilzeitarbeit oder der ungeschützten Arbeitsverhältnisse, wie sie dieses Gesetz erlaubt. ({11}) - Dazu komme ich auch noch. ({12}) Es ist also offensichtlich die biologische Eigenschaft und die geschlechtsspezifische Aufgabenzuweisung, die den Frauen die gleichberechtigte Teilnahme am Erwerbsleben verwehrt und gleichzeitig Frauen dazu zwingt, alle Alltagsprobleme, seien es Kindererziehung, Haushalt, die Launen des Ehemannes, aber auch die eigene Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen. Herr Blüm formulierte treffend unter dem Stichwort „Neue Mütterlichkeit": Das Familiengeld stellt überhaupt erst die tatsächliche Wahlmöglichkeit zwischen Erwerbsarbeit und Mutterarbeit her, - man lasse sich den Begriff Mutterarbeit mal auf der Zunge zergehen weil es die materiellen Zwänge zur Erwerbsarbeit vermindert. Familiengeld hilft also der Freiheit. Diese Freiheit verstärkt dann die Abhängigkeit von den Ehemännern im sozialen, familienrechtlichen und materiellen Bereich. Welche Freiheit und welche Wahlmöglichkeit haben denn die Frauen angesichts der schlechter bezahlten und obendrein frauenspezifischen Arbeitsplätze? Es ist schon bezeichnend, zu sehen, daß in puncto gleichberechtigter Teilhabe der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen die Zwänge des Erwerbslebens als Schreckgespenst an die Wand gemalt werden. Sprechen wir diese repressiven Lohnarbeitsbedingungen und Konkurrenzverhältnisse im Erwerbsleben, die sowohl für Frauen wie für Männer bestehen, an, treffen wir auf Partnerschaftsideologien im Wirtschaftsleben, z. B.: Wir sitzen alle in einem Boot, oder ähnliches. Gegenüber Herrn Blüm nimmt Herr Geißler das gestiegene Bedürfnis von Frauen nach sinnvollen Erwerbsarbeitsplätzen auf und proklamiert nun die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die neue Partnerschaft in der Ehe. Doch die Berufsarbeit der Frauen soll Zweitberuf bleiben, Hauptbeschäftigung ist die Familienarbeit. Ehrlicherweise sollte gesagt werden: die Familienarbeit und die Organisation des Haushaltes für die Männer. Dies, meine Herren, ist nicht die Umsetzung der Forderung nach gleichberechtigter Umverteilung der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit beider Geschlechter, sondern die Beibehaltung der Doppelbelastung der Frauen. Dies bedeutet, aufgerieben zu werden zwischen Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit, während Sie, meine Herren, sich ungestört Ihrer Berufs- und Karriereplanung widmen können. ({13}) Teilzeitarbeitsplätze sind in der Regel die schlechter bezahlten Arbeitsplätze für Frauen und verbunden mit beruflichem Abstieg in der Hierarchie. Das Bundeserziehungsgeldgesetz schreibt nicht nur die geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen und Arbeitsbedingungen in dieser Gesellschaft fest. Es ist zudem ein Gesetz für die gut verdienenden Ehemänner. Deren nichterwerbstätige Ehefrauen bekommen in den ersten Monaten noch 600 DM Erziehungsgeld zum gemeinsamen Haushaltseinkommen dazu. Sowohl die Frau des Bankiers als auch die Frau des Arbeiters bekommen das gleiche Geld. Wer draufzahlt, sind die erwerbstätigen Frauen. Denn für sie ist das Mutterschaftsgeld von vormals 750 DM gekürzt und die Kündigungsbedingungen sind aufgeweicht worden. Finanziell gesehen ist dies nichts anderes als eine Umverteilung von den erwerbstätigen zu den nichterwerbstätigen Frauen. Für Alleinerziehende ist dieses Gesetz ebenfalls keine familienpolitische Alternative. Alleinerziehende, die nach der Geburt eines Kindes erwerbstätig sein wollen oder müssen, bekommen keinen Pfennig. Sie erhalten Kindergeldzahlungen, die mit Steuerfreibeträgen derart versehen sind, daß sie lediglich Besserverdienende subventionieren. Das Gesetz ist für alleinerziehende Frauen, und nicht nur für sie, eine Gebärprämie aus bevölkerungspolitischen Gründen. Was mit diesen Frauen und ihren Kindern nach Ablauf des Anspruchs auf Erziehungsgeld passiert, interessiert hier offensichtlich niemanden. Es kann nicht oft genug gesagt werden, daß diese Frauen in der Sozialhilfeabhängigkeit bleiben, von ihren Eltern mitversorgt werden müssen oder von geringen Erwerbslöhnen leben müssen, während die Großmütter die Kinderbetreuung, selbstverständlich unbezahlt, übernehmen müssen. Dieses Gesetz geht grundsätzlich von der Ehe bzw. der Kleinfamilie als Idealform des Zusammenlebens aus. Denn nichtverheiratete Väter oder Männer sowie andere Betreuungspersonen haben keinen Anspruch auf Erziehungsgeld und -urlaub. Zu dieser Idealform gehört auch der Mann als „Ernährer". Denn Frauen von arbeitslosen Männern erhalten das Erziehungsgeld nicht. ({14}) Ein weiteres Indiz: die beitragsfreie Weiterversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung führt zu einer Umverteilung des Beitragsaufkommens zu den ledigen und erwerbstätigen Männern und Frauen. ({15}) Ich komme zu einem anderen Punkt: der Arbeitsplatzgarantie. Diesbezüglich ist dieses Gesetz ({16}) ein deutlicher Rückfall hinter die Regelungen des Mutterschaftsgesetzes. Dies haben die Sachverständigen in der Anhörung schon ausreichend dargestellt. Um Arbeitsplatzgarantien geht es in diesem Gesetz schon lange nicht mehr, und die Kündigungsschutzbestimmungen sind aufgeweicht und vage. Hierzu haben auch die Frauen der IG BauSteine-Erden in ihrem gestrigen Telex noch einmal die Forderung erhoben: Eine uneingeschränkte Arbeitsplatzgarantie für alle Arbeitnehmer und -nehmerinnen, die Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, muß gesetzlich verankert werden. Dieser Forderung kann ich mich anschließen. ({17}) Ein Beitrag zur Anerkennung der Kinderbetreuung als gesellschaftlicher Arbeit ist dieses Gesetz ebenfalls nicht. Der Betrag von 600 DM ist geradezu ein Hohn. Einen Lohnersatz für Erwerbseinkommen stellt er nicht dar, schon gar nicht für Männer. Dafür bietet er dann die Möglichkeit einer geringfü13052 gigen Beschäftigung unterhalb der Pflicht zur Arbeitslosenversicherung. ({18}) Damit werden die Frauen, die auf die Zuverdienerrolle angewiesen sind, in ungeschützte Arbeitsverhältnisse gedrängt. Dies steht ganz in der Logik des Gesetzes, die Kinderbetreuung und Berufstätigkeit für Frauen und Männer ausschließt. ({19}) - Dazu komme ich jetzt. Was wir brauchen, bietet nicht dieses Gesetz. Was wir brauchen, sind familienpolitische Alternativen, die diesen Namen wirklich verdienen. Wir brauchen die gesellschaftliche Anerkennung der Kinderbetreuung für erwerbstätige und nichterwerbstätige Personen - unabhängig von der Ehe - und ein Kinderbetreuungsgeld, das in Relation zu den durchschnittlichen Erwerbseinkommen steht. ({20}) Wir brauchen ein Elternfreistellungsgesetz für befristete Zeiträume mit vollkommener Arbeitsplatzgarantie und Lohnausgleichszahlungen. Wir brauchen die gesetzliche Möglichkeit einer täglichen Arbeitszeitverkürzung für betreuende Eltern mit Lohnausgleichszahlungen, verbunden mit dem Recht, auf die Vollzeitstelle zurückzukehren. Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die die Diskriminierung von Frauen hinsichtlich sowohl der Ausbildung als auch der Ein- und Höhergruppierung wirksam angehen. Wir brauchen qualitativ gute außerhäusliche Betreuungseinrichtungen in ausreichender Anzahl. ({21}) Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine zukunftsweisende Familienpolitik zu schaffen, haben Sie sich mit dem Erziehungsgeldgesetz reichlich verbaut. ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Frau Professor Süssmuth, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für mich sieht dieses Gesetz ganz anders aus. Ich meine, heute ist ein wichtiger Tag für alle, die schon lange dieses Gesetz zum Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub erwarten. ({0}) Es ist in der Tat ein lang erwartetes Gesetz. Denn die Ideen weisen in die Jahre 1969 und 1970 zurück. Der erste Gesetzentwurf wurde 1974 vorgelegt. Aus den noch weiter zurückliegenden ersten Überlegungen für ein Muttergeld ist eine familienpolitische Leistung geworden, die den veränderten Lebensbedingungen junger Familien, ihrem Partnerschaftsverständnis und ihrem Familienverständnis entspricht. Viele haben dieses Gesetz in seiner jetzigen Ausgestaltung für nicht durchsetzbar gehalten. Als die Kernstücke in Umrissen öffentlich bekannt wurden, ging eine Reihe von Experten - auch in den Familienverbänden - davon aus, daß das Angekündigte nicht erreicht werden könne: Väter als Anspruchsberechtigte - dies erschien als Illusion. Kündigungsschutz, gar erweiterter Kündigungsschutz für Mütter und Väter - das schwierigste Unterfangen überhaupt. Nichtanrechnung des Erziehungsgeldes auf die Sozial- und Arbeitslosenhilfe, wünschenswert vor allem für einkommensschwache Familien und viele Alleinerziehende - dies schien erst recht nicht durchsetzbar. Aus Gesprächen mit Journalistinnen in diesen Tagen und anderen interessierten Frauen weiß ich, daß Frauen dieses Gesetz seit Jahren gefordert, aber schon nicht mehr daran geglaubt hatten, daß es auch wirklich kommen würde. Ich sage hier noch einmal: Die Anhörung des federführenden Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat - bei aller sachbezogenen Kritik in Einzelpunkten - durchgängig zu einer Befürwortung und Unterstützung des Gesetzes geführt. ({1}) In bezug auf die Kritik, die ich soeben vernommen habe, wundere ich mich, warum Ihnen die Verbesserungsvorschläge, die hier eingebracht worden sind, nicht viel früher eingefallen sind. Ich vermisse das Gerechtigkeitsgefühl in bezug auf Alleinerziehende, in bezug auf Sozialhilfeempfängerinnen beim Mutterschaftsurlaub. Wo war damals dieses Gerechtigkeitsgefühl? ({2}) Ich denke, es ist in der Tat so, daß wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzes die lange angekündigte Idee, Familiengründungen durch Familienförderung zu unterstützen, verwirklicht haben; den Ankündigungen folgen nun wirklich Taten. Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub werden helfen, den lebenswichtigen Belangen von Kindern und Eltern zu entsprechen. Kindern kann es nur in dem Maße gutgehen, in dem Mütter und Väter zufrieden sind, je weniger diese überfordert sind. Dazu gehören soziale Sicherung, Zeit und Anerkennung der Arbeit, die außerhalb der Erwerbsarbeit geleistet wird. Dazu zählt aber auch - dies ist vielen jungen Frauen wichtig - die Chance zur Rückkehr in den Erwerbsberuf. Wenn ich bedenke, daß wir bisher ein Jahr in Aussicht nehmen und zunächst zehn Monate erreichen, dann sehe ich gegenwärtig keinen Sinn darin, diese Zeit auf viele Jahre zu verteilen, sondern ich denke, daß es im Interesse von Kindern sinnvoll ist, diese Zeit im Zusammenhang verfügbar zu haben. ({3}) Dieses Gesetz setzt nach meiner Auffassung einen Neuanfang in der Verbindung vom Familie und Arbeitswelt. Der Wechsel zwischen Familien- und Erwerbstätigkeit wird durch den auf zehn Monate ausgedehnten Kündigungsschutz sichergestellt, den alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in unserer Bundesrepublik haben. Die Entzweiung zwischen Familie und Arbeitswelt wird schrittweise abgebaut. Es wird viel von der Versöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie gesprochen. Für die Zukunft der Menschen ist die Versöhnung zwischen Familie und Arbeitswelt genauso wichtig. ({4}) Der Mensch braucht zu einem gelingenden und erfüllten Leben mehr als wirtschaftliche und soziale Sicherung. Er braucht und sucht das Zusammenleben in den kleinen überschaubaren Lebensgemeinschaften, in der Familie als kleiner Lebenswelt. ({5}) Wir müssen die Unvereinbarkeit von Familie und Arbeitswelt für Männer und Frauen schrittweise aufheben. ({6}) - Das lassen Sie unsere Sache sein. Dieses Gesetz vollzieht einen entscheidenden Durchbruch in einer familienfördernden Sozialpolitik, indem familienpolitische Leistungen des Familienlastenausgleichs nicht mehr auf die Sozialhilfe angerechnet werden. Dieses Gesetz setzt das in der Ehe- und Familienrechtsreform von 1977 verankerte Partnerschaftsprinzip im Prinzip der Elternschaft fort, d. h. der Verantwortung beider, Mütter und Väter, für ihre Kinder. Väter sind nicht Ausgeschlossene, sie sind jetzt ausdrücklich Anspruchsberechtigte. Es ist das erste Gesetz, in dem wir die Väter überhaupt berücksichtigen. ({7}) Ich gehe nicht davon aus, daß mit diesem Gesetz gleich der Alltag verändert wird, daß die Väter in großer Zahl Erziehungsurlaub nehmen werden. Aber dennoch ist es unerläßlich, daß sie grundsätzlich gleichberechtigten Anspruch haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Lepsius?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Bitte.

Dr. Renate Lepsius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Minister, Sie haben eben darauf hingewiesen, daß es sich um das erste Gesetz handelt, in dem Väter und Mütter als Anspruchsberechtigte hinsichtlich einer Familienleistung gleichgestellt werden. ({0}) Darf ich Sie fragen, ob Sie meinen Hinweis im federführenden Ausschuß nicht aufgegriffen haben, daß durch das Leistungsverbesserungsgesetz 1974 Väter und Mütter bei Erkrankung ihrer Kinder einen Urlaubsanspruch erhalten haben, daß wir gleichzeitig die Haushaltshilfen für Hausfrauen eingeführt haben ({1}) und daß es sich hierbei um das erste derartige Gesetz in der Geschichte der Reichsversicherungsordnung handelt ({2}) - nicht weit hergeholt, sondern ein prinzipieller Ansatz -, und sind Sie bereit, dies nun endlich in Ihr Gehirn aufzunehmen? ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Stellen Sie sich vor, das war in dem Gehirn schon drin. Aber ich denke, daß wir keinen Vergleich zwischen den Fristen, die wir bei Krankheit von Kindern haben, und dem Gesetz zum Erziehungsgeld und zum Erziehungsurlaub anstellen sollten. ({0}) Ich möchte in diesem Zusammenhang auch sagen: Selbst wenn wir die Situation haben, daß die Väter zunächst zögernd und in Stufen davon Gebrauch machen werden, ist daran zu denken, wieviel junge Männer unter einem besonderen Erwartungs- und Leistungsdruck stehen, wenn sie plötzlich die Alleinverdiener in einer jungen Familie sind, und daß auch für sie diese 600 DM eine wesentliche Entlastung nach der Geburt eines Kindes auf Grund erheblicher Kinderkosten darstellen und somit eine wichtige finanzielle und zugleich psychische Entlastung erreicht wird. Das Bundeserziehungsgeldgesetz ist ein Gesetz für alle Mütter, erwerbstätige wie nicht erwerbstätige, für jene, die schon Kinder haben, und jene, die ihr erstes Kind bekommen. Es hat wegen der im Gesetzentwurf angeblich erkennbaren Gleichmacherei Kritik gegeben. Davon kann keine Rede sein. Richtig ist, daß im Bundeserziehungsgeldgesetz der Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung gilt. Alle Mütter und Väter sind gleich. Die Familientätigkeit der Frauen, die vor der Unterbrechung erwerbstätig waren, ist nicht höher anzusetzen als die jener Frauen, die wegen eines oder mehrerer Kinder schon länger nicht mehr erwerbstätig sind. Wissen wir denn, wie viel Frauen ihre außerhäusliche Berufsarbeit um der Kinder willen aufgegeben haben, obwohl auch sie ihren Beruf liebten und gern weiter berufstätig gewesen wären? Ich trete hier entschieden für die Solidarität von Frauen ein und werde mich mit Nachdruck in der öffentlichen Diskussion dafür einsetzen, daß er13054 werbstätige und nicht erwerbstätige Mütter nicht gegeneinander ausgespielt werden. ({1}) Wenn Sie hier erklären, es gehe um eine Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Nichterwerbstätigen, dann muß ich Sie fragen, welches Gerechtigkeitsgefühl und welches Gewissen Sie hatten, als die Nichterwerbstätigen gar nichts bekamen. ({2}) Ich denke, Mütter und Väter sollen bessere Rahmenbedingungen für ihre Familientätigkeit antreffen. Dies soll Männern und Frauen .helfen, sich für eine Familiengründung entscheiden zu können und Kinder haben zu können, ohne gravierend benachteiligt zu sein, vor allen Dingen in den ersten Monaten nach der Geburt. ({3}) Entscheidungsmöglichkeiten habe ich nur dort und erst dann, wenn ich mich zwischen tatsächlich gleichwertigen Möglichkeiten entscheiden kann. Dabei ist auch zu bedenken - das trifft im Ansatz auf dieses Gesetz zu -, daß die äußeren Lebensbedingungen, vor allem die wirtschaftlichen Grundlagen, sehr unterschiedlich sind. Einige Familien benötigen trotz Erziehungsgelds einen Zuverdienst durch Teilzeitarbeit, und wieder andere hätten keinerlei Nutzen vom Erziehungsgeld, wenn ihnen dafür die Sozialhilfe gestrichen oder stark gekürzt würde. ({4}) - Auch die Arbeitslosen haben einen Anspruch auf Erziehungsgeld, nur nicht gleichzeitig mit dem Arbeitslosengeld. Ihr Anspruch verlängert sich durch das Erziehungsgeld sogar. Die Familienpolitik der Bundesregierung will Familien breiter und umfassender unterstützen. Von daher sind die Leistungen Erziehungsgeld, Anerkennung von Erziehungszeiten und Aufstockung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge als ein Gesamtpaket zu sehen. Herr Kroll-Schlüter hat den Zuwachs an Familienleistungen hier schon herausgestellt. Es trifft auch unter Berücksichtigung des Erziehungsgeldes nicht zu, daß hier keine Besserstellung gegenüber 1981 erreicht wird. Lassen Sie mich noch folgende Gesichtspunkte nennen, die belegen sollen, daß das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub zusammen mit der Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht einen Eintritt in die Familienpolitik mit Zukunftsperspektive bedeuten. Sie bilden eine spürbare Anerkennung von Erziehungsleistung in der Familie; es erleichtert die Entscheidung, für eine bestimmte Zeit auf Erwerbsarbeit ganz oder teilweise zu verzichten, um Familie leben zu können. ({5}) Dies müßte in dieser unserer Gesellschaft eigentlich möglich sein. Es ermöglicht den Bezug von Erziehungsgeld mit einer gleichzeitigen Erwerbstätigkeit unter 20 Stunden, es stellt den Bezug von Sozialhilfe sicher und gibt Müttern und Vätern einen ausreichenden Kündigungsschutz. Auch die Regelung für Kleinstbetriebe wird in der Verordnung so aussehen wie im Gesetz, daß der dringende Bedarf für eine Ersatzkraft gegenüber den Behörden nachgewiesen werden muß. ({6}) Wir erkennen mit dem Erziehungsgeld und den anderen getroffenen Maßnahmen an, was Eltern für ihre Kinder tun. Wir erleichtern ihre Familiengründung. Dies hat nichts mit einer gezielten Bevölkerungspolitik und einer Geburtenprämie zu tun. ({7}) Den damit eingeschlagenen Weg wird die Bundesregierung konsequent weiterverfolgen. Sie wünschte sich, daß in den Bundesländern die flankierenden Maßnahmen, die gerade in den SPD-Ländern so sehr dem Rotstift zum Opfer fallen, ({8}) ob es nun behinderte Kinder sind, Kindergartenleistungen oder Familienbildung, angeboten werden. ({9}) - Dieses Märchen erzählen Sie mir nicht, wenn andere Länder mehr Geld haben! ({10}) Ich halte es für notwendig, daß wir das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub auf einen längeren Zeitraum ausdehnen. In dieser Erkenntnis hat mich das Ergebnis der Anhörung der Sachverständigen im federführenden Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit bestärkt. Ganz besonders möchte ich an dieser Stelle den Ländern danken, die schon 1986 das Erziehungsgeld des Bundes auf ein zweites Jahr aufstocken. ({11}) Ich möchte gleichzeitig an alle anderen Länder appellieren, diesem Beispiel zu folgen und nicht vorschnell mit dem Argument abzublocken, dafür sei kein Geld da, weil man das Geld für Zukunftsinvestitionen brauche. ({12}) Die Familie ist eine gleichwertige Zukunftsinvestition neben Wirtschaft und Umwelt. Ich möchte allen danken, die sich dafür eingesetzt haben, daß wir dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode verwirklichen können. Ich weiß, daß es nicht allen leichtgefallen ist, die notwendigen Kompromisse zu finden. Ich denke z. B. an die Mittelstandsvereinigung der CDU. Ich danke dafür, daß sie einer tragfähigen Regelung des Kündigungsschutzes den Weg hat bahnen helfen. Vor allem aber danke ich meinem Vorgänger Reiner Geißler, durch dessen Tatkraft dieses Gesetz auf den Weg gebracht wurde. ({13}) Wenn jeder Minister nur solche Gesetze hinterließe, ginge es den Nachfolgern und erst recht den Menschen mehr als gut. ({14}) Ich danke dem Bundesfinanzminister für die Schaffung der finanziellen Voraussetzungen. Ich danke auch dem Bundeskanzler dafür, ({15}) daß er in dieser Legislaturperiode die entscheidendsten Verbesserungen für die Familien seit Bestehen der Bundesrepublik erreicht und mit durchgesetzt hat. ({16}) Ich danke den Ausschüssen des Bundestages für die zügige Beratung und allen Abgeordneten der Koalition. Ich danke auch der SPD für ihre konstruktive Kritik und Mitarbeit im Ausschuß. Ich denke, daß dies eigentlich ein Gesetz sein müßte, dem Sie Ihre Zustimmung nicht verweigern können. Wir alle stehen vor der gemeinsamen Aufgabe, dieses Gesetz in der nächsten Legislaturperiode sinnvoll weiterzuentwickeln - zum Wohle unserer Mütter, Väter und Kinder. Ich hoffe, daß wir nach Abschluß der Beratungen im Bundesrat dieses Gesetz zum 1. Januar 1986 in Kraft setzen. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Professor Männle.

Prof. Ursula Männle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001405, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Schmidt, Ihnen müssen heute schon die Argumente ausgegangen sein, wenn Sie so irrationale Ängste schüren müssen, wie Sie das heute getan haben, und wenn Sie die Argumente so an den Haaren herbeiziehen. Ich jedenfalls habe Sie schon häufig besser erlebt. Sie haben mich heute fast enttäuscht. ({0}) Ich weiß nicht, ob wir die Situation verbessern, wenn Sie die sanfte Gewalt, die Sie anwenden wollen, durch einen mit Lächeln vorgetragenen Klassenkampf ergänzen. ({1}) - Sie wissen ganz genau, Frau Schmidt, daß unser Gesetz besser ist. Warum verschweigen Sie denn, daß bei Ihnen bisher die Sozialhilfeempfängerinnen nichts erhalten haben? Warum verschweigen Sie denn, daß die Arbeitlosenhilfeempfängerinnen bisher bei Ihnen leer ausgingen, daß natürlich auch die Männer bei Ihnen leer ausgingen? Warum verschweigen Sie, daß die Alleinerziehenden keinen Pfennig mehr erhalten haben? ({2}) Das sagen Sie natürlich nicht. Sie verschweigen auch, daß Arbeitslosengeldempfängerinnen nach unserem Gesetz besser dastehen als nach Ihren Vorstellungen. Sie wissen ganz genau, daß der Anspruch auf Arbeitslosengeld keineswegs aufgegeben wird, sondern im Gegenteil der Anspruch verlängert wird, wenn Erziehungsgeld bezogen wird. Sie haben hier einen sehr wichtigen Teil unterschlagen. Sie nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau, wenn es nicht ins Konzept paßt. Frau Wagner, die jetzt leider auch schon weg ist ({3}) - sie ist ganz dahinten irgendwo -, hat vorhin von der Windeseile gesprochen, mit der dieses Gesetz beraten worden sei. Ich glaube, Sie hätten das nicht so empfunden, wenn Sie die ganze Zeit dabeigewesen wären. Sie haben sich j a an den Beratungen nicht so sehr beteiligt. ({4}) Das will ich Ihnen nachsehen. Aber daß Sie nicht einmal den Gesetzentwurf gelesen und nicht festgestellt haben, daß in § 15 ganz deutlich steht, daß dann, wenn ein Ehegatte arbeitslos ist, Mutterschaftsurlaubsgeld in Anspruch genommen werden kann, und daß Sie hier etwas Falsches sagen, das nehme ich Ihnen schon übel. Meine Damen und Herren, mit dem heute zu verabschiedenden Bundeserziehungsgeldgesetz wird ein wichtiger Schritt hin zur Gleichwertigkeit von Erziehungsleistungen, die Männer und Frauen - erwerbstätige und nichterwerbstätige - erbringen, erzielt. Ich möchte behaupten, daß in dieser Anerkennung der Gleichwertigkeit die grundsätzliche Position der Unionspolitik deutlich wird, daß mit der Aussage „Erziehungstätigkeit ist ebenso viel wert wie außerhäusliche Erwerbstätigkeit" so etwas wie eine Neuorientierung der Politik überhaupt erfolgt. Die politischen Voraussetzungen für die Durchsetzung des Modells der Wahlfreiheit werden mit diesem Gesetz endlich geschaffen. Wahlfreiheit von Mann und Frau - ich weiß, daß Sie von diesem Modell nicht sehr gerne hören - ist ein Modell der Partnerschaft. Es wurde in den letzten Monaten viel diskutiert. Vieles wurde geklärt. Manchmal sind auch neue Mißverständnisse hinsichtlich der Aufgabenbereiche und der Aufgabenverteilung von Männern und Frauen aufgekommen. Leider machen heute Leitbilder mit Ausschließlichkeitscharakter die Runde. Ich habe es auch heute wieder gemerkt, daß Sie von der SPD diesen Ausschließlichkeitscharakter der Leitbilder nach wie vor vertreten. Ich mcinc, darüber kann auch ihr Modell des Erziehungsurlaubs, mit dem in Anpassung an unseren Gesetzentwurf der nicht erwerbstätigen Frau noch schnell etwas gegeben werden soll, nicht hinwegtäuschen. ({5}) Wurde jahrzehntelang die außerhäusliche Berufstätigkeit von Frauen verpönt, ja geradezu als der Frau wesensfremd betrachtet, so scheint sich der Begründungszwang nun zuungunsten derjenigen zu verschieben, die das Berufsbild Hausfrau und Erzieherin der Kinder für eine bestimmte Zeit oder auch als umfassende Lebensperspektive wählen möchten. Frauen, die sich heute bewußt für Familientätigkeit entscheiden, leiden unter diesem Rechtfertigungsdruck der fehlenden Anerkennung ihrer so wichtigen Leistungen und sehen sich in die Rolle von Verwalterinnen eines als defizitär beschriebenen Aufgabenfeldes gedrängt. Diesen Frauen möchte ich heute sagen: Eure Tätigkeit ist nicht nur für euch persönlich, nicht nur für eure Familie wichtig, sie ist eine unersetzliche Leistung auch für die Gemeinschaft. ({6}) Mit dem Erziehungsgeld für alle Mütter, erwerbstätige wie nicht erwerbstätige, sagen gerade wir auch jenen sogenannten Nur-Hausfrauen: Ihr arbeitet nicht in einer überholten Frauendomäne, in die ihr auf Grund einer falschen Erziehung quasi hineingedrängt worden seid. Das Raster, das aufgestellt wird - außerhäusliche Erwerbstätigkeit ist gleich gelungene Selbstbestimmung und Familientätigkeit ist gleich Ergebnis einer erzwungenen gesellschaftlichen Rollenfestlegung -, greift zu kurz und ist für uns alle, und zwar für Männer und Frauen, fatal. Gesellschaftliche Attraktivität des Tätigkeitsfeldes zum alleinigen oder wichtigsten Bestimmungsfaktor des Selbstbestimmungsrechts zu erheben bedeutet, Frauen dieses Rechts zu berauben, bedeutet auch, ihnen Entscheidungsfreiheit abzusprechen. Zur Wahlfreiheit gehört, daß ich mich entscheiden können darf, ob ich Familie und Beruf miteinander verbinden möchte, ob ich berufstätig sein will oder mich ausschließlich der Familie widmen möchte. Die Entscheidung für die Familie wird jedoch diskriminiert. Da Frau Wagner vorhin gerade davon gesprochen hat, gestatten Sie mir, ein Zitat von einer sogenannten Szene-Frau zu bringen, nachzulesen in Horx' „Das Ende der Alternativen" - für DIE GRÜNEN ein sehr interessantes Buch -, wo es heißt: Wenn ich ehrlich bin: Ich will eigentlich gar nicht meine Erfüllung im Beruf. Ich will Mutter sein. Und verdammt, - das ist Zitat das darf man eben in unserem ach so alternativen Normen- und Wertesystem nicht wollen. Plötzlich muß man sogar Rollen, die man freiwillig übernehmen will, verteidigen, weil es sie früher nur zwangsweise gab. Ich meine, Sie von der SPD sind auch nicht weit entfernt von dieseer Position, die vorhon angedeutet worden ist. ({7}) Bei Ihnen wird eben nicht die von Männern und Frauen erbrachte Erziehungsleistung in gleicher Weise finanziell anerkannt, unabhängig davon, ob sie im Interesse des Wohles des Kindes ihre Berufstätigkeit lediglich unterbrechen oder sich schon bisher voll den familiären Aufgaben widmen. Letzteres wird bei Ihnen nach wie vor geringer bewertet und zudem von der Einkommenssituation abhängig gemacht. Nach Ihrem Gesetzentwurf werden unabhängig von der finanziellen Situation zwei außerhäuslich Erwerbstätige für ihre Familienleistungen belohnt. Familien mit höherem Einkommen, in denen sich die Frau ausschließlich der Familie widmet, gehen jedoch leer aus. Ich darf einmal ein eigenes Beispiel bringen. Ich verstehe wirklich nicht, wieso bei Ihnen Erwerbstätige und Nichterwerbstätige anders behandelt werden sollen. Ich habe mich für Erwerbstätigkeit entschieden. Würde ich ein Kind bekommen, bekäme ich nach Ihrem Entwurf 750 DM. Meine Schwester, die mit Leib und Seele Hausfrau und Mutter ist, würde 600 DM bekommen. ({8}) Nehmen wir einmal an, ich hätte einen Kollegen geheiratet, also einen Mann, der auch berufstätig ist, dann bekäme ich selbstverständlich auch 750 DM. Aber bei meiner Schwester, die einen Bankangestellten geheiratet hat, hätte man nachgeschaut, wieviel sie insgesamt verdienen, und sie hätte dann entweder nur 600 DM oder gar nichts bekommen. Meine Damen und Herren, ist das denn gerecht? ({9}) Ich finde die unterschiedliche Bewertung, die Sie damit vornehmen, nicht gerecht. ({10}) Ich meine, die Selbstverständlichkeit, mit der die Gleichstellung von Frau und Mann hinsichtlich der Bewertung ihrer Erziehungsleistungen erfolgt, sollte dringend durch die Gleichstellung von Frau und Frau ergänzt werden. Es geht nicht nur um die Gleichstellung von Mann und Frau, sondern auch um die Gleichstellung von Frau und Frau. ({11}) Aber ich kann verstehen, daß Sie sich von Ihren alten Vorstellungen nur halbherzig lösen, ({12}) von Ihrer Skepsis gegenüber einer finanziellen Honorierung der in der Familie erbrachten Leistungen. Eines ist bei Ihrem Entwurf auffallend: Widmet sich der Mann der Erziehung und ist er bereit, Erziehungsgeld in Anspruch zu nehmen, so erhält die Familie sozusagen einen Bonus. Diese Tätigkeit des Mannes wird zusätzlich gewertet. Es ist ein kleines Zuckerstückchen für den Mann, das Sie in Ihren Gesetzentwurf einbeziehen. Aber es ist interessant, daß dies auch bei Ihnen skeptisch betrachtet wird. Sie kennen Gisela Erler. Sie sagt: Wir sind zwar theoretisch nicht mehr grundsätzlich gegen das Kinderkriegen, aber den zentralen Stellenwert von Familienpolitik möchten wir uns nicht klarmachen. ({13}) Die einzige Familienpolitik, die uns einfällt, besteht darin, einen Vaterschaftsurlaub zu fordern. Als Zusatz gern, als Kernstück - eine bizarre Verleugnung unserer eigenen Interessen! Ich darf ein Fazit ziehen. Das Erziehungsgeld ist keine ausschließlich sozialstaatliche Leistung. Das Erziehungsgeld ist nicht nur materielle Hilfe für Familien; es ist auch ein Beitrag zur gesellschaftlichen Bewußtseinsbildung. ({14}) Mit dem Erziehungsgeldgesetz wird ein erster entscheidender Schritt getan. Die derzeitige Bezugsdauer - endend nach dem zehnten Monat oder später nach einem Jahr - erscheint jedoch unter pädagogischen Gesichtspunkten nicht ausreichend. ({15}) Viele Mütter erfahren dies schmerzlich. Die frühkindliche Entwicklung ist mit einem Jahr noch keineswegs abgeschlossen. Eine Verlängerung des Erziehungsurlaubs ohne staatliche Zuwendungen, ein unbezahlter Familienaufenthalt, wie der SPD-Entwurf ihn vorsieht, wäre ein großzügiges Geschenkpaket des Gesetzgebers, jedoch ohne nennenswerten Inhalt. Dieses wohlklingende, aber hohle Angebot grenzt insbesondere Familien mit geringem Einkommen aus. ({16}) Statt solcher Scheinangebote auf Bundesebene ist die Mitbeteiligung der Länder an der Lastenverteilung der Familienförderung geboten. Unionsregierte Länder waren schon bis jetzt vorbildlich; sie haben sogar eine Schrittmacherfunktion für den Bund ausgeübt. Ihnen allen möchte ich heute von hier aus einen herzlichen Dank sagen, den ich mit der Aufforderung verbinden möchte, das bisherige Erziehungsgeld als Anschlußprogramm zu entwickeln und auszubauen. Auch von Bayern, dem Bundesland, aus dem ich komme, erwarte ich, daß es die bisherigen Familiengründungsdarlehen in ein Erziehungsgeld für ein zweites Jahr umwandelt. Wir machen in Verzahnung von Bund und Ländern Familienpolitik aus einem Guß. Wir fordern die SPD-regierten Länder auf, nicht beiseite zu stehen. Benachteiligen Sie in Ihren Ländern nicht länger die Frauen, die Männer und die Familien! Wir werden überprüfen, ob Sie das tun. Meine Damen und Herren, das Erziehungsgeldgesetz hat viele Väter und Mütter. Heute, nachdem das Kind endlich in die Wiege gelegt werden kann, bekennen sich alle zu ihm. Frauen und Männer innerhalb der Union, die Landesregierungen und Parteigremien haben Entscheidendes beigetragen. Ihnen allen meinen Dank! Wir alle wissen, daß es mit der Geburt nicht getan ist. Vielfältige weitere Bemühungen sind notwendig. Wir werden die nächsten Schritte verantwortungsvoll tun. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs ({0}).

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Beratung geht es in der Tat um eine schwierige Frage und eine schwierige Entscheidung. Es geht um die Frage, wie wir mehr für alle Familien tun können, ohne bestehende Rechte für erwerbstätige Frauen zu verschlechtern. Zwei Konzeptionen in einem Gesetz, das ist das Problem. Der eine Teil des Gesetzes ist zu begrüßen: Frauen, die ein Kind geboren haben, erhalten monatlich 600 DM für die Zeit von sechs Monaten. Wir wissen, daß dieses für viele Familien eine große Hilfe sein wird. Die 600 DM bekommen junge Mütter, die nicht erwerbstätig sind, ohne daß das Familieneinkommen berücksichtigt wird. Es ist also eine zusätzliche Leistung für sechs Monate. Diese Leistung können die Familien in der Tat sehr gut gebrauchen, und wir stimmen dem zu. Eine Frage bleibt allerdings. Das Erziehungsgeld kann für Familien mit geringem Einkommen und für Alleinerziehende eine wesentliche Hilfe sein, aber der gesetzgeberische Spielraum wäre viel größer gewesen, wenn das Erziehungsgeld von Beginn an einkommensabhängig gestaltet worden wäre. ({0}) Ich weiß, daß das bei Ihnen auch sehr eingehend diskutiert worden ist. Wir begrüßen auch, daß die Entschließung des Deutschen Bundestages zur Verabschiedung des Mutterschaftsurlaubsgesetzes vom 10. Mai 1979 aufgegriffen und den Vätern zumindest die theoretische Möglichkeit eröffnet wurde, Erziehungsurlaub in Anspruch zu nehmen. Ich stimme Ihnen zu, Frau Minister: Es ist wichtig, in gesellschaftspolitischen Fragen auch dann eine Regelung zu schaffen, wenn sie von der Mehrheit der Menschen zunächst noch nicht in Anspruch genommen werden kann. ({1}) Dem stimmen wir ausdrücklich zu, wie auch der Verlängerung des Erziehungsurlaubs auf zehn und bald zwölf Monate gegenüber der bisherigen Dauer des Mutterschaftsurlaubs. Meine Damen und Herren, mit dem Erziehungsgeldgesetz soll aber auch - das ist die andere Seite - die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert werden. Und da müssen wir leider feststellen, daß das Kündigungsverbot bei Mutterschaftsurlaub ohne Grund aufgehoben und durch eine schlechtere Frau Fuchs ({2}) rechtliche Lösung ersetzt wird. Das ist für uns nicht akzeptabel. ({3}) Die zunächst beabsichtigte Arbeitsplatzgarantie, Frau Minister, ist nicht in das Gesetz aufgenommen worden. Insofern können Sie so zufrieden nicht sein, denn Sie haben noch im März 1985 in der „Stimme der Familie" gesagt: „Ohne die jetzt" - nämlich damals „beabsichtigte Arbeitsplatzgarantie bedeutet das Erziehungsgeld für viele Frauen keine Verbesserung ihrer schwierigen Situation." ({4}) Sie warnten davor, „geplante Leistungen zugunsten schlechter Kompromisse zurückzunehmen". Dieses ist ein schlechter Kompromiß, den wir mit der Veränderung des Mutterschaftsurlaubsschutzes hinnehmen müssen. ({5}) Das Mutterschaftsurlaubsgeld - das wollte ich Ihnen noch einmal klarmachen - war doch Lohnersatz. Es wurde bereits von 750 auf 510 DM gekürzt, und es wird auch mit den künftigen 600 DM deutlich unter dem früheren Stand bleiben. Das ist unerträglich. ({6}) Ist Ihnen eigentlich klar, meine Damen und Herren, welche Gleichmacherei Sie betreiben, wenn Sie die doch sehr unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen nach der Geburt eines Kindes und ihre wirtschaftliche Situation so über einen Kamm scheren? Sie geben - ich wiederhole mich - den bisherigen absoluten Kündigungsschutz während des Mutterschutzurlaubs ohne Not auf, und diese Philosophie verstehe ich nicht: Warum müssen eigentlich arbeitsrechtliche Vorschriften rückgängig gemacht werden, um nichterwerbstätigen Frauen ein Erziehungsgeld geben zu können? ({7}) Das hat nichts mit Finanzen zu tun, sondern es hat schlicht damit zu tun, daß Sie Arbeitsrecht abbauen. ({8}) Und nun tun Sie wieder eines, was wir mit uns nicht mehr machen lassen: Sie wollen doch wieder, daß erwerbstätige Frauen gegen nichterwerbstätige Frauen ausgespielt werden. Da machen wir Sozialdemokraten nicht mit. ({9}) Wir lassen dieses nicht zu. ({10}) Es ist doch völlig falsch, wenn so getan wird, als gäbe es Frauen, die ihr Leben lang nur erwerbstätig sind, oder als gäbe es Frauen, die ihr Leben lang nur im Hause arbeiten. Daß Haushaltstätigkeiten Arbeit sind, weiß ja wohl jeder, und daß die erwerbstätige Frau wie die Frau, die zu Hause ist, auch die Hausarbeit zu leisten hat, das wissen wir doch wohl auch. ({11}) - Die Männer helfen ja leider nicht. Sie kennen ja die Untersuchungen, daß nur 10% der Männer, auch der Männer von berufstätigen Frauen, überhaupt gewillt sind, ihren Frauen im Haushalt zu helfen. ({12}) Erzählen Sie hier doch nicht solchen Unsinn! Ich denke, wir müssen aufhören, ({13}) die nichterwerbstätigen Frauen gegen die Frauen, die im Berufsleben stehen, auszuspielen. ({14}) Denn Sie leben im Wechsel: Die Frauen sind mal berufstätig und mal nicht erwerbstätig. Deswegen kommt es darauf an, daß man aufhört, einen Gegensatz zwischen den Berufstätigen und den Hausfrauen zu konstruieren und ihn zu schüren. ({15}) Ich will zurückblicken: Wir Sozialdemokraten haben uns immer zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bekannt. Die Frauen waren übrigens immer erwerbstätig, vor allen Dingen deswegen, weil sie zum Familienunterhalt beitragen mußten. ({16}) Schon immer war es für sie schwierig, ihre Tätigkeit als Hausfrau und ihre Erwerbstätigkeit in Einklang zu bringen. Die Sorgen um die Kinder, meine Damen und Herren, wurden in der Öffentlichkeit entsprechend der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung beurteilt: In Zeiten der Hochkonjunktur boten die Unternehmer alle Möglichkeiten an, ({17}) um Frauen zu beschäftigen. Ich denke da z. B. an die „Hausfrauenschichten", an die „Dämmerschichten", wie es so schön hieß. Es gab begleitende soziologische Untersuchungen, die uns darlegten, daß Frauen mit Kindern erwerbstätig sein sollten, weil Frau Fuchs ({18}) dies der Entwicklung der Kinder eher förderlich sei. ({19}) In wirtschaftlich schwierigen Zeiten nun werden diese Argumentationen wieder umgekehrt. Da sind Frauen plötzlich wieder „Doppelverdienerinnen". Da sind die Frauen dann plötzlich wieder diejenigen, die ihre Kinder nicht sorgfältig erziehen. Dann wird ihnen nicht nur die Last der Arbeitslosigkeit auferlegt, sondern sie haben auch wieder ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich in einer wirtschaftlich schwierigen Situation dennoch um einen Arbeitsplatz bemühen, was aber nötig ist, weil sie Geld verdienen müssen, meine Damen und Herren. ({20}) Deswegen sagen wir: Alle Frauen haben ein Recht auf Arbeit, aber alle Frauen sollen auch die Möglichkeit haben, mit kleinen Kindern zu Hause zu bleiben, um sich ihren Familien widmen zu können. Erwerbstätigkeit der Frauen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie - wir haben dazu viele Reformgesetze auf den Weg gebracht. ({21}) Ich denke an unser Konzept des Baby-Jahres, das 1972 von der damaligen Opposition abgelehnt worden ist. ({22}) Ich denke an die Freistellung beider Elternteile von der Arbeit bei Erkrankung eines Kindes. Ich denke an den Mutterschaftsurlaub, der ein ganz gewaltiger Durchbruch war. Die hohe Inanspruchnahme des Gesetzes zeigt, wie absolut notwendig dieses Gesetz war. Dies wird jetzt abgebaut; da können Sie reden, was Sie wollen. Der absolute Kündigungsschutz wird verschlechtert, meine Damen und Herren. ({23}) Und nun tun Sie so, meine Damen und Herren, als ob die Sozialdemokraten nur etwas für die erwerbstätigen Frauen täten; das ist völlig falsch. Wir Sozialdemokraten haben 1972 die Rentenversicherung für die Hausfrauen geöffnet. Wir Sozialdemokraten haben den Versorgungsausgleich bei Ehescheidung eingeführt, der insbesondere für die Hausfrauen von Bedeutung war. ({24}) Wir Sozialdemokraten haben die Ausbildungsförderung verbessert, insbesondere für die Mädchen. ({25}) Wir Sozialdemokraten haben dafür gesorgt, daß die nichterwerbstätige Frau in unser soziales Sicherungssystem einbezogen wird. ({26}) Die Frau, die nicht erwerbstätig ist, ist, ohne daß der Mann einen zusätzlichen Beitrag zahlt, in der Krankenversicherung mitversichert, und sie hat auch Ansprüche aus dem Hinterbliebenenrecht. Daß das jetzt verschlechtert wird, können Sie uns nicht anlasten. Wir Sozialdemokraten haben immer gesagt, daß das Ehegattensplitting hinsichtlich der steuerlichen Behandlung der Hausfrauen ein ganz wichtiger Punkt ist, der einzubeziehen ist, wenn man darüber redet, wie die nichterwerbstätigen Frauen finanziell ausgestattet sind. ({27}) Wir haben das unsoziale Kindergeld 1975 durch ein einheitliches Kindergeld ersetzt. ({28}) Dieses Kindergeld ist laufend so erhöht worden, ({29}) daß wir im Jahre 1981 23,7 Milliarden DM ausgegeben haben. Diese Zahl erreichen Sie mit all Ihren Verbesserungen erst wieder im Jahre 1988. Also, spielen Sie sich nicht auf! Sie haben den Menschen erst genommen, und dann geben Sie ihnen etwas wieder. ({30}) Und nun kam der Sozialabbau, meine Damen und Herren. ({31}) Frau Minister, Sie haben sich neulich gewundert, daß Sie so viele Briefe von Frauen bekommen, die gesagt haben: Liebe Frau Minister, mir geht es so schlecht, ich finde keinen Arbeitsplatz. ({32}) Ich weiß nicht so recht, wie ich Beruf und Familie vereinbaren soll, wie ich nach der Kindererziehungszeit ins Erwerbsleben zurückkehren kann. Die Frau Minister sagte, daß die finanzielle Situation dieser Frauen so deprimierend sei, daß sie in Hoffnungslosigkeit leben. Ich gebe ja zu, Frau Minister, daß es schwer ist, schon nach fünf Wochen die Frau Fuchs ({33}) gesamte Bundespolitik zu überblicken. Wenn Sie lesen, was in den letzten zweieinhalb Jahren alles zu Lasten der Frau verschlechtert worden ist, werden Sie erkennen, warum Ihnen die Frauen geschrieben haben. Es sind nämlich die Auswirkungen der Bundespolitik, ({34}) die die Situation der Frau so dramatisch verschlechtert haben. ({35}) Die Frauen leiden unter Sozialabbau. Die Frauen werden und bleiben arbeitslos. Die Frauen bekommen Arbeitsplätze mit Entgelt unter 400 DM angeboten. Den Frauen, die Ihnen schreiben, Frau Minister Süssmuth, ist das Mutterschaftsurlaubsgeld von 750 DM auf 510 DM gekürzt worden. Das Berufsausbildungsgesetz ist so zusammengestrichen worden, daß Mädchen keine Chance mehr haben. Die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten für die Frauen, die wieder ins Berufsleben zurück wollen, sind zusammengetrichen worden usw. ({36}) Ich schicke Ihnen ein Papier, damit Sie wissen, Frau Minister, warum die Frauen seit der Wende von dieser Bundesregierung so enttäuscht sind. ({37}) Sie haben, wie Sie selbst gesagt haben, keine Perspektive. ({38}) Nun komme ich auf Herrn Rau zu sprechen, meine Damen und Herren. Sie als Bundesregierung bürden den Kommunen die Lasten der Arbeitslosigkeit auf. Sie machen eine Steuerreform auf Kosten der Länder und Kommunen. ({39}) Sie finden sich mit Massenarbeitslosigkeit ab. Deshalb muß z. B. Johannes Rau 750 Millionen DM aus seinem Etat dazugeben, damit junge Menschen in Nordrhein-Westfalen Ausbildungs- und Arbeitsplätze finden können. ({40}) Sie können uns nicht mit dem Erziehungsgeld kommen. ({41}) Dies war und ist eine Bundesaufgabe, Frau Minister. Sie haben die Aufgabe, die zweite Stufe des Erziehungsgeldes als Bundesaufgabe durchzuführen. Sie können nicht die Länder zur Erfüllung einer Aufgabe zwingen, die eigentlich Ihre Aufgabe ist. ({42})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Fuchs, können Sie bestätigen, daß auch das Land Nordrhein-Westfalen, unter Einschluß der Steuererleichterungen, die dem Land und den Gemeinden weniger Einnahmen bringen, vom Bund in den vergangenen Jahren einschließlich 1985 und 1986 mehr Geld und nicht weniger bekommen hat und bekommen wird?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege, das Land Nordrhein-Westfalen kriegt auf Grund der Steuerreform, die Sie durchgeführt haben, eine Milliarde DM weniger. Diese Mittel könnte man ausnutzen, um aktiv Beschäftigungspolitik zu machen. ({0}) Das Land Nordrhein-Westfalen erhält Geld, um eine nationale Last zu tragen; denn die Strukturprobleme in Nordrhein-Westfalen erfordern doch wohl unser aller Solidarität. Deswegen sage ich Ihnen noch einmal: Sie können nicht Massenarbeitslosigkeit in Kauf nehmen, den Kommunen die finanziellen Lasten aufpacken, Sie können nicht mit Steuerreformen zu Lasten der Länder aufwarten und dann noch erwarten, daß ein Land die miserable Sozialpolitik der Bundesregierung ausgleicht. Dazu ist auch Nordrhein-Westfalen nicht in der Lage. ({1}) Deswegen sage ich noch einmal, Frau Minister: Die Frauen schreiben Ihnen, weil sie keinen Arbeitsplatz finden. ({2}) Die Frauen schreiben Ihnen, weil Sie das Mutterschaftsurlaubsgeld gekürzt haben. Die Frauen schreiben Ihnen, weil Sie die Ausbildungsförderungsgesetze verändert haben, so daß Mädchen kaum noch Chancen haben, eine vernünftige Ausbildung zu erhalten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe zuwenig Zeit, Herr Kollege. ({0}) Neulich sagte die Frau Ministerin, so schlecht wie jetzt sei es den Frauen noch nie gegangen. Sie hat recht. - Und es wird ihnen weiter schlecht gehen; denn auch dieses neue Gesetz, das wir in dem Teil, den ich vorhin genannt habe, richtig finden, hat Ecken und Kanten. Meine Kollegin Frau Schmidt, hat darauf hingewiesen. Wissen Sie, ich wäre für eine Harmonie zwischen Arbeitswelt und Familie. Aber ich muß Ihnen ganz offen sagen, Frau Minister Süssmuth: So, wie Sie es darstellen, als ob man durch ein Gesetz dazu beitragen könnte, daß in den jetzt schwierigen Zeiten die Arbeitsmarktsituation in einem harmonisierenden Rundumschlag zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie führte, kann das aus unserer Sicht nicht stehenbleiben. Sie wissen doch ganz genau, daß die Frauen heute, wenn überhaupt, meistens einen Arbeitsplatz mit einem Monatsentgelt unter 400 DM angeboten bekommen, damit die Unternehmen die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung sparen. ({1}) Sie wissen doch, daß die Frauen heute meistens nur noch einen befristeten Arbeitsvertrag angeboten bekommen, weil mit einer Befristung alle Schutzvorschriften zum Mutterschaftsurlaubsgeld umgangen werden können. Deswegen finde ich Ihre Einlassung zur Harmonie von Arbeit und Familie - gestatten Sie mir dieses - wirklich naiv. Sie wissen nicht, wie die Arbeitsmarktsituation der Frauen draußen aussieht. ({2}) Wenn Sie wirklich etwas tun wollen, wie Sie es immer versprochen haben, dann rate ich Ihnen, vorrangig folgendes zu machen: Bringen Sie einen Gesetzentwurf ein, der den Frauen, die Teilzeitarbeit suchen, endlich einen ordentlich finanzierten Arbeitsplatz sichert, und bringen Sie einen Gesetzentwurf ein, der die Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung abschafft. ({3}) Bringen Sie einen Entwurf ein, der dazu beiträgt, daß dieses entsetzliche Entlassungsförderungsgesetz zurückgenommen wird. Die Frauen, die mit einem befristeten Arbeitsvertrag für 18 Monate eingestellt werden, haben nämlich von all den Verbesserungen im Kündigungsschutz, die Sie hier vortragen, überhaupt nichts. Dann will ich nochmals darauf hinweisen: Sie werden eine Verwaltungsvorschrift machen. Darin werden Sie zu konkretisieren haben, was denn eine „unbillige Erschwernis" der Unternehmer wäre, nach der sie dann die Arbeitnehmerinnen entlassen können. Ich sage Ihnen schon jetzt eine Fülle von Kündigungsschutzprozessen voraus. Meine Redezeit ist gleich abgelaufen, meine Damen und Herren. Deswegen will ich nur noch einen Punkt herausgreifen. Was sich die Bundesregierung oder die sie tragenden Koalitionsfraktionen an Zuständigkeitsregelung leisten, Frau Karwatzki, das schlägt wirklich dem Faß den Boden aus. Niemand wird wissen, welche Stelle nun für ihn zuständig ist. Ist es das Versorgungsamt, das Jugendamt, eine andere Landesbehörde, oder gar die Bundesanstalt für Arbeit? ({4}) All dies lassen Sie für die Beteiligten völlig im Nebel. Sie, die angeblich Bürokratie abbauen wollten, schaffen ein noch nie dagewesenes Chaos. Im übrigen wird noch genau zu prüfen sein, ob solche Mischkompetenzen überhaupt mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. So etwas hat es seit dem Bestehen der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Das alles machen Sie doch nur, weil Ihre bayerichen Freunde für ihre Versorgungsämter keine Arbeit mehr haben. Wir können diesem faulen Kompromiß nicht zustimmen. ({5}) Sie tun jetzt so, als ob Sie 1988 die Auszahlung des Kindergeldes und des Erziehungsgeldes den Finanzämtern übertragen wollen. Haben Sie darüber eigentlich schon mit irgendeinem Bundesland gesprochen? Wissen Sie eigentlich, welche Debatte Sie sich mit einem solchen Vorschlag aufbürden? Ich glaube, diese Verwaltungsvorschriften sind das reinste Chaos. Wir haben Änderungsanträge eingebracht. Wir bitten Sie, diesen Änderungsanträgen zuzustimmen, ({6}) damit dieses Gesetz noch in eine Bahn gelenkt wird, der auch wir zustimmen können. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Verhülsdonk.

Roswitha Verhülsdonk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002371, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Fuchs, Sie haben sich eben wortreich und engagiert noch einmal der Sozialleistungen gerühmt, die die SPDRegierung auf Pump gewährt hat. Die Regierung Kohl ist nicht zuletzt deshalb gewählt worden, um dieser Misere ein Ende zu bereiten. ({0}) Sie ist aber auch gewählt worden, um der Familienpolitik endlich die Bedeutung zu geben, die ihr zukommt. ({1}) Die familienpolitische Bedeutung dieses Gesetzes haben meine Vorredner eben hier dargestellt. Ich möchte nur noch eines hinzufügen. Frau Süssmuth hat mich eben verständigt, daß sich das, was sie in dieser Fernsehsendung über die Briefe von Frauen gesagt hat, auch auf deren Lage in der Vergangenheit bezieht, also auch auf die Zeit, in der Sie regiert haben, in der Sie angeblich diese großen Leistungen erbracht haben. ({2}) Ich will, weil hier vieles unklar geblieben ist, in meiner Rede auf die sozialpolitischen Probleme eingehen, und da insbesondere auf das Thema Kündigungsschutz. Meine Damen und Herren, Erziehungsgeld ohne Kündigungsschutz, das wäre von vornherein ein Fehlschlag gewesen. Das ist uns klar. Ein Jahr lang bei ihrem Kind bleiben zu können, und 600 DM Erziehungsgeld zu erhalten, das entspricht den Wünschen und auch den sozialen Möglichkeiten junger erwerbstätiger Mütter. Aber die Hälfte aller Frauen, die ein Kind bekommen haben, kann es sich nicht leisten, länger zu pausieren. Sie sind auf ihr eigenes Einkommen angewiesen. Sie haben auch Angst, später keinen Arbeitsplatz mehr zu finden. Für diese Frauen ist der Kündigungsschutz unabdingbar. Die andere Hälfte der Mütter dagegen will, wie wir aus den Erfahrungen mit dem Mutterschaftsurlaubsgesetz wissen, nach dem Jahr Erziehungsurlaub noch nicht an den Arbeitsplatz zurückkehren, vor allem, weil sie oft mehrere Kinder haben. Vor diesem Hintergrund erweist sich die im Erziehungsgeldgesetz gefundene Ausgestaltung des Kündigungsschutzes als in jeder Hinsicht maßgerecht und vernünftig. Alle Frauen, Frau Kollegin Schmidt, können sich ohne Sorge um den Arbeitsplatz ein Jahr lang ihrem Kind zuwenden. Mehrere hunderttausend arbeitssuchende Frauen erhalten dadurch die Chance, wenigstens vertretungsweise zunächst einen Arbeitsplatz zu bekommen, in dieser Zeit Berufspraxis zu erwerben und - das ist ja auch nicht uninteressant - danach auch Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Zudem besteht für die Häfte dieser Ersatzkräfte die gute Chance auf einen Dauerarbeitsplatz. Wir berücksichtigen mit dem Kündigungsschutz auch die Belange der mittelständischen Betriebe, die ja mit Recht darauf hinweisen, daß der Kündigungsschutz für sie Probleme schafft. Diese Probleme sind viel leichter lösbar, Frau Fuchs, seit mit dem neuen Beschäftigungsförderungsgesetz vom 1. Mai 1985 befristet Ersatzkräfte eingestellt werden können. Bei über eine Million arbeitsloser Frauen, darunter immer mehr gut ausgebildete junge Frauen und Mädchen, kann es doch kein Problem sein, eine Ersatzkraft zu finden. Schließlich sind die erwerbstätigen Frauen ganz überwiegend in den unteren und mittleren Qualifikationsetagen tätig, und da gibt es ein reiches, ein überreiches Angebot an Arbeitssuchenden. Zudem, eine Ersatzkraft für ein Jahr einzuarbeiten ist ungleich rentabler als für die vier Monate Mutterschaftsurlaub. Hilfreich für vernünftige Vereinbarungen zwischen Betrieb und Arbeitnehmerin ist aber vor allem, daß Frauen während des Bezugs von Erziehungsgeld bis zu 19 Stunden Teilzeitarbeit leisten dürfen. Das entspricht sicher in vielen Fällen dem beiderseitigen Interesse, vor allem in den ersten sechs Monaten, wenn Einkommen auf das Erziehungsgeld nicht angerechnet wird. Besonders den höherqualifizierten und entsprechend gut bezahlten Frauen kommt diese Regelung sehr entgegen, und vielen Betrieben wird geholfen, wenn die qualifizierte Mitarbeiterin weiterhin wenigstens halbtags zur Verfügung steht. Auch das große Heer der mithelfenden Ehefrauen in Familienbetrieben profitiert davon, daß Teilzeitarbeit zulässig ist. Zu ernsteren Bedrohungen der Existenz eines Kleinbetriebes, weil z. B. mehrere Mitarbeiterinnen gleichzeitig Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen wollen, kann es aber nicht kommen. Denn in solchen Fällen können die Gewerbeaufsichtsämter nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall ausnahmsweise den Kündigungsschutz aussetzen. Dies ist bisher schon in der Mutterschutzfrist, in der bekanntlich Arbeitsverbot besteht, möglich gewesen. Wir halten das für eine vernünftige und beiden Seiten zumutbare Konfliktlösung. Ich bin ganz sicher, es wird in der Praxis viel weniger Probleme geben, als das in der heftigen Diskussion um die Frage des Kündigungsschutzes vorhergesagt worden ist. Schon beim heutigen Recht des viermonatigen Mutterschaftsurlaub hat sich erwiesen, daß die Unternehmer viel Verständnis für ihre Mitarbeiterinnen aufbringen, wenn diese eine Zeitlang bei ihrem Kind zu Hause bleiben wollen. Gerade der enge persönliche Kontakt im kleineren Betrieb fördert solches Verständnis und Entgegenkommen. Schließlich - das muß man auch sagen - ist Kinderhaben ja nicht nur ein Privatvergnügen. Die Wirtschaft braucht auch morgen und übermorgen Verbraucher und Arbeitnehmer, der Staat braucht Steuerzahler, und wir alle brauchen Beitragszahler für unsere soziale Sicherheit. Es gibt Leute, die es am liebsten sähen, wenn Frauen mit Kindern ganz aus der Arbeitswelt ausschieden. Das sind dieselben, die den erwerbstätigen Frauen vorwerfen, sie seien Doppelverdiener. Sie machen geltend, wenn die Mütter daheim blieben, dann sei das Problem der Arbeitslosigkeit schon halb gelöst. Dagegen wäre vieles zu sagen. Ich beschränke mich hier auf eine Aussage. Unsere Arbeitswelt würde ohne die Mitwirkung der Frauen schon längst nicht mehr funktionieren. Das wissen die Arbeitgeber nur zu gut. Wir Sozialpolitiker haben uns bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs viele Gedanken um die Gestaltung der Einkommensanrechnung gemacht, die ja nach dem sechsten Monat beginnt. Sie ist wegen der hohen Kosten, die entstehen, notwendig. Wir haben auch überlegt, Frau Fuchs, ob man von Beginn an Einkommensgrenzen machen soll. Ich möchte nicht erleben, was Sie heute hier gesagt hätten, wenn wir Frauen, die bisher den Anspruch auf Mutterschaftsurlaub gehabt haben und die besser verdienen, jetzt diesen aberkannt hätten. Da wären 20 % 'rausgefallen. Das Geschrei möchte ich hören. ({3}) Wir sind bei den Beratungen zu folgender Erkenntnis gekommen. Wir mußten den Gesetzentwurf an einigen Stellen ändern. So unterscheiden wir bei der Einkommensanrechnung zwischen Lohnersatzeinkommen und Sozialeinkommen, das unterhaltsabhängig gewährt wird. Auf solche Sozialeinkommen wollen wir das Erziehungsgeld nicht anrechnen. Deshalb haben wir die Bezieher von Arbeitslosenhilfe mit den Beziehern von Sozialhilfe gleichgestellt. Wir wollten keine Flucht in die Sozialhilfe verursachen. Das war eine bewußte politische Entscheidung. Es geht uns darum, daß Frauen und Familien in sozial schwierigen Verhältnissen nach der Geburt eines Kindes finanziell angemessen versorgt sind. Dieses Anliegen war uns wichtiger als alle sozialpolitische Systematik. Beim Arbeitslosengeld haben wir es dagegen für systematisch richtig gehalten, daß es nicht gleichzeitig mit dem Erziehungsgeld bezogen werden kann. Frauen, die das Erziehungsgeld in Anspruch nehmen, unterbrechen dadurch die Bezugszeit des Arbeitslosengeldes, das aber nach dem Erziehungsgeld weiterläuft. Da Erziehungsurlaub im Gesetz wie Beschäftigung bewertet wird, verlängert sich sogar der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Ein Jahr Erziehungsurlaub bringt vier Monate zusätzlichen Arbeitslosengeldanspruch. Es war aus systematischen Gründen auch notwendig, das Krankengeld als Lohnersatzleistung wie Arbeitslosengeld zu behandeln, so daß es nicht gleichzeitig bezogen werden kann. Mit diesem Gesetz haben wir nicht nur familienpolitisch, sondern auch sozialpolitisch in mehrerlei Hinsicht Neuland betreten. Wir Unionspolitiker sind stolz darauf, ein Gesetz zu verabschieden, das die unselige und politisch unbegründbare Einteilung der Mütter in Hausfrauen ohne soziale Ausstattung und Berufsfrauen mit sozialem Anspruch beendet. ({4}) Die Chancenungleichheit, die zwischen der einen und der anderen Gruppe der Mütter bestanden hat, wird damit ab dem 1. Januar 1986 aufgehoben. Alle Mütter haben dann den gleichen Anspruch auf Erziehungsgeld und den gleichen Anspruch auf ein Rentenjahr. Das ist der Beginn einer neuen Ära in der Sozialpolitik. ({5}) Abschließend will ich, nachdem ich hier immer von den Müttern gesprochen habe, vermerken: Väter, die sich der Kindererziehung widmen, werden natürlich gleich behandelt. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Wortmeldungen liegen zur zweiten Lesung nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 4 a, und zwar über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3792. Ich bitte, Platz zu nehmen, weil diese Abstimmungen etwas schwierig sein werden. Die Fraktion der SPD verlangt getrennte Abstimmung über die einzelnen Vorschriften des Gesetzes. Ich rufe § 1 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4230 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Wer § 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen. Ich rufe die §§ 3 und 4 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer großen Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 5 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4228 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag bei einer Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Wer § 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen angenommen. Ich rufe die §§ 6 bis 9 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe die §§ 10 und 11 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Anzahl von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe die §§ 12 bis 14 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. 13064 Vizepräsident Westphal Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die Vorschriften bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe § 15 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4229 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Wer § 15 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die aufgerufene Vorschrift in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen. Ich rufe die §§ 16 und 17 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen worden. Ich rufe § 18 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die aufgerufene Vorschrift bei einer geringen Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 19 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die aufgerufene Vorschrift bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 20 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die aufgerufene Vorschrift bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 21 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 22 Nr. 1 bis 3 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4229 auf. Es wird unter Ziffer 2 dieses Änderungsantrages beantragt, eine neue Nr. 3 a und 3 b in den § 22 einzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Ich rufe § 22 Nr. 4 bis 6 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Ich rufe § 22 Nr. 7 und 8 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe die §§ 22 a bis 22 c in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 23 Nr. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. - Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 23 Nr. 3 bis 5 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit großer Mehrheit bei einer Anzahl von Enthaltungen angenommen. Ich rufe § 24 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Ich rufe § 25 Nr. 1 Buchstabe a und b in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Ich rufe § 25 Nr. 1 Buchstabe c in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 25 Nr. 1 a, 1 b und 2 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Ich rufe die §§ 26 bis 29 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Ich rufe § 30 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen. Vizepräsident Westphal Ich rufe die §§ 31 bis 35 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschriften sind mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Ich rufe § 36 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist mit Mehrheit bei einer Anzahl von Gegenstimmen und einer größeren Anzahl von Enthaltungen angenommen. Ich rufe § 37 Nr. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4229 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen abgelehnt. Wer § 37 Nr. 1 und 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 37 Nr. 3 und 4 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Ich rufe § 38 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit bei einer großen Anzahl von Enthaltungen angenommen. Ich rufe die §§ 39 und 40 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit bei einer Anzahl von Enthaltungen angenommen. Es bleibt noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Auch das machen wir getrennt. Wer der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Überschrift ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Wir stimmen nunmehr über die Einleitung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Einleitung ist mit Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Meine Damen und Herren, wir treten in die dritte Beratung ein. Dazu liegt die Wortmeldung des Abgeordneten Hauck vor. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen. ({0}) - Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner. Wir kommen danach zu einer namentlichen Abstimmung.

Rudolf Hauck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einzelabstimmungen in der zweiten Lesung haben ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten gezeigt. Wie sich die SPD-Fraktion bei der Schlußabstimmung verhalten wird und welche Gründe dafür vorliegen, will ich kurz erklären. Das zur Verabschiedung anstehende Bundeserziehungsgeldgesetz umfaßt zwei Hauptbereiche: erstens die familienpolitische Komponente, die vorsieht, daß allen Müttern und wahlweise auch Vätern ein Erziehungsgeld gewährt wird - diese familienpolitische Leistung wurde auch von uns immer gefordert und findet unsere Zustimmung -, zweitens eine arbeitsrechtliche Komponente, die vorsieht, daß mit der Einbeziehung des Mutterschaftsgeldes das Mutterschutzgesetz materiell und substantiell so entscheidend verschlechtert wird, daß wir diesen Regelungen nicht zustimmen können. ({0}) Die Hauptkritikpunkte wurden in der zweiten Lesung von den Kolleginnen Renate Schmidt und Anke Fuchs ausführlich dargestellt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit ihrem eigenen Gesetzentwurf den Versuch unternommen, die beiden Komponenten zusammenzuführen. Sie haben diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt, und auch unsere Änderungsvorschläge, die das Ziel verfolgten, Ungerechtigkeiten bzw. Benachteiligungen zu verhindern bzw. zu mindern, niedergestimmt. Auf dieser Grundlage - eigener SPD-Entwurf „Elternurlaubsgesetz", der abgelehnt wurde, sture Ablehnung aller SPD-Vorschläge - ist eine Zustimmung für uns nicht möglich. Dagegen verbietet der richtungweisende familienpolitische Einstieg, der auch unseren Zielvorstellungen entspricht, eine Ablehnung. Da nun aber über das gesamte Gesetz abgestimmt werden muß, hat meine Fraktion auch das Votum „Enthaltung" in die Prüfung einbezogen. Ich persönlich habe parlamentarische Abstimmungsoptionen immer als gleichwertig betrachtet. So wie ein Kompromiß Bestandteil parlamentarischer Willensbildung ist und nicht immer ein „fauler" zu sein braucht, so ist eine Enthaltung nicht immer eine halbherzige Verneinung oder eine halbherzige Bejahung oder ein Drücken vor der Verantwortung. ({1}) So wie übrigens, an die GRÜNEN gewendet, in der Opposition ein „Nein" nicht immer eine heroische Tat zu sein braucht, wenn manche im Hinterkopf spekulieren, daß andere schon für die Mehrheit sorgen. ({2}) ({3}) Vor diesem Hintergrund wird sich die SPD-Fraktion aus politischer Sicht aus folgenden Gründen der Stimme enthalten: weil unser besseres und gerechteres Elternurlaubsgesetz von der Koalition abgelehnt wurde, ({4}) weil unsere Änderungsvorschläge, die ausschließlich mehr Gerechtigkeit schaffen wollten, keine Mehrheit fanden, ({5}) weil die in Kürze mit Sicherheit sichtbar werdenden Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen von uns nicht mit verantwortet werden können ({6}) und weil wir die von uns vorgesehenen Verbesserungs- und Fortentwicklungsvorstellungen dann auf der Grundlage unseres von Ihnen abgelehnten Elternurlaubsgesetzes verwirklichen können. ({7}) So gesehen ist unsere Enthaltung kein Ausweichen vor der Verantwortung, sondern politischer Ausdruck, verantwortungsbewußt Verbesserungen, insbesondere im arbeitsrechtlichen Bereich, anzustreben und dann auch zu verwirklichen. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Wer mit Ja stimmen möchte, werfe bitte die blaue Stimmkarte in die Urne, für Nein die rote Stimmkarte und für Enthaltung die weiße Stimmkarte. - Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal, das die Absicht hat, sich an der Abstimmung zu beteiligen? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer um Auszählung der Stimmen. Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen, da das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über das Bundeserziehungsgeldgesetz auf den Drucksachen 10/3792 und 10/3926 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 366 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 209 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 19 Abgeordnete gestimmt, Enthaltungen: 138. 16 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon ungültig: keine. Mit Ja haben 8 Abgeordnete gestimmt, 1 Nein-Stimme, 7 Enthaltungen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 367 und 16 Berliner Abgeordnete; davon ja: 210 und 8 Berliner Abgeordnete, nein: 19 und 1 Berliner Abgeordneter, enthalten: 138 und 7 Berliner Abgeordnete. Klein ({0}) Dr. Köhler ({1}) Kraus Dr. Kreile Krey Frau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({2}) Lamers Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link ({3}) Link ({4}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Lohmann ({5}) Louven Lowack Maaß Magin Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Müller ({6}) Müller ({7}) Müller ({8}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr. Olderog Frau Pack Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Regenspurger Repnik Dr. Riesenhuber Rode ({9}) Frau Rönsch Frau Roitzsch ({10}) Rossmanith Rühe Ruf Sauer ({11}) Sauer ({12}) Saurin Sauter ({13}) Sauter ({14}) Scharrenbroich Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schneider ({15}) Freiherr von Schorlemer Ja CDU/CSU Dr. Abelein Frau Augustin Dr. Barzel Bayha Dr. Becker (Frankfurt; Berger Dr. Blank Dr. Blüm Böhm ({16}) Dr. Bötsch Bohl Braun Breuer Broll Brunner Bühler ({17}) Dr. Bugl Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke Frau Dempwolf Dörflinger Doss Ehrbar Engelsberger Dr. Faltlhauser Fellner Frau Fischer Fischer ({18}) Francke ({19}) Funk Ganz ({20}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerlach ({21}) Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Hanz ({22}) Haungs Hauser ({23}) Hedrich Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Dr. Hoffacker Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jagoda Dr. Jahn ({24}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({25}) Dr.-Ing. Kansy Keller Vizepräsident Stücklen Schreiber Dr. Schroeder ({26}) Schulhoff Dr. Schulte ({27}) Schultz ({28}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seesing Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Dr. Sprung Dr. Stark ({29}) Dr. Stercken Stockhausen Stommel Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Frau Verhülsdonk Vogt ({30}) Dr. Voigt ({31}) Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner ({32}) Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({33}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Dr. Wittmann Wittmann ({34}) Dr. Wörner Würzbach Zierer Zink Berliner Abgeordnete Boroffka Buschbom Dolata Kalisch Kittelmann Dr. h. c. Lorenz Straßmeir FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Bredehorn Eimer ({35}) Engelhard Ertl Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Hirsch Hoffie Kleinert ({36}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Neuhausen Paintner Schäfer ({37}) Dr. Solms Wolfgramm ({38}) fraktionslos Voigt ({39}) Nein DIE GRÜNEN Frau Dann Frau Eid Frau Hönes Frau Kelly Mann Dr. Schierholz Schmidt ({40}) Schulte ({41}) Senfft Vogel ({42}) Volmer Frau Wagner Werner ({43}) Werner ({44}) Frau Zeitler Berliner Abgeordneter Ströbele fraktionslos Enthalten SPD Amling Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Berschkeit Bindig Frau Blunck Brück Buckpesch Büchler ({45}) Büchner ({46}) Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet Conradi Corterier Curdt Daubertshäuser Delorme Dreßler Duve Eickmeyer Dr. Emmerlich Dr. Enders Ewen Fiebig Fischer ({47}) Fischer ({48}) Franke ({49}) Frau Fuchs ({50}) Frau Fuchs ({51}) Gerstl ({52}) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haehser Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heistermann Hettling Heyenn Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({53}) Jahn ({54}) Jansen Jaunich Dr. Jens Jung ({55}) Junghans Jungmann Kastning Kiehm Kisslinger Klein ({56}) Dr. Klejdzinski Klose Kolbow Kuhlwein Lambinus Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Lohmann ({57}) Meininghaus Müller ({58}) Müller ({59}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Neumann ({60}) Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Pauli Dr. Penner Peter ({61}) Pfuhl Porzner Ranker Rapp ({62}) Reimann Frau Renger Rohde ({63}) Sander Schäfer ({64}) Schanz Dr. Scheer Frau Schmedt ({65}) Schmidt ({66}) Frau Schmidt ({67}) Schmidt ({68}) Schmitt ({69}) Schreiner Schröer ({70}) Dr. Schwenk ({71}) Sielaff Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Spöri Stahl ({72}) Frau Steinhauer Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Urbaniak Vahlberg Verheugen Vogelsang Voigt ({73}) Weinhofer Westphal Frau Weyel von der Wiesche Wimmer ({74}) Wischnewski Witek Dr. de With Wolfram ({75}) Zeitler Berliner Abgeordnete Dr. Diederich ({76}) Heimann Löffler Frau Luuk Dr. Mitzscherling Dr. Vogel Wartenberg ({77}) DIE GRÜNEN Dr. Müller ({78}) Schily Tischer Damit ist das Gesetz mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4221. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen ist dieser Entschließungsantrag angenommen. Wir kommen nunmehr zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4231. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. 13068 Vizepräsident Stücklen Meine Damen und Herren von der SPD, einige aus Ihrer Fraktion sind nicht sehr beteiligt, oder? ({79}) - Gut. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist bei einigen Stimmenthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über die Vorlage unter Tagesordnungspunkt 4 b), nämlich über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3806. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4148 unter Ziffer 2, diesen Gesetzentwurf der Fraktion der SPD abzulehnen. Ich rufe die Art. 1 bis 18, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Der Entwurf ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung einer besseren Pflege ({80}) - Drucksache 10/2609 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({81}) Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bueb.

Eberhard Bueb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000293, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Bundespflegegesetzes betreten die GRÜNEN in vielerlei Hinsicht politisches Neuland, und das ist angesichts der Problemlage der Pflegepolitik bitter nötig. In der Bundesrepublik leben ca. 1,6 Millionen Pflegebedürftige zu Hause und etwa 250 000 in geschlossenen Einrichtungen, d. h. in Krankenhäusern, Alten-, Behinderten- oder Pflegeheimen. Mehr als drei Viertel der in erheblichem Umfang Pflegebedürftigen sind über 65 Jahre, ein Drittel sogar über 80 Jahre alt. Mit der Zunahme chronischer Krankheiten und der Änderung im Altersaufbau der Bevölkerung wird sich der Anteil der Pflegebedürftigen in den nächsten Jahren ungefähr verdoppeln. Angesichts von Durchschnittsrenten von 750 bis 1 100 DM und Pflegesätzen von 1 500 und 4 000 DM ist es kein Wunder, daß heute zwei Drittel der Pflegebedürftigen in den Pflegeheimen sozialhilfeabhängig sind. Ihnen verbleiben ärmliche 150 DM im Monat. Pflegebedürftigkeit heißt damit für allzu viele das Risiko der Armut. Im Alter und durch Behinderung pflegebedürftig zu werden, bedeutet in unserer Gesellschaft immer noch eine persönliche und soziale Katastrophe. Die Verarmung durch Sozialhilfe ist nur die Spitze des Eisberges. Das ganze Leben erfährt einen Einschnitt. Man wird von der Hilfsbereitschaft anderer abhängig. Das soziale Ansehen wird abgewertet, da nur, wer sich selbst helfen kann, in unserer Gesellschaft anerkannt ist. ({0}) Pflegekräfte und Institutionen sind für alles zuständig und bevormunden die ganze Person. Bei Heimeinweisung wird man durch den Verlust der häuslichen Atmosphäre isoliert, Kontakte zu Freunden und Bekannten gehen verloren. ({1}) Trotz dieser bekannten Mißstände gibt es heute keine ausreichende soziale Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit. Die Bundesrepublik gilt im internationalen Maßstab hierzu als Entwicklungsland. ({2}) Je nach Ursache der Pflegebedürftigkeit werden hierzulande unterschiedlich hohe Leistungen gewährt, die vielfach zu gering sind. Zudem begünstigen die jetzigen Finanzstrukturen die Heimunterbringung. Pflegebetten sind eine lukrative Geldanlage, wie nicht zuletzt die zahlreichen Skandale in privaten oder auch in Häusern der Wohlfahrtsverbände bezeugen. Ambulante Einrichtungen dagegen sind Zuschußunternehmen. Sie sind deshalb für die Wohlfahrtsverbände nicht interessant. Familie oder Heim? So lautet heute die Alternative für Pflegebedürftige. Wenn es die Familie - das heißt hier vor allen Dingen: die Frauen - nicht mehr schafft, dann eben ab ins Heim. Lediglich 12% der zu Hause lebenden Pflegebedürftigen werden von einem ambulanten Pflegedienst betreut, und bei nur 4% der Fälle erfolgt die Pflege ausschließlich durch ambulante Dienste. Die Familien werden alleingelassen, die Alten und Behinderten ins Heim abgeschoben. An dieser Tatsache ändern auch die beiden wichtigsten Alternativvorschläge zum grünen Bundespflegegesetz nichts. Das Nichtkonzept der Bundesregierung, deren sogenanntes „Maßnahmenbündel" vor allem auf eine private Pflegeversicherung und auf eine Ausweitung der Leistungen der Krankenkassen setzt, dieses Programm der Bundesregierung ist ein Sparprogramm, das den Behinderten nichts bringt und die Frauen in den Haushalten verschärft belastet. Der hessische SPD-Vorschlag einer Pflegeversicherung im Rahmen der Sozialversicherung wiederum versucht, die Quadratur des Kreises zu lösen: Die Heime sollen weiterhin finanziert werden, und ambulante Pflege soll auch Geld erhalten. Am Ende steht dann eine halbherzige Lösung, die sowohl die Arbeitnehmer wie die Beitragszahler belastet und alle nicht Sozialversicherungspflichtigen - Beamte, Selbständige usw. - außen vor läßt. Die ambulante Pflege kann in diesem Konzept nur bescheiden gefördert werden, weil ein Löwenanteil des Geldes weiter in die Heime fließt. Wir GRÜNE hatten uns auch mit dem Gedanken getragen, Pflegeleistungen in den Leistungsklatalog der Krankenversicherung zu übernehmen, denn wir sind für eine Auflösung der medizinisch-technischen Krankheitsicht, die Kranheit nur als etwas Technisches, Abstellbares betrachtet und Gesundheit immer nur im Zusammenhang mit Arbeitsfähigkeit denkt. ({3}) Krankheit wie Pflegebedürftigkeit sind für uns ein Ausdruck menschlicher Existenz. Mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit sozial anerkannt leben zu können, muß ein Ziel der Sozialpolitik werden. Wir wollen das Risiko der Pflegebedürftigkeit dennoch nicht an die Krankenversicherung angliedern, weil Behinderung und Alter im heutigen Gesundheitssystem keinen Platz finden. Was langfristig sinnvoll sein kann, wäre heute vor allem für die von Geburt an Behinderten eine soziale Katastrophe. Unser Ziel ist es, Bedingungen zu schaffen; in denen Pflegebedürftige selbst über ihre Wohn- und Pflegesituation bestimmen können: ({4}) Erstens. Statt der Zahlung von pauschalen Heimpflegesätzen direkt an die Heimträger sind dem Pflegebedürftigen ausreichende finanzielle Mittel für Lebensunterhalt und Pflegebedarf zur Verfügung zu stellen. Zweitens. Die Pflegebedürftigen müssen ihre Pfleger selbst wählen können. Drittens. Pflegeabhängige müssen ihren Alltag selbst bestimmen können; im Heim ist das eben nicht der Fall. ({5}) Viertens. Pflegeabhängige sollten selbst entscheiden können, wo, mit wem, mit wie vielen und wie sie leben wollen. ({6}) Zur finanziellen Sicherung der Pflegebedürftigen schlagen wir die Neueinführung eines Unterstützungsgeldes zwischen 50 und 150 DM bei geringer Pflegebedürftigkeit vor. Bei erheblicher Pflegebedürftigkeit soll das Pflegegeld deutlich höher als heute sein können. Wir schlagen eine Größenordnung zwischen 340 und 1 400 DM vor. Bei angemessener Reduzierung des Pflegegeldes werden alternativ auch die Kosten einer Pflegeperson übernommen. Damit wird die volle Wahlfreiheit zwischen Geld- und Sachleistungen garantiert. Die Kosten sollen je zur Hälfte von Bund und Ländern getragen werden. Die Leistungen sollen - wie bei der Krankenversicherung - frei gewählt werden können. Weiter schlagen wir den Ausbau neuer Wohn-und Betreuungsformen vor. Schwerpunktmäßig sollen die Wohngruppenpflege, die Beschaffung bedarfsgerechten Wohnraums und vor allem die Bereitstellung vom ambulanten Diensten gefördert werden, die rund um die Uhr, 24 Stunden, für die Pflegebedürftigen bereit sind. Die Pflege in Heimen erhält Nachrang und soll 1995 finanziell nicht mehr unterstützt werden. Finanzielle Hilfen in der Hand der Betroffenen und der Aufbau neuer Wohn- und Betreuungsformen schaffen die Voraussetzungen, um die Entmündigung der Pflegebedürftigen aufzuheben. ({7}) Daneben schlagen wir noch Schutzrechte zur Verbesserung der Rechtsstellung der Gepflegten vor, vor allem die Einführung einer PflegeOmbudsperson in jeder Stadt bzw. in jedem Kreis, die umfassende Kontroll- und Einsichtsrechte in den Pflegebereich erhalten soll. Und nun ein letztes zum Geld: Dieses Gesetz würde die Kommunen finanziell wesentlich entlasten. Darüber hinaus würden mindestens 250 000 zusätzliche, neue Arbeitsplätze in der Pflege geschaffen. Statt die Geldmittel in Heime, in Mauern und Maschinen zu stecken, fordern wir ihre Umlenkung in den personalintensiven Pflegebereich zur Selbstbestimmung der Betroffenen. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Link ({0}).

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verbesserung der Lage pflegebedürftiger alter Menschen ist eine wichtige sozialpolitische Aufgabe. ({0}) Der Antrag der GRÜNEN jedoch wird der Bedeutung dieses Problems nicht gerecht. ({1}) Die unsolide Berechnung der Kosten des von den GRÜNEN geforderten Bundespflegesatzes ist nur noch mit den finanzpolitischen Qualitäten des SPDKanzlerkandidaten zur Anstellung, Herrn Rau, zu vergleichen. ({2}) Ich brauche hier nicht zu wiederholen, was Herr Rau in den letzten Wochen und Monaten da alles von sich gegeben hat. Er hat gesagt, er wolle die Sozialkürzungen zurücknehmen. In seinem eigenen Land, in Nordrhein-Westfalen aber - und hier Link ({3}) kann ich mich als Niedersachse nur wundern -, nimmt er soziale Kürzungen vor, wie es kein anderes Bundesland in dieser Republik tut. ({4}) Wenn die Fraktion DIE GRÜNEN - ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte alle, die hier nicht als Abgeordnete im Saal sind, diesen zu verlassen. ({0}) Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich darf die Abgeordneten bitten, Platz zu nehmen. Zu diesem Vorgang darf ich erklären, daß der Plenarsaal des Deutschen Bundestages kein Platz für Demonstrationen ist, ganz gleich, von welcher Seite. ({0}) Ich danke den Kräften des Hauses, daß sie in der nötigen Rücksichtnahme die Protestierenden, die ich als die Verführten ansehen möchte, ({1}) ihrem Gesundheitsgrad entsprechend nach draußen geführt haben. Wir fahren mit der Beratung fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Link.

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin tief betroffen. Denn als evangelischer Diakon habe ich bis zu meiner Wahl in den niedersächsischen Landtag 1978 in den Anstalten Bethel bei Bielefeld, in den Anstalten der hessischen Mission in Darmstadt-Nieder-Ramstadt, in der Zweiganstalt der von Bodelschwinghschen Anstalten in Freistatt, Niedersachsen, fünfzehn Jahre lang mit behinderten Menschen zusammengearbeitet. Ich weiß, was es heißt, querschnittsgelähmt zu sein, Rollstuhlfahrer zu sein. Von da her verstehe ich auch in gewisser Hinsicht die Betroffenheit dieser Menschen. Was ich nicht verstehe, ist, daß man auf diese Art und Weise protestiert. Ich möchte sie dennoch ein wenig in Schutz nehmen und meine persönliche Schuldzuweisung auch denen geben, die sie verführt haben. ({0}) Wenn die Fraktion der GRÜNEN in Ihrem Antrag behauptet, daß ihr Vorschlag letztlich nur 3 Milliarden DM kosten würde, dann ist das der Gipfel der finanzpolitischen Unverfrorenheit. Allein die von den GRÜNEN in Aussicht genommenen 200 000 zusätzlichen Vollzeitarbeitsplätze würden - eine durchschnittliche Kostensumme von 50 000 DM pro Jahr und Arbeitsplatz zugrunde gelegt - 10 Milliarden DM verschlingen. ({1}) - Hören Sie erst zu. Machen Sie die Rechnung nachher nochmal. Dazu kämen die erheblichen finanziellen Leistungen, die die GRÜNEN in Ihrem Antrag in Aussicht stellen. Nicht 3 Milliarden, sondern 20 Milliarden DM würde die Verwirklichung der Vorschläge der GRÜNEN Jahr für Jahr kosten. Es ist bedauerlich, daß die GRÜNEN dieses wichtige Thema so bedenkenlos behandeln. Die tatsächlich vorhandenen Sorgen und Nöte unserer pflegebedürftigen älteren Menschen haben es weiß Gott verdient, ernster genommen zu werden. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wissen Sie, ich habe vor 14 Tagen mit ihm beim DGB diskutiert.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, es genügt, daß Sie ja oder nein sagen.

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein. Bitte sehr.

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung zum Antrag der GRÜNEN machen. Die GRÜNEN fordern die Abschaffung aller Pflegeheime bis 1995. Richtig ist, daß die Versorgung in der Familie oder in der Nachbarschaft oft menschlicher und besser ist. Aber genauso richtig ist es auch, daß in vielen Fällen Pflegeheime unverzichtbar sind. ({0}) Wir sind deshalb gegen die modische und pauschale Verteufelung der Heimpflege, wie sie hier auch von den GRÜNEN vorgenommen wird. Ich möchte an dieser Stelle für die CDU/CSUBundestagsfraktion ein herzliches Wort des Dankes an all diejenigen Männer und Frauen richten, die in den Pflegeheimen heute ihren Dienst aufopfernd im Geist der Nächstenliebe tun. ({1}) Sie brauchen unsere Hilfe. Sie brauchen Ermutigung für ihre schwere Arbeit. Was sie zuallerletzt brauchen, ist die Ankündigung des Gesetzgebers, daß sie bis spätestens 1995 zu verschwinden haben. Link ({2}) Aus der Sicht der CDU/CSU-Fraktion sind bei der Verbesserung der Situation pflegebedürftiger alter Menschen folgende Orientierungspunkte wichtig. Erstens: Die Förderung der häuslichen Pflege hat Vorrang vor der Einweisung in ein Heim. Zweitens: Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, die pflegenden Personen - meist Familienangehörige - besser als bisher zu unterstützen. Wie sehr die Angehörigen oft auch ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, hat der Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Pflegebedürftigkeit vom September 1984 eindrucksvoll gezeigt. Es gibt ein viel größeres Maß an Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe und Idealismus in unserem Volk, als uns allen oft bewußt ist. Erstens. Zur Unterstützung der häuslichen Pflege sind die vielfältigen offenen Hilfen der Verbände der freien Wohlfahrtspflege, der Sozialstationen, der Krankenpflegevereine und der Nachbarschaftshilfe zu fördern. Wir haben in meinem Heimatland Niedersachsen gesehen, wie segensreich ein konsequenter Ausbau der Sozialstationen wirkt. Nach Bayern und Rheinland-Pfalz haben wir im Land Niedersachsen den geringsten Anteil stationär betreuter älterer Menschen. Das ist ein großartiger Erfolg der konsequenten Sozialpolitik unseres niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht und seines Sozialministers Hermann Schnipkoweit. ({3}) Zweitens. Unser Ziel ist es, Hilfsbedürftige und Hilfsbereite stärker als bisher zusammenzuführen. Die Vereinsamung der Alten ist heute oft schon ein größeres Problem als die Frage des Geldes. Wer eine menschliche Gesellschaft will, darf nicht nur über Geld reden. Drittens. Die Bundesregierung, Frau Staatssekretär, hat in ihrem Bericht zur Pflegebedürftigkeit wichtige Vorschläge zur Unterstützung der häuslichen Pflege durch verbesserte Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht. Es kann nicht mehr länger so sein, daß derjenige, der in ein Krankenhaus oder ein Pflegeheim geht, praktisch alle Kosten von der Kasse oder der Öffentlichkeit ersetzt bekommt, während derjenige, der zu Hause bleibt, keine ausreichende Hilfe erhält. Ausdrücklich ermuntern will ich die Regierung bei der Fortführung der Überlegung, daß bei Krankheit der Pflegepersonen die Kassen die Kosten für die notwendige häusliche Pflegeversorgung übernehmen sollen. Viertens müssen wir darüber nachdenken, ob wir die Pflegetätigkeit nicht in einer Reihe von Punkten ähnlich wie die Erziehungstätigkeit behandeln wollen. Ich denke beispielsweise an die Notwendigkeit einer verbesserten steuerlichen Regelung für diejenigen, die einen Pflegebedürftigen versorgen. Langfristig müssen wir auch das Thema Rente für Pflege aufgreifen. Wer 10 oder 20 Jahre aufopferungsvoll einen Pflegebedürftigen gepflegt und damit nicht zuletzt der Gemeinschaft hohe Kosten erspart hat, der soll im Alter nicht auch noch gezwungen sein, den Gang zum Sozialamt anzutreten. Wer für die Pflegetätigkeit auf eigene Erwerbsarbeit verzichtet, sollte dafür wenigstens einen Rentenanspruch für sein eigenes Alter zugesprochen erhalten. Fünftens. Wichtig sind darüber hinaus alle Maßnahmen, die zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der alten Menschen dienen. Die Möglichkeiten der medizinischen Rehabilitation müssen voll genutzt werden. Mehr Rehabilitation kann oft die Unterbringung in Pflegeheimen überflüssig machen oder doch zumindest hinausschieben. Deswegen ist diesem Bereich - wie auch dem Bereich des Wohnungsbaus - noch mehr Aufmerksamkeit als bisher entgegenzubringen. Alle diese konkreten Maßnahmen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, sind realisierbare und konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation pflegebedürftiger älterer Menschen und ihrer Pflegepersonen. Sozialpolitik hat immer damit zu tun, das tatsächlich Machbare zugunsten der Menschen zu tun. Lassen Sie mich deshalb abschließend ein Wort zur Pflegeversicherung sagen. Die Erfahrungen in Holland mit der Pflegeversicherung zeigen, daß die Kosten und damit auch die Beiträge explosionsartig angestiegen sind. Was auch immer wir tun, wir dürfen kein neues Leistungssystem beschließen, das sich seine Nachfrage selber schafft. Hier ein neues Versicherungssystem aufzusatteln, dessen Eigendynamik wir noch gar nicht abschätzen können, scheint, mir jedenfalls, sehr gewagt zu sein. Wenn im übrigen die Frau Kollegin Fuchs in einer Presseerklärung vom 4. Februar 1985 den Vorschlag des hessischen Sozialministers Clauss zur Einführung einer Pflegeversicherung so kräftig feiert - Frau Kollegin Fuchs, es ist typisch, daß Sie, wenn Sie angesprochen werden, weiter Zeitung lesen -, dann müssen wir natürlich schon einmal fragen, warum denn die SPD die Pflegeversicherung nicht eingeführt hat. ({4}) Sie haben doch 13 Jahre regiert. Sie haben doch die Gelegenheit gehabt, dies alles zu tun. ({5}) - Na, dann die Tagesordnung. Die kennen Sie zu diesem Punkt doch auch so. Was Sie selber jahrelang nicht angepackt und nicht getan haben, fordern Sie heute von uns. Ich stelle fest: Dieses Vorgehen der Sozialdemokraten ist eine besonders schlimme Form von Heuchelei. ({6}) - Danke. Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Die CDU/CSU hält die Verbesserung der Situation pflegebedürftiger alter Menschen für eine zentrale politische Herausforderung. Im Umgang mit diesen Link ({7}) Menschen erweist sich ein Stück der moralischen Qualität unserer Gesellschaft. ({8}) Wir werden vorrangig alle die Maßnahmen unterstützen, die der häuslichen Pflege dienen und die Pflegefähigkeit der Familien fördern. Den Pflegeheimen, die auch in Zukunft unverzichtbar sein werden, muß die notwendige personelle und sächliche Ausstattung gewährleistet bleiben. Wir lehnen jede Form der Pflegefallversicherung ab, die zu einer unbezahlbaren Explosion der Pflegekosten führt. Hier ist aber auch vor allem Ehrlichkeit und Seriosität beim Umgang mit Zahlen notwendig. Diese Ehrlichkeit und Seriosität läßt der Antrag der GRÜNEN leider vermissen. Daher lehnen wir ihn ab. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Delorme.

Karl Delorme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000369, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will es nicht wie mein Vorredner machen und deshalb keine Betragenszensuren verteilen. ({0}) Ich glaube, es ist besser, die sozialpolitische Sprecherin unserer Fraktion ist anwesend, im Gegensatz zu der zuständigen Ministerin. ({1}) Wenn man solche Wertungen trifft, soll man sie rundum machen. ({2}) Die bessere Absicherung des Lebensrisikos „Pflegebedürftigkeit" ist ein Problem, das seit vielen Jahren von Sozialpolitikern, Wohlfahrtsverbänden und den kommunalen Spitzenverbänden diskutiert wird. Diese Frage wird weiter an Brisanz gewinnen. Die demographische Entwicklung hat dazu geführt, daß sich von 1950 bis 1982 die Zahl der älteren Menschen in unserem Land von 4,8 Millionen auf 9,2 Millionen nahezu verdoppelt hat. Dabei ist die Zahl der Hochbetagten überdurchschnittlich gewachsen. Nach einer Hochrechnung leben in der Bundesrepublik Deutschland fast 4 Millionen Menschen, die 75 Jahre und älter sind. So erfreulich diese Entwicklung ist, hat sie doch auch zur Folge, daß sich gerade in jeder Altersgruppe die Zahl der Pflegebedürftigen und Langzeitkranken überdurchschnittlich erhöht hat. Es gibt keine aktuellen Zahlen, die uns hierüber verläßlich Auskunft geben. Wir müssen daher hilfsweise auf die Zahlen zurückgreifen, die 1978 im Auftrag des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit ermittelt wurden. Bereits damals schätzte man die Zahl der Pflegebedürftigen im Seniorenalter auf 2,5 Millionen, darunter allein rund 210 000 Personen, die als Schwerstpflegebedürftige auf intensive Pflege, hauswirtschaftliche Versorgung und Betreuung angewiesen waren. Ich wiederhole, was ich bereits am 18. Oktober 1985 bei der Beratung der Großen Anfrage zur „Lebenssituation älterer Menschen" gesagt habe, daß nämlich - entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil, das auch heute vorgetragen wurde - die Mehrzahl dieser pflegebedürftigen Menschen ambulant betreut wird. Mehr als 80 % von ihnen leben noch im eigenen Haushalt und werden zumeist von ihren Familienangehörigen - oft durch nachbarschaftliche Hilfe unterstützt - betreut und versorgt. ({3}) Die SPD-Bundestagsfraktion bekennt sich eindeutig zum Vorrang der ambulanten Hilfe vor der stationären Versorgung. ({4}) Bei der Pflege in der eigenen Familie bleiben die persönlichen Kontakte erhalten, einer sozialen Isolation wird vorgebeugt. Diese Vorteile sind viel wichtiger als das oft gehörte Argument, daß die ambulante Versorgung deshalb der Heimpflege vorzuziehen sei, weil sie kostengünstiger sei. Dieser Gesichtspunkt, der zudem nicht immer zutreffend ist, ({5}) sollte bei unseren Überlegungen keine entscheidende Rolle spielen. ({6}) Viel wichtiger ist, daß dem älteren Menschen auch dann, wenn er auf Hilfe angewiesen ist, ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und persönlicher Unabhängigkeit erhalten wird. ({7}) Deshalb gilt den pflegenden Familienangehörigen unser besonderer Dank. Es muß aber erkannt werden, daß die häusliche Pflege in vielen Fällen nicht möglich ist. Das hängt auch damit zusammen, daß die Zahl der Pflegebedürftigen gestiegen ist und weiter ansteigt, während im Verhältnis dazu die Zahl der pflegefähigen jüngeren Menschen zurückgegangen ist: Kamen 1890 noch auf einen hochbetagten Menschen 36 Kinder und Jugendliche, so waren es 1982 nur noch vier. Um bei diesen ungünstigen Relationen dennoch möglichst viel Pflegebereitschaft zu erhalten, müssen die pflegenden Familienangehörigen erheblich und deutlich entlastet werden. ({8}) Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Vorschläge verweisen, die ich für die SPD-BundesLagsfraktion am 18.Oktober gemacht habe und die auch heute durch Herrn Link wieder angeklungen sind. Auch neue Formen der teilstationären Versorgung und die Förderung von Wohngruppen, in denen pflegebedürftige ältere Menschen betreut werden und dort leben können, gewinnen hierbei an Bedeutung. Die Überlegungen der Bundesregierung, die in eine ähnliche Richtung zielen, aber bisher nur auf dem Papier stehen, sollten baldigst realisiert werden. Die stereotype Wiederholung dieser AnkündiDelorme gung in allen möglichen Regierungsberichten reicht nicht aus; es muß endlich gehandelt werden. ({9}) Obwohl wir die Priorität der häuslichen und teilstationären Pflege sowie den Ausbau der ambulanten Pflegedienste betonen, muß doch gesehen werden, daß auch die Pflege in Heimen unverzichtbar ist. Wir wenden uns daher gegen eine Diffamierung der Heimpflege und der vielen Menschen, die in diesen Einrichtungen ihren schweren und verantwortlichen Dienst versehen. ({10}) Schon aus diesem Grunde - und nicht nur wegen der illusionären Finanzierungsbasis - halten wir den vorliegenden Antrag der GRÜNEN, in dem generell die Abschaffung der Pflegeheime gefordert wird, für eine absolut ungeeignete Grundlage. ({11}) Alten- und Pflegeheime, in denen zur Zeit etwa 260 000 Pflegebedürftige leben, sind und bleiben ein wichtiger Bestandteil einer gegliederten Versorgung. Wer noch weiß, daß bis in die 50er Jahre Heime mit Schlafsälen und Sechs-, Acht- oder Zwölfbettzimmer fast die Regel waren und daß die Heiminsassen, wie sie damals genannt wurden, einer strengen Heimordnung unterworfen waren, muß anerkennen, daß die meisten unserer modernen Heime ein beachtliches Maß an Geborgenheit, ({12}) Wohn- und Pflegequalität gewonnen haben. ({13}) Auch hier sollte man den kommunalen, freien und kirchlichen Heimträgern, den Heimleitungen und ihren Mitarbeitern ein Wort der Anerkennung sagen. Freilich ist hier noch einiges zu tun: Personalmangel und bauliche Verbesserungen bleiben für viele Heime weiter auf der Tagesordnung. Das hat aber auch etwas mit Finanzen zu tun: Die explosionsartig angestiegenen Pflegesätze und die Tatsache, daß etwas zwei Drittel der schwer Pflegebedürftigen die hohen Heimkosten nicht aus eigener Kraft bezahlen können, ganz oder teilweise auf Sozialhilfe angewiesen sind und nach einem arbeitsreichen Leben zu Taschengeldempfängern werden, ist ein soziales Ärgernis, das nicht nur von den Betroffenen als bitter empfunden wird. Die Entwicklung, daß immer mehr Pflegeheimbewohner trotz teilweise hoher Renten- und Pensionsbezüge der Sozialhilfe anheimfallen, bedeutet auch für die Sozialhilfeträger eine erhebliche Belastung. Die Sozialhilfe ist das letzte Netz im System der sozialen Sicherung. Sie ist ihrer Natur nach eine Individualleistung und nicht dazu bestimmt, für eine große Gruppe von Pflegebedürftigen über Jahre hinaus praktisch die einzige Institution zu sein, die hilft. Es muß alarmieren, daß mehr als ein Drittel der gesamten Sozialhilfeaufwendungen auf die Leistungsgruppe „Hilfe zur Pflege" entfällt. Das waren bereits 1982 mehr als 6 Milliarden DM, von denen 87% allein für die stationäre Pflege aufgebracht werden mußten. Meine Damen und Herren, die Diskussion über eine Lösung dieses Problems, die seit über einem Jahrzehnt ein sozialpolitischer Dauerbrenner ist, muß endlich positiv abgeschlossen werden. Wir Sozialdemokraten haben bei unserem Essener Parteitag 1984 massiv eine befriedigende Lösung gefordert, wobei sowohl der Weg einer Volksversicherung als auch der eines Pflegegesetzes ernsthaft geprüft werden soll. Ich verweise darauf, daß die Hessische Landesregierung in ihrer Bundesratsinitiative ebenso wie die Wohlfahrtsverbände eine versicherungsrechtliche Lösung vorschlägt, während Rheinland-Pfalz ein Pflegegesetz als Leistungsgesetz vorgelegt hat. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt diese Initiativen und ist bereit, alle Vorschläge sachlich zu prüfen. Wir bedauern allerdings, daß es die Bundesregierung bisher abgelehnt hat, dieses dringende Problem anzupacken. In ihrem Bericht zu Fragen der Pflegebedürftigkeit macht sie deutlich, daß sie hier die bewährte Kanzlertaktik des Aussitzens anwenden will. Sie erkennt zwar an, daß das gegenwärtige System der Versorgung und Sicherung der Pflegebedürftigkeit der Verbesserung bedarf, schreibt aber dann wörtlich: „Eine Neuregelung durch ein Pflegegesetz oder durch eine Versicherung scheidet aus finanzpolitischen Gesichtspunkten aus." Frau Ministerin Süssmuth, die diese Erblast ihres Vorgängers übernommen hat, scheint sich der Problematik dieser Frage bewußt zu sein. Sie hat in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung" deutlich gemacht, daß sie eine Kursänderung und die Schaffung eines neuen eigenständigen Finanzsystems anstrebt. Sie schreibt: „Ich denke überhaupt, mit der Entwicklung neuer Ideen in diesem Bereich sind wir noch lange nicht am Ende." Das kann ich nur unterstreichen ({14}) und möchte ihr raten, zwar ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und neue Ideen zu entwickeln, darüber aber die Lösung der alten Probleme nicht zu vergessen. Wir sollten in diesem Hause miteinander wetteifern - im Interesse der alten Menschen und vor allem der Pflegebedürftigen unter ihnen ´-, dafür zu sorgen, daß sie ihren Lebensabend in Würde und möglichst sorgenfrei verleben können. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002144, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von den GRÜNEN vorgelegte Gesetzentwurf zur Finanzierung einer besseren Pflege richtet sich, wie es in der Begründung heißt, gegen die heutige Regelung der Pflegefinanzierung: Sie begünstige Pflegeheime, sie mache das Betrei13074 ben von Pflegeheimen zu einem profitablen Geschäft für Wohlfahrtsverbände und Sozialkonzerne. Sie halte damit Behinderte und Alte in der „Tabu-zone Pflegeheim" fest. Sie nennen das Gesetz daher auch ein Gesetz gegen die Aussonderung. Sie fordern deshalb eine Beendigung der öffentlichen Finanzierung von Pflegeheimen bis zum 31. Dezember 1995 und damit faktisch die Auflösung der meisten bisherigen Pflegeheime ab diesem Zeitpunkt. Als Alternative zu den Pflegeheimen wird der Auf-und Ausbau der ambulanten Pflege vorgeschlagen. Ehe ich mich mit den Vorstellungen der GRÜNEN auseinandersetze, möchte ich ein paar Gedanken zum Thema einfügen. Ziel aller Bemühungen um pflegebedürftige Menschen muß es sein, zunächst einmal zu verhindern, daß Menschen überhaupt pflegebedürftig werden, und, wenn sie dann doch durch Unfall, Krankheit, Alter oder angeborene Behinderung einer Betreuung bedürfen, sie vornehmlich und so lange wie möglich in der alltäglichen Gemeinschaft der Gesellschaft zu behalten, sie nicht auszugrenzen und in Gettos von der Gesellschaft abzusondern oder gar sie zu verstecken. ({0}) Ähnlich wie in der Medizin sollte auch bei der Pflegebedürftigkeit der Gedanke der Prävention viel stärker beachtet werden. Die Prävention von Pflegebedürftigkeit bedeutet nämlich nicht nur die Einsparung von Kosten; sie bedeutet vor allem, daß das Leid eines Menschen abgewendet oder doch zumindest gemildert wird. Prävention im Zusammenhang mit der Pflegebedürftigkeit ist schon seit langem ein anerkannter Aufgabenbereich, wenn es sich um Behinderungen der verschiedensten Genese handelt, die auftreten, ehe der Mensch sich im Rentenalter befindet. Man nennt das Rehabilitation. Es ist heute eine Selbstverständlichkeit, daß alles unternommen wird, um einem behinderten Menschen wieder zu einem normalen Leben zu verhelfen. Nur eine Gruppe, die häufig noch nicht einmal pflegebedürftig ist, sondern lediglich in der Gefahr steht, pflegebedürftig zu werden, wird nicht oder doch nicht ausreichend über die Möglichkeiten der Prävention unterrichtet. Das fängt schon mit der Einstellung mancher Ärzte gegenüber älteren Patienten an. Sie haben ein stark negativ gefärbtes Bild vom Alter. Oft spricht man den Älteren Einsicht und Lernfähigkeit von vornherein ab. Aus diesem negativen Altersbild resultiert dann, daß der Arzt sich nicht um die Information und Aufklärung des Patienten bemüht und diesen für uneinsichtig und altersstarr erklärt, nachdem man ihm die Einsicht in die Zusammenhänge erschwert hat. Ähnlich dürfte es sich mit den Zusammenhängen zwischen verordneten Maßnahmen zur Schonung, wie z. B. verlängerter Bettruhe, die sich häufig mehr zum Schaden als zum Nutzen des älteren Menschen auswirken, und der dadurch erst herbeigeführten Immobilität und Teilnahmslosigkeit älterer Menschen, die man ihnen aber a priori zuspricht, verhalten. Rehabilitation setzt bei älteren Menschen daher zu spät, nicht intensiv genug und häufig eben überhaupt nicht ein. Diese Vernachlässigung des älteren Menschen sollte durch Verstärkung von Maßnahmen der medizinischen Rehabalitation zur Vermeidung oder zur Minderung von Pflegebedürftigkeit abgebaut werden. Als medizinische Leistung zur Rehabilitation übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung unter dem Begriff des Heilmittels Kosten für Krankengymnastik, Bewegung, Sprache und Beschäftigungstherapie. Sie stellen darauf ab, die Pflegebedürftigkeit ganz oder zum Teil zu mindern, soweit sie im Anschluß an eine akute Erkrankung auftritt. Ziel ist es, die eigene Fähigkeit zur selbständigen Haushaltsführung wiederherzustellen oder zu stärken. Es ist jedoch festzustellen, daß von den vielfältigen Rehabilitationsleistungen, die heute bereits bestehen bzw. angeboten werden, nur ein geringer Gebrauch gemacht wird. In einigen Bereichen mögen auch Angebotsdefizite bestehen. Durch eine vermehrte Inanspruchnahme solcher Leistungen könnte jedoch Pflegebedürftigkeit, die die Krankenkassen sehr oft durch stationäre Kosten belastet, vermieden werden, wenn solche Leistungen ambulant durchgeführt werden. Ein Ausbau der entsprechenden Einrichtungen und Dienste, wie Sozialstationen, aber auch Teile von Krankenhäusern, die sich nicht der vollstationären Pflege widmen, könnte zumindest mittelfristig Kosten sparen. Aber noch vor Rehabilitation und Prävention ergibt sich die Aufgabe, die Vorstellungen über das Alter auf realistische Erkenntnissen zu gründen. So hat die Weltgesundheitsorganisation festgestellt, daß hohes Alter nicht notwendigerweise eine Zeit ist, die durch Krankheit, Behinderung und Elend gekennzeichnet ist. Wenn Behinderungen bei einem älteren Menschen auftreten, so ist dies gewöhnlich auf eine Krankheit zurückzuführen, deren Ursachen äußerst komplexer Natur und nicht nur altersbedingt sind. Das Bild vom alten Menschen wird von der Vorstellung geprägt, daß über 75- oder über 80jährige schlicht mit Pflegebedürftigen gleichzusetzen sind, obwohl viele Untersuchungen das Gegenteil belegen. Dabei wird häufig auch Hilfsbedürftigkeit, z. B. beim Einkaufen oder Fensterputzen, mit Pflegebedürftigkeit gleichgesetzt. Probleme mit den Einstufungskriterien beim Schwerbehindertengesetz haben uns erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Wir sollten uns daher davor hüten, bei den Pflegebedürftigen einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Wir Liberalen werden einem Bundesleistungsgesetz, wie es jetzt von den GRÜNEN vorgeschlagen wird, nicht zustimmen, da es stets die Gefahr von erheblichen Sogeffekten in sich birgt. Derzeit werden rund 80 bis 85 % aller Pflegefälle von Familien, Nachbarn oder Freunden betreut. Eine Verringerung dieses Hilfsangebots aus nächster Nähe würde nicht nur einen erheblichen Verlust an Menschlichkeit in unserer Gesellschaft bedeuten, sondern darüber hinaus Kosten in Milliardenhöhe verursachen, die über die Kostenschätzungen der GRÜNEN für ihr Gesetz weit hinausgingen. Weiterhin ist zu bedenken, daß die private Krankenversicherung und die privaten LebensversicheFrau Dr. Segall rer Pflegekostentarife angeboten haben. Sie beginnen sich auf dem Markt langsam durchzusetzen. Ein Bundesleistungsgesetz hätte erhebliche negative Auswirkungen auf die Akzeptanz des privaten Angebots in diesem Bereich. Es wäre zu befürchten, daß man sich doch lieber auf staatliche Maßnahmen verläßt, als private Eigenvorsorge zu treiben. Dies ist jedoch nicht der Weg, den die FDP gehen will. Wir setzen nach wie vor darauf, daß der einzelne für sein Leben zunächst selbst verantwortlich ist. Dazu gehört auch, Vorsorge für die Wechselfälle des Lebens zu treffen, die stets eintreten können. Die Möglichkeit, eine solche private Versicherung abzuschließen, bietet damit den Vorteil der Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Institutionen, sichert aber auch den eigenen Lebensstandard für den Fall der Pflegebedürftigkeit. Überdies haben z. B. Pflegetagegeldversicherungen einen wesentlichen Vorteil: Man kann sich als Pflegebedürftiger genau die Leistungen einkaufen, die man für den eigenen konkreten Einzelfall gerade benötigt. Staatliche Versicherungen oder ein Bundesleistungsgesetz tragen hingegen stets die Tendenz zur Über- oder Unterversorgung in sich. Der Arzneimittelmarkt und der Krankenhaussektor sind hierfür ein trauriges, aber deutliches Beispiel. Die Individualität der Inanspruchnahme von Leistungen sollte also auch in diesem Fall gewährleistet sein. Ein letztes Wort zum Plan der GRÜNEN, die Pflegeheime bis 1995 abzubauen. Es kann überhaupt keinem Zweifel unterliegen, daß einige zu Pflegende in Heimen besser aufgehoben sind als bei ambulanter Pflege oder in Pflegewohnheimen bzw. in Wohngruppen oder Selbsthilfegruppen. Dies werden oft Schwerst- und Mehrfachbehinderte sein bzw. solche Mitbürger, die schwer pflegebedürftig sind. Sie benötigen qualifiziertes Fachpersonal und oft eine Betreuung rund um die Uhr. Dort, wo es nötig ist, müssen diese Menschen das auch erhalten. Möglicherweise gehört dazu auch eine intensivmedizinische Versorgung, die kurzfristig einsetzbar sein muß. Wollte man das diesen Menschen vorenthalten, könnten für die Betroffenen, aber auch für die Pflegepersonen sehr schnell fatale Situationen entstehen. Bei allem Respekt und bei aller Sympathie für das Konzept der ambulanten Pflege, des Lebens in Wohngruppen und der gegenseitigen Hilfe - dort, wo es möglich ist - von Pflegebedürftigen, vor allem aber der Integration in die Gesellschaft sollte dieses Argument von den GRÜNEN dennoch bedacht werden. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Delorme, Sie sind ein sehr kooperativer Mensch. Ich möchte das ausdrücklich betonen. Um so mehr habe ich mich gewundert, daß Sie die Abwesenheit der Frau Minister gerügt haben. ({0}) Nur zu Ihrer Kenntnis: Die Frau Minister ist auf der DGB-Bundeskonferenz der Frauen. Ich denke, es ist mit in Ihrem Interesse, daß sie uns alle dort vertritt. ({1}) - Sie wären hiergeblieben als Ministerin? Ist das richtig? ({2}) - Entschuldigen Sie bitte, Herr Lutz, Sie können doch nicht für Frau Fuchs reden; das geht doch nun zu weit. Aber das wollen wir nicht vertiefen. Sie sind viel zu sehr in der DGB-Gewerkschaft engagiert, Frau Kollegin Fuchs, als daß Sie hiergeblieben wären. Gleichgültig, wie es ist: Wir sind doch alle froh und dankbar, daß wir das Instrument der Parlamentarischen Staatssekretäre eingeführt haben, weil eine Person nicht gleichzeitig an zwei Orten sein kann. Von daher müssen Sie leider mit mir vorliebnehmen. Aber ansonsten können wir es ja auch gut miteinander, Frau Kollegin Fuchs.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Seiters?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Selbstverständlich.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, darf ich Sie nur der Wahrheit und Klarheit wegen darauf hinweisen, daß im Ältestenrat die SPD ausdrücklich darum gebeten hat, diesen Punkt nicht zu verschieben, weil die Frauen unbedingt zur DGBFrauenkonferenz fahren müßten.

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Ich bedanke mich für diesen Hinweis. Ich wollte mich nicht mit der SPD auseinandersetzen, sondern mit dem vorliegenden Entwurf der Fraktion DIE GRÜNEN. Um es gleich vorweg zu sagen: Die Bundesregierung hat den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN geprüft und für leicht befunden. Wer einen solchen oberflächlichen, fehlerhaften, unausgewogenen Vorschlag vorlegt, wird der großen Verantwortung, die wir alle gegenüber den betroffenen Menschen haben, nicht gerecht. ({0}) Ihr Gesetzentwurf geht im wesentlichen davon aus, daß sich mit Geld schon alles werde regeln lassen. ({1}) Sie wollen - einkommensunabhängig natürlich - ein Unterstützungsgeld für alle Personen gewähren, die auch nur in unerheblichem Umfang pflegebedürftig oder auf fremde Hilfe angewiesen sind. Sie gehen davon aus, Herr Kollege Bueb, daß hierunter 80 % aller über 70jährigen zu zählen sind. Wer so vorgeht, entmündigt die ältere Generation und macht sie zu Kostgängern des Staates. ({2}) Durch einen solch inflationären Gebrauch der Begriffe Hilfe- und Pflegebedürftigkeit wird es ohne weiteres möglich sein, langfristig einen großen Teil der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland zu Unterstützungsgeldempfängern zu machen. Bei einem solchen System, das schon „nicht erhebliche Pflegebedürftigkeit" finanziell ausgleichen will, werden gewachsene Strukturen in Familie und Nachbarschaft aufgelöst. In diesen kleinen Netzen wird gerade der entsprechende Hilfsbedarf in der einen oder anderen Richtung, und zwar in jeder Lebensphase, in gegenseitiger Verantwortung und tätiger Hilfe aufgefangen. Bei Ihnen werden diese zwischenmenschlichen Beziehungen auf rein monetäre Fragen wie die Bezahlbarkeit von Dienstleistungen zurückgeführt. Geradezu illusionär sind Ihre Vorstellungen, was die Abschaffung der Pflegeheime anbelangt, ({3}) die Sie durch Wohngruppen ersetzen wollen. Hier werden die Leitbilder einer kleinen Gruppe zum Maßstab für die Mehrheit der Betroffenen gemacht. Wie schon in der Beantwortung der Großen Anfrage zur Altenhilfepolitik ausgeführt, ist die Bundesregierung bereit, entsprechende Vorhaben mit der gleichen Offenheit modellhaft zu fördern, wie sie das in anderen Bereichen getan hat und tut. Sie geht jedoch nach wie vor davon aus, daß es immer Pflegebedürftige geben wird, die nicht anders als stationär versorgt werden können. ({4}) Ich denke dabei beispielsweise an den leider notwendigen sehr hohen apparativen Aufwand, der in Fällen von Schwerstpflegebedürftigkeit mit Mehrfachbehinderung gegeben ist. Von Ihnen überhaupt nicht bedacht sind Fragen, Herr Kollege, ob nicht in diesen neuen Wohnformen neue Formen von Unterversorgung und Fremdbestimmung auftreten können. Beispiele mancher Wohngemeinschaften zeigen, daß sie in der Regel als langfristig nicht stabil bezeichnet werden können. Diesen weitgehend unausgewogenen Überlegungen über die inhaltliche Neugestaltung der Pflege stehen völlig unzureichende Berechnungen der Kosten gegenüber. Sie gehen bei den Berechnungen von Gesamtkosten in Höhe von 12,74 Milliarden DM aus, ({5}) von denen die bisherigen Kosten im Bereich der Sozialhilfe für „Hilfe zur Pflege" in Höhe von 6,028 Milliarden DM abgezogen werden. Somit wird ein Mehrbedarf gegenüber den bisherigen Ausgaben von rund 6,7 Milliarden DM errechnet. Leider übersehen Sie bei dieser Berechnung, daß es sich bei den Ausgaben der Sozialhilfe um Bruttoausgaben handelt, denen Einnahmen aus Überleitungen in Höhe von etwa 2 Milliarden DM gegenüberstehen. Einsparend können daher nur die Nettoausgaben der Sozialhilfe in Höhe von etwa 4 Milliarden DM sein. Der Mehrbedarf Ihrer Lösung beläuft sich somit schon auf 2 Milliarden DM mehr, als von Ihnen angegeben. Ihre Berechnungen der Kosten für das Unterstützungsgeld in Höhe von 3,99 Milliarden DM sind ebenfalls unvollständig, da sie nur den Bedarf der über 70jährigen erfassen. Sie selbst gehen aber wohl ebenfalls davon aus, daß auch jüngere Jahrgänge Anspruch auf dieses Unterstützungsgeld haben können. Auch hier ist von Mehrkosten von mindestens 1 Milliarde DM auszugehen. Bei den Fallzahlen im stationären Bereich gehen Sie von den Empfängerzahlen der Bundessozialhilfestatistik aus, ohne zu berücksichtigen, daß hier eine etwa 20 %ige Fluktuation abgezogen werden muß. ({6}) Soweit Sie eine arbeitsmarktpolitische Dimension Ihres Leistungsgesetzes unterstellen, steht diese auf tönernen Füßen. Sie gehen davon aus, daß die Pflegebedürftigen von den Geldleistungen in der Weise Gebrauch machen, daß sie eine bezahlte Pflegekraft engagieren. Die Erfahrungen mit dem Pflegegeld nach dem Bundessozialhilfegesetz zeigen jedoch, daß dies nur in ausgesprochen wenigen Fällen zutrifft. Bei dem Unterstützungsgeld erwarten Sie, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Haushaltshilfen für 8 DM pro Stunde engagiert werden. ({7}) Es kann sich bei einem solchen Stundenlohn nur um einen Nettobetrag, der an der Steuer- und Sozialabgabepflicht vorbei gezahlt wird, handeln. Bei dem Gesamtvolumen des Unterstützungsgeldes, das unter Einbeziehung der unter 70jährigen bei etwa 5 Milliarden DM liegen wird, bedeutet das über 600 Millionen Schwarzarbeiterstunden. Die soziale Absicherung gegen Unfall und eine Altersversorgung dieses Personenkreises, der sich überwiegend aus Frauen zusammensetzt, interessieren Sie anscheinend nicht. Lassen Sie mich zum Schluß noch ein kleines Detail anführen, das die Sorgfalt Ihrer AusarbeiParl. Staatssekretär Frau Karwatzki tung beleuchtet. Nach § 18 Ihres Gesetzentwurfes wird „§ 33 a Abs. 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes" gestrichen. ({8}) Eine entsprechende Vorschrift werden Sie im geltenden Einkommensteuerrecht jedoch vergeblich suchen. ({9}) Meine Damen und Herren, all die vorgenannten Punkte bestärken mich in meiner Auffassung, daß der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg der kleinen Schritte der richtige ist. ({10}) Gerade der vorliegende Entwurf der Fraktion DIE GRÜNEN und seine Kostenberechnung machen deutlich, wie unsicher vielfach Angaben über Bedarf an Hilfe, Anzahl der Empfänger und damit Kosten einer entsprechenden Sozialgesetzgebung sind. Es wäre unverantwortlich, auf dieser dünnen Zahlen-, Daten- und Informationsbasis ein kostenintensives sozialpolitisches Vorhaben wie bessere Absicherung bei Pflegebedürftigkeit aufzubauen und damit auch den sozialpolitischen Spielraum für die nächsten Jahrzehnte stark einzuengen. Die Bundesregierung hat dagegen mit den im Bericht zu Fragen der Pflegebedürftigkeit angekündigten Maßnahmen ein realistisches Konzept vorgelegt, das auch unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Rahmenbedingungen realisierbar ist. Alle im Bericht angekündigten Maßnahmen werden noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt. Das Vorgehen der Bundesregierung, in einzelnen Schritten die jeweils machbaren Maßnahmen zu verwirklichen, deren Auswirkungen überprüft, ergänzt und korrigiert werden können, erweist sich erneut als richtiger Weg. Wir werden hier nicht stehenbleiben, sondern weitermachen, und ich lade Sie alle dazu ein, mit uns den richtigen Weg zu beschreiten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2609 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, zur Mitberatung an den Finanzausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung um die Beratung der Sammelübersichten 114 und 115 des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 10/4247 und 10/4248, die mit Punkt 18 der Tagesordnung aufgerufen werden, erweitert werden. ({0}) - Sie widersprechen'? ({1}) - Dann lasse ich über diesen Antrag abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist die Aufnahme der Sammelübersichten 114 und 115 in die Tagesordnung beschlossen. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. Juni 1985 und dem Beschluß vom 11. Juni 1985 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zur Europäischen Atomgemeinschaft und zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl - Drucksachen 10/3790, 10/3803, 10/3927, 10/4100 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({2}) - Drucksache 10/4199 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Wulff Ertl Frau Kelly b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/4202 - Berichterstatter: Abgeordnete Esters Borchert ({4}) Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brück.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn in der Silvesternacht die Glocken von den Kirchtürmen das neue Jahr einläuten werden, läuten sie auch einen neuen Abschnitt in der Geschichte Europas ein. Die Europäische Gemeinschaft wird um ein gutes Stück europäischer. Dafür sorgt der Beitritt Spaniens und Portugals, der am 1. Januar 1986 Wirklichkeit werden wird, wenn nicht in letzter Minute ein Parlament irgendeines Mitgliedstaates der EG die Ratifikation der Beitrittsverträge verweigern sollte. Daß Spanien und Portugal Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft werden, ist gut. Wir Sozialdemokraten begrüßen das und werden deshalb dem Ratifikationsgesetz auch in zweiter und dritter Lesung zustimmen. Ich habe es bereits bei der ersten Lesung gesagt, und ich wiederhole es bei der zweiten und dritten Lesung: Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß die heute von uns zu ratifizierenden Verträge auf spanischer Seite die Unterschrift unseres Freundes Felipe González und auf portugiesischer Seite unseres Freundes Mário Soares tragen. Wir Sozialdemokraten sind auch stolz darauf, daß es vor allem die spanischen und portugiesischen Sozialisten waren, die in ihren Ländern über viele Jahre hinweg gegen die Diktatur gekämpft haben. ({0}) Wenn hier gerufen wird, „andere auch", will ich gleich hinzufügen, daß ich an dieser Stelle noch einmal den vielen Demokraten in Spanien und Portugal danken möchte, die ihre Freiheit und manchmal auch ihr Leben geopfert haben im Kampf für Freiheit und Demokratie in Spanien und Portugal. ({1}) Wir alle haben die Entwicklung zur Demokratie auf der iberischen Halbinsel mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen. Deshalb ist es eine Selbstverständlichkeit, daß wir heute im Deutschen Bundestag dem Beitritt Spaniens und Portugals zustimmen. Wir machen damit ein Versprechen wahr, daß wir den jungen Demokratien jenseits der Pyrenäen gegeben haben. Wir hoffen, daß der Beitritt dieser Länder zur EG die demokratische Entwicklung dort fördern und stützen wird. Die Erwartungen in Spanien und Portugal an die Europäische Gemeinschaft sind groß. Man verspricht sich vom Beitritt auf lange Sicht eine Modernisierung der eigenen Wirtschaft, eine Verbesserung der Strukturen und eine Steigerung des Lebensstandards der Menschen. Als sich am 31. März dieses Jahres die jetzigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und Spanien nach sieben Jahren Beitrittsverhandlungen auf den 1. Januar 1986 als definitives Datum für den Beginn der spanischen Mitgliedschaft geeinigt hatten, überschrieb am anderen Tag die angesehene Madrider Tageszeitung „El País" ihren Leitartikel: „Halleluja auf Europa". Wir müssen aufpassen, daß aus dem Halleluja auf Europa nicht eine bittere Enttäuschung wird, denn die Fachleute sind sich einig: Der Beitritt der beiden iberischen Staaten wird zuerst einmal einen Schock in den Volkswirtschaften dieser Länder auslösen. War die EG der Sechs noch eine Vereinigung von hochentwickelten Industrieländern und hatte auch die EG der Neun, abgesehen von einigen Randregionen, diesen Charakter beibehalten, so wird die Erweiterung um Spanien und Portugal eine Entwicklung fortsetzen, die schon mit dem Beitritt Griechenlands begonnen hat: Es werden Volkswirtschaften in die Gemeinschaft aufgenommen, die insgesamt eine schwächere Position haben. Dazu einige Fakten: Das Pro-Kopf-Einkommen liegt in Portugal bei einem Viertel und in Spanien bei der Hälfte des EG-Durchschnitts. Bei einem hohen Anteil der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft hat Portugal gegenwärtig eine Arbeitslosenquote von fast 29 % und Spanien von rund 20% - bei steigender Tendenz - im Vergleich zum EG-Durchschnitt von 11 %. Die Inflationsrate von Portugal liegt bei fast 30 %, in Spanien liegt sie bei 11 %, verglichen mit einem EG-Durchschnitt von 5,1 %. Die Branchenstrukturen der spanischen und auch der portugiesischen Industrie sind weit einseitiger gewichtet als die der bisherigen Mitgliedstaaten der EG. So haben jene Wirtschaftszweige, die in der EG von Strukturkrisen besonders betroffen sind, etwa Stahl, Schiffbau, Textil- und Schuhindustrie, in Spanien mit 28 % einen wesentlich höheren Anteil an der Gesamtindustrieproduktion als in anderen EG-Ländern. In Spanien und Portugal sind - stärker als sonstwo - die eher arbeitsintensiven als die kapitalintensiven Branchen vertreten. Die Produktivität der Industrie ist geringer als im übrigen Europa. Wir dürfen nicht vergessen, daß Spanien bis vor einigen Jahren noch auf der Liste der Entwicklungsländer stand, Portugal noch bis zum 31. Dezember dieses Jahres darauf stehen wird und von der Bundesrepublik ja auch noch Entwicklungshilfe erhält. Deshalb kann einen nur in Erstaunen versetzen, was man aus Brüssel und Straßburg über den Haushaltsentwurf der EG für 1986 hört. Der Ministerrat hat in diesem Haushaltsplan zwar auf der Einnahmenseite schon die Einnahmen eingesetzt, die man aus Spanien und Portugal erwartet, aber auf der Ausgabenseite keine Konsequenzen aus dem Beitritt der beiden Länder gezogen. Das heißt: Es fehlen die Etatposten, die Spanien und Portugal helfen werden, den Schock der Eingliederung leichter zu überwinden. Bleibt der Haushalt so, wie er jetzt ist, dann werden Spanien und Portugal, die ja, wie ich vorhin schon deutlich machte, zu den ärmeren Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zählen, Nettozahler in der Gemeinschaft werden. Das wird dann in Spanien und Portugal niemand verstehen, wenn sie, die Ärmeren in Europa, die Reicheren im Norden Europas mitfinanzieren müssen, und das ist ja auch nur sehr schwer zu verstehen. Ich habe auf dieses Problem schon während der Beratungen im Auswärtigen Ausschuß aufmerksam gemacht. Die Bundesregierung hat dort zugesagt, daß der Haushaltsentwurf in den kommenden Wochen dahingehend geändert werden soll, daß sichergestellt ist, daß Spanien und Portugal Nettoempfänger-Länder sein werden. Ich fordere die BundesreBrück gierung auf, dies auch heute im Plenum des Deutschen Bundestages noch einmal klarzustellen. Ich wollte mit diesen Ausführungen zur wirtschaftlichen Lage deutlich machen, daß auch wir Sozialdemokraten die Probleme sehen, die für Spanien und Portugal durch den Beitritt zur Gemeinschaft entstehen. Trotzdem haben wir kein Verständnis für die Haltung der Fraktion DIE GRÜNEN. Die GRÜNEN werden -- dies wurde durch die Beratungen im Auswärtigen Ausschuß deutlich - dem Beitritt dieser beiden Länder nicht zustimmen, angeblich weil sie es mit den Spaniern und den Portugiesen gut meinen. Vielleicht ist diese Haltung für die GRÜNEN typisch; sie wissen es wieder einmal besser, besser als die anderen, sie wissen besser als die Spanier und die Portugiesen, was für sie gut ist und was für sie schlecht ist. Vielleicht fragen sich die Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion DIE GRÜNEN, ob dahinter nicht doch ein gutes Stück deutscher Hochnäsigkeit steckt. ({2}) Denn bekanntlich meinen j a immer noch viele, am deutschen Wesen müßte die Welt genesen. ({3}) Die Spanier und Portugiesen können am ehesten entscheiden, was langfristig für sie und für ihre Länder gut ist. Die beiden Staaten, die jetzt Mitglieder der Gemeinschaft werden, zählten in der Geschichte einmal zu den Großen in dieser Welt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern, Herr Präsident.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte schön.

Willi Tatge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002300, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in Portugal wie in Spanien politische Freunde haben, die unser Verhalten, auch unser Abstimmungsverhalten hier, verstehen und dies auch befürworten, z. B. genossenschaftlich orientierte Bauern, aber auch viele gesellschaftliche Gruppen sonst in Spanien, mit denen wir in Kontakt stehen?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Brück. - Herr Abgeordneter Tatge, bleiben Sie bitte schön am Mikrophon, und stellen Sie eine Frage. Sie haben eine Erklärung abgegeben.

Willi Tatge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002300, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hatte gefragt, ob er dies zur Kenntnis zu nehmen bereit sei.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich nehme das gerne zur Kenntnis. Natürlich gibt es auch in Spanien und Portugal Gegner dieses Beitrittes. Aber wir sind Demokraten, und für uns gilt - und das ist vielleicht der Unterschied zu Ihnen - die Entscheidung der Mehrheit der Spanier und der Portugiesen. Dort hat sich die Mehrheit für den Beitritt entschieden. ({0}) Die beiden Staaten, die jetzt Mitglieder der Gemeinschaft werden, zählten in der Geschichte, so sagte ich, einmal zu den Großen in dieser Welt. In Südamerika und in anderen Teilen dieser Welt spricht man die Sprachen dieser beiden neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Die immer noch vorhandenen Beziehungen zwischen Spanien und Portugal und diesen Ländern können sicherlich auch uns in den übrigen Staaten der Europäischen Gemeinschaft von Nutzen sein. Von Nutzen wird für uns in Europa sicherlich auch der Wille der Regierungen Portugals und Spaniens sein, einen Beitrag zum Ausbau der Gemeinschaft zur Europäischen Union zu leisten. Spanien und Portugal werden auf der Seite derer stehen, die Europa vorwärtsbringen wollen. Wir können hier von dem großen spanischen Philosophen Ortega y Gasset lernen, der zu den eher konservativen Philosophen zählt. ({1}) Er schrieb bereits 1930: Nur der Entschluß, aus den Völkergruppen des Kontinents eine große Nation zu formen, könnte den Puls Europas wieder schlagen lassen. Europa würde dann den Glauben an sich selbst zurückgewinnen, wieder Großes von sich fordern und sich in Zucht nehmen. Wir müssen, wenn die Stimme Europas in dieser Welt wieder Gewicht haben soll, dem folgen, was Ortega y Gasset vor 55 Jahren formuliert hat. Wir müssen Europa zur politischen Union ausbauen. Wir müssen dafür sorgen, daß Europa sich selbst behaupten kann. Wie schrieb doch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" kürzlich? In Genf werden sich Präsident Reagan und Parteichef Gorbatschow treffen. Aber Westeuropa ist nicht vertreten. Über seine Interessen verhandeln Amerikaner und Russen. Reagan hat sie zwar angehört, aber es wäre eine Illusion, zu glauben, daß damit Europas Vorstellungen den angemessenen Platz einnähmen. Den Europäern wird wieder einmal bewußt gemacht, daß sie in Fragen der Weltpolitik noch nicht mal am Katzentisch sitzen dürfen. Sie haben es immer noch nicht zuwege gebracht, mit einer Stimme reden zu können. Deshalb nehme ich auch diese Debatte zum Anlaß, um an uns alle zu appellieren, vor allem aber an die Bundesregierung, mit dazu beizutragen, daß dieses Europa Wirklichkeit wird. Ich appelliere deshalb vor allem auch an die Bundesregierung, weil es wohl richtig ist, wenn Altiero Spinelli jetzt in einem Interview gesagt hat - ich zitiere -: Die deutsche Regierung hat fast vollkommen ihre pro-europäische Attitüde verlassen. Die Vorschläge, die sie machte, sind nichts plus nichts plus nichts. Wir, so meine ich, müssen in Europa von den Sonntagsreden wegkommen und hin zu europäischem Handeln. ({2}) Der Beitritt Spaniens und Portugals sollte neuer Anstoß für die Regierungen der Mitgliedstaaten sein, hier neue Schritte zu unternehmen, auf daß das, was Ortega y Gasset vor mehr als einem halben Jahrhundert gefordert hat, Wirklichkeit wird: daß Europa den Glauben an sich selbst zurückgewinnt. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wulff.

Prof. Dr. Otto Wulff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt uns heute der Gesetzentwurf zu dem Vertrag über den Beitritt des Königreichs Spaniens und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zur Europäischen Atomgemeinschaft und zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vor. Ich glaube, daß dieser Tag nicht nur für dieses Parlament und für unser Land, sondern auch für Europa von größter Bedeutung ist. ({0}) Zwei der größten Kulturnationen dieser Welt treten der Europäischen Gemeinschaft bei. Wir Deutschen sind stolz darauf, daß Spanien und Portugal dieser Gemeinschaft beitreten wollen. ({1}) Ich glaube, daß man allen Bundesregierungen, die an diesem Vertrag und diesem Beitritt mitgewirkt haben, Dank schuldet. Ich danke an dieser Stelle besonders Bundeskanzler Helmut Kohl, ({2}) der in den letzten Monaten in der Tat Erhebliches geleistet hat für diesen Vertrag, der Ihnen heute vorliegt. Meine Damen und Herren, Spanien und Portugal haben eine ungemein enge Beziehung zu Afrika und Lateinamerika. Jene großen historischen Beziehungen werden nun Europa zugute kommen. Diese Beziehungen, diese Kenntnisse, diese Erfahrungen, so hoffe ich, werden demnächst auch in eine gemeinsame europäische Außenpolitik eingehen. Ich bin überzeugt, daß Spanien und Portugal den großen Beitrag dafür leisten werden. ({3}) Meine Damen und Herren, eines sollten wir weiter sehen: daß demnächst die Zwölfergemeinschaft die größte Handelsmacht der Welt ist. Mit Spanien und Portugal wird sie über 320 Millionen Menschen umfassen, und 30 % des Bruttosozialprodukts aller westlichen Industrieländer werden dann im Europa der 12 erarbeitet. Herr Kollege Brück, ich möchte Ihnen in Ihrer Analyse zustimmen, als Sie eben sagten, keines beider Länder, weder Spanien noch Portugal, darf Nettozahler sein. Ich glaube, daß die Europäische Gemeinschaft diesen Ländern zu Dank verpflichtet ist, daß sie beigetreten sind und daß sie als große europäische Kulturnationen zur Demokratie zurückgefunden haben. Wir sollten jetzt als Europäer, die bisher in dieser Gemeinschaft gearbeitet haben, alles in unseren Kräften Stehende tun, um auch für die soziale und wirtschaftliche Sicherheit dieser Länder einzutreten. ({4}) - Ich glaube, verehrte Frau Kollegin Timm, daß diese meine Ausführungen von der Bundesregierung wahrgenommen werden. Ich bin sicher, daß die Bundesregierung alles tun wird, um zu einer solchen Lösung zu kommen. Wenn man sich einmal vorstellt, daß die westlichen Industrienationen - und hier einmal die Europäer in der bisherigen Europäischen Gemeinschaft - die größten Zahler für Entwicklungshilfe in der Welt sind, dann, meine Damen und Herren, sollte es diesen Nationen nicht schwerfallen, heute manche sozialen und wirtschaftlichen Diskrepanzen zu beseitigen, die unter ihren Ländern bestehen. Herr Kollege Brück, ich bin sicher, daß wir Erfolg haben werden. Europa - auch das wissen wir - wird nicht an einem Tag in einer Gesamtkonstruktion entstehen. Es entsteht, wie ich meine, durch konkrete Verwirklichungen, indem zunächst eine faktische Solidarität geschaffen wird. Das heißt, wir werden auch in der Europa-Politik stets nur einen Schritt vor dem nächsten tun können. Nicht Regelungen alleine werden Europa voranbringen, sondern das faktische Zusammenwachsen. Wir sind, wie ich meine, auf dem richtigen Weg. Die Bundesregierung, davon bin ich überzeugt, wird diesen Weg mitgehen, und ich bin sicher, daß sie ihr Bestes dazu tun wird, um in Europa nach dem Beitritt von Spanien und Portugal zu einem Erfolg zu kommen. Wir wollen auch nicht verhehlen, daß letztlich diese Europäische Gemeinschaft insbesondere nach dem Beitritt von Spanien und Portugal nur ein Schritt sein wird auf dem Weg zur Europäischen Union. Das politische Ergebnis muß lauten: mit Portugal, mit Spanien eine gemeinsame Währungsund Wirtschaftspolitik, muß lauten: eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und muß lauten: gemeinsame Sozialpolitik in Europa. Herr Kollege Brück, Sie haben eben Ortega y Gasset erwähnt. Lassen Sie mich an dieser Stelle vielleicht mit einer Reminiszenz aufwarten. Vor 30 Jahren habe ich als junger Student hier in der Universität zu Bonn in Gegenwart des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss im Hörsaal X - so nannte man das damals - eine Rede von Ortega y Gasset zu Europa gehört. 30 Jahre sind vergangen. Jener große europäische Philosoph entwickelte für junge Menschen, die für Europa begeistert waren, ein Europa, das zur politischen, geistigen Einheit finden sollte, mit Spanien, mit Portugal selbstverständlich, und wir junge Menschen waren damals zwar begeistert von seinen Ausführungen, doch kritisch im Hinblick auf den Erfolg. 30 Jahre sind seitdem vergangen. Nach 30 Jahren habe ich heute die Ehre - und darüber freue ich mich sehr -, dem Hohen Hause namens meiner Fraktion vorzuschlagen, dem Vertrag über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Gemeinschaft zuzustimmen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Auhagen.

Hendrik Auhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000064, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brück, Ihre kritische Einschätzung der Situation kann ich teilen. Mich wundert es aber insbesondere deswegen, daß Sie unsere daraus resultierenden kritischen Bedenken gegen diesen Vertrag zum Anlaß nehmen, uns als undemokratisch zu diffamieren. Lassen Sie mich grundsätzlich zunächst für meine Fraktion feststellen, wir respektieren den Wunsch großer Teile der portugiesischen und insbesondere der spanischen Bevölkerung nach Zugang zu den Entscheidungsgremien der EG, von denen Spanien und Portugal angesichts ihrer Exportabhängigkeit auch bisher in großem Maße abhängig waren, nach Zugang zu den finanziellen Möglichkeiten der EG und nach auch politischer äußerer Besiegelung der Unumkehrbarkeit der demokratischen Entwicklung. Gerade in diesem Zusammenhang aber verurteilen wir im Falle Spaniens die Herstellung eines faktischen Junktims zwischen EG-Beitritt und NATOMitgliedschaft. ({0}) Die Massendemonstrationen der letzten Wochen haben noch einmal deutlich gezeigt: Der NATO-Beitritt trifft auf den entschlossenen Widerstand einer überwältigenden Mehrheit des spanischen Volkes. Kommen wir auf die ökonomischen Hoffnungen zurück, mit denen der EG-Beitritt begleitet wird. Gerade unter dem proklamierten Anspruch, eine solidarische Völkergemeinschaft zu begründen bzw. zu erweitern, haben wir hier nicht nur deutsche Interessen zu prüfen, sondern auch zu fragen, inwieweit denn die bisherigen Erfahrungen mit der EG die iberischen Hoffnungen rechtfertigen. In Spanien und Portugal ist ein Viertel der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, und zwar bei einer krassen Ungleichverteilung des Bodens. So besitzen in Spanien 4 % aller Betriebe 35% der gesamten Nutzfläche; 800 000 Bauernhöfe sind dagegen kleiner als 1 Hektar. Wer auf knapp 30 Jahre deutscher EG-Erfahrung zurückblickt, wird erkennen: Es wird in Spanien ein drastisches Bauernlegen geben, das mehr als eine Million bäuerliche Existenzen herausreißen und auf den Arbeitsmarkt werfen wird. ({1}) Auf der anderen Seite wird dies zu einer Herausbildung einer industriellen Landwirtschaft führen. Das wird für Deutschland lukrative Exportsteigerungen für die Chemieindustrie und die Landmaschinenhersteller bedeuten, wie jüngst das Beispiel Griechenland zeigte. Andererseits werden sich natürlich erhebliche Überschüsse zu Lasten der EGKasse ergeben. Was bei einer Sockelarbeitslosigkeit von 20 % das gigantische Bauernlegen für Folgen haben wird, hat die deutsche Vertragsseite anscheinend nicht berücksichtigt. Mit erschreckender Gleichgültigkeit wurde in den Ausschußberatungen von Regierungsseite darauf vertraut, daß die wirtschaftliche Dynamik die Probleme schon bewältigen werde, und das, obwohl wir in Deutschland selbst beim größten Exportüberschuß unserer Geschichte nicht in der Lage sind, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Immerhin habe Spanien - so der Vertreter der Bundesregierung im Ausschuß - als Billiglohnland die Chance verstärkter Investitionen, also auf deutsch: Unternehmensverlagerung von hier nach Spanien. Dann werden wir vielleicht 1987 bei hoffentlich erneuten Gewerkschaftsforderungen nach der 35Stunden-Woche Unternehmerplakate mit der Aufschrift lesen: 35-Stunden-Woche schafft Arbeitsplätze in Spanien und Portugal. Aber selbst solche Auslagerungen werden wahrscheinlich nicht die Steigerung der spanischen Massenarbeitslosigkeit verhindern. Besonders überraschend war der Hinweis der Bundesregierung im Ausschuß, daß ansonsten j a die Beitrittsländer verstärkt Gastarbeiter in die übrigen EG-Länder entsenden können, also auch in die Bundesrepublik. ({2}) Es ist interessant, daß plötzlich die Bundesregierung vielleicht mehr Gastarbeiter, Wanderarbeiter in die Bundesrepublik läßt. ({3}) Im Rückblick auf Erfolge und Mißerfolge der EG und am aktuellen Beispiel Griechenlands und Süditaliens ist festzustellen: Binnenmarktintegration von völlig unterschiedlich entwickelten und wirtschaftlich starken Ländern geht zu Lasten der schwächeren Regionen. Daher ist es ein sozial brutaler, ökologisch verhängnisvoller und finanziell teurer Irrweg, eine solche Integrationspolitik zu betreiben. Wir meinen dabei nicht, daß eine solidarische europäische Politik Länder wie Spanien oder Portugal im Regen stehen lassen darf. Sie müssen an den wirtschaftspolitischen Entscheidungen der EG beteiligt werden, den Zugang zu den Finanzmitteln der EG erhalten, aber ohne die für alle Seiten - außer wenige Konzerninteressen - nachteilige Binnenintegration. Da diese Verträge aber gerade auf eine forcierte totale Binnenintegration abzielen, müssen wir die Beitrittsverträge ablehnen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Paul-Henri Spaak hat einmal gesagt: Nur diejenigen können entmutigt werden, die sich einbilden, daß Europa durch ein Sesam-öffne-Dich oder durch eine riesige Welle des Enthusiasmus geschaffen werden könnte. Nichts dergleichen wird geschehen. Ein organisiertes und vereinigtes Europa wird das Ergebnis langer und mühevoller Anstrengungen sein. So weit das Zitat. Wie recht Spaak doch damit hatte! Dies wird durch die zurückliegenden Verhandlungen bestätigt, die nicht immer ganz einfach zu führen waren. Um so mehr freue ich mich, daß mit der heutigen abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs über den Beitritt des Königreichs Spanien und der portugiesischen Republik zu unserer Europäischen Gemeinschaft ein glücklicher Schlußstrich gezogen werden kann. Für meine Fraktion kann ich sagen, daß wir der vorliegenden Beschlußempfehlung uneingeschränkt zustimmen. ({0}) Ich bin glücklich, dies heute hier sagen zu können, weil ich mich als Vorsitzender der deutsch-spanischen Parlamentariergruppe in unserem Bundestag der iberischen Halbinsel in besonderem Maße verbunden fühle. ({1}) Meine Damen und Herren, die FDP hat sich schon lange für den Eintritt Spaniens und Portugals in die Europäische Gemeinschaft eingesetzt. Es war Außenminister Genscher, der sich sehr früh in der Erkenntnis der immensen politischen Dimension um die richtige Weichenstellung für diesen Beitritt bemüht hat ({2}) und dabei keine Auseinandersetzung insbesondere mit denjenigen EG-Mitgliedstaaten, die weniger an einem Beitritt dieser Länder interessiert waren, gescheut hat. Wir freuen uns nun, daß wir auch heute abend hier in diesen zentralen Fragen eine gemeinsame Haltung der großen Fraktionen dieses Hauses feststellen können. Wir gehen davon aus, daß die Ratifizierungsverfahren in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft so rechtzeitig abgeschlossen werden können, daß der Beitritt beider Länder wie vorgesehen am 1. Januar 1986 wirksam werden kann. ({3}) Meine Damen und Herren, der Beitritt Spaniens und Portugals zur Europäischen Gemeinschaft ist eine Entwicklung von historischer Bedeutung für ganz Europa. ({4}) Beide Länder gehören in kultureller, historischer, wirtschaftlicher und geopolitischer Sicht zur engeren Gemeinschaft der europäischen Völker, wie wir sie uns vorstellen. Dies sollte auch, so meine ich, auf wissenschaftlichem Gebiet Wirklichkeit werden. Es hatte noch vor wenigen Jahren großer Phantasie und eines starken Optimismus bedurft, vorherzusehen, daß diese beiden Länder nunmehr gleichberechtigte Partner unserer Gemeinschaft sein würden. Nachdem sie zu demokratischen Strukturen zurückgefunden haben, blicken beide mit Hoffnung und Zuversicht auf die Europäische Gemeinschaft, in der sie, verehrte Kollegen von den GRÜNEN, einen Hort für das Wohlergehen ihrer Völker und eine solide Basis für ihre politische Zukunft sehen. Diese beiden Länder, Herr Kollege von den GRÜNEN, benötigen keinen politischen Nachhilfeunterricht durch Ihre Fraktion; sie wissen aus eigener historischer Erfahrung, wie sie politisch zu handeln haben. Unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, hat wesentlich dazu beigetragen, daß diese Beitritte jetzt möglich werden. Wir können stolz darauf sein, und ich glaube, daß man auch in Spanien und in Portugal um diesen Anteil weiß. Es waren Weitblick und Entschlossenheit seitens der politischen Führung Spaniens und Portugals wie auch der derzeitigen Mitgliedstaaten notwendig, um den Wunsch nach Mitgliedschaft in die Realität umzusetzen. Wir wissen aus den schwierigen und langjährigen Beitrittsverhandlungen, daß sich die volle Integration Spaniens und Portugals in die Gemeinschaft nicht ohne Anpassungsprobleme für die Altgemeinschaft und die neuen Mitgliedstaaten vollziehen lassen wird und daß mit dem Beitritt darüber hinaus auch finanzielle Belastungen verbunden sind. Diese finanziellen Lasten, die durch den Beitritt auf uns zukommen, müssen indessen nach unserem Verständnis im Verhältnis zu den politischen und auch wirtschaftlichen Vorteilen gesehen werden, die die Süderweiterung für uns und für die Gemeinschaft insgesamt mit sich bringt. Unabhängig von dem für uns positiven Saldo im wirtschaftlichen Bereich, auf den ich hier nicht näher eingehen möchte, sind vor allen Dingen die politischen Auswirkungen von weittragender Bedeutung. Erstens. Die Erweiterung der EG um zwei iberische Länder, zu denen wir traditionell gute Beziehungen pflegen, stärkt das politische Gewicht der Gemeinschaft insgesamt im internationalen Kräftespiel. Zweitens. Die Einbindung Spaniens und Portugals in die Gemeinschaft ist gleichzeitig auch ein Beitrag zur innenpolitischen Stabilisierung dieser beiden jungen Demokratien. Drittens. Die vielfältigen engen Kontakte Spaniens und Portugals mit Lateinamerika sowie mit den arabischen und afrikanischen Ländern eröffnen neue außenpolitische Dimensionen, die Europa gemeinsam nutzen kann. ({5}) Viertens. Das westliche Verteidigungsbündnis, insbesondere aber der europäische Pfeiler dieses Bündnisses, wird erheblich gestärkt. Meine Damen und Herren, Winston Churchill hat in seiner berühmten Rede in Zürich im Jahre 1946 die Vision verbreitet - ich zitiere -: Wenn Europa einmal in der Wahrung seines gemeinsamen Erbes vereint wäre, gäbe es keine Einschränkung für sein Glück, den Wohlstand und den Glanz, den seine 300 oder 400 Millionen Menschen genießen könnten. Der Beitritt Spaniens und Portugals stellt einen Markstein auf dem Wege zu diesem Ziele dar. Der europäische Aufbau ist für die Völker unserer Staaten, wie Simone Veil sagt, eine Hoffnung und eine Zukunftsvision, und deshalb muß Europa auf die Herausforderung unserer Zeit eine wahrhaft europäische Lösung finden. ({6}) Ich meine, die Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal ist eine solche wahrhaft europäische Lösung. Portugal hat im Juni dieses Jahres für die Unterzeichnung des EG-Abkommens einen Platz gewählt, der ebenso prächtig wie symbolhaft war: das Hieronymitenkloster in Belém vor den Toren Lissabons. Dieses Bauwerk im Stil des 16. Jahrhunderts entstand zur Erinnerung an Portugals große Entdeckungsfahrten. Meine Damen und Herren, gehen wir nunmehr gemeinsam auf große Fahrt: Wir heißen Spanien und Portugal in der europäischen Gemeinschaft demokratischer Staaten herzlich willkommen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Staatsminister Möllemann.

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der bevorstehende Beitritt von Spanien und Portugal zur Europäischen Gemeinschaft ist für Europa ein Ereignis von historischer Bedeutung. Die Aufnahme der iberischen Staaten in die Gemeinschaft schließt die Süderweiterung der EG ab und leitet ein neues Kapitel in der Geschichte des europäischen Einigungswerkes ein. Nach über siebenjährigen Verhandlungen ist es gelungen, mit Geduld und Kompromißbereitschaft, mit viel Engagement und politischer Weitsicht alle Hindernisse zu überwinden und damit den Weg für den Beitritt unserer spanischen und portugiesischen Freunde zu ebnen. Zwei alte und bedeutende Kulturnationen, die die europäische Geschichte wesentlich mitgestaltet und für die geistige Entwicklung Europas so viele wertvolle Beiträge geleistet haben, werden nun Mitglieder der Gemeinschaft. Die Bundesregierung hat sich von Anfang an - die frühere Regierung wie die jetzige - konsequent für die Erweiterung der Gemeinschaft nach Süden eingesetzt und dies zu einem wichtigen Anliegen ihrer Europapolitik gemacht. Ich darf Sie beruhigen, Herr Kollege Brück: Anliegen auch der jetzigen Bundesregierung bleibt, den europäischen Einigungsprozeß weiter voranzutreiben. In diesem Fall können wir uns nicht etwa das alleinige Verdienst zurechnen, hier haben sich ja verschiedene Regierungen bemüht. Wir müssen auch einräumen, daß es im Einigungsprozeß sehr praktische, zum Teil sehr gravierende Schwierigkeiten gibt. Aber der Wille der Bundesregierung, diese Schwierigkeiten zu überwinden und dem Ziel der Europäischen Gemeinschaft, die einiges mehr ist als heute, näherzukommen, sollte nicht im Streit stehen. Für uns war es nach der Überwindung der Diktaturen in Spanien und Portugal Aufgabe und Verpflichtung, diesen Ländern auf ihrem Weg in die Gemeinschaft entgegenzukommen und damit ihre freiheitlich-demokratische Entwicklung nach Kräften zu fördern. Die Gemeinschaft wird - darauf haben die Sprecher der verschiedenen Fraktionen zu Recht hingewiesen - durch den Beitritt Spaniens und Portugals neue Impulse sowohl für ihre innere Entwicklung als auch für die Gestaltung ihrer Außenpolitik enthalten. Die Entscheidungen der Spanier und Portugiesen für die Gemeinschaft sind auch ein augenfälliger Beweis für die ungebrochene Anziehungskraft der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrauens dieser Länder auf den Zusammenschluß Europas. Die einstimmige Annahme des Beitrittsvertrages durch das spanische Parlament und die überwältigende Mehrheit, die er im portugiesischen Parlament gefunden hat - nur die Kommunisten stimmten dort dagegen -, zeugen in beindruckender Weise von der breiten Zustimmung aller Schichten der Bevölkerung zum politischen und wirtschaftlichen Zusammenschluß Europas. Ich glaube, verehrter Herr Kollege von den GRÜNEN, daß Sie sich wirklich allmählich fragen müssen - bei allen internationalen Debatten treten Sie hier als Lehrmeister gegenüber vielen Staaten dieser Welt auf -, ob Sie nicht einen solchen eindrucksvollen Beweis des Willens diese Völker im Parlament als authentischen Ausdruck dieser Staaten ernst nehmen sollten, statt hier noch Empfehlungen zu geben. ({0}) Die Gemeinschaft der Zwölf wird am 1. Januar 1986 die größte Handelsmacht der Erde sein. Ein Markt von über 320 Millionen Menschen wird allen Bürgern der Gemeinschaft dann einen einzigartigen Freiraum für die wirtschaftliche Entwicklung, für Fortschritt und Wohlstand bieten. Hierin liegt vor allem die wirtschaftliche Bedeutung der zweiten Süderweiterung. Den Beitrittsländern gibt der Zugang zum Gemeinschaftsmarkt und seinen Förderungsinstrumenten neue Impulse zur Bewälti13084 gung wirtschaftlicher und sozialer Ungleichgewichte. Auch wir Deutschen müssen den großen Vorteil erkennen, der die Öffnung des spanischen und portugiesischen Marktes für unsere Industrien darstellt. Das Europa der Zwölf bedeutet mehr Handel und damit auch mehr Arbeitsplätze. Wir müssen uns natürlich im klaren sein, daß die Vollintegration Spaniens und Portugals in die Gemeinschaft Zeit und gegenseitiges Verständnis, Geduld und besondere Anstrengungen erfordern wird. Wir haben von seiten der Bundesregierung die kritischen Anmerkungen und Fragestellungen in den Ausschußberatungen mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. In der Tat, Herr Kollege Brück, es muß allen klar sein, daß es die Erweiterung der Gemeinschaft um zwei neue Mitglieder nicht zum Nulltarif geben kann. Wir wollen zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilität in allen Teilen der Gemeinschaft, auch im Südwesten, beitragen. Dies führt natürlich zu finanziellen Mehrbelastungen in der Agrarpolitik und bei Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschafts- und Sozialstruktur. Die Höhe dieser Mehrbelastungen läßt sich derzeit noch nicht exakt abschätzen. Die Bundesregierung hat in den Beitrittsverhandlungen darauf gedrängt, die möglichen Kosten des Beitritts in vertretbaren Grenzen zu halten. Die Süderweiterung der Gemeinschaft ist aus unserer Sicht die Grundlage für den Beschluß des Rates vom 7. Mai 1985 über das System der eigenen Mittel der Gemeinschaft, der dem Deutschen Bundestag ebenfalls vorliegt. Im übrigen bewirkt die Fortentwicklung der Gemeinschaftspolitiken in Teilbereichen ebenfalls höhere finanzielle Belastungen. ({1}) Mit diesem ratifizierungsbedürftigen Beschluß wird die Obergrenze für die an die Gemeinschaft abzuführenden Mehrwertsteuereigenmittel von 1 % auf 1,4 % der einheitlichen Bemessungsgrundlage erhöht. Ohne diese Erhöhung ließe sich die Erweiterung im Rahmen des Systems der eigenen Einnahmen der Gemeinschaft nicht finanzieren. Die Bundesregierung hat in den Verhandlungen in Brüssel andererseits aber auch durchgesetzt, daß es ohne Ratifizierung des Beitrittsvertrages durch alle Mitgliedstaaten keine Erhöhung der Obergrenze gibt. Der Ratsbeschluß vom 7. Mai 1985 regelt ferner die lange umstrittene Haushaltsentlastung für das Vereinigte Königreich und die um ein Drittel ermäßigte deutsche Beteiligung an den Kosten dieser Entlastung. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Fontainebleau vom Juni 1984. Dort ist beschlossen worden, daß jeder Mitgliedstaat, der, gemessen an seinem relativen Wohlstand, eine zu große Haushaltslast trägt, zu gegebener Zeit in den Genuß einer Korrekturmaßnahme gelangen kann. Ich möchte, Herr Kollege Brück, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, an dieser Stelle - auf Ihre Forderung eingehend - sagen, daß wir uns im Blick auf den vorgelegten Haushaltsentwurf und in Richtung auf die zweite und dritte Lesung dieses Entwurfs in der Tat dafür einsetzen werden, daß die beiden neuen Mitglieder aus der Position des Nettozahlers gleich zu Beginn herauskommen werden. ({2}) Die Bundesregierung sieht in der Erweiterung eine Herausforderung und eine große Chance für die Gemeinschaft, sich auf dem Weg zur Europäischen Union nach innen und außen neue Aktionsfelder zu erschließen. Es wird jetzt am politischen Willen der tragenden Kräfte in sämtlichen Mitgliedstaaten - den alten und den neuen - liegen, ob die Gemeinschaft diese Chance zum Wohle aller nutzen kann. Die Bundesrepublik Deutschland ist in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse aufgerufen, ihren vollen Beitrag dazu zu leisten. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal auf die Dringlichkeit des Abschlusses des parlamentarischen Ratifizierungsverfahrens hinweisen: Die Veröffentlichung des Vertragsgesetzes und des Vertragswerks im Bundesgesetzblatt sowie die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Rom müssen bis zum Jahresende abgeschlossen sein, damit der Vertrag, wie vorgesehen, am 1. Januar 1986 in Kraft treten kann. Die technischen Vorbereitungen hierfür werden angesichts des Umfangs des Vertragswerks noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Bundesregierung würde es daher sehr begrüßen, wenn sich der Bundesrat nach Möglichkeit noch im November dazu äußern könnte, ob er nach Abschluß des Verfahrens im Bundestag von seinem Recht nach den Art. 77 und 78 des Grundgesetzes Gebrauch machen will. Hier ist vom Vertreter der GRÜNEN angesprochen worden, daß jedenfalls mit dem Beitritt Spaniens zur EG ein unzulässiges Junktim im Blick auf die Beibehaltung der spanischen Mitgliedschaft in der NATO verbunden sei. Wir haben von seiten der Gemeinschaft ein solches Junktim nicht hergestellt. Ich möchte aber in aller Deutlichkeit sagen, daß wir sehr hoffen, daß sich die Bürger Spaniens bei einem bevorstehenden Referendum für die weitere Mitgliedschaft in der Verteidigungsgemeinschaft der freien Staaten des Westens entscheiden werden. ({3}) Meine Damen und Herren - jetzt folge ich dem Beispiel fast aller meiner Vorredner -: Wie ließen sich Ausführungen zur Süderweiterung der Gemeinschaft treffender abschließen als mit einem Zitat von José Ortega y Gasset, der nicht nur ein großer spanischer Dichter und Philosoph, sondern auch, wie der Kollege Wulff aus eigenem Erleben eindrucksvoll bestätigen konnte, ein überzeugter Europäer war. Schon 1929 schrieb er: Machten wir heute eine Bilanz unseres geistigen Besitzes -- Theorien und Normen, Wünsche und Vermutungen -, so würde sich herStaatsminister Möllemann ausstellen, daß das meiste davon nicht unserem jeweiligen Vaterland, sondern dem gemeinsamen europäischen Fundus entstammt. In uns allen überwiegt der Europäer bei weitem den Deutschen, den Spanier, den Franzosen. Vier Fünftel unserer inneren Habe sind europäisches Gemeingut. Ich denke, das ist ein Grund mehr zur Freude darüber, daß Spanien und Portugal jetzt in unserer Gemeinschaft sind. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist das Gesetz angenommen. ({0}) Herzlichen Dank für diesen großartigen Beifall. Wir freuen uns, daß der Botschafter hier unseren Verhandlungen hat beiwohnen können. Vielen Dank. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung der Künstlersozialabgabe in den Jahren 1986 und 1987 - Drucksache 10/4064 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) - Drucksache 10/4226 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Becker ({2}) ({3}) Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu Tagesordnungspunkt 6 haben Sie gestern erhalten. Ich gehe davon aus, daß von der Frist für den Beginn der Beratung gemäß § 81 Abs. 1 der Geschäftsordnung abgewichen werden soll. - Das ist der Fall. Danke schön, daß Sie damit einverstanden sind. Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker.

Dr. Karl Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das hier zur Abstimmung stehende Gesetz über die Erhebung der Künstlersozialabgabe soll für 1986 und 1987 darüber hinweghelfen, daß die ab dem 1. Januar 1986 bereichsspezifisch festgelegte Abgabe im Künstlersozialversicherungsgesetz noch nicht durchgeführt werden kann. Das dafür notwendige Datenmaterial konnte bisher von der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven noch nicht erarbeitet werden. Bei den Beratungen des Künstlersozialversicherungsgesetzes in der 8. und der 9. Legislaturperiode bestanden bei meinen Freunden und auch bei mir schon damals erhebliche Bedenken, daß die Künstlersozialkasse mit dieser schwierigen Materie, mit dem breiten Spektrum der betroffenen Künstler und ihren individuellen Interessen und dem ihrer Vertragspartner schwer fertigwerden würde. Diese Befürchtungen haben sich leider bestätigt. Dies reicht von dem unzureichenden Einsatz der Datenverarbeitung und der besonders aufzuarbeitenden Software bis hin zu mangelhaften Mahnverfahren. Trotz guten Willens und trotz vielfacher Hilfen von außen konnten die Mängel auch in den letzten Jahren nicht beseitigt werden. Dazu kam, daß auf seiten der Vermarkter erhebliche Bedenken gegen das Gesetz bestanden und diese auch recht bald das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Künstlersozialabgabe angerufen hatten. Die in Karlsruhe zu treffende Entscheidung steht noch aus und ist im nächsten Frühsommer zu erwarten. So ist auch hier die Bereitschaft, aktiver bei der Datenaufarbeitung mitzuwirken, höchst unterschiedlich ausgefallen. Es scheint auch, daß der Selbstvermarktungsanteil der Künstler - so nennt man das - in manchen Bereichen deutlich höher liegt, als mit dem im Gesetz auf höchstens 17% der jährlichen Ausgaben der Künstlersozialkasse festgelegten Bundeszuschußanteil abgedeckt wird. Es gibt viele Gründe dafür, daß bis jetzt gesicherte Daten für eine breite, bereichsspezifische Künstlersozialabgabe nicht vorliegen. Mit den Teildaten, die jetzt vorliegen, würden aber mehr als zweifelhafte Schätzwerte festgelegt werden. Dies würde bedeuten, daß in einigen Bereichen - wie Musik, bildender Kunst oder bei den Galeristen - existenzbedrohende Abgabensätze eingefordert würden. Letztlich würde das zum Nachteil der Künstler selbst führen. Das federführende Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung sollte nun nach diesem Gesetz im Verbund mit bewährten Trägern der Sozialversicherung die durch dieses Gesetz gewonnene Zeit ausgiebig nutzen, um die Künstlersozialkasse so zu organisieren, daß sie in Zukunft ihrer Aufgabe gerecht werden kann. Sollte das Bundesverfassungsgericht aber eine Entscheidung treffen, die die Künstlersozialabgabe als nicht verfassungskonform bezeichnet, sind wir als Gesetzgeber gefordert, im Interesse der Künstler bald eine bessere Lösung zu finden. Dr. Becker ({0}) Schönen Dank. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die Erhebung der Künstlersozialabgabe in den Jahren 1986 und 1987 bedarf keiner homerischen Redeschlacht. Ich bedaure eigentlich nur, daß die GRÜNEN dieser interfraktionellen Vereinbarung nicht beigetreten sind. Warum, weiß der Himmel, ({0}) wie der Himmel auch nicht weiß, was heute passiert ist, warum das heute inszeniert wurde. Das Problem ist bereits beschrieben worden. Ich bin einer der Urheber dieses Problems. Deswegen darf ich ein paar Bemerkungen dazu machen. An sich waren wir 1981 von der Voraussetzung ausgegangen, daß letztlich die Vermarkter unter sich zu einer vernünftigen, differenzierten Regelung des Abgabensatzes gelangen würden. Aber offensichtlich kann man die Vermarkter nicht überfordern. Viele verweigern sich, viele hoffen auf einen abschlägigen Bescheid, viele Vermarkter übten und üben den Klassenkampf gegeneinander. Weil die Welt so ist, wie sie sich offensichtlich darstellt, empfiehlt die breite Mehrheit dieses Hauses, das Künstlersozialgesetz mit seinen einheitlichen Abgabensätzen bis ins Jahr 1987 zu verlängern. Die übergroße Mehrheit dieses Hauses empfindet eine solche Regelung nicht als verfassungswidrig. Ich bin ganz sicher, daß dies auch nicht ohne Eindruck auf das oberste deutsche Gericht bleiben wird. Ein paar Probleme müssen wir noch lösen; sie sind schon angedeutet worden. Ich persönlich hätte mir eine größere Effizienz der Künstlersozialkasse gewünscht. Hier sind Probleme entstanden, die ich eigentlich vor dem Plenum nicht erörtern möchte, die aber unser Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, der gelegentlich auch der Mitberatung der GRÜNEN teilhaftig wird, noch näher überprüfen muß. ({1}) - Frau Kollegin, das ist die Wirklichkeit. Man kann hier nicht Schaukämpfe veranstalten, aber im Ausschuß durch permanente Abwesenheit glänzen. ({2}) Ich finde, das ist eine Mißachtung des Parlaments. ({3}) Im Grunde, meine ich, bedarf es hinsichtlich der Künstlersozialkasse einer noch effektiveren Arbeit, als wir sie derzeit erleben. Es kann uns nicht fröhlich stimmen, daß die Arbeit nicht effektiv genug ist. 1981 hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz über die Erhebung der Künstlersozialabgabe Neuland betreten. Es war zu erwarten, daß in einer solchen Lage Korrekturen, welcher Art auch immer, notwendig würden. Der Gesetzgeber hat gleichzeitig eine neue Institution geschaffen. Es war zu erwarten, daß auch dabei Pannen geschehen könnten. Unser Bemühen, so meine ich, muß es sein, die Alterssicherung der Künstler auf solide Fundamente zu begründen. Dazu dient dieser Gesetzentwurf. Ich werbe eindringlich um die einheitliche Zustimmung des Parlaments dazu, auch wenn jetzt nicht die alternden Künstler hereinkommen. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der jetzige Gesetzentwurf hat gegenüber vielen anderen zwei Vorteile: Er ist kurz, besteht praktisch nur aus zwei Sätzen, wenn man von Überleitungs- und Inkrafttretensvorschriften absieht, und er findet die Zustimmung der Opposition. Es erscheint uns richtig, eine Übergangsregelung vorzusehen zu Zeiten, wo wichtige verfassungsrechtliche Fragen noch nicht geklärt sind, und auch die Datenbasis, auf der die Berechnungen im Rahmen dieses Gesetzes durchgeführt werden sollen, sich noch als lückenhaft und unzureichend erweist. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf trägt auch der Entschließung des Deutschen Bundestages Rechnung, daß die Bundesregierung bis zum 30. Juni 1987 über die mit dem Künstlersozialversicherungsgesetz gewonnenen Erfahrungen berichten und gegebenenfalls Änderungsvorschläge unterbreiten soll. Ich will es deswegen sehr kurz machen, zumal meine Kollegen schon ausgiebig darüber gesprochen haben: Ich bitte um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf, der mit dazu beiträgt, daß Künstler und Publizisten auch im Alter besser abgesichert werden. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.

Eberhard Bueb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000293, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Im vorliegenden Gesetzentwurf über die Künstlersozialabgabe wird dafür plädiert, die derzeit geltenden Übergangsregelungen gleicher Abgaben für alle Kultursparten um zwei Jahre zu verlängern. Gegen eine derartige Verlängerung haben wir nichts einzuwenden. Eines muß jedoch sichergestellt sein: ({0}) Das Künstlersozialversicherungsgesetz darf nicht auf halbem Wege wieder vom Tisch gefegt werden. Denn unbestritten ist: Das 1981 von der damaligen sozialliberalen Regierung verabschiedete Gesetz stellt einen nicht mehr wegzudenkenden Meilenstein in der sozialpolitischen Gesetzgebung dar. ({1}) - Ich lob euch doch, da braucht ihr doch nicht zu sagen, das sei Quatsch. Wollt ihr nicht mal mehr zu euren eigenen Beschlüssen stehen? Wir GRÜNEN meinen jedoch, daß die vorgeschlagene Übergangszeit genutzt werden sollte, die bestehende Regelung der Künstlersozialversicherung zu verbessern. Wir können nicht über die soziale Sicherung der Künstler sprechen, ohne uns gleichzeitig mit der materiellen Situation der freien Kunstschaffenden auseinanderzusetzen. Diese ist alles andere als erfreulich. Freischaffender Künstler zu sein, bedeutet in erster Linie eben freischwebend im Sinne von ohne Subsistenzmittel zu sein. So gibt es gerade in diesem Bereich ein besonders breites Spektrum von prekären Beschäftigungsverhältnissen, von echten Freien und unechten Freien, von ständig unständig Beschäftigten, z. B. in der Filmbranche, bei den Verlagen, beim Rundfunk und beim Fernsehen, wobei der Begriff Freiheit hier allemal auch als Umschreibung für das Fehlen einer materiellen Absicherung steht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Eberhard Bueb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000293, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte, aber auch meine Antwort darf nicht angerechnet werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das machen wir natürlich. - Sie haben das Wort.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß wir die Existenz dieser Künstlergruppen, die Sie gerade genannt haben, mit dem 12-a-Tarifvertragsgesetz erstmals gesichert haben?

Eberhard Bueb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000293, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich komme nachher noch darauf. Sie werden feststellen, daß die Künstler, die weniger als 6 000 DM im Jahr verdienen, nicht unter dieses Gesetz fallen. Sie bekommen deshalb keine Sozialversicherung. Ich komme aber gleich noch darauf. Gefordert wäre hier eine Kulturpolitik, die entsprechende Rahmenbedingungen für künstlerisches Schaffen überhaupt und eine stärkere Integration dieses Schaffens in den gesellschaftlichen Alltag zum Ziel hat, eine fortschreitende Vergesellschaftung von Kunst und Kultur, womit die Gesellschaft ihrerseits aber auch die Verantwortung für die Absicherung der materiellen Existenz der Kunstschaffenden übernehmen müßte. Die bestehende Künstlersozialversicherungsregelung - jetzt kommen wir darauf - trägt jedoch der speziellen Einkommenssituation von Künstlern völlig unsinnigerweise nicht Rechnung. Diese zeichnet sich in den meisten Fällen nicht nur durch niedrige Einkommen, sondern auch durch völlige Unstetigkeit aus. Einbrüche sind in bestimmten künstlerischen Sparten, vor allem mit zunehmendem Alter, jederzeit vermehrt möglich. Und jetzt, Herr Kollege Lutz, kommt genau der Punkt: Daß Künstler, die ein bestimmtes Mindesteinkommen von derzeit 5 600 DM jährlich nicht nachweisen können, aus der Künstlersozialversicherung und damit aus der Renten- und Krankenversicherung herausfallen, ist ein Unding. Hier muß von uns unbedingt etwas getan werden. ({0}) - Das können wir ja miteinander beraten. Die bestehende Regelung sieht keine soziale Absicherung im Falle von Erwerbslosigkeit vor. Gerade eine solche wäre in Anbetracht der unsteten Einkommenssituation der freien Künstler von besonderer Bedeutung. Die Sozialhilfe stellt für sie oft das einzige Auffangnetz dar. Das hängt natürlich auch mit ihrer Zwitterstellung als Selbständige, die gleichzeitig noch vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängig sind, zusammen. Hier müßte über eine Lösung nachgedacht werden, die die besondere Situation der Kulturberufe berücksichtigt. ({1}) - Ihr hättet ja schon länger nachdenken können; ihr seid ja schon länger im Haus als wir. Die bestehende Regelung der Künstlersozialabgabe bietet den Verwertern und Vermarktern von Kunst und Kultur die Möglichkeit, die Kosten für die Abgaben auf die Honorare und somit auf die Künstler abzuwälzen, so daß diese letztendlich doppelt belastet werden. Hinzu kommt, daß sich, wie die Erfahrung nun gezeigt hat, viele Vermarkter der Abgabenleistung tatsächlich einfach entziehen. Die bestehende Regelung bietet keinen ausreichenden Schutz im Krankheitsfall. Krankengeld soll hier erst ab der siebten Woche bezahlt werden. Krankheit, so ein Betroffener, kann man sich nach dieser Konstruktion nicht leisten. Auch wenn in diesem Fall kein individueller Arbeitgeber ausgemacht werden kann, der die Lohnfortzahlung übernimmt, kann das kein Grund sein, Künstler im Krankheitsfall dermaßen ungleich zu behandeln. Die getroffene Rentenversicherungsregelung hat ebenfalls wesentliche Schwachstellen. Generell stellt sich die Frage, ob die Aufbringung der Versicherungsbeiträge in Anbetracht der starken Einkommensschwankungen nicht zu sozialen Härten bei den Betroffenen führen kann. Weiter ist zu fragen, ob sie dann tatsächlich Renten erwerben, die ein existenzsicherndes Einkommen im Alter garantieren. - Norbert Eimer, vielleicht kannst Du einmal darüber nachdenken, weil Du j a sagst, die Renten bei denen seien gesichert, ({2}) und das, obwohl sie kaum Beiträge bezahlen können, weil sie oft nicht beschäftigt sind. - Uns scheint daher unser Rentenmodell die angemessenere Lösung zu sein. Jeder Kultur- und Kunstschaffende hätte demzufolge mindestens einen Anspruch auf eine steuerfinanzierte Grundrente von wenig13088 stens 1000 DM, und zwar ohne eigene Beitragsleistung, und darüber hinaus die Möglichkeit, diese durch eine obligatorische Zusatzleistung aufzustokken. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 6. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist in der zweiten Lesung verabschiedet. Wir treten in die dritte Beratung ein. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig verabschiedet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 1983 bis 1986 gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ({0}) vom 8. Juni 1967 ({1}) - Drucksache 10/3821 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß ({2}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In der Abgrenzung, die dem Zehnten Subventionsbericht der Bundesregierung zugrunde liegt, belaufen sich die Subventionen des Bundes, also Finanzhilfen und Steuervergünstigungen, 1985 auf 31,9 Milliarden DM gegenüber 30 Milliarden DM im Vorjahr. Bei diesem Anstieg ist zu berücksichtigen, daß der Bund ab 1985 durch den Abbau von Mischfinanzierungen den bisherigen Anteil der Länder an den Wohnungsbauprämien und einen Festbetrag vom Länderanteil beim Wohngeld übernommen hat. Dies erhöht das statistisch auszuweisende Subventionsvolumen des Bundes um 812 Millionen DM. Nach Bereinigung um diesen Faktor, der ja keine materielle Ausweitung staatlicher Hilfen bedeutet, beträgt der Anstieg des Subventionsvolumens 1985 3,5%. Die Zuwachsrate liegt also deutlich niedriger als die Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts. Mit dem am 1. Juli 1985 beschlossenen Entwurf des Bundeshaushalts 1986 und dem Finanzplan bis 1989 hat die Bundesregierung eine differenzierte, an Subventionszwecken ausgerichtete Rückführung von Subventionen beschlossen. Danach war vorgesehen, die Subventionen um bis zu 1 Milliarde DM, vor allem durch den Abbau von Finanzhilfen, zurückzuführen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es sich bei einigen der zur Kürzung vorgeschlagenen Haushaltspositionen um Schätzansätze mit entsprechenden Risiken handelt, die aus der allgemeinen Wirtschafts- und Währungsentwicklung herrühren. Am Beispiel der Kokskohlenbeihilfe werde ich dies noch erläutern. Sicherlich könnte man sich auf dem Gebiet des Subventionsabbaus durchaus durchschlagendere Erfolge vorstellen. Aber wo könnte man das nicht, meine Damen und Herren? Allerdings hatte sich die Bundesregierung nach der Amtsübernahme zunächst auf Sofortmaßnahmen zu konzentrieren, um die Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen wieder in Ordnung zu bringen. Die Probleme hatten sich zu Beginn der 80er Jahre zugespitzt, wie jeder weiß. Zu der ausufernden Staatsverschuldung kam, daß in der Rezession die verschleppten und akuten Strukturkrisen der Wirtschaft besonders deutlich zutage traten. Hier liegt bekanntlich auch eine der Hauptursachen für den hohen Sockel der heutigen Arbeitslosigkeit. Zunächst waren daher Hilfen für die Strukturanpassung der am meisten betroffenen Branchen und gezielte Steuervergünstigungen zur Belebung der Investitionstätigkeit, insbesondere in der Bauwirtschaft, erforderlich. Dies schlägt sich in der Entwicklung der Subventionen der vergangenen Jahre nieder. Die Kritik der Opposition an der Entwicklung der Steuervergünstigungen läuft daher ins Leere und verkennt die wahren Sachverhalte. Ein Großteil dieser Maßnahmen wurde zeitlich befristet, der Subventionsabbau damit sozusagen gleich bei der Gewährung eingebaut. Derzeit sind 16 Steuervergünstigungen von insgesamt 113 mit einem Volumen von zusammen rund 1,8 Milliarden DM, bezogen auf den Bund, befristet. Über die Hälfte entfällt auf drei in den letzten Jahren beschlossene Hilfen, die der Wirtschaftsbelebung dienen, und zwar, erstens, Steuererleichterungen bei Ubernahme insolventer Unternehmen, zweitens, Schuldzinsenabzug beim Eigenheimbau, drittens, Abschreibungsvergünstigungen für Forschungs-und Entwicklungsinvestitionen für abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Bei den Finanzhilfen sind derzeit 58 Positionen von insgesamt 107, d. h. mehr als die Hälfte, mit einem Volumen von zusammen rund 4,3 Milliarden DM befristet. Bereits im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung bis 1989 werden die Subventionsausgaben deutlich verringert. Im Jahresdurchschnitt ist ein Abbau der Finanzhilfen von über 6 % vorgesehen. Insgesamt vermindern sich die Ausgaben für Finanzhilfen also um rund ein Viertel. Dies betrifft vor allem das Auslaufen der Sparprämien und die Personalkostenzuschüsse im F&EBereich sowie die Rückführung der laufenden Aufwendungen für den sozialen Wohnungsbau. Der Anteil der Bundessubventionen am Bruttosozialprodukt, der 1986 auf 1,6% zurückgeht, wird damit mittelfristig noch weiter verringert. Immerhin lag dieser Anteil 1970 noch bei 2,3%. Ich möchte die unfruchtbare Diskussion über die richtige Definition des Subventionsbegriffs, die sowohl die Wissenschaft als auch manche politische Diskussion beherrscht, hier nicht weiterführen. Sicher lassen sich auch andere Abgrenzungen, auch sehr viel weiter gefaßte, mit guten Gründen belegen. Der Subventionsbericht beschränkt sich auf einen Ausschnitt der Einnahmen- und Ausgabengestaltung der öffentlichen Haushalte, nämlich auf die Finanzhilfen und die Steuervergünstigungen des Bundes. So wurde es im § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vorgegeben. Im übrigen gelten die genannten Grundaussagen zum Subventionsabbau 1986 und in der mittelfristigen Finanzplanung unabhängig davon, wie die erhöhte Mehrwertsteuerpauschale für die Landwirtschaft methodisch nachgewiesen wird. Diese Maßnahme, die an Stelle einer bisherigen EG-Maßnahme, nämlich des Währungsausgleichs, tritt, ist mit degressiven Sätzen ausgestattet und bis 1991 befristet. Die zum Teil geäußerte Kritik daran, daß die Erhöhung der Mehrwertsteuerpauschale im Subventionsbericht nur nachrichtlich ausgewiesen ist, überzeugt nicht. Ich verweise darauf, daß 1977 durch Neudefinition, mit einem Federstrich sozusagen, 54 Steuervergünstigungen aus dem Subventionsbegriff herausgenommen wurden. 1986 sind dies inzwischen 67 nachrichtlich ausgewiesene Einzelpositionen mit Steuermindereinnahmen allein beim Bund von über 8 Milliarden DM. Dies ist nachzulesen, meine Damen und Herren, in Anlage 3 des Zehnten Subventionsberichts. Im Haushaltsausschuß mußten bei der Beratung des Haushaltsentwurfs 1986 bei einigen Finanzhilfen Korrekturen vorgenommen werden. Im wesentlichen handelt es sich dabei um die Aufstockung des Schätzansatzes für die Kokskohlenbeihilfe um 700 Millionen DM und um eine Verminderung des Schätzansatzes für Wohnungsbauprämien um 150 Millionen DM. Eine Änderung der Subventionspolitik ist mit der Aktualisierung der Haushaltsansätze aber nicht verbunden. Insgesamt erreichen die Finanzhilfen 1986 nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß ein Volumen von 14 Milliarden DM. Das sind zwar 580 Millionen DM mehr als im Regierungsentwurf, aber immer noch eine halbe Milliarde DM weniger als die 14,5 Milliarden DM im Jahre 1985. Die notwendige Anpassung bei der Kokskohlenbeihilfe beruht auf der Dollarkursentwicklung. Während im Regierungsentwurf 1985 noch ein Dollarkurs von 3,17 zugrunde lag, mußte der Haushaltsausschuß jetzt von 2,66 ausgehen. Das führte zwangsläufig zu Mehrbedarf bei der Kokskohle von 700 Millionen DM. Es ist absurd, der Bundesregierung hieraus den Vorwurf machen zu wollen, sie bemühe sich nicht ernsthaft um Subventionsabbau. Es bleibt bei der grundsätzlichen finanzpolitischen Linie der Bundesregierung, die Subventionen auch in den kommenden Jahren zu durchforsten, um zu einem weiteren Abbau zu gelangen. ({0}) Wir werden dabei folgende Grundsätze beachten, meine Damen und Herren. Erstens. Gegenüber Globalkürzungen nach der Rasenmähermethode wird der gezielte, am jeweiligen Subventionszweck orientierte Abbau den Vorrang haben. ({1}) Zweitens. Bei der Überprüfung oder Neugewährung von Subventionen werden wir wie schon in den vergangenen Jahren auf eine zeitliche Befristung bzw. degressive Ausgestaltung hinarbeiten. ({2}) Drittens. Die Eigenbeteiligung der Begünstigten muß entsprechend dem Subventions- und dem Subsidiaritätsprinzip ein stärkeres Gewicht erhalten. Viertens. Die Steuervergünstigungen müssen auch unter der Zielsetzung der Steuervereinfachung überprüft werden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein paar Anmerkungen zur Struktur der Subventionen machen. Die Subventionen zeigen seit einer Reihe von Jahren eine deutliche Gewichtsverlagerung hinsichtlich ihrer Verteilung. Ein immer größerer Teil - im nächsten Jahr werden es über 52 % sein - fließt, oft mit sozialem Akzent, unmittelbar an private Haushalte. Ich erinnere z. B. an die deutliche Aufstokkung des Wohngeldes. 1980 lag dieser Anteil noch bei 47 %. Entsprechend ist der Anteil der Subventionen zurückgegangen, der unmittelbar Betrieben und Wirtschaftszweigen zugute kommt. Auch die Gewährung von Subventionen an die Wirtschaft ist aber kein Geschenk an Unternehmer, sondern dient vor allem der Sicherung von Arbeitsplätzen und damit den Arbeitnehmern. Mit anderen Worten, die soziale Komponente bei der Subventionsgewährung hat ein immer stärkeres Gewicht erhalten. Staatliche Hilfen für Betriebe und Wirtschaftszweige sowie für private Haushalte sind häufig historisch gewachsen. Zum Teil reichen die politischen Grundentscheidungen bis ins letzte Jahrhundert und bis in die Anfänge der Bundesrepublik Deutschland. Vergleicht man die Finanzhilfen des Jahres 1984 mit denen des Jahres 1966, so zeigt sich, daß ein Drittel aller Positionen des Jahres 1966 auch noch im Jahre 1984 besteht und in den entsprechenden Jahren dem Umfang nach jeweils gut drei Fünftel aller Finanzhilfen des Bundes umfaßt. Die über einen derartig langen Zeitraum gewährten Finanzhilfen können mit Recht als Dauersubventionen angesehen werden. Es wäre hilfreich und fruchtbar, meine Damen und Herren, wenn die Diskussion über den weiteren Abbau von Subventionen differenzierter und konkreter als bisher geführt würde. Wir müssen uns immer darüber im klaren sein, daß sich hinter der Globalmasse Subventionen sehr unterschiedliche Tatbestände verbergen und daß mit den einzelnen Hilfen sehr unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt werden. Allein die fünf größten Finanzhilfen erbringen 1986 fast 60 % des Gesamtvolumens. Es handelt sich dabei um die Förderung des sozialen Wohnungsbaus mit 2,1 Milliarden DM, das Wohngeld mit 1,7 Milliarden DM, die Wohnungsbau- und Sparprämien mit zusammen 1,7 Milliarden DM, die Kokskohlenbeihilfe mit 1,4 Milliarden DM, die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur mit 1 Milliarde DM. Bei den Steuervergünstigungen ergibt sich ein ähnliches Bild. Die vier größten Steuervergünstigungen verursachen rund 60 % der Steuerausfälle des Bundes. Hier handelt es sich um die Steuervergünstigungen nach dem Berlin-Förderungsgesetz mit 4,2 Milliarden DM, die Befreiung der ärztlichen Leistungen von der Umsatzsteuer mit 2,6 Milliarden DM, die erhöhte Abschreibung für Wohngebäude, also insbesondere den berühmten § 7 b des Einkommensteuergesetzes, mit 2,4 Milliarden DM. Ich betone diese Einzelheiten deswegen, meine Damen und Herren, um ein wenig mehr Realismus in die Debatte zu bringen über das, was beim Subventionsabbau tatsächlich möglich ist. Die Diskussion wird in der Öffentlichkeit und im politischen Raum nicht immer redlich und oft vordergründig geführt. Konkreten Einzelbeispielen weicht die Diskussion gerne aus, weil dies natürlich Widersprüche erzeugen würde. Sobald dann die Diskussion tatsächlich einmal konkret wird, gilt der Grundsatz: Verschone mein Haus, zünde andere an! Während die Hilfen für den eigenen Betrieb, für die eigene Branche als unverzichtbar und besonders wirkungsvoll eingestuft werden, sind Subventionen für andere grundsätzlich relativ rasch abbaubar, weil überflüssig. Der Subventionsabbau bleibt eine dauernde ordnungspolitische Aufgabe, die mit Engagement in der Sache, aber auch mit Augenmaß und Realitätssinn angegangen werden muß. Gute Rahmenbedingungen für die Volkswirtschaft erleichtern den Strukturwandel und sind damit eine gute Voraussetzung für den Abbau und den Verzicht auf Subventionen. In der nächsten Legislaturperiode stellt sich die Aufgabe, insbesondere beim Abbau von Steuervergünstigungen einen weiteren großen Schritt beim Subventionsabbau voranzukommen. Dabei muß die ganze Breite von Steuervergünstigungen und auch der Ausnahmetatbestände, die formal nicht zu den Subventionen zählen, auf den Prüfstand gestellt werden. Ich hoffe sehr, daß dann auch die Opposition auf der Seite derjenigen steht, die konkret und konstruktiv an dieser Aufgabe mitwirken. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Simonis.

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kann nicht bestritten werden, daß der Bundesfinanzminister - ich meine übrigens nicht seinen Parlamentarischen Staatssekretär - schlechte Nachrichten in der Öffentlichkeit so darstellen kann, als habe er oder die Koalition damit nichts zu tun: Weil die Arbeitslosen nicht weniger werden, verspricht er für 1991 den Abbau der Arbeitslosigkeit. Weil die Steuer- und Abgabenlast zu hoch sei, empfiehlt er seine Partei als die im nächsten Jahr zu wählende Partei. Und weil die Subventionen entgegen aller Wirtschaftsideologie seiner Partei steigen, formuliert er zum Zehnten Subventionsbericht - etwas überraschend, wie ich zugeben muß -, daß die Subventionen Zug um Zug abgebaut werden. Wo denn, fragt man sich. ({0}) Man kommt schon fast in Versuchung, zu vergessen, daß der Überbringer all dieser frohen Zukunftsbotschaften einer der Hauptverantwortlichen für Massenarbeitslosigkeit, steigende Abgabenlast und zunehmende Subventionen ist. ({1}) Wie klang das alles noch so schön, als die CDU in der Opposition war! Der damalige Oppositionsführer Kohl überschlug sich mit Versprechungen zur „Befreiung der Wirtschaft von Subventionsbürden". Eine „dauerhafte Gesundung" der Wirtschaft sollte durch zügigen und kräftigen Subventionsabbau garantiert werden. Da seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Konservativen die Subventionen gehörig gestiegen sind, muß ich - um im Bilde zu bleiben - im Umkehrschluß folgern, daß sich die CDU wohl eher als Krankmacher der Wirtschaft zu verstehen hat. ({2}) Wer hat nicht noch die vollmundigen Ankündigungen des heutigen Bundesfinanzministers im Ohr, daß die Subventionen, wenn er erst mal dafür verantwortlich sei, zielstrebig abgebaut würden: erst um 10%, dann um 5% linear, um die Wirtschaft vom Tropf der drogensüchtigmachenden Subventionen zu befreien und zu retten. Geblieben ist das, was jetzt sein Staatssekretär vorträgt: daß nämlich in Zukunft alles viel besser werde, aber gezielt und nicht mehr linear - wo, das weiß kein Mensch - gemacht wird. Von Globalkürzung ist keine Rede mehr. Gezielter Abbau ist die neue Devise. Wo das alles gemacht werden soll? Das zu sagen, dazu fordert er ausgerechnet die Opposition auf. Ich denke, zunächst ist der Bundesfinanzminister gefragt, seine Hausaufgaben zu machen. Dann können wir ja sagen, ob uns die Hausaufgaben gefallen. ({3}) Um wieviel beredter wird aber dieser Finanzminister - und im übrigen das gesamte Kabinett -, wenn es darum geht, Subventionen weg zu definieren. Da muß die Sprache herhalten, wo die Zahlen es nicht geben. Der Bundeslandwirtschaftsminister erklärt listig, daß die Bauernmilliarden keine Subventionen, sondern eine Hilfeleistung sind. Na, so kann man's auch machen. Und der Bundesfinanzminister läßt die Bauernmilliarden weg, weil er sie aus „ermittlungstechnischen" Gründen nicht beziffern kann. Auch so kann man's machen. Ich dachte immer, er gilt als solider Finanzminister. Nun kann er schon nicht mal mehr rechnen. ({4}) Da wird umgetitelt, umbenannt, umgeschichtet, weggeschoben, rausgerechnet, hochgerechnet, runtergerechnet, wie man's gerade braucht, um die Subventionen optisch schön zu machen. Nimmt man Ihre Zahlen, die falsch gerechnet sind, weil Sie die Bauernmilliarden nicht einrechnen, so steigen die Subventionen sogar nach Ihrer falschen Rechnung um 1,9 Milliarden DM auf 31,5 Milliarden DM. Nimmt man die richtigeren Zahlen - keiner weiß, ob es wirklich die richtigen sind -, so dürften auch die offiziell gehandelten 33,6 Milliarden DM noch als zu gering anzusehen sein. Selbst wohlmeinenden Journalisten in konservativen Wirtschaftsblättern sträubt sich die Feder, dies alles schönzuschreiben. Und die Gurus und Groupies in den Wirtschaftsforschungsinstituten tun sich schwer, in Jubel auszubrechen. Im Gegenteil: Selbst das Institut für Weltwirtschaft, sonst eifriger und willfähriger Stichwortlieferant für die Regierung, kommt ins Schleudern, wenn es die 122 Milliarden DM Subventionen, die das Institut errechnet hat, erklären soll. Es ist wirklich egal, ob man sich diese Zahl oder die regierungsamtlichen zu eigen macht. Festzustellen bleibt: Die wortgewaltigen Apologeten der Marktwirtschaft werden von ihren eigenen Versprechen eingeholt und müssen ziemlich kläglich zugeben, daß sie versagt haben. ({5}) Früher hieß es noch, die Sozialdemokraten würden die Wirtschaft auf kaltem Weg sozialisieren, weil sie durch Subventionen Investitionslenkung machen würden. Ich stelle fest: Der Bundesfinanzminister, unterstützt vom Bundeswirtschaftsminister, ist offensichtlich ein Investitionslenker erster Klasse. Denn die Investitionen sind gestiegen. ({6}) Darauf sagt der Bundesfinanzminister nicht ganz ungeschickt, daß in einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit und bei Firmenzusammenbrüchen die Subventionen nicht abgebaut werden könnten. Wir halten fest: Er ist zunächst mal voll auf unsere Argumentation eingegangen. Jeder ist ja lernfähig. Wenn sich der Bundesfinanzminister als ein lernfähiges System herausstellt, sollten wir ihn dafür loben. ({7}) Zweitens stellen wir fest: Er gibt zu, daß Massenarbeitslosigkeit herrscht. Das ist schon etwas, das man zu Protokoll des Deutschen Bundestags geben sollte. Er gibt zu, daß es massive Firmenzusammenbrüche gibt. Auch das ist es wert, daß man es im Protokoll festhält. Drittens. Er gibt zu, daß er keine andere Möglichkeit sieht - er gibt sein Versagen zu -, als mit Subventionen seine eigene verfehlte Wirtschafts-und Finanzpolitik zu mildern.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Möller?

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber bitte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, halten Sie die Steigerung des Subventionsvolumens um etwa 450 Millionen DM beim Wohngeld für eine falsche Entscheidung?

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, das kann die falsche Entscheidung sein, nämlich dann, wenn Sie damit genau die Gruppen treffen, die Sie mit Ihrer brutalen Sparpolitik sowieso schon treffen. Wir haben ja nichts gegen Subventionen, wir haben nur etwas gegen Ihre falschen Subventionen. Wenn Sie mich weiterreden lassen, sage ich Ihnen auch, wo die falschen Subventionen sind. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, dann halten Sie also die Anhebung des Wohngeldes um 450 Millionen DM beim Bund und um 450 Millionen DM bei den Ländern für falsch?

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das sagte ich Ihnen doch gerade. Ist das so schwer zu begreifen? Ich habe gesagt, daß ich die Streichung für falsch halte, weil sie wieder die gleichen Gruppen trifft. Wenn Sie mit dem Mut, mit dem Sie jetzt offensichtlich an das Wohngeld herangehen wollen, auch an die Bauern-Milliarden herangehen würden, dann können wir uns ja noch einmal über das Thema unterhalten. ({0}) Ich fahre genau an der Stelle fort, an der Sie mich unterbrochen haben. Ich wollte Ihnen nämlich sagen, daß die Sozialdemokraten keineswegs die kalte Sozialisierung über Subventionen wollen. Wir haben nicht das verquere, gebrochene Verhältnis zu Subventionen wie Sie. Es erscheint uns gerechtfertigt, zur Abfederung struktureller Wandlungsprozesse, zur Stärkung der Wirtschaftskraft in zurückgebliebenen Regionen, zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in gefährdeten Branchen Subventionen zu gewähren, wenn sie dem Parlament gegenüber offen dargelegt werden und wenn sie nachvollziehbar und kontrollierbar sind. Und das sind sie nicht, wenn es sich um Steuergeschenke handelt, wie wir das jetzt ein paarmal erlebt haben, insbesondere bei der neuen Subvention der Abschreibungsmöglichkeiten für die Wirtschaftsgebäude. Ich halte fest: Die Rationalität Ihrer Subventionitis ist nicht die Arbeitsplatzerhaltung oder die Stärkung von Regionen oder Branchen, sondern die Rationalität Ihrer Subventionitis ist die Wählerstimmenarithmetik. Wo immer eine beleidigte Wählerklientel schmollend in der Ecke sitzt, fällt nach kurzer Zeit der Finanzminister um, der Wirtschaftsminister ebenfalls, und es geht - wie im SterntalerMärchen - der warme Regen der Subventionen auf die erfreuten Bürger hernieder. Während Sie bei Empfängern kleiner Einkommen mit Brachialgewalt um jeden Preis - koste es, was es wolle - gespart haben und dabei weder vor Behinderten noch vor Arbeitslosen, weder vor jungen Müttern noch vor den Frauen insgesamt haltgemacht haben, leiten Sie das Geld an anderer Stelle an Unternehmen, die Ihnen dafür nicht einmal dankbar sind, sondern in aller Offenheit erklären, daß sie zwar nach dem Motto „Die Kasse klingelt" alles nehmen, sich aber im übrigen wie Drogenabhängige, wie Kranke behandelt fühlen. Nicht einmal die Landwirte, denen gegenüber Sie sich mit 21 Subventionstatbeständen nun weiß Gott nicht gerade zugeknöpft zeigen, sind Ihnen dankbar. Wir könnten sie auch, denn dort zeigen sich - genauso wie bei anderen Subventionen - negative Verteilungswirkungen. Es gibt 21 Subventionstatbestände für die Landwirtschaft insgesamt. Das bedeutet 20,9 Milliarden DM für die Landwirte. Demgegenüber haben Sie als Beweis dafür, daß Sie eine zukunftsorientierte, moderne, technologiefreundliche Politik betreiben, nur 40 Millionen DM für Eureka übrig. Ich glaube, Sie haben vergessen, Herrn Späth einmal zu fragen, wie diese moderne zukunftsorientierte Politik aussehen soll. Dies wäre die Möglichkeit gewesen, von Erhaltungssubventionen wegzukommen und zu den auch von Ihnen eigentlich als positiv angesehenen Zukunftssubventionen zu gelangen. Auf diese Weise können Sie Arbeitsplätze schaffen und Probleme wie die Energieeinsparung und die Schaffung umweltschonender Technologien lösen. Sie hätten es doch zeigen können. Diesen 40 Millionen DM für Eureka stehen 20,9 Milliarden DM für die Landwirtschaft gegenüber. Das muß man sich einmal vorstellen. Obendrein sind die von Ihnen gewährten Subventionen nicht nur von ihrem Volumen her ausgeweitet worden, sondern sie sind auch in ihrer Struktur verändert und verschlechtert worden. Sie sind nämlich mehr oder weniger zu Steuervergünstigungen geworden. Diese sind schwer zu berechnen, sie sind bürokratisch, und sie werden sowohl von den Finanzämtern als auch von den Subventionsempfängern wegen des Formularaufwandes nicht sehr geschätzt. Jedes Gesetz, das die Handschrift dieser Koalition trägt, ist eine bürokratische Abnormität und Monstrosität. Allein die Berechnung der Kfz-Steuerbefreiung für die abgasarmen Autos hat in Schleswig-Holstein 60 Mitarbeiter in den Finanzbehörden für ein Jahr beschäftigt. Sie brauchten ein Jahr, um diesen Wust, den Sie Ihnen hingelegt haben, in lesbare Steuerbescheide umzusetzen. Die Bundesanstalt für Arbeit braucht fast 300 Mitarbeiter, um Ihr Kindergeldgesetz umzurechnen. ({1}) Dabei wollten Sie die Wirtschaft doch eigentlich entbürokratisieren. Sie wollten ihr helfen; Sie wollten sie freier gestalten. Wir stellen fest: Mit Ihrer Subventionspolitik legen Sie der ganzen Wirtschaft die Garotte um den Hals und wundern sich hinterher auch noch über die Atembeschwerden des Patienten. ({2}) Ein Letztes. Diese Regierung ist zwar im Versprechen Weltmeister - das hat auch gerade der Staatssekretär wieder vorgetragen -, was im nächsten Jahr alles passieren wird. Aber Versprechen allein machen noch keine gute Politik und erst recht dann nicht, wenn die Versprechen nicht eingehalten werden. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung unterrichtet uns mit Drucksache 10/3821 gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen. Diese Unterrichtung, den sogenannten Subventionsbericht, wird der Deutsche Bundestag zur weiteren Diskussion in die Fachausschüsse überweisen. In früheren Jahren stand am Ende der Debatte üblicherweise „Kenntnisnahme"; sehr viel verändert hat sich dann nicht. Im Gegenteil, der heutige Bericht macht deutlich, daß die Subventionen unterschiedlichster Art weiter im Ansteigen waren. Ich bin allerdings davon überzeugt, daß sich im Vorfeld der bereits in ziemlicher Breite begonnenen Diskussion über ein großes Steuerentlastungsprogramm in der kommenden Wahlperiode und dessen Finanzierung die Dinge dieses Mal anders entwikkeln werden. ({0}) Dr. Weng ({1}) Wir brauchen, meine Damen und Herren, im Subventionsbereich mehr Transparenz. Wir müssen uns auch über die Definition neu unterhalten. Ich habe hier, Herr Staatssekretär Voss, mit negativem Interesse gehört, daß Sie von einer unfruchtbaren Diskussion gesprochen haben. Ihr Minister hat mir in einem Anschreiben mitgeteilt, daß er die Überlegungen für erwägenswert hält. Sie selbst haben im weiteren Verlauf Ihrer Redeausführungen dann ja gesagt, man müsse beim möglichen Subventionsabbau nicht nur über die Steuervergünstigungen, die dem Subventionsbericht zu entnehmen sind, sondern auch über andere Ausnahmetatbestände sprechen. Das heißt, auch Sie wünschen sich offensichtlich mehr Transparenz, um hier neu diskutieren zu können, wenn über Abbau nachgedacht wird. Der Kollege Möller hat mit seiner Zwischenfrage zum Wohngeld allerdings deutlich gemacht, daß es auch Subventionen gibt, die politisch erwünscht sind und über deren Abbau nicht nachgedacht werden kann. Ich meine durchaus, eine bessere Definition, eine neue Strukturierung des Subventionsbegriffs ist sinnvoll und muß von uns angestrebt werden. Wenn hier vom Finanzministerium die erforderliche Eile nicht zu erwarten ist, so wird es eben Sache des Parlaments, der Parlamentarier sein, durch ständiges Drängen die Bürokratie und eben auch die politische Führung in Bewegung zu bringen. ({2}) Meine Damen und Herren, zur Subventionsproblematik möchte ich eine ganz lustige, aber kennzeichnende Geschichte erzählen. Sie ist im Thema wahrscheinlich nicht neu. Bei einem Gespräch mit den Obleuten des Haushaltsausschusses vor wenigen Wochen hat der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Langmann, erklärt, er unterstütze ausdrücklich jeden Vorschlag für einen Subventionsabbau. Unter den Herren seiner Begleitung befand sich ein Herr von der Küste, der auf die gezielte Frage nach Werfthilfe und Reederhilfe erklärte, natürlich müsse der Seeschiffahrt weiterhin geholfen werden, solange durch massive Staatshilfen für die Konkurrenz in anderen Ländern der Wettbewerb verzerrt werde. Ein anderer Herr aus der Begleitung war ein Vertreter der Elektronikindustrie. Auf die Frage nach dem Abbau von Subventionen im Bereich der Forschungsförderung zeigte er - ich füge hinzu: menschlich verständlich - große Reserve. Wir haben bei diesem Stand des Gesprächs die Diskussion über Subventionen lieber beendet und die Unterhaltung fortgesetzt. ({3}) Dieser Vorfall zeigt, wo das zweite Problem neben der Definition liegt: Die bösen Subventionen sind die, die die anderen bekommen, die eigenen sind gut und nützlich. Was wir deshalb in Angriff nehmen müssen - dies auch im Zusammenhang mit dem Subventionsbericht - ist sowohl eine verbesserte Kontrolle - hier müssen wir auch an uns selbst appellieren, die wir als Parlament eine Vielzahl von Subventionen beschließen und weiterlaufen lassen, zum Teil nahezu unbemerkt - als auch die Forderung an die Bürokratie, verbesserte Transparenz zu schaffen. Wir können ja nicht von Anpassungshilfen reden, wenn diese Anpassung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag geht. Wir können nicht unendliche Erhaltungshilfe leisten und damit den Markt und den Wettbewerb verzerren. Bei Produktivitätshilfen kann es sich eigentlich auch nur um die Unterstützung für einen überschaubaren Zeitraum handeln. Soviel zu der Abteilung Zuwendungen, die nur einen Teil der Subventionen ausmachen. Bei den Steuervergünstigungen, die den Bund zwar nur zum Teil treffen, aber von ihm weitgehend verursacht werden, muß der Katalog komplettiert und dann in gleicher Weise wie bei den Zuwendungen abgeklopft werden. Es nützt doch niemanden, wenn der Versuch der Verschleierung gemacht wird und Dinge, die eindeutig Subventionen sind, z. B. die hier auch schon genannte Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft, nicht als solche aufgeführt werden. ({4}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein klares Wort zur Landwirtschaft sagen. Meine Damen und Herren, aus vielen Töpfen, von vielen Seiten, schwerpunktmäßig auch aus der Europäischen Gemeinschaft, wird die Landwirtschaft unterstützt. Die Kollegin Simonis hat hier von 21 verschiedenen Subventionstatbeständen gesprochen. Wir bekennen uns im Grundsatz zu dieser Unterstützung, und unser Ziel bleibt, in einem total reglementierten Markt für landwirtschaftliche Produkte dem bäuerlichen Familienbetrieb eine ausreichende Existenz zu sichern. Aber genau dafür ist Transparenz erforderlich; denn nur durch Transparenz wird es möglich, Maßnahmen gezielt anzusetzen. Sonst laufen Zuschüsse, wie wohl zu Zeiten aller Regierungen geschehen, in die landwirtschaftlichen Fabrikationsbetriebe, und der bäuerliche Familienbetrieb schaut in die Röhre. Lassen Sie mich auch einen Sachverhalt erwähnen, den ich als Ärgernis bezeichne, der mit der Deutschen Lufthansa zusammenhängt. Hier geht es übrigens nach meiner Überzeugung auch um eine Subvention, die natürlich in keinem Bericht steht, aber in der vergangenen Woche in der Presse gestanden hat. ({5}) Es geht um folgende Situation, die vor dem Hintergrund der unsinnigen tariflichen Auseinandersetzung bei diesem staatseigenen Betrieb zusätzlich delikat erscheint: Die Bundesrepublik als Eigentümer gibt der Lufthansa aus Steuermitteln ein überaus zinsgünstiges langfristiges und offensichtlich unkündbares Darlehen, nach dem sich jeder Bürger, der zur Bank gehen und sich dort Geld leihen muß, seine Finger lecken würde. Ich will hier nicht darüber diskutieren, ob ein solcher Vertrag recht13094 Dr. Weng ({6}) lieh haltbar ist. Dies müssen und werden wir an anderer Stelle klären. ({7}) Aber wenn die Lufthansa gleichzeitig große Summen flüssiger Mittel als Termingelder auf Dollarbasis in den USA anlegen kann, dann stellt sich doch die Frage, ob der hieraus gezogene Gewinn zur Disposition einiger Mitarbeiter stehen kann. Ich meine, die Bundesregierung ist aufgefordert, alles Erforderliche zu tun, um den Darlehensvertrag und damit diese Subventionierung eines derzeit überaus ertragreichen Staatsunternehmens zu beenden. Meine Damen und Herren, die kurze Debatte kann nur einen kleinen Beitrag zur Diskussion über Subventionen leisten. Das Thema ist eine „Endlose Geschichte". Wir werden den Bericht noch eingehend in den Ausschüssen beraten, und meine Fraktion wird dann die Sisyphusarbeit des Subventionsabbaus erneut in Angriff nehmen. Die Steuerpläne der Koalitionsparteien werden hierfür eine gute Arbeitsbasis sein. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel ({0}).

Axel Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002376, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man normalerweise Debatten hier in diesem Hause verfolgt, wenn es um Unternehmer geht, dann hat man immer den Eindruck, wenn die Regierungsfraktion spricht, die Unternehmer seien die vorwärtstreibenden dynamischen Kräfte, denen bloß die Steuern noch zu hoch seien. Die Steuern müßten deswegen ein bißchen gesenkt werden, damit sie noch höhere Gewinne anstreben. Es sind eigentlich rechte Dynamiker. Wenn man dann diesen Subventionsbericht anguckt, bekommt man eigentlich einen ganz anderen Eindruck von Unternehmern. Dann hat man den Eindruck: Das sind hasenfüßige Feiglinge, die auf ihrem Stuhl sitzen, und man muß ihnen das Geld direkt vor die Füße knallen, damit sie sich überhaupt dazu bewegen können, es aufzunehmen. Vielleicht muß man es ihnen sogar in den vergoldeten Hintern stecken. Das kommt dann beispielsweise in der Anlage 1 Ziffer 57 zum Ausdruck: „Förderung technologieorientierter Unternehmensgründungen". Da sind diese jungen Dynamiker angesprochen. Und was kriegen sie? Sie bekommen „bis zu 75 %ige Zuwendungen zur Finanzierung der Entwicklungskosten der Gründungsvorhaben" und „bis zu 80 %ige Risikobeteiligungen für Bankkredite ...". Fürwahr, das ist dynamisch, das ist risikofreudig! Weiterhin gibt es indirekt spezifische Maßnahmen im Programm Fertigungstechnik. Was ist hier der Fall? Förderung betrieblicher Anwendung von rechnerunterstützten Systemen zur Konstruktion und zur Steuerung des Fertigungsablaufes mit bis zu 400 000 DM pro Unternehmen, Förderung des Einsatzes von Industrierobotern mit bis zu 800 000 DM pro Unternehmen. Hier wird also praktisch die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen subventioniert. Das sind für uns fürwahr keine vorbildlichen Subventionen. ({0}) Schauen wir einmal weiter. Da finden wir beispielsweise den Bereich „Förderung der Luftfahrttechnik" sehr interessant. Normalerweise hat man den Eindruck, daß die Firma Airbus einen Riesengewinn macht, daß das eine tolle Sache ist. Franz Josef Strauß ist ja auch Aufsichtsratsvorsitzender. Wenn man den Bericht liest, stellt man fest, daß sich der Airbus wohl nicht so gut verkauft. Es wird nämlich eine Absatzförderung gewährt. Jeder Airbus wird vom Steuerzahler bezuschußt. Aus dem Bericht geht hervor, daß seit Aufnahme der Förderung des zivilen Flugzeugbaus im Jahre 1963 bis Ende 1984, 4,2 Milliarden DM gezahlt wurden, davon 1,171 Milliarden DM Vermarktungs- und Stützungshilfen für den Airbus. Im Bericht steht darüber hinaus, daß die Bundesförderung eine Starthilfe sein soll. Sie wird aber schon seit 1963 gewährt - hervorragend! Im Bericht ist zu lesen: Deshalb verfolgt die Bundesregierung auch beim Airbus das Ziel, das Programm immer mehr in die Verantwortung der Industrie zu überführen. Die Zahlen hierzu lauten anders: 1983 waren es 242 Millionen DM, 1984 309 Millionen DM, und 1986 sollen es 670 Millionen DM sein - hervorragend! Ein weiteres Beispiel: DEMINEX. Sie kennen den Slogan von Esso „Packen wir's an!". Ich wußte gar nicht, daß der deutsche Steuerzahler mit 75% beteiligt ist. Im Bericht heißt es: Mit den vom Bund geförderten Explorationsaktivitäten konnte DEMINEX - ein Zusammenschluß der bundesdeutschen Mineralölgesellschaften inzwischen ein erhebliches Reservepotential in der britischen Nordsee, Ägypten, Syrien und Argentinien erschließen. Die gegenwärtige jährliche Ölförderung liegt bereits über 3 Mio. t. Die bisher gezahlten Gelder belaufen sich auf insgesamt 1 886 Millionen DM. Das darf man ergänzen. In der Tat: Wir packen's an! Natürlich wird kein Wort über Arbeitsplätze verloren. Das ist schade, wie ich sagen muß; denn manche Subventionen schaffen keine Arbeitsplätze. Vielleicht werden in Berlin durch die Zigarettenindustrie Arbeitsplätze geschaffen, aber gleichzeitig werden in Bayreuth die Arbeitsplätze bei den dortigen Zigarettenfirmen vernichtet. Subventionen werden bei uns teilweise gewährt, weil sich die Regierung nicht zu handeln traut. Wir haben in den letzten zwei Jahren einige Beispiele dafür erlebt. Ich erwähne nur das Katalysatorauto. Dort wird mit 750 Millionen DM Steuervergünstigung pro Jahr zugeschlagen. Hätte man sich dafür Vogel ({1}) entschieden, den Katalysator gleich für alle verbindlich zu machen, wäre dieses Geld zu sparen gewesen. Ich erwähne weiterhin das Tankstellenprogramm. Das sind für die Jahre 1985 und 1986 jeweils 10 Millionen DM. Sie dienen dazu, daß die Tankstellen auf neue Zapfsäulen für bleifreies Benzin umrüsten können. Hier war unser Vorschlag, daß genauso wie in der Schweiz praktisch nur noch bleifreies Normalbenzin verkauft werden soll und der Verkauf von bleihaltigem Benzin entfällt. Dann hätte man sich diese Gelder auch sparen können. ({2}) Es gibt weiterhin absolut unsinnige Subventionen z. B. nach § 16 und 17 des Berlinförderungsgesetzes. Das nennt sich „Steuerermäßigung für die Hingabe von Industrie- und Wohnbaukrediten". Was heißt hier „Kredit"? Es handelt sich darum, daß etwas reichere Leute, deren Einkommen nicht unbedingt unter den Vermögensgrenzen für vermögenswirksame Leistungen liegen, dort ihr Sparbüchelchen haben und dafür mit jährlich 600 Millionen DM subventioniert werden. Vermögensbildung ohne Vermögensgrenzen - ganz toll! Die Mineralölsteuerbefreiung für den Luftverkehr macht 140 Millionen DM aus. Das hat man einmal eingeführt, als es der Lufthansa nicht so gut ging, als alles im Start begriffen war. Das sollte eigentlich abgeschafft werden. Ich möchte die in dem Bericht nachrichtlich enthaltenen Subventionen ebenfalls erwähnen. Die Subventionen für die EG werden leider nur am Rande erwähnt. Aber man sieht, daß dies Gelder sind, die auch vom Bund zugeschossen werden und die letztendlich auch beim Bund landen. 1983/84 wurden mit Milliardenaufwand 2,465. Milliarden Hektoliter Tafelwein versprittet. Das ist die gleiche Menge in Hektolitern wie bei einer durchschnittlichen Ernte der 50er Jahre. Das ist eine eindeutige Verschwendung von Steuergeldern. Ich möchte ein letztes Beispiel anführen, bei dem vielleicht gar keiner daran denkt, daß es sich um Subventionen handeln könnte. Das betrifft den Straßenverkehr. Laut einer DIW-Studie von 1981 stehen Wegeeinnahmen in Höhe von 26 Milliarden DM Kosten für den Straßenverkehr in Höhe von 42,6 Milliarden DM gegenüber. Der Kostendekkungsgrad beim inländischen Güterverkehr beträgt lediglich 45,8 %. Das heißt also praktisch, für 2 DM, die ausgegeben werden, wird praktisch nur 1 DM vom Güterverkehr eingenommen. Das ist in der Tat auch eine Subvention, die nicht gerechtfertigt ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Axel Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002376, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deswegen bin ich auch schon am Ende. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ein Glück, daß Sie so undeutlich sprechen, daß man nicht alles ganz genau versteht; sonst hätte ich vorher schon einmal interveniert. ({0}) -- Das werden Sie mir j a wohl gestatten; denn unter dem Gesichtspunkt des parlamentarischen Brauches könnte man die Ausdrucksweise, die der Kollege eben gewählt hat, durchaus rügen. Es gibt Ausdrücke, deren Verwendung bisher in diesem Hause nicht üblich war. ({1}) Vielleicht gewöhnen Sie sich allmählich auch an den parlamentarischen Stil, Herr Kollege. Das wäre sehr schön. ({2}) Das Wort hat der Abgeordnete Roth.

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob das, was mein Vorredner geboten hat, besonders glaubwürdig gewesen ist; denn er ist j a der politische Repräsentant der am alternativen Subventionstropf hängenden grünen Selbstverwaltungsbetriebe, bei denen Eigenkapital durch Staatsknete ersetzt wird. ({0}) Insofern ist das vielleicht ein Ansatz, der koalitionsstiftende Qualität wie in Hessen hat, aber sicher ist das kein Beitrag zum generellen Abbau von Subventionen. Bei einer Debatte über Subventionen erwartet niemand einen parlamentarischen Leckerbissen. Ich möchte von dieser Prädikatisierung durchaus die Rede meiner charmanten Ausschußkollegin Heide Simonis ausnehmen, die zumindest in unnachahmlich interessanter Form vorgetragen hat. ({1}) Es gibt aber -- das sollten wir uns gegenseitig wohl eingestehen - kaum ein Thema in der Politik, bei dem die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit so groß ist wie bei dem ehrgeizigen Ziel, die staatlichen Finanzhilfen und Steuervergünstigungen zu beseitigen. Ich halte es für ein Gebot der politischen Seriosität, das auch in einer solchen Debatte auszusprechen. Es ist bei vielen angeklungen; das gilt für alle Seiten dieses Hauses. Auch die neue Bundesregierung hat in Sachen Subventionsabbau einen eher ernüchternden Erfahrungsschatz angesammelt. Er reicht bis in die jüngsten Tage der Haushaltsberatungen für 1986, wo wir ja bekanntlich gezwungen waren, als Folge des Dollarkursabschlags den Ansatz für die Kokskohlenbeihilfe um satte 700 Millionen DM aufzustocken. Das war ein zwar unangenehmer, aber auch unabwendbarer Schritt, dem sich dankens13096 Roth ({2}) werterweise auch die Opposition nicht versagen konnte. Dennoch ist das Ergebnis nicht so negativ, wie es teilweise dargestellt wird; denn unter dem Strich bleibt immerhin eine Gesamteinsparung für 1986, die mit 434 Millionen DM oder 3% zu veranschlagen ist. Auch die Pläne für den Rest der mittelfristigen Finanzplanung, für den Rest dieses Jahrzehnts sehen weitere kontinuierliche Absenkungen vor. Im übrigen wissen wir alle, daß sich die Optik durch die in diesem Jahr von den Ländern im Zuge der Finanzentflechtung übernommenen Subventionsverpflichtungen - ich erinnere nur an die Wohnungsbauprämie - verschlechtert hat, was im Ergebnis zwar keine qualitative Veränderung ist, aber dieser Bundesregierung auch nicht beckmesserhaft angekreidet werden kann. Bei genauer Betrachtung der Dinge besteht jedenfalls kein Anlaß zu oppositionellen Überzeichnungen. Das finanzpolitische Zielquadrat dieser Bundesregierung wird durch die Eckpfeiler Geldwertstabilität, niedrige Zinsen, Rückgang der Staatsquote und Absenkung der Steuerbelastungen markiert. Das alles zusammen ermöglicht die wirtschaftliche Gesundung und den Beschäftigungszuwachs. Der Subventionsabbau muß sich als zusätzliche Zielgröße in diesen Rahmen einfügen. Immerhin können wir feststellen, daß wir in drei Haushaltsjahren das Fundament einer neuen Verläßlichkeit erarbeitet haben. Diese neue Verläßlichkeit bietet auch die Voraussetzungen für weitere ordnungspolitische Schritte zur marktwirtschaftlichen Erneuerung. In der Phase des Neubeginns nach dem Zusammenbruch der alten Finanzpolitik standen einem rigorosen Kurswechsel im Subventionsbereich mancherlei Hindernisse im Wege. Das beginnt schon damit, daß der größere Teil des Subventionskuchens - im Jahre 1986 sind es immerhin 53,4% - als Leistungen in die privaten Haushalte geht, während auf den Bereich der gewerblichen Wirtschaft nur 35% und auf den der Landwirtschaft lediglich 10% entfallen. Meine Damen und Herren, solche Zahlen prägen heutzutage keineswegs das öffentliche Meinungsbild, wenn es zum Schlagabtausch über Subventionssünden kommt. Der vermeintliche Totalkonsens in Sachen Subventionsabbau ist nur zu oft an den Grenzen persönlicher Betroffenheit und natürlich auch am Besitzstandsdenken einzelner Branchen, Gruppen oder auch Regionen gescheitert. Es muß hier angesprochen werden - auch Vorredner sind darauf eingegangen -, daß die Subventionsberichterstattung des Bundes entsprechend den Vorschriften des Stabilitäts- und WachstumsGesetzes zu erfolgen hat und daß man sicher in Teilbereichen trefflich darüber streiten kann, ob die inzwischen eingspielte Praxis der Abgrenzung des Subventionsbegriffs jeglicher Kritik standhält. Dies mag und wird umstritten bleiben; ich möchte es hier einmal beiseite lassen. Entscheidend bleibt der aus grundsätzlichen Überlegungen abgeleitete Handlungsauftrag der Bundesregierung und der Koalition, und dieser Handlungsauftrag muß in den nächsten Jahren zu meßbaren Ergebnissen führen. Daran geht kein Weg vorbei. Wir anerkennen durchaus, daß das Subventionsvolumen trotz der strukturpolitischen Herausforderungen, denen wir uns nach 1982 gegenübergestellt sahen, und trotz der belastenden Rezessionsfolgen einstweilen eingegrenzt werden konnte. Mit einem Anteil von 1,7 % des Bruttosozialprodukts sind die Bundessubventionen relativ konstant geblieben. Der Anstieg liegt zur Zeit mit einem bereinigten Wert von 3,5 % unterhalb der gesamtwirtschaftlichen Zuwachsrate. Damit allein, meine Damen und Herren, kann und wird sich die Koalition bei aller gebotenen Vorsicht im Umgang mit politischen Absichtserklärungen nicht abfinden. Wir fordern deshalb den Bundesfinanzminister auf, den Zusammenhang zwischen Subventionshöhe und allgemeinen Belastungen der Bürger herauszuarbeiten und hieraus Konsequenzen in der Steuerreformpolitik zu ziehen. ({3}) So, wie die entschlossene Begrenzung der Ausgabendynamik beim Bundeshaushalt eine wirksame Waffe gegen weitere Suventionsbegehrlichkeiten ist, wird auch der Wunsch nach einer wirklich umfassenden Steuerreform und Tarifabsenkung in der kommenden Wahlperiode einen Zwang zum Abbau steuerlicher Vergünstigungen und direkter Finanzhilfen auslösen können; denn Subventionen sind auch die Kehrseite zu hoher Steuern. Wir haben uns deshalb zu dem politischen Grundsatz bekannt, lieber niedrige Steuersätze mit wenigen Ausnahmen als hohe Steuersätze mit vielen Vergünstigungen. ({4}) Die entsprechenden Aussagen im Zehnten Subventionsbericht lassen hoffen und werden von uns ausdrücklich gutgeheißen. Natürlich dürfen nicht alle Subventionen über einen Kamm geschoren werden. Das gilt, betrachtet man etwa die Erhöhung des Wohngeldes oder unsere Verpflichtungen für Berlin und für das Zonenrandgebiet, für viele Einzelbereiche, die sich einem generellen Zugriff entziehen. Deshalb können wir die Bundesregierung nur bestärken, wenn sie auf einer ebenso differenzierten wie möglichst konkreten Diskussion über den Subventionsabbau besteht. Sie handelt auch absolut richtig, wenn sie bei der Gewährung und regelmäßigen Überprüfung einzelner Subventionen auf eine zeitliche Befristung und degressive Ausgestaltung abzielt. Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort an die Adresse der SPD sagen. Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr programmatischer und politischer Beitrag zum Subventionsabbau ist bisher keineswegs so eindrucksvoll ausgefallen, daß er Ihrer Kritik an der Regierungspolitik besondere Glaubhaftigkeit verliehe. Ihr wirtschaftspolitischer Roth ({5}) Sprecher Wolfgang Roth hat erst kürzlich in einem Buchbeitrag deutlich gemacht, ({6}) wichtiger als die abstrakte Diskussion über Subventionskriterien sei doch die Frage, in welcher Weise man wirtschaftspolitisch eingreife. Sein Ruf nach einer drastischen Investitionsförderung enthält, wenn ich ihn richtig verstehe, geradezu die Aufmunterung zu einer umfassenden Investitionslenkung über den Weg steuerlicher Begünstigungen wie auch Bestrafungen. Sie wollen großflächig zu Investitionen in staatlich festgelegten Zielbereichen durch verbilligte Kredite und durch verlorene Zuschüsse anreizen, und Sie nennen das einen ideellen Rückgriff auf die Wiederaufbaufinanzierung. Hinter allem aber steht nichts anderes als die Finanzierung eines bürokratischen Subventionstopfes durch zusätzliche Steuern und Zwangsabgaben. Das ist genau das Gegenteil von dem, was diese Regierungskoalition anstrebt. Wenn sich die marktwirtschaftlichen Kräfte entfalten sollen, muß die kaum noch überschaubare Vielfalt wirtschaftslenkender steuerlicher Sonderregelungen abgebaut werden: also nicht Schaffung neuer Steuervergünstigungen, sondern deren Abbau, damit die allgemeine steuerliche Belastung endlich zurückgenommen werden kann. Letzter Satz. Das in der mittelfristigen Finanzplanung abgesteckte Regierungsziel, bis 1989 die Subventionen im Bundeshaushalt um ein volles Viertel abzubauen, ist ehrgeizig und wird viel Stehvermögen verlangen. Niemand von uns sollte der Regierung dabei Steine in den Weg legen. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Roth - um mit Ihnen zu beginnen -: Sie haben eine Hoffnung ausgedrückt, von der wir Sozialdemokraten annehmen, daß sie sich niemals verwirklichen lassen wird. Die Erfahrung zeigt das Gegenteil. Damit komme ich dann zu Ihren Ausführungen, Herr Voss: Der Subventionsbericht ist ein weiterer Ausdruck finanzpolitischer Hilflosigkeit dieser Bundesregierung und ihres Finanzministers. Subventionen wurden nicht abgebaut, sondern erhöht. Die Versprechungen des Bundeskanzlers und des Finanzministers wurden nicht eingelöst. Das Gerede vom Subventionsabbau wird durch den eigenen Bericht der Bundesregierung als das entlarvt, was es ist: Unverbindliches Geschwätz. ({0}) Da konnte dann auch der Trick nicht mehr helfen, den Sie, Herr Voss, auch eben wieder probiert haben und den sich die Verfasser ausgedacht hatten, um einiges zu verschleiern, nämlich das Verstecken der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft. Dabei geht es immerhin um eine Größenordnung von 1,6 Milliarden DM für 1985. Die Tatsachen widerlegen alle Ankündigungen vom Subventionsabbau: 33,6 Milliarden DM, wenn die Vorsteuerpauschale miteinbezogen wird, beträgt das Gesamtvolumen der Subventionen. Das heißt, daß von 1983 bis 1985 die Finanzhilfen und Steuervergünstigungen laut Ihren eigenen Berichten um 5,4 Millarden DM gestiegen sind. Die markigen Worte vom Bundeskanzler in der Regierungserklärung und auch von Finanzminister Stoltenberg mit seiner berühmten, berüchtigten, acht Punkte umfassenden Streichliste sind reine Makulatur. Sie hätten sich - da komme ich dann zu Ihnen, Herr Roth, weil Sie die Vorstellungen der SPD vermißt haben - ein Beispiel an der SPD-geführten Bundesregierung nehmen sollen, die im Ersten Subventionsabbaugesetz und im Zweiten Haushaltsstrukturgesetz insgesamt immerhin 8 Milliarden DM Subventionen abgebaut hat. Aber dazu fehlte Ihnen der Mut. Ich weiß aus den Diskussionen in meiner eigenen Fraktion, wie schwierig es war, diese Operation im Ersten Subventionsabbaugesetz durchzusetzen. Aber wir haben den Mut dazu gehabt. Sie haben nicht den Mut dazu. Das unterscheidet uns von Ihnen. Herr Voss, Sie haben auch von der Rasenmähermethode gesprochen, die Sie auch nicht mehr für richtig halten. ({1}) - Dann seien Sie aber so ehrlich und sagen: Wir, die CDU/CSU-Opposition, vertreten durch den damaligen Oppositionsführer Helmut Kohl, der immer von der Rasenmäherkürzung gesprochen hat - mal 5 %, mal 10 % - und der uns die Schweiz als Vorbild vorgeführt hat, haben uns damals geirrt. Seien Sie doch so ehrlich und sagen: Das war falsch, was wir damals gesagt haben. Es steht einem Politiker ganz gut zu Gesicht, wenn er das einmal bekennt, wenn er einen Fehler gemacht hat. ({2}) Wir waren damals so klug wie Sie heute. Es ist aber schon zynisch, wenn Sie uns das ({3}) - zu Ihnen komme ich noch, Herr Weng, ganz ruhig! -, was Sie heute gemacht haben, damals mit lautem Getöse vorgeworfen haben. In das Kapitel gehört z. B. auch folgendes: Sie haben in den letzten drei Jahren insgesamt 35,3 Milliarden DM Bundesbankgewinne eingesackt und damit im Haushalt, jedenfalls was die Nettokreditaufnahme angeht, ganz gut ausgesehen. Als wir damals die Bundesbankgewinne in viel geringerem Umfang eingesetzt haben, haben Sie uns die mächtigsten und lautesten Vorwürfe gemacht. Sie hatten damals, auch was den Subventionsabbau angeht, Unrecht, und Sie sollten sich heute dazu bekennen. Jetzt komme ich zu dem Kollegen von der FDP. ({4}) - Ja, das ist auch nötig. Sie müssen Ihr Fett kriegen und die Kollegen von der FDP auch. Geradezu erschreckend ist es aber - der Kollege Weng hat das angedeutet, und Herr Bangemann hat es häufig verkündet; Sie können sich jetzt beruhigt zurücklehnen, Herr Voss, Sie sind nicht angesprochen, denn mit der FDP haben Sie in diesem Punkt nichts zu tun -, wenn Sie den Abbau von Subventionen als Finanzierungsinstrument für gigantische Steuersenkungen in der nächsten Legislaturperiode in Höhe von 35 bis 40 Milliarden DM anbieten. ({5}) Das wirkt geradezu lächerlich. Das wirkt so, als wenn der Boris Becker gegen den McEnroe mit dem Tischtennisschläger spielen soll. Der macht da keinen Punkt. Und Sie machen mit diesen Finanzierungsvorstellungen auch keinen Punkt. ({6}) Ich will Ihnen mal zitieren, was heute in der „Zeit" zu diesem Thema steht. Ich nehme an, Sie haben es gelesen. ({7}) - Eine gute Zeitung. - Ich zitiere: „Illusionen vor der Wahl". Das sollte Herr Bangemann auch mal lesen. Hier wird dargestellt, daß Sie - Sie haben es angedeutet - Subventionsabbau in der Größenordnung von 25 Milliarden DM zur Finanzierung einer Steuersenkung benutzen wollen und da schreibt der Journalist, der Klaus-Peter Schmid, sinngemäß dazu: Vor allem das von der FDP strapazierte Argument, man brauche nur bei den Subventionen einzusparen, um Steuerausfälle zu kompensieren, wird das gesteckte Ziel nicht erreichen. Da sollte man auch so ehrlich sein und das sagen. Aber das ist ja die Zielrichtung: Vor der Wahl erzählen Sie etwas von Steuersenkungen. Sie wollen Steuern in der Größenordnung von 35 bis 40 Milliarden DM senken. ({8}) - Nein, das können Sie gar nicht. Die Leute sind ja schlauer, als Sie denken. Sie fragen: Wie wollt Ihr das denn bezahlen? Dann kommt das Stichwort Subventionsabbau. Aber die ganze Erfahrung zeigt doch, daß man mit Subventionsabbau keine einzige Steuerreform finanzieren kann. Sie haben das doch bitter am eigenen Leib erfahren müssen, daß die Subventionen gestiegen und nicht gesunken sind. Und damit wollen Sie 35 bis 40 Milliarden DM Steuersenkungen finanzieren? Absolut unmöglich, abstrus! Das ist eine Wundertüte: außen bunt, innen leer. Weiter nichts. ({9}) - Ja, aber wir haben niemals gesagt, wir machen das über Subventionsabbau, Herr Kollege Voss. Wir haben eine 16 Milliarden-Steuerreform gemacht. Sie ist uns dann allerdings auch bitter bekommen. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß Subventionen in vielen Fällen sinnvoll und erforderlich sind. ({10}) - Sie haben nur die Subventionen aus dem Subventionsbericht vorgelesen. Das kann ich natürlich auch machen, aber das bringt j a nicht viel weiter. Das darf uns aber nicht daran hindern, jede Subvention, die früher einmal sinnvoll gewesen ist, auf ihre heutige Notwendigkeit hin zu prüfen - gerade wegen ihrer großen finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Diese Aufgabe haben Sie in den vergangenen drei Jahren nicht gelöst, Herr Voss. Aber wir bieten Ihnen unsere Hilfe auch bei der Uberprüfung der Subventionsstrukturen an. Sie haben vorhin festgestellt - und ich stimme dieser Feststellung ausdrücklich zu -, daß es eine Verlagerung zugunsten der Steuersubventionen und zu Lasten der Finanzhilfen gegeben hat. Das ist eine gute Entwicklung, die auch wir nicht mittragen wollen. Wir bieten unsere Mitarbeit an, Subventionen auf ein vertretbares Minimum zu senken und sie dann nicht in der Form von Steuervergünstigungen, sondern in der Form von Finanzhilfen zu geben. Sie sind dann kalkulierbar, kontrollierbar, auch vor allen Dingen im Haushaltsausschuß in den Parlamenten. Wir können dann jedes Jahr bei der Haushaltsplanberatung feststellen: Sind sie noch sinnvoll oder sind sie nicht mehr sinnvoll? ({11}) Ich stimme ausdrücklich denjenigen zu, die den Steuervergünstigungssubventionen langsam aber sicher den Hahn abdrehen wollen. Dem stimmen wir ausdrücklich zu. Die Steigerung von steuerlichen Sonderregelungen erfordert eine hohe Tarifbelastung - das ist die Erfahrung, die wir aus dem Subventionsbericht ziehen müssen -, die wiederum durch eine Fülle von Ausnahmen gemildert wird. Sie haben zu Recht, Herr Roth, auch darauf hingewiesen. Unser Steuersystem ist unübersichtlich, für die Bürger undurchschaubar ({12}) und mutet in weiten Bereichen willkürlich an. Subventionswirkungen heben sich teilweise auf; teilweise kumulieren sie sogar. Mit Steuergerechtigkeit überhaupt nicht mehr vereinbar ist, daß die wirkliche Inanspruchnahme steuerlicher VergünstiDr. Struck gungen in unserem, Herr Kollege Mann, Steuersubventionsdschungel nur mit Hilfe versierter Steuerberater oder ganzer Steuerabteilungen möglich ist. Es gilt, alle Möglichkeiten der Subventionskontrolle - das betrifft: Begrenzung, Befristung, degressive Staffelung - mit dem Ziel eines Subventionsabbaus auf ein unumgängliches Minimum auszuschöpfen. Soweit steuerliche Subventionen unverzichtbar sind, sollten sie - und darüber müßten wir auch noch reden, Herr Kollege Voss - in Form eines progressionsunabhängigen, für alle gleichen Abzugs von der Steuerschuld gegeben werden. ({13}) - Ich kann mir vorstellen, daß unsere Vorstellungen zu diesem Punkt unterschiedlich sind; aber wir werden darüber sicherlich diskutieren müssen. Nur auf diesem Wege können Subventionen wieder zu dem werden, was sie sein sollen: Hilfen des Staates in unumgänglich notwendigen Fällen. Wir bieten unsere Mithilfe an, sind allerdings skeptisch angesichts der Erfahrungen, die wir in Ihrer jetzigen Regierungszeit gemacht haben. ({14}) - Ja, gut.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 10/3821 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 9 b - Punkt 9 a ist abgesetzt -: Beratung des Antrags des Abgeordneten Vogel ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Rücknahme der steuerlichen Benachteiligung ausländischer Arbeitnehmer durch das Steuersenkungsgesetz 1986/1988 - Drucksache 10/4137 Interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Vogel ({1}).

Axel Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002376, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne! ({0}) Ein großer Teil der ausländischen Arbeitnehmer wird bei der ersten Lohnauszahlung im nächsten Jahr den eigenen Augen nicht trauen. Da hat es ein Steuersenkungsgesetz gegeben - ich betone: Steuersenkungsgesetz -, und trotzdem werden sie ab Januar 1986 wesentlich mehr Steuern zahlen als bisher. Der Nettolohn wird nämlich für alle diejenigen, deren Kinder im Ausland leben, wesentlich geringer ausfallen als bisher. Für 375 000 im Ausland lebende Kinder ausländischer Arbeitnehmer werden ab Januar keine Kinderfreibeträge und keine Ausbildungsfreibeträge mehr gewährt. Für verheiratete Arbeitnehmer, deren Ehegatten mit den Kindern im Ausland leben, entfällt zusätzlich der Haushaltsfreibetrag. Das ist die Folge einer Änderung im Einkommensteuergesetz, nach der ein Kind nur noch dann für den Kinderfreibetrag anerkannt wird, wenn es selbst unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind lediglich solche Kinder, die hier ihren Wohnsitz oder ihren dauernden Aufenthalt haben. Aus welchem Grund die Kinder der ausländischen Arbeitnehmer im Ausland leben, ist dabei völlig egal und damit auch, ob die Betroffenen überhaupt eine Chance haben, diese Sachlage zu ändern. Ich erinnere daran, daß bei uns für ausländische Kinder über 16 Jahre generell eine Zuzugsbeschränkung gilt. Es gibt Ausnahmen lediglich im Land Hessen und im Land Bremen. Ansonsten dürfen Kinder ausländischer Arbeitnehmer von über 16 Jahren nicht in die Bundesrepublik einreisen. Aber auch Kleinkinder können oft nicht bei ihrem hier arbeitenden Elternteil leben, weil für Ausländer, die weniger als acht Jahre in der Bundesrepublik leben, auch eine Zuzugsbeschränkung für die Ehegatten besteht. Sie beträgt übrigens in Bayern drei Jahre. Sie müssen also erst drei Jahre verheiratet sein, und dann hat der ausländische Arbeitnehmer das Recht, seinen Ehepartner in die Bundesrepublik Deutschland zu holen. Ich darf daran erinnern: Nach drei Jahren wird bei uns eine Ehe nach dem Zerrüttungsprinzip geschieden, wenn die Eheleute nicht ständig zusammenleben. Hier wird die Steuergesetzgebung also wirklich zynisch. Meine Damen und Herren, es gibt im Einkommensteuergesetz eine Bestimmung, wonach für Ehegatten und für Kinder, die im Ostblock leben und denen aus politischen Gründen die Ausreise verweigert wird, aus Billigkeitsgründen das Ehegattensplitting und die Kinderfreibeträge gewährt werden. Hier in diesem Lande wird aus politischen Gründen Familienangehörigen die Einreise verweigert. Dafür werden die ohnehin hart Betroffenen auch noch mit dem Steuerrecht zusätzlich bestraft. Der Bundesfinanzminister argumentiert nun, daß es sich hier nicht um eine Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer handelt - selbstverständlich nicht -, weil auch Deutsche, deren Kinder im Ausland leben, von dieser Änderung betroffen sind. Er konnte allerdings nicht angeben, wie viele Deutsche davon betroffen sind - weil diese Zahl verschwindend gering sein wird, nehme ich einmal an. Es bleibt schlichtweg Fakt, daß diese Änderung im wesentlichen Ausländer betrifft und damit eben doch eine Diskriminierung darstellt. Wie Bürger von Drittstaaten sind dabei auch die Bürger anderer EG-Länder betroffen. Für über 60 000 Kinder, die in EG-Staaten leben und deren Vogel ({1}) Eltern hier in der Bundesrepublik arbeiten und steuerpflichtig sind, wird zukünftig kein Kinderfreibetrag mehr gewährt. Wir sehen darin einen Verstoß gegen die Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom Oktober 1968. Darin heißt es, daß einem Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines der Mitgliedstaaten ist, die gleichen sozialen und steuerrechtlichen Vergünstigungen wie inländischen Arbeitnehmern zu gewähren sind. Auf der faktischen Ebene ist dies jetzt aber auch nicht mehr der Fall. Deshalb wird sich das Europäische Parlament noch in diesem Jahr mit der Ungleichbehandlung von im Inland und im Ausland lebenden Kindern befassen. Die Regenbogenfraktion, also unsere grüne Vertretung dort im Europäischen Parlament, wird einen entsprechenden Antrag einbringen. ({2}) Meine Damen und Herren, ob diese Diskriminierung der Hauptzweck der Maßnahme im Steuersenkungsgesetz war oder ob im Vordergrund stand, den Bundeshaushalt zu sanieren, ohne befürchten zu müssen, daß dadurch eine Wählerstimme verlorengeht, darüber will ich nicht spekulieren. Jedenfalls dürfen die 220 Millionen DM, die weniger an Steuern eingenommen würden, wenn im Ausland und im Inland lebende Kinder weiterhin gleich behandelt würden, keine Rolle spielen. Wir sollten nicht denen, die die Last der Trennung von ihren Familienangehörigen zu tragen haben, auch noch höhere Steuerlasten aufbürden. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag in den Ausschüssen zuzustimmen. Ich appelliere hierbei insbesondere auch an die Vertreter der SPD, ({3}) nachdem sich z. B. der DGB-Vorsitzende Breit erst neulich in einer türkischen Zeitung - ich glaube, es war die „Hurriyet" - ausdrücklich dafür ausgesprochen hat, daß diese diskriminierenden Beschränkungen zurückgenommen werden. Danke. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Will-Feld. ({0})

Waltrud Will-Feld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002515, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, so ist es. - Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kol- lege Vogel, die ausländischen Arbeitnehmer nehmen an den Steuersenkungen, an den Tarifsenkungen teil. Insoweit muß ich Sie korrigieren. Sie haben über Wartezeiten gesprochen. Hierüber haben wir schon vor Jahren lange diskutiert. Ich glaube, hier erübrigt sich eine weitere Diskussion. Es ist richtig, Herr Kollege Vogel: Durch das Steuersenkungsgesetz wird der Kinderlastenausgleich neu geordnet. Der erhöhte Kinderfreibetrag von 2 484 DM wird nur noch für unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Kinder, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland haben, gewährt. ({0}) Das deutsche Steuerrecht bindet die Steuerpflicht - das ist ein Grundsatz des deutschen Steuerrechts - an den Wohnsitz und leitet daraus beschränkte und unbeschränkte Steuerpflicht ab. Das ist auch ganz vernünftig so. Diese unterschiedliche Behandlung ist deshalb auch erforderlich - im übrigen ist die beschränkte und unbeschränkte Steuerpflicht bereits seit den 20er Jahren im deutschen Ertragsteuerrecht verankert -, weil die Bundesrepublik in anderen Staaten keine Möglichkeiten der Überprüfung von steuerrechtlich relevanten Sachverhalten hat. Es ist daher unrichtig, Herr Kollege, daß es sich bei der Neuregelung um eine Diskriminierung von Ausländern handelt. Die Beschränkung gilt unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Im übrigen gelten die gleichen Regelungen für die sogenannten Grenzgänger. Ich komme aus einem solchen Grenzwahlkreis an der Westgrenze der Bundesrepublik nach den Niederlanden, nach Belgien, nach Luxemburg und Frankreich. ({1}) Ich will an dieser Stelle nicht alle Argumente wiederholen, die auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN zur steuerlichen Mehrbelastung ausländischer Arbeitnehmer auf Grund des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 schon im Oktober als Antwort von der Bundesregierung gegeben worden sind. Aber ich will auf einen anderen Sachverhalt eingehen: Die Lebenshaltungskosten für Kinder im Ausland sind vielfach niedriger als im Inland. Unterschiedliche Kinderfreibeträge sind aber wegen zusätzlicher Verkomplizierung insbesondere im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht vertretbar. Es ist also nicht so, als blieben die im Ausland lebenden Kinder gänzlich unberücksichtigt. Das wissen Sie ja sehr wohl. An Stelle des Kinderfreibetrages kommen die hier ansässigen Eltern künftig nach den Verhältnissen des Einzelfalls in den Genuß einer Steuerermäßigung wegen Unterhalts nach § 33 a EStG. Das, worauf Sie in Ihrem Antrag hinweisen, nämlich, daß die Gewährung von Ausbildungsfreibeträgen und des Haushaltsfreibetrages an die Voraussetzung geknüpft worden ist, daß der oder die Steuerpflichtige einen Kinderfreibetrag erhält, ist an sich Steuer- und rechtssystematisch geboten. Alle Aufwendungen, die dem steuerpflichtigen ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik entstehen, werden ihm genauso entlastend berücksichtigt wie jedem inländischen Arbeitnehmer, so auch die Mehraufwendungen, die ausländischen Arbeitnehmern wegen doppelter Haushaltsführung erwachsen, einschließlich der Kosten für Familienheimfahrten, die zwar nicht zum Kinderlastenausgleich gehören, mit diesem nichts zu tun haben, aber als Werbungskosten nach dem Steuerrecht absetzbar sind. Im übrigen verweise ich auf den Regierungsentwurf zum Steuersenkungsgesetz, der j a eine sehr ausführliche Begründung zur Neuordnung des Kinderlastenausgleichs auch hinsichtlich beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht enthält. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ({0}) - Kein Neid. Vielleicht sollten Sie auch noch einmal hier hintreten. Der Antrag der GRÜNEN greift ein Problem auf, Herr Kollege Vogel, das mit Sicherheit noch einer eingehenden Diskussion im Finanzausschuß bedarf. Wir stimmen Ihnen ausdrücklich zu, was die Bewertung der Auswirkung auf die ausländischen Kolleginnen und Kollegen angeht. Auch der Hinweis auf den DGB-Vorsitzenden Ernst Breit war nicht nötig, weil wir natürlich alles, was der DGB zu solch einem Thema sagt, sehr aufmerksam zur Kenntnis nehmen. Allerdings ist das, was die Kollegin Will-Feld zu diesem Thema gesagt hat, auch zu berücksichtigen. Wir müssen aufpassen, daß wir uns nicht wegen eines berechtigten Engagements für ausländische Kolleginnen und Kollegen in ein schwieriges Fahrwasser begeben, was steuersystematische und ähnliche Dinge angeht. Für die Sozialdemokraten sage ich deshalb hier, wir stehen Ihrem Antrag sehr wohlwollend gegenüber, behalten uns aber durchaus vor, im Finanzausschuß nach eingehener Prüfung der Rechtslage anders zu stimmen. Uns wäre es lieber gewesen, wenn man das Thema Steuersenkungsgesetz, wenn man es schon angeht, vielleicht ein bißchen umfassender aufgegriffen hätte. Denn wir wissen ja, daß im Steuersenkungsgesetz eine ganze Menge Dinge geregelt worden sind, die weder sozialdemokratische Vorstellungen, was gerechte Steuerpolitik angeht, noch Vorstellungen der Fraktion DIE GRÜNEN, was gerechte Steuerpolitik angeht, enthalten. Aber wir sind gern bereit, uns dieses Sonderthemas anzunehmen und es im Finanzausschuß sorgfältig zu prüfen, wobei wir Ihnen sicherlich eine faire Behandlung zusagen können. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/4137 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu Bemerkungen? - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung und der Bericht des Ausschusses zu Tagesordnungspunkt 10 konnten erst gestern verteilt werden. Ich gehe davon aus, daß von der Frist für den Beginn der Beratung gemäß § 81 Abs. 1 der Geschäftsordnung abgewichen werden soll. Einverständnis? - Kein Widerspruch. Danke schön. Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 10 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 10/3789 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 10/4225 - Berichterstatter: Abgeordnete Bernrath Regenspurger b) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/4241 -Berichterstatter: Abgeordnete Gerster ({2}) Kühbacher Frau Seiler-Albring Dr. Müller ({3}) ({4}) Hierzu liegen Änderungs- und Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und des Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4238, 10/4239 und 10/4243 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wer meldet sich als erster zu Wort? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Regenspurger.

Otto Regenspurger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Fraktion der CDU/CSU begrüße ich den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften. Zu diesem Besoldungsstrukturgesetz haben wir im Innenausschuß, wie ich meine, wesentliche Ergänzungen beschlossen. Dabei haben wir zum Teil Anregungen des Bundesrates und der Bundesregierung einbezogen und zum Teil die von den Beamtengewerkschaften auch in einer Anhörung vorgetragenen Änderungsvorschläge aufgegriffen. Natürlich oder vielleicht besser: leider konnten wir nicht alle Wünsche berücksichtigen. Unser Ziel war vor allem, die Besoldung der Beamten des einfachen Dienstes zu verbessern. Außerdem wollten wir die Situation der Beamtenfamilien mit mehreren Kindern besonders berücksichtigen. Ich erläutere einige wichtige Bestimmungen dieses Gesetzentwurfs, wie er sich jetzt darstellt. Erstens. Für alle Beamten des einfachen Dienstes wird eine Stellenzulage von 40 auf 67 DM monatlich erhöht. Zusätzlich erhöht sich in der Tarifklasse 2 der Ortszuschlag ab Stufe 4 für das zweite und jedes weitere zu berücksichtigende Kind in den Besoldungsgruppen A 1 bis A 3 um je 40 DM, in der Besoldungsgruppe A 4 um je 30 DM und in der Besoldungsgruppe A 5 um je 20 DM. Zweitens. Die bisher unterschiedlichen Kinderanteile im Ortszuschlag werden für alle Beamten vereinheitlicht, und zwar auf 111,88 DM. Drittens. Für den Justizvollzugsdienst werden gezielt zwei Verbesserungen geschaffen. a) Für 10% der Stellen des Justizwachtmeisterdienstes wird ein neues Spitzenamt der Besoldungsgruppe A 5 mit Zulage eingerichtet. Diese Zulage beträgt 75% der Differenz zwischen A 5 und A 6. Das sind zur Zeit rund 103 DM. b) Auch im Bundesbereich ist das Eingangsamt künftig der Besoldungsgruppe A 3 zugeordnet. Viertens. Die Antragsaltersgrenze wird, wie in allen Bundesländern bereits üblich, auch für den Bundesbereich wieder auf das 62. Lebensjahr herabgesetzt. Wir korrigieren hiermit eine Entscheidung der SPD-geführten Bundesregierung. Fünftens. Durch Änderungen der Reichsversicherungsordnung sind bei den relativ spät in das Beamtenverhältnis berufenen Beamten Versorgungslücken entstanden. Sie werden für den Fall der Berufsunfähigkeit dadurch ausgeglichen, daß bei der Berechnung des ruhegehaltsfähigen Dienstalters auch die Tätigkeit außerhalb des Beamtenverhältnisses berücksichtigt wird. Die Bedeutung des Ihnen vorgelegten Gesetzentwurfs liegt nicht nur darin, daß vor allem die Einkommenssituation der Beamten des einfachen Dienstes verbessert wird. Zum ersten Mal nach Jahren der Stagnation wird der erfolgreiche Versuch unternommen, die besonders in den Jahren der SPD-geführten Bundesregierung eingetretenen Verzerrungen im Besoldungsgefüge zu beseitigen, ({0}) Verzerrungen, die aus einer ständigen Geldentwertung resultierten, die vor allem die Beamten des einfachen Dienstes getroffen hat. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dieses Gesetz als unzureichend kritisieren - das haben Sie schon öfters getan -, sollten Sie nicht vergessen, warum wir heute nicht mehr und Besseres für alle Beamten vorschlagen können. Es sind - ob Sie das nun hören wollen oder nicht - die von Ihnen hinterlassenen Staatsschulden in Höhe von rund 300 Milliarden DM, die täglich rund 80 Millionen DM Zinsen kosten und uns nach wie vor zwingen, das Ziel, die Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen, ständig im Auge zu behalten. ({1}) Erst vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung des Vierten Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften sichtbar. Wir ziehen die Karre aus dem Dreck, die Sie dort hinterlassen haben. Daß dies überhaupt möglich ist, ist bereits ein Erfolg unserer Konsolidierungspolitik. Dazu zählt auch, daß jedes Prozent weniger Inflation 11 Milliarden DM mehr Kaufkraft für alle Bürger bedeutet. Mit mehr als 6 % Inflation haben Sie die Regierung 1982 abgeben müssen. Heute haben wir eine Preissteigerungsrate von weniger als 2 % und sind damit weltweit konkurrenzlos. Das heißt: Die von mir vorgetragenen Verbesserungen für die Beamten kommen diesen tatsächlich zugute. Sie werden nicht durch eine nachgehende Geldentwertung wieder aufgezehrt. Diese verbesserten Bedingungen sollten auch alle die erkennen, deren Wünsche und Forderungen - ich sage das mit Absicht - noch nicht erfüllt sind. ({2}) Ich denke dabei vor allem an die Absenkung der Eingangsbesoldung. Unsere Handlungsmöglichkeiten wachsen in dem Maße, in dem die Haushaltskonsolidierung fortschreitet. Deshalb muß die Haushaltskonsolidierung nach wie vor Vorrang haben. Der Innenausschuß empfiehlt Ihnen deshalb die Annahme einer Entschließung, die - ich beschränke mich auf einen Auszug - folgenden Wortlaut hat: Der Deutsche Bundestag sieht es für notwendig an, die seit Jahren wegen der wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen zurückgestellten Aufgaben der strukturellen Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts Schritt für Schritt zu lösen. Die Regelungen des Vierten Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften stellen bereits einen wichtigen Fortschritt dar. ({3}) - Ich lobe die Bundesregierung. Als ihr die Bundesregierung gestellt habt, habt ihr nur abgebaut, liebe Freunde. Das war die Situation. Ihr habt Schulden gemacht und damit eine Hypothek auf die Jugend ausgestellt; denn das, was ihr verbraucht habt, müssen unsere Kinder und Kindeskinder einmal bezahlen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, die Regierungsvertreter befinden sich aber trotzdem im Saale. ({0}) Sie können fortfahren, Herr Abgeordneter.

Otto Regenspurger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schönen Dank, Herr Präsident. ({0}) - Liebe Freunde, wir sind ein Volk, in dem es Landwirtschaft gibt, in dem es Beamte gibt, in dem es viele unterschiedliche Gruppierungen gibt, die jedoch aufeinander angewiesen sind. Ich glaube, das sollte man sagen. ({1}) - Ach, wissen Sie, ich glaube, Sie verstehen von der Landwirtschaft nur das, was man allgemein als Mist bezeichnet. ({2}) Meine Damen und Herren, ich fahre fort mit der Entschließung: Die Bundesregierung wird gebeten, bis zum Herbst 1986 zu prüfen, welche weiteren dienstrechtlichen Maßnahmen zu erwägen und welche vordringlich sind. Meine Damen und Herren, wir haben dem öffentlichen Dienst Opfer auferlegt und versprochen, ihn in die gesamtwirtschaftliche Entwicklung einzubeziehen, wenn es wieder aufwärts geht. Ich stelle hier fest: Wir haben Wort gehalten. Dafür, daß das möglich war, danke ich meinen Kollegen im Innenausschuß ebenso wie den Kollegen in den mitberatenden Ausschüssen, ganz besonders - das möchte ich betonen - den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß. ({3}) Ich nutze diese Gelegenheit auch, allen Beamten in Bund, Ländern und Gemeinden, bei Post und Bahn Dank zu sagen für ihre treue Pflichterfüllung. Wir wissen, daß ihr Dienst nicht immer leicht ist, besonders unter den kritischen Augen einer Offentlichkeit, die die Beamten oft für Gesetze verantwortlich macht, die wir hier im Deutschen Bundestag beschließen und die sie - die Beamten - ausführen müssen. Sie halten oft für uns den Kopf hin. Deshalb sollte es für uns alle selbstverständlich sein, ihnen zu danken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Regenspurger, es ist bezeichnend, daß von der Bundesregierung nur der Mann anwesend ist, der das, was ihr den Beamten abgenommen habt, bei den Landwirten reingebuttert hat; das ist Herr Gallus. ({0}) Aber wir sind froh, daß das Gesetz endlich auf dem Tisch liegt und ein wenig getan wird und wir damit sozusagen eine zweite Wende erleben, so eine Rückwende. Es ist mehr eine Rechtswende als eine Rückwende, denn es wird bei weitem nicht das wieder wettgemacht, was den kleinen Einkommen vorher, und zwar von Ihrer Regierung, genommen worden ist. ({1}) Darauf kommt es letztlich an: daß, wenn man die kleinen Einkommen begünstigen will, man ihnen den Ausgleich für das schaffen will, was sie in den letzten Jahren verloren haben. Ich bleibe bei dem, was ich schon bei der ersten Lesung gesagt habe. Es ist Stückwerk - ich brauche nicht aufzuzählen, was darin steht; das kann jeder nachlesen -, weil es nach wie vor ohne Konzeption eingebracht ist. Es bleibt auch Flickwerk, insbesondere weil es auch unglaublich liederlich vorbereitet worden ist, in den Einzelregelungen zum Teil auch nicht harmonisierbar ist. Ich erinnere etwa an das, was wir den Überholeffekt nennen, nämlich daß die Besoldungsgruppe A 5 unter bestimmten Voraussetzungen mehr hat als die darüber liegende Besoldungsgruppe A 6. Auch ist die ganze Vorlage von der unverhüllten Absicht getragen, den öffentlichen Dienst zu spalten, die Gewerkschaften zu schwächen und - unter Ausnutzung der Arbeitsmarktlage - unter einseitiger Begünstigung des Beamtendienstverhältnisses nichts als neue Abhängigkeiten für die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes von ihren Dienstherren zu schaffen und gleichzeitig die Rechte der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst einzuschränken. Das steht in groteskem Gegensatz zu den gleichzeitig erklärten Privatisierungsabsichten. Sie wollen alles möglichst verbeamten, und zwar in Bereichen - nehmen wir einmal den Fernmeldedienst der Post -, für die Sie gleichzeitig sagen: Das können wir genausogut privatisieren. Was stimmt nun? Es gibt ja diesen Vorbehalt. Nach diesen - wie heißt es? Sie wissen es ({2}) althergebrachten - ich habe immer gesagt: weit hergeholten - Grundsätzen des Berufsbeamtentums muß man also Beamte beschäftigen. Dies alles sind Bereiche, für die Sie gleichzeitig sagen: Das können wir auch privatisieren. - Ich weiß nicht mehr genau, was da stimmt. Schließlich ist dieses Änderungsgesetz ein Dokument dafür, daß die von Ihnen wiederholt vorgetragene Formel „Leistung muß sich lohnen" in Ihrem Munde, im Munde der Koalition, nichts als eine leere Worthülse ist. ({3}) Der Gesetzentwurf leistet auch keinen Beitrag zur Durchsetzung des in § 18 des Bundesbesoldungsgesetzes verankerten Grundsatzes der funktionsgerechten Besoldung. Dafür will ich nur zwei Beispiele anführen. Die allgemeinen Stellenzulagen, das, was wir Harmonisierungszulage nennen, werden zwar erhöht, aber nicht in die Grundgehaltstabelle eingebaut, also in die Grundgehälter übernommen, um sie auf diese Weise zu dynamisieren. Das heißt, es wird keine regelmäßige Anpassung mit den übrigen Bezügen vorgenommen werden. Der Leistungsbe13104 zug wird hier also wiederum Jahr für Jahr ausgehöhlt werden. Eine weitere Folge ist: Sie haben die Absenkung der Eingangsbesoldung noch einmal ausdrücklich bestätigt, also unsere Anträge abgelehnt, die Eingangsbesoldung nicht abzusenken und die alte Regelung wieder in Kraft zu setzen. Das hat nicht nur für die Führungslaufbahnen Nachteile gebracht, sondern auch für die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst, weil unter dieser untauglichen Lösung die qualitative Nachwuchsauswahl immer mehr erschwert wird. Ein ganz krasses Beispiel ist der Ingenieurmangel bei der Deutschen Bundespost. Dort gibt es nach heutiger Verlautbarung des Ministeriums über 2 000 unbesetzte Ingenieurstellen. Dort ist mit diesen Anfangsgehältern kein Nachwuchs zu gewinnen. Im übrigen ist das in diesen Bereichen besonders nachteilig, weil Führungsaufgaben im öffentlichen Dienst von hoher Personalintensität, von einem hohen Ausrüstungsstand an moderner Technik und von der Verpflichtung, den Bürgern gegenüber unmittelbar tätig zu werden, geprägt sind. - Jetzt ist wieder überhaupt keiner da, nicht einmal der liebe Gallus. Positiv ist - das möchten wir ausdrücklich erklären, und wir haben auch nachgeholfen -, daß die Altersgrenze in diesem Zusammenhang - zwar in einem anderen Gesetz - vom 63. auf das 62. Lebensjahr gesenkt wird, daß bei den Reisekosten und auch bei den Entschädigungen für Auslandstätigkeiten ein paar Anpassungen sind. Wir haben auch erreichen können, daß die Ruhegehaltssätze bei Berufsunfähigkeit vor dem 65. Lebensjahr vorübergehend erhöht werden und ein, wenn auch nicht zureichender, aber doch jetzt sechsfacher Ausgleich bei verminderter Erwerbsfähigkeit für Alleinerziehende erreicht wird, was auch die Praktikabilität dieser Regelung verbessert. Das Eingangsamt A 1 für den einfachen Dienst fällt weg, künftig A 2, insbesondere aber A 3 unter bestimmten Voraussetzungen. Das ist kein sonderlicher Fortschritt, weil praktisch, insbesondere bei den großen Dienstleistungsunternehmen, die Eingangsgruppe A 3 bereits seit Jahren vorhanden ist. Aber - das ist der Nachteil hier - es bleibt bei der Bundeswehr bei den Besoldungsgruppen A 1 usw. aufsteigend. Das heißt, ausgerechnet zum 30jährigen Jubiläum der Bundeswehr und bei den vielen Lobsprüchen, die Sie heute an die Bundeswehr gerichtet haben, bescheinigen Sie Tausenden von Soldaten, daß sie ungleich behandelt werden und daß Sie etwa im Vergleich zu den frühpensionierten Offizieren, für die mehr als 200 Millionen DM aufgewendet werden, nicht einmal einige Millionen DM aufwenden können, um die Gleichbehandlung mit den übrigen Teilen des öffentlichen Dienstes sicherzustellen. Schließlich fehlen Maßnahmen zur Beseitigung des Beförderungsstaus, etwa durch Überprüfen der Obergrenzen nach dem Bundesbesoldungsgesetz. Für die Beamtenanwärter gibt es keine rosa Zeiten. Wir haben Sie darauf hingewiesen, welche Nachteile sich daraus ergeben. Die dringend erforderlichen Verbesserungen bei einer Reihe von Entschädigungen, insbesondere für die schichtdienstleistenden Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, werden von Ihnen nicht einmal erwähnt. Hart kritisieren müssen wir auch die sogenannte Familienkomponente, nicht wegen Ihrer Anpassung hier mit 40, 30, 20 DM, sondern weil Sie die kindergeldbezogenen Anteile im Ortszuschlag erhöhen, ohne gleichzeitig zureichend dafür zu sorgen, daß auch das mit in die Dynamisierung hineinkommt und auf Dauer eine zumutbare Regelung wird. Die Basis für diese Anhebung ist unzureichend; darauf muß ich noch einmal hinweisen. Insbesondere verzichten Sie auf Dynamisierung. Ich sehe gerade zu diesem Zeitpunkt in dieser konzentrierten Anhebung bei den Besoldungsgruppen des einfachen Dienstes in dieser Art und Weise eine Provokation für die Gewerkschaften; denn wir stehen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes unmittelbar vor der Lohnrunde. Auch konservative Kenner des öffentlichen Dienstes warnen davor, die Anpassung, auch die strukturelle Weiterentwicklung der Beamtenbesoldung ohne zwingenden Grund von der Entwicklung im Tarifbereich abzukoppeln. Der gesamte öffentliche Dienst stellt immerhin einen wesentlichen Wirtschaftsbereich dar, und seine Funktionsfähigkeit, auch seine Kosten unterliegen daher zwangsläufig nicht nur partnerschaftlicher Verantwortungsbereitschaft von Arbeitgebern und Gewerkschaften, sondern auch der Notwendigkeit, Übereinstimmung durch Verhandlungen, also aus der Gleichgewichtigkeit der Partner heraus, zu erzielen. Das wird hier grob fahrlässig, besser gesagt: vorsätzlich außer acht gelassen. Wir stellen einen Änderungsantrag mit dem Ziel, die Zulagen in die Grundgehaltssätze einzubauen. Wir verweisen auf zahlreiche Einwände und Änderungsanträge, die wir im Innenausschuß gestellt haben und die sich nicht haben durchsetzen lassen. Wir haben Ihnen ebenfalls eine Entschließung mit den Punkten vorgelegt, die nun in eine Prüfung gehören. Den übrigen Teilen des Gesetzes werden wir als Mindestlösung zustimmen. Ich darf noch für das Protokoll - wenn Sie nicht widersprechen, stimmen wir da sicher überein - hinzufügen, daß es in der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Seite 29 heißen muß, daß die Regelung, die wir jetzt für die Mitarbeiter der Abgeordneten treffen, rückwirkend für alle seit 1969 tätigen Mitarbeiter gelten muß und nicht nur für die, die jetzt eingestellt werden, daß also ihre Dienstzeiten angerechnet werden, wenn sie in den öffentlichen Dienst überwechseln. Natürlich bedanke ich mich auch bei den Mitarbeitern. Aber besser wäre es, wir würden gemeinsam die Absicht erklären, Fragen des öffentlichen Dienstes nicht immer abends vor leeren Bänken hastig und auf Einzelreparaturen bezogen beraten und erörtern, sondern einmal umfassend und zukunftsbezogen und aus der Verantwortung für Aufgaben und Personal im öffentlichen Dienst heraus in aller Breite hier zu erörtern. Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden uns ja im Laufe dieses Jahres oder Anfang des nächsten Jahres noch länger mit der Beamtenbesoldung beschäftigen. 1')/0 Besoldungserhöhung macht 2,4 Milliarden DM aus. Das sind bei 6 % schon ganz ordentliche Beträge. Herr Kollege Regenspurger hat vorhin gesagt, daß die vorige Regierung den Beamten vieles weggenommen habe; Herr Bernrath hat gesagt, die jetzige Regierung habe den Beamten vieles weggenommen. ({0}) Die FDP war immer dabei. Nur muß man sagen: Der Bundesrat, meine verehrten Kollegen, war auch immer dabei. Wir sollten uns in dieser trauten Runde also nicht gegenseitig vorrechnen, was wir nicht gerade fröhlichen Herzens, aber gemeinsam - sei es hier oder im Bundesrat - getan haben, um die öffentlichen Haushalte wieder ins Lot zu bringen. Das war ja, wie man schwer bestreiten kann, notwendig, weil die Personalkostenanteile beachtliche Höhen erreicht hatten. ({1}) Bei den Mitarbeitern im öffentlichen Dienst gilt im Grundsatz dasselbe wie in der gewerblichen Wirtschaft: Wer gute und loyale Mitarbeiter haben will, muß vernünftig zahlen. Er muß Aufstiegsmöglichkeiten schaffen, er muß befriedigende Arbeitsbedingungen schaffen. Er muß vor allen Dingen gerecht sein. Er muß seinen Mitarbeitern den Eindruck vermitteln, daß er sie gerecht behandelt. Loyalität ist keine Einbahnstraße. Das gilt insbesondere beim Berufsbeamtentum, dem wir ja zurechnen, daß es kein Streikrecht hat, bei dem wir die volle Verantwortung dafür haben, daß es mit seiner Einkommensentwicklung nicht maßlos hinter der Entwicklung in der allgemeinen Wirtschaft herhinkt, sondern im Grundsatz in gleicher Weise behandelt wird, wie es der allgemeinen Einkommensentwicklung entspricht. So ist dieser Gesetzentwurf ein Schritt. Er erfüllt nicht alle Wünsche. Es können auch nicht alle Wünsche erfüllt werden. Da bleibt manches übrig, von den Bundeswehrbeamten bis hin zu den Präsidenten größerer Verwaltungsgerichte. Bei diesem Gesetz liegt das Schwergewicht bei den Beamten des einfachen und mittleren Dienstes. Wir haben in diesen Tagen eine Veröffentlichung des Beamtenbundes über die Besoldungsentwicklung mit detaillierten Zahlen bekommen. Sicher kann man über einzelne Angaben streiten. Aber ich glaube, es ist schwer bestreitbar, daß die allgemeine Einkommensentwicklung zwischen 1975 und 1985 vom Index 100 auf den Index 168 gestiegen ist, während bei den Beamten nur ein Anstieg von 100 auf 145 festzustellen ist. Das heißt, es gibt tatsächlich, gewogen berechnet, einen Rückstand von etwa 15% gegenüber der allgemeinen Einkommensentwicklung. Gleichzeitig sind die Personalkostenanteile in den Haushalten zurückgegangen. Auch das signalisiert ja, daß die Arbeitsbelastung für den einzelnen Beamten erheblich angewachsen ist; denn niemand wird sagen können, daß unsere Bemühungen bei der Entbürokratisierung so gewaltige Fortschritte gemacht hätten, daß plötzlich ganze Scharen von Beamten nicht mehr wüßten, was sie tun sollen. Die Zahlen signalisieren also gleichzeitig eine höhere Belastung der einzelnen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Wir beschließen mit diesem Gesetzentwurf - das ist hier schon dargestellt worden - eine Veränderung bei den Eingangsämtern im einfachen Dienst. Bei den Justizwachtmeistern wird eine neue Endstufe A 5 + Z eingeführt. Wir verbessern die familienwirksamen Gehaltsbestandteile. Wir senken bei allen Bundesbeamten die Antragsaltersgrenze auf 62 und stellen sie damit den Landesbeamten gleich, bei denen das schon seit vielen Jahren der Fall ist. Wir verbessern die Versorgung bei der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Wir verbessern die Auslandsbesoldung, wo sich in der Tat manches durch die Veränderung der Währungsparitäten für die Mitarbeiter dort außerordentlich schlecht stellt, insbesondere eben beim einfachen und mittleren Dienst. Schließlich geben wir der Bundesregierung einen Prüfauftrag, den sie ernst nehmen muß; einen Prüfauftrag, das öffentliche Dienstrecht und die besoldungswirksamen Bestandteile den finanziellen und wirschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Wir erwarten dazu in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres einen Bericht, insbesondere bezogen auf die Neubewertung von Ämtern, auf die Behandlung der Eingangsstufen und der Eingangsbesoldung. Das ist ein Thema, das uns seit Jahren immer wieder heftig beschäftigt. Schließlich gehört dazu ebenfalls das Zulagensystem, auch das ein Thema, das wir in diesem Hause seit fast zehn Jahren behandeln. Wenn man sich die Vielzahl der Zulagen im öffentlichen Dienst ansieht, fragt man sich: Müssen davon nicht Bestandteile in die allgemeine Besoldung aufgenommen werden? Aber man muß sich, wenn man sich über einzelne exotische Zulagen amüsiert wie die Antennenzulage oder was es dort gibt, genauso ansehen, wie eigentlich die Zulagen im tarifären Bereich aussehen, wie detailliert die Regelungen im tarifären Bereich sind. Das muß in der Tat harmonisiert werden. Wir hoffen, daß wir in dieser Frage einen Schritt weiterkommen. Also die Bitte an die Bundesregierung, diesen Prüfauftrag ernst zu nehmen, damit rechtzeitig weitere Entscheidungen getroffen werden können. Übrigens auch die Bitte an den Bundesrat, diesen Gesetzentwurf mit derselben Schnelligkeit zu behandeln wie dieses Haus. Wir haben ja weiß Gott nicht allen Wünschen des Bundesrates Rechnung getra13106 gen. Da waren ja manche Vorstellungen der Länder dabei, die eine so weitgehende Besserstellung der Beamten, wie wir sie beschließen wollen, durchaus nicht umfaßten. Ich kann nur hoffen, daß unsere Kollegen in den Ländern, im Bundesrat mit dafür sorgen, daß dieses Gesetz in diesem Jahr in Kraft treten kann, damit wir eben insbesondere beim einfachen und mittleren Dienst das machen und erreichen können, was notwendig ist. Vielen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die heute noch hier sind. Ich zähle knapp zwei Dutzend, die sich für die beamtenrechtlichen Probleme offenbar noch interessieren. ({0}) Hier wurde sowohl von dem Vertreter der SPD, von dem Kollegen Bernrath, als auch von dem Kollegen Hirsch als auch von dem Vertreter der CDU/CSU so getan, als ob man für die Beamten, vor allen Dingen in den Eingangsstufen des untersten Dienstes, endlich etwas tun wollte. ({1}) Was ist real vorgesehen? Der Deutsche Beamtenbund hat Ihnen in dem Hearing, das im Innenausschuß durchgeführt worden ist, vorgerechnet, daß es im einfachen Dienst Leute gibt, die für den Staat arbeiten und noch nicht einmal Sozialhilfesätze als Bezahlung dafür erhalten. Das hat Ihnen der Deutsche Beamtenbund auch schriftlich gegeben. Was ist Ihnen dazu nun eingefallen, was tun Sie für den einfachen Dienst? Sie wollen das ändern, indem Sie um 20 DM - nicht etwa das Grundgehalt; denn das könnte ja an den Erhöhungen teilnehmen - die Zulage erhöhen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Ströbele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn die Uhr angehalten wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich halte die Uhr an. Herr Abgeordneter Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ströbele, da selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund nicht behauptet, daß die Besoldung eines Beamten unter die Sozialhilfesätze fällt - zwar in eine Nähe, die uns nicht paßt, aber nicht unter die Sozialhilfesätze -, wäre ich Ihnen, da Sie diese Behauptung aufstellen, sehr dankbar, wenn Sie uns ein realistisches Beispiel darstellen könnten, in dem das der Fall ist. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das hat Ihnen der Deutsche Beamtenbund bei dem Hearing sowohl mündlich als auch schriftlich ins Stammbuch geschrieben. Sie haben mit einer Erhöhung um ganze 20 Mark reagiert, und die Ortszuschläge, die sich nach der Kinderzahl richten, haben Sie in der Weise erhöht, daß bei einem Kind ein geringerer Betrag als bisher herauskommt, ({0}) daß bei sechs Kindern ebenfalls ein geringerer Betrag als bisher herauskommt ({1}) und daß im übrigen die Erhöhungen der Beträge so minimal sind, daß man darüber nur lachen könnte, wenn es nicht so traurig wäre.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Auch die Abgeordneten Regenspurger und Schäfer möchten Ihnen Zwischenfragen stellen. Sie lehnen das ab?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. ({0}) Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem realistische Beträge genannt worden sind, wie sie vom Deutschen Beamtenbund vorgeschlagen worden sind, damit man auch im einfachen Dienst zu einer Besoldung kommt, die diesen Namen verdient und nicht als soziale Unterstützung gewertet werden muß. ({1}) Bitte schließen Sie sich unserem Entschließungsantrag an; dann könnten Sie all die großen Worte, die Sie hier vorhin gefunden haben mit tatsächlichem Inhalt füllen. Wir sind der Meinung, daß ein Staat, der Bürger für sich arbeiten läßt, diese Bürger auch anständig bezahlen muß; sonst ist er kein anständiger Staat. Es geht hier aber nicht nur um die Erhöhung der Besoldung, sondern Thema dieses Gesetzentwurfes und der verschiedenen Entschließungsanträge ist auch die strukturelle Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts, und deshalb will ich dazu noch einige Sätze sagen. Wir sind der Auffassung, daß die Frage gestellt werden muß: Warum unterwerfen sich eigentlich heute so viele Bürger den besonderen Treuepflichten oder überhaupt den besonderen Pflichten und den Einschränkungen, denen die Beamten in ihren Rechten unterliegen? ({2}) Warum nehmen sie es hin, daß ihre Koalitionsfreiheit beschnitten wird? Warum nehmen sie es hin, daß ihre Streikfreiheit beschnitten wird, so daß sie sich gegen solche Zustände, wie ich sie gerade beim Besoldungsrecht erwähnt habe, nicht mit einem Streik wehren können? Warum nehmen sie das hin? Warum nehmen sie es hin, daß von ihnen ganz besondere Treuepflichten gegenüber dem Staat verlangt werden, die in letzter Konsequenz, wie wir aus zahlreichen Gerichtsurteilen und aus der GeStröbele schichte der Berufsverbote erfahren haben, auch zu einer ganz eindeutigen Einschränkung der Meinungsfreiheit für Beamte führen? Warum nehmen sie das hin? ({3}) Da ist auf der einen Seite das soziale Bett, das heute viele dahin flüchten läßt. Viele Menschen flüchten in Anbetracht der Situation auf dem Arbeitsmarkt und der sonstigen Sozialabbaumaßnahmen in das sichere Bett des Beamten. Da ist auf der anderen Seite einfach die Tatsache - die auch wieder etwas mit den Berufsverboten zu tun hat -, daß bestimmte Berufe in der Bundesrepublik Deutschland realistischerweise überhaupt nur von Beamten ausgeübt werden können. Schließlich mag bei einigen Leuten, die sich dazu entschließen, das zu machen, auch eine Rolle spielen, daß sie ein besonderes Verhältnis zum Staat haben, überhaupt ein besonderes Verhältnis zur Obrigkeit, und daß sie vielleicht selbst gerne auf bestimmte Weise staatliche Macht auch in ganz kleinem Maße ausüben wollen. Wenn wir uns über die strukturelle Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts unterhalten, muß auch die Frage gestellt werden, inwieweit die sogenannten hergebrachten Grundsätze des Beamtenrechts - und ich frage, woher sie eigentlich gebracht sind; sie sind aus dem Absolutismus und dann aus dem Kaiserreich zu uns hergebracht worden - mit Treuepflicht und besonderem Gehorsam eigentlich in einem Staatsgefüge, das sich demokratisch nennt, noch zeitgemäß sind. ({4}) Ist es nicht so, daß ein Übergewicht der Exekutive dadurch entsteht, daß Millionen von Bürgern als Beamte eingestellt werden und besonderen Treuepflichten sowie besonderen Einschränkungen in ihrer Meinungsfreiheit unterworfen werden und zu einer besonderen Loyalität gegenüber diesem Staat gezwungen werden? ({5}) Führt das nicht zu einem besonderen Übergewicht der Exekutive? Wenn das so ist, müssen wir die Debatte über die strukturelle Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechtes auch in die Richtung führen, daß man überlegen muß, ob es heute noch zeitgemäß ist, an diesen hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums festzuhalten, ob es tatsächlich richtig ist, daß ein Bademeister verbeamtet und all diesen Pflichten unterworfen sein muß und daß ein Schaffner diese Pflichten haben muß, oder ob es nicht einer zeitgemäßen demokratischen Entwicklung bedürfte, die dort endet, daß wir dieses öffentliche Dienstrecht ändern und zu einem einheitlichen öffentlichen Dienstrecht ohne Berufsbeamtentum kommen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich einige Sätze zu dem Gesetz sage, über das wir hier sprechen, Herr Ströbele, etwas zu dem, was Sie hier zuletzt an Kritik an Fragestellungen und Attacken gegenüber dem Berufsbeamtentum vorgetragen haben. Ich will hier für die Bundesregierung nachdrücklich erklären, daß wir uns zum Berufsbeamtentum bekennen ({0}) und daß wir es nach wie vor begrüßen, daß dieser Artikel in unserer Verfassung steht. Gerade auch nach vielfältigen historischen Erfahrungen, die unser Volk zu verzeichnen hat, war es eine gute Entscheidung des Parlamentarischen Rates, diese Verfassungsbestimmung aufzunehmen. Wenn uns viele andere Länder um unseren öffentlichen Dienst und die Verwaltung beneiden, ({1}) dann ist gerade hier festzustellen, daß das wesentlich darauf zurückzuführen ist, daß wir dieses Berufsbeamtentum mit seiner besonderen Treuepflicht zu Staat und Gesellschaft in der Demokratie haben. Wir bekennen uns nachdrücklich dazu. ({2}) Nun einige Sätze zu dem Gesetz. Die Bundesregierung wertet das Gesamtergebnis - über die einzelnen Inhalte wurde von den Kollegen bereits gesprochen - als einen wichtigen Erfolg und als Fortschritt auf einer Wegstrecke verantwortungsbewußter Dienstrechtspolitik. Es ist aus vielen Gründen wichtig, daß mit diesem Gesetz vor allem etwas für den einfachen Dienst geschieht. Gerade für die vielen, vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im einfachen Dienst ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen. Wir würden gerne noch mehr tun, wenn wir nicht so viel - das sei auch in Ihrer Richtung gesagt, die Sie da Zwischenrufe machen; das muß auch hier wieder betont werden - an Zinsen auf Grund der Politik der hohen Verschuldung zu zahlen hätten, die dieser Bundesregierung überantwortet wurde. Das muß man deutlich sagen. 25 Milliarden DM an Zinsen für die Schulden der Vorgängerpolitik: Was könnten wir alles an Besoldungserhöhungen für diese 25 Milliarden DM beschließen, die wir für die Schulden der Vorgängerregierung zahlen müssen! ({3}) Nun wollen wir hier noch dreierlei feststellen. Ich darf für die Bundesregierung sagen, daß es erfreulich ist, daß wir über Strukturverbesserungen reden können, wo wir vor einigen Monaten noch gar nicht geglaubt hatten, daß wir das angehen könnten. Man darf hier auch herausstellen, daß die konsequente solide Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung es uns Schritt für Schritt ermöglicht, auch notwendige Dinge für die Beamtenbesoldung zu tun. Insoweit ist das auch ein Erfolg der finanzpolitischen Gesamtkonzeption dieser Bundesregierung, und sie wird uns weiterhelfen. Ich will gerne noch mit Blick auf die Zukunft dieses sagen: Dem jetzigen wichtigen Anfangsschritt auf dem Weg zu einer normalen Fortentwicklung des Besoldungsrechts werden bei zunehmender Haushaltsgesundung - ich sage dieses ausdrücklich im Hinblick auf viele Anliegen und Wünsche, die vorgebracht worden sind, sicherlich zu einem erheblichen Teil auch mit guten Gründen - weitere Schritte folgen können, wenn wir konsequent gerade durch solide Finanzpolitik und wirtschaftliches Wachstum den Bundeshaushalt und die Haushalte der Länder und Gemeinden insoweit in die Lage versetzen, das Notwendige zu tun. Besoldungsstruktur - das will ich hier ausdrücklich für das Innenministerium, für die Bundesregierung sagen - darf nicht als statischer und für alle Zeit unabänderbarer Zustand begriffen werden. Veränderungen der Aufgaben und Anforderungsstrukturen erfordern immer wieder Überprüfungen und Anpassungen und da, wo sie sachlich geboten sind, die entsprechenden Folgerungen durch den Gesetzgeber. Darin sehen Parlament und Regierung eine in die Zukunft gerichtete Daueraufgabe. ({4}) Dies kommt auch in dem Antrag zum Ausdruck, der dem Hohen Hause hier zur Beschlußfassung vorliegt. Er wird für die mittelfristige Strukturarbeit in der Besoldung Auftrag und Richtschnur zugleich sein; die Redner der Koalition haben darauf schon hingewiesen. In diesem Zusammenhang werden auch Vorstellungen des Bundesrates zu berücksichtigen sein, die in diesem Gesetz noch nicht aufgegriffen werden konnten. Ich will hier für die Bundesregierung deutlich machen, daß wir zuversichtlich sind, daß bei Fortfahren mit einer soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik auch weitere Schritte eingeleitet werden können, um die Struktur im Sinne gerade der unteren Besoldungsgruppen, aber auch in der Verantwortung, die wir dem ganzen öffentlichen Dienst gegenüber haben, fortzuentwickeln. Ich darf mich für die Arbeit, die im zuständigen Innenausschuß an der Vorlage geleistet worden ist, sehr bedanken. Ich freue mich, daß es für das, was jetzt zu tun ist, eine breite Übereinstimmung gibt. Ich möchte hier für das zuständige Dienstrechtsministerium sagen: Ich kann nur wünschen, daß es uns Schritt für Schritt möglich ist, sachgerechte strukturelle Veränderungen im Sinne der Aufgabenstellungen und Verpflichtungen vorzunehmen, die wir gegenüber dem öffentlichen Dienst unseres Landes haben. Herzlichen Dank. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man den Kollegen der Oppositionsparteien hier zuhörte, konnte man den Eindruck gewinnen, als würde heute ein Gesetz beschlossen, das dem öffentlichen Dienst etwas wegnimmt. Denn anders kann ja wohl die sich anbiedernde Art, an eine Klagemauer zu gehen, hier kaum verstanden werden. Deswegen möchte ich als Haushaltspolitiker, der für den Haushaltsausschuß die Berichterstattung übernommen hat, hier einmal Zahlen nennen. ({0}) - Herr Ströbele, Lautstärke bei Zwischenrufen ist noch kein Beweis für Richtigkeit. ({1}) Zu Ihrem Beitrag fällt mir nur ein: Sie wollen die Beamten abschaffen, noch nicht einmal deshalb, weil Sie etwas gegen Beamte haben, sondern weil Sie ein Chaos im Staat haben wollen. ({2}) Aus diesem Grund haben Sie die Beamten, die für Ihre grünen Utopien nichts übrig haben, auf dem Kieker. Seien Sie sicher, es wird im öffentlichen Dienstrecht bei Beamten bleiben, und es wird bei guter Beamtenschaft bleiben. Dafür wird die CDU/CSU schon sorgen. ({3}) Um hier einmal Zahlen zu nennen: Dieses Gesetz kostet die öffentlichen Haushalte pro Jahr immerhin 319 Millionen DM. Das sind in einer Wahlperiode - bei einer leichten Steigerung - rund 1,3 Milliarden DM. Das ist kein Pappenstiel, wenn man weiß, daß die Kommunen, aber auch Landesbehörden, die personalintensiver sind, heute schon unter Personalkosten von 40%, 50%, 60 %, ja in Teilbereichen von 70 % leiden, und wenn man weiß, daß dieses Geld natürlich vom Steuerzahler aufgebracht wird, der nicht nur die Beamtenbesoldung finanzieren will, sondern erwartet, daß der Staat auch noch einige andere Aufgaben löst. Das ist eine Menge Geld, und dieses Geld stecken weder der Innenminister noch das Ministerium noch die Politiker ein. Deswegen hat sich der Haushaltsausschuß auch leicht getan, diesem Gesetz zuzustimmen. Dies ist ein Gesetz, das eindeutig Verbesserungen für die kleinen Beamten, für den kleinen Mann, für Beamtenfamilien in den unteren Einkommensgruppen mit mehreren Kindern schafft. Das ist letzten Endes wohl auch der Grund, weshalb die Sozialdemokraten so sehr verkrampft und fast verbissen in die Argumentation eintreten. Gerster ({4}) Das paßt natürlich nicht in die allgemeine propagandistische Schallplatte hinein, wir würden von unten nach oben umverteilen. Nein, meine Damen und meine Herren von der Opposition, hier wird ein Gesetz zugunsten der kleinen Leute gemacht, ein Strukturverbesserungsgesetz, das auch uns auf Dauer zwar nicht ausreicht, ({5}) das aber für den einfachen Dienst an Strukturveränderungen mehr bringt, ({6}) als Sie in Ihren 13 Jahren auf die Beine gestellt haben. Das paßt nicht in Ihre Propaganda; deswegen wird daran herumgemäkelt. Wie wenig glaubwürdig die Änderungsanträge sind, die die SPD heute vorgelegt hat - Herr Kollege Schäfer, es wäre gut, wenn Sie da zuhörten -, sehen Sie daran, daß diese Anträge zu höheren Kostenlasten führen würden, übrigens, ohne daß sie beziffert wurden, und daß die Anträge von Ihrer Fraktion im Haushaltsausschuß nicht vorgelegt worden sind, ({7}) natürlich aus gutem Grund: weil die SPD-Kollegen im Haushaltsausschuß rechnen können und eine solidere Politik pflegen als ihre Kollegen im Innenausschuß. ({8}) - Das ist keine Unverschämtheit, Herr Wernitz. Ich kann Ihnen sagen, daß SPD-Kollegen im Haushaltsausschuß genau umgekehrt argumentiert haben. Sie haben gesagt, durch dieses Gesetz werde eine neue Besoldungsrakete ({9}) in Richtung Bundeswehr, in Richtung Arbeiter und Angestellte in Gang gesetzt. ({10}) Und es war dann doch die Vernunft etwa des Kollegen Kühbacher und anderer Kollegen, die sie zu der Überzeugung führte, daß diese Bemerkungen eher in der Lage wären, dieses Gesetz zu gefährden, als etwas Gutes zu bewirken.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz?

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sofort, Herr Präsident. Herr Kollege Wernitz, ich gestatte das gern. Die Diskussionsgrundlage war, daß die SPD im Haushaltsausschuß - ich wiederhole - eher in Richtung zu hohe Kosten argumentiert hat, als derart kostenträchtige Dinge zu fordern, wie es heute in der Debatte gemacht wird. Bitte schön, Herr Kollege Wernitz.

Dr. Axel Wernitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002486, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Sie bereit, Herr Kollege Gerster, die Bemerkung, die Kollegen im Innenausschuß könnten nicht rechnen, noch einmal zu bedenken, und sind Sie bereit, im übrigen zur Kenntnis zu nehmen, daß der Vertreter der Bundesregierung in bezug auf den Gesetzentwurf, den wir jetzt diskutieren, selbst erklärt hat, dies sei ein erster Schritt? In der Entschließung wird - wenn Sie es wissen; ich frage danach - auch ausdrücklich gesagt, es gehe um Verbesserungen Schritt für Schritt.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wernitz, ich gestehe Ihnen persönlich und Ihren Kollegen gern zu, daß Sie rechnen können. Insofern korrigiere ich mich. ({0}) Aber ich möchte anmerken, daß wir, die Kollegen aller Fraktionen im Haushaltsausschuß, die Erf ah-rung gemacht haben, daß gerade die Innenpolitiker das Nachrechnen gern den Haushältern überlassen und daß diese mit spitzem Bleistift nachrechnen müssen und in der Regel auch Deckung besorgen müssen. Meine Damen, meine Herren, das muß hier deshalb gesagt werden, weil es keinen Sinn gibt, Kollege Wernitz, in den Ausschußberatungen vor zu hohen Kosten zu warnen und keinesfalls Erhöhungsanträge zu stellen, aber hier in der Offentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als könnte oder wollte man im Moment mehr tun. Tatsache ist, daß dieses Gesetz - und das ist vom Kollegen Hirsch, vom Kollegen Regenspurger und auch vom Herrn Staatssekretär angesprochen worden - ein wesentlicher Schritt in Richtung auf Strukturverbesserungen für die Beamten ist, die wenig verdienen. ({1}) Niemand sagt, daß das der Weisheit letzter Schluß im Sinne einer endgültigen Regelung sei, aber jeder erkennt, daß wir hier einen entscheidenden Schritt vorangehen, im Gegensatz - das sage ich noch einmal - zur SPD, die mit ihrer Politik in den 70er Jahren die kleinen Leute eher gebeutelt hat, als ihnen etwas zukommen zu lassen. ({2}) Wir stimmen auch als Haushaltspolitiker diesem Gesetzentwurf zu. Und ich kann Ihnen sagen, daß in diesem sehr kritischen Ausschuß Bereitschaft besteht, auch in Zukunft gerade die Belange der kleinen Beamten, der Bezieher geringerer Einkommen im öffentlichen Dienst sehr aufmerksam zu verfolgen und sich ihrer Belange im Rahmen des finanziell Möglichen besonders anzunehmen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, so daß ich die Aussprache schließen kann. Vizepräsident Cronenberg Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung zu Punkt 10 der Tagesordnung. Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4238 vor. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4238 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wer dem Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich nunmehr um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist die aufgerufene Vorschrift in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die Art. 2 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? ({0}) Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Wir treten nunmehr in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. ({1}) Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Nun, Herr Abgeordneter Ströbele, ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/4225 unter Nr. 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4239. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt. Nun kommen wir zum Entschließungsantrag des Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4243. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist auch dieser Entschließungsantrag abgelehnt. Ich rufe nunmehr den zurückgestellten Tagesordnungspunkt 8 a und 8 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Kübler, Bachmaier, Dr. Emmerlich, Fischer ({2}), Klein ({3}), Lambinus, Schmidt ({4}), Schröder ({5}), Dr. Schwenk ({6}), Stiegler, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften - Drucksache 10/584 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({7}) - Drucksache 10/4210 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Schwenk ({8}) Dr. Stark ({9}) ({10}) b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften - Drucksache 10/2876 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({11}) - Drucksache 10/4210 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Schwenk ({12}) Dr. Stark ({13}) ({14}) Zu Tagesordnungspunkt 8b liegt auf Drucksache 10/4227 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 8a und 8b vorgesehen, und zwar eine Aussprache von 60 Minuten. Ich nehme an, daß das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden ist. - Das ist der Fall. Dann ist es beschlossen. Ich gehe davon aus, daß das Wort zur Berichterstattung nicht gewünscht ist. Auch dies scheint zuzutreffen, so daß ich die Aussprache eröffnen kann. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwenk. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Dr. Wolfgang Schwenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002133, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Entschuldigen Sie bitte, aber das war wegen des Mikrophons etwas schwierig. ({0}) - Danke schön. Sie sind ganz ausgezeichnet. Wissen Sie, wir werden auch noch einmal gelegentlich miteinander sprechen. Werden Sie einmal ruhiger. Wenn Sie dann die nächste Legislaturperiode erreichen, ({1}) können wir einmal weiterreden. - Lassen Sie einmal diese albernen Zwischenrufe! Vielleicht werden Dr. Schwenk ({2}) Sie noch einmal ein ernsthafter Mensch. Das würde mich sehr für Sie freuen. ({3}) Zur zweiten Lesung: Ich beziehe mich auf den Änderungsantrag der SPD-Fraktion. Wir haben hier eine verbundene Beratung über den Bundesratsentwurf und den Entwurf der SPD-Fraktion. Beide sind keine Neuigkeiten. Wir haben sie seit einer ganzen Anzahl von Legislaturperioden in Behandlung gehabt. Aber es hat leider keine Mehrheiten gegeben, um etwas für den Verbraucherschutz zu tun. ({4}) - An Ihrem neuen Koalitionspartner, Herr Kollege Stark. Es lag nicht an der bayerischen Staatsregierung. Es hat aber auch an der CDU gelegen, denn wenn Sie sich seinerzeit, als wir mit den Liberalen in Koalition waren, einen Ruck gegeben hätten, hätten wir auch etwas erreichen können. Aber aus lauter Oppositionsgeist haben Sie es damals nicht getan. Immerhin: Jetzt tun Sie es. Wir hätten nur früher schon etwas erreichen können. Wir freuen uns, daß es Ihnen gelungen ist, für einen Teil der Gesetzgebungsvorhaben eine Mehrheit zu bekommen. Wir müssen Ihnen einiges sagen: Der erste Schritt ist getan; der zweite sollte auch noch getan werden. ({5}) Sie haben nämlich einiges nicht getan, und das bedauern wir. Das begründet auch unsere Anträge. Ich möchte darauf hinweisen; Sie haben in Ihren Vorschlägen nicht berücksichtigt, daß erstens auch die Vereinsbeitritte rücktrittsfähig sind, soweit sie bei Haustürgeschäften - und wir wissen, daß Haustürgeschäfte ein etwas weiterer Begriff sind - erfolgt sind, und zweitens Versicherungsverträge, die Sie aus für uns vordergründig unerfindlichen Gründen, hintergründig sehr verständlichen Gründen aus dem Gesetzentwurf des Bundesrates herausgenommen haben. Unser Antrag zielt darauf, daß beides in das Gesetz aufgenommen wird, damit uns die Zustimmung zu diesem Gesetz leichter gemacht wird. Wir haben noch einmal eingehend darüber beraten, ob wir Ihrem Gesetzentwurf im Ergebnis zustimmen werden, aber mit dem Hinweis darauf, daß das Gesetz nur der erste Schritt ist und daß der zweite noch getan werden muß. Das bleibt unser Programm. ({6}) Da der erste Schritt ein lobenswerter Schritt ist, gehen wir den ersten Schritt mit. Aber den zweiten müssen Sie mit uns nachvollziehen, Herr Kollege Stark. Ich möchte insbesondere die Herren auf der rechten Seite, von mir aus gesehen, auffordern, auch die weiteren Schritte zu gehen. Um meine nachfolgende Redezeit nicht zu verbrauchen - denn ich möchte in der dritten Lesung noch einmal sprechen -, stelle ich unseren Antrag jetzt zur Abstimmung. Im übrigen bitte ich, § 6 Nr. 2 des Bundesratsentwurfes zur Einzelabstimmung aufzurufen, da wir hierzu unsere Meinung äußern wollen. Schönen Dank. Damit ist meine erste Rede beendet. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Sauter. ({0}) - Entschuldigung, mir ist der Abgeordnete Sauter gemeldet worden. Wenn die Fraktion das anders beschließt, dann bitte der Abgeordnete Stark. Aber dies entsprach der Meldung, die dem Präsidium vorlag. ({1})

Dr. Anton Stark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte heute abend einen Beitrag zur Parlamentsreform leisten. Wie Sie sehen, bin ich völlig unbewaffnet - ohne Skript und Manuskript. Ich darf verkünden: Zusatzfragen sind nicht nur erlaubt, sie sind sogar erwünscht. Noch ein Wort zur Parlamentsreform, Herr Präsident, obwohl das nicht auf der Tagesordnung steht. Ich bin sehr für Parlamentsreform. Ich liebe dieses Hohe Haus und bin immer dafür, daß es auf der Höhe der Zeit ist. Aber ich halte überhaupt nichts von Parlamentsreformern, wie sie sich vorgestern in der Parlamentarischen Gesellschaft versammelt haben und ihren Frust abgelassen haben, der darin bestand, den amtierenden Präsidenten, den ich sehr schätze, zu kritisieren. Feine Leute machen so etwas nicht. So etwas macht man intern, aber nicht öffentlich. ({0}) Zur Sache! Seit zwölf Jahren beschäftigt sich dieses Parlament mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden. Die meisten Kolleginnen und Kollegen wissen offensichtlich nicht - und das ist auch ein Problem der Parlamentsreform -, worum es geht. Es geht schlicht und einfach darum, daß in unserem Lande außerhalb des stationären Handels, also außerhalb des Einzelhandelsgeschäfts, des Kaufhauses, Umsätze an der Haustür, am Arbeitsplatz, auf öffentlichen Wegen in einem Umfang von 140 Milliarden DM getätigt werden. 100 000 Menschen sind hauptamtlich als Kundenberater, Service-Berater und unter anderem Namen in diesem Gewerbe tätig. 2 Millionen Menschen - niemand weiß es genau - sind nebenamtlich auf diesem Gebiet tätig. Man höre und staune: 2 Millionen! Das Ganze erbringt einen Umsatz von 140 Milliarden DM im Jahr. An einem Tag werden etwa 300 000 Geschäfte in diesem Bereich getätigt. Man möchte es nicht glauben: an einem Tag 300 000 Geschäfte! Dr. Stark ({1}) Unter diesen 300 000 Geschäften sind einige wenige Schwarze Schafe - ein Problem des Direktvertriebs -, wenige, aber trotzdem einige Tausend, damit das klar ist. Ich nenne Ihnen einige Beispiele aus meiner Anwaltspraxis. Ein Rentnerehepaar hat ein Haus mit einer herrlichen alten Fassade, wie man sie sich nur wünschen kann. Dann kommt ein Fassadenhai und sagt zu ihm: „Sie müssen etwas Neues anbringen lassen." Er berechnet ihm nur den Quadratmeterpreis, so daß das Rentnerehepaar nicht weiß, was das am Schluß kostet. Schließlich kostet das Ganze 12 000 DM. Plötzlich hat das liebe Rentnerehepaar eine völlig unschöne Fassade für 12 000 DM. Das wollen wir unterbinden. Das soll in Zukunft nicht mehr möglich sein. Wenn jemand einen solchen Vertrag abgeschlossen hat, soll er in Ruhe darüber nachdenken und sagen können: „Nein, das wollte ich eigentlich nicht; das hat man uns nur aufgeschwatzt." Oder nehmen wir einen Beamten aus dem mittleren Dienst mit einem Nettoeinkommen von 2 500 DM. Er läßt sich einen Ferrari für 220 000 DM in seiner Wohnung aufschwatzen. ({2}) - Tatsache, an der Tür, in der Wohnung! Im Suff oder was weiß ich. Er wollte das Geschäft mit dem Haus der Großmutter finanzieren; aber die ist nicht rechtzeitig gestorben. Auch diesem Beamten wollen wir helfen, damit er in Zukunft, wenn er wieder nüchtern ist, sagen kann: „Nein, einen Ferrari für 220 000 DM wollte ich eigentlich nicht." ({3}) Das folgende Beispiel dürfte ich eigentlich nicht bringen, weil meine Tochter es mir verboten hat. Eine Nonne hat auf einer Kaffeefahrt für ihr Kloster eine Tonne Klopapier gekauft. Das soll in Zukunft natürlich auch nicht mehr möglich sein, damit das klar ist. Solchen Leuten wollen wir helfen. Lieber Detlef von der FDP, du bist ja ein „großer Anhänger" dieses Gesetzes, das wir heute verabschieden. Rentner fahren fröhlich zur Kaffeefahrt, eingeladen von einem Omnibusunternehmer, und sagen: „Es war ein schöner Tag in Bayern, im schönsten Bundesland." Wenn sie dann nach Hause kommen, haben sie für 700 DM eingekauft: eine Gesundheitsdecke, ein Lebenselexier, Badesalz, einen Gesundheitskochtopf. Solchen Leuten wollen wir helfen, damit sie wieder von solch unsinnigen Käufen loskommen. Darum geht es bei diesem Gesetz, und darum ging es zwölf Jahre lang. - Wie lange habe ich noch Zeit? - Ich könnte Ihnen noch weitere schöne Beispiele nennen. ({4}) - Ich bin etwas enttäuscht, daß mir keine Zwischenfragen von Herrn Mann oder von anderen gestellt werden. Ich muß schon sagen: ich bin echt enttäuscht. Diese Koalition wird heute dieses Gesetz verabschieden. Wenn Sie dieses Gesetz im Zusammenhang mit dem Abzahlungsgesetz, das wir im Jahre 1974 verabschiedet haben, sehen, werden Sie feststellen, daß die Bundesrepublik über eine EG-Richtlinie, die noch nicht verabschiedet ist, weil diese an unserem Widerstand bisher gescheitert ist, die aber sehr bald verabschiedet werden wird, weit hinausgeht. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, werden ab 1. Mai 1986 das modernste Verbraucherschutzgesetz Europas haben. Dies ist nicht nur der Handlungsfähigkeit dieser Bundesregierung unter der Führung von Helmut Kohl zu verdanken - es ist j a inzwischen sprichwörtlich, daß diese Regierung auf allen Gebieten handlungsfähig ist -, sondern auch ein Verdienst der bayerischen Staatsregierung, ({5}) die dieses Gesetz, um mit Max Weber zu sprechen, mit Augenmaß und Leidenschaft verfolgt hat und die aus mir, der ich dieses Gesetz zwölf Jahre als Berichterstatter begleitet habe, aus einem Saulus einen Paulus gemacht hat. Nur deshalb wird dieses Gesetz verabschiedet. ({6}) Mein Freund Detlef Kleinert von der FDP stimmt dem zwar zu, aber er ist noch nicht so überzeugt wie ich. Dennoch glaube ich, daß er diesem Gesetz nach meiner Rede mit größerer Begeisterung zustimmen kann. Ich komme zum Schluß. Habe ich meinen Kollegen Schwenk richtig verstanden, daß er dem Gesetz zustimmen will? - Das freut mich sehr. Hätte er nicht zugestimmt, dann hätte ich den letzten Satz aus seiner Rede, die er anläßlich der ersten Lesung gehalten hat, zitiert. Er sagte sinngemäß - ich bitte um Entschuldigung, wenn es nicht ganz wörtlich ist -: Macht mal was! Wenn ihr zu dem steht, was ihr vorgelegt habt, dann stehen auch wir dazu. Kommt mal über! Ich kann der Opposition in bezug auf dieses hervorragende Gesetz nur empfehlen: Kommen Sie mal über! ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf des Bundesrats über den Widerruf von Haustürgeschäften wollen die Koalitionsfraktionen unter dem populären Oberbegriff Verbraucherschutz rechtspolitische Handlungsfähigkeit demonstrieren. Herr Kollege Sauter, ich möchte vor allen Dingen Sie ansprechen, aber natürlich auch Herrn Dr. Stark. Immerhin ist es der CDU/CSU in etwas über einem halben Jahr seit der ersten Beratung dieses Entwurfs gelungen, langjährige Widerstände des „feinen" demokratischen Koalitionspartners gegen ein derartiges Gesetz zu überwinden. Zu der langen und aufschlußreichen Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfs wurde in der DeMann batte vom 26. April 1985 einiges gesagt. Ich selbst habe mir gerade noch einmal die vergilbte Drucksache 7/4778 vom 1. Oktober 1975 herausgesucht. Die liegt jetzt gut zehn Jahre zurück. Es handelt sich um einen Gesetzentwurf des Bundesrates, in dessen Zielsetzung es heißt: Häufig hat er - gemeint ist der Bürger nicht einmal einen wirklichen Bedarf an der angebotenen Ware oder Leistung, vielmehr schließt er einen Vertrag nicht selten nur deshalb ab, um einen aufdringlichen Vertreter wieder loszuwerden. So viel aus der Begründung des damaligen Entwurfs. Ich finde, es ist schon ein Skandal - Herr Kleinert, ich wende mich an die FDP, die Sie dafür verantwortlich sind -, daß es so lange gedauert hat, bis ein solch bescheidenes Gesetz hier verabschiedet werden kann. Herr Erhard, ich schließe mich hier nicht dieser allgemeinen Euphorie an. Entscheidend ist, wie es der Volkskanzler aus Oggersheim auszudrücken pflegt, was hinten herauskommt. Deswegen möchte ich etwas zu einem Aspekt sagen, der sehr bemerkenswert ist, nämlich zu den Früchten der Bonner Landschaftspflege, welche die Versicherungswirtschaft in der Sondersitzung des Rechtsausschusses am 9. Oktober 1985 erntete. In dieser Sitzung, die eigentlich aus Anlaß der Beratung des Zweiten Gesetzes zur Wirtschaftskriminalität angesetzt war, präsentierten die Koalitionsfraktionen in der inzwischen im Rechtsausschuß leider üblichen Überraschungsmanier einen Änderungsantrag, durch den der Abschluß von Versicherungsverträgen vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen wird. Gerade beim Abschluß von allzu häufig unüberlegt und überflüssig abgeschlossenen Versicherungsverträgen mit langer rechtlicher Bindung wäre ein Widerrufsrecht notwendig. Wenn die Bundesregierung, wie im Rechtsausschuß geschehen, dieses akute rechtspolitische Regelungsbedürfnis unter Hinweis auf eine angeblich vorbildlich funktionierende Versicherungsaufsicht sowie die von der Versicherungswirtschaft zaghaft praktizierte Einführung freiwilliger Widerrufsmöglichkeiten verneint, so spricht dies für ihr Verständnis von Verbraucherschutz Bände. ({0}) Langjährige Erfahrungen begründen eben die Notwendigkeit von Schutzgesetzen vor allem zugunsten älterer und im Geschäftsverkehr unerfahrener Menschen. Wir sollten uns, Herr Kleinert, auch nicht durch das Gerede vom mündigen Bürger, der aus schlechten Erfahrungen zu lernen imstande ist, von der klaren Erkenntnis derartiger Binsenweisheiten einer sozial verantwortlichen Rechtspolitik ablenken lassen. ({1}) Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, wie der Zentrale Kreditausschuß, also die Bankenlobby, in seiner Stellungnahme vom 29. Oktober 1985 die Sonderbehandlung der Versicherungsverträge kritisiert. Mit der Behauptung einer wettbewerblichen Benachteiligung der Kreditwirtschaft wird eine Gleichbehandlung - ich möchte das einmal so bezeichnen - im Unrecht jedenfalls für Wertpapiergeschäfte gefordert. Hier zeigt sich, auf was für gefährliche Abwege sich die Koalitionsfraktionen mit der Ausnahmeregelung für Versicherungsverträge begeben haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluß andeuten, in welche Richtung in einer Zeit von Massenarbeitslosigkeit, Sozialbbau und immer weiter wachsender privater Verschuldung eine Politik zu entwickeln ist, die den Namen Verbraucherschutz tatsächlich verdient. Wir benötigen gesetzliche Grundlagen für richterliche Vertragshilfe bei überschuldeten Kreditnehmern, insbesondere unter jeweiliger Berücksichtigung von deren finanzieller und sozialer Situation. Das bedeutet beispielsweise die Anordnung von erträglichen Stundungsvereinbarungen, die Korrektur von maßlos beutelschneiderischen Allgemeinen Geschäftsbedingungen wie auch die Festlegung von Zinshöchstgsrenzen für den Bereich des Konsumentenratenkredits und einen weiteren Ausbau der Schuldnerberatung. ({2}) Dies sind unabdingbare Bestandteile der sozialstaatlichen Verpflichtung des Gesetzgebers, Herr Kleinert, von der Sie nach Ihrer jetzigen Wählerklientel verständlicherweise nichts wissen wollen. Zwar scheiterten solche Reformvorschläge bei der Beschlußfassung auf dem 53. Deutschen Juristentag im Jahre 1980, was Sendler in seinem Beitrag „Juristentag mit preußischem Charme" in der „Zeitschrift für Rechtspolitik", 1980, Seite 289, zu der Bemerkung veranlaßte, daß „wohl eine bestimmte Gruppe mit wirtschaftlichen Interessen den Inhalt der Beschlüsse maßgeblich beeinflußt" habe. Ich bin dennoch zuversichtlich, daß es den Bürgern im Land nicht entgeht, daß nur mit den GRÜNEN solche sozialstaatlich längst überfälligen Reformen durchsetzbar sind. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Abgeordnete Kleinert das Wort. ({0})

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! - Auf dem Kleinert ({0}) hacke ich überhaupt nie herum. Ich halte Herrn Mann für einen sehr angenehmen Kollegen, ({1}) auch wenn er einige Dinge, wie sich soeben gezeigt hat, nicht ganz so übersieht, wie man sie übersehen kann, ({2}) wenn man sich mit dem wirklichen Leben nicht nur als Beamter, und sei es in der herausgehobenen Position eines Amtsgerichtsrats, beschäftigt. ({3}) - Der Streit, Herr Ströbele, ist mir sehr lange und sehr gut vertraut. Die R-Besoldung ist eine friedenstiftende Maßnahme gewesen. ({4}) Nun ist es auch gut. ({5}) Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich habe hier seit zehn oder zwölf Jahren versucht, mit Unterstützung der Fraktion das von mir nach wie vor für richtig gehaltene Leitbild des mündigen Bürgers zu fördern, der vorhin hier etwas lächerlich gemacht worden ist ({6}) Und eine besondere Rolle gespielt hat. ({7}) Das Tollste an dieser ganzen Geschichte, mit der wir uns heute abend hier beschäftigen, ist, daß dieser Gesetzentwurf am Ende der ganzen Zeit, in der wir uns darüber unterhalten, noch weniger sinnvoll ist, als er am Anfang vielleicht gewesen sein könnte; denn inzwischen haben sowohl die hauptbetroffenen Firmen ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen dahin gehend geändert, daß das was hier verlangt wird, schon längst drin steht. ({8}) - Herr Ströbele, wir können ja mal den Versuch machen. Sie sind sachkundig. Gehen Sie bitte mal ran! Es gibt kaum eine große Vertriebsfirma, die nicht aus Gründen der Erleichterung des Verkaufs - an dieser Stelle wird die Sache rein logisch etwas kompliziert - schon gesagt hätte: Wer mir in acht Tagen widerspricht, den will ich gar nicht mehr als Kunden sehen; er macht die ganze Nachbarschaft wild, er zwingt mich in ein Mahnverfahren, das jedes Jahr teurer, umständlicher und langwieriger wird, und in der Zeit kann ich mit neuem Geschäft viel mehr Geld verdienen, als ich an dem fast oder ganz kaputten Geschäft noch verdienen könnte. - Das sind die einfachen und soliden Regeln des Marktes, die sich da gerade durchgesetzt haben, ({9}) während sich die Diskussion hier - wie das so ist, wenn man etwas anschiebt und es sich dann immer weiter geradezu von allein bewegt - entwickelt hat. ({10}) Deshalb ist der ganze Spuk noch überflüssiger als damals. Nun muß ich erst mal begründen, warum wir dem Gesetz zustimmen wollen. ({11}) Nach den einleitenden Worten ist das nicht ganz einfach; ich tue das aber. ({12}) - Herr Ströbele, vielleicht darf ich das vorher noch tun. Ich wollte Ihnen nur sagen, warum wir zustimmen. ({13}) Wenn sich dadurch Ihre Erregung zugunsten der mündigen Bürger etwas legen sollte, dann hätte diese Erklärung ja auch noch einen Sinn für die Zwischenfrage. Jedenfalls werden wir dem Gesetz zustimmen, weil ein an sich überflüssiges Gesetz, wenn man ihm dann schließlich zustimmt, im Zusammenhang mit einer Koalitionsvereinbarung für eine Reihe von sehr notwendigen, sehr komplizierten und schwierigen Gesetzen keine sehr große Rolle mehr spielt, wenn man bedenkt, wie wichtig es ist, diese schwierigen, wichtigen und notwendigen Gesetze so zu regeln, daß sich eine Koalition handlungsfähig darstellt, was von Ihnen nachhaltig bestritten wird, ({14}) und zwar keineswegs weil sie in der Lage ist, ausgerechnet dieses Gesetz zu beschließen, sondern in der Lage ist, im Zusammenhang mit den unterschiedlichsten Interessen, einschließlich der Interessen der dabei besonders interessierten Bundesländer, schließlich zu einem Gesamtergebnis zu kommen, mit dem man als Liberaler trotz aller Trauer darüber, daß man so etwas Überflüssiges mit beschließt, sehr gut leben kann, zumal es viel besser ist, etwas Überflüssiges in einer Paketlösung passieren zu lassen, als etwas in einer Paketlösung passieren zu lassen, was gegen die eigene Meinung ist. Das ist ja nachvollziehbar.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, die Kollegen Ströbele und Dr. Stark möchten Zwischenfragen stellen.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Ströbele, bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kleinert, wenn die Logik so zwingend ist, wie Sie sie dargestellt haben, daß sich für die Vertriebsgesellschaften auf Grund ihrer Furcht vor dem langen Mahnverfahren und aus den anderen Gründen, die Sie genannt haStröbele ben, diese Regelung eh aufdrängt und sie diese sowieso vorgesehen haben, warum ist diese zwingende Erkenntnis bei den Gesellschaften dann nicht vor fünf, zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren genauso vorhanden gewesen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich schlage vor, daß auch der Abgeordnete Stark jetzt seine Zwischenfrage stellt. Wir sind nicht in der Zeit und müssen uns beeilen. So fällt es mir leichter, die Uhr zu stoppen. - Herr Abgeordneter.

Dr. Anton Stark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kleinert, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie unabhängig von Ihrer Beurteilung dieses in meinen Augen wichtigen Gesetzes der Meinung sind, daß die Zukunft nicht dem rot-grünen, sondern dem schwarz-gelben Bündnis gehört?

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hatte keine Veranlassung, auf diesen Punkt im einzelnen zu sprechen zu kommen. Ich bin der Meinung, daß man dies an Hand einer Vielzahl von Gesetzesberatungen, die wir bis zur Bundestagswahl noch vor uns haben, besser beurteilen kann als ausgerechnet an der Beratung dieses Gesetzes. Herr Ströbele, ich bin hier nicht als Geschäftsführer einer der beteiligten Firmen, um Ihnen zu sagen, wann sie jeweils ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen so geändert haben, daß das Ergebnis herausgekommen ist, das ich eben geschildert habe. Jedenfalls ist das die heutige Situation. Ich habe ausdrücklich gesagt: Als die Diskussion um dieses Gesetz anfing, war die Sache dringlicher - wenn sie überhaupt jemals dringlich war, was ich bestreite - als heute. ({0}) - Ich bin dankbar für den Hinweis, Herr Marschewski. Die Kaffeefahrten habe ich bei mehreren Dikussionen dieser Art hier schon erwähnt. Ich finde sie einfach unfair; ich habe daraus nie ein Geheimnis gemacht. Es gibt die Behauptung, die ich nicht so recht nachzuvollziehen vermag, daß man das rechtlich nicht von den übrigen Haustürgeschäften trennen könne. Diese Behauptung steht aber nach wie vor im Raum. Wir haben uns auch nie ernsthaft bemüht, es zu trennen, weil, wenn ich das einmal so sagen soll, überholende Kausalitäten eingetreten sind. Ich halte das für eine sehr unfaire und sehr unangenehme Sache, die mit einem normalen Wettbewerb nichts zu tun hat. Das ist einer der ganz wesentlichen Gründe, warum ich gern bereit bin, wenigstens dieses in Anspruch zu nehmen, um dem Gesetz auch aus einem sachlichen Grund zuzustimmen, außer dem eben schon erwähnten Grund, daß man sich nun einmal unter Koalitionspartnern - das haben wir in anderer Richtung früher auch schon so getan - irgendwann einigen muß, wie es gerade so trifft, Herr Schwenk. Wir können doch jetzt hier nicht unsere alten Akten aufblättern. Das Tollste an der ganzen Geschichte, so finde ich, ist, daß mich kürzlich ein ziemlich hoher Beamter der Europäischen Kommission gefragt hat, warum wir uns denn immer gegen diese Haustürgeschäfte sträubten. Immer, wenn er seine Tante hier besuche, habe sie große Stapel völlig ungelesener und überflüssiger Zeitschriften bei sich liegen. Die habe sie nur auf Grund irgendwelcher ganz verwegener Behauptungen von Vertretern gekauft. Jetzt lägen sie da, würden nicht gelesen, würden seine Tante aber viel Geld kosten. Da habe ich gesagt: Sie sind zufällig dienstlich bei der Europäischen Kommission mit dieser Sache befaßt, und jetzt erzählen Sie mir als Hauptgrund für die Veranstaltung, die hier laufen soll, daß sich die Zeitschriften bei Ihrer Tante stapeln! Ich kann Ihnen hierzu verbindlich mitteilen, daß seit 1974 im Bundesgesetzblatt eine Novellierung des Abzahlungsgesetzes steht, die wir damals alle gewollt haben, weil wir diese Dinge nicht wollten. Irgendwo hört es mit dem mündigen Bürger mal auf; da muß man einige Albernheiten unterbinden. Dann haben wir das 1974 unterbunden. Bis zum heutigen Tage geistert durch die Diskussion um die Haustürgeschäfte die seit 1974 längst geregelte Frage der Zeitschriftenabonnements. Ich bin allerdings der Meinung: Die Verbraucherverbände, die von uns in diesem Bereich der Haustürgeschäfte neue und zusätzliche Regelungen verlangen, hätten das Maß an Energie, das sie darauf verwendet haben, uns hier zu triezen, darauf verwenden sollen, ihre Mitglieder und die Gesamtheit unserer Bürger über den Sachverhalt aufzuklären, daß der angeblich regelungsbedürftigste Fall schon längst geregelt ist. ({1}) Das gehört meiner Ansicht nach viel mehr zu den Aufgaben dieser Verbände, als uns in überflüssige Gesetzgebung hineinzutreiben. ({2}) - Die notwendigen Finanzmittel besorgt man sich in diesen Kreisen auf einem Weg, über den wir uns bei der Regelung über das UWG unterhalten müssen unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit, in bezug auf die Kostenregelung, die da vor einigen Jahren mit Ihrer Hilfe meiner Ansicht nach zu Unrecht hineingekommen ist. Aber das ist eine Zwischenbemerkung. Ich wecke in Ihnen insofern Hoffnungen für die Zukunft, wie ich hoffe. Wir werden das Ding ({3}) bei der Regelung des UWG vielleicht auf eine etwas gerechtere, gleichmäßigere und solidere Basis stellen. Schließlich bleibt mir nur noch eines: Wie können bei einer zum Schluß sehr überflüssig gewordenen Regelung nur bedauern, daß wir unsere Hand gegen alle unsere gesetzgebungstheoretischen Gedanken zu diesem Werke leihen. Wir können uns aber auch sehr gut damit trösten, daß damit in der Wirk13116 Kleinert ({4}) lichkeit des Wirtschaftslebens dieser Republik nicht das geringste verändert wird und daß wir dafür ein um so besseres Einvernehmen mit unserem Koalitionspartner in einer Reihe von wirklich wichtigen Gesetzgebungsvorhaben erreicht haben. Danke schön. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur wegen der inzwischen eingetretenen Ermüdungserscheinungen ist es eine gute Sache, eine Diskussion abschließen zu können, die uns durch mehrere Legislaturperioden begleitet hat. Es ist gefragt worden, warum das nicht schneller ging und wo der tiefere Sinn dafür liegen kann, daß es so lange gedauert hat. Ich meine, das hat schon seinen Sinn; denn mittlerweile konnten wir feststellen - das ist angesprochen worden -, daß in weiten Kreisen der Wirtschaft, in den weitesten Teilen des Direktvertriebs nunmehr das Rückgaberecht oder das Widerrufsrecht eingeräumt worden ist, wir somit das heute zu verabschiedende Gesetz in der Vielzahl der Fälle, wie es ehedem notwendig gewesen wäre - mit all den damit verbundenen Auseinandersetzungen, Streitigkeiten und Aufregungen für die Betroffenen -, überhaupt nicht werden zur Anwendung kommen lassen müssen. Das ist eine vernünftige Sache. Ich meine, man wird sich dann auf jene Fälle konzentrieren können, die tatsächlich unserer besonderen Aufmerksamkeit und Fürsorge bedürfen. Das sind Aktionen bei Kaffeefahrten - sie sind ja soeben angesprochen worden -, wo es in der Tat Fälle gibt, in denen man auch als prinzipiell Skeptischer gegenüber solcher Gesetzgebung schlußendlich wird sagen müssen: Hier benötigen wir etwas. Ich bekenne mich dazu, daß ich wie mein Vorredner zu jenen gehört habe, die einer solchen Gesetzgebung nur mit großer Reserve begegnet sind. Warum? Nicht allein, weil ich der Meinung bin, es gebe zu viele Gesetze. Ich meine, daß wir auch Bedacht darauf nehmen müssen, der Bevölkerung nicht durch eine Gesetzgebung vorspiegeln zu wollen, sie könne sorglos sein, für sie sei alles auf den richtigen Weg gebracht. Gerade wenn wir an alte Menschen denken, steckt eine tiefe Problematik darin, ihnen zu vermitteln, daß man nun an der Haustür sorglos jedem frei begegnen könne, daß man jedem aufsperren könne, daß man alles unterschreiben könne; denn wir wissen ja, daß allenthalben, speziell aber in Ballungszentren, leider Menschen unterwegs sind, die gar nichts verkaufen wollen, die aber gerade bei alten Menschen jede Gelegenheit zu Diebstählen oder zu sonstigen Aktionen nutzen, die in ihrer Gefährlichkeit weit über das hinausgehen, was wir hier mit einem Gesetz regeln können. Das nun nicht völlig aus dem Auge zu verlieren, sondern immer mit darauf Bedacht zu haben, ist eine wichtige Aufgabe. Ich kann feststellen, daß der lange Zeitablauf insofern auch sein Gutes hat, als in einer Sitzung des Europäischen Rates noch im Dezember dieses Jahres die europäische Richtlinie verabschiedet werden wird. Wir sind jetzt in der guten Situation, dann nicht mit einem nationalen Gesetz nachziehen zu müssen. Wir wissen, daß das, was wir heute verabschieden werden, mit der Richtlinie konform und deckungsgleich ist und daß wir in der ungemein günstigen Lage sind, dann bereits die Gesetzgebung in unserem Lande unter Dach und Fach gebracht zu haben. Insofern glaube ich, daß sich nach all den Diskussionen und Auseinandersetzungen der letzten Jahre der Kreis schließt und wir heute wohl alle einem Vorhaben werden zustimmen können, daß das Notwendige auf vernünftige und abgewogene Weise bringt, und zwar einschließlich der Ausnahmefälle, die hier bereits sehr kritisch kommentiert worden sind, die aber - wenn man sich die Dinge vernünftig überlegt - sehr wohl bedacht sind. Unter diesen Umständen danke ich dem Bundesrat und seinen Ausschüssen, den Ausschüssen dieses Hauses und allen anderen Beteiligten und bitte Sie, dem Vorhaben Ihre Zustimmung zu geben. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Sauter.

Alfred Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001925, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß der Kollege Kleinert, der von dem Gesetz an und für sich nicht so begeistert ist, hier dennoch mit am längsten zu diesem Gesetz gesprochen hat ({0}) und damit am nachhaltigsten seiner Überzeugung Ausdruck verliehen hat, daß man ihm eigentlich doch zustimmen kann. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß man den Kollegen Kleinert bei Kaffeefahrten zu überzeugen braucht. Ich bin auch der festen Überzeugung, daß er an solchen Veranstaltungen nicht teilnimmt. Den Zurufen aus Ihren Reihen entnehme ich allerdings, daß Sie bei solchen Kaffeefahrten gelegentlich schon dabeigewesen sind. ({2}) - Ich vermute auch, Herr Ströbele, daß Sie dabei Abschlüsse getätigt haben; ansonsten könnte ich mir die Sachkunde, die Sie hier jetzt glauben darstellen zu sollen, nicht so recht erklären. Wie dem auch sei, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir verabschieden heute ein Gesetz, mit dem ein auf eine Woche befristetes Widerrufsrecht für Geschäfte eingeräumt wird, die an der Haustür, am Arbeitsplatz, auf der Straße oder wo auch immer - meist in Verbindung mit einem Sauter ({3}) Überraschungseffekt, mit einer Überrumpelungsmöglichkeit - abgeschlossen werden. Während bisher bei solchen Verträgen sofortige Bindungswirkung eingetreten ist, wird es in Zukunft so sein, daß ein einwöchiges Widerrufsrecht besteht. Es gibt eine Vielzahl von Beispielen dafür, was es da alles gegeben hat, was alles vorgekommen ist. Der Kollege Stark hat hier schon den Kaufabschluß erwähnt, der von der Nonne mit dem Toilettenpapier getätigt worden ist, und er hat den Rentner mit dem Badesalz erwähnt. ({4}) - Es trifft in der Tat zu, daß dies in Bayern vorgekommen ist. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht erwähnen, daß die Regelung dieser Haustürgeschäfte auf Grund einer Initiative des Bundesrates, die wiederum auf einen Vorschlag von Bayern zurückgeht, hier heute zur Abstimmung steht. Ich darf vielleicht noch zusätzlich erwähnen, daß wir in Bayern auch dazu stehen, daß solche Dinge vorgekommen sind. Ich glaube, in anderen Bundesländern sind sie auch vorgekommen, aber da hat man zu sehr so getan, als ob dies dort nicht vorgekommen wäre. Hier sind die Fassadenhaie angesprochen worden. Es gibt noch den netten Fall aus einem bayerischen Staatsbad, wo einem Rheumakranken aufgeschwätzt worden ist, daß an seinem Leiden sein Federbett schuld sei, weil sich dort die Krankheitskeime speichern würden. Ihm ist dann in der Tat für einen sehr, sehr hohen Preis Rheumawäsche verkauft worden, die er um die Hälfte des Geldes woanders ebenfalls bekommen hätte. Richtigerweise ist auch erwähnt worden, daß sich das Gesetz nicht nur auf Kaffeefahrten und sonstige Gelegenheiten beschränkt, sondern auch Abschlüsse erfaßt, die etwa zur Fassadenbereinigung getätigt werden und dergleichen mehr. Ich glaube, wir sind uns alle miteinander einig, daß hier zum Schutz des Verbrauchers etwas getan werden muß, ihm nämlich die Möglichkeit eingeräumt werden muß, sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums den Geschäftsabschluß, den er getätigt hat, nochmals zu überlegen, nicht mehr und nicht weniger. Nachdem im Ausschuß auch Ausnahmen diskutiert worden sind und wir uns sehr genau überlegt haben, welchen Ausnahmen zugestimmt werden kann und welche Ausnahmen abgelehnt werden müssen, möchte ich zunächst einmal zurückweisen, Herr Kollege Mann, daß wir bei der letzten Rechtsausschußsitzung mit einem Überraschungseffekt gearbeitet hätten. Wir haben unsere Anträge zu dieser Sitzung genauso eingebracht, wie Sie beispielsweise gestern versucht haben, Ihren Antrag zum Ems-Dollart-Abkommen in die Rechtsausschußsitzung einzubringen, nämlich unmittelbar in dieser Sitzung. Wir haben diesen Antrag deshalb eingebracht, weil wir der Ansicht waren, daß es unabweisbar sei, eine Ausnahmeregelung für die Versicherungsverträge mit sofortiger Deckung herbeizuführen. Das ist klar, weil der Versicherer das Schadensrisiko sofort in voller Höhe trägt und weil sich die bisherige Praxis sonst nicht mehr hätte beibehalten lassen. Wir sind aber auch der Ansicht, daß bei anderen Versicherungsverträgen festgestellt werden mußte, daß so gut wie keine Mißbräuche vorkommen und daß es hier offenbar auch keine schwarzen Schafe gibt wie in anderen Branchen. Dies hängt sicherlich auch mit der Aufsicht zusammen, die in diesem Bereich ausgeübt wird, und es hängt auch damit zusammen, wie vom Kollegen Kleinert vorhin dargestellt, daß sich diese Branche durchaus darüber klar ist, daß mit zahlungsunwilligen Kunden auf Dauer kein Geschäft zu machen und kein Geld zu verdienen ist. Ich darf in diesem Zusammenhang auch erwähnen, daß die Lebensversicherer vor kurzem in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen von sich aus ein zehntägiges Widerrufsrecht eingeräumt haben und daß deshalb jedenfalls derzeit kein Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung besteht, ganz abgesehen davon, daß in der geplanten Regelung auf europäischer Ebene ebenfalls eine Ausnahme für die Versicherungsverträge enthalten sein wird. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Gesetzentwurf richtet sich ausschließlich gegen die schwarzen Schafe in diesem Bereich. Ich möchte nachdrücklich betonen, daß sich dieses Gesetz nicht gegen den Direktvertrieb insgesamt richtet, der bei uns eine volkswirtschaftlich außerordentlich bedeutsame Funktion erfüllt. Das Geschäftsgebaren der seriösen Direktvertriebsfirmen ist nicht zu beanstanden. Wir tun mit diesem Gesetz eines: Wir stellen die Handlungsfähigkeit der Regierung unter Beweis, wir stellen die Glaubwürdigkeit unserer Wahlaussagen, die wir in unseren Wahlprogrammen getroffen haben, unter Beweis, und wir stellen unser Vermögen unter Beweis, auch in Fragen, in denen der Koalitionspartner nicht ganz unserer Meinung ist, eine Einigung mit ihm zu erzielen, die in Richtung auf eine Verabschiedung dieses Gesetzes läuft. Herzlichen Dank. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Und nun hat noch einmal der Abgeordnete Dr. Schwenk das Wort.

Dr. Wolfgang Schwenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002133, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein wenig mehr Zuhörer sind es inzwischen geworden. - Herr Kollege Kleinert, Sie haben vorhin wieder den mündigen Bürger beschworen. ({0}) Das wollen wir ja auch alle; wir wollen den mündigen Bürger. Aber die Frage ist doch, ob man seine Willensfreiheit, die man gern behaupten und zur Anwendung bringen will, auch in jeder Situation zur Anwendung bringen kann. Sie haben uns ja gerade vorgemacht, daß Sie eigentlich anderen willens sind, sich aber genauso verhalten wie jemand, dem der Vertreter auf die Füße tritt, den der Betreffende aber gern wieder loswerden möchte und deshalb, um die Sache zu beenden, schließlich zustimmt, obwohl er ganz anderer Meinung ist. Im Dr. Schwenk ({1}) Gesetzgebungsverfahren ist es allerdings anders. Hier gibt es kein Widerrufsrecht. Sie werden das Gesetz, das Sie hier wider Ihren eigenen Willen - aus ganz anderen Gründen - beschließen, vertreten müssen. Das ist ein Beispiel dafür, ({2}) daß die Willensfreiheit eben nicht in allen Situationen gegeben ist, sondern daß man ab und zu einmal in Bedrängnis kommt. Gerade aus dieser Bedrängnis wollen wir die Leute befreien. ({3}) - Sie wollen eine Zwischenfrage stellen? - Bitte, Herr Kollege Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schwenk, ist Ihnen nicht klar geworden, daß Sie bei Ihrem Beispiel genau die von mir vertretene Richtung unterstützt haben? Denn wenn wir bei all diesen Schwierigkeiten, die ich dargestellt habe, hier zustimmen, dann tun wir das in Kenntnis der Tatsache, daß wir gegenüber Leuten, denen wir früher immer gesagt haben, wir seien dagegen, und die jetzt enttäuscht sind, daß wir uns schließlich zu dieser Meinung haben bringen lassen, für die Folgen einzustehen haben. Und deshalb -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich bitte, keinen Debattenbeitrag zu leisten, sondern eine präzise Frage an den Redner zu stellen. ({0})

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Und deshalb, Herr Kollege Schwenk: Ist nicht Ihr Beitrag soeben genau der Beweis dafür gewesen, daß man dem Bürger die Chance lassen muß, selbst einen - später als solchen erkannten - Fehler zu machen, aber dafür dann auch einzustehen?

Dr. Wolfgang Schwenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002133, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kleinert, es ist eben schwierig, Fragen zu stellen - ich erkenne das gerne an -, selbst für einen ausgefuchsten Parlamentarier. Aber überzeugen können Sie mich gar nicht. Denn mancher, der Haustürgeschäfte abgeschlossen hat, weil er den lästigen Vertreter nicht los werden konnte, wollte das Geschäft gar nicht, ist aber nicht wieder davon losgekommen, weil er in Beweisschwierigkeiten kam, nämlich nicht mehr beweisen konnte, daß er das Geschäft nicht freien Willens, sondern gezwungenermaßen abeschlossen hat. Aus dieser Zwangslage werden die Kunden befreit, wenn sie ein Widerrufsrecht haben. Denken Sie einmal an die 90 % Hausfrauen, die unter den Haustürkunden sind, die nicht immer in der Lage sind, einen Vertreter, jemanden aus der Drückerkolonne, abzuwimmeln, so daß sie also, obwohl sie es nicht wollen, das Geschäft eingehen und dann dafür einstehen müssen, weil sie nicht nachweisen können, daß sie es gezwungenermaßen abgeschlossen haben. Bei Ihnen sind es andere Zwänge. Darüber brauchen wir jetzt nicht weiter zu sprechen; das haben Sie in schöner Offenheit gesagt. Daß Sie aber dem Gesetz zustimmen werden und es damit zustande kommt - denn wir wissen ja, mit wechselnden Mehrheiten pflegt man nicht abzustimmen -, ist allerdings erfreulich. Dann darf ich Sie nur bitten: Stehen Sie auch mit Überzeugung und nicht ohne Überzeugung dazu. Denn was soll der Bürger nachher davon halten, daß ein Teil derer, die das Gesetz aus der Koalition heraus mitgemacht haben, es eigentlich gar nicht will? Daran werden wir Sie dann gelegentlich erinnern, wenn es wieder andere Äußerungen gibt. Aber genau das, was ich hier dargestellt habe, ist der Grund, weswegen wir zustimmen, weil wir dafür sind, daß der richtige Schritt gegangen wird. Aber wir halten unser Programm aufrecht, eine Lösung für die nicht erfüllten Punkte nachzuholen, wenn es möglich ist. ({0}) - Nicht zu früh, Herr Kollege Stark. Wir haben anzumerken, daß jetzt im wesentlichen Haustürgeschäfte aus dem Warenverkaufsbereich mit einem Widerrufsrecht versehen werden, nicht aber solche aus dem wichtigen Dienstleistungsbereich. Sie haben nämlich nicht zugestimmt - und Sie werden das nachher, wenn die Punkte aufgerufen werden, aller Voraussicht nach auch nicht tun -, Vereinsbeitritte ebenfalls unter Widerrufsvorbehalt zu stellen. Leider war in der letzten Zeit zu verzeichnen, daß nicht nur Waren- oder Dienstleistungsangebote an der Haustür gemacht wurden, wobei es oft unter dubiosen Umständen auch zu Vertragsabschlüssen gekommen ist, sondern daß nunmehr auch Vereinsbeitritte an der Haustür getätigt wurden. Teilweise geht es um Beitritte zu gemeinnützigen Vereinen, teilweise aber auch zu Vereinen, die sich eine bestimmte Welle von Hilfsbereitschaft zunutze gemacht und unter Vortäuschung, daß das eingezogene Geld auch wirklich dem vorgespiegelten Zweck zugute komme, Abschlüsse getätigt haben. Sehr nachteilig haben sich dabei gewisse Afrika-Hilfe-Vereine hervorgetan. Leute, die beigetreten waren, mußten später aus der Presse erfahren, daß ihr Geld im wesentlichen für Spesen draufgegangen war, nicht aber dem guten Zweck gedient hatte. Das ist der Grund, weswegen wir wollen, daß auch Vereinsbeitritte, wenn sie an der Haustür oder am Arbeitsplatz getätigt worden sind, einem Widerrufsvorbehalt unterfallen. Dabei geht es doch nicht, wie Sie im Ausschuß vorgetragen haben, um die Interessen berufsständischer Vertretungen oder Parteien. Keine berufsständische Vertretung, keine Partei kann ihre Leute halten, wenn sie nicht mehr dabei sein wollen. Es geht vielmehr um solche Vereinsbeitritte, die langfristig mit erheblichen Mitgliedsbeiträgen zu Buche schlagen. Dr. Schwenk ({1}) Das zweite ist, daß Sie aus unerfindlichen Gründen den Abschluß von Versicherungsverträgen wieder herausgenommen haben. ({2}) - Ich hatte schon vorhin, in der ersten Runde, gesagt, wir wüßten, welches die Hintergründe seien. Wir sind eine Dienstleistungsgesellschaft. Dienstleistungen werden weiterhin stärker nachgefragt werden als Waren. Es ist überhaupt nicht einzusehen, daß Sie ein Widerrufsrecht zwar bei Warenabsatz zugestehen, bei Dienstleistungen aber zurückziehen wollen. Das haben uns auch die entsprechenden Verbände mitgeteilt und ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck gebracht. Ferner haben sich uns gegenüber Vereine geäußert, die auf seriösen Wettbewerb ausgerichtet sind. Sie haben uns darauf aufmerksam gemacht, daß zahlreiche Anbieter bereits auf freiwilliger Basis Rücktrittsregeln in ihre Vertragsbedingungen aufgenommen haben. Aber selbst wenn das in einem gewissen Umfang bereits der Fall ist, kann uns das nicht davon abhalten, noch einmal mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß derartige Regeln allgemeinverbindlich sein müssen. Wir wissen doch alle: Die sogenannten Druckerkolonnen sind unterwegs, oftmals junge Leute, die in diesen Kolonnen ihre letzte Chance sehen, wirtschaftlich Boden unter die Füße zu bekommen, und erheblichem Druck unterliegen, dem sie sich nicht entziehen können. Entweder sie weisen Abschlüsse vor, oder sie werden drangsaliert. - Derartig windige Geschäftsabschlüsse müssen wieder rückgängig gemacht werden können. Erst kürzlich ist mir aus meinem Bekanntenkreis gesagt worden, man habe beobachtet, wie ein junges Mädchen aus einer solchen Drückerkolonne an Haustüren geklingelt habe, Geschäftsabschlüsse aber nicht habe tätigen können. Kurze Zeit später sei ein alerter junger Mann erschienen, habe bei denselben Adressen geklingelt und gefragt, ob das Mädchen vielleicht mit Trinkgeldern abgefunden worden sei; Geschäftsabschlüsse seien nicht getätigt worden. - So wird Druck gemacht. Sie haben auf das Abzahlungsgesetz Bezug genommen. Seit seinem Inkrafttreten ist die Bedeutung der Abzahlungsgeschäfte an Haustüren zurückgegangen. Das gleiche wird sich bei unseriösen Haustürgeschäften, bei unseriösen Kaffeefahrtgeschäften zeigen. Wir werden erleben, daß die Kaufkraft, die dort nicht verbraucht wird, wieder dem seriösen Kaufmann zur Verfügung steht. Zu Recht ist gesagt worden: Der Direktvertrieb soll nicht abgewürgt werden. Es gibt noch genug abgelegene Haushalte, bei denen der Vertreter, der kommt und Waren anbietet, durchaus gern gesehen ist, der Vertreter, der auf die Pflege der Kundschaft Wert legt und dem das Geschäft auch nicht verdorben werden soll. Wo seriös angeboten wird, wo seriös an der Haustür abgeschlossen wird, dort wird das auch so bleiben. Aber wir wollen den windigen Geschäften entgegentreten, wollen den wehrlosen Hausfrauen helfen, dem unbeholfenen Rentner, die die Leute nicht wieder loswerden, ihnen aufsitzen, aufsitzen müssen. Was uns auffällt, ist, daß Sie sich so lange dagegen gewehrt haben. ({3}) Wir vermerken auch mit erheblicher Kritik, daß gerade von seiten der FDP, die einem überzogenen wirtschaftsliberalen Denken nachhängt, immer wieder der Findung und Erarbeitung der notwendigen Richtlinien in Brüssel Steine in den Weg gelegt werden. ({4}) Wir haben das nicht nur bei dieser Gelegenheit feststellen müssen, wir haben das auch bei anderer Gelegenheit gehört. Ich erinnere an die gestrige Debatte zum Bilanzrichtlinie-Gesetz im Rechtsausschuß. Warum eigentlich wenden Sie sich dagegen, wenn es gilt, Mißbräuchen entgegenzutreten? Die Kaufkraft ist sowieso nur einmal vorhanden. Gerade Ihnen müßte es angelegen sein, die Kaufkraft auf die seriösen Anbieter umzulenken, ({5}) damit dort ein guter Wettbewerb stattfindet und gute Waren zum guten Preis, nämlich aus seriösem Wettbewerb gewonnenen Preis den Käufern zur Verfügung stehen. Das ist unser Anliegen. Wir sind für die Marktwirtschaft. Wir sind für die soziale Marktwirtschaft. ({6}) Wir sind deshalb dafür, daß auch Regeln gefunden werden, die dem Mißbrauch entgegentreten. Niemand von Ihnen, sehr verehrter Herr Zwischenrufer, wird einem unseriösen Wettbewerb das Wort reden wollen. Wir haben bei anderen Gesetzesvorhaben noch Gelegenheit, darauf zurückzukommen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß durch das Direktangebot erhebliche Umsätze getätigt werden. Deshalb wollen wir auch, ({7}) daß hier die notwendigen Regeln gefunden und heute verabschiedet werden. Aber ich sage: von uns aus mit dem Programm, sie weiterhin noch zu verbessern, damit in dem von mir geschilderten Sinne fortgefahren wird. Dazu gehört auch, was wir nicht mehr gesondert zur Abstimmung stellen, daß die Beweislast umgekehrt werden soll, und zwar in stärkerem Umfang, als das von Ihnen voraussichtlich getan wird. Denn derjenige, der einem gewieften Vertreter gegenübersteht, wird immer in der unangenehmen Lage sein, wenn er sich aus Rechtsgründen gegen einen Vertragsabschluß wendet, nichts beweisen zu können. Wir kennen den alten Satz: Es genügt nicht, Recht zu haben; man muß Dr. Schwenk ({8}) auch Recht bekommen können. Dazu gehört, daß man den Nachweis führen kann. Den Nachweis kann besser führen der Anbieter mit seinen geschulten Werbern oder geschulten Werbekolonnen mit den Unterlagen, die er hat. Besser als derjenige, der an der Haustür überrascht wird, in Rechtsdingen weniger erfahren ist, nicht so schnell Zeugen beibringen kann und deswegen im Prozeß stets in der Gefahr ist zu unterliegen, obwohl er, objektiv betrachtet - wenn objektive Beobachter dabei wären -, obsiegen müßte. Ich komme zum Schluß. ({9}) - Rufen Sie nur ruhig zwischen, wenn es Sie erleichtert. Ich habe nichts dagegen. ({10}) Ich freue mich, wenn Sie sich wohlfühlen. Aber dadurch können Sie mich hier in meinen Betrachtungen überhaupt nicht stören. ({11}) Wir denken daran, daß wir den sozialen Rechtsstaat weiterhin stärken werden. Es gibt noch genügend Armut in unserem Lande. Es wird bei dem Fehlen von Arbeitsplätzen immer wieder viele Leute, vor allem junge Leute geben, die glauben, über Vertretung und über Werbung zu Geld kommen zu können. Wir sind dafür, daß die Marktwirtschaft mit der genügenden sozialen Komponente versehen bleibt, daß die Sozialstaatsklausel in unserem Grundgesetz gelten und nicht durch wirtschaftsliberales Denken beiseite geschoben werden soll. Ich wiederhole: Wir werden auch diese Art der geschäftlichen Betätigung weiter unter Kontrolle halten und die entsprechenden Mindestvoraussetzungen des Schutzes für den Kunden schaffen. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor; ich kann die Aussprache schließen. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 8 b, und zwar über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2876. Ich rufe § 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4227 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Wer § 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die aufgerufene Vorschrift in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die §§ 2 bis 5 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Ich rufe § 6 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4227 unter Ziffer 2 ein Anderungsantrag der SPD-Fraktion vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Wer dem § 6 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich nunmehr um das Handzeichen. ({0}) - Herr Abgeordneter, wir sind in der Abstimmung. ({1}) - Der Antrag liegt nicht vor. Sie beantragen das jetzt? ({2}) - Entschuldigung, das ist mir nicht bewußt geworden und mir auch nicht von der Verwaltung gesagt worden. Dann lasse ich zunächst über § 6 Nr. 1 abstimmen. Wer der Nr. 1 von § 6 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({3}) - Einen Moment! Ich werde versuchen, den Sachverhalt zu klären. Ich bitte einen Moment um Geduld. ({4}) - Sie stellen für die SPD den Antrag, daß in § 1 ein Abs. 3 angefügt werden soll. Sie stellen außerdem den Antrag, daß über die Nr. 1 und 2 von § 6 getrennt abgestimmt wird. Ist das richtig so? - Danke schön. An sich müßte das ja schriftlich vorliegen. Aber ich will gern so abstimmen lassen. Dann lasse ich jetzt über die Nr. 1 des § 6 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer der Nr. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist die Nr. 1 angenommen. ({5}) - Entschuldigung, die Fraktion der GRÜNEN wollte sich enthalten. Diese Gelegenheit soll Ihnen nicht verwehrt werden. Sie können sich nun enthalten. Trotzdem ist damit die Nr. 1 in der Ausschußfassung angenommen. Wir kommen dann zur Nr. 2. Wer dieser Nr. 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Angenommen. Dann kann ich nunmehr über den gesamten § 6 in der Ausschußfassung abstimmen lassen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das HandVizepräsident Cronenberg zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der § 6 nach einigen Schwierigkeiten in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die §§ 7 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8 a. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4210 unter Buchstabe b, den von den Abgeordneten Dr. Kübler, Bachmaier, Dr. Emmerlich, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/584 für erledigt zu erklären. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. September 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenarbeit im Bereich vom Ems und Dollart sowie in den angrenzenden Gebieten ({6}) - Drucksache 10/3917 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({7}) - Drucksache 10/4200 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Wulff Voigt ({8}) Frau Borgmann b) Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/4242 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Rose Hoppe Würtz Dr. Müller ({10}) ({11}) Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten je Fraktion geleistet wird. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Wir können so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewen.

Carl Ewen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vom Herrn Präsidenten genannte Vertrag regelt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich von Ems und Dollart. Das Vertragsgebiet geht dabei weit über das engere Gebiet der Ems-Mündung hinaus und umfaßt ein Gebiet, das bis zu 30 km Luftlinie von der jeweiligen Deichlinie auf niederländischer und auf deutscher Seite entfernt liegt. In dem Vertragsgebiet wird grenzüberschreitend das jeweils strengere Umweltrecht gelten. Dies ist ein wichtiges Ergebnis der seit vielen Jahren andauernden Verhandlungen zwischen der niederländischen Regierung und der deutschen Bundesregierung. Vier Sonderbotschafter - die Herren Knoke, Robert, Wolf und Jung - haben mit ihren Arbeitsstäben den Vertragsentwurf zur Ratifizierungsreife gebracht. Ihnen allen danke ich für ihre Arbeit. Ich danke auch dem deutschen Botschafter in Den Haag, Herrn von der Gablentz, der es immer wieder verstanden hat, die deutschen Überlegungen den niederländischen Parlamentariern verständlich zu machen. In dem langen Verfahren sind Umweltschutzverbände, Parteien, Gemeinden auf deutscher und auf niederländischer Seite gehört worden, und immer wieder sind ihre Anregungen in die Vertragstexte aufgenommen worden. Dies zeigt, daß die Verlegung der Ems, die mit Hilfe des Ems-Dollart-Vertrages geregelt und ermöglicht werden soll, nicht frei von Bedenken ist. Diese Bedenken haben von Anfang an bestanden und mußten mit den Fragen der Beschäftigung von Menschen in Ostfriesland abgewogen werden. Die Stadt Emden mit ihren Hafenanlagen, mit ihren Werften, mit dem Volkswagenwerk und anderen Industriebetrieben ist der industrielle Hauptarbeitgeber für ganz Ostfriesland. Noch 1982 arbeiteten von 23 000 Industriebeschäftigten 15 000 allein in Emden. Zur Zeit sind in Ostfriesland rund 18 000 Menschen ohne Arbeit. ({0}) - Sie haben recht, Herr Kollege: Es sind zum jetzigen Zeitpunkt 22 %. Selbst in Zeiten einer guten Konjunktur gab es in Ostfriesland 5 000 bis 6 000 Arbeitslose. Deshalb ist es notwendig, dafür zu sorgen, daß die seewärtigen Verbindungen des Hafens Emden so ausgebaut werden, daß die Standortvorteile, bezogen auf die seewärtigen Verbinden in der Mitte eines großen Wirtschaftsraums zu liegen, genutzt werden können. Wir stellen fest, daß die neugeschaffenen Hafenanlagen in Emden zu denen gehören, die am erfolgreichsten wirtschaften. Dort steigt der Umsatz, während er in den letzten Jahren in traditionellen Bereichen leider gesunken ist. Die Infrastruktur in Ostfriesland und in Emden ist in den letzten 20 Jahren massiv verbessert worden. Nun bedarf es der Anstrengungen von Investoren, um die Infrastruktur, die vorhanden ist, auch tatsächlich zu nutzen. ({1}) Selbst mit dem Dollarthafen sind nicht alle Probleme gelöst, und es kommt darauf an, eine Signalwirkung auszulösen, die dazu führt, daß die Investoren nun auch in den anderen Bereichen - Dienstleistung, Handel, Handwerk - investieren, damit die Zahl der Arbeitsplätze im Dollarthafen - sie sind auf 3 000 prognostiziert - und im übrigen Ostfriesland auch tatsächlich geschaffen werden können. Für uns Sozialdemokraten ist der Bau des Dollarthafens eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung des ostfriesischen Raums. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz. Ich glaube, ich darf abschließend feststellen, weil ja gleich noch ein Kollege der GRÜNEN sicherlich etwas anderes dazu sagen wird: Nach den mir vorliegenden Protokollen sind die Beratungen ordnungsgemäß verlaufen. Wir sind in der Lage, heute abend abschließend zu votieren. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anfang Oktober haben wir in erster Lesung den Kooperationsvertrag Ems-Dollart an dieser Stelle behandelt. Unserem damaligen Anliegen, daß dieser Vertrag zügig in den Ausschußberatungen behandelt würde, ist Folge geleistet worden. Dafür möchte ich mich bedanken. Dies freut mich besonders, da sich inzwischen schon bei anderen Gesetzesvorlagen abzeichnet, daß die Opposition schon im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl Verzögerungstaktiken anwendet. Wir hoffen, daß die Niederländer unserem Beispiel der zügigen Beratungen folgen werden. ({0}) - Wir bemühen uns auch mit unseren Parteifreunden in den Niederlanden darum, Herr Kollege. Ich glaube, das werden sie auch von ihrer Seite aus forcieren. Wir hoffen also, daß die Niederländer unserem Beispiel der zügigen Beratungen folgen werden. Das Vertragswerk ist gerade auch außenpolitisch von besonderer Bedeutung. Erstens steht es exemplarisch für eine europäische Zusammenarbeit, die wir im Sinne eines besseren grenzüberschreitenden Umweltschutzes vorantreiben müssen. Immerhin dienen allein 19 Artikel dem Bereich Umwelt und Naturschutz. Ich habe derzeit keinen anderen internationalen Vertrag vor Augen, in dem in so vielen Details umweltpolitische Vorkehrungen getroffen sind. ({1}) Ein weiterer Punkt von außenpolitischer Bedeutung ist natürlich die nach der Ratifizierung nun endlich erfolgende Grenzziehung mit unseren niederländischen Nachbarn, die erst das Bauvorhaben ermöglicht. Ich selbst habe noch letzte Woche bei der Behandlung des ostfriesischen Inselgutachtens darauf hingewiesen, daß für die FDP eine ausgewogene Industrieansiedlung dem Naturschutz nicht widersprechen muß. Wir lassen uns nicht vorwerfen, daß wir das Ems-Dollart-Projekt falsch einschätzen. Die FDP hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie den Hafenausbau nur mit gedämpftem Optimismus befürwortet. Das Projekt aber als Alibiprojekt von Ministerpräsident Albrecht hinzustellen, hieße, Emden und seinem Umland keine Chance einzuräumen. Wir müssen etwas tun, um diese Region vor dem drohenden Rückfall in die totale Bedeutungslosigkeit zu bewahren. Wir müssen den Versuch unternehmen, dem wirtschaftlich schwachen Ostfriesland zusätzliche Impulse zu geben. ({2}) Deshalb dürfen wir auch nicht den bisher wichtigsten deutschen Umschlagplatz für den Erzimport links liegen lassen. Durch den Neubau der Seeschleuse, durch die Verlegung und Vertiefung der Fahrrinne erhalten großtonnige Frachter die Möglichkeit anzulanden. Dadurch erhält der Emdener Hafen eine faire Chance, im Wettbewerb mit den anderen großen Häfen zu bestehen. Dabei müssen wir uns aber auch mit der Frage befassen, warum die Zu- und Ablauffrachten deutscher Häfen mit ausländischen Häfen nicht konkurrieren können. Es wird dringend Zeit, daß wir das deutsche Festfrachtsystem eingehend überprüfen und zu einer vernünftigen Neuregelung kommen. Durch den Ausbau, die Erweiterung und Anpassung des Emdener Hafens wollen wir Rahmenbedingungen schaffen, die hoffentlich zu einer wirtschaftlichen Wende für Ostfriesland führen. In einer Region, wo fast jeder Fünfte arbeitslos ist, führt der Ausbau des Dollarthafens mit einer geschätzten Bausumme von ca. 1,3 Milliarden DM zu einem gewaltigen positiven Impuls für die Bauwirtschaft. ({3}) Aber auch langfristig gehen vorsichtige Schätzungen davon aus, daß 3 000 bis 5 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. ({4}) Für eine strukturschwache Region dürfen und können wir darauf nicht verzichten! Die Auswirkungen des Hafenausbaus auf die Umwelt werden von uns ernst genommen. So kommen die Gutachter in den Umweltverträglichkeitsstudien zu dem Ergebnis, daß der Bau des Dollarthafens keinen wesentlich schädlichen Einfluß auf das ökologische System habe. Als ökologisch vorteilhaft werten die Gutachter die Verlegung des Emsfahrwassers. Erstmals ist es auch gelungen, eine Vereinbarung zu schaffen, daß über Staatsgrenzen hinweg die Umweltverträglichkeit dieses Bauvorhabens laufend überprüft wird. Ich komme zum Schluß. Die zügige Beratung in den Ausschüssen und die klare Zustimmung zum Kooperationsvertrag Ems-Dollart durch die FDP, die SPD und sicherlich gleich auch durch die CDU/CSU ({5}) gibt hoffentlich auch einen positiven Impuls für den Entscheidungsprozeß der Niederländer. Sicherlich wird die Verwirklichung des Projekts Dollarthafen nicht schlagartig die hohe Arbeitslosigkeit im strukturschwachen Ostfriesland beseitigen; aber es ist eine wirtschaftliche Zukunftschance, die wir nutzen wollen. Danke. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich habe ja volles Verständnis dafür, daß Sie voller Begeisterung auf eine mögliche namentliche Abstimmung warten. Aber ich bitte Sie trotzdem, die notwendige Ruhe herzustellen. Wer sich unterhalten will, den bitte ich, in die Lobby zu gehen. Nun hat der Abgeordnete Dr. Müller das Wort. ({0})

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Riesenprojekt: 1,3 Milliarden DM, erhebliche Haushaltsbelastungen. Wenn man kalkuliert, wieviel das pro Arbeitsplatz der prognostizierten 3 000 Arbeitsplätze - die sind ja weiß Gott nicht sicher - kostet, wenn man 1,3 Milliarden DM dafür ausgibt, kommt man auf 430 000 DM pro Person. Warum zahlen wir das den Menschen nicht gleich aus? ({0}) Denn Struktureffekte sind von einem weiteren Hafen an der Nordsee für den Weser-Ems-Raum mit Sicherheit nicht zu erwarten. Zu erwarten sein wird eine erhebliche zusätzliche Naturzerstörung, eine Bedrohung von Fremdenverkehrsgebieten und deswegen auch ein drohender Abbau von Arbeitsplätzen, eine zusätzliche Bedrohung der Nordsee und eine zusätzliche Bedrohung des Naturraumes Wattenmeer. ({1}) Wenn Sie hier mit Arbeitsplätzen argumentieren, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, und in einer Zeit der Sparsamkeit bereit sind, in einem sehr beschleunigten Verfahren 1,3 Milliarden DM springen zu lassen, muß etwas faul sein. Es kann gar nicht wahr sein, daß im Zeitalter von Stoltenberg, wo es kein Geld gibt, plötzlich über Nacht so viel Geld für ein Riesenprojekt ausgegeben werden kann. Und das soll dann auch noch Arbeitsplätze bringen! Ich glaube das nicht. Was Sie hier machen, ist doch nichts anderes, als daß 1,3 Milliarden DM in Beton gegossen werden. ({2}) Es gibt heute sicherlich intelligentere Methoden, als Geld für Beton auszugeben. ({3}) Es gibt auch eine intelligentere Strukturpolitik, als Hafenanlagen zu bauen. Den Dollarthafen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU gibt es doch schon auf holländischer Seite. Dort sind Kaianlagen. Pro Woche legt dort ein Butterschiff an - und nicht mehr! ({4}) Das heißt, in einem Zeitraum, in dem wir ein Überangebot an Hafenkapazität haben, in dem wir ein Überangebot, insbesondere im norddeutschen Raum, an Industrieflächen haben - auch im hafennahen Bereich - macht es überhaupt keinen Sinn, einen weiteren Hafen zu bauen, wenn er ökonomisch und ökologisch nicht sinnvoll ist. Selbstverständlich braucht Emden einen Hafen. Und selbstverständlich ist das derzeitige Umgehen mit dem Wattenmeer durch die Baggerei nicht ökologisch. Aber dieses Problem ist doch überhaupt erst verschärft dadurch aufgetreten, daß wesentliche zusätzliche Belastungen in der letzten Zeit auf die Nordsee zugekommen sind. ({5}) Was Sie dort zerstören und weiter zerstören werden, ist eine Infrastruktur, die durch dieses Geld wesentlich hätte belebt werden können. ({6}) Ich gehe auch nicht mehr davon aus - wenn man mit Sozialdemokraten aus Hamburg oder aus Bremen spricht, stellt man fest, daß auch diese auch nicht mehr davon ausgehen -, daß der Dollarthafen noch gebaut wird. ({7}) Das Schlimme allerdings ist, daß es hier natürlich einen bestimmten Mechanismus gibt, gerade angesichts der Erpreßbarkeit von Gemeinden mit so hoher Arbeitslosigkeit wie in Ostfriesland. Wenn dieser Vertrag erst einmal über die Bühne gegangen ist, wird selbstverständlich auch das Geld abgerufen, und zwar selbst dann, wenn jeder an der See weiß: Hier werden keine Schiffe landen, hierhin wird auch keine Industrie kommen. Dies ist das Problem. Diesen erschreckenden Mechanismus gilt es hier zu durchbrechen. Deswegen sind wir gegen diese Art von Dollarthafen angetreten. Erschwerend kommt hinzu: Es gibt keine Umweltverträglichkeitsprüfung, es gibt keine Alternativen, die geprüft worden wären, es gibt auch für die dortige Bevölkerung keine Gelegenheit, noch dergestalt Einspruch zu erheben, daß andere Möglichkeiten geprüft werden, damit Emden noch eine Chance hat. Dr. Müller ({8}) Wenn die Sozialdemokratie diesem Projekt jetzt zustimmt, dann geschieht dies allerdings nach dem Programm „Arbeit statt Umwelt". ({9}) Diesem Programm „Arbeit statt Umwelt" stimmen Sie hiermit zu, und das ist problematisch. Alles, was Sie bis jetzt zu Arbeit und Umwelt gesagt haben, bricht sich an der Zustimmung zu diesem Projekt, ({10}) bricht sich daran, daß Sie bereit sind, das Wattenmeer aufs Spiel zu setzen, bricht sich auch daran, daß all das, was im Raum Emden passiert, nämlich die Erpressung mit Arbeitslosigkeit, von Ihnen überhaupt nicht ernst genommen wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Senfft? Dr. Müller ({0}): Ja, ich gestatte eine Zwischenfrage.

Hans Werner Senfft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002162, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Abgeordneter, teilen Sie meine Einschätzung, daß die ungeheuer große Unruhe hier im Saal deutlich macht, daß die Abgeordneten nur sehr wenig bzw. überhaupt kein Interesse an der Beratung dieser Vorlage haben? ({0})

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es scheint so zu sein, daß es offensichtlich kein Interesse daran gibt, über 1,3 Milliarden DM zu diskutieren. Das beunruhigt mich als Haushälter selbstverständlich, denn hier werden ja Steuergelder vergeben. ({0}) Ich möchte zum Schluß kommen. ({1}) - Ich bedanke mich für die Bravo-Rufe auf seiten der CDU. Ich möchte trotzdem zum Schluß kommen. Wenn Sie diesem Projekt und diesem Vertrag zustimmen, dann haben wir allerdings eine Hoffnung, nämlich daß die Holländer, das holländische Parlament, klüger sind als Sie. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohlsen.

Wilfried Bohlsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen zweiten Beratung und der Schlußabstimmung eines Gesetzentwurfs zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenarbeit im Bereich von Ems und Dollart bringt der Deutsche Bundestag dieses Vertragswerk zügig zum Abschluß. Den diesen Gesetzentwurf tragenden Fraktionen sowie den beteiligten Ausschüssen darf ich als einer aus dieser betroffenen Region kommender Abgeordneter für diese zügige Behandlung danken. ({0}) Das nunmehr vorliegende Konzept ist gewachsen, und Sie sagen, es sei überhastet. Ich sage, es wuchs in 25jähriger Entwicklungszeit heran. Treffend hat der niedersächsische Ministerpräsident Dr. Ernst Albrecht dieses aus dem ostfriesischen Raum heraus entwickelte Konzept als genial bezeichnet. ({1}) Zur Bewältigung der zwingenden technischen und wasserbaulichen Erfordernisse für das Erweiterungsvorhaben Emder Hafen ist ein zukunftsweisender Lösungsweg gewählt worden, der zugleich die Wirtschaftsstruktur der gesamten Region Ostfriesland im wesentlichen verbessert. Dabei werden nur unwesentliche Mehrkosten verursacht. ({2}) Denn durch dieses Projekt werden neue Arbeitsplätze geschaffen und bestehende Arbeitsplätze gesichert - eine Aussicht, die angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, die hier schon erwähnt wurde, in dieser Region Zuversicht bei den Arbeitnehmern, den Unternehmern und den Arbeitslosen schaffen wird. Ich erlaube mir, auf einige Ausführungen des Kollegen Dr. Müller einzugehen, der auch den Kostenfaktor angesprochen hat. Herr Dr. Müller, Sie haben dabei völlig übersehen, daß bei einer Nichtrealisierung dieses Dollart-Hafenprojekts eine alte Schleuse mit erheblichen Kosten erneuert werden müßte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?

Wilfried Bohlsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte das nicht tun, weil ich auf vieles eingehen werde, was im Verlauf der Debatte gesagt wurde. Sie haben zweitens nicht erwähnt, daß die Unterhaltungsbaggerungen entfallen werden. Sie haben drittens nicht erwähnt, daß eine Deicherhöhung, die erforderlich ist, zurückgestellt wurde. Durch die Realisierung des Hafenprojekts würde sie sich erübrigen. Sie sind nicht bereit, alle diese Kosten zu akzeptieren. Wir müßten sie aber irgendwo mit einbinden, wenn wir ehrlich miteinander rechnen wollen. Sie haben davon gesprochen, es gebe Alternativen, die Sie vorlegen wollten. Ein gestern mit dem Hafenamt Emden geführtes Gespräch hat deutlich gemacht, daß diese Alternativen bislang nicht vorliegen. Sie haben das Planfeststellungsverfahren gerügt und gesagt, daß deutsches Recht auch auf niederländischem Hoheitsgebiet gilt. Dieses ist unrichtig, da unstreitig niederländisches Hoheitsgebiet durch die Maßnahmen nicht berührt wird, sondern die Planungen sich lediglich auf das zur Zeit strittige Gebiet erstrecken. Sie haben Negativäußerungen zur Entwicklung des Umschlags in den niederländischen Häfen Delfzijl und Eemshaven gemacht. Hier haben wir uns die Zahlen geben lassen. Die Zahlen besagen genau das Gegenteil: Sie weisen einen deutlichen Trend nach oben aus. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie sind allerdings nicht bereit, diese Fakten hinzunehmen, die ich Ihnen in Form einer Tabelle vorlegen könnte. Sie haben Ausführungen über die Entwicklung des Emder Hafens gemacht. Sie haben Ausführungen über tiefgehende Schiffe gemacht. Sie haben gesagt, nur ein einziges Schiff habe im Jahre 1983 mit der maximalen Wassertiefe das Emder Fahrwasser befahren. Lassen Sie sich bitte die Zahlen vom Emder Hafenamt geben. Sie besagen genau das Gegenteil, und die Tendenz ist steigend. Nehmen Sie dieses alles bitte zur Kenntnis. Ich hätte eine Tabelle für Sie, die alles dies belegt. In der Ökologie sind wir auf viele Bereiche eingegangen, die wir berücksichtigen mußten. Lassen Sie mich daher abschließend erklären: Der Vertrag erschöpft sich zum Thema der Ökologie nicht in allgemeinen, unverbindlichen Absichtserklärungen. Er enthält eindeutige Verpflichtungen mit praktischen Auswirkungen. Der zum Zweck des Hafenbaus im Dollart aufzuspülende sogenannte Geiserücken wird nicht für Industrieansiedlungen genutzt, sondern ist als Naturschutzgebiet einzurichten. Die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande werden den in ihrem Hoheitsgebiet liegenden Teil des Dollart als Naturschutzgebiet ausweisen, so daß ein grenzüberschreitendes Naturschutzgebiet entsteht. Der Vertrag bildet die Grundlage für eine zwischen beiden Staaten abgestimmte Umwelt- und Naturschutzpolitik im Ems-Dollart-Gebiet. Diese und viele andere Regelungen bringen einen angemessenen Ausgleich zwischen den Anforderungen des Projekts und dem Schutz der Umwelt. Zudem wird die deutsch-niederländische Zusammenarbeit im Ems-Dollart-Gebiet in ökologischen Fragen auf eine zukunftsweisende Grundlage gestellt. Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich sagen: Das Hafenprojekt ist ein Vorhaben Niedersachsen. Wir vertrauen dem Land, daß es bei allen Baumaßnahmen den Forderungen des Umweltschutzes und des Naturschutzes gerecht wird. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dieser Gesetzesvorlage zu. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gallus.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich Ihnen zunächst den aufrichtigen Dank der Bundesregierung dafür zum Ausdruck bringen, daß Sie das Vertragsgesetz zum Kooperationsvertrag Ems-Dollart in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages und im Plenum so zügig behandelt haben. Bereits eineinhalb Monate nach der ersten Beratung am 3. Oktober 1985 befindet sich die Gesetzesvorlage heute in der zweiten und dritten Beratung. Es ist nicht so, wie Sie, Herr Dr. Müller, glauben, daß die Ökologie in diesem Vertrag nicht zum Zuge gekommen ist. Ich bin der Auffassung, daß das ein hervorragendes Beispiel eines Kompromisses von Ökonomie und Ökologie darstellt. Mit welcher Umsicht Umweltfragen bei der Prüfung des Ems-Dollart-Projektes behandelt worden sind, ergibt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, daß allein 20 Artikel von insgesamt 52 Artikeln des Vertrages Umwelt- und Naturschutzregelungen, zum Teil grenzüberschreitend, betreffen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulte ({0}) und des Herrn Abgeordneten Heyenn?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Nein. ({0}) - Die fortgeschrittene Zeit erlaubt es nicht. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie im Namen der Bundesregierung, dem Gesetzentwurf zum Vertrag vom 10. September 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenarbeit im Bereich von Ems und Dollart sowie in den angrenzenden Gebieten heute zuzustimmen. Die Zustimmung des Hauses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird für die niederländische Regierung ein Zeichen sein, das dortige parlamentarische Verfahren nunmehr ebenfalls zügig in Angriff zu nehmen. ({1}) Durch ein baldiges Inkrafttreten des Kooperationsvertrages Ems-Dollart zwischen dem Königreich der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland werden die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern weiter vertieft und durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit beider Staaten im Vertragsgebiet des Ems-Dollart besonders positiv beeinflußt werden. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Schlußabstimmung. ({0}) Vizepräsident Frau Renger - Moment, nicht so aufgeregt! - Hierzu liegt mir ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Es wird gemäß § 85 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung beantragt, den Gesetzentwurf zurückzuverweisen. ({1}) Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. ({2}) - Sie möchten das noch begründen? ({3}) - Natürlich, das liegt mir ja schriftlich vor. Ich wüßte nicht, was dazu noch mehr zu sagen wäre. Aber ich gebe Ihnen natürlich das Wort zur Geschäftsordnung, weil ich das muß. Bitte sehr.

Hans Werner Senfft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002162, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ({0}) - Könnte vielleicht etwas mehr Ruhe eintreten? Das wäre sehr nett; dann könnten Sie das Ganze auch etwas ernster nehmen. Dann könnten wir vielleicht auch in fünf Minuten das nachholen, was bei den Beratungen versäumt worden ist. Wir beantragen die Zurückverweisung der Vorlage an die Ausschüsse, damit endlich das stattfindet, was nicht stattgefunden hat, nämlich die Beratung. Sie ist ersatzlos ausgefallen. ({1}) Das wurde schon deutlich bei der Begründung seitens der Fraktion von CDU/CSU und FDP sowie seitens der Bundesregierung, die die äußerst zügige Beratung begrüßt haben. Das ist deutlich geworden. Das war keine zügige Beratung, das war eine überhastete Beratung, wenn es überhaupt eine Beratung war. Wir haben im Verkehrsausschuß beantragt, daß zuerst einmal die Anlagen zu diesem Gesetzentwurf beschafft werden. Die Übersichtskarten wollten Sie nicht haben. Sie wollten auch nicht die aktualisierte Kosten-Nutzen-Analyse haben. Sie wollten die Entscheidung treffen - und haben sie getroffen - ohne die Umweltverträglichkeitsprüfung. Das nennen Sie dann Beratung. Sie haben nicht auf einem Bericht des Bundesministers für Verkehr bestanden. Nicht eine einzige Seite hat dazu vorgelegen. So sieht es aus. Sie haben sich erst recht nicht bemüht - was notwendig gewesen wäre -, ein Hearing durchzuführen. Sie haben sich auch nicht der Mühe unterzogen, sich einmal - wie es unsere gesamte Bundestagsfraktion getan hat - vor Ort sachkundig zu machen. Das wäre das mindeste gewesen. ({2}) Es geht um 1,3 bis 2 Milliarden DM. Wir erleben wieder einmal dasselbe, was wir vor 20 Jahren, vor 10 Jahren mit Fehlinvestitionen beim Elbeseitenkanal, beim Rhein-Main-Donau-Kanal, bei der Saarkanalisierung erlebt haben. Da ist genau dasselbe passiert. Es wundert mich überhaupt nicht, daß damals diese eklatanten Fehlentscheidungen gefällt werden konnten. Das liegt allein daran, weil Sie an einer ernsthaften Beratung kein Interesse haben. ({3}) Meine Damen und Herren, es kann zu diesem Gesetzentwurf unterschiedliche Auffassungen geben, und es gibt sie; das ist bekannt. ({4}) Irgendwann muß natürlich einmal eine Entscheidung fallen, aber wenn Ihnen, meine Damen und Herren, noch nicht einmal daran gelegen ist, ernsthaft über die Dinge zu reden und zu beraten, können Sie dieses Parlament sogleich abschaffen. ({5}) Wir möchten deshalb darauf bestehen, daß diese Vorlage an die Ausschüsse zurückverwiesen wird und daß dort ernsthafte Beratungen stattfinden, damit eine weitere Fehlinvestition vermieden wird, damit eine vollkommen überflüssige Zerstörung des Wattenmeers, der Natur und der Umwelt dort vermieden wird. Es muß ernsthaft überlegt werden, wie dort regional andere Alternativen geschaffen werden, die Arbeitsplätze bereitstellen, die in die Zukunft gerichtet sind. ({6}) Meine Damen und Herren, es darf nicht ein Projekt verwirklicht werden, das 20 Jahre alt und vollkommen überholt ist. Deshalb beantragen wir zusätzlich Überweisung an den Wirtschaftsausschuß, der sich darüber Gedanken zu machen hat, wie dort die regionale Wirtschaftsförderung vonstatten gehen kann, und an den Rechtsausschuß. ({7}) Dort hat nämlich keine Beratung stattgefunden. Es handelt sich hier aber immerhin um die Änderung von Hoheitsgrenzen, von Staatsgrenzen, und dazu hat sich gefälligst der Rechtsausschuß eine Meinung zu bilden, und er hat eine entsprechende Beschlußempfehlung an das Parlament zu richten. ({8}) Meine Damen und Herren, ich appelliere deshalb an Sie: Lassen Sie es nicht noch einmal zu, daß vollkommen überflüssigerweise eine Fehlinvestition getätigt wird und daß das Geld der Steuerzahler, 1,3 bis 2 Milliarden DM, vollkommen sinnlos verplempert wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte nicht in der Sache diskutieren!

Hans Werner Senfft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002162, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das hatte ich so empfunden. - Wir beantragen deshalb die Beratung in den Ausschüssen, die nicht stattgefunden hat, damit, meine Damen und Herren, endlich mit dieser sinnlosen Verplemperung von Steuergeldern Schluß gemacht wird. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wird noch das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - Das ist nicht Vizepräsident Frau Renger der Fall. Dann lasse ich über den Antrag abstimmen. Wer dem Antrag der GRÜNEN auf Rücküberweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung verlangt. Wir kommen jetzt also zur Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Darüber wird jetzt namentlich abgestimmt. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Stimmkarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Stimmkarte in eine der hier vorn aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Sind alle Stimmkarten abgegeben? ({0}) Ist die Kommission inzwischen vollständig erschienen? - Also, ich frage jetzt das letzte Mal: Haben alle abgestimmt? - Ich schließe die Abstimmung und bitte, auszuzählen. Meine Damen und Herren, wenn Sie wieder Platz nehmen, könnten wir in den Beratungen fortfahren. Zunächst darf ich Ihnen mitteilen, daß der Ältestenrat vorschlägt, in der Sitzungswoche vom 25. bis 29. November 1985 - wie auch früher schon - mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden zuzulassen. Sind Sie mit diesen Abweichungen von der Geschäftsordnung einverstanden? ({1}) - „Ausnahmsweise" genügt vollständig. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das mit dem ganzen Hause so beschlossen. Wir können jetzt mit der Beratung der Tagesordnungspunkte fortfahren, zu denen keine Debatte vorgesehen ist, meine Damen und Herren. Den Tagesordnungspunkt 12 behandeln wir, wenn ausgezählt ist. Ich fahre also in der Tagesordnung jetzt mit Punkt 13 fort: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 27. Juli 1984 des Weltpostvereins - Drucksache 10/3961 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen ({2}) - Drucksache 10/4140 Berichterstatter: Abgeordneter Linsmeier ({3}) Hierzu wünscht weder der Berichterstatter das Wort, noch wird das Wort zur Aussprache gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist das Gesetz angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungs- und des Rechtsträger-Abwicklungsgesetzes - Drucksache 10/3651 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4}) - Drucksache 10/4194 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Mertens ({5}) b) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/4195 Berichterstatter: Abgeordnete Roth ({7}) Hoppe Wieczorek ({8}) Kleinert ({9}) ({10}) Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist das Gesetz in zweiter Lesung angenommen. Wir treten nunmehr in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieses Gesetz angenommen. Der Tagesordnungspunkt 15 betreffend Entwurf eines Gesetzes zum Verbot unmenschlicher Haftbedingungen ist abgesetzt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Änderung der Postzeitungsordnung - Drucksache 10/3642 - Das Wort wird nicht erbeten. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage, Drucksache 10/3642, an den Ausschuß für das Vizepräsident Frau Renger Post- und Fernmeldewesen vor. Andere Vorschläge liegen nicht vor. Widerspruch erhebt sich nicht. - Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({11}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/4143 Berichterstatter: Abgeordneter Buschbom Das Wort wird nicht erbeten. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/4143 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist bei einer Gegenstimme angenommen. Ich rufe Punkt 18, Zusatzpunkt 9 und Zusatzpunkt 10 der Tagesordnung auf: Beratung der Sammelübersicht 112 des Petitionsausschusses ({12}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4135 Beratung der Sammelübersicht 114 des Petitionsausschusses ({13}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4247 Beratung der Sammelübersicht 115 des Petitionsausschusses ({14}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4248 - Das Wort wird nicht erbeten. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme und einigen Enthaltungen sind die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses angenommen. Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf: Beratung der Übersicht 12 des Rechtsausschusses ({15}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 10/3904 Berichterstatter: Abgeordneter Helmrich Es liegt hierzu ein Änderungsantrag auf Drucksache 10/4258 vor. Soll zu dem Änderungsantrag debattiert werden? ({16}) - Hatten wir nicht im Ältestenrat vereinbart, daß Sie das nicht begründen? ({17}) - Wenn ich mich recht erinnere, ist von Ihrem Vertreter im Ältestenrat gesagt worden, daß hier keine Begründung erfolgen werde. Hält sich die GRÜNEN-Fraktion an das, was mit ihr im Ältestenrat abgesprochen worden ist? - Gut, meine Damen und Herren, dann fahren wir fort. Wenn Sie nun ausdrücklich als Abgeordneter darauf bestehen, gebe ich Ihnen das Wort. Das kann ich nicht ändern. Ich gebe es Ihnen aber nicht zur Begründung.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bestehe auf diesem Recht. Genauso wie ich eben der Aufhebung meiner Immunität im Zusammenhang mit einer Friedensblockade im September 1983 zugestimmt habe und mich damit der unabhängigen Justiz stelle, möchte ich an dieser Stelle Ihre Aufmerksamkeit auf Tausende von Strafverfahren lenken, die zur Zeit überall in der Bundesrepublik gegen Demonstranten laufen, die sich für den Frieden engagiert, gewaltfrei demonstriert haben und von diesem Staat kriminalisiert werden. ({0}) Ich tue das mit besonderer Überzeugung am heutigen Tage, wo wir über 30 Jahre Bundeswehr debattiert haben, fast zwei Jahre nach dem verhängnisvollen Stationierungsbeschluß dieses 10. Deutschen Bundestages. ({1}) - Das habe ich heute mittag schon mal gesagt. Das ändert nichts an der Richtigkeit. Gerade in diesem Zusammenhang muß es noch einmal gesagt werden. Wir meinen, daß diese Verfahren, wo nicht vorbestrafte Bürger mit der Strafjustiz konfrontiert werden, uns allen Anlaß zum Nachdenken geben sollten, Anlaß, nicht zu verdrängen, was heute morgen stattgefunden hat, Anlaß, nicht zu verdrängen, daß mit der Stationierung der Raketen unsere Sicherheit nicht gewährleistet wird. Wir müssen an dieser Stelle auch zur Kenntnis nehmen - es geht hier um mehrere Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht -, daß sich noch ständig Bürger - gestern haben sich, wovon heute morgen die Rede war, Frauen vor verschiedene Kasernen gesetzt - aus Sorge für den Frieden einsetzen und sich angeblich strafbar machen. Ich meine, es ist ein Trauerspiel, daß dieser Deutsche Bundestag in diesen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - das Nähere können Sie den Drucksachen entnehmen - nicht bereit ist, politisch Position zu beziehen. Beide Positionen sollten vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten werden, Ihre Position hier von dieser Seite des Hauses, daß im Grunde genommen mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams nicht demonstriert werden darf, und unsere Position, vielleicht auch die der SPD, daß es sich hier um einen sehr schwierigen Prozeß, um eine Gewissensentscheidung handelt; diese Bürger haben es sich nicht einfach gemacht, wenn sie sich für wenige Minuten irgendwo an Stationierungsorten hingesetzt haben. Deswegen werden Sie jetzt mit Strafverfahren überzogen. Ich finde, es ist sehr bedauerlich, daß sich der Deutsche Bundestag hier zu diesen Verfahren nicht äußert. Ich darf bei dieser Gelegenheit daran erinnern: Letzte Woche waren Mitarbeiter des Bundesverfassungsgerichts hier in Bonn. Wir, Abgeordnete des Rechtsausschusses, haben mit ihnen ein Gespräch geführt. Bei diesem Gespräch haben die Mitarbeiter ihre Verwunderung zum Ausdruck gebracht, daß sich dieser Deutsche Bundestag bei wichtigen Verfassungsverfahren in Karlsruhe nicht äußert. ({2}) Wir personifizieren nicht das Risiko, Herr Dr. Bötsch. Wir verlangen, daß sich dieses Parlament ernsthaft mit diesen Verfahren auseinandersetzt. Das tun Sie mit der Beschlußempfehlung, sich nicht zu äußern, hier nicht. Das ist meine Überzeugung. Das ist unsere Überzeugung. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld, mir zuzuhören. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Palamentarische Staatssekretär Erhard.

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine langjährige Übung des Hauses, daß wir uns als Bundestag nicht bei einzelnen Verfassungsbeschwerden äußern. Nur dann haben wir eine andere Praxis gehabt, wenn es unmittelbar um unsere Rechte als Abgeordnete ging. Die Bundesregierung ist in den Verfahren beteiligt, und sie äußert sich auch. Aber der Bundestag sollte bei seiner weisen Zurückhaltung in diesen Verfahren bleiben. Das hat mit Gewissensentscheidung und mit ähnlichen Dingen überhaupt nichts zu tun. ({0}) In der Sache möchte ich Ihnen, verehrter Herr Kollege Mann ({1}) - nix „verehrt": Herr Kollege Mann -, sagen: Wo das Recht bewußt gebrochen wird, ({2}) sollen und müssen die Gerichte entscheiden. Wer das auf die politische Ebene ziehen will, um es politisch zu entscheiden, ({3}) der entscheidet es eben nicht mehr rechtlich. ({4}) Daß Sie genau die politische Entscheidung suchen und nicht die rechtliche, ehrt den Amtsgerichtsrat nicht. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Mann und der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/4258. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3904, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den auf der vorgenannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? ({0}) - Es erfolgt ein Widerspruch. Gegen die Stimmen einiger Abgeordneten der GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses mit Mehrheit angenommen. ({1}) Wir kommen nun noch zu dem Entschließungsantrag des Abgeordneten Mann und der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/4259. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu Punkt 20 der Tagesordnung: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung der bundeseigenen Wohnsiedlung in Neu-Ulm an die Neu-Ulmer Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH - Drucksache 10/4118 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Das Wort wird nicht erbeten, wie ich sehe. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 10/4118 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Gibt es Widerspruch? - Dann ist das so beschlossen. Ich rufe auf die Zusatztagesordnungspunkte 4 und 5: Vizepräsident Frau Renger Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der ambulanten und teilstationären Versorgung psychisch Kranker - Drucksache 10/4219 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes ({3}) - Drucksache 10/4220 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({4}) Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Auch hier wird das Wort nicht gewünscht. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/4219 und 10/4120 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 21: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortschritte auf dem Wege zu einer gemeinsamen Verkehrspolitik - Seeverkehr -- Drucksachen 10/3228 Nr. 11, 10/4099 Berichterstatter: Abgeordneter Fischer ({6}) Wird das Wort erbeten? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/4099 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 22: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Kommission über die Anwendung der Verordnungen ({8}) Nr. 2891/77 und Nr. 2892/77 des Rates vom 19. Dezember 1977 zur Durchführung des Beschlusses vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften Vorschlag für eine Verordnung ({9}) des Rates zur Verlängerung der Verordnung ({10}) Nr. 2892/77 über die Anwendung des Beschlusses vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften auf die Mehrwertsteuereigenmittel - Drucksachen 10/3592 Nr. 6, 10/4107 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Spöri Das Wort wird nicht erbeten. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/4107 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Ich darf Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Kooperationsvertrag Ems-Dollart auf Drucksache 10/3917 bekanntgeben. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern haben 338 ihre Stimme abgegeben. Davon waren keine Stimmen ungültig. Mit Ja haben gestimmt 301 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 27 Abgeordnete, enthalten haben sich 10 Abgeordnete. 11 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben, davon keine Stimme ungültig. Mit Ja haben gestimmt 10 Abgeordnete, mit Nein hat 1 Abgeordneter gestimmt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 326 und 11 Berliner Abgeordnete; davon ja: 291 und 10 Berliner Abgeordnete nein: 21 und 1 Berliner Abgeordneter enthalten: 4 ungültig: 10 Ja CDU/CSU Dr. Abelein Bayha Dr. Becker ({11}) Biehle Dr. Blank Dr. Blüm Böhm ({12}) Dr. Bötsch Bohl Braun Broll Brunner Bühler ({13}) Dr. Bugl Clemens Dr. Czaj a Dr. Daniels Daweke Frau Dempwolf Dörflinger Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Engelsberger ({14}) Dr. Faltlhauser Fellner Fischer ({15}) Francke ({16}) Funk Ganz ({17}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerlach ({18}) Gerstein Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Hanz ({19}) Haungs Hauser ({20}) Hedrich Frau Dr. Hellwig Helmrich Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Vizepräsident Frau Renger Hornung Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jahn ({21}) Dr. Jobst Jung ({22}) Dr.-Ing. Kansy Keller Klein ({23}) Dr. Köhler ({24}) Kraus Krey Frau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({25}) Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link ({26}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Lohmann ({27}) Louven Lowack Maaß Magin Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Müller ({28}) Müller ({29}) Nelle Dr. Olderog Frau Pack Pfeffermann Pfeifer Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Repnik Rode ({30}) Frau Rönsch Rühe Ruf Sauer ({31}) Sauer ({32}) Saurin Sauter ({33}) Sauter ({34}) Scharrenbroich Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider ({35}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({36}) Schulhoff Dr. Schulte ({37}) Schultz ({38}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seesing Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Dr. Sprung Dr. Stark ({39}) Dr. Stercken Stockhausen Stommel Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Vogel ({40}) Dr. Voigt ({41}) Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Weiß Werner ({42}) Wilz Wimmer ({43}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Wittmann ({44}) Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer Zink Berliner Abgeordnete Boroffka Buschbom Dolata Kalisch Kittelmann Schulze ({45}) Straßmeir SPD Amling Antretter Bachmaier Bahr Bamberg Bernrath Brück Buckpesch Büchler ({46}) Büchner ({47}) Dr. von Bülow Buschfort Collet Conradi Corterier Curdt Daubertshäuser Eickmeyer Dr. Emmerlich Dr. Enders Ewen Fischer ({48}) Fischer ({49}) Franke ({50}) Gerstl ({51}) Glombig Grunenberg Dr. Haack Haase ({52}) Heistermann Hettling Horn Huonker Ibrügger Jahn ({53}) Jaunich Dr. Jens Junghans Kastning Kirschner Kisslinger Klein ({54}) Kühbacher Kuhlwein Leonhart Lohmann ({55}) Meininghaus Müller ({56}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Neumann ({57}) Dr. Nöbel Frau Odendahl Pauli Porzner Ranker Rapp ({58}) Rappe ({59}) Reimann Rohde ({60}) Sander Schäfer ({61}) Schanz Dr. Scheer Schluckebier Frau Schmedt ({62}) Schmitt ({63}) Dr. Schwenk ({64}) Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({65}) Stiegler Dr. Struck Tietjen Frau Dr. Timm Urbaniak Vogelsang Weinhofer Dr. Wernitz Frau Weyel von der Wiesche Wimmer ({66}) Witek Dr. de With Zeitler Berliner Abgeordnete Dr. Mitzscherling Dr. Vogel Wartenberg ({67}) FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({68}) Eimer ({69}) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Hirsch Hoffie Kleinert ({70}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({71}) Dr. Solms Wolfgramm ({72}) fraktionslos Voigt ({73}) Nein DIE GRÜNEN Bueb Frau Dann Frau Eid Frau Hönes Mann Dr. Müller ({74}) Rusche Dr. Schierholz Schily Schmidt ({75}) Schulte ({76}) Tatge Tischer Vogel ({77}) Volmer Frau Wagner Werner ({78}) Werner ({79}) Frau Zeitler Berliner Abgeordneter Ströbele Enthalten SPD Bindig Heyenn Jansen Schreiner Ungültig SPD Frau Blunck Frau Fuchs ({80}) Jungmann Kiehm Lambinus Oostergetelo Peter ({81}) Pfuhl Sielaff Vahlberg Vizepräsident Frau Renger Der Kooperationsvertrag ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Entleiherhaftung für Lohnsteuer der Leiharbeitnehmer - Drucksache 10/4119 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({82}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - AÜG - sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung - Bil1BG - Drucksache 10/1934 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({83}) Ausschuß für Wirtschaft Im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b und ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen. Das Wort zur Begründung wird nicht erbeten. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat zuerst der Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich hier einige wenige Gedanken zu beiden Punkten vortragen. Arbeitnehmerüberlassung ist eine Möglichkeit, flexibel auf einen plötzlichen und unerwarteten Arbeitskräftebedarf zu reagieren. Darin liegt der Vorteil der Arbeitnehmerüberlassung. Viele, die von dieser Arbeitsmöglichkeit Gebrauch machen, halten sich an Recht und Gesetz. Aber es gibt auch Profitgierige, die diese Möglichkeiten ausnutzen, um auf illegale Art und Weise schnell Geld zu verdienen. Sinn und Zweck des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist es, den Arbeitsmarkt vor Störungen zu bewahren und den sozialen Schutz des Leiharbeitnehmers zu gewährleisten. Die arbeitsrechtliche Zuordnung des Leiharbeitnehmers ist mit Unsicherheiten belastet. Eine Gefahr kann darin bestehen, daß Tarifverträge umgangen werden, Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden und Lohnsteuer nicht gezahlt wird. Die Bundesregierung will, daß die Tarifvereinbarungen eingehalten und die Sozialabgaben erbracht werden. Mit der Gesetzesvorlage zur Einführung einer Entleiherhaftung für Lohnsteuer der Leiharbeitnehmer will die Bundesregierung erreichen, daß die gesetzliche Lohnsteuer tatsächlich bezahlt wird. Mit der Haftung des Entleihers soll erreicht werden, daß der Entleiher für die Lohnsteuer der bei ihm tätigen Leiharbeitnehmer in Anspruch genommen werden kann, wenn der Verleiher die Lohnsteuer nicht abgeführt hat. Künftig sollen auch ausländische Verleiher die Pflichten eines inländischen Arbeitgebers haben, damit die Kontrolle über die Besteuerung der Leiharbeitnehmer verbessert werden kann. Der Gesetzentwurf enthält notwendige und ausgewogene Regelungen, die möglichst zum 1. Januar 1986 angewandt werden sollten. Im 5. Erfahrungsbericht zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sind die Erfahrungen aufgenommen worden, die mit dem Gesetz zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung gemacht wurden. Das Beschäftigungsförderungsgesetz vom 1. Mai 1985 hat schärfere Strafen bei illegaler Ausländerbeschäftigung eingeführt. Damit wurden schwere Mißbräuche kriminalisiert und in einer Reihe von Fällen empfindliche Bußgelder verhängt. Die Bearbeitungsstellen zur Verfolgung illegaler Beschäftigung wurden von der Nürnberger Bundesanstalt 1985 um vier Stützpunkte erweitert. Ein datenbankgestütztes Informationssystem wird einen schnellen umfassenden Informationsaustausch ermöglichen. Bei der Verfolgung der illegalen Arbeitnehmerüberlassung wurden 1984 mehr als 6 700 Straf- und Bußgeldverfahren erledigt. In 863 Verfahren wurden Geldbußen in Höhe von mehr als 3,7 Millionen DM verhängt. ({0}) In 913 Fällen wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Bearbeitungsstellen haben dazu beigetragen, daß Krankenkassen, Finanzämter und andere Institutionen Forderungen in Höhe von etwa 130 Millionen DM geltend machen konnten. Die Bedeutung dieser Probleme wird beiden Vorlagen eine intensive Beratung sichern. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordneter Peter.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Höpfinger, vor einigen Monaten hätte ich wahrscheinlich ähnlich wie Sie argumentiert und gesagt: Der von Ihnen initiierte Gesetzentwurf ist ein Anschluß an das Gesetz zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung und damit ein Schritt in die richtige Richtung. Aber inzwischen hat Günter Wallraff in seinem neuesten Buch „Ganz unten" die Öffentlichkeit über einen Sachverhalt aufgeklärt, der für mich bedeutet, daß man dieses Thema anders diskutieren muß. Die illegale Beschäftigung ist offensichtlich in einer Grauzone zu einem der großen gesellschaftlichen Skandale unserer Zeit geworden. Wir erleben, Peter ({0}) offensichtlich ohne daß es die Menschen in der Bundesrepublik gemerkt haben, Sklavenhandel in einem Land, dessen oberster Grundsatz die Menschenwürde ist. ({1}) Dabei belaufen sich Schätzungen hinsichtlich der illegalen Beschäftigung - bei der gegenwärtigen Rechtslage sehr auseinanderdriftend - auf 100 000 bis 500 000 illegal Beschäftigte. Meist sind es Ausländer ohne aufenthaltsrechtlich abgesicherten Status. Nach der Lektüre des Buches relativiert sich für mich damit sowohl die Einschätzung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung als auch das Lob der Bundesregierung gegenüber der Wirksamkeit des noch von der sozialliberalen Koalition beschlossenen Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung. Offensichtlich gibt es Umgehungssachverhalte, über deren Auswirkungen wir uns nicht ganz im klaren waren. Wallraff belegt beispielsweise, daß sogar beim Bau des Bundespostministeriums illegale Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Bedeutung erhält vor diesem Hintergrund auch ein Zitat aus der Bundesanstalt für Arbeit von Herrn von Lübke aus dem Jahre 1983, in dem er sagt: Die Problematik liegt darin, daß sich die angeblich so gut beleumdeten deutschen Unternehmer in vielen Fällen durch die Angebote illegaler Arbeitskräfte zu Billigpreisen korrumpieren lassen. Dadurch entsteht erst der Markt für die illegale Arbeit. Deshalb ist der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung zwar durchaus zu begrüßen, da er die Entleiher in die Haftung für die Lohnsteuer einbezieht. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. In der Tat ist die Vollstreckung beim Verleiher häufig ohne Erfolg, und schon der Versuch, ihn heranzuziehen, scheitert oft an geschickter Tarnung; ich nenne beispielsweise den Wechsel des Firmennamens. Der Weg in die richtige Richtung wird aber bereits nach dem ersten tastenden Schritt abgebrochen. Wer hat sich wohl gegen die noch im Referentenentwurf des Finanzministers vorgesehene Entleiherhaftung sowohl für legale als auch für illegale Arbeitnehmerüberlassung zur Wehr gesetzt? Ist das ein „Notausgang" für die Entleiher, die beispielsweise die Erlaubnis für eine bestimmte Zahl von Leiharbeitnehmern haben, diese aber unerlaubt überschreiten? Es gibt nach meiner Auffassung auch gefährliche Schritte in die falsche Richtung. Das von Ihnen zitierte Beschäftigungsförderungsgesetz mit der Erleichterung der Leiharbeit kann durchaus dazu führen, daß sich die Grauzone illegaler Beschäftigung noch weiter ausweitet. Vor diesen Erfahrungen Wallraffs ist diese Initiative dann schon fast peinlich. Es geht uns um weiteren Handlungsbedarf. Die Schattenwirtschaft der Scheinverträge, der Schein-Werkverträge und unechter Subunternehmerverhältnisse, gilt es zu durchleuchten. Sklavenhandel muß aus der Sphäre des Kavaliersdelikts zu dem erhoben werden, was es ist, zu einer kriminellen Handlung. Die Konsequenz ist eben, daß hier statt eines Bußgeldtatbestandes ein Straftatbestand auf den Tisch muß. Die Kontrolle muß verschärft werden, und das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe muß schrittweise auf andere Wirtschaftsbereiche ausgedehnt werden. Dabei müssen die „Notausgänge" zugemacht werden. Nicht nur Politiker und Behörden sind gefordert; auch die Unternehmer selbst müssen dafür sorgen, daß den schwarzen Schafen in ihren Reihen endlich das schmutzige Handwerk gelegt wird. Es gibt in dieser Hinsicht durchaus ein positives Beispiel: der Bundesinnungsverband der Gebäudereiniger des Handwerks. Andere Verbände sollten sich ein Beispiel daran nehmen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Schulhoff.

Prof. Wolfgang Schulhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Entleiherhaftung für Lohnsteuer der Leiharbeitnehmer ausdrücklich. Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, daß der Entleiher von Arbeitnehmern künftig für die Lohnsteuer der bei ihm tätigen Leiharbeitnehmer neben dem Verleiher als Gesamtschuldner haftet, wenn dieser zur Leistung der Zahlungen nicht herangezogen werden kann. Damit soll erreicht werden, daß dem Finanzamt vor allem bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung oder bei Verleihung aus dem Ausland mit dem Entleiher im Inland ein Haftungsschuldner zur Verfügung steht. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll zugleich die Lücke geschlossen werden, die durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 2. April 1982 entstanden ist. Darin ist der Bundesfinanzhof nicht der von der Bundesregierung vertretenen Auffassung gefolgt, daß der Entleiher bei unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung auf Grund von § 10 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes für die Lohnsteuer der ihm überlassenen Arbeitnehmer haftet. Der jetzige Entwurf folgt im Ergebnis der für die Entleiherhaftung für Sozialversicherungsbeiträge maßgebenden Rechtslage; denn nach § 393 der Reichsversicherungsordnung kann der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge in Anspruch genommen werden. Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind zugleich auch - das ist viel wichtiger - ein weiterer Schritt in Richtung unserer Bemühungen, die Wirtschaftskriminalität in der Bundesrepublik einzudämmen. Sie sind zwar keine unmittelbare Maßnahme zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung, jedoch scheint die Haftung des Entleihers geeignet, die Hemmschwelle für illegale Arbeitnehmerüberlassung zu erhöhen. Es wird dadurch risikoreicher und weniger vorteilhaft, Arbeitnehmer steuerunehrlicher Verleiher zu beschäftigen, die auf Grund systematischer Hinterziehung von Steuern und So13134 zialabgaben billiger anbieten können und so den Wettbewerb mit steuerehrlichen Konkurrenten verfälschen. Das Thema Leiharbeitnehmer hat in den letzten Wochen eine bedauerliche Aktualität erlangt. Ich freue mich, daß auch Sie auf den jetzt von mir vorgetragenen Tatbestand gekommen sind, Herr Kollege Peter. Deshalb erlauben Sie auch mir an dieser Stelle eine Bemerkung zum Inhalt der jüngsten Veröffentlichungen von Herrn Wallraff. Das, was er an Mißständen, Diskriminierungen und kriminellen Tatbeständen aufgedeckt hat, hat mich auch als selbständiger Unternehmer zutiefst erschüttert. Ich bin Herrn Wallraff für das, was er hier getan hat, dankbar, ({0}) wenn man auch über seine Methode streiten kann. ({1}) Es soll ja auch nicht alles der Wahrheit entsprechen. - Warten Sie doch ab, was kommt! - Trotzdem sollten nicht die darüber streiten, die selbst Dreck am Stecken haben. Ich habe weder Verständnis für die Unternehmen, und hier handelt es sich, wenn man insbesondere die Firma Thyssen - der Name soll auch hier einmal genannt werden - betrachtet, nicht gerade um kleine, sondern sogar um mitbestimmte Betriebe, noch habe ich deshalb Verständnis für die Gewerkschaften, die ja durch ihre Vertrauensmänner vor Ort sehen konnten, was hier in den Betrieben geschah. Beide, sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften, haben hier versagt. ({2}) Dennoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten die wenigen schwarzen Schafe, die in krimineller Art und Weise das Geschäft mit der Leiharbeit betreiben und den Wettbewerb verzerren, uns nicht dazu veranlassen, unnötige Verbote gegen die Arbeitnehmerüberlassung auszusprechen; denn unsere Industriegesellschaft befindet sich in einem rasanten Entwicklungsprozeß, der viel mehr Flexibilität ({3}) in allen Bereichen wirtschaftlichen Handelns erforderlich macht. - Nein, das ist keine Rechtskurve, das ist in diesem Sinne die Kurve der Vernunft. ({4}) Das gilt in hohem Maße auch für den Arbeitsmarkt. Das Institut der Arbeitnehmerüberlassung kann z. B. eine sinnvolle Lücke bei den Firmen ausfüllen, die während des Jahres unterschiedlichen Kapazitätsauslastungen unterworfen sind. Ein seriös arbeitender Verleiher kann einem solchen Betrieb helfen, dadurch seine festen Arbeitsplätze langfristig zu sichern. Dirigismus, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat sich noch nie ausgezahlt. Vielmehr sollten wir - da appelliere ich an alle, auch an Arbeitgeber und an Gewerkschaften - alles tun, damit wir den Wirtschaftskriminellen das Handwerk legen. ({5}) An sich brauchten wir dazu keine Wallraffs. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tatge.

Willi Tatge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002300, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte übriggebliebene Damen und Herren! Liebe Kollegin Zeitler! Lieber Kollege Norbert Mann! Lieber Kollege Helmut Werner! ({0}) - Das genau ist Ihre Informationsquelle und scheint zu Ihrem Niveau der Information zu passen, Herr Kollege. ({1}) Meine Damen und Herren, mit ihrem Gesetzentwurf zur Einführung einer Entleiherhaftung formuliert die Bundesregierung konsequent an den eigentlichen Problemen der legalen wie - dies ist nicht zu trennen - der illegalen Leiharbeit vorbei. Worum geht es der Bundesregierung? Auf Seite 6 des Gesetzentwurfs ist es zu lesen - ich zitiere -: Arbeitnehmerüberlassung mit systematischer Steuerhinterziehung schadet der Volkswirtschaft und den steuerehrlichen Wettbewerbern. Wie schätzt die Bundesregierung ihren eigenen Gesetzentwurf ein? Ich zitiere: Die Bundesregierung sieht diesen Entwurf nicht als unmittelbare Maßnahme zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung an. Sie ist sich bewußt, daß gerade in den Fällen, in denen die Haftung wirksam werden soll, die Aufdeckung des wahren Sachverhalts häufig sehr schwierig ist. Die eigentlichen Probleme liegen also woanders. 1983 hat die Bundesanstalt für Arbeit berichtet: 100 000 bis 300 000 bis 500 000 Fälle von illegaler Beschäftigung als Spitze eines Eisberges, 170 Milliarden DM volkswirtschaftlicher Schaden, 13 100 Strafanzeigen wegen illegaler Beschäftigung. Leiharbeit ist ein Beispiel für eine bundesweit, j a europaweit operierende Mafia, die brutalen Menschenhandel betreibt. Beispiel 1: Der Streik von Arbeitern und Angestellten bei dem Gerstetter Autoradiohersteller Progamma. Die Löhne der Kollegen und Kolleginnen in dieser Firma liegen bis zu 500 DM unter Tarif. Ständig wurde die Belegschaft angehalten, Überstunden durchzuführen. Frauen mußten „freiwillig" gesetzlich verbotene Nachtarbeit leisten. Die Belegschaft will einen Anerkennungstarifvertrag für ihren Betrieb. Die Betriebsleitung verweigert dies. Nach monatelangen ergebnislosen Gesprächen kommt es zum Streik. Am zweiten Streiktag wird der ersten Kollegin gekündigt. Auf der Straße angeworbene Hilfskräfte werden eingesetzt, Leiharbeiter aus England eingeflogen. Sieben Wochen lang werden über 50 Leiharbeiter über ein Ulmer Zeitarbeitsbüro als Streikbrecher eingesetzt. Die Staatsanwaltschaft Heidenheim ermittelt inzwischen gegen die Progamma-Geschäftsführung wegen Beschäftigung illegaler Arbeitskräfte. Bundesdeutsche Realität im Oktober 1985. ({2}) Beispiel 2: Er erzählt, wie sie bei Thyssen gearbeitet haben - jetzt zitiere ich -: Jeden Tag 16 Stunden, 12 Stunden, 13 Stunden, jeden Samstag und jeden Sonntag, jeden Feiertag, immer durch. Ostern und Pfingsten waren wir auch noch da, das ging da vielleicht rund. Der ganze Hochofen hat ja stillgelegen, da mußte alles sauber gemacht werden, was meinst du, wie wir da 'rummalocht haben, egal ob Wind, ob Schnee, ob Regen, ob kalt. ({3}) Da waren deine Klamotten ständig feucht und naß, und immer 10 bis 15 Leute von Remmert, auch Adler-Leute, waren dabei. Insgesamt haben wir da fast fünf Monate gearbeitet. So Günter Wallraff in seinem Buch „Ganz unten". Besser ist bundesdeutsche Realität im Jahre 1984/85 nicht beschrieben worden. ({4}) Noch nie wurde der alltägliche Rassismus, die Hetze, mit der türkische Mitbürger leben müssen, klarer deutlich gemacht. Die Bundesregierung leidet, wie meist, an Wahrnehmungsstörungen, wiegelt ab, wo sofortiges Handeln angebracht wäre. ({5}) Wir lehnen aus humanitären, sozialen und arbeitsmarktpolitischen Gründen die Trennung in gute - d. h. legale - und schlechte - d. h. illegale - Vereihfirmen ab. Konsequenterweise treten die GRÜNEN im Bundestag für ein generelles Verbot der Leiharbeit ein. Konsequenterweise werden wir in Kürze einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes einbringen, der ein solches Verbot vorsieht. Wir sind gespannt auf Ihre Reden und vor allem auf Ihr Handeln in dieser Frage. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An sich ist es bedauerlich, daß zu so einer späten Stunde bei so geringer Beteiligung ein so wichtiges Thema besprochen wird; aber dennoch sage ich Ihnen, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wer sich mit diesem Thema über Jahre hinweg beschäftigt, der weiß, daß es keines Herrn Wallraff bedurft hätte, um zu wissen, worum es hier geht. Daß Sie hier etwas zitieren, das durch nichts belegt ist außer durch eine Buchveröffentlichung und eine Veröffentlichung in einer Zeitschrift, und daß Sie da eine Art Trendfeststellung und nicht etwa eine Analyse darüber machen, wie sich die gesamte Entwicklung bei der Verleihertätigkeit in den letzten 20 Jahren eigentlich abgespielt hat, befremdet mich. Es ist interessant, das einmal zu analysieren. Ich beschäftige mich seit Mitte der 70er Jahre mit diesem Thema, und ich weiß genau, worauf es eigentlich hinausläuft. Ich muß Ihnen auch als ein Unternehmer, der weiß, wovon er redet, wenn es um Flexibilität und Mobilität geht, ehrlich gestehen: Wenn der Mißbrauch in der Verleihertätigkeit so zunimmt, wie er in den letzten 20 Jahren zugenommen hat, wird man sich wirklich überlegen müssen, ob man nicht eines Tages zu einer wesentlicheren Einschränkung kommt, als dies mit diesem Gesetzentwurf geschehen ist. Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf. Gegen ein völliges Verbot der Verleihertätigkeit spricht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Vielleicht wäre es auch für die GRÜNEN interessant, sich ab und zu einmal mit den Urteilen höchstrichterlicher Entscheidungsebenen zu beschäftigen. Wir müssen die Maschen enger ziehen, wir dürfen nicht verbieten, ({0}) so hat es das Verfassungsgericht entschieden. Die Lohnsteuer nicht einzubehalten oder nicht abzuziehen heißt, daß wir eben genau diesen Schritt machen müssen, der jetzt von der Bundesregierung eingeleitet ist, nämlich nicht nur den Verleiher, sondern auch den Entleiher mit in die Haftung einzubeziehen. Ich schließe mich Ihnen, Herr Kollege Schulte, an - ich sage das jetzt auch als Unternehmer -, daß wir an die Unternehmer selbst appellieren müssen, von einer illegalen Verleihertätigkeit endlich in einer Solidarität mit der gesamten sozialen Marktwirtschaft Abstand zu nehmen. Es ist eine Tätigkeit, die nicht nur von der humanen Seite her - da stimme ich Ihnen zu - zum Teil in eine Zone hineingeht, in der man wirklich von einem widerlichen Menschenhandel zu reden verführt wird, den man verurteilen muß ({1}) und der natürlich auch unserer abendländischen Kultur und unserer sozialen Landschaft nicht entspricht. Aber - ({2}) - Würden Sie etwa bestreiten, daß wir in einer abendländischen Kultur leben? ({3}) Ich bin noch stolz darauf, daß das so ist. ({4}) - Das ist es natürlich. Sie müssen da einmal in die Landschaft hereinschauen, was zum Teil mit unseren ausländischen Mitbürgern geschieht, in welcher Art und Weise die Verleihertätigkeit stattfindet. Ich bin schon der Meinung, daß wir das abbremsen müssen, gleich ob die Mitarbeiter aus den EG-Ländern kommen oder ob sie, was ja besonders drastisch wird, aus den Nicht-EG-Ländern kommen, wie bei uns in Bayern, die wir sehr stark mit den Österreichern und Jugoslawen zu rechnen haben, die zu einem Teil in München und Umgebung organisiert werden, was tatsächlich heute zu dem Ergebnis geführt hat, daß wir zwischen 100 000, 300 000 und 500 000 illegale Arbeitnehmer in allen möglichen Bereichen - nicht nur im Bau- und Ausbaugewerbe - beschäftigen. Ich glaube, daß es notwendig ist, die Beratung dieses Gesetzentwurfes in den Ausschüssen mit aller Sorgfalt durchzuführen. Ob noch weitere Verschärfungen einzubringen sind, bedarf sorgfältiger Überlegungen. Die FDP-Fraktion wird jedenfalls diesem Gesetzentwurf zustimmen und die parlamentarischen Beratungen mit aller Sorgfalt und der gebotenen Menschlichkeit durchführen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/4119 und 10/1934 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 15. November 1985, 8 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.